Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Nichts ist schöner, als einen Geburtstag mit Ihnen zu
verbringen.
({1})
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive durch Abschaffung der Eigenheimzulage
- Drucksache 15/3781 ({2})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 15/3972 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Hilsberg
Dr. Michael Meister
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/3975 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Anja Hajduk
Otto Fricke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über ein wichtiges
finanzpolitisches und gleichzeitig bildungspolitisches
Vorhaben.
({0})
- Richtig, wieder einmal. Dieser Hinweis von der Opposition ist richtig,
({1})
weil das ein wichtiger Punkt ist, an dem wir uns mehr
Unterstützung von der Opposition wünschen, als wir bisher erfahren. Die Opposition verfährt so, wie sie das immer tut: In allgemeinen Fragen werden wir unterstützt;
wenn es aber konkret wird und ans Eingemachte geht,
wenn es gelegentlich einmal wehtut, wird uns die Unterstützung entzogen. So kann man keine Politik machen.
({2})
Um es ganz klar zu sagen: Unsere Regierung verdient
jede Unterstützung, wenn es darum geht, mehr in Bildung zu investieren und weniger für Subventionen auszugeben. Zu der Frage, wofür das Geld bei der Bildung
ausgegeben werden soll, wird anschließend unsere
Ministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard
Bulmahn, das Nötige sagen. Deshalb werde ich mich an
dieser Stelle, obwohl ich viel dazu sagen könnte, zurückhalten. Aus berufenem Munde wird das besser gesagt.
Ich will etwas zur Notwendigkeit der Senkung von
Steuersubventionen erklären. Heute ist die Situation
anders als noch vor zehn Jahren. Es geht nicht einfach
nur darum, die Ausgaben des Staates zu begrenzen.
Nicht dasjenige Land ist ein gutes Land, das wenig Steuern verlangt, sondern dasjenige Land ist ein gutes Land,
Redetext
das ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen
eingezogenen Steuern und dafür erbrachten Leistungen
aufweist.
({3})
Dieses Kriterium ist auch im europäischen und internationalen Standortwettbewerb wichtig. Deshalb geht es in
der Frage der Notwendigkeit der Senkung der Subventionen nicht einfach nur darum, Ausgaben zu senken,
sondern darum, die Effizienz des Steuersystems insgesamt zu verbessern; das ist der entscheidende Punkt. Wir
sind an dieser Stelle schon einen ganz erheblichen
Schritt vorwärts gekommen, an manchen Stellen auch
mit Unterstützung der Opposition - gar keine Frage -,
auch wenn das Endergebnis ein bisschen dürftig war.
Beispielsweise war das berühmte Koch/SteinbrückPapier an manchen Stellen nicht zielgenau. Aber immerhin ist es gelungen, einige Subventionen abzubauen.
Es ist sehr gut, dass der berühmte Effekt, der noch vor
fünf oder sechs Jahren beklagt wurde, nämlich dass wir
Einkommensmillionäre haben, die keine Steuern zahlen,
inzwischen der Vergangenheit angehört. Eine ganze
Menge Steuerschlupflöcher wurden geschlossen. Das ist
gut so und an dieser Stelle müssen und wollen wir weitermachen.
({4})
Es geht jetzt also nicht darum, Geschenke zu verteilen, sondern es geht um die Frage, wo Subventionen gerechtfertigt sind und wo nicht. In diesem Zusammenhang komme ich auf die Eigenheimzulage zu sprechen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik
haben wir einen ausgeglichenen Wohnraummarkt, der es
nicht mehr rechtfertigt, eine solche allgemeine Eigenheimzulage zu gewähren. In einigen Regionen haben wir
sogar katastrophale Leerstände; da kommen wir mit einer Eigenheimzulage überhaupt nicht weiter. In manchen Regionen in der Bundesrepublik ist die Situation
ganz ohne Zweifel nach wie vor ein klein wenig angespannt. Aber das allgemeine Instrument einer Eigenheimzulage ist überhaupt nicht mehr angebracht.
({5})
Natürlich haben wir es mit Besitzstandswahrern zu
tun; ist doch gar keine Frage. Was wäre das auch für ein
Lobbyverband, der sich dann, wenn es darum geht, in
seinem Bereich bestimmte Gelder einzusparen, nicht
melden oder organisieren würde! Das ist doch völlig
normal und damit kann man auch umgehen. Es muss
aber bewertet werden, ob es im allgemeinen Interesse
liegt, dass so etwas gemacht wird.
Von Wirtschaftsverbänden lasse ich mir ungern sagen,
dass wir zu wenige Subventionen zahlen, da sie die
ganze Zeit die Meinung vertreten haben, dass sich der
Staat aus dem Marktgeschehen herauszuhalten habe. Genau das ist doch der Punkt. Deutschland ist nicht umsonst eines der Länder mit den höchsten Baupreisen. Sie
müssen sich einfach einmal überlegen, ob die Bauwirtschaft die Eigenheimzulage in Milliardenhöhe, wie sie
zurzeit gezahlt wird, nicht automatisch in ihre Kosten
mit einrechnet und auf diese Art und Weise schon einmal
Einnahmen hat, die sie vor niemandem und erst recht
nicht im Marktgeschehen zu verantworten hat. Ich
meine, das ist ein wichtiger Punkt. Deshalb muss das
auch gesagt werden.
Interessanterweise kann man bei der Diskussion um
die Zukunft der Eigenheimzulage - auch im Ausschuss keineswegs feststellen, dass die Opposition überhaupt
nicht an die Eigenheimzulage ran will. Es gibt beispielsweise Äußerungen, dass man im Rahmen einer generellen und großen Steuerreform bereit sei, über die Zukunft
der Eigenheimzulage zu reden. Es geht also gar nicht darum, dass man nicht bereit ist, hier etwas zu tun.
Bei der entscheidenden Aufgabe, die wir heute haben,
nämlich Steuersubventionen abzubauen, um ein besseres
Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuersystem insgesamt
zu erreichen, verweigern Sie sich aus durchscheinenden
parteitaktischen Interessen, weil Sie Ihre eigenen Konzepte damit finanzieren wollen. Ihre eigenen Konzepte
sind nämlich dermaßen schlecht durchgerechnet, dass
Sie Sorgen haben, wenn Sie an die Realisierung denken,
zu der es kommen würde, wenn Sie jemals die Chance
dazu hätten. Das ist doch der Hintergrund.
({6})
Während Ihr Faktionsgeschäftsführer Volker Kauder
und der jetzt nicht mehr ganz so beliebte Teufel, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, noch darüber
reden, dass man das in eine allgemeine Steuerreform
einbauen könnte, wird im Ausschuss darüber geredet,
dass es vielleicht nicht falsch wäre, ein Konzept zu finden, in dem das Wohneigentum besser als bisher in eine
steuerlich begünstigte Altersvorsorge mit eingerechnet
wird. Darüber könnte man auch reden.
({7})
Sie müssen sich aber überlegen, was Sie eigentlich wollen und wofür Sie es verwenden wollen. Sie sind hier
überhaupt nicht sortiert.
Wir werden unseren Weg gehen. Der Weg kann nur
lauten: besseres Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuersystem insgesamt für einen Standortvorteil und für bessere Standortbedingungen für unsere Unternehmen in
Deutschland, für bei uns benötigte Arbeitsplätze sowie
für eine hervorragende und sich gut entwickelnde Volkswirtschaft im europäischen Konzert.
Deswegen gehen wir auch an die schwierigen Punkte
heran. Wir wissen nämlich, dass es für eine gute Zukunft
unseres Landes notwendig ist, heute auch schwierige
Aufgaben zu meistern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile Kollegen Christian von Stetten, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Hilsberg, es ist doch folgendermaßen: Im
Dezember 2003 haben wir einen Kompromiss zwischen
der Regierung und der Opposition erzielt, um die Zukunft der Eigenheimzulage neu zu regeln. Allein die Tatsache, dass wir uns heute, keine zehn Monate später, erneut mit diesem Thema beschäftigen müssen, weil die
Regierung den betroffenen Bürgern gegenüber wortbrüchig werden will, ist der Skandal und zeigt die Unzuverlässigkeit der rot-grünen Regierung und der in ihr handelnden Personen.
({0})
Wie war es denn? Sie von Rot-Grün wollten die Eigenheimzulage im letzten Jahr vollständig abschaffen,
um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen. CDU/CSU und
auch die FDP wollten den Schwächeren unserer Gesellschaft weiterhin den Erwerb von Wohneigentum ermöglichen.
({1})
Herr Tauss, dann haben wir uns auf Kürzungen in Höhe
von 30 Prozent in den nächsten drei Jahren geeinigt. Ich
war von diesem Kompromiss nicht begeistert, aber es
war ein Kompromiss. Er hat den Bürgerinnen und Bürgern eine Perspektive für die nächsten Jahre gegeben.
Junge Familien haben auf diese von uns gemeinsam gemachten Zusagen hin ihre Lebensplanungen ausgerichtet.
Und jetzt? Die Betroffenen fragen zu Recht, was denn
nun gilt. Gibt es jedes Jahr wieder ein neues Theater. Sie
wissen, mich persönlich können Sie nicht mehr so leicht
enttäuschen. Was ich bei Ihnen in zwei Jahren chaosmäßiger Finanzpolitik an Unredlichkeit und Fehlplanung
erlebt habe, ist nicht mehr zu toppen. Heute belasten Sie
aber die Bürger und auch die Mitarbeiter in den Firmen.
Was können Ihnen die Mitarbeiter in den mittelständischen Bauunternehmungen und in den Bausparkassen
überhaupt noch glauben?
({2})
Auch fachlich liegen Sie völlig falsch. Wir brauchen
nicht weniger Bürger, die in ihre eigenen vier Wände investieren können, sondern mehr Bürger, die in ihr Eigentum investieren, anstatt Miete zu zahlen. Das ist eine solide Alterssicherung und schützt vor dem Problem, vor
dem Sie immer warnen: der Altersarmut.
Sie haben es bei der Einführung der so genannten
Riester-Rente oder bei der Kürzung der neulich erst erfolgten Neuregelung der Alterseinkünftebesteuerung
versäumt, die Bildung von Wohneigentum ausreichend
zu berücksichtigen.
({3})
Der Bundesrat hat sich bei diesem Thema eindeutig positioniert und fordert die Beibehaltung der Eigenheimzulage. Übrigens setzen sich nicht nur die CDU-, CSUund FDP-Politiker in ihren Landesverbänden für die Eigenheimzulage ein, vielmehr verstehen auch Ihre Leute
von der SPD den unehrenhaften Umgang mit den Betroffenen nicht.
Herr Tauss, Sie können so viel protestieren, wie Sie
wollen. Ich kann auch konkret werden.
({4})
Dazu möchte ich Ihnen keine Zitate von vor ein paar
Jahren vorlesen, sondern nur ganz aktuelle. Der letzte
Landesparteitag der SPD hat am 9. Oktober 2004 in
Hanau in Hessen stattgefunden, also vor gerade
13 Tagen. Schauen wir doch einmal, Herr Finanzminister Eichel, was Ihr eigener Landesverband zum Thema
Eigenheimzulage vor 13 Tagen beschlossen hat.
({5})
Mit Zustimmung des Präsidenten zitiere ich kurz den
Beschluss der SPD Hessen vom 9. Oktober 2004. Da
heißt es:
Der SPD-Landesparteitag Hessen befürwortet die
Beibehaltung der Eigenheimzulage.
({6})
Er lehnt die Abschaffung der Eigenheimzulage ab …
({7})
Der Landesverband unseres SPD-Finanzministers begründet seinen Beschluss unter anderem mit folgenden
Worten:
Die Abschaffung der Eigenheimzulage erschwert
gerade jungen Familien ... den Erwerb von Wohneigentum deutlich.
Weiter heißt es:
Der Erwerb von selbstbewohntem Wohneigentum
bedeutet langfristig die Umwandlung von ansonsten zu zahlender Miete in eigenes Vermögen.
Anschließend haben die hessischen Landespolitiker
nachgerechnet, dies dem Finanzminister zukommen lassen und deswegen folgende Begründung in ihren Antrag
aufgenommen - ich zitiere -:
Die Eigenheimzulage deckt bei einem durchschnittlichen Eigenheim maximal die anfallende Mehrwertsteuer auf die erbrachten Bauleistungen ab.
({8})
Weniger Bauleistung durch eine wegfallende
Eigenheimzulage bedeutet somit Verzicht von Steuereinnahmen.
({9})
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wenn es Ihnen
noch nicht einmal gelingt, Ihre eigenen Leute von diesem falschen Weg zu überzeugen, dann frage ich mich,
wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, sich hier im
Bundestag hinzustellen, der Opposition Verweigerung
vorzuwerfen
({10})
und von uns zu erwarten, dass wir Ihnen auf diesem Weg
der Pleiten, Pech und Pannen bei den Finanzen folgen.
So wie Sie Ihr SPD-Landesparteitag aufgefordert hat
- wie mir Ihr Landesverband mitgeteilt hat, ist ein Brief
an den Finanzminister diese Woche im Ministerium eingegangen -, kann auch ich Sie nur auffordern: Ziehen
Sie Ihren Antrag zurück! Wir haben einen Gegenantrag
gestellt.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben gestern über den Nachtragshaushalt
debattiert. Wir wissen: Die Spielräume, die wir noch haben, sind begrenzt und eng.
({0})
Der Haushalt enthält Ausgaben von 250 Milliarden
Euro. Wir wissen, dass 70 Prozent dieser Ausgaben für
Zinsen und die Renten- und Pensionskasse verwendet
werden. Das heißt, der Spardruck in Bezug auf den
Haushalt ist sehr groß und unsere Spielräume sind gering.
Einer unserer Spielräume sind die Subventionen. Die
Frage bei eingesparten Subventionen ist: Sollen sie für
die Schuldentilgung verwendet werden oder sollen sie
anderweitig eingesetzt werden? Wir haben uns dafür entschieden, die Mittel aus dem Abbau der Eigenheimzulage für die Bildung zu verwenden, und zwar aus gutem
Grund.
({1})
Für Subventionen gilt Folgendes: Vernünftige Subventionen sind degressiv. Irgendwann laufen sie aus und
zwar dann, wenn das Ziel einer Subvention erreicht ist.
({2})
Das Ziel dieser Subvention war eine ausreichende
Wohnraumversorgung. Dass dieses Ziel erreicht ist, sagen Ihnen alle Wissenschaftler, Gutachter und auch der
Städtetag.
({3})
- Herr Seiffert, Sie können hundertmal behaupten, dass
dies nicht stimmt. Natürlich stimmt es: Der Wohnungsmarkt ist gesättigt.
Wenn Sie dann noch die demografische Entwicklung
bedenken, durch die der Bedarf langfristig noch weiter
sinken wird, können Sie sich heute nicht hier hinstellen
und fordern, über die Eigenheimzulage weiterhin den
Bau von Eigenheimen und die Schaffung von Wohneigentum zu finanzieren. Der Markt ist gesättigt. Das
müssen Sie endlich einmal anerkennen.
({4})
Jetzt sagen Sie, das Ziel sei nicht nur die Schaffung
von Wohneigentum, sondern auch die Altersvorsorge.
Ich sage Ihnen eines:
({5})
Die beste Altersvorsorge ist Bildung. Wir brauchen mehr
Innovationen und mehr Bildung für eine vernünftige Altersvorsorge.
({6})
Natürlich hätten wir gerne einen größeren finanziellen Spielraum; aber wir haben ihn nicht. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, in die Bildung zu investieren. Um diese Entscheidung geht es. Es geht um die
Entscheidung: Eigenheimzulage oder Bildung? Es geht
um die Entscheidung: Investition in einen gesättigten
Wohnungsmarkt oder in Bildung?
({7})
Es geht um die Entscheidung: Beton oder Bildung? Wir
haben uns für die Bildung entschieden. Wenn wir die
Eigenheimzulage abbauen, haben wir bis zum Jahr 2008
3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Insgesamt haben
wir dann 6 Milliarden Euro mehr für Kinderbetreuung,
für Bildung und für Innovationen.
({8})
- Genau, ich komme mit der Kinderbetreuung. Wissen
Sie, warum ich mit der Kinderbetreuung komme? Weil
wir uns in Deutschland etwas leisten, was geradezu absurd ist. Wir leisten uns, dass junge, gut ausgebildete
Frauen - meist mit einem besseren Abschluss als Männer - keinen Zugang zu hoch qualifizierten Berufen haben, weil wir keine flächendeckende gescheite Kinderbetreuung haben. Wir brauchen Geld, damit wir solche
Frauen in den Arbeitsmarkt vermitteln können.
({9})
Ich möchte Ihnen jetzt ein Zitat des Kollegen Minkel
aus der Debatte vom 30. September vorlesen.
Frau Kollegin, gestatten Sie vor dem Zitat eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
({0})
Ja.
Sehr geehrte Frau Kollegin, glauben Sie nicht mehr
daran, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die Betreuung von Kindern unter
drei Jahren finanziert werden kann? Sie machen doch
jetzt einen neuen Finanzierungstopf auf. Sie haben eben
davon gesprochen, dass Sie die Eigenheimzulage auch
für Kinderbetreuung und für Bildung im Kindergarten
verfrühstücken wollen.
Frau Kollegin, ich habe gesagt, dass wir durch den
Abbau der Eigenheimzulage 3 Milliarden Euro bis zum
Jahr 2008 mehr für Bildung haben werden. Dann habe
ich gesagt, dass das bedeutet, dass wir für Bildung, Forschung und Kinderbetreuung in der Summe
6 Milliarden Euro mehr haben. Natürlich glaube ich,
dass Hartz IV zur Finanzierung der Kinderbetreuung
beitragen wird.
({0})
Aber wir bleiben noch etwas bei dem Thema Kinderbetreuung, weil mir das wirklich am Herzen liegt. Ich
sagte, dass wir den jungen, gut ausgebildeten Frauen den
Zugang zu hoch qualifizierter Arbeit verwehren. Der
Kollege Minkel - ich kenne ihn nicht persönlich ({1})
hat in der Debatte vom 30. September zum Abbau der
Eigenheimzulage Folgendes ausgeführt:
Es geht darum, ob unsere Menschen im Eigenheim
wohnen dürfen oder auf einer Etage eines Wohnhauses wohnen müssen.
({2})
- Ich bin noch nicht fertig. Es wird noch viel besser:
Herr Eichel, mit dem Eigenheim fängt die Kindererziehung an. Beides hat etwas miteinander zu tun.
Die Einstellung, dass Kindererziehung etwas damit zu
tun, ob man ein Haus hat, das einem selber gehört oder
nicht, ist unglaublich.
({3})
Die Sachverständigen sagen in ihrem Gutachten, dass
sich die Eigenheimzulage überlebt habe. Der Städtetag
sagt, dass die Eigenheimzulage als flächendeckende und
undifferenzierte Subvention der Wohneigentumsbildung
überholt sei.
({4})
Es ist ganz klar: Die Eigenheimzulage fördert die Stadtflucht. Die Eigenheimzulage hilft nicht, die Wohnungsengpässe in Ballungsräumen zu beseitigen. Die Eigenheimzulage fördert gerade diejenigen, die nicht mehr auf
diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die entscheidende Altersvorsorge für uns ist Bildung. Bildung
und Wettbewerb, Bildung und Innovationen sind der entscheidende Schlüssel dafür, dass wir dieses Land voranbringen können. Mit der Einstellung, die ich vorhin
zitiert habe, bringen wir dieses Land nicht voran.
({5})
Ich bitte Sie, die Lebenswirklichkeit anzuerkennen
und sich in unserem Sinne zu entscheiden.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Carl-Ludwig Thiele,
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Zunächst auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Eine
solche Sitzung ist sicherlich dazu angetan, Ihnen möglichst häufig zu gratulieren. Das werden die nachfolgenden Redner wahrscheinlich auch tun.
Frau Kollegin Andreae, Ihr Redebeitrag erweckt den
Eindruck, dass das Streichen der Eigenheimzulage finanzielle Spielräume eröffnen und in der Zukunft Ausgaben
ermöglichen wird, an die derzeit nicht zu denken ist.
Wenn man Ihren Vorstellungen folgen würde, dann
könnte man mindestens dreimal so viele gute und wünschenswerte Vorhaben benennen, die der Staat finanzieren sollte
({0})
und die dann mit den durch die von Ihnen geforderte
Streichung der Eigenheimzulage eingesparten Mitteln
finanziert werden könnten. Die Eigenheimzulage ist in
diesem Zusammenhang der neue Jäger 90 der neuen rotgrünen Finanzpolitik! Das vermag ich nicht ganz einzusehen.
({1})
Lassen Sie mich wieder ernst werden. Gestern Nachmittag fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung
des Nachtragshaushalts für das laufende Jahr statt. Der
Haushalt läuft aus dem Ruder. Deutschland wird die
höchste Neuverschuldung erleben, die es je gab.
Zum dritten Mal in Folge hat die Koalition einen verfassungswidrigen Haushalt zu verantworten. Ihr Finanzminister erklärt, dass er sich weigert, zu sparen und
Sparvorschläge vorzulegen.
({2})
- Dann beschweren Sie sich beim Finanzminister! Er hat
sich doch so geäußert. Ich zitiere Herrn Eichel doch nur.
({3})
- Sie haben doch erklärt, Sie könnten in diesem Haushalt
keine weiteren Einsparungen vornehmen. Sie wollen das
nicht! Das Mindeste wäre, eine Haushaltssperre zu verhängen oder Ähnliches. Aber nicht einmal dazu sind Sie
in der Lage, Herr Finanzminister.
({4})
Wer so verantwortungslos mit den Staatsfinanzen umgeht, die höchste in Deutschland je erzielte Neuverschuldung erreicht, damit die nachfolgenden Generationen belastet und dann hier eine solche Shownummer
abzieht, beweist, dass auch der letzte Rest Seriosität in
der Finanzplanung auf der Strecke geblieben ist.
({5})
Im vergangenen Jahr haben wir im Zuge des Vorziehens der nächsten Stufe der Steuerreform eine Diskussion geführt. Auch wir von der FDP haben uns für die
Kürzung von Subventionen eingesetzt. Im Zuge dieser
Diskussion wurde die Eigenheimzulage grundsätzlich
umgestaltet. Sie wurde um 30 Prozent gekürzt. Das ist
der Bereich, in dem am stärksten gekürzt wurde. Den
Subventionsabbau in anderen Bereichen hat der Finanzminister nicht einmal vorgeschlagen; er wurde von den
Ländern gefordert. Wir haben den Subventionsabbau
mitbeschlossen.
Die Rahmenbedingungen sind also bereits verändert
worden. Die Änderung der Eigenheimzulage ist mit den
Stimmen von Rot-Grün im Dezember beschlossen worden. Jetzt aber erklären Sie: Dieser Beschluss kann nicht
länger gelten; die Eigenheimzulage muss komplett abgeschafft werden. Das irritiert und verunsichert die Bürger
am stärksten: In dieser Politik gibt es keine Planungssicherheit und Verlässlichkeit.
Mit dieser Planungsunsicherheit machen Sie die Konjunktur und das Wirtschaftswachstum kaputt und legen
die Wurzeln dafür, dass Deutschland nicht in dem notwendigen Maße vorankommt.
({6})
Auch wir von der FDP sind der Auffassung, dass es
keine Ewigkeitsgarantie für die Eigenheimzulage geben
kann.
({7})
Wenn sie aber gestrichen wird, dann müssen gleichzeitig
die Steuern gesenkt werden.
({8})
Nur so kann sichergestellt werden, dass die Bürger und
junge Familien, die ein Eigenheim erwerben wollen, diesen Wunsch verwirklichen können. Erkundigen Sie sich
einmal, wie viele Familien mit Kindern in die Neubaugebiete ziehen und warum sie Eigentum bilden wollen.
({9})
Wenn man die Eigenheimzulage streicht, ohne diesen
Personenkreis an anderer Stelle zu entlasten, dann ist er
nicht mehr in der Lage, das notwendige Eigentum zu bilden. Um diesen Zusammenhang geht es doch!
Alle Ihre Vorschläge bedeuten eine simple Steuererhöhung, die als Subventionsabbau getarnt ist. Das lehnen wir ab. Dafür stehen wir nicht.
({10})
Was die Begriffe angeht, die Sie der Eigenheimzulage
gegenüberstellen, ist festzuhalten: Wir brauchen in
Deutschland in der Tat Bildung. Dafür stehen wir. Wir
haben entsprechende Konzepte vorgelegt, die von Ihnen
abgelehnt wurden.
({11})
Wir brauchen in Deutschland aber auch Eigentum. Warum werden Bildung und Eigentum gegenübergestellt?
Unser Land kann sich nur dann entwickeln, wenn es Bildung und Eigentum gibt.
({12})
Das ist doch der entscheidende Punkt.
Wenn es darum geht, den Subventionsabbau anzugehen, dann stellt sich die Frage, warum in den nächsten
Jahren bis 2012 16 Milliarden Euro für die Steinkohle
ausgegeben werden. Warum soll das erforderlich sein?
Das ist eine Ausgabe, die vom Bundeshaushalt Jahr für
Jahr geleistet wird. Hier kann man doch herangehen.
Warum investieren Sie weiter in die Vergangenheit anstatt in die Zukunft? Ihre Aufgabe ist es doch, in die Zukunft zu investieren.
({13})
Wir Liberale möchten, dass in die Zukunft investiert
wird. Wir brauchen weniger Kohle für die Kohle, aber
mehr Kohle für die Bildung. Dafür werden wir werben.
Das ist aber mit dem simplifizierten Steuererhöhungsgesetzentwurf der Bundesregierung nicht möglich.
({14})
Ich erteile das Wort der Bundesministerin Edelgard
Bulmahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Präsident, auch von mir einen
ganz herzlichen Glückwunsch. Ich glaube, es wäre das
schönste Geschenk für den Herrn Bundespräsidenten
({0})
- Entschuldigung, für den Herrn Bundestagspräsidenten -, wenn wir heute den Beschluss fassen würden, die
Eigenheimzulage abzuschaffen.
Wir alle - die Damen und Herren von der Opposition
genauso wie von der Regierungskoalition - stehen heute
vor der Aufgabe, zu beweisen, ob wir in der Lage sind,
die Ausgaben der öffentlichen Hand in Zeiten knapper
Kassen auf die Bereiche zu konzentrieren, die für die
Zukunft unseres Gemeinwesens von ganz besonderer
Bedeutung sind.
({1})
Von allen Parteien, von Wissenschaft und Wirtschaft
wird gefordert, mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Darin liegt unsere Zukunft. In Deutschland investieren wir aber bisher zu wenig in Bildung und Forschung.
({2})
Laut Statistik liegt Deutschland beim Anteil der Bildungsausgaben an allen öffentlichen Ausgaben an zweitletzter Stelle in Europa. An zweitletzter Stelle!
({3})
Heute stehen wir alle in diesem Hohen Haus vor der Nagelprobe, ob wir bereit sind, dies zu verändern und dafür
Sorge zu tragen, dass unsere Kinder in den Kindergärten
und unsere Jugendlichen an den Schulen, Berufsschulen
und Hochschulen eine Zukunfts- und Lebenschance erhalten. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
({4})
Herr Thiele, lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Es
geht nicht an, sich ständig zum Subventionsabbau zu bekennen, aber immer dann, wenn es konkret wird, Gründe
an den Haaren herbeizuziehen, die es vermeintlich rechtfertigen, warum man sich der notwendigen Entscheidung für den Subventionsabbau und damit für mehr Investitionen in Bildung und Forschung verweigert. Damit
machen Sie sich völlig unglaubwürdig.
({5})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Ja.
Herr Tauss, bitte.
Frau Ministerin, nachdem die Opposition in ihren Zurufen auf die Zusammenhänge zwischen den von Ihnen
genannten Zahlen bezüglich der Ausgaben für Bildung
und Forschung und auf die Regierung verwies, könnten
Sie uns freundlicherweise einmal schildern, in welchem
Zustand Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt 1998
vorgefunden haben und wie sich die Situation heute darstellt? Könnten Sie auch darauf eingehen, wie sich die
Situation in Niedersachsen nach der Regierungsübernahme durch Schwarz-Gelb darstellt, wie stark dort im
Bereich von Bildung und Forschung gekürzt worden ist?
({0})
Man muss sich ja mit der Wirklichkeit auseinander
setzen.
({0})
Die Wirklichkeit sieht so aus - da Sie das offensichtlich
vergessen haben und da auch Erinnern zur Bildung gehört, sage ich Ihnen allen das noch einmal -, dass die damalige CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung unter
Bundeskanzler Kohl den Haushalt für Bildung und Forschung um 400 Millionen Euro gekürzt hat. Das war
Ihre Zukunftspolitik.
({1})
Das Gleiche macht zurzeit im Übrigen die CDU-FDPgeführte Landesregierung in Niedersachsen. Dass Sie
dort die Investitionen in die Hochschulen um 50 Millionen Euro kürzen, ist genau die falsche Politik. Damit
zerstören Sie in Niedersachsen die Zukunftsoptionen,
die wir in den Jahren zuvor sinnvoller- und richtigerweise aufgebaut haben. Damit schaden Sie der Zukunft
dieses Bundeslandes, genauso wie Sie in den 90er-Jahren der gesamten Bundesrepublik Deutschland geschadet haben.
({2})
Die rot-grüne Bundesregierung hat dagegen seit 1998
die Mittel für Bildung und Forschung um 35 Prozent erhöht. Das ist genau der Unterschied zwischen dieser
Regierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen
auf der einen Seite und Ihrer Regierung auf der anderen
Seite.
({3})
Sie reden in Sonntagsreden über die Bedeutung von Bildung und Forschung und haben nicht das Rückgrat und
den Mut, dann auch die notwendigen Entscheidungen zu
treffen. Deshalb sind Sie unglaubwürdig.
({4})
Wir haben die notwendigen Entscheidungen getroffen
und haben den Mut, die Courage, dafür auch Subventionen zu streichen, die uns allen sicherlich lieb und teuer
geworden sind. - Vielen Dank.
({5})
Wir wissen, dass die Frage, wie wir in unserem Land
Beschäftigung, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit auf
Dauer erhalten können, ganz eng mit der Frage verknüpft ist,
({6})
ob es uns gelingt, Menschen eine gute Bildung zu ermöglichen - und zwar beginnend im Kindergarten -, die
frühkindliche Betreuung auszubauen und vor allem zu
verbessern, die schulische Bildung deutlich zu verbessern und die Forschung zu stärken. Die Frage, vor der
wir stehen, ist also, ob uns dies wirklich gelingt.
Es zeigt sich weltweit, in allen Ländern, dass die erfolgreichste Strategie für Wohlstand, Beschäftigung und
wirtschaftliches Wachstum Investitionen in Bildung
und Forschung sind. Deshalb kommt es darauf an, dass
wir bereit sind, in Köpfe zu investieren und die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft auch tatsächlich zu
stärken.
({7})
Wir müssen noch mehr für frühkindliche Bildung,
schulische Bildung und Hochschulausbildung tun. Das
ist auch von den Eltern gewollt; denn sie wissen, dass
eine gute Ausbildung die beste Zukunftsinvestition und
übrigens auch die beste Altersvorsorge ist. Wenn ich keinen Job habe, wenn ich keinen Arbeitsplatz finde, dann
kann ich mir kein Haus leisten und dann kann ich mir
auch alles andere nicht leisten. Deshalb ist eine gute Bildung eben auch die Voraussetzung für gute Beschäftigungschancen, für Teilhabe am Berufsleben und am gesellschaftlichen Leben.
Wir müssen auch deutlich mehr für Forschung tun;
denn neue Arbeitsplätze entstehen vor allem in den zukunftsträchtigen, in den forschungsintensiven Bereichen.
Das gilt heute für alle Branchen. Das gilt für die Automobilbranche genauso wie für die chemische Branche,
den Maschinenbau und den gesamten Dienstleistungssektor.
Sie haben von Zuverlässigkeit gesprochen, Herr
Thiele. Das ist, finde ich, ein wichtiges Wort.
({8})
Es kommt genau darauf an, dass wir zuverlässig sind in
unseren Anstrengungen, Bildung wirklich zu verbessern,
Bildungsangebote zu verbessern und allen Menschen
Bildung zu ermöglichen.
({9})
Wenn Sie hier so tun, als ob die Menschen, die ihre
Bauplanung auf die Eigenheimzulage aufgebaut haben,
enttäuscht würden, dann ist das falsch. Sie verdummen
die Leute. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diejenigen, die die Zusage haben, natürlich auch ihr Geld bekommen.
({10})
Die Eigenheimzulage läuft aus - sie wird nicht abrupt
gekappt -, damit genau diese Zuverlässigkeit gegeben
bleibt.
({11})
Deshalb finde ich es auch von der Sache her einfach
nicht in Ordnung, wenn man so argumentiert. Da muss
man sich mit den Fakten auseinander setzen.
({12})
Ich habe vorhin gesagt, dass das für uns die Nagelprobe ist. Wir müssen hier im Bundestag heute Farbe bekennen. Das erwarten die Menschen von uns. Diese Erwartung sollten wir alle erfüllen.
Vom Wegfall der Eigenheimzulage, die rund 10,4 Milliarden Euro ausmacht und damit der größte Subventionstitel im Bundeshaushalt überhaupt ist, profitieren
vor allem die Länder. Die Länder sind es nämlich, die in
den letzten Jahren - das trifft gerade für die CDU-regierten Länder zu - nicht mehr in dem notwendigen Maß in
Bildung und Forschung investiert haben.
({13})
Es reicht eben nicht aus, dass der Bund die Mittel um
35 Prozent erhöht, wenn gleichzeitig CDU-regierte Länder ihre Haushalte kürzen und einige Länder ihre Haushalte plafondieren.
({14})
Wir müssen auf beiden Seiten erhöhen. Deshalb ist es
sehr wichtig, dass die Länder durch eine Streichung der
Eigenheimzulage in Zukunft in jedem Jahr 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben werden,
({15})
die sie zum Beispiel zusätzlich für die Beschäftigung
von Lehrern einsetzen könnten.
({16})
Wie wollen Sie eigentlich den Eltern in ganz Deutschland gegenüber rechtfertigen, dass Sie nicht bereit sind,
die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zum Beispiel die
Beschäftigung von rund 30 000 Lehrerinnen und Lehrern allein im Jahr 2008 ermöglichen würden?
({17})
Das müssen Sie rechtfertigen! Wie wollen Sie rechtfertigen, dass Sie den Kommunen 900 Millionen Euro verweigern, die sie dringend für Investitionen in die
frühkindliche Betreuung, für Investitionen in die Kindergärten und für den Ausbau der Schulen brauchen?
({18})
Wie wollen Sie das eigentlich inhaltlich begründen?
({19})
Kurz gesagt: Wenn wir nicht den Mut haben, den
Schritt zu wagen, die finanziellen Ressourcen, die durch
die Abschaffung der Eigenheimzulage frei werden, zur
Verfügung zu stellen - ich bestreite überhaupt nicht, dass
das Mut erfordert -, dann handeln wir nicht verantwortlich. Deshalb werden wir diesen Mut aufbringen. Ich
werde gleich sehen, ob auch Sie diesen Mut zeigen.
Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Ende.
({0})
Ja.
Ich will es zum Schluss noch einmal zugespitzt formulieren: Wenn wir diesen Mut nicht haben und nicht in
Bildung und Forschung investieren, dann können wir
morgen auch keine Häuser mehr bauen. Deshalb entscheiden wir heute über eine Frage der Zukunft. Da baue
ich auf die Vernunft.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Müller,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Ich darf mich dem Glückwunschreigen anschließen, wenngleich ich Ihnen das Geschenk,
dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, wohl nicht
machen kann. Ich denke, ich spreche da für meine Kollegen von der CDU und der CSU.
({0})
Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Bundesbildungsministerin, Sie haben soeben mithilfe von Herrn
Tauss - er will diese Debatte ganz offensichtlich zu einer
Regierungsbefragung machen - groß und breit ausgeführt: Wir müssen dieses und jenes tun, wir müssen mehr
für Forschung, für Maschinenbau und für Kinderbetreuung ausgeben. Da stellt sich für mich schon die Frage,
wer in diesem Land seit sechs Jahren Bundesbildungsministerin ist.
({1})
Ich frage mich doch, warum Sie das, was Sie hier angesprochen haben, nicht schon sehr viel eher auf den Weg
gebracht haben.
Sie reden hier immer wieder über die Zukunft der jungen Generation usw. Gestern ist der Nachtragshaushalt
beraten worden. Herr Bundesfinanzminister, dieses Jahr
ist wahrscheinlich eine Nettoneuverschuldung von über
40 Milliarden Euro nötig. Was Sie hier betreiben, das ist
doch weder nachhaltig
({2})
noch im Sinne der jungen Menschen. So geht es auf jeden Fall nicht.
({3})
Der erneute Versuch der Bundesregierung, die Eigenheimzulage abzuschaffen, ist ein weiterer Beleg für die
Unberechenbarkeit dieser Bundesregierung.
({4})
Sie hatten bereits im Haushaltsbegleitgesetz 2004 die Abschaffung der Eigenheimzulage vorgesehen. Das geschah
damals zugegebenermaßen allerdings noch unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung. Der Vermittlungsausschuss hat dann bekanntermaßen im Dezember 2003 eine Kürzung um 30 Prozent empfohlen. Das ist
vom Bundestag und vom Bundesrat so beschlossen worden. Damit wurde Anfang 2004 die Eigenheimförderung
auch im Hinblick auf eine Neuausrichtung unter bau-,
familien- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten reformiert.
({5})
Die Bundesbürger hätten eigentlich davon ausgehen
können, dass damit endlich wieder - zumindest bis
Stefan Müller ({6})
2006 - Klarheit und Berechenbarkeit der Förderbedingungen geschaffen worden sind. Man muss jetzt
feststellen: Das ist einmal mehr ein Trugschluss und von
Berechenbarkeit kann überhaupt keine Rede sein. Wurde
die Abschaffung noch vor einem Jahr mit dem Stopfen
von Haushaltslöchern begründet, soll sie jetzt der Förderung von Bildung und Forschung dienen.
({7})
Was stimmt denn nun: Haushaltskonsolidierung, Innovationsförderung oder Subventionsabbau? Ich frage mich,
wie oft Sie die Eigenheimzulage noch heranziehen wollen. Mehr als einmal ausgeben können Sie sie doch
nicht.
({8})
Die Bundesregierung begründet ihre Vorstöße zur Abschaffung der Eigenheimzulage immer damit, dass diese
Zulage nicht mehr zielführend sei, weil die Wohnraumversorgung in Deutschland ohnehin schon so gut wie
nie zuvor sei; wegen der demographischen Entwicklung
werde der Bedarf an Wohnraum ohnehin abnehmen usw.
Aber es waren doch genau diese Beweggründe, warum
wir im Vermittlungsauschuss, in diesem Parlament und
im Bundesrat der Umstrukturierung der Eigenheimförderung zugestimmt haben. Es waren doch genau diese
Gründe, die zur Neuausrichtung der Förderbedingungen
ab dem Jahr 2004 geführt haben.
Sie werden doch nicht bestreiten, meine Damen und
Herren von Rot-Grün - ({9})
- Daran, dass Sie es bestreiten, Herr Tauss, habe ich keinen Zweifel. Aber hören Sie vielleicht zunächst einmal
zu! - Sie werden doch nicht bestreiten, dass Deutschland
beim Wohnungsneubau in Europa immer noch Schlusslicht ist: Mit 2,8 neu gebauten Wohnungen je 1 000 Einwohner liegt die Bundesrepublik am Ende aller europäischen Länder. Lediglich Schweden und die Slowakei
weisen eine niedrigere Quote auf. Mit knapp 41 Prozent
rangiert Deutschland bei der Eigenheimquote am unteren Ende der europäischen Länder.
Wer die Eigenheimförderung aufgibt, entzieht einer
ganzen Branche die Lebensgrundlage. Er gefährdet Arbeitsplätze und die individuelle Altersvorsorge.
Wer die Eigenheimförderung aufgibt, ohne an anderer
Stelle für finanzielle Entlastung zu sorgen, verhindert,
dass Menschen mit durchschnittlichem Einkommen privates Wohneigentum erwerben können.
({10})
Die Eigenheimzulage ist heute ein ganz wesentlicher
Baustein einer privaten Altersvorsorge. Wenn ein Bauwilliger heute um ein Darlehen nachsucht, ist die Kapitaldienstfähigkeit nun einmal von entscheidender Bedeutung. Für diese wiederum ist die Eigenheimzulage
oftmals ein unverzichtbarer Bestandteil.
({11})
Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu familien- und sozialpolitisch widersinnig, die Unterstützung
der Wohneigentumsbildung gegen Forschungs- und Bildungsinvestitionen ausspielen zu wollen.
({12})
Die Perspektiven von Familien mit Kindern werden Sie
jedenfalls nicht dadurch verbessern, indem Sie ihnen die
Unterstützung bei einer der wichtigsten Investitionen des
Lebens, nämlich der Schaffung von Wohneigentum, entziehen. Ein innovationsfreundlicheres Klima werden
Sie im Übrigen auch nicht alleine dadurch schaffen, indem Sie Gelder übers Land verteilen. Dazu gehört schon
ein bisschen mehr. Ich bestreite ja nicht, dass Innovationen, also die Entwicklung neuer Produkte, Verfahren
und Dienstleistungen, sowie erfolgreiches Vermarkten
von Technologien Grundlage für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für die Sicherung von Wachstum und
Wohlstand ist. Das wird hier im Hause niemand bestreiten. Es gehört aber mehr als Geld dazu, um dieses Ziel
zu erreichen.
Dazu gehört zunächst ein umfassendes Programm,
das verschiedene Politikfelder integriert. Dazu gehört
eine Bildungspolitik, die auf Wettbewerb und Leistungssteigerung setzt, eine Forschungspolitik, die gezielt die
Anwendung von Spitzentechnologien fördert
({13})
und die schnelle Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung sichert. Dazu gehört aber auch, Herr
Tauss, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die erfolgreiches unternehmerisches Engagement belohnt und den
Aufbau von Kompetenzzentren fördert. Dazu gehört genauso eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr Flexibilität bei
individuellen und betrieblichen Vereinbarungen erlaubt.
({14})
- Das machen Sie nicht. - Kurzum: Wir benötigen ein
integriertes Politikprogramm, das die harten und die
weichen Standortfaktoren stärkt und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verbessert. Hierfür ist vor allem die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen nötig.
Davon kann bei Ihnen keine Rede sein.
Die beste Innovationsförderung für unser Land wäre
der Rücktritt dieser Bundesregierung.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wissen doch alle: Dieses Gesetz wird den Bundesrat nicht so verlassen, wie es der Bundestag heute beschließt. Darum halte ich es für sinnvoll, heute über
mögliche Veränderungen zu diskutieren. Wir als PDS
stimmen einer Veränderung, nicht aber einer Abschaffung der Eigenheimzulage zu. Wir schlagen eine Konzentration der Eigenheimförderung auf Familien mit
Kindern vor. Wir wollen eine stärker nach dem Einkommen und dem regionalen Bedarf differenzierte Förderung. So brauchen zum Beispiel junge Familien mit geringem Einkommen ein attraktives Angebot, um in
Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben.
({0})
Wenn die Eigenheimzulage abgesenkt wird, dann
muss es einen finanziellen Ausgleich für die Förderung
des Stadtumbaus, für die soziale Wohnraumförderung
und die Genossenschaftsförderung geben.
({1})
Städte müssen ihre Funktion als Zentren des wirtschaftlichen, sozialen und urbanen Lebens erhalten und ausbauen können. Das ist natürlich auch wichtig, um Bauhandwerk, Bau- und Wohnungswirtschaft als stabile
Wirtschaftsfaktoren in Kommunen und Regionen zu erhalten, und dient dem Erhalt von Arbeitsplätzen.
Meine Damen und Herren, um kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen vor der Insolvenz zu retten, fordern wir die Tilgung der Altschulden.
({2})
Das Mindeste jedoch wäre, die Zinszahlungen auf abgerissenen bzw. langfristig leer stehenden Wohnraum zu
erlassen. Das Programm „Soziale Stadt“ muss fortgesetzt und noch besser mit den Förderbereichen Wirtschaftsansiedlung und Beschäftigungsförderung vernetzt
werden.
Die Behauptung des Gesetzentwurfs, dass die Eigenheimzulage die steuerliche Einzelsubvention mit dem
höchsten Volumen im Bundeshaushalt sei, ist, wie ich
finde, doch einem Blick durch eine sehr stark rot-grün
gefärbte Brille geschuldet.
({3})
Wenn Sie sich den Haushalt genau anschauen, stellen Sie
fest, dass die höchsten Subventionen für Beschaffungen
bei internationalen Rüstungskonzernen, insbesondere für Auslandseinsätze, erfolgen. Meine Kollegin
Petra Pau hat Ihnen das ja bereits gestern in der Debatte
über den Jahresabrüstungsbericht ganz genau vorgerechnet. Wenn im nächsten Jahr die Ausgaben für den
Eurofighter 2000 um weitere 130 Millionen Euro auf
1,25 Milliarden Euro, für Unterstützungshubschrauber
auf 350 Millionen Euro und für den NATO-Hubschrauber 90 auf 440 Millionen Euro angehoben werden
sollen, so würde ein Verzicht auf diese zusätzlichen Rüstungsausgaben den Kapitalstock für eine wirkliche Innovationsoffensive, für Bildung, Forschung und Entwicklung bedeuten. Ich finde, dort sollte zuallererst angefasst
werden, Frau Ministerin Bulmahn.
Zum Abschluss natürlich auch von mir, Herr Präsident, die besten Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag!
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Spanier,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Ich habe Ihnen schon im Herzen gratuliert. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
sind uns einig, dass wir im Bund, in allen 16 Ländern
und in allen Kommunen eine äußerst schwierige Haushaltslage haben. Wir sind uns einig, dass unsere wichtigste Aufgabe, sozusagen die Grundlagenaufgabe, die
Konsolidierung ist.
({0})
Selbstverständlich sind wir uns auch einig, dass eine
Möglichkeit, eine Chance, aus diesem Dilemma herauszukommen, die Überprüfung von Subventionen ist.
({1})
Ebenso sind wir uns einig, dass - das wird zumindest
keiner abstreiten können - die Eigenheimzulage trotz der
Kürzung mit immerhin noch 6 Milliarden Euro eine der
größten Subventionen ist.
Wir sind uns auch einig, dass wir dringend notwendige Zukunftsinvestitionen noch stärker finanzieren
müssen als bisher. Dazu gehören - trotz all der Anstrengungen der vergangenen Jahre - Bildung und Forschung. Das bereits Getane wird für die Zukunft nicht
ausreichen. Hier werden wir einen Schwerpunkt setzen
müssen.
Ebenso werden wir - das sage ich als Wohnungspolitiker - angesichts der demographischen Entwicklung
mehr für die Städtebauförderung, den Stadtumbau in Ost
und West und die Weiterentwicklung und Fortführung
des Programms „Soziale Stadt“ tun müssen.
({2})
Da geht es uns wie jedem Bürger und jeder Bürgerin
auch: Wenn wir in diese Zukunftsaufgaben kein zusätzliches Geld investieren können, dann bleibt uns nur eines
übrig, nämlich die Umschichtung. Das Positive, die
Aufstockung, wird meist gern erwähnt. Dazu gehört aber
auch das Negative, dass nämlich die Mittel irgendwo
weggenommen werden müssen. Ich bin, auch als Wohnungspolitiker, davon überzeugt, dass die Eigenheimzulage durchaus geeignet ist, um in die beiden genannten
Richtungen - Städtebauförderung und vor allem Bildung
und Forschung - Mittel umzuschichten.
({3})
Bei all den Bekenntnissen, die Sie in den Bundestagsdebatten zur Eigenheimzulage ablegen, bei all Ihrem
Eintreten für den Erhalt der Eigenheimzulage wissen Sie
ganz genau, dass auch die Union die Eigenheimzulage
zur Disposition stellt. Noch am 15. September hat Frau
Merkel - ich will Herrn Merz heute einmal nicht zitieren - im Rundfunk Berlin-Brandenburg ausdrücklich erklärt: Wir werden dem Steuerzahler die Eigenheimzulage nehmen, dafür werden wir ihm Steuersenkungen
geben.
Aber wenn Sie bei der Eigenheimzulage so viel Wert
auf die Schwellenhaushalte legen, die Familien mit Kindern, dann müssen Sie auch sehen, wie deren Steuerbelastung derzeit aussieht und wie wenig ihnen das von
Herrn Merz und Frau Merkel entwickelte Steuerreformpaket an zusätzlicher Entlastung bringt. Sie wollen mit
der Abschaffung der Eigenheimzulage die Senkung des
Spitzensteuersatzes von 42 auf 36 Prozent finanzieren.
Dann müssen Sie das aber auch offen hier sagen.
({4})
Interessant an dem Beitrag von Herrn von Stetten
fand ich, dass er auf die Einbeziehung der Wohneigentumsförderung in die Riester-Rente verwiesen hat.
({5})
Das ist ein interessanter Gedanke; das will ich gerne einräumen. Aber Sie stellen sich doch wohl nicht vor, sozusagen eine Doppelförderung anzustreben: einerseits die
Eigenheimzulage und andererseits obendrauf noch die
Förderung über die Riester-Rente. Das kann angesichts
der Finanzsituation der öffentlichen Hand wohl niemand
wollen. Wenn Sie das wollen, müssen Sie es deutlich sagen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir
die Verzahnung mit der geförderten privaten Altersvorsorge überdenken und vorbereiten wollen.
Manchmal habe ich den Eindruck, die Debatte über
die Eigenheimzulage wird hochstilisiert zu einer Debatte, ob wir für oder gegen das Wohneigentum sind.
({6})
- Ich bin Abgeordneter aus Ostwestfalen, Herr
Michelbach. Bei uns hat das selbst genutzte Wohneigentum einen ganz hohen Stellenwert.
({7})
Wir haben eine Eigentumsquote von weit über
50 Prozent. Es ist auch gut so, dass bei uns der Facharbeiter sein Häuschen bauen konnte.
({8})
- Ihre Zwischenrufe sind manchmal wirklich abenteuerlich. In der letzten Sitzungswoche haben Sie mir vorgeworfen, dass ich keine Krawatte tragen würde. Ich habe
mich heute um Besserung bemüht. Aber jetzt unterstellen Sie mir, wir wollten dem Facharbeiter das Häuschen
wegnehmen. Das ist, wie gesagt, schon wirklich abenteuerlich.
({9})
Es ist richtig: Die Chance, dass der Bundesrat zustimmen wird, ist sehr skeptisch einzuschätzen. Ich denke
aber, dass Sie sich Gedanken über die Alternativen, beispielsweise im Rahmen der Riester-Rente, machen.
Möglicherweise gibt es in einem Vermittlungsverfahren
doch die Chance, sich auf sinnvolle Alternativen zu einigen. Da ist die Opposition gefordert.
Es wurde heute vielfach sehr pauschal von „Kohle
statt Bildung“ oder „Beton statt Bildung“ gesprochen.
Ich glaube, das bringt uns in der Sache überhaupt nicht
weiter. Das selbst genutzte Wohneigentum - in Ostwestfalen nennen wir es die Quadratmeterrente - ist natürlich
ein Stück Altersvorsorge.
({10})
Das ist unbestritten.
({11})
Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass wir an der Eigenheimzulage festhalten müssen. Das ist der entscheidende Unterschied.
({12})
In Bezug auf junge Familien müssen wir aufpassen.
Denn jeder, der von der Sache etwas versteht, weiß: Wer
sein Eigenheim oder seine Eigentumswohnung nur
durch Einrechnen der Eigenheimzulage finanzieren
kann, der geht natürlich ein gewaltiges Risiko ein.
({13})
Die Eigenheimzulage kann nur das Sahnehäubchen - angesichts des Finanzvolumens müsste man sagen: die
Sahnehaube - obendrauf sein. Ich glaube, darüber sind
wir uns einig.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja, Herr Präsident. - Ich wünsche mir, dass wir endlich über die Sache diskutieren. Das sture Festhalten am
Status quo bringt uns überhaupt nicht weiter.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Minkel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bitte um Nachsicht, dass sich meine Rede nur sehr wenig
als Geburtstagsansprache eignet.
({0})
Ich habe vier Beweisstücke mitgebracht, von denen kein
einziges die Regierungskoalition erfreuen wird.
Bei der Abschaffung der Eigenheimzulage geht es Ihnen doch nur darum, an frisches Geld zu gelangen. Denn
Sie sind pleite.
({1})
Ihre wahre Auffassung zur Eigenheimzulage hat der
Bundeskanzler unmittelbar vor der Wahl mit wohlgesetzten Worten dargelegt. Ich darf das kurz vortragen:
Jährlich erfüllen sich rund 700 000 Haushalte mit
dem Erwerb einer eigenen Wohnung einen Herzenswunsch. Vielen, insbesondere kinderreichen
Familien, wäre dies ohne Eigenheimzulage nicht
möglich. Das wissen wir und deshalb ist und bleibt
die Eigenheimzulage das entscheidende Mittel zur
Förderung von Wohneigentum.
({2})
So Ihr Kanzler vor der Wahl. Wie Sie sich jetzt nach der
Wahl verhalten, zeigt doch nur, dass ein Kanzlerwort
null und nichtig ist. Es ist nichts wert.
({3})
Wenn Sie heute die Abschaffung der Eigenheimzulage beschließen, dann vollenden Sie einen Wahlbetrug.
Dies ist ein besonders großer Betrug an der jungen Generation.
({4})
Nach Rente, Krankenversicherung und Staatsverschuldung wird die junge Generation einem weiteren Schneeballsystem ausgesetzt, nach dem Motto: Die Letzten beißen die Hunde. Junge Familien bekommen die
Förderung, wenn es nach Ihnen geht, nicht mehr. Aber
sie haben in einer Zeit, in der sie selbst Hilfe bräuchten,
noch für viele Jahre die alten Verbindlichkeiten aus vorangegangenen Zusagen zu finanzieren.
({5})
Das ist unsozial, das ist ungerecht, das ist schäbig.
({6})
Der Bundesfinanzminister beruft sich bei seiner Agitation gegen die Eigenheimzulage ständig auf irgendwelche Autoritäten. Herr Eichel, ich habe in der Schule
gelernt: Die Berufung auf Autoritäten ersetzt keine Argumente. Schauen wir uns doch einmal die Direktoren
der Bundesbank an! Die haben ihr Wohnungsproblem in
prächtigen Dienstvillen bestens gelöst.
({7})
Oder schauen Sie sich die Professoren mit ihren bemoosten Häuptern an! Auch die sind doch nicht auf die Eigenheimzulage angewiesen.
({8})
- Herr Tauss, ich persönlich empfinde es als höchst anfechtbar, wenn diejenigen, die im Trockenen sind, die
Habenichtse davon abhalten wollen, selbst zu Eigentum
und zu Besitz zu gelangen.
({9})
Auch das ist unanständig.
Wenn man schon den Worten des Kanzlers nicht
trauen kann, so ist auch die Unterschrift des Kanzlers
null und nichtig.
Kollege Minkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spanier?
Herr Spanier, im Anschluss an meine Rede sehr
gerne.
({0})
- Herr Spanier, dann verzichte ich auf Ihre Zwischenfrage.
Ich komme zu einem weiteren Beweisstück. Ich habe
einen Vertrag mitgebracht, der zwischen dem Bundeskanzler auf der einen Seite und der IG BAU und den
Verbänden der Bauwirtschaft auf der anderen Seite abgeschlossen worden ist. Dort widmet sich ein ganzes Kapitel dem privaten Wohneigentum und der Förderung
durch die Eigenheimzulage. Auch diese Unterschrift des
Kanzlers hat sich im Nachhinein als null und nichtig erwiesen. Sie ist nichts wert.
({1})
In diesen Tagen berührt uns alle das Schicksal der
Arbeiter von Opel oder das der Verkäuferinnen bei
Karstadt. Aber ich rufe in Erinnerung, dass draußen im
Lande in der Bauwirtschaft und im Bauhandwerk tagtäglich solche Fälle stattfinden. Über das Jahr haben
10 Prozent der deutschen Bauarbeiter, nicht zuletzt dank
Ihrer Politik, ihren Arbeitsplatz verloren. Man kann eine
gleiche Anzahl im Bauhandwerk hinzurechnen. Wir sollten uns nicht nur für die Arbeiter bei Opel und die Verkäuferinnen bei Karstadt interessieren. Auch die Bauarbeiter und die Bauhandwerker haben einen Anspruch
darauf, dass man sich um ihre Nöte kümmert
({2})
und dass der Kanzler Zusagen, die er abgegeben hat,
auch einhält.
Ein weiteres Beweisstück - deshalb ist der Finanzminister heute so schweigsam;
({3})
ich muss quasi für den Finanzminister in Geschäftsführung ohne Auftrag sprechen - ist der Beschluss der hessischen SPD,
({4})
die Eigenheimzulage beizubehalten. Das erinnert ganz
fatal an den Chef eines Quacksalberunternehmens, Herr
Eichel, der seine Ware anpreist, während die Belegschaft
durch die Lande zieht und überall vor dem Produkt
warnt.
({5})
So kann man eigentlich nur ein Pleiteunternehmen führen.
({6})
Herr Präsident, nun muss ich um Nachsicht
({7})
für den recht rüden Sprachgebrauch der Genossen von
Hessen-Süd bitten, der Ihnen, Herr Eichel, bekannt ist.
So lädt man dort inzwischen auf Plakaten - jetzt kommt
dieses Wort - zu Kotztagen ein und verteilt Kotztüten.
Man verteilt diese Kotztüten, weil man die Politik, die
hier in Berlin betrieben wird, zum Rückwärtsfrühstücken empfindet.
Sie haben die Parole ausgegeben: Bildung statt Beton.
Man könnte es besser formulieren: Bildung statt Steinkohleförderung. Oder: Bildung statt dieser Bundesregierung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Herr Minkel, ich weiß aus eigener langjähriger Erfahrung: Wenn man, wie Sie, polemisiert, kriegt man dafür
Beifall, aber natürlich nur in den eigenen Reihen.
({0})
Zur Sache haben Sie verdammt wenig gesagt.
({1})
Und was Sie zur Sache gesagt haben, war auch noch
falsch. Ich will Ihnen das gern belegen. Sie haben hier
vorhin den Eindruck erweckt, dass wir mit der Abschaffung der Eigenheimzulage die Finanzierung des Eigentums, wie sie bisher erfolgt ist, in irgendeiner Weise gefährden, und haben an die Wand gemalt, dass wir damit
die Häuslebauer in große Schwierigkeiten bringen.
Diese Darstellung ist völlig falsch.
({2})
Wenn wir die Eigenheimzulage abschaffen, dann bedeutet das, dass vom kommenden Jahr an keine neuen
Anträge gestellt werden können. Aber selbstverständlich
wird die Eigenheimzulage, so wie es vereinbart ist, für
diejenigen, die sie jetzt in Anspruch nehmen, bis zum
Schluss weiter gewährt.
({3})
Das haben Sie vorhin anders, zumindest missverständlich dargestellt.
Ein Zweites. Ich habe nicht so ganz verstanden, was
Sie mit dem Hinweis auf die Direktoren der Bundesbank
gemeint haben. Aber ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm die Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage ganz abschaffen
wollten; Sie wollten aus Gründen der Bedürftigkeit diese
Zulage auch noch den Einkommensmillionären zukommen lassen. Daran möchte ich Sie erinnern.
({4})
Wenn Sie hier in glühenden, geradezu herzzerreißenden Worten die jetzige Form der Eigenheimzulage verteidigen, dann kann ich Sie immer nur daran erinnern,
dass Ihre Fraktion in ihrem Steuerkonzept die Abschaffung der Eigenheimzulage fordert. Wie passt das denn
dazu, dass Sie hier in bewegenden Worten die familienpolitische Bedeutung der Eigenheimförderung preisen?
Das passt doch hinten und vorn überhaupt nicht zusammen.
({5})
Ich weiß nicht, wen es beeindruckt hat, dass Sie hier
irgendwelche Zitate aus früheren Zeiten angeführt haben. Sie selbst haben vor knapp einem Jahr mit uns gemeinsam dafür gesorgt, dass das Finanzvolumen der Eigenheimzulage um 30 Prozent gekürzt wurde.
({6})
Das haben Sie vor einem Jahr sicherlich völlig anders
gesehen und hier im Bundestag auch völlig anders dargestellt. Man kann angesichts der schwierigen Haushaltslage seine Positionen ändern, ja, man muss es sogar.
Es ist notwendig, Prioritäten anders zu setzen.
({7})
Frau Bulmahn hat Recht: Dazu gehört manchmal Mut;
da muss man manchmal über seinen eigenen Schatten
springen. Tun Sie das endlich,
({8})
damit wir mit der sachlichen Diskussion anfangen können!
Das wollte ich, Herr Präsident - mit Verlaub -, hier
einmal gesagt haben. Ich bin gespannt, was Herrn
Minkel jetzt noch einfällt.
({9})
Herr Kollege Minkel, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Kollege Spanier, mir fällt natürlich immer etwas ein.
({0})
Was die Behandlung junger Familien betrifft, so haben
Sie wirklich nicht zugehört oder Sie haben es nicht verstanden, obwohl ich es in einer früheren Rede schon einmal vorgetragen habe. Sie verursachen folgendes Dilemma: Im Falle des Wegfalls der Förderung zum
1. Januar 2005 werden ab diesem Zeitpunkt keine neuen
Förderfälle mehr angenommen. Unsere jungen Familien
erhalten dann keine Förderung mehr.
({1})
Dieselben jungen Familien müssen aber für einen Zeitraum von rund zehn Jahren die Förderung der bereits bewilligten Fälle mit ihren Steuerzahlungen mitfinanzieren.
({2})
Das ist ein Schneeballsystem. Das empfinde nicht nur
ich als grobes Unrecht.
({3})
- Ihre Reaktion beweist mir, dass meine Botschaft jetzt
bei Ihnen angekommen ist.
({4})
Herr Spanier, Sie haben noch weitere Punkte angesprochen. Ich möchte Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Die B-Länder haben dem Kompromiss im Bundesrat über die Einkommensgrenzen zugestimmt. Damit ist
es auch für die Union verbindlich, dass die Einkommensgrenzen abgesenkt werden können. Insofern verstehe ich nicht, dass Sie hier alte Geschichten aufwärmen.
({5})
Die Entwicklung ist inzwischen fortgeschritten. Sie können dieser Tatsache entnehmen, dass es der Union nicht
darauf ankommt, wenigen Millionären zu einer Eigenheimzulage zu verhelfen; sie können ihr Haus selbst finanzieren. Wir wollen den Millionen Menschen im
Lande, die ein Eigenheim haben möchten, helfen.
Was die Abschaffung der Eigenheimzulage angeht,
sind wir völlig unterschiedlicher Auffassung. Sie wollen
die Eigenheimzulage abschaffen, um Haushaltslöcher
zuzuschmieren.
({6})
- Doch, darum geht es und um nichts anderes. Bei der
LKW-Maut war das genauso.
({7})
Die Union verfolgt ein völlig anderes Konzept.
({8})
Wir wollen die Steuern allgemein und nachhaltig senken
und die Eigenheimförderung synchron dazu abbauen. Es
bleibt aber auch dann ein Problem übrig, das gelöst werden muss: Die wirklich einkommenschwachen Familien,
die von einer Steuerreform nur begrenzt Vorteile haben,
weil sie ohnehin nur wenig Steuern zahlen, müssen auch
künftig in irgendeiner Form gefördert werden.
({9})
Sie haben die im letzten Jahr vorgenommene Kürzung
angesprochen. Den Wohnungsbaupolitikern wäre es lieber gewesen, wenn die Kürzung statt 30 Prozent nur
12 Prozent betragen hätte, sie sich dann aber auch auf
alle anderen Subventionen bezogen hätte. Diese Kürzung war Teil eines Kuhhandels im Bundesrat, durch
den unter anderem die Bausparprämie erhalten werden
konnte, die Sie zu 100 Prozent abschaffen wollten. Das
war der tiefere Grund, warum sich die Union zu einer
Kürzung um 30 Prozent bereit gefunden hat, obwohl uns
diese Kürzung sehr weh tut.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort zur Abgabe
einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich stimme dem Gesetz zu. Ich werbe
auch sehr engagiert für die Abschaffung der Eigenheimzulage, weil sie angesichts der Tatsache, dass unser Gemeinwesen 1,3 Billionen Euro Schulden abzutragen hat,
weder wohnungspolitisch noch vermögenspolitisch noch
familienpolitisch wirklich sinnvoll und notwendig ist.
In Richtung der Koalition möchte ich aber sehr deutlich sagen, dass ich mich gegen den Ausspruch „Bildung
statt Beton“ mit Entschiedenheit wehre. Es geht hier
nämlich sehr wohl auch um baupolitische Belange. Insofern ist es mir sehr wichtig, dass das, was in der Koalition im vorigen Jahr und in den Haushaltsberatungen
Konsens war, wieder ins Bewusstsein gerückt und künftig wieder in inhaltlicher Unterstützung zum Ausdruck
kommt: Es war Konsens, dass 25 Prozent der eingesparten Eigenheimzulage - dieses Geld wird dank der Vernunft des Bundesrats hoffentlich bald freigegeben - in
die Städtebauförderung, in Stadtumbauprogramme und
in das Programm „Soziale Stadt“ fließen. Der Kollege
Spanier hat das vorhin angedeutet. Angesichts des demographischen Wandels und der Situation in unseren Innenstädten und dicht bewohnten Stadtteilen brauchen
wir nämlich sehr viele Anpassungsinvestitionen. Dafür
möchte ich hier deutlich werben. Die Forderung nach einer Abschaffung der Eigenheimzulage soll keine Aussage gegen Innovation und Forschung - ich weiß, wir
brauchen auch sie - sein. Außerdem brauchen wir einen
Schuldenabbau. Ich bitte, in Zukunft auch diesen Aspekt
in die Diskussion und in das Handeln einzubeziehen.
Danke schön.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive durch Abschaffung der Eigenheimzulage, Drucksachen 15/3781
und 15/3821. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3972, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist wiederum mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen
- Drucksache 15/3805 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus und durch islamistische Fanatiker ist weltweit
unverändert hoch. In Deutschland halten sich 30 000 Islamisten auf,
({0})
die sich in etwa 24 Gruppen organisiert haben. Welche
Gefahr von diesem Potenzial ausgeht, kann man auch
daran erkennen, bei wie vielen Attentaten leider immer
wieder Spuren auch nach Deutschland führen: bei den
Anschlägen vom 11. September, bei den Anschlägen auf
Bali, auf Djerba, in Madrid sowie bei den Anschlägen
auf das Musicaltheater in Moskau.
Wir müssen uns schon fragen: Woher kommt es, dass
sich offensichtlich Attentäter oder ihre Unterstützer in
unserem Land aufhalten können oder nicht als gefährlich
erkannt werden? Woher kommt es, dass man kaum in
der Lage ist, gegen diese Personengruppen richtig vorzugehen? Wir müssen uns auch fragen: Haben wir alles
Notwendige getan? Haben wir die Sicherheitsbehörden
in die Lage versetzt, den Kampf gegen diese Gruppen
führen und bestehen zu können?
Wenn ich mir die Bilanz unseres Innenministers - er
kann heute leider nicht hier sein - anschaue, dann habe
ich meine Zweifel, ob er alles Notwendige getan hat.
({1})
Ich will das an konkreten Beispielen deutlich machen:
Die beiden von Minister Schily mit großem Pomp angekündigten Prozesse gegen Motassadeq und Abdelghani
Mzoudi, Mitunterstützer der Täter um Mohammed Atta,
sind kläglich gescheitert. Der Deutschsyrer Darkazanli
- auch er bewegte sich im Umfeld der Attentäter um
Atta - konnte sich mehrere Jahre hier in Deutschland
aufhalten, ohne dass die Bundesbehörden in der Lage
waren, ihm etwas nachzuweisen. Spanien - sehr viel
weiter weg - kann das offensichtlich. Nur wegen des europäischen Haftbefehls sind wir jetzt wenigstens davon
befreit, dass sich eine solche Person bei uns in Deutschland aufhält. Denken Sie an die Informationspanne beim
Islamistenkongress: In Stuttgart wurden die Erkenntnisse gewonnen, sie wurden nach Berlin transportiert,
aber dort blieben sie unbeachtet und Minister Schily hat
mehr oder weniger zufällig von dritter Seite erfahren, dass
hier in Deutschland ein Islamistenkongress geplant war.
Oder nehmen wir die lasche Visaerteilungspraxis
des Ministeriums von Außenminister Fischer,
({2})
die dazu geführt hat, dass Schleusungen nach Deutschland in noch nie gekanntem Ausmaß möglich waren und
dass sogar - das ist besonders bitter - tschetschenische
Terroristen, bei denen später Bezüge zum Attentat auf
das Musicaltheater in Moskau erkennbar wurden, sich in
Deutschland aufhalten konnten. Das sind nur die gravierendsten Beispiele.
Dazu passen die mangelhaften Fortschritte bei der
Einführung biometrischer Merkmale in Pässen, die verspätete Einführung des Digitalfunks bei der Polizei
({3})
und keinerlei Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitsarchitektur.
Ich muss sagen: Wenn das die Bilanz dieses Innenministers für die letzten zwei Jahre ist, dann ist das keine
Bilanz, dann sind das Pleiten und er sollte keine Sicherheitspolitik machen, sondern zum Konkursrichter gehen.
({4})
Wenn einem nichts mehr einfällt wie Herrn Schily offensichtlich, wenn man keine Erfolge vorweisen kann,
dann schreit man nach Zentralisierung und Weisungsrecht. Herr Schily möchte gern, dass die Bundesbehörden weisungsbefugt sind, und er möchte am liebsten alles beim Bund zentralisieren. Damit geht er das
eigentliche Problem nicht an. Das Problem besteht nicht
darin, dass wir bei den 37 Sicherheitsbehörden, die sich
mit dem Terrorismus befassen, eine dezentrale und föderale Struktur haben. Ganz im Gegenteil: Das Problem
besteht darin, dass die Informationsweitergabe und die
-analyse zu schleppend, zu langsam und zu bürokratisch
erfolgen. Erkenntnisse über Terrorismus kann man nicht
in Zentralen, in Mammutbehörden in Berlin oder Köln
gewinnen,
({5})
Erkenntnisse über den Terrorismus gewinnen Sie nur vor
Ort. Deshalb ist der Ansatz von Herrn Schily - Zentralisierung und Weisungsrecht - rundweg abzulehnen.
({6})
Wenn man wirklich etwas tun wollte, um den Kampf
gegen den Terrorismus zu verbessern, dann müsste man
sich mit Praktikern unterhalten. Die Praktiker - egal ob
vom BKA, einem LKA oder von den Nachrichtendiensten - würden einem sagen, was zu tun wäre. Nur, Minister Schily unterhält sich ja nicht mehr mit Praktikern. Er
denkt lieber in ganz großen Linien, die meistens im
Nichts enden, gelegentlich in Nordafrika. Wenn man mit
den Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden
spricht, sagen alle übereinstimmend: Das größte Problem besteht darin, dass es nicht gelingt, die Informationen der Sicherheitsbehörden zu bündeln, aktuell auszuwerten, kompetent auszuwerten, Lagebilder zu erstellen
und damit auch Maßnahmen in die Wege zu leiten.
({7})
Die Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden
sagen: Wenn es uns nicht gelingt, diese Schwachstelle zu
beseitigen, ist jede Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus zum Scheitern verurteilt.
Deshalb muss man genau dort ansetzen. Es ist doch
niemandem in diesem Land zu vermitteln, dass der Informationsabgleich zwischen Sicherheitsbehörden überwiegend nur auf Antrag und Anfrage erfolgt und die Beantwortungszeit, bis die eine Behörde Nachricht von der
anderen bekommt, zum Teil vier Wochen beträgt. Vier
Wochen bei der Terrorismusbekämpfung - da denkt man
eher an die Lohnsteuererklärung, aber nicht an den
Kampf gegen den Terrorismus. Das müssen wir dringend abstellen.
({8})
Wenn wir deshalb heute unseren Antrag hier vorstellen und über ihn debattieren, geht es genau um dieses
Problem. Das gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung, Frau Sonntag-Wolgast, ist eben keine
Mammutbehörde. Wir sagen: Wir bündeln die Informationen der 37 Behörden in einem gemeinsamen Lagezentrum. Dieses Zentrum soll keine Ermittlungskompetenz bekommen. Es wird eine kleine, leistungsfähige
Organisationseinheit sein mit vielleicht 200 Experten;
das ist sicher keine Mammutbehörde, Frau SonntagWolgast.
({9})
Alle 37 Behörden können dann ihr gesamtes Wissen und
ihre Informationen direkt einbringen: im gleichen Gebäude, in der gleichen Organisationseinheit, Schreibtisch
an Schreibtisch. Nur dann werden wir in der Lage sein,
Lagebilder zu erstellen, zeitnah und tagesaktuell dafür
zu sorgen, dass Informationen ausgetauscht werden können und dass alle 37 Behörden in Deutschland über die
Lageentwicklung Bescheid wissen und die richtigen
Maßnahmen ergreifen können. Dann wird es zu solchen
Pleiten, wie sie Herr Schily zu verantworten hat, nicht
mehr kommen. Eine so strukturierte Behörde - um
gleich einen Einwand der FDP aufzugreifen - macht datenschutzrechtlich keine Probleme.
({10})
Es ist lösbar, weil jede Behörde nur ihren eigenen Datenbestand einbringt, der Austausch durch die unmittelbare
Nähe aber jederzeit gewährleistet ist. Diese Behörde soll
auch keine Ermittlungskompetenz erhalten. Durch die
dezentralen Strukturen, die es heute gibt und die sich bewährt haben, wird vor Ort ermittelt und Erkenntnisse
werden dort gewonnen.
({11})
Wir brauchen ein solches „Gemeinsames Zentrum“,
weil wir sonst nicht in der Lage sein werden, Kontrolldruck gegenüber der islamistischen Szene aufzubauen
und ihr Entdeckungsrisiko zu erhöhen. Machen wir uns
doch nichts vor: Diese Gruppierungen lassen sich nicht
von Strafandrohungen und rationalen Argumenten beeinflussen. Diese Gruppierungen lassen sich bestenfalls
dadurch beeindrucken, dass sie damit rechnen müssen,
dass jeder Schritt, den sie in Deutschland machen, kontrolliert und überwacht wird, dass wir alles erfahren, was
geplant wird, und dass wir alle Reisebewegungen und
Aktivitäten kennen. Es muss für die Islamisten ungemütlich in Deutschland werden. Das muss unser Ziel sein.
({12})
Mit unserem Vorschlag zu einem „Gemeinsamen
Zentrum“ - das sage ich auch an die Vorsitzende des Innenausschusses, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast - bewegen wir uns nicht im theoretischen, luftleeren Raum.
Wir haben uns dabei an eine Organisation angelehnt, die
es seit fünf Jahren gibt, nämlich an das gemeinsame
Zentrum in Kehl. Ich gestehe zu, dass die dortige Zielrichtung nicht der Terrorismus ist. Dort arbeiten aber
deutsche und französische Polizei sowie deutscher und
französischer Zoll nach dem gleichen Prinzip in einer
Organisationseinheit, unter einem Dach, Schreibtisch an
Schreibtisch zusammen. Die PCs sind natürlich miteinander vernetzt; alles ist hochmodern. Dadurch ist sie in
Lage, jeder beteiligten Behörde innerhalb kürzester Zeit
alle Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie ermittelt nicht, aber sie wertet aus, erstellt Lagebilder, initiiert
Maßnahmen und sorgt für einen Informationsgleichstand.
({13})
Dieses Prinzip wollen wir auf das „Gemeinsame Zentrum Terrorismusbekämpfung“ übertragen, damit alle,
Bund und Länder, nicht nur im Wege von Erlassen oder
Dienstanweisungen am Informationsgeschehen teilhaben, sondern sich konkret mit Personal einbringen müssen. Insofern besteht meine Kritik auch darin, dass das
Information Board, das es im Moment gibt, und die Erhöhung der Anzahl turnusmäßiger Besprechungen zwar
kleine Schrittchen in diese Richtung sein mögen, aber im
Endeffekt nur Hilfskonstruktionen sind.
({14})
Nur dann, wenn es eine Organisation dauerhaft und nicht
nur turnusmäßig gibt, in der jeden Tag Experten zusammenarbeiten, werden Sie Erfolg haben.
({15})
Alles andere ist eher konfus oder sind Hilfskonstruktionen; es ist eher Learning by doing. Ich muss bei diesem
Innenminister leider das Gefühl haben, dass er eher
Learning by doing betreibt. Er kann keine Erfolge vorweisen
({16})
und verschließt sich konzeptionell richtigen Dingen.
Deshalb machen wir diesen Vorschlag.
({17})
- Nein, es war ja an Ihre Adresse gerichtet. Ich wollte es
Ihnen noch einmal erklären.
Sie müssen schon gute Argumente haben. Ich zitiere
einmal Innenminister Schily, der vor etwa einem Jahr
beim Umzug des gemeinsamen Zentrums, von dem ich
vorhin gesprochen habe, nach Kehl über diese Einrichtung gesagt hat: Es ist ein großer Schritt zu mehr Sicherheit in Europa. - Er findet das also gut.
({18})
Ich glaube, das Gleiche müssen wir in Deutschland auch
für die Sicherheit unseres Landes tun. Sie sollte es uns
wert sein, diesen Schritt zu gehen. Deshalb werben wir
so dringend dafür.
({19})
Ein wichtiger Baustein dieses gemeinsamen Zentrums wird natürlich eine gemeinsame Datenbank über
die konkrete Zielgruppe, die Islamisten, sein. Deshalb
werben wir auch dafür, dass Sie den Antrag von Niedersachsen unterstützen. Wir werden insgesamt scheitern,
wenn Sie sich an dieser Stelle verweigern und kein „Gemeinsames Zentrum“ errichten wollen. Ich erinnere
noch einmal an das, was die Chefs der Nachrichtendienste gesagt haben: Nur, wenn uns das gelingt, werden
wir Erfolg haben. Wenn uns das nicht gelingt, werden
wir scheitern.
Meine Bitte an die rot-grüne Koalition ist einfach:
Prüfen Sie unseren Vorschlag vorurteilsfrei. Ich weiß aus
vielen Vorgesprächen, dass Sie nicht grundsätzlich abgeneigt sind. Es geht nicht um parteipolitische Interessen,
({20})
es geht um die Sicherheit dieses Landes und seiner Menschen. Sie sollte Ihnen das wert sein.
Herzlichen Dank.
({21})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Binninger, den Beginn Ihrer Rede kann ich nur wie folgt
kommentieren: Das war eine platte Kritik, wie ich sie
von Ihnen nicht erwartet habe.
({0})
Das war eine Beleidigung der Sicherheitsbehörden in
Deutschland, die bei der Bekämpfung des Terrorismus
eine hervorragende Arbeit leisten.
({1})
- Lieber Herr Koschyk, ich habe immer wieder den Eindruck, dass Sie es nicht gut abhaben können, dass diese
Bundesregierung einen hervorragenden und erfolgreichen Bundesinnenminister hat.
({2})
Das scheint Ihnen täglich weh zu tun. Ich finde, das ist
nicht angemessen. Vielmehr sollten Sie sich darüber
freuen.
({3})
- Herr Koschyk, schauen Sie sich doch einmal an, wie
die Rede von Herrn Binninger angelegt war.
({4})
- Nein, der Beginn war nicht sachlich. - Beispielsweise
läuft eine hohe Anzahl von Ermittlungsverfahren, die
wir bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus
eingeleitet haben, und zwar von Bund und Ländern. Wir
können stolz darauf sein, diese Verfahren erfolgreich beendet zu haben. Das ist ein Zeichen dafür, wie gut die
Arbeit funktioniert.
Zu Ihrer Kritik muss ich Ihnen sagen: Leider hinken
Sie auch mit Ihren Vorstellungen, die Sie in Ihrem Antrag in sehr vager Art und Weise niedergeschrieben haben, hinterher.
({5})
Ich sage Ihnen auch, warum.
({6})
Das Bundesinnenministerium hat längst über die Einrichtung eines polizeilichen und nachrichtendienstlichen
Analysezentrums in Berlin-Treptow entschieden.
({7})
Mit der Einrichtung der beiden Analysezentren wird das
vorhandene Analysepotenzial im Bereich des islamistischen Terrorismus personell und räumlich konzentriert,
um unter Achtung - das ist mir sehr wichtig - des Trennungsgebotes einen noch schnelleren und intensiveren
Informationsaustausch zu ermöglichen.
Entsprechende konzeptionelle Planungen über die
Verlegung von Organisationseinheiten dieser Behörden,
den Personaleinsatz, Aufgaben und Organisationsstruktur der beiden Analysezentren sind weit gediehen und
werden in Kürze abgeschlossen. Ich sage sogar: Ich erwarte auf der Grundlage der mir vorliegenden Planungen
eine Arbeitsaufnahme der Analysezentren in den nächsten Monaten.
({8})
Voraussichtlich 100 Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes
und circa zehn Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden dann ihre Arbeit aufnehmen.
({9})
Die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes, weiterer Sicherheitsbehörden des Bundes - jetzt komme ich
zu Ihren Zwischenrufen - sowie die Einbindung der
Länder sind vorgesehen.
({10})
Daher wird auch die kommende Innenministerkonferenz
das Prozedere der Länderbeteiligung erörtern. Dieser
Punkt ist wichtig, weil vonseiten einiger Bundesländer
zu den Themen „Stärkung des Informationsaustausches“
und „Schaffung von Analysezentren“ zwar ständig Forderungen formuliert werden, aber entsprechende praktische Schritte ausbleiben. Das ist keine Haltung.
({11})
- Ich glaube, Sie stammen aus diesem Land.
({12})
Wir müssen sorgfältig und überlegt vorgehen. Die
Schaffung der Analysezentren wird nach meiner Überzeugung die Qualität der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland weiter erheblich verbessern.
({13})
Die Schaffung neuer Organisationsstrukturen, die im Ergebnis zu einer Vermischung von polizeilichen und
nachrichtendienstlichen Befugnissen führen, würde dagegen der Sache eher schaden als nützen. Das müssen
Sie sich anhören.
Genau diese durch das Trennungsgebot
({14})
aus guten Gründen geschaffene Abgrenzung zwischen
Polizei- und Nachrichtendiensten wird aber durch das
von der Opposition geforderte gemeinsame Zentrum
Terrorismusbekämpfung offensichtlich ignoriert. In der
Antragsbegründung wird hierzu ausgeführt, zum Aufgabenspektrum des gemeinsamen Zentrums gehörten auch
die „Mitwirkung bei der Koordination von Einsätzen
und Überwachungsmaßnahmen“ und die „Unterstützung
bei polizeilichen und nachrichtendienstlichen Ermittlungen“.
Abgesehen von der problematischen organisatorischen Zusammenlegung von Polizei- und Nachrichtendiensten in einem gemeinsamen Zentrum
({15})
scheint mir auch bei den Befugnissen kaum noch eine
Abgrenzung möglich oder auch nur gewollt. Bei allem
Verständnis für den guten Willen, meine Damen und
Herren von der Opposition: Es ist nicht ausreichend gut
überlegt, was Sie hier aufgeschrieben haben.
Das Bundesinnenministerium lehnt gemeinsame Leitoder Koordinierungsstellen für gemeinsame Einsätze
von Polizei und Verfassungsschutz ab.
({16})
Stattdessen werden wir den Informationsaustausch und
die projektbezogene Zusammenarbeit in den bestehenden Informations- und Analyseboards ausbauen. Diese
Boards haben sich als effiziente Plattformen für die Zusammenarbeit erwiesen.
({17})
Das ist der richtige Weg.
Ein weiterer Punkt in der Begründung des Oppositionsantrags ist schlichtweg falsch. So wird bemängelt,
es gebe kein „gemeinsames, für alle Sicherheitsbehörden
verfügbares, aussagekräftiges und aktuelles Lagebild“.
Das Gegenteil ist richtig. Das Bundeskriminalamt erstellt kontinuierlich seit Jahren sehr detaillierte Gefährdungslagebilder. Dabei werden alle Erkenntnisse der
Sicherheitsbehörden einbezogen.
({18})
Die entsprechenden Berichte werden allen zuständigen
Behörden, auch den Ländern, zur Verfügung gestellt.
Schaffen Sie also kein Problem, wo kein Problem ist.
Zum verbesserten Informationsmanagement, das
wir durch die Einrichtung der Analysezentren ermöglichen, gehört eine Unterstützung der Analysezentren
durch gemeinsame Dateien. Die Informationssammlung,
der Informationsaustausch und die gemeinsame Informationsauswertung sind die drei entscheidenden elementaren Eckpunkte eines effizienten Informationsmanagements. Wir wollen und wir werden alle
Möglichkeiten eines verbesserten Datenaustausches zwischen den Sicherheitsbehörden ausschöpfen, wo dies
notwendig ist, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu
erleichtern und ihre Effizienz weiter zu erhöhen.
({19})
Auch hier sind die Planungen und Entwürfe bereits
weit fortgeschritten. Unter Federführung des Bundesinnenministeriums
({20})
läuft bereits ein intensiver Abstimmungsprozess mit den
Sicherheitsbehörden, bei dem auch die Länder über eine
Arbeitsgruppe des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz eingebunden sind. Sie sehen, wir haben alles
im Griff.
({21})
Schönen Dank.
({22})
Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grundlinie der FDP ist selbstverständlich diejenige, dass der Staat alles Notwendige tun und alle notwendigen Vorkehrungen treffen muss, um den
Terrorismus so effektiv wie möglich zu bekämpfen, dass
er sich dabei aber selbstverständlich im rechtsstaatlichen
und grundgesetzlichen Rahmen bewegen muss. Ich
glaube, da sind wir alle in diesem Haus einig.
({0})
Deshalb gehen wir an das Problem, das mit dem Antrag der CDU/CSU aufgeworfen wird, mit folgenden
Überlegungen heran: Erstens. Wir brauchen natürlich einen besseren Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden.
({1})
Zweitens. Wir brauchen eine bessere Auswertung von
Informationen und drittens eine bessere Koordinierung
im Handeln.
({2})
So gesehen nähern wir uns Ihrem Vorschlag eines gemeinsamen Lagezentrums durchaus mit Sympathie.
Aber es sind auch zwei kritische Fragen zu stellen.
({3})
Die erste Frage - das werden wir in den Ausschussberatungen mit Praktikern gemeinsam zu erörtern haben lautet: Ist es wirklich notwendig, eine neue Behörde
oder eine neue Struktur zu schaffen? Wie steht es mit
dem Informationsfluss innerhalb der bestehenden Behörden? Wir alle haben beim NPD-Verbotsverfahren die
traurige Erfahrung gemacht, dass innerhalb der Verfassungsschutzbehörden und zwischen dem Verfassungsschutz und beispielsweise dem Bundesinnenministerium
der Informationsfluss nicht gewährleistet war.
({4})
Die rechte Hand wusste nicht, was die linke tat. Das war
eine der Hauptursachen für das Scheitern dieses Verfahrens. Bevor neue Behördenstrukturen geschaffen werden, muss also zunächst einmal der Informationsaustausch zwischen den bestehenden Behörden verbessert
werden.
({5})
Nächste Frage: Ist das, was in dem CDU/CSU-Antrag
gefordert wird, nicht ohnehin längst Aufgabe des Bundeskriminalamtes?
({6})
Jedenfalls ist dies gesetzlich bereits so geregelt. Gegebenenfalls muss die gesetzliche Regelung nun zur Anwendung kommen.
Eine weitere Frage: Gibt es nicht längst die Lagebesprechung im Kanzleramt mit den Geheimdienstchefs
unter dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, der in
der Fachwelt und darüber hinaus hohes Ansehen genießt, weil er dieser Aufgabe ausgezeichnet gerecht
wird?
Bei alledem stellt sich in der Tat die Frage, ob man
wirklich eine neue Behörde braucht. Wir werden der
Schaffung einer neuen Behörde nur dann zustimmen,
wenn sie uns von den Praktikern als zwingend dargelegt
wird.
({7})
Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der Regierungskoalition, greift die Idee
eines gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Ländern auch in Überlegungen ein, die eigentlich Gegenstand der Beratungen der Föderalismuskommission
hätten sein sollen.
({8})
Dort ist aber nichts zu diesem Thema eingebracht worden, auch nicht von der Bundesregierung im Zusammenhang mit polizeilichen Aufgaben.
({9})
Das ist in der Tat ein Manko.
Ich komme jetzt zu einer Frage, die mir wichtiger ist
als die organisatorischen Probleme; denn diese können
wir in den Griff bekommen. Seit dem 14. April 1949,
also seit 55 Jahren, gilt in der Bundesrepublik Deutschland der bewährte Grundsatz: Die Polizei darf keine Geheimdienstkompetenzen bekommen; die Geheimdienste
dürfen keine polizeilichen Kompetenzen bekommen.
Dabei handelt es sich um den allseits bekannten und bewährten Grundsatz der Trennung von Polizei und Geheimdienst, an dem wir festhalten wollen. Dieser
Grundsatz ist in der Verfassung verankert. Herr Kollege
Koschyk, Sie haben nach der Fundstelle gefragt. Der
Grundsatz ist in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes
formuliert. Genaueres können Sie in dem vorzüglichen
Aufsatz von Christoph Gusy in Heft 2/1987 der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ nachlesen.
Ich erwähne das deswegen ausdrücklich, weil das
Trennungsprinzip neuerdings in Verruf geraten ist. In der
allgemeinen Debatte wird immer wieder angeführt, dass
das Trennungsprinzip nicht länger notwendig ist. Wir als
FDP meinen: Es muss möglich sein, der terroristischen
Bedrohung auch unter Wahrung der rechtsstaatlichen
Grundsätze - dazu gehört das Trennungsprinzip - Widerstand zu leisten.
({10})
Es geht schließlich nicht um Organisationsfragen,
sondern um die Wahrung von Grundrechten. Wir müssten im Plenum keine langen Debatten mehr darüber führen, wann der große Lauschangriff zulässig ist und unter
welchen Voraussetzungen Telefonüberwachungen stattfinden können, wenn sowieso jede Behörde ohne Beachtung dieser Voraussetzungen jede Information erhalten
könnte.
Deswegen ist es der richtige Weg, das Trennungsgebot aufrechtzuerhalten. Aber es ist durch die Pflicht zur
Zusammenarbeit zu ergänzen.
({11})
Die entsprechenden Regelungen existieren längst. Die
gesetzlichen Bestimmungen sind längst von diesem Hohen Hause geschaffen worden. Sie müssen nur noch in
die Tat umgesetzt werden. Die Behörden sollen die Informationen bekommen, durch die sie in die Lage versetzt werden, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber wir
legen Wert darauf, dass dabei die traditionellen und bewährten Bestimmungen des Grundgesetzes beibehalten
werden.
Vielen Dank.
({12})
Nachträglich erteile ich dem Kollegen Binninger das
Wort zu einer Kurzintervention. Ich hatte dies vorhin
vergessen. Er will damit auf die Ausführungen von
Staatssekretär Körper eingehen.
Herr Präsident, vielen Dank für diese Gelegenheit. - Herr Staatssekretär Körper, im Fußball gibt es den
Spruch „Knapp daneben ist auch vorbei“. Das gilt auch
für Ihre Rede. Sie haben mir vorgeworfen, die Sicherheitsbehörden beleidigt zu haben. Dazu sage ich: Ich
habe nicht die Sicherheitsbehörden, sondern den
Bundesinnenminister kritisiert. Das ist bestenfalls Majestätsbeleidigung. Aber die ist nicht mehr strafbar. Das
ist der erste Punkt.
({0})
Zweiter Punkt. Sie haben gesagt - an dieser Stelle
wird es ärgerlich -, der Bund richte bereits ein Lagezentrum ein und wir seien der Entwicklung wieder einmal
hinterher. Ich habe mich gestern noch einmal bei Bundes- und Landesbehörden informiert und muss Ihnen sagen: Das, was Sie in Treptow einrichten, betrifft zwei
von 37 Behörden. Die anderen Behörden beteiligen sich
personell nicht. Die Verbindung besteht lediglich im
Aushängen von Telefonadressen und Namen der Ansprechpartner. Das ist doch nicht professionell, wenn es
um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Da muss ich
doch sehr bitten! Sie machen noch nicht einmal im Ansatz das, was notwendig wäre.
Dritter Punkt. Herr Körper, Sie sprechen genauso wie
der Kollege Stadler ständig von einem verfassungsrechtlich normierten Trennungsgebot. Man muss Art. 87
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - diesen kennen auch
wir - schon sehr weit und mit sehr viel Fantasie auslegen, um zu diesem Schluss zu kommen. Aber das ist sicherlich nicht zwingend. Dabei wollen wir das Trennungsgebot gar nicht aufheben. Es geht vielmehr um die
Zweitverwertung von Daten und das Bündeln von Wissen, weil wir sonst - das sagen die Praktiker, mit denen
Sie offensichtlich nicht reden - nicht in der Lage sind,
den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen.
({1})
Herr Staatssekretär Körper, wollen Sie die Gelegenheit zur Erwiderung nutzen? - Bitte schön.
Herr Binninger, wenn Sie sich an uns gewendet hätten, hätten Sie genaue und gute Informationen darüber
bekommen, was wir in Treptow einrichten.
({0})
Das, was wir machen, ist auf jeden Fall der richtige Weg.
Ich habe bereits skizziert, wie das Analysezentrum bzw.
die Analysezentren aufgebaut werden.
Zu Ihrem Hinweis auf die Länder sage ich Ihnen:
Wir, der Bund, haben noch nicht - das wird auch nicht so
schnell kommen - die Personalhoheit. Diese liegt bei
den Ländern, wenn es um den Aufbau dieser Zentren
geht. Selbstverständlich wird auch hier dafür Sorge getragen, die Länder und insbesondere die Landesbehörden möglichst weitgehend einzubinden; denn es ist
wichtig, dass wir nicht nur auf der Ebene des Bundes,
beispielsweise von Bundesamt für Verfassungsschutz
und Bundeskriminalamt, sondern auch auf der Ebene
von Bund und Ländern, beispielsweise von Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, tätig werden. Aber
das setzt insbesondere in unserem föderalen System eine
entsprechende Bereitschaft der Länder voraus. Sie dürfen sich nicht nur in Forderungen ergehen, sondern sie
müssen auch mitmachen. Sorgen auch Sie dafür, dass
das geschieht.
Schönen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar von
Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Präsident!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre
interessant, wenn der Herr Kollege Binninger einmal die
Namen der Fachleute outen würde, mit denen er angeblich in so gutem Kontakt steht.
({1})
Ich weiß nicht - ich gehe allerdings davon aus -, ob die
Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Möglichkeit hat,
sich die Protokolle über die Sitzungen der Innenministerkonferenz einmal näher anzuschauen.
({2})
- Herr Kollege Koschyk, wenn das so selbstverständlich
ist, dann sollten wir jetzt etwas Transparenz in diese Debatte bringen.
Über die Vorschläge des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann und des bayerischen Innenministers Günther Beckstein ist in der Facharbeitsgruppe
der Innenministerkonferenz diskutiert worden und sie
sind dort verworfen worden.
({3})
Die Innenminister sind ausdrücklich gebeten worden,
die gemeinsamen Ergebnisse der Facharbeitsgruppe der
Innenministerkonferenz umzusetzen. Zu dem Bild, das
Ihre Bundestagsfraktion momentan bietet, kann ich nur
sagen: Sie übernehmen in keiner Weise bundespolitische
Verantwortung, sondern die Außenseiterposition zweier
Innenminister, die sich mit ihren Vorschlägen auf der Innenministerkonferenz nicht durchsetzen konnten.
({4})
Ich halte das, was das BMI macht, für völlig richtig,
nämlich die Vorschläge der Innenministerkonferenz konsequent umzusetzen.
({5})
Herr Kollege Stadler, wir richten gerade kein Lagezentrum ein. Bei einem Lagezentrum ginge es darum,
operative Maßnahmen zu koordinieren. Wir richten ein
Informations- und Analysezentrum ein, das sich exakt
an das hält, was BKA, BND und Innenministerkonferenz
vorgeschlagen haben. Wir richten gerade keine zentralisierte Mammutbehörde ein, wie Herr Binninger das noch
einmal gefordert hat, weil wir eben die Erfahrung gemacht haben: Dezentral im Rahmen der eigenen Aufgaben und Strukturen zu arbeiten ist der Weg zum Erfolg in
diesem Bereich.
({6})
Lassen Sie mich auch etwas zu dem Vorschlag von
Uwe Schünemann sagen,
({7})
also zu der so genannten Islamistendatei. So wie Sie
sich das vorstellen, mit den Zahlen, mit denen Sie da arbeiten - 30 000 Islamisten in Deutschland -, schaffen
Sie nichts anderes als Datenmüll.
({8})
Das sind keine effizienten Dateien; da haben Sie einfach
keine Ahnung. Wir brauchen Projektdateien, bezogen
auf einzelne Ermittlungskomplexe, und Analysedateien.
Solche Dateien werden wir einrichten, und zwar unter
Beachtung des Trennungsgebots und unter Beachtung
weiterer verfassungsrechtlicher Grenzen.
Lassen Sie mich auch hierzu einen Hinweis geben. Es
sind nicht Grüne, die diese Grenzen setzen. Es ist der
Wissenschaftliche Dienst des Bundestages,
({9})
der in einem Gutachten sehr genau dargelegt hat, in welchen Grenzen das Trennungsgebot hierbei seine Gültigkeit hat.
({10})
Das gilt auch im Zusammenhang mit dem InformationBoard. Es gibt sogar eine Verpflichtung zur Weitergabe
von Informationen. Genau diese Arbeit, die Arbeit in
Projekt- und Analysedateien, werden wir weiter optimieren.
Es ist eine naive Vorstellung, die Herr Binninger
übernommen hat, wenn er sagt: Der internationale Terrorismus wird an der Basis bekämpft.
({11})
Uwe Schünemann ist der Auffassung, dass der internationale Terrorismus am besten durch die Polizeiinspektion Cloppenburg in Niedersachsen bekämpft wird.
({12})
Hinweise bekommen wir von ausländischen Sicherheitsbehörden und von Verbindungsbeamten des BKA
und des BND, die in 60 Ländern tätig sind. Wir bekommen solche Hinweise nicht aus den Bundesländern. Da
verkennen Sie die Bedrohungslage und die Situation völlig. Aus Ihrem Antrag spricht nichts anderes, als dass Sie
den naiven Föderalismusbegriff von Herrn Beckstein
und von Herrn Schünemann übernehmen.
Wir halten die Fachergebnisse der Innenministerkonferenz für richtig, die davon ausgehen - das teilen wir -,
dass wir die Zentralstellenfunktion vom BKA und auch
vom Bundesamt für Verfassungsschutz stärken müssen.
Wir werden die Fachvorschläge der Innenministerkonferenz Schritt für Schritt umsetzen. Wir bitten die Union,
zumindest die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, darum,
zur Fachauseinandersetzung zurückzukehren und nicht
die naiven Positionen von Schünemann und Beckstein
zu übernehmen. Sie blockieren damit die Optimierung
der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Sie verzögern die Umsetzung. Wir sind wirklich darauf gespannt,
in welcher Form sich die Länder an dem Informationsund Analysezentrum, das im Treptower Park eingerichtet wird, beteiligen.
Letzter Satz: Ich persönlich halte es für viel wichtiger,
dass die Länder Verbindungsbeamte nach Berlin schicken und dass sie es dem Bund überlassen, Beamte in internationale und europäische Gremien zu schicken, damit sie dort eine einheitliche Politik der inneren
Sicherheit vertreten.
({13})
Darüber sollten wir uns im Innenausschuss unterhalten.
Danke schön.
({14})
Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn ich mir die
Reden des Herrn Staatssekretärs und der Kollegin Frau
Stokar von Neuforn vergegenwärtige, dann fällt mir
wirklich nur ein Satz ein: Keine Panik auf der „Titanic“.
Man denkt: Irgendwie machen wir das Boot schon flott,
auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht.
Die Nonchalance, mit der der Herr Staatssekretär und
die Frau Kollegin Stokar von Neuforn dieses Thema behandeln, lässt vollkommen außer Betracht, dass der Terrorismus, insbesondere der Terrorismus, der auf dem islamistischen Extremismus basiert, für die pluralistische
westliche Welt eine der größten Gefährdungen darstellt.
Er ist eine epochale Bedrohung, dem durch eine völlige
Skrupel- und Hemmungslosigkeit bei der Tatausführung
mit der bewussten Tötung und Verletzung unschuldiger
Stephan Mayer ({0})
Menschen und durch genaueste strategische Vorbereitungen eine bisher unbekannte Dimension zukommt.
Nach den menschenverachtenden Anschlägen vom
11. September 2001 in New York und in Washington sowie am 11. März dieses Jahres in Madrid können potenzielle Ziele von Terroranschlägen alle Staaten Europas,
ja, alle Staaten der westlichen Welt sein. Gott sei Dank
sind wir in Deutschland von derartig schrecklichen Anschlägen bisher verschont geblieben.
({1})
Aber auch Deutschland war und bleibt Teil des Gefahrenraums. Deutsche Staatsbürger waren bereits Opfer
von schrecklichen Anschlägen. Ich erinnere nur an die
furchtbaren Vorkommnisse auf der Urlaubsinsel Djerba.
Mit dem Wissen, dass Deutschland bereits Rückzugsund Vorbereitungsraum für schlimmste terroristische
Anschläge war und dass der internationale Terror spätestens nach den schrecklichen Anschlägen am 11. März
dieses Jahres in Madrid auch in Europa angekommen ist,
müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, um dem Terrorismus bereits im Vorfeld Einhalt zu
gebieten.
({2})
Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU-Fraktion
die Schaffung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Es geht nicht um die Schaffung einer Mammutbehörde, ganz im Gegenteil.
({3})
Es geht um eine schlanke Behörde, die mit Spezialisten
perfekt ausgestattet ist und höchst professionell arbeitet.
Ich möchte des Weiteren erwähnen, dass die von uns
erhobene Forderung bereits mit allen CDU- bzw. CSUgeführten Bundesländern abgestimmt ist, also auch im
Bundesrat eine Mehrheit finden würde.
({4})
Wir können und dürfen uns nicht zurücklehnen und
darauf vertrauen, dass in Deutschland schon nichts passieren wird. Deshalb sind alle staatlichen Ebenen aufgefordert, alles nur Menschenmögliche zu tun, dass der
Terrorismus in Deutschland keine Basis hat und dass alle
terroristischen Aktivitäten bereits im Keim erstickt werden, wenngleich man sich natürlich auch vor Augen führen muss, dass es die totale Sicherheit leider Gottes nun
einmal nicht gibt.
({5})
Die größte strukturelle Schwachstelle bei der Terrorismusbekämpfung in Deutschland ist dabei neben den
Lücken im materiellen Recht - sie sind nach der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes auf erheblichen
Druck der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwar nicht
mehr so groß, aber dennoch vorhanden; ich erinnere nur
an die Sicherungshaft; sie fehlt nach wie vor noch - ist
das Nebeneinander von 37 eigenständigen Behörden
auf Landes- und auf Bundesebene, die sich in irgendeiner Form mit der Bekämpfung des Terrorismus beschäftigen. Beispielsweise war die Hamburger Terrorzelle um
Mohammed Atta und Ramzi Binalshibh deutschen und
amerikanischen Sicherheitsbehörden bereits 1999 bekannt.
({6})
Ihre Gefährlichkeit konnte aber schon allein deshalb
nicht erkannt werden, weil vorhandene Teilinformationen in Deutschland, in Spanien und in den USA nicht
zusammengeführt wurden.
({7})
Erkennbar gab es Fehler im nationalen und im internationalen Informationsaustausch.
Die Einführung einer besseren Vernetzung und einer
besseren Abstimmung der Sicherheitsbehörden ist daher
unumgänglich.
({8})
Der Informationsaustausch zwischen den von mir erwähnten 37 Behörden ist zu bürokratisch, zu zäh fließend und einfach zu selektiv.
({9})
Gerade kleinere Behörden sind kaum in der Lage, operative Maßnahmen gegen Verdächtige durchzuführen, und
sie beschränken sich deshalb schwerpunktmäßig auf Büroaufklärung.
Durch die Einführung eines gemeinsamen Zentrums
zur Terrorismusbekämpfung soll aber - ich möchte dies
ganz deutlich betonen - keine Beschneidung der Länderkompetenzen erfolgen. Vielmehr sollen die Sicherheitsbehörden der Länder, also die Landesverfassungsschutzbehörden sowie die Landeskriminalämter, die
über die erforderlichen Orts- und Detailkenntnisse verfügen und ihre „Pappenheimer“ vor Ort wirklich kennen,
durch die neu zu schaffende Zentralstelle für Informationsaustausch und Informationsanalyse eine abgestimmte
und umfassende Gefährdungseinschätzung an die Hand
bekommen, um damit eine noch fundiertere und noch
lückenlosere Vorfeldermittlung betreiben zu können.
Bestes Beispiel hierfür ist die Vernetzung und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern.
({10})
Sie haben bereits im Oktober 2002 eine besondere Aufbauorganisation zur Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen, AKIS, eingerichtet. Diese Organisationseinheiten haben sich bewährt und als äußerst
gewinnbringend erwiesen.
Der große Unterschied bei der Terrorismusbekämpfung im Gegensatz zur sonstigen Kriminalitätsbekämpfung ist: Wir können uns in diesem Bereich keine Pannen und Fehltritte erlauben; denn wenn ein Anschlag erst
einmal passiert ist, sind die Folgen katastrophal und
Stephan Mayer ({11})
wahrscheinlich unabsehbar. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland werden kein Verständnis
dafür aufbringen, wenn wir hätten handeln können, aber
es nicht getan haben.
({12})
Wir dürfen nicht warten, bis aus „Schläfern“ Täter werden. Der Vorteil eines gemeinsamen Zentrums für Terrorismusbekämpfung liegt darin, im Vorfeld die Informationen, Erkenntnisse und Bewertungen zu bündeln, damit
sich auf Terrorismusbekämpfung spezialisierte Fachkräfte zügig, ohne zeitliche Verzögerung und umfassend
ein realistisches Lagebild machen können und damit sichergestellt ist, dass auf aktuelle Gefährdungslagen
schnell und zuverlässig reagiert werden kann. Zügiges
und schnelles Handeln setzt ferner voraus, dass ein Lagezentrum rund um die Uhr eingerichtet ist, was beispielsweise ein Landesamt für Verfassungsschutz in einem kleinen Bundesland gar nicht leisten kann.
Sicherlich werden sich bei der Forderung nach einem
gemeinsamen Zentrum für Terrorismusbekämpfung
schnell die Gralshüter des Trennungsgebotes und des
Datenschutzes auf den Plan gerufen fühlen.
({13})
Ich möchte dazu nur in aller Kürze sagen, dass es sehr
streitig ist, ob das Trennungsgebot in der Verfassung
normiert ist. Da gehen die Meinungen der Rechtsgelehrten auseinander. Sie kennen ja den Spruch: zwei Juristen - drei Meinungen. Das Trennungsgebot, das nur historisch bedingt ist - das möchte ich noch einmal betonen -, sollte also hierfür keinen Hinderungsgrund darstellen. Zum Datenschutz möchte ich sagen: Datenschutz in allen Ehren, aber übertriebener Datenschutz
muss hinter einer effizienten und Erfolg versprechenden
Terrorismusbekämpfung zurückstehen; denn nicht nur
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist
grundgesetzlich geschützt, es gibt auch das Grundrecht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
({14})
Dies überwiegt meines Erachtens in der unmittelbaren
Abwägung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
zum Schluss kommen. Die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums für Terrorismusbekämpfung wird weder
die Verfassungsschutzbehörden noch die Polizei schwächen, sondern sie - ganz im Gegenteil - stärken und im
Kampf gegen den Terrorismus schlagkräftiger machen.
In diesem Sinne appelliere ich an Sie, gemeinsam mit
uns beim Kampf gegen den Terrorismus an einem Strang
zu ziehen und unserem Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Frank Hofmann, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst eine Vorbemerkung machen: Ihr Antrag richtet den Blick nur auf
den islamistischen Terrorismus. Ich bin der Meinung,
wir sollten als Oberbegriff von internationalem Terrorismus sprechen. Das erlaubt Differenzierungen in islamistische und andere Formen des internationalen Terrorismus.
({0})
- Herr Strobl, Sie wissen genau, dass ich erst am Anfang
meiner Rede bin, aber behaupten schon, das wäre mein
einziger Kritikpunkt. Es ist doch lächerlich, was Sie hier
machen.
({1})
Es sprechen auch außenpolitische Gründe dafür, eher mit
dem Begriff des internationalen Terrorismus zu arbeiten.
Das erlaubt meiner Meinung nach bessere Differenzierung und verhindert ein Scheuklappendenken.
Mit Blick auf den Anhang des Antrages, der, wenn
ich es richtig sehe, den Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen enthält, frage ich mich, weshalb Sie die
gemeinsame Datei beim BfV einrichten wollen. Die
Begründung der Niedersachsen lautet, dort habe man
vielfältige Erfahrungen mit gemeinsamen Dateien und
mit dem Schutz von Nachrichtenzugängen. Ich meine,
die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes arbeitet nicht anders. Warum gibt man diese Aufgabe dann
nicht in die Zuständigkeit der Polizei, also des Bundeskriminalamtes? Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist
Beobachtung, die Aufgabe der Polizei ist Bekämpfung
im Sinne von Verfolgung und Verhütung. Bei der Polizei
sind die Handlungszwänge am größten. Zudem geht die
europäische und internationale Einbindung über die nationalen Polizeibehörden, in diesem Falle also über das
Bundeskriminalamt. Wir alle wissen: Die internationale
Zusammenarbeit wird zunehmend wichtiger. Auch wir,
die Mitglieder des Innenausschusses, fordern einen europäischen Informationsverbund. Last but not least: Der
Schwerpunkt liegt hier beim Terrorismus, nicht beim
Extremismus. Folglich gibt es viele vernünftige Gründe,
die gemeinsame Datei beim BKA einzurichten.
Steckt also eher der Gedanke dahinter: Wenn man
schon etwas zentral machen muss, dann meinetwegen
sonstwo, aber nicht beim Bundeskriminalamt? Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist nur noch davon die
Rede, dass der Bund diese Datei einrichten will.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU-Opposition, was wollen Sie nun? Zu Ende gedacht haben
Sie das nicht.
Ein zweiter Punkt. Nach dem erklärten Willen der
niedersächsischen Regierung soll die Datei Mischbestände enthalten: Volltext auf der einen Seite, auf der
Frank Hofmann ({3})
anderen Seite dort, wo das aus Gründen des Quellenschutzes nicht möglich ist, nur Aktenfundstellen. Mir
scheint, auch das ist nicht zu Ende gedacht. Sie müssen,
um Maßnahmen ergreifen zu können, sowieso in die Akten schauen und können nicht allein mit den Dateien arbeiten. Deswegen geben auch datenschutzrechtliche
Überlegungen der Indexdatei den Vorzug. Auch da sollten Sie zu Ende denken.
Zum Dritten bitte ich zu überlegen, ob Sie die gegenseitige Information immer so weit treiben wollen, dass
jeweils alle unterrichtet werden müssen. Ich meine, bei
sensiblen Daten sollte man besser stufenweise vorgehen
und zum Beispiel das jeweilige Landeskriminalamt mit
der Prüfung beauftragen, ob Polizeibehörden in ihrem
Land unterrichtet werden sollen und welche das sein sollen.
Jetzt zu Ihrem eigentlichen Antrag. Als Schwachpunkte machen Sie einen mangelnden Informationsaustausch und eine unzureichende Koordination der einzelnen Maßnahmen aus. Sie haben alle gemerkt, wie sich
Herr Binninger aufgepumpt und den Bundesinnenminister persönlich dafür verantwortlich gemacht hat.
({4})
Weshalb müssen Sie eigentlich alles schlechtreden?
Die Sicherheitsbehörden sind ständig auf dem Weg der
Optimierung. Gerade die Polizei und die anderen Sicherheitsbehörden haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich
durch Umstrukturierung der Aufbau- und Ablauforganisation und durch Zusammenarbeitsregeln auf die jeweiligen Erfordernisse der Sicherheitslagen einzustellen.
Man ist hier immer auf dem Weg und nie am Ende und
stets abhängig von der Kriminalitätsentwicklung.
({5})
Es gibt auf allen Seiten das permanente Gefühl der Informationsunterversorgung. Sie tragen mit Ihrem Antrag
und mit Ihrer Rede, Herr Binninger, ohne Not und durch
falsche Darstellung eine Mitschuld an dieser „gefühlten“
Situation.
({6})
Grundsätzlich ist Deutschland bereits jetzt gut gerüstet.
({7})
Das heißt aber nicht, dass man nichts verbessern könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
den Vorwurf, es gebe kein gemeinsames aktuelles Lagebild, kann ich auf den Sicherheitsbehörden nicht sitzen lassen.
({8})
Das weisen wir entschieden zurück.
({9})
Es gibt ein tägliches Lagebild beim polizeilichen Staatsschutz, es gibt wöchentliche Lagebilder, es gibt Gefährdungslagebilder über den islamistischen Terrorismus.
Herr Binninger, wenn Sie sagen, wie Sie es vorhin getan
haben, „So ein Lagebild mache ich Ihnen auch“, dann
zeigt das Ihre Überheblichkeit.
({10})
Es ist grob fahrlässig, solche falschen Informationen,
wie Sie sie bringen, in einen Antrag aufzunehmen und
zu verbreiten.
({11})
Ihr Antrag zielt im Kern darauf ab, das Gebot der
Trennung zwischen den Diensten und der Polizei aufzulösen.
({12})
Nachdem ich jetzt Herrn Binninger und Herrn Mayer gehört habe, kann ich nur sagen: Sie sollten sich abstimmen. Aber das können Sie nicht. Sie liefern ein Beispiel
dafür, wie es im Moment zwischen der CDU und der
CSU, zwischen Merkel und Stoiber aussieht.
({13})
Sie können sich nicht einmal in diesen kleinen Dingen
absprechen.
Die Auflösung des Trennungsgebotes wird es mit uns
nicht geben. Wir zielen darauf ab, die Arbeitsprozesse zu
verbessern, statt neue Schnittstellen zu schaffen, einen
Informationsverbund unter Beachtung des Trennungsgebotes herzustellen
({14})
und die Kooperation zu stärken, statt neue Organisationen zu schaffen. Ich sage Ihnen: Das, was Sie als Aufgabenspektrum eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung beschreiben, muss in großen Teilen in
Angriff genommen werden, ohne dass wir das Trennungsgebot, wie Sie es wollen, schleifen.
Ihre größte Sorge scheint zu sein: Wie umgehe ich es,
das Bundeskriminalamt mit den notwendigen Befugnissen auszustatten? Lieber nehmen Sie eine Verletzung
des Trennungsgebotes in Kauf,
({15})
statt dem BKA das benötigte rechtliche Instrumentarium
an die Hand zu geben.
Ihr Vorschlag eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung ist zudem rein innenpolitisch ausgerichtet und hier nicht ausgereift. Völlig außer Acht
lassen Sie eine Einbindung in die europäische und internationale Terrorismusbekämpfung.
Frank Hofmann ({16})
({17})
Was Sie hier abliefern, ist ein Torso, aber kein Konzept.
({18})
Sie klagen, der Austausch von Informationen über
Gefährder, Bedrohungen und neue Entwicklungen sei zu
bürokratisch, zu langsam und zu selektiv. Wer legt denn
fest, wer als Gefährder einzustufen ist? Das Bundeskriminalamt? Nein!
({19})
Warum nicht? Weil das BKA keine Zuständigkeit für die
Gefahrenabwehr und keine Befugnisse hat. Polizei sei
Ländersache; das Hohelied von der föderalen Struktur,
die sich bewährt habe; das Totschlagsargument „Wir
wollen kein deutsches FBI“: Da wird von interessierter
Seite gekeult und gekeilt. Die Landesfürsten, die mal im
größeren, mal im kleineren Chor singen, wie wichtig ihnen die Sicherheit sei, versagen, wenn es um umfassende, den Aufgaben entsprechende polizeiliche Befugnisse für das Bundeskriminalamt geht.
Was jedes Bundesland seinem Landeskriminalamt an
Befugnissen gibt, um seine Aufgaben zu bewältigen,
kann man dem Bundeskriminalamt doch nicht vorenthalten. Tatsache ist: Jeder Polizeibeamte eines Bundeslandes hat zur Verbrechensbekämpfung mehr Befugnisse
als ein Polizeibeamter des Bundeskriminalamtes. Natürlich hat auch der Polizeibeamte in einem LKA Befugnisse der Gefahrenabwehr und nicht nur der Strafverfolgung. Das Bundeskriminalamt dagegen mit seiner
umfassenden Verantwortung als Dreh- und Angelpunkt
der internationalen Verbrechensbekämpfung muss diese
Kriminalitätsform wie ein Einarmiger bekämpfen. Das
kann doch nicht Ihr Wille sein.
Wer hier Vergleiche mit dem FBI anstellt, redet dummes Zeug. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz,
Klaus Buß aus Schleswig-Holstein, hat Ende September
dieses Jahres in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausgeführt:
Der internationale Terrorismus ist eine so schwere
Bedrohung unseres Landes, dass wir über diese
Hürde springen sollten und dem Bundeskriminalamt diese Möglichkeiten ähnlich wie den Landeskriminalämtern auf ihrer Zuständigkeitsebene einräumen sollten.
Ich sage Ihnen: Springen Sie mit!
({20})
Die AG Kripo hat im April dieses Jahres festgestellt,
dass die dem Bundeskriminalamt zugewiesenen Befugnisse nicht in jedem Fall ausreichen, um die dringend gebotenen Verdichtungen von Sachverhalten, die auf eine
Gefahr durch terroristische Aktivitäten hindeuten, vorzunehmen. Sie sehen: Unter den Fachleuten herrscht hier
große Übereinstimmung.
Ein wenig Hoffnung habe ich, dass sich bei Ihnen die
Sachpolitiker langsam durchsetzen. Denn ich lese in Ihrem Antrag:
... eine Kompetenz des BKA für Vorfeldermittlungen allein würde keine grundlegende Verbesserung
der Situation mit sich bringen.
Das kann ja wohl nur bedeuten, dass Sie Vorfeldermittlungen für das BKA befürworten, sie aber alleine nicht
für ausreichend halten.
Herr Mayer sagte vorhin, Sie würden im Bundesrat
eine Mehrheit finden, weil der Bundesrat den Antrag der
CDU/CSU unterstützen würde. Das ist das Neue und eigentlich Erfreuliche an Ihrem Antrag. An diesem Punkt
lohnt es sich, dass wir miteinander ins Gespräch kommen.
Ich danke Ihnen.
({21})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3805 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/3673 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({1})
- Drucksache 15/3977 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Stöckel
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Franz Thönnes für die Bundesregierung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Gesetzentwurf
der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Gesetzes zur
Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, weil mit zwei sehr wesentlichen Änderungen des
ursprünglichen Gesetzentwurfs Erleichterungen für die
Menschen im Land geschaffen werden, insbesondere für
diejenigen, die Sozialhilfe beziehen.
Wir haben in diesem Haus gemeinsam eine Gesundheitsreform verabschiedet, die mehr Eigenverantwortung gewährleisten soll, durch die die Beiträge gesenkt
werden sollen und die mehr Qualität ins Gesundheitswesen bringt. Wir haben aber auch gesagt: Die Sozialhilfeberechtigten sollen in die Krankenversicherung, in die
Pflegeversicherung und in die Rentenversicherung einbezogen werden. Vor dem Hintergrund ist auch deutlich
gesagt worden, dass es für Sozialhilfeempfänger keine
generelle Befreiung von Zuzahlungen geben soll.
Gleichwohl hat man sich darauf verständigt, Belastungsobergrenzen einzuziehen: 1 Prozent des Einkommens für Menschen mit chronischen Erkrankungen und
2 Prozent des Einkommens für alle anderen. Bei den Sozialhilfeberechtigten wurde anstelle des Einkommens
die Sozialhilfe als Grundlage genommen.
Dies bedeutet, dass für Menschen, die in Heimen leben und überwiegend chronisch krank sind, eine maximale monatliche Belastung von gut 3 Euro vorgesehen
war. Wir alle hielten das für vertretbar, haben dann aber
Anfang des Jahres bei der Umsetzung festgestellt, dass
nicht alle Kassen und Sozialhilfeträger so flexibel waren, die tatsächliche monatliche Belastung der Betroffenen auf 3 Euro zu begrenzen. Vielmehr sind durch Zuzahlungen Belastungen in Höhe von 20, 30 oder auch
40 Euro angefallen. Damit war gleich im ersten Monat
die Belastungsgrenze überschritten und die Grenze zur
Zuzahlungsbefreiung erreicht. Es war nicht verträglich,
dass von einem Barbetrag in Höhe von 88 Euro 40 Euro
für Gesundheitsleistungen bezahlt werden müssen.
Um dies für die Zukunft auszuschließen, sind in dem
vorliegenden Gesetzentwurf Regelungen vorgesehen,
die gewährleisten, dass beim Übergang vom Jahr 2004
zum Jahr 2005 für die Sozialhilfeträger und die Kassen
die Verpflichtung besteht, sofort ab dem ersten Monat
die Betroffenen von der Zuzahlung freizustellen und
diese Beträge als Darlehen zu gewähren. Ich glaube,
dass über diesen Weg die guten Beispiele, die wir beim
letzten Jahreswechsel bei der AOK Rheinland und der
AOK Rheinland-Pfalz erlebt haben, bundesweit Praxis
werden. Damit werden nicht zu verantwortende Belastungen im ersten bzw. zweiten Monat eines Jahres vermieden. Dies ist etwas, was mit dazu beiträgt, dass die
Gesundheitsreform noch mehr Akzeptanz findet, wie das
auch schon in anderen Bereichen der Fall ist.
Der zweite wichtige Punkt betrifft den Zusatzbarbetrag. Nach dem Sozialhilferecht können Menschen, die
in Heimen leben und mit einem Teil ihres Einkommens
dazu beitragen, die Kosten zu decken, neben ihrem Barbetrag, dem so genannten Taschengeld, das sich in der
Größenordnung von circa 88 Euro bewegt, noch einmal
einen maximalen Zusatzbarbetrag in Höhe von 44 Euro
bekommen, mit dem anerkannt werden soll, dass sie
selbst dazu beitragen, ihre Kosten im Heim zu decken.
Dieser Zusatzbarbetrag hat seinen Ursprung in einer
Entscheidung des Deutschen Bundestages, die am
18. Januar 1974 vor dem Hintergrund einer sehr kritischen Debatte über das ständige Anwachsen der Pflegekosten im Heim getroffen worden ist. Es wurde dargelegt, dass das eigene Einkommen, das die Betroffenen
aufwenden, durch diese Kosten zunehmend aufgezehrt
wird. Damals ist entschieden worden, den eigenen Beitrag anzuerkennen und zu würdigen. Deswegen hat man
die Gewährung eines Zusatzbarbetrages beschlossen.
Wir haben aber 1995/1996 die Pflegeversicherung
eingeführt,
({0})
weil wir gesagt haben: Das Pflegerisiko muss abgesichert werden. Im Kommentar von Schellhorn zum Sozialrecht liest man dazu, dass die Reduzierung der verfügbaren Einkünfte in solchen Fällen auf einen normalen
Barbetrag und damit die Gleichstellung mit Personen
ohne wesentlich eigenes Einkommen eine Härte bedeutete. Nachdem die vollstationäre Pflege nun ab Juli 1996
mit in die sozialversicherungsrechtliche Pflegeversicherung einbezogen worden sei, sei das wichtigste Argument für den Zusatzbarbetrag entfallen. Das war der
Hintergrund der Entscheidung, die Ende letzten Jahres
bei der Reform des Sozialhilferechts von allen hier im
Bundestag vertretenen Parteien, die sich in Regierungsverantwortung befinden, im Vermittlungsverfahren akzeptiert wurde.
Wir haben uns nach Erklärungen der Behindertenverbände und der Sozialverbände in der Anhörung noch
einmal ernsthaft mit diesem Komplex auseinander gesetzt. Mit dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, soll
gewährleistet werden, dass der Zusatzbarbetrag für diejenigen Menschen, die in Heimen sind und sich bislang
in ihrer Lebensgestaltung auf diesen Betrag eingerichtet
haben, nicht zum 31. Dezember dieses Jahres auslaufen
wird, sondern für diejenigen Heimbewohner, die ihn zu
diesem Zeitpunkt erhalten, auch weiterhin ausgezahlt
wird. Das entspricht auch der Lebens- und Haushaltsplanung dieser Menschen.
Herr Kollege Thönnes, denken Sie bitte an die Zeit.
Diese Regelungen hinsichtlich des Zusatzbarbetrages
sollen aber nicht mehr für Neufälle gelten. Die betreffenden Personen können sich auch darauf einstellen. Wir erreichen damit, dass diejenigen, die ambulant, zu Hause,
betreut werden, nicht mehr anders behandelt werden,
weil für diesen Personenkreis der Zusatzbarbetrag nicht
gezahlt wird. Das war auch schon der Hintergrund für
die Entscheidung vom 18. Januar 1974. Damals ist die
gleiche Debatte geführt worden, wie sie wahrscheinlich
jetzt geführt werden wird. Auch damals hat die CDU/
CSU einen Freibetrag gefordert. Ein solcher Freibetrag
entspricht nicht der Philosophie des Sozialhilferechts. Er
ist damals schon abgelehnt worden und die bisherige
Praxis hat sich bewährt. Im Übrigen hätten Sie, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, 16 Jahre lang
Zeit gehabt, Ihre Vorstellungen umzusetzen, sodass ich
sagen muss: Auch CDU und CSU haben sich mit den
bisherigen Regelungen abgefunden. Von daher ist Ihr
Antrag ein Stück weit unverständlich und die in ihm enthaltenen Vorschläge würden in der Zukunft neue Ungerechtigkeiten bewirken.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Verena Butalikakis
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit Änderungen an einem Gesetz,
das erst am 1. Januar 2005 in Kraft treten wird. Wir behandeln ein wichtiges Recht, das Sozialhilferecht. Da einige Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem
Bündnis 90/Die Grünen in den Beratungen in den letzten
Wochen - wie ich gerade festgestellt habe, trifft das auch
auf den Staatssekretär zu - offensichtlich Erinnerungslücken haben, will ich ganz kurz auf die Vorgeschichte
dieses Gesetzes eingehen.
Vor genau einem Jahr, im Oktober 2003, beschloss
die rot-grüne Regierungsmehrheit im Bundestag in zweiter und dritter Lesung das nach ihren Vorstellungen geänderte Bundessozialhilfegesetz, das neue SGB XII.
Rot-Grün beschloss damals ein Gesetz, obwohl in der
vorangegangenen öffentlichen Anhörung der Entwurf
auf verheerende Weise verrissen worden war und die Experten viele Punkte bemängelt hatten.
({0})
Der Bundesrat hat das Gesetz dann abgelehnt; so landete der Entwurf für das neue Sozialgesetzbuch XII mit
einer Anzahl weiterer Gesetze und Gesetzesentwürfe zur
Beratung im Vermittlungsausschuss. Dort konnten durch
gemeinsame Bemühungen etliche von den Fachleuten
benannte Mängel behoben werden, außerdem wurden inhaltliche Korrekturen angebracht. Die gesetzestechnische Umsetzung oblag dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. Das Ergebnis war ein
von allen Seiten getragener Kompromiss. Am 19. Dezember 2003 wurde das Sozialgesetzbuch XII als neues
Sozialhilferecht von allen Fraktionen im Bundestag beschlossen und fand die Zustimmung des Bundesrates.
Nun sollte es nicht üblich sein, dass man ein beschlossenes Gesetz bereits vor seinem In-Kraft-Treten ändert.
Aber es kann durchaus sinnvoll sein, wenn man erkannte
Unzulänglichkeiten korrigieren will. Eine solche Fehlerkorrektur sah das zunächst von den rot-grünen Regierungsfraktionen am 3. September in den Bundestag eingebrachte Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII
vor. Zwei im Gesetz vom Bundesministerium vergessene klarstellende Festlegungen sollten nachgetragen
werden. Gegen dieses formale Anliegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wir hatten deshalb hier im
Hause auch gar keine Debatte in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes.
Bei den weiteren Beratungen im Ausschuss zeigte
sich dann aber recht schnell, dass von rot-grüner Seite
gar kein Interesse daran bestand, ein gemeinsam beschlossenes Gesetz auch gemeinsam zu ändern. Das
mündlich vorgetragene Anliegen der CDU/CSU-Fraktion, weitere redaktionelle und klarstellende Änderungen
in das Gesetz mit aufzunehmen, wurde abgelehnt. Stattdessen brachte die rot-grüne Regierungskoalition einen
Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf ein, der
eine inhaltliche Änderung vorsah, nämlich eine Stichtagsregelung für den so genannten Zusatzbarbetrag.
Der Zusatzbarbetrag - der Staatssekretär hat schon
darauf hingewiesen - ist im derzeit noch gültigen Bundessozialhilfegesetz festgeschrieben. Er soll sicherstellen, dass Menschen, die in einer stationären Einrichtung
leben und sich mit ihrem eigenen Einkommen an den
Kosten dieser Unterbringung beteiligen, einen geringen
Anteil ihres Einkommens zusätzlich zur eigenen Verfügung haben.
({1})
Dabei handelt es sich um einen Betrag von höchstens
44 Euro im Monat.
Diesen kleinen Betrag hatte Rot-Grün - nicht etwa
der Vermittlungsausschuss - für 2005 gestrichen, nämlich im Entwurf der Regierungskoalition zum SGB XII.
Sie erinnern sich, das war der „schlechte“ Entwurf vom
Oktober des letzten Jahres, der korrigiert werden musste.
Dort wurde der Zusatzbarbetrag gestrichen. In der Begründung dazu heißt es: Der nicht bedarfsbezogene Zusatzbarbetrag zum Barbetrag entfällt, um eine Ungleichbehandlung von Leistungsberechtigen in und außerhalb
von Einrichtungen zu beenden. Diese Forderung von
Rot-Grün hatte im Vermittlungsausschussverfahren Bestand.
Angesichts der zahlreichen Proteste, die uns wahrscheinlich alle erreicht haben, und natürlich zeitgleich
mit der Endphase des Kommunalwahlkampfes in Nordrhein-Westfalen wollten sich SPD und Grüne als Retter
des Zusatzbarbetrags aufspielen
({2})
und verfielen auf eine Stichtagsregelung, die bedeutet:
Nur derjenige, der am 31. Dezember 2004 einen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag hat, erhält diesen Betrag
auch weiterhin unbegrenzt.
An die Menschen und ihre Gefühle wird dabei nicht
gedacht. Auch die Darstellung des Staatssekretärs ging
darauf nicht ein. Wie fühlt man sich denn, wenn man im
Januar 2005 in eine stationäre Einrichtung kommt, das
eigene Einkommen für die Unterbringung einsetzen
muss und dann erfährt, dass man nie mehr als das Taschengeld in Höhe von 88 Euro bekommen wird, während Mitbewohner, die etwas länger - vielleicht nur einen Monat, nämlich seit Dezember 2004 - in dieser
Einrichtung leben, auf unbegrenzte Zeit über den Zusatzbarbetrag verfügen können?
({3})
Man fühlt sich doch ungerecht behandelt.
({4})
In der am 30. September 2004 durchgeführten öffentlichen Anhörung wurde diese Regelung von Rot-Grün
von den Sachverständigen einhellig abgelehnt. Die Regelung führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung der Heimbewohner, die insbesondere
in Behindertenwohnheimen über Jahrzehnte anhalten
würde, so lautete das Fazit der Experten.
Auch die pauschale Aussage, der stationäre Bereich
werde mit dieser Regelung generell gegenüber dem ambulanten Bereich besser gestellt, hält nach Meinung von
Fachleuten einer Überprüfung nicht stand; denn im ambulanten Bereich - Herr Staatssekretär, Sie haben vergessen, das zu erwähnen - wird ab einer gewissen Einkommenshöhe ebenfalls ein Teil des Einkommens
freigestellt.
Für die CDU/CSU-Fraktion wird mit dem Zusatzbarbetrag der eigenverantwortlichen Vorsorge der Menschen für das Alter Rechnung getragen. Wir meinen:
Eigenvorsorge muss sich lohnen,
({5})
gerade angesichts der massiven Senkungen, die es durch
Rot-Grün in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt.
Deshalb unterstützen wir den Vorschlag von Experten,
den Zusatzbarbetrag - rechtssystematisch richtig als Einkommensfreibetrag - auch in das SGB XII aufzunehmen.
Weil der Staatssekretär gerade darauf hingewiesen hat
und weil ich es aus der Diskussion im Ausschuss weiß,
möchte ich hier noch einmal klarstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Es geht hier
nicht um eine juristische Diskussion, deshalb bitte keine
Scheingefechte an dieser Stelle. Wir können gern eine
andere Gesetzesstelle finden, in der der Zusatzbarbetrag
festgelegt werden kann. Die entscheidende Frage für uns
ist nämlich nicht, wie, sondern dass der Zusatzbarbetrag
auf Dauer erhalten bleibt.
({6})
Ein weiterer wichtiger Punkt im Änderungsgesetz ist
die Definition des notwendigen Lebensunterhalts in
Einrichtungen. Unbestritten muss hier die Formulierung
im beschlossenen Gesetz geändert werden. Bei der Umsetzung wurde jedoch die mangelnde rot-grüne Gesetzgebungskompetenz deutlich; denn eingebracht wurde ein
Vorschlag, der von allen Sachverständigen in der schon
genannten Anhörung als völlig untauglich beschrieben
wurde. Daraufhin wurde wieder ein Änderungsantrag
von Rot-Grün eingebracht. Jetzt sind Sie zu einer Lösung gekommen, die keine der beiden Alternativen aufgreift, die von den Sachverständigen in der Anhörung
präferiert wurden.
({7})
Ihre Regelung kann nämlich zu dem absurden Ergebnis
führen, dass Menschen im Einzelfall für ihre Unterbringung in einer Einrichtung mehr zahlen müssen, als der
Lebensunterhalt in der Einrichtung tatsächlich kostet.
Wie man das den Menschen erklären will, bleibt offen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, dass beim
notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen der zu
berücksichtigende Anteil am Investitionsbetrag durch
Verordnung des Landes festzusetzen ist. Dies entspricht
einer der beiden von den Sachverständigen präferierten
Alternativen. Diese Festlegung berücksichtigt die in den
Ländern sehr unterschiedlichen rahmenvertraglichen Regelungen.
Wie im Ausschuss möchte ich unsere Zustimmung zu
einem weiteren Punkt, nämlich dem Vorhaben von RotGrün, eine Verfahrensregelung einzuführen, die für
Heimbewohner eine deutliche Erleichterung im Hinblick
auf die zu leistenden Zuzahlungen nach dem GMG
bringt, signalisieren, zumindest grundsätzlich. Natürlich
führt das zu einem erhöhten Bürokratieaufwand, den wir
durchaus sehen und kritisieren. Eine offene Frage bei
dieser Regelung bleibt aus meiner Sicht auch, wieso in
diesem Fall der Sozialhilfeträger der Risikoträger ist, obwohl wir eigentlich über das Gesundheitsmodernisierungsgesetz reden.
({8})
Als letzten Punkt möchte ich das Verfahren zum Änderungsgesetz selbst aufgreifen. Der Staatssekretär hat
gerade begrüßt, dass die rot-grüne Regierungskoalition
dieses Änderungsgesetz in den Bundestag eingebracht
hat. Vorausgegangen ist aber etwas ganz anderes: Das
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat bereits im Frühsommer viele aufgefordert, den
notwendigen Änderungsbedarf zum Sozialgesetzbuch XII zu benennen. Es kamen dann Rückmeldungen
von den Ländern, den örtlichen und überörtlichen Trägern der Sozialhilfe, von den kommunalen Spitzenverbänden, den Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen.
Das Bundesministerium hat alle Änderungswünsche gesammelt und einen Teil davon ausgewählt; die zugrunde
gelegten Kriterien sind leider unbekannt. Entschieden
hat sich das Ministerium dann für circa 15 notwendige
Änderungen. Diese 15 Änderungen wurden aber nicht
etwa in einen Regierungsentwurf zur Änderung des
SGB XII eingebracht. Vielmehr hat das BMGS diese
Änderungen in den Entwurf eines anderen Gesetzes,
nämlich des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes, geschrieben.
({9})
Dieses Verwaltungsvereinfachungsgesetz beschloss die
Bundesregierung dann am 1. September. Nun ist es zur
Beratung im Bundesrat. Zwei Tage später, also am
3. September, bekamen wir hier im Bundestag den Entwurf eines Änderungsgesetzes zum SGB XII von der
rot-grünen Regierungskoalition auf den Tisch gelegt.
({10})
Heute wird nun dieses Änderungsgesetz hier beschlossen und an den Bundesrat weitergeleitet. Der Gesetzentwurf jedoch, der derzeit im Bundesrat ist, also der Entwurf mit den 15 Änderungen, kommt wahrscheinlich
Ende Oktober zur ersten Lesung zu uns in den Bundestag.
({11})
Meine Damen und Herren, dies ist wie eine politische
Satire. Ich glaube nicht, dass man das den Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land erklären kann.
({12})
Deshalb zum Schluss: Wir werden den rot-grünen
Änderungsentwurf ablehnen. Die CDU/CSU-Fraktion
hat mit vier Änderungsanträgen ihre Alternativen aufgezeigt. Wir glauben, dass es notwendig und richtig ist, ein
Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII einzubringen, damit sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als
auch für die Anwendung in der Praxis ein schlüssiges
Gesetz vorliegt. Ich befürchte nur, mit Rot-Grün ist das
nicht zu erreichen.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Butalikakis, ich glaube, die einzelnen Verfahrensschritte dürften den Besucherinnen und Besuchern
auf der Tribüne in der Tat nur schwer klar zu machen
sein. Wichtig ist aber, was am Ende herauskommt, welche Veränderungen wir vornehmen. Hier sind die Gesetzesänderungen im Sozialhilferecht durchaus ein Beispiel
für eine lernende Gesetzgebung. Wir machen die Zuzahlungen für Heimbewohner praxistauglich - woher die
Zuzahlungen kommen, wissen wir ja -, indem wir die
Beteiligung an den Unterkunftskosten im Heim vereinfachen: durch die Vereinheitlichung und die Anlehnung an
die Grundsicherung, durch die Schaffung eines Ermessensspielraums für die Sozialhilfeträger und nicht zuletzt
durch die Übergangsregelung für den Zusatzbarbetrag
der Heimbewohner.
Bevor ich einige zusätzliche inhaltliche Anmerkungen mache, Frau Butalikakis: Ich finde, Sie machen es
sich zu einfach, Sie machen sich einen schlanken Fuß
- und das ist nicht in Ordnung -, wenn Sie jetzt sagen,
Sie wollen einen Einkommensfreibetrag einführen und
das verstetigen. Es ist ja nicht so, dass Sie das in den
16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht hätten tun können.
Wir müssen uns auch die Positionen der unionsregierten
Bundesländer anschauen, denn dieser Gesetzentwurf
muss ja durch den Bundesrat. Ich stelle fest: Hessen
kürzt das Blindengeld, Herr Wulff in Niedersachsen
streicht es vollständig, Baden-Württemberg sucht nach
Wegen, sämtliche Leistungen für Behinderte auf den
Bund zu übertragen, und Herr Stoiber in Bayern schießt
mit seinem kommunalen Entlastungsgesetz, KEG, den
Vogel ab. Ich will nur einige Punkte nennen: Beseitigung
des Rechts der Pflegebedürftigen, den Leistungsanbieter
auszuwählen, Ausweitung der Aufrechnungsmöglichkeiten für den Sozialhilfeträger, Behindertenhilfe künftig
nur noch nach Kassenlage und nicht mehr als Rechtsanspruch.
Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass bei einer solchen Aufstellung der von Ihnen regierten Bundesländer
- und ich will nicht verhehlen, dass auch einige rot-grün
regierte kürzen und sparen müssen - ein neu einzuführender Einkommensfreibetrag - verstetigt! - auch nur
den Ansatz einer Chance hat. Sie können das hier nur
vorschlagen, weil Sie genau wissen, dass wir das aus gesamtstaatlicher Verantwortung und auch deshalb, weil
systematisch kein Platz mehr für den Zusatzfreibetrag
ist, ablehnen müssen und es damit im Bundesrat gar
nicht erst zu Verhandlungen kommt.
({0})
Das ist natürlich prima.
Sie machen sich dabei einen schlanken Fuß. Es geht
hier nicht darum, sozialpolitische Wunschlisten zu verlesen; das würde ich auch gerne tun; dann wäre ich noch
bis heute Nachmittag beschäftigt. Man müsste Ihrem
Änderungsvorschlag eigentlich glatt zustimmen, um zu
sehen, was dann damit im Bundesrat passiert.
Ich will mich auf den so genannten Investitionsbetrag beschränken. Die Wohlfahrtsverbände haben darauf
hingewiesen, dass die Beteiligung an den Unterkunftskosten in den Heimen zu unbilligen Härten bei Ehepaaren führen kann, bei denen ein Partner im Heim lebt und
der andere noch in der gemeinsam genutzten Wohnung,
wenn zukünftig die so genannten Hotelkosten, also die
Unterbringungskosten im Heim, anders als bisher stärker
auf das Einkommen - etwa eine Rente - desjenigen, der
zu Hause lebt, angerechnet werden.
Der zweite Kritikpunkt war, dass man gesagt hat, die
Investitionskosten in den Heimen sind sehr unterschiedlich, obwohl im Prinzip die Bedingungen für die Bewohnerinnen und Bewohner gleich sind. Da freue ich mich
sehr, dass es in Abstimmung mit den Trägern der Sozialhilfe gelungen ist, hier eine eindeutige und praktikable
Lösung zu finden. Die Höhe der Wohnkosten wird jetzt
an die Grundsicherungsleistungen angelehnt, das heißt
also, die durchschnittlichen Mietkosten der Sozialhilfeträger sind die Grundlage. Dadurch wird mehr Rechtssicherheit und Planungssicherheit für diejenigen geschaffen, die in Zukunft unter diese Regelung fallen.
Frau Butalikakis, ich glaube nicht, dass man mit so einer Regelung in einen Bereich kommt, in dem die tatsächlichen Unterbringungskosten stark differieren.
({1})
Es ist eine Näherung. Man muss immer abwägen zwischen einer Einzelfallregelung und einer pauschalen Regelung. Unsere Regelung führt zu mehr Planungssicherheit.
In der Konstellation, dass ein Ehepartner im Heim
lebt, der andere zu Hause ist und höhere Auslagen für
den Partner hat, haben wir dafür gesorgt, dass eine Regelung aus dem Bundessozialhilfegesetz übernommen
wird, die dem einzelnen Sozialhilfeträger einen zusätzlichen Ermessensspielraum verschafft. Ich appelliere an
die Sozialhilfeträger, diesen Ermessensspielraum in Härtefällen auch in Anspruch zu nehmen, also dafür zu sorgen, dass die zusätzliche Belastung des zu Hause bleibenden Ehepartners nicht dazu führt, dass auch er
eventuell noch ins Heim muss. Denn dann werden die
Kosten für die öffentliche Hand insgesamt höher und das
ist auch mit entsprechenden Beschädigungen der Lebensqualität der Betroffenen verbunden, die sich auf ihre
Situation eingestellt haben. Ich denke, hier können die
Sozialhilfeträger ihrer Verantwortung vor Ort gerecht
werden. Wir haben als Bundesgesetzgeber die Voraussetzungen dafür geschaffen.
Noch einmal: Mit diesen drei angesprochenen und
hier diskutierten Regelungen haben wir ein gutes Beispiel für eine lernende Gesetzgebung. Sie sollten uns dabei eigentlich unterstützen und zustimmen.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Butalikakis das Wort.
Herr Kurth, der Begriff „schlanker Fuß“ hat mich natürlich animiert, mich noch einmal zu Wort zu melden.
({0})
Sie haben in Ihren Ausführungen so getan, als ob wir
einen neuen Freibetrag einführen wollen. Das wollen
wir nicht. Ich hatte gehofft, das sehr deutlich gemacht zu
haben. Wir reden über den Zusatzbarbetrag, den jeder
Heimbewohner derzeit nach dem Bundessozialhilfegesetz erhält. Wir wollen, dass dieser Zusatzbarbetrag auch
im neuen Sozialgesetzbuch XII festgeschrieben wird. Es
geht also nicht um einen neuen Tatbestand bzw. einen
neuen Betrag.
Wir sind den Experten gefolgt und haben gesagt, dass
man ihn wie andere Regelungen im Übrigen auch - beispielsweise dann, wenn es um die Freistellung beim Arbeitseinkommen geht - sinnvollerweise als einen Einkommensfreistellungsbetrag im Gesetz festschreiben
sollte. Ich hatte in meiner Rede auch sehr deutlich gemacht: Wenn das juristisch nicht gehen sollte - bisher
haben wir das noch nicht schriftlich vorliegen -, dann
können wir diesen Zusatzbarbetrag auch gerne an jeder
anderen Stelle im SGB XII festschreiben. Ich wollte das
noch einmal sehr deutlich sagen. Tun Sie also bitte nicht
so, als ob wir einen zusätzlichen Tatbestand einführen
wollen.
Es ist natürlich klar, dass die CDU/CSU-Fraktion im
Deutschen Bundestag in Zeiten, in denen die Kassen der
Kommunen gerade aufgrund der Regierungstätigkeit
von Rot-Grün besonders leer sind, einen solchen Vorschlag nicht unabgestimmt macht. Sie ist sich natürlich
sicher, dass die von CDU, CSU und FDP geführten bzw.
mitgeführten Bundesländer eine solche gerechte Lösung
für notwendig halten.
({1})
Herr Kurth zur Erwiderung, bitte.
Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Länderregierungen dazu
bringen. Das erwarte ich mit Spannung.
({0})
Zunächst einmal: Nicht jede Heimbewohnerin und jeder Heimbewohner hat den Zusatzbarbetrag erhalten.
Ich glaube, das muss man zur Klarstellung für die Zuhörerinnen und Zuhörer hier noch einmal sagen. Das hing
ja vom Einkommen ab. Nur diejenigen, die über einen
relativ hohen eigenen Renten- oder Einkommensanteil
verfügten, haben ihn erhalten. Die meisten haben ihn
nicht bekommen. Ich wiederhole auch noch einmal das,
was der Parlamentarische Staatssekretär Thönnes gesagt
hat: Diejenigen, die im ambulanten Bereich versorgt
wurden, also zu Hause waren, haben ihn überhaupt nicht
erhalten.
Indem Sie den so genannten Zusatzbarbetrag in einen
Einkommensfreibetrag umwidmen, entsteht von der
Rechtsform her natürlich schon eine neue Leistung. Das
ist von der Systematik des Gesetzes her so nicht vorgesehen. Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung ist ein
Zusatzbarbetrag von der Systematik her nicht vorgesehen. Die Sozialhilfe richtet sich nach dem Bedarf.
({1})
Man muss das den 2,4 Milliarden Euro, die jährlich an
Hilfe zur Pflege anfallen und die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgebracht werden, einmal gegenüberstellen und schauen, ob ein Zusatzbarbetrag vor
diesem Hintergrund und bei dieser Konstellation noch
eine Berechtigung hat.
({2})
Es wäre sicherlich sinnvoll und würde viel mehr bringen, im nächsten Jahr eine Reform der Pflegeversicherung anzugehen. Zum Beispiel sollten die Leistungen für
Demenzkranke aufgenommen werden. Außerdem sollte
dieser ganze Bereich dynamisiert werden. Dadurch
könnten wir für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner der Heime in der Regel viel mehr tun als über
den Zusatzbarbetrag.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
diesen Tagesordnungspunkt wurde nur eine sehr kurze
Debattenzeit angesetzt, sodass ich nur eine sehr kurze
Redezeit habe. Deswegen will ich mich auf drei Punkte
konzentrieren, die für die FDP-Fraktion notwendigen
Schlussfolgerungen aus der Anhörung sind und die sie
als Entschließungsantrag heute vorlegt.
Erstens. Alle Politiker reden sonntags über Bürokratieabbau. Nur die FDP handelt aber auch den Rest der
Woche danach.
({0})
Die Darlehensregelungen, die Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, als Vorschlag zur Abwicklung der Zuzahlung von sozialhilfebedürftigen Heimbewohnern vorlegen, ist jedenfalls ein sehr beredtes Beispiel dafür, warum in Deutschland alles so furchtbar
kompliziert ist. Hier tobt sich rot-grüne Regulierungswut
wieder einmal nach Herzenslust aus. Herr Kollege
Kurth, Sie sollten sich schämen, diese Regelung als praxistauglich zu bezeichnen. Sie ist schlichtweg ungeeignet.
Die Fakten sind: Nach Angaben des AOK-Bundesverbandes gibt es bundesweit circa 232 800 sozialhilfeberechtigte Heimbewohner in vollstationären Einrichtungen. Diese Personen sind fast alle anerkannt
chronisch krank, haben also eine Belastungsgrenze von
1 Prozent. Das heißt, bei rund 36 Euro jährlich ist die
Zuzahlungsgrenze erreicht. Den somit geschätzt etwa
8,4 Millionen Euro möglichen Einnahmen stehen die erheblichen Aufwendungen bei den Krankenkassen und
betroffenen Leistungsempfängern, bei Heimen und/oder
Sozialhilfeträgern gegenüber, zum Beispiel sich jährlich
wiederholende Prüfungen von Einkommenssituationen
und der geleisteten Zuzahlungen, Prüfung des Chronikerstatus, Verrechnung zwischen den Akteuren.
Besonders problematisch ist, dass dieser Aufwand
jährlich immer wieder aufs Neue entsteht. Aus Sicht der
FDP gibt es daher nur eine richtige Lösung, nämlich die
Abschaffung der Zuzahlungspflicht für sozialhilfebedürftige Heimbewohner, wie dies auch bis zum In-KraftTreten der von Rot-Grün und der Union beschlossenen
Gesundheitsreform Gesetzeslage war.
({1})
Zweitens. Der Gesetzentwurf sieht einen Bestandsschutz für den Zusatzbarbetrag für sozialhilfebedürftige Personen vor, die Ende dieses Jahres in Heimen leben. Es ist in der Anhörung deutlich geworden, dass eine
solche Übergangsregelung systemfremd ist und auf sehr
lange Zeit zu Ungleichbehandlungen zwischen Heimbewohnern führen wird.
Wir fordern daher die Abschaffung des Zusatzbarbetrages für alle Heimbewohner ohne Übergangsregelung.
Das ist aus unserer Sicht deswegen sozialverträglich
möglich, weil - das hat auch Staatssekretär Thönnes ausgeführt - zwischenzeitlich mit der Pflegeversicherung
die ursprüngliche Begründung für den Zusatzbarbetrag
entfallen ist; denn wie ich unter Punkt eins meiner Ausführungen vorgetragen habe, wir wollen alle Betroffenen
von der Zuzahlung vollständig befreien und werden damit entsprechende Entlastungen erzielen. Dadurch wird
- das ist gleichfalls ein sehr wichtiger Aspekt - eine
Gleichstellung von ambulanter und stationärer Behandlung bzw. Unterbringung erreicht.
Drittens. Die Unterbringung in stationären Einrichtungen verursacht, wie wir in der Anhörung lernen konnten, einen erheblichen Verwaltungsaufwand, ohne dass
davon die Leistungsempfänger maßgeblich profitieren
würden. Es ist so, dass im Ergebnis in nahezu allen Fällen der tatsächliche Bedarf in stationären Einrichtungen
durch die Grundsicherung nicht gedeckt wird und damit am Ende Leistungen der Sozialhilfe fast immer erforderlich sind.
Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass
das Festhalten an der einheitlichen Anwendung der
Grundsicherung für alle Personengruppen nicht zum
Selbstzweck werden darf.
({2})
Gesetze müssen den Menschen dienen. Deswegen wollen wir, dass der Gesetzgeber von vornherein klarstellt:
Sozialhilfebedürftige in stationären Einrichtungen erhalten bedarfsorientierte Sozialhilfe. Die parallele Berechnung von Grundsicherung und Sozialhilfe wird damit
abgeschafft.
Aus den vorgetragenen Gründen können Sie erkennen, warum wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen
können. Sie aber sollten die Gelegenheit nutzen, noch
vor dem Wochenende wirklich etwas für die in Heimen
lebenden sozialhilfebedürftigen Menschen zu tun und
gleichzeitig einen Beitrag zum Abbau der Bürokratie in
Deutschland zu leisten. Ich fordere Sie auf, dem Antrag
der FDP zuzustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Butalikakis, richtig ist, dass dieses Änderungsgesetz notwendig ist, weil der Vermittlungsausschuss das In-KraftTreten der Neuregelungen des SGB XII um sechs Monate verschoben hat. Uns zu unterstellen, dass wir Änderungen vorlegen müssten, weil der Gesetzentwurf mit
der heißen Nadel gestrickt sei, und so die üblichen Klischees vom rot-grünen Chaos wieder aufzuwärmen, ist
einfach nur Show und wird der Sache nicht gerecht.
Es ist sinnvoll - das ist zwischenzeitlich in der Praxis
angemahnt worden -, einen bundeseinheitlichen Maßstab für den notwendigen Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen zu schaffen. Ich glaube, den Bedarf entsprechend der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung zu definieren ist aus Gründen der
Verwaltungsvereinfachung einfach die beste und gerechtere Lösung. Darin waren sich die Experten einig, sowohl die Sozialhilfeträger als auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
Bisher gab es im Bundesgebiet und den Ländern
selbst als Investitionsbeitrag unterschiedliche Kostenanteile von 2 bis 24 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.
Ihr Vorschlag, dass die Länder durch Rechtsverordnung
Pauschalen festsetzen können, wäre nicht nur aufwendiger, sondern würde den unterschiedlichen lokalen Märkten und Trägersituationen nicht gerecht und es wäre dadurch zu 16 unterschiedlichen Regelungen gekommen.
Wir sind auch den Hinweisen - das hat der Kollege
Kurth bereits angesprochen - der Experten in der Anhörung hinsichtlich der Ehepartner gefolgt,
({0})
die gezwungen sind, aufgrund der stationären Pflege eines Partners in zwei Haushalten zu leben. Die Unterhaltsfreistellung des BSHG wurde in das neue
SGB übernommen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass
das eine sinnvolle Regelung ist.
Einigkeit, Frau Butalikakis und Herr Kolb, herrschte eigentlich auch auf allen Seiten darüber, dass der Zusatzbarbetrag zum Taschengeld für sozialhilfeberechtigte
Heimbewohner systemwidrig ist. Das hätte zu der Zeit,
als Sie an der Regierung waren, geändert werden können. Es gab bereits 1974 von Ihnen den Vorschlag, einen
Einkommensfreibetrag für Rentnerinnen und Rentner
oder für Behinderte mit einem entsprechenden Einkommen zu schaffen. Ich habe 15 Jahre während Ihrer Regierungszeit in einem Sozialamt gearbeitet. Ich frage mich,
warum Sie es nicht im Bundesrat und im Bundestag geschafft haben, diese Regelung einzuführen. Ich bin genauso wie der Kollege Kurth gespannt, wie Sie und die
unionsgeführten Länder das den Kommunen vor dem
Hintergrund der Kostensteigerung von 9,7 Prozent für
Hilfen für Pflegebedürftige in besonderen Lebenslagen
klar machen wollen.
Die persönlichen Ausgaben über die Grundversorgung hinaus können von allen Sozialhilfeberechtigten
mit dem Grundbarbetrag gedeckt werden. Wir schlagen
eine Übergangsregelung vor, weil wir die Meinung der
Betroffenen und der Heimbeiräte eingeholt haben, wonach die Streichung den bisher Berechtigten nicht zumutbar sei. Es gibt allerdings auch andere Beispiele für
Übergangs- und Stichtagslösungen im SGB. Wir meinen, dass wir das Ziel der Gleichbehandlung aller Sozialhilfeberechtigten sukzessive erreichen. Die meisten
Sozialhilfeberechtigten in Heimen bekommen nämlich
kein zusätzliches Taschengeld.
Ich frage Sie, Herr Kolb: Warum hat die FDP einen
solchen Antrag nicht bei der Einführung der Pflegeversicherung gestellt? Es ist ziemlich durchsichtig, zu
fordern, einerseits einen Einkommensfreibetrag zu
schaffen, andererseits die sozialhilfeberechtigten Heimbewohner von sämtlichen Zuzahlungen des GMG zu
befreien.
({1})
Ich bin der Meinung, dass die Regelung, dass wir die
Sozialhilfeträger - die sind dafür zuständig - bundesweit
verpflichten, die Zuzahlungen der Heimbewohner
({2})
aufgrund des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes darlehensweise über ein Jahr sozialverträglich zu strecken,
einen Sinn ergibt.
Es geht Ihnen im Grunde nicht um die Betroffenen.
Es geht Ihnen eigentlich um die OTC-Produkte und darum, dass Ihre Klientel, nämlich die Unternehmen, die
diese verkaufen, ein Einfallstor bekommen, damit sie
staatlich garantierte Gewinne mit Sozialhilfemitteln machen können. Darum geht es. Ich bin der Meinung, dass
das im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Positionen
der FDP im Sozialhilferecht steht.
Die begrenzten Zuzahlungen, auch von Sozialhilfeberechtigten, sind für ein wirtschaftliches Gesundheitssystem und auch mit Blick auf die Geringverdiener und die
überall vorhandene Neigung zur Mitnahme auf Kosten
der Betroffenen sachlich und sozial gerechtfertigt. Deshalb stehen wir auch dazu. Der Lebensunterhalt der Betroffenen wird mit der Sozialhilfereform besser angepasst und gesichert. Die Verwaltung wird vereinfacht
({3})
und die Hilfen zur Selbsthilfe werden wie der Grundsatz
„ambulant vor stationär“ gestärkt. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt.
({4})
Sie sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht.
Deswegen unterstützen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen, unseren Gesetzentwurf, damit mit diesem Änderungsgesetz der Weg für eine notwendige und umfassende Reform des Sozialhilferechts zum 1. Januar 2005
frei gemacht wird.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/3673. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3977, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und den Stimmen der CDU/CSUFraktion bei Zustimmung der FDP-Fraktion.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 9
auf:
22 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta
Däubler-Gmelin und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe,
Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ernährung als Menschenrecht
- Drucksache 15/3956 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Bernhard Schulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen
({2}), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Welternährung sichern - eine globale Verantwortung für die nationale und europäische
Agrarpolitik
- Drucksache 15/3940 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({3})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! In dieser Debatte geht es um das Recht
auf Nahrung. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die
Versorgung mit ausreichender und angemessener Nahrung zu den grundlegenden Menschenrechten gehört.
Wie aber stellt sich die gegenwärtige Situation dar?
Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der FAO, leiden
weltweit noch immer fast 900 Millionen Menschen an
Unterernährung. Die Ursachen des Hungers sind vielschichtig. Sie reichen von Unruhen und bewaffneten
Konflikten bis hin zu Naturkatastrophen, Armut und
Krankheit. Umso mehr kommt es auf den politischen
Willen aller an, Erfolg versprechende Schritte einzuleiten. Wichtig ist es, dass sich alle darum bemühen, dem
Hunger strukturell den Kampf anzusagen.
Ich messe den internationalen Leitlinien zum Recht
auf Nahrung eine große Bedeutung bei. Die Verhandlungen dazu wurden Ende September in Rom erfolgreich
abgeschlossen. Das Entscheidende ist dabei, dass erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen eine solche zwischenstaatliche Rahmenvereinbarung zu einem
UN-Recht zustande gekommen ist, in der für die einzelnen Länder definiert worden ist, was als „gutes Regierungshandeln“ gegenüber der eigenen Bevölkerung anzusehen ist.
({0})
Das in der Geschichte der Vereinten Nationen bisher
einmalige Instrument ist in einen umfassenden Entwurf
zur Hungerbekämpfung integriert, dessen menschenrechtliches Instrumentarium es den Betroffenen erlaubt,
die Erfüllung der politischen Verpflichtungen vor Gericht einzuklagen. Mit solchen und weiteren Maßnahmen werden praktische Wege aufgezeigt, wie das Recht
auf Nahrung schrittweise für alle Menschen verwirklicht
werden kann.
Ich freue mich, dass das Bundesverbraucherministerium - nachdem der Bundestag die erforderlichen Mittel
zur Verfügung gestellt hat - die Möglichkeit hatte, diesen Prozess mit zu initiieren und finanziell zu unterstützen. Es waren ein starker politischer Wille und auch Beharrlichkeit notwendig, um die Leitlinien zu erarbeiten.
Auch die G-77-Staaten und der Vorsitzende der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, der iranische FAO-Botschafter, haben bemerkenswerte Beiträge geleistet. An
dieser Stelle möchte ich mich besonders bei dem Generaldirektor der FAO, Herrn Diouf, bedanken, den wir übrigens heute in diesem Haus begrüßen dürfen. Er sitzt
zusammen mit Herta Däubler-Gmelin auf der Tribüne.
Herzlich willkommen!
({1})
Ich möchte ebenfalls herausstellen, dass NGOs, zum
Beispiel die Menschenrechtsorganisation FIAN International, einen großen Teil der Arbeit geleistet haben, genauso wie viele Abgeordnete dieses Hauses, die diesen
Prozess begleitet haben, sowie Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter meines Hauses, der UN, des Auswärtigen
Amtes und der GTZ.
Die Leitlinien sind etwas Besonderes. Sie haben nämlich das Potenzial, den Teufelskreis aus Hunger und Armut aufzubrechen und im Zusammenhang mit bestimmten Regierungsformen und -maßnahmen und einer
anderen Verteilung des Profits innerhalb eines Landes
dafür Sorge zu tragen, dass Armut bekämpft wird und
dass die betroffenen Menschen Zugang zu Wasser, Land,
Saatgut und Bildung haben und sich Perspektiven erarbeiten können. Bevor im kommenden November die offizielle Verkündung erfolgt, wissen wir schon jetzt - das
ist der nächste Schritt -, dass es darum geht, das Recht
auf Nahrung in den einzelnen Ländern durchzusetzen
und dafür Sorge zu tragen, dass internationale Organisationen in dieses Konzept eingebunden werden. Deutschland wird diesen Prozess nach Kräften weiter unterstützen.
Vor zwei Tagen haben wir hier in Berlin die dritte
Konferenz „Politik gegen Hunger“ eröffnet. Nachdem
wir im letzten Jahr über Nahrungsmittelhilfen geredet
haben, geht es in diesem Jahr um die WTO-Verhandlungen in Genf. Auch die WTO-Verhandlungen müssen
sich an ihrem Erfolg bei der strukturellen Hungerbekämpfung messen lassen. Es darf nicht einfach nur um
Liberalisierung gehen nach dem Motto: Der Stärkste,
also derjenige, der am meisten exportiert, wird gewinnen. Vielmehr muss man sich fragen, ob das den Hungernden, den Landlosen und den Arbeitslosen weltweit
hilft und ihren Zugang zu Finanzmitteln erleichtert. Deshalb muss die WTO einen makroökonomischen Rahmen
schaffen, der gerade den Menschen im ländlichen Raum
Perspektiven gibt.
({2})
Vergessen wir nicht, dass ungefähr 70 Prozent aller
Menschen auf der Welt hungern. 70 Prozent von über
800 Millionen leben auf dem Lande, arbeiten teilweise
sogar in der Landwirtschaft für den Export und haben
trotzdem nicht das Geld bzw. produzieren nicht genügend Lebensmittel, um sich selbst und ihre Familien zu
ernähren. Wir dürfen nicht nur international Gerechtigkeit üben und etwas implementieren, sondern wir müssen auch in Europa etwas bewegen, zum Beispiel eine
Zuckermarktreform durchzuführen.
({3})
Bei einer solchen Reform müssen wir sowohl die Situation der Menschen in den Produzentenländern als auch
die Arbeitsplätze bei uns im ländlichen Raum im Blick
behalten. Die Aufgabe wird sein, diese Reform so intelligent und kreativ zu machen, dass die Menschen sowohl
in den Produzentenländern als auch bei uns nach einer
Übergangsphase eine Zukunft haben.
Mit den Leitlinien zum Recht auf Nahrung haben wir
einen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt geht es darum,
diese Leitlinien umzusetzen und bei der WTO aktiv zu
werden. Jeder Mensch hat das Recht auf ausreichende
und gesunde Nahrung. Wir stehen zwar erst am Anfang,
aber ich freue mich, dass die hier Anwesenden auch in
Zukunft an der Erreichung dieses Zieles arbeiten wollen.
({4})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Bernhard Schulte-Drüggelte von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal eine Tageszeitung im Jahre
2015 vor. Die Schlagzeile wird wahrscheinlich lauten:
Das Ziel der Vereinten Nationen wurde verfehlt; eine
Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahre 2015
wurde nicht erreicht. Im Fließtext könnte man lesen:
Schon auf einer Konferenz in Berlin im Oktober 2004
wurde vorausgesagt, dass man dieses Ziel verfehlen
wird, wenn nicht gehandelt wird und wenn die Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern nicht gestärkt
wird. Wir wollen nicht bis 2150 warten, wie es der Generaldirektor der FAO, Dr. Jacques Diouf, heute Morgen
in einem Gespräch gesagt hat. Auch ich freue mich sehr,
dass Jacques Diouf die heutige Debatte von der Tribüne
aus mitverfolgt.
({0})
Die Leitlinien zu einem Recht auf Nahrung und der
Aktionsplan 2015 sind wichtige Ziele. Die Regierungen
der Entwicklungsländer werden sich künftig an der Einhaltung dieser Leitlinien messen lassen müssen. Das
Problem ist jedoch, dass die Maßnahmen ihre volle WirBernhard Schulte-Drüggelte
kung kaum entfalten können, wenn sie nicht mit einer
kohärenten Entwicklungspolitik der Industrieländer einhergehen.
Die deutsche Entwicklungspolitik ist insofern kein
Vorbild. Die Entwicklungshilfe betrug 2003 gerade einmal 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach einem EU-Beschluss soll sie 2006 schon 0,33 Prozent betragen. Die Bundesrepublik hält ihre Verpflichtungen
nicht ein, wenn sie die gegenwärtige Politik fortsetzt.
Die Bundesregierung leistet auf diese Weise keinen
glaubwürdigen Beitrag zur Verwirklichung der Millenniumsziele.
({1})
Derzeit sind über 800 Millionen Menschen unterernährt, davon sind 180 Millionen Kinder. Wie wir heute
Morgen noch einmal eindringlich gehört haben, sterben
14 000 Kinder am Tag an Unterernährung. Diese Zahl
muss uns doch erschrecken und zum Umdenken bewegen.
Die Hauptproblemregionen sind Südasien und Afrika
südlich der Sahara. Rund 70 Prozent dieser Menschen
leben auf dem Lande; da bestätige ich die Aussage der
Ministerin.
({2})
- Bitte, Frau Wolff.
Herr Kollege, Sie haben die Frage, ob Sie die Zwischenfrage zulassen, schon beantwortet.
Entschuldigung.
Das macht nichts.
Bitte schön, Frau Wolff.
Herr Kollege Schulte-Drüggelte, Sie reden so vollmundig davon, dass die Bundesregierung ihrem Ziel
nicht gerecht werden kann. Wir alle hier im Saal wissen
doch, dass sich die Erreichung der Ziele vorrangig im
Bereich der Agrarpolitik entscheidet. Ich nenne bloß ein
Beispiel: Zuckermarktordnung. Darf ich davon ausgehen, dass Ihre Fraktion bereit sein wird, mit Blick auf die
WTO insofern entscheidende positive Schritte mitzugehen?
({0})
Ich habe gerade die Daten genannt, wie sie im Haushalt abzulesen sind. Welche Vorstellungen die Regierung
hat, ist eine Seite; was sie tatsächlich tut - das ist Fakt;
das wird von Ihnen auch nicht bestritten -, ist die andere
Seite. Wenn die Zuckermarktordnung in Europa verändert wird, dann - der Meinung bin ich ganz entschieden - müssen auch die Interessen der AKP-Staaten
berücksichtigt werden; insbesondere müssen Übergangsfristen geschaffen werden. Das entspricht den Forderungen der AKP-Staaten, wie sie zumindest mir bekannt geworden sind.
({0})
Das Problem ist, dass die Wachstumsrate der Weltbevölkerung bei 1,3 Prozent pro Jahr liegt. Das entspricht einem Zuwachs um 80 Millionen Menschen jährlich. Dieses Wachstum der Weltbevölkerung findet
hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern
statt. Die damit einhergehende rapide steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln trifft auf nur begrenzt vorhandene Ressourcen an Ackerland und insbesondere an
Wasser.
Die Konsequenzen sind aus meiner Sicht ganz klar:
Bei wachsender Weltbevölkerung ist es notwendig, die
Produktivität landwirtschaftlicher Flächen nachhaltig zu
erhöhen. Die Studien der FAO belegen, dass die Mehrproduktion von Nahrungsmitteln zu 80 Prozent aus höheren Flächenerträgen resultieren muss. Die nachhaltige
Sicherung der Ernährung und die Reduzierung der Armut wird die vordringliche Aufgabe dieses und des
nächsten Jahrhunderts sein. Die Herausforderungen
sind Produktivitäts- und Leistungssteigerung, Verbesserung der Nahrungsmittelqualität, Reduktion der Kosten
landwirtschaftlicher Erzeugung, Schutz der Umwelt und
der natürlichen Ressourcen sowie Zugang zu Märkten
und Technologien. Aber dieser Weg ist forschungs- und
wissensintensiv. Die Agrarforschung, insbesondere die
Grüne Biotechnologie, hat das Potenzial, entscheidend
zur Lösung dieses Problems beizutragen.
({1})
Dieser Weg erfordert verstärkt Investitionen und Anstrengungen in angewandter Agrarforschung und in der
Innovationsentwicklung. In diesem Land sollte die Diskussion daher möglichst sachgerecht und nicht nur auf
ideologischer Basis geführt werden.
({2})
Als wesentliche Ursachen für die Schwierigkeiten in
den Entwicklungsländern gelten neben Instabilität und
Naturkatastrophen - Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade gutes Regierungshandeln an - schlechtes Regierungshandeln. Wir wissen ja - um es noch einmal
anzusprechen -, dass ein solches Verhalten nicht auf
Entwicklungsländer beschränkt ist.
({3})
- Ja.
Zudem sollte es ein Ziel europäischer Handelspolitik
sein, dass die fortschreitende Liberalisierung der Weltagrarmärkte auch den Entwicklungsländern Vorteile
bringt, ohne das europäische Agrarmodell zu gefährden.
Die Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern braucht
jedoch ausreichende Unterstützung, um am internationalen Handel erfolgreich teilnehmen zu können. Sie
braucht einen fairen Wettbewerb.
Wie wir auf der jetzt in Berlin stattfindenden Tagung
gehört haben, fördert der Handel Produktivitätssteigerungen. Produktivitätssteigerungen fördern das Wachstum. Wachstum steigert das Einkommen und reduziert
Hunger und Armut. Das heißt, die Bundesregierung
muss der Agrarentwicklungshilfe insgesamt einen deutlich höheren Stellenwert beimessen.
({4})
Das Motto lautet: Agrarforschung bei der Entwicklungszusammenarbeit verstärken und globale Verantwortung
für die Welternährung übernehmen.
Ich darf noch einmal Jacques Diouf zitieren:
Eine Welt mit weniger Armut und weniger Hunger
ist auch eine stabilere Welt mit mehr Frieden.
Wir tragen auch Verantwortung, wenn wir nicht handeln.
Danke.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhold Hemker von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Zunächst einmal möchte auch ich meinen Dank all denjenigen aussprechen, die an der Erarbeitung der Leitlinien zum Recht auf Nahrung mitgewirkt haben;
Dr. Diouf ist namentlich schon genannt worden. Frau
Ministerin, ich richte meinen Dank aber auch an diejenigen, die insbesondere auf deutscher Seite ihren Beitrag
geleistet haben, nicht nur finanziell, sondern über mittlerweile zwei Jahre auch inhaltlich. Wir können nun froh
sein, dass uns seit etwa vier Wochen das Ergebnis vorliegt. Herzlichen Dank!
({0})
Die dieser Debatte vorausgegangene Ausschusssitzung heute Morgen hat noch einmal deutlich gemacht,
wie komplex die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen Handelsliberalisierung und Ernährungssicherung ist. Die Bedeutung von Infrastruktur - ich denke an
die Verteilung von Produktionsmitteln in den jeweiligen
Ländern und weltweit, an Dünger und an den Zugang zu
Wasser, Stichwort Produktionssteigerung - wird uns das ist zumindest mir und den Teilnehmern der Sitzung
vor dem Hintergrund der Ausführungen von Dr. Diouf
klar geworden - in den nächsten Jahren immer wieder
neu beschäftigen. Auch für diese Ausführungen sage ich
an dieser Stelle herzlichen Dank.
Mir ist wichtig, klar zu machen, dass uns aufgrund
der seitens der FAO erarbeiteten Richtlinien seit 1999
eine Definition dessen vorliegt, was eigentlich das
Recht auf Nahrung ist. Das muss nun in alle Politikbereiche Eingang finden, nicht nur in den von uns vertretenen Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, sondern auch in die Bereiche wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umwelt, Soziales, Wirtschaft
usw.
Ich rufe in Erinnerung, was wir in der Debatte am
29. Januar gesagt haben. Damals standen wir am Anfang
der Diskussion. Wir haben gesagt: Menschen müssen
weltweit jederzeit durch Eigenproduktion und/oder Kauf
ausreichend Zugang zu angemessener Nahrung haben.
Wir haben zum Ausdruck gebracht: Diese Nahrungsmittel dürfen keine schädlichen Inhaltsstoffe haben. Vor allem müssen die Nahrungsmittel ausgewogen, gesund
und der jeweiligen Kultur angemessen sein. Was die
Staaten, die sich an diesen Richtlinien nun neu orientieren, angeht, ist dabei von drei Grundverpflichtungen
auszugehen: Erstens muss der bereits jetzt bestehende
Zugang zu Nahrungsmitteln respektiert werden; das gelingt nicht überall. Er muss zweitens geschützt und drittens langfristig gewährleistet werden.
Ausgehend von dieser Definition beschreiben die
Leitlinien im Sinne einer Selbstverpflichtung - das
muss noch einmal betont werden - die Handlungsfelder
und die Rahmenbedingungen, die zu schaffen sind.
Heute Morgen hat eine Kollegin nach der lokalen Zuständigkeit gefragt. Dieser Ansatz ist richtig. Der Rahmen geht von den Local Governments über die regionale, nationale und internationale bis hin zur globalen
Ebene. Von daher gesehen ist die Wahrnehmung von
Verantwortung gemäß der lokalen Agenda, über die wir
seit der Rio-Konferenz bei uns diskutieren - viele deutsche Gemeinden nehmen sie ja schon wahr -, eine ganz
wichtige Angelegenheit, die auch vonseiten der Bundesregierung zu unterstützen ist. Das geschieht ja auch, Frau
Ministerin.
Darüber hinaus besteht in den beiden heute vorliegenden Anträgen, sowohl im Antrag der Koalitionsfraktionen als auch im Antrag der CDU/CSU, Konsens auch
bezüglich der Notwendigkeit der Einbindung in andere
global ausgerichtete Politikbereiche. In der in beiden
Anträgen vorgenommenen Bewertung wird dies deutlich. Natürlich ist die jeweilige Schwerpunktsetzung in
mancher Hinsicht unterschiedlich. Es wird ja auch Gegenstand der Fachdebatten in den Ausschüssen sein,
welche Schwerpunkte denn nun in den nächsten Jahren
prioritär gesetzt werden sollen. Ich verweise vor diesem
Hintergrund auf die notwendige Einbindung von Themenfeldern, die wir schon in früheren Debatten hier im
Bundestag, nicht zuletzt auch auf Basis der in einem großen Kompendium zusammengefassten Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission
„Globalisierung der Weltwirtschaft“ formuliert haben. Wir sind dabei, die von dieser Kommission beschlossenen Empfehlungen abzuarbeiten, so zum Beispiel, Frau Ministerin, die Schaffung einer nachhaltigen
Agrar- und Ernährungswirtschaft im Zuge der EUAgrarreform, die Förderung fairer Bedingungen bei ProReinhold Hemker
duktion und Handel, wobei hier insbesondere die Verantwortung der Konsumenten in den reichen Ländern, die
die Produkte der ärmeren Länder kaufen, eine Rolle
spielt, und, was ganz wichtig ist, die Schaffung tragfähiger Rechtsverhältnisse im Sinne der Prinzipien von
Good Governance und vieles mehr. Hierzu enthalten die
Leitlinien auch sehr deutliche Aussagen.
Vor dem Hintergrund unserer eigenen Arbeit in diesem Parlament, die vielfältige Anregungen auch für die
Arbeit der Bundesregierung gegeben hat, sind wir mit
dem in Rom im letzten Monat erzielten Arbeitsergebnis
zufrieden, aber natürlich nur, wie das der Kollege
Schulte-Drüggelte schon angedeutet hat, vorerst zufrieden. Wir können heute nämlich zunächst einmal nur von
einer Willenserklärung sprechen. Gemäß dem Verständnis der Leitlinien kann Ernährung nun allerdings ganz
explizit als Menschenrecht bezeichnet werden; denn darauf haben sich mehr als 120 Staaten dankenswerterweise
geeinigt. Das wird dazu führen, dass die verschiedenen
Politikbereiche noch besser als in der Vergangenheit miteinander abgestimmt werden müssen. Auch darauf wird
ja im Antrag von CDU/CSU verwiesen.
Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um
die Anwendung des Kohärenz- und Nachhaltigkeitsprinzips in allen Bereichen und Ebenen der Politik; in
unserem Fall heute geht es um die fast zwei Milliarden
hungernden und verelendenden Menschen vorwiegend
in den armen Ländern der Welt. Mitarbeiter von Menschenrechts- und Solidaritätsaktionen haben die Leitlinien wegen des Menschenrechtsansatzes schon in verschiedenen Veröffentlichungen der letzten Wochen als
starken Hebel zur Bekämpfung des Hungers bezeichnet.
Das zeigt ihren Stellenwert für die Arbeit derjenigen, die
sich Tag für Tag für die Ärmsten der Welt einsetzen.
Wenn man beide Anträge genau studiert, stellt man
fest, dass sie auf den Grundwiderspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit verweisen. Da wird zwar immer wieder Freiheit, Land und Brot zum Beispiel für
landlose Bauern gefordert, aber die Wirklichkeit ist weit
davon entfernt. Diejenigen, die Land bewirtschaften
wollen, werden nach wie vor in vielen Ländern dieser
Welt vom Land vertrieben. Mit Blick auf die ILO-Vereinbarungen wird zwar immer wieder eine angemessene
Bezahlung von geleisteter Arbeit gefordert, aber noch
immer werden in einem großen Teil, wenn nicht im
größten Teil der Entwicklungsländer Löhne von unter
1 US-Dollar pro Tag gezahlt und nicht nur in freien Produktionszonen sind Menschen nicht selten gezwungen,
sogar ohne Bezahlung zu arbeiten. Das ist nach wie vor
ein internationaler Skandal.
({1})
Sozialstandards werden verweigert. Es wird verlangt,
dass der Mutterschutz weltweit berücksichtigt wird, aber
in vielen Ländern - im Übrigen auch in den von mir genannten freien Produktionszonen - werden schwangere
Frauen sofort entlassen. Das ist ein weiterer Skandal.
Das Verbot des Sprühens von hochgiftigen Pestiziden
wird zwar als notwendig erachtet, aber es kommt weiterhin massenhaft zu Vergiftungen, insbesondere auf den
Blumenplantagen. Man muss wissen, dass ungefähr
30 Prozent der Schnittblumen, die bei uns verkauft werden, von solchen Plantagen kommen.
Auf der einen Seite werden Frauen als Förderinnen
und Trägerinnen von Entwicklung insbesondere in der
Nahrungsmittelproduktion angesehen, auf der anderen
Seite aber werden Frauen weltweit durch unsichere
Rechtsstellung und die Verweigerung von Eigentumsrechten, zum Beispiel bei Besitz von Grund und Boden
für die Bewirtschaftung von Land, diskriminiert.
Diese und andere Beispiele zeigen: Es ist noch ein
weiter Weg bis zur Herstellung der politischen Rahmenbedingungen für die Überwindung des Grundwiderspruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dem
von uns heute debattierten Bereich.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, mit den Leitlinien
zum Recht auf Nahrung gibt es einen neuen Hebel auf
nationaler und internationaler Ebene zur Durchsetzung
der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte
von Menschen. 38 Jahre nach dem damaligen Pakt zu
diesen Rechten, der zu wenig Anwendung fand, gibt es
jetzt vielleicht einen Erfolg versprechenden Neuanfang.
Alle in den Anträgen gemachten Vorschläge werden in
den Fachberatungen vieler Ausschüsse eine, wie ich
hoffe, wichtige Rolle spielen.
Dem Generalsekretär der FAO möchte ich von dieser
Stelle aus sagen: Das deutsche Parlament - nicht nur diejenigen, die heute Morgen als Fachpolitikerinnen und
Fachpolitiker hier sind, sondern alle -, ja Deutschland
wird ein guter Partner derjenigen sein, die gemeinsam
mit der FAO für die Verbesserung der Welternährungssituation eintreten. Ich bin sicher, dass wir, wenn wir zusammenstehen, Schritt für Schritt weiterkommen.
Herzlichen Dank.
({2})
Als nächster Redner hat der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Ich wollte eigentlich mehr auf das Miteinander zu
sprechen kommen, als über Agrardiesel reden. Über
Agrardiesel reden wir dann, wenn das Thema Agrardiesel ansteht. Jetzt geht es um Welternährungsprobleme
und deshalb reden wir auch darüber.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde es gut, dass wir uns heute in einem
parlamentarischen Einstieg über diese Dinge austauschen. Die Kollegen, die hier schon geredet haben, haben ihre intensiven Kenntnisse und die Qualität, die sie
bei diesem Thema zu bieten haben, zum Ausdruck gebracht. Ich habe großen Respekt vor dem, was die einzelnen Redner hier ausgeführt haben.
Ich glaube, dass wir uns bei diesem Thema an keiner
Stelle auseinander dividieren sollten, sondern ernst machen sollten mit unserem politischen Willen, das Recht
auf Nahrung für die Menschen zu realisieren, die von
den Welternährungsproblemen betroffen sind.
Wir haben eine generelle Pflicht; ich glaube, die beiden Anträge bringen das zum Ausdruck. Ich muss ehrlich sagen: Nachdem ich den CDU/CSU-Antrag gelesen
hatte, sah ich für meine Fraktion keinen Bedarf mehr für
einen eigenen Antrag. Es ist ein exzellenter Antrag, der
die Bereiche abdeckt, die hier zu diskutieren sind. Wir
werden das im Ausschuss tun und dann die richtigen
Schlüsse ziehen.
Richtig ist: Für viele Menschen ist die Ernährungssituation höchst dramatisch. Aber wir dürfen nicht nur ein
Schreckensszenario aufzeigen, sondern wir müssen auch
die vielen Chancen erkennen. Dazu muss der eine oder
andere - ich werde es auf jeden Fall tun - seinen Informationsstand verbessern. Als wir in Rom bei der FAO
waren, war ich von der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und von der Aussagekraft der Materialien, die uns an
die Hand gegeben wurden, sehr beeindruckt.
So dramatisch die Situation auch ist, so gut ist die
Perspektive, wenn man das macht, was notwendig ist.
Wir haben große Chancen, dem Hunger in der Welt aktiv
zu begegnen, wenn wir die richtigen Weichenstellungen
vornehmen. Die Zuckermarktreform ist ein Baustein.
Aber es geht um viel mehr. Es geht im Grunde genommen darum, in allen Bereichen das Miteinander zu stärken und das „Fördern und Fordern“ umzusetzen. Wir
müssen auf der Grundlage der Erkenntnisse der FAO
konkret handeln, damit die Hilfe wirksam wird. Ich
glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig.
Ich war sehr beeindruckt, als ich feststellte, dass aus
diesem gesamten Komplex auch Chancen für Bereiche
entstehen, die wir immer wieder kritisch hinterfragen.
Die Weltbevölkerung und damit der Lebensmittelbedarf
wachsen auch in den nächsten Jahren. Wir können aber
große Schritte unternehmen, damit mehr Lebensmittel
bereitgestellt werden. Wir müssen durch Anreize und
wirtschaftliche Hilfe zunächst dafür sorgen, dass diejenigen, die kein Geld haben, in die Lage versetzt werden,
sich etwas zu kaufen. Wir müssen die Eigenkräfte der
Menschen stärken und den betreffenden Ländern den
Marktzugang ermöglichen. Da heißt es demnächst:
Butter bei die Fische. Das weiß jeder von uns, der sich
mit dem Thema Zuckermarktreform beschäftigt.
Wir müssen aber auch die Angebotsproblematik im
Auge haben. Die Erträge müssen gesteigert werden. Wir
müssen damit aufhören, die intensive Landwirtschaft
zu diskriminieren.
({0})
Intensive Landwirtschaft, die Grüne Gentechnik, intensive Formen der sachgerechten Düngung, kluge Bewässerung und Einsatz von moderner Technik werden dazu
beitragen, die Erträge zu steigern. Wir müssen die Erträge steigern, weil die Weltbevölkerung wächst. Die
eine oder andere Fläche muss möglicherweise noch zusätzlich genutzt werden. Dabei müssen wir immer im
Auge behalten, dass dies alles auf nachhaltige Weise geschieht. Dazu sind wir gerne bereit.
Bitte nicht den Produktionsfortschritt diskreditieren,
sondern durch ein kluges Miteinander in diesen Bereichen die Leistungsfähigkeit stärken, die Nachhaltigkeit
im Auge haben und die Realisierung der Maßnahmen
vor Ort!
({1})
Natürlich ist gutes Regierungshandeln dafür eine
Grundvoraussetzung. Aber auch wir können etwas dafür
tun, indem wir zum Beispiel die Grüne Gentechnik für
diesen Bereich als Chance begreifen. Wir sollten sie in
unserem hoch qualifizierten Land erproben und weiterentwickeln. Aus diesen Erkenntnissen heraus können
Lösungen erarbeitet werden, die den Betroffenen vor Ort
helfen.
Wir sollten uns darin einig sein, dass nicht alles kaputtgemacht und zerstört werden darf. Wir müssen die
Kräfte bündeln, um diesem Problem insgesamt zu begegnen. In diesem Sinne werden wir die Ausschussberatungen begleiten. Ich hoffe, dass wir da ein Stück weiterkommen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Generaldirektor Diouf! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Jede Gesellschaft, ob in den Industrienationen
oder in den Entwicklungsländern, wäre ohne die Arbeit
und den Einsatz ihrer Bäuerinnen und Bauern ein ganzes
Stück ärmer. Es gibt wohl keine andere Berufsgruppe,
die so stark vom Wetter, vom Markt und von der Politik
abhängig ist. Deshalb brauchen alle Bauern auf der Welt
faire Rahmenbedingungen statt idyllischer Scheinkulissen.
({0})
Was nutzen Bilder von strahlenden Ökobauern, wie
sie bei der Ministerreise in China präsentiert wurden?
Sie helfen nicht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen.
Wenn ich weiß, dass die Ressourcen Ackerland und
Wasser begrenzt vorhanden sind, wenn ich weiß, wie
wichtig die eigene Wirtschaft und die Landwirtschaft für
den Lebensstandard und die Lebensqualität im Land
sind, brauche ich andere Lösungsansätze.
({1})
Hungerkrisen sind komplex. Aber Tatsache ist, dass
die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt steigt.
Ob Naturkatastrophen, Armut, weit verbreitete KrankMarlene Mortler
heiten oder die angesprochenen menschengemachten
Ursachen wie Krieg, Misswirtschaft und politische Fehlentscheidungen korrupter und diktatorischer Regime, sie
sprechen eine deutliche Sprache. Traurige Beispiele der
jüngsten Zeit sind Sudan, Haiti und Simbabwe.
Eine Gegenüberstellung von Getreideernte und Getreidebedarf der von der Hungersnot 2002/2003 am
stärksten betroffenen Staaten verdeutlicht dies: In Simbabwe wurden in diesem Jahr 2 Millionen Tonnen Getreide geerntet. Theoretisch benötigt die eigene Bevölkerung nur 500 000 Tonnen Getreide. Trotzdem hungerten
dort die Menschen, weil das Getreide sie nie erreicht hat.
Vor diesem Hintergrund können und müssen die im
September verabschiedeten Leitlinien der FAO zur Hungerbekämpfung mit ihrer Forderung nach einem guten
Regierungshandeln an Bedeutung gewinnen. Diese
Selbstverpflichtungen, die mehr als 120 Länder unterschrieben haben, richten sich an die jeweiligen Regierungen und machen deutlich, wo als Erstes die Verantwortung bei der Hungerbekämpfung liegt. Nur in
Ländern mit ausreichenden rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann die internationale Staatengemeinschaft bei der Sicherung der Ernährung wirklich und nachhaltig helfen. Dies geschieht
sicherlich immer wieder kurzfristig durch Nahrungsmittelhilfe. Aber langfristig muss in den hungergefährdeten
Ländern die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion
im Vordergrund stehen.
Leistungsfähige landwirtschaftliche Produktionssysteme, die die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllen,
müssen weiterentwickelt werden. Hier gibt es verschiedene Mittel, die zum Ziel führen. Aber auch ich unterstütze die Aussage von Herrn Hemker, der deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, dass sich die Menschen vor
Ort aus eigener Kraft helfen
({2})
oder dass wir beim Aufbau kleiner landwirtschaftlicher
Einheiten unterstützend mitwirken.
Vor allem aber sollten die Ergebnisse der modernen
Agrarforschung genutzt werden, wie wir in unserem
Antrag - Stichwort: Biotechnologie - fordern. Im Gegensatz dazu steht der Antrag der Regierungskoalition,
über den - ich zitiere Bundesminister Schily: „Ein solcher Unfug rettet keinen einzigen Erdenbürger vor dem
Hungertod“ - in Ihren Reihen wohl sehr unterschiedlich
diskutiert wird. Ein zweiter Satz von ihm lautete: Ich
verstehe manchmal wirklich nicht mehr, was wir hier eigentlich machen. - Das lasse ich einmal so im Raume
stehen.
Die immer größer werdende Schere zwischen Arm
und Reich wird auch der vorliegende Antrag nicht
schließen. Ich stehe voll hinter Aussagen des Weltbauernverbandes, der sagt: Wenn man Hunger und Armut
auf der Welt beseitigen will, muss man mit denjenigen
reden und zusammenarbeiten und diejenigen stärken, die
Nahrungsmittel produzieren. Ich füge hinzu: Das sind
die Bauern und die bäuerlichen Organisationen und
nicht, wie von Frau Künast praktiziert, die NGOs im Bereich Umwelt und Entwicklung.
({3})
Ich begrüße die Aussage von Frau Künast, die gestern
und heute gesagt hat: Deutschland wird die treibende
Kraft bei der Zuckermarktreform sein.
({4})
Wir sollten uns nach wie vor vor Augen halten, dass die
Nutznießer einer ungezügelten Liberalisierung wenige
Zucker produzierende Familien in Brasilien sind. Feudalistische Strukturen und großflächige Plantagenwirtschaften haben dazu geführt, dass Brasilien bereits der
weltgrößte Zuckerexporteur ist. Niedrige Löhne, weitgehend rechtlose Landarbeiter und eine massive Belastung
der Umwelt konnten dazu führen, dass Brasilien als
Weltzuckerlieferant einen ungehemmten Verdrängungswettbewerb betreiben konnte.
Ich begrüße ausdrücklich die weitere Aussage von
Frau Ministerin, die gesagt hat: Wir müssen auch auf die
Arbeitsplätze in unserem Land schauen. Auch das ist ja
eine wichtige Forderung der Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten. Die zentrale Forderung in unserem
Antrag lautet ja, dass die fortschreitende Liberalisierung
der Weltagrarmärkte so gestaltet werden sollte, dass sie
besonders den ärmsten Entwicklungsländern zugute
kommt, dass andererseits unser europäisches Agrarmodell mit seinen hohen Standards in Bezug auf Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz nicht gefährdet wird.
({5})
Die Zukunft war früher auch besser, hat Karl Valentin
einmal gesagt. Aus Sicht der Entwicklungsländer wäre
eine Entwicklung, wenn sie in der von mir beschriebenen Richtung verlaufen würde, eine Katastrophe. Deshalb gibt es keine Alternative zu verantwortungsvollem
Handeln.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 15/3956 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Vorlage auf
Drucksache 15/3940 soll an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es
dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von
Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen
({0})
- Drucksache 15/3594 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Mir liegen widersprüchliche Informationen dazu vor,
ob die Reden zu Protokoll genommen werden sollen
oder ob sie gehalten werden sollen.
({2})
Jeder, der sprechen will und als Redner gemeldet ist,
kann natürlich sprechen.
Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen Dirk
Manzewski von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute über einen Gesetzentwurf des Bundesrates, den Entwurf eines so genannten Forderungssicherungsgesetzes. Ziel dieses Gesetzes soll es sein, berechtigte Forderungen von Handwerkern schneller und
leichter zu sichern. So löblich ich persönlich dieses Anliegen des Bundesrates finde, so deutlich muss ich allerdings auch sagen, dass ich erhebliche Bedenken habe, ob
mit diesem Gesetzesentwurf das damit verbundene Ziel
tatsächlich erreicht wird. Es ist ja nun nicht das erste
Mal, dass wir uns hier über diese Thematik unterhalten.
Ich erinnere daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit
das so genannte Gesetz zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen beschlossen haben. Man muss ehrlicherweise eingestehen - das war auch das Ergebnis der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“, die daraufhin eingesetzt worden ist -, dass
es eben nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Wir
waren uns allerdings darin einig - wenn ich einmal von
der Fertigstellungsbescheinigung absehe -, dass die Erwartungen ohnehin nicht so hoch waren. Es hat auch
noch weitere Gesetzesentwürfe gegeben. Frau Voßhoff,
ich erinnere an das von der Union vorgeschlagene Bauvertragsgesetz, das damals im Grunde genommen schon
an seinem ersten Paragraphen scheiterte, in dem es hieß,
dass dieses Gesetz nur für Gewerke an einem Bau gelten
solle. Relativ schnell wurde allerdings deutlich, dass all
diejenigen Handwerker nicht berücksichtigt wurden, die
Gewerke für einen Bau liefern. Sie erinnern sich auch,
dass der gesamte Einfamilienhausbau von den Regelungen ausgeschlossen werden sollte. Die Handwerker reagierten dementsprechend wütend, weil sie an dieses Gesetz ganz andere Erwartungen hatten. Damals hieß die
prozessuale Wunderwaffe Vorabentscheidung; die Bauhandwerkersicherungshypothek sollte abgeschafft werden. Auch das Gesetz zur Sicherung von Bauforderungen sollte - bis auf die Vorschriften, die ins BGB
übernommen werden sollten - aufgehoben werden. Sie
werden sich sicher daran erinnern.
Danach gab es ein weiteres Gesetz, das von SachsenAnhalt eingebracht wurde: das Vorleistungssicherungssicherungsgesetz, das dann relativ schnell aufgegeben
wurde. Dort sollte das Instrument der Fertigstellungsbescheinigung, ein Ungetüm, noch weiter ausgebaut werden.
Dann kam die erste Version des Forderungssicherungsgesetzes der Union. Wir haben damals gemeinsam
eine Anhörung durchgeführt. Sie werden mir Recht geben, wenn ich sage, dass das ein Debakel für den Gesetzentwurf war. Daher ist dieser Gesetzentwurf nicht weiterverfolgt worden.
Ich erinnere daran, dass damals die Idee des verlängerten Eigentumsvorbehalts an eingebauten Sachen diskutiert wurde. Es wurde relativ schnell deutlich, dass sie
weder in die Systematik des Sachenrechts passte noch in
irgendeiner Form praktikabel war. Auch in anderen Bereichen, unter anderem im prozessualen Teil, beim so genannten Voraburteil, zeigte sich relativ schnell, dass das
Gesetz nicht die erhoffte Wirkung erzielen würde.
Das zeigt deutlich - aus diesem Grund sage ich das,
damit ist keine Häme verbunden, schließlich muss man
selbstkritisch sein -, wie schwierig es auf gesetzgeberischer Ebene ist, das Problem der mangelnden Zahlungsmoral zu lösen. Wir reden immer davon, dass wir
zu viele Gesetze haben. Ich meine, dass wir Gesetze nur
dann verabschieden sollten, wenn wir der Auffassung
sind, dass diese auch tatsächlich zielführend sind.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf habe ich Bedenken. Kernstück des Gesetzentwurfs ist § 302 a, die so genannte vorläufige Zahlungsanordnung. Er soll ermöglichen, dass aufgrund einer fundierten Prognose das
Gericht schon vor Eintritt einer Entscheidungsreife einen
Zahlungsanspruch titulieren kann. Angedacht ist das vor
allem für die Fälle, bei denen zum Beispiel eine notwendige Beweisaufnahme noch aussteht und die Verfahren
gegebenenfalls in die Länge gezogen werden. Die Idee
klingt zunächst nicht schlecht. Aber was sollen das für
Fälle sein, in denen einerseits noch keine Entscheidungsreife, wohl aber eine hohe Erfolgsaussicht vorliegen
soll?
Welcher Richter - ich bin jahrelang Richter gewesen wird eine hohe Erfolgsaussicht bei einer noch ausstehenden Beweisaufnahme bejahen? Gerade weil sich der
Richter unsicher fühlt, wird auswärtiger Sachverstand
durch einen Gutachter eingeholt. Kleine Feuchtigkeitsschäden können ihre Ursache in einer fehlerhaften Dachkonstruktion haben; ein welliges Parkett kann nicht nur
durch eine falsche Verlegung, sondern auch durch ein
nicht winterfestes Fundament verursacht sein. All das
kann der Richter nicht sofort abschätzen und er kann die
Schäden nicht sofort kalkulieren.
Der Bundesrat meint nun, als Hilfestellung für die Beurteilung einer Erfolgsaussicht könne zum Beispiel ein
qualifiziertes Privatgutachten dienen, wenn dieses Gutachten von einem renommierten Wissenschaftler stamme.
Mal ganz ehrlich: Ich möchte den Richterkollegen sehen,
der sich von einem Privatgutachten beeindrucken lässt
und auf dessen Grundlage eine Entscheidung fällt. Wir
wissen doch alle, wie wir solche Privatgutachten zu beDirk Manzewski
werten haben: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Eine
hohe Erfolgsaussicht soll auch dann bestehen, wenn
zwar schon ein gerichtliches Gutachten vorliegt, aber
- vielleicht gerade deshalb - noch die Einholung eines
weiteren Gutachtens notwendig ist.
Ich wundere mich übrigens, dass heute kein Vertreter
des Bundesrates hier ist, um den Entwurf zu verteidigen.
Welche Vorstellung hat man? Ein Richter, der noch ein
weiteres Gutachten für notwendig erachtet, weil er das
erste für nicht ausreichend hält, wird kaum eine fundierte Prognose über den bisherigen Sachstand treffen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Das Instrument der
vorläufigen Zahlungsanordnung wird nicht so erfolgreich sein, wie es der Bundesrat hofft. Es wird schon
deshalb nicht erfolgreich sein, weil sich die Richterschaft nicht vorschneller Fehlentscheidungen aussetzen
wird.
Im Gegenteil: Ich gehe eher davon aus, dass das Instrument die Verfahren vor Gericht noch verlängern
wird; denn der Druck aus der Bauwirtschaft auf die Anwaltschaft, Herr Kollege Funke, wird enorm sein, zumindest einen solchen Antrag zu stellen. Die Rechtsanwälte werden dementsprechend gezwungen sein, zu
reagieren. Das wird die Konsequenz beinhalten, dass
sich der Richter außerhalb der Reihe noch einmal mit der
Sache beschäftigen muss, um eine - wenn auch ablehnende - Entscheidung zu treffen.
Gleiche Bedenken habe ich im Übrigen auch bezüglich des Teilurteils. Auch bei den beabsichtigten Veränderungen zur Abschlagszahlung habe ich erhebliche
Bedenken, ob Bauen dann nur noch mit Baubetreuern
bzw. Architekten möglich ist.
Ich komme zum Schluss. Wir sollten darüber nachdenken, ob dieser Gesetzentwurf die tatsächlichen Ursachen des Problems bekämpft. Meiner Auffassung nach
haben wir es mit etwas anderem zu tun. Ich habe unzählige solcher Verfahren als Richter erlebt und die Diskussionen zur Beschleunigung fälliger Zahlungen mit den
Betroffenen geführt. Dabei wurde schnell deutlich, wo
die Probleme, und zwar auch die, die man gegebenenfalls auf Landesebene durch den Einsatz von mehr Richtern und Verbesserungen bei der Gutachtenerstellung lösen könnte, liegen. Die Probleme haben damit zu tun,
dass die Handwerker ihre rechtlichen Möglichkeiten oft
nicht kennen. Dieses Problem werden wir gesetzgeberisch nicht lösen können. Die Probleme haben aber auch
damit zu tun, dass sich mancher überreden lässt, die Forderung nicht geltend zu machen, weil zum Beispiel Folgeaufträge in Aussicht gestellt werden.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Zwei Sätze noch, Herr Präsident. - Auch das werden
wir niemals gesetzgeberisch lösen. Deswegen habe ich
erhebliche Bedenken.
Für mich stellt sich auch die Frage - damit komme
ich zum Schluss -, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieses
gesamte Konfliktpotenzial, das sich im Grunde auf das
Verhältnis zwischen Generalunternehmer und Subunternehmer reduziert, im Werkvertragsrecht zu regeln
oder ob wir uns nicht grundsätzlich Gedanken darüber
machen sollten, eine andere Lösung vielleicht in Form
eines gesonderten Gesetzes zu finden. Ich würde mich
freuen, wenn Sie sich an dieser Diskussion beteiligen
würden. Wir sollten uns ein wenig unabhängiger von
Vorschlägen, die aus dem Bundesrat kommen, machen
und uns zusammensetzen, um zu einer überfraktionellen
gemeinsamen Lösung zu kommen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea
Voßhoff von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Insbesondere Ihre letzten Worte, Herr Manzewski, haben
mich sehr erfreut. Ihre Anregung, dass wir uns unabhängig von diesem Gesetzentwurf mit der Frage beschäftigen sollten, ob wir vielleicht ein individuelles Bauvertragsrecht gebrauchen könnten, kann ich nur begrüßen.
Dazu komme ich aber noch.
Dass wir uns heute wieder einmal mit dem Thema
„Sicherung von Werklohnforderungen“, bekannt auch
unter der Überschrift „Bekämpfung mangelnder Zahlungswilligkeit insbesondere im Bauhandwerk“, in diesem Hohen Hause befassen müssen, war eigentlich zu
erwarten. Mit der Gesetzesinitiative des Bundesrates für
ein Forderungssicherungsgesetz steht also wieder einmal
die Frage nach Änderungen des Werkvertragsrechts auf
der Tagesordnung des Bundestages.
Dies hätte nicht sein müssen, wenn Sie, meine Damen
und Herren von Rot-Grün, in dieser Frage bereits im
Jahre 1999 konsequenter gehandelt hätten. Alarmiert
durch eine insbesondere Ende der 90er-Jahre stetig steigende Zahl an Handwerkerinsolvenzen speziell im Baubereich, deren Ursache nachweislich oftmals hohe Forderungsaußenstände waren, hat die CDU/CSU-Fraktion
im Jahr 1999, also bereits vor fünf Jahren, mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Durchsetzung von
Forderungen der Bauhandwerker und erneut im
Jahr 2002 gesetzgeberischen Handlungsbedarf angemahnt.
Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben
seinerzeit unter dem politischen Druck unseres damaligen Gesetzentwurfes, aber wohl auch auf Druck vieler
Handwerksverbände, also mehr getrieben als überzeugt,
das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen in
den Bundestag eingebracht und mit Ihrer Mehrheit
durchgesetzt. Dieses Gesetz ist bekanntermaßen seit
dem Jahr 2000 in Kraft. Mit einigen, in der Wirkung leider nur minimalen Stellschrauben im Werkvertragsrecht
glaubten Sie sich einer lästigen Pflicht entledigen zu
können. Ergebnis ist: Sie haben etwas getan, ohne viel
bewirkt zu haben.
Herr Manzewski, Sie verwandten heute im Zusammenhang mit der Fertigstellungsbescheinigung zu Recht
den Begriff „Ungetüm“. Das war es von Anfang an. Sie
erinnern sich vielleicht auch noch an die damalige Anhörung, in der schon darauf hingewiesen wurde, dass sie so
nicht praktikabel ist. Sie haben dieses Instrument mit
vielen Vorschusslorbeeren versehen. Dieses Konstrukt
sollte ein prozessualer Hebel sein, um dem Handwerker
einen Zahlungsanspruch schneller zuzusprechen. Heute
sind wir uns in diesem Hause offenbar einig, dass dieses
Instrument wirkungslos geblieben ist. Man kann auch
sagen: Es war ein Flop.
Im damaligen Beratungs- und Anhörungsverfahren
haben Sie sich auch hinsichtlich anderer Punkte als relativ beratungsresistent erwiesen, meine Damen und Herren von Rot-Grün, und viele Vorschläge abgelehnt, die
sich im Übrigen heute im Bundesratsentwurf wiederfinden, weil Sie wohl erkannt haben, dass sie an vielen Stellen positiv und wirkungsvoll sein können. Sie sind in
vielen Punkten deckungsgleich mit unseren Forderungen, die wir in die vorhin erwähnten Gesetze eingebracht
haben.
Wir hatten bereits in unserem Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes aus dem Jahr 2002 Korrektur-, Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge zu Ihrem
Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen gemacht.
Sie haben sie damals nicht übernommen. Sicherlich enthielt auch unser Gesetzentwurf strittige Themenfelder.
Sie haben einige erwähnt. Das ist immer so, wenn man
juristisches Neuland betritt. Das ist außerordentlich
schwierig.
({0})
Mit dem Instrument der vorläufigen Zahlungsanordnung soll jetzt eine Rechtsschutzlücke bei Prozessen, die
durch eine umfangreiche Beweislage langwierig sind,
geschlossen werden, wie es übrigens auch das Voraburteil wollte.
In der Pressemitteilung der Justizministerin Zypries
steht zur vorläufigen Zahlungsanordnung zudem etwas
anderes, als Sie hier vorgetragen haben, Herr
Manzewski. Die Bundesregierung ist offenbar jetzt endlich zu der Erkenntnis gelangt, dass gehandelt werden
muss und dass das Gesetz zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen nicht das gebracht hat, was man sich davon
versprochen hat.
({1})
Auch die vom Bundesrat jetzt geforderte erleichterte
Ausgestaltung von Abschlagszahlungen sowie die Modernisierung des Gesetzes zur Sicherung von Bauforderungen und die weiteren Maßnahmen zur besseren
Durchsetzung titulierter Forderungen begrüßen wir dem
Grunde nach, haben wir sie doch - ich sagte es bereits in unserem Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes
bereits gefordert. Insofern ist der Bundesratsentwurf ein
guter Schleifstein, um das stumpfe Schwert Ihres Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen aus dem
Jahr 2000 zu schärfen.
Dass die Frage, inwieweit die mangelnde Zahlungswilligkeit scharfer rechtlicher Instrumente bedarf, unter
Juristen nicht unumstritten ist, ist mir bewusst; Sie haben
eingangs die Diskussionslage erwähnt, Herr Manzewski.
Die Justizministerin hat - ich sagte es gerade - den Erkenntnisprozess vollzogen: Sie lobt seit einiger Zeit bei
verschiedensten Veranstaltungen der Wirtschaft und
auch in Pressemitteilungen die wesentlichen Inhalte dieses Gesetzentwurfes aus dem Bundesrat. In einer Rede
vor dem Bund Deutscher Inkassounternehmen wies Frau
Zypries vor wenigen Monaten darauf hin, dass derzeit
nur zwei von drei Firmen des deutschen Mittelstandes
ihr Geld fristgerecht erhalten. Frau Zypries weiter:
Deswegen ist effektiver und professioneller Forderungseinzug nicht nur justizentlastend, sondern er
trägt auch dazu bei, Unternehmen vor dem Konkurs
zu retten.
- „Wohl wahr, Frau Ministerin!“, würde ich sagen, wenn
sie hier wäre. Zu spät kommt diese Erkenntnis. Auf diese
Einsicht haben viele Handwerker seit Jahren gewartet,
manche von ihnen vergebens. Ich denke, wir werden in
den anstehenden Beratungen genügend Gelegenheit haben, über die sinnvollen Detailvorschläge des Entwurfs
aus dem Bundesrat und ihre Wirkungsweise ausführlich
zu diskutieren.
Dabei sollten wir uns auch einmal mit der sprachlichen Ausgestaltung der vorliegenden Änderungsvorschläge auseinander setzen.
({2})
Der eine oder andere Mammut- oder Schachtelsatz, den
man beim Studium des Entwurfes las, aber auch Formulierungen wie „verdiente Vergütung“ in § 648 a des Entwurfes bergen Interpretationsprobleme und schaffen gegebenenfalls neue Rechtsunsicherheiten. Ich sage dies
auch im Lichte der Diskussion, die wir bei der Sitzung
des Rechtsausschusses in Bonn aus Anlass des Deutschen Juristentages mit Herrn Professor Kirchhof geführt haben.
Ich würde mich im Übrigen auch freuen - insofern
nehme ich Ihre Schlussworte dankend auf, Herr
Manzewski -, wenn wir uns einmal mit der Grundfrage
auseinander setzen würden, ob das Werkvertragsrecht in
seiner Grundstruktur den Besonderheiten des Baurechts
ausreichend Rechnung trägt. Wir wissen, dass die Vertragsgestaltung im Bereich des Bauvertrages außerordentlich komplex ist; er gehört zu den so genannten
komplexen Langzeitverträgen. Wir fragen uns immer
wieder: Reichen die Instrumente des Werkvertragsrechtes für die spezifische Form des Bauvertrages aus? Die
Besonderheit des Werkvertragsrechtes liegt - auch wenn
es an einer Stelle durch die Änderungen durch das
Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen durchbrochen wurde - immer noch darin, dass es nicht nur
eine große Typenvielfalt von Werkvertragsgestaltungen
unter einem Dach vereint, sondern dass es wegen der
großen Vorleistungspflicht ein hohes Risiko für den
Werkunternehmer beinhaltet.
Auch der unzweifelhafte Vorzug der Abstraktheit der
Normen des Werkvertragsrechts hat wegen der auffälligen Besonderheiten des Baurechts ein mehr als beachtliches Ausmaß an Richterrecht in den vergangenen Jahren ausgelöst. Ferner stellt sich die Frage, ob die VOB,
die ja eigentlich für die speziellen Belange der öffentlichen Hand gedacht war, nicht zunehmend die Funktion
eines Ersatzrechtes übernommen hat.
({3})
- Das muss man nicht kritisieren; aber man kann es einmal thematisieren. In seiner rechtlichen Grundstruktur
hebt das Werkvertragsrecht doch im Wesentlichen auf
den einmaligen, punktuellen Leistungsaustausch ab. Der
Bauvertrag aber gehört zu den komplexen Langzeitverträgen - ich sagte es - mit einer Vielzahl von Änderungen und zusätzlichen Leistungen: Kaum ein Bauwerk
wird so ausgeführt, wie es ursprünglich geplant bzw. bestellt war. Sind wir deshalb nicht vielleicht aufgefordert,
in den anstehenden Ausschussberatungen nicht nur die
Details dieses Entwurfes zu beraten, sondern nochmals
der Grundfrage nachzugehen, ob der Gesetzgeber das
Bauvertragsrecht nicht innerhalb des BGB auf geeignetere gesetzliche Grundlagen stellen sollte? Ist Justitias
Waagschale bei der - zwar durch die Übernahme der
Abschlagszahlungsregelung aus der VOB durchbrochenen, aber im Kern immer noch bestehenden - Pflicht des
Unternehmers zu hohen Vorleistungen noch im Gleichgewicht? Ich stelle diese Frage weniger im Hinblick auf
das Verhältnis des privaten Häuslebauers zu seinem Bauunternehmer, eher mit Blick auf das Verhältnis eines Generalunternehmers zu seinem Subunternehmer. Ist es
dem Vertrauen in den Rechtsstaat dienlich, wenn viele
Handwerker den Eindruck haben, dass dieser Rechtsstaat ihnen das Recht verweigert und den Schuldnern gestattet, sich hinter Vorschriften zu verstecken?
In der Rechtsgeschichte des Werkvertragsrechtes gehen Bestrebungen in dieser Frage bis in das Jahr 1909
zurück, wie durch das damals zwar unvollständige, aber
heute noch geltende Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen deutlich wird. Die Bundesregierung hat in
ihrer Stellungnahme zum Bundesratsentwurf darauf hingewiesen, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe beabsichtigt, sich auch weiterhin mit der Überprüfung des
Bauvertragsrechtes - auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten - befassen zu wollen. Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren Kollegen, dass wir in
diesem Hause das Thema ebenso aufnehmen und es
nicht allein der Länder-Bund-Arbeitsgruppe überlassen.
Mir erscheint eine Befassung des Parlaments - konkret:
des Rechtsausschusses - mit diesem Thema geboten und
sinnvoll.
Ich darf an dieser Stelle abschließend der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für ihre bisherige Arbeit in der Frage
der Verbesserung der Sicherung von Bauforderungen
danken. Mein Dank gilt insbesondere aber auch den
Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die dieses Thema im Interesse unserer kleinen
und mittelständischen Wirtschaft immer wieder auf die
parlamentarische Tagesordnung gebracht haben.
Es ist jetzt unsere Aufgabe, die guten Vorschläge in
diesem Gesetz umzusetzen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Manzewski hat bereits die Vorgeschichte dieses
Gesetzentwurfs des Bundesrates, der uns erreicht hat,
dargestellt. Wir haben es schon in der letzten Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf zu einem Forderungssicherungsgesetz zu tun gehabt. Dieser Gesetzentwurf ist
auf erhebliche Kritik gestoßen. Er war einseitig ausgerichtet und in ihm wurden die Verbraucherinteressen
nicht berücksichtigt. Die Vorschläge waren einerseits unpraktikabel und andererseits rechtlich unhaltbar. Deswegen war es völlig richtig, dass dieser Gesetzentwurf
nicht Gesetz geworden ist.
Über das Instrument des vorgeschlagenen Eigentumsvorbehalts für eingebaute Sachen als ein Beispielfall der
missglückten Vorschläge hat Herr Kollege Manzewski
bereits berichtet. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir
allesamt - ich nehme an, auch die Opposition - diesen
Gesetzentwurf sehr kritisch überprüfen und nicht einfach
nur loben, dass wieder ein Gesetzentwurf in dieser Sache
vom Bundesrat kommt. Wir müssen genau schauen, welche Vorschriften das sind und was sie bringen können.
Ich finde die Problembeschreibung in dem Gesetzentwurf zwar richtig, aber äußerst einseitig. Es werden zwar
die Situation der Werkunternehmer, der Handwerker, der
mittelständischen Unternehmen, die zunehmende Anzahl an Insolvenzen, die langen Streikdauern und Forderungsausfälle bekannt gemacht; auf die andere Vertragspartnerseite, nämlich die Besteller und Auftraggeber,
sowie auf ihre Rechte wird in diesem Gesetzentwurf
aber weder im Vorwort noch in der Begründung, noch in
den Vorschriften irgendwie eingegangen. Deswegen
denke ich, dass wir uns auch genau diesem Problem zuwenden müssen, weil ich nicht einsehe, dass der Verbraucher, der private Häuslebauer, wegen Pfusch am
Bau und wegen einer schlechten Werkleistung immer
mehr ins Nachsehen kommen soll.
({0})
Wir können die Verschiebung der grundlegenden
Normen des Werkvertragsrechts, nach denen der Werkunternehmer in Vorleistung zu treten hat und die Bezahlung des Werkes erst dann erfolgt, wenn es mängelfrei
abgeliefert worden ist, nicht fortwährend scheibchenweise verschieben, ohne zu bedenken, dass der Besteller
damit in eine nachteilige Situation gerät.
Für mich wäre die Nichterwähnung dieser Vertragspartnerseite in dem Gesetzentwurf kein so großes Problem gewesen, wenn mir nicht gleichzeitig die auch in
dem Entwurf enthaltene Frage nach der angeblichen
Zahlungsmoral - dieser Begriff wird aber auch anderweitig verwendet - aufgestoßen wäre. Ich glaube nicht,
dass die Tatsache, dass es Insolvenzen und lange Streikdauern gibt, damit zu tun hat, dass die Moral bei den
Vertragspartnern brüchig ist, und dass es lediglich darauf
ankommt, die Moral der einen Seite zu heben, damit sie
fällige und berechtigte Forderungen anerkennt und bezahlt. Die Vorschriften, die der Bundesrat als Vorschläge
formuliert, sind nicht geeignet, die Moral der einen Vertragsseite zu heben.
In dem Gesetzentwurf wird behauptet, dass gerade die
unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen und
die strukturellen Schwächen des Werkvertragsrechts zu
diesen Problemen in der Praxis führen. Schauen wir uns
diese Vorschläge einmal an.
Ich muss Ihnen sagen, dass mir das bei lediglich einer
Vorschrift unmittelbar einleuchtet: Es ist der neue § 641
Abs. 2 BGB, bei dem es um das Problem des Subunternehmers geht. Der Subunternehmer hat einen fälligen
Anspruch in dem Moment, in dem der Besteller den Generalunternehmer bezahlt hat. Da er aber von der Bezahlung nichts weiß und nicht einmal einen Auskunftsanspruch hat, ist der Subunternehmer - das ist faktisch in
vielen Fällen so - in einer benachteiligten Position. Insofern finde ich, dass diese Neuregelung durchaus diskussionswürdig ist. Aber bei den anderen Vorschlägen habe
ich Zweifel, ob sie die Zahlungsmoral heben und den
Werkunternehmern helfen werden.
Zu der Frage der vorläufigen Zahlungsanordnung
durch einen neuen Titel in der Zivilprozessordnung, eine
Art vorweggenommene vorläufige Vollstreckbarkeit,
aber mit Sicherheitsleistung und Abwendungsbefugnis,
hat der Kollege Manzewski schon das Nötige gesagt. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland viele
Richter geben wird, die eine hohe Erfolgsaussicht attestieren, bevor das Verfahren Entscheidungsreife erlangt
hat. Dann aber ist ein Endurteil fällig.
Im materiellen Recht kommt auf uns der Vorschlag zu
- damit will ich meine Darstellung der Punkte
schließen -, nicht mehr Abschlagszahlungen für in sich
abgeschlossene Werkteile, sondern für jegliche Werkteile einzuführen, die der anderen Seite in nicht entziehbarer Weise zur Verfügung gestellt werden. Man kann
das auch so verstehen, dass der Gastwirt in Zukunft die
Suppe löffelweise abrechnen kann, weil er sie dem Gast,
wenn dieser sie heruntergeschluckt hat, nicht mehr entziehen kann. Beim Hausbau wäre jeder Ziegel abrechenbar, sobald der Mörtel hart geworden ist. Ich glaube,
dass solche Regelungen die Zahlungsmoral nicht heben
werden und dadurch das Vertrauensverhältnis der Werkvertragspartner nicht gestärkt wird.
Ich komme noch zu drei Punkten im Gesetzentwurf.
Nein, Herr Kollege Montag, ich habe Ihnen schon
sehr viel mehr Redezeit eingeräumt.
Dann will ich es dabei bewenden lassen. - Wir werden diesen Gesetzentwurf in den Beratungen des Rechtsausschusses ganz genau studieren, uns in einer Anhörung die Auffassung der beteiligten Kreise anhören und
dann zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rainer Funke von der FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viereinhalb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen müssen wir feststellen,
dass die von der Bundesregierung damals mit dem Gesetz angestrebten Ziele nicht erreicht wurden. Uns liegt
heute der Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes
nun schon zum zweiten Mal vor, nachdem wir ihn in der
letzten Legislaturperiode - wohlgemerkt aus gutem
Grund, Frau Kollegin Voßhoff - gegen die Wand haben
fahren lassen, indem wir uns mit diesem unfertigen Gesetzentwurf nicht befasst haben.
Werkunternehmer - auch das muss man allerdings
feststellen -, insbesondere die der Baubranche, leiden
noch immer unter Forderungsausfällen. Die Bemühungen zur Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung von Forderungen und zur Stärkung der Zahlungsmoral können wir zwar vor allem im
Hinblick auf die bisherigen unzureichenden Reformen
der Bundesregierung begrüßen. Die angeschlagene und
immer schlechter werdende wirtschaftliche Lage der Unternehmen, insbesondere in der Bauwirtschaft, muss
aber gestützt und aufgefangen werden.
({0})
Im Handwerk führen - darauf hat die Bundesjustizministerin zu Recht hingewiesen - die Forderungsausfälle
sogar dazu, dass zwei von drei Insolvenzen unter anderem auf die mangelnde Zahlungsmoral ihrer Kunden zurückzuführen sind. Der vorliegende Gesetzentwurf
erfüllt aber nicht die Voraussetzungen, um diesen Tatbestand zu beseitigen. Herr Kollege Montag und Herr Kollege Manzewski haben eben schon ausführlich darauf
hingewiesen, welche Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf vorliegen. Wir haben ebenfalls große Zweifel an
diesem Gesetzentwurf, auch wenn die Bundesjustizministerin den Gesetzentwurf des Bundesrates lobt.
Ich glaube, dass zunächst einmal die Bundesländer
selber aufgerufen sind, den unhaltbaren Zuständen bei
den Gerichten durch bessere Personalausstattung
({1})
und durch bessere Besoldung der Sachverständigen entgegenzutreten, um so zu schnelleren Verfahren zu kommen. Damit wäre auch der Bauwirtschaft geholfen.
Den Bauhandwerkern ist das eine oder andere Recht,
das sie heute schon haben, nicht hinreichend bekannt.
Dazu bedarf es aber keines neuen Gesetzes, sondern
dazu bedarf es der Aufklärung durch die jeweiligen Landesregierungen
({2})
und es bedarf der Aufklärung durch die Handwerkerschaft selbst oder durch die Bauindustrie. Wir haben genügend gesetzliche Möglichkeiten, hier Abhilfe zu
schaffen. Also: mehr Eigenhilfe, anstatt immer gleich
nach dem Gesetzgeber zu rufen!
Wir werden uns dieses Gesetz des Bundesrates genau
ansehen. Wir werden sehr kräftig nacharbeiten müssen,
wenn wir dieses Gesetz überhaupt passieren lassen. Die
Frage eines großen Werkvertragsrechts ist zwar eine sehr
ambitionierte Angelegenheit, ich glaube aber, dass wir
jetzt zwei Jahre Zeit haben, das noch ins Werk zu setzen.
Wenn alle mitarbeiten, Herr Manzewski, Herr Montag
und Frau Voßhoff, dann können wir es schaffen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Hartenbach.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Ich darf zunächst einmal auch meiner
Enttäuschung darüber Ausdruck verleihen, dass kein
Vertreter der hoch gelobten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt und wie sie alle heißen mögen heute hier ist.
({0})
Es genügt nicht - das sage ich für die
Bundesregierung -, dass man ein solches Gesetz im
Bundesrat einbringt, man muss es auch dort, wo es verabschiedet wird, vorstellen.
Bestimmt weiß jeder von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, von Handwerkern zu berichten, denen
trotz gar nicht schlechter Auftragslage das Geld ausgeht,
bei denen „Feuer unterm Dach“ ist. Immer wieder ist dabei die Klage über die schlechte Zahlungsmoral der
Kunden zu hören. Ich verstehe das gut, muss aber an dieser Stelle auch in Ihre Richtung, verehrte Frau Kollegin
Voßhoff, eines betonen: In der Praxis hat sich gezeigt,
dass die Schwierigkeiten handwerklicher Betriebe im
Kern gerade nicht auf eine Unzulänglichkeit der zivilrechtlichen Vorschriften zurückzuführen sind. Eine wirkliche Verbesserung der Situation hängt davon ab, dass
die Handwerker von den heute schon zur Verfügung stehenden Instrumentarien tatsächlich Gebrauch machen.
({1})
All das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiter an
möglichen, wenn vielleicht auch nur kleinen Verbesserungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zu arbeiten.
Der Bundesrat hat dafür den Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes beschlossen, der im Wesentlichen
auf die Arbeitsergebnisse der beim Bundesministerium
der Justiz eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Verbesserung der Zahlungsmoral“ zurückgeht. Diese
Arbeitsgruppe hat den ursprünglichen Gesetzentwurf der
Länder Thüringen und Sachsen deutlich verbessert. So
konnte beispielsweise der systemwidrige Eigentumsvorbehalt der Bauhandwerker an eingebauten Materialien
verhindert werden.
Das Forderungssicherungsgesetz in seiner jetzigen
Form ist ein guter Ausgangspunkt für die parlamentarischen Beratungen. Ziel müssen Regelungen sein, die
dazu beitragen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für
die Handwerker zu verbessern, ohne dabei berechtigte
Verbraucherinteressen zu vernachlässigen. Die geplanten Änderungen sowohl des materiellen Rechts als auch
des Prozessrechts zielen nach Auffassung der Bundesregierung in die richtige Richtung. Sie sollen vor allem
handwerkliche Betriebe in die Lage versetzen, fällige
Zahlungen gegenüber ihren Auftraggebern in deutlich
kürzerer Zeit durchzusetzen. Die Bundesregierung befürwortet aus diesem Grund den Entwurf als einen guten
Ansatz, steht aber auch Verbesserungsvorschlägen uneingeschränkt aufgeschlossen gegenüber.
Ich will aus der Vielzahl der Vorschläge nur zwei
Punkte herausgreifen.
Erstens die vorläufige Zahlungsanordnung: Dabei
handelt es sich um ein neues Rechtsinstitut in der ZPO,
mit dem eine Lücke im Rechtsschutz geschlossen werden soll. So gibt es bestimmte Prozessarten, in denen das
Gericht typischerweise Sachverständigengutachten zu
einzelnen Fragen einholen muss. Ich denke hierbei nicht
nur an Bauprozesse, sondern auch an Miet- und Schadenersatzklagen.
Auch wenn nach der Durchführung eines Teils der
Beweisaufnahme mit einer hohen Wahrscheinlichkeit
davon auszugehen ist, dass die Klageforderung zumindest zum Teil berechtigt ist, muss der Kläger nach derzeitiger Rechtslage häufig noch lange auf sein Geld warten. Ich möchte das anhand eines Beispiels erläutern.
Ein Kläger ist durch einen Verkehrsunfall, der von
mehreren Beteiligten verursacht worden ist, schwer verletzt worden. Wenn das Gericht von der Haftung zumindest eines der Schädiger überzeugt ist, aber hinsichtlich
der anderen Beteiligten noch Aufklärungsbedarf besteht,
dann kann gegen diesen Schädiger in der Regel kein
Teilurteil ergehen - es sei denn, er erkennt an -, weil die
theoretische Möglichkeit besteht, dass sich Teil- und
Schlussentscheidung widersprechen.
Ich halte es für gerechtfertigt, in solchen Fällen dem
Gericht die Möglichkeit zu bieten, dem Kläger die Klageforderung, die dafür eine hohe Aussicht auf Erfolg haben muss, zuzusprechen und eine vorläufige Zahlungsanordnung zur Abwendung besonderer Nachteile, die
sich aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer ergeben,
zu erlassen.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Selbstverständlich, verehrte Frau Präsidentin. Ich
komme gleich zum Ende. Gestatten Sie mir nur noch
wenige Sätze.
({0})
- Hört doch zu! Ihr könnt dabei nur lernen.
({1})
Zweitens soll auch bei den so genannten Druckzuschlägen eine Stellschraube verändert werden. Wir
halten zwar den Druckzuschlag für ein wichtiges Mittel
für den Verbraucher, aber wir meinen, dass - auch im Interesse der Handwerker - künftig vermieden werden
sollte, dass Auftraggeber mit dem Ziel, fällige Zahlungen hinauszuzögern, sozusagen ins Blaue hinein Mängel
behaupten. Darin sollten Sie mir eigentlich zustimmen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich bedanke mich
auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihren Großmut, mir zugehört zu haben.
Die Vorlage ist ein guter Ansatz für die Beratungen.
Ich bin sicher, dass wir mit der Hilfe der Fachleute, die
alle Richter oder Rechtsanwälte waren bzw. sind und die
vielleicht auch schon selbst gebaut haben oder zumindest Ahnung vom Bauen haben, zu einem guten und vernünftigen Gesetz kommen. Wir laden auch diejenigen
zur Zusammenarbeit ein, die keine Rechtspolitiker sind,
sich aber ständig kritisch äußern.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende!
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/3594 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 10 a und b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum
diagnoseorientierten Fallpauschalensystem
für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({0})
- Drucksache 15/3672 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum
diagnoseorientierten Fallpauschalensystem
für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({2})
- Drucksache 15/3919 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({4})
- Drucksache 15/3974 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Horst
Seehofer, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Versorgungssicherheit für Patientinnen und
Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen
- Drucksachen 15/3450, 15/3974 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Parlamentarische Staatssekretärin Marion CaspersMerk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für die Krankenhäuser in Deutschland bricht eine neue
Zeit an. Künftig werden die Leistungen nicht mehr nach
den Liegezeiten der Patientinnen und Patienten abgerechnet. Die Vergütung richtet sich vielmehr nach Fallpauschalen, die eine leistungsorientierte Vergütung ermöglichen.
Wir haben das neue Vergütungssystem als lernendes
System geplant. Die ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit der Umstellung spiegeln sich zwar im Budget
noch nicht wider, aber wir hatten von Anfang an vorgesehen - das ist zugunsten von Effizienzgewinnen im
Krankenhausbereich notwendig -, dass die Umstellung
des Systems in Etappen erfolgen muss.
Die Umsetzung unseres Vorhabens steht jetzt an. Für
die Krankenhäuser bedeutet das einen großen Umbruch.
Sie braucht ihre Zeit und muss mit der nötigen Sorgfalt
vollzogen werden. Gerade deshalb haben wir auf die
vonseiten der Krankenhausträger vorgebrachten Bedenken reagiert und in dem Entwurf eines Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes vorgesehen, dass den
Krankenhäusern mehr Zeit für die Umstellung auf Fallpauschalen bleibt. Wir wollen die Übergangsphase um
ein Jahr verlängern.
Ein Teil der Krankenhäuser hat die Zeichen der Zeit
erkannt. Diese Krankenhäuser haben den Wandel bereits
vollzogen und machen positive Erfahrungen mit dem
neuen Vergütungssystem. Sie gehören zu den Gewinnern
der Reform. Ich möchte ihre Anstrengungen ausdrücklich loben und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für die die Umstellung eine große Herausforderung
ist, meine Anerkennung aussprechen.
({0})
Für einen anderen Teil der Krankenhäuser ist die Umsetzung mit Schwierigkeiten verbunden. Dazu gehören
insbesondere solche Krankenhäuser, die Leistungen der
Maximalversorgung anbieten, also zum Beispiel Leistungen der Intensivmedizin bei Verbrennungen oder der
Onkologie, die mit besonders hohen Kosten verbunden
sind. Diese Krankenhäuser fordern eine längere Übergangsphase. Mit unserem Gesetzentwurf haben wir auf
ihre Sorgen reagiert. Und können das Gesetzgebungsverfahren heute abschließen.
Wie verhält sich aber die größte Oppositionsfraktion?
Sie verhält sich wie immer in den letzten Wochen in der
Gesundheitspolitik. Es gibt eine tiefe Kluft sowohl innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch zwischen der Unionsfraktion im Bundestag und den unionsgeführten Ländern. Während Sie einen Antrag
einbringen, der darauf abzielt, die ganze Umstellungsphase um ein Jahr zu verkürzen, fordern die unionsgeführten Länder eine Verlängerung dieser Phase.
({1})
Was gilt denn nun in Ihrer Gesundheitspolitik? Wir haben dagegen eine klare Richtung eingeschlagen und sind
gesprächsbereit. Wir haben mit den SPD-geführten Ländern mögliche Einigungslinien vorbesprochen.
Bei Ihnen geht es dagegen noch um die grundsätzliche Auseinandersetzung. Bis vor kurzem haben Sie Fallpauschalen vollständig abgelehnt. Ich bin sehr froh, dass
sich der Kollege Dr. Faust auch öffentlich für die Fallpauschalen stark gemacht hat, wie man lesen konnte. Ich
glaube, dass Sie in diesem Punkt einen ganz entscheidenden Lernfortschritt erzielt haben.
Wir fordern von Ihnen auf der einen Seite Klarheit in
den Positionen und auf der anderen Seite die Bereitschaft zur Einigung im Vermittlungsverfahren, das bereits angekündigt worden ist. Eines ist klar: Sollten wir
uns nicht einigen, dann wäre das in der Tat eine schwere
Last für die Krankenhäuser. Deswegen appelliere ich an
dieser Stelle noch einmal an alle: Seien Sie konsensbereit! Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch.
({2})
- Herr Kollege Zöller, da Sie im Moment mit dem Streit
in Ihrer eigenen Fraktion so beschäftigt sind, sehe ich Ihnen diesen Zuruf nach. Bei uns halten Konsense relativ
lange. Die jetzt gefundene Regelung betreffend den
Zahnersatz, die wir gegen Sie durchsetzen mussten, haben wir beispielsweise schon immer vertreten.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Wir glauben, dass die vorhandenen Bedenken mit dem Gesetzentwurf ein Stück weit entkräftet werden. Wir wissen,
dass eine Einigung mit den Ländern in den anstehenden
Verhandlungen relativ nahe ist.
Ich möchte aber auch sagen, wo ich noch Handlungsbedarf sehe. Wir müssen etwas zur Verbesserung der Situation der Kinderkrankenhäuser tun. Hier müssen wir
ebenfalls über Einigungsmöglichkeiten reden, genauso
wie bei den Kappungsgrenzen. Wir sind zwar gesprächsbereit. Aber wir werden das, was Sie in Ihrem Antrag
fordern, auf keinen Fall mittragen. Sie wollen die Universitätsklinika herausnehmen und im Prinzip alle anderen Krankenhäuser, die ebenfalls spezialisierte Leistungen anbieten, nicht berücksichtigen. Das würde zu neuer
Ungerechtigkeit führen. Das will niemand. Interessanterweise halten selbst die unionsgeführten Länder diese
Forderung nicht mehr aufrecht.
({4})
Sorgen Sie dafür, dass klar wird, wohin die Union in
der Gesundheitspolitik will, und zwar nicht nur beim
Thema Fallpauschalen, sondern auch beim Thema Kopfpauschale. Auch hier befinden Sie sich ja noch in der
Diskussion. Immer wenn der Begriff „Pauschale“ fällt,
gibt es Wirrwarr in Ihren Reihen. Sorgen Sie für Klarheit! Wir sind einigungsbereit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hans Georg
Faust.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Früher bekam
ein Krankenhaus für jeden Tag, den ein Patient im Bett
lag, das gleiche Geld. Da konnte es schon einmal passieren, dass jemand erst am Montag statt schon am Freitag
entlassen wurde, weil das dem Krankenhaus natürlich
zusätzliche Einnahmen gebracht hat. Aus meiner Zeit als
Assistenzarzt kann ich mich daran noch gut erinnern.
Das war für die Krankenhäuser gut, aber für das finanzielle Fundament des Gesundheitswesens schlecht. Wer
so etwas nicht wollte, musste sich ein neues Finanzierungsinstrument überlegen. Das Instrument waren damals die Fallpauschalen.
Fallpauschalen sind richtig.
({0})
Weil das so ist, haben die CDU/CSU und die FDP 1992
die Fallpauschalen eingeführt.
({1})
Sie haben die Fallpauschalen allerdings mit anderen Vergütungsformen kombiniert.
({2})
Fallpauschalen sind für mehr Konstellationen richtig,
als wir 1992 dachten. Deswegen sprechen wir uns für
eine sinnvolle Weiterentwicklung des Fallpauschalensystems aus.
({3})
Fallpauschalen sind aber auch heute nicht für alles richtig.
({4})
Weil das so ist und Sie, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, das erst in einem schmerzlichen Erkenntnisprozess lernen wollen, sitzen wir heute schon wieder zusammen und diskutieren nun über ein Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz.
Das Ganze hat drei entscheidende Webfehler:
Der erste ist ganz grundsätzlicher Natur. Sie haben
uns, den Krankenhäusern, den Patienten, den Ärzten und
auch wohl sich selbst nicht klar gemacht, zu welchem
Zweck, mit welchem Ziel Sie das umfassende Fallpauschalensystem einführen wollen. Bauen Sie ein Klassifikationssystem für Patienten in ein Preissystem um,
({5})
damit ein Markt, ein Pseudomarkt, ein Wettbewerb, ein
Verdrängungsdruck unter den Krankenhäusern entsteht?
Ist das der Grund? Soll damit die Verweildauer im Krankenhaus verkürzt werden? Sollen Betten abgebaut werden? Sollen Krankenhäuser geschlossen werden? Sollen
Konkurrenz, Kooperation, Konzentration oder Konkurs
beschleunigt werden? Soll die Transparenz bei den Leistungen zur Erhöhung der Planungssicherheit für die Länder verbessert werden? Oder stehen am Ende, wann auch
immer, feste, harte Preise, auf die sich ein Krankenhaus
einstellen muss? Was sind das dann für Preise: Festpreise, Höchstpreise, Richtpreise? Alle diese Fragen sind
nicht beantwortet. Damit gibt es keine Planungssicherheit und wir basteln am Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz.
({6})
- Ich würde gern weiterreden, meine Herren. - Mark
Twain hat die Situation einmal treffend wie folgt beschrieben: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.
({7})
- Aber nicht vor dem Abgrund.
Der zweite Webfehler ist die Zeitschiene. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind an der
Regierung. Sie haben sich damals - ebenfalls gegen unsere Vorstellungen - für die Einführung eines umfassenden Fallpauschalensystems in einer Dreistufenlösung
mit einem Konvergenzende, das heißt für eine Angleichung für alle in einem Bundesland, im Jahr 2007 entschieden. Darauf haben sich die Krankenhäuser eingerichtet. Die schnellen und innovativen haben sich darauf
gut eingerichtet. Die anderen haben abgewartet, blockiert, keine Daten geliefert. Das war vorherzusehen,
wurde aber trotzdem forsch angegangen.
Ich erinnere mich noch an viele Gespräche, in denen
von Ihrer Seite gesagt wurde, es müsse Druck erzeugt
werden, und zwar Druck auf Veränderungen, welche
auch immer das sein mögen: Effizienzsteigerung, Ressourceneinsparung usw. Ein verschwommenes Bild ist
da im Fadenkreuz. Ohne ein Ziel kann man aber nicht arbeiten.
({8})
Das merken Sie jetzt. Die deutschen Krankenhäuser
merken es auch schmerzvoll. Die Kommunen und die
Länder sowie die Verbände und alle anderen, die Interessen haben, melden in dieser unübersichtlichen Gemengelage ihre Forderungen an. „Verlängerung der Konvergenzphase“ und „Veränderung des Einstiegswinkels“
sind die Schlagworte.
Zum dritten Webfehler. Dabei geht es um das Instrumentarium. Statt unserem Vorschlag zu folgen und das
Fallpauschalensystem da, wo es sinnvoll ist, zügig einzuführen und den Rest außen vor zu lassen, versuchen
Sie, mit einer Verlängerung der Einführungsphase und
einem schonenderen Einstieg die Probleme zu kaschieren und zu entschärfen.
({9})
Ich kenne die Vorschläge, die unterbreitet werden.
Dabei wird der Fortschritt zur Schnecke. Sie tun das in
der Hoffnung, dass Sie so viel Zeit gewinnen, dass verbesserte Kalkulation den Aufprall auf die Wirklichkeit
für die Krankenhäuser überlebbar macht. Damit verprellen Sie all die Krankenhäuser, die sich seinerzeit auf Ihre
politischen Aussagen verlassen haben, die sich schnell
umgestellt haben und die im Wettbewerb leistungsfähig
sind. Mit anderen Worten: Da die Politik nicht für die
nötige Planungssicherheit sorgt, werden sie jetzt wieder
enttäuscht.
({10})
- Sie kennen doch unseren Antrag. Ich kann daraus noch
einmal zitieren.
Was Sie vorhaben, ist mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu machen. Ein dauerndes Nachbessern
führt nur dazu, dass wir die Lösung der Probleme auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Ich sehe schon
das Dritte und Vierte Fallpauschalenänderungsgesetz
kommen. Das gilt aber nicht nur für mich, sondern auch
für alle anderen, die an ihre besonderen Interessenlagen
denken: Landkreise und Städte, die privaten Träger, die
Universitätskliniken, die kirchlichen Einrichtungen und
die Länder. Alle haben unterschiedliche Interessen; alle
bewerten die von Ihnen ins Spiel gebrachten Werkzeuge
unterschiedlich; alle basteln die Komponenten inzwischen unterschiedlich zusammen und führen, wenn sie
können, sogar neue Instrumente ein, die den auch von
Ihnen - das konzediere ich Ihnen gerne - geforderten
Fortschritt so lähmen, dass am Ende herzlich wenig passiert. Das werden wir alle gemeinsam erleben.
Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus
möchte ich ausdrücklich in Schutz nehmen.
({11})
Bei den Kalkulationen für den neuen Fallpauschalenkatalog 2005 hat es Bemerkenswertes geleistet. Es hat
das System mit ebendiesen Kalkulationen und den auch
von uns begrüßten Ausgliederungen und Anpassungen
entscheidend optimiert. Auch in den nächsten Jahren
sind solche Veränderungen in der Tat zu erwarten.
Sosehr sich dieses Institut auch anstrengt: Der Entwicklungsweg ist von den Rahmenbedingungen vorgezeichnet, unter denen das Institut arbeiten muss. Dieser
Rahmen ist durch die bisherigen rot-grünen Gesetzesvorgaben und die Folgen aus dem Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz - wenn dieser Gesetzentwurf denn
so verabschiedet wird - einfach schief.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden diesem Gesetz nicht zustimmen. Wir betonen noch einmal,
dass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess unter
Zuhilfenahme der verbesserten Kalkulationen und der
Ausgliederung der nicht sachgerecht abgebildeten Leistungen mit anderen Vergütungen der bessere Weg wäre.
({12})
Der vorliegende Gesetzentwurf hat weitere schwerwiegende Mängel: Mehrmengen von Leistungen mit hohem Sachkostenanteil können nur sehr schwer - ich sage
nicht: gar nicht - adäquat vergütet werden. Dies gilt zum
Beispiel für implantierbare Defibrillatoren zur Abwendung des plötzlichen tödlichen Kammerflimmerns im
Herzen, eine Maßnahme, die - das kann man auf jedem
Kardiologenkongress erfahren - nach medizinischer Erkenntnis immer häufiger indiziert wird. Auf diesem Gebiet sind deutliche Veränderungen notwendig.
Überhaupt ist die Möglichkeit, medizinische Innovationen in den Krankenhäusern einzuführen, durch bürokratische Hemmnisse so erschwert, dass Verzögerungen von drei bis vier Jahren einkalkuliert werden
müssen. Meine Erfahrung als Anästhesist im Krankenhaus ist, dass diese Innovation bei dem heutigen medizintechnologischen Fortschritt nach drei bis vier Jahren
überholt ist, weil schon die nächste Generation von Produkten auf dem internationalen Markt ist.
Dennoch: Nicht alles an diesem Gesetzentwurf ist
schlecht. Die Abkehr von Pauschalregelungen im Bereich der Ausbildung begrüßen wir. Wir glauben, dass
den Erfordernissen mit der vorgesehenen Vereinbarung
der Vertragsparteien über ein krankenhausindividuelles
Ausbildungsbudget besser Rechnung getragen wird.
Auch die Regelung zu den finanziellen Vergütungen von
Kalkulationskosten und zur vertraglichen Vergütungsvereinbarung für Hebammen halten wir für richtig.
Über allem steht aber der aus unserer Sicht vollkommen verkehrte Umgang mit dem Fallpauschalensystem
bei ungeklärter Zielsetzung. Hier hat die rot-grüne Regierung Probleme unterschätzt, die Anpassungsfähigkeit des Systems überschätzt, die Zeitabläufe nicht richtig kalkuliert und den Zielpunkt nicht sauber markiert.
Es geht um die Verteilung von viel Geld im Krankenhausbereich. Damit sind alle Interessierten auf den Plan
gerufen. Das Ende des Gesetzgebungsverfahrens wird in
seinen Wirkungen zunehmend schwer abschätzbar. Ein
Weg über vier Jahre bis 2008 ist mühsam zu beschreiten.
Wie es danach weitergeht, ist heute unklar.
Gut, dass es spätestens 2006 eine Bundestagswahl
gibt.
({13})
- Das werden wir noch sehen, Herr Schmidt. - Ich
würde mich freuen, wenn ich danach noch aktiv Gesundheitspolitik machen kann. Für heute stellt sich die aktuelle Situation des Krankenhauses im Harz, in dem ich
noch hin und wieder arbeiten darf, so dar, wie Heinrich
Heine seine eigene nach einer Brockenbesteigung beschrieben hat:
Müde Beine,
spitze Steine
saure Weine,
Aussicht keine.
Heinrich Heine
({14})
Es passiert immer freitagmittags, dass Gedichte kommen. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Selg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ihrer
Rede hat sich ja vieles super gereimt, aber ihre Logik hat
sich mir nicht ganz erschlossen.
An diesem Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz
haben ja bisher eigentlich alle Beteiligten ziemlich konstruktiv und, wie ich denke, sachorientiert gearbeitet.
Beim Prozess der Umstellung auf die DRGs war das
weitgehend genauso der Fall. Ich denke, auch das sollte
man einmal positiv anmerken. Wir gehen davon aus, lieber Herr Faust, dass die sachorientierte Diskussionskultur auch bei den Verhandlungen mit den Ländern in den
nächsten Wochen vorherrscht. Ich sehe diesen ziemlich
positiv entgegen und hoffe, Sie von der Opposition werden sich so einbringen, dass wir zügig zu einem Konsens
kommen; denn nichts brauchen die Krankenhäuser derzeit mehr als Planungssicherheit.
Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei einem so
wichtigen Thema Kontroversen gibt. In der Anhörung
haben sich zwei Punkte herauskristallisiert, bei denen
Schwierigkeiten bestehen: So geht es bei der Ausgestaltung der Konvergenzphase um die Frage, ob das System schon reif genug ist, einen so schnellen Umstieg zu
bewältigen. Wir haben allerdings immer gesagt, dass wir
das Fallpauschalensystem als ein lernendes System ansehen. Ein hundertprozentiges Funktionieren wird es mit
Sicherheit nie geben. Man darf aber nicht immer nur darauf abheben, was alles nicht geht, sondern muss wirklich auch einmal sagen, was geht. Da haben sich, wie ich
glaube, in den letzten Wochen Entwicklungen ergeben,
die zeigen, dass man auf einem guten Weg ist.
Der im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Vorschlag, die Konvergenzphase von drei auf vier Jahre zu
verlängern und die Konvergenzschritte entsprechend anzupassen, ist deshalb sehr vernünftig. Unser Eindruck
ist, dass man den Anpassungsdruck der Häuser dadurch
erheblich mindert. Ich glaube auch, dass dadurch weder
der Einstieg ins System infrage gestellt wird noch dass
sich die vollständige Umstellung zu sehr verzögert.
Jetzt haben der Bundesrat - daran waren viele unionsgeführte Länder beteiligt - und die Deutsche Krankenhausgesellschaft deutlich gemacht, dass sie eine Verlängerung der Konvergenzphase auf fünf Jahre sowie die
Einführung einer Kappungsgrenze für notwendig halten.
Es gibt diesbezüglich also anscheinend noch Diskussionsbedarf innerhalb von CDU/CSU. Sie von der Union
fordern - darauf sind Sie nicht eingegangen, Herr Faust in Ihrem heute ebenfalls vorliegenden Antrag, die Konvergenzphase bei drei Jahren zu belassen. Jetzt frage ich
mich schon, an wem dieser dritte Webfehler, von dem Sie
gesprochen haben, liegt. An uns liegt es mit Sicherheit
nicht. Einigen Sie sich also erst einmal mit Ihren Parteifreunden in den Ländern, die angeblich ganz anderer
Meinung sind als Sie.
({0})
- Das mag wohl sein.
Ein weiterer Punkt, den wir ebenfalls für wichtig halten, ist die Finanzierung der Krankenpflegeausbildung
in Zukunft. Fest steht, dass wir ab 2005 endlich eine
wettbewerbsneutrale Ausbildungsfinanzierung haben werden. Hierzu gibt es aber zwei unterschiedliche Positionen: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft gibt dem
Ansatz des vorliegenden Gesetzentwurfs, also der individuellen Aushandlung eines Ausbildungsbudgets vor
Ort, den Vorzug. Ihrer Ansicht nach gibt es noch keine
verlässliche Datengrundlage für die Aufstellung einheitlicher Pauschalen. Dagegen sprechen sich natürlich die
gesetzlichen Krankenkassen und der Deutsche Pflegerat
aus. Ich denke, auch deren Einwände sollte man ernst
nehmen. Sie fordern nämlich, das geltende Recht beizubehalten und einen gemeinsamen Ausbildungsfonds zu
bilden. Aus diesem Fonds würde die Ausbildung nach
einheitlichen Pauschalen finanziert werden.
Ich persönlich halte die Fondslösung prinzipiell und
konzeptionell für eine gute Variante, die wir in unserem
jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zumindest mittelfristig
nicht ausschließen. Die Pflegeausbildung sollte nämlich
Sache aller Träger sein, weil alle von ihr profitieren. Es
kann nicht im Interesse einer qualitativ hochwertigen
Pflegeausbildung sein, dass sie weiterhin am Finanzierungstropf der Krankenkassen hängt. Egal wie man sich
entscheidet, beide Seiten haben gute Argumente. Priorität sollte bei dem noch zu findenden Umsetzungsmodell
dem Ziel eingeräumt werden, den bereits zu beobachtenden Rückgang von Ausbildungsplätzen zumindest zu
stoppen. Da sind sich alle Beteiligten einig. Es wäre
reichlich absurd, wenn einerseits Ausbildungsplätze verloren gingen, während andererseits der „Süssmuth-Rat“
in seinem jüngsten Bericht vorschlägt, im Pflegebereich
Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben.
Insgesamt bleibe ich dabei: Bei den Problemen, die es
bei diesem Gesetz noch zu lösen gibt, sind sich alle Akteure grundsätzlich einig, dass mit der Umstellung auf
das DRG-System ein guter Weg zu mehr Effizienz, Effektivität, Transparenz und vor allem mehr Patientenorientierung beschritten wurde. Deshalb bin ich überzeugt,
dass wir zu einer guten Lösung kommen werden. Auch
wir haben 2006 natürlich im Blick. Aber wir verlieren
nie das Ziel aus den Augen.
({1})
- Wir werden das Ziel auch erreichen. - Sie sind jetzt
aufgefordert, zügig zu einem Kompromiss zu kommen,
denn nichts ist schlimmer als Unsicherheit, wie Sie sie
zurzeit unter die Bevölkerung streuen. Wir brauchen im
Sinne der Krankenhäuser Planungssicherheit. Darum
fordere ich Sie auf: Setzen Sie sich zügig an den Tisch
und kommen Sie zu einer Einigung! Dann sind wir auf
einem guten Weg.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb.
({0})
Aber sicher! - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die FDP hat die Einführung diagnoseorientierter Fallpauschalen im Grundsatz immer begrüßt.
Allerdings war uns auch immer klar, dass man ein solches System sorgfältig implementieren muss. Deswegen
wäre uns eine schrittweise Weiterentwicklung der Fallpauschalen lieber gewesen als die Komplettumstellung,
die die Bundesregierung jetzt vorgenommen hat. Aber
die Entscheidung ist getroffen und es ist müßig, darüber
zu reden. Jetzt kommt es darauf an, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Krankenhäuser, die für
die medizinische Versorgung notwendig sind, erhalten
bleiben, und die Anreize so zu setzen, dass die Behandlungseffizienz gesteigert wird.
Zweitens. Die Anhörung hat ergeben, dass noch lange
nicht alle DRGs das Kosten-Leistungs-Geschehen korrekt abbilden können. Das ist zum einen auf die mangelnde Datenlage zurückzuführen. Es besteht die Hoffnung, dass dieses Problem jetzt durch die vorgesehene
Refinanzierung gelöst werden kann. Zum Teil ist es aber
auch darauf zurückzuführen, dass - das hat der Kollege
Faust schon angesprochen - sich bestimmte Leistungen
gar nicht oder nur sehr schwer in einer Pauschale abbilden lassen. Das trifft zum Beispiel auf die Rheumatologie, die Palliativmedizin, die Onkologie, die Behandlung
seltener Krankheiten und Spezialleistungen der Hochschulmedizin zu. Problematisch wird es immer dann,
wenn die Behandlung eine hohe Variabilität aufweist.
Dem muss durch spezifische Regelungen Rechnung getragen werden. Das kann ein Fallpauschalensystem, Herr
Vorsitzender, nur um den Preis einer hohen Unübersichtlichkeit leisten.
Drittens. Der Gesetzentwurf sieht eine Verlängerung
der Konvergenzphase vor. Allerdings halten wir diese
Verlängerung vor dem Hintergrund der noch bestehenden Unsicherheiten für nicht ausreichend. Auch im Hinblick darauf, dass die Krankenhäuser zurzeit nicht nur
mit der Umsetzung der Fallpauschalen zu kämpfen haben, sondern sich auch mit einer Vielzahl von anderen
Regelungen herumschlagen müssen - ich nenne hier als
Beispiele nur die integrierte Versorgung und die Disease-Management-Programme -, reicht dieses eine Jahr
in unseren Augen nicht aus.
({0})
Vierter Punkt. Wir brauchen eine Kappungsgrenze,
die dafür sorgt, dass sich die Verluste von Krankenhäusern bei der Umstellung unterhalb einer klar definierten
Obergrenze halten.
({1})
Ich denke, niemandem ist damit gedient, Herr Kollege
Dreßen, wenn die Krankenhäuser, die für die Versorgung
der Bevölkerung benötigt werden, aufgeben müssen,
weil sie in der Kürze der Zeit den notwendigen Anpassungsprozess nicht vollziehen können.
Dass wir uns hier nicht missverstehen, Herr Kollege
Dreßen: An dem Anpassungsprozess selbst führt kein
Weg vorbei. Es gibt unzweifelhaft Unwirtschaftlichkeiten bei Krankenhäusern. Aber die betroffenen Krankenhäuser müssen die Chance haben, den notwendigen Anpassungsprozess zu vollziehen.
({2})
Fünfter Punkt. Es fehlt - das ist ganz entscheidend nach wie vor eine Aussage seitens der Bundesregierung
und der Koalition darüber, wie es nach der Beendigung
der Konvergenzphase weitergehen soll. Das aber ist für
die Planung der Krankenhäuser von ganz entscheidender
Bedeutung. Fallen dann die Budgets tatsächlich weg?
Wie soll denn so ein wettbewerbliches Preissystem, das
Sie wollen, im Einzelnen aussehen? Professor Neubauer
beispielsweise hat in der Anhörung darauf hingewiesen,
dass es gerade keinen Sinn macht, einheitliche Preise
vorzusehen und dann von Wettbewerb zu reden. Hierzu
müsste es eine Aussage im Gesetz geben. Das ist bisher
nicht der Fall.
({3})
Die FDP lehnt den Gesetzentwurf in der vorliegenden
Fassung ab. Wir hoffen aber, dass unseren hier angesprochenen Bedenken im Vermittlungsausschuss, dem wir
mit viel Zuversicht entgegensehen, Rechnung getragen
wird.
Danke schön.
({4})
Jetzt hat der Abgeordnete Horst Schmidbauer das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Krankenhäuser Planungssicherheit brauchen, erleben wir heute eine gespaltene Opposition, wie es „schöner“ nicht mehr geht. Die
CDU/CSU ist sich nicht einig. Vor einem halben Jahr hat
man in Bayern gehört, dass es keine Verlängerung der
Konvergenzphase geben soll. Jetzt hört man, dass es eine
Verlängerung um zwei Jahre geben soll. Wie sollen so,
bitte schön, die Krankenhäuser Planungssicherheit bekommen?
Aus dem, was die FDP heute sagt, kann man erkennen, dass sie Angst hat, dass marktwirtschaftliche Prinzipien endlich für den Krankenhausbereich eingeführt
werden.
({0})
Sie gehen der Marktwirtschaft aus dem Weg, wenn Sie
weiterhin auf Budgets basierte Lösungen herbeiführen
wollen.
({1})
Das macht Angst für die Zukunft. Es ist das Gegenteil
von dem, was wir brauchen, nämlich verlässliche Daten
Horst Schmidbauer ({2})
hinsichtlich der Zeiträume für Krankenhäuser, damit sie
diese schwierige Umstellung schaffen.
({3})
Wir liegen mit unserem Vorschlag exakt in der Mitte.
Den Langsamläufern unter den Krankenhäusern kommen wir entgegen, indem wir die Konvergenzphase um
ein Jahr verlängern. Aber dann muss es wirklich funktionieren.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Zeit der Bedenkenträger und der Kleingeister, die so empfindlich
auf diese Umstellung reagiert haben, vorbei ist. Ich war
heute aber sehr erstaunt, als ich an den Ausführungen
von Herrn Dr. Faust erkennen konnte, dass diese Zeit
noch nicht überwunden ist.
Im Gegenteil: Man versucht jetzt, eine neue Legende
zu stricken. Wir wehren uns mit allem Nachdruck dagegen. Denn es steht nirgendwo im Gesetz und es ist durch
keinerlei Äußerung belegbar, dass wir von einer hundertprozentigen Fallpauschalenregelung gesprochen oder sie
beabsichtigt haben.
({4})
Ich sage Ihnen: Unterlassen Sie in Zukunft solche Unterstellungen! Wir sind nie in Richtung einer hundertprozentigen Fallpauschalenregelung gegangen.
({5})
Wir haben vielmehr gesagt: Was durch Fallpauschalen
abzubilden ist, wird mit Fallpauschalen kalkuliert, und
zwar nach deutscher Krankenhauskultur. Die deutsche
Krankenhauskultur wird sich in einem deutschen Fallpauschalensystem wiederfinden und nichts anderes.
({6})
Wir müssen akzeptieren, dass es sich um ein lernendes System handelt. Das heißt, wir stülpen den Krankenhäusern nichts über. Wir nehmen vielmehr auf, was bei
den Krankenhäusern läuft.
({7})
Es gibt bei uns kein Dogma. Da wir für ein lernendes
System sind, ist unser Ziel, dass bei der Abbildung von
Krankheitsverläufen und bei der Erstattung der Behandlungskosten ausdifferenziert und nicht ausgegliedert
wird. Der entscheidende Punkt ist also, dass wir für eine
Ausdifferenzierung sind. Wo es keine exakte Abbildung gibt und wo ein falscher Preis herauskommen
könnte, muss es eine Ausdifferenzierung geben. Aber
man darf nicht einfach sagen, dass man diesen Teil besser ausgliedern sollte. Das würde dem Aspekt, den ich
gerade genannt habe, nicht Rechnung tragen.
({8})
Herrn Dr. Faust kann ich nur empfehlen, dass er einmal in den Katalog 2005 hineinschaut. Dieses ganze Gerede, das wir heute gehört haben, würde dann verstummen, weil der Katalog 2005 genau aufzeigt, dass wir auf
Ausdifferenzierung setzen. Die Selbstverwaltung
- sprich: alle Krankenhäuser und alle Krankenkassen haben diesen Katalog einstimmig gebilligt. Was ist dort
enthalten? Es ist eine Vergütung für Langlieger vorgesehen. Es ist richtig, dass die Krankenhäuser, die schwerere Fälle und ältere Menschen behandeln müssen, ihre
Leistungen entsprechend vergütet bekommen.
({9})
75 Zusatzentgelte werden eingeführt. Wenn in einem
besonderen Fall hohe Arzneimittelkosten anfallen, dann
werden sie separat vergütet, sodass das Krankenhaus
nicht benachteiligt wird. Weil Sie nicht wissen, was Ausdifferenzierung bedeutet, sage ich Ihnen: Wir haben in
der Onkologie 40 neue Fallpauschalen eingeführt, um
möglichst stark differenziert nach dem Grad der Behandlung eine Abbildung zu ermöglichen.
({10})
Bei den Kindern haben wir drei neue Alterssplits eingeführt, um auch hier differenzieren zu können und um
gerade im Bereich der Kinderkliniken eine korrekte Abbildung der Leistung zu ermöglichen.
Wir dürfen allerdings nicht verschweigen, dass alle
Vorschläge, die zurzeit im Lande kursieren - wir haben
heute gehört: weitere Verlängerung der Konvergenzphase, Einführung von so genannten Kappungsgrenzen -, dazu führen würden, dass die Guten bestraft und
die Langsamen belohnt würden. Ich glaube, das kann
nicht in unserem Sinn sein. Man muss sehr Acht geben,
dass keine Ausweitung stattfindet.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: die Ausbildungskosten in der Krankenpflege. Ich bin stolz darauf, dass wir im Januar nächsten Jahres mit einem Umlageverfahren in der Krankenpflege anfangen; denn es
geht nicht an, dass sich manche Krankenhäuser aus ihrer
Verpflichtung davonstehlen und dass diejenigen Krankenhäuser, die ausbilden, zahlen müssen. Da muss Ordnung hinein. Diejenigen Krankenhäuser, die ausbilden,
müssen unterstützt werden.
({11})
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Krankenhäuser umgekehrt Transparenz herstellen. Ich habe
mich in den letzten Tagen bemüht, von den Krankenkassen zu erfahren, was sie zurzeit für die Ausbildung in der
Krankenpflege aufwenden. Ich konnte keine präzise
Zahl erfahren, weil sich die Ausbildungskosten nach wie
vor in einer Art Dunkelkammer befinden bzw. in einem
Art Basarbetrieb gehandelt werden. Da besteht Nachholbedarf. Wir müssen dafür sorgen, dass die Krankenkassen, die Geld für die Ausbildung ausgeben, erfahren,
was die einzelnen Krankenhäuser für die Ausbildung
aufwenden. Wir müssen sicherstellen, dass die Beitragsgelder - wir sprechen hier nämlich über Beitragsgelder dann auch tatsächlich in der vorgesehenen Höhe in der
Ausbildung landen und nicht zum Stopfen irgendwelcher Löcher herangezogen werden. Da müssen wir nachbessern.
({12})
Horst Schmidbauer ({13})
Im Hinblick auf die Länder sage ich: Dieser Bereich
ist sehr wichtig; wir reden hier nicht über Peanuts. Für
die Ausbildung werden Beitragsgelder in Höhe von
1 Milliarde Euro aufgewendet. Ich denke, aufgrund dessen besteht ein Anspruch auf Klarheit und Offenheit.
Daher sollten wir an den Bundesrat bzw. die Länder appellieren: Nehmt die Ausbildungsfrage bitte schön ernst!
Sorgt mit uns dafür, dass Klarheit und Transparenz hergestellt wird! Wir können es aber nicht zulassen, dass die
Situation entsteht, dass sich die Kassen provoziert fühlen
und sagen: Wir verabschieden uns von den Ausbildungskosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Dann hätten nämlich die Länder diesen Klotz von 1 Milliarde Euro am
Bein. Davor kann man nur alle warnen.
Man sollte versuchen, einen Konsens zwischen den
Pflegeorganisationen, den Gewerkschaften und den
Krankenkassen zu finden.
Herr Kollege.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diesen Konsens erreichen.
In diesem Sinne haben wir eine gute Chance, etwas
nach vorn zu bringen. Ich glaube, die Menschen haben
dies verdient.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Fallpauschalenänderungsgesetzes. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und
der FDP in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn
Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und FDP in dritter Lesung angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, den Entwurf eines Fallpauschalenänderungsgesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 15/3919 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit
und Soziale Sicherung unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, Drucksache 15/3974, die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/3450, mit dem Titel „Versorgungssicherheit für
Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung
des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 15/3418 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 15/3976 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Ulrich Krüger
Kerstin Andreae
Die Abgeordneten Kerstin Andreae und Carl-Ludwig
Thiele haben gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu
dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall.
Dann kann ich jetzt die Aussprache für die beiden
einzigen gemeldeten Redner eröffnen. - Zunächst einmal der Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ende des Jahres 2003 gab es in Deutschland mehr als
92 Millionen Lebensversicherungsverträge mit Beiträ-
gen von über 65 Milliarden Euro. Es gab mehr als
8 Millionen Vollversicherungsverträge in der Kranken-
versicherung mit Beiträgen von über 21 Milliarden Euro.
Das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Form der
Vorsorge ist, wenn man sich für das Alter eine finan-
zielle Absicherung aufbauen will bzw. wenn man sich
bei Erkrankung einen wirksamen Schutz verschaffen
will. Es ist ferner ein Zeichen dafür, wie wichtig diese
Branche für den Finanzplatz Deutschland im Allgemei-
nen ist.
Aber - daran besteht kein Zweifel - all diese circa
100 Millionen Verträge besitzen zurzeit keinen ausrei-
chenden Schutz gegen eine Insolvenz des Versiche-
rungsunternehmens. Gerade die Entwicklung der letzten
Jahre - ich erinnere nur an die Erfahrungen beim Zusam-
menbruch der Mannheimer Lebensversicherungs AG -
1) Anlage 2
hat gezeigt, wie unsicher einzelne Mitglieder dieser
Branche sein können. Zwar gibt es in dieser Branche
auch die freiwillig ins Leben gerufenen Gesellschaften
Protektor bzw. Medicator, die nicht selber am Markt
auftreten, aber bestehende Versicherungsverträge übernehmen sollen, damit Kunden von Not leidenden Versicherungen einen Schutz erhalten. Im Falle einer Unternehmensschieflage stößt diese Selbstverpflichtung der
Versicherungswirtschaft jedoch an ihre Grenzen.
Wir haben daher gehandelt und werden heute eine
Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes beschließen, eine gute und richtige Änderung.
({0})
Diese Änderung ist im Wesentlichen auf drei Säulen auf-
gebaut: Das ist erstens die Einführung einer Sicherungs-
einrichtung, zweitens sind das Änderungen im Bereich
der Rückversicherungsaufsicht und drittens ist das die
Normierung von Kontroll- und Eingriffsbefugnissen der
BaFin gegenüber Holdinggesellschaften bzw. Erwerbern
einer wesentlichen Beteiligung.
Im Einzelnen bedeutet das: Alle in Deutschland an-
sässigen Lebensversicherer werden Mitglied eines vorfi-
nanzierten Sicherungsfonds. Damit wird sichergestellt,
dass sich a) alle Unternehmen solidarisch beteiligen
müssen und b) im Schadensfall die Mittel so schnell wie
möglich mobilisiert werden können. Sollte eine Insolvenz erfolgen - was niemand will -, kann die BaFin alle
Versicherungsverträge auf den Fonds übertragen, der
dann die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt und
die Verträge letztlich auf ein anderes Versicherungsunternehmen überträgt.
Die Summe der Jahresbeiträge aller dem Sicherungsfonds angehörigen Assekuranzunternehmen beträgt
0,2 Promille, bis eine Höhe von 1 Promille der versicherungstechnischen Nettorückstellung erreicht ist. Das
heißt, dass die Gesamtheit der deutschen Lebensversicherer circa 500 Millionen Euro in diesen Sicherungsfonds
einzahlt, damit die Interessen des Verbraucherschutzes gewahrt bleiben können. Die Höhe des individuellen Jahresbeitrages jedes Lebensversicherungsunternehmens - das
ist ein wichtiges Detail dieses Gesetzes - wird jährlich
neu ermittelt und am Risikoprofil des Unternehmens
ausgerichtet. Das heißt: Solide wirtschaftende Unternehmen zahlen geringere Beiträge als Unternehmen, die riskanter vorgehen.
({1})
Somit erreichen wir einen positiven Nebeneffekt: Die
Bemühungen der Versicherer um ein effektives Risikound Kapitalmanagement werden verstärkt und jeder Versicherer weiß, wo er im Vergleich zu seinen Mitbewerbern steht. Das kann nur im Sinne aller Versicherten und
letztlich auch aller Versicherer sein.
({2})
Zusätzlich zu diesem Fonds werden bei den Lebensversicherern gegebenenfalls Sonderbeiträge erhoben
werden, dann nämlich, wenn die vorhandenen Mittel des
Fonds, 500 Millionen Euro, wider Erwarten nicht ausreichend sein sollten. Hierfür ist im Gesetzentwurf ein weiteres Promille, also weitere 500 Millionen Euro, vorgesehen.
Es sind also 500 Millionen Euro im Sicherungsfonds;
dazu kommen 500 Millionen Euro in Form von Sonderbeiträgen. Das werden die Leistungen der Assekuranz
im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens
sein. Reicht dies beides nicht aus, hat die BaFin die
Möglichkeit, die Verträge der Versicherten - das ist ein
ausgewogenes Pendant - um 5 Prozent zu kürzen.
Ein Fazit: All dies gibt den Unternehmen im Hinblick
auf eine Maximalbelastung Planungssicherheit. Die Einzahlungen sind akzeptabel und beruhigend für die Versicherten. Erstmals besteht also ein gesetzlich garantierter
Rechtsanspruch auf Insolvenzschutz.
Dieser Rechtsanspruch des Versicherten gilt erstmals
auch im Bereich der privaten Krankenversicherung.
Hier jedoch ist die Situation etwas anders. Auch hier ist
ein Sicherungsfonds notwendig. Im Vergleich zu Lebensversicherungen besitzen Krankenversicherungen jedoch eine geringere Risikoanfälligkeit. Daher kann hier
auf eine vorrangige Finanzierung - hier haben sich die
Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammengerauft, das möchte ich an dieser Stelle in aller Offenheit
sagen - verzichtet werden. Erst im Falle einer möglichen
Insolvenz eines Krankenversicherers wird der Sicherungsfonds mit 1 plus 1, sprich: 2 Promille in Anspruch
genommen. Er beträgt bei Krankenversicherungen nicht
1 Milliarde Euro, sondern circa 160 Millionen Euro.
Eine weitere Abweichung der Lebens- von den Krankenversicherungen besteht darin, dass es bei Krankenversicherungsverträgen nicht zumutbar und vertretbar
ist, die Versicherten nach Verbrauch der Nettorückstellungen mit einer generellen Kürzung ihrer Leistungen zu
belasten. Sollten sowohl bei der Lebens- als auch bei der
Krankenversicherung all diese Beiträge nicht ausreichend sein, gelten - wie bislang - die bestehenden freiwilligen Solidaranstrengungen der Versicherungswirtschaft.
Mein Fazit: Diese Regelungen sind ein angemessener
und vertretbarer Weg, der das Vertrauen in die Bestandskraft der abgeschlossenen Verträge stützt und stärkt.
Neben dieser ersten Säule waren auch Maßnahmen
im Bereich der Rückversicherungsaufsicht notwendig,
wie die Belastungen der Finanzmärkte des Jahres 2001
gezeigt haben. Ich nenne Ihnen nur beispielhaft die Angriffe auf das World Trade Center, die Flutschäden 2002
und den Lipobay-Skandal mit seinen Schadensersatzforderungen. Wichtig ist es im Rückversicherungsaufsichtsfall, jedes Risiko zu vermindern, das die Leistungsfähigkeit des Erstversicherers beeinträchtigen und damit
indirekt die Ansprüche der Versicherungsnehmer gefährden könnte. Insofern hat selbst der Internationale Währungsfonds der deutschen Rückversicherungswirtschaft
eine deutliche Verstärkung der Aufsicht empfohlen.
Auch hier haben wir wieder richtig gehandelt, indem
bei den Rückversicherungsunternehmen eine behördliche Zulassung eingeführt und eine Mindestausstattung
mit Eigenmitteln vorgeschrieben wird. Mit diesen neuen
Bestimmungen wird ein internationaler WettbewerbsDr. Hans-Ulrich Krüger
nachteil im Bereich der Rückversicherung ausgeräumt.
Die deutsche Versicherungsaufsicht entspricht damit
künftig nicht nur den internationalen Standards, sondern
wird auch den neuen Herausforderungen des Marktes
gerecht. Vor allen Dingen - das ist für uns besonders
wichtig - wird die gute Marktposition der deutschen
Rückversicherer weltweit gefestigt.
({3})
Ferner wird die Eingriffsbefugnis der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, gegenüber
Holdinggesellschaften und Inhabern einer wesentlichen Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen
erweitert. Ziel ist die bessere Bekämpfung bei Umgehung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Hier ist
unter anderem aufgrund der Genesis des Gesetzes zu beachten, dass eine Rechnungslegung jedes Holdingsunternehmens gegenüber der Aufsichtsbehörde nicht erfolgen
muss, auch wenn dies die Arbeit der BaFin erleichtert
hätte. Hierauf ist auch im Lichte der Sachverständigenanhörung verzichtet worden, um Kosten bei den betroffenen Unternehmen zu vermeiden. Der Kritik, einen zu
hohen Bürokratieaufwand zu betreiben, wird damit der
Wind aus den Segeln genommen.
Der Forderung hingegen, Zwischenholdings von der
Aufsicht auszunehmen, wird eine klare Absicht erteilt.
Kein Konzern in Deutschland wird von irgendjemandem
gezwungen, Zwischenholdings zu gründen. Machen die
Konzerne hingegen von dieser Konstruktion Gebrauch,
so muss selbstverständlich die Möglichkeit einer vernünftigen Aufsicht gegeben sein. Diese hat nunmehr die
BaFin in ihren Händen.
Bei der vorgesehenen Verschärfung der Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Personen, die eine wesentliche Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen erworben
haben, hat die Aufsichtsbehörde ferner die Befugnis, den
Erwerb einer wesentlichen Beteiligung unter bestimmten
Umständen - gedacht ist hier insbesondere an den Willen, ein Unternehmen zu zerschlagen - zu untersagen.
Ein Beispiel: Ein Investor erwirbt ein angeschlagenes
Versicherungsunternehmen und will dieses zu seinem
Vorteil und zulasten der Versicherungsnehmer zerschlagen. Das machen wir nicht mit. Wir haben mit diesem
Gesetzentwurf einen Riegel davor geschoben.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Vertrauen in die
Versicherungswirtschaft wird mit diesem Gesetzentwurf
geschützt. Wir bauen weiter darauf auf. Derjenige, der
einen Großteil seiner Lebensplanung einer privaten Lebensversicherung anvertraut, derjenige, der sich einer
privaten Krankenversicherung anvertraut, genießt durch
diesen Gesetzentwurf Schutz und Vertrauen auf den Bestand seiner Verträge auch im Alter.
Unsicherheiten durch mögliche Insolvenzen oder
wirtschaftliche Schieflagen haben wir sachgerecht, angemessen und in einem für alle Beteiligten verträglichen
Maße geregelt. Der Verbraucherschutz und der Finanzmarkt Deutschland werden durch diese Regelung weiter
gestärkt. Ich danke daher auch meinen Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition für ihre konstruktive Mitarbeit an diesem Gesetzentwurf, den wir heute einvernehmlich beschließen werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Peter
Flosbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach langer, intensiver und auch kontroverser Diskussion
verabschieden wir heute gemeinsam mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages Änderungen betreffend
die Aufsicht über Versicherungen und Versicherungsunternehmen. Diese gemeinsame Position ist möglich geworden, weil an dem ursprünglichen Regierungsentwurf
deutliche Änderungen vorgenommen wurden und auch
die Vorschläge der Opposition dazu geführt haben, dass
der Gesetzentwurf deutlich an Qualität gewonnen hat.
({0})
Worum geht es? Es geht um die Sicherstellung der
privaten langfristig angelegten Altersversorgung der Bevölkerung und des privaten Krankenversicherungsschutzes. Konkret - diese Zahlen hat Herr Dr. Krüger bereits
genannt - geht es um über 90 Millionen private Lebensund Rentenversicherungen, um 8 Millionen private
Krankenvollversicherungsverträge sowie zusätzlich um
39 Millionen Krankenzusatzversicherungen. Diese Verträge sollen im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens geschützt und gerettet werden.
Es ist wichtig, dass wir heute in einer Phase der allgemeinen Unsicherheit durch dieses Gesetz ein Stück Vertrauen schaffen können; denn die Lebensversicherungen,
die Rentenversicherungen und die Krankenversicherungen sind wichtige Bausteine der Lebensplanung eines jeden Menschen und somit von ungeheurer Bedeutung.
Man kann heute sagen, dass die Versicherungswirtschaft in weiser Vorausschau gehandelt hat, als sie vor
gut zwei Jahren die beiden Auffanggesellschaften - die
Protektor AG für den Lebensversicherungsbereich und
die Medicator AG für den Bereich der Krankenversicherungen - gegründet hat. Schon ein Jahr, nachdem diese
Auffanggesellschaften gegründet worden sind, kam es
zum ersten Insolvenzfall mit der Mannheimer Lebensversicherung. Sicherlich kam in der Branche keine
große Begeisterung auf, als immerhin etwa 200 Millionen Euro bereitgestellt werden mussten, um diese Mannheimer Lebensversicherung aufzufangen.
Wir sollten aber nicht vergessen: Dieser Fall wurde
ohne gesetzliche Grundlage gelöst; denn die Branche
war bereit, sich dieses Themas anzunehmen. Sie hatte
die Notwendigkeit erkannt, dass sichere Altersvorsorge
und garantierte Krankheitsversorgung zentrale Qualitätsmerkmale ihres eigenen Angebots sind und sich der finanzielle Einsatz und das damit gewonnene Vertrauen
der Kunden für die gesamte Branche entsprechend bezahlt machen.
Die Erfahrungen mit der ersten Insolvenz, der Mannheimer Lebensversicherung, haben aber auch uns allen
die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage aufgezeigt. Es kann jedoch nicht sein - so ist auch die Position
der Opposition -, dass die Versicherungsunternehmen
derart in die Haftung genommen werden, dass durch die
Insolvenz eines oder mehrerer Unternehmen die gesamte
Branche in eine Schieflage gerät oder die Versicherungsnehmer, also die Kunden der gesunden Unternehmen,
letztendlich dafür zahlen müssen, dass andere große Risiken eingehen.
In diesem Punkt haben wir uns von den Regierungsparteien unterschieden, haben uns letztendlich aber auch
geeinigt. In einer ersten Stufe wurde zunächst eine
rechtliche Grundlage geschaffen. Die Probleme zwischen dem Insolvenzrecht und dem Aufsichtsrecht wurden beseitigt: Jetzt kann eine Bestandsübertragung der
Verträge angeordnet werden, ein Sonderbeauftragter
kann eingesetzt werden und die so genannten Dienstleistungsverträge können auch von externen Unternehmen
übernommen werden.
In einer zweiten Stufe musste eine finanzielle
Grundlage geschaffen werden. Nun muss man wissen,
dass die Insolvenz eines Versicherungsunternehmens
kein Liquiditätsproblem des Augenblicks ist. Es ist also
nicht so, dass das Versicherungsunternehmen nicht in
der Lage wäre, die Krankenversicherungsleistungen zu
zahlen oder die Auszahlungen von Lebensversicherungen vorzunehmen. Wir können das am Beispiel der
Mannheimer Lebensversicherung sehr deutlich sehen:
Die Insolvenz dieser Gesellschaft ist darauf zurückzuführen, dass sie in der Boomzeit der Aktien bis an die
äußerste Grenze der Anlagemöglichkeiten gegangen ist,
also bis an 35 Prozent. Sie hat Aktien zu hohen Preisen
gekauft, zu Höchstpreisen, im falschen Moment. Nach
dem Absturz im Jahre 2000 mussten diese Aktien in den
folgenden Jahren neu bewertet werden. Es geht hier also
um eine bilanzielle Unterdeckung langfristiger Verbindlichkeiten; das ist der Unterschied. Ich will es anders
ausdrücken: Es ist eine Momentaufnahme und es geht
um den vorübergehenden Ausgleich der Unterdeckung
der den Versicherten langfristig zugesagten Leistungen.
Das Ziel ist und bleibt für alle, die Verträge fortzuführen.
Darauf musste die Finanzierung abgestimmt werden.
Jetzt zahlen die Lebensversicherungsgesellschaften in
einem ersten Schritt 500 Millionen Euro in einen Sicherungsfonds ein. Dieses Geld bleibt allerdings - das ist in
der Diskussion ein sehr wichtiger Punkt gewesen - gebundenes Vermögen der Versicherungsgesellschaften, es
ist also eine Kapitalanlage, es ist eine Beteiligung. Warum ist das so wichtig? Wenn das Geld nicht für den
Ernstfall gebraucht wird, wenn also keine Insolvenz eintritt, stehen die Erträge aus dieser Kapitalanlage zu über
90 Prozent den Versicherten zu, also den Versicherungsnehmern, den Kunden. Gerade um die Überschüsse findet ja der Wettbewerb der deutschen Versicherungswirtschaft statt. Der Sachverständige der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, hat dazu in der
Anhörung Folgendes ausgeführt:
Denn das gebundene Vermögen ist mehr als gedanklich nicht mehr das Vermögen des Unternehmens, sondern der Versicherungsnehmer.
Ich erinnere an diese Anhörung. Da gab es noch Meinungen, dass die 500 Millionen Euro, die in diesen Sicherungsfonds eingezahlt werden, als echte Kosten, als
Aufwand betrachtet werden sollten. Eine Pflicht zum unbegrenzten Nachschießen wurde gefordert. Das wäre ein
massiver Eingriff in den Wettbewerb gewesen. Es wäre
eine Strangulierung der Versicherungswirtschaft gewesen: Sogar intakte Unternehmen wären in einen Strudel
hineingeraten. Wir als Opposition hätten das nicht mitgetragen.
Nun könnte es sein, dass die eingezahlten 500 Millionen Euro im Sicherungsfonds beim Eintritt eines Insolvenzfalls nicht ausreichen. Deshalb besteht in einem
zweiten Schritt die Pflicht, weitere 500 Millionen Euro
nachzuschießen, die über die Einzahlung in den Sicherungsfonds hinaus bereitgestellt werden müssen. Die Regierungsparteien hatten 1 Milliarde Euro gefordert. Wir
haben diesen Betrag für zu hoch gehalten und uns im
Rahmen einer Kompromissfindung auf den Betrag von
500 Millionen Euro geeinigt. Erst wenn dieses Kapital
nicht ausreicht, können anschließend die Versicherungsnehmer des insolventen Unternehmens zur Eigenleistung
herangezogen werden, aber mit einem überschaubaren
Satz von 5 Prozent der garantierten Versicherungsleistung. Bedenken wir bitte: Wenn sie nicht mit 5 Prozent
herangezogen würden, würden die gesamten Kosten für
die Insolvenz von den Kunden der gesunden Unternehmen getragen; denn mit ihren Beiträgen wird der Sicherungsfonds letztendlich gefüllt. Und es kann nicht sein,
dass für die Kunden, die ein hohes Risiko eingehen, indem sie sich für eine Versicherung entscheiden, die mit
hohen Renditen besonders aggressiv wirbt, diejenigen
Kunden, die vorsichtig waren, letztendlich alles bezahlen und der risikobereite Kunde einen Vollkaskoschutz
genießen kann.
Wichtig war für uns die Unterscheidung zwischen Lebensversicherung und Krankenversicherung. Krankenversicherungsleistungen fallen in der Praxis etwa siebenmal pro Jahr an. Es müssen also laufend Zahlungen für
solche Leistungen erbracht werden. Man kann den Bestand also nicht bei einem Krankenversicherungsunternehmen parken und ein halbes Jahr lang liegen lassen,
bis alles geregelt ist. Es kommt darauf an, dass man eine
andere Versicherungsgesellschaft findet, die die Verträge
sofort übernimmt, sie betreut und die Rechnungen für
die Versicherten bezahlt. Eine solche Sicherungseinrichtung ist also gerade bei der Krankenversicherung nur ein
kurzer Zwischenschritt. Es gibt bei den privaten Krankenversicherungen bisher übrigens noch keinen Insolvenzfall. Wir konnten in der Diskussion durchsetzen,
dass die Krankenversicherungsunternehmen erst im Krisenfall zu Sicherungszahlungen herangezogen werden.
Für die Lebensversicherungen war das leider nicht
durchsetzbar.
In einem weiteren Bereich, nämlich in der Holdingaufsicht, hatten wir erhebliche Bedenken. Wir haben
aber auch nicht verkannt, dass finanzielle Risiken in
Holdinggesellschaften verschoben werden können. Das
gilt gerade für diejenigen, die nicht der Versicherungsaufsicht unterliegen. Das war auch eines der Probleme
der Mannheimer Lebensversicherung.
Es gab weitere Bedenken, dass die neue Aufsicht erheblich gegen das Gesellschaftsrecht verstößt, weil die
Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter
missachtet wurde. Auch die Gefahr einer versteckten
Durchgriffshaftung wurde gesehen, die gerade im internationalen Bereich erhebliche Haftungsrisiken für die
Unternehmen birgt.
Wir kommen immer wieder auf ein Thema zurück,
das wir auch in den nächsten Wochen und Monaten sehr
intensiv diskutieren werden. Ich will es am Beispiel der
zahlreichen EU-Richtlinien ansprechen. Es stellt sich
die Frage, ob wir europäische Vorschriften immer im
Verhältnis eins zu eins in nationales Recht umsetzen
oder ob wir in der Kontrolle immer noch etwas oben
drauflegen.
Sie kennen die Diskussion um die Eigenkapitaldefinition bei den Rückversicherern, die einem scharfen internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Ich warne davor,
in Deutschland schärfere Bestimmungen durchzusetzen,
als sie international üblich sind. Wir entzögen den deutschen Unternehmen damit die Geschäftsgrundlage.
Wir unterstützen die Rückversicherungsaufsicht, da
sie internationaler Standard ist. Wir müssen alles tun, um
den deutschen Unternehmen die besten Rahmenbedingungen zu geben; denn es geht letztlich um die Arbeitsplätze in Deutschland und unsere Chancen im internationalen Wettbewerb.
Herr Kollege Dr. Krüger, ich möchte Ihnen und auch
den Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von der
FDP für die Zusammenarbeit gerade in den letzten Tagen danken.
Ich will ein Fazit ziehen. Die Versicherten in Deutschland gewinnen durch dieses Gesetz Vertrauen zurück
und wissen, dass sie sich auf ihren Krankenversicherungsschutz und auf ihre private Altersversorgung verlassen können. Ich denke, dass auch die Versicherungsgesellschaften wissen, dass sie mit der Unterstützung
dieses Gesetzes ihre eigene Wettbewerbsposition stärken; denn das Vertrauen ihrer Kunden ist ihre Geschäftsgrundlage.
Ich danke Ihnen.
({1})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer
Gesetze, Drucksache 15/3418. Der Finanzausschuss
empfiehlt auf Drucksache 15/3976, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Friedrich ({0}), Birgit
Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Lärmschutz ist Gesundheitsschutz - Fluglärmgesetz jetzt modernisieren
- Drucksache 15/2862 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach interfraktioneller Vereinbarung haben wir für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Michael Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lärmschutz ist Gesundheitsschutz. Jüngste Studien haben ergeben, dass eine dauerhaft hohe Lärmbelastung das
Herzinfarktrisiko signifikant erhöht. Über diese Punkte
sind wir uns alle einig. Nachdem wir gestern bei der Beratung des Umweltgutachtens wieder festgestellt haben,
dass beim Lärmschutz mehr geschehen muss, würde ich
aber gerne einmal Taten sehen, anstatt immer nur schöne
Worte zu hören.
({0})
Wenn Lärm an der Quelle nicht zu reduzieren ist,
dann müssen die Verursacher für die Betroffenen passiven Lärmschutz bereitstellen. Dies zu regeln ist Aufgabe
des Fluglärmgesetzes. Das aktuell geltende Fluglärmgesetz stammt aus dem Jahr 1971 und ist seitdem nahezu
unverändert geblieben. Auch nach sechs Jahren Umweltminister Trittin und trotz aller Lippenbekenntnisse ist
dies so. All diese Lippenbekenntnisse sind für die Anwohner nichts wert.
({1})
Mit seinen durch die Lärmwirkungsforschung überholten Grenzwerten wird das Fluglärmgesetz dem Schutzinteresse der Anwohner schon lange nicht mehr gerecht.
Die Grenzwerte sind so veraltet, dass sie beispielsweise
am Flughafen meiner Heimatstadt Dortmund auf der
Startbahn gerade noch erreicht werden. Eine Modernisierung des Gesetzes ist also überfällig. Doch was
macht diese Bundesregierung?
({2})
Seit dem Jahr 2000 versprechen Sie den Anwohnern
in den Einflugschneisen in wunderbaren Vereinbarungen
ein modernes Fluglärmgesetz. Aber bisher - das muss
ich erneut feststellen - gibt es keinen Gesetzentwurf im
Deutschen Bundestag.
({3})
Nun wurde zum zweiten Mal - die Staatssekretärin ist ja
da - ein Referentenentwurf des Umweltministeriums
vorgelegt. Aber er steckt wie schon der erste Entwurf in
der Abstimmung zwischen den Ministerien. Die Bundesregierung ist in diesem Bereich heillos zerstritten.
({4})
Der Staatssekretär des Finanzministeriums ist schon gegangen; das ist wahrscheinlich Absicht.
({5})
Ich fordere die Koalition auf, im Interesse der Anwohner
und der Flughäfen: Kommen Sie bei diesem Gesetz endlich zu einer Einigung!
({6})
Was steht in dem Referentenentwurf des Umweltministeriums?
({7})
Knapp gesagt: Es soll beim Lärmschutz zu einer Klassengesellschaft kommen.
({8})
An neuen und auszubauenden Flughäfen gibt es schon
bei niedrigeren Grenzwerten Schallschutzmaßnahmen
als an bestehenden.
({9})
Anwohner an Militärflughäfen - jetzt hören Sie gut zu sollen erst bei Grenzwerten geschützt werden, die die
Lärmwirkungsforschung einhellig als gesundheitsgefährdend ablehnt.
Der Grund dafür - das ist die einzige überzeugende
Erklärung - ist, dass hier der Bund die Maßnahmen, die
er beschließt, bezahlen muss, während bei normalen Verkehrsflughäfen die Gemeinden, die Länder oder Private
bezahlen müssen. Hier macht sich der Bund wieder einmal einen schlanken Fuß: Immer wenn es an die eigene
Tasche geht, ist man mit dem Fortschritt plötzlich zurückhaltend.
({10})
Für die Gesundheit der Anwohner ist es aber egal,
wer den Lärm verursacht. Deshalb sage ich Ihnen ganz
klar: Für die FDP-Fraktion wird es beim Lärmschutz
keine Bürger erster, zweiter oder dritter Klasse geben.
({11})
Wir haben in unserem Antrag die liberalen Eckpunkte
für ein modernes Fluglärmgesetz formuliert. Wir fordern
den hier nicht anwesenden Minister Trittin auf, dem
Bundestag endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf
zuzuleiten und nicht nur nett mit den Verbänden über
Referentenentwürfe zu sprechen.
({12})
Die FDP steht für einen fairen und angemessenen
Ausgleich zwischen den Interessen der Anwohner, der
Luftfahrtgesellschaften und der Flughafenbetreiber. Deshalb fordern wir, dass die Grenzwerte dem aktuellen
Stand der Lärmwirkungsforschung entsprechen, dass es
gleiche Grenzwerte für bestehende, neue, auszubauende
und militärische Flughäfen gibt, dass eine Nachtschutzzone für all diese Flughäfen vorgesehen wird, dass wir
realistische Berechnungsmethoden und nicht die so genannte „100 zu 100“-Regelung zugrunde legen und dass
es schließlich keine Ausnahmeregelungen zum Bauverbot in der Schutzzone 1 geben darf.
({13})
Das sind die Kriterien, an denen sich ein Gesetzentwurf, der den Namen wert ist, messen lassen muss. Der
Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums ist
von diesen Kriterien leider immer noch viel zu weit entfernt.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried
Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP,
Sie haben Recht: Wir brauchen dringend eine Novelle
des Fluglärmgesetzes. Das sagen inzwischen übrigens
alle.
({0})
Aber wenn es Ernst wird, wenn die Umsetzung ansteht
und es um Geld geht, dann hat man ziemlich viele Gegner: die Eigentümer, die Flugwirtschaft, zum Teil auch
die Länder, sogar die eigenen Länder.
({1})
Auf der Seite der Wirtschaftsinteressen steht meistens
die FDP. Ich freue mich außerordentlich, dass Sie sich
explizit nicht auf die Seite der Wirtschaft gestellt haben,
({2})
sondern gesagt haben, dass Sie einen ambitionierten Entwurf wollen. Wir freuen uns, wenn Sie uns da unterstützen.
Meine Damen und Herren von der FDP, wir haben inzwischen gehandelt. Sie haben zu Recht festgestellt, dass
es mühsam vorangeht. Aufgrund der zahlreichen Gegner
geht es tatsächlich mühsam voran, aber es gibt den Referentenentwurf, der nicht einfach so mit den Verbänden
„beschwätzt“ worden ist, wie Sie gesagt haben; vielmehr
handelte es sich um eine ordentliche Verbändeanhörung. Wie Sie wissen, gab es auf der einen Seite starken
Druck von der Wirtschaft, der der Gesetzentwurf viel zu
weit ging, auf der anderen Seite von den Umweltverbänden, denen der Gesetzentwurf nicht weit genug ging. Ich
kann nur sagen: Ein Gesetzgeber ist gut beraten, wenn er
zwischen diesen beiden Interessen die Balance findet.
Das ist die Aufgabe des Fluglärmgesetzes.
Ich meine, der Entwurf des Umweltministeriums
sucht diese Balance. Wir wollen aufgrund der Forschungsergebnisse den Lärmschutz für die Menschen
aus gesundheitlichen Gründen klar verbessern. Wir wollen die Siedlungsplanung einschränken. Es soll nicht
mehr möglich sein, dass man direkt an die Flughäfen heranbaut. Wir wollen, dass sich zivile und militärische
Flughäfen an der Finanzierung beteiligen.
({3})
Der Anwendungsbereich wird erweitert werden. Es
sind nicht nur die großen Flughäfen, sondern alle Flughäfen und Landeplätze, die über 25 000 Starts und Landungen pro Jahr haben. Wir wollen auch, dass diesmal
der militärische Fluglärm einbezogen wird. Es war ein
Kampf mit dem Verteidigungsministerium auszufechten,
aber die Koalition hat sich darauf verständigt, den Militärlärm ebenfalls in das Gesetz aufzunehmen.
Wir werden strengere Grenzwerte einführen. Wir
werden Nachtschutzzonen einführen und wir werden das
Messverfahren modernisieren, ganz wie Sie es in Ihrem
Antrag gefordert haben. Wir werden Baubeschränkungen in dieses Gesetz aufnehmen, damit die Kommunen
nicht zulassen, dass an die Flughäfen herangebaut wird,
und sich dann anschließend die Anwohner darüber beklagen, dass es dort laut ist. Das soll verhindert werden.
Kommen wir nun zum spannenden Teil, den Kosten.
Teile der Flugwirtschaft sagen, dass das alles nicht bezahlbar sei. Seriöse Berechnungen des Umweltbundesamtes gehen davon aus, dass für Schallschutzmaßnahmen ungefähr 500 Millionen Euro vom zivilen
Flugverkehr und etwa 100 Millionen bis 200 Millionen
Euro vom militärischen Flugverkehr aufgebracht werden
müssen. Wenn man bedenkt, dass die Summe auf
10 Jahre gestreckt wird, ist das absolut zumutbar, und
zwar sowohl für den Verteidigungsminister, für den bei
einem Etat von rund 25 Milliarden Euro 20 Millionen
Euro pro Jahr in 10 Jahren nicht zu viel sind, als auch für
die zivile Flugwirtschaft, weil sie die Summe umlegen
kann. Wir sind für das Verursacherprinzip. Wer fliegt,
der hat Vorteile und der kann 1 bis 2 Euro pro Ticket für
den Lärmschutz derer bezahlen, die den Fluglärm aushalten müssen, weil sie in der Nähe von Flughäfen wohnen. Das ist finanzierbar.
({4})
Jetzt komme ich zu einem Bereich, den Sie nicht angesprochen haben. Sie haben ganz auf den Fluglärmschutz im Fluglärmgesetz abgehoben. Wir sind überzeugt, dass das nur eine Baustelle zur Bekämpfung des
Lärms ist. Eine weitere ist die EU-Richtlinie über
Betriebsbeschränkungen. Dort wird von einem ausgewogenen Ansatz angesprochen. Das heißt, es geht auch
darum, ob wir die Möglichkeit eröffnen, in Deutschland
Nachtflugverbote einzuführen, oder darum, dass wir bestimmte Flugzeugtypen verbieten. Das ist mittels eines
ausgewogenen Ansatzes machbar.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kauch?
Wenn ich meinen Satz ausgesprochen habe, ja.
Wir wollen auch freiwillige Verfahren wie das Mediationsverfahren, das etwa in Frankfurt erfolgreich praktiziert wird. So etwas wollen wir zur Reduzierung des
Lärms gerne befördern.
({0})
Herr Hermann, wenn Sie die Umsetzung der EURichtlinie zu Betriebseinschränkungen an Flughäfen ansprechen und diese für so bedeutsam halten, können Sie
mir dann erklären, warum die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie nicht innerhalb der gesetzten Frist
bis 2003 umgesetzt hat?
Das kann ich Ihnen erklären. Es gibt dazu in der Tat
unterschiedliche Meinungen, auch innerhalb der Bundesregierung. Das Verkehrsministerium ist der Meinung,
dass die Umsetzung in deutsches Recht schon weitgehend abgeschlossen ist, während Ökologen wie auch das
Umweltministerium meinen, dass die Richtlinie weiter
geht als das deutsche Recht nach derzeitigem Stand. Sie
umfasst zum Beispiel Nachtflugregelungen, die es im
deutschen Recht in dieser Form noch nicht gibt.
Wir werden uns bemühen. Wir werden aber des Fluglärms nicht Herr werden, wenn wir ein Fluglärmgesetz
verabschieden, das nur auf passiven Schallschutz setzt,
ohne gleichzeitig ein Gesetz zur aktiven Beschränkung
des Fluglärms auf den Weg zu bringen.
({0})
- Ich entnehme Ihrer Frage, dass wir mit der breiten Unterstützung der Opposition rechnen können. Dafür danke
ich Ihnen.
({1})
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen.
Es gibt einen gewissen Harmonisierungsbedarf. Das
haben Sie in Ihrem Antrag auch festgestellt. Zurzeit
stimmen die Messverfahren der Umgebungslärmrichtlinie einerseits und des Fluglärmgesetzes andererseits
noch nicht eins zu eins überein. Wir werden vermutlich
in einem parlamentarischen Verfahren prüfen müssen,
inwieweit die Messverfahren zusammenpassen.
Abschließend fasse ich zusammen: Um endlich zu einer Lösung zu kommen, müssen wir einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der Wirtschaft und der
Anwohner hinsichtlich der Gesundheit und des Lärmschutzes finden. Flugverkehr ist in Deutschland auf
Dauer nur dann möglich, wenn wir einen solchen Kompromiss erzielen.
Ich appelliere nochmals an die Flugwirtschaft und an
all diejenigen, die eventuell gegen ein solches Gesetz
opponieren wollen: Wir brauchen dieses Gesetz, wenn
der Flugverkehr in Deutschland auf Dauer Akzeptanz
finden soll.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der FDP-Antrag zeigt uns vor allem eines: Die Bundesregierung ist Ankündigungsweltmeister im Umweltschutz.
({0})
Ob es um die Endlagerung von radioaktivem Abfall geht
oder um Fluglärm: In Wahrheit geschieht nichts.
({1})
Eben konnten wir verfolgen, wie Herr Hermann in epischer Breite geschildert hat, was alles getan werden
müsste. In Wahrheit aber geschieht, wie gesagt, nichts.
Aus der Umgebung des Flughafens München ist mir
eine Reihe von Schicksalen von Menschen bekannt, die
vor zwei bzw. sechs Jahren den Grünen ihre Stimme gegeben haben in der Hoffnung, dass endlich etwas geschieht.
({2})
Tatsächlich aber ist nichts passiert. Bereits vor gut zwei
Jahren hat Ihre frühere Staatssekretärin Gila Altmann bei
einer Veranstaltung der Grünen in Freising angekündigt,
dass die Menschen in der Umgebung des Flughafens
München von der Novelle des Fluglärmgesetzes keine
nennenswerten Verbesserungen gegenüber dem heutigen
Zustand zu erwarten haben.
Wer geglaubt haben mag, dass sich das grüne Element
der Koalition wenigstens zum Segen der Umwelt auswirken würde, sieht sich maßlos getäuscht.
({3})
Im Jahr 1998 wurde uns von Herrn Bundesumweltminister Trittin und anderen vollmundig die Novellierung des
Fluglärmgesetzes versprochen. Seit Mai 2000 kann man
auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums ein
paar Eckpunkte als Ankündigungsbaustelle nachlesen.
Wir warten seit sage und schreibe sechs Jahren, aber bis
heute gibt es noch nicht einmal einen abgestimmten Referentenentwurf.
({4})
Das Bundesumweltministerium und das Bundesverkehrsministerium liegen - wie auch Herr Hermann eben
bestätigt hat - im Streit. Von der Bundesregierung ist in
dieser Angelegenheit nichts zu erwarten.
Wenn Sie wider Erwarten noch dieses Jahr einen
abgestimmten Referentenentwurf zustande bringen würden, Herr Hermann, wäre das für mich wie ein Weihnachtsgeschenk. Unterdessen findet nämlich rund um
die Flughäfen weiterhin eine mehr oder weniger ungeordnete Siedlungsentwicklung statt. Manche Gemeinden
weisen immer noch zu viele Baugebiete in Flughafennähe aus. Bauwillige lassen sich guten Glaubens dazu
überreden, dort ihr Eigenheim zu errichten.
({5})
Angesichts der problematischen Immobilienlage in der
Region ist das verständlich. Die Menschen denken:
Wenn die Kommune das empfiehlt, dann kann es sicherlich nicht so schlimm werden. Später dann - angesichts
der prognostizierten Entwicklung der Flughäfen ist das
ja verständlich - ist der Fluglärm so stark, dass ein vernünftiges Wohnen in den betroffenen Gegenden nicht
mehr angebracht erscheint.
Wir brauchen eine vernünftige Siedlungssteuerung
und eine vernünftige Schutzgebietsfestsetzung. Lärmbetroffene Bürger müssen für jeden Einzelfall die Gerichte
bemühen. Wer das Risiko scheut, krank ist oder zu wenig Geld hat, der hat aufgrund Ihrer Politik das Nachsehen. Es geht aber auch um Planungssicherheit für Investitionsentscheidungen, Wirtschaftsansiedlungen und die
Schaffung von Arbeitsplätzen; denn wir stehen im globalen und europäischen Wettbewerb. Man kann es nicht
oft genug sagen: Rund 750 000 Beschäftigte sind direkt
oder indirekt vom Luftverkehr abhängig. In absehbarer
Zeit ist die Schaffung von weiteren 100 000 Arbeitsplätzen denkbar. Am Flughafen München lässt sich die Entwicklung gut ablesen. Mit jeder Million, um die die Zahl
der Flugpassagiere steigt, nimmt auch die Anzahl der
Arbeitsplätze zu. Dies ist im Übrigen völlig unstrittig.
Ihr Kollege Bruckmann hat erst vor kurzem diese Zahlen
bestätigt. Dafür müssen wir aber unsere Rolle in der
Mitte Europas flugverkehrsmäßig voll annehmen. In der
Zeit von Karstadt und Opel wird wohl niemand mehr
solche Aussichten leichtfertig aufs Spiel setzen.
Kurzum: Der jetzige Schwebezustand ist unerträglich.
Fakt ist: Hier und heute gilt noch immer das Fluglärmgesetz von 1971 mit völlig überholten Werten, mit Werten,
die weder das heutige Verkehrsaufkommen noch die
technischen Möglichkeiten und auch nicht die gesundheitlichen Aspekte der Lärmbelastungen nach unserem
derzeitigen Kenntnisstand berücksichtigen. Der Flugverkehr wird sich nach den Prognosen bis 2015 mit hoher
Wahrscheinlichkeit verdoppeln. Da tröstet es wenig,
wenn die Gerichte über die Jahre mit ihren Entscheidungen zu etwas zeitgemäßerem Umgang mit der Fluglärmproblematik beigetragen haben. Das ist sozusagen ein
Zustand permanenter Nothilfe. Es ist nicht Aufgabe der
Richter, überholte Gesetze oder eklatante Gesetzeslücken jahrzehntelang mit Rechtsprechung zu stopfen.
({6})
Es ist vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, allgemein
gültige Regeln mit der notwendigen Klarheit aufzustellen, beispielsweise in Form von Gesetzen. Es ist auch lobenswert und schön, wenn manche Flughafenbetreiber
Entgegenkommen zeigen und passiven Schallschutz finanzieren oder sich sonst Gedanken über die Minimierung der Schallbeeinträchtigungen machen. Aber in diesen Genuss kommt nicht jeder Lärmbetroffene, der es
nötig hat.
Der Kern ist doch: Wir können uns nicht länger um
eine grundsätzliche Abwägung herumdrücken. Wir müssen einen angemessenen Ausgleich zwischen Klimaschutz, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Anwohnerinteressen finden. Das ist keine leichte Aufgabe;
das gebe ich gerne zu. Aber Sie müssen doch endlich
einmal anfangen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank. Das ist Ihre Arbeit. Dafür sind Sie gewählt worden, gerade Sie, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der grünen Front. Wir von der Union sind
gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen.
({7})
Legen Sie uns einmal etwas Vernünftiges vor! Dann
können wir mit Ihnen sprechen.
Damit nichts offen bleibt, möchte ich Ihnen noch ein
paar Dinge mit auf den Weg geben. Beginnen Sie mit
den vorliegenden Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung! Hinzu kommt noch die höchstrichterliche
Rechtsprechung zum Fluglärm. Damit haben Sie einen
tragfähigen Rahmen, aufgrund dessen Sie neue Schutzzonen und niedrigere Grenzwerte festlegen können.
Wichtig ist auch ein ausreichender Schutz der Nachtruhe. Das liegt mir ganz besonders am Herzen; denn ich
habe festgestellt - ich selber bin zwar kein unmittelbarer
Anrainer, wohne aber in der Nähe eines Flughafens -,
dass die Bürgerschaft wohl am meisten unter dem
Nachtfluglärm leidet. Außerdem hat die Lärmwirkungsforschung bewiesen, dass Nachtlärm zu erheblichen Beeinträchtigungen führt. Allerdings hatte ich erwartet,
dass es der Bundesregierung gelingt, innerhalb der Europäischen Union eine vernünftige Regelung gerade hinsichtlich des Nachtfluglärms auf den Weg zu bringen.
Wenn wir scharfe nationale Nachtflugregelungen treffen,
besteht nämlich die Riesenproblematik - die sehen auch
wir -, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.
Der Nachtflugbetrieb auf unseren Flughäfen würde vermutlich geringer, aber er würde ins benachbarte Ausland
abwandern.
National wären neue Nachtschutzzonen ein geeignetes Mittel. Aber bitte nicht gleich das Kind mit dem
Bade ausschütten! Realistische Betrachtungen und Berechnungen sind ein absolutes Muss. Die „100 zu 100“Regelung aus dem Referentenentwurf zum Beispiel
({8})
sollte den tatsächlichen Verhältnissen des Flugbetriebs
angepasst werden.
({9})
Das leuchtet doch sicherlich ein. Es müsste auch den reisefreudigen Regierungsmitgliedern einleuchten. Der
Herr Bundesumweltminister ist heute nicht hier, aber die
Frau Staatssekretärin ist hier. Ich weiß nicht, ob sie auch
so reisefreudig ist wie ihr Minister. Angesichts der Reisefreudigkeit des Ministers jedenfalls wäre es sicherlich
angebracht, ein wenig schneller zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.
({10})
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir
natürlich einheitliche Messmethoden und Standards
auf europäischer und internationaler Ebene brauchen,
ähnliche Methoden, wie sie für Straßen-, Schienen- und
Gewerbelärm bereits zur Anwendung kommen. Das
scheint mir außerordentlich wichtig zu sein. Vom fairen
Interessenausgleich zwischen Flughafenbetreibern und
Anwohnern war schon mehrfach die Rede.
Eines möchte ich noch sagen; das kann ich Ihnen
nicht ersparen. Ich stelle fest, dass sich bei sämtlichen
Diskussionen über Infrastrukturmaßnahmen im Verkehrsbereich eine Gruppe in der Bundesrepublik
Deutschland besonders hervortut. Das sind die Grünen
und ihre Anhänger vor Ort.
({11})
Ganz egal, was wir diskutieren, ob wir Schienenverkehr,
S-Bahn oder den Transrapid diskutieren - die Grünen
sind immer dagegen.
({12})
Wir haben bei uns am Flughafen vor einigen Jahren eine
schöne Sache diskutieren können.
({13})
Die Grünen haben die Behauptung aufgestellt, der Flughafen sei übererschlossen. Jetzt haben wir zwei S-BahnLinien, eine erweiterte Autobahn und es reicht immer
noch nicht. Trotzdem wehren sich die Grünen gegen alles, was in Richtung Fortschritt im Verkehrsbereich geht.
Die Bürgerinnen und Bürger vor Ort erkennen dieses
zwielichtige Spiel natürlich sehr gut.
({14})
Sie zeigen bei verschiedensten Veranstaltungen auch,
was man von einer derart scheinheiligen Politik zu halten hat.
({15})
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Antrag
selbst sagen.
({16})
Selbstverständlich schließt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem flehentlichen Wunsch der Kolleginnen
und Kollegen aus der FDP-Bundestagsfraktion voll und
ganz an, der da schlicht und einfach lautet: Bitte legen
Sie jetzt so schnell wie möglich einen vernünftigen Gesetzentwurf zur Novellierung des geltenden Fluglärmgesetzes vor.
({17})
Das parlamentarische Beratungsverfahren - das wird leider oft vergessen - ist eigentlich dazu da, im gemeinsamen Ringen die bestmögliche Lösung zu erzielen. Wir
stehen jederzeit für Gespräche bereit. Wir stehen sozusagen vor dem Ring und warten auf Ihre Signale.
Herzlichen Dank.
({18})
Als letzte Rednerin erhält jetzt die Abgeordnete Petra
Bierwirth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich
kann Sie beruhigen: Wir wollen ebenfalls ein neues
Fluglärmgesetz.
({0})
Ich bin auch sehr optimistisch, dass wir uns demnächst
an dieser Stelle wiedertreffen und über die Novelle des
Fluglärmgesetzes sprechen,
({1})
zumal Sie über den Referentenentwurf,
({2})
den es an und für sich noch gar nicht gibt, schon so gut
informiert sind. Ich denke, Sie teilen meine Auffassung
dazu.
({3})
Auch wir wissen, dass Lärm inzwischen zu den gravierendsten Umweltproblemen in unserem hoch technologisierten und dicht besiedelten Land gehört. Auch
wir wissen, dass durch Lärm verursachte Gesundheitsbeeinträchtigungen, zum Beispiel Schwerhörigkeit,
Schlafstörungen und Stresserscheinungen, die Menschen
in erheblichem Maße belasten. Das Hauptproblem ist
hier nun einmal Verkehrslärm und vor allen Dingen
Fluglärm. Neueste Umfragen besagen, dass sich circa
ein Drittel der Bevölkerung durch Fluglärm belästigt
fühlt.
Man muss natürlich auch feststellen, dass der Luftverkehr in Deutschland inzwischen ein bedeutender
Verkehrsträger geworden ist. Ich denke, das wissen Sie,
liebe Kollegen und Kolleginnen, die Sie nachher sicherlich wieder ins Flugzeug steigen und nach Hause fliegen,
am besten. Das Flugzeug gehört heute zu den wichtigsten Transportmitteln im Güter- und Personenverkehr.
Der Luftverkehr und die Luftverkehrswirtschaft verzeichnen rasant zunehmende Leistungen. Die Branche
ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Deutschland
geworden. Aber man muss natürlich klar sagen: Mit diesem Aufwärtstrend gehen höhere Belastungen der Umwelt einher.
Richtig ist - das ist heute schon von allen angesprochen worden -, dass das Fluglärmgesetz von 1971 nicht
mehr den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung entspricht. Ich verstehe aber gar nicht Ihre
Aufregung darüber, dass bisher noch keine Novelle zum
Fluglärmgesetz vorliegt. Ich kann mich erinnern, dass
Sie hier eine ganze Reihe von Jahren Regierungsverantwortung getragen haben. Mir ist nicht bekannt, dass in
Ihren Reihen dieses Problem zum damaligen Zeitpunkt
diskutiert worden ist.
({4})
Wir nehmen diese Entwicklungen sehr ernst und diskutieren schon darüber. Wie ich schon gesagt habe, werden
wir demnächst über einen konkreten Vorschlag gemeinsam sprechen können.
Das Fluglärmgesetz von 1971 entfaltet kaum noch
Wirkungen, da die Lärmschutzzonen oftmals kaum
über das Flughafengelände hinausreichen. Das hat natürlich auch mit der Entwicklung leiserer Flugzeuge zu tun,
durch die der durchschnittliche Lärmpegel, von dem die
Größe der Lärmzone abhängt, niedriger ist. Für die Menschen aber, deren Wahrnehmung vom tatsächlich bestehenden Pegel bestimmt wird, ist der Fluglärm mit seiner
besonderen Ausbreitungsdynamik nach wie vor eine
sehr große Belastung.
({5})
Eine gesetzliche Anpassung an die heutigen Erfordernisse ist aus unserer Sicht dringend erforderlich.
Mit der Neufassung des Fluglärmgesetzes soll der
Anspruch der Flughafenanwohner auf effektiven Lärmschutz gestärkt werden. Dazu gehört unter anderem
- auch das ist heute schon angesprochen worden - eine
vorausschauende Siedlungsplanung in lärmbelasteten
Bereichen um den Flughafen herum, um zukünftig auch
Lärmkonflikten besser vorbeugen zu können.
({6})
Eine Novelle sollte auch eine Ausweitung des Anwendungsbereiches auf weitere Flugplätze vorsehen.
Hiermit ist eine Gleichbehandlung materiell vergleichbarer Fluglärmsituationen zu erreichen. Außerdem sind
wir der Auffassung, dass auch Flugplätze der Bundeswehr in die Reichweite einer Novelle zum Fluglärmgesetz einbezogen werden sollen.
Auch dem Schutz der Nachtruhe müssen wir mit der
anstehenden Novellierung besondere Bedeutung beimessen. Zum Beispiel kann die Ausweisung von Nachtschutzzonen den Anforderungen gerecht werden. Unser
aller Ziel muss es sein, gesundheitlich bedenkliche Störungen der Nachtruhe zu verhindern.
({7})
In Deutschland als modernem, technisch hoch entwickeltem Land wird das Angebot einer nachhaltigen
Mobilität von Mensch und Fracht zukünftig weiter ausgebaut werden müssen. Dazu gehören natürlich wirksame nachhaltige Maßnahmen zur Fluglärmreduzierung,
um einen ausreichenden Schutz der Bürger und Bürgerinnen vor unerwünschtem Fluglärm zu gewährleisten.
Die Novellierung des Fluglärmgesetzes muss sowohl
dem erforderlichen Schutz der Bevölkerung vor Lärm
als auch den Bedürfnissen der Betreiber von Flugplätzen
gerecht werden. Ich gehe ganz fest davon aus - ich sage
das hier noch einmal -, dass wir demnächst gemeinsam
an dieser Stelle über die Novelle zum Fluglärmgesetz
diskutieren werden. Ich hoffe, wir werden konstruktiv
darüber beraten, wie wir diese Ziele erreichen können.
({8})
Vielen Dank, auch für die kurze und knappe Rede, bei
der Sie uns allen sogar noch ein bisschen Zeit geschenkt
haben.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatzpunkt 11 auf:
27 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und
Elektronikgeräten ({0})
- Drucksache 15/3930 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten
- Drucksache 15/3950 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Hier haben die Abgeordneten Bollmann, Wittlich und
Homburger sowie der Bundesminister Trittin gebeten,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie da-
mit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/3930 und 15/3950 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
1) Anlage 3
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2004, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.