Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/22/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Nichts ist schöner, als einen Geburtstag mit Ihnen zu verbringen. ({1}) Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive durch Abschaffung der Eigenheimzulage - Drucksache 15/3781 ({2}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) - Drucksache 15/3972 - Berichterstattung: Abgeordnete Stephan Hilsberg Dr. Michael Meister b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/3975 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Walter Schöler Anja Hajduk Otto Fricke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über ein wichtiges finanzpolitisches und gleichzeitig bildungspolitisches Vorhaben. ({0}) - Richtig, wieder einmal. Dieser Hinweis von der Opposition ist richtig, ({1}) weil das ein wichtiger Punkt ist, an dem wir uns mehr Unterstützung von der Opposition wünschen, als wir bisher erfahren. Die Opposition verfährt so, wie sie das immer tut: In allgemeinen Fragen werden wir unterstützt; wenn es aber konkret wird und ans Eingemachte geht, wenn es gelegentlich einmal wehtut, wird uns die Unterstützung entzogen. So kann man keine Politik machen. ({2}) Um es ganz klar zu sagen: Unsere Regierung verdient jede Unterstützung, wenn es darum geht, mehr in Bildung zu investieren und weniger für Subventionen auszugeben. Zu der Frage, wofür das Geld bei der Bildung ausgegeben werden soll, wird anschließend unsere Ministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard Bulmahn, das Nötige sagen. Deshalb werde ich mich an dieser Stelle, obwohl ich viel dazu sagen könnte, zurückhalten. Aus berufenem Munde wird das besser gesagt. Ich will etwas zur Notwendigkeit der Senkung von Steuersubventionen erklären. Heute ist die Situation anders als noch vor zehn Jahren. Es geht nicht einfach nur darum, die Ausgaben des Staates zu begrenzen. Nicht dasjenige Land ist ein gutes Land, das wenig Steuern verlangt, sondern dasjenige Land ist ein gutes Land, Redetext das ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen eingezogenen Steuern und dafür erbrachten Leistungen aufweist. ({3}) Dieses Kriterium ist auch im europäischen und internationalen Standortwettbewerb wichtig. Deshalb geht es in der Frage der Notwendigkeit der Senkung der Subventionen nicht einfach nur darum, Ausgaben zu senken, sondern darum, die Effizienz des Steuersystems insgesamt zu verbessern; das ist der entscheidende Punkt. Wir sind an dieser Stelle schon einen ganz erheblichen Schritt vorwärts gekommen, an manchen Stellen auch mit Unterstützung der Opposition - gar keine Frage -, auch wenn das Endergebnis ein bisschen dürftig war. Beispielsweise war das berühmte Koch/SteinbrückPapier an manchen Stellen nicht zielgenau. Aber immerhin ist es gelungen, einige Subventionen abzubauen. Es ist sehr gut, dass der berühmte Effekt, der noch vor fünf oder sechs Jahren beklagt wurde, nämlich dass wir Einkommensmillionäre haben, die keine Steuern zahlen, inzwischen der Vergangenheit angehört. Eine ganze Menge Steuerschlupflöcher wurden geschlossen. Das ist gut so und an dieser Stelle müssen und wollen wir weitermachen. ({4}) Es geht jetzt also nicht darum, Geschenke zu verteilen, sondern es geht um die Frage, wo Subventionen gerechtfertigt sind und wo nicht. In diesem Zusammenhang komme ich auf die Eigenheimzulage zu sprechen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben wir einen ausgeglichenen Wohnraummarkt, der es nicht mehr rechtfertigt, eine solche allgemeine Eigenheimzulage zu gewähren. In einigen Regionen haben wir sogar katastrophale Leerstände; da kommen wir mit einer Eigenheimzulage überhaupt nicht weiter. In manchen Regionen in der Bundesrepublik ist die Situation ganz ohne Zweifel nach wie vor ein klein wenig angespannt. Aber das allgemeine Instrument einer Eigenheimzulage ist überhaupt nicht mehr angebracht. ({5}) Natürlich haben wir es mit Besitzstandswahrern zu tun; ist doch gar keine Frage. Was wäre das auch für ein Lobbyverband, der sich dann, wenn es darum geht, in seinem Bereich bestimmte Gelder einzusparen, nicht melden oder organisieren würde! Das ist doch völlig normal und damit kann man auch umgehen. Es muss aber bewertet werden, ob es im allgemeinen Interesse liegt, dass so etwas gemacht wird. Von Wirtschaftsverbänden lasse ich mir ungern sagen, dass wir zu wenige Subventionen zahlen, da sie die ganze Zeit die Meinung vertreten haben, dass sich der Staat aus dem Marktgeschehen herauszuhalten habe. Genau das ist doch der Punkt. Deutschland ist nicht umsonst eines der Länder mit den höchsten Baupreisen. Sie müssen sich einfach einmal überlegen, ob die Bauwirtschaft die Eigenheimzulage in Milliardenhöhe, wie sie zurzeit gezahlt wird, nicht automatisch in ihre Kosten mit einrechnet und auf diese Art und Weise schon einmal Einnahmen hat, die sie vor niemandem und erst recht nicht im Marktgeschehen zu verantworten hat. Ich meine, das ist ein wichtiger Punkt. Deshalb muss das auch gesagt werden. Interessanterweise kann man bei der Diskussion um die Zukunft der Eigenheimzulage - auch im Ausschuss keineswegs feststellen, dass die Opposition überhaupt nicht an die Eigenheimzulage ran will. Es gibt beispielsweise Äußerungen, dass man im Rahmen einer generellen und großen Steuerreform bereit sei, über die Zukunft der Eigenheimzulage zu reden. Es geht also gar nicht darum, dass man nicht bereit ist, hier etwas zu tun. Bei der entscheidenden Aufgabe, die wir heute haben, nämlich Steuersubventionen abzubauen, um ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuersystem insgesamt zu erreichen, verweigern Sie sich aus durchscheinenden parteitaktischen Interessen, weil Sie Ihre eigenen Konzepte damit finanzieren wollen. Ihre eigenen Konzepte sind nämlich dermaßen schlecht durchgerechnet, dass Sie Sorgen haben, wenn Sie an die Realisierung denken, zu der es kommen würde, wenn Sie jemals die Chance dazu hätten. Das ist doch der Hintergrund. ({6}) Während Ihr Faktionsgeschäftsführer Volker Kauder und der jetzt nicht mehr ganz so beliebte Teufel, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, noch darüber reden, dass man das in eine allgemeine Steuerreform einbauen könnte, wird im Ausschuss darüber geredet, dass es vielleicht nicht falsch wäre, ein Konzept zu finden, in dem das Wohneigentum besser als bisher in eine steuerlich begünstigte Altersvorsorge mit eingerechnet wird. Darüber könnte man auch reden. ({7}) Sie müssen sich aber überlegen, was Sie eigentlich wollen und wofür Sie es verwenden wollen. Sie sind hier überhaupt nicht sortiert. Wir werden unseren Weg gehen. Der Weg kann nur lauten: besseres Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuersystem insgesamt für einen Standortvorteil und für bessere Standortbedingungen für unsere Unternehmen in Deutschland, für bei uns benötigte Arbeitsplätze sowie für eine hervorragende und sich gut entwickelnde Volkswirtschaft im europäischen Konzert. Deswegen gehen wir auch an die schwierigen Punkte heran. Wir wissen nämlich, dass es für eine gute Zukunft unseres Landes notwendig ist, heute auch schwierige Aufgaben zu meistern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Christian von Stetten, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Hilsberg, es ist doch folgendermaßen: Im Dezember 2003 haben wir einen Kompromiss zwischen der Regierung und der Opposition erzielt, um die Zukunft der Eigenheimzulage neu zu regeln. Allein die Tatsache, dass wir uns heute, keine zehn Monate später, erneut mit diesem Thema beschäftigen müssen, weil die Regierung den betroffenen Bürgern gegenüber wortbrüchig werden will, ist der Skandal und zeigt die Unzuverlässigkeit der rot-grünen Regierung und der in ihr handelnden Personen. ({0}) Wie war es denn? Sie von Rot-Grün wollten die Eigenheimzulage im letzten Jahr vollständig abschaffen, um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen. CDU/CSU und auch die FDP wollten den Schwächeren unserer Gesellschaft weiterhin den Erwerb von Wohneigentum ermöglichen. ({1}) Herr Tauss, dann haben wir uns auf Kürzungen in Höhe von 30 Prozent in den nächsten drei Jahren geeinigt. Ich war von diesem Kompromiss nicht begeistert, aber es war ein Kompromiss. Er hat den Bürgerinnen und Bürgern eine Perspektive für die nächsten Jahre gegeben. Junge Familien haben auf diese von uns gemeinsam gemachten Zusagen hin ihre Lebensplanungen ausgerichtet. Und jetzt? Die Betroffenen fragen zu Recht, was denn nun gilt. Gibt es jedes Jahr wieder ein neues Theater. Sie wissen, mich persönlich können Sie nicht mehr so leicht enttäuschen. Was ich bei Ihnen in zwei Jahren chaosmäßiger Finanzpolitik an Unredlichkeit und Fehlplanung erlebt habe, ist nicht mehr zu toppen. Heute belasten Sie aber die Bürger und auch die Mitarbeiter in den Firmen. Was können Ihnen die Mitarbeiter in den mittelständischen Bauunternehmungen und in den Bausparkassen überhaupt noch glauben? ({2}) Auch fachlich liegen Sie völlig falsch. Wir brauchen nicht weniger Bürger, die in ihre eigenen vier Wände investieren können, sondern mehr Bürger, die in ihr Eigentum investieren, anstatt Miete zu zahlen. Das ist eine solide Alterssicherung und schützt vor dem Problem, vor dem Sie immer warnen: der Altersarmut. Sie haben es bei der Einführung der so genannten Riester-Rente oder bei der Kürzung der neulich erst erfolgten Neuregelung der Alterseinkünftebesteuerung versäumt, die Bildung von Wohneigentum ausreichend zu berücksichtigen. ({3}) Der Bundesrat hat sich bei diesem Thema eindeutig positioniert und fordert die Beibehaltung der Eigenheimzulage. Übrigens setzen sich nicht nur die CDU-, CSUund FDP-Politiker in ihren Landesverbänden für die Eigenheimzulage ein, vielmehr verstehen auch Ihre Leute von der SPD den unehrenhaften Umgang mit den Betroffenen nicht. Herr Tauss, Sie können so viel protestieren, wie Sie wollen. Ich kann auch konkret werden. ({4}) Dazu möchte ich Ihnen keine Zitate von vor ein paar Jahren vorlesen, sondern nur ganz aktuelle. Der letzte Landesparteitag der SPD hat am 9. Oktober 2004 in Hanau in Hessen stattgefunden, also vor gerade 13 Tagen. Schauen wir doch einmal, Herr Finanzminister Eichel, was Ihr eigener Landesverband zum Thema Eigenheimzulage vor 13 Tagen beschlossen hat. ({5}) Mit Zustimmung des Präsidenten zitiere ich kurz den Beschluss der SPD Hessen vom 9. Oktober 2004. Da heißt es: Der SPD-Landesparteitag Hessen befürwortet die Beibehaltung der Eigenheimzulage. ({6}) Er lehnt die Abschaffung der Eigenheimzulage ab … ({7}) Der Landesverband unseres SPD-Finanzministers begründet seinen Beschluss unter anderem mit folgenden Worten: Die Abschaffung der Eigenheimzulage erschwert gerade jungen Familien ... den Erwerb von Wohneigentum deutlich. Weiter heißt es: Der Erwerb von selbstbewohntem Wohneigentum bedeutet langfristig die Umwandlung von ansonsten zu zahlender Miete in eigenes Vermögen. Anschließend haben die hessischen Landespolitiker nachgerechnet, dies dem Finanzminister zukommen lassen und deswegen folgende Begründung in ihren Antrag aufgenommen - ich zitiere -: Die Eigenheimzulage deckt bei einem durchschnittlichen Eigenheim maximal die anfallende Mehrwertsteuer auf die erbrachten Bauleistungen ab. ({8}) Weniger Bauleistung durch eine wegfallende Eigenheimzulage bedeutet somit Verzicht von Steuereinnahmen. ({9}) Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wenn es Ihnen noch nicht einmal gelingt, Ihre eigenen Leute von diesem falschen Weg zu überzeugen, dann frage ich mich, wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, sich hier im Bundestag hinzustellen, der Opposition Verweigerung vorzuwerfen ({10}) und von uns zu erwarten, dass wir Ihnen auf diesem Weg der Pleiten, Pech und Pannen bei den Finanzen folgen. So wie Sie Ihr SPD-Landesparteitag aufgefordert hat - wie mir Ihr Landesverband mitgeteilt hat, ist ein Brief an den Finanzminister diese Woche im Ministerium eingegangen -, kann auch ich Sie nur auffordern: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück! Wir haben einen Gegenantrag gestellt. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gestern über den Nachtragshaushalt debattiert. Wir wissen: Die Spielräume, die wir noch haben, sind begrenzt und eng. ({0}) Der Haushalt enthält Ausgaben von 250 Milliarden Euro. Wir wissen, dass 70 Prozent dieser Ausgaben für Zinsen und die Renten- und Pensionskasse verwendet werden. Das heißt, der Spardruck in Bezug auf den Haushalt ist sehr groß und unsere Spielräume sind gering. Einer unserer Spielräume sind die Subventionen. Die Frage bei eingesparten Subventionen ist: Sollen sie für die Schuldentilgung verwendet werden oder sollen sie anderweitig eingesetzt werden? Wir haben uns dafür entschieden, die Mittel aus dem Abbau der Eigenheimzulage für die Bildung zu verwenden, und zwar aus gutem Grund. ({1}) Für Subventionen gilt Folgendes: Vernünftige Subventionen sind degressiv. Irgendwann laufen sie aus und zwar dann, wenn das Ziel einer Subvention erreicht ist. ({2}) Das Ziel dieser Subvention war eine ausreichende Wohnraumversorgung. Dass dieses Ziel erreicht ist, sagen Ihnen alle Wissenschaftler, Gutachter und auch der Städtetag. ({3}) - Herr Seiffert, Sie können hundertmal behaupten, dass dies nicht stimmt. Natürlich stimmt es: Der Wohnungsmarkt ist gesättigt. Wenn Sie dann noch die demografische Entwicklung bedenken, durch die der Bedarf langfristig noch weiter sinken wird, können Sie sich heute nicht hier hinstellen und fordern, über die Eigenheimzulage weiterhin den Bau von Eigenheimen und die Schaffung von Wohneigentum zu finanzieren. Der Markt ist gesättigt. Das müssen Sie endlich einmal anerkennen. ({4}) Jetzt sagen Sie, das Ziel sei nicht nur die Schaffung von Wohneigentum, sondern auch die Altersvorsorge. Ich sage Ihnen eines: ({5}) Die beste Altersvorsorge ist Bildung. Wir brauchen mehr Innovationen und mehr Bildung für eine vernünftige Altersvorsorge. ({6}) Natürlich hätten wir gerne einen größeren finanziellen Spielraum; aber wir haben ihn nicht. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, in die Bildung zu investieren. Um diese Entscheidung geht es. Es geht um die Entscheidung: Eigenheimzulage oder Bildung? Es geht um die Entscheidung: Investition in einen gesättigten Wohnungsmarkt oder in Bildung? ({7}) Es geht um die Entscheidung: Beton oder Bildung? Wir haben uns für die Bildung entschieden. Wenn wir die Eigenheimzulage abbauen, haben wir bis zum Jahr 2008 3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Insgesamt haben wir dann 6 Milliarden Euro mehr für Kinderbetreuung, für Bildung und für Innovationen. ({8}) - Genau, ich komme mit der Kinderbetreuung. Wissen Sie, warum ich mit der Kinderbetreuung komme? Weil wir uns in Deutschland etwas leisten, was geradezu absurd ist. Wir leisten uns, dass junge, gut ausgebildete Frauen - meist mit einem besseren Abschluss als Männer - keinen Zugang zu hoch qualifizierten Berufen haben, weil wir keine flächendeckende gescheite Kinderbetreuung haben. Wir brauchen Geld, damit wir solche Frauen in den Arbeitsmarkt vermitteln können. ({9}) Ich möchte Ihnen jetzt ein Zitat des Kollegen Minkel aus der Debatte vom 30. September vorlesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie vor dem Zitat eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke? ({0})

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Kollegin, glauben Sie nicht mehr daran, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die Betreuung von Kindern unter drei Jahren finanziert werden kann? Sie machen doch jetzt einen neuen Finanzierungstopf auf. Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie die Eigenheimzulage auch für Kinderbetreuung und für Bildung im Kindergarten verfrühstücken wollen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, ich habe gesagt, dass wir durch den Abbau der Eigenheimzulage 3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2008 mehr für Bildung haben werden. Dann habe ich gesagt, dass das bedeutet, dass wir für Bildung, Forschung und Kinderbetreuung in der Summe 6 Milliarden Euro mehr haben. Natürlich glaube ich, dass Hartz IV zur Finanzierung der Kinderbetreuung beitragen wird. ({0}) Aber wir bleiben noch etwas bei dem Thema Kinderbetreuung, weil mir das wirklich am Herzen liegt. Ich sagte, dass wir den jungen, gut ausgebildeten Frauen den Zugang zu hoch qualifizierter Arbeit verwehren. Der Kollege Minkel - ich kenne ihn nicht persönlich ({1}) hat in der Debatte vom 30. September zum Abbau der Eigenheimzulage Folgendes ausgeführt: Es geht darum, ob unsere Menschen im Eigenheim wohnen dürfen oder auf einer Etage eines Wohnhauses wohnen müssen. ({2}) - Ich bin noch nicht fertig. Es wird noch viel besser: Herr Eichel, mit dem Eigenheim fängt die Kindererziehung an. Beides hat etwas miteinander zu tun. Die Einstellung, dass Kindererziehung etwas damit zu tun, ob man ein Haus hat, das einem selber gehört oder nicht, ist unglaublich. ({3}) Die Sachverständigen sagen in ihrem Gutachten, dass sich die Eigenheimzulage überlebt habe. Der Städtetag sagt, dass die Eigenheimzulage als flächendeckende und undifferenzierte Subvention der Wohneigentumsbildung überholt sei. ({4}) Es ist ganz klar: Die Eigenheimzulage fördert die Stadtflucht. Die Eigenheimzulage hilft nicht, die Wohnungsengpässe in Ballungsräumen zu beseitigen. Die Eigenheimzulage fördert gerade diejenigen, die nicht mehr auf diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die entscheidende Altersvorsorge für uns ist Bildung. Bildung und Wettbewerb, Bildung und Innovationen sind der entscheidende Schlüssel dafür, dass wir dieses Land voranbringen können. Mit der Einstellung, die ich vorhin zitiert habe, bringen wir dieses Land nicht voran. ({5}) Ich bitte Sie, die Lebenswirklichkeit anzuerkennen und sich in unserem Sinne zu entscheiden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Zunächst auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Eine solche Sitzung ist sicherlich dazu angetan, Ihnen möglichst häufig zu gratulieren. Das werden die nachfolgenden Redner wahrscheinlich auch tun. Frau Kollegin Andreae, Ihr Redebeitrag erweckt den Eindruck, dass das Streichen der Eigenheimzulage finanzielle Spielräume eröffnen und in der Zukunft Ausgaben ermöglichen wird, an die derzeit nicht zu denken ist. Wenn man Ihren Vorstellungen folgen würde, dann könnte man mindestens dreimal so viele gute und wünschenswerte Vorhaben benennen, die der Staat finanzieren sollte ({0}) und die dann mit den durch die von Ihnen geforderte Streichung der Eigenheimzulage eingesparten Mitteln finanziert werden könnten. Die Eigenheimzulage ist in diesem Zusammenhang der neue Jäger 90 der neuen rotgrünen Finanzpolitik! Das vermag ich nicht ganz einzusehen. ({1}) Lassen Sie mich wieder ernst werden. Gestern Nachmittag fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung des Nachtragshaushalts für das laufende Jahr statt. Der Haushalt läuft aus dem Ruder. Deutschland wird die höchste Neuverschuldung erleben, die es je gab. Zum dritten Mal in Folge hat die Koalition einen verfassungswidrigen Haushalt zu verantworten. Ihr Finanzminister erklärt, dass er sich weigert, zu sparen und Sparvorschläge vorzulegen. ({2}) - Dann beschweren Sie sich beim Finanzminister! Er hat sich doch so geäußert. Ich zitiere Herrn Eichel doch nur. ({3}) - Sie haben doch erklärt, Sie könnten in diesem Haushalt keine weiteren Einsparungen vornehmen. Sie wollen das nicht! Das Mindeste wäre, eine Haushaltssperre zu verhängen oder Ähnliches. Aber nicht einmal dazu sind Sie in der Lage, Herr Finanzminister. ({4}) Wer so verantwortungslos mit den Staatsfinanzen umgeht, die höchste in Deutschland je erzielte Neuverschuldung erreicht, damit die nachfolgenden Generationen belastet und dann hier eine solche Shownummer abzieht, beweist, dass auch der letzte Rest Seriosität in der Finanzplanung auf der Strecke geblieben ist. ({5}) Im vergangenen Jahr haben wir im Zuge des Vorziehens der nächsten Stufe der Steuerreform eine Diskussion geführt. Auch wir von der FDP haben uns für die Kürzung von Subventionen eingesetzt. Im Zuge dieser Diskussion wurde die Eigenheimzulage grundsätzlich umgestaltet. Sie wurde um 30 Prozent gekürzt. Das ist der Bereich, in dem am stärksten gekürzt wurde. Den Subventionsabbau in anderen Bereichen hat der Finanzminister nicht einmal vorgeschlagen; er wurde von den Ländern gefordert. Wir haben den Subventionsabbau mitbeschlossen. Die Rahmenbedingungen sind also bereits verändert worden. Die Änderung der Eigenheimzulage ist mit den Stimmen von Rot-Grün im Dezember beschlossen worden. Jetzt aber erklären Sie: Dieser Beschluss kann nicht länger gelten; die Eigenheimzulage muss komplett abgeschafft werden. Das irritiert und verunsichert die Bürger am stärksten: In dieser Politik gibt es keine Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Mit dieser Planungsunsicherheit machen Sie die Konjunktur und das Wirtschaftswachstum kaputt und legen die Wurzeln dafür, dass Deutschland nicht in dem notwendigen Maße vorankommt. ({6}) Auch wir von der FDP sind der Auffassung, dass es keine Ewigkeitsgarantie für die Eigenheimzulage geben kann. ({7}) Wenn sie aber gestrichen wird, dann müssen gleichzeitig die Steuern gesenkt werden. ({8}) Nur so kann sichergestellt werden, dass die Bürger und junge Familien, die ein Eigenheim erwerben wollen, diesen Wunsch verwirklichen können. Erkundigen Sie sich einmal, wie viele Familien mit Kindern in die Neubaugebiete ziehen und warum sie Eigentum bilden wollen. ({9}) Wenn man die Eigenheimzulage streicht, ohne diesen Personenkreis an anderer Stelle zu entlasten, dann ist er nicht mehr in der Lage, das notwendige Eigentum zu bilden. Um diesen Zusammenhang geht es doch! Alle Ihre Vorschläge bedeuten eine simple Steuererhöhung, die als Subventionsabbau getarnt ist. Das lehnen wir ab. Dafür stehen wir nicht. ({10}) Was die Begriffe angeht, die Sie der Eigenheimzulage gegenüberstellen, ist festzuhalten: Wir brauchen in Deutschland in der Tat Bildung. Dafür stehen wir. Wir haben entsprechende Konzepte vorgelegt, die von Ihnen abgelehnt wurden. ({11}) Wir brauchen in Deutschland aber auch Eigentum. Warum werden Bildung und Eigentum gegenübergestellt? Unser Land kann sich nur dann entwickeln, wenn es Bildung und Eigentum gibt. ({12}) Das ist doch der entscheidende Punkt. Wenn es darum geht, den Subventionsabbau anzugehen, dann stellt sich die Frage, warum in den nächsten Jahren bis 2012 16 Milliarden Euro für die Steinkohle ausgegeben werden. Warum soll das erforderlich sein? Das ist eine Ausgabe, die vom Bundeshaushalt Jahr für Jahr geleistet wird. Hier kann man doch herangehen. Warum investieren Sie weiter in die Vergangenheit anstatt in die Zukunft? Ihre Aufgabe ist es doch, in die Zukunft zu investieren. ({13}) Wir Liberale möchten, dass in die Zukunft investiert wird. Wir brauchen weniger Kohle für die Kohle, aber mehr Kohle für die Bildung. Dafür werden wir werben. Das ist aber mit dem simplifizierten Steuererhöhungsgesetzentwurf der Bundesregierung nicht möglich. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Bundesministerin Edelgard Bulmahn. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident, auch von mir einen ganz herzlichen Glückwunsch. Ich glaube, es wäre das schönste Geschenk für den Herrn Bundespräsidenten ({0}) - Entschuldigung, für den Herrn Bundestagspräsidenten -, wenn wir heute den Beschluss fassen würden, die Eigenheimzulage abzuschaffen. Wir alle - die Damen und Herren von der Opposition genauso wie von der Regierungskoalition - stehen heute vor der Aufgabe, zu beweisen, ob wir in der Lage sind, die Ausgaben der öffentlichen Hand in Zeiten knapper Kassen auf die Bereiche zu konzentrieren, die für die Zukunft unseres Gemeinwesens von ganz besonderer Bedeutung sind. ({1}) Von allen Parteien, von Wissenschaft und Wirtschaft wird gefordert, mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Darin liegt unsere Zukunft. In Deutschland investieren wir aber bisher zu wenig in Bildung und Forschung. ({2}) Laut Statistik liegt Deutschland beim Anteil der Bildungsausgaben an allen öffentlichen Ausgaben an zweitletzter Stelle in Europa. An zweitletzter Stelle! ({3}) Heute stehen wir alle in diesem Hohen Haus vor der Nagelprobe, ob wir bereit sind, dies zu verändern und dafür Sorge zu tragen, dass unsere Kinder in den Kindergärten und unsere Jugendlichen an den Schulen, Berufsschulen und Hochschulen eine Zukunfts- und Lebenschance erhalten. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. ({4}) Herr Thiele, lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Es geht nicht an, sich ständig zum Subventionsabbau zu bekennen, aber immer dann, wenn es konkret wird, Gründe an den Haaren herbeizuziehen, die es vermeintlich rechtfertigen, warum man sich der notwendigen Entscheidung für den Subventionsabbau und damit für mehr Investitionen in Bildung und Forschung verweigert. Damit machen Sie sich völlig unglaubwürdig. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Tauss, bitte.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, nachdem die Opposition in ihren Zurufen auf die Zusammenhänge zwischen den von Ihnen genannten Zahlen bezüglich der Ausgaben für Bildung und Forschung und auf die Regierung verwies, könnten Sie uns freundlicherweise einmal schildern, in welchem Zustand Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt 1998 vorgefunden haben und wie sich die Situation heute darstellt? Könnten Sie auch darauf eingehen, wie sich die Situation in Niedersachsen nach der Regierungsübernahme durch Schwarz-Gelb darstellt, wie stark dort im Bereich von Bildung und Forschung gekürzt worden ist? ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Man muss sich ja mit der Wirklichkeit auseinander setzen. ({0}) Die Wirklichkeit sieht so aus - da Sie das offensichtlich vergessen haben und da auch Erinnern zur Bildung gehört, sage ich Ihnen allen das noch einmal -, dass die damalige CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Kohl den Haushalt für Bildung und Forschung um 400 Millionen Euro gekürzt hat. Das war Ihre Zukunftspolitik. ({1}) Das Gleiche macht zurzeit im Übrigen die CDU-FDPgeführte Landesregierung in Niedersachsen. Dass Sie dort die Investitionen in die Hochschulen um 50 Millionen Euro kürzen, ist genau die falsche Politik. Damit zerstören Sie in Niedersachsen die Zukunftsoptionen, die wir in den Jahren zuvor sinnvoller- und richtigerweise aufgebaut haben. Damit schaden Sie der Zukunft dieses Bundeslandes, genauso wie Sie in den 90er-Jahren der gesamten Bundesrepublik Deutschland geschadet haben. ({2}) Die rot-grüne Bundesregierung hat dagegen seit 1998 die Mittel für Bildung und Forschung um 35 Prozent erhöht. Das ist genau der Unterschied zwischen dieser Regierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen auf der einen Seite und Ihrer Regierung auf der anderen Seite. ({3}) Sie reden in Sonntagsreden über die Bedeutung von Bildung und Forschung und haben nicht das Rückgrat und den Mut, dann auch die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind Sie unglaubwürdig. ({4}) Wir haben die notwendigen Entscheidungen getroffen und haben den Mut, die Courage, dafür auch Subventionen zu streichen, die uns allen sicherlich lieb und teuer geworden sind. - Vielen Dank. ({5}) Wir wissen, dass die Frage, wie wir in unserem Land Beschäftigung, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit auf Dauer erhalten können, ganz eng mit der Frage verknüpft ist, ({6}) ob es uns gelingt, Menschen eine gute Bildung zu ermöglichen - und zwar beginnend im Kindergarten -, die frühkindliche Betreuung auszubauen und vor allem zu verbessern, die schulische Bildung deutlich zu verbessern und die Forschung zu stärken. Die Frage, vor der wir stehen, ist also, ob uns dies wirklich gelingt. Es zeigt sich weltweit, in allen Ländern, dass die erfolgreichste Strategie für Wohlstand, Beschäftigung und wirtschaftliches Wachstum Investitionen in Bildung und Forschung sind. Deshalb kommt es darauf an, dass wir bereit sind, in Köpfe zu investieren und die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft auch tatsächlich zu stärken. ({7}) Wir müssen noch mehr für frühkindliche Bildung, schulische Bildung und Hochschulausbildung tun. Das ist auch von den Eltern gewollt; denn sie wissen, dass eine gute Ausbildung die beste Zukunftsinvestition und übrigens auch die beste Altersvorsorge ist. Wenn ich keinen Job habe, wenn ich keinen Arbeitsplatz finde, dann kann ich mir kein Haus leisten und dann kann ich mir auch alles andere nicht leisten. Deshalb ist eine gute Bildung eben auch die Voraussetzung für gute Beschäftigungschancen, für Teilhabe am Berufsleben und am gesellschaftlichen Leben. Wir müssen auch deutlich mehr für Forschung tun; denn neue Arbeitsplätze entstehen vor allem in den zukunftsträchtigen, in den forschungsintensiven Bereichen. Das gilt heute für alle Branchen. Das gilt für die Automobilbranche genauso wie für die chemische Branche, den Maschinenbau und den gesamten Dienstleistungssektor. Sie haben von Zuverlässigkeit gesprochen, Herr Thiele. Das ist, finde ich, ein wichtiges Wort. ({8}) Es kommt genau darauf an, dass wir zuverlässig sind in unseren Anstrengungen, Bildung wirklich zu verbessern, Bildungsangebote zu verbessern und allen Menschen Bildung zu ermöglichen. ({9}) Wenn Sie hier so tun, als ob die Menschen, die ihre Bauplanung auf die Eigenheimzulage aufgebaut haben, enttäuscht würden, dann ist das falsch. Sie verdummen die Leute. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diejenigen, die die Zusage haben, natürlich auch ihr Geld bekommen. ({10}) Die Eigenheimzulage läuft aus - sie wird nicht abrupt gekappt -, damit genau diese Zuverlässigkeit gegeben bleibt. ({11}) Deshalb finde ich es auch von der Sache her einfach nicht in Ordnung, wenn man so argumentiert. Da muss man sich mit den Fakten auseinander setzen. ({12}) Ich habe vorhin gesagt, dass das für uns die Nagelprobe ist. Wir müssen hier im Bundestag heute Farbe bekennen. Das erwarten die Menschen von uns. Diese Erwartung sollten wir alle erfüllen. Vom Wegfall der Eigenheimzulage, die rund 10,4 Milliarden Euro ausmacht und damit der größte Subventionstitel im Bundeshaushalt überhaupt ist, profitieren vor allem die Länder. Die Länder sind es nämlich, die in den letzten Jahren - das trifft gerade für die CDU-regierten Länder zu - nicht mehr in dem notwendigen Maß in Bildung und Forschung investiert haben. ({13}) Es reicht eben nicht aus, dass der Bund die Mittel um 35 Prozent erhöht, wenn gleichzeitig CDU-regierte Länder ihre Haushalte kürzen und einige Länder ihre Haushalte plafondieren. ({14}) Wir müssen auf beiden Seiten erhöhen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Länder durch eine Streichung der Eigenheimzulage in Zukunft in jedem Jahr 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben werden, ({15}) die sie zum Beispiel zusätzlich für die Beschäftigung von Lehrern einsetzen könnten. ({16}) Wie wollen Sie eigentlich den Eltern in ganz Deutschland gegenüber rechtfertigen, dass Sie nicht bereit sind, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zum Beispiel die Beschäftigung von rund 30 000 Lehrerinnen und Lehrern allein im Jahr 2008 ermöglichen würden? ({17}) Das müssen Sie rechtfertigen! Wie wollen Sie rechtfertigen, dass Sie den Kommunen 900 Millionen Euro verweigern, die sie dringend für Investitionen in die frühkindliche Betreuung, für Investitionen in die Kindergärten und für den Ausbau der Schulen brauchen? ({18}) Wie wollen Sie das eigentlich inhaltlich begründen? ({19}) Kurz gesagt: Wenn wir nicht den Mut haben, den Schritt zu wagen, die finanziellen Ressourcen, die durch die Abschaffung der Eigenheimzulage frei werden, zur Verfügung zu stellen - ich bestreite überhaupt nicht, dass das Mut erfordert -, dann handeln wir nicht verantwortlich. Deshalb werden wir diesen Mut aufbringen. Ich werde gleich sehen, ob auch Sie diesen Mut zeigen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Ende. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ja. Ich will es zum Schluss noch einmal zugespitzt formulieren: Wenn wir diesen Mut nicht haben und nicht in Bildung und Forschung investieren, dann können wir morgen auch keine Häuser mehr bauen. Deshalb entscheiden wir heute über eine Frage der Zukunft. Da baue ich auf die Vernunft. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich darf mich dem Glückwunschreigen anschließen, wenngleich ich Ihnen das Geschenk, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, wohl nicht machen kann. Ich denke, ich spreche da für meine Kollegen von der CDU und der CSU. ({0}) Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Bundesbildungsministerin, Sie haben soeben mithilfe von Herrn Tauss - er will diese Debatte ganz offensichtlich zu einer Regierungsbefragung machen - groß und breit ausgeführt: Wir müssen dieses und jenes tun, wir müssen mehr für Forschung, für Maschinenbau und für Kinderbetreuung ausgeben. Da stellt sich für mich schon die Frage, wer in diesem Land seit sechs Jahren Bundesbildungsministerin ist. ({1}) Ich frage mich doch, warum Sie das, was Sie hier angesprochen haben, nicht schon sehr viel eher auf den Weg gebracht haben. Sie reden hier immer wieder über die Zukunft der jungen Generation usw. Gestern ist der Nachtragshaushalt beraten worden. Herr Bundesfinanzminister, dieses Jahr ist wahrscheinlich eine Nettoneuverschuldung von über 40 Milliarden Euro nötig. Was Sie hier betreiben, das ist doch weder nachhaltig ({2}) noch im Sinne der jungen Menschen. So geht es auf jeden Fall nicht. ({3}) Der erneute Versuch der Bundesregierung, die Eigenheimzulage abzuschaffen, ist ein weiterer Beleg für die Unberechenbarkeit dieser Bundesregierung. ({4}) Sie hatten bereits im Haushaltsbegleitgesetz 2004 die Abschaffung der Eigenheimzulage vorgesehen. Das geschah damals zugegebenermaßen allerdings noch unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung. Der Vermittlungsausschuss hat dann bekanntermaßen im Dezember 2003 eine Kürzung um 30 Prozent empfohlen. Das ist vom Bundestag und vom Bundesrat so beschlossen worden. Damit wurde Anfang 2004 die Eigenheimförderung auch im Hinblick auf eine Neuausrichtung unter bau-, familien- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten reformiert. ({5}) Die Bundesbürger hätten eigentlich davon ausgehen können, dass damit endlich wieder - zumindest bis Stefan Müller ({6}) 2006 - Klarheit und Berechenbarkeit der Förderbedingungen geschaffen worden sind. Man muss jetzt feststellen: Das ist einmal mehr ein Trugschluss und von Berechenbarkeit kann überhaupt keine Rede sein. Wurde die Abschaffung noch vor einem Jahr mit dem Stopfen von Haushaltslöchern begründet, soll sie jetzt der Förderung von Bildung und Forschung dienen. ({7}) Was stimmt denn nun: Haushaltskonsolidierung, Innovationsförderung oder Subventionsabbau? Ich frage mich, wie oft Sie die Eigenheimzulage noch heranziehen wollen. Mehr als einmal ausgeben können Sie sie doch nicht. ({8}) Die Bundesregierung begründet ihre Vorstöße zur Abschaffung der Eigenheimzulage immer damit, dass diese Zulage nicht mehr zielführend sei, weil die Wohnraumversorgung in Deutschland ohnehin schon so gut wie nie zuvor sei; wegen der demographischen Entwicklung werde der Bedarf an Wohnraum ohnehin abnehmen usw. Aber es waren doch genau diese Beweggründe, warum wir im Vermittlungsauschuss, in diesem Parlament und im Bundesrat der Umstrukturierung der Eigenheimförderung zugestimmt haben. Es waren doch genau diese Gründe, die zur Neuausrichtung der Förderbedingungen ab dem Jahr 2004 geführt haben. Sie werden doch nicht bestreiten, meine Damen und Herren von Rot-Grün - ({9}) - Daran, dass Sie es bestreiten, Herr Tauss, habe ich keinen Zweifel. Aber hören Sie vielleicht zunächst einmal zu! - Sie werden doch nicht bestreiten, dass Deutschland beim Wohnungsneubau in Europa immer noch Schlusslicht ist: Mit 2,8 neu gebauten Wohnungen je 1 000 Einwohner liegt die Bundesrepublik am Ende aller europäischen Länder. Lediglich Schweden und die Slowakei weisen eine niedrigere Quote auf. Mit knapp 41 Prozent rangiert Deutschland bei der Eigenheimquote am unteren Ende der europäischen Länder. Wer die Eigenheimförderung aufgibt, entzieht einer ganzen Branche die Lebensgrundlage. Er gefährdet Arbeitsplätze und die individuelle Altersvorsorge. Wer die Eigenheimförderung aufgibt, ohne an anderer Stelle für finanzielle Entlastung zu sorgen, verhindert, dass Menschen mit durchschnittlichem Einkommen privates Wohneigentum erwerben können. ({10}) Die Eigenheimzulage ist heute ein ganz wesentlicher Baustein einer privaten Altersvorsorge. Wenn ein Bauwilliger heute um ein Darlehen nachsucht, ist die Kapitaldienstfähigkeit nun einmal von entscheidender Bedeutung. Für diese wiederum ist die Eigenheimzulage oftmals ein unverzichtbarer Bestandteil. ({11}) Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu familien- und sozialpolitisch widersinnig, die Unterstützung der Wohneigentumsbildung gegen Forschungs- und Bildungsinvestitionen ausspielen zu wollen. ({12}) Die Perspektiven von Familien mit Kindern werden Sie jedenfalls nicht dadurch verbessern, indem Sie ihnen die Unterstützung bei einer der wichtigsten Investitionen des Lebens, nämlich der Schaffung von Wohneigentum, entziehen. Ein innovationsfreundlicheres Klima werden Sie im Übrigen auch nicht alleine dadurch schaffen, indem Sie Gelder übers Land verteilen. Dazu gehört schon ein bisschen mehr. Ich bestreite ja nicht, dass Innovationen, also die Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, sowie erfolgreiches Vermarkten von Technologien Grundlage für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für die Sicherung von Wachstum und Wohlstand ist. Das wird hier im Hause niemand bestreiten. Es gehört aber mehr als Geld dazu, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehört zunächst ein umfassendes Programm, das verschiedene Politikfelder integriert. Dazu gehört eine Bildungspolitik, die auf Wettbewerb und Leistungssteigerung setzt, eine Forschungspolitik, die gezielt die Anwendung von Spitzentechnologien fördert ({13}) und die schnelle Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung sichert. Dazu gehört aber auch, Herr Tauss, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die erfolgreiches unternehmerisches Engagement belohnt und den Aufbau von Kompetenzzentren fördert. Dazu gehört genauso eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr Flexibilität bei individuellen und betrieblichen Vereinbarungen erlaubt. ({14}) - Das machen Sie nicht. - Kurzum: Wir benötigen ein integriertes Politikprogramm, das die harten und die weichen Standortfaktoren stärkt und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verbessert. Hierfür ist vor allem die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen nötig. Davon kann bei Ihnen keine Rede sein. Die beste Innovationsförderung für unser Land wäre der Rücktritt dieser Bundesregierung. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wissen doch alle: Dieses Gesetz wird den Bundesrat nicht so verlassen, wie es der Bundestag heute beschließt. Darum halte ich es für sinnvoll, heute über mögliche Veränderungen zu diskutieren. Wir als PDS stimmen einer Veränderung, nicht aber einer Abschaffung der Eigenheimzulage zu. Wir schlagen eine Konzentration der Eigenheimförderung auf Familien mit Kindern vor. Wir wollen eine stärker nach dem Einkommen und dem regionalen Bedarf differenzierte Förderung. So brauchen zum Beispiel junge Familien mit geringem Einkommen ein attraktives Angebot, um in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben. ({0}) Wenn die Eigenheimzulage abgesenkt wird, dann muss es einen finanziellen Ausgleich für die Förderung des Stadtumbaus, für die soziale Wohnraumförderung und die Genossenschaftsförderung geben. ({1}) Städte müssen ihre Funktion als Zentren des wirtschaftlichen, sozialen und urbanen Lebens erhalten und ausbauen können. Das ist natürlich auch wichtig, um Bauhandwerk, Bau- und Wohnungswirtschaft als stabile Wirtschaftsfaktoren in Kommunen und Regionen zu erhalten, und dient dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Meine Damen und Herren, um kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen vor der Insolvenz zu retten, fordern wir die Tilgung der Altschulden. ({2}) Das Mindeste jedoch wäre, die Zinszahlungen auf abgerissenen bzw. langfristig leer stehenden Wohnraum zu erlassen. Das Programm „Soziale Stadt“ muss fortgesetzt und noch besser mit den Förderbereichen Wirtschaftsansiedlung und Beschäftigungsförderung vernetzt werden. Die Behauptung des Gesetzentwurfs, dass die Eigenheimzulage die steuerliche Einzelsubvention mit dem höchsten Volumen im Bundeshaushalt sei, ist, wie ich finde, doch einem Blick durch eine sehr stark rot-grün gefärbte Brille geschuldet. ({3}) Wenn Sie sich den Haushalt genau anschauen, stellen Sie fest, dass die höchsten Subventionen für Beschaffungen bei internationalen Rüstungskonzernen, insbesondere für Auslandseinsätze, erfolgen. Meine Kollegin Petra Pau hat Ihnen das ja bereits gestern in der Debatte über den Jahresabrüstungsbericht ganz genau vorgerechnet. Wenn im nächsten Jahr die Ausgaben für den Eurofighter 2000 um weitere 130 Millionen Euro auf 1,25 Milliarden Euro, für Unterstützungshubschrauber auf 350 Millionen Euro und für den NATO-Hubschrauber 90 auf 440 Millionen Euro angehoben werden sollen, so würde ein Verzicht auf diese zusätzlichen Rüstungsausgaben den Kapitalstock für eine wirkliche Innovationsoffensive, für Bildung, Forschung und Entwicklung bedeuten. Ich finde, dort sollte zuallererst angefasst werden, Frau Ministerin Bulmahn. Zum Abschluss natürlich auch von mir, Herr Präsident, die besten Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag! ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Ich habe Ihnen schon im Herzen gratuliert. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns einig, dass wir im Bund, in allen 16 Ländern und in allen Kommunen eine äußerst schwierige Haushaltslage haben. Wir sind uns einig, dass unsere wichtigste Aufgabe, sozusagen die Grundlagenaufgabe, die Konsolidierung ist. ({0}) Selbstverständlich sind wir uns auch einig, dass eine Möglichkeit, eine Chance, aus diesem Dilemma herauszukommen, die Überprüfung von Subventionen ist. ({1}) Ebenso sind wir uns einig, dass - das wird zumindest keiner abstreiten können - die Eigenheimzulage trotz der Kürzung mit immerhin noch 6 Milliarden Euro eine der größten Subventionen ist. Wir sind uns auch einig, dass wir dringend notwendige Zukunftsinvestitionen noch stärker finanzieren müssen als bisher. Dazu gehören - trotz all der Anstrengungen der vergangenen Jahre - Bildung und Forschung. Das bereits Getane wird für die Zukunft nicht ausreichen. Hier werden wir einen Schwerpunkt setzen müssen. Ebenso werden wir - das sage ich als Wohnungspolitiker - angesichts der demographischen Entwicklung mehr für die Städtebauförderung, den Stadtumbau in Ost und West und die Weiterentwicklung und Fortführung des Programms „Soziale Stadt“ tun müssen. ({2}) Da geht es uns wie jedem Bürger und jeder Bürgerin auch: Wenn wir in diese Zukunftsaufgaben kein zusätzliches Geld investieren können, dann bleibt uns nur eines übrig, nämlich die Umschichtung. Das Positive, die Aufstockung, wird meist gern erwähnt. Dazu gehört aber auch das Negative, dass nämlich die Mittel irgendwo weggenommen werden müssen. Ich bin, auch als Wohnungspolitiker, davon überzeugt, dass die Eigenheimzulage durchaus geeignet ist, um in die beiden genannten Richtungen - Städtebauförderung und vor allem Bildung und Forschung - Mittel umzuschichten. ({3}) Bei all den Bekenntnissen, die Sie in den Bundestagsdebatten zur Eigenheimzulage ablegen, bei all Ihrem Eintreten für den Erhalt der Eigenheimzulage wissen Sie ganz genau, dass auch die Union die Eigenheimzulage zur Disposition stellt. Noch am 15. September hat Frau Merkel - ich will Herrn Merz heute einmal nicht zitieren - im Rundfunk Berlin-Brandenburg ausdrücklich erklärt: Wir werden dem Steuerzahler die Eigenheimzulage nehmen, dafür werden wir ihm Steuersenkungen geben. Aber wenn Sie bei der Eigenheimzulage so viel Wert auf die Schwellenhaushalte legen, die Familien mit Kindern, dann müssen Sie auch sehen, wie deren Steuerbelastung derzeit aussieht und wie wenig ihnen das von Herrn Merz und Frau Merkel entwickelte Steuerreformpaket an zusätzlicher Entlastung bringt. Sie wollen mit der Abschaffung der Eigenheimzulage die Senkung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 36 Prozent finanzieren. Dann müssen Sie das aber auch offen hier sagen. ({4}) Interessant an dem Beitrag von Herrn von Stetten fand ich, dass er auf die Einbeziehung der Wohneigentumsförderung in die Riester-Rente verwiesen hat. ({5}) Das ist ein interessanter Gedanke; das will ich gerne einräumen. Aber Sie stellen sich doch wohl nicht vor, sozusagen eine Doppelförderung anzustreben: einerseits die Eigenheimzulage und andererseits obendrauf noch die Förderung über die Riester-Rente. Das kann angesichts der Finanzsituation der öffentlichen Hand wohl niemand wollen. Wenn Sie das wollen, müssen Sie es deutlich sagen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Verzahnung mit der geförderten privaten Altersvorsorge überdenken und vorbereiten wollen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Debatte über die Eigenheimzulage wird hochstilisiert zu einer Debatte, ob wir für oder gegen das Wohneigentum sind. ({6}) - Ich bin Abgeordneter aus Ostwestfalen, Herr Michelbach. Bei uns hat das selbst genutzte Wohneigentum einen ganz hohen Stellenwert. ({7}) Wir haben eine Eigentumsquote von weit über 50 Prozent. Es ist auch gut so, dass bei uns der Facharbeiter sein Häuschen bauen konnte. ({8}) - Ihre Zwischenrufe sind manchmal wirklich abenteuerlich. In der letzten Sitzungswoche haben Sie mir vorgeworfen, dass ich keine Krawatte tragen würde. Ich habe mich heute um Besserung bemüht. Aber jetzt unterstellen Sie mir, wir wollten dem Facharbeiter das Häuschen wegnehmen. Das ist, wie gesagt, schon wirklich abenteuerlich. ({9}) Es ist richtig: Die Chance, dass der Bundesrat zustimmen wird, ist sehr skeptisch einzuschätzen. Ich denke aber, dass Sie sich Gedanken über die Alternativen, beispielsweise im Rahmen der Riester-Rente, machen. Möglicherweise gibt es in einem Vermittlungsverfahren doch die Chance, sich auf sinnvolle Alternativen zu einigen. Da ist die Opposition gefordert. Es wurde heute vielfach sehr pauschal von „Kohle statt Bildung“ oder „Beton statt Bildung“ gesprochen. Ich glaube, das bringt uns in der Sache überhaupt nicht weiter. Das selbst genutzte Wohneigentum - in Ostwestfalen nennen wir es die Quadratmeterrente - ist natürlich ein Stück Altersvorsorge. ({10}) Das ist unbestritten. ({11}) Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass wir an der Eigenheimzulage festhalten müssen. Das ist der entscheidende Unterschied. ({12}) In Bezug auf junge Familien müssen wir aufpassen. Denn jeder, der von der Sache etwas versteht, weiß: Wer sein Eigenheim oder seine Eigentumswohnung nur durch Einrechnen der Eigenheimzulage finanzieren kann, der geht natürlich ein gewaltiges Risiko ein. ({13}) Die Eigenheimzulage kann nur das Sahnehäubchen - angesichts des Finanzvolumens müsste man sagen: die Sahnehaube - obendrauf sein. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Präsident. - Ich wünsche mir, dass wir endlich über die Sache diskutieren. Das sture Festhalten am Status quo bringt uns überhaupt nicht weiter. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Minkel, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Nachsicht, dass sich meine Rede nur sehr wenig als Geburtstagsansprache eignet. ({0}) Ich habe vier Beweisstücke mitgebracht, von denen kein einziges die Regierungskoalition erfreuen wird. Bei der Abschaffung der Eigenheimzulage geht es Ihnen doch nur darum, an frisches Geld zu gelangen. Denn Sie sind pleite. ({1}) Ihre wahre Auffassung zur Eigenheimzulage hat der Bundeskanzler unmittelbar vor der Wahl mit wohlgesetzten Worten dargelegt. Ich darf das kurz vortragen: Jährlich erfüllen sich rund 700 000 Haushalte mit dem Erwerb einer eigenen Wohnung einen Herzenswunsch. Vielen, insbesondere kinderreichen Familien, wäre dies ohne Eigenheimzulage nicht möglich. Das wissen wir und deshalb ist und bleibt die Eigenheimzulage das entscheidende Mittel zur Förderung von Wohneigentum. ({2}) So Ihr Kanzler vor der Wahl. Wie Sie sich jetzt nach der Wahl verhalten, zeigt doch nur, dass ein Kanzlerwort null und nichtig ist. Es ist nichts wert. ({3}) Wenn Sie heute die Abschaffung der Eigenheimzulage beschließen, dann vollenden Sie einen Wahlbetrug. Dies ist ein besonders großer Betrug an der jungen Generation. ({4}) Nach Rente, Krankenversicherung und Staatsverschuldung wird die junge Generation einem weiteren Schneeballsystem ausgesetzt, nach dem Motto: Die Letzten beißen die Hunde. Junge Familien bekommen die Förderung, wenn es nach Ihnen geht, nicht mehr. Aber sie haben in einer Zeit, in der sie selbst Hilfe bräuchten, noch für viele Jahre die alten Verbindlichkeiten aus vorangegangenen Zusagen zu finanzieren. ({5}) Das ist unsozial, das ist ungerecht, das ist schäbig. ({6}) Der Bundesfinanzminister beruft sich bei seiner Agitation gegen die Eigenheimzulage ständig auf irgendwelche Autoritäten. Herr Eichel, ich habe in der Schule gelernt: Die Berufung auf Autoritäten ersetzt keine Argumente. Schauen wir uns doch einmal die Direktoren der Bundesbank an! Die haben ihr Wohnungsproblem in prächtigen Dienstvillen bestens gelöst. ({7}) Oder schauen Sie sich die Professoren mit ihren bemoosten Häuptern an! Auch die sind doch nicht auf die Eigenheimzulage angewiesen. ({8}) - Herr Tauss, ich persönlich empfinde es als höchst anfechtbar, wenn diejenigen, die im Trockenen sind, die Habenichtse davon abhalten wollen, selbst zu Eigentum und zu Besitz zu gelangen. ({9}) Auch das ist unanständig. Wenn man schon den Worten des Kanzlers nicht trauen kann, so ist auch die Unterschrift des Kanzlers null und nichtig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Minkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spanier?

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Spanier, im Anschluss an meine Rede sehr gerne. ({0}) - Herr Spanier, dann verzichte ich auf Ihre Zwischenfrage. Ich komme zu einem weiteren Beweisstück. Ich habe einen Vertrag mitgebracht, der zwischen dem Bundeskanzler auf der einen Seite und der IG BAU und den Verbänden der Bauwirtschaft auf der anderen Seite abgeschlossen worden ist. Dort widmet sich ein ganzes Kapitel dem privaten Wohneigentum und der Förderung durch die Eigenheimzulage. Auch diese Unterschrift des Kanzlers hat sich im Nachhinein als null und nichtig erwiesen. Sie ist nichts wert. ({1}) In diesen Tagen berührt uns alle das Schicksal der Arbeiter von Opel oder das der Verkäuferinnen bei Karstadt. Aber ich rufe in Erinnerung, dass draußen im Lande in der Bauwirtschaft und im Bauhandwerk tagtäglich solche Fälle stattfinden. Über das Jahr haben 10 Prozent der deutschen Bauarbeiter, nicht zuletzt dank Ihrer Politik, ihren Arbeitsplatz verloren. Man kann eine gleiche Anzahl im Bauhandwerk hinzurechnen. Wir sollten uns nicht nur für die Arbeiter bei Opel und die Verkäuferinnen bei Karstadt interessieren. Auch die Bauarbeiter und die Bauhandwerker haben einen Anspruch darauf, dass man sich um ihre Nöte kümmert ({2}) und dass der Kanzler Zusagen, die er abgegeben hat, auch einhält. Ein weiteres Beweisstück - deshalb ist der Finanzminister heute so schweigsam; ({3}) ich muss quasi für den Finanzminister in Geschäftsführung ohne Auftrag sprechen - ist der Beschluss der hessischen SPD, ({4}) die Eigenheimzulage beizubehalten. Das erinnert ganz fatal an den Chef eines Quacksalberunternehmens, Herr Eichel, der seine Ware anpreist, während die Belegschaft durch die Lande zieht und überall vor dem Produkt warnt. ({5}) So kann man eigentlich nur ein Pleiteunternehmen führen. ({6}) Herr Präsident, nun muss ich um Nachsicht ({7}) für den recht rüden Sprachgebrauch der Genossen von Hessen-Süd bitten, der Ihnen, Herr Eichel, bekannt ist. So lädt man dort inzwischen auf Plakaten - jetzt kommt dieses Wort - zu Kotztagen ein und verteilt Kotztüten. Man verteilt diese Kotztüten, weil man die Politik, die hier in Berlin betrieben wird, zum Rückwärtsfrühstücken empfindet. Sie haben die Parole ausgegeben: Bildung statt Beton. Man könnte es besser formulieren: Bildung statt Steinkohleförderung. Oder: Bildung statt dieser Bundesregierung. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minkel, ich weiß aus eigener langjähriger Erfahrung: Wenn man, wie Sie, polemisiert, kriegt man dafür Beifall, aber natürlich nur in den eigenen Reihen. ({0}) Zur Sache haben Sie verdammt wenig gesagt. ({1}) Und was Sie zur Sache gesagt haben, war auch noch falsch. Ich will Ihnen das gern belegen. Sie haben hier vorhin den Eindruck erweckt, dass wir mit der Abschaffung der Eigenheimzulage die Finanzierung des Eigentums, wie sie bisher erfolgt ist, in irgendeiner Weise gefährden, und haben an die Wand gemalt, dass wir damit die Häuslebauer in große Schwierigkeiten bringen. Diese Darstellung ist völlig falsch. ({2}) Wenn wir die Eigenheimzulage abschaffen, dann bedeutet das, dass vom kommenden Jahr an keine neuen Anträge gestellt werden können. Aber selbstverständlich wird die Eigenheimzulage, so wie es vereinbart ist, für diejenigen, die sie jetzt in Anspruch nehmen, bis zum Schluss weiter gewährt. ({3}) Das haben Sie vorhin anders, zumindest missverständlich dargestellt. Ein Zweites. Ich habe nicht so ganz verstanden, was Sie mit dem Hinweis auf die Direktoren der Bundesbank gemeint haben. Aber ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm die Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage ganz abschaffen wollten; Sie wollten aus Gründen der Bedürftigkeit diese Zulage auch noch den Einkommensmillionären zukommen lassen. Daran möchte ich Sie erinnern. ({4}) Wenn Sie hier in glühenden, geradezu herzzerreißenden Worten die jetzige Form der Eigenheimzulage verteidigen, dann kann ich Sie immer nur daran erinnern, dass Ihre Fraktion in ihrem Steuerkonzept die Abschaffung der Eigenheimzulage fordert. Wie passt das denn dazu, dass Sie hier in bewegenden Worten die familienpolitische Bedeutung der Eigenheimförderung preisen? Das passt doch hinten und vorn überhaupt nicht zusammen. ({5}) Ich weiß nicht, wen es beeindruckt hat, dass Sie hier irgendwelche Zitate aus früheren Zeiten angeführt haben. Sie selbst haben vor knapp einem Jahr mit uns gemeinsam dafür gesorgt, dass das Finanzvolumen der Eigenheimzulage um 30 Prozent gekürzt wurde. ({6}) Das haben Sie vor einem Jahr sicherlich völlig anders gesehen und hier im Bundestag auch völlig anders dargestellt. Man kann angesichts der schwierigen Haushaltslage seine Positionen ändern, ja, man muss es sogar. Es ist notwendig, Prioritäten anders zu setzen. ({7}) Frau Bulmahn hat Recht: Dazu gehört manchmal Mut; da muss man manchmal über seinen eigenen Schatten springen. Tun Sie das endlich, ({8}) damit wir mit der sachlichen Diskussion anfangen können! Das wollte ich, Herr Präsident - mit Verlaub -, hier einmal gesagt haben. Ich bin gespannt, was Herrn Minkel jetzt noch einfällt. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Minkel, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Spanier, mir fällt natürlich immer etwas ein. ({0}) Was die Behandlung junger Familien betrifft, so haben Sie wirklich nicht zugehört oder Sie haben es nicht verstanden, obwohl ich es in einer früheren Rede schon einmal vorgetragen habe. Sie verursachen folgendes Dilemma: Im Falle des Wegfalls der Förderung zum 1. Januar 2005 werden ab diesem Zeitpunkt keine neuen Förderfälle mehr angenommen. Unsere jungen Familien erhalten dann keine Förderung mehr. ({1}) Dieselben jungen Familien müssen aber für einen Zeitraum von rund zehn Jahren die Förderung der bereits bewilligten Fälle mit ihren Steuerzahlungen mitfinanzieren. ({2}) Das ist ein Schneeballsystem. Das empfinde nicht nur ich als grobes Unrecht. ({3}) - Ihre Reaktion beweist mir, dass meine Botschaft jetzt bei Ihnen angekommen ist. ({4}) Herr Spanier, Sie haben noch weitere Punkte angesprochen. Ich möchte Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Die B-Länder haben dem Kompromiss im Bundesrat über die Einkommensgrenzen zugestimmt. Damit ist es auch für die Union verbindlich, dass die Einkommensgrenzen abgesenkt werden können. Insofern verstehe ich nicht, dass Sie hier alte Geschichten aufwärmen. ({5}) Die Entwicklung ist inzwischen fortgeschritten. Sie können dieser Tatsache entnehmen, dass es der Union nicht darauf ankommt, wenigen Millionären zu einer Eigenheimzulage zu verhelfen; sie können ihr Haus selbst finanzieren. Wir wollen den Millionen Menschen im Lande, die ein Eigenheim haben möchten, helfen. Was die Abschaffung der Eigenheimzulage angeht, sind wir völlig unterschiedlicher Auffassung. Sie wollen die Eigenheimzulage abschaffen, um Haushaltslöcher zuzuschmieren. ({6}) - Doch, darum geht es und um nichts anderes. Bei der LKW-Maut war das genauso. ({7}) Die Union verfolgt ein völlig anderes Konzept. ({8}) Wir wollen die Steuern allgemein und nachhaltig senken und die Eigenheimförderung synchron dazu abbauen. Es bleibt aber auch dann ein Problem übrig, das gelöst werden muss: Die wirklich einkommenschwachen Familien, die von einer Steuerreform nur begrenzt Vorteile haben, weil sie ohnehin nur wenig Steuern zahlen, müssen auch künftig in irgendeiner Form gefördert werden. ({9}) Sie haben die im letzten Jahr vorgenommene Kürzung angesprochen. Den Wohnungsbaupolitikern wäre es lieber gewesen, wenn die Kürzung statt 30 Prozent nur 12 Prozent betragen hätte, sie sich dann aber auch auf alle anderen Subventionen bezogen hätte. Diese Kürzung war Teil eines Kuhhandels im Bundesrat, durch den unter anderem die Bausparprämie erhalten werden konnte, die Sie zu 100 Prozent abschaffen wollten. Das war der tiefere Grund, warum sich die Union zu einer Kürzung um 30 Prozent bereit gefunden hat, obwohl uns diese Kürzung sehr weh tut. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme dem Gesetz zu. Ich werbe auch sehr engagiert für die Abschaffung der Eigenheimzulage, weil sie angesichts der Tatsache, dass unser Gemeinwesen 1,3 Billionen Euro Schulden abzutragen hat, weder wohnungspolitisch noch vermögenspolitisch noch familienpolitisch wirklich sinnvoll und notwendig ist. In Richtung der Koalition möchte ich aber sehr deutlich sagen, dass ich mich gegen den Ausspruch „Bildung statt Beton“ mit Entschiedenheit wehre. Es geht hier nämlich sehr wohl auch um baupolitische Belange. Insofern ist es mir sehr wichtig, dass das, was in der Koalition im vorigen Jahr und in den Haushaltsberatungen Konsens war, wieder ins Bewusstsein gerückt und künftig wieder in inhaltlicher Unterstützung zum Ausdruck kommt: Es war Konsens, dass 25 Prozent der eingesparten Eigenheimzulage - dieses Geld wird dank der Vernunft des Bundesrats hoffentlich bald freigegeben - in die Städtebauförderung, in Stadtumbauprogramme und in das Programm „Soziale Stadt“ fließen. Der Kollege Spanier hat das vorhin angedeutet. Angesichts des demographischen Wandels und der Situation in unseren Innenstädten und dicht bewohnten Stadtteilen brauchen wir nämlich sehr viele Anpassungsinvestitionen. Dafür möchte ich hier deutlich werben. Die Forderung nach einer Abschaffung der Eigenheimzulage soll keine Aussage gegen Innovation und Forschung - ich weiß, wir brauchen auch sie - sein. Außerdem brauchen wir einen Schuldenabbau. Ich bitte, in Zukunft auch diesen Aspekt in die Diskussion und in das Handeln einzubeziehen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive durch Abschaffung der Eigenheimzulage, Drucksachen 15/3781 und 15/3821. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3972, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen - Drucksache 15/3805 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus und durch islamistische Fanatiker ist weltweit unverändert hoch. In Deutschland halten sich 30 000 Islamisten auf, ({0}) die sich in etwa 24 Gruppen organisiert haben. Welche Gefahr von diesem Potenzial ausgeht, kann man auch daran erkennen, bei wie vielen Attentaten leider immer wieder Spuren auch nach Deutschland führen: bei den Anschlägen vom 11. September, bei den Anschlägen auf Bali, auf Djerba, in Madrid sowie bei den Anschlägen auf das Musicaltheater in Moskau. Wir müssen uns schon fragen: Woher kommt es, dass sich offensichtlich Attentäter oder ihre Unterstützer in unserem Land aufhalten können oder nicht als gefährlich erkannt werden? Woher kommt es, dass man kaum in der Lage ist, gegen diese Personengruppen richtig vorzugehen? Wir müssen uns auch fragen: Haben wir alles Notwendige getan? Haben wir die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt, den Kampf gegen diese Gruppen führen und bestehen zu können? Wenn ich mir die Bilanz unseres Innenministers - er kann heute leider nicht hier sein - anschaue, dann habe ich meine Zweifel, ob er alles Notwendige getan hat. ({1}) Ich will das an konkreten Beispielen deutlich machen: Die beiden von Minister Schily mit großem Pomp angekündigten Prozesse gegen Motassadeq und Abdelghani Mzoudi, Mitunterstützer der Täter um Mohammed Atta, sind kläglich gescheitert. Der Deutschsyrer Darkazanli - auch er bewegte sich im Umfeld der Attentäter um Atta - konnte sich mehrere Jahre hier in Deutschland aufhalten, ohne dass die Bundesbehörden in der Lage waren, ihm etwas nachzuweisen. Spanien - sehr viel weiter weg - kann das offensichtlich. Nur wegen des europäischen Haftbefehls sind wir jetzt wenigstens davon befreit, dass sich eine solche Person bei uns in Deutschland aufhält. Denken Sie an die Informationspanne beim Islamistenkongress: In Stuttgart wurden die Erkenntnisse gewonnen, sie wurden nach Berlin transportiert, aber dort blieben sie unbeachtet und Minister Schily hat mehr oder weniger zufällig von dritter Seite erfahren, dass hier in Deutschland ein Islamistenkongress geplant war. Oder nehmen wir die lasche Visaerteilungspraxis des Ministeriums von Außenminister Fischer, ({2}) die dazu geführt hat, dass Schleusungen nach Deutschland in noch nie gekanntem Ausmaß möglich waren und dass sogar - das ist besonders bitter - tschetschenische Terroristen, bei denen später Bezüge zum Attentat auf das Musicaltheater in Moskau erkennbar wurden, sich in Deutschland aufhalten konnten. Das sind nur die gravierendsten Beispiele. Dazu passen die mangelhaften Fortschritte bei der Einführung biometrischer Merkmale in Pässen, die verspätete Einführung des Digitalfunks bei der Polizei ({3}) und keinerlei Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitsarchitektur. Ich muss sagen: Wenn das die Bilanz dieses Innenministers für die letzten zwei Jahre ist, dann ist das keine Bilanz, dann sind das Pleiten und er sollte keine Sicherheitspolitik machen, sondern zum Konkursrichter gehen. ({4}) Wenn einem nichts mehr einfällt wie Herrn Schily offensichtlich, wenn man keine Erfolge vorweisen kann, dann schreit man nach Zentralisierung und Weisungsrecht. Herr Schily möchte gern, dass die Bundesbehörden weisungsbefugt sind, und er möchte am liebsten alles beim Bund zentralisieren. Damit geht er das eigentliche Problem nicht an. Das Problem besteht nicht darin, dass wir bei den 37 Sicherheitsbehörden, die sich mit dem Terrorismus befassen, eine dezentrale und föderale Struktur haben. Ganz im Gegenteil: Das Problem besteht darin, dass die Informationsweitergabe und die -analyse zu schleppend, zu langsam und zu bürokratisch erfolgen. Erkenntnisse über Terrorismus kann man nicht in Zentralen, in Mammutbehörden in Berlin oder Köln gewinnen, ({5}) Erkenntnisse über den Terrorismus gewinnen Sie nur vor Ort. Deshalb ist der Ansatz von Herrn Schily - Zentralisierung und Weisungsrecht - rundweg abzulehnen. ({6}) Wenn man wirklich etwas tun wollte, um den Kampf gegen den Terrorismus zu verbessern, dann müsste man sich mit Praktikern unterhalten. Die Praktiker - egal ob vom BKA, einem LKA oder von den Nachrichtendiensten - würden einem sagen, was zu tun wäre. Nur, Minister Schily unterhält sich ja nicht mehr mit Praktikern. Er denkt lieber in ganz großen Linien, die meistens im Nichts enden, gelegentlich in Nordafrika. Wenn man mit den Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden spricht, sagen alle übereinstimmend: Das größte Problem besteht darin, dass es nicht gelingt, die Informationen der Sicherheitsbehörden zu bündeln, aktuell auszuwerten, kompetent auszuwerten, Lagebilder zu erstellen und damit auch Maßnahmen in die Wege zu leiten. ({7}) Die Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden sagen: Wenn es uns nicht gelingt, diese Schwachstelle zu beseitigen, ist jede Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus zum Scheitern verurteilt. Deshalb muss man genau dort ansetzen. Es ist doch niemandem in diesem Land zu vermitteln, dass der Informationsabgleich zwischen Sicherheitsbehörden überwiegend nur auf Antrag und Anfrage erfolgt und die Beantwortungszeit, bis die eine Behörde Nachricht von der anderen bekommt, zum Teil vier Wochen beträgt. Vier Wochen bei der Terrorismusbekämpfung - da denkt man eher an die Lohnsteuererklärung, aber nicht an den Kampf gegen den Terrorismus. Das müssen wir dringend abstellen. ({8}) Wenn wir deshalb heute unseren Antrag hier vorstellen und über ihn debattieren, geht es genau um dieses Problem. Das gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung, Frau Sonntag-Wolgast, ist eben keine Mammutbehörde. Wir sagen: Wir bündeln die Informationen der 37 Behörden in einem gemeinsamen Lagezentrum. Dieses Zentrum soll keine Ermittlungskompetenz bekommen. Es wird eine kleine, leistungsfähige Organisationseinheit sein mit vielleicht 200 Experten; das ist sicher keine Mammutbehörde, Frau SonntagWolgast. ({9}) Alle 37 Behörden können dann ihr gesamtes Wissen und ihre Informationen direkt einbringen: im gleichen Gebäude, in der gleichen Organisationseinheit, Schreibtisch an Schreibtisch. Nur dann werden wir in der Lage sein, Lagebilder zu erstellen, zeitnah und tagesaktuell dafür zu sorgen, dass Informationen ausgetauscht werden können und dass alle 37 Behörden in Deutschland über die Lageentwicklung Bescheid wissen und die richtigen Maßnahmen ergreifen können. Dann wird es zu solchen Pleiten, wie sie Herr Schily zu verantworten hat, nicht mehr kommen. Eine so strukturierte Behörde - um gleich einen Einwand der FDP aufzugreifen - macht datenschutzrechtlich keine Probleme. ({10}) Es ist lösbar, weil jede Behörde nur ihren eigenen Datenbestand einbringt, der Austausch durch die unmittelbare Nähe aber jederzeit gewährleistet ist. Diese Behörde soll auch keine Ermittlungskompetenz erhalten. Durch die dezentralen Strukturen, die es heute gibt und die sich bewährt haben, wird vor Ort ermittelt und Erkenntnisse werden dort gewonnen. ({11}) Wir brauchen ein solches „Gemeinsames Zentrum“, weil wir sonst nicht in der Lage sein werden, Kontrolldruck gegenüber der islamistischen Szene aufzubauen und ihr Entdeckungsrisiko zu erhöhen. Machen wir uns doch nichts vor: Diese Gruppierungen lassen sich nicht von Strafandrohungen und rationalen Argumenten beeinflussen. Diese Gruppierungen lassen sich bestenfalls dadurch beeindrucken, dass sie damit rechnen müssen, dass jeder Schritt, den sie in Deutschland machen, kontrolliert und überwacht wird, dass wir alles erfahren, was geplant wird, und dass wir alle Reisebewegungen und Aktivitäten kennen. Es muss für die Islamisten ungemütlich in Deutschland werden. Das muss unser Ziel sein. ({12}) Mit unserem Vorschlag zu einem „Gemeinsamen Zentrum“ - das sage ich auch an die Vorsitzende des Innenausschusses, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast - bewegen wir uns nicht im theoretischen, luftleeren Raum. Wir haben uns dabei an eine Organisation angelehnt, die es seit fünf Jahren gibt, nämlich an das gemeinsame Zentrum in Kehl. Ich gestehe zu, dass die dortige Zielrichtung nicht der Terrorismus ist. Dort arbeiten aber deutsche und französische Polizei sowie deutscher und französischer Zoll nach dem gleichen Prinzip in einer Organisationseinheit, unter einem Dach, Schreibtisch an Schreibtisch zusammen. Die PCs sind natürlich miteinander vernetzt; alles ist hochmodern. Dadurch ist sie in Lage, jeder beteiligten Behörde innerhalb kürzester Zeit alle Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie ermittelt nicht, aber sie wertet aus, erstellt Lagebilder, initiiert Maßnahmen und sorgt für einen Informationsgleichstand. ({13}) Dieses Prinzip wollen wir auf das „Gemeinsame Zentrum Terrorismusbekämpfung“ übertragen, damit alle, Bund und Länder, nicht nur im Wege von Erlassen oder Dienstanweisungen am Informationsgeschehen teilhaben, sondern sich konkret mit Personal einbringen müssen. Insofern besteht meine Kritik auch darin, dass das Information Board, das es im Moment gibt, und die Erhöhung der Anzahl turnusmäßiger Besprechungen zwar kleine Schrittchen in diese Richtung sein mögen, aber im Endeffekt nur Hilfskonstruktionen sind. ({14}) Nur dann, wenn es eine Organisation dauerhaft und nicht nur turnusmäßig gibt, in der jeden Tag Experten zusammenarbeiten, werden Sie Erfolg haben. ({15}) Alles andere ist eher konfus oder sind Hilfskonstruktionen; es ist eher Learning by doing. Ich muss bei diesem Innenminister leider das Gefühl haben, dass er eher Learning by doing betreibt. Er kann keine Erfolge vorweisen ({16}) und verschließt sich konzeptionell richtigen Dingen. Deshalb machen wir diesen Vorschlag. ({17}) - Nein, es war ja an Ihre Adresse gerichtet. Ich wollte es Ihnen noch einmal erklären. Sie müssen schon gute Argumente haben. Ich zitiere einmal Innenminister Schily, der vor etwa einem Jahr beim Umzug des gemeinsamen Zentrums, von dem ich vorhin gesprochen habe, nach Kehl über diese Einrichtung gesagt hat: Es ist ein großer Schritt zu mehr Sicherheit in Europa. - Er findet das also gut. ({18}) Ich glaube, das Gleiche müssen wir in Deutschland auch für die Sicherheit unseres Landes tun. Sie sollte es uns wert sein, diesen Schritt zu gehen. Deshalb werben wir so dringend dafür. ({19}) Ein wichtiger Baustein dieses gemeinsamen Zentrums wird natürlich eine gemeinsame Datenbank über die konkrete Zielgruppe, die Islamisten, sein. Deshalb werben wir auch dafür, dass Sie den Antrag von Niedersachsen unterstützen. Wir werden insgesamt scheitern, wenn Sie sich an dieser Stelle verweigern und kein „Gemeinsames Zentrum“ errichten wollen. Ich erinnere noch einmal an das, was die Chefs der Nachrichtendienste gesagt haben: Nur, wenn uns das gelingt, werden wir Erfolg haben. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir scheitern. Meine Bitte an die rot-grüne Koalition ist einfach: Prüfen Sie unseren Vorschlag vorurteilsfrei. Ich weiß aus vielen Vorgesprächen, dass Sie nicht grundsätzlich abgeneigt sind. Es geht nicht um parteipolitische Interessen, ({20}) es geht um die Sicherheit dieses Landes und seiner Menschen. Sie sollte Ihnen das wert sein. Herzlichen Dank. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Binninger, den Beginn Ihrer Rede kann ich nur wie folgt kommentieren: Das war eine platte Kritik, wie ich sie von Ihnen nicht erwartet habe. ({0}) Das war eine Beleidigung der Sicherheitsbehörden in Deutschland, die bei der Bekämpfung des Terrorismus eine hervorragende Arbeit leisten. ({1}) - Lieber Herr Koschyk, ich habe immer wieder den Eindruck, dass Sie es nicht gut abhaben können, dass diese Bundesregierung einen hervorragenden und erfolgreichen Bundesinnenminister hat. ({2}) Das scheint Ihnen täglich weh zu tun. Ich finde, das ist nicht angemessen. Vielmehr sollten Sie sich darüber freuen. ({3}) - Herr Koschyk, schauen Sie sich doch einmal an, wie die Rede von Herrn Binninger angelegt war. ({4}) - Nein, der Beginn war nicht sachlich. - Beispielsweise läuft eine hohe Anzahl von Ermittlungsverfahren, die wir bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus eingeleitet haben, und zwar von Bund und Ländern. Wir können stolz darauf sein, diese Verfahren erfolgreich beendet zu haben. Das ist ein Zeichen dafür, wie gut die Arbeit funktioniert. Zu Ihrer Kritik muss ich Ihnen sagen: Leider hinken Sie auch mit Ihren Vorstellungen, die Sie in Ihrem Antrag in sehr vager Art und Weise niedergeschrieben haben, hinterher. ({5}) Ich sage Ihnen auch, warum. ({6}) Das Bundesinnenministerium hat längst über die Einrichtung eines polizeilichen und nachrichtendienstlichen Analysezentrums in Berlin-Treptow entschieden. ({7}) Mit der Einrichtung der beiden Analysezentren wird das vorhandene Analysepotenzial im Bereich des islamistischen Terrorismus personell und räumlich konzentriert, um unter Achtung - das ist mir sehr wichtig - des Trennungsgebotes einen noch schnelleren und intensiveren Informationsaustausch zu ermöglichen. Entsprechende konzeptionelle Planungen über die Verlegung von Organisationseinheiten dieser Behörden, den Personaleinsatz, Aufgaben und Organisationsstruktur der beiden Analysezentren sind weit gediehen und werden in Kürze abgeschlossen. Ich sage sogar: Ich erwarte auf der Grundlage der mir vorliegenden Planungen eine Arbeitsaufnahme der Analysezentren in den nächsten Monaten. ({8}) Voraussichtlich 100 Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und circa zehn Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden dann ihre Arbeit aufnehmen. ({9}) Die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes, weiterer Sicherheitsbehörden des Bundes - jetzt komme ich zu Ihren Zwischenrufen - sowie die Einbindung der Länder sind vorgesehen. ({10}) Daher wird auch die kommende Innenministerkonferenz das Prozedere der Länderbeteiligung erörtern. Dieser Punkt ist wichtig, weil vonseiten einiger Bundesländer zu den Themen „Stärkung des Informationsaustausches“ und „Schaffung von Analysezentren“ zwar ständig Forderungen formuliert werden, aber entsprechende praktische Schritte ausbleiben. Das ist keine Haltung. ({11}) - Ich glaube, Sie stammen aus diesem Land. ({12}) Wir müssen sorgfältig und überlegt vorgehen. Die Schaffung der Analysezentren wird nach meiner Überzeugung die Qualität der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland weiter erheblich verbessern. ({13}) Die Schaffung neuer Organisationsstrukturen, die im Ergebnis zu einer Vermischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnissen führen, würde dagegen der Sache eher schaden als nützen. Das müssen Sie sich anhören. Genau diese durch das Trennungsgebot ({14}) aus guten Gründen geschaffene Abgrenzung zwischen Polizei- und Nachrichtendiensten wird aber durch das von der Opposition geforderte gemeinsame Zentrum Terrorismusbekämpfung offensichtlich ignoriert. In der Antragsbegründung wird hierzu ausgeführt, zum Aufgabenspektrum des gemeinsamen Zentrums gehörten auch die „Mitwirkung bei der Koordination von Einsätzen und Überwachungsmaßnahmen“ und die „Unterstützung bei polizeilichen und nachrichtendienstlichen Ermittlungen“. Abgesehen von der problematischen organisatorischen Zusammenlegung von Polizei- und Nachrichtendiensten in einem gemeinsamen Zentrum ({15}) scheint mir auch bei den Befugnissen kaum noch eine Abgrenzung möglich oder auch nur gewollt. Bei allem Verständnis für den guten Willen, meine Damen und Herren von der Opposition: Es ist nicht ausreichend gut überlegt, was Sie hier aufgeschrieben haben. Das Bundesinnenministerium lehnt gemeinsame Leitoder Koordinierungsstellen für gemeinsame Einsätze von Polizei und Verfassungsschutz ab. ({16}) Stattdessen werden wir den Informationsaustausch und die projektbezogene Zusammenarbeit in den bestehenden Informations- und Analyseboards ausbauen. Diese Boards haben sich als effiziente Plattformen für die Zusammenarbeit erwiesen. ({17}) Das ist der richtige Weg. Ein weiterer Punkt in der Begründung des Oppositionsantrags ist schlichtweg falsch. So wird bemängelt, es gebe kein „gemeinsames, für alle Sicherheitsbehörden verfügbares, aussagekräftiges und aktuelles Lagebild“. Das Gegenteil ist richtig. Das Bundeskriminalamt erstellt kontinuierlich seit Jahren sehr detaillierte Gefährdungslagebilder. Dabei werden alle Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden einbezogen. ({18}) Die entsprechenden Berichte werden allen zuständigen Behörden, auch den Ländern, zur Verfügung gestellt. Schaffen Sie also kein Problem, wo kein Problem ist. Zum verbesserten Informationsmanagement, das wir durch die Einrichtung der Analysezentren ermöglichen, gehört eine Unterstützung der Analysezentren durch gemeinsame Dateien. Die Informationssammlung, der Informationsaustausch und die gemeinsame Informationsauswertung sind die drei entscheidenden elementaren Eckpunkte eines effizienten Informationsmanagements. Wir wollen und wir werden alle Möglichkeiten eines verbesserten Datenaustausches zwischen den Sicherheitsbehörden ausschöpfen, wo dies notwendig ist, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu erleichtern und ihre Effizienz weiter zu erhöhen. ({19}) Auch hier sind die Planungen und Entwürfe bereits weit fortgeschritten. Unter Federführung des Bundesinnenministeriums ({20}) läuft bereits ein intensiver Abstimmungsprozess mit den Sicherheitsbehörden, bei dem auch die Länder über eine Arbeitsgruppe des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz eingebunden sind. Sie sehen, wir haben alles im Griff. ({21}) Schönen Dank. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grundlinie der FDP ist selbstverständlich diejenige, dass der Staat alles Notwendige tun und alle notwendigen Vorkehrungen treffen muss, um den Terrorismus so effektiv wie möglich zu bekämpfen, dass er sich dabei aber selbstverständlich im rechtsstaatlichen und grundgesetzlichen Rahmen bewegen muss. Ich glaube, da sind wir alle in diesem Haus einig. ({0}) Deshalb gehen wir an das Problem, das mit dem Antrag der CDU/CSU aufgeworfen wird, mit folgenden Überlegungen heran: Erstens. Wir brauchen natürlich einen besseren Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden. ({1}) Zweitens. Wir brauchen eine bessere Auswertung von Informationen und drittens eine bessere Koordinierung im Handeln. ({2}) So gesehen nähern wir uns Ihrem Vorschlag eines gemeinsamen Lagezentrums durchaus mit Sympathie. Aber es sind auch zwei kritische Fragen zu stellen. ({3}) Die erste Frage - das werden wir in den Ausschussberatungen mit Praktikern gemeinsam zu erörtern haben lautet: Ist es wirklich notwendig, eine neue Behörde oder eine neue Struktur zu schaffen? Wie steht es mit dem Informationsfluss innerhalb der bestehenden Behörden? Wir alle haben beim NPD-Verbotsverfahren die traurige Erfahrung gemacht, dass innerhalb der Verfassungsschutzbehörden und zwischen dem Verfassungsschutz und beispielsweise dem Bundesinnenministerium der Informationsfluss nicht gewährleistet war. ({4}) Die rechte Hand wusste nicht, was die linke tat. Das war eine der Hauptursachen für das Scheitern dieses Verfahrens. Bevor neue Behördenstrukturen geschaffen werden, muss also zunächst einmal der Informationsaustausch zwischen den bestehenden Behörden verbessert werden. ({5}) Nächste Frage: Ist das, was in dem CDU/CSU-Antrag gefordert wird, nicht ohnehin längst Aufgabe des Bundeskriminalamtes? ({6}) Jedenfalls ist dies gesetzlich bereits so geregelt. Gegebenenfalls muss die gesetzliche Regelung nun zur Anwendung kommen. Eine weitere Frage: Gibt es nicht längst die Lagebesprechung im Kanzleramt mit den Geheimdienstchefs unter dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, der in der Fachwelt und darüber hinaus hohes Ansehen genießt, weil er dieser Aufgabe ausgezeichnet gerecht wird? Bei alledem stellt sich in der Tat die Frage, ob man wirklich eine neue Behörde braucht. Wir werden der Schaffung einer neuen Behörde nur dann zustimmen, wenn sie uns von den Praktikern als zwingend dargelegt wird. ({7}) Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der Regierungskoalition, greift die Idee eines gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Ländern auch in Überlegungen ein, die eigentlich Gegenstand der Beratungen der Föderalismuskommission hätten sein sollen. ({8}) Dort ist aber nichts zu diesem Thema eingebracht worden, auch nicht von der Bundesregierung im Zusammenhang mit polizeilichen Aufgaben. ({9}) Das ist in der Tat ein Manko. Ich komme jetzt zu einer Frage, die mir wichtiger ist als die organisatorischen Probleme; denn diese können wir in den Griff bekommen. Seit dem 14. April 1949, also seit 55 Jahren, gilt in der Bundesrepublik Deutschland der bewährte Grundsatz: Die Polizei darf keine Geheimdienstkompetenzen bekommen; die Geheimdienste dürfen keine polizeilichen Kompetenzen bekommen. Dabei handelt es sich um den allseits bekannten und bewährten Grundsatz der Trennung von Polizei und Geheimdienst, an dem wir festhalten wollen. Dieser Grundsatz ist in der Verfassung verankert. Herr Kollege Koschyk, Sie haben nach der Fundstelle gefragt. Der Grundsatz ist in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes formuliert. Genaueres können Sie in dem vorzüglichen Aufsatz von Christoph Gusy in Heft 2/1987 der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ nachlesen. Ich erwähne das deswegen ausdrücklich, weil das Trennungsprinzip neuerdings in Verruf geraten ist. In der allgemeinen Debatte wird immer wieder angeführt, dass das Trennungsprinzip nicht länger notwendig ist. Wir als FDP meinen: Es muss möglich sein, der terroristischen Bedrohung auch unter Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze - dazu gehört das Trennungsprinzip - Widerstand zu leisten. ({10}) Es geht schließlich nicht um Organisationsfragen, sondern um die Wahrung von Grundrechten. Wir müssten im Plenum keine langen Debatten mehr darüber führen, wann der große Lauschangriff zulässig ist und unter welchen Voraussetzungen Telefonüberwachungen stattfinden können, wenn sowieso jede Behörde ohne Beachtung dieser Voraussetzungen jede Information erhalten könnte. Deswegen ist es der richtige Weg, das Trennungsgebot aufrechtzuerhalten. Aber es ist durch die Pflicht zur Zusammenarbeit zu ergänzen. ({11}) Die entsprechenden Regelungen existieren längst. Die gesetzlichen Bestimmungen sind längst von diesem Hohen Hause geschaffen worden. Sie müssen nur noch in die Tat umgesetzt werden. Die Behörden sollen die Informationen bekommen, durch die sie in die Lage versetzt werden, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber wir legen Wert darauf, dass dabei die traditionellen und bewährten Bestimmungen des Grundgesetzes beibehalten werden. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachträglich erteile ich dem Kollegen Binninger das Wort zu einer Kurzintervention. Ich hatte dies vorhin vergessen. Er will damit auf die Ausführungen von Staatssekretär Körper eingehen.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank für diese Gelegenheit. - Herr Staatssekretär Körper, im Fußball gibt es den Spruch „Knapp daneben ist auch vorbei“. Das gilt auch für Ihre Rede. Sie haben mir vorgeworfen, die Sicherheitsbehörden beleidigt zu haben. Dazu sage ich: Ich habe nicht die Sicherheitsbehörden, sondern den Bundesinnenminister kritisiert. Das ist bestenfalls Majestätsbeleidigung. Aber die ist nicht mehr strafbar. Das ist der erste Punkt. ({0}) Zweiter Punkt. Sie haben gesagt - an dieser Stelle wird es ärgerlich -, der Bund richte bereits ein Lagezentrum ein und wir seien der Entwicklung wieder einmal hinterher. Ich habe mich gestern noch einmal bei Bundes- und Landesbehörden informiert und muss Ihnen sagen: Das, was Sie in Treptow einrichten, betrifft zwei von 37 Behörden. Die anderen Behörden beteiligen sich personell nicht. Die Verbindung besteht lediglich im Aushängen von Telefonadressen und Namen der Ansprechpartner. Das ist doch nicht professionell, wenn es um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Da muss ich doch sehr bitten! Sie machen noch nicht einmal im Ansatz das, was notwendig wäre. Dritter Punkt. Herr Körper, Sie sprechen genauso wie der Kollege Stadler ständig von einem verfassungsrechtlich normierten Trennungsgebot. Man muss Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - diesen kennen auch wir - schon sehr weit und mit sehr viel Fantasie auslegen, um zu diesem Schluss zu kommen. Aber das ist sicherlich nicht zwingend. Dabei wollen wir das Trennungsgebot gar nicht aufheben. Es geht vielmehr um die Zweitverwertung von Daten und das Bündeln von Wissen, weil wir sonst - das sagen die Praktiker, mit denen Sie offensichtlich nicht reden - nicht in der Lage sind, den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatssekretär Körper, wollen Sie die Gelegenheit zur Erwiderung nutzen? - Bitte schön.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Binninger, wenn Sie sich an uns gewendet hätten, hätten Sie genaue und gute Informationen darüber bekommen, was wir in Treptow einrichten. ({0}) Das, was wir machen, ist auf jeden Fall der richtige Weg. Ich habe bereits skizziert, wie das Analysezentrum bzw. die Analysezentren aufgebaut werden. Zu Ihrem Hinweis auf die Länder sage ich Ihnen: Wir, der Bund, haben noch nicht - das wird auch nicht so schnell kommen - die Personalhoheit. Diese liegt bei den Ländern, wenn es um den Aufbau dieser Zentren geht. Selbstverständlich wird auch hier dafür Sorge getragen, die Länder und insbesondere die Landesbehörden möglichst weitgehend einzubinden; denn es ist wichtig, dass wir nicht nur auf der Ebene des Bundes, beispielsweise von Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, sondern auch auf der Ebene von Bund und Ländern, beispielsweise von Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, tätig werden. Aber das setzt insbesondere in unserem föderalen System eine entsprechende Bereitschaft der Länder voraus. Sie dürfen sich nicht nur in Forderungen ergehen, sondern sie müssen auch mitmachen. Sorgen auch Sie dafür, dass das geschieht. Schönen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Präsident! ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre interessant, wenn der Herr Kollege Binninger einmal die Namen der Fachleute outen würde, mit denen er angeblich in so gutem Kontakt steht. ({1}) Ich weiß nicht - ich gehe allerdings davon aus -, ob die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Möglichkeit hat, sich die Protokolle über die Sitzungen der Innenministerkonferenz einmal näher anzuschauen. ({2}) - Herr Kollege Koschyk, wenn das so selbstverständlich ist, dann sollten wir jetzt etwas Transparenz in diese Debatte bringen. Über die Vorschläge des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann und des bayerischen Innenministers Günther Beckstein ist in der Facharbeitsgruppe der Innenministerkonferenz diskutiert worden und sie sind dort verworfen worden. ({3}) Die Innenminister sind ausdrücklich gebeten worden, die gemeinsamen Ergebnisse der Facharbeitsgruppe der Innenministerkonferenz umzusetzen. Zu dem Bild, das Ihre Bundestagsfraktion momentan bietet, kann ich nur sagen: Sie übernehmen in keiner Weise bundespolitische Verantwortung, sondern die Außenseiterposition zweier Innenminister, die sich mit ihren Vorschlägen auf der Innenministerkonferenz nicht durchsetzen konnten. ({4}) Ich halte das, was das BMI macht, für völlig richtig, nämlich die Vorschläge der Innenministerkonferenz konsequent umzusetzen. ({5}) Herr Kollege Stadler, wir richten gerade kein Lagezentrum ein. Bei einem Lagezentrum ginge es darum, operative Maßnahmen zu koordinieren. Wir richten ein Informations- und Analysezentrum ein, das sich exakt an das hält, was BKA, BND und Innenministerkonferenz vorgeschlagen haben. Wir richten gerade keine zentralisierte Mammutbehörde ein, wie Herr Binninger das noch einmal gefordert hat, weil wir eben die Erfahrung gemacht haben: Dezentral im Rahmen der eigenen Aufgaben und Strukturen zu arbeiten ist der Weg zum Erfolg in diesem Bereich. ({6}) Lassen Sie mich auch etwas zu dem Vorschlag von Uwe Schünemann sagen, ({7}) also zu der so genannten Islamistendatei. So wie Sie sich das vorstellen, mit den Zahlen, mit denen Sie da arbeiten - 30 000 Islamisten in Deutschland -, schaffen Sie nichts anderes als Datenmüll. ({8}) Das sind keine effizienten Dateien; da haben Sie einfach keine Ahnung. Wir brauchen Projektdateien, bezogen auf einzelne Ermittlungskomplexe, und Analysedateien. Solche Dateien werden wir einrichten, und zwar unter Beachtung des Trennungsgebots und unter Beachtung weiterer verfassungsrechtlicher Grenzen. Lassen Sie mich auch hierzu einen Hinweis geben. Es sind nicht Grüne, die diese Grenzen setzen. Es ist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, ({9}) der in einem Gutachten sehr genau dargelegt hat, in welchen Grenzen das Trennungsgebot hierbei seine Gültigkeit hat. ({10}) Das gilt auch im Zusammenhang mit dem InformationBoard. Es gibt sogar eine Verpflichtung zur Weitergabe von Informationen. Genau diese Arbeit, die Arbeit in Projekt- und Analysedateien, werden wir weiter optimieren. Es ist eine naive Vorstellung, die Herr Binninger übernommen hat, wenn er sagt: Der internationale Terrorismus wird an der Basis bekämpft. ({11}) Uwe Schünemann ist der Auffassung, dass der internationale Terrorismus am besten durch die Polizeiinspektion Cloppenburg in Niedersachsen bekämpft wird. ({12}) Hinweise bekommen wir von ausländischen Sicherheitsbehörden und von Verbindungsbeamten des BKA und des BND, die in 60 Ländern tätig sind. Wir bekommen solche Hinweise nicht aus den Bundesländern. Da verkennen Sie die Bedrohungslage und die Situation völlig. Aus Ihrem Antrag spricht nichts anderes, als dass Sie den naiven Föderalismusbegriff von Herrn Beckstein und von Herrn Schünemann übernehmen. Wir halten die Fachergebnisse der Innenministerkonferenz für richtig, die davon ausgehen - das teilen wir -, dass wir die Zentralstellenfunktion vom BKA und auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz stärken müssen. Wir werden die Fachvorschläge der Innenministerkonferenz Schritt für Schritt umsetzen. Wir bitten die Union, zumindest die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, darum, zur Fachauseinandersetzung zurückzukehren und nicht die naiven Positionen von Schünemann und Beckstein zu übernehmen. Sie blockieren damit die Optimierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Sie verzögern die Umsetzung. Wir sind wirklich darauf gespannt, in welcher Form sich die Länder an dem Informationsund Analysezentrum, das im Treptower Park eingerichtet wird, beteiligen. Letzter Satz: Ich persönlich halte es für viel wichtiger, dass die Länder Verbindungsbeamte nach Berlin schicken und dass sie es dem Bund überlassen, Beamte in internationale und europäische Gremien zu schicken, damit sie dort eine einheitliche Politik der inneren Sicherheit vertreten. ({13}) Darüber sollten wir uns im Innenausschuss unterhalten. Danke schön. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn ich mir die Reden des Herrn Staatssekretärs und der Kollegin Frau Stokar von Neuforn vergegenwärtige, dann fällt mir wirklich nur ein Satz ein: Keine Panik auf der „Titanic“. Man denkt: Irgendwie machen wir das Boot schon flott, auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. Die Nonchalance, mit der der Herr Staatssekretär und die Frau Kollegin Stokar von Neuforn dieses Thema behandeln, lässt vollkommen außer Betracht, dass der Terrorismus, insbesondere der Terrorismus, der auf dem islamistischen Extremismus basiert, für die pluralistische westliche Welt eine der größten Gefährdungen darstellt. Er ist eine epochale Bedrohung, dem durch eine völlige Skrupel- und Hemmungslosigkeit bei der Tatausführung mit der bewussten Tötung und Verletzung unschuldiger Stephan Mayer ({0}) Menschen und durch genaueste strategische Vorbereitungen eine bisher unbekannte Dimension zukommt. Nach den menschenverachtenden Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und in Washington sowie am 11. März dieses Jahres in Madrid können potenzielle Ziele von Terroranschlägen alle Staaten Europas, ja, alle Staaten der westlichen Welt sein. Gott sei Dank sind wir in Deutschland von derartig schrecklichen Anschlägen bisher verschont geblieben. ({1}) Aber auch Deutschland war und bleibt Teil des Gefahrenraums. Deutsche Staatsbürger waren bereits Opfer von schrecklichen Anschlägen. Ich erinnere nur an die furchtbaren Vorkommnisse auf der Urlaubsinsel Djerba. Mit dem Wissen, dass Deutschland bereits Rückzugsund Vorbereitungsraum für schlimmste terroristische Anschläge war und dass der internationale Terror spätestens nach den schrecklichen Anschlägen am 11. März dieses Jahres in Madrid auch in Europa angekommen ist, müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, um dem Terrorismus bereits im Vorfeld Einhalt zu gebieten. ({2}) Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU-Fraktion die Schaffung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Es geht nicht um die Schaffung einer Mammutbehörde, ganz im Gegenteil. ({3}) Es geht um eine schlanke Behörde, die mit Spezialisten perfekt ausgestattet ist und höchst professionell arbeitet. Ich möchte des Weiteren erwähnen, dass die von uns erhobene Forderung bereits mit allen CDU- bzw. CSUgeführten Bundesländern abgestimmt ist, also auch im Bundesrat eine Mehrheit finden würde. ({4}) Wir können und dürfen uns nicht zurücklehnen und darauf vertrauen, dass in Deutschland schon nichts passieren wird. Deshalb sind alle staatlichen Ebenen aufgefordert, alles nur Menschenmögliche zu tun, dass der Terrorismus in Deutschland keine Basis hat und dass alle terroristischen Aktivitäten bereits im Keim erstickt werden, wenngleich man sich natürlich auch vor Augen führen muss, dass es die totale Sicherheit leider Gottes nun einmal nicht gibt. ({5}) Die größte strukturelle Schwachstelle bei der Terrorismusbekämpfung in Deutschland ist dabei neben den Lücken im materiellen Recht - sie sind nach der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes auf erheblichen Druck der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwar nicht mehr so groß, aber dennoch vorhanden; ich erinnere nur an die Sicherungshaft; sie fehlt nach wie vor noch - ist das Nebeneinander von 37 eigenständigen Behörden auf Landes- und auf Bundesebene, die sich in irgendeiner Form mit der Bekämpfung des Terrorismus beschäftigen. Beispielsweise war die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta und Ramzi Binalshibh deutschen und amerikanischen Sicherheitsbehörden bereits 1999 bekannt. ({6}) Ihre Gefährlichkeit konnte aber schon allein deshalb nicht erkannt werden, weil vorhandene Teilinformationen in Deutschland, in Spanien und in den USA nicht zusammengeführt wurden. ({7}) Erkennbar gab es Fehler im nationalen und im internationalen Informationsaustausch. Die Einführung einer besseren Vernetzung und einer besseren Abstimmung der Sicherheitsbehörden ist daher unumgänglich. ({8}) Der Informationsaustausch zwischen den von mir erwähnten 37 Behörden ist zu bürokratisch, zu zäh fließend und einfach zu selektiv. ({9}) Gerade kleinere Behörden sind kaum in der Lage, operative Maßnahmen gegen Verdächtige durchzuführen, und sie beschränken sich deshalb schwerpunktmäßig auf Büroaufklärung. Durch die Einführung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung soll aber - ich möchte dies ganz deutlich betonen - keine Beschneidung der Länderkompetenzen erfolgen. Vielmehr sollen die Sicherheitsbehörden der Länder, also die Landesverfassungsschutzbehörden sowie die Landeskriminalämter, die über die erforderlichen Orts- und Detailkenntnisse verfügen und ihre „Pappenheimer“ vor Ort wirklich kennen, durch die neu zu schaffende Zentralstelle für Informationsaustausch und Informationsanalyse eine abgestimmte und umfassende Gefährdungseinschätzung an die Hand bekommen, um damit eine noch fundiertere und noch lückenlosere Vorfeldermittlung betreiben zu können. Bestes Beispiel hierfür ist die Vernetzung und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern. ({10}) Sie haben bereits im Oktober 2002 eine besondere Aufbauorganisation zur Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen, AKIS, eingerichtet. Diese Organisationseinheiten haben sich bewährt und als äußerst gewinnbringend erwiesen. Der große Unterschied bei der Terrorismusbekämpfung im Gegensatz zur sonstigen Kriminalitätsbekämpfung ist: Wir können uns in diesem Bereich keine Pannen und Fehltritte erlauben; denn wenn ein Anschlag erst einmal passiert ist, sind die Folgen katastrophal und Stephan Mayer ({11}) wahrscheinlich unabsehbar. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland werden kein Verständnis dafür aufbringen, wenn wir hätten handeln können, aber es nicht getan haben. ({12}) Wir dürfen nicht warten, bis aus „Schläfern“ Täter werden. Der Vorteil eines gemeinsamen Zentrums für Terrorismusbekämpfung liegt darin, im Vorfeld die Informationen, Erkenntnisse und Bewertungen zu bündeln, damit sich auf Terrorismusbekämpfung spezialisierte Fachkräfte zügig, ohne zeitliche Verzögerung und umfassend ein realistisches Lagebild machen können und damit sichergestellt ist, dass auf aktuelle Gefährdungslagen schnell und zuverlässig reagiert werden kann. Zügiges und schnelles Handeln setzt ferner voraus, dass ein Lagezentrum rund um die Uhr eingerichtet ist, was beispielsweise ein Landesamt für Verfassungsschutz in einem kleinen Bundesland gar nicht leisten kann. Sicherlich werden sich bei der Forderung nach einem gemeinsamen Zentrum für Terrorismusbekämpfung schnell die Gralshüter des Trennungsgebotes und des Datenschutzes auf den Plan gerufen fühlen. ({13}) Ich möchte dazu nur in aller Kürze sagen, dass es sehr streitig ist, ob das Trennungsgebot in der Verfassung normiert ist. Da gehen die Meinungen der Rechtsgelehrten auseinander. Sie kennen ja den Spruch: zwei Juristen - drei Meinungen. Das Trennungsgebot, das nur historisch bedingt ist - das möchte ich noch einmal betonen -, sollte also hierfür keinen Hinderungsgrund darstellen. Zum Datenschutz möchte ich sagen: Datenschutz in allen Ehren, aber übertriebener Datenschutz muss hinter einer effizienten und Erfolg versprechenden Terrorismusbekämpfung zurückstehen; denn nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist grundgesetzlich geschützt, es gibt auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. ({14}) Dies überwiegt meines Erachtens in der unmittelbaren Abwägung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluss kommen. Die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums für Terrorismusbekämpfung wird weder die Verfassungsschutzbehörden noch die Polizei schwächen, sondern sie - ganz im Gegenteil - stärken und im Kampf gegen den Terrorismus schlagkräftiger machen. In diesem Sinne appelliere ich an Sie, gemeinsam mit uns beim Kampf gegen den Terrorismus an einem Strang zu ziehen und unserem Antrag zuzustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Frank Hofmann, SPDFraktion.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst eine Vorbemerkung machen: Ihr Antrag richtet den Blick nur auf den islamistischen Terrorismus. Ich bin der Meinung, wir sollten als Oberbegriff von internationalem Terrorismus sprechen. Das erlaubt Differenzierungen in islamistische und andere Formen des internationalen Terrorismus. ({0}) - Herr Strobl, Sie wissen genau, dass ich erst am Anfang meiner Rede bin, aber behaupten schon, das wäre mein einziger Kritikpunkt. Es ist doch lächerlich, was Sie hier machen. ({1}) Es sprechen auch außenpolitische Gründe dafür, eher mit dem Begriff des internationalen Terrorismus zu arbeiten. Das erlaubt meiner Meinung nach bessere Differenzierung und verhindert ein Scheuklappendenken. Mit Blick auf den Anhang des Antrages, der, wenn ich es richtig sehe, den Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen enthält, frage ich mich, weshalb Sie die gemeinsame Datei beim BfV einrichten wollen. Die Begründung der Niedersachsen lautet, dort habe man vielfältige Erfahrungen mit gemeinsamen Dateien und mit dem Schutz von Nachrichtenzugängen. Ich meine, die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes arbeitet nicht anders. Warum gibt man diese Aufgabe dann nicht in die Zuständigkeit der Polizei, also des Bundeskriminalamtes? Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist Beobachtung, die Aufgabe der Polizei ist Bekämpfung im Sinne von Verfolgung und Verhütung. Bei der Polizei sind die Handlungszwänge am größten. Zudem geht die europäische und internationale Einbindung über die nationalen Polizeibehörden, in diesem Falle also über das Bundeskriminalamt. Wir alle wissen: Die internationale Zusammenarbeit wird zunehmend wichtiger. Auch wir, die Mitglieder des Innenausschusses, fordern einen europäischen Informationsverbund. Last but not least: Der Schwerpunkt liegt hier beim Terrorismus, nicht beim Extremismus. Folglich gibt es viele vernünftige Gründe, die gemeinsame Datei beim BKA einzurichten. Steckt also eher der Gedanke dahinter: Wenn man schon etwas zentral machen muss, dann meinetwegen sonstwo, aber nicht beim Bundeskriminalamt? Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist nur noch davon die Rede, dass der Bund diese Datei einrichten will. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU-Opposition, was wollen Sie nun? Zu Ende gedacht haben Sie das nicht. Ein zweiter Punkt. Nach dem erklärten Willen der niedersächsischen Regierung soll die Datei Mischbestände enthalten: Volltext auf der einen Seite, auf der Frank Hofmann ({3}) anderen Seite dort, wo das aus Gründen des Quellenschutzes nicht möglich ist, nur Aktenfundstellen. Mir scheint, auch das ist nicht zu Ende gedacht. Sie müssen, um Maßnahmen ergreifen zu können, sowieso in die Akten schauen und können nicht allein mit den Dateien arbeiten. Deswegen geben auch datenschutzrechtliche Überlegungen der Indexdatei den Vorzug. Auch da sollten Sie zu Ende denken. Zum Dritten bitte ich zu überlegen, ob Sie die gegenseitige Information immer so weit treiben wollen, dass jeweils alle unterrichtet werden müssen. Ich meine, bei sensiblen Daten sollte man besser stufenweise vorgehen und zum Beispiel das jeweilige Landeskriminalamt mit der Prüfung beauftragen, ob Polizeibehörden in ihrem Land unterrichtet werden sollen und welche das sein sollen. Jetzt zu Ihrem eigentlichen Antrag. Als Schwachpunkte machen Sie einen mangelnden Informationsaustausch und eine unzureichende Koordination der einzelnen Maßnahmen aus. Sie haben alle gemerkt, wie sich Herr Binninger aufgepumpt und den Bundesinnenminister persönlich dafür verantwortlich gemacht hat. ({4}) Weshalb müssen Sie eigentlich alles schlechtreden? Die Sicherheitsbehörden sind ständig auf dem Weg der Optimierung. Gerade die Polizei und die anderen Sicherheitsbehörden haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich durch Umstrukturierung der Aufbau- und Ablauforganisation und durch Zusammenarbeitsregeln auf die jeweiligen Erfordernisse der Sicherheitslagen einzustellen. Man ist hier immer auf dem Weg und nie am Ende und stets abhängig von der Kriminalitätsentwicklung. ({5}) Es gibt auf allen Seiten das permanente Gefühl der Informationsunterversorgung. Sie tragen mit Ihrem Antrag und mit Ihrer Rede, Herr Binninger, ohne Not und durch falsche Darstellung eine Mitschuld an dieser „gefühlten“ Situation. ({6}) Grundsätzlich ist Deutschland bereits jetzt gut gerüstet. ({7}) Das heißt aber nicht, dass man nichts verbessern könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, den Vorwurf, es gebe kein gemeinsames aktuelles Lagebild, kann ich auf den Sicherheitsbehörden nicht sitzen lassen. ({8}) Das weisen wir entschieden zurück. ({9}) Es gibt ein tägliches Lagebild beim polizeilichen Staatsschutz, es gibt wöchentliche Lagebilder, es gibt Gefährdungslagebilder über den islamistischen Terrorismus. Herr Binninger, wenn Sie sagen, wie Sie es vorhin getan haben, „So ein Lagebild mache ich Ihnen auch“, dann zeigt das Ihre Überheblichkeit. ({10}) Es ist grob fahrlässig, solche falschen Informationen, wie Sie sie bringen, in einen Antrag aufzunehmen und zu verbreiten. ({11}) Ihr Antrag zielt im Kern darauf ab, das Gebot der Trennung zwischen den Diensten und der Polizei aufzulösen. ({12}) Nachdem ich jetzt Herrn Binninger und Herrn Mayer gehört habe, kann ich nur sagen: Sie sollten sich abstimmen. Aber das können Sie nicht. Sie liefern ein Beispiel dafür, wie es im Moment zwischen der CDU und der CSU, zwischen Merkel und Stoiber aussieht. ({13}) Sie können sich nicht einmal in diesen kleinen Dingen absprechen. Die Auflösung des Trennungsgebotes wird es mit uns nicht geben. Wir zielen darauf ab, die Arbeitsprozesse zu verbessern, statt neue Schnittstellen zu schaffen, einen Informationsverbund unter Beachtung des Trennungsgebotes herzustellen ({14}) und die Kooperation zu stärken, statt neue Organisationen zu schaffen. Ich sage Ihnen: Das, was Sie als Aufgabenspektrum eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung beschreiben, muss in großen Teilen in Angriff genommen werden, ohne dass wir das Trennungsgebot, wie Sie es wollen, schleifen. Ihre größte Sorge scheint zu sein: Wie umgehe ich es, das Bundeskriminalamt mit den notwendigen Befugnissen auszustatten? Lieber nehmen Sie eine Verletzung des Trennungsgebotes in Kauf, ({15}) statt dem BKA das benötigte rechtliche Instrumentarium an die Hand zu geben. Ihr Vorschlag eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung ist zudem rein innenpolitisch ausgerichtet und hier nicht ausgereift. Völlig außer Acht lassen Sie eine Einbindung in die europäische und internationale Terrorismusbekämpfung. Frank Hofmann ({16}) ({17}) Was Sie hier abliefern, ist ein Torso, aber kein Konzept. ({18}) Sie klagen, der Austausch von Informationen über Gefährder, Bedrohungen und neue Entwicklungen sei zu bürokratisch, zu langsam und zu selektiv. Wer legt denn fest, wer als Gefährder einzustufen ist? Das Bundeskriminalamt? Nein! ({19}) Warum nicht? Weil das BKA keine Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr und keine Befugnisse hat. Polizei sei Ländersache; das Hohelied von der föderalen Struktur, die sich bewährt habe; das Totschlagsargument „Wir wollen kein deutsches FBI“: Da wird von interessierter Seite gekeult und gekeilt. Die Landesfürsten, die mal im größeren, mal im kleineren Chor singen, wie wichtig ihnen die Sicherheit sei, versagen, wenn es um umfassende, den Aufgaben entsprechende polizeiliche Befugnisse für das Bundeskriminalamt geht. Was jedes Bundesland seinem Landeskriminalamt an Befugnissen gibt, um seine Aufgaben zu bewältigen, kann man dem Bundeskriminalamt doch nicht vorenthalten. Tatsache ist: Jeder Polizeibeamte eines Bundeslandes hat zur Verbrechensbekämpfung mehr Befugnisse als ein Polizeibeamter des Bundeskriminalamtes. Natürlich hat auch der Polizeibeamte in einem LKA Befugnisse der Gefahrenabwehr und nicht nur der Strafverfolgung. Das Bundeskriminalamt dagegen mit seiner umfassenden Verantwortung als Dreh- und Angelpunkt der internationalen Verbrechensbekämpfung muss diese Kriminalitätsform wie ein Einarmiger bekämpfen. Das kann doch nicht Ihr Wille sein. Wer hier Vergleiche mit dem FBI anstellt, redet dummes Zeug. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Buß aus Schleswig-Holstein, hat Ende September dieses Jahres in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausgeführt: Der internationale Terrorismus ist eine so schwere Bedrohung unseres Landes, dass wir über diese Hürde springen sollten und dem Bundeskriminalamt diese Möglichkeiten ähnlich wie den Landeskriminalämtern auf ihrer Zuständigkeitsebene einräumen sollten. Ich sage Ihnen: Springen Sie mit! ({20}) Die AG Kripo hat im April dieses Jahres festgestellt, dass die dem Bundeskriminalamt zugewiesenen Befugnisse nicht in jedem Fall ausreichen, um die dringend gebotenen Verdichtungen von Sachverhalten, die auf eine Gefahr durch terroristische Aktivitäten hindeuten, vorzunehmen. Sie sehen: Unter den Fachleuten herrscht hier große Übereinstimmung. Ein wenig Hoffnung habe ich, dass sich bei Ihnen die Sachpolitiker langsam durchsetzen. Denn ich lese in Ihrem Antrag: ... eine Kompetenz des BKA für Vorfeldermittlungen allein würde keine grundlegende Verbesserung der Situation mit sich bringen. Das kann ja wohl nur bedeuten, dass Sie Vorfeldermittlungen für das BKA befürworten, sie aber alleine nicht für ausreichend halten. Herr Mayer sagte vorhin, Sie würden im Bundesrat eine Mehrheit finden, weil der Bundesrat den Antrag der CDU/CSU unterstützen würde. Das ist das Neue und eigentlich Erfreuliche an Ihrem Antrag. An diesem Punkt lohnt es sich, dass wir miteinander ins Gespräch kommen. Ich danke Ihnen. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3805 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/3673 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1}) - Drucksache 15/3977 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Stöckel Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Franz Thönnes für die Bundesregierung das Wort.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, weil mit zwei sehr wesentlichen Änderungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs Erleichterungen für die Menschen im Land geschaffen werden, insbesondere für diejenigen, die Sozialhilfe beziehen. Wir haben in diesem Haus gemeinsam eine Gesundheitsreform verabschiedet, die mehr Eigenverantwortung gewährleisten soll, durch die die Beiträge gesenkt werden sollen und die mehr Qualität ins Gesundheitswesen bringt. Wir haben aber auch gesagt: Die Sozialhilfeberechtigten sollen in die Krankenversicherung, in die Pflegeversicherung und in die Rentenversicherung einbezogen werden. Vor dem Hintergrund ist auch deutlich gesagt worden, dass es für Sozialhilfeempfänger keine generelle Befreiung von Zuzahlungen geben soll. Gleichwohl hat man sich darauf verständigt, Belastungsobergrenzen einzuziehen: 1 Prozent des Einkommens für Menschen mit chronischen Erkrankungen und 2 Prozent des Einkommens für alle anderen. Bei den Sozialhilfeberechtigten wurde anstelle des Einkommens die Sozialhilfe als Grundlage genommen. Dies bedeutet, dass für Menschen, die in Heimen leben und überwiegend chronisch krank sind, eine maximale monatliche Belastung von gut 3 Euro vorgesehen war. Wir alle hielten das für vertretbar, haben dann aber Anfang des Jahres bei der Umsetzung festgestellt, dass nicht alle Kassen und Sozialhilfeträger so flexibel waren, die tatsächliche monatliche Belastung der Betroffenen auf 3 Euro zu begrenzen. Vielmehr sind durch Zuzahlungen Belastungen in Höhe von 20, 30 oder auch 40 Euro angefallen. Damit war gleich im ersten Monat die Belastungsgrenze überschritten und die Grenze zur Zuzahlungsbefreiung erreicht. Es war nicht verträglich, dass von einem Barbetrag in Höhe von 88 Euro 40 Euro für Gesundheitsleistungen bezahlt werden müssen. Um dies für die Zukunft auszuschließen, sind in dem vorliegenden Gesetzentwurf Regelungen vorgesehen, die gewährleisten, dass beim Übergang vom Jahr 2004 zum Jahr 2005 für die Sozialhilfeträger und die Kassen die Verpflichtung besteht, sofort ab dem ersten Monat die Betroffenen von der Zuzahlung freizustellen und diese Beträge als Darlehen zu gewähren. Ich glaube, dass über diesen Weg die guten Beispiele, die wir beim letzten Jahreswechsel bei der AOK Rheinland und der AOK Rheinland-Pfalz erlebt haben, bundesweit Praxis werden. Damit werden nicht zu verantwortende Belastungen im ersten bzw. zweiten Monat eines Jahres vermieden. Dies ist etwas, was mit dazu beiträgt, dass die Gesundheitsreform noch mehr Akzeptanz findet, wie das auch schon in anderen Bereichen der Fall ist. Der zweite wichtige Punkt betrifft den Zusatzbarbetrag. Nach dem Sozialhilferecht können Menschen, die in Heimen leben und mit einem Teil ihres Einkommens dazu beitragen, die Kosten zu decken, neben ihrem Barbetrag, dem so genannten Taschengeld, das sich in der Größenordnung von circa 88 Euro bewegt, noch einmal einen maximalen Zusatzbarbetrag in Höhe von 44 Euro bekommen, mit dem anerkannt werden soll, dass sie selbst dazu beitragen, ihre Kosten im Heim zu decken. Dieser Zusatzbarbetrag hat seinen Ursprung in einer Entscheidung des Deutschen Bundestages, die am 18. Januar 1974 vor dem Hintergrund einer sehr kritischen Debatte über das ständige Anwachsen der Pflegekosten im Heim getroffen worden ist. Es wurde dargelegt, dass das eigene Einkommen, das die Betroffenen aufwenden, durch diese Kosten zunehmend aufgezehrt wird. Damals ist entschieden worden, den eigenen Beitrag anzuerkennen und zu würdigen. Deswegen hat man die Gewährung eines Zusatzbarbetrages beschlossen. Wir haben aber 1995/1996 die Pflegeversicherung eingeführt, ({0}) weil wir gesagt haben: Das Pflegerisiko muss abgesichert werden. Im Kommentar von Schellhorn zum Sozialrecht liest man dazu, dass die Reduzierung der verfügbaren Einkünfte in solchen Fällen auf einen normalen Barbetrag und damit die Gleichstellung mit Personen ohne wesentlich eigenes Einkommen eine Härte bedeutete. Nachdem die vollstationäre Pflege nun ab Juli 1996 mit in die sozialversicherungsrechtliche Pflegeversicherung einbezogen worden sei, sei das wichtigste Argument für den Zusatzbarbetrag entfallen. Das war der Hintergrund der Entscheidung, die Ende letzten Jahres bei der Reform des Sozialhilferechts von allen hier im Bundestag vertretenen Parteien, die sich in Regierungsverantwortung befinden, im Vermittlungsverfahren akzeptiert wurde. Wir haben uns nach Erklärungen der Behindertenverbände und der Sozialverbände in der Anhörung noch einmal ernsthaft mit diesem Komplex auseinander gesetzt. Mit dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, soll gewährleistet werden, dass der Zusatzbarbetrag für diejenigen Menschen, die in Heimen sind und sich bislang in ihrer Lebensgestaltung auf diesen Betrag eingerichtet haben, nicht zum 31. Dezember dieses Jahres auslaufen wird, sondern für diejenigen Heimbewohner, die ihn zu diesem Zeitpunkt erhalten, auch weiterhin ausgezahlt wird. Das entspricht auch der Lebens- und Haushaltsplanung dieser Menschen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Thönnes, denken Sie bitte an die Zeit.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Diese Regelungen hinsichtlich des Zusatzbarbetrages sollen aber nicht mehr für Neufälle gelten. Die betreffenden Personen können sich auch darauf einstellen. Wir erreichen damit, dass diejenigen, die ambulant, zu Hause, betreut werden, nicht mehr anders behandelt werden, weil für diesen Personenkreis der Zusatzbarbetrag nicht gezahlt wird. Das war auch schon der Hintergrund für die Entscheidung vom 18. Januar 1974. Damals ist die gleiche Debatte geführt worden, wie sie wahrscheinlich jetzt geführt werden wird. Auch damals hat die CDU/ CSU einen Freibetrag gefordert. Ein solcher Freibetrag entspricht nicht der Philosophie des Sozialhilferechts. Er ist damals schon abgelehnt worden und die bisherige Praxis hat sich bewährt. Im Übrigen hätten Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, 16 Jahre lang Zeit gehabt, Ihre Vorstellungen umzusetzen, sodass ich sagen muss: Auch CDU und CSU haben sich mit den bisherigen Regelungen abgefunden. Von daher ist Ihr Antrag ein Stück weit unverständlich und die in ihm enthaltenen Vorschläge würden in der Zukunft neue Ungerechtigkeiten bewirken. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Verena Butalikakis von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Verena Butalikakis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit Änderungen an einem Gesetz, das erst am 1. Januar 2005 in Kraft treten wird. Wir behandeln ein wichtiges Recht, das Sozialhilferecht. Da einige Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen in den Beratungen in den letzten Wochen - wie ich gerade festgestellt habe, trifft das auch auf den Staatssekretär zu - offensichtlich Erinnerungslücken haben, will ich ganz kurz auf die Vorgeschichte dieses Gesetzes eingehen. Vor genau einem Jahr, im Oktober 2003, beschloss die rot-grüne Regierungsmehrheit im Bundestag in zweiter und dritter Lesung das nach ihren Vorstellungen geänderte Bundessozialhilfegesetz, das neue SGB XII. Rot-Grün beschloss damals ein Gesetz, obwohl in der vorangegangenen öffentlichen Anhörung der Entwurf auf verheerende Weise verrissen worden war und die Experten viele Punkte bemängelt hatten. ({0}) Der Bundesrat hat das Gesetz dann abgelehnt; so landete der Entwurf für das neue Sozialgesetzbuch XII mit einer Anzahl weiterer Gesetze und Gesetzesentwürfe zur Beratung im Vermittlungsausschuss. Dort konnten durch gemeinsame Bemühungen etliche von den Fachleuten benannte Mängel behoben werden, außerdem wurden inhaltliche Korrekturen angebracht. Die gesetzestechnische Umsetzung oblag dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. Das Ergebnis war ein von allen Seiten getragener Kompromiss. Am 19. Dezember 2003 wurde das Sozialgesetzbuch XII als neues Sozialhilferecht von allen Fraktionen im Bundestag beschlossen und fand die Zustimmung des Bundesrates. Nun sollte es nicht üblich sein, dass man ein beschlossenes Gesetz bereits vor seinem In-Kraft-Treten ändert. Aber es kann durchaus sinnvoll sein, wenn man erkannte Unzulänglichkeiten korrigieren will. Eine solche Fehlerkorrektur sah das zunächst von den rot-grünen Regierungsfraktionen am 3. September in den Bundestag eingebrachte Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII vor. Zwei im Gesetz vom Bundesministerium vergessene klarstellende Festlegungen sollten nachgetragen werden. Gegen dieses formale Anliegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wir hatten deshalb hier im Hause auch gar keine Debatte in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes. Bei den weiteren Beratungen im Ausschuss zeigte sich dann aber recht schnell, dass von rot-grüner Seite gar kein Interesse daran bestand, ein gemeinsam beschlossenes Gesetz auch gemeinsam zu ändern. Das mündlich vorgetragene Anliegen der CDU/CSU-Fraktion, weitere redaktionelle und klarstellende Änderungen in das Gesetz mit aufzunehmen, wurde abgelehnt. Stattdessen brachte die rot-grüne Regierungskoalition einen Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf ein, der eine inhaltliche Änderung vorsah, nämlich eine Stichtagsregelung für den so genannten Zusatzbarbetrag. Der Zusatzbarbetrag - der Staatssekretär hat schon darauf hingewiesen - ist im derzeit noch gültigen Bundessozialhilfegesetz festgeschrieben. Er soll sicherstellen, dass Menschen, die in einer stationären Einrichtung leben und sich mit ihrem eigenen Einkommen an den Kosten dieser Unterbringung beteiligen, einen geringen Anteil ihres Einkommens zusätzlich zur eigenen Verfügung haben. ({1}) Dabei handelt es sich um einen Betrag von höchstens 44 Euro im Monat. Diesen kleinen Betrag hatte Rot-Grün - nicht etwa der Vermittlungsausschuss - für 2005 gestrichen, nämlich im Entwurf der Regierungskoalition zum SGB XII. Sie erinnern sich, das war der „schlechte“ Entwurf vom Oktober des letzten Jahres, der korrigiert werden musste. Dort wurde der Zusatzbarbetrag gestrichen. In der Begründung dazu heißt es: Der nicht bedarfsbezogene Zusatzbarbetrag zum Barbetrag entfällt, um eine Ungleichbehandlung von Leistungsberechtigen in und außerhalb von Einrichtungen zu beenden. Diese Forderung von Rot-Grün hatte im Vermittlungsausschussverfahren Bestand. Angesichts der zahlreichen Proteste, die uns wahrscheinlich alle erreicht haben, und natürlich zeitgleich mit der Endphase des Kommunalwahlkampfes in Nordrhein-Westfalen wollten sich SPD und Grüne als Retter des Zusatzbarbetrags aufspielen ({2}) und verfielen auf eine Stichtagsregelung, die bedeutet: Nur derjenige, der am 31. Dezember 2004 einen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag hat, erhält diesen Betrag auch weiterhin unbegrenzt. An die Menschen und ihre Gefühle wird dabei nicht gedacht. Auch die Darstellung des Staatssekretärs ging darauf nicht ein. Wie fühlt man sich denn, wenn man im Januar 2005 in eine stationäre Einrichtung kommt, das eigene Einkommen für die Unterbringung einsetzen muss und dann erfährt, dass man nie mehr als das Taschengeld in Höhe von 88 Euro bekommen wird, während Mitbewohner, die etwas länger - vielleicht nur einen Monat, nämlich seit Dezember 2004 - in dieser Einrichtung leben, auf unbegrenzte Zeit über den Zusatzbarbetrag verfügen können? ({3}) Man fühlt sich doch ungerecht behandelt. ({4}) In der am 30. September 2004 durchgeführten öffentlichen Anhörung wurde diese Regelung von Rot-Grün von den Sachverständigen einhellig abgelehnt. Die Regelung führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung der Heimbewohner, die insbesondere in Behindertenwohnheimen über Jahrzehnte anhalten würde, so lautete das Fazit der Experten. Auch die pauschale Aussage, der stationäre Bereich werde mit dieser Regelung generell gegenüber dem ambulanten Bereich besser gestellt, hält nach Meinung von Fachleuten einer Überprüfung nicht stand; denn im ambulanten Bereich - Herr Staatssekretär, Sie haben vergessen, das zu erwähnen - wird ab einer gewissen Einkommenshöhe ebenfalls ein Teil des Einkommens freigestellt. Für die CDU/CSU-Fraktion wird mit dem Zusatzbarbetrag der eigenverantwortlichen Vorsorge der Menschen für das Alter Rechnung getragen. Wir meinen: Eigenvorsorge muss sich lohnen, ({5}) gerade angesichts der massiven Senkungen, die es durch Rot-Grün in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt. Deshalb unterstützen wir den Vorschlag von Experten, den Zusatzbarbetrag - rechtssystematisch richtig als Einkommensfreibetrag - auch in das SGB XII aufzunehmen. Weil der Staatssekretär gerade darauf hingewiesen hat und weil ich es aus der Diskussion im Ausschuss weiß, möchte ich hier noch einmal klarstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Es geht hier nicht um eine juristische Diskussion, deshalb bitte keine Scheingefechte an dieser Stelle. Wir können gern eine andere Gesetzesstelle finden, in der der Zusatzbarbetrag festgelegt werden kann. Die entscheidende Frage für uns ist nämlich nicht, wie, sondern dass der Zusatzbarbetrag auf Dauer erhalten bleibt. ({6}) Ein weiterer wichtiger Punkt im Änderungsgesetz ist die Definition des notwendigen Lebensunterhalts in Einrichtungen. Unbestritten muss hier die Formulierung im beschlossenen Gesetz geändert werden. Bei der Umsetzung wurde jedoch die mangelnde rot-grüne Gesetzgebungskompetenz deutlich; denn eingebracht wurde ein Vorschlag, der von allen Sachverständigen in der schon genannten Anhörung als völlig untauglich beschrieben wurde. Daraufhin wurde wieder ein Änderungsantrag von Rot-Grün eingebracht. Jetzt sind Sie zu einer Lösung gekommen, die keine der beiden Alternativen aufgreift, die von den Sachverständigen in der Anhörung präferiert wurden. ({7}) Ihre Regelung kann nämlich zu dem absurden Ergebnis führen, dass Menschen im Einzelfall für ihre Unterbringung in einer Einrichtung mehr zahlen müssen, als der Lebensunterhalt in der Einrichtung tatsächlich kostet. Wie man das den Menschen erklären will, bleibt offen. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, dass beim notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen der zu berücksichtigende Anteil am Investitionsbetrag durch Verordnung des Landes festzusetzen ist. Dies entspricht einer der beiden von den Sachverständigen präferierten Alternativen. Diese Festlegung berücksichtigt die in den Ländern sehr unterschiedlichen rahmenvertraglichen Regelungen. Wie im Ausschuss möchte ich unsere Zustimmung zu einem weiteren Punkt, nämlich dem Vorhaben von RotGrün, eine Verfahrensregelung einzuführen, die für Heimbewohner eine deutliche Erleichterung im Hinblick auf die zu leistenden Zuzahlungen nach dem GMG bringt, signalisieren, zumindest grundsätzlich. Natürlich führt das zu einem erhöhten Bürokratieaufwand, den wir durchaus sehen und kritisieren. Eine offene Frage bei dieser Regelung bleibt aus meiner Sicht auch, wieso in diesem Fall der Sozialhilfeträger der Risikoträger ist, obwohl wir eigentlich über das Gesundheitsmodernisierungsgesetz reden. ({8}) Als letzten Punkt möchte ich das Verfahren zum Änderungsgesetz selbst aufgreifen. Der Staatssekretär hat gerade begrüßt, dass die rot-grüne Regierungskoalition dieses Änderungsgesetz in den Bundestag eingebracht hat. Vorausgegangen ist aber etwas ganz anderes: Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat bereits im Frühsommer viele aufgefordert, den notwendigen Änderungsbedarf zum Sozialgesetzbuch XII zu benennen. Es kamen dann Rückmeldungen von den Ländern, den örtlichen und überörtlichen Trägern der Sozialhilfe, von den kommunalen Spitzenverbänden, den Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen. Das Bundesministerium hat alle Änderungswünsche gesammelt und einen Teil davon ausgewählt; die zugrunde gelegten Kriterien sind leider unbekannt. Entschieden hat sich das Ministerium dann für circa 15 notwendige Änderungen. Diese 15 Änderungen wurden aber nicht etwa in einen Regierungsentwurf zur Änderung des SGB XII eingebracht. Vielmehr hat das BMGS diese Änderungen in den Entwurf eines anderen Gesetzes, nämlich des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes, geschrieben. ({9}) Dieses Verwaltungsvereinfachungsgesetz beschloss die Bundesregierung dann am 1. September. Nun ist es zur Beratung im Bundesrat. Zwei Tage später, also am 3. September, bekamen wir hier im Bundestag den Entwurf eines Änderungsgesetzes zum SGB XII von der rot-grünen Regierungskoalition auf den Tisch gelegt. ({10}) Heute wird nun dieses Änderungsgesetz hier beschlossen und an den Bundesrat weitergeleitet. Der Gesetzentwurf jedoch, der derzeit im Bundesrat ist, also der Entwurf mit den 15 Änderungen, kommt wahrscheinlich Ende Oktober zur ersten Lesung zu uns in den Bundestag. ({11}) Meine Damen und Herren, dies ist wie eine politische Satire. Ich glaube nicht, dass man das den Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erklären kann. ({12}) Deshalb zum Schluss: Wir werden den rot-grünen Änderungsentwurf ablehnen. Die CDU/CSU-Fraktion hat mit vier Änderungsanträgen ihre Alternativen aufgezeigt. Wir glauben, dass es notwendig und richtig ist, ein Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII einzubringen, damit sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Anwendung in der Praxis ein schlüssiges Gesetz vorliegt. Ich befürchte nur, mit Rot-Grün ist das nicht zu erreichen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth vom Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Butalikakis, ich glaube, die einzelnen Verfahrensschritte dürften den Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne in der Tat nur schwer klar zu machen sein. Wichtig ist aber, was am Ende herauskommt, welche Veränderungen wir vornehmen. Hier sind die Gesetzesänderungen im Sozialhilferecht durchaus ein Beispiel für eine lernende Gesetzgebung. Wir machen die Zuzahlungen für Heimbewohner praxistauglich - woher die Zuzahlungen kommen, wissen wir ja -, indem wir die Beteiligung an den Unterkunftskosten im Heim vereinfachen: durch die Vereinheitlichung und die Anlehnung an die Grundsicherung, durch die Schaffung eines Ermessensspielraums für die Sozialhilfeträger und nicht zuletzt durch die Übergangsregelung für den Zusatzbarbetrag der Heimbewohner. Bevor ich einige zusätzliche inhaltliche Anmerkungen mache, Frau Butalikakis: Ich finde, Sie machen es sich zu einfach, Sie machen sich einen schlanken Fuß - und das ist nicht in Ordnung -, wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen einen Einkommensfreibetrag einführen und das verstetigen. Es ist ja nicht so, dass Sie das in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht hätten tun können. Wir müssen uns auch die Positionen der unionsregierten Bundesländer anschauen, denn dieser Gesetzentwurf muss ja durch den Bundesrat. Ich stelle fest: Hessen kürzt das Blindengeld, Herr Wulff in Niedersachsen streicht es vollständig, Baden-Württemberg sucht nach Wegen, sämtliche Leistungen für Behinderte auf den Bund zu übertragen, und Herr Stoiber in Bayern schießt mit seinem kommunalen Entlastungsgesetz, KEG, den Vogel ab. Ich will nur einige Punkte nennen: Beseitigung des Rechts der Pflegebedürftigen, den Leistungsanbieter auszuwählen, Ausweitung der Aufrechnungsmöglichkeiten für den Sozialhilfeträger, Behindertenhilfe künftig nur noch nach Kassenlage und nicht mehr als Rechtsanspruch. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass bei einer solchen Aufstellung der von Ihnen regierten Bundesländer - und ich will nicht verhehlen, dass auch einige rot-grün regierte kürzen und sparen müssen - ein neu einzuführender Einkommensfreibetrag - verstetigt! - auch nur den Ansatz einer Chance hat. Sie können das hier nur vorschlagen, weil Sie genau wissen, dass wir das aus gesamtstaatlicher Verantwortung und auch deshalb, weil systematisch kein Platz mehr für den Zusatzfreibetrag ist, ablehnen müssen und es damit im Bundesrat gar nicht erst zu Verhandlungen kommt. ({0}) Das ist natürlich prima. Sie machen sich dabei einen schlanken Fuß. Es geht hier nicht darum, sozialpolitische Wunschlisten zu verlesen; das würde ich auch gerne tun; dann wäre ich noch bis heute Nachmittag beschäftigt. Man müsste Ihrem Änderungsvorschlag eigentlich glatt zustimmen, um zu sehen, was dann damit im Bundesrat passiert. Ich will mich auf den so genannten Investitionsbetrag beschränken. Die Wohlfahrtsverbände haben darauf hingewiesen, dass die Beteiligung an den Unterkunftskosten in den Heimen zu unbilligen Härten bei Ehepaaren führen kann, bei denen ein Partner im Heim lebt und der andere noch in der gemeinsam genutzten Wohnung, wenn zukünftig die so genannten Hotelkosten, also die Unterbringungskosten im Heim, anders als bisher stärker auf das Einkommen - etwa eine Rente - desjenigen, der zu Hause lebt, angerechnet werden. Der zweite Kritikpunkt war, dass man gesagt hat, die Investitionskosten in den Heimen sind sehr unterschiedlich, obwohl im Prinzip die Bedingungen für die Bewohnerinnen und Bewohner gleich sind. Da freue ich mich sehr, dass es in Abstimmung mit den Trägern der Sozialhilfe gelungen ist, hier eine eindeutige und praktikable Lösung zu finden. Die Höhe der Wohnkosten wird jetzt an die Grundsicherungsleistungen angelehnt, das heißt also, die durchschnittlichen Mietkosten der Sozialhilfeträger sind die Grundlage. Dadurch wird mehr Rechtssicherheit und Planungssicherheit für diejenigen geschaffen, die in Zukunft unter diese Regelung fallen. Frau Butalikakis, ich glaube nicht, dass man mit so einer Regelung in einen Bereich kommt, in dem die tatsächlichen Unterbringungskosten stark differieren. ({1}) Es ist eine Näherung. Man muss immer abwägen zwischen einer Einzelfallregelung und einer pauschalen Regelung. Unsere Regelung führt zu mehr Planungssicherheit. In der Konstellation, dass ein Ehepartner im Heim lebt, der andere zu Hause ist und höhere Auslagen für den Partner hat, haben wir dafür gesorgt, dass eine Regelung aus dem Bundessozialhilfegesetz übernommen wird, die dem einzelnen Sozialhilfeträger einen zusätzlichen Ermessensspielraum verschafft. Ich appelliere an die Sozialhilfeträger, diesen Ermessensspielraum in Härtefällen auch in Anspruch zu nehmen, also dafür zu sorgen, dass die zusätzliche Belastung des zu Hause bleibenden Ehepartners nicht dazu führt, dass auch er eventuell noch ins Heim muss. Denn dann werden die Kosten für die öffentliche Hand insgesamt höher und das ist auch mit entsprechenden Beschädigungen der Lebensqualität der Betroffenen verbunden, die sich auf ihre Situation eingestellt haben. Ich denke, hier können die Sozialhilfeträger ihrer Verantwortung vor Ort gerecht werden. Wir haben als Bundesgesetzgeber die Voraussetzungen dafür geschaffen. Noch einmal: Mit diesen drei angesprochenen und hier diskutierten Regelungen haben wir ein gutes Beispiel für eine lernende Gesetzgebung. Sie sollten uns dabei eigentlich unterstützen und zustimmen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Butalikakis das Wort.

Verena Butalikakis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kurth, der Begriff „schlanker Fuß“ hat mich natürlich animiert, mich noch einmal zu Wort zu melden. ({0}) Sie haben in Ihren Ausführungen so getan, als ob wir einen neuen Freibetrag einführen wollen. Das wollen wir nicht. Ich hatte gehofft, das sehr deutlich gemacht zu haben. Wir reden über den Zusatzbarbetrag, den jeder Heimbewohner derzeit nach dem Bundessozialhilfegesetz erhält. Wir wollen, dass dieser Zusatzbarbetrag auch im neuen Sozialgesetzbuch XII festgeschrieben wird. Es geht also nicht um einen neuen Tatbestand bzw. einen neuen Betrag. Wir sind den Experten gefolgt und haben gesagt, dass man ihn wie andere Regelungen im Übrigen auch - beispielsweise dann, wenn es um die Freistellung beim Arbeitseinkommen geht - sinnvollerweise als einen Einkommensfreistellungsbetrag im Gesetz festschreiben sollte. Ich hatte in meiner Rede auch sehr deutlich gemacht: Wenn das juristisch nicht gehen sollte - bisher haben wir das noch nicht schriftlich vorliegen -, dann können wir diesen Zusatzbarbetrag auch gerne an jeder anderen Stelle im SGB XII festschreiben. Ich wollte das noch einmal sehr deutlich sagen. Tun Sie also bitte nicht so, als ob wir einen zusätzlichen Tatbestand einführen wollen. Es ist natürlich klar, dass die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in Zeiten, in denen die Kassen der Kommunen gerade aufgrund der Regierungstätigkeit von Rot-Grün besonders leer sind, einen solchen Vorschlag nicht unabgestimmt macht. Sie ist sich natürlich sicher, dass die von CDU, CSU und FDP geführten bzw. mitgeführten Bundesländer eine solche gerechte Lösung für notwendig halten. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kurth zur Erwiderung, bitte.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Länderregierungen dazu bringen. Das erwarte ich mit Spannung. ({0}) Zunächst einmal: Nicht jede Heimbewohnerin und jeder Heimbewohner hat den Zusatzbarbetrag erhalten. Ich glaube, das muss man zur Klarstellung für die Zuhörerinnen und Zuhörer hier noch einmal sagen. Das hing ja vom Einkommen ab. Nur diejenigen, die über einen relativ hohen eigenen Renten- oder Einkommensanteil verfügten, haben ihn erhalten. Die meisten haben ihn nicht bekommen. Ich wiederhole auch noch einmal das, was der Parlamentarische Staatssekretär Thönnes gesagt hat: Diejenigen, die im ambulanten Bereich versorgt wurden, also zu Hause waren, haben ihn überhaupt nicht erhalten. Indem Sie den so genannten Zusatzbarbetrag in einen Einkommensfreibetrag umwidmen, entsteht von der Rechtsform her natürlich schon eine neue Leistung. Das ist von der Systematik des Gesetzes her so nicht vorgesehen. Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung ist ein Zusatzbarbetrag von der Systematik her nicht vorgesehen. Die Sozialhilfe richtet sich nach dem Bedarf. ({1}) Man muss das den 2,4 Milliarden Euro, die jährlich an Hilfe zur Pflege anfallen und die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgebracht werden, einmal gegenüberstellen und schauen, ob ein Zusatzbarbetrag vor diesem Hintergrund und bei dieser Konstellation noch eine Berechtigung hat. ({2}) Es wäre sicherlich sinnvoll und würde viel mehr bringen, im nächsten Jahr eine Reform der Pflegeversicherung anzugehen. Zum Beispiel sollten die Leistungen für Demenzkranke aufgenommen werden. Außerdem sollte dieser ganze Bereich dynamisiert werden. Dadurch könnten wir für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner der Heime in der Regel viel mehr tun als über den Zusatzbarbetrag. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für diesen Tagesordnungspunkt wurde nur eine sehr kurze Debattenzeit angesetzt, sodass ich nur eine sehr kurze Redezeit habe. Deswegen will ich mich auf drei Punkte konzentrieren, die für die FDP-Fraktion notwendigen Schlussfolgerungen aus der Anhörung sind und die sie als Entschließungsantrag heute vorlegt. Erstens. Alle Politiker reden sonntags über Bürokratieabbau. Nur die FDP handelt aber auch den Rest der Woche danach. ({0}) Die Darlehensregelungen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, als Vorschlag zur Abwicklung der Zuzahlung von sozialhilfebedürftigen Heimbewohnern vorlegen, ist jedenfalls ein sehr beredtes Beispiel dafür, warum in Deutschland alles so furchtbar kompliziert ist. Hier tobt sich rot-grüne Regulierungswut wieder einmal nach Herzenslust aus. Herr Kollege Kurth, Sie sollten sich schämen, diese Regelung als praxistauglich zu bezeichnen. Sie ist schlichtweg ungeeignet. Die Fakten sind: Nach Angaben des AOK-Bundesverbandes gibt es bundesweit circa 232 800 sozialhilfeberechtigte Heimbewohner in vollstationären Einrichtungen. Diese Personen sind fast alle anerkannt chronisch krank, haben also eine Belastungsgrenze von 1 Prozent. Das heißt, bei rund 36 Euro jährlich ist die Zuzahlungsgrenze erreicht. Den somit geschätzt etwa 8,4 Millionen Euro möglichen Einnahmen stehen die erheblichen Aufwendungen bei den Krankenkassen und betroffenen Leistungsempfängern, bei Heimen und/oder Sozialhilfeträgern gegenüber, zum Beispiel sich jährlich wiederholende Prüfungen von Einkommenssituationen und der geleisteten Zuzahlungen, Prüfung des Chronikerstatus, Verrechnung zwischen den Akteuren. Besonders problematisch ist, dass dieser Aufwand jährlich immer wieder aufs Neue entsteht. Aus Sicht der FDP gibt es daher nur eine richtige Lösung, nämlich die Abschaffung der Zuzahlungspflicht für sozialhilfebedürftige Heimbewohner, wie dies auch bis zum In-KraftTreten der von Rot-Grün und der Union beschlossenen Gesundheitsreform Gesetzeslage war. ({1}) Zweitens. Der Gesetzentwurf sieht einen Bestandsschutz für den Zusatzbarbetrag für sozialhilfebedürftige Personen vor, die Ende dieses Jahres in Heimen leben. Es ist in der Anhörung deutlich geworden, dass eine solche Übergangsregelung systemfremd ist und auf sehr lange Zeit zu Ungleichbehandlungen zwischen Heimbewohnern führen wird. Wir fordern daher die Abschaffung des Zusatzbarbetrages für alle Heimbewohner ohne Übergangsregelung. Das ist aus unserer Sicht deswegen sozialverträglich möglich, weil - das hat auch Staatssekretär Thönnes ausgeführt - zwischenzeitlich mit der Pflegeversicherung die ursprüngliche Begründung für den Zusatzbarbetrag entfallen ist; denn wie ich unter Punkt eins meiner Ausführungen vorgetragen habe, wir wollen alle Betroffenen von der Zuzahlung vollständig befreien und werden damit entsprechende Entlastungen erzielen. Dadurch wird - das ist gleichfalls ein sehr wichtiger Aspekt - eine Gleichstellung von ambulanter und stationärer Behandlung bzw. Unterbringung erreicht. Drittens. Die Unterbringung in stationären Einrichtungen verursacht, wie wir in der Anhörung lernen konnten, einen erheblichen Verwaltungsaufwand, ohne dass davon die Leistungsempfänger maßgeblich profitieren würden. Es ist so, dass im Ergebnis in nahezu allen Fällen der tatsächliche Bedarf in stationären Einrichtungen durch die Grundsicherung nicht gedeckt wird und damit am Ende Leistungen der Sozialhilfe fast immer erforderlich sind. Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass das Festhalten an der einheitlichen Anwendung der Grundsicherung für alle Personengruppen nicht zum Selbstzweck werden darf. ({2}) Gesetze müssen den Menschen dienen. Deswegen wollen wir, dass der Gesetzgeber von vornherein klarstellt: Sozialhilfebedürftige in stationären Einrichtungen erhalten bedarfsorientierte Sozialhilfe. Die parallele Berechnung von Grundsicherung und Sozialhilfe wird damit abgeschafft. Aus den vorgetragenen Gründen können Sie erkennen, warum wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Sie aber sollten die Gelegenheit nutzen, noch vor dem Wochenende wirklich etwas für die in Heimen lebenden sozialhilfebedürftigen Menschen zu tun und gleichzeitig einen Beitrag zum Abbau der Bürokratie in Deutschland zu leisten. Ich fordere Sie auf, dem Antrag der FDP zuzustimmen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel von der SPD-Fraktion.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Butalikakis, richtig ist, dass dieses Änderungsgesetz notwendig ist, weil der Vermittlungsausschuss das In-KraftTreten der Neuregelungen des SGB XII um sechs Monate verschoben hat. Uns zu unterstellen, dass wir Änderungen vorlegen müssten, weil der Gesetzentwurf mit der heißen Nadel gestrickt sei, und so die üblichen Klischees vom rot-grünen Chaos wieder aufzuwärmen, ist einfach nur Show und wird der Sache nicht gerecht. Es ist sinnvoll - das ist zwischenzeitlich in der Praxis angemahnt worden -, einen bundeseinheitlichen Maßstab für den notwendigen Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen zu schaffen. Ich glaube, den Bedarf entsprechend der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu definieren ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung einfach die beste und gerechtere Lösung. Darin waren sich die Experten einig, sowohl die Sozialhilfeträger als auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Bisher gab es im Bundesgebiet und den Ländern selbst als Investitionsbeitrag unterschiedliche Kostenanteile von 2 bis 24 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Ihr Vorschlag, dass die Länder durch Rechtsverordnung Pauschalen festsetzen können, wäre nicht nur aufwendiger, sondern würde den unterschiedlichen lokalen Märkten und Trägersituationen nicht gerecht und es wäre dadurch zu 16 unterschiedlichen Regelungen gekommen. Wir sind auch den Hinweisen - das hat der Kollege Kurth bereits angesprochen - der Experten in der Anhörung hinsichtlich der Ehepartner gefolgt, ({0}) die gezwungen sind, aufgrund der stationären Pflege eines Partners in zwei Haushalten zu leben. Die Unterhaltsfreistellung des BSHG wurde in das neue SGB übernommen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das eine sinnvolle Regelung ist. Einigkeit, Frau Butalikakis und Herr Kolb, herrschte eigentlich auch auf allen Seiten darüber, dass der Zusatzbarbetrag zum Taschengeld für sozialhilfeberechtigte Heimbewohner systemwidrig ist. Das hätte zu der Zeit, als Sie an der Regierung waren, geändert werden können. Es gab bereits 1974 von Ihnen den Vorschlag, einen Einkommensfreibetrag für Rentnerinnen und Rentner oder für Behinderte mit einem entsprechenden Einkommen zu schaffen. Ich habe 15 Jahre während Ihrer Regierungszeit in einem Sozialamt gearbeitet. Ich frage mich, warum Sie es nicht im Bundesrat und im Bundestag geschafft haben, diese Regelung einzuführen. Ich bin genauso wie der Kollege Kurth gespannt, wie Sie und die unionsgeführten Länder das den Kommunen vor dem Hintergrund der Kostensteigerung von 9,7 Prozent für Hilfen für Pflegebedürftige in besonderen Lebenslagen klar machen wollen. Die persönlichen Ausgaben über die Grundversorgung hinaus können von allen Sozialhilfeberechtigten mit dem Grundbarbetrag gedeckt werden. Wir schlagen eine Übergangsregelung vor, weil wir die Meinung der Betroffenen und der Heimbeiräte eingeholt haben, wonach die Streichung den bisher Berechtigten nicht zumutbar sei. Es gibt allerdings auch andere Beispiele für Übergangs- und Stichtagslösungen im SGB. Wir meinen, dass wir das Ziel der Gleichbehandlung aller Sozialhilfeberechtigten sukzessive erreichen. Die meisten Sozialhilfeberechtigten in Heimen bekommen nämlich kein zusätzliches Taschengeld. Ich frage Sie, Herr Kolb: Warum hat die FDP einen solchen Antrag nicht bei der Einführung der Pflegeversicherung gestellt? Es ist ziemlich durchsichtig, zu fordern, einerseits einen Einkommensfreibetrag zu schaffen, andererseits die sozialhilfeberechtigten Heimbewohner von sämtlichen Zuzahlungen des GMG zu befreien. ({1}) Ich bin der Meinung, dass die Regelung, dass wir die Sozialhilfeträger - die sind dafür zuständig - bundesweit verpflichten, die Zuzahlungen der Heimbewohner ({2}) aufgrund des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes darlehensweise über ein Jahr sozialverträglich zu strecken, einen Sinn ergibt. Es geht Ihnen im Grunde nicht um die Betroffenen. Es geht Ihnen eigentlich um die OTC-Produkte und darum, dass Ihre Klientel, nämlich die Unternehmen, die diese verkaufen, ein Einfallstor bekommen, damit sie staatlich garantierte Gewinne mit Sozialhilfemitteln machen können. Darum geht es. Ich bin der Meinung, dass das im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Positionen der FDP im Sozialhilferecht steht. Die begrenzten Zuzahlungen, auch von Sozialhilfeberechtigten, sind für ein wirtschaftliches Gesundheitssystem und auch mit Blick auf die Geringverdiener und die überall vorhandene Neigung zur Mitnahme auf Kosten der Betroffenen sachlich und sozial gerechtfertigt. Deshalb stehen wir auch dazu. Der Lebensunterhalt der Betroffenen wird mit der Sozialhilfereform besser angepasst und gesichert. Die Verwaltung wird vereinfacht ({3}) und die Hilfen zur Selbsthilfe werden wie der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gestärkt. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. ({4}) Sie sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht. Deswegen unterstützen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, unseren Gesetzentwurf, damit mit diesem Änderungsgesetz der Weg für eine notwendige und umfassende Reform des Sozialhilferechts zum 1. Januar 2005 frei gemacht wird. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/3673. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3977, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/ CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der CDU/CSUFraktion bei Zustimmung der FDP-Fraktion. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 9 auf: 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-Gmelin und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ernährung als Menschenrecht - Drucksache 15/3956 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1}) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernhard Schulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen ({2}), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Welternährung sichern - eine globale Verantwortung für die nationale und europäische Agrarpolitik - Drucksache 15/3940 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! In dieser Debatte geht es um das Recht auf Nahrung. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Versorgung mit ausreichender und angemessener Nahrung zu den grundlegenden Menschenrechten gehört. Wie aber stellt sich die gegenwärtige Situation dar? Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der FAO, leiden weltweit noch immer fast 900 Millionen Menschen an Unterernährung. Die Ursachen des Hungers sind vielschichtig. Sie reichen von Unruhen und bewaffneten Konflikten bis hin zu Naturkatastrophen, Armut und Krankheit. Umso mehr kommt es auf den politischen Willen aller an, Erfolg versprechende Schritte einzuleiten. Wichtig ist es, dass sich alle darum bemühen, dem Hunger strukturell den Kampf anzusagen. Ich messe den internationalen Leitlinien zum Recht auf Nahrung eine große Bedeutung bei. Die Verhandlungen dazu wurden Ende September in Rom erfolgreich abgeschlossen. Das Entscheidende ist dabei, dass erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen eine solche zwischenstaatliche Rahmenvereinbarung zu einem UN-Recht zustande gekommen ist, in der für die einzelnen Länder definiert worden ist, was als „gutes Regierungshandeln“ gegenüber der eigenen Bevölkerung anzusehen ist. ({0}) Das in der Geschichte der Vereinten Nationen bisher einmalige Instrument ist in einen umfassenden Entwurf zur Hungerbekämpfung integriert, dessen menschenrechtliches Instrumentarium es den Betroffenen erlaubt, die Erfüllung der politischen Verpflichtungen vor Gericht einzuklagen. Mit solchen und weiteren Maßnahmen werden praktische Wege aufgezeigt, wie das Recht auf Nahrung schrittweise für alle Menschen verwirklicht werden kann. Ich freue mich, dass das Bundesverbraucherministerium - nachdem der Bundestag die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hat - die Möglichkeit hatte, diesen Prozess mit zu initiieren und finanziell zu unterstützen. Es waren ein starker politischer Wille und auch Beharrlichkeit notwendig, um die Leitlinien zu erarbeiten. Auch die G-77-Staaten und der Vorsitzende der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, der iranische FAO-Botschafter, haben bemerkenswerte Beiträge geleistet. An dieser Stelle möchte ich mich besonders bei dem Generaldirektor der FAO, Herrn Diouf, bedanken, den wir übrigens heute in diesem Haus begrüßen dürfen. Er sitzt zusammen mit Herta Däubler-Gmelin auf der Tribüne. Herzlich willkommen! ({1}) Ich möchte ebenfalls herausstellen, dass NGOs, zum Beispiel die Menschenrechtsorganisation FIAN International, einen großen Teil der Arbeit geleistet haben, genauso wie viele Abgeordnete dieses Hauses, die diesen Prozess begleitet haben, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, der UN, des Auswärtigen Amtes und der GTZ. Die Leitlinien sind etwas Besonderes. Sie haben nämlich das Potenzial, den Teufelskreis aus Hunger und Armut aufzubrechen und im Zusammenhang mit bestimmten Regierungsformen und -maßnahmen und einer anderen Verteilung des Profits innerhalb eines Landes dafür Sorge zu tragen, dass Armut bekämpft wird und dass die betroffenen Menschen Zugang zu Wasser, Land, Saatgut und Bildung haben und sich Perspektiven erarbeiten können. Bevor im kommenden November die offizielle Verkündung erfolgt, wissen wir schon jetzt - das ist der nächste Schritt -, dass es darum geht, das Recht auf Nahrung in den einzelnen Ländern durchzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass internationale Organisationen in dieses Konzept eingebunden werden. Deutschland wird diesen Prozess nach Kräften weiter unterstützen. Vor zwei Tagen haben wir hier in Berlin die dritte Konferenz „Politik gegen Hunger“ eröffnet. Nachdem wir im letzten Jahr über Nahrungsmittelhilfen geredet haben, geht es in diesem Jahr um die WTO-Verhandlungen in Genf. Auch die WTO-Verhandlungen müssen sich an ihrem Erfolg bei der strukturellen Hungerbekämpfung messen lassen. Es darf nicht einfach nur um Liberalisierung gehen nach dem Motto: Der Stärkste, also derjenige, der am meisten exportiert, wird gewinnen. Vielmehr muss man sich fragen, ob das den Hungernden, den Landlosen und den Arbeitslosen weltweit hilft und ihren Zugang zu Finanzmitteln erleichtert. Deshalb muss die WTO einen makroökonomischen Rahmen schaffen, der gerade den Menschen im ländlichen Raum Perspektiven gibt. ({2}) Vergessen wir nicht, dass ungefähr 70 Prozent aller Menschen auf der Welt hungern. 70 Prozent von über 800 Millionen leben auf dem Lande, arbeiten teilweise sogar in der Landwirtschaft für den Export und haben trotzdem nicht das Geld bzw. produzieren nicht genügend Lebensmittel, um sich selbst und ihre Familien zu ernähren. Wir dürfen nicht nur international Gerechtigkeit üben und etwas implementieren, sondern wir müssen auch in Europa etwas bewegen, zum Beispiel eine Zuckermarktreform durchzuführen. ({3}) Bei einer solchen Reform müssen wir sowohl die Situation der Menschen in den Produzentenländern als auch die Arbeitsplätze bei uns im ländlichen Raum im Blick behalten. Die Aufgabe wird sein, diese Reform so intelligent und kreativ zu machen, dass die Menschen sowohl in den Produzentenländern als auch bei uns nach einer Übergangsphase eine Zukunft haben. Mit den Leitlinien zum Recht auf Nahrung haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt geht es darum, diese Leitlinien umzusetzen und bei der WTO aktiv zu werden. Jeder Mensch hat das Recht auf ausreichende und gesunde Nahrung. Wir stehen zwar erst am Anfang, aber ich freue mich, dass die hier Anwesenden auch in Zukunft an der Erreichung dieses Zieles arbeiten wollen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal eine Tageszeitung im Jahre 2015 vor. Die Schlagzeile wird wahrscheinlich lauten: Das Ziel der Vereinten Nationen wurde verfehlt; eine Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahre 2015 wurde nicht erreicht. Im Fließtext könnte man lesen: Schon auf einer Konferenz in Berlin im Oktober 2004 wurde vorausgesagt, dass man dieses Ziel verfehlen wird, wenn nicht gehandelt wird und wenn die Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern nicht gestärkt wird. Wir wollen nicht bis 2150 warten, wie es der Generaldirektor der FAO, Dr. Jacques Diouf, heute Morgen in einem Gespräch gesagt hat. Auch ich freue mich sehr, dass Jacques Diouf die heutige Debatte von der Tribüne aus mitverfolgt. ({0}) Die Leitlinien zu einem Recht auf Nahrung und der Aktionsplan 2015 sind wichtige Ziele. Die Regierungen der Entwicklungsländer werden sich künftig an der Einhaltung dieser Leitlinien messen lassen müssen. Das Problem ist jedoch, dass die Maßnahmen ihre volle WirBernhard Schulte-Drüggelte kung kaum entfalten können, wenn sie nicht mit einer kohärenten Entwicklungspolitik der Industrieländer einhergehen. Die deutsche Entwicklungspolitik ist insofern kein Vorbild. Die Entwicklungshilfe betrug 2003 gerade einmal 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach einem EU-Beschluss soll sie 2006 schon 0,33 Prozent betragen. Die Bundesrepublik hält ihre Verpflichtungen nicht ein, wenn sie die gegenwärtige Politik fortsetzt. Die Bundesregierung leistet auf diese Weise keinen glaubwürdigen Beitrag zur Verwirklichung der Millenniumsziele. ({1}) Derzeit sind über 800 Millionen Menschen unterernährt, davon sind 180 Millionen Kinder. Wie wir heute Morgen noch einmal eindringlich gehört haben, sterben 14 000 Kinder am Tag an Unterernährung. Diese Zahl muss uns doch erschrecken und zum Umdenken bewegen. Die Hauptproblemregionen sind Südasien und Afrika südlich der Sahara. Rund 70 Prozent dieser Menschen leben auf dem Lande; da bestätige ich die Aussage der Ministerin. ({2}) - Bitte, Frau Wolff.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben die Frage, ob Sie die Zwischenfrage zulassen, schon beantwortet.

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das macht nichts. Bitte schön, Frau Wolff.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schulte-Drüggelte, Sie reden so vollmundig davon, dass die Bundesregierung ihrem Ziel nicht gerecht werden kann. Wir alle hier im Saal wissen doch, dass sich die Erreichung der Ziele vorrangig im Bereich der Agrarpolitik entscheidet. Ich nenne bloß ein Beispiel: Zuckermarktordnung. Darf ich davon ausgehen, dass Ihre Fraktion bereit sein wird, mit Blick auf die WTO insofern entscheidende positive Schritte mitzugehen? ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gerade die Daten genannt, wie sie im Haushalt abzulesen sind. Welche Vorstellungen die Regierung hat, ist eine Seite; was sie tatsächlich tut - das ist Fakt; das wird von Ihnen auch nicht bestritten -, ist die andere Seite. Wenn die Zuckermarktordnung in Europa verändert wird, dann - der Meinung bin ich ganz entschieden - müssen auch die Interessen der AKP-Staaten berücksichtigt werden; insbesondere müssen Übergangsfristen geschaffen werden. Das entspricht den Forderungen der AKP-Staaten, wie sie zumindest mir bekannt geworden sind. ({0}) Das Problem ist, dass die Wachstumsrate der Weltbevölkerung bei 1,3 Prozent pro Jahr liegt. Das entspricht einem Zuwachs um 80 Millionen Menschen jährlich. Dieses Wachstum der Weltbevölkerung findet hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern statt. Die damit einhergehende rapide steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln trifft auf nur begrenzt vorhandene Ressourcen an Ackerland und insbesondere an Wasser. Die Konsequenzen sind aus meiner Sicht ganz klar: Bei wachsender Weltbevölkerung ist es notwendig, die Produktivität landwirtschaftlicher Flächen nachhaltig zu erhöhen. Die Studien der FAO belegen, dass die Mehrproduktion von Nahrungsmitteln zu 80 Prozent aus höheren Flächenerträgen resultieren muss. Die nachhaltige Sicherung der Ernährung und die Reduzierung der Armut wird die vordringliche Aufgabe dieses und des nächsten Jahrhunderts sein. Die Herausforderungen sind Produktivitäts- und Leistungssteigerung, Verbesserung der Nahrungsmittelqualität, Reduktion der Kosten landwirtschaftlicher Erzeugung, Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen sowie Zugang zu Märkten und Technologien. Aber dieser Weg ist forschungs- und wissensintensiv. Die Agrarforschung, insbesondere die Grüne Biotechnologie, hat das Potenzial, entscheidend zur Lösung dieses Problems beizutragen. ({1}) Dieser Weg erfordert verstärkt Investitionen und Anstrengungen in angewandter Agrarforschung und in der Innovationsentwicklung. In diesem Land sollte die Diskussion daher möglichst sachgerecht und nicht nur auf ideologischer Basis geführt werden. ({2}) Als wesentliche Ursachen für die Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern gelten neben Instabilität und Naturkatastrophen - Frau Ministerin, Sie sprachen gerade gutes Regierungshandeln an - schlechtes Regierungshandeln. Wir wissen ja - um es noch einmal anzusprechen -, dass ein solches Verhalten nicht auf Entwicklungsländer beschränkt ist. ({3}) - Ja. Zudem sollte es ein Ziel europäischer Handelspolitik sein, dass die fortschreitende Liberalisierung der Weltagrarmärkte auch den Entwicklungsländern Vorteile bringt, ohne das europäische Agrarmodell zu gefährden. Die Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern braucht jedoch ausreichende Unterstützung, um am internationalen Handel erfolgreich teilnehmen zu können. Sie braucht einen fairen Wettbewerb. Wie wir auf der jetzt in Berlin stattfindenden Tagung gehört haben, fördert der Handel Produktivitätssteigerungen. Produktivitätssteigerungen fördern das Wachstum. Wachstum steigert das Einkommen und reduziert Hunger und Armut. Das heißt, die Bundesregierung muss der Agrarentwicklungshilfe insgesamt einen deutlich höheren Stellenwert beimessen. ({4}) Das Motto lautet: Agrarforschung bei der Entwicklungszusammenarbeit verstärken und globale Verantwortung für die Welternährung übernehmen. Ich darf noch einmal Jacques Diouf zitieren: Eine Welt mit weniger Armut und weniger Hunger ist auch eine stabilere Welt mit mehr Frieden. Wir tragen auch Verantwortung, wenn wir nicht handeln. Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhold Hemker von der SPD-Fraktion.

Dr. Reinhold Hemker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich meinen Dank all denjenigen aussprechen, die an der Erarbeitung der Leitlinien zum Recht auf Nahrung mitgewirkt haben; Dr. Diouf ist namentlich schon genannt worden. Frau Ministerin, ich richte meinen Dank aber auch an diejenigen, die insbesondere auf deutscher Seite ihren Beitrag geleistet haben, nicht nur finanziell, sondern über mittlerweile zwei Jahre auch inhaltlich. Wir können nun froh sein, dass uns seit etwa vier Wochen das Ergebnis vorliegt. Herzlichen Dank! ({0}) Die dieser Debatte vorausgegangene Ausschusssitzung heute Morgen hat noch einmal deutlich gemacht, wie komplex die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen Handelsliberalisierung und Ernährungssicherung ist. Die Bedeutung von Infrastruktur - ich denke an die Verteilung von Produktionsmitteln in den jeweiligen Ländern und weltweit, an Dünger und an den Zugang zu Wasser, Stichwort Produktionssteigerung - wird uns das ist zumindest mir und den Teilnehmern der Sitzung vor dem Hintergrund der Ausführungen von Dr. Diouf klar geworden - in den nächsten Jahren immer wieder neu beschäftigen. Auch für diese Ausführungen sage ich an dieser Stelle herzlichen Dank. Mir ist wichtig, klar zu machen, dass uns aufgrund der seitens der FAO erarbeiteten Richtlinien seit 1999 eine Definition dessen vorliegt, was eigentlich das Recht auf Nahrung ist. Das muss nun in alle Politikbereiche Eingang finden, nicht nur in den von uns vertretenen Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, sondern auch in die Bereiche wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umwelt, Soziales, Wirtschaft usw. Ich rufe in Erinnerung, was wir in der Debatte am 29. Januar gesagt haben. Damals standen wir am Anfang der Diskussion. Wir haben gesagt: Menschen müssen weltweit jederzeit durch Eigenproduktion und/oder Kauf ausreichend Zugang zu angemessener Nahrung haben. Wir haben zum Ausdruck gebracht: Diese Nahrungsmittel dürfen keine schädlichen Inhaltsstoffe haben. Vor allem müssen die Nahrungsmittel ausgewogen, gesund und der jeweiligen Kultur angemessen sein. Was die Staaten, die sich an diesen Richtlinien nun neu orientieren, angeht, ist dabei von drei Grundverpflichtungen auszugehen: Erstens muss der bereits jetzt bestehende Zugang zu Nahrungsmitteln respektiert werden; das gelingt nicht überall. Er muss zweitens geschützt und drittens langfristig gewährleistet werden. Ausgehend von dieser Definition beschreiben die Leitlinien im Sinne einer Selbstverpflichtung - das muss noch einmal betont werden - die Handlungsfelder und die Rahmenbedingungen, die zu schaffen sind. Heute Morgen hat eine Kollegin nach der lokalen Zuständigkeit gefragt. Dieser Ansatz ist richtig. Der Rahmen geht von den Local Governments über die regionale, nationale und internationale bis hin zur globalen Ebene. Von daher gesehen ist die Wahrnehmung von Verantwortung gemäß der lokalen Agenda, über die wir seit der Rio-Konferenz bei uns diskutieren - viele deutsche Gemeinden nehmen sie ja schon wahr -, eine ganz wichtige Angelegenheit, die auch vonseiten der Bundesregierung zu unterstützen ist. Das geschieht ja auch, Frau Ministerin. Darüber hinaus besteht in den beiden heute vorliegenden Anträgen, sowohl im Antrag der Koalitionsfraktionen als auch im Antrag der CDU/CSU, Konsens auch bezüglich der Notwendigkeit der Einbindung in andere global ausgerichtete Politikbereiche. In der in beiden Anträgen vorgenommenen Bewertung wird dies deutlich. Natürlich ist die jeweilige Schwerpunktsetzung in mancher Hinsicht unterschiedlich. Es wird ja auch Gegenstand der Fachdebatten in den Ausschüssen sein, welche Schwerpunkte denn nun in den nächsten Jahren prioritär gesetzt werden sollen. Ich verweise vor diesem Hintergrund auf die notwendige Einbindung von Themenfeldern, die wir schon in früheren Debatten hier im Bundestag, nicht zuletzt auch auf Basis der in einem großen Kompendium zusammengefassten Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ formuliert haben. Wir sind dabei, die von dieser Kommission beschlossenen Empfehlungen abzuarbeiten, so zum Beispiel, Frau Ministerin, die Schaffung einer nachhaltigen Agrar- und Ernährungswirtschaft im Zuge der EUAgrarreform, die Förderung fairer Bedingungen bei ProReinhold Hemker duktion und Handel, wobei hier insbesondere die Verantwortung der Konsumenten in den reichen Ländern, die die Produkte der ärmeren Länder kaufen, eine Rolle spielt, und, was ganz wichtig ist, die Schaffung tragfähiger Rechtsverhältnisse im Sinne der Prinzipien von Good Governance und vieles mehr. Hierzu enthalten die Leitlinien auch sehr deutliche Aussagen. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Arbeit in diesem Parlament, die vielfältige Anregungen auch für die Arbeit der Bundesregierung gegeben hat, sind wir mit dem in Rom im letzten Monat erzielten Arbeitsergebnis zufrieden, aber natürlich nur, wie das der Kollege Schulte-Drüggelte schon angedeutet hat, vorerst zufrieden. Wir können heute nämlich zunächst einmal nur von einer Willenserklärung sprechen. Gemäß dem Verständnis der Leitlinien kann Ernährung nun allerdings ganz explizit als Menschenrecht bezeichnet werden; denn darauf haben sich mehr als 120 Staaten dankenswerterweise geeinigt. Das wird dazu führen, dass die verschiedenen Politikbereiche noch besser als in der Vergangenheit miteinander abgestimmt werden müssen. Auch darauf wird ja im Antrag von CDU/CSU verwiesen. Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um die Anwendung des Kohärenz- und Nachhaltigkeitsprinzips in allen Bereichen und Ebenen der Politik; in unserem Fall heute geht es um die fast zwei Milliarden hungernden und verelendenden Menschen vorwiegend in den armen Ländern der Welt. Mitarbeiter von Menschenrechts- und Solidaritätsaktionen haben die Leitlinien wegen des Menschenrechtsansatzes schon in verschiedenen Veröffentlichungen der letzten Wochen als starken Hebel zur Bekämpfung des Hungers bezeichnet. Das zeigt ihren Stellenwert für die Arbeit derjenigen, die sich Tag für Tag für die Ärmsten der Welt einsetzen. Wenn man beide Anträge genau studiert, stellt man fest, dass sie auf den Grundwiderspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit verweisen. Da wird zwar immer wieder Freiheit, Land und Brot zum Beispiel für landlose Bauern gefordert, aber die Wirklichkeit ist weit davon entfernt. Diejenigen, die Land bewirtschaften wollen, werden nach wie vor in vielen Ländern dieser Welt vom Land vertrieben. Mit Blick auf die ILO-Vereinbarungen wird zwar immer wieder eine angemessene Bezahlung von geleisteter Arbeit gefordert, aber noch immer werden in einem großen Teil, wenn nicht im größten Teil der Entwicklungsländer Löhne von unter 1 US-Dollar pro Tag gezahlt und nicht nur in freien Produktionszonen sind Menschen nicht selten gezwungen, sogar ohne Bezahlung zu arbeiten. Das ist nach wie vor ein internationaler Skandal. ({1}) Sozialstandards werden verweigert. Es wird verlangt, dass der Mutterschutz weltweit berücksichtigt wird, aber in vielen Ländern - im Übrigen auch in den von mir genannten freien Produktionszonen - werden schwangere Frauen sofort entlassen. Das ist ein weiterer Skandal. Das Verbot des Sprühens von hochgiftigen Pestiziden wird zwar als notwendig erachtet, aber es kommt weiterhin massenhaft zu Vergiftungen, insbesondere auf den Blumenplantagen. Man muss wissen, dass ungefähr 30 Prozent der Schnittblumen, die bei uns verkauft werden, von solchen Plantagen kommen. Auf der einen Seite werden Frauen als Förderinnen und Trägerinnen von Entwicklung insbesondere in der Nahrungsmittelproduktion angesehen, auf der anderen Seite aber werden Frauen weltweit durch unsichere Rechtsstellung und die Verweigerung von Eigentumsrechten, zum Beispiel bei Besitz von Grund und Boden für die Bewirtschaftung von Land, diskriminiert. Diese und andere Beispiele zeigen: Es ist noch ein weiter Weg bis zur Herstellung der politischen Rahmenbedingungen für die Überwindung des Grundwiderspruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dem von uns heute debattierten Bereich. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, mit den Leitlinien zum Recht auf Nahrung gibt es einen neuen Hebel auf nationaler und internationaler Ebene zur Durchsetzung der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Menschen. 38 Jahre nach dem damaligen Pakt zu diesen Rechten, der zu wenig Anwendung fand, gibt es jetzt vielleicht einen Erfolg versprechenden Neuanfang. Alle in den Anträgen gemachten Vorschläge werden in den Fachberatungen vieler Ausschüsse eine, wie ich hoffe, wichtige Rolle spielen. Dem Generalsekretär der FAO möchte ich von dieser Stelle aus sagen: Das deutsche Parlament - nicht nur diejenigen, die heute Morgen als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker hier sind, sondern alle -, ja Deutschland wird ein guter Partner derjenigen sein, die gemeinsam mit der FAO für die Verbesserung der Welternährungssituation eintreten. Ich bin sicher, dass wir, wenn wir zusammenstehen, Schritt für Schritt weiterkommen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte eigentlich mehr auf das Miteinander zu sprechen kommen, als über Agrardiesel reden. Über Agrardiesel reden wir dann, wenn das Thema Agrardiesel ansteht. Jetzt geht es um Welternährungsprobleme und deshalb reden wir auch darüber. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir uns heute in einem parlamentarischen Einstieg über diese Dinge austauschen. Die Kollegen, die hier schon geredet haben, haben ihre intensiven Kenntnisse und die Qualität, die sie bei diesem Thema zu bieten haben, zum Ausdruck gebracht. Ich habe großen Respekt vor dem, was die einzelnen Redner hier ausgeführt haben. Ich glaube, dass wir uns bei diesem Thema an keiner Stelle auseinander dividieren sollten, sondern ernst machen sollten mit unserem politischen Willen, das Recht auf Nahrung für die Menschen zu realisieren, die von den Welternährungsproblemen betroffen sind. Wir haben eine generelle Pflicht; ich glaube, die beiden Anträge bringen das zum Ausdruck. Ich muss ehrlich sagen: Nachdem ich den CDU/CSU-Antrag gelesen hatte, sah ich für meine Fraktion keinen Bedarf mehr für einen eigenen Antrag. Es ist ein exzellenter Antrag, der die Bereiche abdeckt, die hier zu diskutieren sind. Wir werden das im Ausschuss tun und dann die richtigen Schlüsse ziehen. Richtig ist: Für viele Menschen ist die Ernährungssituation höchst dramatisch. Aber wir dürfen nicht nur ein Schreckensszenario aufzeigen, sondern wir müssen auch die vielen Chancen erkennen. Dazu muss der eine oder andere - ich werde es auf jeden Fall tun - seinen Informationsstand verbessern. Als wir in Rom bei der FAO waren, war ich von der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und von der Aussagekraft der Materialien, die uns an die Hand gegeben wurden, sehr beeindruckt. So dramatisch die Situation auch ist, so gut ist die Perspektive, wenn man das macht, was notwendig ist. Wir haben große Chancen, dem Hunger in der Welt aktiv zu begegnen, wenn wir die richtigen Weichenstellungen vornehmen. Die Zuckermarktreform ist ein Baustein. Aber es geht um viel mehr. Es geht im Grunde genommen darum, in allen Bereichen das Miteinander zu stärken und das „Fördern und Fordern“ umzusetzen. Wir müssen auf der Grundlage der Erkenntnisse der FAO konkret handeln, damit die Hilfe wirksam wird. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig. Ich war sehr beeindruckt, als ich feststellte, dass aus diesem gesamten Komplex auch Chancen für Bereiche entstehen, die wir immer wieder kritisch hinterfragen. Die Weltbevölkerung und damit der Lebensmittelbedarf wachsen auch in den nächsten Jahren. Wir können aber große Schritte unternehmen, damit mehr Lebensmittel bereitgestellt werden. Wir müssen durch Anreize und wirtschaftliche Hilfe zunächst dafür sorgen, dass diejenigen, die kein Geld haben, in die Lage versetzt werden, sich etwas zu kaufen. Wir müssen die Eigenkräfte der Menschen stärken und den betreffenden Ländern den Marktzugang ermöglichen. Da heißt es demnächst: Butter bei die Fische. Das weiß jeder von uns, der sich mit dem Thema Zuckermarktreform beschäftigt. Wir müssen aber auch die Angebotsproblematik im Auge haben. Die Erträge müssen gesteigert werden. Wir müssen damit aufhören, die intensive Landwirtschaft zu diskriminieren. ({0}) Intensive Landwirtschaft, die Grüne Gentechnik, intensive Formen der sachgerechten Düngung, kluge Bewässerung und Einsatz von moderner Technik werden dazu beitragen, die Erträge zu steigern. Wir müssen die Erträge steigern, weil die Weltbevölkerung wächst. Die eine oder andere Fläche muss möglicherweise noch zusätzlich genutzt werden. Dabei müssen wir immer im Auge behalten, dass dies alles auf nachhaltige Weise geschieht. Dazu sind wir gerne bereit. Bitte nicht den Produktionsfortschritt diskreditieren, sondern durch ein kluges Miteinander in diesen Bereichen die Leistungsfähigkeit stärken, die Nachhaltigkeit im Auge haben und die Realisierung der Maßnahmen vor Ort! ({1}) Natürlich ist gutes Regierungshandeln dafür eine Grundvoraussetzung. Aber auch wir können etwas dafür tun, indem wir zum Beispiel die Grüne Gentechnik für diesen Bereich als Chance begreifen. Wir sollten sie in unserem hoch qualifizierten Land erproben und weiterentwickeln. Aus diesen Erkenntnissen heraus können Lösungen erarbeitet werden, die den Betroffenen vor Ort helfen. Wir sollten uns darin einig sein, dass nicht alles kaputtgemacht und zerstört werden darf. Wir müssen die Kräfte bündeln, um diesem Problem insgesamt zu begegnen. In diesem Sinne werden wir die Ausschussberatungen begleiten. Ich hoffe, dass wir da ein Stück weiterkommen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Generaldirektor Diouf! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede Gesellschaft, ob in den Industrienationen oder in den Entwicklungsländern, wäre ohne die Arbeit und den Einsatz ihrer Bäuerinnen und Bauern ein ganzes Stück ärmer. Es gibt wohl keine andere Berufsgruppe, die so stark vom Wetter, vom Markt und von der Politik abhängig ist. Deshalb brauchen alle Bauern auf der Welt faire Rahmenbedingungen statt idyllischer Scheinkulissen. ({0}) Was nutzen Bilder von strahlenden Ökobauern, wie sie bei der Ministerreise in China präsentiert wurden? Sie helfen nicht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Wenn ich weiß, dass die Ressourcen Ackerland und Wasser begrenzt vorhanden sind, wenn ich weiß, wie wichtig die eigene Wirtschaft und die Landwirtschaft für den Lebensstandard und die Lebensqualität im Land sind, brauche ich andere Lösungsansätze. ({1}) Hungerkrisen sind komplex. Aber Tatsache ist, dass die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt steigt. Ob Naturkatastrophen, Armut, weit verbreitete KrankMarlene Mortler heiten oder die angesprochenen menschengemachten Ursachen wie Krieg, Misswirtschaft und politische Fehlentscheidungen korrupter und diktatorischer Regime, sie sprechen eine deutliche Sprache. Traurige Beispiele der jüngsten Zeit sind Sudan, Haiti und Simbabwe. Eine Gegenüberstellung von Getreideernte und Getreidebedarf der von der Hungersnot 2002/2003 am stärksten betroffenen Staaten verdeutlicht dies: In Simbabwe wurden in diesem Jahr 2 Millionen Tonnen Getreide geerntet. Theoretisch benötigt die eigene Bevölkerung nur 500 000 Tonnen Getreide. Trotzdem hungerten dort die Menschen, weil das Getreide sie nie erreicht hat. Vor diesem Hintergrund können und müssen die im September verabschiedeten Leitlinien der FAO zur Hungerbekämpfung mit ihrer Forderung nach einem guten Regierungshandeln an Bedeutung gewinnen. Diese Selbstverpflichtungen, die mehr als 120 Länder unterschrieben haben, richten sich an die jeweiligen Regierungen und machen deutlich, wo als Erstes die Verantwortung bei der Hungerbekämpfung liegt. Nur in Ländern mit ausreichenden rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann die internationale Staatengemeinschaft bei der Sicherung der Ernährung wirklich und nachhaltig helfen. Dies geschieht sicherlich immer wieder kurzfristig durch Nahrungsmittelhilfe. Aber langfristig muss in den hungergefährdeten Ländern die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion im Vordergrund stehen. Leistungsfähige landwirtschaftliche Produktionssysteme, die die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllen, müssen weiterentwickelt werden. Hier gibt es verschiedene Mittel, die zum Ziel führen. Aber auch ich unterstütze die Aussage von Herrn Hemker, der deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, dass sich die Menschen vor Ort aus eigener Kraft helfen ({2}) oder dass wir beim Aufbau kleiner landwirtschaftlicher Einheiten unterstützend mitwirken. Vor allem aber sollten die Ergebnisse der modernen Agrarforschung genutzt werden, wie wir in unserem Antrag - Stichwort: Biotechnologie - fordern. Im Gegensatz dazu steht der Antrag der Regierungskoalition, über den - ich zitiere Bundesminister Schily: „Ein solcher Unfug rettet keinen einzigen Erdenbürger vor dem Hungertod“ - in Ihren Reihen wohl sehr unterschiedlich diskutiert wird. Ein zweiter Satz von ihm lautete: Ich verstehe manchmal wirklich nicht mehr, was wir hier eigentlich machen. - Das lasse ich einmal so im Raume stehen. Die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich wird auch der vorliegende Antrag nicht schließen. Ich stehe voll hinter Aussagen des Weltbauernverbandes, der sagt: Wenn man Hunger und Armut auf der Welt beseitigen will, muss man mit denjenigen reden und zusammenarbeiten und diejenigen stärken, die Nahrungsmittel produzieren. Ich füge hinzu: Das sind die Bauern und die bäuerlichen Organisationen und nicht, wie von Frau Künast praktiziert, die NGOs im Bereich Umwelt und Entwicklung. ({3}) Ich begrüße die Aussage von Frau Künast, die gestern und heute gesagt hat: Deutschland wird die treibende Kraft bei der Zuckermarktreform sein. ({4}) Wir sollten uns nach wie vor vor Augen halten, dass die Nutznießer einer ungezügelten Liberalisierung wenige Zucker produzierende Familien in Brasilien sind. Feudalistische Strukturen und großflächige Plantagenwirtschaften haben dazu geführt, dass Brasilien bereits der weltgrößte Zuckerexporteur ist. Niedrige Löhne, weitgehend rechtlose Landarbeiter und eine massive Belastung der Umwelt konnten dazu führen, dass Brasilien als Weltzuckerlieferant einen ungehemmten Verdrängungswettbewerb betreiben konnte. Ich begrüße ausdrücklich die weitere Aussage von Frau Ministerin, die gesagt hat: Wir müssen auch auf die Arbeitsplätze in unserem Land schauen. Auch das ist ja eine wichtige Forderung der Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten. Die zentrale Forderung in unserem Antrag lautet ja, dass die fortschreitende Liberalisierung der Weltagrarmärkte so gestaltet werden sollte, dass sie besonders den ärmsten Entwicklungsländern zugute kommt, dass andererseits unser europäisches Agrarmodell mit seinen hohen Standards in Bezug auf Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz nicht gefährdet wird. ({5}) Die Zukunft war früher auch besser, hat Karl Valentin einmal gesagt. Aus Sicht der Entwicklungsländer wäre eine Entwicklung, wenn sie in der von mir beschriebenen Richtung verlaufen würde, eine Katastrophe. Deshalb gibt es keine Alternative zu verantwortungsvollem Handeln. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 15/3956 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Vorlage auf Drucksache 15/3940 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen ({0}) - Drucksache 15/3594 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Mir liegen widersprüchliche Informationen dazu vor, ob die Reden zu Protokoll genommen werden sollen oder ob sie gehalten werden sollen. ({2}) Jeder, der sprechen will und als Redner gemeldet ist, kann natürlich sprechen. Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion das Wort.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über einen Gesetzentwurf des Bundesrates, den Entwurf eines so genannten Forderungssicherungsgesetzes. Ziel dieses Gesetzes soll es sein, berechtigte Forderungen von Handwerkern schneller und leichter zu sichern. So löblich ich persönlich dieses Anliegen des Bundesrates finde, so deutlich muss ich allerdings auch sagen, dass ich erhebliche Bedenken habe, ob mit diesem Gesetzesentwurf das damit verbundene Ziel tatsächlich erreicht wird. Es ist ja nun nicht das erste Mal, dass wir uns hier über diese Thematik unterhalten. Ich erinnere daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit das so genannte Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen beschlossen haben. Man muss ehrlicherweise eingestehen - das war auch das Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“, die daraufhin eingesetzt worden ist -, dass es eben nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Wir waren uns allerdings darin einig - wenn ich einmal von der Fertigstellungsbescheinigung absehe -, dass die Erwartungen ohnehin nicht so hoch waren. Es hat auch noch weitere Gesetzesentwürfe gegeben. Frau Voßhoff, ich erinnere an das von der Union vorgeschlagene Bauvertragsgesetz, das damals im Grunde genommen schon an seinem ersten Paragraphen scheiterte, in dem es hieß, dass dieses Gesetz nur für Gewerke an einem Bau gelten solle. Relativ schnell wurde allerdings deutlich, dass all diejenigen Handwerker nicht berücksichtigt wurden, die Gewerke für einen Bau liefern. Sie erinnern sich auch, dass der gesamte Einfamilienhausbau von den Regelungen ausgeschlossen werden sollte. Die Handwerker reagierten dementsprechend wütend, weil sie an dieses Gesetz ganz andere Erwartungen hatten. Damals hieß die prozessuale Wunderwaffe Vorabentscheidung; die Bauhandwerkersicherungshypothek sollte abgeschafft werden. Auch das Gesetz zur Sicherung von Bauforderungen sollte - bis auf die Vorschriften, die ins BGB übernommen werden sollten - aufgehoben werden. Sie werden sich sicher daran erinnern. Danach gab es ein weiteres Gesetz, das von SachsenAnhalt eingebracht wurde: das Vorleistungssicherungssicherungsgesetz, das dann relativ schnell aufgegeben wurde. Dort sollte das Instrument der Fertigstellungsbescheinigung, ein Ungetüm, noch weiter ausgebaut werden. Dann kam die erste Version des Forderungssicherungsgesetzes der Union. Wir haben damals gemeinsam eine Anhörung durchgeführt. Sie werden mir Recht geben, wenn ich sage, dass das ein Debakel für den Gesetzentwurf war. Daher ist dieser Gesetzentwurf nicht weiterverfolgt worden. Ich erinnere daran, dass damals die Idee des verlängerten Eigentumsvorbehalts an eingebauten Sachen diskutiert wurde. Es wurde relativ schnell deutlich, dass sie weder in die Systematik des Sachenrechts passte noch in irgendeiner Form praktikabel war. Auch in anderen Bereichen, unter anderem im prozessualen Teil, beim so genannten Voraburteil, zeigte sich relativ schnell, dass das Gesetz nicht die erhoffte Wirkung erzielen würde. Das zeigt deutlich - aus diesem Grund sage ich das, damit ist keine Häme verbunden, schließlich muss man selbstkritisch sein -, wie schwierig es auf gesetzgeberischer Ebene ist, das Problem der mangelnden Zahlungsmoral zu lösen. Wir reden immer davon, dass wir zu viele Gesetze haben. Ich meine, dass wir Gesetze nur dann verabschieden sollten, wenn wir der Auffassung sind, dass diese auch tatsächlich zielführend sind. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf habe ich Bedenken. Kernstück des Gesetzentwurfs ist § 302 a, die so genannte vorläufige Zahlungsanordnung. Er soll ermöglichen, dass aufgrund einer fundierten Prognose das Gericht schon vor Eintritt einer Entscheidungsreife einen Zahlungsanspruch titulieren kann. Angedacht ist das vor allem für die Fälle, bei denen zum Beispiel eine notwendige Beweisaufnahme noch aussteht und die Verfahren gegebenenfalls in die Länge gezogen werden. Die Idee klingt zunächst nicht schlecht. Aber was sollen das für Fälle sein, in denen einerseits noch keine Entscheidungsreife, wohl aber eine hohe Erfolgsaussicht vorliegen soll? Welcher Richter - ich bin jahrelang Richter gewesen wird eine hohe Erfolgsaussicht bei einer noch ausstehenden Beweisaufnahme bejahen? Gerade weil sich der Richter unsicher fühlt, wird auswärtiger Sachverstand durch einen Gutachter eingeholt. Kleine Feuchtigkeitsschäden können ihre Ursache in einer fehlerhaften Dachkonstruktion haben; ein welliges Parkett kann nicht nur durch eine falsche Verlegung, sondern auch durch ein nicht winterfestes Fundament verursacht sein. All das kann der Richter nicht sofort abschätzen und er kann die Schäden nicht sofort kalkulieren. Der Bundesrat meint nun, als Hilfestellung für die Beurteilung einer Erfolgsaussicht könne zum Beispiel ein qualifiziertes Privatgutachten dienen, wenn dieses Gutachten von einem renommierten Wissenschaftler stamme. Mal ganz ehrlich: Ich möchte den Richterkollegen sehen, der sich von einem Privatgutachten beeindrucken lässt und auf dessen Grundlage eine Entscheidung fällt. Wir wissen doch alle, wie wir solche Privatgutachten zu beDirk Manzewski werten haben: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Eine hohe Erfolgsaussicht soll auch dann bestehen, wenn zwar schon ein gerichtliches Gutachten vorliegt, aber - vielleicht gerade deshalb - noch die Einholung eines weiteren Gutachtens notwendig ist. Ich wundere mich übrigens, dass heute kein Vertreter des Bundesrates hier ist, um den Entwurf zu verteidigen. Welche Vorstellung hat man? Ein Richter, der noch ein weiteres Gutachten für notwendig erachtet, weil er das erste für nicht ausreichend hält, wird kaum eine fundierte Prognose über den bisherigen Sachstand treffen. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Instrument der vorläufigen Zahlungsanordnung wird nicht so erfolgreich sein, wie es der Bundesrat hofft. Es wird schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil sich die Richterschaft nicht vorschneller Fehlentscheidungen aussetzen wird. Im Gegenteil: Ich gehe eher davon aus, dass das Instrument die Verfahren vor Gericht noch verlängern wird; denn der Druck aus der Bauwirtschaft auf die Anwaltschaft, Herr Kollege Funke, wird enorm sein, zumindest einen solchen Antrag zu stellen. Die Rechtsanwälte werden dementsprechend gezwungen sein, zu reagieren. Das wird die Konsequenz beinhalten, dass sich der Richter außerhalb der Reihe noch einmal mit der Sache beschäftigen muss, um eine - wenn auch ablehnende - Entscheidung zu treffen. Gleiche Bedenken habe ich im Übrigen auch bezüglich des Teilurteils. Auch bei den beabsichtigten Veränderungen zur Abschlagszahlung habe ich erhebliche Bedenken, ob Bauen dann nur noch mit Baubetreuern bzw. Architekten möglich ist. Ich komme zum Schluss. Wir sollten darüber nachdenken, ob dieser Gesetzentwurf die tatsächlichen Ursachen des Problems bekämpft. Meiner Auffassung nach haben wir es mit etwas anderem zu tun. Ich habe unzählige solcher Verfahren als Richter erlebt und die Diskussionen zur Beschleunigung fälliger Zahlungen mit den Betroffenen geführt. Dabei wurde schnell deutlich, wo die Probleme, und zwar auch die, die man gegebenenfalls auf Landesebene durch den Einsatz von mehr Richtern und Verbesserungen bei der Gutachtenerstellung lösen könnte, liegen. Die Probleme haben damit zu tun, dass die Handwerker ihre rechtlichen Möglichkeiten oft nicht kennen. Dieses Problem werden wir gesetzgeberisch nicht lösen können. Die Probleme haben aber auch damit zu tun, dass sich mancher überreden lässt, die Forderung nicht geltend zu machen, weil zum Beispiel Folgeaufträge in Aussicht gestellt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zwei Sätze noch, Herr Präsident. - Auch das werden wir niemals gesetzgeberisch lösen. Deswegen habe ich erhebliche Bedenken. Für mich stellt sich auch die Frage - damit komme ich zum Schluss -, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieses gesamte Konfliktpotenzial, das sich im Grunde auf das Verhältnis zwischen Generalunternehmer und Subunternehmer reduziert, im Werkvertragsrecht zu regeln oder ob wir uns nicht grundsätzlich Gedanken darüber machen sollten, eine andere Lösung vielleicht in Form eines gesonderten Gesetzes zu finden. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich an dieser Diskussion beteiligen würden. Wir sollten uns ein wenig unabhängiger von Vorschlägen, die aus dem Bundesrat kommen, machen und uns zusammensetzen, um zu einer überfraktionellen gemeinsamen Lösung zu kommen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Voßhoff von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Insbesondere Ihre letzten Worte, Herr Manzewski, haben mich sehr erfreut. Ihre Anregung, dass wir uns unabhängig von diesem Gesetzentwurf mit der Frage beschäftigen sollten, ob wir vielleicht ein individuelles Bauvertragsrecht gebrauchen könnten, kann ich nur begrüßen. Dazu komme ich aber noch. Dass wir uns heute wieder einmal mit dem Thema „Sicherung von Werklohnforderungen“, bekannt auch unter der Überschrift „Bekämpfung mangelnder Zahlungswilligkeit insbesondere im Bauhandwerk“, in diesem Hohen Hause befassen müssen, war eigentlich zu erwarten. Mit der Gesetzesinitiative des Bundesrates für ein Forderungssicherungsgesetz steht also wieder einmal die Frage nach Änderungen des Werkvertragsrechts auf der Tagesordnung des Bundestages. Dies hätte nicht sein müssen, wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, in dieser Frage bereits im Jahre 1999 konsequenter gehandelt hätten. Alarmiert durch eine insbesondere Ende der 90er-Jahre stetig steigende Zahl an Handwerkerinsolvenzen speziell im Baubereich, deren Ursache nachweislich oftmals hohe Forderungsaußenstände waren, hat die CDU/CSU-Fraktion im Jahr 1999, also bereits vor fünf Jahren, mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Durchsetzung von Forderungen der Bauhandwerker und erneut im Jahr 2002 gesetzgeberischen Handlungsbedarf angemahnt. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben seinerzeit unter dem politischen Druck unseres damaligen Gesetzentwurfes, aber wohl auch auf Druck vieler Handwerksverbände, also mehr getrieben als überzeugt, das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen in den Bundestag eingebracht und mit Ihrer Mehrheit durchgesetzt. Dieses Gesetz ist bekanntermaßen seit dem Jahr 2000 in Kraft. Mit einigen, in der Wirkung leider nur minimalen Stellschrauben im Werkvertragsrecht glaubten Sie sich einer lästigen Pflicht entledigen zu können. Ergebnis ist: Sie haben etwas getan, ohne viel bewirkt zu haben. Herr Manzewski, Sie verwandten heute im Zusammenhang mit der Fertigstellungsbescheinigung zu Recht den Begriff „Ungetüm“. Das war es von Anfang an. Sie erinnern sich vielleicht auch noch an die damalige Anhörung, in der schon darauf hingewiesen wurde, dass sie so nicht praktikabel ist. Sie haben dieses Instrument mit vielen Vorschusslorbeeren versehen. Dieses Konstrukt sollte ein prozessualer Hebel sein, um dem Handwerker einen Zahlungsanspruch schneller zuzusprechen. Heute sind wir uns in diesem Hause offenbar einig, dass dieses Instrument wirkungslos geblieben ist. Man kann auch sagen: Es war ein Flop. Im damaligen Beratungs- und Anhörungsverfahren haben Sie sich auch hinsichtlich anderer Punkte als relativ beratungsresistent erwiesen, meine Damen und Herren von Rot-Grün, und viele Vorschläge abgelehnt, die sich im Übrigen heute im Bundesratsentwurf wiederfinden, weil Sie wohl erkannt haben, dass sie an vielen Stellen positiv und wirkungsvoll sein können. Sie sind in vielen Punkten deckungsgleich mit unseren Forderungen, die wir in die vorhin erwähnten Gesetze eingebracht haben. Wir hatten bereits in unserem Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes aus dem Jahr 2002 Korrektur-, Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge zu Ihrem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen gemacht. Sie haben sie damals nicht übernommen. Sicherlich enthielt auch unser Gesetzentwurf strittige Themenfelder. Sie haben einige erwähnt. Das ist immer so, wenn man juristisches Neuland betritt. Das ist außerordentlich schwierig. ({0}) Mit dem Instrument der vorläufigen Zahlungsanordnung soll jetzt eine Rechtsschutzlücke bei Prozessen, die durch eine umfangreiche Beweislage langwierig sind, geschlossen werden, wie es übrigens auch das Voraburteil wollte. In der Pressemitteilung der Justizministerin Zypries steht zur vorläufigen Zahlungsanordnung zudem etwas anderes, als Sie hier vorgetragen haben, Herr Manzewski. Die Bundesregierung ist offenbar jetzt endlich zu der Erkenntnis gelangt, dass gehandelt werden muss und dass das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen nicht das gebracht hat, was man sich davon versprochen hat. ({1}) Auch die vom Bundesrat jetzt geforderte erleichterte Ausgestaltung von Abschlagszahlungen sowie die Modernisierung des Gesetzes zur Sicherung von Bauforderungen und die weiteren Maßnahmen zur besseren Durchsetzung titulierter Forderungen begrüßen wir dem Grunde nach, haben wir sie doch - ich sagte es bereits in unserem Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes bereits gefordert. Insofern ist der Bundesratsentwurf ein guter Schleifstein, um das stumpfe Schwert Ihres Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen aus dem Jahr 2000 zu schärfen. Dass die Frage, inwieweit die mangelnde Zahlungswilligkeit scharfer rechtlicher Instrumente bedarf, unter Juristen nicht unumstritten ist, ist mir bewusst; Sie haben eingangs die Diskussionslage erwähnt, Herr Manzewski. Die Justizministerin hat - ich sagte es gerade - den Erkenntnisprozess vollzogen: Sie lobt seit einiger Zeit bei verschiedensten Veranstaltungen der Wirtschaft und auch in Pressemitteilungen die wesentlichen Inhalte dieses Gesetzentwurfes aus dem Bundesrat. In einer Rede vor dem Bund Deutscher Inkassounternehmen wies Frau Zypries vor wenigen Monaten darauf hin, dass derzeit nur zwei von drei Firmen des deutschen Mittelstandes ihr Geld fristgerecht erhalten. Frau Zypries weiter: Deswegen ist effektiver und professioneller Forderungseinzug nicht nur justizentlastend, sondern er trägt auch dazu bei, Unternehmen vor dem Konkurs zu retten. - „Wohl wahr, Frau Ministerin!“, würde ich sagen, wenn sie hier wäre. Zu spät kommt diese Erkenntnis. Auf diese Einsicht haben viele Handwerker seit Jahren gewartet, manche von ihnen vergebens. Ich denke, wir werden in den anstehenden Beratungen genügend Gelegenheit haben, über die sinnvollen Detailvorschläge des Entwurfs aus dem Bundesrat und ihre Wirkungsweise ausführlich zu diskutieren. Dabei sollten wir uns auch einmal mit der sprachlichen Ausgestaltung der vorliegenden Änderungsvorschläge auseinander setzen. ({2}) Der eine oder andere Mammut- oder Schachtelsatz, den man beim Studium des Entwurfes las, aber auch Formulierungen wie „verdiente Vergütung“ in § 648 a des Entwurfes bergen Interpretationsprobleme und schaffen gegebenenfalls neue Rechtsunsicherheiten. Ich sage dies auch im Lichte der Diskussion, die wir bei der Sitzung des Rechtsausschusses in Bonn aus Anlass des Deutschen Juristentages mit Herrn Professor Kirchhof geführt haben. Ich würde mich im Übrigen auch freuen - insofern nehme ich Ihre Schlussworte dankend auf, Herr Manzewski -, wenn wir uns einmal mit der Grundfrage auseinander setzen würden, ob das Werkvertragsrecht in seiner Grundstruktur den Besonderheiten des Baurechts ausreichend Rechnung trägt. Wir wissen, dass die Vertragsgestaltung im Bereich des Bauvertrages außerordentlich komplex ist; er gehört zu den so genannten komplexen Langzeitverträgen. Wir fragen uns immer wieder: Reichen die Instrumente des Werkvertragsrechtes für die spezifische Form des Bauvertrages aus? Die Besonderheit des Werkvertragsrechtes liegt - auch wenn es an einer Stelle durch die Änderungen durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen durchbrochen wurde - immer noch darin, dass es nicht nur eine große Typenvielfalt von Werkvertragsgestaltungen unter einem Dach vereint, sondern dass es wegen der großen Vorleistungspflicht ein hohes Risiko für den Werkunternehmer beinhaltet. Auch der unzweifelhafte Vorzug der Abstraktheit der Normen des Werkvertragsrechts hat wegen der auffälligen Besonderheiten des Baurechts ein mehr als beachtliches Ausmaß an Richterrecht in den vergangenen Jahren ausgelöst. Ferner stellt sich die Frage, ob die VOB, die ja eigentlich für die speziellen Belange der öffentlichen Hand gedacht war, nicht zunehmend die Funktion eines Ersatzrechtes übernommen hat. ({3}) - Das muss man nicht kritisieren; aber man kann es einmal thematisieren. In seiner rechtlichen Grundstruktur hebt das Werkvertragsrecht doch im Wesentlichen auf den einmaligen, punktuellen Leistungsaustausch ab. Der Bauvertrag aber gehört zu den komplexen Langzeitverträgen - ich sagte es - mit einer Vielzahl von Änderungen und zusätzlichen Leistungen: Kaum ein Bauwerk wird so ausgeführt, wie es ursprünglich geplant bzw. bestellt war. Sind wir deshalb nicht vielleicht aufgefordert, in den anstehenden Ausschussberatungen nicht nur die Details dieses Entwurfes zu beraten, sondern nochmals der Grundfrage nachzugehen, ob der Gesetzgeber das Bauvertragsrecht nicht innerhalb des BGB auf geeignetere gesetzliche Grundlagen stellen sollte? Ist Justitias Waagschale bei der - zwar durch die Übernahme der Abschlagszahlungsregelung aus der VOB durchbrochenen, aber im Kern immer noch bestehenden - Pflicht des Unternehmers zu hohen Vorleistungen noch im Gleichgewicht? Ich stelle diese Frage weniger im Hinblick auf das Verhältnis des privaten Häuslebauers zu seinem Bauunternehmer, eher mit Blick auf das Verhältnis eines Generalunternehmers zu seinem Subunternehmer. Ist es dem Vertrauen in den Rechtsstaat dienlich, wenn viele Handwerker den Eindruck haben, dass dieser Rechtsstaat ihnen das Recht verweigert und den Schuldnern gestattet, sich hinter Vorschriften zu verstecken? In der Rechtsgeschichte des Werkvertragsrechtes gehen Bestrebungen in dieser Frage bis in das Jahr 1909 zurück, wie durch das damals zwar unvollständige, aber heute noch geltende Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen deutlich wird. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bundesratsentwurf darauf hingewiesen, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe beabsichtigt, sich auch weiterhin mit der Überprüfung des Bauvertragsrechtes - auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten - befassen zu wollen. Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren Kollegen, dass wir in diesem Hause das Thema ebenso aufnehmen und es nicht allein der Länder-Bund-Arbeitsgruppe überlassen. Mir erscheint eine Befassung des Parlaments - konkret: des Rechtsausschusses - mit diesem Thema geboten und sinnvoll. Ich darf an dieser Stelle abschließend der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für ihre bisherige Arbeit in der Frage der Verbesserung der Sicherung von Bauforderungen danken. Mein Dank gilt insbesondere aber auch den Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die dieses Thema im Interesse unserer kleinen und mittelständischen Wirtschaft immer wieder auf die parlamentarische Tagesordnung gebracht haben. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die guten Vorschläge in diesem Gesetz umzusetzen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Manzewski hat bereits die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates, der uns erreicht hat, dargestellt. Wir haben es schon in der letzten Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf zu einem Forderungssicherungsgesetz zu tun gehabt. Dieser Gesetzentwurf ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Er war einseitig ausgerichtet und in ihm wurden die Verbraucherinteressen nicht berücksichtigt. Die Vorschläge waren einerseits unpraktikabel und andererseits rechtlich unhaltbar. Deswegen war es völlig richtig, dass dieser Gesetzentwurf nicht Gesetz geworden ist. Über das Instrument des vorgeschlagenen Eigentumsvorbehalts für eingebaute Sachen als ein Beispielfall der missglückten Vorschläge hat Herr Kollege Manzewski bereits berichtet. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir allesamt - ich nehme an, auch die Opposition - diesen Gesetzentwurf sehr kritisch überprüfen und nicht einfach nur loben, dass wieder ein Gesetzentwurf in dieser Sache vom Bundesrat kommt. Wir müssen genau schauen, welche Vorschriften das sind und was sie bringen können. Ich finde die Problembeschreibung in dem Gesetzentwurf zwar richtig, aber äußerst einseitig. Es werden zwar die Situation der Werkunternehmer, der Handwerker, der mittelständischen Unternehmen, die zunehmende Anzahl an Insolvenzen, die langen Streikdauern und Forderungsausfälle bekannt gemacht; auf die andere Vertragspartnerseite, nämlich die Besteller und Auftraggeber, sowie auf ihre Rechte wird in diesem Gesetzentwurf aber weder im Vorwort noch in der Begründung, noch in den Vorschriften irgendwie eingegangen. Deswegen denke ich, dass wir uns auch genau diesem Problem zuwenden müssen, weil ich nicht einsehe, dass der Verbraucher, der private Häuslebauer, wegen Pfusch am Bau und wegen einer schlechten Werkleistung immer mehr ins Nachsehen kommen soll. ({0}) Wir können die Verschiebung der grundlegenden Normen des Werkvertragsrechts, nach denen der Werkunternehmer in Vorleistung zu treten hat und die Bezahlung des Werkes erst dann erfolgt, wenn es mängelfrei abgeliefert worden ist, nicht fortwährend scheibchenweise verschieben, ohne zu bedenken, dass der Besteller damit in eine nachteilige Situation gerät. Für mich wäre die Nichterwähnung dieser Vertragspartnerseite in dem Gesetzentwurf kein so großes Problem gewesen, wenn mir nicht gleichzeitig die auch in dem Entwurf enthaltene Frage nach der angeblichen Zahlungsmoral - dieser Begriff wird aber auch anderweitig verwendet - aufgestoßen wäre. Ich glaube nicht, dass die Tatsache, dass es Insolvenzen und lange Streikdauern gibt, damit zu tun hat, dass die Moral bei den Vertragspartnern brüchig ist, und dass es lediglich darauf ankommt, die Moral der einen Seite zu heben, damit sie fällige und berechtigte Forderungen anerkennt und bezahlt. Die Vorschriften, die der Bundesrat als Vorschläge formuliert, sind nicht geeignet, die Moral der einen Vertragsseite zu heben. In dem Gesetzentwurf wird behauptet, dass gerade die unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen und die strukturellen Schwächen des Werkvertragsrechts zu diesen Problemen in der Praxis führen. Schauen wir uns diese Vorschläge einmal an. Ich muss Ihnen sagen, dass mir das bei lediglich einer Vorschrift unmittelbar einleuchtet: Es ist der neue § 641 Abs. 2 BGB, bei dem es um das Problem des Subunternehmers geht. Der Subunternehmer hat einen fälligen Anspruch in dem Moment, in dem der Besteller den Generalunternehmer bezahlt hat. Da er aber von der Bezahlung nichts weiß und nicht einmal einen Auskunftsanspruch hat, ist der Subunternehmer - das ist faktisch in vielen Fällen so - in einer benachteiligten Position. Insofern finde ich, dass diese Neuregelung durchaus diskussionswürdig ist. Aber bei den anderen Vorschlägen habe ich Zweifel, ob sie die Zahlungsmoral heben und den Werkunternehmern helfen werden. Zu der Frage der vorläufigen Zahlungsanordnung durch einen neuen Titel in der Zivilprozessordnung, eine Art vorweggenommene vorläufige Vollstreckbarkeit, aber mit Sicherheitsleistung und Abwendungsbefugnis, hat der Kollege Manzewski schon das Nötige gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland viele Richter geben wird, die eine hohe Erfolgsaussicht attestieren, bevor das Verfahren Entscheidungsreife erlangt hat. Dann aber ist ein Endurteil fällig. Im materiellen Recht kommt auf uns der Vorschlag zu - damit will ich meine Darstellung der Punkte schließen -, nicht mehr Abschlagszahlungen für in sich abgeschlossene Werkteile, sondern für jegliche Werkteile einzuführen, die der anderen Seite in nicht entziehbarer Weise zur Verfügung gestellt werden. Man kann das auch so verstehen, dass der Gastwirt in Zukunft die Suppe löffelweise abrechnen kann, weil er sie dem Gast, wenn dieser sie heruntergeschluckt hat, nicht mehr entziehen kann. Beim Hausbau wäre jeder Ziegel abrechenbar, sobald der Mörtel hart geworden ist. Ich glaube, dass solche Regelungen die Zahlungsmoral nicht heben werden und dadurch das Vertrauensverhältnis der Werkvertragspartner nicht gestärkt wird. Ich komme noch zu drei Punkten im Gesetzentwurf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Herr Kollege Montag, ich habe Ihnen schon sehr viel mehr Redezeit eingeräumt.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann will ich es dabei bewenden lassen. - Wir werden diesen Gesetzentwurf in den Beratungen des Rechtsausschusses ganz genau studieren, uns in einer Anhörung die Auffassung der beteiligten Kreise anhören und dann zu einer vernünftigen Lösung kommen. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rainer Funke von der FDPFraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viereinhalb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen müssen wir feststellen, dass die von der Bundesregierung damals mit dem Gesetz angestrebten Ziele nicht erreicht wurden. Uns liegt heute der Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes nun schon zum zweiten Mal vor, nachdem wir ihn in der letzten Legislaturperiode - wohlgemerkt aus gutem Grund, Frau Kollegin Voßhoff - gegen die Wand haben fahren lassen, indem wir uns mit diesem unfertigen Gesetzentwurf nicht befasst haben. Werkunternehmer - auch das muss man allerdings feststellen -, insbesondere die der Baubranche, leiden noch immer unter Forderungsausfällen. Die Bemühungen zur Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung von Forderungen und zur Stärkung der Zahlungsmoral können wir zwar vor allem im Hinblick auf die bisherigen unzureichenden Reformen der Bundesregierung begrüßen. Die angeschlagene und immer schlechter werdende wirtschaftliche Lage der Unternehmen, insbesondere in der Bauwirtschaft, muss aber gestützt und aufgefangen werden. ({0}) Im Handwerk führen - darauf hat die Bundesjustizministerin zu Recht hingewiesen - die Forderungsausfälle sogar dazu, dass zwei von drei Insolvenzen unter anderem auf die mangelnde Zahlungsmoral ihrer Kunden zurückzuführen sind. Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt aber nicht die Voraussetzungen, um diesen Tatbestand zu beseitigen. Herr Kollege Montag und Herr Kollege Manzewski haben eben schon ausführlich darauf hingewiesen, welche Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf vorliegen. Wir haben ebenfalls große Zweifel an diesem Gesetzentwurf, auch wenn die Bundesjustizministerin den Gesetzentwurf des Bundesrates lobt. Ich glaube, dass zunächst einmal die Bundesländer selber aufgerufen sind, den unhaltbaren Zuständen bei den Gerichten durch bessere Personalausstattung ({1}) und durch bessere Besoldung der Sachverständigen entgegenzutreten, um so zu schnelleren Verfahren zu kommen. Damit wäre auch der Bauwirtschaft geholfen. Den Bauhandwerkern ist das eine oder andere Recht, das sie heute schon haben, nicht hinreichend bekannt. Dazu bedarf es aber keines neuen Gesetzes, sondern dazu bedarf es der Aufklärung durch die jeweiligen Landesregierungen ({2}) und es bedarf der Aufklärung durch die Handwerkerschaft selbst oder durch die Bauindustrie. Wir haben genügend gesetzliche Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen. Also: mehr Eigenhilfe, anstatt immer gleich nach dem Gesetzgeber zu rufen! Wir werden uns dieses Gesetz des Bundesrates genau ansehen. Wir werden sehr kräftig nacharbeiten müssen, wenn wir dieses Gesetz überhaupt passieren lassen. Die Frage eines großen Werkvertragsrechts ist zwar eine sehr ambitionierte Angelegenheit, ich glaube aber, dass wir jetzt zwei Jahre Zeit haben, das noch ins Werk zu setzen. Wenn alle mitarbeiten, Herr Manzewski, Herr Montag und Frau Voßhoff, dann können wir es schaffen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich darf zunächst einmal auch meiner Enttäuschung darüber Ausdruck verleihen, dass kein Vertreter der hoch gelobten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt und wie sie alle heißen mögen heute hier ist. ({0}) Es genügt nicht - das sage ich für die Bundesregierung -, dass man ein solches Gesetz im Bundesrat einbringt, man muss es auch dort, wo es verabschiedet wird, vorstellen. Bestimmt weiß jeder von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von Handwerkern zu berichten, denen trotz gar nicht schlechter Auftragslage das Geld ausgeht, bei denen „Feuer unterm Dach“ ist. Immer wieder ist dabei die Klage über die schlechte Zahlungsmoral der Kunden zu hören. Ich verstehe das gut, muss aber an dieser Stelle auch in Ihre Richtung, verehrte Frau Kollegin Voßhoff, eines betonen: In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Schwierigkeiten handwerklicher Betriebe im Kern gerade nicht auf eine Unzulänglichkeit der zivilrechtlichen Vorschriften zurückzuführen sind. Eine wirkliche Verbesserung der Situation hängt davon ab, dass die Handwerker von den heute schon zur Verfügung stehenden Instrumentarien tatsächlich Gebrauch machen. ({1}) All das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiter an möglichen, wenn vielleicht auch nur kleinen Verbesserungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Der Bundesrat hat dafür den Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes beschlossen, der im Wesentlichen auf die Arbeitsergebnisse der beim Bundesministerium der Justiz eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ zurückgeht. Diese Arbeitsgruppe hat den ursprünglichen Gesetzentwurf der Länder Thüringen und Sachsen deutlich verbessert. So konnte beispielsweise der systemwidrige Eigentumsvorbehalt der Bauhandwerker an eingebauten Materialien verhindert werden. Das Forderungssicherungsgesetz in seiner jetzigen Form ist ein guter Ausgangspunkt für die parlamentarischen Beratungen. Ziel müssen Regelungen sein, die dazu beitragen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Handwerker zu verbessern, ohne dabei berechtigte Verbraucherinteressen zu vernachlässigen. Die geplanten Änderungen sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozessrechts zielen nach Auffassung der Bundesregierung in die richtige Richtung. Sie sollen vor allem handwerkliche Betriebe in die Lage versetzen, fällige Zahlungen gegenüber ihren Auftraggebern in deutlich kürzerer Zeit durchzusetzen. Die Bundesregierung befürwortet aus diesem Grund den Entwurf als einen guten Ansatz, steht aber auch Verbesserungsvorschlägen uneingeschränkt aufgeschlossen gegenüber. Ich will aus der Vielzahl der Vorschläge nur zwei Punkte herausgreifen. Erstens die vorläufige Zahlungsanordnung: Dabei handelt es sich um ein neues Rechtsinstitut in der ZPO, mit dem eine Lücke im Rechtsschutz geschlossen werden soll. So gibt es bestimmte Prozessarten, in denen das Gericht typischerweise Sachverständigengutachten zu einzelnen Fragen einholen muss. Ich denke hierbei nicht nur an Bauprozesse, sondern auch an Miet- und Schadenersatzklagen. Auch wenn nach der Durchführung eines Teils der Beweisaufnahme mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Klageforderung zumindest zum Teil berechtigt ist, muss der Kläger nach derzeitiger Rechtslage häufig noch lange auf sein Geld warten. Ich möchte das anhand eines Beispiels erläutern. Ein Kläger ist durch einen Verkehrsunfall, der von mehreren Beteiligten verursacht worden ist, schwer verletzt worden. Wenn das Gericht von der Haftung zumindest eines der Schädiger überzeugt ist, aber hinsichtlich der anderen Beteiligten noch Aufklärungsbedarf besteht, dann kann gegen diesen Schädiger in der Regel kein Teilurteil ergehen - es sei denn, er erkennt an -, weil die theoretische Möglichkeit besteht, dass sich Teil- und Schlussentscheidung widersprechen. Ich halte es für gerechtfertigt, in solchen Fällen dem Gericht die Möglichkeit zu bieten, dem Kläger die Klageforderung, die dafür eine hohe Aussicht auf Erfolg haben muss, zuzusprechen und eine vorläufige Zahlungsanordnung zur Abwendung besonderer Nachteile, die sich aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer ergeben, zu erlassen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Selbstverständlich, verehrte Frau Präsidentin. Ich komme gleich zum Ende. Gestatten Sie mir nur noch wenige Sätze. ({0}) - Hört doch zu! Ihr könnt dabei nur lernen. ({1}) Zweitens soll auch bei den so genannten Druckzuschlägen eine Stellschraube verändert werden. Wir halten zwar den Druckzuschlag für ein wichtiges Mittel für den Verbraucher, aber wir meinen, dass - auch im Interesse der Handwerker - künftig vermieden werden sollte, dass Auftraggeber mit dem Ziel, fällige Zahlungen hinauszuzögern, sozusagen ins Blaue hinein Mängel behaupten. Darin sollten Sie mir eigentlich zustimmen. Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich bedanke mich auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihren Großmut, mir zugehört zu haben. Die Vorlage ist ein guter Ansatz für die Beratungen. Ich bin sicher, dass wir mit der Hilfe der Fachleute, die alle Richter oder Rechtsanwälte waren bzw. sind und die vielleicht auch schon selbst gebaut haben oder zumindest Ahnung vom Bauen haben, zu einem guten und vernünftigen Gesetz kommen. Wir laden auch diejenigen zur Zusammenarbeit ein, die keine Rechtspolitiker sind, sich aber ständig kritisch äußern. Vielen Dank und ein schönes Wochenende! ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 15/3594 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 10 a und b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/3672 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({2}) - Drucksache 15/3919 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({4}) - Drucksache 15/3974 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen - Drucksachen 15/3450, 15/3974 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische Staatssekretärin Marion CaspersMerk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Krankenhäuser in Deutschland bricht eine neue Zeit an. Künftig werden die Leistungen nicht mehr nach den Liegezeiten der Patientinnen und Patienten abgerechnet. Die Vergütung richtet sich vielmehr nach Fallpauschalen, die eine leistungsorientierte Vergütung ermöglichen. Wir haben das neue Vergütungssystem als lernendes System geplant. Die ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit der Umstellung spiegeln sich zwar im Budget noch nicht wider, aber wir hatten von Anfang an vorgesehen - das ist zugunsten von Effizienzgewinnen im Krankenhausbereich notwendig -, dass die Umstellung des Systems in Etappen erfolgen muss. Die Umsetzung unseres Vorhabens steht jetzt an. Für die Krankenhäuser bedeutet das einen großen Umbruch. Sie braucht ihre Zeit und muss mit der nötigen Sorgfalt vollzogen werden. Gerade deshalb haben wir auf die vonseiten der Krankenhausträger vorgebrachten Bedenken reagiert und in dem Entwurf eines Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes vorgesehen, dass den Krankenhäusern mehr Zeit für die Umstellung auf Fallpauschalen bleibt. Wir wollen die Übergangsphase um ein Jahr verlängern. Ein Teil der Krankenhäuser hat die Zeichen der Zeit erkannt. Diese Krankenhäuser haben den Wandel bereits vollzogen und machen positive Erfahrungen mit dem neuen Vergütungssystem. Sie gehören zu den Gewinnern der Reform. Ich möchte ihre Anstrengungen ausdrücklich loben und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für die die Umstellung eine große Herausforderung ist, meine Anerkennung aussprechen. ({0}) Für einen anderen Teil der Krankenhäuser ist die Umsetzung mit Schwierigkeiten verbunden. Dazu gehören insbesondere solche Krankenhäuser, die Leistungen der Maximalversorgung anbieten, also zum Beispiel Leistungen der Intensivmedizin bei Verbrennungen oder der Onkologie, die mit besonders hohen Kosten verbunden sind. Diese Krankenhäuser fordern eine längere Übergangsphase. Mit unserem Gesetzentwurf haben wir auf ihre Sorgen reagiert. Und können das Gesetzgebungsverfahren heute abschließen. Wie verhält sich aber die größte Oppositionsfraktion? Sie verhält sich wie immer in den letzten Wochen in der Gesundheitspolitik. Es gibt eine tiefe Kluft sowohl innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch zwischen der Unionsfraktion im Bundestag und den unionsgeführten Ländern. Während Sie einen Antrag einbringen, der darauf abzielt, die ganze Umstellungsphase um ein Jahr zu verkürzen, fordern die unionsgeführten Länder eine Verlängerung dieser Phase. ({1}) Was gilt denn nun in Ihrer Gesundheitspolitik? Wir haben dagegen eine klare Richtung eingeschlagen und sind gesprächsbereit. Wir haben mit den SPD-geführten Ländern mögliche Einigungslinien vorbesprochen. Bei Ihnen geht es dagegen noch um die grundsätzliche Auseinandersetzung. Bis vor kurzem haben Sie Fallpauschalen vollständig abgelehnt. Ich bin sehr froh, dass sich der Kollege Dr. Faust auch öffentlich für die Fallpauschalen stark gemacht hat, wie man lesen konnte. Ich glaube, dass Sie in diesem Punkt einen ganz entscheidenden Lernfortschritt erzielt haben. Wir fordern von Ihnen auf der einen Seite Klarheit in den Positionen und auf der anderen Seite die Bereitschaft zur Einigung im Vermittlungsverfahren, das bereits angekündigt worden ist. Eines ist klar: Sollten wir uns nicht einigen, dann wäre das in der Tat eine schwere Last für die Krankenhäuser. Deswegen appelliere ich an dieser Stelle noch einmal an alle: Seien Sie konsensbereit! Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. ({2}) - Herr Kollege Zöller, da Sie im Moment mit dem Streit in Ihrer eigenen Fraktion so beschäftigt sind, sehe ich Ihnen diesen Zuruf nach. Bei uns halten Konsense relativ lange. Die jetzt gefundene Regelung betreffend den Zahnersatz, die wir gegen Sie durchsetzen mussten, haben wir beispielsweise schon immer vertreten. ({3}) Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Wir glauben, dass die vorhandenen Bedenken mit dem Gesetzentwurf ein Stück weit entkräftet werden. Wir wissen, dass eine Einigung mit den Ländern in den anstehenden Verhandlungen relativ nahe ist. Ich möchte aber auch sagen, wo ich noch Handlungsbedarf sehe. Wir müssen etwas zur Verbesserung der Situation der Kinderkrankenhäuser tun. Hier müssen wir ebenfalls über Einigungsmöglichkeiten reden, genauso wie bei den Kappungsgrenzen. Wir sind zwar gesprächsbereit. Aber wir werden das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, auf keinen Fall mittragen. Sie wollen die Universitätsklinika herausnehmen und im Prinzip alle anderen Krankenhäuser, die ebenfalls spezialisierte Leistungen anbieten, nicht berücksichtigen. Das würde zu neuer Ungerechtigkeit führen. Das will niemand. Interessanterweise halten selbst die unionsgeführten Länder diese Forderung nicht mehr aufrecht. ({4}) Sorgen Sie dafür, dass klar wird, wohin die Union in der Gesundheitspolitik will, und zwar nicht nur beim Thema Fallpauschalen, sondern auch beim Thema Kopfpauschale. Auch hier befinden Sie sich ja noch in der Diskussion. Immer wenn der Begriff „Pauschale“ fällt, gibt es Wirrwarr in Ihren Reihen. Sorgen Sie für Klarheit! Wir sind einigungsbereit. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hans Georg Faust. ({0})

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Früher bekam ein Krankenhaus für jeden Tag, den ein Patient im Bett lag, das gleiche Geld. Da konnte es schon einmal passieren, dass jemand erst am Montag statt schon am Freitag entlassen wurde, weil das dem Krankenhaus natürlich zusätzliche Einnahmen gebracht hat. Aus meiner Zeit als Assistenzarzt kann ich mich daran noch gut erinnern. Das war für die Krankenhäuser gut, aber für das finanzielle Fundament des Gesundheitswesens schlecht. Wer so etwas nicht wollte, musste sich ein neues Finanzierungsinstrument überlegen. Das Instrument waren damals die Fallpauschalen. Fallpauschalen sind richtig. ({0}) Weil das so ist, haben die CDU/CSU und die FDP 1992 die Fallpauschalen eingeführt. ({1}) Sie haben die Fallpauschalen allerdings mit anderen Vergütungsformen kombiniert. ({2}) Fallpauschalen sind für mehr Konstellationen richtig, als wir 1992 dachten. Deswegen sprechen wir uns für eine sinnvolle Weiterentwicklung des Fallpauschalensystems aus. ({3}) Fallpauschalen sind aber auch heute nicht für alles richtig. ({4}) Weil das so ist und Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, das erst in einem schmerzlichen Erkenntnisprozess lernen wollen, sitzen wir heute schon wieder zusammen und diskutieren nun über ein Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz. Das Ganze hat drei entscheidende Webfehler: Der erste ist ganz grundsätzlicher Natur. Sie haben uns, den Krankenhäusern, den Patienten, den Ärzten und auch wohl sich selbst nicht klar gemacht, zu welchem Zweck, mit welchem Ziel Sie das umfassende Fallpauschalensystem einführen wollen. Bauen Sie ein Klassifikationssystem für Patienten in ein Preissystem um, ({5}) damit ein Markt, ein Pseudomarkt, ein Wettbewerb, ein Verdrängungsdruck unter den Krankenhäusern entsteht? Ist das der Grund? Soll damit die Verweildauer im Krankenhaus verkürzt werden? Sollen Betten abgebaut werden? Sollen Krankenhäuser geschlossen werden? Sollen Konkurrenz, Kooperation, Konzentration oder Konkurs beschleunigt werden? Soll die Transparenz bei den Leistungen zur Erhöhung der Planungssicherheit für die Länder verbessert werden? Oder stehen am Ende, wann auch immer, feste, harte Preise, auf die sich ein Krankenhaus einstellen muss? Was sind das dann für Preise: Festpreise, Höchstpreise, Richtpreise? Alle diese Fragen sind nicht beantwortet. Damit gibt es keine Planungssicherheit und wir basteln am Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz. ({6}) - Ich würde gern weiterreden, meine Herren. - Mark Twain hat die Situation einmal treffend wie folgt beschrieben: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen. ({7}) - Aber nicht vor dem Abgrund. Der zweite Webfehler ist die Zeitschiene. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind an der Regierung. Sie haben sich damals - ebenfalls gegen unsere Vorstellungen - für die Einführung eines umfassenden Fallpauschalensystems in einer Dreistufenlösung mit einem Konvergenzende, das heißt für eine Angleichung für alle in einem Bundesland, im Jahr 2007 entschieden. Darauf haben sich die Krankenhäuser eingerichtet. Die schnellen und innovativen haben sich darauf gut eingerichtet. Die anderen haben abgewartet, blockiert, keine Daten geliefert. Das war vorherzusehen, wurde aber trotzdem forsch angegangen. Ich erinnere mich noch an viele Gespräche, in denen von Ihrer Seite gesagt wurde, es müsse Druck erzeugt werden, und zwar Druck auf Veränderungen, welche auch immer das sein mögen: Effizienzsteigerung, Ressourceneinsparung usw. Ein verschwommenes Bild ist da im Fadenkreuz. Ohne ein Ziel kann man aber nicht arbeiten. ({8}) Das merken Sie jetzt. Die deutschen Krankenhäuser merken es auch schmerzvoll. Die Kommunen und die Länder sowie die Verbände und alle anderen, die Interessen haben, melden in dieser unübersichtlichen Gemengelage ihre Forderungen an. „Verlängerung der Konvergenzphase“ und „Veränderung des Einstiegswinkels“ sind die Schlagworte. Zum dritten Webfehler. Dabei geht es um das Instrumentarium. Statt unserem Vorschlag zu folgen und das Fallpauschalensystem da, wo es sinnvoll ist, zügig einzuführen und den Rest außen vor zu lassen, versuchen Sie, mit einer Verlängerung der Einführungsphase und einem schonenderen Einstieg die Probleme zu kaschieren und zu entschärfen. ({9}) Ich kenne die Vorschläge, die unterbreitet werden. Dabei wird der Fortschritt zur Schnecke. Sie tun das in der Hoffnung, dass Sie so viel Zeit gewinnen, dass verbesserte Kalkulation den Aufprall auf die Wirklichkeit für die Krankenhäuser überlebbar macht. Damit verprellen Sie all die Krankenhäuser, die sich seinerzeit auf Ihre politischen Aussagen verlassen haben, die sich schnell umgestellt haben und die im Wettbewerb leistungsfähig sind. Mit anderen Worten: Da die Politik nicht für die nötige Planungssicherheit sorgt, werden sie jetzt wieder enttäuscht. ({10}) - Sie kennen doch unseren Antrag. Ich kann daraus noch einmal zitieren. Was Sie vorhaben, ist mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu machen. Ein dauerndes Nachbessern führt nur dazu, dass wir die Lösung der Probleme auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Ich sehe schon das Dritte und Vierte Fallpauschalenänderungsgesetz kommen. Das gilt aber nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen, die an ihre besonderen Interessenlagen denken: Landkreise und Städte, die privaten Träger, die Universitätskliniken, die kirchlichen Einrichtungen und die Länder. Alle haben unterschiedliche Interessen; alle bewerten die von Ihnen ins Spiel gebrachten Werkzeuge unterschiedlich; alle basteln die Komponenten inzwischen unterschiedlich zusammen und führen, wenn sie können, sogar neue Instrumente ein, die den auch von Ihnen - das konzediere ich Ihnen gerne - geforderten Fortschritt so lähmen, dass am Ende herzlich wenig passiert. Das werden wir alle gemeinsam erleben. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus möchte ich ausdrücklich in Schutz nehmen. ({11}) Bei den Kalkulationen für den neuen Fallpauschalenkatalog 2005 hat es Bemerkenswertes geleistet. Es hat das System mit ebendiesen Kalkulationen und den auch von uns begrüßten Ausgliederungen und Anpassungen entscheidend optimiert. Auch in den nächsten Jahren sind solche Veränderungen in der Tat zu erwarten. Sosehr sich dieses Institut auch anstrengt: Der Entwicklungsweg ist von den Rahmenbedingungen vorgezeichnet, unter denen das Institut arbeiten muss. Dieser Rahmen ist durch die bisherigen rot-grünen Gesetzesvorgaben und die Folgen aus dem Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz - wenn dieser Gesetzentwurf denn so verabschiedet wird - einfach schief. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden diesem Gesetz nicht zustimmen. Wir betonen noch einmal, dass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess unter Zuhilfenahme der verbesserten Kalkulationen und der Ausgliederung der nicht sachgerecht abgebildeten Leistungen mit anderen Vergütungen der bessere Weg wäre. ({12}) Der vorliegende Gesetzentwurf hat weitere schwerwiegende Mängel: Mehrmengen von Leistungen mit hohem Sachkostenanteil können nur sehr schwer - ich sage nicht: gar nicht - adäquat vergütet werden. Dies gilt zum Beispiel für implantierbare Defibrillatoren zur Abwendung des plötzlichen tödlichen Kammerflimmerns im Herzen, eine Maßnahme, die - das kann man auf jedem Kardiologenkongress erfahren - nach medizinischer Erkenntnis immer häufiger indiziert wird. Auf diesem Gebiet sind deutliche Veränderungen notwendig. Überhaupt ist die Möglichkeit, medizinische Innovationen in den Krankenhäusern einzuführen, durch bürokratische Hemmnisse so erschwert, dass Verzögerungen von drei bis vier Jahren einkalkuliert werden müssen. Meine Erfahrung als Anästhesist im Krankenhaus ist, dass diese Innovation bei dem heutigen medizintechnologischen Fortschritt nach drei bis vier Jahren überholt ist, weil schon die nächste Generation von Produkten auf dem internationalen Markt ist. Dennoch: Nicht alles an diesem Gesetzentwurf ist schlecht. Die Abkehr von Pauschalregelungen im Bereich der Ausbildung begrüßen wir. Wir glauben, dass den Erfordernissen mit der vorgesehenen Vereinbarung der Vertragsparteien über ein krankenhausindividuelles Ausbildungsbudget besser Rechnung getragen wird. Auch die Regelung zu den finanziellen Vergütungen von Kalkulationskosten und zur vertraglichen Vergütungsvereinbarung für Hebammen halten wir für richtig. Über allem steht aber der aus unserer Sicht vollkommen verkehrte Umgang mit dem Fallpauschalensystem bei ungeklärter Zielsetzung. Hier hat die rot-grüne Regierung Probleme unterschätzt, die Anpassungsfähigkeit des Systems überschätzt, die Zeitabläufe nicht richtig kalkuliert und den Zielpunkt nicht sauber markiert. Es geht um die Verteilung von viel Geld im Krankenhausbereich. Damit sind alle Interessierten auf den Plan gerufen. Das Ende des Gesetzgebungsverfahrens wird in seinen Wirkungen zunehmend schwer abschätzbar. Ein Weg über vier Jahre bis 2008 ist mühsam zu beschreiten. Wie es danach weitergeht, ist heute unklar. Gut, dass es spätestens 2006 eine Bundestagswahl gibt. ({13}) - Das werden wir noch sehen, Herr Schmidt. - Ich würde mich freuen, wenn ich danach noch aktiv Gesundheitspolitik machen kann. Für heute stellt sich die aktuelle Situation des Krankenhauses im Harz, in dem ich noch hin und wieder arbeiten darf, so dar, wie Heinrich Heine seine eigene nach einer Brockenbesteigung beschrieben hat: Müde Beine, spitze Steine saure Weine, Aussicht keine. Heinrich Heine ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es passiert immer freitagmittags, dass Gedichte kommen. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Selg.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ihrer Rede hat sich ja vieles super gereimt, aber ihre Logik hat sich mir nicht ganz erschlossen. An diesem Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz haben ja bisher eigentlich alle Beteiligten ziemlich konstruktiv und, wie ich denke, sachorientiert gearbeitet. Beim Prozess der Umstellung auf die DRGs war das weitgehend genauso der Fall. Ich denke, auch das sollte man einmal positiv anmerken. Wir gehen davon aus, lieber Herr Faust, dass die sachorientierte Diskussionskultur auch bei den Verhandlungen mit den Ländern in den nächsten Wochen vorherrscht. Ich sehe diesen ziemlich positiv entgegen und hoffe, Sie von der Opposition werden sich so einbringen, dass wir zügig zu einem Konsens kommen; denn nichts brauchen die Krankenhäuser derzeit mehr als Planungssicherheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei einem so wichtigen Thema Kontroversen gibt. In der Anhörung haben sich zwei Punkte herauskristallisiert, bei denen Schwierigkeiten bestehen: So geht es bei der Ausgestaltung der Konvergenzphase um die Frage, ob das System schon reif genug ist, einen so schnellen Umstieg zu bewältigen. Wir haben allerdings immer gesagt, dass wir das Fallpauschalensystem als ein lernendes System ansehen. Ein hundertprozentiges Funktionieren wird es mit Sicherheit nie geben. Man darf aber nicht immer nur darauf abheben, was alles nicht geht, sondern muss wirklich auch einmal sagen, was geht. Da haben sich, wie ich glaube, in den letzten Wochen Entwicklungen ergeben, die zeigen, dass man auf einem guten Weg ist. Der im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Vorschlag, die Konvergenzphase von drei auf vier Jahre zu verlängern und die Konvergenzschritte entsprechend anzupassen, ist deshalb sehr vernünftig. Unser Eindruck ist, dass man den Anpassungsdruck der Häuser dadurch erheblich mindert. Ich glaube auch, dass dadurch weder der Einstieg ins System infrage gestellt wird noch dass sich die vollständige Umstellung zu sehr verzögert. Jetzt haben der Bundesrat - daran waren viele unionsgeführte Länder beteiligt - und die Deutsche Krankenhausgesellschaft deutlich gemacht, dass sie eine Verlängerung der Konvergenzphase auf fünf Jahre sowie die Einführung einer Kappungsgrenze für notwendig halten. Es gibt diesbezüglich also anscheinend noch Diskussionsbedarf innerhalb von CDU/CSU. Sie von der Union fordern - darauf sind Sie nicht eingegangen, Herr Faust in Ihrem heute ebenfalls vorliegenden Antrag, die Konvergenzphase bei drei Jahren zu belassen. Jetzt frage ich mich schon, an wem dieser dritte Webfehler, von dem Sie gesprochen haben, liegt. An uns liegt es mit Sicherheit nicht. Einigen Sie sich also erst einmal mit Ihren Parteifreunden in den Ländern, die angeblich ganz anderer Meinung sind als Sie. ({0}) - Das mag wohl sein. Ein weiterer Punkt, den wir ebenfalls für wichtig halten, ist die Finanzierung der Krankenpflegeausbildung in Zukunft. Fest steht, dass wir ab 2005 endlich eine wettbewerbsneutrale Ausbildungsfinanzierung haben werden. Hierzu gibt es aber zwei unterschiedliche Positionen: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft gibt dem Ansatz des vorliegenden Gesetzentwurfs, also der individuellen Aushandlung eines Ausbildungsbudgets vor Ort, den Vorzug. Ihrer Ansicht nach gibt es noch keine verlässliche Datengrundlage für die Aufstellung einheitlicher Pauschalen. Dagegen sprechen sich natürlich die gesetzlichen Krankenkassen und der Deutsche Pflegerat aus. Ich denke, auch deren Einwände sollte man ernst nehmen. Sie fordern nämlich, das geltende Recht beizubehalten und einen gemeinsamen Ausbildungsfonds zu bilden. Aus diesem Fonds würde die Ausbildung nach einheitlichen Pauschalen finanziert werden. Ich persönlich halte die Fondslösung prinzipiell und konzeptionell für eine gute Variante, die wir in unserem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zumindest mittelfristig nicht ausschließen. Die Pflegeausbildung sollte nämlich Sache aller Träger sein, weil alle von ihr profitieren. Es kann nicht im Interesse einer qualitativ hochwertigen Pflegeausbildung sein, dass sie weiterhin am Finanzierungstropf der Krankenkassen hängt. Egal wie man sich entscheidet, beide Seiten haben gute Argumente. Priorität sollte bei dem noch zu findenden Umsetzungsmodell dem Ziel eingeräumt werden, den bereits zu beobachtenden Rückgang von Ausbildungsplätzen zumindest zu stoppen. Da sind sich alle Beteiligten einig. Es wäre reichlich absurd, wenn einerseits Ausbildungsplätze verloren gingen, während andererseits der „Süssmuth-Rat“ in seinem jüngsten Bericht vorschlägt, im Pflegebereich Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Insgesamt bleibe ich dabei: Bei den Problemen, die es bei diesem Gesetz noch zu lösen gibt, sind sich alle Akteure grundsätzlich einig, dass mit der Umstellung auf das DRG-System ein guter Weg zu mehr Effizienz, Effektivität, Transparenz und vor allem mehr Patientenorientierung beschritten wurde. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir zu einer guten Lösung kommen werden. Auch wir haben 2006 natürlich im Blick. Aber wir verlieren nie das Ziel aus den Augen. ({1}) - Wir werden das Ziel auch erreichen. - Sie sind jetzt aufgefordert, zügig zu einem Kompromiss zu kommen, denn nichts ist schlimmer als Unsicherheit, wie Sie sie zurzeit unter die Bevölkerung streuen. Wir brauchen im Sinne der Krankenhäuser Planungssicherheit. Darum fordere ich Sie auf: Setzen Sie sich zügig an den Tisch und kommen Sie zu einer Einigung! Dann sind wir auf einem guten Weg. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber sicher! - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat die Einführung diagnoseorientierter Fallpauschalen im Grundsatz immer begrüßt. Allerdings war uns auch immer klar, dass man ein solches System sorgfältig implementieren muss. Deswegen wäre uns eine schrittweise Weiterentwicklung der Fallpauschalen lieber gewesen als die Komplettumstellung, die die Bundesregierung jetzt vorgenommen hat. Aber die Entscheidung ist getroffen und es ist müßig, darüber zu reden. Jetzt kommt es darauf an, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Krankenhäuser, die für die medizinische Versorgung notwendig sind, erhalten bleiben, und die Anreize so zu setzen, dass die Behandlungseffizienz gesteigert wird. Zweitens. Die Anhörung hat ergeben, dass noch lange nicht alle DRGs das Kosten-Leistungs-Geschehen korrekt abbilden können. Das ist zum einen auf die mangelnde Datenlage zurückzuführen. Es besteht die Hoffnung, dass dieses Problem jetzt durch die vorgesehene Refinanzierung gelöst werden kann. Zum Teil ist es aber auch darauf zurückzuführen, dass - das hat der Kollege Faust schon angesprochen - sich bestimmte Leistungen gar nicht oder nur sehr schwer in einer Pauschale abbilden lassen. Das trifft zum Beispiel auf die Rheumatologie, die Palliativmedizin, die Onkologie, die Behandlung seltener Krankheiten und Spezialleistungen der Hochschulmedizin zu. Problematisch wird es immer dann, wenn die Behandlung eine hohe Variabilität aufweist. Dem muss durch spezifische Regelungen Rechnung getragen werden. Das kann ein Fallpauschalensystem, Herr Vorsitzender, nur um den Preis einer hohen Unübersichtlichkeit leisten. Drittens. Der Gesetzentwurf sieht eine Verlängerung der Konvergenzphase vor. Allerdings halten wir diese Verlängerung vor dem Hintergrund der noch bestehenden Unsicherheiten für nicht ausreichend. Auch im Hinblick darauf, dass die Krankenhäuser zurzeit nicht nur mit der Umsetzung der Fallpauschalen zu kämpfen haben, sondern sich auch mit einer Vielzahl von anderen Regelungen herumschlagen müssen - ich nenne hier als Beispiele nur die integrierte Versorgung und die Disease-Management-Programme -, reicht dieses eine Jahr in unseren Augen nicht aus. ({0}) Vierter Punkt. Wir brauchen eine Kappungsgrenze, die dafür sorgt, dass sich die Verluste von Krankenhäusern bei der Umstellung unterhalb einer klar definierten Obergrenze halten. ({1}) Ich denke, niemandem ist damit gedient, Herr Kollege Dreßen, wenn die Krankenhäuser, die für die Versorgung der Bevölkerung benötigt werden, aufgeben müssen, weil sie in der Kürze der Zeit den notwendigen Anpassungsprozess nicht vollziehen können. Dass wir uns hier nicht missverstehen, Herr Kollege Dreßen: An dem Anpassungsprozess selbst führt kein Weg vorbei. Es gibt unzweifelhaft Unwirtschaftlichkeiten bei Krankenhäusern. Aber die betroffenen Krankenhäuser müssen die Chance haben, den notwendigen Anpassungsprozess zu vollziehen. ({2}) Fünfter Punkt. Es fehlt - das ist ganz entscheidend nach wie vor eine Aussage seitens der Bundesregierung und der Koalition darüber, wie es nach der Beendigung der Konvergenzphase weitergehen soll. Das aber ist für die Planung der Krankenhäuser von ganz entscheidender Bedeutung. Fallen dann die Budgets tatsächlich weg? Wie soll denn so ein wettbewerbliches Preissystem, das Sie wollen, im Einzelnen aussehen? Professor Neubauer beispielsweise hat in der Anhörung darauf hingewiesen, dass es gerade keinen Sinn macht, einheitliche Preise vorzusehen und dann von Wettbewerb zu reden. Hierzu müsste es eine Aussage im Gesetz geben. Das ist bisher nicht der Fall. ({3}) Die FDP lehnt den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung ab. Wir hoffen aber, dass unseren hier angesprochenen Bedenken im Vermittlungsausschuss, dem wir mit viel Zuversicht entgegensehen, Rechnung getragen wird. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Horst Schmidbauer das Wort. ({0})

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Krankenhäuser Planungssicherheit brauchen, erleben wir heute eine gespaltene Opposition, wie es „schöner“ nicht mehr geht. Die CDU/CSU ist sich nicht einig. Vor einem halben Jahr hat man in Bayern gehört, dass es keine Verlängerung der Konvergenzphase geben soll. Jetzt hört man, dass es eine Verlängerung um zwei Jahre geben soll. Wie sollen so, bitte schön, die Krankenhäuser Planungssicherheit bekommen? Aus dem, was die FDP heute sagt, kann man erkennen, dass sie Angst hat, dass marktwirtschaftliche Prinzipien endlich für den Krankenhausbereich eingeführt werden. ({0}) Sie gehen der Marktwirtschaft aus dem Weg, wenn Sie weiterhin auf Budgets basierte Lösungen herbeiführen wollen. ({1}) Das macht Angst für die Zukunft. Es ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen, nämlich verlässliche Daten Horst Schmidbauer ({2}) hinsichtlich der Zeiträume für Krankenhäuser, damit sie diese schwierige Umstellung schaffen. ({3}) Wir liegen mit unserem Vorschlag exakt in der Mitte. Den Langsamläufern unter den Krankenhäusern kommen wir entgegen, indem wir die Konvergenzphase um ein Jahr verlängern. Aber dann muss es wirklich funktionieren. Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Zeit der Bedenkenträger und der Kleingeister, die so empfindlich auf diese Umstellung reagiert haben, vorbei ist. Ich war heute aber sehr erstaunt, als ich an den Ausführungen von Herrn Dr. Faust erkennen konnte, dass diese Zeit noch nicht überwunden ist. Im Gegenteil: Man versucht jetzt, eine neue Legende zu stricken. Wir wehren uns mit allem Nachdruck dagegen. Denn es steht nirgendwo im Gesetz und es ist durch keinerlei Äußerung belegbar, dass wir von einer hundertprozentigen Fallpauschalenregelung gesprochen oder sie beabsichtigt haben. ({4}) Ich sage Ihnen: Unterlassen Sie in Zukunft solche Unterstellungen! Wir sind nie in Richtung einer hundertprozentigen Fallpauschalenregelung gegangen. ({5}) Wir haben vielmehr gesagt: Was durch Fallpauschalen abzubilden ist, wird mit Fallpauschalen kalkuliert, und zwar nach deutscher Krankenhauskultur. Die deutsche Krankenhauskultur wird sich in einem deutschen Fallpauschalensystem wiederfinden und nichts anderes. ({6}) Wir müssen akzeptieren, dass es sich um ein lernendes System handelt. Das heißt, wir stülpen den Krankenhäusern nichts über. Wir nehmen vielmehr auf, was bei den Krankenhäusern läuft. ({7}) Es gibt bei uns kein Dogma. Da wir für ein lernendes System sind, ist unser Ziel, dass bei der Abbildung von Krankheitsverläufen und bei der Erstattung der Behandlungskosten ausdifferenziert und nicht ausgegliedert wird. Der entscheidende Punkt ist also, dass wir für eine Ausdifferenzierung sind. Wo es keine exakte Abbildung gibt und wo ein falscher Preis herauskommen könnte, muss es eine Ausdifferenzierung geben. Aber man darf nicht einfach sagen, dass man diesen Teil besser ausgliedern sollte. Das würde dem Aspekt, den ich gerade genannt habe, nicht Rechnung tragen. ({8}) Herrn Dr. Faust kann ich nur empfehlen, dass er einmal in den Katalog 2005 hineinschaut. Dieses ganze Gerede, das wir heute gehört haben, würde dann verstummen, weil der Katalog 2005 genau aufzeigt, dass wir auf Ausdifferenzierung setzen. Die Selbstverwaltung - sprich: alle Krankenhäuser und alle Krankenkassen haben diesen Katalog einstimmig gebilligt. Was ist dort enthalten? Es ist eine Vergütung für Langlieger vorgesehen. Es ist richtig, dass die Krankenhäuser, die schwerere Fälle und ältere Menschen behandeln müssen, ihre Leistungen entsprechend vergütet bekommen. ({9}) 75 Zusatzentgelte werden eingeführt. Wenn in einem besonderen Fall hohe Arzneimittelkosten anfallen, dann werden sie separat vergütet, sodass das Krankenhaus nicht benachteiligt wird. Weil Sie nicht wissen, was Ausdifferenzierung bedeutet, sage ich Ihnen: Wir haben in der Onkologie 40 neue Fallpauschalen eingeführt, um möglichst stark differenziert nach dem Grad der Behandlung eine Abbildung zu ermöglichen. ({10}) Bei den Kindern haben wir drei neue Alterssplits eingeführt, um auch hier differenzieren zu können und um gerade im Bereich der Kinderkliniken eine korrekte Abbildung der Leistung zu ermöglichen. Wir dürfen allerdings nicht verschweigen, dass alle Vorschläge, die zurzeit im Lande kursieren - wir haben heute gehört: weitere Verlängerung der Konvergenzphase, Einführung von so genannten Kappungsgrenzen -, dazu führen würden, dass die Guten bestraft und die Langsamen belohnt würden. Ich glaube, das kann nicht in unserem Sinn sein. Man muss sehr Acht geben, dass keine Ausweitung stattfindet. Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: die Ausbildungskosten in der Krankenpflege. Ich bin stolz darauf, dass wir im Januar nächsten Jahres mit einem Umlageverfahren in der Krankenpflege anfangen; denn es geht nicht an, dass sich manche Krankenhäuser aus ihrer Verpflichtung davonstehlen und dass diejenigen Krankenhäuser, die ausbilden, zahlen müssen. Da muss Ordnung hinein. Diejenigen Krankenhäuser, die ausbilden, müssen unterstützt werden. ({11}) Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Krankenhäuser umgekehrt Transparenz herstellen. Ich habe mich in den letzten Tagen bemüht, von den Krankenkassen zu erfahren, was sie zurzeit für die Ausbildung in der Krankenpflege aufwenden. Ich konnte keine präzise Zahl erfahren, weil sich die Ausbildungskosten nach wie vor in einer Art Dunkelkammer befinden bzw. in einem Art Basarbetrieb gehandelt werden. Da besteht Nachholbedarf. Wir müssen dafür sorgen, dass die Krankenkassen, die Geld für die Ausbildung ausgeben, erfahren, was die einzelnen Krankenhäuser für die Ausbildung aufwenden. Wir müssen sicherstellen, dass die Beitragsgelder - wir sprechen hier nämlich über Beitragsgelder dann auch tatsächlich in der vorgesehenen Höhe in der Ausbildung landen und nicht zum Stopfen irgendwelcher Löcher herangezogen werden. Da müssen wir nachbessern. ({12}) Horst Schmidbauer ({13}) Im Hinblick auf die Länder sage ich: Dieser Bereich ist sehr wichtig; wir reden hier nicht über Peanuts. Für die Ausbildung werden Beitragsgelder in Höhe von 1 Milliarde Euro aufgewendet. Ich denke, aufgrund dessen besteht ein Anspruch auf Klarheit und Offenheit. Daher sollten wir an den Bundesrat bzw. die Länder appellieren: Nehmt die Ausbildungsfrage bitte schön ernst! Sorgt mit uns dafür, dass Klarheit und Transparenz hergestellt wird! Wir können es aber nicht zulassen, dass die Situation entsteht, dass sich die Kassen provoziert fühlen und sagen: Wir verabschieden uns von den Ausbildungskosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Dann hätten nämlich die Länder diesen Klotz von 1 Milliarde Euro am Bein. Davor kann man nur alle warnen. Man sollte versuchen, einen Konsens zwischen den Pflegeorganisationen, den Gewerkschaften und den Krankenkassen zu finden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diesen Konsens erreichen. In diesem Sinne haben wir eine gute Chance, etwas nach vorn zu bringen. Ich glaube, die Menschen haben dies verdient. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Fallpauschalenänderungsgesetzes. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und FDP in dritter Lesung angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, den Entwurf eines Fallpauschalenänderungsgesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 15/3919 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, Drucksache 15/3974, die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/3450, mit dem Titel „Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 15/3418 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 15/3976 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Ulrich Krüger Kerstin Andreae Die Abgeordneten Kerstin Andreae und Carl-Ludwig Thiele haben gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann kann ich jetzt die Aussprache für die beiden einzigen gemeldeten Redner eröffnen. - Zunächst einmal der Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger.

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende des Jahres 2003 gab es in Deutschland mehr als 92 Millionen Lebensversicherungsverträge mit Beiträ- gen von über 65 Milliarden Euro. Es gab mehr als 8 Millionen Vollversicherungsverträge in der Kranken- versicherung mit Beiträgen von über 21 Milliarden Euro. Das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Form der Vorsorge ist, wenn man sich für das Alter eine finan- zielle Absicherung aufbauen will bzw. wenn man sich bei Erkrankung einen wirksamen Schutz verschaffen will. Es ist ferner ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Branche für den Finanzplatz Deutschland im Allgemei- nen ist. Aber - daran besteht kein Zweifel - all diese circa 100 Millionen Verträge besitzen zurzeit keinen ausrei- chenden Schutz gegen eine Insolvenz des Versiche- rungsunternehmens. Gerade die Entwicklung der letzten Jahre - ich erinnere nur an die Erfahrungen beim Zusam- menbruch der Mannheimer Lebensversicherungs AG - 1) Anlage 2 hat gezeigt, wie unsicher einzelne Mitglieder dieser Branche sein können. Zwar gibt es in dieser Branche auch die freiwillig ins Leben gerufenen Gesellschaften Protektor bzw. Medicator, die nicht selber am Markt auftreten, aber bestehende Versicherungsverträge übernehmen sollen, damit Kunden von Not leidenden Versicherungen einen Schutz erhalten. Im Falle einer Unternehmensschieflage stößt diese Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft jedoch an ihre Grenzen. Wir haben daher gehandelt und werden heute eine Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes beschließen, eine gute und richtige Änderung. ({0}) Diese Änderung ist im Wesentlichen auf drei Säulen auf- gebaut: Das ist erstens die Einführung einer Sicherungs- einrichtung, zweitens sind das Änderungen im Bereich der Rückversicherungsaufsicht und drittens ist das die Normierung von Kontroll- und Eingriffsbefugnissen der BaFin gegenüber Holdinggesellschaften bzw. Erwerbern einer wesentlichen Beteiligung. Im Einzelnen bedeutet das: Alle in Deutschland an- sässigen Lebensversicherer werden Mitglied eines vorfi- nanzierten Sicherungsfonds. Damit wird sichergestellt, dass sich a) alle Unternehmen solidarisch beteiligen müssen und b) im Schadensfall die Mittel so schnell wie möglich mobilisiert werden können. Sollte eine Insolvenz erfolgen - was niemand will -, kann die BaFin alle Versicherungsverträge auf den Fonds übertragen, der dann die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt und die Verträge letztlich auf ein anderes Versicherungsunternehmen überträgt. Die Summe der Jahresbeiträge aller dem Sicherungsfonds angehörigen Assekuranzunternehmen beträgt 0,2 Promille, bis eine Höhe von 1 Promille der versicherungstechnischen Nettorückstellung erreicht ist. Das heißt, dass die Gesamtheit der deutschen Lebensversicherer circa 500 Millionen Euro in diesen Sicherungsfonds einzahlt, damit die Interessen des Verbraucherschutzes gewahrt bleiben können. Die Höhe des individuellen Jahresbeitrages jedes Lebensversicherungsunternehmens - das ist ein wichtiges Detail dieses Gesetzes - wird jährlich neu ermittelt und am Risikoprofil des Unternehmens ausgerichtet. Das heißt: Solide wirtschaftende Unternehmen zahlen geringere Beiträge als Unternehmen, die riskanter vorgehen. ({1}) Somit erreichen wir einen positiven Nebeneffekt: Die Bemühungen der Versicherer um ein effektives Risikound Kapitalmanagement werden verstärkt und jeder Versicherer weiß, wo er im Vergleich zu seinen Mitbewerbern steht. Das kann nur im Sinne aller Versicherten und letztlich auch aller Versicherer sein. ({2}) Zusätzlich zu diesem Fonds werden bei den Lebensversicherern gegebenenfalls Sonderbeiträge erhoben werden, dann nämlich, wenn die vorhandenen Mittel des Fonds, 500 Millionen Euro, wider Erwarten nicht ausreichend sein sollten. Hierfür ist im Gesetzentwurf ein weiteres Promille, also weitere 500 Millionen Euro, vorgesehen. Es sind also 500 Millionen Euro im Sicherungsfonds; dazu kommen 500 Millionen Euro in Form von Sonderbeiträgen. Das werden die Leistungen der Assekuranz im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens sein. Reicht dies beides nicht aus, hat die BaFin die Möglichkeit, die Verträge der Versicherten - das ist ein ausgewogenes Pendant - um 5 Prozent zu kürzen. Ein Fazit: All dies gibt den Unternehmen im Hinblick auf eine Maximalbelastung Planungssicherheit. Die Einzahlungen sind akzeptabel und beruhigend für die Versicherten. Erstmals besteht also ein gesetzlich garantierter Rechtsanspruch auf Insolvenzschutz. Dieser Rechtsanspruch des Versicherten gilt erstmals auch im Bereich der privaten Krankenversicherung. Hier jedoch ist die Situation etwas anders. Auch hier ist ein Sicherungsfonds notwendig. Im Vergleich zu Lebensversicherungen besitzen Krankenversicherungen jedoch eine geringere Risikoanfälligkeit. Daher kann hier auf eine vorrangige Finanzierung - hier haben sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammengerauft, das möchte ich an dieser Stelle in aller Offenheit sagen - verzichtet werden. Erst im Falle einer möglichen Insolvenz eines Krankenversicherers wird der Sicherungsfonds mit 1 plus 1, sprich: 2 Promille in Anspruch genommen. Er beträgt bei Krankenversicherungen nicht 1 Milliarde Euro, sondern circa 160 Millionen Euro. Eine weitere Abweichung der Lebens- von den Krankenversicherungen besteht darin, dass es bei Krankenversicherungsverträgen nicht zumutbar und vertretbar ist, die Versicherten nach Verbrauch der Nettorückstellungen mit einer generellen Kürzung ihrer Leistungen zu belasten. Sollten sowohl bei der Lebens- als auch bei der Krankenversicherung all diese Beiträge nicht ausreichend sein, gelten - wie bislang - die bestehenden freiwilligen Solidaranstrengungen der Versicherungswirtschaft. Mein Fazit: Diese Regelungen sind ein angemessener und vertretbarer Weg, der das Vertrauen in die Bestandskraft der abgeschlossenen Verträge stützt und stärkt. Neben dieser ersten Säule waren auch Maßnahmen im Bereich der Rückversicherungsaufsicht notwendig, wie die Belastungen der Finanzmärkte des Jahres 2001 gezeigt haben. Ich nenne Ihnen nur beispielhaft die Angriffe auf das World Trade Center, die Flutschäden 2002 und den Lipobay-Skandal mit seinen Schadensersatzforderungen. Wichtig ist es im Rückversicherungsaufsichtsfall, jedes Risiko zu vermindern, das die Leistungsfähigkeit des Erstversicherers beeinträchtigen und damit indirekt die Ansprüche der Versicherungsnehmer gefährden könnte. Insofern hat selbst der Internationale Währungsfonds der deutschen Rückversicherungswirtschaft eine deutliche Verstärkung der Aufsicht empfohlen. Auch hier haben wir wieder richtig gehandelt, indem bei den Rückversicherungsunternehmen eine behördliche Zulassung eingeführt und eine Mindestausstattung mit Eigenmitteln vorgeschrieben wird. Mit diesen neuen Bestimmungen wird ein internationaler WettbewerbsDr. Hans-Ulrich Krüger nachteil im Bereich der Rückversicherung ausgeräumt. Die deutsche Versicherungsaufsicht entspricht damit künftig nicht nur den internationalen Standards, sondern wird auch den neuen Herausforderungen des Marktes gerecht. Vor allen Dingen - das ist für uns besonders wichtig - wird die gute Marktposition der deutschen Rückversicherer weltweit gefestigt. ({3}) Ferner wird die Eingriffsbefugnis der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, gegenüber Holdinggesellschaften und Inhabern einer wesentlichen Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen erweitert. Ziel ist die bessere Bekämpfung bei Umgehung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Hier ist unter anderem aufgrund der Genesis des Gesetzes zu beachten, dass eine Rechnungslegung jedes Holdingsunternehmens gegenüber der Aufsichtsbehörde nicht erfolgen muss, auch wenn dies die Arbeit der BaFin erleichtert hätte. Hierauf ist auch im Lichte der Sachverständigenanhörung verzichtet worden, um Kosten bei den betroffenen Unternehmen zu vermeiden. Der Kritik, einen zu hohen Bürokratieaufwand zu betreiben, wird damit der Wind aus den Segeln genommen. Der Forderung hingegen, Zwischenholdings von der Aufsicht auszunehmen, wird eine klare Absicht erteilt. Kein Konzern in Deutschland wird von irgendjemandem gezwungen, Zwischenholdings zu gründen. Machen die Konzerne hingegen von dieser Konstruktion Gebrauch, so muss selbstverständlich die Möglichkeit einer vernünftigen Aufsicht gegeben sein. Diese hat nunmehr die BaFin in ihren Händen. Bei der vorgesehenen Verschärfung der Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Personen, die eine wesentliche Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen erworben haben, hat die Aufsichtsbehörde ferner die Befugnis, den Erwerb einer wesentlichen Beteiligung unter bestimmten Umständen - gedacht ist hier insbesondere an den Willen, ein Unternehmen zu zerschlagen - zu untersagen. Ein Beispiel: Ein Investor erwirbt ein angeschlagenes Versicherungsunternehmen und will dieses zu seinem Vorteil und zulasten der Versicherungsnehmer zerschlagen. Das machen wir nicht mit. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf einen Riegel davor geschoben. Sehr geehrte Damen und Herren, das Vertrauen in die Versicherungswirtschaft wird mit diesem Gesetzentwurf geschützt. Wir bauen weiter darauf auf. Derjenige, der einen Großteil seiner Lebensplanung einer privaten Lebensversicherung anvertraut, derjenige, der sich einer privaten Krankenversicherung anvertraut, genießt durch diesen Gesetzentwurf Schutz und Vertrauen auf den Bestand seiner Verträge auch im Alter. Unsicherheiten durch mögliche Insolvenzen oder wirtschaftliche Schieflagen haben wir sachgerecht, angemessen und in einem für alle Beteiligten verträglichen Maße geregelt. Der Verbraucherschutz und der Finanzmarkt Deutschland werden durch diese Regelung weiter gestärkt. Ich danke daher auch meinen Kolleginnen und Kollegen von der Opposition für ihre konstruktive Mitarbeit an diesem Gesetzentwurf, den wir heute einvernehmlich beschließen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach langer, intensiver und auch kontroverser Diskussion verabschieden wir heute gemeinsam mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages Änderungen betreffend die Aufsicht über Versicherungen und Versicherungsunternehmen. Diese gemeinsame Position ist möglich geworden, weil an dem ursprünglichen Regierungsentwurf deutliche Änderungen vorgenommen wurden und auch die Vorschläge der Opposition dazu geführt haben, dass der Gesetzentwurf deutlich an Qualität gewonnen hat. ({0}) Worum geht es? Es geht um die Sicherstellung der privaten langfristig angelegten Altersversorgung der Bevölkerung und des privaten Krankenversicherungsschutzes. Konkret - diese Zahlen hat Herr Dr. Krüger bereits genannt - geht es um über 90 Millionen private Lebensund Rentenversicherungen, um 8 Millionen private Krankenvollversicherungsverträge sowie zusätzlich um 39 Millionen Krankenzusatzversicherungen. Diese Verträge sollen im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens geschützt und gerettet werden. Es ist wichtig, dass wir heute in einer Phase der allgemeinen Unsicherheit durch dieses Gesetz ein Stück Vertrauen schaffen können; denn die Lebensversicherungen, die Rentenversicherungen und die Krankenversicherungen sind wichtige Bausteine der Lebensplanung eines jeden Menschen und somit von ungeheurer Bedeutung. Man kann heute sagen, dass die Versicherungswirtschaft in weiser Vorausschau gehandelt hat, als sie vor gut zwei Jahren die beiden Auffanggesellschaften - die Protektor AG für den Lebensversicherungsbereich und die Medicator AG für den Bereich der Krankenversicherungen - gegründet hat. Schon ein Jahr, nachdem diese Auffanggesellschaften gegründet worden sind, kam es zum ersten Insolvenzfall mit der Mannheimer Lebensversicherung. Sicherlich kam in der Branche keine große Begeisterung auf, als immerhin etwa 200 Millionen Euro bereitgestellt werden mussten, um diese Mannheimer Lebensversicherung aufzufangen. Wir sollten aber nicht vergessen: Dieser Fall wurde ohne gesetzliche Grundlage gelöst; denn die Branche war bereit, sich dieses Themas anzunehmen. Sie hatte die Notwendigkeit erkannt, dass sichere Altersvorsorge und garantierte Krankheitsversorgung zentrale Qualitätsmerkmale ihres eigenen Angebots sind und sich der finanzielle Einsatz und das damit gewonnene Vertrauen der Kunden für die gesamte Branche entsprechend bezahlt machen. Die Erfahrungen mit der ersten Insolvenz, der Mannheimer Lebensversicherung, haben aber auch uns allen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage aufgezeigt. Es kann jedoch nicht sein - so ist auch die Position der Opposition -, dass die Versicherungsunternehmen derart in die Haftung genommen werden, dass durch die Insolvenz eines oder mehrerer Unternehmen die gesamte Branche in eine Schieflage gerät oder die Versicherungsnehmer, also die Kunden der gesunden Unternehmen, letztendlich dafür zahlen müssen, dass andere große Risiken eingehen. In diesem Punkt haben wir uns von den Regierungsparteien unterschieden, haben uns letztendlich aber auch geeinigt. In einer ersten Stufe wurde zunächst eine rechtliche Grundlage geschaffen. Die Probleme zwischen dem Insolvenzrecht und dem Aufsichtsrecht wurden beseitigt: Jetzt kann eine Bestandsübertragung der Verträge angeordnet werden, ein Sonderbeauftragter kann eingesetzt werden und die so genannten Dienstleistungsverträge können auch von externen Unternehmen übernommen werden. In einer zweiten Stufe musste eine finanzielle Grundlage geschaffen werden. Nun muss man wissen, dass die Insolvenz eines Versicherungsunternehmens kein Liquiditätsproblem des Augenblicks ist. Es ist also nicht so, dass das Versicherungsunternehmen nicht in der Lage wäre, die Krankenversicherungsleistungen zu zahlen oder die Auszahlungen von Lebensversicherungen vorzunehmen. Wir können das am Beispiel der Mannheimer Lebensversicherung sehr deutlich sehen: Die Insolvenz dieser Gesellschaft ist darauf zurückzuführen, dass sie in der Boomzeit der Aktien bis an die äußerste Grenze der Anlagemöglichkeiten gegangen ist, also bis an 35 Prozent. Sie hat Aktien zu hohen Preisen gekauft, zu Höchstpreisen, im falschen Moment. Nach dem Absturz im Jahre 2000 mussten diese Aktien in den folgenden Jahren neu bewertet werden. Es geht hier also um eine bilanzielle Unterdeckung langfristiger Verbindlichkeiten; das ist der Unterschied. Ich will es anders ausdrücken: Es ist eine Momentaufnahme und es geht um den vorübergehenden Ausgleich der Unterdeckung der den Versicherten langfristig zugesagten Leistungen. Das Ziel ist und bleibt für alle, die Verträge fortzuführen. Darauf musste die Finanzierung abgestimmt werden. Jetzt zahlen die Lebensversicherungsgesellschaften in einem ersten Schritt 500 Millionen Euro in einen Sicherungsfonds ein. Dieses Geld bleibt allerdings - das ist in der Diskussion ein sehr wichtiger Punkt gewesen - gebundenes Vermögen der Versicherungsgesellschaften, es ist also eine Kapitalanlage, es ist eine Beteiligung. Warum ist das so wichtig? Wenn das Geld nicht für den Ernstfall gebraucht wird, wenn also keine Insolvenz eintritt, stehen die Erträge aus dieser Kapitalanlage zu über 90 Prozent den Versicherten zu, also den Versicherungsnehmern, den Kunden. Gerade um die Überschüsse findet ja der Wettbewerb der deutschen Versicherungswirtschaft statt. Der Sachverständige der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, hat dazu in der Anhörung Folgendes ausgeführt: Denn das gebundene Vermögen ist mehr als gedanklich nicht mehr das Vermögen des Unternehmens, sondern der Versicherungsnehmer. Ich erinnere an diese Anhörung. Da gab es noch Meinungen, dass die 500 Millionen Euro, die in diesen Sicherungsfonds eingezahlt werden, als echte Kosten, als Aufwand betrachtet werden sollten. Eine Pflicht zum unbegrenzten Nachschießen wurde gefordert. Das wäre ein massiver Eingriff in den Wettbewerb gewesen. Es wäre eine Strangulierung der Versicherungswirtschaft gewesen: Sogar intakte Unternehmen wären in einen Strudel hineingeraten. Wir als Opposition hätten das nicht mitgetragen. Nun könnte es sein, dass die eingezahlten 500 Millionen Euro im Sicherungsfonds beim Eintritt eines Insolvenzfalls nicht ausreichen. Deshalb besteht in einem zweiten Schritt die Pflicht, weitere 500 Millionen Euro nachzuschießen, die über die Einzahlung in den Sicherungsfonds hinaus bereitgestellt werden müssen. Die Regierungsparteien hatten 1 Milliarde Euro gefordert. Wir haben diesen Betrag für zu hoch gehalten und uns im Rahmen einer Kompromissfindung auf den Betrag von 500 Millionen Euro geeinigt. Erst wenn dieses Kapital nicht ausreicht, können anschließend die Versicherungsnehmer des insolventen Unternehmens zur Eigenleistung herangezogen werden, aber mit einem überschaubaren Satz von 5 Prozent der garantierten Versicherungsleistung. Bedenken wir bitte: Wenn sie nicht mit 5 Prozent herangezogen würden, würden die gesamten Kosten für die Insolvenz von den Kunden der gesunden Unternehmen getragen; denn mit ihren Beiträgen wird der Sicherungsfonds letztendlich gefüllt. Und es kann nicht sein, dass für die Kunden, die ein hohes Risiko eingehen, indem sie sich für eine Versicherung entscheiden, die mit hohen Renditen besonders aggressiv wirbt, diejenigen Kunden, die vorsichtig waren, letztendlich alles bezahlen und der risikobereite Kunde einen Vollkaskoschutz genießen kann. Wichtig war für uns die Unterscheidung zwischen Lebensversicherung und Krankenversicherung. Krankenversicherungsleistungen fallen in der Praxis etwa siebenmal pro Jahr an. Es müssen also laufend Zahlungen für solche Leistungen erbracht werden. Man kann den Bestand also nicht bei einem Krankenversicherungsunternehmen parken und ein halbes Jahr lang liegen lassen, bis alles geregelt ist. Es kommt darauf an, dass man eine andere Versicherungsgesellschaft findet, die die Verträge sofort übernimmt, sie betreut und die Rechnungen für die Versicherten bezahlt. Eine solche Sicherungseinrichtung ist also gerade bei der Krankenversicherung nur ein kurzer Zwischenschritt. Es gibt bei den privaten Krankenversicherungen bisher übrigens noch keinen Insolvenzfall. Wir konnten in der Diskussion durchsetzen, dass die Krankenversicherungsunternehmen erst im Krisenfall zu Sicherungszahlungen herangezogen werden. Für die Lebensversicherungen war das leider nicht durchsetzbar. In einem weiteren Bereich, nämlich in der Holdingaufsicht, hatten wir erhebliche Bedenken. Wir haben aber auch nicht verkannt, dass finanzielle Risiken in Holdinggesellschaften verschoben werden können. Das gilt gerade für diejenigen, die nicht der Versicherungsaufsicht unterliegen. Das war auch eines der Probleme der Mannheimer Lebensversicherung. Es gab weitere Bedenken, dass die neue Aufsicht erheblich gegen das Gesellschaftsrecht verstößt, weil die Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter missachtet wurde. Auch die Gefahr einer versteckten Durchgriffshaftung wurde gesehen, die gerade im internationalen Bereich erhebliche Haftungsrisiken für die Unternehmen birgt. Wir kommen immer wieder auf ein Thema zurück, das wir auch in den nächsten Wochen und Monaten sehr intensiv diskutieren werden. Ich will es am Beispiel der zahlreichen EU-Richtlinien ansprechen. Es stellt sich die Frage, ob wir europäische Vorschriften immer im Verhältnis eins zu eins in nationales Recht umsetzen oder ob wir in der Kontrolle immer noch etwas oben drauflegen. Sie kennen die Diskussion um die Eigenkapitaldefinition bei den Rückversicherern, die einem scharfen internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Ich warne davor, in Deutschland schärfere Bestimmungen durchzusetzen, als sie international üblich sind. Wir entzögen den deutschen Unternehmen damit die Geschäftsgrundlage. Wir unterstützen die Rückversicherungsaufsicht, da sie internationaler Standard ist. Wir müssen alles tun, um den deutschen Unternehmen die besten Rahmenbedingungen zu geben; denn es geht letztlich um die Arbeitsplätze in Deutschland und unsere Chancen im internationalen Wettbewerb. Herr Kollege Dr. Krüger, ich möchte Ihnen und auch den Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von der FDP für die Zusammenarbeit gerade in den letzten Tagen danken. Ich will ein Fazit ziehen. Die Versicherten in Deutschland gewinnen durch dieses Gesetz Vertrauen zurück und wissen, dass sie sich auf ihren Krankenversicherungsschutz und auf ihre private Altersversorgung verlassen können. Ich denke, dass auch die Versicherungsgesellschaften wissen, dass sie mit der Unterstützung dieses Gesetzes ihre eigene Wettbewerbsposition stärken; denn das Vertrauen ihrer Kunden ist ihre Geschäftsgrundlage. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze, Drucksache 15/3418. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3976, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Friedrich ({0}), Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Lärmschutz ist Gesundheitsschutz - Fluglärmgesetz jetzt modernisieren - Drucksache 15/2862 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Nach interfraktioneller Vereinbarung haben wir für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Michael Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lärmschutz ist Gesundheitsschutz. Jüngste Studien haben ergeben, dass eine dauerhaft hohe Lärmbelastung das Herzinfarktrisiko signifikant erhöht. Über diese Punkte sind wir uns alle einig. Nachdem wir gestern bei der Beratung des Umweltgutachtens wieder festgestellt haben, dass beim Lärmschutz mehr geschehen muss, würde ich aber gerne einmal Taten sehen, anstatt immer nur schöne Worte zu hören. ({0}) Wenn Lärm an der Quelle nicht zu reduzieren ist, dann müssen die Verursacher für die Betroffenen passiven Lärmschutz bereitstellen. Dies zu regeln ist Aufgabe des Fluglärmgesetzes. Das aktuell geltende Fluglärmgesetz stammt aus dem Jahr 1971 und ist seitdem nahezu unverändert geblieben. Auch nach sechs Jahren Umweltminister Trittin und trotz aller Lippenbekenntnisse ist dies so. All diese Lippenbekenntnisse sind für die Anwohner nichts wert. ({1}) Mit seinen durch die Lärmwirkungsforschung überholten Grenzwerten wird das Fluglärmgesetz dem Schutzinteresse der Anwohner schon lange nicht mehr gerecht. Die Grenzwerte sind so veraltet, dass sie beispielsweise am Flughafen meiner Heimatstadt Dortmund auf der Startbahn gerade noch erreicht werden. Eine Modernisierung des Gesetzes ist also überfällig. Doch was macht diese Bundesregierung? ({2}) Seit dem Jahr 2000 versprechen Sie den Anwohnern in den Einflugschneisen in wunderbaren Vereinbarungen ein modernes Fluglärmgesetz. Aber bisher - das muss ich erneut feststellen - gibt es keinen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag. ({3}) Nun wurde zum zweiten Mal - die Staatssekretärin ist ja da - ein Referentenentwurf des Umweltministeriums vorgelegt. Aber er steckt wie schon der erste Entwurf in der Abstimmung zwischen den Ministerien. Die Bundesregierung ist in diesem Bereich heillos zerstritten. ({4}) Der Staatssekretär des Finanzministeriums ist schon gegangen; das ist wahrscheinlich Absicht. ({5}) Ich fordere die Koalition auf, im Interesse der Anwohner und der Flughäfen: Kommen Sie bei diesem Gesetz endlich zu einer Einigung! ({6}) Was steht in dem Referentenentwurf des Umweltministeriums? ({7}) Knapp gesagt: Es soll beim Lärmschutz zu einer Klassengesellschaft kommen. ({8}) An neuen und auszubauenden Flughäfen gibt es schon bei niedrigeren Grenzwerten Schallschutzmaßnahmen als an bestehenden. ({9}) Anwohner an Militärflughäfen - jetzt hören Sie gut zu sollen erst bei Grenzwerten geschützt werden, die die Lärmwirkungsforschung einhellig als gesundheitsgefährdend ablehnt. Der Grund dafür - das ist die einzige überzeugende Erklärung - ist, dass hier der Bund die Maßnahmen, die er beschließt, bezahlen muss, während bei normalen Verkehrsflughäfen die Gemeinden, die Länder oder Private bezahlen müssen. Hier macht sich der Bund wieder einmal einen schlanken Fuß: Immer wenn es an die eigene Tasche geht, ist man mit dem Fortschritt plötzlich zurückhaltend. ({10}) Für die Gesundheit der Anwohner ist es aber egal, wer den Lärm verursacht. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Für die FDP-Fraktion wird es beim Lärmschutz keine Bürger erster, zweiter oder dritter Klasse geben. ({11}) Wir haben in unserem Antrag die liberalen Eckpunkte für ein modernes Fluglärmgesetz formuliert. Wir fordern den hier nicht anwesenden Minister Trittin auf, dem Bundestag endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf zuzuleiten und nicht nur nett mit den Verbänden über Referentenentwürfe zu sprechen. ({12}) Die FDP steht für einen fairen und angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Anwohner, der Luftfahrtgesellschaften und der Flughafenbetreiber. Deshalb fordern wir, dass die Grenzwerte dem aktuellen Stand der Lärmwirkungsforschung entsprechen, dass es gleiche Grenzwerte für bestehende, neue, auszubauende und militärische Flughäfen gibt, dass eine Nachtschutzzone für all diese Flughäfen vorgesehen wird, dass wir realistische Berechnungsmethoden und nicht die so genannte „100 zu 100“-Regelung zugrunde legen und dass es schließlich keine Ausnahmeregelungen zum Bauverbot in der Schutzzone 1 geben darf. ({13}) Das sind die Kriterien, an denen sich ein Gesetzentwurf, der den Namen wert ist, messen lassen muss. Der Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums ist von diesen Kriterien leider immer noch viel zu weit entfernt. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie haben Recht: Wir brauchen dringend eine Novelle des Fluglärmgesetzes. Das sagen inzwischen übrigens alle. ({0}) Aber wenn es Ernst wird, wenn die Umsetzung ansteht und es um Geld geht, dann hat man ziemlich viele Gegner: die Eigentümer, die Flugwirtschaft, zum Teil auch die Länder, sogar die eigenen Länder. ({1}) Auf der Seite der Wirtschaftsinteressen steht meistens die FDP. Ich freue mich außerordentlich, dass Sie sich explizit nicht auf die Seite der Wirtschaft gestellt haben, ({2}) sondern gesagt haben, dass Sie einen ambitionierten Entwurf wollen. Wir freuen uns, wenn Sie uns da unterstützen. Meine Damen und Herren von der FDP, wir haben inzwischen gehandelt. Sie haben zu Recht festgestellt, dass es mühsam vorangeht. Aufgrund der zahlreichen Gegner geht es tatsächlich mühsam voran, aber es gibt den Referentenentwurf, der nicht einfach so mit den Verbänden „beschwätzt“ worden ist, wie Sie gesagt haben; vielmehr handelte es sich um eine ordentliche Verbändeanhörung. Wie Sie wissen, gab es auf der einen Seite starken Druck von der Wirtschaft, der der Gesetzentwurf viel zu weit ging, auf der anderen Seite von den Umweltverbänden, denen der Gesetzentwurf nicht weit genug ging. Ich kann nur sagen: Ein Gesetzgeber ist gut beraten, wenn er zwischen diesen beiden Interessen die Balance findet. Das ist die Aufgabe des Fluglärmgesetzes. Ich meine, der Entwurf des Umweltministeriums sucht diese Balance. Wir wollen aufgrund der Forschungsergebnisse den Lärmschutz für die Menschen aus gesundheitlichen Gründen klar verbessern. Wir wollen die Siedlungsplanung einschränken. Es soll nicht mehr möglich sein, dass man direkt an die Flughäfen heranbaut. Wir wollen, dass sich zivile und militärische Flughäfen an der Finanzierung beteiligen. ({3}) Der Anwendungsbereich wird erweitert werden. Es sind nicht nur die großen Flughäfen, sondern alle Flughäfen und Landeplätze, die über 25 000 Starts und Landungen pro Jahr haben. Wir wollen auch, dass diesmal der militärische Fluglärm einbezogen wird. Es war ein Kampf mit dem Verteidigungsministerium auszufechten, aber die Koalition hat sich darauf verständigt, den Militärlärm ebenfalls in das Gesetz aufzunehmen. Wir werden strengere Grenzwerte einführen. Wir werden Nachtschutzzonen einführen und wir werden das Messverfahren modernisieren, ganz wie Sie es in Ihrem Antrag gefordert haben. Wir werden Baubeschränkungen in dieses Gesetz aufnehmen, damit die Kommunen nicht zulassen, dass an die Flughäfen herangebaut wird, und sich dann anschließend die Anwohner darüber beklagen, dass es dort laut ist. Das soll verhindert werden. Kommen wir nun zum spannenden Teil, den Kosten. Teile der Flugwirtschaft sagen, dass das alles nicht bezahlbar sei. Seriöse Berechnungen des Umweltbundesamtes gehen davon aus, dass für Schallschutzmaßnahmen ungefähr 500 Millionen Euro vom zivilen Flugverkehr und etwa 100 Millionen bis 200 Millionen Euro vom militärischen Flugverkehr aufgebracht werden müssen. Wenn man bedenkt, dass die Summe auf 10 Jahre gestreckt wird, ist das absolut zumutbar, und zwar sowohl für den Verteidigungsminister, für den bei einem Etat von rund 25 Milliarden Euro 20 Millionen Euro pro Jahr in 10 Jahren nicht zu viel sind, als auch für die zivile Flugwirtschaft, weil sie die Summe umlegen kann. Wir sind für das Verursacherprinzip. Wer fliegt, der hat Vorteile und der kann 1 bis 2 Euro pro Ticket für den Lärmschutz derer bezahlen, die den Fluglärm aushalten müssen, weil sie in der Nähe von Flughäfen wohnen. Das ist finanzierbar. ({4}) Jetzt komme ich zu einem Bereich, den Sie nicht angesprochen haben. Sie haben ganz auf den Fluglärmschutz im Fluglärmgesetz abgehoben. Wir sind überzeugt, dass das nur eine Baustelle zur Bekämpfung des Lärms ist. Eine weitere ist die EU-Richtlinie über Betriebsbeschränkungen. Dort wird von einem ausgewogenen Ansatz angesprochen. Das heißt, es geht auch darum, ob wir die Möglichkeit eröffnen, in Deutschland Nachtflugverbote einzuführen, oder darum, dass wir bestimmte Flugzeugtypen verbieten. Das ist mittels eines ausgewogenen Ansatzes machbar.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn ich meinen Satz ausgesprochen habe, ja. Wir wollen auch freiwillige Verfahren wie das Mediationsverfahren, das etwa in Frankfurt erfolgreich praktiziert wird. So etwas wollen wir zur Reduzierung des Lärms gerne befördern. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Hermann, wenn Sie die Umsetzung der EURichtlinie zu Betriebseinschränkungen an Flughäfen ansprechen und diese für so bedeutsam halten, können Sie mir dann erklären, warum die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie nicht innerhalb der gesetzten Frist bis 2003 umgesetzt hat?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann ich Ihnen erklären. Es gibt dazu in der Tat unterschiedliche Meinungen, auch innerhalb der Bundesregierung. Das Verkehrsministerium ist der Meinung, dass die Umsetzung in deutsches Recht schon weitgehend abgeschlossen ist, während Ökologen wie auch das Umweltministerium meinen, dass die Richtlinie weiter geht als das deutsche Recht nach derzeitigem Stand. Sie umfasst zum Beispiel Nachtflugregelungen, die es im deutschen Recht in dieser Form noch nicht gibt. Wir werden uns bemühen. Wir werden aber des Fluglärms nicht Herr werden, wenn wir ein Fluglärmgesetz verabschieden, das nur auf passiven Schallschutz setzt, ohne gleichzeitig ein Gesetz zur aktiven Beschränkung des Fluglärms auf den Weg zu bringen. ({0}) - Ich entnehme Ihrer Frage, dass wir mit der breiten Unterstützung der Opposition rechnen können. Dafür danke ich Ihnen. ({1}) Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen. Es gibt einen gewissen Harmonisierungsbedarf. Das haben Sie in Ihrem Antrag auch festgestellt. Zurzeit stimmen die Messverfahren der Umgebungslärmrichtlinie einerseits und des Fluglärmgesetzes andererseits noch nicht eins zu eins überein. Wir werden vermutlich in einem parlamentarischen Verfahren prüfen müssen, inwieweit die Messverfahren zusammenpassen. Abschließend fasse ich zusammen: Um endlich zu einer Lösung zu kommen, müssen wir einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der Wirtschaft und der Anwohner hinsichtlich der Gesundheit und des Lärmschutzes finden. Flugverkehr ist in Deutschland auf Dauer nur dann möglich, wenn wir einen solchen Kompromiss erzielen. Ich appelliere nochmals an die Flugwirtschaft und an all diejenigen, die eventuell gegen ein solches Gesetz opponieren wollen: Wir brauchen dieses Gesetz, wenn der Flugverkehr in Deutschland auf Dauer Akzeptanz finden soll. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der FDP-Antrag zeigt uns vor allem eines: Die Bundesregierung ist Ankündigungsweltmeister im Umweltschutz. ({0}) Ob es um die Endlagerung von radioaktivem Abfall geht oder um Fluglärm: In Wahrheit geschieht nichts. ({1}) Eben konnten wir verfolgen, wie Herr Hermann in epischer Breite geschildert hat, was alles getan werden müsste. In Wahrheit aber geschieht, wie gesagt, nichts. Aus der Umgebung des Flughafens München ist mir eine Reihe von Schicksalen von Menschen bekannt, die vor zwei bzw. sechs Jahren den Grünen ihre Stimme gegeben haben in der Hoffnung, dass endlich etwas geschieht. ({2}) Tatsächlich aber ist nichts passiert. Bereits vor gut zwei Jahren hat Ihre frühere Staatssekretärin Gila Altmann bei einer Veranstaltung der Grünen in Freising angekündigt, dass die Menschen in der Umgebung des Flughafens München von der Novelle des Fluglärmgesetzes keine nennenswerten Verbesserungen gegenüber dem heutigen Zustand zu erwarten haben. Wer geglaubt haben mag, dass sich das grüne Element der Koalition wenigstens zum Segen der Umwelt auswirken würde, sieht sich maßlos getäuscht. ({3}) Im Jahr 1998 wurde uns von Herrn Bundesumweltminister Trittin und anderen vollmundig die Novellierung des Fluglärmgesetzes versprochen. Seit Mai 2000 kann man auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums ein paar Eckpunkte als Ankündigungsbaustelle nachlesen. Wir warten seit sage und schreibe sechs Jahren, aber bis heute gibt es noch nicht einmal einen abgestimmten Referentenentwurf. ({4}) Das Bundesumweltministerium und das Bundesverkehrsministerium liegen - wie auch Herr Hermann eben bestätigt hat - im Streit. Von der Bundesregierung ist in dieser Angelegenheit nichts zu erwarten. Wenn Sie wider Erwarten noch dieses Jahr einen abgestimmten Referentenentwurf zustande bringen würden, Herr Hermann, wäre das für mich wie ein Weihnachtsgeschenk. Unterdessen findet nämlich rund um die Flughäfen weiterhin eine mehr oder weniger ungeordnete Siedlungsentwicklung statt. Manche Gemeinden weisen immer noch zu viele Baugebiete in Flughafennähe aus. Bauwillige lassen sich guten Glaubens dazu überreden, dort ihr Eigenheim zu errichten. ({5}) Angesichts der problematischen Immobilienlage in der Region ist das verständlich. Die Menschen denken: Wenn die Kommune das empfiehlt, dann kann es sicherlich nicht so schlimm werden. Später dann - angesichts der prognostizierten Entwicklung der Flughäfen ist das ja verständlich - ist der Fluglärm so stark, dass ein vernünftiges Wohnen in den betroffenen Gegenden nicht mehr angebracht erscheint. Wir brauchen eine vernünftige Siedlungssteuerung und eine vernünftige Schutzgebietsfestsetzung. Lärmbetroffene Bürger müssen für jeden Einzelfall die Gerichte bemühen. Wer das Risiko scheut, krank ist oder zu wenig Geld hat, der hat aufgrund Ihrer Politik das Nachsehen. Es geht aber auch um Planungssicherheit für Investitionsentscheidungen, Wirtschaftsansiedlungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen; denn wir stehen im globalen und europäischen Wettbewerb. Man kann es nicht oft genug sagen: Rund 750 000 Beschäftigte sind direkt oder indirekt vom Luftverkehr abhängig. In absehbarer Zeit ist die Schaffung von weiteren 100 000 Arbeitsplätzen denkbar. Am Flughafen München lässt sich die Entwicklung gut ablesen. Mit jeder Million, um die die Zahl der Flugpassagiere steigt, nimmt auch die Anzahl der Arbeitsplätze zu. Dies ist im Übrigen völlig unstrittig. Ihr Kollege Bruckmann hat erst vor kurzem diese Zahlen bestätigt. Dafür müssen wir aber unsere Rolle in der Mitte Europas flugverkehrsmäßig voll annehmen. In der Zeit von Karstadt und Opel wird wohl niemand mehr solche Aussichten leichtfertig aufs Spiel setzen. Kurzum: Der jetzige Schwebezustand ist unerträglich. Fakt ist: Hier und heute gilt noch immer das Fluglärmgesetz von 1971 mit völlig überholten Werten, mit Werten, die weder das heutige Verkehrsaufkommen noch die technischen Möglichkeiten und auch nicht die gesundheitlichen Aspekte der Lärmbelastungen nach unserem derzeitigen Kenntnisstand berücksichtigen. Der Flugverkehr wird sich nach den Prognosen bis 2015 mit hoher Wahrscheinlichkeit verdoppeln. Da tröstet es wenig, wenn die Gerichte über die Jahre mit ihren Entscheidungen zu etwas zeitgemäßerem Umgang mit der Fluglärmproblematik beigetragen haben. Das ist sozusagen ein Zustand permanenter Nothilfe. Es ist nicht Aufgabe der Richter, überholte Gesetze oder eklatante Gesetzeslücken jahrzehntelang mit Rechtsprechung zu stopfen. ({6}) Es ist vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, allgemein gültige Regeln mit der notwendigen Klarheit aufzustellen, beispielsweise in Form von Gesetzen. Es ist auch lobenswert und schön, wenn manche Flughafenbetreiber Entgegenkommen zeigen und passiven Schallschutz finanzieren oder sich sonst Gedanken über die Minimierung der Schallbeeinträchtigungen machen. Aber in diesen Genuss kommt nicht jeder Lärmbetroffene, der es nötig hat. Der Kern ist doch: Wir können uns nicht länger um eine grundsätzliche Abwägung herumdrücken. Wir müssen einen angemessenen Ausgleich zwischen Klimaschutz, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Anwohnerinteressen finden. Das ist keine leichte Aufgabe; das gebe ich gerne zu. Aber Sie müssen doch endlich einmal anfangen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank. Das ist Ihre Arbeit. Dafür sind Sie gewählt worden, gerade Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der grünen Front. Wir von der Union sind gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen. ({7}) Legen Sie uns einmal etwas Vernünftiges vor! Dann können wir mit Ihnen sprechen. Damit nichts offen bleibt, möchte ich Ihnen noch ein paar Dinge mit auf den Weg geben. Beginnen Sie mit den vorliegenden Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung! Hinzu kommt noch die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Fluglärm. Damit haben Sie einen tragfähigen Rahmen, aufgrund dessen Sie neue Schutzzonen und niedrigere Grenzwerte festlegen können. Wichtig ist auch ein ausreichender Schutz der Nachtruhe. Das liegt mir ganz besonders am Herzen; denn ich habe festgestellt - ich selber bin zwar kein unmittelbarer Anrainer, wohne aber in der Nähe eines Flughafens -, dass die Bürgerschaft wohl am meisten unter dem Nachtfluglärm leidet. Außerdem hat die Lärmwirkungsforschung bewiesen, dass Nachtlärm zu erheblichen Beeinträchtigungen führt. Allerdings hatte ich erwartet, dass es der Bundesregierung gelingt, innerhalb der Europäischen Union eine vernünftige Regelung gerade hinsichtlich des Nachtfluglärms auf den Weg zu bringen. Wenn wir scharfe nationale Nachtflugregelungen treffen, besteht nämlich die Riesenproblematik - die sehen auch wir -, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Der Nachtflugbetrieb auf unseren Flughäfen würde vermutlich geringer, aber er würde ins benachbarte Ausland abwandern. National wären neue Nachtschutzzonen ein geeignetes Mittel. Aber bitte nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten! Realistische Betrachtungen und Berechnungen sind ein absolutes Muss. Die „100 zu 100“Regelung aus dem Referentenentwurf zum Beispiel ({8}) sollte den tatsächlichen Verhältnissen des Flugbetriebs angepasst werden. ({9}) Das leuchtet doch sicherlich ein. Es müsste auch den reisefreudigen Regierungsmitgliedern einleuchten. Der Herr Bundesumweltminister ist heute nicht hier, aber die Frau Staatssekretärin ist hier. Ich weiß nicht, ob sie auch so reisefreudig ist wie ihr Minister. Angesichts der Reisefreudigkeit des Ministers jedenfalls wäre es sicherlich angebracht, ein wenig schneller zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen. ({10}) Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir natürlich einheitliche Messmethoden und Standards auf europäischer und internationaler Ebene brauchen, ähnliche Methoden, wie sie für Straßen-, Schienen- und Gewerbelärm bereits zur Anwendung kommen. Das scheint mir außerordentlich wichtig zu sein. Vom fairen Interessenausgleich zwischen Flughafenbetreibern und Anwohnern war schon mehrfach die Rede. Eines möchte ich noch sagen; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ich stelle fest, dass sich bei sämtlichen Diskussionen über Infrastrukturmaßnahmen im Verkehrsbereich eine Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland besonders hervortut. Das sind die Grünen und ihre Anhänger vor Ort. ({11}) Ganz egal, was wir diskutieren, ob wir Schienenverkehr, S-Bahn oder den Transrapid diskutieren - die Grünen sind immer dagegen. ({12}) Wir haben bei uns am Flughafen vor einigen Jahren eine schöne Sache diskutieren können. ({13}) Die Grünen haben die Behauptung aufgestellt, der Flughafen sei übererschlossen. Jetzt haben wir zwei S-BahnLinien, eine erweiterte Autobahn und es reicht immer noch nicht. Trotzdem wehren sich die Grünen gegen alles, was in Richtung Fortschritt im Verkehrsbereich geht. Die Bürgerinnen und Bürger vor Ort erkennen dieses zwielichtige Spiel natürlich sehr gut. ({14}) Sie zeigen bei verschiedensten Veranstaltungen auch, was man von einer derart scheinheiligen Politik zu halten hat. ({15}) Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Antrag selbst sagen. ({16}) Selbstverständlich schließt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem flehentlichen Wunsch der Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Bundestagsfraktion voll und ganz an, der da schlicht und einfach lautet: Bitte legen Sie jetzt so schnell wie möglich einen vernünftigen Gesetzentwurf zur Novellierung des geltenden Fluglärmgesetzes vor. ({17}) Das parlamentarische Beratungsverfahren - das wird leider oft vergessen - ist eigentlich dazu da, im gemeinsamen Ringen die bestmögliche Lösung zu erzielen. Wir stehen jederzeit für Gespräche bereit. Wir stehen sozusagen vor dem Ring und warten auf Ihre Signale. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Als letzte Rednerin erhält jetzt die Abgeordnete Petra Bierwirth das Wort.

Petra Bierwirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich kann Sie beruhigen: Wir wollen ebenfalls ein neues Fluglärmgesetz. ({0}) Ich bin auch sehr optimistisch, dass wir uns demnächst an dieser Stelle wiedertreffen und über die Novelle des Fluglärmgesetzes sprechen, ({1}) zumal Sie über den Referentenentwurf, ({2}) den es an und für sich noch gar nicht gibt, schon so gut informiert sind. Ich denke, Sie teilen meine Auffassung dazu. ({3}) Auch wir wissen, dass Lärm inzwischen zu den gravierendsten Umweltproblemen in unserem hoch technologisierten und dicht besiedelten Land gehört. Auch wir wissen, dass durch Lärm verursachte Gesundheitsbeeinträchtigungen, zum Beispiel Schwerhörigkeit, Schlafstörungen und Stresserscheinungen, die Menschen in erheblichem Maße belasten. Das Hauptproblem ist hier nun einmal Verkehrslärm und vor allen Dingen Fluglärm. Neueste Umfragen besagen, dass sich circa ein Drittel der Bevölkerung durch Fluglärm belästigt fühlt. Man muss natürlich auch feststellen, dass der Luftverkehr in Deutschland inzwischen ein bedeutender Verkehrsträger geworden ist. Ich denke, das wissen Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, die Sie nachher sicherlich wieder ins Flugzeug steigen und nach Hause fliegen, am besten. Das Flugzeug gehört heute zu den wichtigsten Transportmitteln im Güter- und Personenverkehr. Der Luftverkehr und die Luftverkehrswirtschaft verzeichnen rasant zunehmende Leistungen. Die Branche ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Deutschland geworden. Aber man muss natürlich klar sagen: Mit diesem Aufwärtstrend gehen höhere Belastungen der Umwelt einher. Richtig ist - das ist heute schon von allen angesprochen worden -, dass das Fluglärmgesetz von 1971 nicht mehr den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung entspricht. Ich verstehe aber gar nicht Ihre Aufregung darüber, dass bisher noch keine Novelle zum Fluglärmgesetz vorliegt. Ich kann mich erinnern, dass Sie hier eine ganze Reihe von Jahren Regierungsverantwortung getragen haben. Mir ist nicht bekannt, dass in Ihren Reihen dieses Problem zum damaligen Zeitpunkt diskutiert worden ist. ({4}) Wir nehmen diese Entwicklungen sehr ernst und diskutieren schon darüber. Wie ich schon gesagt habe, werden wir demnächst über einen konkreten Vorschlag gemeinsam sprechen können. Das Fluglärmgesetz von 1971 entfaltet kaum noch Wirkungen, da die Lärmschutzzonen oftmals kaum über das Flughafengelände hinausreichen. Das hat natürlich auch mit der Entwicklung leiserer Flugzeuge zu tun, durch die der durchschnittliche Lärmpegel, von dem die Größe der Lärmzone abhängt, niedriger ist. Für die Menschen aber, deren Wahrnehmung vom tatsächlich bestehenden Pegel bestimmt wird, ist der Fluglärm mit seiner besonderen Ausbreitungsdynamik nach wie vor eine sehr große Belastung. ({5}) Eine gesetzliche Anpassung an die heutigen Erfordernisse ist aus unserer Sicht dringend erforderlich. Mit der Neufassung des Fluglärmgesetzes soll der Anspruch der Flughafenanwohner auf effektiven Lärmschutz gestärkt werden. Dazu gehört unter anderem - auch das ist heute schon angesprochen worden - eine vorausschauende Siedlungsplanung in lärmbelasteten Bereichen um den Flughafen herum, um zukünftig auch Lärmkonflikten besser vorbeugen zu können. ({6}) Eine Novelle sollte auch eine Ausweitung des Anwendungsbereiches auf weitere Flugplätze vorsehen. Hiermit ist eine Gleichbehandlung materiell vergleichbarer Fluglärmsituationen zu erreichen. Außerdem sind wir der Auffassung, dass auch Flugplätze der Bundeswehr in die Reichweite einer Novelle zum Fluglärmgesetz einbezogen werden sollen. Auch dem Schutz der Nachtruhe müssen wir mit der anstehenden Novellierung besondere Bedeutung beimessen. Zum Beispiel kann die Ausweisung von Nachtschutzzonen den Anforderungen gerecht werden. Unser aller Ziel muss es sein, gesundheitlich bedenkliche Störungen der Nachtruhe zu verhindern. ({7}) In Deutschland als modernem, technisch hoch entwickeltem Land wird das Angebot einer nachhaltigen Mobilität von Mensch und Fracht zukünftig weiter ausgebaut werden müssen. Dazu gehören natürlich wirksame nachhaltige Maßnahmen zur Fluglärmreduzierung, um einen ausreichenden Schutz der Bürger und Bürgerinnen vor unerwünschtem Fluglärm zu gewährleisten. Die Novellierung des Fluglärmgesetzes muss sowohl dem erforderlichen Schutz der Bevölkerung vor Lärm als auch den Bedürfnissen der Betreiber von Flugplätzen gerecht werden. Ich gehe ganz fest davon aus - ich sage das hier noch einmal -, dass wir demnächst gemeinsam an dieser Stelle über die Novelle zum Fluglärmgesetz diskutieren werden. Ich hoffe, wir werden konstruktiv darüber beraten, wie wir diese Ziele erreichen können. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Vielen Dank, auch für die kurze und knappe Rede, bei der Sie uns allen sogar noch ein bisschen Zeit geschenkt haben. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatzpunkt 11 auf: 27 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten ({0}) - Drucksache 15/3930 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten - Drucksache 15/3950 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hier haben die Abgeordneten Bollmann, Wittlich und Homburger sowie der Bundesminister Trittin gebeten, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie da- mit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 15/3930 und 15/3950 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. 1) Anlage 3 Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2004, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.