Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich bekannt, dass der Kollege Ernst Küchler am 15. Oktober
2004 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet hat. Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Martina Eickhoff am 18. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
({0})
Der Kollege Hubert Ulrich hat am 19. Oktober 2004
auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für ihn hat die Abgeordnete Jutta KrügerJacob am 19. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
({1})
Ich begrüße die beiden neuen Kolleginnen herzlich
und wünsche gute Zusammenarbeit.
Sodann gratuliere ich dem Kollegen Reinhold
Hemker, der am 8. Oktober seinen 60. Geburtstag beging, im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.
Die Fraktion der SPD teilt mit, dass die Kollegin Hedi
Wegener als ordentliches Mitglied aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ausscheidet. Nachfolgerin soll die Kollegin Verena Wohlleben werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Wohlleben als ordentliches
Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Kampf um Arbeitsplätze unterstützen, Unternehmenskrisen meistern, Beschäftigungspotenziale erhalten - Restrukturierungsanstrengungen bei Karstadt/Quelle und GM/Opel stärken
({2})
ZP 2 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen - Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern
- Drucksache 15/3600 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stabilitäts- und Wachstumspolitik fortsetzen - Den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt stärken
- Drucksache 15/3957 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll V vom
28. November 2003 zum VN-Waffenübereinkommen
- Drucksache 15/3937 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Entschädigungsgesetzes ({7})
- Drucksache 15/3944 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({8})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/3943 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe
bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
({10})
- Drucksache 15/3966 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({11})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uta
Zapf, Petra Ernstberger, Hans Büttner ({13}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Marianne Tritz, Volker Beck
({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Verhinderung der Proliferation
von Massenvernichtungswaffen durch Abrüstung und kooperative Rüstungskontrolle
- Drucksachen 15/1786, 15/3967 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Marianne Tritz
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings,
Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Patentierbarkeit von
Software begrenzen
- Drucksache 15/3941 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 7 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer der §§ 100 g, 100 h StPO
- Drucksache 15/3349 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
({17})
- Drucksache 15/3971 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Siegfried Kauder ({18})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Rechtsausschusses ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Sibylle
Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Rechtstaatlichkeit der Telefonüberwachung sichern
- Drucksachen 15/1583, 15/3971 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt ({20})
Siegfried Kauder ({21})
Jerzy Montag
Jörg von Essen
ZP 8 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Ukraine nach
der EU-Osterweiterung und vor den Präsidentschafts-
wahlen am 31. Oktober 2004
- Drucksache 15/3958 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Auswärtigen Ausschusses ({22}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Claudia Nolte, Dr. Friedbert Pflüger,
Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Für eine demokratische und
freie Präsidentenwahl 2004 in der Ukraine
- Drucksachen 15/3799, 15/3968 Berichterstattung:
Abgeordnete Jelena Hoffmann ({23})
Dr. Friedbert Pflüger
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernhard SchulteDrüggelte, Peter H. Carstensen ({24}), Dr. Christian
Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Welternährung sichern - Eine globale Verantwortung für
die nationale und europäische Agrarpolitik
- Drucksache 15/3940 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({25})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 10 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({26})
- Drucksache 15/3672 ({27})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum
diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für
Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften ({28})
- Drucksache 15/3919 ({29})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Gesundheit und Soziale Sicherung ({30})
- Drucksache 15/3974 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({31}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Hans Georg Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten
durch sachgerechte Fallpauschalen
- Drucksachen 15/3450, 15/3974 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Verwertung von ElektronikaltPräsident Wolfgang Thierse
geräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten
- Drucksache 15/3950 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({32})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 2 - Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts -, 23 - Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes - und 29 b Modernisierung des Schuldrechts - abgesetzt werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 124. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 15/3640 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({33})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen
Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern
- Drucksache 15/3600 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({34})
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Müller, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut,
dass sich der Bundestag wieder einmal in einer Kernzeitdebatte mit der Umweltpolitik beschäftigt. Ich danke allen, die das beantragt haben.
({0})
In der letzten Zeit war es häufig so, dass wir auf Veranstaltungen - wo auch immer sie stattfanden - gehört haben, die Umweltpolitik sei in den vergangenen 15 Jahren
relevant gewesen; das sei vorbei, da man jetzt andere
Themen habe, und die Ökologie müsse ein wenig zurücktreten. In den letzten Monaten sind wir aber insbesondere aufgrund der Rohstoff- und Energiepreisentwicklung von einer ganz anderen Wirklichkeit eingeholt
worden.
Es gilt im Gegenteil: Die ökologische Frage gewinnt
neue Bedeutung. Sie ist eine der zentralen Zukunftsfragen. Jede Gesellschaft, die die ökologische Modernisierung vorantreibt, wird in Zukunft gute Karten haben.
Wer das versäumt, wird schlecht dastehen.
({1})
Das ist das Wichtigste, was man am Anfang der Debatte
sagen muss.
Herr Paziorek und Frau Homburger, in diesem Zusammenhang hoffen wir, dass die alte Tradition, im Umweltbereich möglichst viel gemeinsam zu machen, in
dieser schwierigen Umbauphase wiederbelebt werden
kann. Das ist notwendig. Die Ökologie ist ein Querschnittsthema, sie ist oft zusätzlich zu der eigentlichen
Entscheidung zu beachten. Deshalb müssen wir in dieser
entscheidenden Zukunftsfrage der Ökologie, wo immer
es geht, ohne falsche Kompromisse zu machen und ohne
Konflikte zu vermeiden, mehr Gemeinsamkeiten haben.
Das ist unser Appell an Sie. In den 90er-Jahren war es
immer ein gutes Zeichen, dass die Opposition, wo immer
es ging, weiter gehende ökologische Positionen eingeklagt hat. Das sollte auch heute der Fall sein. Das ist notwendig, damit unser Land zukunftsfähig bleibt.
({2})
Vor allem auf zwei Feldern wird es für uns sehr wichtig, die Ökologie stärker voranzutreiben. Lassen Sie
mich den ersten Punkt nennen. Wenn man - das klingt
jetzt etwas komisch - das abfließende Wasser in einer
Badewanne beobachtet, dann sieht man in der Regel
über dem Abfluss einen Wirbel. Im ganzen Nordatlantik entstehen in der biologischen und dynamischen
Pumpe des Wasserkreislaufes ebenfalls solche Druckwirbel. In Forschungsergebnissen der NASA ist festgestellt worden, dass sich diese Druckwirbel im Nordatlantik abschwächten.
Es gibt Studien beispielsweise des Goddard Institute,
wonach die Temperatur in unseren Breitengraden dann,
wenn diese Druckwirbel gegen null tendieren, um 4 bis
5 Grad absinken kann. Es ist eine alarmierende Entwicklung, dass sich diese Druckwirbel in den letzten zwei
Jahrzehnten um etwa 25 Prozent, also um ein Viertel, abgeschwächt haben. Wir erleben auf einmal - das ist ein
Michael Müller ({3})
Alarmsignal -, dass die Klimaproblematik, deren Auswirkungen bisher in erster Linie die tropischen und subtropischen Breiten erfahren, auch für Nordeuropa eine
zentrale Herausforderung wird. Die Tatsache, dass der
Druckwirbel nachlässt, ist eines der alarmierendsten Signale dafür, dass das Klimasystem der Welt umkippt.
Lange Zeit zeigten die Wasserkreisläufe nur bedingt
die Klimaveränderungen, weil sie träger reagierten. Jetzt
aber beschleunigt sich dieser Prozess. Wir müssen - darum bitte ich Sie - die Alarmsignale ernst nehmen; denn
wenn dieses System kippt, kann man es kurzfristig nicht
mehr retten. Die Natur ist kein Netz, dessen Löcher man
schnell wieder flicken kann, und schon funktioniert alles
wieder. Wenn dieses Netz reißt, passiert sehr viel mehr.
Die Verantwortung dafür trägt nicht nur eine Partei, sondern die Verantwortung dafür müssen wir als Politiker
gemeinsam übernehmen.
({4})
Im europäischen Bereich ist es inzwischen zu einer
Erhöhung der Temperatur von ungefähr 1 Grad gekommen; die Europäische Umweltagentur geht von
0,95 Grad aus. Sie rechnet mit einer Bandbreite von 1,5
bis 6,3 Grad als Möglichkeit für dieses Jahrhundert. Das
ist besorgniserregend genug. Diesen wichtigen Punkt
muss man einmal klar hervorheben. Wir müssen beim
Klimaschutz die Dynamik und den Ehrgeiz verstärken.
Nationale Klimaschutzpolitik muss ein Markenzeichen
deutscher Politik bleiben und noch verstärkt werden.
Anders geht es nicht.
({5})
Der zweite wichtige Punkt, den ich am Anfang ansprechen möchte, ist die Entwicklung auf den Rohstoff- und Energiemärkten. Sie haben in den letzten
Tagen die Preisentwicklung insbesondere beim Öl erlebt. Im Zusammenhang mit dieser Preisentwicklung
beim Öl müssen wir als industrielle Welt, in der ungefähr 1,3 Milliarden Menschen leben, endlich zur Kenntnis nehmen, dass schon in kurzer Zeit etwa 4 Milliarden
Menschen in dieser industriellen Welt leben wollen. Es
geht einfach nicht, dass ein System, das schon heute unter ökologischen Gesichtspunkten höchst problematisch
ist, auf dreimal so viele Menschen übertragen wird, ohne
dass daraus ökologische Folgen entstehen.
Wir müssen unsere Möglichkeiten zur Gewinnung
von Rohstoffen, Energien und Ressourcen überdenken.
Man kann nicht weiterhin glauben - das resultiert aus
meiner Sicht aus einer falschen Vorstellung der Aufklärung -, dass die Natur ein sich selbst immer wieder neu
regulierendes System ist. Nein, auch die Natur ist ein
System mit Grenzen. Wir müssen diese Grenzen in einer
verantwortlichen Politik vernunftgerecht berücksichtigen. Das bedeutet keine Philosophie eines Rückgangs
des Wachstums, sondern ein qualitatives Wachstum,
Umsteuern also.
({6})
Für die Zukunft ist es ein entscheidender Punkt, dass wir
in dieser Frage die Qualität über die Quantität setzen.
Das ist ökonomisch, beschäftigungspolitisch und sozial
richtig.
Wir begrüßen es sehr, dass das Umweltgutachten
auch eine breite Palette von kritischen Tönen enthält. Es
wäre falsch, wenn das Gutachten keine kritischen Töne
umfasste, die uns anspornen. Kritik ist auch deshalb gut,
weil wir gegenüber den engstirnigen Interessenverbänden zeigen können, dass es andere Positionen gibt; denn
man darf nicht kurzfristig denken. Nein, Ökologiepolitik
ist vor allem langfristig orientiert und muss sich dann im
konkreten Alltag widerspiegeln. Das ist eine Politik, die
viel stärker von uns verfolgt werden muss.
({7})
Die Leitlinie dieser Politik ist Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist trotz der ökologischen Fundierung kein ökologisches Thema.
({8})
Es handelt sich um ein Thema, das in das Zentrum der
Gesellschaftspolitik gehört, weil es ein Integrationsprinzip berührt, das versucht, eine zivilisatorische, eine gesellschaftspolitische Entwicklung abzubilden, die unter
globalen Gesichtspunkten heute verantwortbar ist. Insofern ist Nachhaltigkeit, anders als sie vielleicht noch in
den 90er-Jahren gedacht wurde, in der Zwischenzeit die
wichtigste Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.
({9})
Denn sie macht eine andere Möglichkeit des Fortschreitens von Wirtschaft und Gesellschaft möglich. Der Kern
der Nachhaltigkeit ist ein vernünftiger Umgang mit Zeit
und Raum. Das ist etwas anderes als das, was wir bisher
hatten, als wir vor allem diese beiden Faktoren entweder
maßlos genutzt oder aber alle Raumwiderstände aufgelöst haben.
Bisher war die Umweltpolitik vom Verursacherprinzip, vom Vorsorgeprinzip und vom Kooperationsprinzip
geprägt. Diese drei Prinzipien, die in den 70er-Jahren
entwickelt wurden, werden weiterhin wichtig bleiben.
Aber Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir diese Prinzipien
vor allem durch das Integrationsprinzip ergänzen müssen. Wir müssen erreichen, dass die Ökologie in allen
entscheidenden Politikfeldern fest verankert und der
ökologische Maßstab zum Maßstab von Entscheidungen
in der Außenpolitik, in der Energiepolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Bildungspolitik und wo auch immer wird. Ökologie ist ein entscheidendes Kriterium für
politische Entscheidungen und für politische Verantwortung.
Wir wissen heute, dass wir vor allem in der Ökologie
mit vier großen Herausforderungen umgehen müssen.
Die erste ist das exponentielle Wachstum des Umweltverbrauchs und der Umweltzerstörung. Wenn man eine
Bestandsaufnahme der letzten 500 Jahre macht, dann
wird man feststellen, dass nach 1950 in den großen Systemen Wasser, Luft, Artenvielfalt und Bodenqualität
Michael Müller ({10})
mehr zerstört wurde als in der gesamten Zeit davor. Das
ist ein alarmierendes Signal, vor allem vor dem Hintergrund, dass erst ein Viertel der Welt unter industriellen
Bedingungen wirtschaftet.
Die zweite große Herausforderung der Ökologie ist,
dass vieles erst mit Zeitverzögerung eintritt. Die Folgen
vieler Umweltschäden, die wir heute anrichten, werden
wir erst in der Zukunft sehen. Besonders dramatisch
wird das bei den Wasserkreisläufen sein. Deshalb bedeutet Umweltpolitik immer das Vorwegdenken der Zukunft
und das Einbeziehen von möglichen Folgen in die heutigen Entscheidungen.
Drittens müssen wir wissen, dass viele Umweltprobleme möglicherweise noch gar nicht richtig erkennbar
sind. Wir haben es in hohem Maße mit Unwissenheit
über kumulative Wirkungen, Anreicherungen etc. zu tun.
Viertens. Es ist eine neue Qualität, dass die Ökologieschäden global sind. Das ist etwas ganz anderes als das,
was wir aus der Geschichte kennen. Ich erinnere an die
berühmten Beschreibungen von Homer über die Zerstörung der Baumlandschaft an der türkischen Ägäis und
die Berichte aus dem Mittelalter über die Abholzung im
Mittelmeerraum. Wir haben es heute mit einem globalen
Problem zu tun. Deshalb müssen unsere Antworten eine
andere Qualität haben.
Lassen Sie mich am Ende zwei wichtige Aspekte nennen, warum ich glaube, dass die Ökologie das entscheidende Fortschritts- und Zukunftsmodell ist. Wenn die
zentrale Herausforderung in der Zukunft der Umgang
mit Ressourcen ist, dann sind nicht alle die Wirtschaften
bzw. die Ökonomien gut, die im Zusammenhang mit
Energiesparen über eine Verminderung von Energieeinsatz nur reden und die Effizienz bei der Energieumwandlung nur verbal kennen, sondern diejenigen, die
Einsparungen von Ressourcen, Materialien und Rohstoffen zu einem grundsätzlichen Prinzip machen. Wir wollen die effiziente Wirtschaft. Effizienz heißt nicht nur
Kostensenkung beim Faktor Arbeit, sondern heißt vor
allem Einsparung von Kilowattstunden, von Material
und von Rohstoffen. Effiziente Politik heißt, Produktivität mit intelligenter Produktentwicklung zu verbinden.
Das ist eine riesige Zukunftschance für Europa.
({11})
Der zweite wesentliche Punkt ist: Mit der heraufziehenden Wissensgesellschaft kommt wieder eine Entwicklung auf uns zu, bei der vor allem die Kreativität
des Menschen gefordert ist. Wir kommen weg von der
alten Massenproduktion hin zu intelligenten Lösungen.
Wer dabei gut ist, wird auch im internationalen Maßstab
seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
Wissensgesellschaft heißt Intelligenz in der Produktion und Ökonomie. Sie bedeutet die Stärkung des Menschen und seiner Fähigkeiten. Beides gemeinsam - die
Wissensökonomie auf der einen Seite und die Ressourcenwirtschaft auf der anderen Seite - stellt die große
Chance für unser Land und für Europa auf eine gute Zukunft dar. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, diese
Richtung einzuschlagen.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern“ lautet
die Überschrift des Umweltgutachtens 2004. Diese
Überschrift wirft Fragen auf. Ist die Handlungsfähigkeit
der Umweltpolitik in Deutschland nicht mehr gegeben?
Gibt es in Deutschland eine Blockadesituation in der
Umweltpolitik? Ist in der deutschen Politik eine Zurückhaltung zu verzeichnen, wie es der Sachverständigenrat
in seinem Gutachten auch inhaltlich andeutet?
So fragt der Sachverständigenrat für Umweltfragen,
ob die umweltpolitische Zurückhaltung nur kurzfristig
und einer extrem ungünstigen Konjunkturlage zuzuschreiben sei oder ob sie ein generelles Zurückschrauben
umweltpolitischer Ziele bedeute. Dies ist eine interessante Fragestellung, insbesondere da die Regierungsparteien in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht müde werden,
das falsche Bild einer dynamischen Umweltpolitik dieser Regierung zu zeichnen. Aber die Realität scheint
eine andere zu sein. Ja, die Realität ist eine andere,
meine Damen und Herren!
({0})
Aber zunächst möchte ich im Namen der CDU/CSUBundestagsfraktion den Sachverständigen für dieses
Gutachten danken. Wir teilen nicht alle Aussagen in diesem Gutachten, zum Beispiel hinsichtlich der Forderung,
die Ökosteuer auch weiterhin kontinuierlich aufzustocken. Aber das Gutachten bietet eine klare und fundierte
Analyse der Umweltsituation in Deutschland.
Die Empfehlungen zu den einzelnen Handlungsfeldern geben Anlass zum Nachdenken und Anstöße zur
umweltpolitischen Arbeit. So ist die Aussage des Sachverständigenrates richtig, dass eine langfristige Stabilisierung des Zustands der Umwelt notwendig ist und dass
dieses Ziel auch bei wirtschaftlichen Problemen beibehalten werden sollte. Wir müssen somit auch der Frage
nachgehen, inwieweit Umweltpolitik mithelfen kann, die
wirtschaftlichen Probleme zu überwinden, und zwar dadurch, dass die Umweltpolitik selber effektiver wird und
auf neue, unbürokratische Steuerungsansätze zurückgreift.
({1})
Deshalb muss jede Umweltpolitik zum Ziel haben,
die Schöpfung zu bewahren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes mindern zu helfen.
({2})
Das sind die wirklichen Herausforderungen, vor denen
wir in der Umweltpolitik stehen. Diese Herausforderungen sind Sie, Herr Bundesumweltminister, nicht in der
politischen Breite und mit dem notwendigen Tiefgang
angegangen. Das müssen wir heute leider feststellen.
({3})
Angesichts der Themen, die Sie in den letzten Monaten vornehmlich behandelt haben - Dosenpfand, Atomausstieg und erneuerbare Energien -, bleibt festzustellen: So wichtig die einzelnen Themen, zum Beispiel die
erneuerbaren Energien, auch aus meiner persönlichen
Sicht sind: Ihr umweltpolitischer Politikansatz in den
vergangenen Monaten stellt in Wirklichkeit ein Auslaufmodell der Umweltpolitik dar.
({4})
Sie arbeiten nämlich nur das ab, was als Traditionsthemen rot-grüner Umweltpolitik wichtig erscheint.
Sie haben aber noch nicht erkannt oder wollen es
nicht erkennen, dass die Umweltpolitik selber einem
Modernisierungsprozess mit technologisch innovativen
Potenzialen unterliegt. In den Bereichen, in denen zum
Beispiel vonseiten der Europäischen Union Neuerungen
auf uns zukommen - wie beim Emissionshandel -, verrennen Sie sich in bürokratischen Einzelheiten. Diesen
Vorwurf müssen wir Ihnen machen.
({5})
Ich glaube, auch vor dem Hintergrund des
Umweltgutachtens 2004 kann festgestellt werden: Die
Bilanz Ihrer Umweltpolitik ist ernüchternd, Herr Bundesumweltminister. Ihre Politik ist einseitig. In den verschiedensten Bereichen haben Sie es schlichtweg versäumt, entscheidende neue Impulse zu geben.
({6})
Dies schreibt Ihnen auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten ins Stammbuch. So sieht er die Ökosysteme von Nord- und Ostsee durch die Vielzahl von
Belastungen, zum Beispiel durch den Eintrag von
Schadstoffen, als ernsthaft gefährdet an.
Die Bilanz beim Lärmschutz wird als ungünstig bezeichnet. So haben die Lärmbelastung und -belästigungen in den vergangenen Jahren sogar zugenommen.
In der Abfallpolitik konnten keine Durchbrüche erzielt werden. Dies gilt sowohl für das Abfallaufkommen
als auch für den Rohstoffverbrauch. Wo ist die große
Wende in diesem Bereich? So fehlen zum Beispiel noch
in erheblichem Umfang Vorbehandlungskapazitäten, um
die unvorbehandelte Ablagerung bis 2005 einstellen zu
können.
Die wachsende Inanspruchnahme von Flächen durch
Siedlungen und den Verkehr bleibt - so das Gutachten ein ungelöstes Problem, ebenso wie die Bodenbelastung
durch Schadstoffeinträge oder Altlasten. Die nachhaltige
Nutzung der biologischen Vielfalt ist auch dadurch erschwert - ich zitiere nur aus dem Umweltgutachten -,
dass
eine strategische Orientierung in der Naturschutzpolitik im Sinne einer nationalen Biodiversitätsstrategie bislang nicht vorliegt.
Dies sind die umweltpolitischen Felder, auf denen
großer Handlungsbedarf besteht und auf denen weitere
Anstrengungen notwendig sind. Herr Bundesumweltminister, Sie haben diese Felder aber einfach links liegen
gelassen. Das ist ein großer Fehler Ihrer Umweltpolitik.
({7})
Dies wird offensichtlich auch von der Bevölkerung so
gesehen. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage des
Emnid-Instituts im Auftrag des „Greenpeace Magazins“ erhält die Bundesregierung für ihre Umweltpolitik
gerade einmal die Schulnote 3,8 und der Bundesumweltminister die persönliche Note 3,9. Interessant ist ebenfalls, dass im Rahmen dieser Umfrage 89 Prozent der
Befragten große Umweltprobleme in den Bereichen
Wasser, Boden und Luftverschmutzung sehen, also in all
denjenigen Bereichen, in denen Ihre Umweltpolitik in
den letzten Jahren weggetaucht ist, in denen Sie nichts
angepackt haben, vielleicht weil Sie selbst erkannt haben
- das gebe ich zu -, wie schwierig diese Felder sind.
Aber so zu tun, als ob es ausreichend wäre, einige
Schwerpunkte der Umweltpolitik anzugehen, statt eine
wirklich umfassende Umweltpolitik zu machen, ist
falsch. Das können wir nicht akzeptieren. Ihre Umweltpolitik ist in vielen Teilbereichen leider weggetaucht.
({8})
Herr Bundesumweltminister, der entscheidende Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen, ist, dass Sie vom
Instrumentenansatz her nicht den Versuch unternehmen,
eine wirklich moderne Umweltpolitik zu betreiben. Das
beginnt schon damit, wie Sie sich zu den vorhandenen
Konflikten - das bestreitet niemand - grundsätzlich positionieren. Herr Müller hat gerade von der Nachhaltigkeit und davon gesprochen, dass Ökonomie, Ökologie
und Soziales zusammengehören und dass es hier Konflikte gibt, die man austarieren muss. Das alles ist zwar
richtig. Aber nach unserer Auffassung ist Ihre Positionierung in Bezug auf die Umweltpolitik als totaler Gegensatz zur Ökonomie - auch in der öffentlichen Wahrnehmung - falsch. Wer Umweltpolitik von vornherein so
positioniert und nicht den Versuch macht, durch entsprechende öffentliche Darstellung einen Beitrag zur Aussöhnung von Ökologie und Ökonomie zu leisten, der
positioniert die Umweltpolitik falsch. Das ist ein ganz
zentraler Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen.
({9})
Sie kommen durch ständige Schuldzuweisungen an die
Wirtschaft im Umweltschutz nicht weiter.
Was brauchen wir? Wir brauchen in Deutschland endlich eine Umweltpolitik, die dem Grundsatz der Effizienz gerecht wird.
({10})
- Herr Beck, mit Ihrer Lautstärke dringen Sie mit Ihrem
Zuruf nicht zu mir durch. Ich habe ihn akustisch leider
nicht verstanden. Aber Sie können ja eine Zwischenfrage stellen. Ich freue mich über jede Zwischenfrage.
({11})
Herr Müller, Sie haben zum Beispiel gefordert, dass
Regierung und Opposition gemeinsame Positionen erarbeiten sollten.
({12})
- Gut, einen Grundkonsens. - Ich kann Ihnen sagen: Es
gibt vielleicht die Möglichkeit, gemeinsame Positionen
zu erarbeiten. Dabei denke ich zum Beispiel an die Diskussion in den letzten Tagen darüber, ob wir gemeinsam
eine Initiative zur Verbesserung der Exportchancen der
erneuerbaren Energien starten sollen. Darüber können
wir durchaus gemeinsam nachdenken.
({13})
In dieser Frage muss es doch nicht zu einem ideologischen Diskurs über Grundsatzpositionen kommen. Ich
bin zwar bereit, hier gemeinsame Positionen mitzutragen. Aber der entscheidende Punkt ist, welche Instrumente wir in einer schwierigen Situation für die Umweltpolitik einsetzen, die gleichzeitig der Erreichung der
umweltpolitischen Ziele - das ist weiter als wichtig zu
erachten - und der Stärkung der Wachstumskräfte in diesem Land dienen. Umweltpolitik muss auch Bestandteil
einer Modernisierungspolitik in Deutschland sein. Das
ist doch der entscheidende politische Ansatz.
({14})
Dafür gibt es zwar Chancen. Die entscheidenden Fragen
sind aber: Wo geht die Regierung hier voran? Wo gibt es
wirklich neue Instrumente? Wir müssen leider feststellen, dass die Bilanz der Regierung in dieser Hinsicht
schlecht ist. Die Regierung ist hier nicht auf der Höhe
der Zeit. Das kann man nur mit großem Bedauern feststellen.
({15})
Wir verfügen in Deutschland über ein großes Wissen
in der Umwelttechnik. Deutsche Unternehmen haben
sich in diesem Bereich große Kompetenzen erarbeitet
und sind weltweit führend. Genau hierin liegen große
Chancen und ein ungeheures Innovationspotenzial für
unser Land. Schaue ich mir mit Blick auf die Industriestaaten, insbesondere aber mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer den großen weltweiten Bedarf an Umwelttechnik an, sehe ich hier ein erhebliches
Wachstumspotenzial für unser Land und die heimische
Wirtschaft.
Es wird uns aber nur gelingen, diese Chancen zu nutzen, wenn wir die Rahmenbedingungen vernünftig setzen und auch in der Umweltpolitik die Initiativen des
Einzelnen - des Mittelstandes und des einzelnen Unternehmers - besser berücksichtigen. Warum können wir in
Deutschland nicht dazu übergehen, stärker als bisher
freiwilliges umweltfreundliches Verhalten zu honorieren? Als Grundsatz muss gelten, dass sich freiwilliges
umweltfreundliches Verhalten lohnen muss. Warum werden unsere gesetzlichen Bestimmungen nicht dahin gehend geprüft, ob nicht ein Unternehmer, ein Mittelständler, der freiwillig mehr macht, als durch rechtliche
Bestimmungen vorgegeben ist - etwa bei seinen Berichtspflichten, die ihm nach den umweltrechtlichen Vorschriften auferlegt sind, oder bei ganz bestimmten Freistellungstatbeständen; sagen Sie nicht, dass es so etwas
nicht gebe; ich könnte Ihnen genügend Beispiele nennen -, dort, wo es möglich ist, belohnt werden kann?
Wer freiwillig mehr macht, könnte zum Beispiel dadurch
belohnt werden, dass er von bürokratischem Aufwand
entlastet wird.
({16})
Auf diese Weise würden Anreize in die Umweltpolitik eingebaut; dies wäre ein intelligenter Weg, um die
Umweltpolitik in der täglichen Auseinandersetzung mit
Wirtschaft und Mittelstand attraktiver zu machen. Es
reicht einfach nicht aus, solche Initiativen in einem Informationsblatt des Bundesumweltministeriums lobend
zu erwähnen, auch wenn dies schön und wichtig ist. Auf
Dauer muss von der Umweltpolitik das Signal kommen,
dass derjenige belohnt wird, der sich besonders umweltfreundlich verhält.
Wir brauchen ein unbürokratisches und flexibles Umweltrecht. Deshalb benötigen wir auch einen neuen Ansatz für das Umweltgesetzbuch. Ferner haben wir die
ebenfalls in dem Gutachten angesprochene spannende
Frage zu beantworten, welche Zuständigkeiten im Hinblick auf die Umweltpolitik künftig im Rahmen des Föderalismuskompromisses gelten werden. Hier muss eine
vernünftige Aufteilung der Kompetenzen im Umweltrecht das oberste Ziel sein. Außerdem muss das deutsche
Umweltrecht schlanker und transparenter gestaltet werden.
Für einen Umweltminister wäre es eine lohnende
Aufgabe, deutlich zu machen, wie man sinnvolle Anreize für eine gute Umweltpolitik geben kann, anstatt
laufend Schlagzeilen mit der Überschrift zu produzieren,
die Wirtschaft habe versagt. Machen Sie endlich Umweltpolitik in einem positiven Sinne! Nehmen Sie die
Menschen mit, zeigen Sie ihnen, dass es sich lohnt, für
Umweltschutz zu arbeiten! Damit könnten Sie einen großen Erfolg für die Umweltpolitik erzielen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Ich erteile Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Paziorek, Sie haben mir eben viele Felder vorgeschlagen, die ich anpacken sollte, damit Sie, wenn ich es täte,
dagegen sein könnten. Insofern war dies kein hilfreicher
Beitrag.
({0})
Sie haben zu Recht auf das Motto des Gutachtens
hingewiesen: „Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern“. Will man die Handlungsfähigkeit der Umweltpolitik sichern, muss man als Erstes vorhandene
Erkenntnisse in Politik umsetzen. Wenn man beispielsweise erkennt, dass wir in Deutschland zu viel Fläche
verbrauchen und zugleich einen Wohnungsleerstand mit
steuerfinanziertem Abriss bekämpfen, dann ist es sinnvoll, eine umweltpolitisch kontraproduktive Subvention
wie die Eigenheimzulage endlich abzubauen.
({1})
Damit, dass Sie gegen den Abbau dieser Subvention
sind, belegen Sie, dass Sie umweltpolitisch nicht handlungsfähig sind.
Sie sprechen davon, Subventionen abbauen zu wollen. Zur gleichen Zeit muss ich lesen, dass ausgerechnet
der FDP-Abgeordnete Goldmann dafür plädiert, den Abbau der Subventionierung des Agrardiesels rückgängig
zu machen oder diese Subvention gar noch zu erhöhen.
({2})
Angesichts dessen kann ich nur sagen, dass es mit Ihrer
umweltpolitischen Handlungsfähigkeit nicht weit her ist,
meine Damen und Herren.
({3})
Will man umweltpolitisch handlungsfähig sein, muss
man auch schwierige Probleme beherzt anpacken. In der
Richtung haben Sie sich ja nicht sehr bewegt, Herr
Paziorek. Wir haben 1999 den Anstoß für eine neue
Chemikalienpolitik innerhalb der Europäischen Union
gegeben. Bis heute werden Zehntausende von Altstoffen
ungeprüft in Verkehr gebracht. Lesen Sie einmal nach,
was der Sachverständigenrat dazu sagt! Er sagt - wörtliches Zitat -: Die alte Chemikalienpolitik ist ein Großexperiment mit Mensch und Natur. - Wir wollen dieses
Großexperiment mit einem vereinfachten Verfahren beenden, nach dem alle Chemikalien, alte wie neue, registriert werden und besonders gefährliche Stoffe entsprechend autorisiert werden, und zwar nach strengen und
klar definierten Maßstäben.
Mit dieser Position unterstützt der Sachverständigenrat die Linie, die die Bundesregierung zusammen mit der
chemischen Industrie und der Chemiegewerkschaft vertreten hat, nämlich für ein neues, umweltpolitisch ambitioniertes, aber auch schlankes Chemikalienrecht. Dazu
gehören solche Projekte wie die Umsetzung des Prinzips
„ein Stoff - eine Registrierung“. Das ist nicht nur gut,
weil es Tierversuche vermeidet, sondern das ist auch
deshalb gut, weil es ein ganz wesentlicher Schritt ist,
Bürokratie im neuen Chemikalienrecht abzubauen.
({4})
- Das ist relativ einfach. Wenn ein Stoff nur einmal getestet wird, vermindert das den Aufwand. Wenn der gleiche Stoff zehnmal getestet wird, hat man den zehnfachen
Aufwand. Einfacher geht Bürokratieabbau nicht, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
Ein anderes Beispiel. Wenn man heute nicht nur Erbgut verändernde und Krebs erzeugende, sondern auch
schwere Allergien erzeugende und chronisch toxische,
also hoch giftige Stoffe einer Autorisierung unterwirft
- das vertreten die Chemieindustrie und auch die Bundesregierung -, dann sorgt man nicht nur dafür, dass
mehr für Gesundheit und Umweltschutz getan wird, sondern dann reduziert man selbstverständlich auch volkswirtschaftliche Kosten, die durch chronische und
schwerste Erkrankungen entstehen.
Neben dem Anpacken solch schwieriger Probleme
heißt umweltpolitische Handlungsfähigkeit aber auch,
die eigenen Instrumente zu überprüfen; da stimme ich
Ihnen voll und ganz zu, Herr Paziorek. Dann lesen Sie
aber auch einmal nach, was der Sachverständigenrat
über die freiwilligen Selbstverpflichtungen sagt. Er
sagt, das sei an vielen Stellen nichts anderes als business
as usual. Das ist ein Instrument, das einer ganz genauen
Überprüfung bedarf. Es gibt gute Beispiele wie die
Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Fluorkohlenwasserstoffe. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass eine
Selbstverpflichtung schlicht und ergreifend versagt hat.
Eine dieser Selbstverpflichtungen mussten wir gerade
zusammen mit der CSU in Bayern - dafür bedanke ich
mich ausdrücklich - korrigieren, nämlich die Selbstverpflichtung der deutschen Getränkeindustrie, 72 Prozent
Mehrwegverpackungen zu erreichen. Man ist bei fast
50 Prozent gelandet. Deshalb war es an der Zeit, dazu
eine vernünftige Regelung zu finden. Dafür, dass jetzt
eine vereinfachte Regelung gefunden wurde, danke ich
der Bayerischen Staatsregierung.
({5})
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie werden
dann die Chance haben, Herrn Stoiber zu widerlegen.
Herr Stoiber hat nämlich gesagt, die CDU müsse aufhören, im Bundestag ständig Umweltpolitik zu blockieren.
Bei der Abstimmung über den Kompromiss des Bundesrates zu einer einfachen Pfandregelung haben Sie,
meine Damen und Herren von der CDU, also alle Chancen, Herrn Stoiber zu widerlegen.
({6})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Bitte, bitte.
Vielen Dank, Herr Minister. - Herr Minister, Sie sprachen gerade das Dosenpfand an, wie es im Volksmund
genannt wird. Die EU-Kommission hat übrigens eine
eigene Meinung dazu. Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer Vereinfachung. Als Arbeitsmarktpolitiker versuche ich, mich da hineinzudenken; die Umweltpolitiker haben ja ein sehr komplexes Themenfeld
zu bearbeiten.
Können Sie mir erklären, was es für den Verbraucher
einfacher macht, zu erkennen, wann Pfand zu zahlen ist
und wann nicht,
({0})
wenn zum Beispiel für einen Fruchtsaft, beispielsweise
Orangensaft, kein Pfand notwendig ist, aber für ein
Fruchtsaftgetränk, beispielsweise Orangensaft mit Kalzium, vom gleichen Erzeuger, in der gleichen Flasche,
Pfand notwendig ist? Ich verstehe nicht, was daran eine
Vereinfachung ist.
({1})
Lieber Herr Niebel, ich kann mir auch noch einfachere Regelungen vorstellen. Wenn Sie die Position der
Bundesregierung dazu betrachten, dann müssen Sie feststellen: Die von ihr vorgesehene Regelung war noch einfacher.
Wenn Sie die jetzige Regelung aber mit dem Rechtszustand, den die FDP mit Frau Merkel und Herrn Kohl
herbeigeführt hat, vergleichen, so sehen Sie die Vereinfachung ganz klar. Nach Ihrem Recht gab es eine Unterscheidung zwischen Mineralwasser mit und ohne Sprudel. Diese Differenzierung haben wir abgeschafft.
({0})
- Doch, es ist so. Herr Kollege Girisch, die bisherige
Rechtslage ist, dass Mineralwasser mit Sprudel bepfandet ist und Mineralwasser ohne Sprudel nicht bepfandet
ist. Diese Unterscheidung haben wir gemeinsam abgeschafft. Seien wir froh darüber!
({1})
- Nein, ich beantworte Ihre Frage noch. Danach dürfen
Sie sich setzen. Ich bin immer noch dabei, Ihre Frage zu
beantworten. Immer mit der Ruhe!
({2})
Nach Ihrem Recht war Coca-Cola mit Schnaps pfandfrei, während Coca-Cola ohne Schnaps bepfandet war.
Auch das haben wir abgeschafft.
({3})
Ich bin ganz froh, dass die FDP für weitere Vereinfachungen beim Pfand eintritt. Wir alle sind froh darüber,
wenn Sie sich an solchen Vereinfachungen beteiligen.
Aber die erste Voraussetzung ist, Herr Niebel, dass Sie
den Unsinn, den Sie 1998 an dieser Stelle angestellt haben, mit uns endlich gemeinsam beseitigen. Wenn das
geschieht, dann sind wir wirklich auf einem vernünftigen Wege und dann reden wir über weitere Vereinfachungen.
({4})
Jetzt dürfen Sie sich setzen.
Umweltpolitik und umweltpolitische Handlungsfähigkeit beweist man im Übrigen auch durch Beharrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen - Michael Müller hat darauf hingewiesen -, dass sich das globale Klima nicht
um mehr als 2 Grad Celsius erwärmt. Eines ist nach dieser Sturmsaison in Japan, in Florida doch unübersehbar:
Nichtstun beim Klimaschutz ist schlicht und ergreifend
unverzeihlich. Ich höre immer wieder Argumente, wie
teuer Klimaschutz sei. Allein die vier Tornados dieses
Jahres haben in Florida mehr als 25 Milliarden US-Dollar Schaden angerichtet. Am teuersten käme es uns zu
stehen, beim Klimawandel nichts zu tun.
({5})
Ich bin deswegen so froh, dass es gelungen ist, dass
das Kioto-Protokoll demnächst in Kraft gesetzt wird.
Mit der Ratifizierung wird dieser Deckel auf die globale
Erwärmung völkerrechtlich verbindlich. Das ist ein Erfolg europäischer Beharrlichkeit. Ich sage dem Bundeskanzler Danke schön, der sich an dieser Stelle wirklich
mit Nachdruck und Beharrlichkeit bei Russland dafür
eingesetzt hat, dass es diesen Weg der Völkergemeinschaft mitgeht.
({6})
Dies ist aber nur der Anfang. Wir müssen diesen Weg
auf der nächsten Klimakonferenz in Buenos Aires weitergehen. Klimaschutz ist eine langfristige Aufgabe. Wir
müssen unsere Verpflichtungen erfüllen. Wir müssen
mehr Staaten - gerade diejenigen, die pro Kopf sehr viel
Treibhausgase emittieren - einbeziehen und wir müssen
weiterhin unsere Rolle spielen, indem wir uns neue Ziele
setzen. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, dass
Deutschland bis 2020 40 Prozent seiner Treibhausgasemissionen einspart, wenn sich die EU zu einer Reduktion von 30 Prozent in diesem Zeitraum verpflichtet.
Ich komme zum Schluss. Umweltpolitische Handlungsfähigkeit gewinnt man unter anderem dadurch,
dass man beim Klimaschutz, beim Umweltschutz und
bei einer Politik der Nachhaltigkeit den Mut zu einer
Vorreiterrolle hat. In diesem Sinne danke ich dem Sachverständigenrat, der uns in dieser Auffassung nachdrücklich unterstützt hat.
({7})
Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen heute in der Tat in der Kernzeit über ein umweltpolitisches Thema. So haben auch Sie, Herr Kollege
Müller, am Anfang hier gesagt, man müsse die Aktivitäten in der Umweltpolitik einmal wieder in den Mittelpunkt stellen. Schön wäre es, wenn Sie das wirklich aktiv betrieben hätten. Tatsache ist doch, dass Sie die
Reform des Energiewirtschaftsrechts, das heute Morgen
hier in der Kernzeit hätte beraten werden sollen, nicht
fertig bekommen haben. Sie haben sich dann gefragt,
was zu tun wäre, und haben das Umweltgutachten 2004
auf die Tagesordnung gesetzt. Das lag nämlich vor; das
haben schließlich andere geschrieben, das haben Sie
nicht selber machen müssen. Das entspricht meines Erachtens nicht der Schwerpunktsetzung in der Umweltpolitik, von der Sie in Ihrer Rede gesprochen haben.
({0})
Ich kann nur sagen, dieses Gutachten, das über
600 Seiten umfasst, gibt wirklich eine sehr umfassende
Darstellung der Umweltpolitik. Man müsste sich auch
eine ganze Reihe von Dingen noch genauer anschauen,
die man hier heute Morgen gar nicht so detailliert behandeln kann. Es finden sich aber auch einige Punkte wieder, die auch in der politischen Diskussion Schwerpunkte darstellen. Deshalb wäre es, Herr Kollege Müller,
schon angebracht gewesen, nicht Grundsatzdiskussionen
über die weltpolitische Lage zu führen, sondern zu sagen, wie Sie diese Themenfelder, die hier angesprochen
wurden, politisch umsetzen und wie Sie insgesamt den
Umweltschutz verbessern wollen. Das haben Sie heute
Morgen versäumt.
({1})
Im Zusammenhang mit der Klimapolitik möchte ich
Ihnen ganz klar sagen, dass es eine Gemeinsamkeit bezüglich des Ziels gibt, aber nicht über den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Deswegen sollten Sie, bevor Sie uns hier auffordern, gemeinsam etwas zu tun,
zuerst einmal über Konzepte nachdenken und darüber,
wie was vernünftig umgesetzt werden kann.
Schauen wir uns einmal an, was der Sachverständigenrat zur Zielsetzung der Umweltpolitik sagt: Er
schreibt Ihnen, Herr Umweltminister Trittin, ins Stammbuch, dass das ursprünglich beschlossene nationale Ziel
der Reduktion der Treibhausgasemissionen um
25 Prozent verfehlt wurde.
({2})
Sie haben alle Warnungen ungehört verhallen lassen.
Wir haben Sie mehrfach aufgefordert, auf ein effizientes
Instrument zurückzugreifen, nämlich den Emissionshandel. Jetzt wird es gemacht, aber nur deshalb, weil die
Europäische Union es uns vorschreibt, und Sie tun es
dazu noch halbherzig und bürokratisch. Herr Kollege
Paziorek hat zu Recht schon auf diesen Punkt hingewiesen. Darüber hinaus verhalten Sie sich auch noch widersprüchlich: Sie führen zwar zum 1. Januar nächsten Jahres den Emissionshandel ein, der vom Instrument her
eine Zielerreichung garantiert, behalten aber alle anderen ordnungsrechtlichen Instrumente von der Ökosteuer
über das KWK-Gesetz bis hin zum EEG bei.
({3})
Das zeigt doch ganz klar: Sie wollten das Instrument
nicht und vertrauen ihm nicht. Sie arbeiten mit Netz und
doppeltem Boden. Das ist nicht das, was wir brauchen.
Vielmehr brauchen wir effizienten Umweltschutz.
({4})
Dasselbe gilt doch auch für die Nutzung der flexiblen
Instrumente des Kioto-Protokolls. Wir könnten unglaublich viel für den Klimaschutz erreichen, wenn wir
endlich diese flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls
in Deutschland zulassen würden. Das haben Sie ebenfalls versäumt. Auch die Linking Directive ist noch nicht
umgesetzt. Wir handeln erst wieder aufgrund europäischer Richtlinien.
({5})
Es hätte uns gut getan, zuzulassen, dass auch Minderungen der Emissionen, die deutsche Firmen durch Investitionen in den Klimaschutz im Ausland erzielen, in
Deutschland angerechnet werden; denn mit 1 Euro können sie im Ausland deutlich mehr erreichen als in
Deutschland. Das Klima ist nun mal eine globale Erscheinung und nicht etwas, was hier in Deutschland allein zu regeln ist. Deswegen fordern wir Sie auf, solche
Anrechnungsverfahren endlich auch in Deutschland zuzulassen.
({6})
Ich finde es schon bemerkenswert, dass die beiden
Protagonisten, die Herren Trittin und Müller, es vorziehen, miteinander zu schwätzen, wie man im Süddeutschen sagt, anstatt der Debatte zu folgen. Umgekehrt erheben sie aber immer den Anspruch, dass man
miteinander etwas ordentlicher umgehen sollte. Sie
könnten jetzt ein Zeichen dafür setzen.
({7})
Herr Minister Trittin, Sie haben in Ihrer Rede bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem Thema
Agrardiesel den Subventionsabbau angesprochen.
Dazu möchte ich Ihnen vor dem Hintergrund, dass unsere deutsche Landwirtschaft sich im internationalen
Wettbewerb behaupten muss, eines sagen: In Frankreich
wird gerade zu dieser Zeit die Steuer auf den Agrardiesel
von 5,7 auf 2 Cent je Liter gesenkt. In Deutschland dagegen wird sie von 25 auf 40 Cent je Liter erhöht.
({8})
Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Mit dieser Maßnahme werden Sie nicht nachhaltig die klimapolitischen
Ziele in Deutschland erreichen,
({9})
sondern die Landwirtschaft in Deutschland weiter
schwächen und kaputtmachen.
({10})
Um das eigene Versagen in der Klimapolitik zu vertuschen, haben Sie im Koalitionsvertrag 2002 selber ein
neues Ziel proklamiert, das Sie zum Ende Ihrer Rede
hier angesprochen haben; es ist bemerkenswert, dass Sie
sich das nach dem Gutachten des Sachverständigenrates
überhaupt noch trauen. Sie haben nämlich beschlossen,
dass man, wenn die EU bereit wäre, die Treibhausgase
bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent zu
senken, in Deutschland eine Reduzierung um 40 Prozent
erreichen wolle. Ich sage Ihnen einmal, was der Umweltrat dazu geschrieben hat: dass dies eine Diskreditierung
eines zielorientierten Umweltpolitikansatzes und die
Diskreditierung der Glaubwürdigkeit noch anspruchsvollerer Zielvorgaben sei.
({11})
Genau so ist es, Herr Minister Trittin. Das, was Sie
hier machen, ist für mich nichts anderes als versuchte
Volksverdummung. Das wird man Ihnen nicht abnehmen; ernsthafte Umweltpolitik sieht anders aus.
({12})
Ich verstehe, dass Sie die Ratschläge der FDP
ungerne hören. Vielleicht können Sie sich stattdessen die
Ratschläge Ihres eigenen Sachverständigenrates anschauen, in denen sich viele unserer Positionen zur Energiepolitik, zur Abfallpolitik, zur Energiespeicherforschung, zum Lärmschutz oder auch zur Ökosteuer
- auch bei der Ökosteuer ist die Linie von Rot-Grün
nicht so klar übernommen - wiederfinden, die wir immer wieder vorgetragen haben. Zu all diesen Themen hat
der Sachverständigenrat deutliche Hinweise gegeben.
Ich möchte noch etwas zu dem Schwerpunkt Energiepolitik sagen. Wenn wir den erneuerbaren Energien
in Deutschland eine große Zukunftschance geben wollen, dann müssen wir auf der einen Seite den Export fördern; das täten wir über die flexiblen Mechanismen des
Kioto-Protokolls. Zum anderen sollten wir die Energiespeicherforschung voranbringen. Wenn wir es schaffen
würden, Energien, die jetzt nur zeitweise zur Verfügung
stehen, wie beispielsweise die Windenergie, dauerhaft zu
speichern und damit grundlastfähig zu machen, dann
wäre das ein großer Fortschritt im Bereich der erneuerbaren Energien.
Wir haben im Rahmen des Haushalts und auch mit einem eigenen Antrag die Förderung der Speichertechnologie und eine Aufstockung der Mittel dafür gefordert.
Wir haben im Übrigen auch einen Gegenfinanzierungsvorschlag dafür gemacht. Sie haben all diese Anträge abgelehnt. Wenn so weitergemacht wird, kommen wir
nicht voran. Die technischen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden und es muss innovativ gedacht werden. Das wollen wir und das unterscheidet uns.
({13})
Zum Thema Abfallpolitik, Herr Minister Trittin,
gäbe es viel zu sagen. Die Abschaffung der Gewerbeabfallverordnung würde - da stimmt uns der Sachverständigenrat tatsächlich zu; das wird Sie nicht besonders erfreuen - umweltpolitisch keinerlei Nachteile bringen,
aber einen großen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten.
Was das Zwangspfand angeht, Herr Minister Trittin,
kommen Sie permanent mit den alten Argumenten. Sie
müssen sich endlich einmal vor Augen halten, dass im
Jahr 2000 eine entscheidende Wende erfolgt ist, weil wir
seither neue Ökobilanzen haben. Seither fordert die FDP
eine Neuorientierung, eine einfache, bürgerfreundliche
Lösung. Dem haben Sie sich die ganze Zeit störrisch
widersetzt. Jetzt haben Sie eine europarechtswidrige
Novelle nicht nur im Bundesrat beschließen lassen, sondern auch noch übernommen. Das ist Unsinn und bringt
keine Rechtssicherheit. Wir wollen in diesem Bereich
eine einfache Regelung, die vor allem Rechtssicherheit
für die Betroffenen bringt. Die brauchen wir, wenn wir
die Investitionen fördern wollen.
({14})
Zusammenfassend möchte ich klarstellen, dass es in
allen Bereichen, die angesprochen wurden, unter der
Verantwortung von Rot-Grün mehr Bürokratie und weniger Wettbewerb gibt. Damit haben Sie aber nicht unbedingt mehr umweltpolitische Handlungsfähigkeit
erreicht. Wenn Sie die umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern wollen, dann müssen Sie auch in der Umweltpolitik Wettbewerb zulassen. Dann müssen Sie
auch in diesem Bereich dafür sorgen, dass effizienter gearbeitet wird, weil damit erstens die Kosten für die Arbeitsplätze reduziert werden und zweitens die Bereitschaft der Bevölkerung, Umweltpolitik zu akzeptieren,
erhalten bleibt und ausgebaut wird. Das erreicht man nur
mit vernünftigen Regelungen und Kostenreduktion auch
im Umweltschutzbereich. Ich will ein hohes materielles
Umweltschutzniveau. Wir alle, die wir auf dem Gebiet
der Umweltpolitik arbeiten, wollen dies. Aber ich
möchte auch, dass die Umweltpolitik effizient, wettbewerblich und vor allen Dingen unbürokratisch organisiert wird. Daran sind Sie, Herr Trittin, gescheitert. Genau darüber wird es in den nächsten zwei Jahren in
diesem Parlament eine Auseinandersetzung geben.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegin Astrid Klug, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Umweltgutachten 2004, das wir heute diskutieren, offenbart Licht und Schatten in der Umweltpolitik. Aber wen
wundert’s?
Mit der ökologischen Steuerreform, der Modernisierung des Naturschutzrechtes, dem Ausstieg aus der
Atomenergie und dem konsequenten Einstieg in die Förderung erneuerbarerer Energien haben wir in Deutschland in den letzten Jahren wichtige Weichen für die ökologische Modernisierung gestellt, und das oft gegen
den nicht unerheblichen Widerstand der Opposition und
von Teilen der Wirtschaft.
({0})
Aber der Sachverständigenrat beklagt zu Recht - wir
Umweltpolitiker spüren es jeden Tag; das gilt genauso
für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der FDP -, dass Zukunftsvorsorge schwerer durchzusetzen ist in Zeiten, in denen Menschen um ihre Arbeitsplätze bangen und in denen Unternehmen, die teilweise ihre Managementhausaufgaben nicht gemacht
haben, ihre Verantwortung für den Standort Deutschland
aufgeben und aus Gründen kurzfristiger Gewinnmaximierung - das langfristige Denken, auch das wirtschaftliche Denken, tritt dabei in den Hintergrund - ihre Zelte
am liebsten dort aufschlagen, wo Menschen zu
Niedrigstlöhnen beschäftigt werden können, wo es keine
Arbeitsschutzbestimmungen und keinen Immissionsschutz gibt. Aber ohne Immissionsschutzgesetze und
entsprechende Regelungen, die die Politik vorgibt, wird
die Luft verpestet. Dadurch werden die Menschen krank
und wird die Qualität des Klimas, das unsere Kinder und
Enkel einmal vorfinden werden, aufs Spiel gesetzt. In einem unkontrollierten globalisierten Markt kann die
Unternehmen offensichtlich niemand daran hindern. So
ist die Methode „Erpressung“, die in diesem Umweltgutachten beklagt wird und die zulasten der Umwelt und auf
Kosten der nächsten Generationen angewandt wird, zu
einem zweifelhaften Spiel in der Politik geworden.
({1})
Herr Dr. Paziorek, wir brauchen deshalb ein Mehr an
Politik und nicht weniger Politik. Das Gutachten macht
Vorschläge für neue Steuerungskonzepte in der Umweltpolitik und betont zu Recht die finale Verantwortung und
die Garantiefunktion der Politik in einem demokratischen Rechtsstaat; denn nur sie hat die Verpflichtung,
auf das Allgemeinwohl zu achten, Zukunftsvorsorge zu
betreiben und auch an die nächsten Generationen zu denken.
({2})
Mehr Politik heißt aber nicht automatisch mehr Bürokratie und mehr Gesetze. Politik heißt: klare, verlässliche Vorgaben und auch den Mut zur Vorreiterrolle, der
international verbindliche Regeln folgen. Ziel muss also
sein, Probleme wie Luft- und Gewässerverschmutzung
gar nicht erst entstehen zu lassen. Dann braucht man
auch keine komplizierten Gesetze und Verordnungen,
um sie zu beseitigen.
({3})
Der Sachverständigenrat befürchtet zu Recht ein generelles Zurückschrauben umweltpolitischer Ziele in der
nationalen und in der europäischen Politik. In diesem
Sinne sind auch so manche aktuellen Tendenzen in der
derzeitigen Föderalismusdebatte kontraproduktiv für
den Umwelt- und Naturschutz. Wer aufmerksam beobachtet, wie die Bundesländer ihre Landesnaturschutzgesetze der Rahmengesetzgebung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes anpassen, der kann sich über das breite
Spektrum der Interpretationsfreude in den Ländern nur
wundern. Während sich einige Länder ernsthaft um eine
konstruktive und sachdienliche Umsetzung der vorgegebenen Ziele bemühen, wollen andere in erster Linie
durch die Hintertür den Naturschutz reduzieren und
Standards absenken. Ein Wettbewerb um die beste Lösung sieht anders aus.
Man kann sich ausmalen, wie der Wettbewerb aussähe, wenn es nicht wenigstens die Rahmengesetzgebung des Bundes gäbe, wenn aber jedes Land seine eigenen Maßstäbe setzen könnte. Der Länderwettbewerb um
Umweltstandards wäre eine Abwärtsspirale und eine Kapitulation gegenüber der Zukunft. Luft, Flüsse und Lebensräume enden nicht an Grenzen. Dann darf das dafür
notwendige Naturschutzrecht auch nicht an Grenzen enden.
({4})
Gerade das gemeinsame europäische Umweltrecht
hat für die Umweltpolitik Fortschritte gebracht, weil es
Standards setzt, die europaweit gelten und die auch von
unseren Nachbarn akzeptiert und umgesetzt werden. Das
ist die richtige Antwort auf die Globalisierung und den
Wettbewerb. Anstatt Kompetenzen in Deutschland noch
weiter aufzusplittern, muss das Umweltrecht im Gegenteil einfacher und einheitlicher werden. Dann wären wir
in der Lage, EU-Recht ohne Vertragsverletzungsverfahren zeitnah in Deutschland umzusetzen. Deshalb freue
ich mich über das deutliche Votum des Sachverständigenrates für eine Stärkung der Bundeszuständigkeiten
im Wasserrecht, im Naturschutz und in der Landschaftspflege und unterstütze dieses Votum nachdrücklich.
({5})
Die Umweltpolitik ist in den Augen der Bürgerinnen
und Bürger keineswegs Luxus. Das zeigt die aktuelle
Umweltstudie über das Umweltbewusstsein in
Deutschland. 92 Prozent der Bevölkerung halten den
Umweltschutz für wichtig. 58 Prozent befürchten, dass
wir auf eine Umweltkatastrophe zusteuern, wenn wir so
weitermachen wie bisher. Umweltpolitik ist also heute
- auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten - kein
Luxus.
Aber die Umweltpolitik steht vor neuen Herausforderungen; denn es sind nicht mehr die stinkenden Flüsse,
die die Menschen aufschrecken und aktiv werden lassen.
82 Prozent der Menschen sind mit der Umweltsituation
in ihrem unmittelbaren Umfeld durchaus zufrieden. Das
ist ein Erfolg der nationalen und europaweiten Umweltpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Die Luftreinhaltepolitik hat dafür gesorgt, dass die klassischen
Luftschadstoffe erheblich gesunken sind. Die Schwefeldioxidemissionen sind in den letzten 20 Jahren um
90 Prozent zurückgegangen. Handlungsbedarf gibt es
noch beim lungengängigen Feinstaub. Deshalb freue ich
mich, dass auch der Sachverständigenrat die rot-grüne
Forderung nach deutlich strengeren Partikelgrenzwerten für Dieselfahrzeuge ausdrücklich unterstützt. Wir
fühlen uns da in unserer Position bestätigt.
({6})
Die Herausforderungen ändern sich. Heute sind es die
globalen, langfristigen und oft nicht unmittelbar sichtbaren Bedrohungen, wie der Klimawandel, die den Menschen Sorgen bereiten. Das sind die Bedrohungen, für
die wir heute die Ursachen säen, deren Ernte aber erst
die nächsten Generationen verdauen müssen. Die werden sich ganz übel daran verschlucken, wenn wir nicht
auch unter schwierigen Rahmenbedingungen damit weitermachen, Vorsorge zu betreiben, zum Beispiel damit,
dass wir in die erneuerbaren Energien investieren und
nicht zulassen, dass fossile Energieträger irgendwann
verbraucht sind und weltweit der Kampf um die letzten
Energiereserven ausbricht. Der Preiskampf hat schon
heute begonnen. Aber wenn die Reserven irgendwann
zur Neige gehen, wird es nicht bei einem Preiskampf
bleiben. Die Energiefrage wird noch mehr als heute eine
existenzielle Frage von Krieg und Frieden werden.
({7})
Was antworten wir, wenn unsere Kinder und Enkel
irgendwann fragen, warum wir nicht rechtzeitig umgesteuert haben? Sagen wir ihnen dann: „Der eine Euro pro
Monat mehr auf der Stromrechnung, den das bedeutet
hat, war uns zu viel“? Wir sagen schon heute Nein und
steuern deshalb um.
({8})
Die Antwort muss heute lauten: Wir setzen konsequent auf eine nachhaltige Entwicklung. Wir entwickeln dafür die nationale Nachhaltigkeitsstrategie weiter.
Wir sorgen dafür, dass sie stärker mit der Tagespolitik
vernetzt wird. Wir sind dankbar für die vielen hilfreichen
Vorschläge, die das Umweltgutachten dazu enthält. Wir
müssen Politik heute so gestalten, dass sie auch morgen
noch richtig ist.
Das Umweltgutachten gibt uns dabei viele Hausaufgaben mit auf den Weg. Es mahnt noch mehr Entschlossenheit bei der Durchsetzung von Umweltinteressen an.
Es macht aber auch mit sehr vielen konkreten Vorschlägen Mut. Das Gutachten ist ein wichtiger Beitrag zur
Versachlichung vieler Debatten. Dafür ein ausdrückliches Dankeschön an die Sachverständigen!
({9})
63 Prozent der Bevölkerung wollen ebenfalls, dass
wir im Umweltschutz noch stärkere Anstrengungen unternehmen. Wir fühlen uns bestätigt und bestärkt, unseren Weg weiterzugehen.
In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Josef Göppel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum haben wir es momentan so schwer, vorsorgende
Umweltpolitik durchzusetzen? Ich denke, einerseits
kommt es daher, dass die ungeregelte Globalisierung unsere deutsche Wirtschaftswelt und auch das Leben in den
Industrieländern verändert. Mit ungeregelter Globalisierung meine ich, dass sich im Wettbewerb diejenigen
durchsetzen, die die geringsten Löhne zahlen und die
wenigste Rücksicht auf die Natur nehmen. Andererseits
frage ich mich aber auch, ob nicht der Grundansatz der
deutschen Umweltpolitik etwas damit zu tun hat.
Herr Minister Trittin, manchmal kommt es mir so vor,
als ob Ihre Umweltpolitik in der Gefühlswelt und im
Meinungsklima der 80er-Jahre wurzelt,
({0})
als diese internationalen Anforderungen noch nicht an
uns gestellt wurden und wir uns in wirtschaftlicher Sicherheit wähnten. Ich bin der Überzeugung, dass wir den
Grundansatz der deutschen Umweltpolitik so ändern
müssen, dass Umweltvorsorge bewusst mit wirtschaftlichen Effekten, mit Innovationen und neuen Arbeitsplätzen verbunden wird.
({1})
Ich nenne aus dem Gutachten des Umweltrates drei
konkrete Punkte: Der erste Punkt betrifft die Energieeinsparung im deutschen Altbaubestand. Das ist der
größte Einzelbeitrag, den wir in unserem Land zur Senkung des CO2-Ausstoßes erbringen können. Wenn wir
dafür Anreize geben, setzen wir zugleich Anreize für das
örtliche Bauhandwerk und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Eigentümer würden durch
eine Wertsteigerung ihrer Häuser profitieren. Mieter
würden durch die Senkung der Heizkosten profitieren.
Für den Staat sind solche Anreize schnell rentabel, weil
das Geld dafür über andere Steuern wieder hereinkommt.
Ich darf dazu aus dem Gutachten des Umweltrates zitieren:
Insbesondere im Wohnungsbestand sind … bislang
beträchtliche Energiesparpotenziale ungenutzt geblieben. … Daher kann von Investitionskostenzuschüssen ein stärkerer Investitionsanreiz ausgehen
als von äquivalenten Energiepreissteigerungen.
Was heißt denn das? Das heißt, dass das Setzen auf höhere Energiepreise nach Meinung des Umweltrates weniger bewirkt als konkrete Anreize zur Senkung des Energieverbrauchs im Altbaubestand.
({2})
Ich nenne ein zweites Beispiel: Flächenverbrauch.
Beim Flächenverbrauch geht es inzwischen nicht mehr
nur um Umweltschutz. Viele Kommunalpolitiker merken, dass die Erschließung zusätzlicher Flächen auch die
Fixkosten für den laufenden Unterhalt erhöht. Jede Neuerschließung erhöht die Kosten zum Beispiel für den
Fahrbahnunterhalt, für die Leitungsnetze, für Beleuchtung bis hin zum Schneeräumen. Der Sachverständigenrat schlägt hier als eines der wichtigsten Instrumente zur
Reduzierung der Flächeninanspruchnahme unter anderem die Einführung handelbarer Flächenausweisungsrechte kombiniert mit der Flächensteuerung über die
Raum- und Bauleitplanung vor.
Herr Minister Trittin, ich warte auch auf Ihre Vorschläge zur Umorientierung der Grunderwerbsteuer und
zur Differenzierung der Grundsteuer. Allein mit Appellen bezüglich des Flächenverbrauchs werden wir nicht
weiterkommen, sondern wir müssen mit den Augen der
Kommunalpolitiker die Kostengesichtspunkte als Maßstab nehmen. Dann werden wir auch Einsparungen bei
Überbauungen sowie Erfolge in den Bereichen Innenentwicklung, Mischnutzung und Flächenrecycling haben.
({3})
Ich bin auch als langjähriger Kommunalpolitiker der
Überzeugung: Wer beim Kostensparen fantasiereicher
und schneller ist als andere, der schafft sich Freiräume
im doppelten Sinn: im finanziellen, aber auch bei der
Freihaltung der Landschaft und in ihrer Qualität.
Ökologie kommt von Haushalten. Haushalten heißt,
mit knappen Mitteln das Ziel erreichen. Damit bin ich
bei dem dritten Beispiel: intakte Landschaften. Es gibt
eine Studie des Berlin-Instituts mit dem Titel „Deutschland 2020“. Auch darin findet sich eine hochinteressante
Aussage in der Verknüpfung der Bevölkerungsentwicklung, der wirtschaftlichen Weiterentwicklung Deutschlands und der Einstellung der Menschen. Das Berlin-Institut schreibt:
… im Wettbewerb guter Standorte entscheiden gesunde Natur, reiches kulturelles Angebot und ausgeprägter Regionalcharakter. Immer mehr Menschen wollen Ruhe und Weite finden. Naturräume
gewinnen einen besonderen Wert.
({4})
Ich würde mir wünschen, dass das nicht nur in Bayern so
ist.
({5})
- Genau.
Herr Minister Trittin, wo bleibt Ihre Naturschutzstrategie? Wo bleiben die Konzepte zur besseren Einbindung der Landnutzer? Nur mit der besseren Einbindung
der Landnutzer, der Land- und Forstwirte und all derjenigen, die in der Landschaft wirtschaften, werden wir
weiterkommen und eine attraktive Natur erhalten können. Natürlich können wir mit schönen Landschaften allein keine Arbeitsplätze schaffen, aber mit einer zerrütteten Natur erst recht nicht. Das ist der entscheidende
Punkt.
({6})
Ich möchte zusammenfassend einfordern: Wir brauchen eine Offensive der deutschen Umweltpolitik, die
vorsorgend angelegt und wirtschaftlich von Nutzen ist,
die Innovationen und Arbeitsmöglichkeiten eröffnet und
sozial gerecht ist. Dann werden wir die Umweltpolitik
wieder mit der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik verknüpfen und damit ins Zentrum der politischen Interessen rücken können.
Die Umweltpolitiker müssen die grundlegenden Zeitströmungen zur Grundlage ihrer Strategie machen. In
den 80er-Jahren gab es andere Zeitströmungen, beispielsweise das Erschrecken der Menschen über die
Kehrseite des Wohlstands. In der Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft ist viel erreicht worden. Es ist aber
schwer, den Menschen die großen internationalen Bedrohungen zu vermitteln. Deswegen müssen wir die Verknüpfung mit den wirtschaftlichen Effekten zum Grundtatbestand der deutschen Umweltpolitik machen.
({7})
Ich erteile das Wort der Kollegin Undine Kurth,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste auf den Rängen! In dieser Debatte
sind schon viele Bereiche angesprochen worden. Deshalb möchte ich mich auf den Bereich konzentrieren, der
bisher noch nicht so häufig erwähnt worden ist, nämlich
Artenschutz, Naturschutz Schutz, der Biodiversität.
Vielleicht liegt es an der Sperrigkeit des Begriffs Biodiversität, dass er nicht immer in den Vordergrund gestellt
wird. Man wird den Verdacht nicht los, dass zwar die
Übersetzung verstanden wird, aber nicht unbedingt die
Bedeutung. Ich glaube, dass es richtig ist, und ich bedanke mich dafür, dass im Umweltgutachten die Biodiversität einen wichtigen Punkt darstellt.
Wir erleben zwar, dass sie in aller Munde ist, aber sie
wird in der Regel darauf beschränkt, den Rückgang der
Arten zu konstatieren. Wer Biodiversitätsschutz nur so
versteht, springt deutlich zu kurz. Biodiversitätsverlust
muss als Verlust an Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, also als ein Verlust an unserer ureigenen Lebensgrundlage verstanden werden.
({0})
Es ist daher nur folgerichtig, dass die Bundesregierung
den Schutz der Biodiversität als Schwerpunkt in die
Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen hat. Das ist vielleicht auch ein Teil der Antwort darauf, Herr Göppel,
wie die Naturschutzstrategie verankert wird. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird hier der Schwerpunkt sein.
Verlust an Biodiversität findet an vielen Orten statt;
das wissen wir. Es ist auch unstrittig, dass er direkt bzw.
indirekt auf menschlichen Einfluss zurückgeht. Für uns
ergeben sich daraus zwei Herausforderungen: Zum einen
müssen wir unser Wissen verbessern. Wir müssen die
Biodiversität besser erfassen, abbilden und analysieren,
wir müssen einfach mehr davon verstehen. Zum anderen
müssen wir das, was wir wissen, in Handlungsstrategien
umsetzen. Das ist der Sinn unserer Politik.
Unsere Forschung, zum Beispiel zu den Roten Listen
- sie sind der wichtigste Indikator für den Zustand der
Biodiversität -, müssen wir auf jeden Fall verbreitern.
Wir brauchen Langzeitforschung und eine europäisch
bzw. international abgestimmte, interdisziplinäre Ausrichtung dieser Forschung. Vor allem langfristige Prozesse bedürfen einer zentralen Erfassung. Es ist meine
Überzeugung, dass wir in Deutschland ein nationales
Monitoringzentrum brauchen, in dem Daten gesammelt
und ausgewertet sowie Gefahren- und Bedrohungspotenziale analysiert werden. Wir werden den Problemen der
Artenvielfalt auf keinen Fall gerecht, wenn in
16 Bundesländern nebeneinander Daten erhoben werden
und so getan wird, als hielten sich ökologische Probleme
an Verwaltungsstrukturen. Es muss zweifellos ein Ergebnis der Föderalismusdebatte sein, dass die Voraussetzungen für den länderübergreifenden Arten- und Naturschutz verbessert werden. Das, Herr Paziorek, ist meiner
Ansicht nach die richtige, die vernünftige Antwort; denn
wir brauchen auf diesem Gebiet keine Kleinstaaterei.
({1})
Wir wissen: Gefährdung und Bedrohung müssen erfasst werden. Erst beides gemeinsam gibt uns die richtigen Argumente für einen wirksamen Naturschutz und
eine richtige Nachhaltigkeitspolitik an die Hand. Einfließen müssen unsere Erkenntnisse über die Veränderungen
der biologischen Vielfalt in viele Politikfelder. Wir können mit dem Artenreichtum nicht umgehen, wie es in der
früheren DDR mit dem so genannten Volkseigentum getan wurde, das angeblich allen gehörte, für das aber niemand zuständig war. Vielmehr gilt: Für den Natur- und
Artenschutz müssen wirklich alle zuständig sein. Er ist
eine Querschnittsaufgabe im wahrsten Sinne des Wortes.
„Querschnitt“ bedeutet allerdings nicht, dass man diese
Aufgabe quer verschieben kann; denn sie geht wirklich
alle an.
Meine Damen und Herren, wir kennen derzeit kein
objektives Maß für den Punkt, ab dem der Artenrückgang für den Menschen bedrohlich wird. Diesen Punkt
können wir noch nicht definieren. Allerdings glaube ich,
dass wir ihn gar nicht definieren müssen; denn wir sollten wissen, dass alles, was wir an Natur vorfinden, aus
sich selbst heraus eine Existenzberechtigung hat.
Ich weiß, dass eine solche Haltung in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche oft sehr wenig Verständnis findet. Deshalb wünsche ich mir und uns allen
eine viel breiter geführte gesellschaftliche Debatte über
die Schutzwürdigkeit der biologischen Vielfalt und unserer Lebensgrundlagen. Dabei sollten wir eines bedenken:
Kenntnislücken dürfen auf keinen Fall als Argument,
nicht zu handeln, benutzt werden. Im Gegenteil, gerade
bei Kenntnislücken müssen wir ganz besonders vorsichtig vorgehen, um keine irreversiblen Schäden anzurichten.
({2})
Dieses höhere Maß an Verantwortung sollte uns allen
sehr wichtig sein; denn wenn wir erst den Point of no
Return erreicht haben, kann es zu spät sein, und zwar
nicht nur für Tiere und Pflanzen. Weil wir alle, wie ich
glaube, diesen Punkt nicht erreichen wollen, kann ich
mir nur wünschen, dass wir klug genug sind, rechtzeitig
das Richtige zu tun. Die Anleitungen und Anregungen
aus dem Umweltgutachten werden uns dabei sehr hilfreich sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Bietmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Umweltgutachten wird der Umweltpolitik der
Bundesregierung wahrhaft kein gutes Zeugnis ausgestellt. Vielmehr betonen die Sachverständigen bereits in
ihrer Eingangsbemerkung, dass die Umweltpolitik der
rot-grünen Bundesregierung deutlich an Dynamik verloren habe. Die Umweltpolitik stehe unverkennbar im Zeichen einer mehrjährigen wirtschaftlichen Stagnation mit
ihren gravierenden Folgewirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Die Sachverständigen attestieren der deutschen Umweltpolitik sogar
eine defensive Situation.
Diese Eingangsbemerkungen des Umweltgutachtens
dokumentieren einerseits, dass eine erfolgreiche Umweltpolitik nur derjenige betreiben kann, der auch erfolgreich Wirtschaftspolitik gestaltet. Wirtschafts- und
Umweltpolitik gehören zusammen. Wer, wie Rot-Grün,
in der Wirtschaftspolitik versagt, gerät umweltpolitisch
notwendigerweise in die Defensive.
Andererseits kann eine falsche Umweltpolitik zu
wirtschaftlicher Stagnation und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Wir müssen heute feststellen, dass
sich die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik
Deutschland nach sechs Jahren rot-grüner Umweltpolitik
durch langfristig angelegte, falsche Entscheidungen verschlechtert hat. Ich nenne nur den bislang nicht nachvollziehbaren Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
Kernenergie
({0})
und die ökologische Steuerreform, die letztlich kläglich
gescheitert ist. Selbst Minister Trittin musste vor wenigen Tagen eingestehen, dass weitere Erhöhungen der
Ökosteuer mit Blick auf die wirtschaftliche Situation in
Deutschland nicht vertretbar sind.
({1})
Die Höhe der Ökosteuer ist der maßgebliche Grund
für das unvertretbare Ansteigen der Energiepreise.
({2})
Die hohen Energiepreise wiederum führen zur Schwächung der Wirtschaftskraft und zum Verlust von Arbeitsplätzen. Die Deindustrialisierung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und der Verlust von Tausenden
Industriearbeitsplätzen werden maßgeblich von dieser
Umweltpolitik beeinflusst, die zu im europäischen Vergleich enorm hohen Energiepreisen geführt hat. Wer den
Staatsanteil an den Energiepreisen immer weiter in die
Höhe schraubt, der verjagt Unternehmen aus unserem
Land.
Eine unionsgeführte Bundesregierung wird an dem
Gedanken einer ökologischen Steuerreform festhalten.
Eine solche ökologische Steuerreform macht Sinn, wenn
die Bemessungsgrundlage der Ökosteuer mittelfristig
auf die CO2-Intensität der Energieträger umgestellt wird.
({3})
Genau dies empfehlen im Übrigen auch die Sachverständigen, die dazu zu Recht eine weitere Harmonisierung
der Energiebesteuerung auf EU-Ebene anraten. Vor dem
Hintergrund dieser klaren Aussagen des Umweltrates ist
es höchste Zeit, aus der ökologisch völlig wirkungslosen
Ökosteuer rot-grüner Prägung auszusteigen und eine
wirklich ökologische Steuerreform in Angriff zu nehmen.
({4})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie bekommen doch durch dieses Gutachten eine schallende Ohrfeige. Darin heißt es, dass die ökologische Steuerreform
unter ökologischen Gesichtspunkten fragwürdig ist, da
das Abstellen auf den Energiegehalt keinen verlässlichen
Indikator der jeweiligen Umweltbelastungen darstellt.
Sie mögen das noch so sehr belächeln, aber die Sachverständigen kommen in ihrem Umweltgutachten zu dieser
Erkenntnis. Das belegt, dass die Ökosteuer ein Schritt in
die falsche Richtung war.
({5})
Das zweite große Thema, das Sie angepackt haben,
nachdem das erste gescheitert ist, ist der langfristige
Ausstieg aus der Kernenergie. Bis heute kann niemand
die Frage beantworten, wie der Anteil von 29 Prozent
unseres Stromverbrauchs, der derzeit über Kernkraft
produziert wird, ersetzt werden kann. Wer aber die Frage
nach dem Ersetzen des Ausfalls von 29 Prozent unserer
Stromerzeugung nicht beantworten kann, der kann aus
Gründen der Zukunftsverantwortung für unser Land an
einem pauschalen Beschluss zum Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht festhalten.
({6})
So richtig der Einstieg in die erneuerbaren Energien
ist, so falsch ist es, zu glauben, über erneuerbare Energien innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von zehn
Jahren wegfallende Kernenergieanteile ersetzen zu können.
({7})
Noch verantwortungsloser ist es ausweislich des Sachverständigengutachtens, wenn Rot-Grün den Bürgern
vorgaukelt, über einen höheren Anteil von Kohleverstromung bzw. über Erdgas könne ein umweltgerechter Ausgleich geschaffen werden. Der Umweltrat betont nachdrücklich, dass eine Strategie, die vorrangig auf
Kohleverstromung setzt, ökologisch wie ökonomisch
unvertretbar ist.
({8})
Der CO2-Ausstoß in Deutschland wird infolge einer solchen Politik dramatisch ansteigen. Ein Umsteigen bei
der Kraftwerkserneuerung auf Erdgas wäre auf den
ersten Blick sicherlich empfehlenswert, führte aber zu
unvertretbaren Abhängigkeiten der Bundesrepublik
Deutschland von den Erdgas produzierenden Ländern.
Die Importabhängigkeit des Industrielands Deutschland
würde ins Unermessliche gesteigert. Veränderungen des
politischen Gefüges, zum Beispiel in Russland oder im
asiatischen Raum, könnten zu einer katastrophalen energiepolitischen Entwicklung in unserem Land führen und
damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft insDr. Rolf Bietmann
gesamt lähmen. Ein für jedermann erkennbares Beispiel
ist doch die Ölpreisentwicklung. Vergleichbare Preisentwicklungen bei Erdgas würden die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig zerstören und
damit Arbeitsplätze vernichten. Für eine solche Politik
reichen wir unsere Hand nicht.
({9})
Die Union bekennt sich zu einem ausgewogenen
Energiemix mit erneuerbaren Energien, aber auch mit
Kernenergie. Es macht keinen Sinn, aus rein ideologischen Gründen Kernenergieausstiegsbeschlüsse zu zelebrieren und damit auf der anderen Seite Ressourcenprobleme mit all ihren negativen Auswirkungen für die
Entwicklung in Deutschland zu schaffen.
({10})
Diese Politik muss und wird scheitern.
Meine Damen und Herren, es ist für mich in diesem
Zusammenhang völlig unverantwortlich, wie der Bundesumweltminister mit der Entsorgung atomarer Abfälle umgeht. Ich denke, im Deutschen Bundestag muss
immer wieder darüber gesprochen werden. Das über
zwei Jahrzehnte betriebene Endlagerkonzept soll nunmehr dem Gedanken des Ein-Endlagers weichen. Folge
wäre, dass milliardenschwere Investitionen in Konrad
und Gorleben als Ruinen für die Nachwelt erhalten blieben. Dabei könnten sowohl Konrad als auch Gorleben in
einem überschaubaren Zeitraum realisiert und in Betrieb
genommen werden.
Führt man sich nun vor Augen, dass zum Beispiel im
Forschungszentrum Karlsruhe zwei Drittel der schwachund mittelradioaktiven atomaren Abfälle Deutschlands
oberirdisch gelagert werden, dann wird doch auch dem
Letzten deutlich, wie zwingend notwendig es ist, in
Konrad nun endlich zu einem Genehmigungsverfahren
und damit zu einer Inbetriebnahme zu kommen. Das
wäre bis 2010 möglich. Sie aber erhöhen durch Ihr Verhalten die Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung. Das
ist unverantwortlich.
({11})
Herr Trittin, wer nicht bereit ist, die Endlagerfrage für
hochradioaktive Stoffe zu beantworten, und stattdessen
der deutschen Bevölkerung erklärt, es sei sinnvoller,
Zwischenlager im Land verteilt zu errichten, der drückt
sich vor der Lösung des Problems, weil es ihm aus ideologischen Gründen nicht passt, obwohl er genau weiß,
dass es eine Aufgabe dieser Generation und nicht eine
Aufgabe zukünftiger Generationen ist, das Problem zu
lösen. Wir könnten es lösen, wenn wir wollten.
({12})
Es gibt eine Vielzahl weiterer Themen, die im Umweltgutachten angesprochen werden. Ich nenne insbesondere die Entwicklung des Kraftwerksparks in
Deutschland. Auch hier wird der Bundesregierung attestiert, dass Ziele, die formuliert worden sind, nicht glaubwürdig verfolgt werden. Zur Entwicklung der CO2Emissionen führt der Sachverständigenrat wörtlich aus:
Bei einem zielorientierten Ansatz kommt es nicht
notwendigerweise auf eine punktgenaue Zielerfüllung an, wohl aber auf einen politisch ernsthaften
Umgang mit Zielverfehlungen. Die Dethematisierung einer Zielverfehlung diskreditiert einen zielorientierten Umweltpolitikansatz und damit auch
die Glaubwürdigkeit noch anspruchsvollerer Zielvorgaben für die weitere Zukunft.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Dieser Aussage des Sachverständigenrats über die fehlende Glaubwürdigkeit ist
nichts hinzuzufügen. Eine glaubwürdige Umweltpolitik
ist Voraussetzung für die Erreichung weiterer Klimaziele. An dieser Glaubwürdigkeit fehlt es Rot-Grün eindeutig.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Damen und Herren! Herr Professor Bietmann, es
ist ja schön, dass Sie, wie Sie am Anfang sagten, für alles offen sind. Das ist sehr nett. Nicht so schön finde ich,
dass Sie den Hauptteil Ihrer Rede dazu benutzt haben,
um zu sagen, dass Sie die Atomenergie wollen und dass
das das wichtigste umweltpolitische Programm der
Union sei.
({0})
Alles andere ist Ihnen nicht besonders wichtig. Immer
wieder sind Sie auf die Atomenergie zurückgekommen.
Es ist wirklich das Allerhöchste, das dann noch mit der
Generationengerechtigkeit zu verbinden.
({1})
Die künftigen Generationen werden es ausbaden müssen, wenn wir die Entsorgung des Atommülls von heute
in die Zukunft verschieben. Dann werden sie den Müll
von uns zu entsorgen haben.
({2})
Meistens sagen wir zu den Kindern, sie sollten darauf
hören, was ihre Eltern ihnen sagen. Beim Klimawandel
sind es die Eltern, die auf ihre Kinder hören sollten. 11998
Mit diesen Worten schloss Tony Blair seine Rede zur
Bekämpfung der Klimaveränderung.
({3})
Immer mehr Politiker kommen zu dieser Einsicht und
Wissenschaftler predigen es schon lange. Selbst im Pentagon ist angekommen, wie bedrohlich der Klimawandel
für unsere Welt und für uns Menschen ist. Außer einigen
Unverbesserlichen und einer immer geringer werdenden
Zahl von Unwissenden zweifelt niemand mehr daran,
dass der Klimawandel kommen wird. Jetzt geht es darum - das ist das Wichtigste -, dass die Einsicht überall
in konkrete Maßnahmen und Handlungen umgesetzt
wird.
Die seriöse Wissenschaft ist sich einig: Ein Anstieg
von über zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen
Wert hätte fatale Auswirkungen auf unseren Lebensraum; wir haben es heute schon gehört. Einen Anstieg
von 0,6 bis 0,7 Grad haben wir schon zu verzeichnen.
Ein weiterer Anstieg um 0,6 bis 0,7 Grad lässt sich nicht
mehr verhindern, weil die Emissionen für diese Erwärmung schon in der Atmosphäre sind. Es bleibt also ein
Bremsweg von maximal 0,7 oder 0,8 Grad Celsius. Dies
ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Energiebedarf einer wachsenden Erdbevölkerung weiter ansteigt.
Also auch ein halbherziger Klimaschutz wird uns nicht
mehr weiterhelfen.
Zu diesem Ergebnis kommt wie viele vorherige Studien auch das Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Die Sachverständigen präsentieren aber außer Szenarien auch sehr fundierte Analysen
und - das ist fast noch wichtiger - daraus resultierende
Bewertungen und konkrete Handlungsvorschläge. Wenn
wir die beschriebene Erwärmung um zwei Grad nicht
überschreiten wollen, raten die Sachverständigen, der
von vielen internationalen Organisationen aufgestellten
Forderung zu folgen, nämlich, ausgehend von 1990 die
Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um
80 Prozent zu reduzieren. Das gilt international wie national.
Im Bericht wird im Einzelnen vorgerechnet, dass dies
sowohl technisch machbar als auch wirtschaftlich vertretbar ist. Letzteres gilt vor allem deshalb - vielleicht
passen jetzt einmal die Wirtschaftspolitiker der Union
auf -, weil die zunächst erbringbaren Aufwendungen im
Verhältnis zu den zu erwartenden volkswirtschaftlichen
Kosten sehr gering sind. Mein Kollege Michael Müller
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir es uns vor allen Dingen nicht leisten können, jetzt beim Klimaschutz
zu sparen.
({4})
Wenn wir den wissenschaftlichen Berechnungen folgen, darf es kein Geschachere darum geben, ob wir die
angestrebten Reduzierungen nicht vielleicht doch um
10 Prozent kürzen wollen. Nein, wenn uns die Zukunft
der nachfolgenden Generation nicht egal ist, müssen wir
uns auf diese Ziele, auch wenn sie uns noch so viel abverlangen, einlassen. Die Regierung hat sich deshalb
dem Ziel, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent zu
reduzieren, verpflichtet. Nicht erst seit heute sind wir dabei, für die Erreichung dieses Ziels die geeigneten Instrumente zu finden und einzusetzen. Unsere Aufgabe
wird es sein, diese zu präzisieren und dort, wo sich noch
nichts oder noch nicht genug bewegt, zu optimieren und
zu ergänzen.
Die Sachverständigen haben einige der Instrumente
unter die Lupe genommen und dazu deutliche Vorschläge unterbreitet. Diese müssen wir uns näher anschauen; denn bei allem internationalen Lob für die
deutsche Klimapolitik und bei allem bereits Erreichten
gibt es doch Defizite festzustellen und vor allem gibt es
noch viel zu tun. Ich will nur auf einige Punkte eingehen, wohl wissend, dass die Diskussion deutlich umfangreicher ist, wenn am Ende alle Stränge zusammengeführt werden.
Was mir bei den Reden der Opposition aufgefallen ist
- diesen Fehler will ich nicht wiederholen -, ist, dass Sie
auf keine konkreten Vorschläge des Sachverständigenrates eingegangen sind oder nur dann, wenn es Ihnen ins
Konzept gepasst hat. Die eigenen Schwächen haben Sie
nicht betont.
({5})
Ich fange deswegen mit einem Kritikpunkt im Gutachten an. Die Sachverständigen kritisieren, dass wir das
alte nationale Klimaziel einer Reduzierung der Treibhausgase um 25 Prozent zwischen 1990 und 2005 verschweigen. Ich bin überzeugt, dass das neue Ziel, das ich
gerade benannt habe, mehr als eine Flucht nach vorn ist.
Dennoch muss ich den Sachverständigen Recht geben,
dass es für die Zukunft wichtig ist, zu analysieren, warum das alte Ziel wahrscheinlich nicht erreicht wird und
was wir in Zukunft verbessern können, damit wir die
neuen Zielvorgaben einhalten.
In dem Gutachten werden auch Defizite analysiert.
Ein Bereich ist die Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist
ein sehr wichtiger Bereich, weil durch die gleichzeitige
Nutzung von Strom und Wärme viel Energie eingespart
werden kann. Ziel der von der Bundesregierung eingesetzten Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung war es,
von 1998 bis 2005 mindestens 10 Millionen Tonnen
Kohlendioxid und bis 2010 mindestens 20 Millionen
Tonnen Kohlendioxid einzusparen. Die Sachverständigen weisen auf die Schwächen des Förderungsgesetzes
hin und gehen davon aus, dass diese Zielvorgaben nicht
erreicht werden. In absehbarer Zeit wird ein Monitoringbericht vorgelegt. Ich glaube daran, dass wir nach einer
genaueren Analyse, welche die Signale aus der Branche
aber wahrscheinlich bestätigen, handeln müssen, um
diese Zielvorgaben mittelfristig doch noch zu erreichen.
({6})
Die Schadenfreude, die teilweise bei Ihnen, meine
Damen und Herren der Opposition, zum Ausdruck kam,
zum Beispiel indem gesagt wurde, dieses Gutachten sei
eine schallende Ohrfeige für uns, sollten Sie sich lieber
verkneifen. Wir bemühen uns und machen dabei auch
Fehler; einige Fehler sind in dem Gutachten offenbart
worden. Aber im Gegensatz zu Ihnen sind wir lernfähig.
Wir lehnen nicht alles ab, was mit Klimaschutz zu tun
hat; denn fast alle Anträge, die wir zum Klimaschutz
oder zu den erneuerbaren Energien eingebracht haben,
werden vor allen Dingen von der FDP, aber teilweise leider auch von der CDU/CSU abgelehnt. Am Ende jedoch
sind Sie es, die am lautesten schreien, wenn bestimmte
Zielvorgaben nicht erreicht werden.
Das ist doppelzüngig und solche Reden sollten wir
aus diesem Hause verbannen.
({7})
Als Berichterstatter für erneuerbare Energien freue ich
mich, dass der Sachverständigenrat die Regierungspolitik im Bereich der erneuerbaren Energien ausdrücklich
unterstützt. Der Gipfel der Rede von Frau Homburger
war, als sie Passagen aus dem Bericht des Sachverständigenrates herausgesucht hat, die belegen sollen, warum
wir so vieles bezüglich der erneuerbaren Energien falsch
machen. Frau Homburger, lesen Sie sich das Kapitel
über erneuerbare Energien noch einmal gut durch! Der
Sachverständigenrat bestätigt darin nämlich, dass der
Weg, den wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingeschlagen haben, genau der richtige ist und dass wir ihn
fortsetzen sollen. Das hätten Sie auch erwähnen können.
({8})
- Sie haben von erneuerbaren Energien geredet. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht, das von vielen Instituten - unter anderem vom
Worldwatch Institute - und jetzt auch vom Sachverständigenrat gelobt wird.
Mittlerweile werden über 10 Prozent des Stroms aus
erneuerbaren Energien gewonnen und wir sparen über
50 Millionen Tonnen Kohlendioxyd jährlich ein, was ein
großer Beitrag zum Klimaschutz ist. Diesen Anteil wollen und werden wir in Zukunft weiter ausbauen.
Wir müssen bei den Planungen auch berücksichtigen,
dass - auch das sagt der Sachverständigenrat - die Kosten für erneuerbare Energien kontinuierlich sinken werden, während die Kosten für die herkömmlichen Energien weiter steigen werden. Die internationale Politik
bezüglich der erneuerbaren Energien zeigt, dass die Vorreiterrolle Deutschland nicht geschadet hat, sondern
diese im Gegenteil der deutschen Wirtschaft im Endeffekt zugute kommt.
Bei den weiteren Emissionsreduzierungen kommt es
darauf an, nicht nur die Gewichtung der einzelnen Energieträger zu berücksichtigen, sondern auch die Effizienz
der Kraftwerke zu erhöhen. Bei der anstehenden Kraftwerksparkerneuerung kann durch neue, effizientere
Kraftwerke viel CO2 eingespart werden. Jedem noch so
großen Freund der erneuerbaren Energien ist klar, dass
nur ein Teil des Kraftwerksparks durch Anlagen für erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Aber auch hier
gibt der Sachverständigenrat eine wichtige Bewertung
ab, die ich zum Teil teilen kann.
Probleme habe ich allerdings mit der einseitigen Privilegierung von Gas. Die Energieerzeugung durch Gaskraftwerke ist zwar effizienter und klimaschonender als
die durch Kohlekraftwerke; allerdings halte ich die beim
Gas nicht gegebene Versorgungssicherheit schon für ein
Problem und für nicht vernachlässigbar.
({9})
Die Gaslieferungen aus Russland erscheinen einigermaßen sicher, aber wir wissen nicht, wie die Lage in Zukunft aussieht. Wir können auf die Gasvorräte in Europa
demnächst nicht mehr zurückgreifen, weil sie erschöpft
sein werden. Außerdem wird - das ist ein Mangel dieser
Studie - nicht über die Endlichkeit der Ressourcen gesprochen. Gas geht viel schneller zu Ende als Kohle.
Auch darauf müssen wir uns einrichten.
Vieles müsste man in Bezug auf den Klimaschutz
noch ansprechen. Vieles steht im Gutachten und einiges
wurde hier nur kurz angeschnitten. Man müsste zum
Beispiel noch über die Emissionen durch den Verkehr
sprechen, über den Emissionshandel und über die Energievermeidung. Mit diesem Punkt will ich enden; denn
er zeigt, dass neben Politik und Wirtschaft alle Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf Klimaschutz in der Verantwortung stehen. Keiner darf sich dieser Verantwortung
entziehen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass das Umweltbewusstsein wieder ansteigt und vor allem der Klimaschutz für die Deutschen eine hohe Bedeutung hat. Es
muss aber auch gelingen, dass das Bewusstsein jeden
Einzelnen dazu bringt, dass er einen Beitrag leistet. Diesen Beitrag kann man in seinem Haushalt leisten. Allein
durch das Abschalten von Stand-by-Geräten könnte ein
Haushalt 70 Euro im Jahr sparen.
({10})
Die Theorie kennen viele, doch die Umsetzung in der
Praxis müssen wir endlich alle lernen. Das Gutachten hat
uns dazu eine gute Nachhilfestunde gegeben, die hoffentlich Wirkung bei uns allen zeigt.
Ich danke Ihnen.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Petzold, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Bülow, wir sollten
genau das machen, was Sie angemahnt haben, nämlich
uns genauer zuhören; denn Professor Bietmann hat klar
und deutlich davon gesprochen, dass es eine Versorgungslücke in Ihrem Energieversorgungskonzept gibt.
Das ist ein Thema, über das wir uns intensiv unterhalten
müssen.
({0})
Das Umweltproblem „neue Bundesländer“ gibt es
nicht mehr und das ist gut so. Die ökologischen Hinterlassenschaften zweier Diktaturen auf dem Gebiet der
neuen Bundesländer sind so weit aufgearbeitet, dass sie
als spezielles Problem keine Erwähnung mehr im Umweltgutachten des Sachverständigenrates finden müssen.
Zwar gibt es noch Probleme, die einer Lösung bedürfen,
doch gerade im industriellen Bereich haben die neuen
Bundesländer in Umweltfragen eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Ungleichheiten bestehen also eher in
speziellen Bereichen, die sich nicht mehr einfach nach
Ost und West trennen lassen; sie kommen - egal ob Ost
oder West - in bestimmten Regionen oder zu Sachverhalten verstärkt oder vermindert vor.
Wiederholt habe ich bereits bei der Beratung der
Emissionshandelsgesetzgebung auf den Umstand der regional unterschiedlichen Wirkung von Umweltgesetzen
hingewiesen. So werden beim Emissionshandel die industriellen Vorreiter bei der CO2-Emissionsminderung,
die vor allem in Nordrhein-Westfalen und in den neuen
Bundesländern angesiedelt sind, gleich schlecht behandelt. Dieses führt insgesamt zur Benachteiligung von
Regionen. Eine Gleichbehandlung Ungleicher - eine
Gleichbehandlung von Vorreitern und Nachzüglern bei
der Emissionsminderung, ja, eine Bevorzugung der
Nachzügler - sichert keine umweltpolitische Handlungsfähigkeit, sondern führt zur Zurückhaltung bzw. zur allgemeinen Stagnation im umweltbewussten Handeln.
({1})
Es gilt also regionale Besonderheiten zu beachten,
um einen größtmöglichen Effekt unseres umweltpolitischen Handelns zu erreichen. Zum Beispiel kann man
bei der Abwasserentsorgung in Gebieten mit einer sehr
hohen Bevölkerungsabwanderung unmöglich die erforderlichen Maßnahmen aus dicht bevölkerten Regionen
mit entsprechender Zuwanderung übernehmen. Leider
haben unseriöse Berater viel zu vielen Kommunen in
den neuen Bundesländern überdimensionierte Abwasseranlagen aufgeschwatzt. Diese Anlagen sind teilweise
so überdimensioniert, dass sie in verbrauchsschwachen
Zeiten ihre Funktionsfähigkeit verlieren. Um diesem
Problem entgegenzuwirken, werden aus weit entfernten
Kommunen über Abwasserfernleitungen Abwässer herangeleitet.
Schon allein der Bau dieser Abwasserfernleitungen
mit seinem Flächenverbrauch und den Nachfolgekosten
für Wartung und Instandhaltung ist in höchstem Maße
kritikwürdig. Schlimm ist jedoch oft, dass Wasser damit
direkt den Vorflutern zugeleitet und nicht mehr der Versickerung und damit dem Grundwasser in der Region zugeführt wird. Dezentrale Anlagen und Kleinkläranlagen
haben unter den derzeitigen Bedingungen keine Chance.
Leider findet dieses Problem keine Berücksichtigung im
vorliegenden Gutachten.
({2})
Dagegen schlägt das Gutachten die Streichung der
Möglichkeit der Verrechnung der Abwasserabgabe gegen die Investitionsausgaben im Abwasserbereich vor.
Von der im Gutachten verfolgten Systematik her ist eine
solche Streichung vielleicht noch nachvollziehbar. Sie
würde jedoch dünn besiedelte Räume in den neuen Bundesländern sehr hart treffen. In diesen Regionen können,
nachdem die größeren Kommunen jetzt an Kläranlagen
angeschlossen sind, endlich auch die kleineren Orte an
die Lösung ihrer Abwasserprobleme gehen. Mit der
Streichung der Verrechnungsmöglichkeit würden die Bewohner und Unternehmen dort dafür hart bestraft, dass
sie über Jahre die Investitionen in den größeren Kommunen über ihre Abwasserzweckverbände mitfinanziert haben und nun zusätzlich zu ihren eigenen Investitionen
noch eine Abwasserabgabe zahlen müssten. Wir sollten
dem Gutachten in diesem Punkt nicht kritiklos folgen.
Bei der Finanzknappheit der Kommunen würde eine Abgabe, die zusätzlich zu den Investitionen zu zahlen wäre,
eher Investitionen hemmen.
({3})
Auch in der Frage der Flächeninanspruchnahme
hätte ich mir in dem Gutachten klarere Ausführungen
gewünscht. Wieder einmal wird zu wenig zwischen Flächeninanspruchnahme und Flächenversiegelung differenziert.
({4})
In der Umwandlung einer intensiv genutzten Ackerfläche in einen ökologisch angelegten Hausgarten kann ich
im Grundsatz sogar etwas Positives für Natur und Umwelt sehen. Es ist aber kaum zu verstehen, dass eine solche Flächeninanspruchnahme für einen Hausgarten eine
ähnliche Ausgleichsmaßnahme erfordert wie die Versiegelung mit Beton und Asphalt.
Warum wird nicht endlich einmal die Größe der täglich versiegelten Flächen genannt? Die Benennung der
allgemeinen Flächeninanspruchnahme, ohne dass man
gleichzeitig die Größenordnung der viel bedeutsameren
Flächenversiegelung angibt, ist gerade im ökologischen
Bereich nur eine ungenügende Aussage. Ein Verweis auf
die Wiedernutzung industrieller und gewerblicher
Brachflächen ist ebenfalls nur bedingt aussagefähig.
Diese Brachflächen, die oftmals jahrelang nicht genutzt
wurden, haben sich gerade auch in den Städten zu Biotopen entwickelt. Richtig wäre, die Größe der im Rahmen
des wirtschaftlichen Handelns versiegelten Flächen auszuweisen und diesem Wert die Größe der entsiegelten
Flächen gegenüberzustellen, um diese gegeneinander zu
verrechnen.
Statt der Ausgleichsmaßnahmen, die sich zu oft in einer Bepflanzung von landwirtschaftlichen Nutzflächen
erschöpfen, sollte die Entsiegelung von Flächen als Ausgleichsmaßnahme viel deutlicher als bisher festgeschrieben werden. Gerade in Regionen mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen dürfte dies kein Problem darstellen.
Solange jedoch für Waldflächen Boden- und Wasserabgaben gezahlt werden müssen, die dann tatsächlich für
die Entwässerung von Waldgebieten - so ein Nonsens! Ulrich Petzold
eingesetzt werden, und gleichzeitig versiegelte Straßenflächen nicht von diesen Abgaben betroffen sind, hält
sich meine Hoffnung auf ein sinnvolles Handeln der Regierung in Grenzen.
({5})
Richtig finde ich, dass in dem Umweltgutachten erneut eine bundesweite Erfassung bzw. eine fundierte Abschätzung der von Bodenverdichtung und Bodenerosion
betroffenen Flächen eingefordert werden. Winderosion
auf Ackerflächen wird viel zu oft unterschätzt. Dass sich
der Bundesumweltminister aber ausgerechnet Überschwemmungsflächen als Haupterosionsflächen ausgesucht hat, hat den Entwurf eines Hochwasserschutzgesetzes bei den Experten eher lächerlich gemacht.
({6})
Die jetzt als erosionsgefährdete Flächen eingestuften
Abflussbereiche sind im Gesetzentwurf nicht einmal definiert und somit der Zufälligkeit der Rechtsprechung
ausgesetzt. Damit werden diese Abflussbereiche genauso streitbefangen sein wie die Einschränkungen, die
die Landwirtschaft in den Überschwemmungsgebieten
hinnehmen soll.
({7})
Wer seine umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern will, sollte keinen unsinnigen Streit provozieren,
wo er sich mit Sicherheit vermeiden lässt. Umweltschutz
lässt sich am besten, sinnvollsten und wirtschaftlichsten
nicht gegen die Betroffenen, sondern mit ihnen durchsetzen. Klare, nachvollziehbare Vorgaben mit sinnvollen
Grenzen und Grenzwerten schaffen Verständnis und
Mitarbeit. Das Umweltgutachten kann hierzu Anregung
und Richtschnur sein, wenn wir es nicht zum Dogma erheben.
Danke.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Ende einer im Prinzip guten Debatte möchte
ich zu einigen Diskussionspunkten Stellung nehmen und
aus Sicht der Grünen noch etwas zum Umweltgutachten
und seinen Kernaussagen anmerken. Zuerst möchte ich
festhalten, dass sich das vorliegende Gutachten auf die
Umwelt und nicht in erster Linie, sondern nur in Teilen
auf die Umweltpolitik der Bundesregierung bezieht. In
vielen Teilen bezieht es sich auch auf die Politik der
Landesregierungen sowie die Wirtschaftspolitik und die
Agrarpolitik in diesem Lande. Das muss ich Ihnen schon
sagen, weil offenbar nicht alle Ihre Redner dieses Umweltgutachten ausführlich, sondern nur selektiv gelesen
haben. Manche haben nur den Teil herausgegriffen, der
ihnen gerade passt. Das ist keine angemessene Form der
Auseinandersetzung mit einem solchen Gutachten.
({0})
Die Opposition hat keinen Grund zur Selbstgerechtigkeit. Wenn Sie das Umweltgutachten genau durchlesen,
werden Sie in vielen Fällen keine wissenschaftlich fundierte Kritik zugunsten Ihrer Positionen, sondern Ihre
Annahmen als falsche Ansätze widerlegt finden. In manchen Punkten werden Ihre Positionen aber auch bestätigt. Nehmen Sie dies als differenzierte Kritik für alle,
die Umweltpolitik machen und Verantwortung tragen!
Lassen Sie uns einmal im Detail anschauen, was uns
die Experten sagen! Egal welche Bereiche man nimmt,
es wird immer wieder die Aussage deutlich: Wir haben
in der Umweltpolitik einiges erreicht, ob bei der Gewässer- und der Luftreinhaltung oder beim Naturschutz. In
allen Bereichen sind wir auch dank der permanenten Anstrengungen der Umweltpolitiker aller Couleur vorangekommen. Aber die Experten sagen auch, dass wir in vielen Punkten stehen geblieben sind. Die Opposition
behauptet sogar, dass es keine Innovation und keinen
Fortschritt mehr gegeben habe. Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich das Tempo des Umweltschutzes auf allen
Ebenen verlangsamt hat, dass es Stagnation gibt.
Zur Energiepolitik, insbesondere zu den erneuerbaren
Energien: Ein Abgeordneter Ihrer Fraktion - er ist Professor - hat behauptet, dass es laut vorliegendem Umweltgutachten dringend notwendig sei, im Interesse des
Klimaschutzes die Atomtechnologie weiter zu betreiben.
Ich kann nicht erkennen, wo dies in dem Gutachten
steht. Dazu werden Sie in diesem Gutachten mitnichten
ein Wort finden. Vielmehr finden Sie dort die Botschaft
der Gutachter, dass die erneuerbaren Energien, Effizienzsteigerungen und das Energiesparkonzept zusammen zum Klimaschutz beitragen und wir in diesem Bereich konsequenter voranschreiten müssen.
Dann wird auf eine Reihe ungelöster Probleme hingewiesen, etwa auf die POPs, die permanenten organischen
Schadstoffe, die schon seit langem die Umwelt verseuchen und die wir noch nicht in den Griff bekommen haben. Ferner wird darauf hingewiesen, dass wir viele Probleme seit Jahren kennten und nicht gelöst hätten.
Kollege Petzold hat das Problem des Flächenverbrauchs
angesprochen. Aber auch hier muss ich Ihnen Folgendes
sagen: So richtig es ist, beim Flächenverbrauch zu differenzieren, so richtig ist es auch, dass es nicht nur um
den schönen Garten geht, der auf einer Fläche Artenvielfalt erzeugt, die vorher ein Acker war, der keine Artenvielfalt mehr aufwies. Man weiß genau, wofür heute Flächen verbraucht werden: Der Flächenverbrauch von
derzeit 105 Hektar pro Tag bundesweit bedeutet für mehr
als die Hälfte Bebauung - dieser Boden ist für die Natur
verloren -; ein Großteil der restlichen Fläche wird als
Verkehrsfläche verwandt. Nur der übrig bleibende Teil ist
unter Umständen in ökologischer Hinsicht verbessert.
Von den Gutachtern wird angemahnt, dass es in allen
Themenfeldern Durchsetzungsprobleme und Vollzugsdefizite gibt. Dies gilt für die Gewässerreinhaltungspolitik
ebenso wie für die Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, die einen guten ökologischen Zustand
für alle Gewässer verlangt. Auf diesem Gebiet haben wir
ein anspruchsvolles Konzept, dessen Umsetzung aber
sehr langsam vonstatten geht: Erst ist der Bund am Zuge,
dann sind es die Länder, bei denen es sehr lange dauert
und von denen nicht alle mitmachen. Dies ist also eine
klare Mahnung an die Adresse der Länder mitzumachen.
({1})
Damit komme ich zum Schluss meines kurzen Beitrags auf einen mir sehr wichtigen Gedanken zu sprechen: Ein Kernproblem in Deutschland ist die Aufspaltung der Kompetenz in Umweltfragen zwischen Bund
und Ländern. Dies erschwert und verzögert die Umsetzung des EU-Rechts. Bei uns gibt es eine Konkurrenz in
der Gesetzgebung, die letztlich oft zu Blockaden führt.
Wenn wir im Rahmen der Föderalismusreform nicht zu
einer klaren Kompetenzaufteilung und einer klaren
Kompetenzstärkung des Bundes im Bereich Umwelt beitragen, dann haben wir verloren.
({2})
Dann wäre auch all das, was Sie von der Opposition gefordert haben, nicht zu erreichen.
Eine weitere Zersplitterung der Umweltkompetenz,
die sich durch den Vorschlag von Kollegen der CDU/
CSU, aber in Teilen auch der SPD ergäbe, ein Zugriffsrecht der Länder zu schaffen, bedeutete faktisch, dass es
bei uns nur noch pro forma einheitliche Standards gäbe.
In der Realität hätten wir es mit einem unendlichen
Flickenteppich im Bereich des Naturschutzes, der Gewässerreinhaltungspolitik usw. zu tun. Dies wäre kontraproduktiv und im Sinne einer dauerhaft erfolgreichen
Umweltpolitik schädlich. Daher bitte ich Sie alle, im
Rahmen der Föderalismusreform gemeinsam für eine
Stärkung der Bundeskompetenz zu kämpfen. Nur so
ließe sich auch ein Umweltgesetzbuch schaffen. Ohne
eine solche Kompetenz bräuchten wir kein Umweltgesetzbuch mehr.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3600 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:
3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Merz, Dr. Michael Meister, Dietrich
Austermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Für eine stabile Wirtschafts- und Währungsunion - Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ändern
- Drucksache 15/3719 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Rainer Funke, Otto Fricke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes ({1})
- Drucksache 15/3721 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Stabilitäts- und Wachstumspolitik fortsetzen Den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken
- Drucksache 15/3957 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 2. Dezember 1992 hat der Deutsche Bundestag
einen Entschließungsantrag zur Wirtschafts- und Währungsunion und zum Vertrag über die Europäische
Union angenommen. In diesem Entschließungsantrag
heißt es unter anderem:
Der Deutsche Bundestag nimmt die Besorgnisse in
der Bevölkerung über die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ernst. Es muss daher
alles getan werden, damit sich diese Sorgen als gegenstandslos erweisen. Die Stabilität der Währung
muss unter allen Umständen gewährleistet sein.
Etwas weiter heißt es in diesem Entschließungsantrag:
Der Deutsche Bundestag wird sich jedem Versuch
widersetzen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen,
die in Maastricht vereinbart worden sind.
Einen gleich lautenden Entschließungsantrag hat wenige Tage später der Bundesrat angenommen.
Was ich Ihnen hier gerade auszugsweise vorgetragen
habe, meine Damen und Herren, ist die Geschäftsgrundlage der Bundesrepublik Deutschland für den Beitritt zur
Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union gewesen. Heute gibt es Anlass, an diese Geschäftsgrundlage zu erinnern. Wir haben dem Deutschen Bundestag
einen Antrag vorgelegt, der diese Geschäftsgrundlage
noch einmal bekräftigt.
({0})
Es gibt bedauerlicherweise einen sehr akuten Grund
und Anlass, dies zu tun und erneut über die Geschäftsgrundlage des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland
zur Wirtschafts- und Währungsunion zu sprechen.
Wenn im Deutschen Bundestag über ein solches
Thema in der Kernzeit diskutiert wird
({1})
und die Regierungsbank so besetzt ist - außer dem Bundesumweltminister hält es nicht ein einziger Bundesminister für richtig, an dieser Debatte teilzunehmen; der
Bundesumweltminister ist nur noch da, weil er nicht mitbekommen hat, dass sich hier mittlerweile das Thema
geändert hat -,
({2})
dann lässt das auch Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit
zu, mit der die Bundesregierung dieses Thema behandelt.
({3})
Wir haben vor ziemlich genau einem Jahr im Parlament
und in den Parlamentsausschüssen eine hochstreitige Diskussion über die Entscheidung der EU-Kommission geführt, das Defizitverfahren gegen die Bundesrepublik
Deutschland fortzusetzen. Damals hat uns der Bundesfinanzminister im Plenum und in einer gemeinsamen Sitzung des Finanzausschusses, des Haushaltsausschusses
und des Europaausschusses erklärt, die Haltung der Bundesregierung sei rechtlich in Ordnung, die Kommission
befinde sich sozusagen im Rechtsirrtum über die Anwendung der Regeln, im Rat der Finanzminister sei ein Votum
der EU-Kommission überstimmt worden. Wenige Wochen später hat der Europäische Gerichtshof entschieden,
dass die Kommission damals Recht gehabt hat, dass sich
die Mehrheit der Mitgliedstaaten ins Unrecht gesetzt hat
und dass massiv gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen worden ist.
({4})
Dieser Verstoß hält bis heute an, meine Damen und Herren!
({5})
Sie verstoßen damit nicht gegen irgendeine Regel der
Europäischen Union, sondern Sie verstoßen damit gegen
die zentrale Rechtsordnung, die sich die Europäische
Union auf dem Weg in die politische Union und mit der
Wirtschafts- und Währungsunion gegeben hat. Sie höhlen nicht nur das Fundament unserer gemeinsamen Währung aus, Sie höhlen auch das Vertrauen der Menschen
in die Zukunft der gemeinsamen europäischen Währung
aus, ja, Sie zerstören es.
({6})
Was hier stattfindet, ist in seinen Konsequenzen verheerend. Was Deutschland und Frankreich im letzten
Jahr begonnen haben, setzt sich in einer ganzen Reihe
von weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union
fort. Es überträgt sich mittlerweile auch auf einige Staaten, die der Europäischen Union erst am 1. Mai 2004
beigetreten sind. Schon heute ist absehbar, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union so
ausgehöhlt wird, dass so beständig gegen Geist und
Buchstaben dieses Vertrages verstoßen wird, dass er
wahrscheinlich auf Dauer in einer größer werdenden
Europäischen Union und in einer größer werdenden
Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion keinen
Bestand mehr haben wird. Was Deutschland hier anrichtet, ist das glatte Gegenteil von dem, was wir in diesem
Parlament den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
einstimmig versprochen haben, meine Damen und Herren.
({7})
Gestern hat in Luxemburg der Finanzministerrat getagt. Bei dieser Gelegenheit ist das Verhalten Griechenlands zu Recht kritisiert worden: Griechenland hat seinen
Beitritt in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion offenkundig mit gefälschten Zahlen ermöglicht.
({8})
Aber wie reagiert der Rat und wie reagiert Deutschland? Die Kommission ist darum bemüht, aufzuklären,
was war. Dazu braucht die Kommission Zugang zu den
Daten. Der Bundesfinanzminister selbst sagt sehr öffentlichkeitswirksam: Das muss jetzt mit aller Konsequenz
von der Kommission aufgeklärt werden. - Im selben
Atemzug enthalten die Bundesrepublik Deutschland und
mit ihr eine Reihe von anderen Mitgliedsländern der
Europäischen Kommission das Instrumentarium vor, das
zur Aufklärung dieses Sachverhaltes notwendig ist. Die
Kommission braucht Zugang zu den Daten. Wenn die
Bundesrepublik Deutschland diesen Zugang verweigert,
dann macht sie sich erneut eines schweren Vergehens gegen Geist und Buchstaben des Vertrages über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion schuldig.
({9})
Das, was Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank und in der Koalition, hier machen, ist nicht
eine aus der Not des Augenblicks geborene, kurzfristige
Entscheidung gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt, sondern eine systematische Aushöhlung einer
Rechtsgrundlage, die Sie in Wahrheit nie gewollt haben.
Denn die Diskussionen über die Unabhängigkeit der
Zentralbanken, die Diskussion über die Unabhängigkeit
der Europäischen Zentralbank haben in der SPD, bei
den Grünen und auch bei den Gewerkschaften bis heute
in Wahrheit nicht aufgehört.
Sie können das wie einen roten Faden durch die letzten Jahre verfolgen. Sie verstoßen in diesem Jahr zum
dritten Mal hintereinander bewusst gegen den Stabilitätspakt. Sie werden im nächsten Jahr erneut, zum vierten Mal, bewusst gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen. Das sind doch keine Kassandrarufe der
Opposition. Hier sitzt die Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, eine Kollegin aus
der Fraktion der Grünen. Sie hat in dieser Woche in einem öffentlichen Interview erneut gesagt: Jawohl, wir
werden wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder gegen
den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen. - Zum
vierten Mal hintereinander verstoßen Sie gegen den
Stabilitäts- und Wachstumspakt. Zum dritten Mal hintereinander legen Sie uns in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt vor, obwohl Sie schon zu Beginn des Haushaltsjahres gewusst haben, dass keine Zahl, die Sie dem
Parlament hier vorgelegt haben, stimmt.
({10})
Das lässt Rückschlüsse auf Ihr Denken zu, und zwar
nicht nur auf Ihr Denken in der Finanzpolitik und in der
Haushaltspolitik, sondern auch auf Ihr Denken in Bezug
auf die Verantwortung der Institutionen füreinander. Sie
beseitigen die Rechtsgrundlagen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes und Sie höhlen das Budgetrecht des Parlaments systematisch aus. Das, was hier geschieht, hat Langfristfolgen, die wir heute noch gar nicht
wirklich abschätzen können. Es wird - auch für das
Rechtsbewusstsein der Bevölkerung insgesamt - verheerende Folgen haben.
({11})
Sagen Sie bitte nicht, das sei nun wiederum nur Oppositionsrhetorik! Sie, die Kommission und einige
Finanzminister der Europäischen Union stoßen mit dem
Wunsch, einen Teil des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der Europäischen Union zu ändern, auf den erbitterten Widerstand der gesamten Fachöffentlichkeit. Die
Europäische Zentralbank hat sich unmittelbar nach der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die
Vertragsverletzung klar und deutlich gegen eine Änderung des EG-Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geäußert. Die Deutsche Bundesbank hat
vor wenigen Wochen, am 7. September, klar und deutlich zu Protokoll gegeben:
Der Stabilitätspakt hat kein Ausgestaltungs-, sondern ein Umsetzungsproblem.
Die Reformvorschläge machten das bestehende Regelwerk komplizierter und unübersichtlicher. Der Anreiz zu
einer soliden Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten der
Währungsunion werde verringert und es werde ein falsches Signal an die Länder gegeben, in denen die Währungsunion bisher noch nicht eingeführt worden sei. Das sagt die Bundesbank. Sie hat die originäre Zuständigkeit, die Währungspolitik zu begleiten und die
Grundlagen für eine stabile Währung zu schaffen.
Was fällt diesem Bundesfinanzminister ein, in einer
Presseerklärung, also öffentlich und nicht irgendwie zufällig, der Bundesbank dringend zu empfehlen, sich zurückzuhalten? Was ist das eigentlich für eine Haltung gegenüber einer der wichtigsten Institutionen im gesamten
Gefüge der Währungs- und Finanzpolitik, gegenüber einer Institution, die immer noch mit die höchste Achtung
in der gesamten Bundesrepublik Deutschland und ihrer
Bevölkerung genießt? Was ist das für ein Politikverständnis, das da zum Ausdruck kommt?
({12})
Ob von den Wirtschaftsforschungsinstituten oder vom
Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds - wohin Sie auch hören, von allen Seiten
wird dem Versuch, die Regeln des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes aufzuweichen, eine klare Absage erteilt. Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag
vor, die Geschäftsgrundlage - ich habe es bereits
gesagt -, die der Deutsche Bundestag sich selbst und damit unserem Land gegeben hat, noch einmal zu bekräftigen. Es darf an den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nichts geändert werden. Es darf vor allen
Dingen nichts geändert werden, was dazu führen könnte,
dass das Vertrauen der Menschen in unsere gemeinsame
Währung, den Euro, weiter erschüttert wird.
Meine Damen und Herren, spätestens der nachfolgende Redner wird die Frage stellen, was denn angesichts der sich ständig weiter verschlechternden Lage der
öffentlichen Haushalte die Alternative zu einer sich ständig weiter erhöhenden Verschuldung ist. Ich will Ihnen
dazu einen kurzen Satz aus dem Herbstgutachten der
wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vortragen, das sich ausführlich mit der Finanzpolitik beschäftigt. Der Kernsatz lautet:
Die Finanzpolitik lässt nach wie vor ein klares Konzept vermissen, mit dem das Wachstum gestärkt
werden kann.
Wenig später heißt es:
Zudem gehen die ohnehin bescheidenen Schritte
zur Konsolidierung des Staatshaushalts wieder einmal zulasten der öffentlichen Investitionen und damit jenes Teils der Staatsausgaben, von dem am
ehesten positive Wirkungen auf das Wachstum ausgehen.
({13})
Das heißt, das, was Sie tun, stellt eine Korrektur über
die Einnahmenseite dar. Sie versuchen, mit Steuererhöhungen den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu
bringen. Korrekturen auf der Ausgabenseite finden überwiegend an der falschen Stelle, nämlich bei den investiven Ausgaben der öffentlichen Hand statt. Meine Damen
und Herren, dazu gibt es eine Alternative. Die Alternative lautet: eine wirklich vorurteilsfreie Überprüfung der
konsumtiven Ausgaben, einschließlich aller Subventionen der sozialen Sicherungssysteme.
({14})
Es kann nicht gut gehen - das ist jetzt keine Kassandra-Opposition; Sie brauchen nur das nachzulesen,
was Herr Professor Sinn heute in einem umfassenden
Beitrag in der Zeitung „Die Welt“ veröffentlicht hat -,
wenn wir aus dem laufenden Etat des Bundes jedes Jahr
einen Zuschuss von im Augenblick rund 80 Milliarden
Euro an die Rentenversicherungen überweisen.
({15})
Es geht nicht gut, wenn Sie nur Lasten verschieben: aus
den sozialen Sicherungssystemen in den Staatshaushalt.
Hier müssen ganz grundlegende Reformen durchgeführt
werden. Ich gestehe zu, Sie haben im Bereich der Rentenpolitik etwas gemacht - allerdings sehr spät und nur
als Korrektur einer Regelung, die Sie lediglich hätten
beibehalten müssen. Mit der Aussetzung des demographischen Faktors, den Sie ja später wieder eingeführt haben, haben Sie einen schweren politischen Fehler begangen. Das wäre vermeidbar gewesen.
({16})
Wir müssen jetzt auch eine grundlegende Kurskorrektur bei den Krankenversicherungen einleiten.
({17})
Dass das schwer ist, brauchen Sie uns nicht zu sagen.
Wenn aber dieses System nicht demographiefest gemacht wird, dann werden alle Anstrengungen, den
Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, zum Scheitern
verurteilt sein.
({18})
Wir, meine Damen und Herren, können hier lange
über strittige Fragen wie die Eigenheimzulage und anderes diskutieren. Ich vermute, auch dieses wird hier
heute noch einmal eine Rolle spielen. Selbst wenn wir
die Eigenheimzulage sofort komplett streichen würden,
würden wir damit im ganzen Jahr 2005 nur so viel sparen, wie der Bundesfinanzminister jede Woche an neuen
Schulden macht. Hören Sie also auf, hier mit irgendwelchen Formulierungen einen Popanz aufzubauen, die uns
nicht weiterhelfen, sondern im Gegenteil von dem ablenken, was wirklich notwendig ist.
({19})
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland eine ganz grundlegende Neuausrichtung der Politik
auf Wachstum und Beschäftigung. Die Lösung der Budgetprobleme in Deutschland ist ausschließlich durch eine
Konsolidierung der Ausgabenseite des Haushaltes und
durch eine wachstums- und beschäftigungsorientierte
Wirtschaftspolitik möglich.
Wir beklagen uns alle völlig zu Recht darüber, dass
gegenwärtig mit Opel und Karstadt zwei wichtige Unternehmen in der Krise stecken. Wir übersehen dabei, dass
seit Jahren Woche für Woche dasselbe wie bei Karstadt
und Opel passiert, nur ist das nicht so spektakulär, weil
es sich nicht um solche bedeutenden Markennamen handelt. In Deutschland gehen seit geraumer Zeit, seit mehreren Jahren, jede Woche 10 000 Beschäftigungsverhältnisse verloren. Im Jahr macht das eine halbe Million aus.
Wenn Sie Ihre Wirtschaftspolitik nicht korrigieren,
wenn Sie Ihre Arbeitsmarktpolitik nicht darauf ausrichten, dass die Beschäftigung in Deutschland steigt, und
endlich Konkurse und Abwanderung stoppen, dann werden wir die Budgetprobleme nicht lösen können.
({20})
Dann werden Sie alle, die Sie jetzt hier sitzen, wenn Sie
eines Tages von der politischen Bühne abtreten - und
das wird geschehen -, sich zum Abschluss Ihrer Regierungstätigkeit den schlimmsten Vorwurf machen lassen
müssen, den man in einer Demokratie gegenüber einer
Regierung erheben kann, nämlich auf Kosten nachfolgender Generationen gearbeitet zu haben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({21})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Poß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines
scheint mir nahezu sicher zu sein, Herr Merz: 2006 werden wir nicht gehen. Ich glaube, dass die Menschen das
inzwischen spüren und dass die Entwicklung in den Umfragen das auch widerspiegelt.
({0})
In den Umfragen spiegelt sich wider, dass es Ihnen überhaupt nicht gelingt, eine widerspruchsfreie Politik zu
formulieren, weder in der Gesundheitspolitik noch in der
Steuerpolitik noch in der Finanzpolitik. Sie sind voller
Widersprüche.
({1})
Herr Merz, Ihr Beitrag hier war wieder ein Beleg dafür, dass man von rednerischen Fähigkeiten nicht unbedingt auf logische oder politische Fähigkeiten rückschließen kann.
({2})
Der Europäische Gerichtshof hat sich - anders, als
Sie hier suggeriert haben - gar nicht zur Sache geäußert,
sondern zum Verfahren. Wenn Sie an die ersten Entschließungen Anfang der 90er-Jahre erinnern, wo es in
unserer Debatte um Währungsstabilität ging - vollkommen richtig -, dann müssen Sie doch auch dazusagen,
dass wir trotz dreijähriger Stagnation in den entwickelten europäischen Staaten eine absolute Stabilität des
Euro hatten. Das ist doch wohl unbestritten, meine Damen und Herren.
({3})
Wovon reden Sie eigentlich, wenn Sie den Eindruck erwecken, man müsse verhindern, dass der Euro geschwächt wird?
Sie haben als Zeugen für Ihre Position die Europäische Zentralbank und die Bundesbank zitiert. Ja, erwarten Sie denn, dass die Erfinder des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes diesen selbst infrage stellen? Das ist
doch wohl überhaupt nicht zu erwarten.
Lassen Sie uns über die Alternativen reden. Ihre Alternative ist, dass wir Kürzungen vornehmen sollen; das
sagt ja auch die Mehrheit der Institute. Aber welche
Konsequenzen hätte es denn, wenn wir mit Kürzungen
von 10 oder 12 Milliarden Euro hineingingen?
({4})
Eine solche Maßnahme würde sich sofort bei den Investitionen auswirken. Das heißt, wir würden in einen
wirtschaftlichen Aufschwung, der nicht ohne weltwirtschaftliche Risiken ist, hineinsparen. Das kann doch
ökonomisch keinen Sinn machen, was Sie da vorschlagen, Herr Merz und meine Damen und Herren von der
Union!
({5})
Der Antrag der Union lässt deutlich erkennen, dass
die Union weiterhin einer rein mechanistischen Auslegung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes das Wort redet und in der Währungs-, Wirtschaftsund Finanzpolitik weiterhin von einem simplen ökonomischen Weltbild ausgeht.
({6})
Die Union und hier an erster Stelle Herr Merz ignorieren
wesentliche ökonomische Zusammenhänge.
({7})
Mit einer drei Jahre andauernden Stagnation bzw.
Wachstumsschwäche in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten, die erst jetzt zu Ende geht, haben wir keine schlichte
Abfolge von Aufschwung und Abschwung im Konjunkturzyklus mehr, wie es vielleicht in den Lehrbüchern steht. Das ist die Realität, meine Damen und Herren. Wir müssen realitätstaugliche Konzepte entwickeln,
statt sozusagen abgehobene Betrachtungen anzustellen,
wie Sie das hier getan haben.
In den entwickelten europäischen Ökonomien folgt
auf einen Abschwung offensichtlich nicht mehr in absehbarer Zeit ein entsprechender konjunktureller Aufschwung. Die über Jahre andauernde Stagnation hat zu
folgenschweren nachhaltigen Absenkungen des Beschäftigungsniveaus und des Niveaus der staatlichen
Steuereinnahmen gegenüber dem erwarteten Niveau geführt. Hier - und nicht in mangelnder Sparsamkeit oder
öffentlicher Verschwendung - liegt zumindest in
Deutschland die Ursache für das stark angestiegene
Staatsdefizit.
Darauf wollen die Union und leider auch ein Teil der
Wirtschaftswissenschaftler mechanistisch mit rigiden
und kurzfristigen Konsolidierungsauflagen reagieren.
Dadurch würden aber die nach wie vor bestehenden Risiken für die Wirtschaftsentwicklung verstärkt. Sie wollen die Wirtschaft wieder in einen Abschwung hineinsparen. Das machen wir nicht mit!
({8})
Sie wollen dadurch die Möglichkeiten einer nachhaltigen, aktiven Wachstumspolitik verringern. Aber auf
eine aktive Wachstumspolitik, die auf Bildung und Innovation setzt, kommt es jetzt an. Ich nenne deswegen Ihre
Position schlichtweg ökonomisch hilflos und unsinnig.
Die wirtschafts- und finanzpolitisch Verantwortlichen
der Union sind heute offensichtlich immer noch nicht
weiter als der ehemalige CSU-Bundesfinanzminister
Theodor Waigel, der seine ökonomischen Vorstellungen
mit seinem schon in den 90er-Jahren sehr fragwürdigen
und kritikwürdigen Statement „3,0 Prozent sind 3,0 Prozent“ dokumentiert hatte.
({9})
Aber statt juristisch formaler Aussagen - was Sie hier
vorgetragen haben, war Ihre juristische Interpretation
dieser Aussagen, Herr Merz - ist eine ökonomisch sinnvolle Auslegung des Stabilitätspaktes die richtige ökonomische Antwort. Sie haben hier Juristerei gemacht. Wir
machen dagegen das - das ist die Alternative -, was für
die deutsche Volkswirtschaft, für die Arbeitsplätze in
Deutschland und für die Stabilisierung des Aufschwunges notwendig ist.
({10})
Der EU-Währungskommissar Almunia weiß das.
Er hat deshalb am 3. September dieses Jahres Vorschläge
zu einer Auslegung bzw. Anwendung des europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspaktes gemacht - ich möchte
unterstreichen: Wachstumspaktes -, die angemessener
auf die Situation anhaltender Wachstumsschwäche
reagieren. So ist es unter anderem notwendig, stellt Herr
Almunia fest, stärker als bisher der jeweiligen wirtschaftlichen Situation und Entwicklung in den einzelnen
Mitgliedstaaten Beachtung zu schenken. Die Vorschläge
Almunias sind eine gute Grundlage für die entsprechenden Beratungen im Europäischen Rat der Wirtschaftsund Finanzminister.
Sie können doch hier nicht das Fehlen von Herrn
Eichel beklagen, wenn er heute in Luxemburg deutsche
Interessen im Ecofin vertritt, Herr Merz. Das geht nicht.
Herr Eichel ist entschuldigt.
({11})
Ihre Vorstellungen zum Stabilitätspakt, meine Damen
und Herren von der Union, sind dagegen kein gangbarer
Weg.
Die von Ihnen für sich in Anspruch genommene Regierungsfähigkeit würde vielmehr voraussetzen, auf die
bestehenden Probleme und Erfordernisse mit realitätstauglichen und widerspruchsfreien Politikkonzepten
zu reagieren. Bei Ihnen ist das Gegenteil der Fall. Das ist
- neben persönlichen Gründen - auch der tiefere Grund
für Ihren Rückzug aus Ihren Partei- und Fraktionsämtern, Herr Merz. Das wissen Sie.
Schon mindestens seit dem Bundesparteitag der CDU
in Leipzig im letzten Dezember war den Verantwortlichen und den einigermaßen Sachkundigen in der Union
klar, dass das Kopfpauschalenmodell von Frau Merkel
die von Herrn Merz in seinem Steuerreformkonzept versprochenen Steuersenkungen prinzipiell nicht zulässt. Es
war schon damals klar, dass das Kopfpauschalenmodell
von Frau Merkel im Gegenteil sogar Steuererhöhungen
für den so genannten Sozialausgleich zur Folge haben
würde.
({12})
Sie, Herr Merz, haben zusammen mit Frau Merkel Ihren
eigenen Parteitag getäuscht. So gehen Sie mit Ihrer Basis
um. Das ist die Wahrheit.
({13})
Sie sollten sich einmal anschauen, wie die Wirtschaftsverbände, insbesondere die der mittelständischen
Wirtschaft, auf die verschiedenen Modelle zum Sozialausgleich - beispielsweise wurde ein entsprechender
Soli vorgeschlagen - reagiert haben. Man muss dabei die
Tatsache berücksichtigen, dass 85 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland Einkommensteuer als Unternehmensteuer zahlen. Das ist nur ein
Beispiel für etliche Ungereimtheiten; man könnte noch
weitere nennen. Frau Merkel hat mit Ihrer Zustimmung,
Herr Merz, beide nicht miteinander zu vereinbarenden
Konzepte - Kopfpauschale und Steuerreform - auf dem
Leipziger Parteitag beschließen lassen.
Hinzu kommt die offensichtliche Unfinanzierbarkeit
Ihrer Steuervorschläge. Das haben im Frühjahr die
Finanzminister aller Länder unabhängig von der Parteizugehörigkeit festgestellt. 30 Milliarden Euro Steuerausfälle, die sich nach Ihren Vorschlägen ergeben würden,
sind angesichts der Situation, in der sich die öffentliche
Hand befindet, für Bund, Länder und Kommunen - es
geht hier nicht nur um den Bund - überhaupt nicht zu
verkraften. Ihre Vorschläge würden im Sinne des
Maastricht-Defizitkriteriums für Deutschland eine Erhöhung um 1,5 Prozentpunkte bedeuten. Dabei sind Sie es
doch, die immer Stabilität nach dem Motto „3 Prozent
sind 3 Prozent“ einfordern. Wenn man Ihren Vorschlägen folgte, lägen wir im nächsten Jahr nicht bei
3,0 Prozent - diesen Wert wollen wir ja erreichen -, sondern würden bei 4,5 Prozent landen.
({14})
Das alles passt doch nicht zusammen.
({15})
- Herr Austermann, nach all den Fehlprognosen, die Sie
sich in den letzten Jahren auch in der Haushaltspolitik
erlaubt haben,
({16})
sollte man Ihren Äußerungen nicht mehr allzu viel Bedeutung zumessen.
({17})
Steuererhöhungen oder ein massiver zusätzlicher
Aufwuchs der Staatsverschuldung - das ist die Zukunftsperspektive der Union. Sie sind entgegen dem Bild, das
Sie erzeugt haben, in Wahrheit eine Steuererhöhungspartei.
({18})
In der Tatsache, dass das Rechnen in Milliarden offenkundig nicht zu den Stärken von Frau Merkel und Herrn
Merz zählt, sehe ich die tatsächliche Gefährdung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Sie sind
die eigentliche Gefahr für den Stabilitäts- und Wachstumspakt.
({19})
Ihr Rücktritt, Herr Merz, ist eindeutig das Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Steuer- und Finanzpolitik.
({20})
Für mich war dieser Rücktritt deshalb zwangsläufig.
Gleichzeitig ist dieser Rücktritt - das macht seine eigentliche Bedeutung aus - die erste nennenswerte personelle
Konsequenz aus der Tatsache, dass bei der Union
Steuerpolitik und Sozialpolitik nach wie vor überhaupt
nicht konzeptionell zusammenpassen.
({21})
Jetzt kommt zum Vorschein, dass Sie in Wahrheit eine
Steuererhöhungspartei sind. Man braucht gar nicht das
Wort des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber von
den „Leichtmatrosen“ bemühen. Aber kompetent und regierungsfähig ist all das, was sich unter der Verantwortung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Angela
Merkel abspielt, nicht.
Ihre Vorschläge führen im Übrigen - das hat Herr
Seehofer vorgerechnet - zu Finanzrisiken von mehr als
100 Milliarden Euro. Wenn wir dann noch Ihren Beschluss zur Abschaffung der Gewerbesteuer hinzunehmen, dann sind wir bei gut 125 Milliarden Euro.
Eine Konsequenz all Ihrer Beschlüsse ist die Entwicklung Ihrer Umfrageergebnisse: Herr Merz und Frau
Merkel sind und bleiben ein 125-Euro-Milliarden-Risiko.
({22})
Das ist nicht gut für den Standort Deutschland und das
ist nicht gut für den Stabilitäts- und Wachstumspakt.
({23})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas
Pinkwart.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gestern äußerte Kollege Wend von der SPD in
einer Fernsehdiskussion, bezogen auf die großen Strukturprobleme unseres Landes, dass die beiden großen
Volksparteien in den vergangenen 15 Jahren - so sagte er
dort - offenbar unter einem Realitätsverlust gelitten hätten. Heute beraten wir hier unter anderem einen Antrag
von den Koalitionsfraktionen und hören Äußerungen
von Herrn Poß, die Bundesregierung habe auf die
schwache wirtschaftliche Entwicklung mit der - ich zitiere die Bundesregierung - „Fortsetzung der Konsolidierung der Haushalte“ reagiert.
({0})
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir zum dritten Mal hintereinander Haushaltspläne vorgelegt bekommen - dies gilt auch für die Aufstellung des nächsten; es
geschieht also zum vierten Mal -, die erkennbar verfassungswidrig sind, vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass Sie in diesem Jahr zum dritten Mal und nach Aussage des Herbstgutachtens auch im kommenden Jahr gegen die Kriterien von Maastricht verstoßen werden, können jedenfalls wir nur feststellen: Sie leiden nach wie
vor, und zwar verstärkt, unter einem Realitätsverlust.
({1})
Dies ist aus meiner Sicht eine nicht mehr zu verantwortende Politik. Der Bundeskanzler hat unlängst in einer Regierungserklärung gesagt, er wolle eine Politik
machen, die in großer Verantwortung gegenüber den
Kindern und Enkelkindern, in Verantwortung gegenüber der nächsten Generation stehe. Als Mitglied dieses
Hauses sage ich Ihnen: Ich fühle mich beschwert durch
eine Bundesregierung, die in dieses Parlament Haushaltspläne einbringt, die bereits bei der Vorlage erkennbar Makulatur sind und nur von Tricksen, Tarnen und
Täuschen leben. So können Sie mit dem Parlament und
mit der deutschen Öffentlichkeit nicht weiter umgehen.
({2})
Die Grünen, die im Finanz- und Haushaltsausschuss
zum Teil in vielen Punkten Übereinstimmung mit Anträgen der Opposition gezeigt haben - ich erinnere an unseren Entwurf eines Subventionsabbaugesetzes vor der
Sommerpause -,
({3})
in der Sache also oft zustimmen, beteiligen sich durch
ihr Abstimmungsverhalten nach wie vor an dem Marsch
in den Schuldenstaat.
({4})
Sie haben sich von der Politik der Nachhaltigkeit längst
verabschiedet und betreiben nur noch eine Politik der
Kurzatmigkeit. Das ist Ihre Bilanz.
({5})
Herr Poß, beim Stabilitäts- und Wachstumspakt handelt es sich nicht um eine rechtliche Konstruktion. Es
handelt sich um ein Versprechen der deutschen Politik an
die Menschen in diesem Lande, die Erfolgsgeschichte
der D-Mark - eine Erfolgsgeschichte, die in beiden Teilen Deutschlands als eine solche erlebt und wahrgenommen worden ist -,
({6})
diese Stabilitätskultur auf den Euro zu übertragen.
({7})
Jetzt machen Sie zweierlei: Sie stellen erstens die Regeln infrage und zweitens -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Spiller?
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
({0})
Ich würde meine Ausführungen gerne zunächst zu
Ende führen. Danach gestatte ich gerne die Zwischenfrage.
Sie haben noch zwei Minuten.
Zum einen stellen Sie die Regeln infrage. Sie wollen
sie in Brüssel aufweichen.
Letzte Woche sind zwei Ökonomen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden, die sich mit eben diesen
Fragen beschäftigt haben, nämlich mit zeitlicher Inkonsistenz von Politik, mit den Folgen von Vertrauensbruch
durch Politik für die Ökonomie. Die beiden Ökonomen,
die in diesem Jahr den Nobelpreis bekommen, haben
wissenschaftlich unterlegt nachgewiesen, dass ein derartiger Vertrauensbruch durch Politik nachhaltig zur Schädigung von Volkswirtschaften beiträgt.
({0})
Darüber hinaus haben sie in ihren wissenschaftlichen
Arbeiten belegt: Wir brauchen nicht nur Regeln, die eingehalten werden, sondern wir brauchen auch Institutionen, die die Einhaltung der von der Politik vorgegebenen Regeln unabhängig überprüfen
({1})
und damit zu deren Einhaltung beitragen können. Was
aber machen Sie? Sie weichen nicht nur Kriterien auf,
Sie stellen sie nicht nur infrage und zerstören dadurch
Vertrauen, sondern Sie hebeln auch Institutionen wie die
Kommission, die die Einhaltung der Defizitkriterien
überprüfen soll, aus.
({2})
Im Deutschen Bundestag geht der Finanzminister
- wie jüngst geschehen - hin und kritisiert den Präsidenten der Deutschen Bundesbank dafür, dass er öffentlich
Kritik an dem Verhalten der Bundesregierung geübt hat.
Sie beschädigen nicht nur die Regeln, sondern auch die
Institutionen. Die Folge ist ein nachhaltiger doppelter
Vertrauensbruch in diesem Land.
({3})
Jetzt lasse ich die Zwischenfrage zu.
Herr Kollege Pinkwart, sind Sie bereit, zuzugeben,
dass der Euro eine stabile Währung ist, dass er sowohl
bezüglich der inneren Geldwertstabilität als auch bezüglich seines Außenwertes, also im Verhältnis zu anderen
Währungen, zu den stabilsten Währungen überhaupt gehört? Sind Sie bereit, zuzugeben, dass es innerhalb der
Europäischen Währungsunion noch nie eine so breite, in
der gesamten Zone wirkende innere Geldwertstabilität
gegeben hat und dass der Außenwert des Euro nicht nur
ein Ausdruck der Dollarschwäche ist, sondern auch ein
Zeichen der Stärke, denn gegenüber dem britischen
Pfund oder dem Schweizer Franken ist der Außenwert
seit der Einführung des Euro nicht gesunken, sondern
eher gestiegen?
({0})
Herr Kollege Spiller, ich bin gerne bereit, Ihnen zu sagen, dass es die Vorgängerregierung war, die dies in den
90er-Jahren mit den europäischen Nachbarländern im
Euroraum ausgehandelt hat, und dass es aufgrund der
vernünftigen Grundanlagen dieses Stabilitäts- und
Wachstumspakts und der Tatsache - das bringen Sie zu
Recht in Ihrem Entschließungsantrag noch einmal zum
Ausdruck; insofern teile ich Ihren Antrag an dieser Stelle
ausdrücklich -, dass die anderen europäischen Länder
die Einhaltung dieser Kriterien ernst genommen und unsere Stabilitätsstruktur angenommen haben, tatsächlich
zu Stabilitätsfortschritten in der Eurozone gekommen
ist. Das ist völlig richtig. Das ist aber der Erfolg des von
der Vorgängerregierung mit den anderen europäischen
Ländern vereinbarten Stabilitäts- und Wachstumspakts.
({0})
Sie aber, Herr Spiller, stellen jetzt dieses Fundament
des Erfolges des Euro infrage.
({1})
- Herr Spiller, ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer
Frage.
Ergänzend dazu möchte ich Ihnen gerne beantworten,
was Sie für sich in Anspruch nehmen, um den Art. 115
noch erfüllen zu können: Sie wollen nämlich zum dritten
Mal - Sie müssen das noch beschließen; Ihr Bundeskabinett hat das schon getan - die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen. Da müssen wir
uns doch einmal fragen: Welche der vier Ziele sind denn
gestört?
({2})
- Doch, das ist genau der Punkt.
({3})
- Er hat gefragt, warum ich der Auffassung sei, dass
durch Ihre unvernünftige und verfehlte Haushalts- und
Finanzpolitik die Stabilität des Euro gefährdet wird. Das
ist doch Ihre Frage gewesen.
({4})
Die Stabilität des Euro wird doch durch Ihre Haushalts- und Finanzpolitik gefährdet: weil Sie die Regeln
infrage stellen und weil Sie die Institutionen schwächen.
Damit bewirken Sie, was Sie als Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in diesem Land feststellen. Nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch das
Wachstum hat sich in diesem Land durch Ihre Politik in
den letzten Jahren eben nicht hinreichend entwickelt.
Deshalb wollen Sie zum dritten Mal in Serie eine gravierende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für sich in Anspruch nehmen, Herr Spiller. Das ist
doch der Punkt.
Herr Kollege Pinkwart, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Gut, ich komme zum Schluss, ich will aber den Gedanken, wenn ich darf, zu Ende führen.
Ich will nur noch sagen: Durch Ihre Politik wird das
Vertrauen zerstört. Dadurch kommt es zur Konsumzurückhaltung, zum Investitionsattentismus und deshalb zu
dem geringen Wachstum, das von Ihnen dann als Grund
dafür angeführt wird, weshalb Sie in Serie gegen die
Verfassung in diesem Land verstoßen. Darin sehen Sie
die Folgen Ihrer verfehlten Politik, die am Ende auch das
gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht mit Blick auf die
Preisstabilität gefährden wird.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Merz hat gefragt: Was ist denn die Perspektive?
({0})
- Das ist eine gute Frage. Wenn man sich anschaut, was
sich die Union als Perspektive überlegt hat - in allen Irrungen und Wirrungen; das muss man dazusagen -, dann
stellt man fest: Die Perspektive ist eine Kopfpauschale
mit einem Finanzierungsdefizit von nach wie vor
40 Milliarden Euro.
({1})
Die Perspektive ist ein merzsches Steuerkonzept mit einem Finanzierungsdefizit, selbst wenn man die Subventionen mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro in
den jeweiligen Jahren gegenrechnet. Die Perspektive ist,
dass Sie weitere Ausgaben in anderen Bereichen tätigen
wollen. Alles zusammen schraubt sich der Fehlbetrag
- Herr Poß hat das völlig richtig gesagt - auf ein Volumen von insgesamt 125 Milliarden Euro hoch. Wenn das
die Perspektive Deutschlands sein soll, dann aber wirklich gute Nacht, Stabilitäts- und Wachstumspakt!
({2})
Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt liegt im Übrigen - das wird von der Union und von der FDP immer
wieder unterschlagen - nicht nur in der Verantwortung
der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen,
sondern auch in der Verantwortung der Länderhaushalte.
Das heißt, wir haben hier eine gesamtstaatliche Verantwortung: Sie betrifft den Bund,
({3})
sie betrifft die Länder und sie betrifft natürlich auch die
sozialen Sicherungssysteme. Sie wissen sehr gut, dass
diese Bundesregierung im Bereich der sozialen Sicherungssysteme Strukturveränderungen vorgenommen
hat, die natürlich - das ist ganz normal, das sagt Ihnen
jeder Ökonom und jeder Wissenschaftler - ihre Wirkung
erst mit einer gewissen Zeitverzögerung entfalten können. Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir halten
selbstverständlich daran fest. Der Stabilitäts- und
Wachstumspakt ist ein zentraler Pfeiler makroökonomischer Stabilität. Daran rüttelt niemand. Darum geht es in
der Diskussion auch nicht.
Ich möchte Ihnen, Herr Merz, sagen: Ich verstehe es
gut, dass Sie - in gewisser Weise muss man es ja so nennen - desertiert sind.
({4})
Ich habe wirklich Verständnis dafür, dass Sie die Chaostruppe in der Führung Ihrer Fraktion verlassen.
({5})
Was man sich heute aber fragen muss, ist: Was ist das,
was Herr Merz hier vorträgt? Ist das seine persönliche
Meinung, die in der Fraktion nicht den nötigen Rückhalt
findet, oder ist das die Meinung der Fraktion? Da Sie
Ihren Rückzug angekündigt haben, gehen wir davon aus,
dass es sich nicht um die Meinung Ihrer Fraktion, sondern um Ihre persönliche Meinung handelt, die ich übrigens sehr schätze. Sie tragen hier also nicht das vor, was
sich innerhalb der CDU/CSU-Fraktion abspielt. Das
muss man in diesem Kontext bewerten.
({6})
Nun möchte ich noch etwas zu den im Herbstgutachten formulierten Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen. Wenn man die einzelnen Zahlen bereinigt, wenn man also die Feiertagseffekte aus
den Wachstumsprognosen herausrechnet - diese Zahlen
sind ehrlicher -, dann beträgt das Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr 1,3 Prozent. Die
Perspektive für das Jahr 2005 liegt bei 1,7 Prozent. Es
gibt also positive wirtschaftliche Tendenzen, die auch
Sie zur Kenntnis nehmen und akzeptieren müssen.
({7})
Daher bitte ich Sie: Hören Sie endlich damit auf, dieses
Land schlechter zu reden, als es ist!
({8})
Es gibt positive Tendenzen, die uns von der OECD,
vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag und
von anderen Wirtschaftsverbänden bestätigt werden.
Diese Tendenzen müssen wir verstetigen und ausbauen,
um die Beschäftigungsschwelle positiv zu gestalten.
({9})
Das bedeutet ganz konkret Folgendes: Heute ist die Beschäftigungsschwelle bei einem Wachstum von 1,9 Prozent stabil. Das heißt, dass die Arbeitslosigkeit dann
nicht steigt. Durch die Strukturreformen, die die rotgrüne Bundesregierung beschlossen hat - ich meine
Hartz IV und andere Maßnahmen -, liegt diese Schwelle
in Zukunft bei 1 Prozent. Das heißt, dass der Status quo
zukünftig durch ein Wachstum von 1 Prozent gesichert
wird. Wenn es zu einem Wirtschaftswachstum von
1,7 Prozent kommt, wird die Beschäftigung sogar ansteigen. Das ist gut und das sollte man nicht unter den Tisch
kehren.
Ich bin froh, dass amerikanische Magazine, wie zu lesen ist, mittlerweile titeln: „Germany is back“. Nach
dreijähriger Stagnation verbessert sich die Situation. Es
zeigen sich auch im internationalen Wettbewerb positive
Entwicklungen.
({10})
Wir haben radikale Strukturveränderungen durchgeführt.
Jetzt müssen wir darauf achten, dass Wertschöpfungsketten, die es mit deutschen Standorten zu verknüpfen gilt,
auch international genutzt werden. Das ist nicht nur die
Aufgabe der Politik, sondern auch die Aufgabe der Wirtschaft. Die Wirtschaft hat in den letzten Jahren viele
Fehler gemacht. Es wurden auf der Managementebene
falsche Entscheidungen getroffen.
Das müssen wir auch in unseren Haushalten ausbaden. Denn alles, was in den Sand gesetzt wurde, findet
sich zum Beispiel in Form von Verlustabschreibungen in
unseren Haushalten wieder.
({11})
Auch das muss man sehen. Deswegen haben wir hier
eine Verantwortung, die nicht nur wir, sondern selbstverständlich auch die Wirtschaft bzw. das Management zu
tragen haben.
Frau Präsidentin, ich bin gleich am Ende
({12})
mit meiner Redezeit. - Mir geht es top.
({13})
Da Sie von der Union jetzt freudestrahlend gucken, muss
ich Ihnen sagen: Diese Aussage bezog sich nur auf
meine Redezeit; alles ist bestens um mich bestellt.
Ja, das haben wir verstanden.
Die Wissensgesellschaft ist unsere Chance für mehr
Beschäftigung. Wir tun alles, um dieses Ziel zu erreichen. Daher bitte ich Sie: Unterstützen Sie die Vorschläge, die von uns zum Thema Subventionsabbau vorgelegt worden sind.
({0})
Helfen Sie mit, Strukturveränderungen durchzuführen.
Dann haben wir eine gute Chance, den Stabilitäts- und
Wachstumspakt im nächsten Jahr einzuhalten.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich
Austermann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man
fasst sich an den Kopf, wenn man die Lage in Deutschland betrachtet: Wir befinden uns in der schlimmsten
Finanz-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Haushaltskrise - und der Kollegin Scheel fällt nichts anderes ein,
als den Kollegen Merz anzumeiern und hier über Feiertagseffekte und Verlustabschreibungen zu reden.
Ich möchte im Hinblick auf die tatsächliche Situation
in unserem Land zwei Anmerkungen machen. Das Erste
ist: Wenn ich heute die Bilanz der europäischen Finanzminister sehe und die Aufforderung des Bundeskanzlers
an die europäischen Staaten, sie mögen doch die Schuldenkriterien einhalten, sie mögen mehr sparen, dann
muss ich feststellen: Sie haben Deutschland in eine Situation gebracht, dass wir heute die Aufnahmekriterien für
die Eurozone nicht erfüllen würden. Das heißt, Deutschland ist inzwischen bei der Neuverschuldung und beim
Gesamtschuldenstand in einer Situation, die an andere
Länder außerhalb des Euroraums erinnert.
Das hängt natürlich mit anderen Dingen zusammen.
Wenn Sie heute Bilanzen über die Sozialausgaben und
die Arbeitsmarktlage in Deutschland betrachten, können
Sie feststellen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen
der Verschuldungspolitik und der Gesamthöhe der
Schulden auf der einen Seite und der Höhe der Sozialausgaben und den Arbeitsmarktzahlen auf der anderen
Seite. Sie können das auch an den Bundesländern sehen.
Zum Flächenland Schleswig-Holstein will ich nur sagen:
höchster Schuldenstand - höchste Sozialausgaben. Das
heißt, wenn Sie eine verantwortungslose Finanz- und
Haushaltspolitik machen, dann „gewährleisten“ Sie damit gleichzeitig, dass die Arbeitslosigkeit steigt und das
Wachstum sinkt.
({0})
Sie berufen sich darauf, Sie würden durch die höheren
Schulden, die Sie gemacht haben, den Aufschwung stabilisieren. Das ist genau das Gegenteil von der Wahrheit.
({1})
Denn höhere Schulden bedeuten eindeutig höhere Arbeitslosigkeit. Sie können diese Tendenz dem Herbstgutachten entnehmen. Die Gutachter sagen nicht: Wegen
der außerplanmäßigen zusätzlichen 15 Milliarden Euro
Schulden, die Sie machen, wird das Wachstum im nächsten Jahr nach oben gehen. Sie sagen, dass es wieder nach
unten geht. Das Wachstum - das Kümmerwachstum -,
das wir unter Ihrer Regierung haben, hat nicht ausgereicht, mehr Beschäftigung zu schaffen, sondern die
Zahl der Beschäftigten sinkt weiterhin.
Ihre verhängnisvolle Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik hat dazu beigetragen, dass das Wachstum in
den Keller geht, die Arbeitslosigkeit und die Sozialausgaben aber nach oben. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, die völlig im Gegensatz steht zu dem gesetzlichen Rahmen, den es spätestens seit 1967 - nicht 1987 mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des
Wachstums der Wirtschaft gibt.
Wenn man heute einem Studenten erklären will, was
der Unterschied zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit ist, braucht man bloß Ihre Haushaltspolitik zu nehmen.
({2})
Auf der einen Seite haben wir das Verfassungsrecht, das
gar nicht verändert werden muss. Art. 115 des Grundgesetzes sagt: Die Grenzen der Schulden sind dort, wo man
neues Vermögen schafft. Das machen Sie schon lange
nicht mehr. In diesem Jahr werden Sie doppelt so viel
neue Schulden machen, wie Sie investieren.
Jetzt wird darauf hingewiesen, dass der Bund seine
Verantwortung wahrgenommen hat, die Länder aber
nicht. Frau Scheel, hier sind Sie fundamental im Irrtum.
({3})
Sie haben nicht nur die europäische Verfassung gebrochen, Sie haben nicht nur die deutsche Verfassung gebrochen, Sie haben auch den nationalen Stabilitätspakt
gebrochen. Ich will Ihnen das konkret vorrechnen. Die
Länder und der Bund haben sich geeinigt: Keiner soll
mehr Schulden machen als einen Betrag X, damit das
Kriterium für die Neuverschuldung von 3 Prozent nicht
überschritten wird. Das bedeutet, der Bund sollte höchstens 45 Prozent der höchstens 3 Prozent aufnehmen,
Länder und Gemeinden zusammen die restlichen 55 Prozent. Jetzt schaue ich mir die Situation einmal an: Sie haben seit 1999 immer den größeren Teil an den Schulden
gemacht. In diesem Jahr wird es so sein, dass Sie mit
ständigen Sprüngen auf inzwischen 25 Milliarden Euro
über dem Limit gekommen sind. Das ist insgesamt ein
Anteil von etwa drei Vierteln der Schulden, die gemacht
werden.
Der Bund macht allein drei Viertel der Schulden! Sie
wollten aber nur 45 Prozent der Schulden machen. Wenn
man das abzieht, was der Bund unverantwortlicherweise
an zusätzlichen Schulden aufnimmt, können wir die
3 Prozent einhalten. So werden wir das nicht, obwohl
Sie es immer wieder prognostizieren.
Was Sie diesem Parlament, das die Haushaltshoheit
hat, mit ständigen falschen Prognosen zu Beginn des
Jahres, im Laufe des Jahres und am Ende des Jahres zumuten, das ist eine einzige Frechheit. Sie belügen das
Parlament, sie belügen die Bevölkerung. Das halte ich
für unverantwortlich, weil es Misstrauen sät und das
Investitionsklima kaputtmacht.
({4})
- Herr Poß, der Beitrag war ja wohl völlig daneben.
Zu meiner Prognosefähigkeit: Im Februar dieses Jahres habe ich gesagt, dass Sie am Ende des Jahres ein
Loch von 15 Milliarden Euro haben werden. Ich glaube,
das Loch im Haushalt beträgt 14,9 Milliarden Euro. Jeder hat es gewusst. Sie haben es sicher nicht gewusst.
Das glaube ich Ihnen gerne.
({5})
Wenn man so lange in der sozialistischen Jugend verankert war, dann ist klar, dass die Zusammenhänge für
wirtschaftliches Denken nicht ganz ausgeprägt sind.
({6})
Die Prognosen von Herrn Eichel haben das Verfallsdatum einer Milchtüte.
({7})
Der Unterschied ist aber, dass die Leute schon sauer
sind, bevor sie das Produkt überhaupt genossen haben.
({8})
Nein, ich glaube, Sie sollten zur Wahrheit zurückkehren. Manch einer wird enttäuscht sein. Wie unsere Kollegen auch sehe ich die Hauptverantwortung beim Bundesfinanzminister. Deshalb habe ich bei jedem Beitrag
gesagt, er müsse zurücktreten und den Kutschbock verlassen, da es keinen Wert hat.
({9})
- Herr Poß, ich glaube, wenn Sie die Lage in Deutschland betrachten, dann werden Sie meinem Bild zustimmen. - Ich habe den Eindruck, die Finanzgeschäfte sind
wie eine galoppierende Kutsche. Vorne sind die Haushaltsgäule. Früher saß einmal jemand auf dem Kutschbock und hat versucht, das Ganze mit den Zügeln in den
Griff zu bekommen. Inzwischen ist Herr Eichel vom
Bock heruntergestiegen und hält sich hinten an der Ladeklappe fest. Die Haushaltsdinge schleifen und er bezeichnet das als sinnvolle und gestaltende Politik.
({10})
Ich sage: Man braucht seinen Rücktritt nicht zu fordern;
denn er ist gar nicht mehr da. Er nimmt überhaupt keinen
Einfluss mehr auf die Entscheidungen.
({11})
Stellen Sie sich einmal vor, wofür sich jeder ordentliche Staat einen Finanzminister hält und einschließlich
der Ministerialzulage auch bezahlt. Natürlich tut man
das, damit er Einfluss darauf nimmt, dass das Geld zusammengehalten wird, dass man wieder ein stabiles
Wachstum hat. Er ist aber gar nicht da und nimmt sein
Amt nicht wahr. Ich werde nie wieder fordern, dass er
zurücktreten soll, weil ich ihn nicht mehr zur Kenntnis
nehme
({12})
und weil er vor allen Dingen in der Politik nicht mehr
zur Kenntnis genommen werden kann. Es tut mir Leid,
so ist die tatsächliche Lage.
({13})
Meine Damen und Herren, wir werden in diesem Jahr
eine Rekordverschuldung haben. Es ist der absolute Rekord in der Nachkriegszeit. Die Kollegen, die nachher
zum Nachtragshaushalt sprechen, werden das deutlich
machen.
({14})
Ich will ein Letztes sagen: Die Politik, die Sie betreiben, macht Deutschland ärmer. Wenn wir das durchschnittliche Wachstum aller Länder um uns herum der
letzten drei Jahre gehabt hätten, dann läge unser Bruttoinlandsprodukt heute um über 100 Milliarden Euro höher. Davon könnten sich die Deutschen übrigens
5 Millionen Opel Astra leisten.
In den letzten drei Jahren hätten wir dann das durchschnittliche Wachstum von England gehabt. Das hätte
ein zusätzliches wirtschaftliches Wachstum für uns bedeutet. Das setzt sich jedes Jahr fort. Das heißt, Sie
haben Deutschland um Zukunftschancen und eine wirtschaftliche Entwicklung und die Menschen um Arbeitsplätze betrogen, weil Sie eine Politik betreiben, die aufgrund des Übermaßes der von Ihnen zu verantwortenden
Verschuldung gegen Wachstum gerichtet ist.
Interessant ist, dass diese Wachstumspolitik natürlich
auch dazu beitragen würde, dass es dem Staat besser
ginge. Dieses zusätzliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 100 Milliarden Euro würde bedeuten, dass
der Gesamtstaat 20 Milliarden Euro an Mehreinnahmen
hätte. Damit könnte der Bund die doppelten Investitionsausgaben tätigen.
Das alles findet aufgrund der Situation nicht statt,
dass wir keinen Finanzminister mehr haben und dass
auch der Bundeskanzler nicht dafür sorgt, dass ein anderer an seine Stelle tritt.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Diller.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, es ist bezeichnend für Ihren Stil: Sie wissen,
dass der Bundesfinanzminister seit gestern an der Sitzung des Ecofin-Rats in Luxemburg teilnimmt, und beklagen hier trotzdem lauthals seine Abwesenheit.
({0})
Das disqualifiziert Sie, Herr Merz. Das ist Scheinheiligkeit hoch drei.
({1})
Aus den wenigen Ihrer angeblichen Argumente und
Hinweise greife ich heraus, dass Sie gesagt haben, dass
wir aus dem Bundeshaushalt ungefähr 80 Milliarden
Euro an die Rentenversicherungskassen überweisen.
({2})
Das ist einer der wenigen Punkte, die in Ihrer Rede
stimmten. In der Tat: Fast ein Drittel unserer gesamten
Ausgaben geht ausschließlich an die Rentenversicherung.
({3})
Nun hat Herr Ministerpräsident Stoiber im Frühjahr vorgeschlagen, 5 Prozent aller Ausgaben im Bundeshaushalt zu streichen. Kürzlich hat er noch einmal gesagt,
nicht 5 Prozent sollten gestrichen, sondern
12,9 Milliarden Euro sollten eingespart werden. Man
fragt sich natürlich: Wie kommt er auf 12,9 Milliarden?
Ganz einfach: Er hat das Ausgabenvolumen mit
5 Prozent multipliziert und kommt auf die
12,9 Milliarden.
Was heißt das jetzt? Herr Stoiber fordert namens der
CDU/CSU, den Zuschuss an die Rentenversicherung um
5 Prozent gleich 4 Milliarden Euro zu kürzen.
({4})
Dies bedeutet, die Rentenversicherungskasse müsste
entweder den Einnahmeausfall aus der Bundeskasse
durch Beitragssatzsteigerungen ersetzen. Das wäre eine
Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte. Wollen
Sie das? Dann sagen Sie es. Oder es wäre eine Kürzung
auf der Ausgabenseite der Rentenkasse notwendig. Das
heißt, Sie fordern, den Rentnerinnen und Rentnern 1 bis
2 Prozent weniger Rente auszuzahlen.
({5})
Wollen Sie das? Dann sagen Sie das im Klartext und reden Sie nicht so allgemein darüber.
({6})
Interessant ist, dass die CDU/CSU-Fraktion die Auffassung von Herrn Stoiber nicht teilt. In der ersten Lesung des Haushalts 2005 hat sich keiner Ihrer Rednerinnen und Redner die Forderung von Herrn Stoiber zu
Eigen gemacht, sondern Sie sagen alle, dass eine Einsparung von 12,9 Milliarden Euro zu viel ist und nicht zu
schaffen ist. Sie sagen, dass 3 Prozent gestrichen werden
sollen, das wären 7,5 Milliarden Euro. Jetzt beobachten
wir natürlich im Haushaltsausschuss die Kürzungsanträge der Union.
Die dicken Brocken kommen noch. Ich sage Ihnen
voraus, was der dickste Brocken sein wird. Die
4 Milliarden Euro, die wir als Zuschuss für die Bundesanstalt etatisiert haben, werden die Damen und Herren
von der Union auf null setzen wollen. Das bedeutet aber
eine dramatische Steigerung der Arbeitslosenzahlen.
Wollen Sie das?
({7})
Dann werden Sie sicherlich darauf zurückkommen,
was Sie schon einmal beantragt haben, nämlich
10 Prozent aller flexibilisierten Titel zu streichen.
10 Prozent der flexibilisierten Titel machen bei einem
Volumen von 15 Milliarden Euro 1,5 Milliarden Euro
aus, die gestrichen werden sollen. Herr Austermann, erzählen Sie doch endlich Ihrer Fraktion, was das beispielsweise im Haushalt des Verteidigungsministeriums
bedeuten würde!
({8})
Der Haushalt des Verteidigungsministeriums würde um
700 Millionen Euro gekürzt. Wollen Sie das? Erzählen
Sie bitte auch, was das im Haushalt des Bundesinnenministeriums bedeuten würde! Hier würden allein im Kapitel Bundesgrenzschutz, in dem 1,6 Milliarden Euro etatisiert sind, 160 Millionen Euro gestrichen.
({9})
Das kann überhaupt nicht funktionieren; denn in diesen
flexibilisierten Titeln sind sämtliche Personalausgaben
enthalten und man kann nicht einfach 10 Prozent der
Bundesgrenzschutzbeamtinnen und -beamten in Luft
auflösen.
({10})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Pinkwart?
({0})
Ja.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sind Sie bereit,
einzuräumen, dass seitens der Koalitionsfraktionen wie
auch von der Bundesregierung trotz der im Herbstgutachten genannten weiteren Haushaltsrisiken von 10 Milliarden Euro für den Haushalt 2005 im Rahmen der
Haushaltsberatungen bislang keinerlei substanziellen
Kürzungsanträge vorgelegt worden sind? Wären Sie darüber hinaus so freundlich, aus der Sicht des Finanzministeriums - wie ich meine, haben wir als Parlament ein
Recht darauf - darzulegen, wie Sie dafür Sorge tragen,
dass im kommenden Jahr sowohl die Maastricht-Kriterien als auch die Vorgaben des Grundgesetzes eingehalten werden können?
({0})
Herr Professor Pinkwart, ich bin Ihnen für diese Frage
sehr dankbar, gibt sie mir doch Gelegenheit, darauf hinzuweisen, was wir auf der Ausgabenseite alles schon
geleistet haben. Erstens. Seit der Regierungsübernahme 1998 haben wir 10 Prozent aller Ausgaben beim
Bundeshaushalt - das sind über 25 Milliarden Euro - gegenüber Ihrem Bundeshaushalt 1998 gestrichen.
({0})
Was die aktuelle Situation angeht, so haben der Sprecher Walter Schöler und die Sprecherin Anja Hajduk im
Haushaltsausschuss erklärt, dass man sich in Kenntnis
der im November, also in wenigen Wochen, vorzulegenden Steuerschätzung vorbehält,
({1})
entsprechende Konsequenzen bei der Ausgabengestaltung und der Einnahmengestaltung zu ziehen. Es wäre
wünschenswert, dass Sie fordern, bei der Sanierung des
Haushalts nicht nur auf der Ausgabenseite anzusetzen;
({2})
wir müssen auch auf der Einnahmenseite ansetzen. Sie
dürfen es nicht als Steuererhöhung diffamieren, wenn
wir sagen, dass die größte Subvention, die es gibt, endlich gestrichen werden muss. Da kneifen Sie und das ist
Ihr Versagen.
({3})
Nun sollte in der Diskussion auch einmal über die
Landesgrenzen hinausgeschaut werden. Deswegen zitiere ich aus einer aktuellen Übersicht der Europäischen
Kommission, die die Defizitquoten der Mitgliedstaaten der EU des Jahres 2001 mit den voraussichtlichen
Defizitquoten des Jahres 2004 vergleicht. Es handelt
sich also um einen Zeitraum von drei Jahren. Es ist in
der Tat beklagenswert, dass wir eine Verschlechterung
von 0,8 Prozentpunkten haben. Eine Verschlechterung
haben aber auch andere Länder, und zwar in viel größerem Umfang. Das hängt mit Ereignissen zusammen, die
viele von uns längst wieder vergessen haben. In den Jahren 2000 und 2001 gab es die BSE-Krise, ich erinnere
ferner an den 11. September, SARS und den Irakkrieg.
({4})
Ich nenne Ihnen, Herr Austermann, jetzt die Daten
der Länder, die mit uns in der Europäischen Union sind:
Dänemark hat eine Verschlechterung um 1,8 Prozentpunkte, Frankreich um 2,1 Prozentpunkte, Luxemburg
um 8,3 Prozentpunkte, die Niederlande um 3,5 Prozentpunkte,
({5})
Finnland um 3,2 Prozentpunkte, Schweden um 2,6 Prozentpunkte und das Vereinigte Königreich um 3,5 Prozentpunkte.
({6})
Wir aber haben nur eine Verschlechterung um
0,8 Prozentpunkte. Das zeigt, dass wir auch in dieser
schwierigen Situation jede Kraftanstrengung unternommen haben, zu kürzen und zu sparen, wo immer es geht.
Wir sind aber bei all unseren Vorschlägen auf Ihren erbitterten Widerstand gestoßen, nicht zuletzt im Bundesrat.
({7})
Deswegen tragen Sie ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung an der augenblicklichen Situation.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit festhalten: Zur
Sicherung der Stabilität der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion sind solide öffentliche Finanzen unabdingbar. Selbstverständlich brauchen wir auch in
Zukunft einen funktionsfähigen und glaubwürdigen Stabilitätspakt zur Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken. Es besteht zwischen allen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union Einvernehmen, dass die Referenzwerte des EG-Vertrages, nämlich das Defizitkriterium
von 3 Prozent und das Schuldenstandskriterium von
60 Prozent, nicht geändert werden.
Die gegenwärtige Diskussion, nicht zuletzt ausgelöst
durch die Klage der Kommission gegen den Rat vor dem
Europäischen Gerichtshof, zeigt, dass unterschiedliche
Ansichten darüber bestehen, wie diese Instrumente im
Einzelfall angewandt werden sollen. Der Europäische
Gerichtshof hat in seinem Urteil den von der Kommission
angestrebten Automatismus beim Defizitverfahren klar
abgelehnt. Der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass der Ecofin-Rat bei der Anwendung der gemeinsamen Regeln über ein Ermessen verfügt. Die Erfahrung zeigt, dass eine Handhabung der Regeln, die allein
auf das kurzfristige Erreichen quantitativer Vorgaben ausgerichtet ist, die Glaubwürdigkeit dieser Regeln schwächen kann. Auch eine Zentralbank fällt nicht automatisch
eine Zinsentscheidung, wenn ein einzelner Indikator einen Grenzwert überschreitet.
({8})
Auch hat sich gezeigt, dass der Pakt nicht zu einer
ausreichenden Konsolidierung in konjunkturell guten
Zeiten beitragen konnte. In Zeiten schwachen Wachstums wurden zum Teil restriktiv und prozyklisch wirkende Maßnahmen empfohlen, die den angestrebten
Konsolidierungserfolg letztlich gefährdet hätten.
An diesem Punkt setzt die Europäische Kommission
mit ihren Vorschlägen an, die nach Auffassung der Bundesregierung ein guter Ausgangspunkt sind, um eine
ökonomisch sinnvolle und stabilitäts- und wachstumsorientierte Anwendung des Paktes sicherzustellen.
Dies ist übrigens auch die Meinung anderer EU-Mitgliedstaaten, wie sie bei der ersten Beratung der Kommissionsvorschläge im Rat zum Ausdruck gekommen
ist.
Genau diese Position ist auch im Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
enthalten. Wir bedanken uns dafür, dass sie die Position
der Bundesregierung unterstützen.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen setzt darauf, dass
sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
Kommissionsvorschläge aktiv und konstruktiv an der
Diskussion auf europäischer Ebene beteiligt. Wir werden
entschieden Ansätzen entgegentreten, die zu einer Aufweichung des Paktes führen werden. Wir wollen aus den
Erfahrungen mit der Anwendung des Paktes solche Vorschläge prüfen, die ihn wetterfest für die Zukunft machen.
({9})
Heute ist - auch von dem FDP-Redner - wenig über
den Gesetzentwurf der FDP gesprochen worden, der
ebenfalls unter diesem Tagesordnungspunkt zur Beratung steht.
({10})
Lassen Sie mich deshalb einige Sätze dazu ausführen.
Der Gesetzentwurf der FDP konterkariert die derzeitigen Reformüberlegungen. Auch der Stabilitätspakt, Herr
Professor Pinkwart, lässt aus sehr guten Gründen in seiner derzeitigen Form und Handhabung Ausnahmeregelungen - beispielsweise zur 3-Prozent-Defizitobergrenze - zu, während Sie ein starres Korsett vorsehen.
Aber Sie sind auch zu kurz gesprungen.
({11})
Sie lassen in Ihrem Gesetzentwurf offen, wie hoch der
Anteil des Bundes auf der einen Seite und der Länder auf
der anderen Seite am zulässigen Defizit sein darf. Sie
lassen offen, ob die im Gesetzentwurf enthaltene Festlegung für die Ländergesamtheit oder für jedes einzelne
Land gilt und wie zu verfahren ist, wenn ein Land die
Grenze unterschreitet und andere Länder sie überschreiten und von dem einen Land erwartet wird, dass es umso
mehr spart, damit sie selber die Grenze überschreiten
können. Deswegen halten wir Ihren Gesetzentwurf nicht
für zustimmungsfähig.
Lassen Sie mich zum Abschluss Folgendes betonen:
Wir brauchen eine Regelbindung für die finanzpolitische
Koordinierung in der EU. Jede Regel muss aber im Licht
einer ökonomischen Analyse des Einzelfalles angewandt
werden. Nicht zuletzt brauchen wir in Zukunft wieder
Debatten über Inhalte und weniger Streitereien über Verfahren.
({12})
Ich bedanke mich, dass auch bei Ihnen die Einsicht
eingekehrt ist.
({13})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär Diller, es ist zwar schön, dass Sie
sich mit unserem Gesetzentwurf beschäftigen, aber es
wäre besser, sich damit inhaltlich auseinander zu setzen,
statt lediglich irgendwelche Punkte herauszugreifen und
festzustellen: Das geht nicht. Ich habe jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf vermisst. Darauf werde ich gleich weiter eingehen.
Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Die
Föderalismuskommission, die auch von diesem Parlament eingesetzt worden ist, tritt gerade in die entscheidende Phase ihrer Arbeit ein, die aber in dieser Debatte
komischerweise keine Rolle gespielt hat. Sie hat aber
sehr viel damit zu tun. Die Verflechtung, die in unserem
Staat besteht, hat mit dazu geführt, dass wir einen gigantischen Schuldenberg aufgetürmt haben. Deshalb ist die
Forderung nach Entflechtung nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in den Finanzbeziehungen gerade in
diesem Zusammenhang eine der zentralen Forderungen.
({0})
Ich will das sehr offensiv ansprechen, weil ich die
Sorge habe, dass diese Reform von beiden Seiten verhindert wird. Die Ministerpräsidenten haben sich in ihrem
Papier gegen Steuerautonomie und Steuerwettbewerb
ausgesprochen. Die Bundesregierung - man lese in diesem Zusammenhang das Interview der Bundesjustizministerin in der „Zeit“ - versucht, die Kommission sozusagen abzuwürgen. Ich sage Ihnen: Sowohl die
Bundesregierung als auch die Ministerpräsidenten müssen dann auch die Verantwortung tragen, wenn der Karren an die Wand gefahren wird, was wir uns gerade aus
Haushaltsgründen eigentlich nicht leisten können und
dürfen.
({1})
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dezidiert für
Steuerautonomie und damit für Steuerwettbewerb ein;
denn Steuerwettbewerb kann einiges initiieren, was wir
zum Abbau der Verschuldung dringend brauchen. Steuerwettbewerb führt zu mehr Effizienz bei öffentlichen
Leistungen, zu Kostenersparnissen und zu Innovationen.
Wenn das von verschiedenen Seiten abgelehnt und in der
Föderalismuskommission sogar zum Tabu erklärt wird,
dann werden Sie auf unseren entschiedenen Widerstand
stoßen. Wir werden eine Steuerreform zum Druckthema
in der Kommission machen, weil wir etwas durchsetzen
wollen. Deshalb haben wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt.
({2})
Wenn es Steuerwettbewerb zwischen den verschiedenen Ebenen gibt, müssen wir aber nach wie vor garantieren, dass die Maastricht-Kriterien gültig bleiben. Genau
dazu haben wir Vorschläge gemacht. Bund, Länder und
Gemeinden müssen gemeinsam in der Verfassung verpflichtet werden, die Maastricht-Stabilitätskriterien einzuhalten. Wir dürfen uns doch nicht Schritt für Schritt
daran gewöhnen, diese Kriterien zu verletzen. Vielmehr
müssen wir zu ihrer Einhaltung stehen. Das ist der Sinn
unseres vorgelegten Gesetzentwurfs.
({3})
Ich bitte an dieser Stelle um zwei Dinge: Beschäftigen Sie sich ernsthaft mit unserem Gesetzentwurf, der
als Grundlage einer Garantie für Währungsstabilität im
Euroraum und insbesondere in unserem Land anzusehen
ist! Machen Sie zusammen mit uns in der Föderalismuskommission den Schritt hin zu mehr Steuerautonomie
und Steuerwettbewerb! Beides kann unserem Land sowie seinen Bürgerinnen und Bürgern nur gut tun.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anna Lührmann.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
({0})
Danke sehr. - Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren! 14 Jahre bevor ich geboren worden bin, gab
es das letzte Mal einen ausgeglichenen Bundeshaushalt.
({0})
Das war im Jahr 1969. Danach, vor allem in den Jahren
der Kohl-Ära, ist die Staatsverschuldung rapide angestiegen. Gleichzeitig sind die Ausgaben für die soziale
Sicherung in die Höhe geschnellt. Diese Fehlentwicklung hat dazu geführt, dass der größte Teil der Ausgaben
des Bundes festgelegt ist; denn der Bund muss heute
rund 70 Prozent der Haushaltsmittel für Alterssicherung,
Arbeitslosigkeit und Zinszahlungen ausgeben. Schon
heute sind wir in der Situation, dass wir für die Zahlung
der Zinsen neue Schulden aufnehmen müssen. Daher ist
der Spielraum für Zukunftsinvestitionen so gering geworden. Das liegt vor allen Dingen daran, dass es verpasst worden ist, in konstanten Wachstumsphasen den
angehäuften Schuldenberg abzubauen. Im Gegenteil:
Munter wurden immer weiter neue Schulden gemacht.
Herr Pinkwart, Sie wagen es, von einer Kultur der
Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland vor der rotgrünen Bundesregierung zu sprechen. Dabei hat Ihre unverantwortliche Politik zu der Situation geführt, in der
wir uns jetzt befinden, nämlich dazu, dass es jetzt - nach
jahrelanger wirtschaftlicher Stagnation und wegen der
Kosten der Wiedervereinigung - für Deutschland so
schwierig ist, die Kriterien des Wachstums- und Stabilitätspaktes einzuhalten. Angesichts der Realität eines
Schuldenberges von 1,4 Billionen Euro hat meine Generation eine gesunde Ironie entwickelt. Ich kann nur sagen: Vielen Dank für das großzügige Erbe! Vielen Dank
dafür, dass wir heute nur noch so wenig Gestaltungsspielraum haben!
({1})
Die haushälterischen Fehler der CDU/CSU in der
Vergangenheit waren schlimm. Aber schlimmer ist, dass
Sie noch immer keine schlüssigen Konzepte haben. Um
das zu erkennen, reicht ein Blick in den Antrag, den Sie
heute zur Debatte gestellt haben. In diesem Antrag fordern Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
dass „die zukunftsgerichteten, durchgreifenden Reformen in der Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland endlich angegangen werden“. Welche strukturellen Reformen meinen
Sie damit? Die der CDU oder die der CSU, die von
Herrn Merz oder die von Frau Merkel?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Pinkwart?
Aber sicher.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lührmann. - Können Sie
mir bestätigen, dass bei Regierungsübernahme durch
SPD und Grüne die Neuverschuldung mit 2,2 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts und die gesamtstaatliche Verschuldung unter den für Maastricht relevanten Kriterien
von 3 bzw. 60 Prozent lagen, wohingegen die jetzige Regierung zum dritten Mal in Folge - in diesem Jahr mit
einer Neuverschuldung von 3,8 Prozent und einer Gesamtverschuldung von deutlich über 60 Prozent - beide
zentralen Ziele des Maastricht-Vertrags verfehlt?
({0})
Herr Kollege Pinkwart, vielen Dank für Ihre Frage; so
kann ich diesen Gedanken in meiner Rede noch etwas
weiter ausführen.
({0})
Diese Zahlen habe ich nie bestritten. Mir ging es aber
um die Frage, wie es dazu kommt, dass wir in einem solchen Schlamassel stecken.
({1})
- Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie das schon
vorhin gehört.
Lag nicht die Schuldenquote zu dem Zeitpunkt, als
die Kohl-Regierung antrat, bei knapp 40 Prozent? Als
wir die Regierung übernommen haben, lag sie bei
60 Prozent. Die heutigen Zahlungen für Zinsen schlagen
beträchtlich zu Buche. Darauf haben wir heute aber keinen Einfluss; die Spielräume sind uns damals von Ihnen
weggenommen worden. Deshalb bitte ich Sie, hier zu Ihrer Verantwortung zu stehen.
({2})
- Das glaube ich auch.
Wir stehen in der Tat in der Verantwortung, zu einer
besseren Haushaltssituation zu kommen. Ihre multiplen
Positionen, meine Damen und Herren von der CDU/
CSU, stellen hier jedoch einen Widerspruch in sich dar.
({3})
In der heutigen Debatte wurde bereits deutlich, dass Sie
auf der einen Seite unsere Vorschläge zum Subventionsabbau in zweistelliger Milliardenhöhe abgelehnt haben,
({4})
auf der anderen Seite aber bei der Krankenversicherung
ein Loch in zweistelliger Milliardenhöhe reißen wollen.
Einerseits verlangen Sie die Einhaltung der Stabilitätspaktkriterien; andererseits mauern Sie im Bundesrat
munter weiter, wenn es um konkrete Vorschläge zur
Haushaltskonsolidierung geht.
({5})
Was Sie hier betreiben, ist Volksverdummung und keine
verantwortungsvolle Politik.
({6})
Nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen:
({7})
Ich halte ausdrücklich am europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt fest. Fiskalpolitische Kontrollmechanismen, die die Mitgliedstaaten von einer übermäßigen Verschuldung abhalten sollen, sind für eine Währungsunion
unverzichtbar. Ziel einer nachhaltigen Finanzpolitik
muss es weiterhin sein, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Grenzen von 3 Prozent des BIP bei der
Neuverschuldung und von 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung nicht zu überschreiten.
Allerdings zeigen gerade die Erfahrungen in Deutschland, dass der Pakt ergänzt werden muss, um dieses Ziel
zu erreichen. Wie ich schon eben ausgeführt habe, hätten
wir im Jahre 2003 kein Defizit von 4 Prozent gehabt,
wenn früher begonnen worden wäre, strukturelle Reformen anzupacken und die Staatsverschuldung abzubauen.
Deswegen bin ich für die Vorschläge der EU-Kommission für den Stabilitätspakt aufgeschlossen. Diese Vorschläge geben der Kommission und dem Ecofin die
Möglichkeit, von den Euroländern den Abbau des Defizits und strukturelle Reformen zu verlangen. Wird dies
in konjunkturell besseren Zeiten angepackt, können die
Länder in einem Konjunkturtal ohne ein allzu hohes Defizit auskommen. Mit dieser Ergänzung kann das Vertrauen in den Pakt und seine Glaubwürdigkeit gestärkt
werden.
Die EU-Kommission schlägt außerdem vor, die
Schuldenquote nicht nur in ihrer quantitativen, sondern
auch in ihrer qualitativen Dimension zu erfassen. Hierzu
müsste die öffentliche Verschuldung vor allen Dingen in
Beziehung zur Entwicklung des Wissens- und Kapitalstocks der Volkswirtschaften gesehen werden. So wird
man auch den Zukunftsaufgaben der Gesellschaft und
künftigen Generationen eher gerecht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen.
({8})
Ich trete dafür ein, den Stabilitätspakt zukunftsorientiert
zu gestalten. Nur so schaffen wir es, glaubwürdig zu
bleiben und Vertrauen zu erhalten. Die EU-Staaten müssen verpflichtet werden, die erforderlichen Strukturreformen anzupacken und entschlossen umzusetzen sowie
- das ist die wichtige Neuerung - in Wachstumszeiten
den Schuldenberg abzubauen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, helfen
Sie mit! Helfen Sie Deutschland aus der Schuldenfalle!
Machen Sie Ihre Hausaufgaben in den Länderhaushalten! Stimmen Sie dem Abbau von Subventionen endlich
zu! Das sind Sie meiner Generation und auch den künftigen Generationen wirklich schuldig.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg
Fahrenschon.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Lührmann, wissen Sie, was das Problem ist?
Draußen im Lande glaubt Ihnen niemand mehr. Niemand glaubt mehr den Worten, die Sie hier sprechen.
Wenn man auf die Fakten sieht, erkennt man, dass Sie
hier jenseits von gut und böse argumentieren.
({0})
Wir müssen uns das einmal ansehen. Im Jahr 2002
wurde der Stabilitätspakt gebrochen. Im Jahr 2003
wurde der Stabilitätspakt gebrochen. Im Jahr 2004 wird
der Stabilitätspakt gebrochen. Gestern war von der Expertin für Friendly Fire aus Ihrer Fraktion zu lesen: Auch
im Jahr 2005 werden wir den Stabilitätspakt wieder brechen. - Nach alter Manier versucht der Bundesfinanzminister jetzt, die Sache wieder zu retten, und sagt: Wir tun
unser Bestes. - Wir werden ihn in nicht langer Zeit vor
uns stehen haben und von ihm hören: Es tut uns Leid; es
geht leider nicht anders.
Dann wird das Argument gebracht, die Weltwirtschaft sei schuld.
({1})
Herr Poß, Herr Staatssekretär, Sie zitieren viele Prognosen, aber die wesentlichen Zahlen lassen Sie beiseite.
Vor zwei Wochen war Ihr Finanzminister Teilnehmer der
G-8-Konferenz im Rahmen der Weltbanktagung und hat
mit seiner Stimme die Prognose der Weltbank mitgetragen. Darin steht, dass die Weltwirtschaft so gut wie seit
25 Jahren nicht mehr läuft: 5 Prozent Wachstum der
Weltwirtschaft. Nur Deutschland ist unter dem Durchschnitt. Angesichts dessen frage ich Sie: Was ist das Problem in Deutschland? Das Problem ist doch nicht die
Weltwirtschaft. Das Problem ist die von Ihnen hausgemachte Politik.
({2})
Um beim Thema zu bleiben: Weil sich die Franzosen
auf ihre Innenpolitik konzentrieren, weil sie sich um ihre
Binnenkonjunktur kümmern, schaffen sie es, den Stabilitätspakt im nächsten Jahr wieder einzuhalten,
({3})
im Gegensatz zu Deutschland, das nach den Erwartungen das einzige Land in Europa sein wird, das auch im
nächsten Jahr zum wiederholten Male gegen die Kriterien des Stabilitätspakts verstoßen wird.
Deutlicher als der deutsche Finanzminister, der sich
anschickt, den Stabilitätspakt zum vierten Mal zu brechen, kann ein Finanzminister gar nicht zeigen, was er
vom Stabilitätspakt hält. Seit 2002 ist es jedes Jahr dasselbe Trauerspiel. Erstens sagt Hans Eichel lauthals, er
halte die Maastrichter Vorgaben im kommenden Jahr
ein. Zweitens legt er auf der Basis von Wunschprognosen seinen Haushalt vor. Drittens werden in den Medien
in Nebensätzen erste Zweifel geäußert. Viertens erklärt
in der Vorwärtsbewegung die Vorsitzende des Finanzausschusses für die grüne Fraktion: Es klappt doch
nicht. - Dann muss Hans Eichel die Hosen herunterlassen, der auf Kante genähte Haushalt fliegt ihm um die
Ohren und er steht da wie der Kaiser in „Des Kaisers
neue Kleider“.
({4})
Das ist die Wahrheit. Das ist das Trauerspiel, das Sie hier
jedes Jahr aufführen.
({5})
Was macht der Finanzminister, nachdem sich das
vierte Mal ein Verstoß abzeichnet? Er macht keine Anstalten, die strukturellen Defizite im Haushalt zu beseitigen, sondern er versucht, gemeinsam mit anderen Haushaltssündern in Europa, die Stabilitätsregeln flexibler
auszulegen.
Die laufende Debatte über die Modifikation des
Stabilitätspakts ist definitiv die falsche Antwort. Sie
können einem Regelwerk nicht zuerst den Todesstoß
versetzen und dann versuchen, es durch Veränderung
wiederzubeleben. Sie müssen sich den Regeln unterwerfen. Sie müssen als ersten Schritt die Neuverschuldung
wieder unter die Grenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückführen. Wenn das geschehen ist,
dann kann man sich darüber unterhalten, inwieweit man
an der einen oder anderen Stelle die Erfahrungen aus den
ersten Jahren des Stabilitätspakts einfließen lässt. So und
nicht andersherum wird ein Schuh daraus. Sie verletzen
Vertrauen in den Standort. Das Ergebnis dessen, was Sie
zu verantworten haben, können wir jetzt sehen.
Liebe Frau Lührmann, ich will auf eine andere Zahl
hinweisen - diese Zahl muss eigentlich gerade junge Abgeordnete erschrecken -: Seit dem 12. Oktober dieses
Jahres zeigt die Schuldenuhr in Deutschland einen
neuen Höchststand an. Pro Sekunde werden 2 660 Euro
Schulden gemacht. Damit einher geht ein Rekordschuldenstand von 1,41 Billionen Euro. Dafür sind Sie verantwortlich. Dafür muss man insbesondere die grüne Fraktion in die Verantwortung nehmen. Sie haben sich von
Ihren Zielen „Nachhaltigkeit“ und „sanfter Umgang mit
den Ressourcen“ schon längst verabschiedet. Sie verprassen das Geld der jungen Generation und Sie haben
sich aus der Debatte zurückgezogen.
({6})
Beim Umgang mit den finanziellen und den sozialen
Ressourcen dieses Landes lassen Sie alle fünf gerade
sein. Das zentrale Prinzip der Haushaltspolitik, nämlich
nicht mehr auszugeben, als man einnimmt, haben Sie
schon vor Jahren zu Grabe getragen, meine Damen und
Herren von Rot und Grün. Stattdessen legen Sie jetzt einen Antrag vor, der eindeutig dem Motto „Haltet den
Dieb!“ folgt. Unter Punkt II, zweiter Spiegelstrich, fordern Sie, „gestützt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes den im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerten politischen Ermessensspielraum zu sichern“.
Genau das ist ein Irrweg. Wenn politischer Ermessensspielraum irgendwohin nicht gehört, dann in den Bereich
der Garantie von Stabilität und Wachstum in Europa.
Gerade eine solche Frage dürfen wir nicht zum Spielball
politischer Philosophien machen.
({7})
Die Wahrheit ist doch, dass die unheilige Allianz der
Defizitsünder, die den Pakt am 25. November 2003
durch Aussetzung des Verfahrens ausgehebelt hat, vom
Europäischen Gerichtshof gestoppt wurde. Der Versuch der Kommission, jetzt in die Debatte einzutreten,
ist der letzte Versuch, den Stabilitätspakt zu retten, um
mit den großen Euroländern überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen. Vor Gericht sind sie schon gescheitert. Hören Sie endlich mit der Unterminierung des Stabilitätspakts auf und machen Sie sich doch stattdessen
eher seine Integrationskraft zu Eigen! Überlegen Sie
doch einmal, welche Chancen der Stabilitäts- und
Wachstumspakt für die Aufstellung des Haushalts eigentlich bietet, um wieder für solide Finanzen zu sorgen.
Die EZB und die Bundesbank sind nicht ohne Grund
in der Diskussion um die Modifizierung des Stabilitätspakts zurückhaltend bis ablehnend. Wer gegen bestehende Verträge verstößt, der gefährdet die Grundlagen
der Währungsunion und schadet dem weltweiten Ansehen der gemeinsamen Währung. Das ist doch die Wahrheit.
({8})
Herr Poß, statt die Spielregeln im Nachhinein zu ändern und damit Vertrauen zu verspielen, wären Sie gut
beraten, den Weg einer glaubhaften Konsolidierungsstrategie zu verfolgen. Aber dazu fehlt Ihnen schon heute
die Durchsetzungskraft und das ist zu bedauern.
({9})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Friedrich Merz ist hier, seinem künftigen Hauptberuf als
Rechtsanwalt getreu, eingestiegen, indem er zunächst
einmal formal abgeschichtet hat, damit man sich mit der
Sache erst gar nicht mehr befassen muss. So laufen ja die
meisten Gerichtsverfahren. Wir möchten uns aber gern
mit dem Kern des Problems befassen und uns nicht ausschließlich an formalen Kriterien festhalten.
Ich persönlich bin - wie übrigens fast alle anderen Finanz- und Wirtschaftspolitiker in den Mitgliedsländern
der Eurozone und der Präsident der Europäischen Kommission, Prodi, an der Spitze - der Auffassung, dass wir
einer vernünftige Aufarbeitung des Vertrages, des Vertragstextes, seiner Wirkungsweise und seiner Auslegung
dringend bedürfen.
({0})
In allen Politikbereichen, in denen neue Regelwerke
in Kraft gesetzt werden, wird nach einer bestimmten Zeit
evaluiert, wie sie wirken und ob das Vorgehen richtig
war. Damit stelle ich die zentralen Kriterien von
3 Prozent und von 60 Prozent nicht infrage. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus diesen beiden
wichtigen Bestandteilen. Als er damals aufgestellt
wurde, richtete sich der Fokus auch der deutschen Öffentlichkeit und der Politik deswegen im Wesentlichen
auf den Aspekt Stabilität, weil man zum einen glaubte,
stetiges Wachstum komme von selbst - drei Jahre Stagnation konnte sich kein Mensch ernsthaft vorstellen,
weder bei uns noch in anderen europäischen Ländern -,
und zum anderen eine Vertrauensgrundlage für die neue
europäische Währung Euro schaffen wollte. Der Euro
sollte mindestens so stark wie die Deutsche Mark sein.
Man wollte Inflationsängsten begegnen, die die ältere
Generation aufgrund der Erfahrungen aus den Zeiten vor
der Währungsreform 1949 und aus der Weimarer Republik hatte, und eine Vertrauensbasis für diese Währung
schaffen.
({1})
- Diese ist überhaupt nicht zerstört worden. Man kann
doch mit Stolz bzw. voller Staunen sagen: Obwohl bestimmte instrumentelle Kriterien wie erlaubte Höchstverschuldung und Neuverschuldung wiederholt in vielen
Ländern der Europäischen Union gerissen worden sind,
ist der Euro trotzdem zu einer der stabilsten Währungen
der Welt geworden.
({2})
Er ist für viele kleinere Währungen zur zweiten Ankerwährung neben dem Dollar geworden und hat den Dollar
in diesem Punkt sogar überholt. Ich erinnere mich an
eine Diskussion mit Wim Duisenberg, die der Finanzausschuss seinerzeit bei der EZB in Frankfurt geführt
hat. Da habe ich ganz vorsichtig und nett - so muss man
sich ja solchen ehrwürdigen Herrschaften gegenüber
verhalten - die Frage gestellt: Herr Duisenberg, können
Sie sich vorstellen, dass es einmal eine Parität zwischen
Dollar und Euro geben könnte? Da hat er sich kaputtgelacht; das konnte er sich nicht vorstellen.
Inzwischen ist eine völlig andere Situation eingetreten. Der Euro ist so stabil, dass diese Stabilität manchem
Wirtschaftspolitiker sogar schon Sorgen macht. Von den
Gefahren Destabilisierung oder Inflation kann doch
überhaupt nicht die Rede sein.
({3})
In der Europäischen Union der 15 gab es in den letzten
Jahren über den Daumen gepeilt eine Inflationsrate von
unter 3 Prozent. Obwohl wir in Deutschland riesige Probleme hatten, lag sie bei uns im Schnitt unter 2 Prozent.
Deutschland schneidet trotz seiner großen ökonomischen Probleme, trotz des Problems der Verschuldung,
das zum Teil mit der deutschen Einheit zusammenhängt,
und trotz großer Strukturprobleme auch in dem Punkt
Preisstabilität besser als der Durchschnitt der Länder in
der Europäischen Union ab. Diese Tatsache darf man
hier doch nicht vernebeln. Die stabilste Währung, die
wir jemals hatten, ist der Euro, obwohl es ohne Frage
Probleme mit dem Kriterium der Verschuldung gibt.
Vielleicht besteht da auch nur ein mittelbarer Zusammenhang. Vielleicht sind viele Bezüge politisch nur
künstlich hergestellt worden. Das muss man doch einmal
überprüfen dürfen. In jedem Fall ist das Ergebnis hervorragend, egal warum. Die Ziele, die erreicht werden sollten, wurden auf jeden Fall nicht gefährdet und sind auch
in Zukunft nicht gefährdet.
Die Frage der Schulden macht natürlich auch uns
sehr besorgt. Wir reißen uns wirklich ein Bein aus, um
Positionen im Bundeshaushalt, also in dem Bereich, für
den wir die Verantwortung tragen, entsprechend zu kürzen. Herr Diller hat darauf hingewiesen. Wenn Sie aber
durch Blockade des Steuersubventionsabbaugesetzes
und des Haushaltsbegleitgesetzes verhindern, dass weitere Subventionen in Höhe von 25 Milliarden abgebaut
werden, womit ein erheblicher Beitrag zur Konsolidierung geleistet werden könnte, dann müssen Sie und die
von Ihnen regierten Bundesländer, die das verhindern,
auch die Verantwortung für die Konsequenzen tragen.
({4})
Die Ursachen für die Schuldenentwicklung liegen natürlich in der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Punkt
ist aber auch, dass das zweite wichtige Ziel des Stabilitätspaktes, nämlich Wachstum - es ging ja um Stabilität
und Wachstum -, nicht hinreichend quantifiziert und instrumentell unterlegt worden ist.
({5})
Ich erinnere mich daran - ich war ja Berichterstatter für
das Euro-Einführungsgesetz und auch im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht -, dass es heftige
ablehnende Reaktionen aggressivster Art gab, wenn jemand den Begriff „wirtschaftspolitische Koordinierung
im Euroraum“ überhaupt nur in den Mund genommen
hat. Daran darf ich Sie freundlich erinnern. Heute weiß
jeder, dass es nicht nur zwingend erforderlich ist, für
Reinhard Schultz ({6})
Geldwertstabilität zu sorgen und Schulden zu managen,
sondern dass auch an anderen Rädern gedreht werden
muss, damit Wachstum zustande kommt und sich ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht einstellt. Wenn man
den Blick ausschließlich auf Geldwertstabilität oder auf
Schulden richtet, ist das so, als wenn wir uns als Finanzpolitiker auf zwei der vier Grundrechenarten beschränken. Das tun wir doch auch nicht.
Wir müssen alles zusammen sehen: die Zeiträume,
die Zukunftsfähigkeit, die Erholung der Wirtschaft, die
Investitionen der öffentlichen Hand und der Privaten sowie die Nachfragefähigkeit des Staates und der Menschen, die von staatlichen Leistungen abhängig sind. All
das gehört zu einer ausgewogenen Balance. Wir können
nicht ausschließlich zugunsten der Konsolidierung das
Fallbeil auf die anderen Elemente heruntersausen lassen.
Wenn wir das tun, brauchen wir uns nicht zu wundern,
wenn wir das zarte Wachstum gefährden und möglicherweise sogar ins Gegenteil verkehren.
({7})
Deswegen bedarf es neben der kritischen Begleitung
der Ausgabenentwicklung der öffentlichen Haushalte,
auch des Bundes, also der Ausgabensteuerung, künftig
stärker einer Einnahmensteuerung. Man kann einen
funktionierenden Staat, der Aufgaben in der Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit sowie in der
Sicherstellung vernünftiger sozialer Lebensbedingungen hat, der Bildung sichern und Forschung ermöglichen
soll, nicht ständig einer Rutschpartie in die Minderausgaben aussetzen. Wer das verursacht, wird auch das
Wachstum von übermorgen und überübermorgen infrage
stellen. Wer in der Zukunft Wachstum will, muss dafür
sorgen, dass neue Wertschöpfungsketten und überhaupt
Neues entsteht. Dafür muss zum richtigen Zeitpunkt und
produktiv Geld in die Hand genommen werden.
({8})
Wenn wir keine Defizite wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Einnahmen stimmen. Damit meine
ich nicht Steuererhöhungen - damit das nicht falsch verstanden wird -, sondern das bedeutet, dass wir die Steuerquellen, die wir haben, die Möglichkeiten, Steuern zu
erheben, lückenlos und hart nutzen müssen.
({9})
Das gilt für den Umsatzsteuerbetrug und die Schwarzarbeit, gegen die wir kämpfen müssen, und für jede Art
von Schlupfloch, das wir schließen können. Nur so können wir bei insgesamt vernünftigen Steuersätzen dahin
kommen, dass unser Gemeinwesen finanzierbar ist und
die Defizite beherrschbar sind.
Wir haben es riskiert, die größte Steuerreform seit
der Nachkriegszeit auf den Weg zu bringen, mit
56 Milliarden Euro Entlastung für alle, obwohl wir in
den Haushalten außerordentlich große Schwierigkeiten
haben. Wir haben das getan, damit auf der Nachfrageseite nicht noch mehr wegbricht. Stellen Sie sich einmal
vor, wir hätten das nicht getan, wo wir dann mit unserem
Wachstum heute liegen würden! Das wäre schlicht eine
Katastrophe.
Aber wir haben mit der Steuerreform natürlich in
Kauf genommen, dass uns die entsprechenden Beträge
bei der Finanzierung unserer Haushalte fehlen. Man
kann nicht beides gleichzeitig haben, auf jeden Fall nicht
aus dem Stand heraus. Die Wirtschaft erholt sich nur allmählich. Wenn wir den Privaten Geld geben, geben sie
dieses aus, wodurch Wachstum entsteht, aber das geschieht natürlich nicht von einem Sonntag auf den
nächsten, sondern das ist ein mühseliger, langfristiger
Erholungsprozess, der erst zum Schluss in den öffentlichen Haushalten ankommt.
Das heißt, man muss sehen, was man will. Wenn Sie
hier die nächste Steuerreform ankündigen, dann möchte
ich gerne einmal wissen, wie Sie das mit Ihren Konsolidierungszielen bzw. mit dem Ziel der Aufrechterhaltung
eines funktionierenden, funktionsfähigen Staates, der in
dieser Gesellschaft die wichtigsten Aufgaben wahrnimmt, was das Soziale, die Sicherheit, Innovation und
Bildung angeht, in Einklang bringen wollen.
Eine differenziertere Betrachtung des Mechanismus wie der Maastricht-Kriterien muss Einzug halten.
Wir können uns nicht, wie die FDP es tut, einige Jahre
nach Maastricht hier hinstellen und die Aufnahme der
verengten Sicht - wobei richtig bleibt, dass der Schuldenstand und die Neuverschuldung kritisiert werden;
dennoch greift man mit dieser verengten Sicht zu kurz
und sie ist insgesamt gesehen auch falsch - ins Grundgesetz fordern, wodurch sie Verfassungsrang erhielte.
({10})
Das wäre ein ökonomischer Purzelbaum, der geradezu
albern wäre und auch der Diskussion in der von Ihnen zitierten Fachöffentlichkeit, die ja manchmal Gott sei
Dank gegenüber der eigentlichen Öffentlichkeit weitgehend der Geheimhaltung unterliegt, widersprechen
würde.
Nichtsdestotrotz mehren sich inzwischen die Stimmen, die, ähnlich wie seinerzeit bei der Diskussion über
das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz in Deutschland,
mehr Ziele in den Fokus gerückt haben wollen als nur
das Stabilitätsziel im engeren Sinne.
Ich glaube, dass eine rein mechanistische Sicht wirtschaftliche Dynamik erstickt. Wenn wir sozusagen mit
der Peitsche durchsetzen würden, dass sich auf lange
Sicht alle Staaten der Eurozone strikt und unabhängig
von der wirtschaftlichen Situation an die Schuldenkriterien halten, dann würden wir eine zunehmende Angleichung sämtlicher ökonomischer Prozesse auf immer
niedrigerem Niveau erreichen. Es wäre eine Rutschpartie. Wir könnten regionale Sonderentwicklungen und besondere Entwicklungen in den einzelnen Branchen nicht
mehr berücksichtigen. Außerdem könnten wir auf die
Notlage von staatlichen Haushalten nicht mehr reagieren. Es gäbe, wie gesagt, eine Angleichung auf niedrigerem Niveau, weil das Wachstum beschnitten würde. Das
wäre ein Programm des Niedergangs.
Reinhard Schultz ({11})
Wirtschaft ist ein atmendes System. Das Korsett darf
deshalb nicht zu eng angelegt werden. Die Atmung
würde immer flacher werden. Das Leben wird dadurch
nicht leichter. Das wissen alle diejenigen - ich selber
hatte noch nicht das Vergnügen -, die ein Korsett tragen.
Ich glaube, wir müssen insgesamt etwas kreativer bei
der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele
vorgehen. Wir müssen die Wirtschaft atmen lassen und
dürfen wirtschaftspolitische Prozesse nicht durch eine
verengte mechanistische Vorgehensweise unterdrücken.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Nüßlein.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Schultz, um Ihre Worte zu gebrauchen: Der Fokus ist immer auf Stabilität gerichtet. Denn Stabilität ist ex definitione kein kurzfristiges Moment. Vertrauen ist die Wertbasis jeder Währung. Die D-Mark besaß dieses in Zeiten
des wirtschaftlichen Aufstiegs Deutschlands gewachsene
Vertrauen. Hätten wir die D-Mark noch immer, ginge die
expansive Ausgabenpolitik und die verfehlte Wirtschaftspolitik dieser Regierung sicher zulasten der Stabilität der D-Mark.
Ich bin davon überzeugt, dass der Euro für Stabilität
sorgt. Heute, in Zeiten des Euro, ist es nun einmal so,
dass die Stabilitätsländer für die Haushaltspolitik der
Bundesregierung büßen. Stabilitätsländer wie Österreich
oder Spanien werden sich das - davon bin ich überzeugt - nicht dauerhaft gefallen lassen; sie werden sich
dagegen wehren.
Ich muss deutlich sagen: Die Hoffnung, dass sie das
tun, klingt ein wenig wie Hohn. Denn gerade Deutschland hat sich für den Stabilitätspakt stark gemacht. Die
Deutschen haben mit der D-Mark etwas aufgegeben,
was für Wirtschaftswunder, Stabilität und eben Vertrauen stand. Die Politik damals - inklusive der Ministerpräsidenten Eichel und Schröder - hat den Menschen
dafür einen Stabilitätspakt versprochen.
Entsprechend hat sich die CDU/CSU vehement dafür
eingesetzt, dass Preisstabilität in den Zielkatalog der europäischen Verfassung aufgenommen wird. Das ist ganz
wichtig. Das alles kann aber nicht das Zuckerl, das
Trostpflaster oder die kurzfristig wirkende Beruhigungspille für die Menschen sein. Wenn wir mit dem Stabilitätspakt so umgehen würden, wie Sie das gerne hätten,
dann würden wir nicht nur den Euro, sondern auch die
deutsche Politik weiter in die Vertrauenskrise manövrieren.
({0})
Ich sage Ihnen ganz offen: Der Euro ist eine junge
Währung. Das Vertrauen in diese Währung muss wachsen. Der Euro kämpft an dieser Stelle noch immer. Laut
EU-Kommission sind 67 Prozent der Deutschen unglücklich über die Euroeinführung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schultz?
Ja, gerne.
Lieber Herr Kollege Nüßlein, wir beide lieben Spanien, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Stimmen
Sie mir zu, dass es im Wesentlichen der Stabilisierung
des spanischen Staatshaushaltes durch europäische
Transfers zu verdanken ist, dass Spanien Mitglied der
Eurozone sein kann? Wenn man diese Transfers komplett streichen würde, dann wäre bei gleichen Investitionen die Schuldensituation in Spanien deutlich
schlechter als bei uns.
Das Problem mit dieser Art von Finanzausgleich ist:
Die reicheren Länder geben den ärmeren etwas ab. Wir
beschneiden dadurch unsere Handlungsfähigkeit, auch
in Bezug auf die Konsolidierung unseres Haushaltes, zugunsten der Staatshaushalte anderer Länder. Dafür ist
Spanien das beste Beispiel.
({0})
Herr Kollege Schultz, Sie werden doch nicht bestreiten wollen, dass die Finanzpolitik Spaniens durchaus in
die richtige Richtung geht.
({0})
- Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung an! Sie werden doch nicht den europäischen Ausgleich und
die gesamte Politik der Europäischen Union infrage stellen wollen.
({1})
Es ist doch richtig und wichtig, dass wir die Infrastruktur
in den ärmeren Ländern der EU aufbauen und dort tätig
werden. Sie sollten sich nicht auf Spanien fokussieren.
Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung in Österreich oder in den anderen Ländern an! Tun Sie das!
({2})
Beides, eine Unterstützung der ärmeren Länder und die
Einhaltung des Stabilitätspaktes, muss möglich sein; das
werde ich im Laufe meiner Rede begründen.
Meine Damen und Herren, der Euro ist, wie gesagt,
eine junge Währung. 67 Prozent der Deutschen sind laut
EU-Kommission unglücklich über die Euroeinführung.
Das liegt daran, dass die gefühlte Inflation höher ist als
die gemessene. Die gemessene beträgt 1,1 Prozent. Laut
„Capital“-Umfrage sind 32 Prozent der Menschen der
Meinung, dass die Preise in Deutschland um 5 Prozent
steigen. 25 Prozent meinen, die Preise würden um
10 Prozent steigen.
({3})
Das kommt auch daher,
({4})
dass bei uns beim täglichen Bedarf ein Preisanstieg deutlich spürbar ist. Das kommt natürlich von diversen Steuererhöhungen, insbesondere von der Ökosteuer und den
indirekten Steuern, für die Sie verantwortlich sind.
Ich kann mir eine Bemerkung zur Ökosteuer nicht
verkneifen. Ich bin nur ein einfacher Betriebswirt, aber
mir ist klar: Ölpreise, die aufgrund der Marktentwicklung steigen, sind konjunkturschädlich. Aber ich frage
mich, warum dann Energiepreise, die aufgrund der Ökosteuer steigen, nicht konjunkturschädlich sein sollen.
Vielleicht denken Sie einmal darüber nach!
Nun haben heute diverse Kollegen unbekümmert die
Anmerkung gemacht: Was wollt ihr eigentlich, der Euro
ist stabil; die Zinsen und auch die Inflation sind niedrig.
Oberflächlich betrachtet könnte man dem sogar zustimmen. Selbst die Ecofin-Entscheidung, das Defizitverfahren ruhen zu lassen, blieb ohne nennenswerte Reaktion
der Finanzmärkte. Nun stellt sich die Frage, woher das
kommt. Ich bin der Überzeugung: Das kommt daher,
dass andere Länder für Stabilität stehen und dass die
Auswirkungen von anderen Aspekten überlagert werden, zum Beispiel dadurch, dass wir weltweit eine hohe
Liquiditätsausstattung des Marktes haben.
Aber auf dieses Glück können wir uns nicht dauerhaft
verlassen. Als ehemaliger Banker darf ich Ihnen sagen,
dass Finanzmärkte gelegentlich mit Verzögerung und
häufig unberechenbar reagieren. Ich will an dieser Stelle
nicht den Teufel an die Wand malen, aber denken wir
doch einmal darüber nach, was ein Zinsanstieg konjunkturell, aber auch für die Schuldenlast dieses Staates bedeuten würde.
Doch zurück zum Stabilitätspakt. Griechenland hat
ihn seit 2000 verletzt und Zahlen verschleiert; auch darüber haben wir heute schon gesprochen. Das ist nicht vertrauensfördernd. Die EU-Kommission muss die Verlässlichkeit der Zahlen sichern. Die Bundesregierung hat
keine Chance, mit dem Finger auf die Griechen zu zeigen:
Vor der Bundestagswahl hat Herr Eichel die Haushaltszahlen vorsätzlich vergessen und jeden Verstoß gegen das
Defizitkriterium bestritten. Der deutsche Haushalt strotzt
vor Luftbuchungen. Wir erwarten im Jahre 2004 eine Rekordverschuldung, wobei Finanzminister Eichel schon
heute den ersten Korrekturbedarf ankündigt.
Wir müssen die Politik und nicht den Stabilitätspakt
ändern. Der Stabilitätspakt ist meiner festen Überzeugung nach ausreichend flexibel. 3 Prozent, bezogen auf
das Verhältnis des gesamtstaatlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt, sind genug Spielraum, um in schwierigen Konjunkturphasen automatisch Stabilisatoren wirken zu lassen, das heißt, geringere Steuereinnahmen
nicht durch zusätzliche Einsparungen ausgleichen zu
müssen.
Man hat bei Ihnen ein bisschen den Eindruck, als sei
das 3-Prozent-Defizitkriterium ein Ziel. Nein, es geht
hier um eine Grenze. Ich bin der Überzeugung, dass es
die Option, mit staatlichen Schulden über die 3-ProzentGrenze hinaus die Konjunktur anzukurbeln, nicht mehr
gibt. Wir können uns das im Interesse der jungen Generation im Sinne einer nachhaltigen Finanzpolitik nicht
leisten. Eine relativ starke ältere Generation kann nicht
die Probleme und Schuldentilgungslast auf eine kleiner
werdende junge Generation verlagern. Wir brauchen
mittelfristig Überschüsse statt Defizite, um der demographischen Entwicklung in Deutschland Rechnung zu tragen. Ich weiß, das geht nicht von heute auf morgen.
Aber nach sechs Jahren an der Regierung kann man
nicht so tun, als habe man gerade erst angefangen zu regieren.
Die widersprüchlichen Reformschritte - erst alles zurücknehmen und dann durch die Hintertür wieder einführen - kosten Zeit und Vertrauen. Deshalb: Ändern Sie
Ihre Politik, nicht den Stabilitätspakt! Schaffen Sie Vertrauen!
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3719, 15/3721 und 15/3957 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 b bis 28 h sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d auf:
28 b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen
Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und
weiterer Personen
- Drucksache 15/3920 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/3932 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Abkommen vom 18. November 2002 zur
Gründung einer Assoziation zwischen der Eu-
ropäischen Gemeinschaft und ihren Mitglied-
staaten einerseits und der Republik Chile an-
dererseits
- Drucksache 15/3881 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gero
Storjohann, Dirk Fischer ({2}), Eduard
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Führerscheinbürokratie verhindern - Führerscheintourismus beenden
- Drucksache 15/3716 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl ({4}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Heimkehrerstiftungsgesetz verlängern
- Drucksache 15/3806 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer ({6}), Gero Storjohann, Eduard
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Flexibilität für das Schaustellergewerbe
- Drucksache 15/3490 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ehemaligen Soldaten der Nationalen Volksarmee das Führen ihrer früheren Dienstgrade
erlauben
- Drucksache 15/3357 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({8})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
ZP 4 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll V vom 28. November 2003 zum VNWaffenübereinkommen
- Drucksache 15/3937 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Entschädigungsgesetzes ({10})
- Drucksache 15/3944 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({11})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/3943 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({12})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör ({13})
- Drucksache 15/3966 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({14})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 c bis
29 e auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 29 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der
Europäischen Bank für Wiederaufbau und
Entwicklung
- Drucksache 15/3785 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({16})
- Drucksache 15/3954 Berichterstattung:
Abgeordneter Otto Bernhardt
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3954,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 29 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Patentgesetzes und anderer
Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes
- Drucksache 15/3658 ({17})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18})
- Drucksache 15/3970 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Jerzy Montag
Ingo Wellenreuther
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3970, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 29 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vertrag vom 17. April 2003 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik über die Änderung
des Verlaufs der gemeinsamen Staatsgrenze im
Bereich der Autobahnbrücke am Grenzübergang Waidhaus - Rozvadov/Roßhaupt
- Drucksache 15/3352 ({19})
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({20})
- Drucksache 15/3839 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Dr. Klaus Rose
Claudia Roth ({21})
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
15/3839, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen
worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer
stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 29 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes
- Drucksache 15/2950 ({22})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23})
- Drucksache 15/3791 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Winfried Hermann
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/3791, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn
Sie dem Gesetzentwurf auch in der dritten Beratung zustimmen wollen. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist
nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 29 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Ernst Hinsken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Rahmenbedingungen für Geschäftsreisen verbessern
- Drucksachen 15/1329, 15/3262 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
15/1329 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 29 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({25}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Zweiundsechzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 15/3659, 15/3693 Nr. 2.1, 15/3842 Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung dieser Änderungsverordnung auf Drucksache 15/3659 nicht zu
verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu einer Reihe von Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 29 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 149 zu Petitionen
- Drucksache 15/3815 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 149 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 150 zu Petitionen
- Drucksache 15/3816 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 150 ist
ebenfalls einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 151 zu Petitionen
- Drucksache 15/3817 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 151 ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 152 zu Petitionen
- Drucksache 15/3818 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 152 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition.
Tagesordnungspunkt 29 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({30})
Übersicht 8
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 15/3790 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 5 auf:
4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung
und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale ({31})
- Drucksache 15/3167 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({32})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({33}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Uta Zapf, Petra Ernstberger,
Hans Büttner ({34}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Marianne Tritz, Volker
Beck ({35}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen durch Abrüstung und
kooperative Rüstungskontrolle
- Drucksachen 15/1786, 15/3967 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Marianne Tritz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Frau Staatsministerin Kerstin Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir: Die alten
Gewissheiten einer bipolaren Weltordnung aus den Zeiten des Kalten Krieges gibt es nicht mehr. Wir sind heute
mit ganz neuen und komplexen Sicherheitsrisiken konfrontiert. Neben dem internationalen Terrorismus und einem unverändert hohen regionalen Konfliktpotenzial
steht dabei vor allem die Gefahr der Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen und deren Trägermitteln im
Vordergrund.
Uns ist dabei klar: Diese neuen sicherheitspolitischen
Herausforderungen kann kein Staat im Alleingang mit
Aussicht auf Erfolg meistern. Vielmehr brauchen wir
mehr denn je das gemeinsame Handeln aller Mitglieder
der internationalen Staatengemeinschaft. Deshalb verfolgt die Bundesregierung einen kooperativen sicherheitspolitischen Grundansatz, der multilateralen Normen
und Regimen verpflichtet ist. Diesen wollen wir im Rahmen einer wirksamen internationalen Ordnungspolitik
verwirklichen.
Dabei ist die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen eine ganz zentrale Aufgabe, der sich die
Bundesregierung in besonderer Weise verpflichtet fühlt.
Wir setzen hierbei vor allem auf eine ursachenorientierte
Politik und auf die Nutzung und Stärkung des politischen und diplomatischen Instrumentariums. Es gilt, die
Proliferation und neue Rüstungswettläufe durch vertragliche Abmachungen und die Stärkung bestehender multilateraler Regime zu verhindern. Hierfür ist die am
12. Dezember 2003 durch den Europäischen Rat verabschiedete EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ein ganz wichtiger Meilenstein.
Sie schafft eine umfassende, sie schafft eine kohärente
Grundlage für das Handeln der Europäischen Union.
Daneben wollen wir auch in den Vereinten Nationen
den strategischen Konsens und die internationale Geschlossenheit bei der Proliferationsbekämpfung stärken.
Hier haben wir im letzten Jahr ebenfalls Fortschritte gemacht. Die unter deutscher Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im April dieses Jahres
verabschiedete Resolution schließt wichtige Regelungslücken bei der Proliferationsbekämpfung. Sie verpflichtet alle Staaten der internationalen Gemeinschaft dazu,
Maßnahmen zur Kriminalisierung der Proliferation, zur
Gewährleistung strikter Exportkontrollen und zur Sicherung relevanter Materialien zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu ergreifen.
Meine Damen und Herren, die Gefahren der Verbreitung von nuklearen Waffen stehen gegenwärtig im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit - zu Recht,
wie ich meine. Libyen hat am 19. Dezember 2003 öffentlich seinen umfassenden Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt. Das ist ein Erfolg. Wir hoffen,
dass dies Signalwirkung auf andere Länder in der Region haben wird.
({0})
Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass wir uns
große Sorgen über Nordkorea und das iranische Nuklearprogramm machen. Vor allem bezüglich des Iran richten wir unsere Anstrengungen darauf, eine iranische
Nuklearwaffenkapazität zu verhindern. Gemeinsam mit
seinem französischen und seinem britischen Kollegen
hat Bundesminister Fischer hierzu im letzten Jahr, wie
Sie wissen, die Initiative ergriffen. Die Teheraner Erklärung vom 21. Oktober letzten Jahres war ein großer Erfolg der europäischen Diplomatie.
({1})
In diesem Rahmen hat sich der Iran gegenüber den
drei europäischen Staaten vor allem zur vollen Kooperation mit der IAEO, zur Zeichnung und vorläufigen
Anwendung des IAEO-Zusatzprotokolls sowie zur Suspendierung seiner Aktivitäten im Bereich der Urananreicherung und -wiederaufbereitung verpflichtet. Damit
wurden zentrale Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft erfüllt. Gleichzeitig eröffnet die Teheraner Erklärung die Perspektive für eine langfristige Lösung.
Wir befinden uns derzeit in einer ganz entscheidenden
Phase. Der IAEO-Gouverneursrat wird im November
dieses Jahres auf Basis eines umfassenden Berichts des
Generaldirektors entscheiden, ob im Hinblick auf die Erfüllung der Verpflichtungen Irans gegenüber der IAEO
weitere Schritte erforderlich sind. Die Zeit bis zum
nächsten Gouverneursrat ist knapp. Wir rufen den Iran
deshalb nachdrücklich dazu auf, den Resolutionen des
IAEO-Gouverneursrates in vollem Umfang zu entsprechen und auch die Suspendierung seiner anreicherungsbezogenen Aktivitäten wiederherzustellen.
({2})
Das ist für uns ein ganz zentraler Schritt zur Vertrauensbildung. Der Iran sollte ihn sofort, ohne weitere Verzögerung, umsetzen.
Die internationale Gemeinschaft braucht objektive
Garantien, dass Irans friedliches Nuklearprogramm nicht
für Ziele benutzt wird, die mit den im Nichtverbreitungsvertrag vorgesehenen Rechten und Pflichten unvereinbar
sind. Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien
werden wir nicht nachlassen, den Iran davon zu überzeugen, freiwillig auf die Schließung des Brennstoffkreislaufes zu verzichten.
Meine Damen und Herren, der Ihnen vorliegende
Jahresabrüstungsbericht 2003 vermittelt ein umfassendes Bild über die bestehenden rüstungskontrollpolitischen Aufgaben und Herausforderungen. Er ist Ausweis
des klaren Bekenntnisses der Bundesregierung zu einer
aktiven Rüstungskontrollpolitik.
Abschließend möchte ich Ihnen ausdrücklich dafür
danken, dass die Bundesregierung in ihrem Engagement
für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung
auf die breite Unterstützung durch Sie, den Bundestag,
zählen kann. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft mit Ihrer Unterstützung in diesem Bereich rechnen können.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ruprecht Polenz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Rüstungsexporte von heute können leicht zu den
Abrüstungsproblemen von morgen werden. Deshalb
möchte ich zu Beginn eine Bewertung der Rüstungsexportpolitik zitieren, die wir im „Spiegel“ dieser Woche
finden und in der die Sache zutreffend beschrieben wird:
Die Menschenrechte sind zur nachrangigen Größe
geworden, ehemals verpönte Waffengeschäfte stoßen selbst bei den Grünen nur noch auf wenig Protest.
Diese Beobachtung ist richtig.
Ich finde es übereilt, dass der Außenminister für die
Aufhebung des Waffenembargos gegen Libyen gestimmt
hat,
({0})
und ich finde es falsch, dass sich der Bundeskanzler
nach wie vor für die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China einsetzt ({1})
trotz der Menschenrechtslage in diesem Land, trotz der
wachsenden Spannungen mit Taiwan und der Rüstungsanstrengungen, die China gegenüber Taiwan vor Ort unternimmt.
({2})
Die Beruhigungspille, man wolle sich an die eigenen, restriktiven Rüstungsexportrichtlinien halten, ist eigentlich
nicht mehr sehr überzeugend vor dem Hintergrund der
Spekulationen über die Erwartungen von EADS an die
Zeit nach einem Fall des Waffenembargos.
({3})
Ganz abgesehen davon birgt die Haltung der Bundesregierung im Schulterschluss mit Frankreich gerade in
dieser Frage das Risiko eines neuen Konflikts mit den
Vereinigten Staaten; auch das bedenkt die Bundesregierung offensichtlich nicht.
({4})
Lassen Sie mich jetzt zu einem der Schwerpunkte des
Jahresabrüstungsberichts 2003 ausführlicher etwas sagen: zur Situation im Iran. Natürlich besteht weltweit
die Sorge, dass Iran nach der Atomwaffenoption streben könnte. Die IAEO hat „failures and breaches“ des
Nichtverbreitungsvertrages festgestellt, weil der Iran
nicht angezeigt hat, Uran importiert sowie eine Anreicherungsanlage in Natanz und eine Schwerwasserproduktionsanlage in Arak aufgebaut zu haben. Es gibt eine
Reihe noch offener Fragen, etwa die Herkunft der
Mischproben; hier ist die Kooperation mit Dritten nötig,
um das aufzuklären. Offen ist sicherlich auch die Frage
der Dimensionierung der Anlagen im Iran, über die ich
gerade gesprochen habe; denn für eine alleinige zivile
Nutzung sind sie zweifellos bei weitem überdimensioniert.
Man muss diese Sorge auch im Zusammenhang mit
den iranischen Anstrengungen zur Rüstung mit ballistischen Raketen sehen. Die „Schahab 3“ kann mit ihrer
Reichweite von 1 300 Kilometern auch den Staat Israel
erreichen. Ballistische Raketen mit herkömmlichen
Sprengköpfen machen strategisch relativ wenig Sinn.
({5})
Dazu kommt - auch das steht im Jahresabrüstungsbericht 2003 - der relativ schlechte Zustand der konventionellen iranischen Streitkräfte. Auch das könnte ein Indiz
dafür sein, dass der Iran die Atomwaffenoption anstrebt.
Der Iran will nun den vollen Brennstoffkreislauf. Dies
wird als notwendig für zivile Zwecke deklariert. Aber
der volle Brennstoffkreislauf wäre eben auch dicht an
der Schwelle für eine militärische Nutzung. Das Ganze
muss man vor dem Hintergrund sehen, dass man den
Atomwaffensperrvertrag mit einer Frist von drei Monaten kündigen kann. Eine solche Kündigungsfrist würden
wir in der deutschen Diskussion über den Kündigungsschutz nicht akzeptieren, aber im Atomwaffensperrvertrag ist diese Frist so kurz festgelegt.
Wir sind uns einig im Ziel, aber nicht im Weg, wie
wir es erreichen, den Iran wieder in den Atomwaffensperrvertrag, den er ja unterzeichnet hat, einzubinden
und ihn dauerhaft und verlässlich von einem Streben
nach Atomwaffen abzuhalten. Die Europäische Union,
vertreten durch die Außenminister Frankreichs, Englands und Deutschlands, setzt auf eine Verhandlungslösung, die Vereinigten Staaten meinem Eindruck nach nahezu ausschließlich auf Druck. Die Erklärung von
Teheran - Sie haben sie erwähnt - hat einen ersten Erfolg dargestellt. Dieser resultiert aus beidem: Nur weil
die Amerikaner Druck gemacht haben, konnte die Verhandlungslösung in Form der Erklärung von Teheran erreicht werden. Ich möchte hinzufügen: Auch die Russen
waren hilfreich, auch die Weltgemeinschaft, soweit sie
sich im IAEO-Gouverneursrat wiederfindet. Alle haben
dem Iran deutlich gemacht: Die Welt will keinen nuklear
bewaffneten Iran.
({6})
Seit der Teheraner Erklärung gibt es ein Hin und Her
der iranischen Politik. Sie kooperiert bei den InspekRuprecht Polenz
tionen - das ist positiv -, bei der Zusicherung, die Urananreicherung zu suspendieren, schwankt sie aber immer
wieder hin und her.
({7})
Der nächste Bericht wird am 25. November 2004 vorgelegt. Das Ziel lautet - so habe ich Sie verstanden; Sie haben das gerade entsprechend formuliert -, dass der Iran
bis dahin zur vollständigen Suspendierung zurückgekehrt sein sollte. Das heißt, wir sind noch nicht soweit.
Nun möchte ich etwas zur Druckstrategie sagen. Ich
glaube, dass Druck allein nicht zum Ziel führt. Die Amerikaner streben offensichtlich an, die ganze Sache vor
den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Die erste Frage, die
sich vor diesem Hintergrund stellt, lautet: Wird es dort
überhaupt zu nennenswerten Beschlüssen kommen;
denn China ist auf iranisches Öl angewiesen und auch
Russland ist gegenüber einem Sanktionsregime relativ
skeptisch? Die zweite Frage, die sich stellt, hat damit zu
tun, dass der Iran vortragen könnte, er nehme mit der
Anreicherung lediglich ein Recht wahr, das ihm aus dem
Sperrwaffenvertrag zustehe, nämlich die friedliche Nutzung der Kernenergie einschließlich der Anreicherung.
Schauen wir uns nun die Sanktionen an, die möglich
wären: ein Waffenembargo und Handelssanktionen. Ein
Waffenembargo besteht de facto bereits und der Iran ist
der viertgrößte Ölexporteur der Welt. Ich kann mir nur
schwer vorstellen, dass wir in der jetzigen Energiesituation Sanktionen beschließen, wodurch dieses Öl zusätzlich vom Weltmarkt genommen würde. Bezüglich
der Sanktionen darf man auch nicht übersehen, dass
Druck solidarisiert und dass die Öffnung und die Reformen im Iran wahrscheinlich gehemmt würden. Auch das
läge nicht in unserem Interesse.
Nun gibt es Spekulationen über militärische Präventivschläge. Diese Spekulationen kommen daher, dass
Israel den irakischen Reaktor Osirak, der auch Bestandteil eines Programms war, das zu Atomwaffen führen
sollte, 1981 zerstört hat. Man darf nicht übersehen: Zehn
Jahre später haben die Inspekteure der Vereinten Nationen im Irak ein außerordentlich und erschreckend
weit fortgeschrittenes Atomwaffenprogramm identifiziert. Mit diesem Präventivschlag war also nicht einmal
eine Suspendierung der Anstrengungen auf zehn Jahre
verbunden.
Präventivschläge hätten unabsehbare Kollateralschäden zur Folge. Die gegenwärtige Regierung würde sicherlich deutlich gestärkt werden. Sie hätten auch massive Auswirkungen auf andere Länder. Ich sehe auch
eine erhebliche Eskalationsgefahr. Ich nenne als Beispiel
mögliche Antworten der Iraner, die sie ja auch schon
während dieser Spekulation gegeben haben: Man könnte
sich einen israelischen Kernreaktor zur Vergeltung aussuchen und man könnte Einfluss auf die Hisbollah im
Libanon nehmen, damit sie wieder gegen Israel vorgeht.
Natürlich gibt es für den Iran auch ein Eskalationspotenzial im Irak und - nicht zu vergessen - auch in Afghanistan. Das sollte deutlich genug machen, dass eine Anreizstrategie - ohne ein Druckpotenzial gänzlich außen vor
zu lassen - sicherlich mehr Erfolg verspricht.
({8})
Der NVV gibt dem Iran das Recht zu einer friedlichen
Nutzung inklusive der Anreicherung; ich habe das schon
gesagt. Wir sollten den Iran beim Wort nehmen. Er hat
immer wieder gesagt, er wolle ein friedliches Programm und er sei auch bereit, das zu garantieren. Wir
müssen fragen, welche Garantien der Iran zu geben bereit ist. Ein freiwilliger Verzicht wird sicherlich nicht
endgültig zu erreichen sein. Mit einer Perspektive von
zehn Jahren wäre aber auch schon etwas gewonnen. Eine
zehnjährige Suspendierung der Anreicherungsaktivitäten
wäre hilfreich, um das Vertrauen, das durch die Verheimlichung und Heimlichtuereien verloren gegangen ist,
wieder herzustellen.
Wenn man eine Anreizstrategie entwickelt, dann darf
man nicht vergessen, dass das Ganze für den Iran auch
eine Prestigefrage ist. Er hat im Irakkrieg die Erfahrung
gemacht, dass dem Feind Waffen geliefert wurden, er
selbst aber isoliert war. Auch beim Atomkraftwerk Buschehr gab es immer wieder Anstrengungen von außerhalb, die Fertigstellung dieses Kernreaktors zu verhindern. Wenn man sich die iranische Interessenlage
anschaut, stellt man fest, dass in dieses Programm eine
ganze Menge investiert worden ist.
Iran muss - sonst wird dies nach meiner Überzeugung
nicht funktionieren - eine sichere Brennstoffversorgung garantiert werden. Das heißt, er braucht eine
Marktzutrittsgarantie und die Sicherheit, dass er nicht
aus politischen Gründen daran gehindert wird, Brennstäbe für seine zivile Nutzung zu kaufen, so lange er sich
an den Atomwaffensperrvertrag hält. In diesem Zusammenhang kann die Sicherheit der Versorgung durch
Diversifizierung der Belieferung gewährleistet werden,
und zwar mit Russland, möglicherweise aber auch mit
Europa.
Damit - ich komme zum Schluss - möchte ich noch
ein Problem ansprechen. Die Deutschen können nicht
liefern, weil Rot-Grün aus der Atomenergie aussteigen
will. Die Franzosen brauchten zum Liefern deutsche
Lizenzen. Die Frage ist: Wie stellt sich die Bundesregierung dazu? Die Briten brauchten, um zu liefern, das
amerikanische Einverständnis. Die Lieferdiversifizierung kommt also aufgrund rot-grüner Ausstiegspolitik in
einen gewissen Zwiespalt. Ich wünsche mir, dass dieser
Zielkonflikt in einer vernünftigen Weise gelöst wird, sodass die Atomwaffenoption im Iran wirklich dauerhaft
vom Tisch kommt. Dieses Ziel verfolgen wir gemeinsam. Es ist aller Anstrengungen wert; denn wenn wir es
nicht schaffen, dann werden wir erstens einen atlantischen Split bekommen - dagegen ist nach meiner Überzeugung das Problem mit dem Irak noch gering - und
zweitens wäre ein nuklear aufgerüsteter Iran eine Bedrohung für die Stabilität der Region, möglicherweise sogar
für den Weltfrieden.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Petra Ernstberger von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Abrüstung und Rüstungskontrolle sind in der jetzigen internationalen Situation ein wichtiger und immer
wichtiger werdender Eckpfeiler deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik. Wir verfolgen die Prinzipien des Multilateralismus, der rechtlichen Verbindlichkeit von Verträgen und der Universalität von internationalen Abkommen.
Im Bereich der Atomwaffen sind diese Prinzipien
schon weit gehend in die Realität umgesetzt und werden
auch von vielen Staaten akzeptiert. Dennoch sind es gerade die kritischen Staaten wie eben Nordkorea oder
Iran, die weiterhin negativ im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen, wenn es um Atomprogramme und
die Verbreitung entsprechender Technologien geht. Auch
hier gilt es, das Prinzip der Universalität durchzusetzen. Dafür macht sich die Bundesregierung stark. Zum
Iran hat der Kollege Polenz schon eine ganze Menge gesagt.
({0})
- Das bestreite ich gar nicht. Ich kann vieles von dem,
was er gesagt hat, unterstreichen. Aber ich glaube nicht,
dass wir jetzt unsere Ausstiegspolitik wegen der Lieferung von Brennstäben in den Iran ändern werden.
({1})
- Eben. Ich muss noch ein paar Worte zum Iran sagen.
Für die SPD-Fraktion möchte ich deutlich machen, dass
auch der Iran die weltweite Gültigkeit und Beteiligung
an den Rüstungskontrollregimen akzeptieren und vor allem mit ihnen kooperieren muss. Ich möchte an dieser
Stelle noch einmal Minister Fischer für die Anregung
zum Dialog mit den beiden Kollegen aus Großbritannien
und Frankreich ganz herzlich danken; denn es kann nicht
sein, dass sich der Iran durch die Hintertür von internationalen Abkommen verabschiedet. Ein geheimes Atomprogramm ist einfach nicht zu akzeptieren.
({2})
Die Bemühungen um den Iran gehen weiter und müssen auch weitergehen. Dabei setzen wir einmal auf bewährte Instrumente, nämlich den kritischen Dialog und
die weitere Arbeit der IAEO, die insgesamt anerkannt
wird. Aber wir müssen auch auf etwas setzen, was sich
bisher noch nicht bewährt hat, nämlich auf die Dialog-,
und Kooperationsbereitschaft von Teheran. Die iranische
Politik muss sich in meinen Augen bewegen.
({3})
Internationale Abkommen müssen auch verifizierbar
sein. Dazu benötigen wir die entsprechenden Verifikationsregime und die Überprüfungsmechanismen. Abrüstungsinitiativen müssen Glaubwürdigkeit und Vertrauen
schaffen. Aktuelle Proliferationsfälle - darauf weist die
Bundesregierung in dem hier zu behandelnden Jahresbericht hin - machen es weiterhin notwendig, verstärkt an
der Kontrolle von Nichtverbreitungsverpflichtungen im
Hinblick auf Kernwaffen zu arbeiten. Wir müssen weiterhin die Wirksamkeit des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, des NVV, stärken und so auch
die Nutzung von ziviler Atomtechnologie für militärische Zwecke ausschließen.
({4})
Diese Kontrolle muss aber auch einen präventiven
Aspekt haben. Leider - das bedauere ich sehr - steckt
der Prozess der präventiven Rüstungskontrolle fest.
Der Stillstand in der Genfer Abrüstungskonferenz muss
mit allen Möglichkeiten überwunden werden. Dazu
muss sich die Bundesregierung weiterhin anstrengen.
Die Bundesregierung muss sich bemühen, dass die EUStrategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen weiter vorangebracht wird, dass aber auch
die Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der G 8
intensiviert wird, eine Universalisierung des umfassenden Verbotes von Nukleartests angestrebt wird, Trägertechnologien besser erfasst und kontrolliert werden und
das internationale Abkommen über Biowaffen gestärkt
wird.
Zu einer umfassenden Strategie gegen die Verbreitung
von Massenvernichtungswaffen gehört aus meiner Sicht
aber auch, dass solche Staaten, die auf die entsprechenden Waffen nachweisbar verzichten, verstärkt wieder in
die internationale Gemeinschaft integriert oder reintegriert werden. Der Verzicht auf atomare, biologische
oder chemische Waffen sollte also international anerkannt werden und aus der Isolation herausführen. Dass
solche Signale kein Freifahrtschein sein können, wird
nirgendwo bezweifelt. Auch materielle Belohnungen
können keine Lösung darstellen.
Wie es aber gehen kann, hat uns der Besuch des
Kanzlers in Libyen gezeigt. Gaddafi ist sicherlich eine
äußerst umstrittene Figur, aber das Beispiel Libyen
könnte als Signal an andere Länder verstanden werden;
denn nach dem Verzicht auf Massenvernichtungswaffen
im Dezember 2003 stehen dem Land nun Perspektiven
einer Kooperation mit der Europäischen Union, aber
auch eine mögliche Integration in die Welthandelsorganisation offen. Ob dies gelingt, hängt zum großen Teil
von Libyen ab; denn die Hand, die die internationale Gemeinschaft ausgestreckt hat, ist da. Die Chance auf eine
Rückkehr aus der Isolation und somit auch auf eine weitere friedliche Entwicklung der Region Nordafrikas ist
gegeben. Sie muss auch angenommen werden.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch auf einen
Aspekt der Abrüstung eingehen, der sich eher ein wenig
im Abseits der allgemeinen Öffentlichkeit vollzieht und
nicht so intensiv wahrgenommen wird wie die Gefahr
der Massenvernichtungswaffen. In Zeiten, in denen wir
täglich neue Berichte über Bürgerkriege, ethnische Konflikte oder bewaffnete Auseinandersetzungen auf den
Bildschirmen sehen, spielt auch die Kontrolle und die
Abrüstung von konventionellen Waffen, insbesondere
von Kleinwaffen und Minen, eine ganz entscheidende
Rolle.
({5})
Oft sind die Ursachen, Akteure und Betroffenen der
besagten Konflikte nicht staatlicher Natur und manchmal schwer zu identifizieren. Es stehen sich nicht unbedingt Nationen in Kriegen gegenüber. Es sind vielmehr
Warlords, bewaffnete Banden oder terroristische Vereinigungen, die Angst und Schrecken verbreiten und so
politische Systeme destabilisieren. Es sind die Frauen
und die Kinder, die an den Folgen dieser Bürgerkriege
leiden. Im Bereich der konventionellen Waffen funktionieren diese Mechanismen zwischen den Parteien
durchaus anders als im Bereich der nuklearen Bedrohung. Während es bei nuklearen Abrüstungsbemühungen darum geht, dass die betroffenen Staaten die Zahl ihrer Atomwaffen begrenzen, verhandeln Gegner, die
konventionelle Waffen wie Maschinengewehre besitzen,
eben nicht über die Begrenzung der in ihrem Besitz befindlichen Waffen. Kleinwaffen befinden sich zudem
häufig in der Hand von Kindersoldaten und bedrohen
auch nach der Beendigung von Konflikten weiterhin die
Zivilbevölkerung.
Deswegen ist die Staatengemeinschaft aufgefordert,
erweiterte Lösungen zu suchen, um solchen Herausforderungen noch besser Herr zu werden. Es gibt auch hier
schon Erfolge zu vermelden. Zum Beispiel ist im November 2003 im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz
des VN-Waffenübereinkommens ein Protokoll zum
Thema „Explosive Kampfmittelrückstände“ verabschiedet worden. Des Weiteren konnte nach der Fünften Vertragsstaatenkonferenz des Ottawa-Übereinkommens im
September 2003 eine durchaus positive Bilanz gezogen
werden, da der Export von Antipersonenminen annähernd beendet worden ist und 51 Staaten ihre Bestände
zerstört haben. Zusätzlich hat die VN-Staatenkonferenz
eine neue Arbeitsgruppe mit dem Ziel eingerichtet,
Kleinwaffen künftig zu kennzeichnen und deren Weg
nachvollziehbar zu machen.
Diese Schritte sind zwar richtig, aber wir können sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
noch mehr tun. Auf nationaler Ebene sollte die Vernichtung überflüssiger Munition vorangetrieben und versucht werden, Munitionsexporte besser zu kontrollieren.
({6})
Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Einbeziehung des
Bundesgrenzschutzes und der Polizei der Länder dringend geboten. In diesem Zusammenhang ist eine kohärente Politik notwendig.
Was die Vermittlung von Waffengeschäften betrifft,
können die Geschäfte von Deutschen im Ausland nur erschwert oder gar nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Auf internationaler Ebene erscheint es zudem problematisch, dass Bemühungen um eine Höchstgrenze an
Kleinwaffen, die sich im Besitz von Staaten befinden
dürfen, von vielen Regierungen abgelehnt werden. Es
werden oft nur solche Verfahren akzeptiert, die den illegalen Besitz von Kleinwaffen beschränken sollen. Diese
Verfahren sind allerdings in ein viel zu weit gestricktes
Fahndungsnetz eingebunden. Dieses Netz viel enger zu
fassen, müsste Gegenstand der künftigen Bemühungen
hinsichtlich der Kontrolle von Kleinwaffen sein.
Wir müssen uns insofern auch auf internationaler
Ebene stärker als bisher auf die Kleinwaffenproblematik
konzentrieren. Dazu gehören auch die Entwaffnung und
Wiedereingliederung von Soldaten in Krisenregionen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf das
Thema Antipersonenminen eingehen. In die Anstrengungen zur Bekämpfung von Minen müssen auch die
über 50 noch aktiven Herstellerländer mit einbezogen
werden, die noch immer außen vor sind. Auch muss berücksichtigt werden, dass Minen, die im Grunde zum
Schutz von Soldaten der kämpfenden Armeen eingesetzt
werden, langfristige - um nicht zu sagen: jahrhundertelange - Folgen für die Bevölkerung haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie sehen, wird
die Abrüstung immer wichtiger. Wir danken der Bundesregierung, die den Jahresabrüstungsbericht vorgelegt
hat, für ihre Bemühungen. Die einzelnen Schritte müssen intensiv weiterverfolgt werden.
Wir stehen zu den Vertragssystemen. Denn Verträge
sollen bewirken, dass sich die Parteien, die sie unterzeichnen, vertragen. Deswegen ist es ein Ziel der Vertragssysteme, eine entsprechende Rüstungskontroll- und
Abrüstungspolitik zu betreiben.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Harald Leibrecht von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zwischen dem schönfärberischen Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung und
dem sehr realistischen und kritischen Antrag von der
SPD und den Grünen, der auch von der FDP mitgetragen
wird, besteht eine große Diskrepanz,
({0})
die deutlich macht, dass in Abrüstungsfragen bei der
Bundesregierung Wunschdenken und Wirklichkeit weit
auseinander liegen.
({1})
Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht darauf
hin, dass viele ihrer Vorschläge zur Abrüstung auf internationalen Konferenzen positiv aufgenommen wurden,
so zum Beispiel die Exportkontrollen bei so genannten
Dual-Use-Gütern oder im Bereich der biologischen und
der chemischen Waffen. Diese Erfolge sind zwar lobenswert, aber genau genommen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Abgesehen vom Haager Verhaltenskodex
fand seit Mitte der 90er-Jahre eigentlich kein richtiger
Durchbruch in der Abrüstung statt. Die Abrüstung befindet sich heute ziemlich im Stillstand und deshalb - wie
in dem vorliegenden Antrag richtig vermerkt - in der
Krise.
({2})
Zwar wurden in den letzten Jahren zahlreiche internationale Abkommen über die Ächtung von Waffen, und
zwar im Bereich sowohl der Massenvernichtungswaffen
als auch der Kleinwaffen und der Trägertechnologien,
also der Raketen, unterzeichnet, aber immer nur von
denjenigen Staaten, die im Besitz von wenigen solcher
Waffen sind. Staaten, die es eigentlich betrifft, weigern
sich allzu oft, solchen Abkommen beizutreten. Die
Atommächte Indien, Pakistan und Israel treten dem Vertrag zur Verhinderung der Proliferation von Kernwaffen
nicht bei. Mehrere Staaten des Nahen Ostens ratifizieren
nicht das Übereinkommen über das Verbot von biologischen und chemischen Waffen.
({3})
Es ist der entschlossene Wille zur Abrüstung, der vielen Ländern oft fehlt. Am deutlichsten wird diese Tatsache bei der Genfer Abrüstungskonferenz. Dort wird seit
sage und schreibe fünf Jahren verhandelt, ohne einen
Durchbruch zu schaffen, nur weil sich die USA und
China nicht über eine Rüstungskontrolle im Weltraum
einigen. Keinen Durchbruch gibt es ebenfalls bei der
Ächtung von Antifahrzeug- und Antipersonenminen, die nicht über eine so genannte Wirkzeitbegrenzung
verfügen, die sich also nicht nach einer bestimmten Zeit
selber entschärfen. Bedauerlicherweise weigern sich einmal mehr gerade diejenigen Staaten mit dem höchsten
Bestand an Minen, dem Ottawa-Abkommen beizutreten.
Das ist angesichts von fast 12 000 Minenopfern allein im
letzten Jahr traurig. Das ist eine erschreckend hohe Zahl.
Die Dunkelziffer liegt aber sicherlich weitaus höher.
({4})
Viele der bestehenden Abrüstungsabkommen dienten
vor allem der Entschärfung des Ost-West-Konfliktes.
Die politische Landschaft hat sich aber - Gott sei Dank verändert. Aus früheren Feinden wurden Freunde. Viele
Länder des ehemaligen Warschauer Pakts sind heute
Mitglieder der NATO. Zu Recht wird aber in dem Jahresabrüstungsbericht 2003 kritisiert, dass zum Beispiel
Russland seine Truppen noch immer nicht aus Moldawien und Georgien abgezogen hat. Diese längst überfälligen Truppenabzüge wären ebenfalls ein wichtiger Abrüstungsbeitrag und dienten - was Georgien betrifft der Entschärfung der Krise im Kaukasus.
({5})
- Stimmt.
Wenn es der Bundesregierung mit der Abrüstung
Ernst wäre, dann müsste sie ihr Augenmerk stärker auf
den Nahen Osten und Asien richten. Nordkorea hat
ein weit entwickeltes Atomprogramm und ist der weltgrößte Proliferateur von Massenvernichtungswaffen. Die
Staatengemeinschaft und insbesondere die Bundesregierung müssen solche Länder in die Schranken weisen.
Auch der Iran macht uns Sorgen. Als wir vor einem Jahr
im Bundestag über den letzten Jahresabrüstungsbericht
debattierten, gab uns die iranische Erklärung vom
26. Oktober 2003 noch Hoffnung, dass die iranische Regierung bei ihrem Atomenergieprogramm auf einen geschlossenen Brennstoffkreislauf verzichtet und somit
kein waffenfähiges Material produziert. Inzwischen sind
wir hier nicht mehr allzu zuversichtlich; denn die Überwachung durch die in Wien ansässige Internationale
Atomenergieorganisation gestaltet sich dort als äußerst
schwierig. Gerade heute wird in Wien mit den Iranern
wieder verhandelt. Ich hoffe, dass diesmal gute Ergebnisse zustande kommen.
({6})
Die Bundesregierung muss mit der iranischen Regierung sprechen und auf die Einhaltung internationaler Regelungen bestehen. Internationaler Druck, zum Beispiel
durch die erfolgreiche Arbeit der PSI, Proliferation Security Initiative, verbunden mit der Perspektive auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, kann zum Erfolg führen,
wie das Beispiel Libyen zeigt. Es zeigt außerdem, dass
Kontrollen dann erfolgreich sind, wenn befreundete
Staaten in Fragen der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen sehr eng zusammenarbeiten. Dabei ist
wichtig, dass bestehende Abrüstungsverträge immer
wieder auf ihre Aktualität überprüft und gegebenenfalls
auf einen neuen Stand gebracht werden.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag
zur Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen geht in die richtige Richtung. Fast ein Jahr
haben wir im Unterausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle an diesem Antrag gearbeitet und Punkt
für Punkt verhandelt. Die Arbeit hat sich gelohnt. Heute
liegt uns ein umfassender und zukunftsweisender Antrag
vor, der von weiten Teilen dieses Hohen Hauses getragen wird. Jetzt liegt es an der Bundesregierung, diese
hoch gesteckten und ehrgeizigen Abrüstungsziele im Interesse der Sicherheit und Stabilität in der Welt durchzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Leibrecht, in der Tat besteht keine Veranlassung
zur Schönfärberei. Diese allerdings betreibt der Bericht
nach meiner Auffassung keineswegs. Zuvörderst möchte
auch ich unsere Freude darüber zum Ausdruck bringen,
dass wir heute gemeinsam mit einem Teil der Opposition, der FDP-Fraktion, diesen wichtigen und guten Antrag zur Nichtproliferation verabschieden können.
Das Jahr 2003 brachte enorme Rückschläge für die
weltweite Rüstungskontrolle und Abrüstung. Der Bericht schildert, wie erfolgreich Inspektoren der Vereinten
Nationen und der Internationalen Atomenergiebehörde
im Irak waren und dass nur noch wenige Monate nötig
gewesen wären, um zu sicheren Ergebnissen zu kommen. Die US-Regierung erzwang einseitig den Abbruch
der Inspektionen und griff den Irak an. Dies war nicht
nur ein Schlag ins Gesicht der multilateralen Nichtverbreitung und der Staatengemeinschaft, sondern gab zugleich Gewalt- und Terrorpotenzialen enormen Auftrieb.
Mehrfach angesprochen wurde schon die Stagnation
bei der Genfer Abrüstungskonferenz. Nicht voran
kommt man vor allem beim angestrebten Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke, aber auch
beim Verbot der Waffenstationierung im Weltraum. Bei
beiden wichtigen Projekten ist die Beteiligung entscheidender Player ein regelrechtes Trauerspiel. Gleichwohl
sind hier neue Anstrengungen notwendig.
Aber das Jahr 2003 brachte auch einzelne Fortschritte
und Lichtblicke. Nach längeren Verhandlungen erklärte
Libyen am 19. Dezember letzten Jahres einen umfassenden Verzicht auf Massenvernichtungswaffen sowie seine
Bereitschaft, diesen Verzicht auch umfassend verifizieren, also kontrollieren zu lassen. Inzwischen ist Libyen
allen relevanten Verträgen und Konventionen im Bereich
der Nichtverbreitung und Abrüstung beigetreten. Dies
halte ich für einen sehr wichtigen Fortschritt.
Deutliche Fortschritte gab es auch bei der so genannten Abrüstungszusammenarbeit mit der Russischen Föderation. Hier geht es um die Bewältigung von Altlasten
des Kalten Krieges, also von chemischen Kampfstoffen
und den vielen immer mehr verrottenden russischen
Atom-U-Booten. Mit deutscher Hilfe wurde im November 2003 die Vernichtung des gesamten russischen Vorrats an Lost, einem Hautkampfstoff, abgeschlossen. In
diesem Bereich ist die Bundesrepublik nach den USA der
zweitgrößte Geber.
Einen dritten Fortschritt stellt die europäische Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen dar. Sie ist ein Beispiel für effektiven Multilateralismus und einen breiten sicherheitspolitischen Ansatz im
Dienste des Systems der Vereinten Nationen.
Der Bericht beschreibt ausführlich Auslandseinsätze
der Bundeswehr. Man fragt sich, was sie mit Rüstungskontrolle und Abrüstung zu tun haben. Sämtliche jetzigen Bundeswehreinsätze finden in Nachkriegsgesellschaften statt, die ein hohes Konflikt-, Gewalt- und
Waffenpotenzial aufweisen. Hier sind die UN-mandatierten Einsätze tatsächlich quasi erste Stufen von Rüstungskontrolle und Abrüstung, die dann, wie zum Beispiel auf dem Balkan zu sehen, durch vertragsgestützte
Rüstungskontrolle und Abrüstung ergänzt werden.
In den so genannten Einsatzgebieten stehen Kleinwaffen und leichte Waffen im Mittelpunkt. Zu Recht
konstatiert der Bericht, dass Kleinwaffen und leichten
Waffen in jedem Jahr viel mehr Menschen zum Opfer
fallen als allen anderen Waffenkategorien. Man muss davon sprechen, dass Kleinwaffen und leichte Waffen die
realen alltäglichen Massenvernichtungswaffen sind.
Es gibt sehr gute Ansätze und Bemühungen, dieser
tödlichen Flut Herr zu werden. Hervorragend sind dabei
in der Bundesrepublik die Beiträge zum Beispiel vom
Internationalen Konversionszentrum Bonn und anderen
Nichtregierungsorganisationen, von der Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit mit ihrem Sektorvorhaben
Kleinwaffenkontrolle und schließlich nicht zuletzt von
der Bundeswehr mit dem Zentrum für Verifikationsaufgaben. Wer weiß schon, dass im letzten Jahr vonseiten
der Bundeswehr 190 000 überschüssige Kleinwaffen
nicht an andere weiterverscherbelt, sondern vernichtet
wurden?
({0})
Das darf allerdings nicht - das muss ich anmerken durch zweifelhafte Rüstungsexporte, zum Beispiel nach
Saudi-Arabien, konterkariert werden.
Insgesamt hat die Kleinwaffenkontrolle in der internationalen Politik verglichen mit der Nichtverbreitung
ein zu geringes Gewicht. Dem müssen wir eindeutig entgegenwirken. Deshalb ist es angebracht, dass die Kleinwaffenproblematik im nächsten Bericht mehr vorn, an
prominenter Stelle behandelt wird.
Herzlich zu danken habe ich im Namen meiner Fraktion den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und anderer befreundeter Ressorts, die zu
dieser Leistung beigetragen haben.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren den Jahresabrüstungsbericht der Regierung
für das Jahr 2003. Er datiert vom 14. Mai dieses Jahres
und umfasst nahezu 200 Seiten. Er enthält wichtige
Details über internationale Bemühungen, zum Beispiel
zur Nichtverbreitung von Atomwaffen. Er unterschlägt
allerdings erneut wesentliche Widersprüche der rot-grünen Rüstungspolitik.
Ich darf namens der PDS im Bundestag an Folgendes
erinnern: SPD und Grüne waren 1998 mit hehren Zielen
angetreten. Diese fanden Eingang in die politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom Januar
2000. Gleich im ersten Satz steht: Die Rüstungsexportpolitik soll restriktiv gestaltet werden. - Nach Berechnungen verschiedener Institute liegt die Bundesrepublik
mit ihren Rüstungsexporten weltweit auf Platz drei. Ein
Beleg für eine restriktive Gestaltung ist das nicht; im Gegenteil.
({0})
Die deutsche Rüstungsindustrie exportierte im Berichtsjahr Kriegs- und kriegsfähiges Material in über
100 Länder. Auch diese Zahl widerspricht jedem Selbstlob aus den Reihen von Rot-Grün.
Aber die Verstöße gegen die eigenen Richtlinien gehen noch tiefer. In diesen Richtlinien steht unmissverständlich: Die Lieferung von Rüstungsgütern wird nicht
genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind. - Geliefert wurde dennoch zum
Beispiel nach Israel, also in eine Region, die durch
unkalkulierbare Risiken gekennzeichnet ist.
Dieser Tage gab es weitere Schlagzeilen: Deutsche
Konzerne profitieren vom Irakkrieg. - Der Hintergrund: Deutsche Rüstungsexporte sind ausgerechnet in
jene Länder gestiegen, die am Irakkrieg beteiligt sind. Sagen Sie mir nun nicht, das seien NATO- bzw. EUStaaten, also Bündnisstaaten! Die Richtlinien, die Sie
sich selbst gegeben haben, schließen Rüstungsexporte in
alle Länder aus, die in bewaffnete Auseinandersetzungen
verwickelt sind, die nicht von der UNO gedeckt sind.
Der Irakkrieg ist völkerrechtswidrig und zugleich ein
Affront gegen die UNO. Im Interesse der Bundesrepublik ist er auch nicht. Das haben Sie selbst betont. Nach
Ihren eigenen Richtlinien hätten Sie diese Rüstungsexporte also dreifach begründet verhindern müssen.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
({1})
So ist es kein Wunder, dass in der „Welt“ vom
12. Oktober 2004 genüsslich kommentiert wird:
Rüstungsexport ist kein rot-grünes Reizthema
mehr. Auf Drängen des Kanzlers fallen jetzt reihenweise die Tabus.
Das alles verschweigen Sie aber in Ihrem Bericht und
das macht ihn unglaubwürdig. Zugleich frohlockt die
Rüstungslobby. Gerade heute wurde am Rande des Luftfahrtkongresses Rot-Grün dafür gelobt, dass es endlich
alle Restriktionen bei Waffenexporten aus dem Weg
schafft.
Das trifft übrigens auch auf das Bombodrom in der
Kyritz-Ruppiner Heide zu; denn genau betrachtet, fällt
auch dieser Bombenabwurfplatz, wenn Sie ihn international vermarkten, unter die Exportrichtlinien.
Danke.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dem Jahresabrüstungsbericht 2003 kann man entnehmen, dass bei der Entscheidung über den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern die
„Politischen Grundsätze“ der Bundesregierung vom
19. Januar 2000 die maßgebliche Richtlinie bilden. Ich
bin neugierig, wie damit im nächsten Jahresabrüstungsbericht umgegangen wird. Man stellt nämlich fest, dass
diese Grundlage in Wirklichkeit immer mehr verwässert
wird und dass Sie, wenn Entscheidungen zu treffen sind,
immer weniger darauf schauen. Der Bundeskanzler umarmt den einen oder anderen Diktator in der Welt, spricht
das Wort „deutsche Interessen“ aus und schon gelten
diese Richtlinien ganz offensichtlich nicht mehr.
Die Zeichen stehen auf Liberalisierung der deutschen Exportpraxis. Was kürzlich noch als ausgesprochen heikel galt, ist nun fast selbstverständlich. „Die
Welt“ fragte in einer Überschrift:
Verliert die rot-grüne Regierung jetzt ihre rüstungsexportpolitische Unschuld?
Ich denke, diese Frage ist bereits beantwortet.
Wir alle konnten der Presse der letzten Tage und Wochen entnehmen, wie groß das rot-grüne Chaos in der
Rüstungsexportpolitik ist. Versuche des Parlamentarischen Staatssekretärs Schlauch in der gestrigen Sitzung
des Wirtschaftsausschusses, jede Auskunft mit Blick auf
seine Nichtmitgliedschaft im Bundessicherheitsrat zu
verweigern, entlarven doch nur die innerhalb der Bundesregierung herrschende Uneinigkeit und Nervosität.
Das von Rot-Grün beschlossene formale Ausschlusskriterium „Krisengebiet“ oder „Verletzung der Menschenrechte“ zählt offenbar nicht mehr.
({0})
Der Bundessicherheitsrat genehmigt den Export von
20 Fuchs-Transportpanzern in das Kriegsgebiet Irak.
Grünen-Parteichefin Roth, bemüht um Schadensbegrenzung und Beruhigung, sagt dazu: Ausrüstungshilfe ist
kein Rüstungsexport. Das ist eine sehr feine Unterscheidung. Ist eine Aufrüstung dieser Fuchs-Panzer ausgeschlossen? - Nein!
Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen
der Lieferung des Transportpanzers Fuchs an den Irak
und der nach Israel? Auch diese Frage wollte Herr
Schlauch gestern nicht beantworten. Warum? Weil es
keine logische Erklärung für ein solches Vorgehen gibt.
Außerdem wird die mögliche Lieferung von Kampfpanzern an die Türkei diskutiert. Dazu sagt Außenminister Fischer, dass die Lage im Lichte der veränderten
Realitäten neu bewertet werden müsse, wenn sich die
Dinge veränderten. Was heißt „im Lichte der veränderten Realitäten“? Amnesty International würde Ihnen sagen, dass es zu früh ist, eine wesentliche Verbesserung
der Menschenrechtslage in der Türkei infolge formaler
gesetzlicher Veränderungen erkennen zu können. Tatsächlich gibt es weiterhin vielfältige Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Auch der Umgang mit den
Kurden verläuft nach wie vor jenseits der gesetzlichen
Regelungen und ist anzuprangern.
Frau Roth kann sich noch so lange darum bemühen,
einen Zusammenhang zwischen einer künftigen EU-Mitgliedschaft der Türkei und der Erfüllung der deutschen
Rüstungsexportrichtlinien zu verneinen: Der zeitliche
Zusammenhang zwischen der rot-grünen Unterstützung
des EU-Beitritts und der grundsätzlich positiven Grundhaltung gegenüber einem Export ist offensichtlich.
Die Beteuerungen in diesem Bereich, es liege noch
kein Antrag vor etc., sind alle ziemlich durchsichtig.
Wenn es eine Anfrage geben wird, dann wird der Bundessicherheitsrat abnicken. Diese Entscheidung ist
längst beschlossen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich sage das
deshalb, damit klar wird, wie widersprüchlich Ihre Politik ist. Wir haben schon 2000 gesagt, dass es eigentlich
unerträglich ist, der Türkei auf der einen Seite den Status
eines EU-Beitrittskandidaten zu geben, das vollwertige
NATO-Mitglied Türkei als wichtige Säule in dieser Organisation zu akzeptieren und sich dennoch so zu verhalten, wie Sie es in der Vergangenheit getan haben. Da
korrigieren Sie sich jetzt. Das mag auf Dauer richtig
sein. Auf jeden Fall handelt es sich um eine vollständige
Kehrtwendung.
Meine Damen und Herren, die Diskussionen und Entscheidungen bezüglich Exporten nach China und Libyen
sind ebenfalls beispielhaft für die Unberechenbarkeit
rot-grüner Rüstungsexportpolitik. Wie da geeiert wird,
ist unglaublich. Was da gemacht wird, kann nicht als
verantwortungsvoller Umgang mit Rüstungsgütern bezeichnet werden. Immer mehr wird die Erlaubnis zu
Waffenexporten als außenpolitisches Instrument eingesetzt; ich nenne das Beispiel Libyen. Ist die Aufhebung
des Waffenembargos wirklich die beste Form, um eine
veränderte libysche Haltung anzuerkennen? Muss man
wirklich damit beginnen? Gäbe es nicht viel bessere
Möglichkeiten, zu zeigen, dass man einen neuen Weg
unterstützt, der ja noch nicht einmal von neuen Personen
und politischen Entwicklungen getragen wird?
({1})
Ich glaube, dass Rüstungsexportkontrolle im Augenblick nicht ernst genommen wird.
({2})
Natürlich muss man deutlich darauf hinweisen, dass außenpolitische, wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische Gründe eine Rolle spielen können. Wir haben immer davor gewarnt, ausschließlich nach einzelnen ganz
bestimmten Kriterien vorzugehen. Eine solche Haltung
ist immer falsch. Denn in jedem Einzelfall sind Abwägungsprozesse und Entscheidungen nötig, bei denen niemals nur ein Kriterium zugrunde gelegt werden kann.
Man muss immer dafür sorgen, dass die Entscheidungen
wohlbegründet sind.
({3})
Wir brauchen außerdem endlich eine gemeinsame
Haltung Europas in diesen Fragen. Die Bundesregierung
muss mit massiver Unterstützung auf eine Veränderung
des europäischen Kodex hinarbeiten. Er muss rechtlich
einen solchen Verbindlichkeitsgrad besitzen, dass es
keine nationalen Alleingänge mehr gibt.
({4})
Eine abgestimmte europäische Haltung brauchen wir sowohl im Hinblick auf eine Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik als auch im Hinblick auf ein gemeinsames Handeln innerhalb des Bündnisses und der
Europäischen Union. Die augenblickliche Situation ist
eher von Prinzipienlosigkeit und Wankelmut geprägt.
Das ist gefährlich in der Politik. Deshalb bitten wir Sie
darum, Ihre Politik zu ändern.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Rüstungskontrolle findet nicht im luftleeren Raum statt.
Sie ist in die internationale Politik eingebunden. Diese
befindet sich seit dem Fall der Berliner Mauer vor
15 Jahren in einer Phase der Neuorganisation. Nicht
mehr der Ost-West-Konflikt prägt das internationale
System; es entstehen vielmehr neue Strukturen. Für die
internationale Sicherheitspolitik heißt das, verkürzt gesagt: Die USA bleiben bis auf weiteres die unbestrittene
Weltmacht. Das Land zwischen den Ozeanen kann in der
Regel alleine Entscheidungen treffen. Die Folgen aber
haben wir alle zu tragen.
Weiterhin prägt der Zerfall von Staaten das weltweite
Konfliktgeschehen; so sind zahlreiche Regionalkonflikte bis heute ungelöst. Oft werden sie von ethnischen
oder religiösen Gegensätzen überhöht. Auch die Ausgaben für Rüstung und Streitkräfte steigen wieder. Eine
Friedensdividende wurde nie irgendwo eingefahren. Und
vor allem: Der internationale Terrorismus bedroht die
Menschheit. Er bringt grenzenlose Gewalt und begünstigt Gewaltbereitschaft.
In diesem Umfeld bewegen sich Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nur selten ist hiervon die Rede. Ja, man
kann geradezu sagen, dass sie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden sind. Deshalb bin ich froh,
dass wir heute über den Bericht der Bundesregierung
und über den Antrag der Koalitionsfraktionen sprechen
können.
Der Jahresabrüstungsbericht 2003 gibt erneut einen
guten Überblick über die Herausforderungen und die
möglichen Handlungsfelder. Lassen Sie mich deshalb an
die Adresse der CDU/CSU sagen, dass es hier nicht um
die Rüstungsexportpolitik geht. Sie hätten den Bericht
mit Sicherheit besser würdigen können, wenn Sie sich an
dieser Stelle an den Bemühungen der Bundesregierung
orientiert hätten. Ich empfinde es auch angesichts des
Verhaltens und Handelns in den Jahren, in denen Sie die
Verantwortung trugen, als sehr scheinheilig, wie Vertreter von CDU/CSU heute über dieses Thema reden.
({0})
Unser Antrag konkretisiert und erweitert die Instrumente und die Anforderungen an eine umfassende Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Deshalb begrüße ich, dass sich die FDP-Fraktion unserem Antrag
angeschlossen hat. Ich danke auch ausdrücklich den
Kollegen von der CDU/CSU für ihre Bemühungen um
eine Beteiligung ihrer Fraktion. Leider hatten sie zum
Schluss keine ausreichende Unterstützung in ihren Reihen. Dennoch: Wir hatten gute und intensive Beratungen
und darauf lässt sich aufbauen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl die Rüstungskontrolle vor allem während des Ost-West-Konflikts ihre Wirkung entfalten konnte, bleibt sie auch
heute und in Zukunft ein geeignetes Mittel, Vertrauen,
Kooperation und Sicherheit zu schaffen. Wir Sozialdemokraten wollen die rüstungskontrollpolitischen Instrumente
stärken und ausbauen. Wir brauchen Rüstungskontrolle,
um der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu
begegnen, um eine überprüfbare Rüstungsbegrenzung
zwischen den Atommächten zu erreichen, um neue Rüstungsschübe zu verhindern, um technische Fortschritte
zu kontrollieren und um regionale Konflikte und Bürgerkriege zu befrieden.
Dabei wissen wir: Ohne die USA wird es bei der Rüstungskontrolle keine Fortschritte geben. Leider haben
die Verantwortlichen in Washington derzeit das Interesse
an solchen Regelwerken weitgehend verloren. Die Vereinigten Staaten haben sich aus wichtigen Verträgen zurückgezogen. Mehr noch: Zwischen Europa und den
USA gibt es unterschiedliche Abrüstungsstrategien. Die
USA sind sogar bereit, Abrüstungskriege zu führen.
Hierbei wird selbst der Einsatz von Nuklearwaffen nicht
ausgeschlossen. Europa setzt dagegen in erster Linie auf
Diplomatie und Kooperation. Den Einsatz von Zwangsmitteln würden wir nur als letzte Möglichkeit in Betracht
ziehen. Voraussetzung dafür bleibt jedoch ein entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen.
Beide, die USA und Europa, können meiner Überzeugung nach auch über die Rüstungskontrolle wieder zueinander finden. Wir müssen dabei Grundsätze erörtern
und in Erwägung ziehen, die die Bezeichnung „robust“
verdienen. Denn wir wissen, dass Rüstungsbegrenzung
ohne Verifikation und strenge Regeln nicht funktionieren
kann. Die USA hingegen müssen endlich ihre Abneigung gegenüber völkerrechtlichen Verpflichtungen und
Verträgen aufgeben. Internationale Politik muss wieder
verlässlich und berechenbar werden.
({2})
Deshalb gehört Rüstungskontrolle - das sage ich an
die Adresse der Bundesregierung - ganz oben auf die
transatlantische Tagesordnung. Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in wenigen Monaten ist sowohl eine Bewährungsprobe als auch eine
Chance für ein gemeinsames Vorgehen. Denn Rüstungskontrolle kann nur dann gelingen, wenn Europäer und
Amerikaner zusammenarbeiten.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen, denen sich die Staatenwelt gegenübersieht, sind
offenkundig: Regionalkonflikte bekommen in wachsendem Maße eine nukleare Komponente. Nordkorea zündelt und auch der Iran begibt sich auf einen gefährlichen
Weg. Wir müssen beide Länder aufhalten, mit friedlichen Mitteln und ernst gemeinten Angeboten, notfalls
aber auch mit Sanktionen und durch glaubwürdige Abschreckung.
Anfang des Jahres hat Pjöngjang offiziell erklärt, aus
dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten. Mit dem Ausstieg sieht sich Nordkorea von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergieagentur
befreit. Der totalitäre Staat bekennt sich damit offen zu
seinem Nuklearprogramm und droht sogar mit Krieg. Es
ist gut, dass wegen der Lage auf der koreanischen Halbinsel sechs Regierungen an einem Tisch sitzen. Dies darf
nicht beendet werden. Der Druck auf Nordkorea muss
aufrechterhalten werden. Wir begrüßen, dass die Volksrepublik China hierbei eine aktive Rolle übernommen
hat. Multilaterales Handeln ist für Asien insgesamt ein
Gewinn. Dass die Volksrepublik China hieran mitwirkt,
ist gut.
({4})
Mit Blick auf den Iran tut die Bundesregierung das
allein Richtige: Dialog und Kooperation, multilaterales
Vorgehen, Auflagen und Angebote bleiben eine angemessene Strategie, um Teheran zur Beendigung seines
Programms zur Urananreicherung zu veranlassen. Wir
wissen aber auch: Solange der Iran die Kontrolle seiner
Anlagen erlaubt, bewegt sich das Land innerhalb des
Atomwaffensperrvertrages, der die friedliche Nutzung
der Kernenergie ausdrücklich vorsieht. Aber der Verdacht, dass der Iran angereichertes Uran für den Bau von
Atombomben nutzen will, besteht weiter. So gibt es immer noch offene Fragen: Warum sind die nuklearen Aktivitäten so dimensioniert? Warum hat der Iran einzelne
Entwicklungen verschleiert? Warum braucht der Iran
Mittelstreckenraketen? Der Iran muss mit der Internationalen Atomenergiebehörde uneingeschränkt kooperieren und bis zur nächsten Sitzung des Gouverneursrats
am 25. November alle Unklarheiten beseitigen.
({5})
Zur Vertrauensbildung gehören dann aber auch ein Handels- und Kooperationsabkommen sowie ein bedrohungsfreies Umfeld. Die Sicherheitsinteressen des Iran
müssen ernst genommen werden.
Herr Kollege Polenz, ich teile Ihre Analyse. Sie haben
bei dieser Analyse nur eines vergessen: Der Iran zählt
für die USA zur „Achse des Bösen“. Ich wäre Ihnen
dankbar gewesen, wenn Sie die USA von dieser Stelle
aus dazu aufgerufen hätten, den Iran von dieser „Achse
des Bösen“ zu nehmen. Im Krieg zwischen dem Iran und
dem Irak sind Massenvernichtungswaffen eingesetzt
worden. Der irakische Diktator Saddam Hussein hat
Chemiewaffen eingesetzt. Dagegen gab es keine Proteste
vonseiten des Westens. Die westliche Völkergemeinschaft hat es hingenommen, dass andere Staaten im regionalen Umfeld Nuklearmächte geworden sind. Auch
dies gehört zu einer vorurteilsfreien Analyse, wenn wir
den Iran bewegen wollen, auf den Atomwaffensperrvertrag zurückzukommen.
({6})
Darüber hinaus braucht die gesamte Region vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. Wir brauchen auch und gerade dort Rüstungsbegrenzungen. Die
Beteiligung an neuen Aufrüstungen ist deshalb das falsche Signal. Abrüstung und Rüstungskontrolle können
trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten auch im Nahen
und Mittleren Osten dazu beitragen, Konflikte zu begrenzen.
Entgegen der allgemeinen Ansicht kann Rüstungskontrolle durchaus auch einen Beitrag zur Bekämpfung
des internationalen Terrorismus leisten. Terroristen
bemühen sich um Massenvernichtungswaffen. Derartige
Anstrengungen zu unterbinden ist auch eine Aufgabe der
Rüstungskontrolle. Zwar binden Verträge nur Staaten,
aber sie sorgen doch für die Sicherheit sensibler Materialien und Technologien. Zusammen mit internationalen
Agenturen können staatliche Instanzen den Zugang zu
derartigen Mitteln verhindern oder erschweren. Die derzeit bestehenden Verträge müssen deshalb gestärkt und
ergänzt werden und weitere Bemühungen in völkerrechtliche Regeln übertragen werden.
({7})
Wir brauchen abgestimmte und nachvollziehbare Regime, um dem internationalen Terrorismus Rüstungsmittel vorzuenthalten.
Vertragliche Rüstungsbegrenzung kann weiterhin einen Beitrag zur Friedenskonsolidierung leisten. Im Abkommen von Dayton oder bei der Entwaffnung der Konfliktparteien in El Salvador waren Regelungen zur
Abrüstung ein wichtiger Beitrag zum Spannungsabbau.
Auch für andere Bürgerkriegsgebiete müssen derartige
Rüstungsbegrenzungen entwickelt und umgesetzt werden.
Europa ist auf dem Weg zu einer gemeinsamen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dies ist ein weiterer Schritt zur Integration. Was aber bedeutet das für die
regionale Rüstungskontrolle? Im Entwurf für eine europäische Verfassung wurden eine Rüstungsagentur und
eine automatische Überprüfung nationaler Rüstungsanstrengungen verankert. Diese dürfen aber meiner Meinung nach nicht zu neuen Rüstungsschüben in Europa
führen. Im Gegenteil: Wenn wir den europäischen Weg
konsequent fortsetzen und multinationale Streitkräfte
wollen, muss im Verlauf auch ein Abrüstungsprozess beginnen. Nicht alle Staaten brauchen alle Teilstreitkräfte.
Weitere Abrüstungen in Europa sind möglich und wünschenswert.
Zuvor muss allerdings der angepasste KSE-Vertrag
endlich in Kraft treten. Herr Leibrecht, Sie hatten darauf
hingewiesen. Russland muss seine Verpflichtungen erfüllen. Aber auch die NATO muss eine verbindliche Erklärung zu den Stationierungsabsichten im baltischen
Raum abgeben. Die Bundesregierung sollte sich überlegen, ob trotz dieser Blockierung nicht bereits jetzt eine
Ratifikation des Vertrages im Bundestag als Zeichen an
alle Beteiligten, ihre Haltung zu überdenken, möglich
wäre. Wir brauchen den Vertrag als Garant konventioneller Stabilität und als Eckpfeiler europäischer Sicherheit.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rüstungskontrolle,
Abrüstung und Nichtverbreitung bleiben notwendig. Kooperative Sicherheitspolitik, Transparenz und Verlässlichkeit sind heute genauso wichtig wie zu Zeiten des
Kalten Krieges. Ich danke deshalb der Bundesregierung
für ihre Bemühungen auf diesem Weg. Auch in den
kommenden Monaten werden kluge und entschlossene
Schritte hierfür notwendig sein. Wir werden die Bundesregierung dabei unterstützen und aufmerksam begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Hans Raidel von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Unterausschuss Abrüstung sind wir uns über
die wesentlichen Ziele eigentlich einig. Kollege Polenz
hat darauf hingewiesen, dass wir diese Themen natürlich
aus verschiedenen Richtungen betrachten. Aber wir wissen insgesamt, wie mühsam und schwierig das Abrüstungsgeschäft und die Rüstungskontrolle sind. Deswegen will ich von dieser Stelle aus allen Beteiligten dafür
danken, dass diese Sisyphusarbeit geleistet wird.
({0})
Wir haben bis jetzt aber immer nur gesagt - so auch
heute -, was andere tun sollen. Die Fragen, die an uns
gerichtet sind, lauten: Was müssen wir tun, um in diesen
einzelnen Regimen weiterzukommen? Tun wir genug?
({1})
- Eben. Diese Frage richtet sich an uns; denn wir haben
immer nur über die anderen gesprochen.
({2})
Ich meine, dass wir daraus eine Lehre für unsere
künftige Arbeit ziehen müssen. Das bedeutet, dass bei
diesem Thema auch bei uns Transparenz und Aufklärung einen wichtigen Stellenwert einnehmen müssen.
Wir führen hier eine Insiderdebatte. Wen im Deutschen
Bundestag und in der deutschen Öffentlichkeit interessiert dieses Thema wirklich? Wenn Sie draußen und
auch hier fragen: „Was bedeutet Abrüstung und Rüstungskontrolle?“, werden Sie eher auf ein Achselzucken
treffen als eine vernünftige Antwort erhalten. Deswegen
meine ich, dass wir durch die Einbeziehung der Medien
weitere Aufklärung leisten und betreiben müssen. Wir
haben für diese Fragen ein neues Gefühl zu entwickeln.
Zu diesen Themen, die richtig benannt und beschrieben worden sind, gehört die Frage: Wie verhalten wir
uns bei der Aufdeckung, Verfolgung und Austrocknung
von illegalen Geldströmen? Das ist ein ganz wichtiges
Thema. Ein Land kann noch so arm sein; für Waffen ist
offensichtlich immer genügend Geld vorhanden. Wenn
wir es mit der Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität, des Fanatismus, des Fundamentalismus etc. ernst meinen, dann müssen wir auch daran denken: Wo sind die Risiken entstanden? Die liegen nicht
immer nur in der Waffentechnik; das ist die Folge, die
Wirkung. Wir müssen vielmehr nach den nichtmilitärischen Sicherheitsrisiken fragen: die demographische
Entwicklung - in den Mittelmeerregionen ist das beispielsweise ein wichtiges Thema -, Armut, Krankheit,
Drogenkriminalität, Menschenhandel. Es geht auch um
Migration, um Bildung, um Strukturpolitik. Tun wir genügend, um die Ursachen negativer Entwicklungen zu
beseitigen? Ich glaube, dass wir darüber verstärkt nachdenken müssen.
({3})
Heute hat Kollege Nachtwei aus einer anderen Position heraus formuliert, wir lebten nicht in einer Welt der
Wünsche, sondern in einer Welt der harten Realitäten.
Ziehen wir aus diesen Erfahrungen die richtigen Erkenntnisse und machen wir die richtigen Lernprozesse?
Beachten wir das Prinzip von Ursache und Wirkung genügend? Ich glaube, unsere Politik muss auch darauf
ausgerichtet sein, weitere Schrittmacherdienste bei der
UNO, der NATO, der OSZE, der EU, der G 8 etc. zu
leisten. Die USA und Russland müssen besser partnerschaftlich eingebunden werden.
Denn wie ist denn - auch das wurde bereits genannt die Situation? Die Kleinen halten die Fahne hoch, soweit
sie den Abkommen beigetreten sind, und die Großen
- auch das muss man einmal deutlich aussprechen - tun
hie und da, was sie wollen. Wenn es ihnen nicht in den
Kram passt, wird ein Thema nach hinten geschoben.
Dann wird es wieder hervorgezogen, je nachdem, wie
die eigene Sichtweise es erfordert. Multilateralität ist
häufig ein Fremdwort, Bilateralität steht häufig im Vordergrund.
Ich meine, wir sollten von unserer Seite aus mehr
Druck ausüben. Wir sollten uns überlegen: Wie können
wir durch wirtschaftliche, entwicklungspolitische, humanitäre und soziale Maßnahmen helfen, um Fehlentwicklungen den Nährboden zu entziehen? Ich glaube,
dass wir nur mit einem solchen ganzheitlichen Blickfeld
tatsächlich Abrüstungspolitik betreiben können.
({4})
Wir reden immer über die Folgen, aber zu wenig über
die Ursachen. Dabei sollte es natürlich gelingen, dass
Europa - Kollege Fritz hat darauf hingewiesen - endlich
mit einer Zunge spricht. Die Exportrichtlinien müssen
harmonisiert werden, weil sonst die ESVP - ich behaupte das von hier aus - nicht ernst genommen wird
und auch nicht ernst genommen werden kann.
Was wir jetzt brauchen, ist ein strategischer Dialog,
der dieses wichtige Politikfeld wieder ins Scheinwerferlicht rückt. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es
derzeit nur ein „Nebenbeithema“ ist. Es gehört vor allem
Mut dazu, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen,
die Konsequenzen zu fordern und mit Sanktionen durchzusetzen. Nehmen wir nur einmal das Beispiel Sudan.
Sie haben es alle - diplomatisch verklausuliert - in den
Zeitungen gelesen: Die Frage „Ist es ein Völkermord?“
wurde mal mit „Eigentlich nicht“, mal mit Ja, mal mit
Nein beantwortet. Das Gleiche gilt für die Frage „Tun
wir etwas?“ Vornehm hält man sich, wenn es nicht passt,
zurück.
Insgesamt muss das internationale Recht verstärkt
werden. Es muss eine Legitimation geschaffen werden.
Die Staatschefs und die Außenminister sind gefordert,
dieses Thema beispielsweise wieder verstärkt vor die
UNO zu bringen. Bezüglich der Behandlung dieser Fragen ist die UNO doch fast abgetaucht. Die UNO muss
wieder als Weltbühne installiert und mit Handlungsvollmacht ausgestattet werden, was bisher, wie wir wissen,
nicht der Fall ist.
Meiner Meinung nach brauchen wir insgesamt ein
neues Denken in neuen Dimensionen der gesamten SiHans Raidel
cherheitspolitik, sozusagen ein sicherheitspolitisches
Management im 21. Jahrhundert, in dem Friedensentwicklung, Krisenprävention, Krisenreaktion, auch die
Stellung des Völkerrechts in internationalen Konflikten,
vor allem die Rolle der Medien, Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung einen wichtigen Baustein
bilden. Deswegen bitte ich unsere Regierung, dass wir
uns einmal gemeinsam zusammensetzen und im Unterausschuss neue Linien entwickeln und sagen, wo wir stehen und wo wir hin wollen.
({5})
Ich komme jetzt zum Schluss.
Herr Kollege Raidel, Sie sind schon am Schluss.
({0})
Letzter Satz, Herr Präsident. - Wir hätten diesem Antrag gerne zugestimmt. Wir haben auch daran mitgearbeitet. Sie sind jedoch auf wesentliche Gedanken und
Forderungen von uns nicht eingegangen. Deswegen
müssen wir Sie heute bei diesem Schritt allein lassen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3167 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Verhinderung der
Proliferation von Massenvernichtungswaffen durch Abrüstung und kooperative Rüstungskontrolle, Drucksache
15/3967. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1786 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der CDU/
CSU-Fraktion und Enthaltung der Kollegin Pau angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Helge
Braun, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
7. EU-Forschungsrahmenprogramm wirksam
ausgestalten
- Drucksache 15/3807 Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Helge Braun von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Sicherung von Wachstum und Wohlstand in
Deutschland und in Europa hängt ganz erheblich von einem Faktor ab, nämlich der Frage, ob wir es schaffen,
die notwendige Innovationskraft zu entwickeln, um uns
auch in Zukunft als Hochlohnland und Land, das Spitzentechnologie produziert, behaupten zu können. Diese
Anstrengungen in Deutschland und in Europa können
wir jetzt intensivieren, wenn wir im Rahmen der Neuordnung des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms in der
Fortschreibung des 6. Forschungsrahmenprogramms die
Weichen richtig stellen.
Bei der Ausgestaltung der Veränderungen im Übergang vom 6. zum 7. EU-Forschungsrahmenprogramm
wird es zunächst einmal darauf ankommen, Kontinuität
zu wahren. Viele Antragsteller, die bisher am 6. EU-Forschungsrahmenprogramm teilgenommen haben, mussten sich erst auf die Möglichkeiten der europäischen Forschungsförderung einstellen, mussten Erfahrungen
sammeln und wichtige Voraussetzungen schaffen. Deshalb ist es das Ziel unseres Antrages und das Ziel der
CDU/CSU-Fraktion, dass wir im 7. Forschungsrahmenprogramm aus den Erfahrungen des 6. lernen, aber
gleichzeitig die Kontinuität wahren, die erforderlich ist,
um einen lückenlosen Übergang ohne Brüche vom
6. zum 7. Rahmenprogramm zu ermöglichen.
Es besteht aber auch die Notwendigkeit zu Veränderungen. Eine erste sehr wesentliche Veränderung ist die
Vereinfachung des Antragsverfahrens. Ich hatte zunächst erwogen, Ihnen heute einen Antrag zum 6. EUForschungsrahmenprogramm mitzubringen, habe dann
aber überlegt,
({0})
dass es mir doch lieber ist, wenn man mich hinter dem
Rednerpult noch erkennen kann, und deshalb darauf verzichtet. Wenn die Antragsteller zum Teil berichten, dass
sie einen wissenschaftlichen Mitarbeiter über ein halbes
Jahr freistellen müssen, damit er einen Antrag zum Forschungsrahmenprogramm formuliert, und wenn die Antragsteller deutlich machen, dass selbst ein kleines Unternehmen mit einem überschaubaren Antragsvolumen
80 000 Euro und mehr investieren muss, um überhaupt
einen Antrag fertig zu stellen, dann ist klar, dass es weder für kleine Betriebe noch für überschaubare Forschungsorganisationen leistbar ist, einen solchen Antrag
zu stellen und damit am Forschungsrahmenprogramm
teilzunehmen, und dass es ein erhebliches finanzielles
Risiko für die Unternehmen und die Forschungsorganisationen ist, wenn ein Antrag am Ende abgelehnt wird.
Deshalb kommt der Vereinfachung des Antragsverfahrens im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms eine erhebliche Bedeutung zu.
({1})
Eine wesentliche Maßnahme zur Vereinfachung des
Antragsverfahrens ist aus unserer Sicht die Einführung
des zweistufigen Antragsverfahrens bzw. dort, wo dieses Verfahren schon angewandt wird, die deutliche Ausweitung dieses Prinzips. Damit wird das finanzielle Risiko gemindert. Ein Antragsteller kann in der ersten
Stufe erst einmal herausfinden, wie groß eigentlich die
Erfolgsaussichten seines Antrags sind, bevor er dann in
einer zweiten Stufe in dem Umfang, wie ich es eben beschrieben habe, einen vollwertigen Antrag für das 7. EUForschungsrahmenprogramm stellt.
Des Weiteren müssen exzellenzferne Kriterien im
7. EU-Forschungsrahmenprogramm deutlich zurückgedrängt werden. Viele Wissenschaftler haben all die
Dinge, die die Politik im Zeitraum vom 1. bis zum
6. EU-Forschungsrahmenprogramm aufgenommen hat,
nicht im Blick, sondern sehen allein die Exzellenz ihrer
Programme. Wenn Förderungsvorhaben, die zumindest
immer dem Kriterium der wissenschaftlichen Exzellenz
entsprochen hätten, wegen einer großen Zahl exzellenzferner Kriterien abgelehnt werden, dann haben nicht nur
die Wissenschaftler wenig Verständnis dafür, sondern
dann ist auch die Steuerungswirkung sehr fragwürdig.
Daraus ergibt sich direkt die zweite Forderung, die
aus unserer Sicht wichtig ist. Es ist beabsichtigt und für
die CDU/CSU-Fraktion eine elementare Notwendigkeit,
dass die Mittel im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm
deutlich aufgestockt werden. Über die Hälfte der Antragsteller hat während der letzten Dekade des Programms keine Zusage einer Förderung bekommen, obwohl ihnen bescheinigt wurde, dass die Projekte
qualitativ hervorragend und damit förderungswürdig
sind. Wenn man aber den Unternehmen und Forschungsorganisationen, die einen Antrag stellen, sagt, dass ihre
Programme qualitativ hervorragend und förderungswürdig seien, man jedoch kein Geld mehr habe, dann ist
nicht nur das Geld verloren, das sie wegen der hohen
Antragserfordernisse bereits aufbringen mussten, sondern dann sind auch die wissenschaftliche Expertise und
die Chancen, die mit diesem Projekt verbunden sind,
verloren. Deshalb fordern wir eine erhebliche Aufstockung und insgesamt die Verdopplung der Aufwendungen für die Forschungsrahmenprogramme.
({2})
Einer der Hauptkritikpunkte, der gerade von kleineren
Kooperationen immer wieder angesprochen wird, wenn
es um exzellenzferne Kriterien geht, ist, dass das 6. EUForschungsrahmenprogramm meistens das Ziel hatte,
besonders große Forschungsnetzwerke zu fördern. Die
Größe allein kann aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion aber
nicht das entscheidende Kriterium sein. Hier gilt nicht
der Wahlspruch: Die Großen fressen die Kleinen. Vielmehr gilt: Die Schnellen fressen die Langsamen. Deshalb bringen wahrscheinlich gerade kleine Konsortien,
die vernünftige Projekte durchführen und flexibel handeln können, dem europäischen Forschungsraum und
dem europäischen Wirtschaftsraum mehr als große Konsortien mit eher schlechter Handlungsfähigkeit.
Die wichtigste Forderung ist aus unserer Sicht, dass
sich die Bundesregierung, wenn es um die Festlegung
der thematischen Prioritäten im Forschungsrahmenprogramm und die Ausgestaltung der Instrumente geht,
intensiv mit den Forschungsorganisationen in Deutschland und den forschenden Unternehmen rückkoppelt.
Bei der geeigneten Ausgestaltung geht es nicht so sehr
um die Interessen der Politik, was alles untersucht werden könnte. Gerade bei der anwendungsnahen Forschung geht es nicht um politische Spielfelder, sondern
darum, welche Industrien erfolgversprechend sind und
welche Produkte marktnah möglich werden, damit wir in
Deutschland einen möglichst großen Benefit aus dem
Programm ziehen. Insofern fordere ich Sie auf - auch
das ist in der Vergangenheit mehrfach angemahnt worden -, sich intensiv mit den Betroffenen rückzukoppeln,
bevor Sie als Bundesregierung im November dieses Jahres an den Verhandlungen im Ministerrat teilnehmen, damit der deutsche Anteil an dem, was hinterher herauskommt, möglichst groß wird.
({3})
Neben der anwendungsnahen Forschungsförderung
im Forschungsrahmenprogramm setzt sich die CDU/
CSU-Fraktion dafür ein, dass ein European Research Council geschaffen wird, der allein die exzellenzorientierte
Grundlagenforschung in Form einer unabhängigen Einrichtung fördert. Die Nobelpreisverleihungen der letzten
Wochen haben diese Notwendigkeit eindrucksvoll bestätigt. In den naturwissenschaftlichen Fächern sind sieben
Nobelpreise in die USA und zwei nach Israel gegangen,
aber nicht ein einziger in den Geltungsbereich der Europäischen Union. Das zeigt uns, dass die Grundlagenforschung als Basis für das, was im Forschungsrahmenprogramm behandelt werden kann, verstärkt werden muss.
Das Beispiel Israel belegt, dass es nicht so ist, dass wir
im Vergleich mit den USA keine Chance hätten, weil
Europa zu klein ist. Vielmehr können auch kleine Länder, wenn man es richtig anstellt, hervorragend in der
ersten Liga mitspielen.
Da das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist - so
sprach Aristoteles -, fordern wir die Bundesregierung
auf: Wenn Sie in die Verhandlungen zum 7. Forschungsrahmenprogramm gehen, berücksichtigen Sie die Interessen der deutschen Forschungswelt, damit Deutschland ein noch größerer Teil des Ganzen werden kann, als
es beim 6. EU-Forschungsrahmenprogramm der Fall
war.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Wicklein von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Zeitpunkt unserer heutigen Debatte über
das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm und die europäische Forschungspolitik ist genau richtig gewählt; denn
dieses Programm wird in den kommenden Monaten in
allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der
politischen Agenda stehen. Bis Ende dieses Jahres werden wir unsere Vorschläge zu den notwendigen Modalitäten und Förderschwerpunkten bei der Kommission einzubringen haben. Der Zeitplan steht. Deshalb müssen
und wollen wir uns jetzt aktiv an diesem Prozess beteiligen.
({0})
Die Zukunftschancen Europas im globalen Wettbewerb stehen und fallen mit der Frage, ob und wie es uns
gelingt, die europäische Forschungslandschaft kontinuierlich zu stärken und weiter nach vorne zu bringen. Das
hat natürlich auch etwas mit der finanziellen Ausstattung
des Forschungsrahmenprogramms zu tun. Schließlich
geht es um die Frage: Wie gelingt es uns, das in Lissabon
festgelegte Ziel umzusetzen, die europäischen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen bis zum Jahre
2010 auf insgesamt 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU anzuheben?
Die Kommission hat vorgeschlagen, diese Mittel zu
verdoppeln. Die finanzielle Ausstattung muss verbessert werden. Das wird im Rahmen der Beschlussfassung
über den EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 entschieden. Um mehr Geld für Forschung und Entwicklung zu mobilisieren, sollte vor allem darauf geachtet
werden, dass durch die Ausgestaltung des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms starke Impulse für die Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der
Unternehmen gesetzt werden. Auch durch die Kopplung
des Ausgabenwachstums an das Wachstum der europäischen Wirtschaft werden neue finanzielle Spielräume
entstehen. Schon das laufende 6. EU-Forschungsrahmenprogramm mit einem Volumen von 20 Milliarden
Euro ist das weltweit größte Förderprogramm für Forschungsprojekte und unterstützt konsequent europäische
Forschungskooperationen.
Ein paar Zahlen machen den Erfolg deutlich: Jetzt,
zur Halbzeit, verzeichnet die Kommission insgesamt
2 280 geförderte Projekte mit 21 207 teilnehmenden Institutionen. Deutsche Wissenschaftler sind an 80 Prozent
der ausgewählten Vorhaben beteiligt.
({1})
Ich denke, das ist eine beachtliche Größenordnung. Das
entspricht insgesamt einem Anteil an den Fördergeldern
von 22 Prozent, während unser Beitragsanteil bei
21 Prozent liegt. Damit liegt Deutschland auf Platz eins,
noch vor Frankreich und Großbritannien.
({2})
Das ist eine sehr positive Bilanz, Herr Kretschmer,
die zeigt, dass sich unser Engagement in der EU auch
national auszahlt. Dennoch: Auch hier können und müssen wir nachlegen, weil unser wissenschaftliches Potenzial bei weitem höher liegt. Unser Ziel muss es daher
sein, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
dieses Potenzial auch genutzt werden kann. Dazu gehört,
die Mobilität der Wissenschaftler noch intensiver zu
fördern. Das Marie-Curie-Programm ist ein hervorragendes Instrument; das sollten wir ausbauen. Deshalb ist
es paradox, wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen von der
Union, in Ihrem Antrag einerseits Braindrain beklagen,
andererseits aber für Mobilität sind. Wer das eine will,
muss das andere auch mögen.
({3})
Forschung ist grenzenlos. Unsere Forscherinnen und
Forscher leben sowohl vom europäischen als auch vom
internationalen Austausch der Gedanken und Ideen.
Deshalb müssen wir die Schaffung europäischer und natürlich auch internationaler Forscherkarrieren im Auge
behalten. Brain-Zirkulation - muss unser Ziel sein, innerhalb Europas und darüber hinaus.
({4})
Die Karriereaussichten für die Spitzenkräfte im europäischen Forschungs- und Entwicklungsbereich sind
ausgezeichnet. Der Bedarf wird von der Kommission auf
1,2 Millionen zusätzliche Mitarbeiter in der Forschung
geschätzt. Damit wir in Deutschland daran partizipieren,
muss es unsere Aufgabe sein, attraktive, leistungs- und
konkurrenzfähige Universitäten und Forschungseinrichtungen zu schaffen. Deutschlands Hochschulen müssen
sich zu europäischen Magneten entwickeln. Dabei
kommt der Förderung von Spitzenuniversitäten eine
entscheidende Bedeutung zu.
Wir haben die Weichen gestellt für die Europäisierung des deutschen Hochschulwesens. Seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition 1998 wurden 2 500
Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland eingerichtet. Das hat die Attraktivität unserer Hochschulen
erhöht. Inzwischen sind die Abschlüsse auch bei den Arbeitgebern akzeptiert, wie die jüngst vorgelegte Studie
des DIW belegt.
({5})
Das Gleiche gilt für die internationale Graduiertenausbildung, bei der besonders qualifizierte Nachwuchswissenschaftler aus dem In- und Ausland dazu motiviert
werden, bei uns zu promovieren. Wir können aber noch
zulegen. Deshalb sind wir für Graduiertenschulen als
Teil des Exzellenzwettbewerbs. An dieser Stelle, meine
Damen und Herren von der Union, blockieren Sie leider.
({6})
Aus einer aktuellen Studie geht hervor, dass es immer
noch viele ungeklärte Fragen und Probleme gibt, die zwar
außerhalb des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms liegen, aber in einem direkten Zusammenhang damit stehen. Das geht von ungeklärten Sozialversicherungsrechten über Einreise- und Bleibebestimmungen bis hin zu
Rechten im Zusammenhang mit der Mutterschaft während des Doktorandenstudiums, um hier nur einige Beispiele zu nennen. Diese Fragen müssen auch auf der
politischen Agenda stehen, um Austausch in einem gemeinsamen europäischen Forschungsraum zu forcieren.
Die Beteiligung der Wirtschaft, insbesondere die der
kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist beim
6. EU-Forschungsrahmenprogramm unbefriedigend, ja
sogar rückläufig. Die Einzelförderung solcher Unternehmen, wie in Ihrem Antrag vorgeschlagen, ist sicherlich
kein geeignetes Mittel und sollte der nationalen Förderung vorbehalten bleiben. Vielmehr muss es darum gehen, auch kleinere Zusammenschlüsse und Projekte zu
fördern. Die Auswahl der Förderinstrumente sollte dabei
überwiegend durch die Entscheidung der Antragsteller
erfolgen.
Herr Braun hat gerade schon darüber gesprochen:
Auch die Nutzerfreundlichkeit muss im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die Vereinfachung der Regelwerke, die
Entlastung bei der Antragstellung hin zum zweistufigen
Verfahren, die Erleichterung der Abrechnungsmodi,
Transparenz bei den Förderzielen und bei den Förderinstrumenten - ich glaube, das sind die entscheidenden
Faktoren für die kleinen und mittelständischen Unternehmen; denn oftmals überfordern der hohe Personalaufwand und die hohen finanziellen Aufwendungen potenzielle Antragsteller.
Neben Verfahrensfragen stehen natürlich auch die thematischen Prioritäten im Mittelpunkt des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms, wie zum Beispiel die Schaffung von europäischen Technologieplattformen, die
Europäisierung der Grundlagenforschung, die Verbesserung und der Ausbau der europäischen Forschungsinfrastruktur und die Koordination nationalstaatlicher Programme. Sie müssen auch finanziell weiterhin dessen
Kernstück bleiben.
Dabei sollten neben den anerkannten Leitlinien die
Themen stärker unterstützt werden, die mit dem europäischen Integrationsprozess, dem gesellschaftlichen und
demographischen Wandel und den globalen Herausforderungen im Zusammenhang stehen. Auf nationaler Ebene
gibt es bereits hervorragende Forschungseinrichtungen,
die sich mit der demographischen Entwicklung, der Bildungs- und Arbeitsforschung sowie der Nachhaltigkeitsforschung befassen. Es gilt, diese Forschungspotenziale
zu bündeln und daraus ein gemeinsames europäisches
Wissen zu entwickeln. Ich denke, das ist dringend erforderlich.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema der europäischen Forschungspolitik ist das europäische Zukunftsthema. Wir müssen Forschung als gemeinsame europäische Aufgabe verstehen und die notwendigen
Veränderungen mutig angehen. Nationale Forschungskuschelecken gehören der Vergangenheit an. Das erfordert in vielen Fragen ein gemeinsames, abgestimmtes
Vorgehen. Ich freue mich auf die Diskussionen in den
nächsten Wochen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
7. Forschungsrahmenprogramm der EU ist eine große
Chance für die Forschung. Ich glaube, darin sind wir uns
alle völlig einig und da erzählen wir uns gegenseitig
nichts Neues.
Es ist klar, dass wir nur dann mit anderen Regionen in
der Welt mithalten können, wenn wir uns gemeinsam
hinter diese Forschungsrahmenprogramme stellen. Die
Kosten für große Forschungsprojekte und für die Forschungsinfrastruktur sind national einfach nicht mehr zu
bewerkstelligen. Herr Braun hat das eben schon schön
vorgetragen: Die Forschung trägt nach unserer Überzeugung dazu bei, dass wir langfristig zu einer deutlich höheren wirtschaftlichen Dynamik und zur Schaffung von
Arbeitsplätzen kommen, und zwar mehr, als wenn wir in
Subventionen investieren würden, seien es nun Subventionen für die Landwirtschaft, für die Agrarwirtschaft
oder für die Steinkohle.
({0})
Im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm gab es einige
Schwachpunkte, die wir alle kennen und die ich hier
nur stichwortartig nennen möchte: zu viele Instrumente,
zu bürokratische Antragsregeln und eine zu geringe Orientierung auf KMUs. Diese Schwächen müssen in dem
ab 2007 geltenden Forschungsrahmenprogramm vermieden werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns in den großen Linien weitgehend einig sind. Deshalb will ich einige Punkte herausstellen, bei denen wir als FDP anderer
Auffassung sind. Die Bundesregierung hat in ihren
Kernforderungen die thematischen Prioritäten hervorgehoben. Dabei kommt zwar die Luftfahrtforschung vor,
aber nicht die Raumfahrtforschung. Die Grundlagenforschung in der Raumfahrt gehört aus unserer Sicht zu
den thematischen Prioritäten, während die angewandte
Raumfahrt über ESA und nicht zuletzt über private Konsortien betrieben werden sollte.
({1})
Ebenso - das fällt uns Liberalen eigentlich bei jeder
neuen Diskussion zu Rahmenprogrammen auf - gehört
für uns Euratom mit in die Planung des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms.
({2})
- In der Stellungnahme der Regierung, lieber Herr Fell,
kommt Euratom nicht vor. Das ist sicherlich auf Ihre segensreiche Tätigkeit zurückzuführen.
({3})
Sie haben bereits beim 6. EU-Forschungsrahmenprogramm versucht, Euratom auszublenden. Ich darf deshalb die Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses vom 1. Juli zitieren:
Die auf Nutzung der Fusionsenergie ausgerichteten
FuE-Arbeiten sind ein sehr wichtiges Element zukünftiger Energiepolitik und sollten deshalb in
den europäischen FuE-Rahmenprogrammen bzw.
Euratom-Forschungs- und -Ausbildungsprogrammen mit Nachdruck gefördert werden.
Herr Fell, das sollten Sie sich wirklich einmal zu Herzen
nehmen.
({4})
Wir legen Wert darauf, dass die Irritationen über die
Finanzierung der embryonalen Stammzellforschung
beseitigt werden. Deutsche Wissenschaftler müssen an
europäischen Forschungsvorhaben teilnehmen können.
Es darf keine Blockadeversuche europäischer Stammzellforschung durch deutsche Bundesregierungen geben.
({5})
- Dabei gucke ich nicht zu Ihnen, lieber Herr Tauss, sondern zu Herrn Fell. Wenn Frau Böhmer da wäre, hätte
ich selbstverständlich auch in ihre Richtung geguckt.
Besondere Bedeutung sollte im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm die Grundlagenforschung erhalten.
Wir begrüßen deshalb die Einrichtung der europäischen
Agentur für Grundlagenforschung. Bereits in der Sommerpause haben wir einen Antrag für einen europäischen
Forschungsrat in den Bundestag eingebracht, damit man
sich auf Prioritäten und Nachrangigkeiten verständigt,
Doppelförderungen und Lücken vermeidet.
Staatssekretär Kasparick hat gestern im Ausschuss beim
Stichwort Galileo erklärt, man könne den Unternehmen
nicht befehlen, sich an europäischen Ausschreibungen zu
beteiligen. Das stimmt. Selbstverständlich sind wir Liberalen Ihrer Meinung. Wir sind uns aber auch darin einig,
dass der deutsche Anteil an EU-Vergaben proportional
zu unseren Ausgaben, zur Wirtschaftskraft und zur Bevölkerungszahl Deutschlands eindeutig zu gering ist.
({6})
Wenn gleichzeitig alle Vertreter der Wirtschaft, vor allem der KMU, die enorme Bürokratie und die Fehlkonstruktion von Instrumenten für KMUs beklagen, dann
muss die Bundesregierung handeln und - da bin ich völlig auf Ihrer Seite, Herr Braun - endlich etwas gegen die
überbordende Bürokratie im europäischen Bereich tun.
({7})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zum
CDU/CSU-Antrag sagen. Lieber Herr Braun, der Antrag
zeichnet sich durch ausgesprochene Detailkenntnis aus,
aber er hat ein deutliches Manko.
({8})
Sie fordern die deutliche Aufstockung des Forschungsprogramms, sodass alle Maßnahmen zusammen eine
Verdoppelung der Mittel ergeben. Aber Sie bleiben die
Antwort schuldig, ob Sie bereit sind, der EU entsprechend mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Das aber erwarten wir natürlich von Ihnen.
Wir können für uns sagen: Wir sind an dieser Stelle nahe
zusammen, Frau Bulmahn. Es ist richtig, dass wir den Anteil der Bundesrepublik am EU-Haushalt nicht über
1 Prozent des Bruttonationaleinkommens ansteigen lassen
wollen. So wie wir auf nationaler Ebene eine Umschichtung zugunsten von Forschung und Entwicklung wollen, muss es auch auf europäischer Ebene laufen.
Europa ist bis zum Jahre 2010 der dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum; das ist unser gemeinsames Ziel. Das werden wir nur schaffen, liebe Frau
Bulmahn, wenn Sie sich energisch an die Spitze setzen.
({9})
Ich erkenne das beim 7. Forschungsrahmenprogramm
noch nicht. Sollten Sie es aber tun, werden Sie die Liberalen an Ihrer Seite haben.
({10})
Ich bin schon auf Ihre folgenden Ausführungen gespannt.
({11})
Das Wort hat der Kollege Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU,
({0})
in Ihrem Antrag, den Sie heute eingebracht haben, fordern Sie die Bundesregierung auf, das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm wirksam auszugestalten. Bei
diesem Ziel gibt es keinen Dissens.
({1})
Ich muss sagen, dass ich mit vielen Anregungen und
Forderungen mit Ihnen übereinstimme. Trotzdem bin ich
von Ihrem Antrag maßlos enttäuscht.
Ich bin enttäuscht, weil Sie in formalen Aspekten stecken bleiben. Sie geben überhaupt keine Impulse und sagen nicht, welche Forschungsziele wichtig sind. Wo
bleiben denn Ihre Ideen, wie ein Europa der Zukunft
aussehen soll? Nur mit Formalia und rechtlichen Änderungen kommen wir nicht weiter.
({2})
Herr Braun, in Ihrer Rede gab es kein Wort zu irgendeinem Themenschwerpunkt. Frau Wicklein und
Frau Flach haben hier große Akzente gesetzt, auch wenn
ich mit Frau Flach in Teilbereichen inhaltlich nicht übereinstimme. Immerhin hat sie sie thematisiert. Aber die
Union glaubt, Europas Zukunft stabilisieren zu können,
indem man Antragsformulare verbessert und andere Regularien schafft. Ich denke, es ist viel wichtiger, über
Themenschwerpunkte, Inhalte und darüber zu reden, wie
wir die Zukunft Europas gestalten können.
({3})
Ich nenne als Beispiel die Biotechnologie. Eine Beschränkung auf Gentechnik, Frau Flach, hilft uns hier
nicht weiter. Wir brauchen auch Bionik, ökologische
Züchtungsmethoden für Pflanzen und wir brauchen ohne
Zweifel die weiße Biotechnologie.
({4})
Wir brauchen endlich eine medizinische Forschung
über vernachlässigte, häufig auftretende Krankheiten.
Das ist für die EU-Kommission ein völlig unbeschriebenes Blatt. Wir brauchen im Bereich der Mobilität endlich
eine Flexibilisierung der Treibstofflandschaft, insbesondere in Anbetracht des Ölproblems, das wir jetzt hautnah
spüren. Hier kann die Forschung enorm viel leisten.
Im Zusammenhang mit der Materialforschung sollten
nachwachsende Rohstoffe endlich in den Forschungskatalog aufgenommen werden; denn auch hier wird die
Biotechnologie eine große Rolle spielen. Ähnliches gilt
auch für die Nanotechnologie. Wir müssen in der Energieforschung neue Akzente setzen und dürfen uns nicht
auf einen einzigen Vertrag - Euratom - beziehen.
({5})
Das ist eine der größten Absurditäten: Es gibt riesige
Forschungsfelder. Die Energieforschung ist ein Feld davon. Ein kleiner Teilbereich der Energieforschung betrifft die Kernenergie. Die Kernenergie ist aber als einziger Forschungsbereich europaweit durch einen Vertrag
gebunden, der längst nicht mehr zeitgemäß ist.
({6})
Damit wird in absurder Weise festgelegt, dass enorme
Mittel in eine Technologie investiert werden, die längst
versagt hat.
({7})
Wir brauchen aber auch Investitionen in Forschung,
die den Dienstleistungssektor betrifft. Es gibt europaweit
große Probleme aufgrund der alternden Gesellschaft. Es
gibt große Probleme im Gesundheitswesen. Wir können
mit neuem unternehmerischen Handeln für diese Bereiche Großes und Neues bewegen, ohne die Sozialkassen
belasten zu müssen. Dies ist auch ein Forschungsaspekt,
der sich im Europa der Zukunft wiederfinden muss.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Union,
zeigt Ihre grundsätzlich positive Bewertung der europäischen Forschungsförderung mit den üblichen Kritikpunkten am 6. Forschungsrahmenprogramm: Das Antragsverfahren sei zu kompliziert, die kleinen und mittleren
Unternehmen seien zu wenig eingebunden, Europa unterstütze die Grundlagenforschung zu wenig. Ich bin mit Ihnen einer Meinung; das stimmt. Dann aber fordern Sie die
Bundesregierung auf, in Zukunft mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Diese Forderung an die europäische
Ebene ist leicht einzufordern. Aber in Deutschland, auf
der nationalen Ebene, zeigen Sie sich nicht konstruktiv,
wenn es um die Finanzierung neuer Forschung geht.
({8})
Ich erinnere an Ihre Blockade bei der beabsichtigten
Streichung der Eigenheimzulage. Das spricht doch für
sich selbst.
({9})
Wir teilen auch die Kritik am zu komplizierten Antragsverfahren. Das Bemühen darum, Fehler zu vermeiden
und neue Anreize zu setzen, wie etwa möglichst viele
Nationalitäten zueinander zu bringen, hat bei all der
Richtigkeit der Zielvorstellungen zu einem hohen bürokratischen Aufwand geführt. Auch die Forderung nach
Stärkung der Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen teilen wir. Allerdings kann es nicht sein, dass
deren Einzelförderung in das 7. Forschungsrahmenprogramm aufgenommen wird. Das würde zu noch mehr
Bürokratie führen.
Viel zielführender ist der Vorschlag, kleine nationale
Konsortien von Forschungseinrichtungen und kleinen
und mittleren Unternehmen zu bilden, die exzellente
Anträge stellen können, damit sie stärker an der Mittelvergabe beteiligt werden können. Wir haben ein gutes
Beispiel mit der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungseinrichtungen in Deutschland. Dies gilt es, auf
andere Nationen zu übertragen. Es ist eine der Aufgaben
der EU-Kommission, dieses zu leisten.
Zum Thema Braindrain: Sie fordern von der Bundesregierung, den Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus forschenden Unternehmen
und öffentlichen Forschungseinrichtungen weiter zu erhöhen. Dies soll durch einen deutlichen finanziellen
Ausbau der Fördermaßnahmen umgesetzt werden. Das
reicht aber nicht aus. Auch in diesem Zusammenhang
stellt sich wieder die Frage, wie Sie das Vorhaben finanzieren wollen, wenn Sie die Abschaffung der Eigenheimzulage blockieren.
({10})
Insofern müssen vor allem die Bundesländer dazu angehalten werden, sich im Rahmen der Tarifverhandlungen
endlich für einen Wissenschaftstarif einzusetzen. Das
würde den Weg zu einem erweiterten Austausch zwischen der kommerziellen und der öffentlich finanzierten
Forschung öffnen, ohne dass zusätzliche Kosten verursacht werden.
({11})
Wir freuen uns, dass Sie unsere Auffassung teilen,
dass die Aufstockung der Forschungsmittel im Haushalt
der Kommission für die Leistungsfähigkeit des Forschungsraumes Europa wichtig ist. Umso weniger verstehen wir aber, dass Sie sich der Umschichtung der Mittel aus der Eigenheimzulage in die Forschungsförderung
verweigern. Denn auch damit kann Neues angestoßen
und können alte Zöpfe abgeschnitten werden.
({12})
Sie verweigern sich einer grundsätzlichen Diskussion
des Themas. Das ist der entscheidende Fehler in Ihrem
Antrag. Eine Zukunft für Europa kann ich bei den in Ihrem Antrag genannten Zielen nicht erkennen.
({13})
Dabei hat das 7. Forschungsrahmenprogramm einen
hohen Stellenwert. Es ist deshalb so wichtig, weil mit
dem aktuellen 18-Milliarden-Euro-Etat - man muss sich
einmal vor Augen führen, um wie viel Geld es dabei
geht - entscheidende Weichen gestellt werden. Wir setzen uns mit aller Kraft und gemeinsam mit der Ministerin Bulmahn auf der nationalen Ebene für die internationale Kooperation in Europa ein, sodass wir auch über die
Forschung die Zukunft Europas gut gestalten können.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zunächst Frau Kollegin Wicklein dafür danken,
dass sie der Union bestätigt hat, ihren Antrag zum richtigen Zeitpunkt eingebracht zu haben.
({0})
Wir haben es getan, damit wir dieses Thema bis zum
Jahresende diskutieren können. Ich möchte auch feststellen, dass im Grundsatz weitgehend Übereinstimmung in
der Beurteilung des europäischen Forschungsprogramms
besteht.
Herr Fell, wenn Sie davon reden, dass die Union
keine Vorschläge macht, dann muss ich Ihnen entgegenhalten, dass Sie offenbar nichts darüber lesen und auch
nicht hören wollen, was der Kollege Braun ausgeführt
hat.
({1})
Was Ihre Bemerkung angeht, dass die Grünen die
Pflanzenbiologie zum Schwerpunkt machen möchten, ist
festzustellen, dass Sie, die Sie das in Deutschland blockieren, sich mit solchen Aussagen lächerlich machen.
({2})
Wir diskutieren heute über die europäische Forschungsförderung in Rahmenprogrammen. Das
6. Forschungsrahmenprogramm hat ein Volumen von
20 Milliarden Euro über fünf Jahre, wobei das Anfangsund das Schlussjahr jeweils als halbes Jahr zählen, sodass das Volumen durch vier zu teilen ist. Das entspricht
5 Milliarden Euro pro Jahr für die europäische Forschung.
Die Kommission hat in einer Mitteilung vom 16. Juni
dieses Jahres angekündigt, dass sie die europäischen
Forschungsmittel verstärken will. Sie hat wörtlich angegeben: Für alle Maßnahmen zusammengenommen sollen die Mittel verdoppelt werden. - Das ist ein sehr löbliches Vorhaben, aber nur unter einer Bedingung: Die
Aufstockung der Forschungsmittel der EU darf keinesfalls zu einer Kürzung der nationalen Forschungsmittel
führen.
({3})
Mit anderen Worten: Die EU muss die notwendigen Mittel aus dem eigenen Haushalt - zum Beispiel aus Strukturmitteln - erbringen.
({4})
Dr. Martin Mayer ({5})
Im Übrigen ist zu hoffen, dass es dem Vorsatz der
EU-Kommission zur Verdoppelung der Mittel für die
Forschungsförderung nicht ebenso ergeht wie den Wahlversprechungen von Rot-Grün, die auch eine Verdoppelung vorsahen. Mittlerweile ist man schon froh, wenn die
Ansätze im Forschungshaushalt unverändert bleiben und
nicht verringert werden müssen.
({6})
In das 7. Forschungsrahmenprogramm will die Kommission zwei neue Bereiche aufnehmen, und zwar die
Raumfahrt und die Sicherheit. Das ist vernünftig. Speziell in der Raumfahrt gibt es viele Projekte und Aufgaben, die auf nationaler Ebene nicht lösbar sind, sondern
die europäische bzw. internationale Zusammenarbeit erfordern. Deshalb gibt es eine europäische Raumfahrtagentur, die ESA. Ich meine, dass es nur vernünftig ist,
wenn sich die EU dieses Themas annimmt. Galileo, ein
System von Weltraumsatelliten für die Navigation, ist ja
ein Erfolgsbeispiel bzw. wir hoffen, dass es mithilfe der
Europäischen Union zu einem solchen wird.
Verstärkten finanziellen Einsatz verlangt auch ein anderes Forschungsgebiet - das hat Frau Flach schon
angesprochen -, auf dem wie in der Raumfahrt bestimmte Projekte nur auf internationaler Ebene geschultert werden können. Das ist die Forschung an der Kernfusion zur Energiegewinnung. Zwar wird man erst in
einigen Jahrzehnten mit Strom aus der Kernfusion rechnen können. Aber angesichts der Verknappung der Energieressourcen, die nicht nur gegenwärtig sehr aktuell ist,
sondern sich auch langfristig als dauerhaft abzeichnet,
müssen wir alles tun, um diese neue Stromquelle früher
als derzeit geplant zu erschließen.
({7})
Die EU muss deshalb den Bau von ITER in Frankreich
tatkräftig unterstützen
({8})
und gleichzeitig die begleitende Forschung in Deutschland - hier wird ein wesentlicher Beitrag geleistet - zur
Beschleunigung dieses Vorhabens in notwendigem Umfang weiter finanzieren.
({9})
Aufgrund ihrer geschichtlichen Entwicklung von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Gemeinschaft ist die Förderung der Europäischen Union
bisher mehr auf die anwendungsnahe Forschung konzentriert. Die Entwicklung in den USA zeigt aber, dass eine
gemeinsame Grundlagenforschung wichtig ist. Deshalb sind die Überlegungen der Europäischen Union zu
begrüßen, einen europäischen Forschungsrat zu errichten und ihm die Förderung der Grundlagenforschung zu
übertragen. Allerdings muss die Verteilung der Mittel
- das möchte ich betonen - nach der wissenschaftlichen
Qualität, also nach der Exzellenz, erfolgen, so wie das
beispielsweise in der Deutschen Forschungsgemeinschaft geschieht, und darf nicht nach nationalen Kriterien oder Schlüsseln vorgenommen werden. Nur dann
wird man erfolgreich sein und wird der europäische Forschungsraum dem ehrgeizigen Ziel näher kommen, mit
den USA auf gleicher Augenhöhe zu sein.
Die europäische Forschungsförderung steht in den
nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Die
CDU/CSU hat mit ihrem Antrag einen soliden
({10})
Leitfaden für die Diskussion über die künftige europäische Forschungspolitik vorgelegt. Es geht letztlich um
die Stärkung der europäischen und damit auch der deutschen Forschung. Das ist für uns alle eine wichtige Aufgabe der Zukunftssicherung.
({11})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Edelgard
Bulmahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Europäische Rat hat sich mit
der Erklärung von Lissabon ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt. Europa soll bis zum Jahre 2010 der „wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Forschung, Entwicklung und
Innovation sind zentrale Bestandteile einer solchen Strategie. Sowohl die einzelnen EU-Mitgliedstaaten als auch
die Europäische Kommission müssen ihre Anstrengungen in diesen Bereichen deutlich verstärken, um Europas
Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und um vor allen Dingen den in Europa lebenden Menschen bessere Lebenschancen, also Chancen auf mehr wirtschaftliches Wachstum, mehr Beschäftigung und mehr Lebensqualität, zu
eröffnen.
({0})
Darum geht es, wenn wir über das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm hier im Parlament diskutieren.
Ich habe gesagt, dass sowohl die einzelnen EU-Mitgliedstaaten als auch die Europäische Kommission ihre
Anstrengungen verstärken müssen. Die Bundesregierung hat hier schon eine ganze Menge getan. Wir haben
die richtigen Weichen gestellt und seit 1998 deutlich
mehr Mittel in Bildung, Wissenschaft und Forschung inBundesministerin Edelgard Bulmahn
vestiert. Das sind immerhin rund 35 Prozent. Herr
Mayer, an Ihrer Stelle wäre ich etwas leiser.
({1})
Wenn ich beispielsweise die Ausgaben für die Hochschulen vergleiche, dann stelle ich fest, dass die Bundesregierung von 1998 bis 2003 diese Ausgaben um
23,4 Prozent erhöht hat, während Bayern seine Ausgaben nur um 2,9 Prozent gesteigert hat.
({2})
Dazu sage ich in aller Deutlichkeit
({3})
- das richtet sich an Ihre Adresse, lieber Herr Mayer -:
Solange man den Balken im eigenen Auge nicht beseitigt hat, sollte man nicht über den Splitter im Auge anderer reden.
({4})
Die Bundesregierung hat hier in den vergangenen
Jahren trotz der schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen, die Sie alle kennen, eine ganze Menge erreicht.
Trotz der Aufgaben, denen wir in vielen anderen Bereichen nachkommen müssen, haben wir hier eine klare
Priorität gesetzt.
Darüber hinaus haben wir mit der Initiative „Partner
für Innovation“ die richtigen Weichen gestellt, um zu erreichen, dass Ergebnisse aus der Forschung schneller in
Anwendung kommen, also in Produkte, Verfahren und
Dienstleistungen umgesetzt werden, und um ein innovationsfreundliches Klima in unserem Land zu schaffen.
({5})
Auf der Ebene der EU, meine sehr geehrten Herren
und Damen, sind die Rahmenprogramme der Gemeinschaft das wichtigste Instrument, mit dem wir unserem
Leitbild eines „Europäischen Forschungs- und Innovationsraums“ näher kommen wollen. Hier stellt sich die
Frage, welche der formulierten Ziele wir bereits erreicht
haben und woran wir noch arbeiten müssen, um diese
Ziele erreichen zu können.
Das derzeitige 6. Forschungsrahmenprogramm,
ausgestattet mit einem Budget von rund 20 Milliarden
Euro, ist für die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgreich angelaufen.
({6})
Dies ist ein außerordentlich erfreuliches Ergebnis. Während der Anteil der deutschen Forschung am Budget des
5. Forschungsrahmenprogramms - überwiegend noch
unter der alten Kohl-Regierung - bei rund 18 Prozent
der Mittel lag,
({7})
- ohne die Fusionsforschung waren es sogar noch deutlich weniger -, liegen wir aktuell bei der ersten Ausschreibung bei etwa 22 Prozent.
({8})
Dies ist eine deutliche Verbesserung der deutschen Position. Durch intensive Beratungen sowie durch ganz klare
Anforderungen an alle Beteiligten haben wir es endlich
geschafft, den Wert zu erreichen, den wir auf jeden Fall
erreichen müssen. Wir finanzieren ungefähr 22 Prozent
des europäischen Haushalts; deshalb müssen wir auch
eine entsprechende Rückflussquote sicherstellen.
({9})
- Eine Steigerung um 4 Prozent hat es in all den Jahren
davor nicht gegeben. Es ist ein gutes Ergebnis, von
18 auf 22 Prozent zu kommen, Herr Kretschmer.
({10})
Für genauso wichtig halte ich, dass deutsche Forscher
und Unternehmen an 80 Prozent der Projekte beteiligt
sind, die auf besonders zukunftsorientierte Themengebiete wie die Lebenswissenschaften oder die Nanotechnologie ausgerichtet sind. Damit bearbeiten unsere deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die
wichtigsten Forschungsbereiche für die europäische Zukunft und können von ihnen auch profitieren. Dies zeigt,
dass Deutschland über ein exzellentes wissenschaftliches Know-how verfügt und ein wichtiger Partner in der
europäischen Zusammenarbeit ist. Die Erfolge belegen
im Übrigen auch die gute Zusammenarbeit meines
Ministeriums mit den Partnern aus Wissenschaft und
Wirtschaft sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der
Durchführung des Forschungsrahmenprogramms.
Auf dieser guten Ausgangsposition wollen wir im
7. Forschungsrahmenprogramm aufbauen. Lassen Sie
mich an dieser Stelle die zentralen Forderungen und Erwartungen nennen, die ich an das künftige Forschungsrahmenprogramm richte. Wir müssen den Etat des
7. Forschungsrahmenprogramms erhöhen. Dieser Zuwachs kann allerdings nicht durch höhere Beiträge der
EU-Mitgliedstaaten entstehen.
({11})
Daher gilt für die EU-Kommission genauso wie für die
nationalen Haushalte, dass öffentliche Subventionen in
die Vergangenheit gekürzt und Zukunftsinvestitionen
in Forschung und Entwicklung erhöht werden müssen.
({12})
Wir müssen in Europa zum Beispiel von den milliardenschweren Zuwendungen an die Landwirtschaft wegkommen.
({13})
Wir müssen hier umsteuern; nur über eine klare Umsteuerung können wir unser selbst gestecktes Ziel erreichen,
3 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und
Entwicklung zu investieren. Daher würde ich mich
freuen, wenn der Deutsche Bundestag in dieser Frage
eine einhellige Position verträte.
({14})
Das 7. Forschungsrahmenprogramm haben wir im
Übrigen - Herr Braun, deshalb habe ich vorhin bei Ihrer
Rede „Guten Morgen“ gedacht - seit ungefähr eineinhalb Jahren in ganz intensiven Arbeitsgesprächen sowohl mit Vertretern der Wissenschaft als auch mit Vertretern der Industrie entwickelt. Unsere Positionen sind
in einem engen Arbeitsprozess mit den Akteuren entstanden: nicht nur in Gesprächen, sondern auch durch
den Austausch ganz konkreter Papiere und durch Abfragen. Was wir Ihnen vorgelegt haben, entspricht genau
dem Ergebnis dieser intensiven Zusammenarbeit.
Die transnationale projektbezogene Zusammenarbeit
in den für Europa wichtigen Forschungsgebieten muss
weiterhin das Kernstück des Forschungsrahmenprogramms bleiben - das ist mir schon wichtig - und darf
nicht durch andere Aufgaben sozusagen überlagert werden.
({15})
Dabei müssen die Felder Priorität haben, die auch als
Wachstumstreiber für neue Beschäftigung gelten und
deshalb eine ganz wichtige Rolle spielen. Das sind vor
allem die Verkehrstechnik, die Verkehrsforschung, die
Informations- und Kommunikationstechnologien und
die Forschung auf diesem Gebiet, die Lebenswissenschaften, die Biotechnologie, die Nanotechnologie und
die Bereiche Energie und Umwelt.
({16})
Darüber gibt es einen breiten Konsens mit allen relevanten Akteuren in der Wissenschaft und in der Industrie.
Das sind die Bereiche, für die wir uns mit Blick auf das
europäische Forschungsrahmenprogramm einsetzen
werden.
Auch die Raumfahrt ist Triebfeder vieler wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen. Ich
setze mich ein - das gilt auch für die gesamte Bundesregierung - für ein von der ESA und der EU gemeinsam
getragenes europäisches Raumfahrtprogramm
({17})
mit einer klaren Aufgabenverteilung zwischen ESA und
EU. Im November dieses Jahres wird es zum ersten Mal
ein European Space Council geben. Ich habe mit meinem holländischen Kollegen vereinbart, eine solche Sitzung stattfinden zu lassen. Wir werden auf dieser Sitzung die ersten Charakteristika eines europäischen
Raumfahrtprogramms diskutieren.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu Galileo
machen. Wenn es die Kohl-Regierung noch gäbe, hätten
wir wahrscheinlich kein europäisches Programm Galileo,
sondern würden uns noch immer an dem amerikanischen
Programm beteiligen.
({18})
Dass wir ein europäisches Programm haben, ist mit dem
engagierten Arbeiten der Bundesregierung zu verdanken, die sich sehr stark dafür eingesetzt hat.
({19})
Zur Beteiligung der Industrie: Ich teile die Sorge,
die hier von einigen geäußert worden ist, nämlich darüber, dass die Beteiligung der Industrie am
6. Forschungsrahmenprogramm deutlich gesunken ist.
Ich halte das für eine Fehlentwicklung. Ich habe das dem
Ministerrat und auch der Kommission gegenüber sehr
deutlich gesagt. Diese Fehlentwicklung muss gestoppt
werden. Die Entwicklung muss umgekehrt werden. Deshalb will ich nicht erst auf das In-Kraft-Treten des
7. Forschungsrahmenprogramms warten, sondern habe
bereits auf der letzten Ministerratssitzung beantragt, dass
die Kommission das gesamte Förderverfahren auf den
Prüfstand stellt und neu entwickelt.
Die Kommission hat diesen Vorschlag aufgegriffen.
Er ist im Übrigen von allen wichtigen europäischen Forschungsministerkollegen unterstützt worden. Jetzt findet praktisch ein Überprüfungsverfahren statt, das zum
Ergebnis haben muss - ich sage das ausdrücklich -, dass
das Förderverfahren vereinfacht und verkürzt wird. Die
Entwicklung, die wir auch im Deutschen Bundestag immer wieder kritisiert haben, darf nicht einfach so weitergehen. Ich hoffe, dass die klare Vereinbarung, die wir
jetzt getroffen haben, wirklich ein vereinfachtes Förderverfahren zum Ergebnis haben wird.
({20})
Ich will ein weiteres mir wichtiges Anliegen nennen.
Frau Ministerin, ich muss Sie unterbrechen. Sie haben
natürlich das Recht, weiterzureden, aber die Zeit ist abgelaufen. Wenn Sie weiterreden, hätte eine Fraktion das
Recht, die Wiedereröffnung der allgemeinen Debatte zu
beantragen.
Ich möchte kurz noch einen Punkt ansprechen.
Bitte.
Es geht um die Einrichtung eines europäischen Forschungsrats. Als Ministerin habe ich die Etablierung eines solchen europäischen Forschungsrats seit Jahren verfochten und mich dafür eingesetzt. Ich bin sehr froh
darüber, dass es jetzt den Beschluss gibt, einen europäischen Forschungsrat einzurichten, über den wir dann
endlich auch den notwendigen Wettbewerb um Exzellenz in der Grundlagenforschung erreichen werden. Ich
selbst bin zutiefst davon überzeugt, dass dies ein wichtiger Schritt zur Bildung eines europäischen Wissenschafts- und Forschungsraums und ein wichtiger Schritt
hin zu mehr Exzellenz ist.
({0})
Deshalb wünsche ich mir viel Unterstützung bei der Umsetzung dieser Entscheidung.
Vielen Dank.
({1})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Michael Kretschmer von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht
um ein gigantisches Projekt, um 40 Milliarden Euro. Wir
hätten hier und heute doch eigentlich erwartet - auch
deswegen haben wir diesen Antrag eingebracht -, dass
wir einmal hören, was die Bundesregierung will.
({0})
Frau Bulmahn, es ist wirklich enttäuschend, dass Sie
als die Forschungsministerin des größten Mitgliedslandes der Europäischen Union hier zu dem Thema „Wie
geht es mit der Forschung in Europa weiter?“ nichts beizutragen haben. Das ist eine traurige Angelegenheit.
({1})
Wir können Sie nur auffordern, über den nationalen
Tellerrand hinauszuschauen
({2})
und einen substanziellen Beitrag zur Beantwortung der
Fragen „Wie entwickelt sich Europa im Bereich der Forschung weiter?“ bzw. „Was brauchen wir, um Europa
wettbewerbsfähig zu machen?“ zu leisten.
({3})
Unsere Position ist ganz klar - das können Sie in diesem Antrag nachlesen -: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass es ein eindeutiger Fehler wäre, die Forschungsförderung in Gänze zu europäisieren.
({4})
Sie ist zuallererst - Herr Fell, Sie haben uns hier eine
Vielzahl von Themen vorgetragen - eine nationale Aufgabe. Die EU-Forschungsförderung kann Versäumnisse
in den nationalen Forschungspolitiken nicht ausgleichen.
({5})
Das Forschungsrahmenprogramm muss einen europäischen Mehrwert generieren und kann ausschließlich additiv und niemals alternativ zur nationalen Forschungsförderung verstanden werden.
({6})
Aus diesem Grund kritisieren wir auch an dieser
Stelle noch einmal ganz deutlich die Art und Weise, wie
Sie mit der Projektförderung in Deutschland umgehen.
In den letzten drei Jahren gab es in diesem Bereich kontinuierlich eine Kürzung. Das beschädigt uns und unsere
Akteure in Europa ganz massiv.
Sie haben das Beispiel Galileo heute häufig verwendet. Galileo ist das beste Beispiel dafür, wie man es
falsch machen kann.
({7})
Wir haben kein nationales Forschungsprogramm im Bereich der Navigation von ernst zu nehmender Größenordnung. Auch deswegen sind wir in diesem Bereich,
was Anträge angeht, unterproportional vertreten. Egal
welche Zahlen Sie hier nennen: Das ist ein konkretes
Beispiel. Wir liegen auf diesem Gebiet eindeutig hinten,
weil Sie es verpasst haben, den deutschen Akteuren, den
Unternehmen und den Forschungsorganisationen, etwas
an die Hand zu geben, damit sie Technologieaufbau betreiben und in Europa erfolgreich den Anschluss halten
können.
({8})
Europäische Forschungsförderung heißt, dass man
mit jedem Euro, den man nach Europa gibt, auch ein
Stück Kompetenz an Europa abgibt. Deshalb müssen wir
uns sicher sein, dass dieses Geld gut investiert ist und
dass sich unsere Kriterien in den Instrumenten widerspiegeln.
({9})
Es geht nämlich nicht darum, Regionalpolitik zu machen
- dafür gibt es den Kohäsionsfonds -; es muss vielmehr
um Exzellenz gehen. Diese Exzellenz wollen wir bei den
Kriterien der Begutachtung und der Mittelvergabe wiederfinden.
({10})
Frau Ministerin, damit verbunden ist die entscheidende Frage. Es geht nicht um 21 Prozent oder um
22 Prozent, sondern es geht darum: Wie effizient ist die
Forschungsförderung, die von Europa betrieben wird?
Der Kollege Braun hat hier Zahlen genannt, aus denen
hervorging, wie viel Geld und wie viele Aktenordner
man braucht, um in Europa einen Antrag durchzusetzen.
Angesichts dessen kann man doch ernsthaft daran zweifeln, dass das, was da passiert, effizient und nach unseren Kriterien sinnvoll ist.
({11})
Deswegen erwarten wir von der Bundesministerin,
die in Brüssel verhandelt, dass sie sich intensiv dafür
einsetzt, dass die Vergabekriterien und die Hebelwirkungen nicht nur in Bezug auf die Unternehmen, sondern
vor allen Dingen auch in Bezug auf die Mitgliedstaaten
verbessert werden.
Wir müssen auch darüber nachdenken, was mit den
ärmeren Mitgliedstaaten passiert.
({12})
In der Europäischen Union gibt es Länder, deren Anteil
für Forschung und Entwicklung nicht, wie bei uns, bei
2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, sondern bei
weit unter 1 Prozent. Wir haben beispielsweise vorgeschlagen, eine Kompatibilität zwischen Forschungsrahmenprogramm und dem Kohäsionsfonds herzustellen.
Das würde den Ländern ermöglichen, daran intensiver
beteiligt zu sein.
Ein anderer Vorschlag ist, auf dem Programm European Research Area-Net aufzubauen. Man sollte ganz
deutlich sagen: Ja, wir wollen, dass beispielsweise im
Bereich der Chemie nationale Forschungsprojekte nach
gemeinsamen Kriterien vergeben, zusammengefasst und
gemeinsam verwaltet werden; wenn das der Fall ist,
kann die Europäische Union noch etwas für die Forschung dazugeben. Das macht Sinn und das wäre eine
interessante Hebelwirkung, mit der nicht nur für Unternehmen, sondern vor allen Dingen für Staaten ein Anreiz
geschaffen werden kann, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren.
({13})
Braindrain ist angesprochen worden. Man kann einen Antrag natürlich auch fehlinterpretieren, wenn man
das möchte. Wir haben ganz deutlich gesagt: Wir wollen
Mobilität in Europa. Aber der Punkt ist doch, dass die
Leute in unserem Land bleiben und dass es in Europa
vorangeht.
({14})
Die Bedingungen, die derzeit in Europa, aber vor allen
Dingen in Deutschland vorherrschen, sind nicht dazu angetan, Menschen eine Zukunft, insbesondere in dem Bereich Forschung und Entwicklung, zu eröffnen.
({15})
Sie können zwar eine ganze Menge auf Europa schieben,
aber auch im eigenen Land müssen Sie noch viele Hausaufgaben erledigen. Ich kann Sie nur auffordern, sich im
Interesse der deutschen Unternehmen und Wissenschaftler aktiv einzusetzen und einzubringen. Das wäre in der
Tat im Interesse Deutschlands. Wir wollen von Ihnen zu
dem Thema, was die Bundesregierung im Bereich der
Forschung in Europa will, mehr hören als das, was Sie
heute hier abgeliefert haben.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 15/3807 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit, den Verteidigungsausschuss,
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall, da auch der Kollege Tauss auf weiterführende Vorschläge verzichtet.
({0})
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
({1})
- Drucksache 15/3655 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3})
- Drucksache 15/3969 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Berg
Ursula Sowa
Cornelia Pieper
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Ute Berg für die SPD-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten
Zinsen ({0})
diese Erkenntnis des amerikanischen Politikers und Wissenschaftlers Benjamin Franklin ist Leitmotiv der Bildungspolitik der Bundesregierung.
Heute konzentriere ich mich auf einen Teilbereich,
auf die Förderpolitik der Regierung, die darauf abzielt,
allen jungen Menschen, die die Voraussetzungen erfüllen, die Aufnahme eines Studiums zu ermöglichen. Seit
1998 hat Rot-Grün umfangreiche Maßnahmen ergriffen,
um dieses Ziel zu erreichen. Dabei war die Ausgangslage denkbar schlecht: Unter der unionsgeführten Bundesregierung waren die BAföG-Leistungen seit Anfang
der 90er-Jahre kontinuierlich gesunken. Die Ausbildungsförderung, die junge Menschen unterstützen soll,
deren Eltern kein Studium finanzieren können, war nahezu zur Bedeutungslosigkeit verkommen.
({1})
In einem ersten Schritt hat die jetzige Bundesregierung
sofort im Jahr 1998 dafür gesorgt, dass die Gefördertenquote nicht weiter absank. Die große BAföG-Strukturreform im Frühjahr 2001 hat dann für eine beeindruckende Trendwende gesorgt.
({2})
So haben Bund und Länder ihre Leistungen für das
BAföG von 1998 bis 2003 fast verdoppelt. Sie sind von
1,2 auf 2,03 Milliarden Euro gestiegen. Mittlerweile bekommt fast die Hälfte aller BAföG-Empfänger den
Höchstfördersatz, 1998 war es gerade mal ein Drittel.
Die positive Entwicklung des BAföG ist einer der herausragenden Belege für eine erfolgreiche sozialdemokratische Bildungspolitik. Viel mehr junge Menschen als
zu Zeiten der Kohl-Regierung nehmen diese wichtige
Studienförderung in Anspruch. Die Erhöhung der Bedarfssätze, die Erweiterung des Empfängerkreises und
die Begrenzung der Rückzahlung auf maximal
10 000 Euro haben einen enormen Run auf die Hochschulen ausgelöst. Besonders wichtig dabei ist: Viel
mehr junge Männer und Frauen aus Elternhäusern mit
geringem Einkommen nehmen seither ein Studium auf
und schließen es auch erfolgreich ab.
({3})
Diese Investition in die Köpfe junger Menschen
führte dazu, dass wir mehr Studienanfängerinnen und
-anfänger haben. Die Quote ist von 28 Prozent im Jahr
1998 auf 36 Prozent eines Jahrgangs im Jahr 2003 angestiegen. Im selben Zeitraum haben in den Naturwissenschaften 72 Prozent und in den Ingenieurwissenschaften
35 Prozent mehr junge Menschen ein Studium aufgenommen. Auch bei den Absolventenzahlen gab es deutliche Zuwächse, allein im letzten Jahr eine Steigerung
um immerhin 4,6 Prozent.
Von Zeit zu Zeit überprüfen wir nun, ob das Gesetz
den Anforderungen der Praxis noch voll entspricht, und
nehmen da Änderungen vor, wo es erforderlich ist. Dies
ist der Hintergrund der jetzt vorliegenden 21. BAföGNovelle. Die FDP-Fraktion hat in unserem Ausschuss
nun die Forderung aufgestellt, gleichzeitig die Bedarfssätze anzuheben. Grundsätzlich halten wir es durchaus
für richtig, in regelmäßigen Abständen auch hier Anpassungen vorzunehmen.
({4})
- Ja!
({5})
Ob jetzt eine weitere Bedarfsanpassung notwendig ist,
werden wir prüfen, wenn der nächste BAföG-Bericht
vorliegt.
({6})
- Herr Rachel zeichnet sich immer durch Ungeduld aus.
Nächstes Jahr wird der nächste BAföG-Bericht vorliegen. Dann werden wir das prüfen. Auf dieser Grundlage
kann man dann auch fundiert über Anpassungen diskutieren.
({7})
Wenn Sie, Herr Rachel, als Mitglied der CDU/CSUFraktion dazu etwas sagen, kann ich nur laut lachen. Ich
habe Ihnen gerade Ihre beschämenden Zahlen vorgelegt.
({8})
- Ich merke, dass Ihnen körperlich unwohl wird, wenn
über die Erfolge dieser Regierung gesprochen wird.
({9})
Ich kann Ihnen diese Schmerzen nicht ersparen.
({10})
- Das glaube ich.
Mit der heutigen Gesetzesnovellierung verfolgen wir
vor allem drei Ziele: erstens Entbürokratisierung, zweitens Rechtsklarheit und Anpassung an das neue Zuwanderungsrecht, drittens Verhinderung von Missbrauch.
Die Entbürokratisierung der bisherigen BAföG-Regelungen möchte ich an folgendem Beispiel verdeutlichen:
Künftig können BAföG-Empfänger ihr Studienfach innerhalb der ersten zwei Semester ohne Angabe von
Gründen wechseln. Warum auch sollte beispielsweise
eine Studentin, die ihr Studium im Fach Theaterwissenschaften beginnt und nach einem Semester merkt, dass
sie sich stärker für Geschichte interessiert, beim Wechsel
formelle Hürden in den Weg gelegt bekommen? Ein solcher Studienfachwechsel liegt nämlich durchaus nicht
nur im persönlichen Interesse der Studentin, sondern ist
auch gesellschafts- und sogar finanzpolitisch sinnvoll.
Ein Studium, das den eigenen Neigungen entspricht,
wird in aller Regel, wie Sie wissen, zügiger und erfolgreicher absolviert als eines, das einem nicht auf den Leib
geschrieben ist.
({11})
Nach jetzigem Recht müsste die Studentin dem zuständigen Amt für Ausbildungsförderung wichtige
Gründe für den Studienfachwechsel darlegen. Das bedeutete eine zusätzliche Belastung für die junge Frau,
aber auch für das Amt für Ausbildungsförderung, das
diese Gründe dann prüfen müsste. Mit der neuen Regelung entfällt dieses umständliche Verfahren.
Unter integrationspolitischen Gesichtspunkten begrüße ich zwei Klarstellungen: Erstens. Künftig zählen
auch ausländische Ehegatten von EU-Bürgern, die in
Deutschland arbeiten, zum Kreis der Förderungsberechtigten. Bereits jetzt gehören Kinder von ausländischen
EU-Bürgern und ausländische Ehegatten von Deutschen
dazu. Die Ausweitung dieses Personenkreises ist unter
integrations- und europapolitischen Gesichtspunkten
sinnvoll.
Zweitens. Das neue Zuwanderungsgesetz, das wir im
Sommer gemeinsam mit der Opposition, also mit Ihnen,
verabschiedet haben, erfordert für das BAföG eine Klarstellung. Ausländische BAföG-Empfänger, die durch
eine Ehe mit einem oder einer Deutschen oder einem
EU-Bürger bezugsberechtigt sind, erhalten nun auch
nach einer dauerhaften Trennung oder einer Scheidung
weiter BAföG.
({12})
Voraussetzung ist natürlich, dass diese Auszubildenden
sich im Einklang mit dem Ausländerrecht in Deutschland aufhalten. Bislang ergab sich diese Regelung nur
aus der Gesetzesbegründung. Mit dem jetzt vorliegenden
eindeutigen Gesetzestext schaffen wir die nötige Rechtsklarheit.
Bundesrat und CDU/CSU-Fraktion haben aus finanziellen Gründen eine Streichung dieser Regelung gefordert.
({13})
Wir sind für die Beibehaltung, zumal es sich hier lediglich um eine Ersparnis von 1,5 Millionen Euro handeln
würde. Dieser Betrag ist meiner Ansicht nach zu vernachlässigen, wenn man die Konsequenzen betrachtet,
die eine Streichung mit sich brächte. Es besteht nämlich
die Gefahr, dass die Ausbildung dann nicht beendet werden kann. Damit sinkt die Chance auf eine qualifizierte
Arbeitsstelle, die in unserer Gesellschaft einen Platz und
ein eigenständiges Auskommen sichert.
({14})
Schließlich haben wir bzw. hat der Standort Deutschland natürlich generell ein Interesse an gut ausgebildeten
Menschen. Integrationspolitik mit dem Rotstift, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, zahlt sich sicher
nicht aus.
({15})
Ich komme zum dritten und letzten Punkt: Vorbeugung von Missbrauch. Uns alle haben im Oktober vergangenen Jahres Meldungen aufgeschreckt, die den
unrechtmäßigen Bezug von BAföG-Mitteln durch Schülerinnen und Schüler sowie Studierende aufdeckten. In
Tausenden Fällen sind Zinseinnahmen aus Vermögen
verschwiegen worden. Die Überprüfung durch die Bundesländer hat ergeben, dass Leistungen in Höhe von
160 Millionen Euro gesetzeswidrig bezogen wurden.
Mittlerweile sind davon 40 Millionen Euro zurückgeflossen.
Für die Zukunft müssen wir solche Missbrauchsfälle
möglichst vermeiden. Wir werden deshalb zwei Maßnahmen beschließen: Den Ämtern für Ausbildungsförderung ist es nun ausdrücklich gestattet, die Angaben der
Auszubildenden beim Bundesamt für Finanzen durch einen Datenabgleich zu überprüfen. Damit wird verhindert, dass Kapitalerträge aus Vermögen verschwiegen
werden. Es wird zudem klargestellt, dass das Verschweigen von Einkünften aus Kapitalvermögen eine klare
Ordnungswidrigkeit ist.
({16})
Abschließend möchte ich zusammenfassen. Mit der
21. BAföG-Novelle werden gesetzliche Änderungen
vorgenommen, die der Entbürokratisierung, der Bereinigung und Klarstellung sowie der Vermeidung von Missbrauch dienen und die darüber hinaus integrationspolitisch sinnvoll sind. Mit der BAföG-Strukturreform 2001
haben wir ein wirksames bildungspolitisches Instrument
geschaffen, das wir mit der vorliegenden Novelle noch
effizienter machen.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Christoph
Bergner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter muss ich angesichts des Inhalts dieser
21. BAföG-Novelle nüchtern feststellen: So gerne ich
mich mit der Bundesregierung über ihre Bildungspolitik
streite, so wenig liefert diese Novelle Anlass zu Streit
und Kontroversen, Frau Berg.
({0})
Es ist ein Rechtsbereinigungsgesetz.
({1})
Wohlwollend kann man von einem Verwaltungsvereinfachungsgesetz sprechen.
({2})
Aber all die Aspekte, die Sie zum Anlass für eine
gewisse Selbstbeweihräucherung genommen haben, vor
allen Dingen was die materielle Ausstattung im Studien- und Ausbildungsbereich angeht, sind nicht Gegenstand dieser Regelung. Wir sollten uns darüber klar
werden, dass uns diese Kontroverse nach Vorlage des
16. Berichtes nach § 35 BaföG noch bevorsteht.
({3})
Es hat mich schon ein wenig gewundert, mit welcher
Selbstsicherheit Sie uns schon jetzt das Vorgeplänkel für
eine Kontroverse geliefert haben, die wir erst im nächsten Jahr zu bestreiten haben und die aus meiner Sicht
nicht ganz einfach verlaufen wird. Wie wird der Bericht
beispielsweise die Auswirkungen der Gesundheitsreform und anderer Reformmaßnahmen im sozialen Bereich auf die Lebenshaltungskosten der Ausbildungssuchenden bewerten? Wie wird sich die finanzielle
Situation - beim 15. Bericht war sie so, dass keine Anpassung vorgenommen wurde - auf die zukünftigen Bedarfssätze und Freibeträge auswirken? Frau Berg, ich
vermute, dass die Stunde der Selbstsicherheit und des
Selbstbeweihräucherns dann vorbei sein wird, wenn wir
tatsächlich über die Zahlen sprechen und Sie hier das
verteidigen müssen, was Sie mit Ihrem Finanzminister
vereinbart haben.
({4})
Ich möchte mich jetzt gern den Punkten zuwenden,
die Gegenstand des Gesetzes sind. Ich sagte bereits, dass
es sich um ein Gesetz handelt, das sich auf die Verwaltungsorganisation bezieht. Es ist eine ganze Serie von
Maßnahmen vorgesehen, die nicht nur wir, sondern auch
andere für sinnvoll halten. Ich nenne beispielsweise die
Einführung der Regelvermutung für das Vorliegen eines
wichtigen Grundes bei einem Fachrichtungswechsel in
den ersten zwei Semestern, Abschaffung der leider wirkungslosen Förderungsausschüsse bei Hochschulen, das
einheitliche Anknüpfen der Wertfeststellung - auch im
Falle von Wertpapieren - an das Datum der Antragstellung und andere Dinge. Auch den Punkt, bei dem es im
vorliegenden Gesetzentwurf um die Klarstellung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit automatisierter Vermögensdatenabgleiche mit dem Bundesamt für Finanzen
zur Verhinderung von Leistungsmissbräuchen geht, sehe
ich mehr als eine Verwaltungsverbesserung an.
Dies alles sind Schritte, über die wir hier keine Kontroverse zu führen brauchen. Sie zeigen aber, dass dieser
Gesetzentwurf an dem Maßstab eines Gesetzes zur Verwaltungsorganisation gemessen werden muss. In dieser
Hinsicht steht er deutlich hinter dem zurück, was man
erwarten kann, wenn man Initiativen der Bundesregierung zur Internetfähigkeit öffentlicher Dienstleistungen
betrachtet,
({5})
wie sie beispielsweise in der Initiative Bund Online 2005
zum Ausdruck kommen.
({6})
Herr Tauss, wenn die heute zur Debatte stehenden Regelungen nun wirklich in diese E-Government-fähigen
Strukturen eingepasst werden sollen, dann springt der
Gesetzentwurf allerdings entschieden zu kurz.
({7})
Insofern ist auch an dieser Stelle kein Anlass für Selbstlob angebracht, so groß Ihr Bedürfnis nach Selbstlob im
Einzelnen sein mag.
({8})
Wir haben nun, weil bei diesem Gesetzentwurf offenkundig besonders eine Verwaltungsexpertise gefragt
war, ein waches Auge auf das Votum derjenigen geworfen, die mit dem Vollzug in besonderer Weise vertraut
sind. Das sind die Länder. Wir haben genau aus diesem
Grunde - und gar nicht so sehr aufgrund einer unmittelbaren Detailprüfung in der Fraktion, die wir hätten machen können - gesagt: Wir möchten die drei mehrheitsfähigen Änderungsanträge aus der Stellungnahme des
Bundesrates zum Gegenstand von Änderungsanträgen
machen, und zwar deshalb, weil wir der Meinung sind,
dass die Länder so nahe an der Problematik sind, dass
man ihren Vorschlägen hinsichtlich der Verwaltungsökonomie folgen sollte. Das betrifft erstens den Vorschlag
einer anderen Vorgehensweise bei der Anrechnung von
Aufwendungen privat Teilversicherter, als es im Gesetzentwurf vorgesehen ist, zweitens die Berücksichtigung
der Kosten, die einige Vorgaben bewirken - insbesondere geht es darum, ob der Anspruch der Förderfähigkeit
ausländischer Ehepartner scheidungsunabhängig erhalten bleiben soll -, sowie drittens die Anrechnung lebensbedarfssichernder Leistungen von Arbeitslosengeld und
Krankengeld.
Wie gesagt, diejenigen, die mit dieser Materie viel zu
tun haben - wir sprechen ja zurzeit mit großem Engagement über Föderalismusfragen -, haben ihr Votum für
diese Änderungen abgegeben. Wir hätten uns gewünscht, dass sich im Ausschuss eine Mehrheit dafür
findet, dieses Votum ernst zu nehmen. Dies ist leider
nicht der Fall gewesen. Dies führt nun bei uns nicht zur
Ablehnung dieser kleinen Trippelschrittchen, die mit den
übrigen Vorschlägen verbunden sind. Wir werden uns
vielmehr der Stimme enthalten. Aber dies sollte für Sie
Anlass sein, nun nicht in große Begeisterungsstürme
über das auszubrechen, was Sie hier getan haben. Es ist
ein Gesetz der kleinen Schritte. Auch kleine Schritte
können begrüßt werden.
({9})
Wir wünschen uns bloß größere.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr werden durch das BAföG
777 000 junge Menschen in ihrer Ausbildung gefördert.
Das sind 22,5 Prozent mehr als vor der Reform des
BAföG im Jahr 2001. Ich finde, das darf in einer solchen
Diskussion positiv erwähnt werden.
({0})
Ein ganz besonders schöner Erfolg ist, dass fast die
Hälfte aller Geförderten den vollen Förderbetrag erhält.
1998, noch unter der Kohl-Regierung und unter Rüttgers
Federführung, hat gerade einmal ein Drittel der Geförderten die Förderhöchstsumme erhalten. Auch wenn Sie
es natürlich nicht zugeben können, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition: Sie hatten das BAföG
nahezu bis zur Unkenntlichkeit gestutzt und gerupft.
Seitdem Rot-Grün an der Regierung ist, ist auch das
BAföG wieder das, was es eigentlich sein soll: ein wichtiger Beitrag dafür, dass die Leistungsfähigkeit eines
jungen Menschen darüber entscheidet, ob er studieren
kann, und nicht der Geldbeutel der Eltern.
Die Ausbildungsförderung ist auch Thema in der
Föderalismuskommission. Die Länder möchten diese
- wie auch vieles andere - gerne in die eigenen Hände
nehmen.
({1})
Selbstverständlich soll der Bund das Geld dafür nach
wie vor bereitstellen. Die Länder wollen damit dann nur
ihre Landeskinder fördern, also diejenigen, die bei ihnen
Abitur gemacht haben.
Eines aber ist doch völlig klar: Kleine und strukturschwache Länder können keine Ausbildungsförderung
auf stabilem Niveau garantieren. Das würde dazu führen,
dass das BAföG je nach Kassenlage des jeweiligen Landes gemacht würde. Die Abiturientin aus Greifswald
hätte dann schlechte Chancen, eine Ausbildungsförderung für ein Studium im teuren München zu bekommen.
Dabei diskutieren wir auf europäischer Ebene gerade
darüber, wie wir die Ausbildungsförderung noch europatauglicher machen können, wie wir jedem Studierendem
ein Auslandsstudium ermöglichen können, egal woher er
kommt und in welchem Land seine Hochschule liegt. Es
wäre aus unserer Sicht absurd und anachronistisch, wenn
die Mobilität innerhalb Deutschlands jetzt durch 16 verschiedene Fördergesetze erschwert würde. Meiner Einschätzung nach schaffen wir dann, wenn wir den Vorstellungen der Länder folgen, kein zukunftsfähiges
Studiensystem.
Dasselbe gilt für den Streit um die Studiengebühren.
Ich frage Sie: Wenn Sie sozialverträgliche Studiengebühren einführen wollen, indem Sie ein Stipendiensystem errichten - wozu es, nebenbei gesagt, derzeit noch
überhaupt keine Konzepte gibt -, und wenn Sie gleichzeitig die Studiengebühren voll an die Hochschulen auszahlen wollen, was ich auch für völlig unrealistisch halte
- fragen Sie dazu einmal Ihre Finanzminister -, wie wollen Sie Ihr Stipendiensystem denn dann finanzieren?
Etwa von dem Geld, das der Bund bislang für das
BAföG ausgibt?
({2})
Sollen die Stipendien also mit den Ausbildungsfördergeldern bezahlt werden? Man sieht: Hier gibt es bei Ihnen in der Union mindestens genau so viele Widersprüche und Ungereimtheiten wie in der Gesundheits- und
Steuerpolitik.
({3})
Die heute zur Debatte stehende 21. Novelle der Ausbildungsförderung sollte eigentlich rein technischer Natur sein. Wir begrüßen ausdrücklich den Abbau von
Bürokratie, indem bei einem Fachwechsel in den ersten
Semestern automatisch von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgegangen wird. Genauso sachgerecht ist
die einheitliche Stichtagsregelung für die Erhebung von
Vermögen. Schade, aber unausweichlich ist die Abschaffung der Förderungsausschüsse. Wir sollten überlegen,
wie weiterhin die Stimmen der Betroffenen, besonders
die der Studierenden, bei der Weiterentwicklung des
BAföG gehört werden können.
Dringend ist diese Novelle aber, weil einige Bundesländer den so genannten Datenabgleich missbrauchen,
um Studierende zu kriminalisieren. Wer zum Beispiel in
Bayern wissentlich oder unwissentlich falsche Angaben
zu seinen Vermögensverhältnissen macht, kommt dort
gleich vor den Kadi und muss fürchten, wegen solch eines vergleichsweise kleinen Vergehens vorbestraft zu
werden. Sorry, aber das grenzt in meinen Augen fast an
Verfolgungswahn. Jetzt sind nicht mehr nur à la
Beckstein alle Migranten und Migrantinnen potenzielle
Verbrecher, sondern auch noch die Studierenden.
({4})
Sein Vermögen geringer anzugeben, um BAföG zu
erschleichen, ist unsolidarisch und sollte durchaus
schmerzhaft geahndet werden. Mit krimineller Energie
hat dies aber nicht allzu viel zu tun. Jungen Leuten mit
einer Vorstrafe die Zukunft zu verbauen ist lächerlich
und völlig überzogen. In anderen Ländern geht man wesentlich weiser und gelassener damit um. Wer gut mit
den Behörden zusammenarbeitet, braucht zum Beispiel
in Schleswig-Holstein keine Strafe zu fürchten.
Der vorliegende Gesetzentwurf gebietet künftig den
bayerischen Auswüchsen Einhalt.
({5})
Falsche Angaben werden nun einheitlich mit Bußgeldstrafen geahndet. Das ist der Sache aus grüner Sicht angemessen.
Diese Novelle wird nicht die letzte sein, die eine rotgrüne Bundesregierung in Sachen Ausbildungsförderung
in Angriff nimmt. Wie wäre es, wenn auch gerade die
CSU - statt ihre reflexartigen Vorbehalte gegen Studierende auszuleben ({6})
lieber konstruktiv an einer zukunftsfähigen und europatauglichen Ausbildungsförderung mitarbeitet!
({7})
Wir jedenfalls haben unsere Hausaufgaben in diesem
Punkt gemacht.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Pieper, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die
Regierungskoalition habe ich eine gute und eine
schlechte Nachricht.
({0})
Die gute Nachricht für Sie lautet: Die FDP-Fraktion wird
dem 21. BAföG-Änderungsgesetz zustimmen.
({1})
Das Gesetz verfolgt im Wesentlichen nämlich das Ziel,
eine kleinere Rechtsbereinigung vorzunehmen, um den
Verwaltungsvollzug zu erleichtern. Dies wird von uns
als ein Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Einer
Verwaltungsvereinfachung können wir uns als FDP,
die Bürokratie abbauen will, nicht verschließen.
({2})
Von der Wiege bis zur Bahre: Formulare, Formulare. Das muss endlich ein Ende haben.
({3})
Ich will die Verwaltungsvereinfachungen jetzt nicht
noch einmal im Einzelnen aufzählen, das haben meine
Vorredner bereits getan.
Im Gegensatz zur Union begrüßen wir ausdrücklich
die Tatsache, dass ausländische Studierende, die mit einem oder einer Deutschen verheiratet waren und einen
legalen Aufenthaltsanspruch in Deutschland erworben
haben, weiter BAföG beziehen können.
({4})
Wir verstehen den Widerstand der Union in diesem
Punkt nicht; denn der infrage kommende Personenkreis
ist überschaubar, hat einen legalen Aufenthaltstitel und
ist besonders gut integriert, bildungsfähig und bildungswillig.
({5})
Genau das ist auch das Ziel des Zuwanderungsgesetzes:
Wir wollen den Fachkräftemangel, der sich zukünftig
aufgrund der demographischen Situation ergeben wird,
mit integrationsfähigen Ausländerinnen und Ausländern
bewältigen lernen.
Jetzt kommt die schlechte Nachricht für Sie, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition:
({6})
Auch wenn wir ihm zustimmen, Ihr Gesetzentwurf ist
nicht der große Wurf, er ist kein Meilenstein.
({7})
Das Studentenwerk stellt zu Recht fest: Von dem ersten Gesetzentwurf einer BAföG-Novelle dieser Legislaturperiode wäre mehr zu erwarten gewesen. Seit 2001
hat sich beim BAföG nichts mehr bewegt. Die Ministerin und das BMBF bleiben auf ihrer Webseite dennoch
bei dem alten Slogan: „einfach - besser - mehr“.
({8})
Zumindest in Bezug auf das „mehr“ ist das eine grobe Irreführung der Studierenden in diesem Land.
({9})
Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
sind von 2000 bis 2003 - diese Ergebnisse lassen sich
auf den Zeitraum von 2001 bis heute übertragen - die
Lebenshaltungskosten der Studierenden deutlich angestiegen: um mehr als 10 Prozent bei den Mieten und
mehr als 20 Prozent bei den Lebensmitteln. Die EuroUmstellung hat ihre Auswirkungen. Das BAföG ist seit
2001 eingefroren. Tatsächlich haben wir also nicht ein
Mehr an BAföG, sondern ein Weniger. Auch im Haushalt 2005 ist keine Anpassung, sondern ein weiteres Einfrieren geplant. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit
und angesichts der erfreulicherweise steigenden Studierwilligkeit bezweifle ich, dass die Haushaltsansätze 2005
selbst auf der Basis des eingefrorenen BAföG reichen
werden, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
Ihr Hinweis auf den ausstehenden 16. Bericht über die
Einkommens- und Preisentwicklung ist aus meiner Sicht
der Dinge angesichts der derzeitigen Situation eine bloße
Ausrede. Es gibt viele Fakten, die nachweisen, dass wir
endlich eine Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge brauchen. Sie, Herr Staatssekretär, erinnere ich an
dieser Stelle an die Worte der Ministerin beim Antritt ihres Amts in der letzten Legislaturperiode: Frau Ministerin Bulmahn hat eine echte BAföG-Reform gefordert eine große Reform, einen großen Wurf. Was heißt denn
das? Für uns heißt das - Sie stimmen dem ja eigentlich
zu, Sie tun aber nichts -: Wir wollen endlich eine elternunabhängige Förderung und zinsvergünstigte Darlehen für Studierende. Für solch ein Reformwerk muss
diese Bundesregierung agieren, nicht für kleine Schritte.
Darauf werden wir jedenfalls in Zukunft setzen. Wir bereiten einen Gesetzentwurf in der Sache für eine echte
BAföG-Reform vor.
({10})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sollte
ihre Selbstdarstellung den Realitäten anpassen; das
würde der Politik im Sinne der Glaubwürdigkeit insgesamt nutzen. Der BAföG-Slogan sollte schnellstens geändert werden in: „ein bisschen einfacher - sonst wie gehabt - nur leider weniger“. Dennoch, als kleinem Schritt
in die richtige Richtung stimmen wir dem Gesetzentwurf
zu.
Danke.
({11})
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Bergner hat seine
Rede mit dem Satz begonnen, es gibt in der Sache wenig
Grund zum Dissens. Das freut uns sehr. Ich wünschte
mir, dass er auch den nächsten Schritt geht, sich ein Herz
fasst und nicht bei Stimmenthaltung bleibt, sondern zustimmt.
({0})
Trauen Sie sich! Die FDP ist schon an unserer Seite;
denn durch das, was wir hier tun, nehmen wir in ein paar
wichtigen Punkten eine notwendige Gesetzesbereinigung vor.
Lassen Sie mich nun etwas zum veränderten politischen Klima im Zusammenhang mit dem Studium in
Deutschland sagen. Ich glaube, die eigentlich wichtige
Nachricht, an die man, wenn man zwischendurch Bilanz
zieht, erinnern muss, ist folgende: In der Tat haben wir
1998 eine ziemlich große Baustelle vorgefunden.
({1})
Schritt für Schritt haben wir versucht, in einem ganz
wichtigen Punkt besser zu werden. Wir sind mit einem
großen Projekt unterwegs, das die jungen Leute, die uns
auch hier zuhören, betrifft. Es geht darum, wie wir angesichts einer dramatisch alternden Bevölkerung den Lebensstandard in unserer Gesellschaft sichern können.
Wir sagen, wir können den Lebensstandard, den wir
in Deutschland haben, nur halten, wenn wir in Ausbildung, Forschung und Weiterbildung investieren. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen eine große nationale
Kraftanstrengung aufbringen und die Mittel von Subventionen und alten politischen Tatbeständen in Zukunftsinvestitionen umschichten.
({2})
Deshalb hat es eine BAföG-Novelle gegeben. Denjenigen, die, was unsere Politikerfachworte angeht, nicht so
kundig sind, sage ich: Beim BAföG handelt es sich um
die Unterstützung von Studierenden, die wir deutlich erhöht haben.
Was mich besonders freut, ist, dass die Zahl der Studenten, die ins Ausland gehen, gestiegen ist. Zurzeit fördern wir in Deutschland etwa 16 000 junge Leute, die
bereit sind, während ihres Studiums einmal ins Ausland
zu gehen. Das wird in einem stark zusammenwachsenden Europa immer wichtiger. Wir unterstützen das sehr
gern,
({3})
weil sich Deutschland im europäischen Konzert mit den
anderen Staaten gut aufstellen muss.
Ich sage Ihnen die entsprechenden Zahlen zur Erinnerung: Insgesamt haben wir die Ausgaben für diese Studentenunterstützung seit 1998 nahezu verdoppelt.
({4})
Das ist eine Menge Holz, wie man umgangssprachlich
sagt. Was mich sehr freut, ist, dass sich das Klima bei
den jungen Leuten dahin gehend verändert hat, dass sie
wieder Lust haben zu studieren.
({5})
Die Zahl der jungen Leute, die ein Studium aufnehmen,
steigt. Das ist eine gute Nachricht; denn in der Industriegesellschaft, die wir sind, brauchen wir mehr junge
Leute, die ein Studium aufnehmen. Bei den Naturwissenschaften brauchen wir deutliche Zuwächse. Deswegen freut es uns, dass die Studienanfängerzahlen in den
Naturwissenschaften seit 1998 um 72 Prozent gestiegen
sind.
({6})
Das heißt: Wir bringen den Dampfer in Fahrt. Die Unterstützung der Studierenden ist ein ganz wichtiges Instrument, um das zu schaffen.
In der Politik gibt es derzeit, verbunden mit dem
Stichwort „Agenda 2010“, im Grunde zwei große politische Themen: Das erste Thema ist die Sanierung unseres
bestehenden Systems. Thema Nummer zwei sind die Investitionen in die Zukunft. Dabei geht es um die Studierenden. Meine Kolleginnen und Kollegen hier im Saal
kennen die Argumente. Diese Politik machen wir für die
Studierenden; denn für die Kollegen, die hier sitzen - so
ist mein Eindruck -, ist es manchmal schon ein wenig
spät.
({7})
Es geht darum, dass wir ihre Zukunft sichern.
Deswegen haben wir besonders große Anstrengungen
unternommen, um Forschung und Entwicklung zu verstärken. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
haben wir seit 1998 um 35 Prozent erhöht.
({8})
Wir kommen also voran. Auch wenn die Opposition das
nicht gerne hört, es ist so.
Durch die BAföG-Novelle, um die es heute geht, wird
die Internationalisierung gestärkt. Wir wollen ausländischen Studierenden noch stärker unter die Arme greifen, wenn sie persönlich in schwierige familiäre Situationen kommen. Ich glaube, das ist gut, insbesondere für
die Frauen. Denn sie sind, wenn sie wirtschaftlich unabhängig sind, nicht länger erpressbar. Wenn sie studieren,
können sie eine Unterstützung für ihr Haushaltseinkommen bekommen; das ist wichtig.
Meine Bitte an die Union lautet: Fassen Sie sich ein
Herz: Stimmen Sie nicht mit Enthaltung, sondern stimmen Sie zu!
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Vera Dominke,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute - wir haben das jetzt mehrfach gehört über einen Gesetzentwurf, mit dem wir in den wesentlichen Punkten einverstanden sind. Herr Kasparick, es
wäre schön gewesen, wenn wir alle heute hätten zustimmen können, hätten Sie sich - Herr Dr. Bergner hat es
ausgeführt - im Ausschuss diesen kleinen Tick bewegt.
Das war keine große Sache, aber Sie mussten mit Ihrer
Mehrheit Ihren Kopf durchsetzen. Dann hätten wir heute,
wie schon 2001 bei der letzten BAföG-Reform, dieses
Gesetz gemeinsam verabschieden können.
({0})
- Herr Tauss, ganz ruhig!
({1})
Denn wir begrüßen Unternehmungen auf allen Gebieten, die zu Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung führen, so selten solche zurzeit leider sind.
Sie können mir glauben, mir wäre nichts lieber, als in
dieser Debatte heute auf Friede, Freude, Eierkuchen machen zu können, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir über BAföG reden, dann dürfen wir nicht nur
das Heute im Auge haben, wir müssen auch in die Zukunft schauen.
({2})
Die Menschen in unserem Lande wollen wissen, wohin die Reise geht. Das weiß heute kaum jemand. Gerade
die jungen Menschen in unserem Land wollen wissen,
wie sie ihre Zukunft planen können. Es fällt mir wirklich
schwer, so zu tun, als sei jetzt mit dem 21. BAföG-Änderungsgesetz die Studienwelt im Lot. Wir wissen doch
alle, dass in den allernächsten Wochen, wenn das Bundesverfassungsgericht über das bulmahnsche Verbot
von Studiengebühren entscheidet, ein ganz neues Fass
aufgemacht werden wird. Über diese Zukunft machen
sich die heute Studierenden, aber auch die künftigen Studierenden, die Studentenwerke und die Hochschulen natürlich bereits heute intensiv Gedanken. Auch die Politikerinnen in Bund und Ländern machen sich darüber
Gedanken. Welche Halbwertszeit wird diese BAföG-Novelle haben? Werden wir uns schon in vier oder in sechs
oder in acht Wochen über eine ganz grundlegende Veränderung der Förderung von einkommensschwächeren
Studierwilligen unterhalten?
Ganz gleich, ob wir dieses Thema in zwei Wochen
oder allerspätestens in zwei Jahren, wie wir wissen, auf
der Tagesordnung haben: Wenn Ihre Ministerin in Ihrer
Verbohrtheit bei diesem Thema den Hochschulen nicht
gesetzlich verboten hätte, ihre Modernisierung autonom
in Angriff zu nehmen, dann wären wir heute schon deutlich weiter.
({3})
- Frau Bettin, es gibt gute Konzepte hierzu. Ich appelliere an Sie, das Thema Studiengebühren und deren Verknüpfung mit dem finanziell gleichberechtigten Zugang
zum Studium, also mit BAföG, frühzeitig offen und
transparent mit allen Beteiligten und Betroffenen ohne
ideologische Ausblendung und ohne parteipolitisches
Haudrauf, Herr Tauss, im Sinne der jungen Menschen in
unserem Lande anzugehen.
({4})
Ein weiterer Punkt, der heute schon angesprochen
wurde, ist die Forderung nicht nur der FDP, sondern
auch von Studentenwerk und Studierendenverbänden,
die Bedarfssätze und Freibeträge regelmäßig an das
Niveau der Lebenshaltungskosten anzupassen. Frau
Berg, das ist in § 35 BAföG vorgeschrieben, und zwar
nicht „irgendwann nächstes Jahr einmal wieder“, sondern „alle zwei Jahre“; so steht es im Gesetz.
({5})
Nein, ich möchte Herrn Tauss hier nicht Gelegenheit
geben, das Wort zu ergreifen - er schreit so genug dazwischen.
({0})
Seit 2001 hat es eine solche Anpassung nicht mehr
gegeben, obgleich - das hat Frau Pieper ausgeführt - die
Lebenshaltungskosten seitdem unzweifelhaft gestiegen
sind. Ich will das an dieser Stelle gar nicht kritisieren.
Wir können immerhin feststellen, dass die Reform, die
wir, wie gesagt, 2001 mitgetragen haben, deutliche Verbesserungen gebracht hat. Das ist unstreitig. Wir wissen
aber auch, dass die Kassen von Bund und Ländern mehr
als leer sind. Es ist deshalb nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder ein großes Problem, die überfällige Anpassung zu finanzieren. Allerdings: Pacta sunt
servanda oder die Gesetze sind zu befolgen. Bund und
Länder müssen sich deshalb über das heute debattierte
Änderungsgesetz hinaus irgendwann einmal dazu einlassen, wie sie den berechtigten Anpassungsanspruch zu erfüllen gedenken.
Am Schluss noch ganz kurz ein Wort zu dem heiß diskutierten Thema „Abgleich der Daten mit den Finanzbehörden“. „Blauer Brief vom Staatsanwalt“ hat der „UniSpiegel“ dazu vor drei Tagen getitelt. Sie haben schon
die Zahl der aufgedeckten Fälle genannt. In den meisten
Fällen kommen die Betroffenen mit Bußgeldern davon.
Ich halte das, auch was in Bayern geschieht, grundsätzlich für richtig, dass dem geistigen Führungsnachwuchs
unseres Landes abverlangt wird, korrekte Angaben bei
der Beantragung staatlicher Unterstützungsleistungen zu
machen.
({1})
Wir erwarten das auch von jedem Sozialhilfeempfänger
und jedem Arbeitslosen.
({2})
Ich sehe, meine Redezeit läuft ab. - Ein letzter Gedanke. Seien wir doch einmal ehrlich: Die große Dunkelziffer bei in der Sache - nicht de jure - zu Unrecht bezogenem BAföG beruht doch auf unserem unendlich
verschachtelten Steuersystem.
({3})
Solange eine unbezifferbare Anzahl Gutverdienender
über steuerliche Abschreibungen ihr Einkommen so
niedrig rechnen kann, dass der Nachwuchs BAföG-berechtigt wird, solange ist am System was faul.
Nach den fruchtlosen Steuerreformversuchen dieser
Bundesregierung sehe ich hier nur einige einzige Lösung: Machen Sie endlich den Weg für eine Regierung
frei, die im Steuersystem aufzuräumen versteht!
({4})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Marion Seib für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Das 21. BAföG-Änderungsgesetz
bietet bei allen rechtstechnischen Verbesserungen in der
Tat doch eine Plattform für politische Diskussionen. Es
sind wieder einmal Reparaturmaßnahmen erforderlich.
Richtige und notwendige Reparaturen sind durchaus dabei.
Der verringerte Verwaltungsaufwand entlastet die
BAföG-Ämter, die sich so auf wichtigere Aufgaben konzentrieren können. Der vereinfachte Aufwand für einen
Fachrichtungswechsel ist sicherlich mit der Hoffnung
verbunden, dass einem Studienabbruch in einem höheren
Semester entgegengewirkt werden kann. Frau Kollegin
Bettin, an dieser Stelle gibt es keinen Dissens.
Auch die Abschaffung der Förderausschüsse ist ein
richtiger Schritt, um die Ausbildungsförderung von bürokratischen Hemmnissen zu befreien. Bayern und Baden-Württemberg haben dies schon seit längerem erkannt und diese Ausschüsse an den Universitäten bereits
abgeschafft bzw. nicht mehr neu eingerichtet. Ebenso
stellt die Einführung des Datenabgleichs zwischen den
BAföG-Ämtern und dem Bundesamt für Finanzen eine
sinnvolle Lösung dar.
Es gilt aber dennoch, auf einige Punkte in diesem Entwurf kritisch hinzuweisen. Dies betrifft zum Beispiel die
Ausweitung des zu fördernden Personenkreises auf ausländische Ehegatten im Falle deren Scheidung oder
Trennung. 1,5 Millionen Euro sind auch bei einem Gesamtbetrag von 455 Millionen Euro kein Pappenstiel.
Außerdem wäre eine bessere Verzahnung der BAföGLeistungen mit anderen aus öffentlichen Mitteln finanzierten Leistungen wie der Arbeitslosenunterstützung
sinnvoll gewesen. Ein weiterer Beitrag zur Kostenreduzierung hätte auch durch eine weiter gehende Pauschalierung bei der Abrechnung von privaten Krankenversicherungen erreicht werden können. Alle unsere Anträge,
die in die richtige Richtung gegangen sind, haben Sie im
Ausschuss abgelehnt.
Die Studienfinanzierung und damit das BAföG gehören zu den Schlüsselthemen im Bereich der Bildung.
Hier müssen in den nächsten Jahren wichtige Weichenstellungen getroffen werden. Deshalb verwundert es
mich sehr, wie unkoordiniert die Bundesregierung mit
diesem schwierigen Thema auch in der FöderalismusMarion Seib
kommission umgeht. Einerseits will die SPD alle Leistungen bei Bedürftigkeit in der Bundeszuständigkeit
halten, andererseits will Frau Zypries die BAföG-Leistungen auf die Länder abdrücken. Frau Bulmahn will die
Beibehaltung der Bundeszuständigkeit. Es ist keine Linie zu erkennen. Sie wissen offensichtlich nicht, was Sie
wollen.
Ein anderes wichtiges Thema ist die Einschätzung der
derzeitigen Situation. Die BAföG-Novellierungen in den
vergangenen Jahren haben zweifellos zu einem Anstieg
der Zahl der BAföG-Empfänger geführt. Dabei muss
allerdings die Frage erlaubt sein, ob der bloße Anstieg an
Zahlungsempfängern an sich schon einen Erfolg darstellt. Die rapide wirtschaftliche Talfahrt der letzten
Jahre hat dazu beigetragen, dass viele Kinder aus viel zu
vielen sozial schwächeren Haushalten mehr denn je auf
BAföG-Zahlungen angewiesen sind.
Darüber hinaus können wir in der Mittelschicht eine
gefährliche Entwicklung beobachten. Laut der 17. Sozialerhebung des Studentenwerkes sank der Anteil der Studierenden aus den so genannten mittleren Herkunftsgruppen gegenüber 1996 von 49 Prozent auf 29 Prozent.
({0})
Dieses Absacken der Mitte betrifft Familien, die nicht
mehr BAföG-berechtigt, aber finanziell auch nicht auf
Rosen gebettet sind.
({1})
- Ganz bestimmt nicht, Herr Kollege.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die euphorischen
Erfolgsmeldungen über den Anstieg der Zahl der
BAföG-Empfänger in einem anderen Licht. Leider ist
der Haushaltsansatz 2005 für das Studierenden-BAföG
mit 455 Millionen Euro viel zu niedrig angesetzt, um
den steigenden Studierendenzahlen und damit dem Anstieg an BAföG-Empfängern gerecht zu werden. Hier
liegt nun die Vermutung nahe, dass mit einer Erhöhung
der Freibeträge und Bedarfssätze im nächsten Jahr nicht
mehr zu rechnen ist. Dies wäre dann im Jahre 2005 ein
fatales Zeichen im Zusammenhang mit der BolognaNachfolgekonferenz in Norwegen; denn zu den Hauptzielen des Bologna-Prozesses zählt insbesondere die
Förderung der Mobilität der Studierenden in einem gemeinsamen Europa. Hier dürfen wir die finanzschwachen Studenten und Studentinnen nicht entmutigen, den
Schritt ins Ausland zu wagen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich Frau Bulmahn nicht
wieder in ihrem ideologischen Schützengraben versteckt, wenn es heißt, kreative Ideen für das BAföG und
die Studienfinanzierung an sich zu entwickeln. Ich fordere Sie auf: Arbeiten Sie mit den Ländern zusammen!
Nehmen Sie deren Anregungen auf und lehnen Sie diese
nicht gleich in Bausch und Bogen ab!
({2})
Die junge Generation erwartet auch von Ihnen überzeugende Lösungen, um die steigenden Anforderungen
in Studium und Ausbildung optimal bewältigen und finanzieren zu können. Das 21. BAföG-Änderungsgesetz
kann hier wirklich nur ein erster Schritt sein. Aber wegen der aufgezeigten Schwächen werden wir uns bei der
Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf enthalten.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf der
Drucksache 15/3655. Der Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3969, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser
Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei
Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion ist der Gesetzent-
wurf damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Dann ist wiederum bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard
Oswald, Dirk Fischer ({0}), Georg
Brunnhuber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Europäische Eisenbahnmagistrale Paris-Budapest im deutschen Abschnitt voranbringen
- Drucksache 15/3715 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({2}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Renate Blank, Volkmar Uwe
Vogel, Dirk Fischer ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Planungs- und Finanzierungssicherheit für die
ICE-Strecken ABS/NBS Nürnberg-Erfurt
({4})
und Erfurt-Leipzig/Halle ({5}) schaffen
- Drucksachen 15/2653, 15/3580 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Debattenzeit von 45 Minuten vorgesehen. - Niemand bietet mehr. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion,
({6})
dem sicher bewusst ist, dass diese 45 Minuten nicht allein für ihn vorgesehen sind.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dieser Tagesordnungspunkt umfasst zwei wichtige Themen. Wir alle wissen, dass die Leistungsfähigkeit unserer Schieneninfrastruktur über die Zukunftsfähigkeit der
Bahn insgesamt entscheidet. Über diesen Satz sind wir
uns einig. Die Beratungen im Ausschuss haben dies gezeigt.
In meinem heutigen Beitrag will ich mich ganz auf
die Linie Paris-Budapest konzentrieren.
({0})
Die Magistrale für Europa, um die es hier geht, Herr
Zwischenrufer, ist der 1 500 Kilometer lange Schienenweg zwischen Paris, Straßburg, Stuttgart, Augsburg,
München und Budapest. Sie verbindet Städte und Regionen mit insgesamt 34 Millionen Bewohnern und
16 Millionen Beschäftigten in vier Staaten. Diese Magistrale bildet als zentrale West-Ost-Achse ein Rückgrat des
gesamteuropäischen Schienennetzes.
Im Juli dieses Jahres gab es eine Konferenz in Augsburg, auf der die obersten Repräsentanten der großen
Städte von Straßburg bis Salzburg die gemeinsame
„Augsburger Erklärung“ unterzeichnet haben. Die Bundesregierung war dabei ebenfalls vertreten. Diese Erklärung, die sich an die Bundesregierung und die Deutsche
Bahn AG richtet, hat folgende Kernaussage - ich zitiere
daraus wörtlich -:
Um die Wirtschaftskraft der Städte und Regionen
im Süden Deutschlands zu erhalten und zu stärken
sowie den Verkehr möglichst umweltfreundlich zu
gestalten, ist es nach fester Überzeugung der unterzeichnenden Städte absolut unumgänglich, die
„Magistrale für Europa“ in den nächsten Jahren zügig zu einer Hochleistungsstrecke auszubauen!
({1})
Den Worten „absolut unumgänglich“ und „zügig auszubauen“ bitte ich besondere Bedeutung beizumessen.
Wenn wir mit diesem Antrag die Initiative hier parlamentarisch aufgreifen, so werben wir um die Unterstützung des ganzen Hauses. Wie Sie wissen, haben das Europäische Parlament und der Rat mit der Entscheidung
über den Aufbau eines Transeuropäischen Netzes diese
Strecke - mit der Verlängerung nach Athen - in die Liste
der vorrangigen Verkehrsprojekte von europäischem Interesse aufgenommen und damit den herausragenden
Stellenwert im europäischen Verkehrsnetz anerkannt und
bestärkt. Bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung der
Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg
wurde über die Notwendigkeit der Anbindung beraten
und diese noch einmal hervorgehoben.
Dass die aktuelle Mittelfristplanung der Bahn bis
2008 keinen umfassenden Ausbau der Strecken Stuttgart-Ulm-München-Freilassing für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorsieht, ist - das wissen wir alle - ein
deutlicher Rückschritt und ein Rückschlag für die Stärkung des Schienenverkehrs. Ich halte es für unverzichtbar, gemeinsam alles zu unternehmen, damit die Strecke,
die anerkanntermaßen zu den wichtigsten in Europa
zählt, so rasch wie möglich lückenlos ausgebaut werden
kann. Ausgerechnet im Herzen Europas, im wichtigen
Mittelstück durch unser Land, kommt der Ausbau nicht
voran.
Wir sind mit unserem Antrag ganz bewusst nicht über
die mit der „Augsburger Erklärung“ erhobene Forderung
hinausgegangen. Diese Forderung wurde von allen politischen Seiten, von allen politischen Lagern einmütig erhoben. Wir wollen den Schulterschluss mit Ihnen und
mit den Oberbürgermeistern der beteiligten Großstädte.
Wir sollten gemeinsam in unserem Ausschuss um die
bestmögliche Lösung ringen.
({2})
Ich werbe dafür, auch im Namen meiner Fraktion.
Wir sollten die Chancen zu einer gemeinsamen politischen Initiative nutzen. Die Bürgerinnen und Bürger aus
den betroffenen Regionen werden es uns danken. Wir
müssen auch vor Ort - das ist ein wichtiger Punkt Klarheit und Planungssicherheit schaffen und ein klares
Bekenntnis zu dieser Magistrale ablegen. Ich hoffe auf
die Unterstützung aller politischen Kräfte dieses Hauses
und ich hoffe, dass die Debatte in die richtige Richtung
geht.
Vielen Dank.
({3})
Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Oswald, ich bedanke mich für die konstruktiven Töne, mit denen diese Debatte begonnen hat.
({0})
Wir freuen uns natürlich, wenn wir alle gemeinsam daran mitwirken, die wichtigen und vordringlichen Aufgaben, die wir im Bundesverkehrswegeplan definiert haben, zu forcieren.
Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden
Redezeit werde ich mich auf den zweiten Antrag der
CDU/CSU-Fraktion beschränken. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, verbindliche Aussagen zur
Realisierung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“
Nr. 8.1 und Nr. 8.2 - Nürnberg-Erfurt und Erfurt-Leipzig/Halle - zu machen.
Dazu ist Folgendes anzumerken: Die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2 - Nürnberg-Erfurt und Erfurt-Leipzig/Halle - sind Bestandteil
der gemeinsamen Leitlinien für den Aufbau des Transeuropäischen Netzes. Es geht dabei bekanntlich um die
wichtigen TEN-Projekte. Sie gehören zu den 14 spezifischen Vorhaben, denen der Europäische Rat am 9. und
10. Dezember 1994 in Essen besondere Bedeutung beigemessen hat und die in Anhang III der TEN-Leitlinien
genannt sind. Sie wurden auch bei der Änderung der
Leitlinien vom 20. April dieses Jahres berücksichtigt.
Im neuen Bundesverkehrswegeplan 2003 und im geänderten Bedarfsplan Schiene sind die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2 jeweils der Kategorie „Vordringlicher Bedarf“ zugeordnet, und zwar als
laufende und fest disponierte Maßnahme.
({1})
Im Jahr 1996 wurde in den jeweiligen Bündelungsabschnitten mit dem Aus- und Neubau von Bundesautobahnen, nämlich der A 14 und der A 71, mit dem Bau
der beiden Neubaustrecken begonnen. Infolge der
Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1999 wurde zunächst der Weiterbau auf die bereits begonnenen Abschnitte mit der Maßgabe begrenzt, das bestehende
Baurecht für die Gesamtmaßnahme beizubehalten.
Im März 2002 hat die Bundesregierung entschieden,
dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1
und Nr. 8.2 fortzuführen sind. Darauf erfolgte die
schrittweise Aufnahme von Bauarbeiten in einzelnen
Abschnitten der Neubaustrecke. So befindet sich unter
anderem der Bündelungsabschnitt mit der Bundesautobahn A 73 - dabei handelt es sich ebenfalls um ein Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ - im Raum Coburg mit
der Itztalbrücke im Bau sowie der Abschnitt Saale-Elster-Querung im Zuge des Neubauabschnitts Erfurt-Gröbers, der dem Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“
Nr. 8.2 entspricht.
Der Neubauabschnitt Gröbers-Leipzig mit dem Flughafenbahnhof Leipzig-Halle wurde im Monat Juni des
vergangenen Jahres in Betrieb genommen. Aufgrund der
neuen Haushaltslinie - Sie alle wissen, was ich meine;
wir haben sie am 19. Dezember vergangenen Jahres gemeinsam beschlossen - und der damit verbundenen
Mittelfristplanung ist eine strenge Priorisierung der Investitionen in die Schienenwege des Bundes erforderlich. Die hierzu durchzuführenden Abstimmungen mit
der Deutschen Bahn AG wurden im Sommer abgeschlossen. Der Weiterbau der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2 konnte gesichert werden.
({2})
Die Bundesregierung wird das Vorhaben konsequent
fortführen. Sie ist entschlossen, mögliche sich eröffnende zusätzliche Finanzierungsspielräume für eine weitere Verstärkung des Vorhabens zu nutzen. Übrigens hat
das Eisenbahn-Bundesamt Ende September 2004 die
Mittel für den 8,3 Kilometer langen Blessbergtunnel
freigegeben. Nun kann der Bau des für die Querung des
Thüringer Waldes bedeutenden Tunnels ausgeschrieben
werden. Die Ausschreibung wird in zwei Maßnahmepaketen vorgenommen.
Die geschlossenen Finanzierungsvereinbarungen
zu den beiden Neubauten enthalten zwar jeweils einen
Zeitplan für die Bewilligung der Mittel, ausschlaggebend ist aber der in den jeweiligen Jahren verfügbare Finanzrahmen.
Nun werden Sie mich wie immer fragen, wann das
Gesamtprojekt fertig gestellt sein wird. Dieser Frage
komme ich auch gerne zuvor.
Angesichts der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung des Bundes und der möglichen Änderungen in den
nächsten Jahren sind derzeit keine belastbaren Aussagen
zum Realisierungszeitraum der VDE Nr. 8.1 und Nr. 8.2
und anderer prioritärer Maßnahmen des „Vordringlichen
Bedarfs“ möglich.
Fest steht jedoch eines: Wir werden dieses Vorhaben
konsequent fortführen. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Deshalb empfehle ich seitens der Bundesregierung die
Ablehnung Ihres diesbezüglichen Antrags.
({3})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Joachim Günther.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Kollege Eduard Oswald hat den Vorrang der EUVerkehrsnetze dargelegt. Ich bin sicher, dass auch Augsburg einen Haltepunkt bekommen wird, wenn er so weiterkämpft.
Ich möchte mich mit den Nord-Süd-Verbindungen beschäftigen, die die Staatssekretärin eben angesprochen hat.
In dem Antrag der CDU/CSU - Drucksache 15/2653 steht:
Das Projekt Nürnberg-Berlin hat zudem als ein
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit … höchste Priorität.
Abgesehen von Ihrer Bemerkung, es sei in der Fortschreibung und im vordringlichen Bedarf, hat man davon nichts gemerkt, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition. Das Einzige, was an diesem Projekt wohl funktioniert, sind ab und zu Nachfragen von
der Opposition. Aber das, was einmal beschlossen worden ist - das gilt auch für den Verkehrswegeplan „Deutsche Einheit“ -, ist nach wie vor nicht in der Umsetzung.
Wenn man heute erfahren wollte, wann es konkret weitergeht, wann der Abschluss erfolgt, dann wurde auf die
Streckung des Projekts hingewiesen.
Joachim Günther ({0})
Ich möchte noch einmal auf den Bundestagswahlkampf 2002 zurückblicken. Der Bundeskanzler hat damals in Thüringen eindeutig erklärt - daran können sich
vor allem die Thüringer sehr gut erinnern -, die Strecke
Nürnberg-Erfurt werde weitergebaut und damit würden
in der Region Arbeitsplätze und Infrastruktur geschaffen. Was ist daraus geworden? Seit zwei Jahren wartet
die ganze Region auf die versprochenen Arbeitsplätze.
Meines Erachtens ist auch bei der Infrastruktur nicht viel
geschehen. Außer ein paar Tunnels - es gibt schon das
Gerücht, dass einige darin Champignons züchten möchten - ist bauseitig nichts geschehen. Eine Hochgeschwindigkeitsverbindung Berlin-München - man kann
auch sagen: Nord-Süd - steht nach wie vor in weiter
Ferne.
Wenn ich dieses Vorgehen betrachte, dann möchte ich
- das müssen Sie mir als Sachsen zugestehen - einen
kurzen Blick auf die Sachsenmagistrale werfen. Hier
wurden zwar zweifellos Millionen Steuergelder eingesetzt und es wurde auch einiges vorangebracht. Aber aus
technischen Gründen hat es die Deutsche Bahn AG in
letzter Zeit geschafft, einen Sprung in die - das sage ich
bewusst - eisenbahnpolitische Steinzeit zu machen.
({1})
Seit dem Winterfahrplan fahren die Züge lediglich im
Vierstundentakt und mit einer Fahrzeit von rund fünf
Stunden auf der Strecke Nürnberg-Dresden. Man muss
sich einmal vorstellen, dass die Dampfrösser zwischen
dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg auf dieser Strecke schneller waren als die Hightechbahn von Herrn
Mehdorn. Wenn dies ein Anreiz für Kunden sein soll,
dann frage ich mich, wie es weitergehen soll.
({2})
Wer diese Entwicklung kennt - deshalb stelle ich diesen
Zusammenhang her -, der kann sich ausmalen, wann
einmal ein ICE von Berlin nach München mit vollem
Tempo fahren wird.
Aus diesem Grund muss man die Bundesregierung
konkret fragen: Sie haben zwar gesagt, Sie könnten
keine Zeit nennen. Aber was ist denn ein „überschaubarer Zeitraum“? Wann geht es weiter?
({3})
- „Was ist schon Zeit?“ Das ist eine tolle Frage. - Oder
gibt es in der Zwischenzeit vielleicht andere Überlegungen? Das sollte man ja nicht einfach negieren. Es ist ja
theoretisch möglich, dass man aufgrund der Entwicklung - vielleicht im Geheimen - zu neuen Erkenntnissen
gekommen ist, zum Beispiel zu der Erkenntnis, dass es
eine kostengünstigere, eine bessere Variante gibt. Ich
denke dabei an die alten Strecken Nürnberg-Marktredwitz sowie Plauen-Leipzig. Vielleicht könnte man Teile
davon für die Sachsenmagistrale verwenden.
Zwölf Jahre nach Erstellung des Bundesverkehrswegeplanes und der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“
haben alle ein Recht, zu wissen, wann und wie es auf
dieser Strecke weitergehen wird und vor allem welche
konkreten Schritte unternommen werden. Wir erwarten
von der Bundesregierung eine Zielsetzung und von der
Deutschen Bahn AG ein verlässliches Ergebnis. Manchmal habe ich den Eindruck - dafür gibt es Beispiele -,
dass sich die Deutsche Bahn AG an das, was die Bundesregierung vorgibt, nicht mehr hält.
Wir sind mitten in der Legislaturperiode. Bald ist wieder Bundestagswahlkampf. Es wäre doch nicht schön,
wenn der Bundeskanzler seinen Sprechzettel von 2002
überhaupt nicht verändern müsste.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Albert Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
sehr hoch gegriffene Ausdruck „Magistrale für Europa“
ist für die Strecke, von der wir heute reden, angebracht;
denn es geht um die zentrale Achse von Westen nach Osten, mitten durch Europa: von Paris über Straßburg,
Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München, Salzburg und Wien bis nach Budapest. Das eigentliche
Drama dabei ist, dass wir im Vergleich zum Autobahnnetz mit der Planung und Realisierung dieser Strecke
schon zehn Jahre zu spät dran sind.
({0})
Daher haben wir alle miteinander keinen Grund, uns gegenseitig vorzuhalten - das ist genau der Punkt, Kollege
Scheffler -, welche Verzögerungen es gegeben hat oder
noch geben wird.
({1})
Vielmehr müssen wir alle daran arbeiten, dass es zu einer Beschleunigung kommt.
Auch die französische Seite hat - übrigens entgegen der
Behauptung im vorliegenden CDU/CSU-Antrag - keineswegs ein hohes Tempo vorgelegt, auch wenn es schön
ist, dass es nach jahrelangen Verzögerungen jetzt losgeht. Erst gestern wurde mit dem Bau zwischen Paris
und Straßburg begonnen.
Es ist zu begrüßen, dass durch den Antrag von der
rechten Seite des Hauses ein wichtiges Thema in das
Zentrum der Bemühungen auf der parlamentarischen
Ebene gerückt wird. Dieser Antrag ist in weiten Teilen
schon deshalb vernünftig, weil bei genauem Hinsehen
vier SPD-Oberbürgermeister als Verfasser dahinter stehen,
({2})
nämlich die Oberbürgermeister von Karlsruhe und Ulm,
der geschätzte Dr. Wengert aus Augsburg sowie
Christian Ude aus München. Was im Antrag steht, ist
von der am 25. Juli dieses Jahres verfassten Resolution
Albert Schmidt ({3})
der Oberbürgermeister entlang der Strecke wortgleich
abgeschrieben.
({4})
Insoweit sollten wir hieraus keine parteipolitische, ritualisierte Diskussion machen, sondern gemeinsam feststellen, dass es in der Tat höchste Eisenbahn ist, hier Schritt
für Schritt voranzukommen.
Allerdings plädiere ich für Realismus. So sehr wir
hier die Initiativen und die Finanzmittel verstärken müssen - dies gilt für Schieneninvestitionen generell, hier
aber im Besonderen -, so sehr müssen wir danach trachten, dass wir dieses Projekt nicht mit unnützen Bausteinen überfrachten, die die Angelegenheit eher behindern.
Wie ein Felsbrocken liegt hier das Projekt Stuttgart 21
auf dem Weg. Dieses Projekt sollten wir aus Gründen
der Realpolitik nicht zur Bedingung machen. Ich spreche
dies ganz offen an; denn ich bin für Ehrlichkeit in der
Politik, ob es gefällt oder nicht. Ich sage das, was ich
schon seit Jahren sage; was ich in Stuttgart und in Bonn
gesagt habe, sage ich auch hier in Berlin.
Die Kostensteigerungen sind absehbar und in diesen
Tagen in der Presse nachlesbar. Sie wurden in gewisser
Weise auch vom Bundesverkehrsministerium dokumentiert. Stuttgart 21 ist kein Bestandteil des Bundesverkehrswegeplanes, sondern wie alle Bahnhofsumbauten
ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen
Bahn AG. Schon 2002, als ich noch Mitglied im Aufsichtsrat der DB AG war, haben wir beschlossen, dass
erst nach Fertigstellung der Planfeststellungsbeschlüsse
auf Basis der dann ermittelten realen Kosten entschieden
werden kann, ob aus der Sicht des Unternehmens Deutsche Bahn AG sowie dessen Vorstands und Aufsichtsrats
das Projekt verwirklicht werden kann oder nicht. Meine
Prognose kennen Sie: Es wird so teuer werden, dass es
von einem „Unternehmen der Zukunft“ nicht angefasst
werden wird. Aber ich warte dies in aller Ruhe und Gelassenheit ab.
Dieses Projekt ist keine Voraussetzung für die Magistrale, von der wir reden. Der Abschnitt Stuttgart-Wendlingen-Ulm der Neubaustrecke ist trotzdem notwendig
und die Einbindung in den Knoten Stuttgart ist Bestandteil des Projekts. Der Bund steht zu der Zusage von
450 Millionen Euro für die Einbindungskosten, ob nun
mit oder ohne Stuttgart 21.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem nächsten Abschnitt zwischen Ulm und Augsburg sagen. Auch hier
rate ich dazu, das Ganze nicht überzustrapazieren, sondern Realismus walten zu lassen. Es muss nicht mit
230 Stundenkilometern gefahren werden; das sage ich
genauso ehrlich auch in Augsburg.
({5})
Es muss nicht die letzte Minute für teuerstes Geld herausgefuchst werden. Wir wären schon viel weiter, wenn
es zwischen Neu-Ulm und Neuoffingen das dritte Gleis
gäbe - die Strecke muss nicht bis Augsburg durchgehend dreigleisig ausgebaut sein - und von Neu-Ulm bis
Augsburg mit 200 Stundenkilometern gefahren werden
könnte.
Der nächste Abschnitt reicht von Augsburg bis München. Ich bin froh, dass das Kasperltheater um einen
Baustopp zu Ende ist und weitergebaut wird. Wir brauchen bei diesem Nadelöhr der Nation, bei dem sich
Nord-Süd-, West-Ost-, Güter- und schnelle Personenverkehre sowie Nahverkehre treffen, längst das dritte und
vierte Gleis, und zwar wirklich durchgehend. Ich bin
froh darüber, dass an dieser Stelle jetzt weitergebaut
wird und die Finanzierung wenigstens für die nächsten
fünf Jahre gesichert ist.
({6})
Die Strecke München-Mühldorf-Freilassing ist die
Verlängerung des Astes nach Osten, also Richtung Salzburg. Übrigens gehört der Abzweig ins Chemiedreieck
nach Burghausen unbedingt dazu. Das sollte man nicht
vergessen. Das ist für den Gütertransport ganz wichtig.
Ich bin froh darüber, dass es uns gelungen ist, das in den
Bundesverkehrswegeplan und die internationalen Projekte zu schieben. Aber die Finanzierungsausstattung das muss man ehrlich sagen - reicht im Moment vorn
und hinten nicht. Wir müssen uns gemeinsam bemühen,
in den nächsten Jahren mehr Geld zur Verfügung zu stellen; denn nach dem, was jetzt in der so genannten 66erListe verabredet ist, gibt es für das Projekt München-Mühldorf gar nichts. Das ist auf Platz 67 gelandet.
({7})
Lassen Sie uns auch da nach Lösungen suchen! Wir werden uns darum bemühen; das verspreche ich Ihnen.
Ich will wenigstens noch einen Satz zu einem zweiten
Projekt sagen, das Gegenstand der Debatte ist, nämlich die
Strecke Nürnberg-Erfurt. Ich rate auch hierbei zu Realismus. Ihre Frage lautet im Grunde: Wann soll diese Strecke
fertig werden? Wenn Sie in die 66er-Liste schauen, dann
stellen Sie fest, dass für das Projekt Nürnberg-Erfurt im
Fünfjahreszeitraum 2004 bis 2008 exakt 175 Millionen
Euro vorgesehen sind. Wenn Sie das für die noch ausstehende Finanzierungslast von 4,5 Milliarden Euro nur für
den Abschnitt Nürnberg-Erfurt hochrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass das 130 Jahre dauert.
Liebe Leute, da muss man doch irgendwann einmal Realismus walten lassen! Es hat doch keinen Sinn, diese Lebenslüge bis zum Ende aller Zeiten weiterzuspinnen.
({8})
Da ist die erste Schwelle schon verrostet, bevor die letzte
Schwelle gelegt sein wird.
Herr Kollege Schmidt, beim Stichwort „Ende aller
Zeiten“ muss ich Sie an das Ende Ihrer Redezeit erinnern.
({0})
Ich weiß, dass meine Redezeit zu Ende ist, Herr Präsident.
Ich will nur noch eines sagen: Das Alternativgutachten, das im Auftrag von IHK Südthüringen, Transnet und
Bürgerinitiative „Besseres Bahnkonzept“ erstellt wurde,
zeigt, wie man billiger und unter Nutzung vorhandener
Bauwerke schneller zum Zug kommen kann, auch auf
der Schnellverbindung von Nürnberg nach Erfurt, die
wir ja wollen, aber eben nicht mit dem Kopf durch die
Wand - sprich: mit dem Tunnel durchs Mittelgebirge -,
sondern nebenan durch die Tür, nämlich auf vorhandenen Strecken.
Das ist das Thema, das wir in den nächsten Jahren bearbeiten sollten. Wir sollten nicht ewig einer Schimäre
hinterherjagen, die nie Realität werden wird.
({0})
Ich habe in dieser Debatte die Einsicht gewonnen,
dass es bei großzügigen Präsidenten auch nach dem
Ende aller Zeiten noch mindestens 45 Sekunden gibt.
Nun hat der Kollege Georg Brunnhuber für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr wohltuend, dass wir uns in diesem
Plenarsaal über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion insgesamt einigen können; zumindest entnehme ich das den
bisherigen Wortbeiträgen.
Bevor ich etwas zur Sache sage, insbesondere was
Baden-Württemberg betrifft, möchte ich etwas tun, was
in diesem Hause sicherlich selten ist, was mir aber ganz
wichtig ist. Diese europäische Magistrale wird seit Jahren in allen Varianten gefordert. Mit viel Engagement
wird den Menschen immer wieder klar gemacht, wie
wichtig sie ist. Es gibt einen Kollegen unter uns, der dies
seit seiner Zeit im Bayerischen Landtag mit Vehemenz
betreibt. Es ist ein Abgeordneter aus Augsburg. Es ist
unser Ausschussvorsitzender Eduard Oswald.
({0})
Was er auch jetzt wieder mit dem Treffen der Oberbürgermeister mit organisiert hat, ist einfach ganz toll. Da
muss ich sagen: Herzlichen Dank. Ich finde das prima!
({1})
Vorgestern wurde in Reims vom französischen Verkehrsminister der erste Spatenstich gemacht. Im
Jahr 2007 wird von Paris aus bis fast nach Straßburg mit
fast 320 Stundenkilometern gefahren. Im Jahr 2010 wird
die Reisezeit von Paris nach Straßburg statt jetzt viereinhalb Stunden nur noch zwei Stunden und 20 Minuten betragen. Unsere Sorge ist nun - darum der Antrag -, dass
der TGV irgendwann am Rhein steht und wir auf unserer
Seite nichts haben. Die Realisierung der Rheinbrücke
ist jetzt wieder verschoben worden. Niemand weiß,
wann sie gebaut wird. Das sind Sorgen, finde ich, die wir
alle haben müssen. Wir können die Planung und die
Baumaßnahmen nicht über Freilassing hinaus weiterführen, wenn wir noch nicht einmal den Beginn auf deutscher Seite, nämlich über den Rhein nach BadenWürttemberg, organisieren können.
Herr Kollege Schmidt, ich komme auf Stuttgart 21
zu sprechen.
({2})
- Herr Schmidt, ich meine den Kollegen von den Grünen. Die Grünen haben in diesem Punkt eine andere
Auffassung als die SPD. - Ich bitte die Regierung, mehr
mit offenen Karten zu spielen. Sie haben den Kollegen
Schmidt von den Grünen und Ihre Oberbürgermeisterkandidatin in Stuttgart informiert, es komme zu dramatischen Kostensteigerungen.
({3})
Die Landesregierung und das Landesverkehrsministerium in Baden-Württemberg haben noch überhaupt
keine Informationen. Die Bahn - sie ist mit Bauherr bei
Stuttgart 21 - erklärt: Wir sind noch dabei, die Kosten zu
ermitteln. Wie können Sie angesichts dessen dieses Projekt schon jetzt so negativ darstellen? Ich bitte insbesondere die SPD: Wenn wir dieses Projekt gemeinsam unterstützen, dann sollten wir durch solche Spekulationen
nicht schon wieder Sand ins Getriebe streuen; zumal die
SPD in Stuttgart mit der CDU und der FDP hinter diesem Projekt steht.
({4})
- In diesem Raum hat schon einmal jemand gesagt: Es
gibt immer einen, der der Dümmste im Saal ist. Aber
freiwillig sollten Sie sich nicht jedes Mal melden, Herr
Tauss.
({5})
Es gibt noch einen Problembereich: Stuttgart-Ulm.
Auch da sind wir relativ weit in der Planung, aber völlig
unsicher in der Realisierung. Schon Stuttgart 21 betrachten wir kritisch. Bevor das große Stück des Albaufstiegs
nicht gebaut ist, kann mit noch nicht einmal 120 Stundenkilometern gefahren werden. Man kann bergauf
keine Schnellverbindung schaffen, ohne entsprechende
neue Trassen gebaut zu haben.
Verbunden mit dem Ausdruck unserer Sorge richte
ich auch hier unsere Bitte an die Regierung, dazu beizutragen, dass wir zumindest in den nächsten Monaten einmal verbindlich klären, wo auf der langen Strecke, die
auf der Rheinbrücke beginnt und bis nach Österreich
führt, auf deutschem Gebiet mit welchen Mitteln was geplant und am Schluss auch gebaut wird. Wir verunsichern mittlerweile Ortschaft für Ortschaft, Landkreis für
Landkreis und die Landesregierungen; denn niemand ist
mehr sicher, dass das, was im Bundesverkehrsministerium besprochen wird, am Schluss trägt und dass das,
was mit der Bahn AG vereinbart worden ist, tatsächlich
umgesetzt wird.
Unsere größte Chance bei diesem Projekt sollte auch
von der Regierung wahrgenommen werden. Zum ersten
Mal sind zwei Länder, Bayern und Baden-Württemberg,
bereit, dieses Projekt mit enormem Engagement vorzufinanzieren, und zwar zu 100 Prozent. Wir müssten doch
gemeinsam ein Interesse daran haben, dass auch die Regierung sagt: Angesichts eines solchen Engagements
und der mit Frankreich im September letzten Jahres getroffenen Vereinbarung sollten wir gemeinsam zu dem
Vorhaben stehen.
Herr Kollege Brunnhuber.
Wenn wir diesen Antrag im Ausschuss weiter beraten,
dann werden wir für die deutsche Infrastrukturpolitik,
was die Schiene anbelangt, wirklich Wegweisendes „auf
die Bahn bringen“.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Karin RehbockZureich, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
„Magistrale für Europa“ ist wahrhaftig ein europäisches
Projekt. Die Schienenverbindung führt über - es wurde
mehrfach gesagt - Paris, Straßburg, Stuttgart, Augsburg,
München, Wien und Budapest. Der Stellenwert dieses
Projekts im europäischen Raum ist auch im Bundesverkehrswegeplan ersichtlich. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz, das wir und der Bundesrat beschlossen
haben, hat alle Teilstücke dieser Magistrale in Deutschland berücksichtigt. Die Teilstrecken Kehl-Appenweier,
Appenweier-Rastatt, Rastatt-Stuttgart-Augsburg und
München-Mühldorf-Freilassing sind alle im vordringlichen Bedarf. Die Koalition hat dabei die Teilstrecke
München-Mühldorf-Freilassing als internationales Projekt hier im Parlament in diese Kategorie hochgestuft.
Die rechtlichen Grundlagen für den Ausbau dieser Abschnitte sind also vorhanden.
Es gibt eine so genannte 66er-Liste, in der die Bundesregierung gemeinsam mit der DB AG Projekte festgeschrieben hat, die im Zuge der mittelfristigen Finanzplanung bis 2008 auf den Weg gebracht werden sollen.
Zugrunde liegen dieser Liste folgende Kriterien: ausreichende Mittel für den Netzerhalt bereitzustellen, begonnene Vorhaben weiterzuführen und internationale Verpflichtungen zu erfüllen.
Nachdem Sie, Kollege Brunnhuber, verständlicherweise Projekte, die Baden-Württemberg betreffen, auf
die Tagesordnung gesetzt haben, möchte auch ich auf
diese eingehen. In der Finanzplanung bis 2008 sind zunächst einmal Finanzmittel für den Ausbau Appenweier-Kehl vorgesehen. Hierbei geht es unter anderem
darum, die Verabredung einzuhalten, die deutschen
Hochgeschwindigkeitsnetze mit denen Frankreichs bis
2010 zu verknüpfen. Bis zu diesem Zeitpunkt muss die
Rheinbrücke entsprechend befahrbar sein; das wird auch
so sein. Sie haben von der Erwartung gesprochen, dass
die Strecke bis Straßburg schon bis 2007 durch entsprechende Hochgeschwindigkeitszüge befahrbar sein wird.
Der Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz ist auf
jeden Fall bis zum Jahr 2010 gesichert. Auch Finanzmittel für einen weiteren Ausbau der Abschnitte Karlsruhe-Basel und Rastatt-Offenburg sind vorgesehen.
Ebenso soll der Umbau des Knotens Neu-Ulm in diesem
Zeitraum in Angriff genommen werden. Der Bund
nimmt dabei gerne das Angebot Bayerns an, dieses Projekt vorzufinanzieren. Schließlich wird auch der viergleisige Ausbau des Abschnitts Augsburg-Olching fortgesetzt. All dies ist in diesem Zeitraum finanziell
machbar.
Bezüglich des Projektes Stuttgart 21 gilt, dass der
Bund seine Zusagen einhalten wird. Selbstverständlich
muss der Bund die Wirtschaftlichkeit der Gesamtstrecke
im Auge haben; so stehen für ihn Investitionen in die
Strecke im Vordergrund. Diese wirtschaftliche Bewertung wird in die Planung einfließen. Aber die bisher mit
dem Land Baden-Württemberg getroffenen Verabredungen wird der Bund einhalten.
Ich komme ja ebenfalls aus Baden-Württemberg und
unterstütze die Resolution, die Oberbürgermeister aus
Bayern und Baden-Württemberg verschiedenster parteipolitischer Couleur gemeinsam beschlossen haben. Ich
bin mir auch ganz sicher, dass es sich bei den darin enthaltenen Vorstellungen um einen klugen Ansatzpunkt
handelt, denn die Zukunft des Schienenverkehrs liegt im
grenzüberschreitenden Verkehr. Grenzüberschreitender
Verkehr findet einerseits in Ost-West-Richtung auf eben
jener Magistrale statt, zu der die bisher genannten Projekte gehören, andererseits aber auch in Nord-Süd-Richtung. Auch hier besteht hoher Finanzbedarf. So erfordert
der Ausbau der Zulaufstrecken zu den alpenquerenden
Verbindungen ein Finanzvolumen von rund 3 Milliarden.
Der Finanzbedarf sowohl für den Ost-West-Verkehr
als auch für den Nord-Süd-Verkehr muss erst einmal gedeckt werden. In der Vergangenheit haben wir dank der
UMTS-Erlöse die Investitionen in die Schienenwege
von 2,7 Milliarden im Jahre 1998 auf 4,5 Milliarden im
Jahr 2003 gesteigert. Mit 3,7 Milliarden in diesem Jahr
liegen die Investitionen immer noch höher als im Jahre
1998. Das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich sagen.
({0})
Von unseren Zahlen konnten die derzeitigen Oppositionspolitiker, als ihre Parteien noch an der Regierung
waren, nur träumen.
Ich bin mir sicher, dass wir bezüglich der Verlagerung
von Verkehr auf die Schiene die gleichen Interessen verfolgen. In Zukunft wird es darauf ankommen, zu verhindern, dass Einsparungen allein zulasten des Verkehrsträgers Schiene gehen, wie es ja Koch und Steinbrück in
ihrem Konzept vorgesehen hatten. Wenn es nach Ihnen
gegangen wäre, wäre die von Koch/Steinbrück geforderte Einsparung ausschließlich über die Schiene gelaufen.
({1})
Lassen Sie uns in dem Bewusstsein, dass wir alle die
Schiene voranbringen wollen, gemeinsam für die Zukunft zusätzliche Mittel in die Schiene investieren. Sie
haben uns auf Ihrer Seite. Wenn wir das, was in dem Antrag gefordert wird, wirklich in einem angemessenen
Zeitraum auf den Weg bringen wollen, dann benötigen
wir zusätzliche Finanzmittel. Eine Chance auf zusätzliche Finanzmittel besteht, wenn Sie in der Diskussion
über den Abbau der Subventionen mutigere Schritte gehen als in der Vergangenheit. So könnte der nötige
Schienenausbau verbessert werden. Wenn wir die großen
Projekte in dem Zeitraum, den Sie und die Oberbürgermeister vorschlagen, verwirklichen wollen, benötigen
wir diese Finanzmittel.
Ich freue mich schon auf die Diskussion im Ausschuss, die hoffentlich dazu führt, dass wir vernünftige
und solide finanzierte Projekte gemeinsam auf den Weg
bringen können.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Blank, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt zurück zur ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt, der unendlichen
Geschichte, die langsam zu einem Trauerspiel und vor
allen Dingen zu einem Verwirrspiel wird.
Frau Staatssekretärin, Papier ist ja nun wirklich geduldig. Im Bundesverkehrswegeplan von 1992/93 und
auch jetzt wieder sowie im Schienenwegeausbaugesetz
steht die Strecke Nürnberg-Erfurt. Sie haben aber fast
nur von dem Verkehrsprojekt Nr. 8.2 und nicht von 8.1,
nämlich Nürnberg-Erfurt, gesprochen. Sie haben nicht
von der Neubaustrecke Nürnberg-Ebensfeld gesprochen, sondern nur von den anderen Bereichen.
Kollege Schmidt, Sie sollten einmal zugeben, dass die
Grünen die Trasse Nürnberg-Erfurt absolut nicht wollen.
({0})
- Ich möchte die ICE-Trasse eigentlich noch erleben, das
heißt, sie soll nicht erst in 120 Jahren fertig sein.
Tatsache ist, dass die Grünen die Strecke aus politischen Gründen nie wollten. Auch die bayerische SPD
wollte sie nicht. Die Nürnberger SPD - ich nehme sie
ausdrücklich in Schutz - wollte diese Trasse.
({1})
Im Wahlkampf 2002 hat der Bundeskanzler gesagt, wir
brauchten diese Trasse. Seitdem ist auch die bayerische
SPD umgeschwenkt. Somit steht jetzt auf dem Papier,
dass die Trasse gebaut wird.
Für uns ist das ein unsägliches Gezerre um den Weiterbau. Allerdings ist dies ein Spiegelbild der rot-grünen
Politik,
({2})
die von Wankelmut, Unzuverlässigkeit und mangelndem
Durchsetzungsvermögen geprägt ist.
({3})
- Warum regen Sie sich denn so auf? Hören Sie mir doch
zu!
Diese rot-grüne Planungs- und Konzeptionslosigkeit
hat sich Bahnchef Mehdorn zunutze gemacht, nach dem
Motto: Wenn die Mittel für den Schienenausbau gekürzt
werden, dann werden auch die Arbeiten zwischen Nürnberg und Erfurt nicht weitergeführt. Damit spricht er natürlich den Grünen aus dem Herzen.
Frau Staatssekretärin, in der Mittelfristplanung bis
2008 sind für die Strecke Nürnberg-Ebensfeld nur
10 Millionen Euro enthalten. Außerdem ist für diese geringe Summe der Abschluss der Finanzierungsvereinbarung von der DB AG noch nicht beantragt. Bahnchef
Mehdorn hat im Frühjahr gesagt, beim Abschnitt Nürnberg-Ebensfeld sei ihm die Tinte eingetrocknet.
({4})
Das hat sich die Bundesregierung dann natürlich zu Eigen gemacht.
Mit dem Betrag von 10 Millionen Euro ist der notwendige viergleisige Ausbau zwischen Nürnberg und
Fürth, der etwa 120 Millionen Euro kostet, erst einmal
vom Tisch,
({5})
weshalb es auf unabsehbare Zeit keine Verbesserungen im Schienennahverkehr der Region geben wird.
Der S-Bahn-Bau ist damit ausgebremst und Sie sind
schuld!
({6})
- Nein, Kollege Schmidt, Sie haben zu verantworten, dass
der Bau der S-Bahn Nürnberg-Fürth-Erlangen schon seit
über einem Jahr gestoppt ist, weil diese S-Bahn-Strecke
unabweislich mit der ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt gekoppelt ist.
Sie müssen sich vorhalten lassen, dass Sie für den
Schienenpersonennahverkehr - genauer: für den Bau einer S-Bahn - kein Geld zur Verfügung stellen.
({7})
Die genannten 10 Millionen Euro dienen lediglich der
Erhaltung der Leistungsfähigkeit bzw. der Aufrechterhaltung der Maßnahme nach dem Baurecht, damit
keine Gelder an Europa zurückgezahlt werden müssen,
die bisher für die Projekte im Rahmen der Transeuropäischen Netze geflossen sind.
Vielleicht sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün, einmal darüber nachdenken, dass die EU
diese Trasse mit 20 Prozent bezuschusst. Das Geld liegt
in Brüssel; es muss nur abgerufen werden.
({8})
Sie müssen dieses Geld abrufen und müssen mehr Mittel
für Investitionen zur Verfügung stellen. Es hätte schon
längst mit dem Bau der Trasse Nürnberg-Erfurt begonnen werden können, wenn die Deutsche Bahn AG bis
zum Jahre 2002 6 Milliarden Euro, die sie nicht verbauen konnte, nicht hätte zurückgeben müssen. Damit
hätte man die Strecke Nürnberg-Erfurt - sie kostet
4 Milliarden Euro - leicht planen und bauen können.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Fornahl, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Blank, angesichts Ihrer Ausführungen
muss man befürchten, dass es in Zukunft an neu gebauten ICE-Strecken keine Lärmschutzwände, sondern nur
noch Klagemauern gibt.
({0})
Das wollen wir nicht.
({1})
- Herr Grund, Sie müssten eigentlich Abgrund heißen.
Halten Sie den Schnabel!
({2})
Die beiden heute anstehenden Projekte sind wichtige
Abschnitte der Transeuropäischen Netze. Sie sind aber
auch Bestandteile der Netzkonzeption 21 der Deutschen
Bahn AG und sind insgesamt ein wichtiger Teil der Entwicklung einer vernünftigen Verkehrsinfrastruktur.
Im Bundesverkehrswegeplan 2003-2015 sind diese
Trassen in der Kategorie „laufende und fest disponierte
Vorhaben“ bzw. „vordringlicher Bedarf“ eingeordnet.
Sie standen auch schon im Bundesverkehrswegeplan
1992 bis 2012 unter der Kategorie höchste Priorität, was
immer man darunter verstehen konnte. Nach wie vor
sind diese Projekte für die Stärkung des Schienenpersonenverkehrs und auch - ich betone das - des Schienengüterverkehrs über Deutschland hinaus besonders wichtig.
Schauen wir noch einmal auf die sehr wichtigen Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2.
Diese Projekte sind aufgrund ihres Umfangs und der
Kosten besonders exemplarisch. Der Bau der Trasse ist
erst seit 1997 möglich gewesen. Wir sollten uns darauf
verständigen, dies als Tatsache anzusehen. Denn erst zu
diesem Zeitpunkt waren die Klagen abgewiesen, die es
im Zusammenhang mit der Planfeststellung und dem
Einsetzen des Baurechts gab. Die Bahnchefs Dürr und
Ludewig hatten für das gesamte Projekt relativ wenig
Sympathie. Deshalb wurden bis 1999 nur Mittel in Höhe
von 350 Millionen Euro verwendet. Von 2000 bis 2004
wurden immerhin 750 Millionen Euro - das ist die aktuelle Zahl von der DB Projektbau - verbaut.
Trotz der erkennbaren Skepsis meines Kollegen
Schmidt hinsichtlich dieses Projekts - er hält damit nicht
hinter dem Berg - kann ich sagen: Wir haben in den letzten vier Jahren ein ganz beachtliches Investitionsvolumen angeschoben. Aktuell ist dazu noch zu vermelden,
dass es eine Baufreigabe für die Südanbindung Halle, für
die Elsterauequerung und - das ist ein Hinweis an die
Kollegin Blank - für den Blessbergtunnel gibt. Das ist
die Strecke Nürnberg-Ebensfeld. Frau Gleicke hat diese
Punkte richtigerweise erwähnt.
Ich darf noch darauf hinweisen, dass uns die Blockade durch den Freistaat Sachsen zwei Jahre Zeit bei
der Realisierung dieses Projektes gekostet hat. Der damalige Ministerpräsident Biedenkopf und sein bahnpolitischer Büchsenspanner, der ehemalige Staatsminister
für Wirtschaft und Arbeit Kajo Schommer, haben im
Jahr 2000 eine Diskussion über eine neue Trassenführung über Hof, Leipzig, Berlin angezettelt, obwohl es
eine durchgeplante, voll mit Baurecht versehene und
auch schon im Bau befindliche Trasse gab. Das hat zwar
für einen Leipziger durchaus Charme; das will ich gerne
zugeben. Aber es war leider ein gefährlicher Irrweg. Bis
sich Sachsen wieder gefangen hatte und auf den Pfad der
Tugend zurückkam, konnte zwei Jahre nichts gebaut
werden.
({3})
Das hat uns insgesamt viel Zeit und damit auch viele
Kilometer Schiene, die hätten gebaut werden können,
gekostet.
Nun kann man ein Zahlenspiel betreiben: Die bis
2008 festgelegten Mittel sind natürlich nicht dazu angetan, in den nächsten zehn Jahren mit der Fertigstellung
des Projektes insgesamt rechnen zu können. Aber man
kann natürlich nach Möglichkeiten suchen, diese Zeitspanne insgesamt zu verkürzen; ich will drei nennen.
Erstens. Man kann beispielsweise bei der DB AG
ganz konsequent auf die Kostenbremse treten. Beispiel:
Seit 2000 ist die DB AG mit Nachforderungen von insgesamt 4 Milliarden Euro konfrontiert, die auch genehmigt worden sind. Das bedeutet eine Kostensteigerung
von mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Plan. Beispiel
Neubaustrecke Köln-Frankfurt: Hier haben sich die
Kosten von 4,6 Milliarden auf 6 Milliarden Euro erhöht.
Ich könnte weitere Beispiele nennen.
Wenn man diese Szenerie weiterverfolgt, muss man
feststellen: Je mehr Geld für einzelne Projekte über den
Plan hinaus ausgegeben wird, desto weniger kann man
insgesamt mit dem zur Verfügung stehenden Geld, das in
den Haushalt eingestellt ist, bauen. Damit muss Schluss
sein! Ich fordere also von der Deutschen Bahn AG ein
konsequentes, hartes projektbegleitendes Controlling.
Dann kann man wesentlich enger am geplanten Kostenrahmen bleiben.
({4})
Zweitens. Wir können aber auch - darüber sollte man
sich in der Diskussion über den Antrag zur Europamagistrale verständigen - Prioritäten setzen. Beispiele wären die VDE-Fertigstellung und Ost-West-Projekte im
Sinne der Transeuropäischen Netze. Wenn man sich darauf konzentriert, dann muss man natürlich auf anderes
verzichten. Aber dann kann man die Zeiträume zur Realisierung solcher wichtigen Trassen insgesamt verkürzen.
Drittens. Wir können aber auch, wie hier schon angedeutet wurde und wie das unser Kollege Schmidt anhand
eines Vorschlages aus Thüringen erläutert hat, alles ganz
anders machen: Wir legen alles auf Eis und machen alles
neu. Dann kommen wir überhaupt nicht zu Stuhle. Das
ist zumindest mit mir nicht zu machen. Ich stehe für eine
solche Variante nicht zur Verfügung.
({5})
Wir können aber auch ein Viertes tun: Wir kommen
mit dem Reformpaket zur Agenda 2010 voran. Sie machen dabei mit. Dann gibt es im Bundeshaushalt mehr
Spielraum für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen.
Zum Abschluss will ich sagen, meine Damen und
Herren von der Opposition: Im Sinne von Hartz IV sollte
man nicht nur fordern, sondern auch fördern. So kommen wir voran und auch schneller zu Ergebnissen bei
wichtigen Verkehrsinfrastrukturprojekten, auf die wir
alle so dringlich warten.
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion,
({0})
der bei strenger Beachtung der Debattenzeit eigentlich
gar keine Redezeit mehr hat. Aber da das Präsidium bei
der Bewirtschaftung der Redezeiten großzügiger ist als
die Fraktionen, darf er noch sprechen. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn ich keine Redezeit mehr habe, dann habe ich jetzt auch alle Freiheiten.
({0})
Darauf würde ich es besser nicht ankommen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Eisenbahnmagistralen Paris-Budapest und, lieber Kollege
Schmidt, auch Stockholm-Verona sind wichtige europäische Magistralen in Ost-West- und natürlich auch in
Nord-Süd-Richtung.
({0})
Sie vernetzen europäische Metropolen; sie sind europäische Lebensadern. Sie entlasten nicht nur den Luft- und
Straßenverkehr, sondern sind auch eine umweltschonende Alternative zum Individualverkehr.
Die seit Jahren diskutierte ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt-Halle-Leipzig nimmt dabei eine ganz besondere Stellung ein. Denn diese ICE-Trasse ist ein
Symbol für die Vollendung der deutschen Einheit
({1})
und natürlich ein unverzichtbarer Bestandteil des EUProgramms „Transeuropäische Netze“. Dies wurde im
Bundesverkehrswegeplan 1992, dem Bundesverkehrswegeplan der deutschen Einheit, zum Gesetz. Die Trasse
Berlin-München genoss damals allerhöchste Priorität.
Trotzdem hat Verkehrsminister Müntefering, SPD,
den planmäßigen Weiterbau 1999 gestoppt, obwohl er
wusste: Für die neuen Bundesländer und auch für meine
Heimat Thüringen ist diese Hochgeschwindigkeitsstrecke ein Standortfaktor von europäischer Dimension.
({2})
Aus welchen Gründen auch immer - das sei dahingestellt - hat Bundeskanzler Schröder auf dem SPD-Parteitag am 10. März 2002 Münteferings Baustopp für die
ICE-Strecke aufgehoben und damit Hoffnungen auf eine
baldige Fertigstellung dieser Strecke in Thüringen und in
den neuen Bundesländern geweckt. Doch im
Herbst 2004 sieht die Wirklichkeit ganz anders aus eine Wirklichkeit des Kanzlers, übrigens nicht nur beim
ICE. Verwaiste Baustellen sprechen für sich und für die
verfehlte Verkehrspolitik der Bundesregierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit der
Ideenkonferenzen und der Neuererbewegung ist vorbei.
Diskussionen um Alternativen verschleppen dieses Projekt nur weiter. Wer die Lebensverhältnisse in den alten
und den neuen Bundesländern aneinander angleichen
will, darf nicht nur reden, sondern muss tatsächlich handeln.
({3})
Frau Staatssekretärin Gleicke, die Aussage, die Strecke werde fertig gestellt, reicht nicht. Gleichzeitig sagt
Kollege Schmidt, die Strecke werde in 125 Jahren fertig
gestellt.
({4})
Wir brauchen hier ganz konkrete Informationen zu Fertigstellungsterminen auch für Teilabschnitte.
Es kommt darauf an, dass Thüringen und der gesamte
mitteldeutsche Wirtschaftsraum zügig in die gesamteuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetze eingebunden
werden. Für die Neubaustrecke liegen alle Planfeststellungsbeschlüsse vor. Im Gegensatz dazu ist bei den diskutierten Alternativen noch kein Planungsvorlauf vorhanden. Sie würden zu weiteren Verzögerungen führen.
Für das Projekt 8.1 werden im Zeitraum 2004 bis
2015 im Bundesverkehrswegeplan circa 3 Milliarden
Euro angesetzt, für das Projekt 8.2 rund 1,8 Milliarden
Euro. Um diese Investitionskosten zu finanzieren, sind
weit höhere Jahresbeträge notwendig, als in der Mittelfristplanung des Ministeriums ausgewiesen sind.
({5})
Nach der Liste des Ministeriums vom 15. Juli sind für
beide Abschnitte, also 8.1 und 8.2, lediglich 341 Millionen Euro vorgesehen. Das sind im Durchschnitt jährlich
68 Millionen Euro. Es ist fraglich, ob mit diesen
68 Millionen Euro jährlich das Baurecht überhaupt zu sichern ist. Ich bin nicht dieser Meinung. 2005 wird das
Baurecht in wichtigen Teilabschnitten verfallen.
Um wirkliche Baufortschritte durch den Thüringer
Wald machen zu können, wären pro Jahr circa
150 Millionen Euro notwendig. Dann wären wir in circa
acht Jahren mit der Strecke durch den Thüringer Wald
durch. Dieses Ziel müssen wir uns setzen. Alles andere
ist aus meiner Sicht Augenwischerei und die berühmte
Beerdigung dritter Klasse. Es ist die Frage, ob hier
Bahnchef Mehdorn die Kerze trägt.
({6})
Neben dem Weiterbau der Hochgeschwindigkeitsstrecke durch den Thüringer Wald darf natürlich auch die
Anbindung an die ICE-Strecke nicht zu kurz kommen.
Deshalb ist es zum Beispiel unerlässlich, die MitteDeutschland-Schienenverbindung so auszubauen, dass
höhere Fahrgeschwindigkeiten möglich sind und der Lückenschluss zwischen Weimar und Glauchau erfolgt. Die
Aufnahme dieses Vorhabens in den weiteren Bedarf des
Bundesverkehrswegeplans ist ein erster Erfolg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Ende; denn ich werde vom Präsidenten ermahnt.
Ich kann nur an die Bundesregierung und an die Regierungskoalition appellieren, die ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt-Leipzig zügig weiterzubauen.
({7})
Wenn wir jetzt nicht handeln, verfällt das Baurecht, und
weit über 700 Millionen Euro Steuergelder, die bereits
verbaut sind, werden buchstäblich in den Sand gesetzt.
Wenn es dazu käme, interessierte mich die Antwort auf
eine Frage natürlich ganz besonders: Was wird uns der
SPD-Kanzlerkandidat im Wahlkampf 2006 erklären,
({8})
wenn sich auf diesem Symbol der deutschen Einheit
Fuchs und Hase gute Nacht sagen?
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Zum Tagesordnungspunkt 7 a wird interfraktionell
die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3715
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Tagesordnungspunkt 7 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 15/3580 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Planungs- und Finanzierungssicherheit für die ICE-Strecken Nürnberg-Erfurt und Erfurt-Leipzig/Halle schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 15/2653 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2004 ({0})
- Drucksache 15/4020 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt haben sich die
Fraktionen auf eine Debattenzeit von 45 Minuten verständigt. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister der Finanzen Hans Eichel.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich zunächst mein Bedauern ausdrücken, dass ich an der Debatte über den Stabilitätsund Wachstumspakt hier nicht teilnehmen konnte. Das
Interesse der Opposition daran, dass der Bundesfinanzminister anwesend ist, war offenkundig nicht sehr ausgeprägt.
({0})
Wir haben Ihnen mitgeteilt, dass ich heute Morgen an
der Ecofin-Sitzung in Luxemburg teilnehmen musste.
Ich denke, es wäre ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, die Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt jetzt im Zusammenhang mit der Debatte über den
Nachtragshaushalt zu führen.
Ich will Ihnen aber die neueste Nachricht vom Tage
nicht vorenthalten: Der luxemburgische Ministerpräsident und Finanzministerkollege Jean-Claude Juncker,
der ja einer der Väter des Maastricht-Vertrages und des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist, hat sich heute,
auch öffentlich, für eine vorsichtige Änderung des Paktes ausgesprochen.
({1})
Damit müssen Sie, meine Damen und Herren von der
Union, zurechtkommen.
({2})
Wir haben übrigens auch in Scheveningen einstimmig
- obwohl ich gesagt habe, ich sehe keine Notwendigkeit
dazu - auf Vorschlag unseres Vorsitzenden, des niederländischen Kollegen Gerrit Zalm, beschlossen, dass
höchstens minimale Änderungen am sekundären Vertragstext stattfinden sollen; am Text des primären Vertragswerks will sowieso niemand etwas ändern.
Sie haben heute Morgen gesagt, ich hätte zwar bei
Griechenland für die Aufklärung plädiert, aber nicht dafür, dass Eurostat mehr Rechte bekommen soll. Das ist
falsch. Ich habe mich nur nachdrücklich dagegen gewandt, dass hier zwei Dinge, die nicht zusammengehören, miteinander vermengt werden und dass die lückenlose Aufklärung dessen, was im Fall Griechenland
passiert ist, möglicherweise zugedeckt wird unter einer
allgemeinen Debatte über statistische Fragen.
Das eine ist: Es muss lückenlos geklärt werden, was
in Griechenland war; denn wenn die Erklärung des griechischen Notenbankgouverneurs Lucas Papademos, des
jetzigen Vizepräsidenten der EZB, stimmt, dass in den
Berichten der griechischen Zentralbank die richtigen
Zahlen gestanden haben, so muss man doch die Frage
stellen: Was hat die griechische Zentralbank mit diesen
Zahlen gemacht, was hat die Europäische Zentralbank
mit diesen Zahlen gemacht, was hat Eurostat mit diesen
Zahlen gemacht und was hat die Europäische Kommission mit diesen Zahlen gemacht?
({3})
Dabei geht es nicht um eine statistische Frage, sondern
es geht um eine politische Frage.
Das zweite ist: Für eine gute haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung brauchen wir verlässliche und rechtzeitig vorgelegte Daten. Da hat Deutschland eine hervorragende Position, übrigens auch was die
fachliche Unabhängigkeit des Statistischen Bundesamtes
betrifft; daran können sich alle anderen ein Beispiel nehmen.
Völlig klar ist aber - das gilt auch für uns -: Wenn irgendwann von irgendwem Zweifel an der Korrektheit
von Daten geäußert werden, dann muss Eurostat die
Möglichkeit haben, in die nationalen Statistikämter hineinzugehen und das aufzuklären.
({4})
Das ist meine Position, damit da keinen Augenblick ein
Zweifel besteht.
({5})
Das eine ist: Auf europäischer Ebene muss Ordnung
geschaffen werden. Das zweite ist: Die notwendigen Zuständigkeitsverlagerungen müssen ganz selbstverständlich stattfinden. Nur, das eine hat mit dem anderen nicht
unmittelbar etwas zu tun und das eine darf das andere
nicht ersetzen.
Nun zum Nachtragshaushalt. Nach der Steuerschätzung im Mai habe ich erklärt: Erstens. Im Herbst werden
wir einen Nachtragshaushalt vorlegen. Zweitens. Ich taxiere das Haushaltsrisiko auf 10 bis 11 Milliarden Euro
zusätzlich. Das war im Mai.
In diesem Herbst lege ich Ihnen nun diesen Nachtragshaushalt vor. Anders als im vorigen Jahr lege ich
ihn Ihnen nicht erst in Kenntnis der Steuerschätzung
vom November vor, obwohl auch dafür eine Menge
spräche. Aber da der Bundesrat mein Vorgehen im vergangenen Jahr benutzt hat, um die gesamte Beratung bis
ins neue Jahr zu ziehen, lege ich Ihnen den Nachtragshaushalt schon jetzt vor. Das hat allerdings zur Konsequenz, dass wir die titelscharfe Ausbringung der Mindereinnahmen bei den Steuern erst nach der
Steuerschätzung im November vornehmen können.
({6})
Das heißt, dass wir die unmittelbare Anpassung nach der
Steuerschätzung im November durchführen müssen.
Diesen Termin habe ich, wie im vorigen Jahr, ausdrücklich gewählt, weil ich, wenn ich hätte eingreifen
wollen, nur bei Investitionen, Programmplanungen und
Beschaffungen der Bundeswehr hätte eingreifen können.
({7})
Das wollte ich allerdings nicht. Alles andere hätte zu
keinerlei Einsparungen geführt.
({8})
Denn jeder, der redlich über dieses Thema diskutiert
- das ist nicht bei allen der Fall -,
({9})
muss zugeben, dass im fünften Jahr eines Konsolidierungshaushaltes an diesem Knochen in Wirklichkeit kein
Fleisch mehr ist.
({10})
Das will ich mit ganz wenigen Zahlen belegen.
({11})
Sie werden immer das eine oder andere finden, Herr
Pinkwart. Damit leisten Sie aber auch nicht annähernd
einen Beitrag zu einer wirklichen Problemlösung. Deswegen sind Ihre Haushaltsanträge ja auch so, wie sie
sind.
Meine Damen und Herren, ich will zunächst einmal
klar machen: Auf der Ausgabenseite ist der Umfang des
Haushalts von 1998 bis jetzt von 12,1 auf 11,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts gesunken. Das ist die erste
Feststellung. Die zweite Feststellung - jetzt nenne ich
ein Beispiel - ist Folgende: Die Personalausgaben bewegen sich auch im nächsten Jahr fast genau auf derselben Höhe wie 1998. Sie sind gerade einmal um 400 Millionen Euro gestiegen und haben ein Volumen von
27 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung um
1,5 Prozent, während die verschiedenen Tarifsteigerungen in diesem Zeitraum insgesamt rund 15 Prozent ausmachten.
Warum ist uns das gelungen? Das ist uns gelungen,
weil wir systematisch Jahr für Jahr 1,5 Prozent der Stellen eingespart haben und weil wir insbesondere mit diesem Haushalt - durch Kürzungen beim Weihnachtsgeld
und durch die Abschaffung des Urlaubsgeldes - in die
Bezüge eingegriffen haben. Die Konsolidierung, die wir
1999 unmittelbar eingeleitet haben, war erfolgreich.
Ohne die Konsolidierungspolitik hätte der Bund jetzt jedes Jahr Mehrausgaben in Höhe von gut 20 Milliarden
Euro.
Folgendes ist aber passiert: Erstens stehen wir vor der
Situation, dass die Steuereinnahmen nach dreijähriger
Stagnation bei weitem nicht den Umfang hatten wie damals, als von allen Seiten ein höheres Wachstum zugrunde gelegt wurde, unterstellt worden war. Zweitens
haben sich die Ausgaben für den Arbeitsmarkt gegenüber dem Jahr 2000 verdoppelt. Das sind die beiden Entwicklungen, mit denen wir es zu tun haben.
Wenn man übrigens aus Luxemburg bzw. vom Ecofin
zurückkommt, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass
Deutschland zu der kleinen Gruppe der Länder gehört,
die die geringeren Abweichungen aufweisen von der
besten Situation war im Jahr 2000. Damals - auch unter
meiner Verantwortung - betrug das Defizit 1,2 Prozent.
In diesem Jahr ist es auf 3,8 Prozent gestiegen. Das entspricht einer Abweichung von 2,6 Prozentpunkten. Im
Vergleich dazu weisen die meisten Länder der Europäischen Union und vor allem der Eurozone viel höhere
Abweichungen auf. Die Startposition, das Defizit von
1,2 Prozent, war das Problem.
({12})
- Auf Sie, Herr Austermann, komme ich noch zu sprechen. Denn es gehört schon eine gewaltige Chuzpe dazu,
wenn ausgerechnet Sie sich über die Schulden, die auch
mir zu hoch sind, beklagen. Dazu gehört eine unglaubliche Chuzpe!
({13})
- Am besten diejenigen, die am meisten davon verstehen. Da haben Sie vollkommen Recht. Denn wer soll das
sonst beklagen?
({14})
In diesem Haushalt beträgt die Neuverschuldung
43,7 Milliarden Euro. Das ist gegenüber dem Haushalt,
den ich eingebracht hat, eine Verschlechterung um
14,4 Milliarden Euro.
({15})
Diese Größenordnung entspricht im Übrigen ziemlich
exakt dem Nachtragshaushalt des vergangenen Jahres.
Die Verschlechterungen ergeben sich fast ausschließlich aus den geringeren Steuereinnahmen; darüber hinaus gibt es, wie Sie wissen, ein paar andere Dinge,
darunter auch den Bundesbankgewinn. Worauf es in diesem Zusammenhang ankommt: Im Haushalt ist ein niedrigeres Ausgabenvolumen vorgesehen, das dadurch entsteht, dass wir Hartz IV eben nicht zum 1. Juli dieses
Jahres umsetzen, sondern ab 1. Januar nächsten Jahres.
Damit ergibt sich eine Nettokreditaufnahme von
43,7 Milliarden Euro, insbesondere, wie gesagt, wegen
gegenüber der Mai-Schätzung geringeren Steuereinnahmen bei der Mineralölsteuer und bei der Tabaksteuer.
Wir haben im vergangenen Jahr einen Dreiklang von
Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen eingeleitet.
({16})
- Wissen Sie was? Nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein haben Sie hier kaum noch einen Auftritt,
Herr Austermann,
({17})
und auch sonst nimmt dann keiner mehr von Ihnen
Kenntnis.
({18})
Sie haben nicht zugehört. Ich habe gesagt: Sie haben hier
kaum noch einen Auftritt, weil Sie dann als haushaltspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion keine Rolle mehr spielen werden! Das wird so auch richtig sein.
Wir haben zu diesem Dreiklang in der klaren Erkenntnis gegriffen, dass wir aus der Stagnation heraus
müssen, dass das die entscheidende Voraussetzung ist,
weil wir nur in der Kombination von Wachstum und rigider Haushaltskonsolidierung, rigider Ausgabenbegrenzung vorankommen. Wir haben das Ziel ja auch erreicht.
({19})
- Das frage ich Sie auch.
Deutschland
({20})
verzeichnet wieder ein Wachstum.
({21})
Ich erinnere mich übrigens lebhaft, dass Herr
Austermann vor einem Jahr im Haushaltsausschuss erklärt hat, von mehr als 1 Prozent Wachstum dürfe man
nicht ausgehen. Wir haben 1,5 bis 2 Prozent Wachstum
veranschlagt und gesagt: eher am unteren Rand. Nun
werden es deutlich mehr als die 1,5 Prozent sein. Wir
werden nach drei Jahren - ich freue mich darüber - das
erste Mal wieder die Situation haben - laut vieler Prognosen -, dass wir im Laufe des Jahres nicht weiter nach
unten korrigieren müssen, sondern dass wir, jedenfalls
was die Wachstumsprognose für dieses Jahr angeht, nach
oben korrigieren können! Das wollen wir einmal festhalten.
({22})
- Ich finde es besonders lustig, Dass Sie ankündigen, Sie
wollten wegen dieses Haushaltes nach Karlsruhe gehen.
({23})
- Das ist ja noch schöner! Wann wachen Sie eigentlich
auf, Herr Austermann? Wir haben bereits bei der Einbringung des Haushaltes im Zusammenhang mit dem
Vorziehen der Steuerreform gesagt: Dies setzen wir ein,
um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwenden, um aus der Stagnation herauszukommen und ins Wachstum hineinzukommen. Seitdem
entspricht der Haushalt Art. 115 Grundgesetz! Bis zu Ihrer Kritik haben Sie also viele Monate gebraucht.
({24})
Wenn Sie in Karlsruhe sind, verehrter Herr
Austermann, dann klagen Sie wahrscheinlich auch sofort
gegen Niedersachsen und gegen Hessen, weil die Regierungen dort für nächstes Jahr Haushalte einbringen, bei
denen die Neuverschuldung
({25})
höher ist als die Investitionen,
({26})
die also in schöner Isolierung, abseits des Bundes, die
Erklärung abgeben, es gebe eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die es abzuwenden
gelte.
Unsere Politik des Dreiklangs hat gewirkt. Ich will
das am Beispiel der Gesundheitsreform deutlich machen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir zum
ersten Mal seit zehn Jahren einen Überschuss, von
2,5 Milliarden Euro.
({27})
Im ersten Halbjahr 2003 hatten wir noch ein Defizit von
2 Milliarden Euro. Damit haben wir einen positiven
Saldo von 4,5 Milliarden Euro, hochgerechnet auf das
ganze Jahr wahrscheinlich etwa 9 Milliarden Euro.
({28})
Hier zeigt sich, dass die Reformen wirken. Die nächste
- Hartz IV - tritt ja zum 1. Januar nächsten Jahres in
Kraft.
Mit anderen Worten - das kann man der ganzen Entwicklung in Deutschland auch ansehen -: Das Problem
ist nicht, dass wir kein wettbewerbsfähiges Land wären
- wir sind äußerst wettbewerbsfähig -, das Problem ist,
dass die Binnennachfrage noch nicht richtig angesprungen ist.
({29})
Genau das zeigt sich ja auch wieder an den Steuereinnahmen. Wir sind ein äußerst wettbewerbsfähiges Land
und es ist völlig daneben, wenn Sie ausgerechnet solche
fundamentalen Managementfehler, wie sie zum Beispiel
bei Opel gemacht worden sind, als Argument gegen den
Standort Deutschland verwenden.
({30})
So reden Sie dieses Land schlecht. Wenn Sie einmal bei
Ernst & Young nachschauen, was internationale Manager antworten, wenn sie befragt werden, wo sie am liebsten investieren, werden Sie feststellen: Der erste Standort heißt China, der zweite die USA, der dritte Standort
heißt Deutschland.
({31})
Das ist die Wirklichkeit.
Mit anderen Worten: Deutschland ist äußerst wettbewerbsfähig, aber wir brauchen mehr Binnenmarktnachfrage. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen.
Herr Minister, ich darf Sie nur daran erinnern, dass
die Überschreitung der für Sie angemeldeten Redezeit
auf Ihre Fraktionskollegen angerechnet wird.
({0})
Ich bedanke mich und komme sofort zum Schluss.
Ich weise darauf hin, dass der Dreiklang aus Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen auch für nächstes Jahr gilt.
({0})
Mir ist die NKA, die Nettokreditaufnahme, die wir dieses Jahr vornehmen müssen, zu hoch. Das können Sie
aber nicht beklagen: Wer in 16 Jahren 580 Milliarden
Euro Schulden gemacht hat, der ist nicht in der entsprechenden Lage, sich hier als Ankläger darüber aufzuspielen, dass wir in sechs Jahren 120 Milliarden Euro Schulden gemacht haben.
({1})
In der Tat: Die Nettokreditaufnahme könnte niedriger
sein, wenn Sie im Bundesrat nicht jedes Mal aus rein
parteitaktischen Gründen den Abbau der Steuersubventionen so blockiert hätten, wie Sie das getan haben.
({2})
Das weiß jeder im Lande. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Deswegen sind Ihre Reden in diesem Zusammenhang Heuchelei.
Ich bitte um die Zustimmung zum Nachtragshaushalt 2004.
({3})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon erstaunlich, dass der Bundesfinanzminister bei der Einbringung seines Nachtragshaushalts
vergessen hat, eine Zahl hier vorzutragen. Es geht um
43,7 Milliarden Euro Schulden, die wir in diesem Jahr
aufnehmen. Das ist entlarvend. Dass Sie sich nicht schämen, der Schuldenkönig von Deutschland zu sein! Es ist
ein schwarzer Tag für die deutsche Finanzpolitik und vor
allen Dingen für die Bürgerinnen und Bürger, die als
Steuerzahler diesen Betrag später wieder aufbringen
müssen.
({0})
Hans Eichel ist der Schuldenkönig von Deutschland.
Sie tragen eine blamable Krone. Lieber Herr Eichel, die
Steuerzahler und -zahlerinnen wissen: Die Schulden von
heute - Sie muten uns eine erneute Steigerung der Nettokreditaufnahme zu - sind die Steuererhöhungen von
morgen.
({1})
Eine so fundamentale Ankündigung zukünftiger Steuererhöhungen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland überhaupt noch nicht gegeben.
({2})
Sie haben vorhin davon gesprochen, Sie würden sich
für das wirtschaftliche Wachstum einsetzen. Dieser Tag
ist aufgrund des Nachtragshaushalts ein schwarzer Tag
für das wirtschaftliche Wachstum; denn Sie als
Finanzminister glauben offenbar, dass man mit Schulden
Wachstum kaufen kann. Diese Einschätzung ist falsch.
Für diese fatale Fehleinschätzung müssen die Bürgerinnen und Bürger mit einer hohen Arbeitslosigkeit bezahlen.
Ein Blick auf die Zahlen hilft uns, aufzuklären. Im
Jahre 2000 hatten wir ein starkes wirtschaftliches
Wachstum, nämlich mehr als 3 Prozent,
({3})
und einen Überschuss im staatlichen Gesamthaushalt.
Im letzten Jahr waren eine wirtschaftliche Schrumpfung
- unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist fundamental gesunken - und ein hohes Defizit zu verzeichnen.
Dies zeigt: Konsolidierung und Überschüsse in den
Haushalten fördern das wirtschaftliche Wachstum und
die Beschäftigung. Schulden fördern den wirtschaftlichen Abstieg. Das ist die wirtschaftspolitische Wahrheit,
die heute ausgesprochen werden muss.
({4})
Als Christdemokraten haben wir im Übrigen gute Erfahrungen mit der Konsolidierung gemacht.
({5})
Als wir die Bundesregierung Anfang der 80er-Jahre
übernommen haben, haben wir durch Konsolidierung
wirtschaftliches Wachstum hervorgerufen. Sie sollten
Abschied von den nachfrageorientierten Theorien des
letzten Jahrhunderts nehmen. Die Bundesregierung ist
nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wer Schulden macht,
der muss die Steuern erhöhen und der behindert wirtschaftliches Wachstum. Schulden sind die Ursache für
die derzeitige Situation und nicht die Lösung, um zum
gegenwärtigen Zeitpunkt aus der wirtschaftlichen Krise
zu kommen.
({6})
Herr Bundesfinanzminister, ich finde es einigermaßen
verwunderlich, dass Sie hier im Deutschen Bundestag
sagen, Deutschland befinde sich im Wachstum. Gleichzeitig legen Sie nämlich einen Nachtragshaushalt vor,
bei dem Sie von der Grundannahme der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausgehen. Sie
müssen sich schon für irgendetwas entscheiden. Entweder erklären Sie den Deutschen, es gehe mit dem wirtschaftlichen Wachstum aufwärts, oder Sie sagen den
Deutschen, es gehe uns so schlecht, dass wir mehr
Schulden machen dürfen, als es gemäß der Verfassung
zulässig ist. Beides zusammen geht nicht. Sie sind bei
Ihren finanzpolitischen Aussagen völlig orientierungslos.
({7})
Herr Bundesfinanzminister, diese Orientierungslosigkeit in Ihrer Finanzpolitik zeigt auch, dass Sie diesem
Nachtragshaushalt eine völlig falsche Ursachenanalyse
zugrunde legen. Lieber Schuldenkönig, in der Begründung für die Schuldenexplosion wird auf ein schwieriges
weltwirtschaftliches Umfeld hingewiesen. Nicht die
Weltwirtschaft ist das Problem in Deutschland. Nein, sie
wächst dreimal so schnell wie die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Die Weltwirtschaft wächst so
stark wie seit 25 Jahren nicht mehr. Diese Wachstumsraten hätten wir in der Bundesrepublik Deutschland gerne.
({8})
Unsere Probleme sind hausgemacht. Sie sind von dieser
Regierung hervorgerufen.
({9})
Wer keine ehrliche Ursachenanalyse betreibt, der kann
auch nicht zu den richtigen Rezepten kommen.
Wir brauchen zweierlei in Deutschland: Erstens: Wir
brauchen eine Politik, die das Wachstumspotenzial dieser Volkswirtschaft endlich wieder nach oben bringt. Die
Wachstumspotenzialraten kriechen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt bei 1 bis 1,5 Prozent herum. Wir brauchen ein
Mehr an wachstumsinduzierten Steuereinnahmen. Steuereinnahmen müssen durch Wachstum zunehmen, nicht
dadurch, dass Sie bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern abkassieren, indem Sie ständig die Steuern erhöhen.
({10})
Das ist ein wesentlicher Unterschied in der Finanzpolitik
zwischen Regierung und Opposition.
({11})
Zweitens: Wir brauchen einen Ausgabenrückgang,
insbesondere beim staatlichen Konsum. Herr Eichel, Sie
haben hier gerade den Eindruck erweckt, als würden Sie
weniger ausgeben. Tatsache ist: In diesem Jahr werden
25 Milliarden Euro mehr ausgegeben als zum Regierungswechsel 1998. Und dieser Mann spricht von Konsolidierung!
({12})
Sie leben fernab der fiskalpolitischen Wirklichkeit. Das
ist ein Schaden für Deutschland.
({13})
Zum Schaden für die Menschen in diesem Land ist
Ihnen auf dem Weg zu mehr Wachstum ein Faktor verloren gegangen, nämlich der Wachstumsfaktor Vertrauen.
Dass Sie den Deutschen Bundestag vorsätzlich falsch
über die tatsächliche finanzielle Lage informieren, ist
schlimm, aber nicht der fatalste Vertrauensverlust. Damit
rechnen wir bei Ihnen.
Schwerer wiegt das ständige Hin und Her in der
Finanzpolitik, das keinen klaren Kurs erkennen lässt.
Ihre andauernd wechselnden finanzpolitischen Daten,
die Diskussion über Mindestlöhne, Ihre Hauruckprivatisierungen und vieles andere mehr haben bei den Menschen dazu geführt, dass Vertrauen und Zuversicht völlig
verschwunden sind. Stattdessen sind private Konsumenten und Investoren stark verunsichert. Wer aber nicht
weiß, wie es weitergeht, wie hoch seine steuerliche BeSteffen Kampeter
lastung im nächsten Jahr sein wird oder ob die Bundesregierung wieder irgendeinen Irrsinn verzapft, der konsumiert und investiert nicht. Er kauft im Übrigen auch
nicht mehr bei Opel und bei Karstadt, weil er Angst um
seine Zukunft hat. Die Quelle dieser Angst ist die
Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
({14})
Wie fernab Sie jedweder Seriosität argumentieren,
zeigt sich daran, dass Sie gebetsmühlenhaft behaupten,
die Opposition hindere Sie über den Bundesrat an der
Konsolidierung des Bundeshaushalts. Vor mir liegt das
Finanztableau des Vermittlungsausschusses. Darin
steht, dass die Bundesregierung über den gesamten
Finanzplanungszeitraum Steuermehreinnahmen in Höhe
von 24,542 Milliarden Euro vorgeschlagen hat. Durch
die Veränderung der Kräfte im Bundesrat sind von diesen 24,542 Milliarden Euro beim Bund Mindereinnahmen von 388 Millionen Euro ausgewiesen. Sie haben bei
einer Neuverschuldung von mehr als 43 Milliarden Euro
allein in diesem Jahr die Behauptung aufgestellt, wir hätten die Konsolidierung verhindert, während Ihre eigenen
Zahlen belegen, dass Sie lediglich Mindereinnahmen
von 388 Millionen Euro haben. Ein Finanzminister, der
die Öffentlichkeit so schäbig täuscht oder unfähig ist,
diese Zahlen richtig zu interpretieren, der darf dieses
Land nicht führen oder er führt es in den Ruin.
({15})
Sie sind ein zahnloser Tiger, eine tragische Figur der
Finanzpolitik in der Bundesrepublik. Sie haben im Kabinett ja überhaupt keine Durchschlagskraft mehr. Ein Finanzminister in der Krise muss vor allen Dingen eines
sein: ein Wachstumsminister. Er muss an der Spitze der
Reformbewegung stehen. Aber Sie, Herr Minister
Eichel, lieber Schuldenkönig, Sie sind lediglich der
Buchhalter. Wie ein Notar - dafür werden Sie gut bezahlt - stellen Sie fest: Auf die Krise gibt es nur eine
Antwort: Schulden, Schulden, Schulden!
Stattdessen müssten Sie an der Spitze der Arbeitsmarktreformen stehen. Sie müssten an der Spitze der
Entbürokratisierung stehen. Sie müssten an der Spitze
der Bewegung für die Sozialreformen stehen. Sie müssten mit den Kollegen in den Ressorts endlich einmal
kämpfen, damit diese weniger ausgeben. Wir in der
Union wissen, wie schwierig es ist, in der Sozialpolitik
gemeinsame Positionen zu finden. Sie können sich gerne
bei uns darüber informieren, wie man solche Diskussionen organisiert. Aber Sie sind lediglich der Zuschauer
des Abstiegs dieses Landes. Die Bertelsmann Stiftung
hat gerade festgestellt: Bei einem internationalen Standort-Ranking von 21 Industrienationen nimmt die Bundesrepublik Deutschland den letzten Platz ein. Das ist
eine Katastrophe.
Wir wollen mehr aus Deutschland machen. Das ist die
Aufgabe für unser Land.
({16})
Wir wollen es nicht schlechtreden.
Sie haben jetzt nicht mehr die Zeit, dies noch auszuführen.
Wir müssen diesen Nachtragshaushalt nüchtern und
realistisch analysieren.
({0})
Er belegt schwarz auf weiß das Scheitern der rot-grünen
Finanzpolitik. Er vertagt die notwendigen Entscheidungen in unserem Land und belastet die zukünftigen Generationen. Dieser Tag ist ein schlechter Tag für Deutschland.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Franziska
Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Kampeter, das war eben ein ochsenfroschmäßiger Schaufensterbeitrag,
({0})
der nichts anderes als dümmliche Schuldzuweisungen
enthielt,
({1})
statt ernsthaft darzustellen,
({2})
wie das Problem entstanden ist. Da gehört die Mitverantwortung des Bundesrats und der CDU/CSU und der FDP
genauso auf den Tisch wie die Verantwortung der Koalition. Die Bevölkerung will Lösungen sehen und nicht
solche dümmlichen Sprüche hören.
({3})
Glauben Sie denn, dass sich irgendjemand von Ihren
Sprüchen auch nur die geringste Lösung verspricht? Das
darf doch nicht wahr sein.
({4})
Dass wir, die Koalition, diesen Nachtragshaushalt
nicht gerne vorlegen, ist völlig klar. Niemand legt gerne
einen Nachtragshaushalt mit einer Nettokreditaufnahme
in Höhe von über 14 Milliarden Euro vor. Das ist völlig
klar. Da reden wir uns nicht heraus. Sie müssen aber die
Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Solange Sie das nicht
tun, verschärfen Sie die Probleme unseres Landes. Sie
führen unser Land in eine riesige Haushaltsnot,
({5})
weil Sie im Vermittlungsverfahren das Steuervergünstigungsabbaugesetz abgelehnt haben, obwohl Sie ganz
genau wissen, dass das allein im Entstehungsjahr ein Volumen von 17 Milliarden Euro hatte. Sie haben nur einer
Summe von 2,4 Milliarden Euro zugestimmt, sodass wir
im Entstehungsjahr auf einem Defizit von 14,5 Milliarden Euro sitzen geblieben sind.
({6})
Im letzten Jahr haben Sie beim Vermittlungsverfahren
zum Haushalt unserem Haushaltsbegleitgesetz nicht Ihre
Zustimmung gegeben. Sie schreien noch heute, wenn Sie
das Wort Eigenheimzulage hören und machen sich regelrecht nass, weil Sie nicht in der Lage sind, eine solche
Subvention in Höhe von heute 11 Milliarden Euro abzubauen. Stattdessen stellen Sie im Haushaltsausschuss
Anträge, 50 000 Euro bei Dienstreisen, Sachverständigen und Konferenzen einzusparen, und meinen, das
würde zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Ich
glaube, Sie haben die Dimension des Problems und die
Dimension der Steuersubventionen völlig aus dem Blick
verloren. Die Steuersubventionen müssen abgebaut werden, damit wir unseren Haushalt konsolidieren können.
({7})
Ich erwarte auch diesmal wieder ein absolut peinliches Vermittlungsverfahren. Jetzt gerieren Sie sich im
Haushaltsausschuss als kleine Könige, die hier und da
das Hemd um zehn Zentimeter kürzen, aber im Vermittlungsausschuss behaupten Sie wieder, dass Sie die Streichung der Eigenheimzulage niemandem zumuten könnten.
({8})
- Doch, ich habe die Zahlen sehr wohl im Blick. Das ist
das Problem. Sie wollen bei kleinen Summen sparen und
beispielsweise die finanzielle Ausstattung der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung beschneiden, weil Sie meinen, damit könnten Sie Probleme in einer Größenordnung von Milliarden Euro lösen. Wenn aber Ihre
Verantwortung gefragt ist, nämlich im Vermittlungsverfahren, dann kneifen Sie und sagen, dass Sie der Bevölkerung beispielsweise die Streichung der Eigenheimzulage nicht zumuten können. Im vorigen Jahr haben Sie
genauso bei der Entfernungspauschale gekniffen. Sie haben bei dem mutigen Einschnitt, von dem wir sehr wohl
wissen, dass er der Bevölkerung und insbesondere den
Arbeitnehmern viel zumutet, gekniffen. Daher weiß ich
überhaupt nicht, warum Sie sich hier ständig aufblasen.
Das ist schon fast peinlich.
({9})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Austermann?
Ja, ich gestatte sie.
Frau Kollegin, ich habe mich bloß gemeldet, damit
Sie Gelegenheit bekommen, Luft zu holen.
Das ist ja wunderbar. Ich trinke Wasser. Prost!
Meinetwegen können Sie auch etwas trinken, damit
Sie sich nass machen können, wie Sie eben gesagt haben.
Jetzt reicht es aber, Herr Austermann.
Sie haben darauf hingewiesen, dass wir uns im Vermittlungsausschuss verweigert hätten. Sind Sie erstens
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Bundesfinanzminister in dem Finanztableau, das Herr Kollege
Kampeter vorhin erwähnt hat, Vorschläge für die Kürzung von Subventionen in der Größenordnung von
24,5 Milliarden Euro im gesamten Jahresverlauf gemacht hat und wir der Kürzung um 22,7 Milliarden Euro
zugestimmt haben?
Nein!
Doch. Die Differenz beträgt genau 1,834 Milliarden
Euro.
Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass die Behauptung, wie hätten uns grundsätzlich
verweigert, falsch ist und dass im Rahmen der von uns
gemeinsam beschlossenen Kürzungsvorschläge eine
30-prozentige Kürzung der Eigenheimzulage vorgesehen war? Sind Sie bereit, das zuzugeben?
Ich bin erstens insofern nicht bereit, das zuzugeben,
als Sie sich auf das erste Jahr beziehen. Man muss sich
aber auf das Entstehungsjahr beziehen, weil wir den
Haushalt langfristig konsolidieren müssen und nicht einfach nur eine kleine Ad-hoc-Kalkulation machen können.
({0})
Das Problem besteht nämlich darin, dass Sie das nicht
mittragen.
Des Weiteren ist es, wie Sie alle wissen, notwendig
- weil der Aufwuchs der Steuereinnahmen trotz des zurzeit zu verzeichnenden Wachstums nicht so hoch ist, wie
wir alle dies erhofft haben -, sowohl die im vorigen Jahr
gemeinsam beschlossenen als auch weiter gehende Kürzungen vorzunehmen. Darüber diskutieren wir heute.
Es nützt nichts, immer wieder zu fragen, wer welchen
Anteil an den vorhandenen Schulden hat. Heute müssen
wir vielmehr diskutieren, was jetzt getan werden muss,
um die Probleme zu lösen. Insofern kommen Sie nicht
darum herum, sich zur Eigenheimzulage und zu weiteren
Paketen zum Subventionsabbau zu verhalten und Ihrerseits dazu Vorschläge zu machen.
Womit wir auf keinen Fall klarkommen, ist die Art
und Weise, in der Sie derzeit in den Haushaltsberatungen
verfahren. Das gilt auch für die FDP, die in etwas rigiderer und teilweise völlig absurder Form die Meinung vertritt, wir könnten an den Zuschüssen und Beiträgen, die
wir für die internationalen Organisationen zahlen müssen - dazu sind wir verpflichtet -, wild herumstreichen.
({1})
Das nennen Sie Haushaltskonsolidierung, obwohl man
genau weiß, dass die auf diese Weise eingesparten Mittel
nach einem halben Jahr wieder als überplanmäßige Ausgabe anfallen. Dabei handelt es sich nicht um eine reale
Einsparung; es sieht nur auf dem Papier schön aus.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kampeter?
Nein, ich habe keine Lust, diesen Streit fortzusetzen.
({0})
Wir können ihn sachlich im Haushaltsausschuss weiterführen, wo wir das Thema weiter beraten werden. Wir
sind sehr gespannt auf Ihren Beitrag dazu.
Ich möchte noch eines feststellen, weil ich glaube,
dass das, was wir heute diskutieren, bei der Lösung der
bestehenden Probleme nicht weiterhilft: Wir wissen
- ich habe das in der ersten Beratung des Haushaltsgesetzes schon ausgeführt -, dass die Koalition und die
Opposition aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat aufeinander angewiesen sind. Von daher kommen
wir mit einem Pingpongspiel, wie es eben dargestellt
wurde, nicht weiter. Notwendig ist vielmehr, dass wir
uns aufeinander zubewegen, wenn wir in der Sache etwas bewirken wollen. Das heißt - ich wiederhole meinen Vorschlag -: Wir brauchen einen langfristigen Konsolidierungspakt, der mit dem klaren und eindeutigen
Abbau der Steuersubventionen beginnt. Das betrifft an
erster Stelle die Eigenheimzulage, bei der Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit einem ersten Test unterzogen
wird. Dabei geht es aber auch um die Entfernungspauschale, die Mehrwertsteuer auf Flugbenzin und andere
Subventionen bis hin zur Wohnungsbauprämie und dem
Dienstwagenprivileg. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die auch uns keinen großen Spaß machen, die aber
dringend notwendig sind, wenn wir vorankommen wollen.
Erst wenn wir gemeinsam bereit sind, einen solchen
Konsolidierungspakt zu beschließen und klare Verabredungen zwischen Bund und Ländern zu treffen, werden
wir aus der Misere herauskommen. Das einfache Hoffen
und Warten auf Wachstum hilft nicht, weil wir lernen
müssen, dass die Steuereinnahmen nicht proportional
zum Wachstum steigen. Das gilt besonders für den
Bund, aber auch für die Länder und Kommunen.
Insofern fordere ich Sie auf, endlich konstruktiv an einer Lösung der Probleme mitzuarbeiten, statt weiter mit
uns zu streiten, während die Probleme immer schlimmer
werden.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich finde es etwas unfair,
sich hier als solide Haushaltspolitikerin zu präsentieren,
aber dann, wenn es im Haushaltsausschuss, der in den
letzten Tagen über den Haushaltsplan 2005 beraten hat,
an das Eingemachte geht, sämtliche Einsparanträge abzulehnen. Wir befinden uns mitten in den Beratungen
und Sie haben alle Kürzungsvorschläge beispielsweise
der FDP abgelehnt. Bei den Grünen ist nichts mit solider
Haushaltspolitik.
({0})
- Da Sie dazwischenrufen, möchte ich Ihnen sagen, dass
mich die Haushaltspolitik der Grünen an Schnittlauch erinnert: außen grün, innen hohl, nichts anderes.
({1})
Herr Eichel, bereits in den Haushaltsberatungen haben wir von der FDP-Fraktion darauf hingewiesen, dass
Ihr Haushaltsplan unrealistisch ist. Auf der Einnahmeseite hatten Sie geschönte Zahlen und auf der Ausgabenseite war zum Beispiel die Arbeitslosigkeit unterfinanziert. Das konnte einfach nicht gut gehen. Wenn Sie
heute behaupten, eigentlich hätten Sie schon im Mai
gewusst, dass Sie einen Nachtragshaushalt vorlegen
müssen, dann frage ich Sie, warum Sie keine Haushaltssperre verhängt und kein Haushaltssicherungsgesetz
verabschiedet haben.
({2})
Alle Möglichkeiten, die Sie als Bundesfinanzminister
haben, haben Sie nicht genutzt. Sie haben gar nichts gemacht.
({3})
Der Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2004 ist
das Dokument eines haushaltspolitischen Scherbenhaufens, den Sie uns seit Jahren präsentieren und der noch
immer wächst. Herr Minister Eichel, Sie sind zum
Schuldenminister geworden. Darauf hat der Kollege
Kampeter schon hingewiesen. Ich finde es traurig und
tragisch - das gilt genauso für Ihre heutige Rede -, dass
die Koalition die Aufnahme von so vielen Schulden auch
noch beklatscht. Herr Minister Eichel, inzwischen habe
ich den Eindruck, dass die Koalition auch dann klatschen würde, wenn Sie das Telefonbuch von Kassel vorlesen und als Erfolg Ihrer Haushaltspolitik verkaufen
würden.
({4})
Die FDP hat Sie rechtzeitig darauf hingewiesen, dass
Sie einen unrealistischen Haushaltsplan für 2004 vorlegen und dass Sie gezwungen sein werden, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Sie haben das abgestritten.
Das hat Ihr Staatssekretär im Haushaltsausschuss ebenfalls getan und behauptet, es gebe 2004 keinen Nachtragshaushalt. Aber jetzt müssen Sie einen präsentieren.
Ich füge noch hinzu: Das wird nicht der letzte Nachtragshaushalt in diesem Jahr sein. Sie sind so pleite und
haben dieses Land so heruntergewirtschaftet, dass Sie in
diesem Jahr noch einen Nachtragshaushalt vorlegen
müssen. Das hat Ihre Rede bestätigt. Kommen Sie außerdem nicht immer mit neuesten Nachrichten. Auch ich
habe eine neueste Nachricht. Heute melden die Nachrichtenagenturen - das wird von Ihrem Haus bestätigt -,
dass die Einnahmen und Ausgaben so weit auseinander
klaffen, dass Sie bereits bei 53,7 Milliarden Euro Miesen
sind. Ihr Nachtragshaushalt reicht also überhaupt nicht.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie verlangen
heute, dass der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts auch Ihre Verfehlungen in
der Etatplanung, die Verletzung von Vorschriften, deren
Einhaltung zu einer soliden Haushaltspolitik gehört, Verstöße gegen das Grundgesetz und eine gigantische Nettoneuverschuldung absegnet. Das können Sie mit uns
nicht machen und das können Sie von uns auch nicht erwarten.
({5})
Statt 29,3 Milliarden Euro sollen nun 43,7 Milliarden
Euro neue Schulden aufgenommen werden. Damit Sie
wissen, wie das optisch aussieht, halte ich einmal ein
Schild hoch, auf dem Ihre Schuldenzahl geschrieben
steht. Frau Eichstädt-Bohlig, die Aufnahme von so vielen Schulden ist unsolide und eine Belastung der zukünftigen Generationen, die für die Folgen der Politik von
Rot-Grün zahlen müssen. Das ist ein einziger Skandal.
({6})
Wenn man die Begründung Ihres Gesetzentwurfs
liest, dann stellt man fest, dass alles an den Haaren herbeigezogen ist. Sie räumen zwar ein - das können wir
nur bestätigen -, es gebe eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Aber dann behaupten Sie
- das ist wirklich eine abenteuerliche Begründung der
Bundesregierung für den Nachtragshaushalt -, Deutschland sei von der weltwirtschaftlichen Abkühlung betroffen und diese werde durch die Terroranschläge sowie die
Spannungen und die Kriegsereignisse im Mittleren Osten verstärkt. Das habe die Konsumenten verunsichert.
Gleichzeitig behauptet die Bundesregierung, die leichte
Konjunkturerholung lasse sich auf die dynamische Auslandsnachfrage zurückführen. Ich habe den Eindruck,
dass das außer Deutschland kein anderes Land betrifft.
Wenn Sie sich die Zahlen der anderen Länder anschauen,
dann werden Sie feststellen, dass diese gar nicht so
schlecht dastehen. Herr Kampeter hat bereits darauf hingewiesen, dass wir froh wären, wenn wir solche Zahlen
vorweisen könnten. Sie ziehen alles an den Haaren
herbei. Schuld haben immer die anderen: das Ausland,
insbesondere die USA, oder - wenn es gar nicht mehr
anders geht - die Opposition. Nur der Bundesfinanzminister hat keine Schuld.
({7})
Ich komme zum Schluss. Die Bürger haben Ihre Politik längst durchschaut. Gestern wurde eine Umfrage
veröffentlicht, wonach 83 Prozent der Deutschen der
Auffassung sind, dass die Bundesregierung bei der Eindämmung der Staatsverschuldung keine gute Arbeit leistet. 83 Prozent der Bürger! Mit dem Nachtragshaushalt
2004 hat Bundesminister Eichel seinen haushaltspolitischen Bankrott erklärt. Ihnen bleibt eigentlich nur noch
der Rücktritt; er würde in Deutschland mit Erleichterung
zur Kenntnis genommen. Herr Minister, Sie sollten
wirklich zurücktreten. Dies würde in Deutschland für ein
Anspringen der Konjunktur sorgen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Schöler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sonst
hat immer der Kollege Austermann den Rücktritt des Finanzministers gefordert. Heute gibt es offenbar eine Arbeitsteilung.
({0})
Diese Aufgabe hat Kollege Koppelin übernommen. Man
müsste einmal in den Protokollen nachsehen, wie oft Sie
ihn gefordert haben. Jede Rücktrittsforderung ist eine
Niederlage für Sie, die Sie wahrscheinlich noch sehr
häufig erleben werden.
({1})
Fordern Sie den Rücktritt ruhig weiter. Wir gestalten unseren Haushalt und unsere Reformpolitik, während Sie
Beiträge schuldig bleiben.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nicht angenehm, einen Nachtrag zu präsentieren, obwohl er weder einen Mangel noch eine Sünde darstellt. Nachträge
dienen einer Korrektur aufgrund neuer Entwicklungen.
Insbesondere dann, wenn ein Haushalt auf der Basis von
Schätzungen nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellt worden ist, ist ein Nachtrag überhaupt nichts Falsches. Die Entwicklungen, die zu diesem Nachtragshaushalt geführt haben, wollen wir uns jetzt einmal
ansehen.
Zunächst geht es um Prognosen. Wer hat diese Prognosen erstellt?
({3})
Unabhängige Institute und Einrichtungen. Was ist aus
den Prognosen der letzten Jahre geworden? Wir alle wissen es und können es an den Statistiken nachvollziehen:
Leider sind die Prognosen nicht eingetreten; die Realität
ist auch in diesem Jahr eine andere gewesen. Deshalb
müssen wir die Planung mittels eines Nachtragshaushalts dieser Realität anpassen.
Eine solche Anpassung macht allerdings nur dann
Sinn, wenn man nicht wie Sie mit der Stange im Nebel
herumstochert,
({4})
sondern klare Zahlen auf den Tisch legt. Deshalb haben
wir darauf gewartet, dass die September-Zahlen vorliegen.
Sie können uns auch deshalb nicht den Vorwurf machen, der Nachtrag sei verspätet vorgelegt worden, weil
Sie ganz genau wissen, dass bereits nach der Steuerschätzung im Mai erklärt wurde, es gebe eine Deckungslücke von 10 bis 11 Milliarden Euro. Über diese Planabweichung sind Sie im Haushaltsausschuss sehr detailliert
informiert worden. Angesichts der diesjährigen Achterbahnfahrt bei den Steuereinnahmen musste man mit der
Vorlage exakter Daten unbedingt bis jetzt warten.
Unmittelbar nach Vorliegen der neuen Zahlen hat der
Finanzminister den Nachtragshaushalt vorgelegt.
Wir alle wissen, dass es bedauerlicherweise seit Mai
eine weitere Verschlechterung der Steuerbasis gegeben
hat. Deshalb beraten wir jetzt über einen Nachtrag mit
einer zusätzlichen Deckungslücke von 14,4 Milliarden
Euro. Die Zahlen, die Sie, Kollege Koppelin, gerade in
die Welt gesetzt haben ({5})
- 14,4 Milliarden Euro, lieber Kollege Austermann.
({6})
Ich habe einmal nachgerechnet und bin zu dem Ergebnis
gekommen,
({7})
dass es im Hinblick auf Ihre Prognosen zu den letzten
fünf Haushalten 4 : 1 gegen Sie steht.
Die Wirtschaft wächst zwar - dies wissen auch Sie -,
aber das macht sich bei den Steuereinnahmen noch nicht
bemerkbar, weil sich die Binnennachfrage nicht so stabilisiert hat, wie wir es wahrscheinlich alle erhoffen.
Das Gesamtdefizit mit nun 43,7 Milliarden Euro ist
auch uns viel zu hoch; dies räume ich durchaus ein. Aber
schauen wir uns einmal die Ursachen an: Den größten
Anteil an der Deckungslücke hat nicht die Ausgabenseite, wie Sie immer behaupten.
({8})
Wären bei den Ausgaben umfangreiche Einsparungen
möglich gewesen, hätten Sie bei der Beratung des Haushalts 2004 nicht 326 leere Änderungsanträge abgeliefert,
ohne einen einzigen Änderungsvorschlag zu machen.
Sie haben ja selbst keine Möglichkeiten zur Einsparung
gesehen.
({9})
Sie haben Ihre Arbeit zumindest nicht erledigt.
Richtig ist, dass wir über die ganzen Jahre Konsolidierungspolitik betrieben und die Ausgaben eng begrenzt haben.
({10})
Wir haben das Konzept von Koch und Steinbrück nach
den Festlegungen im Vermittlungsausschuss umgesetzt
und globale Einsparungen in Höhe von weiteren
2 Milliarden Euro im Haushalt verankert.
({11})
Diese sparsame Ausgabenlinie wird auch im Haushalt
2005 verfolgt werden. Dies werden Sie in den weiteren
Haushaltsberatungen noch feststellen können. Die
zweite Stufe des Koch/Steinbrück-Konzepts wird umgesetzt werden. Die globalen Einsparungen von
2 Milliarden Euro aus 2004 werden auf 2005 überwälzt;
zusätzlich wird noch 1 Milliarde Euro eingespart werden.
Vergleichen wir 2005 mit 1998, Ihrem letzten Regierungsjahr, so sind über diesen langen Zeitraum die Ausgaben preisbereinigt um 1,6 Milliarden Euro oder
0,7 Prozent gesunken. Wir haben also gewaltig konsolidiert. Das war oft sehr schmerzhaft; das wissen wir. Sie
haben das nie zustande gebracht.
Ihre Behauptung, Herr Austermann, die Sie immer
wiederholen, wir würden nicht sparen, sondern kräftig
mehr ausgeben,
({12})
ist einfach gelogen. Die Ausgaben haben wir im Griff,
aber die dreijährige Stagnation hat die Einnahmeseite
verhagelt.
({13})
13 Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen müssen
wir verzeichnen.
Sie können hier Statistiken vortragen, so viel Sie wollen. Wir haben natürlich unsere
({14})
und das sind offensichtlich die richtigen, die offiziellen.
Sie tragen eine wesentliche Verantwortung für die
Einnahmeausfälle; denn Sie haben im Vermittlungsverfahren unsere Vorschläge zum Steuervergünstigungsabbaugesetz und zum Haushaltsbegleitgesetz nicht mitgetragen. Schreiben Sie sich die Zahlen noch einmal genau
auf!
({15})
Sie haben mit Ihrer Blockade Einnahmeverbesserungen in Höhe von 25 Milliarden Euro für die Jahre 2004
bis 2006 verhindert.
({16})
Sie haben unserem Land damit nachhaltig geschadet.
({17})
Über diesen Zeitraum von drei Jahren stünde der Bund
um 10,6 Milliarden Euro besser da, die Länder - sie haben auch riesige Haushaltsprobleme - um 9,9 Milliarden
Euro und die Gemeinden um 4,4 Milliarden Euro. Das
alles geht auf Ihre Kappe.
({18})
Sie haben bis 1998 riesige Schuldenberge angehäuft,
in Zeiten, in denen die konjunkturelle Lage wesentlich
besser war als heute. Das war Ihr Fehler.
({19})
In den Zeiten, in denen man es sich erlauben konnte zu
sparen - ich nehme die Zeit der Herstellung der deutschen Einheit ausdrücklich aus -, haben Sie Schuldenberge angehäuft, die uns heute belasten. Wir können uns
darüber streiten, wer Schuldenweltmeister ist oder
bleibt. Es bleibt so lange Theo Waigel, wie seine Schuldenaufnahme gemessen am Bruttoinlandsprodukt höher
ist als die des Finanzministers Eichel.
({20})
Ich will Ihnen nur noch sagen: Wir halten uns an
Art. 115 Grundgesetz. Wir wollen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überwinden. Angesichts der viel zu hohen Arbeitslosigkeit kann es doch
gar keinen Zweifel daran geben, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nach wie vor gestört ist.
({21})
Es kann nicht ernsthaft die Alternative sein, jetzt eine
- falsche - Sparpolitik zu betreiben, insbesondere durch
Kürzungen und Abbruch von Investitionsprojekten. Genau das würde die Stabilisierung der Binnennachfrage
aufs Höchste gefährden. Deshalb sind diese Vorschläge
überhaupt nicht handelbar. Deshalb würde deren Umsetzung uns nur schaden.
Im Übrigen: Es geht hier nicht um Peanuts. Wir reden
über rund 15 Milliarden Euro. Das sind 0,7 vom Hundert
des Bruttoinlandsprodukts. Das ist ein Volumen im Umfang der zweigeteilten letzten Stufe der Steuerreform.
({22})
Die nächste Stufe - das will ich noch einmal sagen kommt zum 1. Januar 2005. Die Bürgerinnen und Bürger können darauf vertrauen: Diese rund 7 Milliarden
Euro werden ihnen ab 1. Januar 2005 gegeben.
Ein zusätzliches Sparprogramm wäre konjunkturschädlich. Deshalb blicken wir der angekündigten Verfassungsklage der FDP auch sehr gelassen entgegen. Ich
wiederhole: Der Nachtrag ist verfassungsfest, weil aufgrund der hohen Arbeitslosenzahl das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist und drastische Einschnitte verantwortungslos wären. Sie von der CDU/
CSU haben uns in den letzten Wochen gezeigt, dass Sie
nicht einmal Opposition machen können. Wieso, frage
ich mich, wollen Sie da eigentlich regieren?
({23})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hätten wir uns sparen können.
Wir haben auf jedes einzelne der jetzt entstandenen Milliardenlöcher schon vor einem Jahr hingewiesen.
({0})
Hätten Sie uns damals zugehört, dann hätten wir uns
nicht nur die heutige Debatte sparen können, sondern
vor allem unserem Land 44 Milliarden Euro neuer
Schulden.
({1})
Wie haben Sie uns verhöhnt, als wir den manipulierten und geschönten Haushalt 2004 als nicht beratungsfähig abgelehnt haben!
({2})
Sie haben einfach weggehört, als wir Ihnen vorgerechnet
haben, dass sowohl der Bundesbankgewinn als auch die
geplanten Steuereinnahmen fern jeglicher Realität veranschlagt seien. Sie haben gegen alle fachlichen Ratschläge eine Erhöhung der Tabaksteuer durchgesetzt,
von der nicht der Haushalt, sondern nur die organisierte
Kriminalität profitiert.
({3})
Schon ein paar Wochen nach In-Kraft-Treten des
Haushaltes 2004 offenbarte die im Mai veröffentlichte
Steuerschätzung das katastrophale Ausmaß Ihrer Fehlplanung. Es geht uns hier nicht um Rechthaberei. Diese
Zahlen müssen aber auch Sie, die Abgeordneten der Koalition, regelrecht erschrecken: 43,7 Milliarden Euro
neue Schulden nur in diesem Jahr; jedes Jahr rund
40 Milliarden Euro Zinsleistungen und das bei niedrigem Zinsniveau; über 114 Milliarden Euro neue Schulden in nur drei Jahren!
({4})
Diese Bundesregierung und dieser Finanzminister ruinieren die Zukunft unserer Kinder.
({5})
Mit Tricksen, Tarnen und Täuschen verschleiern Sie
gegenüber den Bürgern das wahre Ausmaß Ihrer gigantischen Schuldenpolitik. Sie vertrauen auf die Unwissenheit der Bürger. Sie vertrauen auf die Unüberschaubarkeit des gigantischen Schuldenberges. Sie vertrauen
natürlich auch auf die blinde Loyalität und Parteiräson
hier in der Koalition.
({6})
Die Dramatik der Staatsfinanzen reduziert sich nicht
nur auf den heute vorliegenden Nachtragshaushalt. Die
Dramatik liegt im immer schnelleren Wachstum der
Schulden in nur wenigen Jahren.
({7})
Die Herbeiführung dieses Nachtragshaushaltes ist keine
Einzeltat. Dieser Nachtragshaushalt von Finanzminister
Eichel ist inzwischen das Werk eines Wiederholungstäters.
({8})
Seit drei Jahren legen Sie dem Bundestag Jahr für Jahr
einen Nachtragshaushalt mit neuen Milliardenschulden
vor. So haben Sie in nur drei Jahren 114,2 Milliarden
Euro neue Schulden angehäuft. Im dritten Jahr in Folge
begehen Sie als Folge eines Verstoßes gegen Art. 115
Grundgesetz Verfassungsbruch, denn die Neuverschuldung liegt weit über den Investitionen. Im dritten Jahr in
Folge begehen Sie als Folge eines Verstoßes gegen
Art. 110 Grundgesetz Verfassungsbruch. Das heißt, Sie
legen einen manipulierten Haushalt mit zu hoch geschätzten Einnahmen und mit zu niedrig geschätzten
Ausgaben vor.
({9})
Im dritten Jahr in Folge lassen Sie das Haushaltsrecht
des Parlamentes zur Farce verkommen, indem Sie per
Nachtragshaushalt zum Jahresende - dann gibt es keine
Gestaltungsmöglichkeiten mehr - Ihren manipulierten
Haushalt mit neuen Schulden ausgleichen.
Diese Vorgehensweise ist längst zur Regel geworden.
Dabei handeln Sie, Herr Minister, nicht etwa fahrlässig
oder grob fahrlässig. Nein, es ist viel schlimmer: Herr
Finanzminister, Sie handeln mit Vorsatz, Sie handeln mit
Absicht, im Bewusstsein dessen, was man damit anrichtet.
({10})
Die Opfer Ihrer Taten, nämlich unsere Kinder, können
sich leider noch nicht wehren. Hören Sie endlich auf mit
einer Politik, die vor allem einen Verlierer kennt: die
jungen Menschen in unserem Land.
({11})
Die Sanierung des Haushaltes ist nur durch Wirtschaftswachstum als Folge einer neuen Steuerpolitik,
einer neuen Arbeitsmarktpolitik und eines grundlegenden Umbaus unserer Sozialsysteme möglich. Durch
sinnvolles Sparen müssen zugleich wieder Handlungsspielräume geschaffen werden.
({12})
In Zeiten, in denen Millionen Menschen um ihre nackte
Existenz fürchten, ist es ein Skandal, dass Sie - dies ist
nur ein einziges Beispiel - eine Viertelmilliarde nur für
Öffentlichkeitsarbeit und Werbung ausgeben.
({13})
Mit Sparen allein ist es jedoch nicht getan. Wir brauchen einen Abbau von Bürokratie, weniger Staat, ein
neues betriebswirtschaftlich ausgerichtetes Haushaltsrecht und wirksame Bremsen zum Stoppen dieser unverantwortlichen Schuldenpolitik. Wir brauchen eine bessere Handhabe, um die Bürger vor einer solchen
Bundesregierung und einem solchen Bundesfinanzminister zu schützen.
({14})
Diese Legislaturperiode hat es ans Licht gebracht:
Finanzminister Eichel ist ein Wiederholungstäter.
({15})
Für Wiederholungstäter gibt es keine Bewährung!
Vielen Dank.
({16})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Abgeordnete Bartholomäus Kalb das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe gestern in meinem Büro zufällig eine
Anzeige der Bundesregierung aus dem Jahre 2000 gefunden.
({0})
In der oberen Hälfte sieht man den Bundesfinanzminister, unten steht: „Nur wer eisern spart, kann sich auch etwas leisten.“
({1})
Jeder, dem ich diese Anzeige gezeigt habe, brach in
schallendes Gelächter aus.
({2})
Herr Minister, das führt doch dazu, dass Sie und die gesamte Politik nicht mehr ernst genommen werden und
nicht mehr ernst genommen werden können. Sie geben
sich mit Ihren eigenen Worten und Taten der Lächerlichkeit preis. Das ist noch schlimmer, als wenn man sich
nur der Kritik stellen muss.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch
bezeichnend, dass wir die erste Lesung zum Nachtragshaushaltsgesetz heute in den Stunden der Abenddämmerung in einer Kurzdebatte vornehmen.
({4})
Es scheint Ihnen peinlich zu sein, überhaupt darüber reden zu müssen,
({5})
dass Sie sich mit diesem Nachtragshaushalt die höchste
Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland genehmigen lassen wollen.
({6})
Sie wissen selbst, dass dieser Nachtragshaushalt ein
Dokument des Scheiterns Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik ist. Sie wissen auch, dass Sie damit selber bestätigen, dass Ihre Politik Lichtjahre von einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik entfernt ist. Er ist auch der
Beweis dafür, dass die uns in den zurückliegenden Jahren vorgelegten Stammhaushalte nichts, aber auch gar
nichts mit Haushaltswahrheit und -klarheit zu tun hatten.
({7})
Kollege Kaster hat vorhin auf die Abweichungen
zwischen Haushaltsplan und Abschluss hingewiesen:
2002 gab es eine Abweichung um 51,9 Prozent, 2003
eine um 104,2 Prozent und 2004 jetzt eine um 49,1 Prozent. Da sagen Sie, das habe etwas mit Seriosität zu tun.
Wenn ein Finanzvorstand eines Unternehmens solche
großen Abweichungen wie Sie konstatieren müsste,
dann würde er sich nicht einmal mehr aus dem Hinterausgang des Unternehmens heraustrauen, ganz zu
schweigen vom Haupteingang.
({8})
Das größte Problem ist, dass Sie stets falsche Annahmen zugrunde legen, und zwar auch in offiziellen Dokumenten und nicht nur in Wahlkampfanzeigen. In der Kabinettsvorlage zur Haushaltsaufstellung vom 14. Juni
2002 schreiben Sie:
Auf der Basis der vereinbarten Eckwerte ist es
möglich, ab 2004 einen nahezu ausgeglichenen
Staatshaushalt zu erreichen.
Was Sie erreicht haben, sehen wir ja jetzt an dem Nachtragshaushalt - nahezu ausgeglichen!
({9})
In dem gleichen Papier beschreiben Sie auch die Situation in den Jahren 2005 und 2006:
Der Staatshaushalt in der auf europäischer Ebene
maßgeblichen Abgrenzung ist dann ausgeglichen,
weil dem Restdefizit des öffentlichen Gesamthaushaltes unter anderem ein Überschuss der Sozialversicherung gegenüber steht.
Wenn ich die Dinge recht in Erinnerung habe, haben Sie
wenige Monate darauf die Umsetzung der nächsten
Stufe der Steuerreform verschoben und gleichzeitig höhere Sozialversicherungsbeiträge verlangen müssen,
weil ansonsten alles aus den Fugen geraten wäre.
Natürlich hat Herr Peffekoven Recht, wenn er
schreibt:
Bei permanent großen Spannen zwischen „Soll“
und „Ist“ kann angenommen werden, dass bewusst
unrichtige Veranschlagungen vorgenommen werden. Das führt zu Scheinbudgets.
Man kann hinzufügen: Solche Scheinbudgets sind
eine Täuschung der Bürger und des Parlaments.
Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass Herr
Peffekoven Recht hat.
({10})
Herr Finanzminister, Sie suchen die Schuld immer bei
den anderen. Sie sind sich nicht einmal zu schade, so etwas in den Vorspann zum Finanzplan hineinzuschreiben. Dort steht wörtlich:
Die letzten drei Jahre wirtschaftlicher Stagnation
wie auch die Blockadepolitik der Oppositionsparteien im Vermittlungsverfahren...
Sie geben also uns die Schuld. Der Kollege Kampeter
hat gerade die Marginalität der Auswirkungen unseres
Einschreitens dargestellt.
({11})
Ihre eigenen Leute sind es, auch Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere Damen und Herren Staatssekretäre, die landauf, landab beklagen, dass die böse Koch/
Steinbrück-Liste, die im Vermittlungsausschuss eine
Mehrheit gefunden hat, schuld daran sei, dass jetzt an
der einen oder anderen Stelle gespart wird. Wenn Sie
nicht sparen wollen, dann sagen Sie es. Dann müssten
Sie aber auch aufhören, anderen die Schuld für die derzeitige Lage zu geben. Sie suchen immer bei den anderen die Schuld, dabei gab es zu keiner Zeit seit Bestehen
der Bundesrepublik Deutschland eine Opposition, die so
konstruktiv mitarbeitet wie wir.
({12})
- Natürlich! Herr Finanzminister Eichel war doch seinerzeit Verhandlungsführer des Bundesrates, als es um
die Privatisierung der Bahn ging. Er hat den Bund mit
den Regionalisierungsmitteln bis zum Plafond erpresst.
Er war Verhandlungsführer beim föderalen Konsolidierungsprogramm usw. Sie haben die Steuerreform blockiert und andere Reformen sofort zurückgenommen.
Und da wundern Sie sich, dass die Dinge alle schief gegangen sind und das Land an der Binnennachfrageschwäche leidet! Sie können nicht immer auf andere
weisen; alles hat einen Namen.
Das ist Ihre Verweigerungspolitik, das sind Ihre falschen Ansätze, Ihre Irritationen. Schauen Sie sich doch
Ihre eigenen Gesetze an, zum Beispiel die Gesetze zur
Steuerreform, zu den Sozialreformen oder zur Rentenreform.
Herr Kollege, denken Sie bitte an das Ende der Redezeit.
Ich komme sofort zum Schluss. - Sie mussten zum
Teil schon nachbessern, ehe die Gesetze überhaupt im
Gesetzblatt standen, und erst recht, ehe sie in Kraft getreten waren.
({0})
Mit 90 steuerändernden Gesetzen
Herr Kollege, bitte!
- haben Sie die Wirtschaft in unserem Lande in einem
Maße verunsichert, wie es bei einem seriösen Kaufmann
eigentlich unvorstellbar wäre.
Ich danke Ihnen.
({0})
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4020 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 6 auf:
9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Hans-Joachim Otto ({0}), Daniel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bahr ({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Richtlinie des Europäischen Parlaments und
des Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen
- Drucksache 15/3240 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Günter Krings, Wolfgang Bosbach,
Dr. Norbert Röttgen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Patentierbarkeit von Software begrenzen
- Drucksache 15/3941 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf
europäischer Ebene wird um die Schaffung einer Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter
Erfindungen gerungen. Dieses Vorhaben ist von enormer
wirtschaftspolitischer Bedeutung. Neben den ordnungspolitischen Grundsatzfragen geht es im Kern vor allem
um die Frage nach der künftigen Wettbewerbsfähigkeit
kleiner und mittlerer Softwareentwickler. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Debatte um diese Richtlinie
äußerst kontrovers geführt wird.
Die notwendige und sinnvolle Vereinheitlichung der
europäischen Patenterteilungspraxis in Sachen Software
darf nicht zu einer materiellen Ausweitung des Patentschutzes für Software führen.
({0})
Die einer Software zugrunde liegende Idee muss auch in
Zukunft prinzipiell gemeinfrei bleiben.
Das Europäische Parlament hat nach intensiven und
kontroversen Beratungen im September 2003 einen
Richtlinienentwurf in erster Lesung gebilligt. Dieser
Entwurf stellt einen sachgerechten Kompromiss dar. Insbesondere enthält die vom Europäischen Parlament angenommene Fassung die notwendige Klarstellung, dass
die Datenverarbeitung kein Gebiet der Technik im Sinne
des Patentrechts ist. Im Gegensatz zu dem Entwurf des
Europäischen Parlaments erlaubt der Kompromissvorschlag der Präsidentschaft im Ministerrat eine unbegrenzte Patentierbarkeit und Patentdurchsetzbarkeit so
genannter Softwarepatente. Der Entwurf des Rates fällt
damit weit hinter den vom Parlament gebilligten Kompromiss zurück und wird deshalb den Anforderungen,
die aus wettbewerbs- und industriepolitischen Gründen
an den Regelungsgehalt der Richtlinie zu stellen sind,
nicht gerecht.
Entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen hat
sich die Bundesregierung in der Debatte über die Richtlinie im Mai überraschend gegen den vom Europaparlament gebilligten Richtlinienentwurf ausgesprochen. Dieser plötzliche Meinungswandel der Bundesregierung hat
maßgeblich dazu beigetragen, dass der dem Willen des
Europäischen Parlaments zuwiderlaufende Vorschlag
der Ratpräsidentschaft im Ministerrat beschlossen
wurde. Das Votum der Bundesregierung erstaunt auch
insofern, als es im Widerspruch zu der von den Koalitionsfraktionen mehrheitlich vertretenen Auffassung
steht.
Der Antrag der FDP ist deshalb aus zweierlei Gründen motiviert. Zum einen soll eine fatale wirtschaftsund ordnungspolitische Fehlentscheidung der Bundesregierung korrigiert werden. Zum anderen müssen die Koalitionsfraktionen endlich einmal Farbe bekennen, wie
sie es mit der Politik der Bundesregierung in Sachen
Softwarepatente halten.
({1})
Die Grünen haben auf ihrem Bundesparteitag vor kurzem einen Beschluss gefasst, der im Ergebnis der Position der FDP entspricht.
({2})
Herr Tauss, auch in der SPD gibt es eine ernst zu nehmende Unterstützung für den Richtlinienentwurf in der
vom Europäischen Parlament gebilligten Fassung. Das
Bundesjustizministerium ist demgegenüber erkennbar
bemüht, jede kritische Debatte über das Thema zu vermeiden.
Unser Antrag ist für Sie, verehrte Kollegen aus den
Koalitionsfraktionen, deshalb Chance und Herausforderung zugleich: Chance, weil Sie mit Ihrer Unterstützung
unseres Antrags Ihrer eigenen Politik in Sachen Softwarepatente - das gilt auch für Sie, Herr Tauss - die
Glaubwürdigkeit zurückgeben können; Herausforderung, weil Sie durch die Unterstützung unseres Antrags
das Votum der Bundesregierung im Ministerrat als das
bezeichnen, was es ist: ein Fehler.
Verehrte Kollegen, machen Sie sich in der Debatte um
die Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen nicht zum unkritischen Erfüllungsgehilfen der Bundesregierung, sondern treffen Sie
eine wirtschafts- und ordnungspolitisch verantwortungsRainer Funke
volle Entscheidung. Unterstützen Sie deswegen den Antrag der FDP-Fraktion!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Manzewski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Initiative der EU, auf die sich die uns vorliegenden Anträge
beziehen, zielt darauf ab, die Patentierungspraxis im Bereich der computerimplementierten Erfindungen zu vereinheitlichen. Dies wird von uns grundsätzlich begrüßt.
({0})
Die Möglichkeit zur Patentierung leistet in vielen Bereichen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Erhalt und zur Entwicklung der kreativen und wirtschaftlichen Potenziale. Patente - darüber sind wir uns einig sichern ihrem Urheber die Vorteile aus ihrer Nutzung
und führen zur Wertschöpfung. Patente sind nicht nur
deshalb ein wichtiger Innovationsmotor.
Dem Schutz des Patentrechts müssen dabei technische Erfindungen auch dann zugänglich sein, Herr Kollege Funke, wenn sie Softwarekomponenten enthalten.
Es ist allerdings richtig - in diesem Punkt sind wir gar
nicht weit auseinander -, darauf hinzuweisen, dass sich
gerade hier ein zu leichtfertiger Umgang mit der Patentierbarkeit auch ins Gegenteil verkehren und damit zu einem Innovationshemmnis werden kann.
({1})
Genau aufgrund dieser Problematik bin ich der Auffassung, dass der gegenwärtige Diskussionsstand auf
EU-Ebene auf für uns zentrale Fragen bislang keine hinreichenden Lösungen aufweist. Für mich als Jurist wird
eine Richtlinie nur dann die von uns gewünschten Effekte mit sich bringen, wenn sie zu mehr Rechtssicherheit führt. Dies wird jedoch nur dann der Fall sein, wenn
eindeutige Voraussetzungen für die Patentierbarkeit von
Computerprogrammen im Zusammenhang mit technischen Erfindungen vorliegen. Die jüngere Patentierungspraxis - Sie wissen das, Herr Kollege Funke -, unter anderem des Europäischen Patentamtes, hat in letzter Zeit
insoweit leider eher zu Verunsicherungen geführt.
({2})
Ziel muss es insbesondere sein, so genannte Trivialpatente zu verhindern und der Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden sowie reinen Algorithmen eine deutliche Absage zu erteilen.
({3})
Ein Ansatz hierfür kann sicherlich ein tragfähigerer
Technikbegriff sein. Die Definition hierzu ist auf EUEbene nicht einheitlich und sollte meiner Auffassung
nach genauer gefasst sein. Hilfreich könnte zudem eine
unabhängige Evaluierung der Entscheidungspraxis der
Patentämter, insbesondere des Europäischen Patentamtes, sein.
Soweit dies FDP und CDU/CSU genauso sehen, können wir ihren Anträgen folgen.
({4})
Gleichwohl haben wir, Herr Kollege Funke, hinsichtlich
des FDP-Antrages einige Bedenken, die ich kurz ansprechen möchte, die aber nicht gravierend sind. Bei der
Frage der Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen handelt es sich um einen sehr komplizierten
Sachverhalt. Die Pauschalität, mit der Sie an diese Thematik herangehen, wird dem Thema aus meiner Sicht
nicht gerecht und ist ihm nicht angemessen.
Weder kann den Ausführungen des Europäischen Parlaments vollinhaltlich gefolgt werden - Kollege Tauss
hat diesen Einwurf schon gemacht - noch sind die des
Rates in jeder Hinsicht abzulehnen. Um konkret zu werden: Es trifft eben nicht zu, dass es nach dem Vorschlag
des Rates zu einer unbegrenzten Patentierbarkeit und Patentdurchsetzbarkeit in Bezug auf Software kommen
würde.
({5})
Das ist so nicht richtig. Ebenso wenig ist es jedoch angebracht, die Ausführungen des Europäischen Parlaments
für die einzig richtige Lösung zu halten. Sicherlich ist
die Zielsetzung richtig; da sind wir alle offensichtlich
einer Auffassung. Die Ausführungen sind aber auch
dazu geeignet, Missverständnisse hervorzurufen, wie
zum Beispiel durch den Ausschluss der Datenverarbeitung als Gebiet der Technik oder durch den direkten Anschluss an eine Definition des Technikbegriffs unter Zuhilfenahme des Naturkräftebegriffs, der in der neuen
Rechtsprechung zumindest so nicht mehr verwendet
wird. Darüber müssen wir also reden.
Ich finde, dass Sie in Ihrem Antrag auf wesentliche
Punkte nicht eingehen; diese wurden heute zum ersten
Mal angesprochen. Sie thematisieren die Situation der
mittelständisch geprägten europäischen und insbesondere deutschen Softwarebranche nicht hinreichend. Da
müsste man noch ein bisschen nachlegen. Auch die Problematik der Open-Source-Konzepte findet sich in Ihrem Antrag nicht wieder. Man kann zudem das BMJ zumindest teilweise loben; denn das BMJ hat mit
Sicherheit Bemühungen unternommen, um zu Verbesserungen zu kommen. Auch das sollte man erwähnen.
({6})
Den CDU/CSU-Antrag, Herr Kollege Krings, halte
ich für etwas durchdachter. Ich könnte mir durchaus vorstellen - ich komme gleich zum Schluss -, dass er eine
Grundlage für einen späteren gemeinsamen Antrag sein
könnte. Denn ich hätte mir gewünscht - das möchte ich
an Sie herantragen -, dass wir als Mitglieder des Bundestages, wie wir es allgemein im Urheberrecht bzw. im
Bereich des geistigen Eigentums machen, einen Konsens
erzielen. Ich meine, dass ein Antrag, der die Bundesregierung begleiten soll, viel mehr Gewicht hätte, wenn er
nicht nur von einzelnen Fraktionen, sondern von allen
Fraktionen des Bundestages gemeinsam stammen
würde. Ich hoffe, dass wir dazu im Laufe der Debatte zu
den vorliegenden Anträgen kommen werden.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Krings.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das geistige Eigentum ist ein hohes Gut in einer
modernen Wissensgesellschaft. Die sich in unserem
Lande in den letzten Wochen leider immer schneller
wiederholenden Hiobsbotschaften aus Industrie und
Handel beweisen sehr eindrücklich, dass die Grundlage
unseres Wohlstandes in Zukunft immer mehr die kreativen und geistigen Leistungen unserer Menschen in
Deutschland sein werden. Aber nur wenn wir diesem
geistigen Eigentum - das gilt für alle Bereiche des geistigen Eigentumsrechts - auch den gebührenden Schutz
zukommen lassen, werden wir alle gemeinsam von unserem Wissen und Denken im 21. Jahrhundert leben können. Urheberschutz wie Patentschutz sind daher keine
lästigen Formalismen unserer Rechtsordnung, sondern
garantieren, dass aus guten Ideen auch Arbeitsplätze entstehen können. So weit sind wir uns hoffentlich in diesem Hause einig.
Zu einem leistungsfähigen und fairen Schutz geistigen Eigentums gehört auch die systematisch saubere Zuordnung von Leistungen zum Urheberrecht einerseits
und zum Patentrecht andererseits. Das Patentrecht
schützt technische Erfindungen; das Urheberrecht
schützt geistige Schöpfungen in ihrer konkreten Ausdrucksform. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben
sich daher aus guten Gründen entschlossen, Computerprogramme, also Software, dem Urheberrecht zuzuordnen. Aber genau dieser Konsens droht nun über die
Europäische Union aufgekündigt zu werden. Unter der
nun recht unscheinbaren Überschrift „computerimplementierte Erfindungen“ droht Software immer stärker
patentierbar gemacht zu werden. Diese leider von der
deutschen Justizministerin mitgetragene Politik
({0})
würde im Ergebnis kein Mehr an Schutz für die geistigen
Leistungen von Softwareentwicklern bedeuten, sondern
würde im Gegenteil Programmentwicklungen verhindern.
({1})
Ihr politischer Ansatz - damit meine ich den der Regierungsbank; Herr Hartenbach, Sie müssen das heute ausbaden -, den Sie jedenfalls bislang in Brüssel vertreten
haben, erstickt Kreativität. Wir wollen dagegen geistiges
Eigentum schützen, um Kreativität möglich zu machen.
({2})
Der Unterscheid zwischen Patenrecht und Urheberrecht besteht darin, dass ein Patent nicht die konkrete
Ausformulierung einer Idee schützt, sondern die Idee als
solche. Dieser Unterschied könnte gravierender kaum
sein. Wenn beispielsweise Alfred Hitchcock in einem
seiner Filme einen Mord unter einer Dusche zeigt, dann
verhindert das Urheberrecht, dass dieser Film ohne Erlaubnis gezeigt oder kopiert wird. Kämen wir auf die
Idee, den Film unter Patentschutz zu stellen, so hätte sich
der Erfinder - hier Hitchcock - lange Jahre freuen können: Ab sofort hätte er an jedem Film mit einer Mordszene unter einer Dusche mitverdient.
({3})
Was wir im Film- und Buchbereich zu Recht als absurd zurückweisen, erleben wir indes schon heute bei
Software aufgrund einer fast uferlosen Zulassung von
Patenten durch das Europäische Patentamt; die Vorredner haben das bestätigt. Sollten beispielsweise Sie, Herr
Kollege Hartenbach, im Internet einen Geschenkartikelladen aufmachen - das wäre einmal eine Alternative ({4})
und dem Käufer dabei einen Direktversand der Artikel
anbieten wollen, so hätten Sie ein großes Problem: Wenn
der Direktversand per Mausklick passieren soll, müssen
Sie eine Lizenzgebühr an einen amerikanischen Internetbuchhändler zahlen, um von ihm das Recht zur Ausübung des Patents zu erwerben, und zwar egal auf welche Weise Sie das Ganze programmieren. Ich denke, das
ist ein gutes Beispiel dafür, warum dieser Weg nicht
gangbar ist.
Diese bedenkliche Patentierung von bloßen Konzepten steht heute noch auf schwankendem Rechtsgrund.
Die Bundesregierung tut aber derzeit leider alles dafür,
dass solche trivialen Patente auf Programmierideen zur
Regel werden können. Die von der EU-Kommission
vorgeschlagene und von einem Ausschuss des Ministerrats bereits beschlossene Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen öffnet der
Patentierung von Computerprogrammen Tür und
Tor. Gerade kleine und mittelgroße Softwarehäuser, die
keine großen Patentabteilungen aufbauen können, würden bei ihrer Arbeit massiv behindert und ständig mit
dem Risiko teurer Patentklagen leben müssen. Diese erneute Form einer Antimittelstandspolitik werden wir
nicht mittragen.
({5})
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung: Die Justizministerin erklärte vor einigen Monaten in einer Fachzeitschrift, die Patentierungen bedeuteten kein großes
Risiko für die Unternehmen; wer sich schützen wolle,
könne schließlich eine Rechtsschutzversicherung abschließen. Diese freundliche Aufforderung hat einen
Pferdefuß: Es gibt weltweit praktisch keine Versicherung
gegen Patentklagen, weil die Kosten unkalkulierbar sind.
Die Bemerkung von Frau Zypries fand ich schon etwas
zynisch.
({6})
Meine Damen und Herren, das Recht des geistigen
Eigentums ist keine einfache Rechtsmaterie. Das Justizministerium hat versucht, diese Komplexität auszunutzen und uns etwas vorzumachen, was die Haltung des
Ministeriums anbelangte. Zuerst hat man so getan, als
wäre alles gar kein Problem, es gehe nur um computerimplementierte Erfindungen. Allein das ist schon eine
Mogelpackung; denn wenn es wirklich nur darum ginge,
die Erfindungen zu schützen, die eine Wirkung in der
Außenwelt - außerhalb des Computers - haben, wären
wir gerne dabei. Aber hier geht es um etwas anderes. Die
EU-Kommission und die Ministerin wollen offenbar
auch solche Ideen schützen, die den Computerbildschirm nicht verlassen. Ein Beispiel ist der berühmte
Fortschrittsbalken bei der Installation eines Programmes.
Gerade weil das Ministerium erkannt hat, das hier
Probleme bestehen, gab es noch Mitte Mai die Ankündigung eines ministeriellen Vertreters, man wolle sich bei
der Abstimmung in Brüssel enthalten, jedenfalls nicht
zustimmen. Eine Woche später war davon nicht mehr die
Rede. Mit der deutschen Stimme wurde dieser Vorschlag
der Kommission im Ministerratsausschuss angenommen. Herr Hartenbach, Ihre Devise lautet an dieser
Stelle: Rechts blinken, links abbiegen. Bei einer solchen
Schaukel- und Verschaukelungspolitik wundert es uns
im Rechtsausschuss nicht mehr, dass wir als Deutsche
bei der Mitgestaltung europäischer Rechtspolitik zurzeit
allenfalls noch einen Beifahrersitz einnehmen.
Der Kollege Tauss, forschungspolitischer Sprecher
der SPD-Fraktion, mit dem ich zugegebenermaßen beim
Schutz des geistigen Eigentums nicht in allen Punkten
übereinstimme, hat einen sehr interessanten Brief an die
Justizministerin geschrieben.
({7})
- Den habe ich aus einer öffentlichen Quelle. Offenbar
haben Sie ihn veröffentlicht.
({8})
- Jedenfalls war er offen zugänglich. Auch bei der Urheberrechtsdebatte kommen wir wieder auf das Thema Informationsfreiheit.
({9})
Daraus darf ich - mit Ihrer freundlichen Genehmigung - zwei kurze Sätze zitieren.
({10})
Sie schrieben an die Ministerin:
… insbesondere der SPD wird eine inkonsistente
und wechselhafte Haltung unterstellt. Es ist bedauerlich, dass in dieser innovationspolitisch so wichtigen Frage die SPD-geführte Bundesregierung eine
derart desolate Figur abgibt …
({11})
Schöner, Herr Kollege Tauss, hätte ich das nicht formulieren können. Das schlechte Gewissen der Bundesregierung zeigt sich vielleicht schon daran, dass kein Vertreter
der Bundesregierung heute das Wort ergreift. Man kann
hier wirklich feststellen: Die Justizministerin scheint in
dieser Frage alleine zu Haus zu sein.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen einen
vernünftigen Patentschutz, der sich auf computerimplementierte, technische Erfindungen beschränkt. Kurz und
knapp gesagt: Wenn der Schutz des Patentrechts greifen
soll, dann muss schon etwas Handfestes passieren, und
zwar außerhalb des Computergehäuses und außerhalb
des Computerbildschirms. Mit einem klaren und engen
Technikbegriff wäre der Schutz von Erfindungen wie
etwa dem Antiblockiersystem gesichert, zugleich würde
aber der Schutz des Fortschrittsbalkens auf dem Computerbildschirm außen vor bleiben. Wir haben hierzu einen
ganz konkreten Vorschlag in unserem Antrag formuliert.
Nur zwei Bestimmungen des Richtlinienentwurfs müssten geändert werden und Tausende von Softwarefirmen
in Deutschland könnten aufatmen.
Da ich eben den Kollegen Tauss zitiert habe, will ich
ganz zum Schluss, wenn ich darf, noch eine kurze Bemerkung an die Kollegen von der Fraktion der Grünen
richten. Auch Sie haben sich offenbar von der Patentpolitik der Ministerin zu Recht abgewandt. In einem Beschluss des Parteitags vor wenigen Wochen wenden Sie
sich eindeutig gegen Softwarepatente. In der Begründung dieses Beschlusses heißt es wörtlich:
Software ist über das Urheberrecht bereits ausreichend geschützt.
Ich fasse das als ein Bekenntnis für einen effektiven Urheberrechtsschutz auf. Ich freue mich schon darauf, Sie
daran zu erinnern, wenn es um den „Korb zwei“ der Urheberrechtsnovelle geht.
Ich jedenfalls habe in dieser Debatte bislang - auch
nach den Äußerungen des Kollegen Manzewski - die
Hoffnung, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam die Bundesregierung bei der Frage des
Patentrechts auf den Pfad der Tugend zurückführen können.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden hier heute über ein Thema, das den meisten
erst einmal recht wenig sagt, in Fachkreisen aber schon
seit einiger Zeit sehr heftig diskutiert wird: die Frage der
Patentierbarkeit von Software. Bisher war - das haben
alle meine Kollegen schon angesprochen - Software bei
uns primär urheberrechtlich geschützt. Das ist auch richtig so. Eine Patenterteilung für Software halten dagegen
auch wir Grüne für hochproblematisch. Dafür gibt es
mehrere gute Gründe. Ich will versuchen, dies anhand
einiger praktischer Beispiele deutlich zu machen.
Wenn Software zukünftig patentierfähig wird, führt
dies dazu, dass - im übertragenen Sinn - nicht mehr eine
bestimmte Mausefalle, sondern pauschal Mittel zum
Fangen von Nagetieren patentiert werden könnten. Ein
anderes Beispiel: Musiknoten lassen sich mit Softwarecodes vergleichen. Hätte der Komponist Bach ein Patent
auf eine Symphonie dadurch gekennzeichnet, dass
Klang erzeugt wird, dann hätte dies möglicherweise
nicht nur Mozart in erhebliche Schwierigkeiten gebracht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bislang gilt: Der
konkrete Programmiercode ist durch das Urheberrecht
geschützt, nicht aber - und das ist wichtig - die Idee
oder das Verfahren an sich. Es ist also möglich, dieselbe
Idee auf eine andere Weise umzusetzen, ohne gegen das
Urheberrecht zu verstoßen oder Lizenzgebühren zahlen
zu müssen. Dies würde sich bei einer generellen Zulässigkeit von Softwarepatenten grundlegend ändern; denn
die mit den Patenten verbundenen Schutzrechte würden
auf Dauer die Entwicklung vielfältiger Alternativprodukte verhindern. Die Weiterentwicklung des Wissens
würde gerade in der Informationstechnologie massiv
eingeschränkt.
Wir sind fest davon überzeugt, dass Softwarepatente
vor allem im Interesse der Großunternehmen liegen - der
Kollege Krings hat das angesprochen - und den vielen
kleinen und mittleren Softwareentwicklern massiv schaden würden; denn nur größere Firmen verfügen über eigene Patent- und Rechtsabteilungen, die entsprechende
Recherchen und Anmeldevorgänge effizient abwickeln
können. Wir alle müssten als Verbraucherinnen und Verbraucher ebenfalls Nachteile erleiden, weil Software womöglich teurer und in ihrer Vielfalt eingeschränkt sein
würde.
Außerdem - dieser Punkt ist mir persönlich besonders
wichtig - befürchten wir negative Auswirkungen auf die
Open-Source-Entwicklung und die freie Software. Hier
sind unsere Bedenken grundsätzlicher Natur. Das Patentrecht verlangt Geheimhaltung bis zur Patentanmeldung.
Ein offener Entwicklungsprozess wie bei Open Source
kann unter solchen Umständen wohl kaum durchgeführt
werden.
Für uns als rot-grüne Koalition ist der Einsatz für
freie Software und Open Source ein wichtiges politisches Anliegen: sei es bei der Migration des Servers des
Deutschen Bundestages von einer Windows- auf eine Linuxlösung oder auch bei entsprechenden Pilotprojekten
in den Ministerien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Fraktionen eint
anscheinend die Überzeugung, dass Computerprogramme als solche keine patentierbaren Erfindungen
darstellen. Gleichwohl wollen wir alle für diesen Bereich mehr Rechtssicherheit schaffen. Tatsache ist, dass
die Patentierbarkeit von Software bereits in den letzten
Jahren durch die Praxis der Patentämter und die Rechtsprechung immer weiter ausgedehnt worden ist. Deshalb
brauchen wir eine Änderung und Klarstellung der derzeitigen Rechtslage mit dem Ziel, die schleichende Ausweitung der Patentierbarkeit von Software zu verhindern.
Auch wenn ich hier keinen Hehl daraus machen
möchte - das habe ich auch in der Vergangenheit nicht
getan -, dass ich mit dem Vorgehen des BMJ bei den
Richtlinienverhandlungen in Brüssel nicht zufrieden
war, müssen wir feststellen, dass sich das Ministerium in
Brüssel leider vergeblich für eine eindeutigere Definition des Technikbegriffs sowie für klare Anforderungen
an die Interoperabilität stark gemacht hat.
({0})
- Genau.
Wir werden die Bundesregierung ausdrücklich auffordern, die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom
24. September 2003 bei der weiteren Kompromisssuche
als Grundlage zu betrachten. Insbesondere die grüne Fraktion im Europäischen Parlament hat sich für den klugen
Beschluss des EU-Parlaments stark gemacht und ihn aktiv
mitgestaltet. Wir müssen erreichen, dass es zu einer eindeutigen und praktikablen Begrenzung patentierfähiger
computerimplementierter Erfindungen kommt und
dass Trivialpatente generell ausgeschlossen werden.
Wir werden uns ebenfalls dafür einsetzen, dass der
Umfang patentrechtlicher Ansprüche auf Erzeugnisse
und Verfahren begrenzt wird und dass keine reinen Programmansprüche möglich sein werden. Die Patentierbarkeit von Algorithmen und Geschäftsmethoden muss
ebenfalls ausgeschlossen sein.
Bündnis 90/Die Grünen wird sich auch weiterhin entschieden dafür einsetzen, dass alternative Entwicklungskonzepte wie Open-Source-Projekte nicht beeinträchtigt
werden. Abschließend sei noch einmal gesagt: Patente
auf Software schaden dem Wissensstandort Deutschland. Sie schaden den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese Erkenntnis gilt es nun auch politisch
umzusetzen. Ich hoffe, dass wir durch unsere gemeinsame Kraftanstrengung bei diesem Thema doch noch zu
einem interfraktionellen Antrag kommen, um als Deutscher Bundestag auch gegenüber dem Europaparlament
mit einer Stimme zu sprechen.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Vera Dominke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Grunde genommen könnte ich sagen, dass ich mich
allen Vorrednerinnen und Vorrednern anschließen kann.
({0})
Lassen Sie mich dennoch mein geistiges Werk unter die
Leute bringen, damit es auch im Protokoll erscheint.
Patente auf computerimplementierte Erfindungen - das
klingt nach trockener, schwer verständlicher Materie,
noch dazu, wenn sie an den Erlass einer EU-Richtlinie
gekoppelt ist. Wenn man sich aber - das haben wir heute
schon hinreichend gehört - näher damit beschäftigt,
droht das Ganze insbesondere für kleine, junge und innovative Unternehmen zur bitteren Realität zu werden.
Von der Ratio her wissen wir alle - auch die, die heute
nicht hier sitzen -, wie sehr EU-Regelungen auf die Politik und die Lebensverhältnisse in unserem Lande durchschlagen. Tatsächlich passiert es aber immer noch häufig, dass die Rechtsetzung der EU bei uns durchläuft.
Lassen Sie deswegen auch mich noch einmal deutlich
machen, worum es uns in unserem Antrag geht und warum die anstehende EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit
von computerimplementierten Erfindungen in ihrer jetzigen Fassung eine Katastrophe wäre sowohl für unsere
kleinen und mittelständischen Unternehmen als auch für
unseren akademischen Nachwuchs, der sich in diesem
Bereich selbstständig zu machen gedenkt. Die Softwareindustrie ist eines der wenigen Tummelfelder für die
Gründung junger, innovativer Firmen und StartUps. Hier haben neben den großen, weltweit agierenden
Multis gerade kleine und mittelständische Unternehmen
die Chance, sich zu etablieren, hoch komplexe Produkte
zu entwickeln und gewinnbringend zu vermarkten.
Wenn diese jetzt alle ihre Ideen, Konzepte und Verfahren
auf die mögliche Verletzung anderer Softwarepatente
überprüfen müssten, dann wäre das schlichtweg personell und finanziell nicht machbar; auch darauf haben
Frau Bettin und Herr Krings schon hingewiesen. Nur
große Unternehmen mit entsprechend großen Patentund Rechtsabteilungen können eine solche Aufgabe bewältigen.
Durch die Veröffentlichungsfristen für Patente, die
sich gerade in der schnelllebigen Softwarebranche auf
zwei bis drei Produktzyklen erstrecken können, ist es
ohne weiteres vorstellbar - und das passiert auch in der
Praxis -, dass mehr als ein Jahr nach dem Erscheinen eines Produktes auf dem Markt plötzlich Patente veröffentlicht werden, die durch das Produkt verletzt werden,
die vorher aber nicht bekannt waren. So genannte
Trivialpatente etwa sind so allgemein und zahlreich,
dass fast jedes Softwareprodukt gegen mehrere verstoßen würde. Beispiele hierfür sind Patente auf einfachste
Elemente, die Sie alle hier kennen: den Mauszeiger, den
Ladebalken oder Links in HTML-Dateien. Jedes Softwareunternehmen müsste danach früher oder später
wegen Patentverletzung vor Gericht ziehen. Damit wird
vor allem die Existenz kleinerer und mittelständischer
Betriebe bedroht, die sich das einfach nicht leisten können.
({1})
Die Bundesregierung hat dieses Jahr zum Jahr der
Innovationen ausgerufen. Nach dieser Debatte habe ich
das Gefühl, dass es uns gemeinsam gelingen kann, zu
helfen, dass in unserem Lande und in Europa ein innovationsfreundliches Klima bestehen bleibt. Ich bitte Sie
deshalb: Lassen Sie uns in den Beratungen, so wie sich
das hier angedeutet hat, zu einer Übereinkunft kommen!
Lassen Sie uns gemeinsam die Bundesregierung
({2})
auf den richtigen Pfad führen, den Pfad der Tugend, und
das gute Klima für unsere jungen Unternehmen erhalten.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Küster.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon
fast alles gesagt.
({0})
- Nicht von allen; deswegen ergreife ich das Wort, Herr
Funke, sehr richtig.
Ich will versuchen, die wirtschaftlichen Aspekte noch
einmal deutlich herauszustellen, damit klar ist, dass wir
hier nicht über eine Sache reden, die nur die Rechtspolitiker angeht
({1})
die nur für sie interessant wäre.
({2})
- Ich will sie nicht klein reden, keineswegs.
Es geht um einen ganz wichtigen Aspekt unserer
Wirtschaft; das müssen wir beachten.
({3})
Wir wissen, dass Software, die Computer steuert, heutzutage überall im Alltag zu finden ist: von der Waschmaschine bis zur Funkuhr. Ein Handy ist heute mit mehr
Computertechnologie ausgestattet als eine Saturn-V-Rakete. All das sollte man wissen. Dann sieht man relativ
zügig, wie bedeutungsvoll dieses technische Thema für
unser Leben ist.
Wir sollten uns an dieser Stelle ganz stark auf unsere
eigenen Interessen konzentrieren: In Deutschland sind es
im Wesentlichen kleine und mittelständische Unternehmen in der Softwareindustrie, die sich mit Produkten auseinander setzen, die besonders anwenderorientiert
sind. Also nicht die großen, weltweit eingesetzten Programme sind die Hauptschwerpunkte der deutschen Softwareindustrie, sondern eher die anwenderorientierten
und - darin ist Deutschland europaweit besonders
stark - die Open-Source-Software. Das ist unsere Stärke;
davon wollen wir nichts abgeben, sondern sie weiterentwickeln.
({4})
In einem aktuellen vor zwei Tagen erschienen Bericht, von Deutsche Bank Research werden drei Informations- und Kommunikationsthemen identifiziert, bei
denen überdurchschnittliche Wachstumsraten erwartet werden. Das sind die Biometrie, die Open-SourceSoftware - sie wird schon an zweiter Stelle genannt und das Funketikett. Das Funketikett wird von einigen
Sachkundigen so interpretiert, als sei es die Ablösung
des alten Strichcodes auf Waren. Dieses Funketikett
kann aber noch viel mehr. Es kann den Lebenszyklus
eines Produktes beschreiben und wirklich umfangreiche
Informationen enthalten. Insofern reden wir über Dinge,
die uns in den nächsten Jahren begleiten werden. Deswegen ist hier die Sicherheit ganz wichtig. Wir müssen
diese positiven Entwicklungen fördern; das sollte unsere
Aufgabe sein.
({5})
Sichere Rahmenbedingungen sind das A und O für
diese Unternehmungen. Wir haben die Aufgabe, eine exakte Antwort auf die ganz einfache Frage zu geben, welchen Schutz Software genießen soll. Die Patentfähigkeit
von Erfindungen ist in Art. 52 des Europäischen Patentübereinkommens geregelt. Danach ist Software als
solche nicht patentfähig. Sie wissen aber natürlich, dass
die Menschen in der Umgehung von Regeln sehr erfinderisch sind. Mittlerweile ist eine große Zahl von europäischen Patenten auf Dinge erteilt worden - wir nennen
sie computerimplementierte Erfindungen -, die uns im
täglichen Leben begegnen. Sie alle sind schon genannt
worden. Ich nenne nur den Mauszeiger und den OneClick-Shop. Diese Patente sind im täglichen Leben im
Web zu finden.
Wenn Sie heutzutage einen Web-Shop aufmachen,
dann verletzen Sie, wenn Sie es ungünstig angehen, bis
zu 20 europäische Patente. Das zeigt die Problematik,
vor der wir stehen: Anstatt die Lösung dieses Problems
innovativ anzugehen, also die Handelstechniken über
das Internet stärker in das tägliche Leben zu integrieren,
werden dort eher Entwicklungshemmnisse aufgebaut,
sodass wir nicht positiv innovativ damit umgehen können.
({6})
Wir müssen uns klar machen, dass die Erstellung
von Software etwas ganz anderes ist als die Herstellung
einer Maschine oder die Entwicklung eines Medikaments. Das heißt, wir müssen auch mit anderen Überlegungen und Regeln an diese Sache herangehen. Wir wissen, dass neue Software häufig dadurch entsteht, dass
vorhandene Teile neu kombiniert werden, dass Schnittstellen eingefügt werden und dass gegebenenfalls neue
Programmteile dazwischengeschaltet werden, wodurch
ein neues Programm mit neuen Qualitäten entsteht. Diesen Entwicklungsprozess können und wollen wir im Interesse unserer Unternehmen nicht behindern.
({7})
Auf der anderen Seite dürfen wir Erfindungen nicht
alleine deswegen von der Patentierbarkeit ausschließen,
weil sie irgendwo in ihrem System Software enthalten.
Das Standardbeispiel ist das ABS-System. Klassischerweise wurde das Problem mit reiner Mechanik gelöst.
Die Lösung stammte aus dem letzten Jahrhundert und
war patentfähig. Kommen nun aber Software und ein
Computer hinzu, die die Bremsen an einem Auto steuern
- dies macht dann das ABS-System aus -, dann ist das
möglicherweise nicht mehr patentfähig. Das ist der Widerspruch, vor dem wir stehen. Diesen haben wir zu lösen.
Ich will damit klar machen, dass wir auf diese Frage
keine triviale Antwort geben können. Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Trivialpatenten, die genannt worden sind, und solchen Dingen, bei denen es einen technischen Fortschritt gibt, der mithilfe von
Software und Computern erreicht worden ist und der uns
weiterhilft.
Ich will noch auf einen Punkt besonders eingehen, der
uns sehr wichtig ist. Es geht darum, welche Forderungen
wir durchsetzen müssen. Der Ausschluss von Trivialpatenten ist genannt worden. Diesbezüglich rennen Sie
bei der SPD-Fraktion offene Türen ein. Es wird keine
Patentierbarkeit von Algorithmen und Geschäftsmethoden geben. Das ist absolut nicht zulässig.
({8})
Alternative Entwicklungskonzepte, insbesondere
Open-Source-Projekte, dürfen nicht beeinträchtigt werden. Ein wichtiger Punkt ist die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Softwareprodukten. Es darf
nicht dazu kommen, dass bestimmte Schnittstellen patentiert werden, wodurch andere von der Bedienung und
Nutzung dieser Schnittstellen ausgeschlossen würden,
weil sie auf das Patent zurückgreifen müssten. Wir wollen, dass auch dort Standards geschaffen werden, die
nicht patentiert werden dürfen. Damit wollen wir den
Wettbewerb ankurbeln und Innovationen auf den Markt
bekommen.
Insgesamt möchte ich feststellen, dass wir die formale
Kritik an der Bundesjustizministerin, die Herr Funke als
Mitglied der Opposition natürlich pflichtgemäß geäußert
hat, so nicht stehen lassen können. Die Ministerin hat ihr
Bestes gegeben. Sie hat versucht, im Kreis der 15 und
jetzt im Kreis der 25 Mitgliedstaaten die Position
Deutschlands durchzusetzen. Wir haben so einige Klarheiten erreicht.
Wir sind ein Part von 25 Mitgliedern. Von daher ist es
sehr schwierig, beispielsweise gegen die Südschiene in
Europa zu operieren. Sie kennen auch Großbritanniens
Rolle. Ebenso ist Ihnen die Haltung der Niederlande bekannt. Es ist nicht einfach, sich in diesem Konzert, in
dem jeder Mitgliedstaat eine starke Position hat, durchzusetzen. Die Justizministerin hat einiges erreicht. Wir
wollen versuchen, eine gemeinsame Linie zu finden. Ich
meine, der Antrag der Union und auch Ihr Antrag, Herr
Funke sind dafür eine Grundlage. Unser Antrag ist unterwegs; das wissen Sie.
Herr Kollege Küster, bitte kommen Sie zum Schluss.
Er wird Gegenstand einer gemeinsamen Stellungnahme des Deutschen Bundestages sein. Dazu lade ich
Sie herzlich ein.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3240 und 15/3941 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr ({0})
- Drucksache 15/3918 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Lietz, Christian Schmidt ({2}), Annette
Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz zügig umsetzen
- Drucksache 15/3717 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Klaus Haupt, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bundeswehr stärken - Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Soldaten verbessern
- Drucksache 15/3960 Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Verteidigungsausschuss
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch
höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung eine einstimmige Entschließung des Deutschen Bundestages um, der sich bei der abschließenden
Beratung des Bundesgleichstellungsgesetzes im Oktober
2001 dafür ausgesprochen hat, einen Gesetzentwurf zur
Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und
Soldaten zu erarbeiten.
Der vorliegende Gesetzentwurf schafft die rechtlichen
Grundlagen für die Durchsetzung der Gleichstellung von
Soldatinnen und Soldaten und bezieht zugleich Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst in den Streitkräften ein. Der Gesetzentwurf enthält eine Fülle von Maßnahmen, die Gleichstellung im
weitestmöglichen Maße zu garantieren. Hierzu zählen
die Wahl von Gleichstellungsbeauftragten, die Zielvorgabe für die Beseitigung der Unterrepräsentanz von
Soldatinnen, die Benachteiligungs- und Diskriminierungsverbote für Soldatinnen und die Einführung von
Gleichstellungsplänen. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften sollen
familiengerechte Arbeitszeiten angeboten, die Einführung von Teilzeitbeschäftigungen ermöglicht sowie Benachteiligungsverbote bei Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung vorgesehen werden.
Wir schaffen mit einer Änderung im Soldatengesetz
schließlich die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung von Teilzeitbeschäftigung. Die Bundesregierung erwartet, dass die Vereinbarkeit von Familie und
militärischem Dienst für die Soldatinnen und Soldaten
erheblich erleichtert und die Attraktivität der Streitkräfte
gesteigert wird. Die konkrete Ausgestaltung der Teilzeitbeschäftigung bleibt einer Rechtsverordnung vorbehalten, die dann im Hinblick auf die Einsatzerfordernisse
einzelne Verwendungen oder Truppenteile festlegen
muss, für die Teilzeitbeschäftigung nicht infrage kommt,
auch wenn die Möglichkeit von flexiblen Arbeitszeitmodellen, etwa eine Blockzeitbildung, geprüft und in die
Verordnung auf jeden Fall einbezogen wird.
Zum weiteren Vorgehen der Bundesregierung kann
ich gerade vor dem Hintergrund der vorliegenden Anträge der Opposition auf folgende fünf Punkte hinweisen.
Erstens. Wir werden den Gesetzentwurf zügig umsetzen. Nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen
erwarten wir ein In-Kraft-Treten zum 1. Januar 2005.
Die erforderlichen Rechtsverordnungen und Durchführungsbestimmungen werden in unserem Ministerium bereits erarbeitet.
Zweitens. Wir wahren mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz den verfassungsrechtlichen Grundsatz,
Leistungsstärkere vor Leistungsschwächeren zu fördern. Das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz sieht wie das Bundesgleichstellungsgesetz auch keine starre Quotierung des Anteils der
Soldatinnen vor. Eine Quote von 50 Prozent für den Sanitätsdienst und 15 Prozent für alle anderen Laufbahnen
bedeutet keinesfalls, dass jeder zweite Sanitäter eine
Frau sein wird und im Übrigen 15 Prozent der Stellen für
Frauen reserviert werden müssen. Wer Gleichstellung so
versteht, der hat Gleichstellung missverstanden.
({0})
Die gemessen an dem verfassungsrechtlichen Auftrag
nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes abgesenkte
Zielvorgabe für die meisten soldatischen Laufbahnen auf
15 Prozent war deshalb notwendig, weil diese Laufbahnen für Frauen, wie wir wissen, erst seit dem Jahr 2001
geöffnet sind und der Frauenanteil aus diesem Grund
noch gering ist.
Drittens. Zu der in dem Antrag von der CDU/CSU erwähnten Forderung nach Kinderbetreuung kann ich
feststellen: Um die Kinderbetreuung sicherzustellen,
nutzen wir die bereits heute zahlreich vorhandenen
- 31 an der Zahl - Familienbetreuungszentren, durch die
Soldatinnen und Soldaten bei der Betreuung von Kindern unterstützt und beraten werden können. Dies gilt
besonders für diejenigen, die durch einen Auslandseinsatz für eine gewisse Zeit von der Familie getrennt sind.
Gerade die mit dem Gesetzentwurf möglich werdende
Teilzeitbeschäftigung könnte bei Auslandseinsätzen, vor
allem soweit reine Soldatenehen betroffen sind, für die
betroffenen Eltern wirksame Hilfe schaffen.
Viertens. Wir behalten die für die Einsätze der Bundeswehr nun einmal notwendige Flexibilität. Die Entscheidung, ob und im welchem Umfang das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz
im Auslandseinsatz zur Anwendung kommt, wird vom
Bundesministerium der Verteidigung für jedes Einsatzkontingent genau geprüft werden. Es wird hier keine
Routine geben. Aber es muss natürlich der Grundsatz
durchgehalten werden, dass die Funktionsfähigkeit der
Streitkräfte durch die Anwendung des Gesetzes nicht
beeinträchtigt wird.
Fünftens. Wir bauen in den Gesetzentwurf eine allgemeine Erfolgskontrolle ein. Das Soldatinnen- und
Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz sieht deshalb zwei wesentliche Berichtspflichten vor. Zum einen
ist ein alle vier Jahre an den Deutschen Bundestag zu erstattender Bericht der Bundesregierung vorgesehen. Mit
ihm soll über die Situation der Soldatinnen im Vergleich
zu der Situation der Soldaten und über die Anwendung
des Gesetzes nach Auswertung statistischer Angaben unterrichtet werden. So soll zum Beispiel belegt werden,
ob das Angebot zur Teilzeitbeschäftigung angenommen
wird und wie sich die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten praktisch auf die Durchsetzung der Gleichstellung auswirkt. Zum anderen legt der Gesetzentwurf fest,
dass das Bundesministerium der Verteidigung spätestens
nach fünf Jahren dem Deutschen Bundestag darüber berichtet, ob die für die soldatischen Laufbahnen außerhalb
des Sanitätsdienstes vorgesehene Zielvorgabe von
15 Prozent der Förderung der Gleichstellung hinreichend Rechnung trägt oder ob eine Anhebung der Quote
notwendig erscheint.
Ich denke, wir tragen mit diesem Gesetz dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung und übertragen diesen
anwendbar und umsetzbar in die Streitkräfte. Wir unterstreichen, dass auch in dieser wichtigen Frage die Streitkräfte Teil der Gesellschaft sind, ohne dass dabei die für
die Bundeswehr wichtigen Aspekte wie etwa die Einsatzfähigkeit in den Hintergrund treten. Dies ist eine
gute Grundlage, Gleichstellung auch in den Streitkräften
zu betreiben. Da ich der einzige Mann auf der Rednerliste bin,
({1})
hoffe ich, dass ich den Ansprüchen der Kolleginnen einigermaßen gerecht geworden bin.
({2})
Das wollen wir einmal sehen.
Das Wort hat die Abgeordnete Ursula Lietz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorweg: Hier
ist gerade von einer Männerquote gesprochen worden.
Wenn es eine solche Quote gäbe, dann müssten wir sie
auch heute Abend erfüllen. Das dürfte uns nicht gelingen.
Seit fast 30 Jahren leisten Frauen ihren Dienst bei der
Bundeswehr. Es wird immer wieder übersehen, dass
schon seit 30 Jahren Frauen Dienst im Sanitätswesen der
Bundeswehr leisten können. Seit 2001 haben Frauen Zugang zu allen Verwendungen und Truppengattungen. Für
den Einsatz in diesen Bereichen sind die persönliche
Eignung und Befähigung des Einzelnen ohne Ansehen
des Geschlechts ausschlaggebend, wie es das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 vorschreibt. Ich zitiere:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Ich erinnere an Debatten, die wir im Bundestag geführt haben und in denen wir durchaus nicht alle von
vornherein der Meinung waren, dass Frauen in allen
Streitkräften und Bereichen der Bundeswehr eingesetzt
werden sollten. Die damals vorhandenen Bedenken haben sich Gott sei Dank nicht bewahrheitet.
Mittlerweile sind 10 235 Frauen - das ist der Stand
vom Mai dieses Jahres - Soldatinnen in der Bundeswehr.
Ungefähr 2 700 von ihnen waren bereits im Einsatz. Dafür, dass erst seit drei Jahren Frauen der kämpfenden
Truppe und den Einsatztruppen angehören, ist das eine
beachtliche Zahl.
Ich möchte an dieser Stelle - ich hoffe, die Herren
nehmen mir das nicht übel - gerne speziell den Soldatinnen danken, die ihren Dienst generell und gut in der
Truppe ausüben
({0})
- natürlich mit der Hilfe ihrer männlichen Kameraden.
Sie verrichten ihren Dienst, wie es ihre Kameradinnen
im Sanitätsdienst schon seit 30 Jahren tun.
Trotzdem waren wir alle gemeinsam der Meinung,
dass es einer gesetzlichen Grundlage bedarf, den Erfordernissen der Integration von Frauen in die Truppe
gerecht zu werden, und zwar in Form eines Gleichstellungsgesetzes, wie es bereits für alle Bereiche des öffentlichen Dienstes existiert. Ein solches Gesetz wollen
wir auch für die Bundeswehr einführen. Dieses Gesetz
hätte möglicherweise zeitgleich mit der Einrichtung von
Stellen für Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr
oder zumindest in größerer zeitlicher Nähe zu dem
Jahr 2001 in Kraft treten können, wie wir es damals gefordert haben.
({1})
Wir freuen uns aber, dass der Gesetzentwurf jetzt vorliegt, sodass wir ihn gemeinsam beraten können. Denn
wir treten jetzt in eine Phase ein, in der immer mehr
Frauen befördert werden. Die Beförderungen bringen
es mit sich, dass danach gefragt wird, warum eine Kameradin befördert wird und jemand anders nicht. Ich denke,
darauf müssen wir eine vernünftige Antwort geben. Wir
wissen, dass diese Fragestellung nicht nur in der Bundeswehr gelegentlich zu Konflikten führt. Die Soldaten
müssen und sollen erkennen, dass ihre Kameradinnen
befördert werden, weil sie von ihrer Leistung her dazu
befähigt sind. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesem wichtigen Anliegen meiner
Meinung nach unzureichend gerecht wird. Es kann der
Eindruck entstehen, dass Frauen an den Männern vorbei
befördert werden sollen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr steht die Leistung im Vordergrund.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Leistungsstarken vor den Leistungsschwachen gefördert würden. Ich nehme an, Sie meinten „befördern“;
denn fördern sollten wir die einen wie die anderen. Ich
denke, das ist auch der Fall.
Eine starre Quotierung des Frauenanteils ist nicht
wünschenswert. Das werden wir sicherlich noch in den
weiteren Beratungen diskutieren. Wir empfehlen, bis
zum Erreichen der Quote die Unterrepräsentanz des Anteils der Soldatinnen an den Geburtsjahrgängen des jeweiligen Bereiches deutlicher zu definieren. Dann werden wir feststellen, dass es in einigen Bereichen der
Bundeswehr möglicherweise schwieriger ist, die gewünschte Quote zu erreichen. Das wird je nach Einsatz
und Anforderungen sehr unterschiedlich sein.
Wichtig muss uns allen aber sein, dass das Gesetz von
allen akzeptiert wird, statt von einigen nur zähneknirschend zur Kenntnis genommen zu werden. Daher ist es
das Ziel, eine stärkere Leistungsdifferenzierung einzuführen, derzufolge Beförderungen nach Eignung, Leistung und Befähigung und weniger nach einer Quotierung
erfolgen.
({2})
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der
mir besonders wichtig erscheint, weil er auch etwas mit
der Förderung von Frauen in der Bundeswehr zu tun hat.
Dabei handelt es sich um den gesamten Komplex der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere.
Frauen und Männer gehen in Einsätze und sie müssen
für ihre kleinen Kinder zu Hause manchmal sehr kurzfristig eine Betreuung finden. Ich denke, wir sollten versuchen, dafür zu sorgen, dass Eltern von kleinen Kindern
nicht gleichzeitig in einen Einsatz geschickt werden. Sie
haben möglicherweise Schwierigkeiten, ihre Kinder unterzubringen.
({3})
Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre eines sehr schönen Artikels eines siebenjährigen Jungen,
den das Forum für Soldatenfamilien veröffentlicht hat.
Lieber Herr Staatssekretär, ob die FBZs und die Familienbetreuungsstellen die richtigen Möglichkeiten für
eine Kinderbetreuung bieten, wage ich zu bezweifeln;
denn ich glaube, dass das nicht ausreichend sein wird.
Hier müssen wir andere Möglichkeiten finden, bis hin
zum Sicheinkaufen in bereits bestehende Kindergärten.
In anderen Ländern macht man uns das vor. Wir müssen
das Rad also nicht neu erfinden. In Schweden, aber auch
in Großbritannien ist das Berufsbild des Soldaten durchaus im Einklang mit alltäglichen Belangen. Ich würde es
gerne sehen, wenn wir nicht nur alle vier Jahre, sondern
etwas öfter einen Bericht bekämen, in dem über den Erfolg bzw. den Nichterfolg der Gleichstellung informiert
wird.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir müssen
uns immer wieder vor Augen halten, dass Menschen, die
bereit sind, unser Land, unser Leben und unseren Frieden, aber auch den Frieden anderer Nationen zu beschützen und dafür notfalls ihr Leben zu riskieren - die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie das tun -, eine
besondere Fürsorgepflicht des Dienstherren und auch
des Parlaments erwarten können. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie alle, uns bei den Beratungen zu unterstützen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard
Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es war eine Frau, die das Innenleben der Bundeswehr stärker verändert hat als manche Reform zuvor. Als
Tanja Kreil im Jahre 2000 vor dem Europäischen Gerichtshof den Zugang für Frauen auch zum Dienst an der
Waffe erstritt, war klar: Das ist eine enorme Herausforderung für die Bundeswehr. Das Ende einer der letzten
Männerbünde wurde eingeläutet; denn die Bundeswehr
war - mit Ausnahme des Sanitäts- und des Musikdienstes - ganz offensichtlich einer. Militär und Mann im
Gleichklang!
Nun wissen wir, dass sich Männerbünde nicht freiwillig und auch nicht gerne für Frauen öffnen. Hier macht
die Bundeswehr trotz guten Willens und offizieller Lippenbekenntnisse zur problemlosen Integration von
Frauen keine Ausnahme. Daher war klar: Wir wollen und
müssen diesen Transformationsprozess - man kann diesen Begriff durchaus verwenden - mit gesetzlichen Rahmenbedingungen unterstützen. Wir haben die Bundeswehr aus guten Gründen nicht in den Geltungsbereich
des Gleichstellungsgesetzes für den öffentlichen Dienst
aufgenommen. Die besonderen Bedingungen der Streitkräfte werden nun in dem vorliegenden Regierungsentwurf berücksichtigt. Ich bin froh über diesen Entwurf;
denn er bietet den Soldatinnen und Soldaten - also auch
den Männern - viele Verbesserungen. Wir wollen eine
gezielte Ansprache und Förderung von Frauen und wollen die Vereinbarkeit von Familie und Dienst verbessern.
Der Entwurf sieht eine Quote von 15 Prozent bei der
Truppe und eine Quote von 50 Prozent beim Sanitätsdienst vor. Meine Damen und Herren von der Opposition
- ich spreche insbesondere Sie an, Frau Lietz -, gerade
hat der Herr Staatssekretär versucht, Ihnen die Quotenregelung zu erklären. Sie gilt erst bei gleicher Eignung,
Befähigung und Leistung. Die Sorge, dass schlechter
qualifizierte Frauen besseren Männern vorgezogen würden, ist wirklich unbegründet.
({0})
Normalerweise gilt das so lange, bis der Anteil eines Geschlechts nicht mehr unterrepräsentiert ist, also bis
50 Prozent und nicht bis 15 Prozent, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. Meine Gespräche mit Soldatinnen haben jedoch gezeigt, dass sie diese - in ihren Augen Sonderbehandlung fürchten. Es ist eben noch ein sehr
weiter Weg zur wirklichen Gleichberechtigung.
Der Vorschlag der CDU/CSU, die „starre Quotierung“ aufzugeben und stattdessen bis zum Erreichen der
Quote die Unterrepräsentanz des Anteils der Soldatinnen
an den Geburtsjahrgängen zu definieren, ist aber nicht
zielführend. Frau Lietz, Sie schreiben damit den Anteil
der Soldatinnen fest und unternehmen so keine Anstrengungen, ihn zu erhöhen. Auch der Vorschlag der FDP,
den Frauenanteil durch nachprüfbare Zielgrößen zu erhöhen, die aber keineswegs Quoten sein dürfen, scheint
mir mehr der Angst der FDP vor der Quote geschuldet
zu sein, als zur Erhöhung des Frauenanteils beizutragen.
({1})
- Das ist in Ordnung.
Der vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich: Sind
Frauen und Männer gleich gut, werden nun Frauen eingestellt oder befördert. Wir werden die weitere Entwicklung genau beobachten, und zwar auch daraufhin, ob es
ausreicht, die Gleichstellungsbeauftragten erst ab der Divisionsebene zu wählen. Frau Lietz, aus diesem Grunde
erscheinen mir die Fristen für die Überprüfung des Gesetzes zu lang: fünf Jahre für die Überprüfung der Quotenregelung und vier Jahre bis zum ersten Bericht. Das
ist zwar an das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst angelehnt. Aber die Bundeswehr ist wegen
ihrer Geschichte und Struktur ein anderer Arbeitgeber.
Darum hat das Parlament die Pflicht, die Entwicklung
genau zu prüfen. Eine Verkürzung beider Berichtsfristen
auf zwei Jahre wäre meines Erachtens angemessen. Ein
jährlicher Bericht, wie Sie von der CDU/CSU es fordern,
scheint mir ein wenig über das Ziel hinaus zu schießen;
schließlich brauchen neue Bestimmungen auch Zeit, um
zu greifen.
({2})
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt sowohl
die Gleichstellungspläne als auch die Wahl der Gleichstellungsbeauftragten. Damit gibt es gewählte Ansprechstellen für die Fälle von sexueller Belästigung oder Mobbing, die sich im Bericht des Wehrbeauftragten
traurigerweise immer wieder finden.
({3})
- Genau, das ist ganz wichtig!
Die Änderung des Soldatengesetzes ermöglicht auch
die Einführung von Teilzeit und familienbedingter Beurlaubung. Damit machen wir einen großen Schritt zur
Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dies gilt übrigens auch für die Soldaten, meine sehr geehrten Damen
und Herren; dies ist mir ebenfalls sehr wichtig.
Ein Punkt, bei dem ich die Kritik der CDU/CSU teile,
ist die generelle Nichtgeltung bei Auslandseinsätzen. Es
mag durchaus Situationen geben, in denen das Gleichstellungsgesetz zurückstehen muss. Aber ich sehe es
nicht als angemessen an, daraus eine Generalklausel zu
machen. Hier erwarte ich im Einzelfall eine Begründung
des Ministers.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich freue mich, dass wir der rechtlichen
Gleichstellung der Soldatinnen und Soldaten in großen
Schritten näher kommen. Lassen Sie uns auch die faktische Gleichstellung beobachten und aktiv unterstützen.
Vielleicht können wir in den Ausschüssen einmal darüber sprechen, ob wir einen gemeinsamen Antrag zu stellen in der Lage sind.
Eine allerletzte Anregung: Die Frau Präsidentin hatte
vorhin den Titel dieses Gesetzes genannt. Möglicherweise sollten wir eine Kommission gründen, die etwas
anwendungsfreundlichere Titel von Gesetzen findet.
Vielen Dank.
({4})
Seien Sie froh, dass wir so lange Wörter noch lesen
können.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ina Lenke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Soldatinnen leisten in allen
Teilstreitkräften erfolgreich Dienst und übernehmen Verantwortung. Sie stellen täglich ihre Leistungsfähigkeit
unter Beweis.
Den Kolleginnen und Kollegen der SPD zur Erinnerung: Sie haben sich bis zum Schluss gegen Frauen in
der Truppe gesperrt. Erst ein Urteil des EuGH musste
Sie überzeugen. Sie haben unsere Anträge, Frauen in die
Bundeswehr zu bringen, hier im Parlament immer abgelehnt. Von daher sollten Sie sehr kleine Brötchen backen.
({0})
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine
Anfrage „Soldatinnen in der Bundeswehr“ zeigt, dass in
einigen Bereichen Soldatinnen im Vergleich zu ihrer
Gesamtzahl in der Bundeswehr stark unterrepräsentiert
sind und manchmal sogar völlig fehlen. Dies gilt besonders für den Bereich der Nachwuchsgewinnung. Die
Antworten der Bundesregierung belegen ferner, dass
Soldatinnen später und in geringerer Zahl als ihre männlichen Kollegen Führungspositionen in der Bundeswehr
erreichen.
Gemindert wird die Attraktivität der Bundeswehr für
viele Frauen und familienorientierte Männer durch die
stark eingeschränkte Vereinbarkeit von Familie und Soldatenberuf, vor allem durch häufige Versetzungen - diese
stören auch mich sehr; hier ist eine Änderung dringend
erforderlich -, fehlende Dienstzeitregelungen und immer
häufigere Auslandseinsätze. Dies zeigen auch der Bericht des Wehrbeauftragten und Untersuchungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr.
Die Bundeswehr wird in Zukunft aber auf Soldatinnen und Soldaten mit hoher fachlicher Kompetenz angewiesen sein. Sie wird mehr denn je auf dem Arbeitsmarkt mit der privaten Wirtschaft und dem öffentlichen
Dienst um die besten Fachkräfte konkurrieren müssen.
Diesen Wettbewerb wird sie nur bestehen können, wenn
sie auch für junge ausbildungs- und arbeitssuchende
Frauen attraktiv wird.
({1})
Dazu muss die Bundeswehr auf die persönlichen Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten Rücksicht nehmen. Drei Jahre nach der Parlamentsentscheidung,
grundsätzlich Frauen in die Bundeswehr aufzunehmen,
liegen nun ausreichende Erfahrungen und Erkenntnisse
vor, sodass wir Korrekturen und Ergänzungen bei der sozialen, rechtlichen und organisatorischen Integration von
Frauen in die Bundeswehr vornehmen können.
Die FDP hat in einem Antrag Forderungen aufgestellt. Einige dieser Forderungen trage ich Ihnen im Folgenden vor:
Erstens. Wir wollen, dass der Anteil von Soldatinnen
im Truppen- wie im Sanitätsdienst in allen Laufbahnen
und Besoldungsgruppen erhöht wird. Dazu sind kurz-,
mittel- und langfristige Zielgrößen festzulegen.
Zweitens fordern wir, dass bei allen immer Eignung,
Befähigung und Leistung die zentralen Entscheidungskriterien sind, damit Frauen genauso wie Männer bis in
die Spitzendienstgrade befördert werden; denn sie sind
gut und sie sind manches Mal auch Spitze.
Drittens. Wir wollen, dass der Einsatz von Soldatinnen als Jugendoffiziere schneller realisiert wird. Wir
wollen, dass geeignete Soldatinnen an der Seite von Jugendoffizieren arbeiten. Herr Kolbow, vielleicht gibt es
so Ansprechpartner für junge Frauen. Das sollten Sie
einmal in Ihre Überlegungen einbeziehen.
Viertens geht es darum, gezielt auch die Möglichkeit
des Seiteneinstiegs für qualifizierte Frauen bei der Bundeswehr zu schaffen.
Fünftens soll die Zahl der Ansprechstellen für spezifische Probleme weiblicher Soldaten erhöht werden.
Sechstens - ich komme damit schon fast zum Schluss fordern wir, für alle nicht im Auslandseinsatz befindlichen Soldatinnen und Soldaten Teilzeitmöglichkeiten
wie im öffentlichen Dienst zu schaffen.
Als frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion
sage ich sehr deutlich: Die Bundeswehr hat sich - mit
Ausnahme von Auslandseinsätzen - auf die Belange von
Müttern und Vätern in besonderer Weise einzustellen.
Wir alle wollen doch nicht, dass die Bundeswehrangehörigen auf Kinder verzichten, weil das Umfeld nicht
stimmt.
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit der
Quotenregelung hat die FDP intensiv beraten. Wir von
der FDP werden das auch in den Ausschüssen weiter
tun. Aber wir wissen von den Soldatinnen selbst, dass
sie keine Quotenfrauen werden wollen.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Ursula Mogg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute einen Gesetzentwurf beraten, über den es im Hause im
Großen und Ganzen nur wenige Differenzen gibt. Abgesehen von der Bedeutung des Gesetzes für die Bundeswehr zeigt das, dass die Gleichstellung der Geschlechter
inzwischen ein Anliegen ist, über das zumindest in der
Programmatik, wenn auch nicht immer in der Praxis ein
gewisses Einvernehmen besteht.
Damit werden wir vor allem den berechtigten Anliegen der Soldatinnen und Soldaten gerecht. Die Bundeswehr ergreift die Chance auf einen Image- und Attraktivitätsgewinn als Arbeitgeber. Das Parlament wird damit
seinem eigenen Anspruch gerecht, den es fast auf den
Tag genau vor drei Jahren formuliert hat.
Das vorliegende Gesetz ist eng an das für die Beschäftigten der Bundesbehörden und Bundesgerichte
geltende Recht - unter Berücksichtigung der besonderen
Erfordernisse der Streitkräfte - angelehnt. Es geht um
Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf
oder die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung.
Mit einem gewissen Amüsement mag man zur Kenntnis nehmen, dass sich selbst die Union im Bundesrat bemüht, die Koalition in dem einen oder anderen Detail sozusagen links zu überholen, in Bezug auf die Frage der
Teilzeitregelung im Auslandseinsatz zum Beispiel. Obwohl wir hierbei, wie Sie wissen, anderer Meinung sind,
neige ich dazu, Ihnen Mut zu machen, den selbst gewählten Ansatz weiter zu verfolgen.
Das vorliegende Gesetz unterlag besonderen Anforderungen. Es gibt inzwischen viele Soldatinnen in der
Bundeswehr, aber eine Geschlechterparität in der Grundgesamtheit besteht bekanntlich nicht. Wie ist in diesem
Bereich Geschlechtergerechtigkeit zu gewährleisten?
Auslandseinsätze sind in der Regel so geartet, dass die
Bundeswehr besonderen Anforderungen unterliegt. Wie
kann man bei einem Job, der Engagement und Aufmerksamkeit rund um die Uhr erfordert, Teilzeitangebote aufrechterhalten? - Ich denke, dass das zur Debatte stehende Gesetz solchen Problemen, in denen es sich von
einem - in Anführungszeichen - normalen Gleichstellungsgesetz unterscheidet, besonders gut gerecht wird.
Ein Gesetz, das den Anspruch hat, Gerechtigkeit herzustellen, muss logischerweise den Eindruck vermeiden,
Bevorzugung Vorschub zu leisten. Das Letzte, was wir
in der Bundeswehr brauchen, ist miese Stimmung nicht bei den Männern und auch nicht bei den dort tätigen Frauen.
({0})
Aus diesem Grunde ist die regelmäßige Überprüfung
der angestrebten Standards und deren Anpassung an die
jeweilige Situation ein sinnvolles Unterfangen. Wir können heute nicht sagen, wie viele Frauen in fünf Jahren
als Soldatinnen bei der Bundeswehr tätig sein werden.
Aber wir können sagen, dass es ein staatliches Ziel ist,
sie entsprechend ihrem jeweils feststellbaren Anteil zu
fördern.
Es sollte selbstverständlich sein, dass die Förderung
die gleichen Qualifikationen zwingend voraussetzt. Ich
betone dies hier dennoch, weil es ein nicht totzukriegendes Argument gegen Förderquoten ist, das in der Diskussion immer wieder auftaucht. Sie dürfen sicher sein: Die
Gleichstellung von Frauen ist mir seit Anbeginn meines
politischen Engagements ein Anliegen. Ich war aber
auch immer der Auffassung, dass dieses Anliegen nicht
durch eine Militanz, durch die jedes anderweitige Interesse ignoriert wird, diskreditiert werden darf.
Ein Arbeitsplatz bei der Bundeswehr ist nicht wie jeder andere. Wer seinen Beruf beim Militär sucht, der
muss wissen, dass diese Aufgabe einen besonderen Einsatz fordern kann, besonders bei einer Armee in internationaler Verantwortung. Eine Armee im Einsatz kann
keine Teilzeitarbeit garantieren - nach dem möglicherweise etwas absurden Motto: Stellen Sie bitte das Feuer
ein, ich habe Feierabend! Natürlich sollte die Politik
aber ein Auge darauf haben, dass Teilzeit dort, wo sie
wünschenswert und vertretbar ist, selbstverständlich
wird, insbesondere vor dem Hintergrund der insgesamt
notwendigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Dieses Thema steht auf der großen Agenda. Das bedeutet für die Bundeswehr neben den bereits erwähnten
Themen: familienfreundliche Einsatzplanung und Versetzung, familienfreundliche Steuerung des Stellenmarktes, familienfreundliche Personalführung und weitere
Verbesserung der Familienbetreuung.
({1})
- Da brauchen Sie nicht gespannt zu sein. Das alles wird
Realität.
({2})
Wir stehen ohne Wenn und Aber zur Verantwortung
für unsere Soldatinnen und Soldaten. In diesem Sinne ist
es auch konsequent, dass bei der Bundeswehr Ehen ohne
Trauschein - zumal solche, aus denen Kinder hervorgehen - einen ähnlichen Respekt und dieselbe Förderung
erfahren wie die mit Trauschein.
({3})
Ich beziehe dies insbesondere auf die beschwerliche
Pflicht der Soldatinnen und Soldaten, alle zwei bis drei
Jahre den Standort zu wechseln, und auf die damit verbundenen familiären Belastungen. Ich habe manchmal
den Eindruck, dass das Regierungshandeln an dieser
Stelle gelegentlich etwas zu verzagt ist.
({4})
Die Lebensrealität fordert realistische Entscheidungen,
keine antiquierten Gesellschaftsbilder.
({5})
Der vorliegende Gesetzentwurf wird den Besonderheiten und der Herausforderung, Gleichberechtigung in
einem Bereich anzustreben, in dem auch das Unerwartete zur alltäglichen Arbeit gehört, insgesamt gerecht.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annette
Widmann-Mauz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Mogg, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem heutigen Namenstag!
({0})
Was vor nicht allzu vielen Jahren noch heiß und
grundsätzlich debattiert wurde, ist heute zur begrüßenswerten Realität geworden: Frauen leisten Dienst in allen
Verwendungen der Bundeswehr; Frauen sind in der Bundeswehr angekommen. Der Qualifikationsgrad der Soldatinnen ist sehr hoch. Sie zeichnen sich durch hohe Motivation, großes Engagement und Leistungsbereitschaft
aus. Frauen, die sich für eine Laufbahn in der Bundeswehr entscheiden, wollen nicht in Watte gepackt werden,
aber sie wollen gute Rahmenbedingungen und Chancengleichheit. Sie haben Respekt verdient, nicht zuletzt von
ihren männlichen Kameraden.
({1})
Es ist wichtig, die Chancengleichheit für Soldatinnen
in der Bundeswehr mit angemessenen Maßnahmen in
der Praxis weiter zu verbessern und damit die Akzeptanz
von Frauen in der Bundeswehr weiter zu erhöhen. Wir
von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen deshalb nachdrücklich das Anliegen, die Gleichstellung von
Soldatinnen und Soldaten in einem Gesetz festzuschreiben. Dies haben wir unter anderem in unseren beiden
Anträgen deutlich gemacht.
Gute Rahmenbedingungen sind die Grundlage für erfolgreiche Laufbahnen. Diese Rahmenbedingungen
müssen für Soldatinnen durchgesetzt werden. Wir wollen die Durchsetzung der Ermöglichung von Teilzeitarbeit und Maßnahmen für eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Wir fordern von Ihnen
ein schlüssiges Kinderbetreuungskonzept, das den spezifischen Lebenssituationen von Soldatinnen und Soldaten
gerecht wird. Wir setzen uns dafür ein, dass die Anwendung der geforderten Maßnahmen auch im Auslandseinsatz sichergestellt wird. Frau Kollegin, ich sehe da
eigentlich überhaupt keinen Anlass, in rechts oder links
einzuteilen, denn diese Maßnahmen bieten sich für eine
solche Kategorisierung nicht an.
({2})
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch
allzu gut an die Regierungsbefragung zu diesem Gesetzentwurf am 30. Juni, in der Ihr Kollege, Herr Staatssekretär, nicht die frühere Kollegin - den Frauenmangel in
diesem Bereich hat die Bundesregierung ja ein Stück
weit selbst verschuldet -, zugegen war. Bei dieser Befragung haben wir Abgeordnete der CDU/CSU ja nachdrücklich auf die Schwachstellen Ihres Gesetzentwurfs
hingewiesen und Sie gefragt, ob nicht auch Sie die Fallstricke der von Ihnen vorgeschlagenen Quotenregelung
erkennen. Wir wollten von Ihnen unter anderem wissen,
ob die Situation von Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen wirklich so wenig beachtenswert ist, dass
sie keine Erwähnung in diesem Gesetz finden soll. Wir
haben auch auf die nicht ausreichenden Qualifikationsmaßstäbe verwiesen, auf denen Ihre Quoten ja aufbauen,
({3})
und auf die Tatsache, dass Alleinerziehende mit kleinen
Kindern der Willkür des Ministeriums ausgesetzt sind,
dem es überlassen bleibt, ob sie zu einem Auslandseinsatz herangezogen werden oder nicht.
({4})
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auf das
Thema Quotenregelung im Detail eingehen. Nach Ihrem Gesetzentwurf soll künftig festgeschrieben werden,
dass eine Unterrepräsentanz von Frauen in der Bundeswehr dann vorliegt, wenn ihr Anteil in den einzelnen
Streitkräften unter 15 und im Sanitätsdienst unter
50 Prozent liegt. Praktisch bedeutet das, dass nach InKraft-Treten Ihres Gesetzes 18 Monate lang im Bereich
des Sanitätsdienstes nur noch Frauen zu Unteroffizieren
befördert werden dürfen. Welche Auswirkungen das in
der Realität hat, müsste Ihnen eigentlich bewusst sein.
Oder glauben Sie ernsthaft, dass dieses das Verhältnis
von Frauen und Männern in der Truppe nicht beeinträchtigen wird?
Sie verweisen dann - das ist selbstverständlich und
auch richtig - sofort auf das Qualifikationsprinzip bei
der Anwendung Ihrer Quotenregelung. Aber genau da
liegt ja der Hase im Pfeffer. Was unter gleicher Qualifikation zu verstehen ist, wird in Ihrem Gesetz nämlich
nicht definiert. Das ist Sache des Erlassgebers und der
Rechtsprechung. Das Beurteilungssystem von Soldatinnen und Soldaten kennt keine ausreichend differenzierte
Leistungsunterscheidung. Die Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten kennen auch kein Gesamturteil. Es
gibt nur verschiedene Wertungsabschnitte mit gleichrangig nebeneinander stehenden Aussagen. Keine Spur also
von geeigneter Leistungsdifferenzierung! Die Rechtsprechung aus dem Beamtenrecht kann also nicht direkt
auf die Streitkräfte übertragen werden.
Auch der Notendurchschnitt aus der gebundenen Beschreibung passt nicht, da er nur eine von vier Wertungen bzw. Aussagen darstellt. Im Übrigen hat dieser
Schnitt so gut wie keinen Aussagewert, wenn zum Beispiel bei den Hauptfeldwebeln mehrere tausend Soldatinnen und Soldaten die Wertung 5 - diese bedeutet:
Leistungen übertreffen erheblich die Anforderungen haben. Die Konsequenz hieraus lautet wiederum: Sind
zum Beispiel zehn Stellen zu besetzen und gibt es unter
1 000 gleich qualifizierten Anwärtern zehn Frauen, werden nur sie befördert. Ist dies in unserem Sinne? Glauben Sie ernsthaft, so für Frauen in der Truppe etwas zu
erreichen? Ihr Quotenvorschlag geht völlig an der Lebenswirklichkeit von Soldatinnen und Soldaten vorbei.
({5})
Wir in der CDU/CSU schlagen deshalb vor, von der
von Ihnen vorgeschlagenen starren Quotierung abzusehen und stattdessen einen so genannten jahrgangsbezogenen Quotenzusatz einzuführen. Wir wollen, dass bis
zu einer Quote gefördert wird, die dem tatsächlichen Anteil weiblicher Soldaten in den jeweiligen Jahrgängen
entspricht. Dieser Vorschlag wird ja auch vom Deutschen Bundeswehr-Verband nachdrücklich unterstützt.
({6})
Zugleich schlagen wir vor, das Beurteilungssystem mit
dem Ziel einer stärkeren Leistungsdifferenzierung zu reformieren. Damit wäre für die Soldatinnen eine Menge
gewonnen, ohne die männlichen Kameraden unangemessen zu benachteiligen. Ich frage mich, warum Sie
nicht auf diese Forderungen der Soldatinnenvertretung
eingehen.
Meine Damen, meine Herren, in der Gleichstellungspolitik ist Fingerspitzengefühl gefragt. Mit einer unrealistischen Quotierungsregelung tut man den Soldatinnen
keinen Gefallen.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3918 und 15/3717 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 15/3960, also Tagesordnungspunkt 10 c, soll federführend an den Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Marlies Volkmer, Gudrun Schaich-Walch,
Erika Lotz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Birgitt
Bender, Volker Beck ({0}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die flächendeckende ambulante hausärztliche
Versorgung sichern
- Drucksache 15/3581 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marlies Volkmer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mitte der 90er-Jahre ging es um alternative Berufsfelder
für Ärzte. Ärzte trugen immer wieder die Forderung vor,
die Zulassungsbeschränkungen für das Medizinstudium
strenger zu regulieren, und zwar vor dem Hintergrund,
dass sie eine Ärzteschwemme befürchteten. Das war
eine Fehleinschätzung seitens der Ärzteschaft. Heute beschäftigen wir uns mit dem Gegenteil, nämlich mit einem drohenden Ärztemangel, speziell im hausärztlichen
Bereich.
Dabei ist die durchschnittliche Ärztedichte in
Deutschland noch immer relativ hoch. Aus ländlichen
und strukturschwachen Regionen berichten Patienten
aber zunehmend davon, dass sie weitere Wege zum
Hausarzt und längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Manche finden überhaupt keinen Hausarzt.
Probleme entstehen vor allem dann, wenn Ärzte in
den Ruhestand gehen, jedoch keinen Nachfolger für ihre
Praxis finden. In den nächsten Jahren werden viele Ärzte
in den Ruhestand gehen, gerade in den neuen Bundesländern; denn der Anteil älterer Ärzte ist dort durchschnittlich größer als in den alten Bundesländern. Rund
45 Prozent der Hausärzte werden in den nächsten zehn
Jahren ihre Praxis aufgeben.
Es ist auch kein Geheimnis, dass es für junge Allgemeinärzte nach wie vor attraktiver ist, sich in den alten
Bundesländern niederzulassen. Grund hierfür ist unter
anderem ein deutlich niedrigeres Einkommen bei höherer Arbeitsbelastung im Osten, da dort mehr alte und
kranke Menschen leben und die Arztdichte geringer ist.
Generell haben jedoch alle strukturschwachen und ländlichen Gebiete in ganz Deutschland ähnliche Probleme:
Je weiter ein Praxisstandort von der nächsten größeren
Stadt entfernt ist, je schlechter die überregionale Verkehrsanbindung und das kulturelle und gesellschaftliche
Ambiente sind, desto geringer ist die Bereitschaft von
Ärztinnen und Ärzten, sich dort niederzulassen.
Was ist zu tun, um den drohenden Ärztemangel zu
verhindern? Ein Großteil der lokalen Versorgungsprobleme muss durch die zuständigen Stellen vor Ort gelöst
werden. In erster Linie sind die Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert; denn ihre gesetzliche Aufgabe ist
die Sicherstellung der ambulanten Versorgung. Sie müssen durch geeignete Maßnahmen Anreize für die Niederlassung in schlecht versorgten Regionen schaffen. Der
Gesetzgeber muss für den notwendigen gesetzlichen
Rahmen sorgen. Dieser Rahmen ist durch die letzte Gesundheitsreform wesentlich erweitert worden. Zum Beispiel wurde den Kassenärztlichen Vereinigungen ermöglicht, in den Regionen, in denen Unterversorgung droht,
Ärzten Zuschläge zum Honorar zu zahlen, um die Versorgung sicherstellen zu können. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen sind gefordert, dieses Instrument auch
anzuwenden. Zudem wurde in den neuen Bundesländern
die Gesamtvergütung für die Ärzte erhöht.
Auch die Einführung Medizinischer Versorgungszentren wird die Versorgungssituation verbessern. Diese
Zentren haben die ostdeutschen Polikliniken zum Vorbild. Für die Patienten ist es attraktiv, unter einem Dach
unterschiedliche medizinische Leistungen in Anspruch
nehmen zu können. Für die Ärzte, vor allem für junge
Ärztinnen und Ärzte, ist es interessant, als Angestellte
eines Versorgungszentrums an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmen zu können. Es ist dann beispielsweise in einer ländlichen Region möglich, für einige Zeit
ambulant tätig zu sein, ohne sich mit einer Praxis finanziell verschulden zu müssen.
Es hat sich aber gezeigt, dass der Gesetzgeber weitere
Maßnahmen ergreifen muss. Wichtigste Aufgabe ist es,
die Voraussetzungen für die Anstellung von Ärzten in
Arztpraxen zu vereinfachen. So wären zum Beispiel
Ärzte, die bereits im Ruhestand sind, durchaus bereit, für
einige Jahre als Angestellte in einer Arztpraxis zu arbeiten.
({0})
Das scheitert jedoch daran, dass die Beschäftigung von
angestellten Praxisärzten eine Leistungsausweitung der
Praxis nur um maximal 3 Prozent zur Folge haben darf.
Daher muss gesetzlich festgeschrieben werden, dass ein
Arzt in einer Vertragsarztpraxis ohne Leistungsbegrenzung angestellt werden kann, wenn es sich um eine Region handelt, in der Zulassungen prinzipiell möglich
sind, also wenn es sich nicht um eine gesperrte Region
handelt.
Wenn wirklich alle Möglichkeiten genutzt werden
sollen, um Versorgungslücken zu schließen, müssen
auch Denkblockaden überwunden und neue Wege gegangen werden.
({1})
Ich weiß um die Ängste der Ärzteschaft vor Einzelverträgen mit den Krankenkassen. Im Interesse der Patientinnen und Patienten - denn um deren Versorgung geht
es - muss es jedoch möglich sein, dass in unterversorgten Gebieten Ärzte und Krankenkassen Verträge aushandeln können. Hier bestehen für Ärzte gute Möglichkeiten, sich zu etablieren. Wenn die KVen ihren
Sicherstellungsauftrag erfüllen, gibt es überhaupt keine
Notwendigkeit für Einzelverträge.
Wie bereits erwähnt, gibt es in Deutschland Regionen, wo überdurchschnittlich viele alte und kranke Menschen leben. Die bisherigen Instrumente der Bedarfsplanung für Praxissitze stellen jedoch nur auf die
Einwohnerzahl ab. So kann es vorkommen, dass Ärzte
für die gleiche Zahl an Patienten überdurchschnittlich
viel Arbeit aufbringen müssen. Deswegen ist es notwendig, bei der Bedarfsplanung auch den Morbiditätsgrad in
der Bevölkerung zu berücksichtigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzgeber
legt den gesetzlichen Rahmen fest. Wir wollen diesen
Rahmen mit unserem Antrag verbessern. Letztlich sind
alle Akteure im Gesundheitswesen, aber auch Bürgermeister und Landräte, gefordert, gemeinsam diesen Rahmen auszufüllen und Maßnahmen gegen den Ärztemangel durchzusetzen.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es liegt wohl in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unlogisch zu handeln. Unsere
Welt ist voller Beispiele dafür. Deshalb muss es im Parlament unsere Aufgabe sein, ständig Logik in unser Handeln zu bringen.
Ich nenne ein Beispiel für nicht logisches Handeln. In
der letzten Sitzungswoche ist die von uns allen gemeinsam beschlossene Zahnersatzregelung von der Koalition
zurückgenommen worden.
Ein weiteres Beispiel ist heute dieser Antrag. Warum?
Nach der gemeinsamen Verabschiedung des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes, in dem nach zähem Ringen zum Beispiel eine Verbesserung der Honorarsituation der Ärzte in den neuen Bundesländern
erreicht wurde, waren wir uns einig, eine gemeinsame
Arbeitsgruppe, in der auch die Länder mitarbeiten, einzusetzen. Sie sollte sich mit erkannten Problemen befassen und Grundlagen für unser weiteres Vorgehen erarbeiten.
Das ist geschehen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit aufgenommen. Sie befasst sich
mit der Überprüfung des Risikostrukturausgleichs, mit
Fragen zum Organisationsrecht der Krankenkassen sowie mit der Versorgungssituation im ambulanten und im
stationären Bereich. Das heutige Thema ist also Bestandteil der Aufgabe der Arbeitsgruppe. Verabredet
war, dass erst dann, wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorliegen, parlamentarische Initiativen ergriffen
werden sollen. Nun ist es aber anders gekommen. Wo
bleibt da die Logik des Handelns?
({0})
Nun könnten wir eigentlich aufatmen, weil endlich
auch die Regierungskoalition erkannt hat, dass vor allem
in den strukturschwachen Regionen der neuen Bundesländer bestimmte Bereiche hinsichtlich der ambulanten
ärztlichen Versorgung dringenden Handlungsbedarf haben.
({1})
Noch vor einem Jahr hat das die Regierung negiert.
Deshalb freue ich mich, Frau Volkmer, dass Sie die Initiative ergriffen haben, leider an der Absprache der
Arbeitsgruppe vorbei. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, im Folgenden Ihre heutigen Vorschläge dem gegenüberzustellen, was die Bundesregierung zu genau
diesem Thema in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage ausgeführt hat.
({2})
Dass Handlungsbedarf besteht, darin sind wir uns einig;
das habe ich bereits gesagt. Insbesondere die Hausärzte
in den neuen Ländern haben das permanent thematisiert.
Es haben unzählige Gespräche stattgefunden. Insofern
sind wir schon einen Schritt weiter.
Ich empfehle also allen Interessierten, die Drucksache 15/1440 - das ist die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU zur Situation
der ambulanten Versorgung in den neuen Bundesländern
vom 18. Juli 2003 - und die Drucksache 15/3581, die
heute zur Debatte steht, zu vergleichen. Drei Beispiele
will ich aufgreifen, weil sie den Sinneswandel der Regierung - ich sage noch einmal: Gott sei Dank - verdeutlichen:
Erstens. Auf unsere Frage 11, wie die Bundesregierung die Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bewertet, wonach in den neuen Ländern bis
zum Jahre 2008 ein Ersatzbedarf an 1 944 Hausärzten
besteht, wird geantwortet - jetzt zitiere ich -:
Einen Ersatzbedarf in der genannten Größenordnung sieht die Bundesregierung nicht.
Heute steht im Antrag der Koalition zu diesem
Thema, dass jenseits der Bedarfsplanung problematische
Versorgungssituationen bestehen, wenn frei werdende
Arztsitze nicht wieder besetzt werden. Jetzt zitiere ich:
Bei einer Nichtnachbesetzung der frei werdenden
Arztstellen besteht die Gefahr, dass Planungsbereiche unter die … Unterversorgungsgrenze von
75 Prozent fallen.
In dem heute vorliegenden Antrag wird weiter festgestellt, dass die Zahl der Hausarztstellen in den neuen
Bundesländern entgegen dem Gesamttrend von 2001 bis
2002 um 1,82 Prozent zurückgegangen ist. Dazu merke
ich an: Unsere Anfrage war von 2003; da lagen die Zahlen von 2002 bereits vor.
Zweitens. Auf unsere Frage 28 zur Niederlassungsbereitschaft in den neuen Ländern antwortet die Bundesregierung, dass es trotz des Rückgangs der Studienzahlen wegen der Reduzierung der Studienplätze
ausreichenden ärztlichen Nachwuchs gibt. Auf eine spätere Frage heißt es - jetzt zitiere ich -:
Es wird immer wieder Versorgungsregionen geben,
die von jungen Medizinern als weniger attraktiv angesehen werden … Solange es ungesperrte Versorgungsbereiche in Deutschland gibt, ist es der Entscheidung des Einzelnen überlassen, den aus seiner
Sicht attraktivsten Arztsitz zu wählen.
Außerdem sei eine Erhöhung des Vergütungsniveaus in
den neuen Ländern schrittweise durchgesetzt worden.
Mit anderen Worten - ich fasse zusammen -: Die
Bundesregierung sieht sich also nicht veranlasst, die Unterversorgungsregionen zu thematisieren.
Heute klingt das Gott sei Dank anders: Die Bereitschaft zur Niederlassung in den neuen Ländern - so steht
es sinngemäß im Antrag - ist gering, da Vergütung und
Lebensbedingungen in den alten Ländern besser sind
und in den neuen Ländern eine höhere Morbidität besteht, sodass pro Arzt 8 Prozent mehr Versicherte zu behandeln sind.
Dazu kann ich nur sagen: Endlich eine reale Wahrnehmung! Das ist sogar ein Lob.
({3})
Drittens, zur Morbidität. Wir hatten in unserer Kleinen Anfrage die Frage gestellt, wie denn die Versorgungssituation im Hinblick auf die Morbidität und die
Altersstruktur der Bevölkerung in den neuen Ländern
aussieht und welche Krankheiten einen Schwerpunkt bilden.
Antwort der Bundesregierung:
Der Bundesregierung liegen keine aktuellen, detaillierten Daten über die Versorgungssituation im Hinblick auf die Morbidität der Bevölkerung in den
neuen Ländern vor.
So einfach wurden wir als Opposition abgespeist.
({4})
Heute heißt es im vorliegenden Antrag:
Da aufgrund der relativ geringen Anzahl für Hausärzte gesperrter Planungsbereiche auch in den alten
Bundesländern weitgehende Niederlassungsfreiheit herrscht, ziehen es viele Hausärzte vor, sich in
den alten Bundesländern niederzulassen. Gründe
hierfür sind die höhere Morbidität in den neuen
Bundesländern und die damit verbundene höhere
Arbeitsbelastung der Allgemeinmediziner … sowie
die schlechteren Lebensbedingungen in strukturschwachen Regionen mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit ...
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will es
bei diesen drei Fakten belassen. Man könnte es noch
fortführen. Fakt ist, dass wir die Bewertung von Versorgungsregionen neu aufrollen müssen - da sind wir uns
einig -, dass wir mehr Anreize für Niederlassungen in
strukturschwachen Regionen schaffen müssen und dass
wir den Arzt im öffentlichen Bewusstsein nicht zum
Großverdiener und Abzocker degradieren dürfen,
({5})
sondern als den Diener unserer Gesellschaft anerkennen
müssen.
Salbungsvolle Worte werden aber wenig Einfluss auf
die Entscheidungen junger Mediziner haben. Die Schaffung handfester Voraussetzungen, Anreize und Ausgleichsmaßnahmen für unterschiedliche Situationen in
unseren Bundesländern sind notwendig. Hier sehen wir
uns einig mit den Forderungen des Ärztetages hinsichtlich der Arztbindung und berufsübergreifender KooperaMaria Michalk
tionen. Gewinnmaximierung für Ärzte ist nicht unsere
Triebkraft. Gleichwohl muss sich der Einsatz lohnen.
({6})
Wir legen großen Wert darauf, die Ergebnisse der eingesetzten Arbeitsgruppe abzuwarten, um sie dann gemeinsam mit Leben zu erfüllen. Dass wir nicht ganz daneben liegen und die Arbeitsgruppe in die gleiche
Richtung denkt, bestätigen Aussagen von Mitgliedern
dieser Arbeitsgruppe, die auch Ihren Antrag gelesen haben. Im Protokoll und jetzt in Ihrem Antrag sind sehr
ähnliche, wenn nicht sogar wortgleiche Passagen.
({7})
- Dann halten Sie sich bitte an die Absprachen! Wir halten uns daran.
({8})
Die Menschen erwarten von uns zu Recht vernünftige
Rahmenbedingungen, damit Probleme gelöst werden
können. Die Erfüllung des Versorgungsauftrages auch
in der Fläche gehört dazu.
Ich will ein Fazit ziehen. Nur wer die Wirklichkeit
wahrnimmt, kann sie auch gestalten. Die Wahrnehmung
der Sorgen in Bezug auf die hausärztliche Versorgung
vor allem in den neuen Bundesländern hat sich auf der
Regierungsseite verbessert. Ich sage noch einmal: Nun
sollten wir uns aber an die Absprachen halten und die
Sache neu auf die Tagesordnung setzen, wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorliegen. Denn Aktionismus
- egal von welcher Seite - hilft weder den Leistungserbringern noch den Patienten oder den Menschen, für die
wir da sind.
In diesem Sinne hoffe ich, dass uns das eine Lehre
war und dass wir uns an die Absprachen halten.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Auch für das Gesundheitswesen gilt offensichtlich der Grundsatz: Alles ist relativ.
Zu Beginn der 90er-Jahre war häufig von einer Ärzteschwemme die Rede. Damals gab es bundesweit
300 Ärztinnen und Ärzte pro 100 000 Einwohner. In den
letzten Jahren wird dagegen viel von Ärztemangel gesprochen: Dem deutschen Gesundheitswesen gingen die
Ärzte aus; mittelfristig sei die medizinische Versorgung
der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet. Tatsächlich
haben wir aber heute 360 Ärztinnen und Ärzte pro
100 000 Einwohner,
({0})
also 20 Prozent mehr als zu Zeiten der befürchteten Ärzteschwemme.
({1})
Ich glaube deshalb, dass wir in Deutschland von einem
Versorgungsnotstand insgesamt weit entfernt sind.
Solche Globaldaten reichen selbstverständlich für die
Beurteilung arztgruppenbezogener oder regionaler Versorgungssituationen nicht aus. Tatsache ist, dass die
fachärztliche Versorgung in Ost- und Westdeutschland
gesichert ist. Vor allem in den neuen Bundesländern ist
die Zahl der Fachärzte in den vergangenen Jahren noch
einmal kräftig angestiegen, nämlich von 1993 bis 2002
um 20 Prozent. Tatsache ist aber auch, dass die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in den neuen
Bundesländern in einigen Regionen kurz- und mittelfristig gefährdet ist. Die hohe Zahl älterer Ärztinnen und
Ärzte, der rapide demographische Wandel in vielen Gegenden und die schlechte Verkehrssituation in manchen
Landstrichen drohen zu Versorgungslücken zu führen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind verschieden
und werden sich nicht alle durch Politik beheben lassen.
Dass sich junge Ärztinnen und Ärzte lieber in Westdeutschland niederlassen, weil dort das Leben vielfach
einfacher ist als in Ostdeutschland, Frau Michalk, unterscheidet sie überhaupt nicht von anderen Berufsgruppen.
Dies werden wir auch per politisches Dekret nicht ändern können. Dies gilt auch für den höheren Anteil lukrativer Privatversicherter in den alten Bundesländern.
Für die Verbesserung der Verdienstmöglichkeiten in
den neuen Bundesländern haben wir bereits mit der Gesundheitsreform viel getan. Die aus der gesetzlichen
Krankenversicherung bezogenen Ärztehonorare werden in West und Ost angeglichen. Angesichts der erheblichen und noch auf Jahre hinaus bestehenden Verdienstunterschiede zwischen den alten und den neuen
Bundesländern ist das ein bemerkenswerter Schritt.
Weitere Anreize entstehen dadurch, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die Möglichkeit haben, in unterversorgten Regionen Sicherstellungszuschläge zu zahlen.
Wichtiger als all diese materiellen Anreize muss es
aber sein, den Hausarztberuf in seinem gesellschaftlichen Ansehen und in seiner Stellung im Versorgungssystem wieder aufzuwerten. Zu lange konnte der Eindruck
entstehen, dass Hausärzte doch nur Ärzte zweiter Klasse
seien. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass die
Allgemeinmedizin unter den Studierenden nur noch wenig Interesse gefunden hat. Auch hier hat die rot-grüne
Bundesregierung eine deutliche Kurskorrektur vorgenommen. Bereits mit der Gesundheitsreform 2000
wurde ein eigener Anteil der Hausärzte an der Gesamtvergütung der Ärzte und wurde ihre eigenständige Berücksichtigung in der Bedarfsplanung eingeführt. Die
flächendeckende Ausweitung des Hausarztmodells infolge der jüngsten Gesundheitsreform ist ein weiterer
Schritt auf diesem Reformpfad. Ich denke, da haben wir
alle - zusammen mit der Unionsfraktion - einen guten
Kompromiss gefunden.
Wie schon einmal gesagt, die hausärztliche Versorgung wird zukünftig noch wichtiger werden. Durch die
zunehmende Zahl chronisch kranker und multimorbider
Patientinnen und Patienten, die mit ihren Krankheiten leben müssen, wird der Stellenwert von Ärztinnen und
Ärzten wachsen, die ihre Patientinnen und Patienten
auch in ihrem Lebensumfeld wahrnehmen und besondere Beratungskompetenzen aufweisen.
Ich möchte eines zum Schluss trotzdem noch sagen,
Frau Michalk. Wir haben die Unterversorgungsregionen
sehr wohl im Blick. Wir nehmen die Wirklichkeit wahr.
Politik ist hier aber nicht zuerst gefragt; vielmehr ist der
Sicherstellungsauftrag in der ärztlichen Versorgung in
erster Linie Sache der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Die, so denke ich, sollten erst einmal ihre Hausaufgaben
machen; wir werden die Rahmenbedingungen dafür mit
Sicherheit setzen.
Danke.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
werden ja sehen, was uns noch alles vonseiten der Koalition erwartet. Es ist allerdings wenig attraktiv, sich mit
einem gut dreiseitigen Antrag von Rot-Grün zu identifizieren, bei dem eine Viertelseite aus Forderungen an die
Bundesregierung in drei nichts sagenden Spiegelstrichen
besteht.
({0})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie erkennen „Anzeichen eines beginnenden Ärztemangels“ in
Deutschland - welch eine Verharmlosung angesichts der
Tatsache, dass ein hoher, zunehmender Prozentsatz der
Absolventen eines medizinischen Studiums erst gar
nicht in den Arztberuf geht. Frau Selg, die Zahlen, die
Sie genannt haben, mögen statistisch stimmen, die Realität sieht aber völlig anders aus und wird völlig anders
empfunden.
Ein Schuldiger ist natürlich auch schnell gefunden: die
Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese hätten gefälligst
durch geeignete Maßnahmen Anreize für die Niederlassung zu schaffen - basta! -, und das bei dem gesetzlichen
Rahmen, mit dem Rot-Grün seit Jahren den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und deren Personal das Leben schwerer und schwerer macht. Ein bisschen Selbstkritik hätte dem Antrag an dieser Stelle gut getan.
({1})
Was ist jetzt wirklich zu tun? Es müssen grundsätzlich
neue Bedingungen geschaffen werden, unter denen die
Ärzte eben nicht ins Ausland flüchten oder sogar ganz
aus der kurativen Medizin getrieben werden. Sie müssen
faire Arbeitsbedingungen und eine leistungsgerechte Bezahlung erwarten können. Sie brauchen eine langfristige
Perspektive und Planungssicherheit.
Das Wissen um freie Kapazitäten in ländlichen Gebieten, um gedeckelte Budgets und härtere Arbeitsbedingungen wird junge Ärzte - weder angestellt noch als
Freiberufler - sicherlich nicht in unterversorgte Gebiete
locken. Stärkere Anreize müssen gesetzt werden. Möglich wären Einkommensgarantien, finanzielle Anreize
oder die Aussicht auf einen Wechsel in ein beliebtes Gebiet nach einigen Jahren, wie wir es beispielsweise bei
Notaren kennen. Auf jeden Fall müssen die Budgets einer leistungsgerechten Vergütung mit festen Preisen weichen. Auch wenn ich es wichtig finde, dass man Ärzten
die Möglichkeit gibt, angestellt tätig zu sein, führt an einer Stärkung der Freiberuflichkeit kein Weg vorbei.
({2})
Der Arztberuf in Deutschland ist eng verknüpft mit
der Freiberuflichkeit und der Perspektive auf eine eigene
erfolgreiche Praxis, die ein kleines Unternehmen ist und
in der unter den Bedingungen der Therapiefreiheit gute
Medizin in einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen
Arzt und Patient betrieben werden kann.
Wer wirklich etwas bewegen will, der muss zudem
dafür sorgen, dass die Ärzte nicht mehr dafür missbraucht werden, die Rationierung vorzunehmen, um die
sich die Politik drückt. Die Behauptung, alles medizinisch Notwendige lasse sich aus dem zur Verfügung gestellten Topf finanzieren, ist und bleibt eine gesundheitspolitische Lüge.
({3})
Genauso wichtig ist es, die Ärzte in die Lage zu versetzen, ihre eigentliche Arbeit zu tun, nämlich Zeit für
ihre Patienten aufzuwenden, statt mit einem Übermaß an
Bürokratie traktiert zu werden. Bescheinigungen, Begründungen und Kontrollen haben überhand genommen.
Das aktuellste Beispiel dafür sind die DMPs, die Chronikerprogramme. Schaffen Sie endlich den Unsinn ab,
dass alle Maßnahmen bis ins Kleinste belegt, dokumentiert und begründet werden müssen, und hören Sie auf,
Ärzte als unqualifiziert und latent korrupt anzusehen!
({4})
Dann werden Sie sehen, dass junge Menschen wieder
Spaß daran gewinnen, als Ärzte zu arbeiten und zu helfen.
Wir sind gespannt, wie sich die Beratungen im Ausschuss entwickeln werden. Ihr Antrag braucht noch Futter. Da muss noch Fleisch dran.
({5})
Frau Spielmann, wir werden sehen, ob wir gemeinsam
eine Lösung erarbeiten können, durch die wir den Ärzten
wirklich helfen und ihnen bessere Arbeitsbedingungen
schaffen, als sie sie heute vorfinden.
Danke.
({6})
Letzte Rednerin ist die Kollegin Margrit Spielmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Nein. - Ich sollte etwas sehr Persönliches sagen, Herr
Parr: Ich bin gerade Oma geworden.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zentrale Anliegen dieses Antrages ist es, mit aller Deutlichkeit auf den
sich abzeichnenden Hausärztemangel hinzuweisen und
einen klaren Appell an die Verantwortlichen zu richten,
diese Situation zu ändern. Frau Michalk und Herr Parr,
dieser Appell richtet sich an uns alle: an die Politik, an
die KVen, an die Ärzte selbst und an die Krankenkassen.
({2})
- Lieber jetzt als gar nicht.
({3})
Eines sollte ich an dieser Stelle herausstellen: Wir alle
waren uns darüber einig, dass die hausärztliche Versorgung ein ganz wesentlicher Bestandteil unseres Gesundheitswesens ist. Die Hausarztversorgung wurde als
zentrales Element beschrieben. Ihre Bedeutung ist nicht
hoch genug einzuschätzen. Ich möchte nicht die Rolle
anderer Leistungserbringer in diesem Bereich schmälern, aber ich denke, dass zu einem gut funktionierenden
Gesundheitswesen ein Hausarztsystem gehört.
Deshalb haben wir die Hausärzte als Lotsen im GKVModernisierungsgesetz gestärkt. Darüber hinaus haben
wir die Krankenkassen mit der Möglichkeit ausgestattet,
mit besonders qualifizierten Hausärzten Verträge abzuschließen. Die hausärztliche Versorgung - auch das ist
wichtig - ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in unserem Lande von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Sie ist für eine sinnvoll gesteuerte medizinische Versorgung unersetzlich.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Lücken in
der hausärztlichen Versorgung können wir uns in keiner
Region unseres Landes leisten.
({4})
Fehlende Steuerung in unserem Gesundheitssystem kostet nun einmal viel Geld. Eine exakte Berechnung, wie
sich die hausärztliche Versorgung in einigen Bereichen
in den nächsten Jahren entwickeln wird, kann es zurzeit
nicht geben, aber die Zahlen sind alarmierend und veranlassen uns, jetzt zu handeln. Es wäre zu leichtfertig,
denke ich, einfach nur abzuwarten, wie sich die Zahlen
entwickeln. Wir haben es - das möchte ich klar hervorheben - mit einer neuen Situation zu tun: Gerade in den
neuen Ländern, in denen wir mit Hausarzt- bzw. Allgemeinarztpraxen übersät waren, gehen immer mehr Ärzte
altersbedingt in den Ruhestand. Damit ist eine neue Versorgungssituation eingetreten. Deshalb brauchen wir
neue Lösungen, gerade in Bezug auf die neuen Länder.
Deshalb brauchen wir einen Antrag und ich hoffe sehr,
dass wir uns im Ausschuss über diesen Antrag unterhalten, auch wenn er, wie Herr Parr sagt, nur zweieinhalb
Seiten stark ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erste wichtige
Schritte, bei denen wir die gesamte medizinische Versorgung im Blick hatten, sind wir gegangen. Ich sage als
Stichworte nur: Modelle der integrierten Versorgung,
Einrichtung von Versorgungszentren, die wieder vorhandene Möglichkeit der Einrichtung von Polikliniken. Wir
haben aber auch die Abschaffung des AiP vorangetrieben, Herr Parr, weil wir der Meinung waren, dass wir damit den Arztberuf wieder attraktiver machen.
({5})
Durch die Approbationsordnung haben wir neuen inhaltlichen Schwung in die Arztausbildung gebracht.
Aber wir brauchen für die Niederlassung gerade junger
Ärzte neue und praktikable Lösungen und Konzepte sowohl auf der strukturellen als auch auf der fiskalischen
Seite. Frau Michalk, ich habe ein Beispiel mitgebracht:
Meine KV in Brandenburg ermöglicht unter bestimmten
Voraussetzungen Umsatzgarantien für dringlich zu besetzende Vertragsarztplätze.
({6})
- Doch, dann gehen Ärzte auch in diese Regionen.
Die KV in Brandenburg beschäftigt zum Beispiel befristet Sicherstellungsassistenten. Außerdem wurde in
der KV Brandenburg ein Sicherstellungsfonds gebildet;
ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
({7})
Wir müssen natürlich auch die Hausärzte auf ein sicheres finanzielles Fundament stellen. Wir müssen - das ist
unser aller Ziel - die Angleichung von Ost und West erreichen; das ist unser allerwichtigstes Anliegen.
({8})
Da fühlen wir uns alle verpflichtet. Die Vergütung der
Ärzte in den neuen Ländern muss möglichst schnell
auf Westniveau angeglichen werden.
Die Präsidentin mahnt zum letzten Satz. - Wir alle
sind gefordert - ich schließe die Bürgermeister, Landräte, alle mit ein -, uns an einen Tisch zu setzen, um
möglichst viele Ärzte in die unterbesetzten Regionen zu
holen.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3581 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ruprecht Polenz, Dr. Friedbert Pflüger,
Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen kontrollieren
- Drucksache 15/3808 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nichtstaatlichen militärischen Sicherheitsunternehmen haben Konjunktur. Mit dem vorgelegten Antrag
möchte die Unionsfraktion einen Beitrag dazu leisten,
dass bessere Kontrollen dieser nichtstaatlichen militärischen Sicherheitsunternehmen implementiert werden.
Die Gründe für den Aufschwung dieser Unternehmen
seit 1990 liegen auf der einen Seite in der Reduzierung
des Umfangs der Streitkräfte, im Outsourcing bestimmter Funktionen, die früher das Militär wahrgenommen
hat, aber auch in einem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis von Behörden, internationalen Organisationen oder
auch privaten Unternehmen, auf der anderen Seite natürlich auch in den gestiegenen Unsicherheiten und Risiken, denen sich diese Unternehmen und Organisationen
ausgesetzt sehen.
Es gibt also sowohl staatliche als auch private Auftraggeber. Es sind auch keineswegs nur die USA, die
sich dieser Unternehmen bedienen; ich komme noch darauf zurück. Auch Großbritannien, Australien, die Vereinten Nationen und die Bundesrepublik Deutschland
tun dies.
Grundsätzlich kann man in der Literatur auch das Argument finden, dass der Bedrohungswandel in den Zeiten der Globalisierung Leistungen erfordere, die die nationalen Armeen kaum noch erfüllen können. Diesem
Argument wird man genauer nachgehen müssen. Wenn
man sich die Situation heute anschaut, dann erkennt
man, dass es im Irak mehr als 60 verschiedene nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen gibt. Einige von ihnen sind im Zusammenhang mit den Gefangenenmisshandlungen in dem Gefängnis Abu Ghureib in
die Schlagzeilen geraten.
Auch in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo sind
von den USA schon solche Unternehmen eingesetzt
worden. Das Verhältnis von Soldaten zu Mitarbeitern
nichtstaatlicher militärischer Sicherheitsunternehmen
betrug dort zehn zu eins. Ähnlich ist das Verhältnis heute
auch im Irak. Schwarzafrika ist ein weiteres Einsatzfeld.
Die Aufgaben dieser Unternehmen sind breit gefächert. Sie reichen von der Risikoanalyse und nachrichtendienstlicher Tätigkeit, also einer Beratungstätigkeit,
über das Training - beispielsweise werden auch die neue
irakische Armee und die irakische Polizei von solchen
Unternehmen trainiert - bis hin zur logistischen Unterstützung, zum Personenschutz, zur Minenräumung und
auch zu Kampfeinsätzen. Wichtig für die Einschätzung
ist auch, zu wissen, dass die Bezahlung der Mitarbeiter
dieser Unternehmen etwa zwei- bis dreimal so hoch ist
wie die eines Soldaten, der vergleichbare Aufgaben zu
erfüllen hat.
Damit komme ich zu den Problemen: Die Übergänge
zwischen den militärischen und den zivilen Aufgaben
dieser Unternehmen sind fließend. Daraus resultiert das
Problem, das im Grunde genommen Ursache für unseren
Antrag ist. Man kann die nichtstaatlichen militärischen
Sicherheitsunternehmen auch unter die Überschrift „Privatisierung militärischer Funktionen von oben“ stellen.
Dies ist ein Unterschied zur Privatisierung militärischer
Kriege von unten, den so genannten neuen Kriegen. Das
kann zu einem fundamentalen Wandel des Verhältnisses
des Militärs zum Nationalstaat führen und das staatliche
Gewaltmonopol infrage stellen.
Das führt zu der Frage: Dürfen nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen im Staatsauftrag etwas
tun, was das Militär nicht dürfte? Kann sich der Staat dadurch also bestimmten Bindungen entziehen? Um den
Problemkreis abzurunden, muss erwähnt werden, dass es
auch einen möglichen Interessenkonflikt für diese Unternehmen gibt. Einerseits werden sie für ihren Erfolg bezahlt, andererseits ist der Konflikt ihr Arbeitsgebiet.
Deshalb kann durchaus ein Interesse an einer Verlängerung dieses Konflikts und damit an der Sicherung ihrer
Arbeitsplätze bestehen.
({0})
Aus diesen Problemstellungen resultiert zunächst einmal eine ganze Reihe rechtlicher Fragen. Das Völkerrecht unterscheidet zunächst nur zwischen Zivilisten
und Kombattanten. Die Angehörigen von nichtstaatlichen militärischen Sicherheitsunternehmen sind auf der
einen Seite keine Kombattanten im völkerrechtlichen
Sinne und auf der anderen Seite oft aber auch keine Zivilisten. Es gibt bis heute kein eindeutiges und klares völRuprecht Polenz
kerrechtliches Regime für diese Unternehmen und es
gibt auch nur wenige nationalstaatliche Regeln.
Das führt nun zu erheblichen Unsicherheiten. Zum einen gilt das für die betroffenen Angehörigen dieser Unternehmen selbst, etwa für den Fall, dass sie in Gefangenschaft geraten. Sind sie dann als Kriegsgefangene zu
behandeln oder wie ist ihr Status? Zum anderen herrscht
auch hinsichtlich der Verantwortung Unsicherheit. Wer
haftet für Rechtsverstöße? Mein Fazit aus der Rechtslage: Nach meinem Eindruck operieren diese Unternehmen weitgehend im rechtsfreien Raum.
Was muss also geschehen? Ein Verbot dieser Organisationen ist illusorisch und wäre auch nicht sinnvoll.
Was man aber erreichen sollte, sind mehr Transparenz
und klare rechtliche Vorgaben für die nicht staatlichen
militärischen Sicherheitsunternehmen, sowohl auf der
nationalen wie auf der internationalen Ebene.
({1})
Darauf zielt unser Antrag ab.
Wir wollen, dass diese Unternehmen und ihre staatlichen Auftraggeber für rechtswidriges Tun haften. Wir
wollen, dass sie in ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte verpflichtet sind. Wir wollen auch, dass es transparente Rekrutierungs- und Auswahlverfahren für das
Personal, das dort beschäftigt wird, gibt. Wenn man an
nationale Regelungen denkt, dann sollte man zunächst
anstreben, dass die in Deutschland oder von Deutschland
aus operierenden Unternehmen einen eigenen Verhaltenskodex im Wege der Selbstregulierung vereinbaren.
Das sollte man anregen. Meine Kontakte haben ergeben,
dass bei den seriösen Unternehmen die Bereitschaft dazu
durchaus besteht.
Voraussetzung dafür ist natürlich, dass diese Unternehmen einer Registrierungspflicht unterliegen und dass
sie verpflichtet werden, ihre Vertragsabschlüsse mitzuteilen. Daraus kann sich dann ein Lizenzierungssystem
für diese militärischen Dienstleistungen ergeben.
Noch ein anderer Punkt ist wichtig. Es kann sein, dass
auch die Bundesrepublik Deutschland solche Unternehmen als militärische Sicherheitsunternehmen im Ausland einsetzt, also im Staatsauftrag. Dann muss natürlich
derselbe Parlamentsvorbehalt gelten, wie er für den
Einsatz der Bundeswehr gilt.
({2})
Wenn es sich um polizeiliche Aufgaben handelt, gelten
die gleichen Grundsätze, die dem Auslandseinsatz deutscher Polizei zugrunde liegen. Natürlich brauchen wir
auch im nationalstaatlichen Rahmen klare Haftungsregelungen.
International sollte die Bundesregierung endlich das
Ratifizierungsverfahren für die UN-Söldnerkonvention
von 1989 einleiten. Ich habe auf meine entsprechende
Anfrage von der Bundesregierung die Antwort bekommen, dass man sich wegen einiger rechtlicher Fragen
dieser Konvention nicht anschließen wolle. Man vertraue mehr auf den Internationalen Strafgerichtshof und
lehne im Übrigen das Söldnerwesen ab. Wir werden in
den Ausschüssen noch zu diskutieren haben, ob diese
Antwort der Bundesregierung überzeugend ist oder ob
wir als Bundesrepublik Deutschland nicht doch einen
Beitrag dazu leisten sollten, dass die Söldnerkonvention
der Vereinten Nationen auch bei uns ratifiziert wird und
damit in Kraft gesetzt werden kann.
Wir sollten international die Vereinten Nationen ebenfalls dabei unterstützen, dass eine internationale Registrierung dieser Unternehmen erfolgt, dass sie besser
kontrolliert werden und dass Sanktionsmöglichkeiten sowohl gegenüber den Sicherheitsunternehmen als auch
gegenüber ihren Auftraggebern eingeführt werden.
Schließlich ist die Bundesregierung aufgefordert, an
der Weiterentwicklung des Völkerrechts mitzuwirken;
denn letztlich wird es darum gehen, durch eine Legalisierung des Geschäftsbereichs einerseits und der Tätigkeit andererseits klare Grenzen zu setzen und Regeln zu
implementieren, die eben dem vorbeugen, was sonst als
Problem auf uns zukommen könnte, nämlich eine Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols und eine Veränderung im Verhältnis zwischen Staat und Militär, die
wir nicht wollen.
Dieser Antrag soll für unsere Beratungen ein Impuls
sein. Ich hoffe, dass er vom Grundsatz her nicht auf
große Kontroversen stößt, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die Punkte, die vielleicht noch offen sind und die
man noch ergänzen könnte, in die Ausschussberatungen
einzubeziehen, und dann dazu kommen, die Bundesregierung gemeinsam zu einer Aktivität aufzufordern, die
eben angesprochenen Probleme in den Griff zu bekommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Volker Neumann, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion spricht zu Recht die
wachsende Zahl der privaten militärischen Unternehmen
an, zu deren Aufgabenfeld nicht nur die Beratung, sondern auch Training, logistische Unterstützung, Minenräumung und sogar Kampfeinsätze gehören. Die Zahl
solcher Firmen hat ständig zugenommen. In den USA
sollen nach dem, was wir wissen, 30 Firmen mit zum
Teil über 1 000 Mitarbeitern, deren Zahl auf Abruf jederzeit erhöht werden kann, registriert sein. Wir wissen,
dass in Afrika 90 bis 100 solcher Firmen tätig sind. Die
Privaten mischen überall mit, auch im Irak. Die „FAZ“
hat geschrieben, dass die Zahl der Mitarbeiter solcher
Firmen, die im Irak tätig sind, inzwischen 15 000 bis
20 000 beträgt. Das ist ein gutes Geschäft. Der Markt
wurde bereits im Jahr 2002 auf etwa 100 Milliarden bis
200 Milliarden US-Dollar geschätzt, Tendenz steigend.
Volker Neumann ({0})
Private militärische Sicherheitsunternehmen sind
auch zum Schutz des afghanischen Präsidenten Karzai
tätig, fahnden offensichtlich mit US-Kommandoeinheiten
und CIA-Agenten nach Bin Laden, sie trainieren saudi-arabische Sicherheitskräfte, kämpfen auf den Philippinen gegen islamische Guerillas und gegen kolumbianische Drogenbarone. Die Privatisierung militärischer, aber auch
polizeilicher Aufgaben stellt das Gewaltmonopol des
Staates zunehmend infrage - Herr Polenz hat darauf
hingewiesen - und folgt damit auf fatale Weise den Eigenarten der asymmetrischen Kriege.
Es ist richtig, dass es in diesem Bereich Grauzonen
gibt, die nicht durch das bestehende Kriegsvölkerrecht
oder das humanitäre Völkerrecht abgedeckt sind. Grauzonen aber gibt es im Recht immer. Nicht jeder Lebenssachverhalt kann geregelt werden. Ich füge hinzu: Nicht
jeder Lebenssachverhalt muss geregelt werden. Grundsätzlich dürften aber das humanitäre Völkerrecht, das
Kriegsvölkerrecht und das Völkerstrafrecht ausreichen,
um der Problematik Herr zu werden. Die im Antrag angebotenen Lösungen zur Beseitigung der Grauzone bei
der Privatisierung militärischer Aufgaben stoßen hinsichtlich der Durchsetzbarkeit im internationalen Bereich auf Bedenken.
Zunächst einmal die völkerrechtliche Seite des Problems: Während einer militärischen Besatzung, einer
Nachkriegsordnung oder gar bei einem bewaffneten Einsatz ist der rechtliche Status der privaten militärischen
Sicherheitsunternehmen weder nach Bestimmungen des
humanitären Völkerrechts noch jenen des Kriegsvölkerrechts eindeutig geregelt. Die privaten militärischen Sicherheitsunternehmen bewegen sich im Einsatzgebiet
- auch darauf hat Herr Polenz hingewiesen - entweder
in dem Status der Zivilperson oder dem des Kriegsteilnehmers, also als Angehörige der regulären Streitkräfte,
als Kombattanten. Sowohl als Zivilpersonen, die nicht
an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt sind, als
auch als Militärpersonen unterliegen sie dem Schutz des
humanitären Völkerrechts oder des Kriegsvölkerrechts.
Private militärische Sicherheitsunternehmen - darauf
muss hingewiesen werden - begeben sich freiwillig in
einen Zwischenbereich.
Lassen Sie mich auf die einzelnen Vorschläge eingehen, die Sie genannt haben. Eingangs ist hier die Forderung nach Registrierung privater Sicherheitsunternehmen,
Mitteilung über die Vertragsabschlüsse, Einführung eines
Lizenzierungssystems und ein freiwilliger Verhaltenskodex zu nennen. Es ist zunächst festzustellen, dass in
Deutschland private Sicherheitsunternehmen nach der
Gewerbeordnung einer Zuverlässigkeitsprüfung unterliegen. Sie bedürfen gemäß § 34 a Gewerbeordnung in
Verbindung mit § 9 Bewacherverordnung einer Lizenz.
Bei der Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen, insbesondere an Verbrechen, fehlt diese Zuverlässigkeit. Eine Genehmigung wird versagt. Somit ist die
Einführung eines Registrierungs- und Lizenzierungssystems gar nicht erforderlich. Das gibt es bereits.
Die Durchsetzung von Mitteilungspflichten über Vertragsabschlüsse sowie ein freiwilliger Verhaltenskodex
erscheinen gelinde gesagt unrealistisch. Moral und Verhalten sind dehnbare Begriffe - in dem Bereich, in dem
diese Unternehmen tätig sind, ohnehin.
Der Chef des britischen Sicherheitsunternehmens
Henderson Risk hat gesagt: „Zur Zeit ist der Irak so etwas wie eine Goldmine.“ Gemeint hat er: Menschenrechte, moralische Selbstverpflichtung oder nationaler
Auftrag dürfen getrost als zweitrangig betrachtet werden.
Ich kann auch nicht erkennen, welche Folgerungen
sich aus der so genannten Mitteilungspflicht über Vertragsabschlüsse ergeben soll. Das geht aus Ihrem Antrag
nicht hervor.
Sie fordern ferner eine Bekräftigung der Bundesregierung, dass bei Auslandseinsätzen privater militärischer
Sicherheitsunternehmen im Auftrag der Bundesrepublik
genau wie bei Einsätzen der Bundeswehr ein Parlamentsvorbehalt bestehen muss. Zunächst möchte ich
voranstellen, dass nach meiner Kenntnis weder von der
Bundeswehr bei Auslandseinsätzen noch durch den Bundesgrenzschutz im Rahmen der Beteiligung an polizeilichen Auslandsmissionen deutsche oder ausländische
Wach- oder Sicherheitsfirmen eingesetzt wurden.
({1})
- Nein, das hat er nicht behauptet.
Der Parlamentsvorbehalt gemäß Art. 24 Abs. 2 des
Grundgesetzes - wir haben lange darüber diskutiert dient dem Deutschen Bundestag als Kontrollinstrument
des außenpolitischen Handelns der Bundesregierung und
zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundsatzes, dass die Streitkräfte außer zur Verteidigung oder im
Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nur dann eingesetzt werden dürfen, soweit das
Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Dieser Regelungsvorbehalt lässt sich nicht auf private Sicherheitsunternehmen übertragen.
Hinsichtlich der Forderung im Antrag der CDU/CSUFraktion nach klaren Haftungsbedingungen ist zunächst
festzustellen, dass diese im nationalen Recht bereits
vorhanden sind. Das wird von Ihnen sicherlich nicht bestritten. Im Übrigen gelten die Rechtsbedingungen im
jeweiligen Einsatzgebiet. Soweit der Staat, also die Bundesrepublik Deutschland, haftet, erscheint mir
§ 839 BGB ausreichend.
Sie haben die Strafverfolgung von Mitgliedern privater Sicherheitsdienste angesprochen. Auch hierzu
weist das deutsche Strafrecht ausreichende Regelungen
auf. Im Übrigen wird auch das Völkerstrafrecht anwendbar sein. Somit liegt auch für diesen Bereich kein Regelungsbedarf vor.
Schwierig wird es im Hinblick auf internationale Maßnahmen. Sie empfehlen in Ihrem Antrag, ähnliche eigenständige internationale Regelungen für die militärischen
Sicherheitsunternehmen wie bei den Regeln für das Söldnerwesen zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die Bundesregierung schon
immer gegen das Söldnerunwesen gewehrt und dagegen
ausgesprochen hat. Allerdings ist die im Jahr 1990 von
Volker Neumann ({2})
der Bundesregierung gezeichnete Söldnerkonvention
bisher weder ratifiziert noch in nationales Recht umgesetzt worden. Das ist in acht Jahren Ihrer Regierungszeit
und in sechs Jahren unserer Regierungszeit nicht geschehen. Überlegenswert wäre in diesem Zusammenhang, ob
wir einen Schritt weitergehen und zumindest im Strafrecht die Umsetzung vornehmen sollten.
Der Einsatz von Söldnern ist so alt wie die Kriegsführung selber. Wie Sie wissen, ergeben sich die Kriterien,
die einen Söldner kennzeichnen, nämlich die Anwerbung durch eine Konfliktpartei aus Gewinnstreben, die
Teilnahme an einem bewaffneten Konflikt, ohne Staatsangehöriger zu sein und ohne direkt in die Konfliktparteien eingegliedert zu sein, aus dem Ersten Zusatzprotokoll der Genfer Konvention von 1977. Nach der
Söldnerkonvention ist die Anwerbung von Söldnern verboten. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Anwerbung unter Strafe zu stellen.
Unter den Begriff des Söldners fallen die privaten militärischen Sicherheitsunternehmen aber in aller Regel
nicht, weil sie nicht unmittelbar an einem bewaffneten
Konflikt beteiligt sind, sondern Aufgaben des Personenschutzes oder der Bewachung ziviler Objekte wahrnehmen. Deshalb wäre eine internationale Konvention im
Hinblick auf die privaten militärischen Sicherheitsunternehmen wünschenswert - darin gebe ich Ihnen Recht,
Herr Polenz -, aber angesichts der Tatsache, dass die
Söldnerkonvention von 1989, die 1990 von der Bundesregierung gezeichnet wurde, bis heute erst von 25 Staaten gezeichnet und von uns noch nicht einmal ratifiziert
worden ist, bin ich skeptisch.
Auf Probleme stößt auch die weitere im Antrag enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Kontrolle
durch den UN-Sonderberichterstatter über das Söldnerwesen. Kaum jemandem ist bekannt, dass es diesen
Sonderberichterstatter bereits gibt. Ihm sind durch
fehlende finanzielle Ressourcen und ein eng umrissenes
Mandat Grenzen gesetzt. Bei dem Mandat handelt es
sich auch nicht um eine permanente Einrichtung; es
muss alle drei Jahre durch die Menschenrechtskommission verlängert werden. Im Übrigen hat die Einrichtung
des Amtes eines Sonderberichterstatters über das Söldnerwesen noch nicht einmal innerhalb der EU-Mitgliedstaaten eine Mehrheit gefunden. Wir reden schon über
einen weiteren Schritt, obwohl wir den ersten Schritt
noch nicht vollzogen haben.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Problematik nicht staatlicher militärischer Sicherheitsunternehmen durchaus besteht - ihre Brisanz nimmt zu -, dass
sich die Probleme aber für die überwiegende Zahl der
Sicherheitsunternehmen im Zusammenspiel zwischen
nationaler und internationaler Ebene lösen lassen. Ob
andere Vorschläge zur Lösung der Problematik realistische Ansätze sind, werden die Ausschussberatungen ergeben. Wir werden jedenfalls mit Ihnen ganz offen über
diese Problematik reden.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Tatsache, dass wir heute über dieses wichtige Thema
sprechen, verdanken wir Ihrer Initiative, Herr Polenz.
Wir bedanken uns herzlich dafür. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns im Bundestag mit den nicht staatlichen
militärischen Organisationen beschäftigen und über unseren Umgang mit diesem Phänomen nachdenken. Herzlichen Dank für Ihren Anstoß!
({0})
Je mehr wir uns aber mit diesem Thema beschäftigen,
desto stärker merken wir, dass mehr Fragen aufgeworfen
als Antworten gegeben werden. Wir befinden uns heute
also erst am Beginn eines Prozesses, den wir begleiten
werden. Das ist ein Anfangspunkt, aber sicherlich kein
Endpunkt.
Die zunehmende Beauftragung von privaten Firmen
mit sicherheits- und militärpolitischen Aufgaben berührt
nach meinem Verständnis eine Grundposition, die uns
alle eint, nämlich das Gewaltmonopol des Staates. Es
ist ganz wichtig, dass wir uns im Deutschen Bundestag
darüber ausführlich austauschen. Ich glaube und hoffe,
dass wir uns alle einig sind - das ist der erste Punkt -,
dass wir, der Deutsche Bundestag, uneingeschränkt am
Gewaltmonopol des Staates festhalten. Das ist ein hohes
Gut und das müssen wir politisch umsetzen. Wenn wir
dieser Meinung sind, hat das für unser Handeln Konsequenzen, auch in haushälterischer Hinsicht. Das bedeutet
zum Beispiel, dass die Bundesrepublik Deutschland
keine militärischen Aufgaben im engeren Sinne privatisieren darf.
({1})
Ich sage bewusst als Mitglied der FDP-Fraktion:
Outsourcing hat Grenzen.
({2})
Die Grenze ist jedenfalls dort erreicht, wo militärisches
Handeln des Staates privatisiert werden soll. Wir sind
strikt dagegen. Ich glaube, das kann ich für alle festhalten. Ich rede jetzt nicht über Küchen- oder Fuhrparkmanagement, sondern über militärische Aufgaben im engeren Sinne, die meines Erachtens nicht privatisierbar sind.
Zweitens. Wenn das unser Grundsatz ist, dann sollten
wir darüber nachdenken, ob wir nicht auch internationale Organisationen durch unser Engagement in die
Lage versetzen, ähnlich zu handeln. Die Vereinten Nationen zum Beispiel sollten nicht aus angeblich finanziellen Gründen darauf angewiesen sein, sich privater
Dienstleister zu bedienen. Wenn wir das wollen, müssen
wir - eventuell - einen entsprechenden finanziellen Beitrag leisten.
Drittens. Das hätte zur Konsequenz, dass wir anderen
Staaten dabei behilflich sind, die hier angesprochenen
Aufgaben auf staatlicher Ebene wahrzunehmen. Afghanistan ist schon angesprochen worden. Warum sollen wir
eigentlich die afghanische Regierung nicht in die Lage
versetzen, mithilfe unserer Unterstützung afghanische
Sicherheitskräfte auszubilden, die dann anstelle einer
amerikanischen Privatarmee Herrn Karzai beschützen?
Ich weiß zwar, dass es hier bestimmte Sicherheitsbedürfnisse gibt; das alles ist bekannt. Aber ich glaube, dieser
Aufgabe müssen wir uns stellen. - So weit die staatliche
Ebene, die wir, der Deutsche Bundestag, heute unmittelbar beeinflussen können.
Herr Polenz, Sie haben bereits weiter gehende Fragen
gestellt und einige Vorschläge gemacht. Das sind erste
Ansätze. Wir müssen aber darüber diskutieren, inwieweit sie umsetzbar sind. Das vermag ich heute - auch in
juristischer Hinsicht - überhaupt nicht zu beurteilen. Das
sollten wir uns in Ruhe anschauen.
Unbestritten ist aber, dass bei NGOs, Firmen und privaten Organisationen ein Sicherheitsbedarf besteht. Dieses Sicherheitsbedürfnis wird sicherlich zunehmend
auch durch private Anbieter zu decken sein. Diesem
Phänomen können wir uns nicht verschließen. Wir müssen damit politisch umgehen. Herr Polenz, Sie haben
Recht: Hier ist in der Tat Regulierungsbedarf vorhanden.
Ich glaube aber, dass ein Selbstregulierungsmechanismus in dieser Branche nur schwer durchsetzbar sein
wird. Ich bin diesbezüglich sehr skeptisch und meine,
dass der Staat den Regulierungsbedarf decken sollte.
Herr Kollege, Ihre Redezeit! Schauen Sie bitte einmal
auf die Uhr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Wir stehen also erst am Beginn der Diskussion. Wir,
die Liberalen, halten das Thema für wichtig und werden
uns deshalb an den künftigen Debatten sehr aktiv beteiligen.
Vielen Dank.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Marianne Tritz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin den Kollegen von der CDU/CSU sehr dankbar,
dass sie dieses Thema in den Bundestag eingebracht haben. Viele von uns betrachten die Privatisierung von
Kriegen mit großer Sorge.
Überall in der Welt mischen private Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen in bewaffneten Konflikten
mit. Neben dem unsäglichen Söldnertum gibt es noch
eine Reihe privater Militärfirmen, privater Sicherheitsfirmen und sonstiger Auftragnehmer. Die verschiedenen
Unternehmen präsentieren einen umfangreichen Leistungskatalog, in dem für jede Konfliktlage etwas dabei
ist: Sie bieten Personal, das gegen Geld zur Waffe greift,
und mischen auf allen Ebenen im Kriegsgeschehen
fremder Länder mit. Sie lassen sich von schwachen oder
zerfallenden Staaten anwerben, um deren Macht abzusichern. Sie trainieren Militär- und Polizeikräfte anderer
Länder oder stellen private Bodyguards und Personal für
Wartungsaufgaben, Logistik, Transport und Infrastruktur
im Sicherheitssektor. Nicht zuletzt ist ihr Personal auch
in hoch sensiblen Bereichen tätig. Sie bewachen und
verhören Gefangene, wie im Zuge der Foltervorwürfe
um das irakische Abu Ghureib ans Licht gekommen ist.
So etwas darf nicht sein.
({0})
Man munkelt auch, dass die Ausbildung der kroatischen Streitkräfte 1995 heimlich durch ein privates Unternehmen erfolgt ist und kriegsentscheidend war. Weiter
heißt es, dass die privaten Militärfirmen in Ruanda seinerzeit Hunderttausenden das Leben hätten retten können, da sie mit ihrem Know-how und mit flexiblerer Einsatzbereitschaft schneller als staatliche oder international
organisierte Eingreiftruppen vor Ort hätten sein können.
Private Firmen kämpfen, töten und verkaufen Waffen,
sie retten und beschützen Leben - Hauptsache, die Kasse
stimmt. Viele dieser Unternehmen mischen sich gegen
Geld in kriegerische Auseinandersetzungen ein. Konflikte werden länger und grausamer geführt, das Leid der
Zivilbevölkerung wird verstärkt. Die Jahresumsätze addieren sich auf mehrere hundert Milliarden Dollar weltweit, der private Kriegsmarkt boomt.
({1})
Diese zum Teil fragwürdigen Unternehmen können
existieren, weil Armeen bestimmte Teilbereiche auslagern. Ferner lässt sich durch die Entsendung privater Militärfirmen manch unbequeme politische Entscheidung
umgehen. Es muss auch nicht unseriös sein, die Dienstleistungen derartiger Unternehmen in Anspruch zu nehmen. Neben verschiedenen Botschaften wird auch der
afghanische Präsident Karzai durch private Unternehmen geschützt. Der Kosovo-Präsident Rugova hat seine
Leute bei einer deutschen Akademie ausbilden lassen.
NGOs lassen sich bei ihren Hilfseinsätzen zum Teil von
den Privaten schützen, um weiterhin als neutral gelten zu
können. All diese Einsätze sind nachvollziehbar, lassen
aber Grauzonen entstehen, wo Politik handeln muss.
Grauzonen gibt es zum Beispiel da, wo sich Unternehmen zum Selbstschutz bewaffnen. Grauzonen entstehen auch, wenn deutsche Firmen Sicherheitspersonal für
den Irak ausbilden und vermitteln, wie es im Falle eines
Lübecker Unternehmens geschehen ist. Es war übrigens
dasselbe Unternehmen, das auch Rugovas Leute ausgebildet hat. Ist dies nun ein Fall, in dem das strikte Nein
Deutschlands zu jeder Kriegsbeteiligung im Irak durch
private Unternehmen aufgeweicht wird, oder hat man es
mit Vorzeigeunternehmen zu tun, die durch eine vernünftige Ausbildung - zum Teil von der Bundesanstalt
für Arbeit finanziert - wenigstens eine gewisse Qualitätskontrolle ermöglichen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, in Ihrem Antrag steht viel Richtiges, das ich
unterschreiben kann. So bin auch ich dafür, dass
Deutschland die Söldnerkonvention ratifiziert. Auch
ich richte die Frage an das Justizministerium, warum
dies nach 14 Jahren noch nicht geschehen ist.
({2})
Die Einschätzung des BMJ, dass es der Konvention insgesamt an der erforderlichen Bestimmtheit mangele, die
eine Umsetzung in nationales Recht erst ermöglicht,
kann ich nicht nachvollziehen. Ich erwarte, dass eine unterzeichnete Konvention selbstverständlich auch ratifiziert wird. Mit anderen Worten: Ich bin dafür, dass Söldnertum unter Strafe gestellt wird.
({3})
Es gibt Einigkeit in der Darstellung des Problems,
nicht aber in allen sich daraus ergebenden Folgerungen.
So erscheint es mir fraglich, ob man im Rahmen der Vereinten Nationen zu weiteren völkerrechtlichen Regelungen kommen wird. Die Forderung, die Auslandseinsätze
privater Firmen unter den Parlamentsvorbehalt zu stellen, halte ich für nicht umsetzbar. Ich biete Ihnen jedoch
an, dass wir dieses Thema im Ausschuss gemeinsam
konstruktiv bearbeiten.
Die Intention ist klar: Es gibt Bereiche, in denen die
Hoheitsgewalt des Staates erhalten bleiben muss. Bei allem Outsourcing müssen wir sicherstellen, dass an sensiblen Stellen wie beim Militär das staatliche Gewaltmonopol gewahrt bleibt.
Danke.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3808 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünfundzwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Einundzwanzigsten Gesetzes
zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 15/3942 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir reden jetzt über etwas,
was uns als Abgeordnete betrifft. Da macht es vielleicht
nicht so viel aus, dass wir hier nicht mehr sehr viele sind.
Wir wollen mit dieser Debatte bewusst klar machen,
dass wir uns den Herausforderungen in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung nicht nur stellen, sondern uns da auch einbinden. Wir nehmen eine Mitverantwortung wahr, die wir in dieser Zeit insgesamt für richtig
halten.
Es geht heute um die Abgeordnetenversorgung. Es
gibt kaum ein Gebiet, das - das Gefühl habe ich immer mehr zu Diskriminierung, zu Blüten, zu Fantasien und
zu Übertreibungen anregt als dieses. Da wird von Raffkes, von Luxusversorgung und Ähnlichem gesprochen.
Ich erkläre hier für uns alle, denke ich, die wir hier im
Hause tätig sind, für alle 601 Abgeordneten, dass das
nicht der Fall ist, dass wir uns in den vergangenen
50 Jahren, seitdem es dieses System gibt, zwar mit einer
recht guten Versorgung, aber beileibe nicht mit einer Luxusversorgung ausgestattet haben.
Im Rahmen der Reformen, die in das Land gebracht
worden sind, und zwar nicht nur von einer Seite des
Hauses, sondern indirekt eigentlich immer in Form einer
großen Koalition - wegen der Machtverhältnisse findet
man spätestens in der Nacht im Vermittlungsausschuss
zu einer Einigung zusammen -, haben wir uns darauf
verständigt, dass die Abgeordneten bei den Veränderungen und den Kürzungen natürlich nicht an der Seite stehen dürfen. Von daher findet das Ganze statt.
Wir werden bei der Abgeordnetenversorgung etwas
tun, das schon der zweite Schritt ist; das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Wir haben nämlich bereits 1995
gegen uns, wenn man so will, gegen unsere Interessen,
einen ersten Einschnitt beschlossen, indem wir einer
Höchstversorgung Geltungskraft verschafft haben, die
sich auf 69 Prozent beläuft, also weit unter der Höchstversorgung, die zu der Zeit für die Beamten gegolten hat.
Wir haben schon mit dem Versorgungsrecht von 1995
die Öffentlichkeit zu erreichen versucht, um nicht darüber hinaus ein Übermaß an Kürzungen für die Abgeordneten ins Gespräch und zur Geltung bringen zu müssen.
Es geht um die Maßstäbe, die hier gelten müssen, damit wir nicht eine Gruppe in dieser Gesellschaft in einem
Maße fordern, das eigentlich nicht nur ungerecht ist,
sondern auch nicht in die Landschaft passt. Wer versteht
sich eigentlich dazu, auch anderen Leistungseliten in
diesem Land - wir zählen uns mit Selbstbewusstsein
Wilhelm Schmidt ({0})
dazu - das zuzumuten, was den Abgeordneten in diesem
Land in der öffentlichen Debatte und Auseinandersetzung oftmals zugemutet wird? Da bin ich für die Fraktionen des Hauses, aber natürlich vor allem für die SPDFraktion, für die ich hier spreche, in besonderer Weise
aktiv und stelle mich schützend vor uns, die wir hier im
Bundestag oder aber auch in den Landtagen für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten.
Wenn Sie vor Ort mit dieser Arbeit nicht zufrieden
sind, dann gibt es eine ganz normale demokratische Reaktion: Sie wählen den Abgeordneten vor Ort nicht
mehr, der Ihres Erachtens die falsche Politik macht oder
nicht fleißig genug ist, oder Sie üben Druck auf ihn aus,
um etwas zu verändern.
Die Abgeordneten haben, wenn sie es nicht ertragen
können, bei den Kürzungen, die jetzt vorgesehen sind,
dabei zu sein, das Recht, bei der nächsten Wahl nicht
mehr anzutreten. Da gibt es also Möglichkeiten für beide
Seiten; das sage ich in aller Offenheit und mit aller Deutlichkeit.
Nachdem wir, jedenfalls nach dem Willen der Koalition, auch für dieses und für das nächste Jahr, also noch
einmal für zwei weitere Jahre, auf eine Diätenerhöhung, also auf die Erhöhung unserer aktuellen Bezüge
- die Aufwandsentschädigung ausgenommen -, verzichtet haben, wird es natürlich ein bisschen schwierig - das
will ich deutlich sagen -, für uns die Vergleichbarkeit
mit anderen Berufsgruppen in der Gesellschaft herzustellen.
Vor neun Jahren haben wir ins Gesetz geschrieben,
dass wir uns hinsichtlich Einstufung und Bezahlung mit
den Richtern an den obersten Bundesgerichten sowie
den leitenden Beamten der Bundesverwaltung und anderer Verwaltungen - im technischen Sinne: B 6, R 6 vergleichbar fühlen. Ich kann Ihnen sagen, dass unsere
Bezüge um weit mehr als 1 000 Euro im Monat unter
den Bezügen dieser Vergleichsgruppe liegen. Wir klagen
nicht darüber; man muss es ab und zu aber wenigstens
erwähnen.
Ich will gar nicht hinzufügen, wie viele Hunderte, sogar Tausende so eingestufter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es in der Bundesverwaltung, den Länderverwaltungen und an anderer Stelle gibt. Ich weiß nur eines: In
meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von Großbetrieben. Ein Großbetrieb, der für uns in besonderer
Weise wichtig ist und den ich sehr schätze, hat
2 700 leitende Angestellte. Von denen würde kein Einziger mit uns tauschen, und zwar wegen der Bezahlung,
der Arbeitszeit und der Tatsache, wie die Menschen mit
ihm umgehen würden. Das muss zwar jeder mit sich
selbst abmachen; das ist keine Klage. Ich finde es aber
durchaus richtig, dass in diesem Lande sehr viele Menschen, über die man nicht spricht, in einen Vergleich mit
uns einbezogen werden sollten.
({1})
Wir gönnen das allen; ab und zu muss der Maßstab aber
zurechtgerückt werden.
Was machen wir? Dieses Gesetz ist das 25. Gesetz
dieser Art. Viele dieser Gesetze wurden nicht zum Ziele
der Erhöhung gemacht. In 25 Jahren haben wir aufgrund des Drucks der äußeren Verhältnisse zwölfmal auf
eine Erhöhung unserer Diäten verzichtet. Viele dieser
Gesetze waren also nicht für Anhebungen oder Ähnliches gedacht, sondern zum Zwecke von Einschränkungen, wie zum Beispiel das Gesetz aus dem Jahre 1995.
Ich sage uns und der Öffentlichkeit: Wir sind gut beraten, wenn wir die Versorgungs- und Renteneinschränkungen, die wir den Rentnerinnen und Rentnern sowie
den Beamten in diesem Lande zugemutet haben, strukturell auch uns zumuten.
({2})
In diesem Zusammenhang wird etwas verwechselt,
wenn es heißt: Wenn unsere Versorgungsbezüge nicht
das Niveau eines Durchschnittsrentners haben, sind wir
immer noch zu gut mit Versorgungsbezügen ausgestattet. Darum sage ich ausdrücklich: Das darf und soll nicht
der Maßstab sein. Die Abgeordneten in ihrer Versorgung
aber strukturell einzuschränken und ihnen einen entsprechenden Beitrag zuzumuten, das ist völlig richtig. Darin
sind wir uns einig.
Wir werden die Versorgungsbezüge der Neuversorger - so sagen wir im Jargon -, also derer, deren Höchstversorgung bei 69 Prozent liegt, in vier Schritten mal
0,5 Prozent, also um insgesamt 2 Prozent, im Laufe der
kommenden Jahre abschmelzen. Das Gleiche werden
wir bei den Versorgungsbezügen der Mindestversorger
machen. Die Formel lautet: acht Jahre mal 3 Prozent.
Die Mindestversorgung beträgt 24 Prozent nach acht
Jahren. Diese Mindestversorgung werden wir pauschal,
ebenfalls in vier Schritten mal 0,5 Prozent, auf
22 Prozent senken.
Bei den Versorgungsbezügen der so genannten Altversorger, deren Höchstversorgung bei 75 Prozent liegt,
gehen wir drastischer vor. Ich sage deutlich: Das muss
auch so sein. Die Versorgungsbezüge dieser Gruppe werden sich in etwa auf dem Niveau der Beamtenversorgung einpendeln. Die Höchstversorgung der Beamten
wird - das ist im Beamtenrecht vorgesehen - auf
71,25 Prozent heruntergefahren. Unsere Höchstversorgung wird in acht Schritten mal 0,5 Prozent auf
71 Prozent heruntergefahren. Der Prozess bei den Abgeordneten verläuft übrigens schneller als der bei den Beamten. Das sage ich zum Thema Maßstab. Das gilt auch
für die Mindestversorgung, die bei den Altversorgern
derzeit bei 35 Prozent liegt. Sie wird in acht Schritten
mal 0,5 Prozent auf 31 Prozent heruntergefahren. Das
sind die Maßstäbe in diesem Zusammenhang.
Wir werden auch den Hinterbliebenen unserer Versorgungsempfänger - Stichwort Witwenversorgung Kürzungen zumuten. Auch sie werden nicht mehr, wie
das früher der Fall war, 60 Prozent erhalten. Wir haben
den Hinterbliebenen der Beamten eine Kürzung auf
55 Prozent zugemutet. Diese Kürzung findet auch bei
uns statt. Wir werden darüber hinaus VersorgungsempWilhelm Schmidt ({3})
fänger nach dem Abgeordnetengesetz den vollen Pflegeversicherungsbeitrag entrichten lassen. Auch in diesem
Punkt sorgen wir damit für Gleichbehandlung.
Der vierte Punkt ist, dass wir denjenigen Versorgungsempfängern, die vor dem 65. Lebensjahr noch
Einkünfte aus privaten Tätigkeiten, zum Beispiel für
eine Firma, für eine Rechtsanwaltskanzlei, einen landwirtschaftlichen Betrieb oder Ähnliches, haben, zumuten
werden, diese bis zur Hälfte der Höhe ihrer Versorgungsbezüge wie auch bei Beamten und Rentnern anrechnen
zu lassen. Das stößt übrigens hier im Hause auf einige
Kritik; das gebe ich durchaus zu. Jedoch gibt es in dieser
Frage eine Art Schonfrist: Bis zum Ende dieser Wahlperiode bleibt alles so, wie es jetzt ist. Ab der nächsten
Wahlperiode gilt das aber für alle, nicht nur für die, die
dann neu in den Deutschen Bundestag eintreten, sondern
auch für diejenigen, um das deutlich zu sagen, die dann
schon Versorgungsempfänger sind; dabei ist es egal, wie
lange. Ich glaube, auch das ist sehr angemessen, wenngleich es manchem wehtun wird. Das will ich gerne zugestehen. Aber draußen im Lande tun ähnliche Regelungen den Empfängern von Beamtenversorgung und den
Rentnerinnen und Rentnern, die noch keine 65 Jahre alt
sind und sich noch etwas dazuverdienen, auch weh. Von
daher ist unser Vorgehen in diesem Punkt nur klar und
konsequent.
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung, deren Regelungen zur
Altersversorgung manchmal in diese Diskussion einbezogen und mit dieser Frage vermengt werden, einen ähnlichen Gesetzentwurf zur Versorgung von Ministern,
Staatssekretären und anderen in einem Kabinettsbeschluss von Ende September auf den Weg gebracht hat.
Auch hier werden die Regelungen dem Beamtenrecht
nachempfunden und sind damit angemessen.
Von daher sollten wir, meine Damen und Herren, die
Kirche im Dorf lassen. Wir übertragen das, was draußen
im Lande gilt, auf uns. Wir werden dabei auch darauf zu
achten haben, was wir in Zukunft noch tun wollen. Ich
sichere zu, dass wir sehr sorgfältig darüber nachdenken,
ob weitere grundsätzliche Veränderungen nötig sind. Ich
denke dabei zum Beispiel an die private Vorsorge von
Abgeordneten und an die Frage, ob wir die Abgeordneten in irgendeine Form einer Bürgerversicherung einbeziehen, die der Altersvorsorge dient.
({4})
Ich sichere von dieser Stelle aus zu, dass wir das ernsthaft prüfen werden. An dieser Stelle werden wir aber
keine Sonderregelungen für oder gegen Abgeordnete
einführen. Das will ich ausdrücklich hinzufügen, weil
das, wie ich finde, unangemessen wäre.
({5})
In diesem Sinne können wir jetzt mit den Beratungen
in den Ausschüssen anfangen. Das, was wir als Koalition
planen, haben wir auf den Tisch gelegt. Ich hoffe, das
stößt auf Zustimmung bei allen Seiten des Hauses.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Unsere Fraktion stimmt dem Antrag der Koalitionsfraktionen im Prinzip zu. Es wäre unbillig, die Kürzungen, die die Koalition Arbeitnehmern, Rentnern,
Beamten und Pensionären zumutet, nicht auch auf die
Abgeordneten zu übertragen.
Bisher ist es üblich gewesen, dass solche Veränderungen des Abgeordnetenrechts von den Fraktionen
des Bundestages gemeinsam vorbereitet und dann auch
in einem gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht werden. Das war mit den Koalitionsfraktionen auch in diesem Fall so vereinbart. An diese Vereinbarung haben
sich die Koalitionsfraktionen bedauerlicherweise nicht
gehalten. Deswegen bringt unsere Fraktion diesen Antrag nicht mit ein. Ich habe aber gesagt, dass wir ihm
vom Prinzip her zustimmen. Auf unserer Seite gibt es allerdings eine Reihe von Bedenken. So werden wir das
Gesetz im Gesetzgebungsverfahren auf entsprechende
Mängel überprüfen.
Gleichzeitig möchte ich zum Ausdruck bringen, dass
unsere grundsätzliche Zustimmung zu dem Vorhaben,
Regelungen, die für die meisten anderen Bürger gelten,
auf die Abgeordneten zu übertragen, nicht bedeutet, dass
wir den zahlreichen Mängeln, die die Maßnahmen der
Koalitionsfraktionen im Rentenrecht und im Beamtenrecht verursacht haben, auf diese Weise im Nachhinein
unseren Segen geben werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen von der Opposition immer angeboten, die Anträge mit zu unterzeichnen.
({0})
Sie haben jetzt einen ein bisschen anderen Eindruck erweckt. Die Möglichkeit bestand und es war auch Zeit genug. Auch wenn Sie eine Woche länger gebraucht hätten, hätten wir Ihnen die Zeit gerne gegeben.
Wir haben uns damals mit der Agenda 2010 dazu verpflichtet, bei der Abgeordnetenversorgung strukturell
Volker Beck ({1})
denselben Mechanismus wirken zu lassen wie bei der
Hinterbliebenenversorgung in der Rentenversicherung
und wie wir ihn, trotz der Verschiedenheit der Systeme,
wirkungsgleich auf die Beamtenversorgung übertragen
haben. Ich glaube, das war richtig. Wir haben das versprochen und wir lösen dieses Versprechen heute ein.
({2})
Wir wollen damit deutlich machen, dass für die Abgeordneten in dieser schwierigen Zeit keine Extrawürste
gebraten werden. Abgeordnete bekommen eine andere
Entschädigung als andere Bürger, mehr als die einen,
aber auch weniger als viele andere. Das muss man dazusagen.
Wir folgen sozusagen der allgemeinen Entwicklung,
aber nur - auch das muss man heute ehrlich sagen - bei
der Kürzung der Bezüge in der Altersversorgung. Der
allgemeinen Einkommensentwicklung bei den aktiven
Bezügen folgen wir nicht. Wir haben im letzten und auch
in diesem Jahr ausdrücklich keine Erhöhung der Diäten
vorgesehen, das heißt, wir nehmen nicht an der allgemeinen Tarifentwicklung teil, wie es die Beamten und viele
andere Beschäftigte tun. Auch darauf muss man aufmerksam machen; denn das hat bei unserem System
auch Rückwirkungen auf die Altersversorgung. Dadurch, dass sich die Diäten nicht erhöhen, erhöhen sich
auch die Altersversorgungsbezüge nicht. Deshalb kürzen
wir eigentlich doppelt: Wir kürzen mit diesem Mechanismus, zusätzlich analog zum System der Beamten.
Wenn es künftig zu Erhöhungen kommt, kürzen wir die
Erhöhung der Versorgung viermal bei den Neuversorgern und achtmal bei den Altversorgern.
Ich möchte an uns alle appellieren, dass wir uns als
Parlamentarier angewöhnen, gegenüber der Presse,
wenn jemand beim Abgeordnetengesetz irgendeine Weiche anders stellen will - im Sinne von „Da könnte man
noch etwas kürzen“ -, nicht entsprechende Aussagen zu
treffen. Auch wenn niemand verstanden hat, worum es
geht, könnte es nach Meinung mancher immer noch ein
bisschen weniger sein.
Ich bin nicht mehr bereit, diese Diskussion zu führen,
ohne das Panorama zu betrachten, wie es der Kollege
Wilhelm Schmidt mit Blick auf die 2 000 leitenden Angestellten bei VW in Wolfsburg gemacht hat. Auch innerhalb der Bundesregierung - ich habe die Bundesregierung extra hierzu befragt - und des Bundes gibt es
eine erhebliche Zahl von Beamten, die mehr als Abgeordnete bekommen; es sind fast 1 200 Personen, deren
Bezüge höher liegen und die nach dem Mechanismus
des Beamtenrechts, das im Ergebnis für die Altersversorgung weiterhin günstiger bleibt, auch höhere Altersversorgungsbezüge bekommen, trotz hundertprozentiger Arbeitsplatzsicherheit der Beamten, die die
Abgeordneten - zu Recht - nicht haben, denn jede Wahl
heißt: neues Spiel, neues Glück. Auch das muss man in
den Blick nehmen.
Wir haben - der Kollege Schmidt hat es erwähnt - vor
neun Jahren in das Abgeordnetengesetz hineingeschrieben, wo wir die objektive Vergleichsgröße für den Status des Abgeordneten sehen, nämlich beim Bundesrichter. Wir haben für die aktiven Versorgungsbezüge ein
Provisorium ins Gesetz geschrieben, indem wir festgelegt haben, was eigentlich gelten soll, nämlich die Richtergehälter, aber danach geregelt haben, dass wir vorübergehend bestimmte Zahlbeträge bekommen. Seitdem
das im Gesetz steht, hat sich der Abstand zu den Richtergehältern zuungunsten der Abgeordneten ständig vergrößert, und er vergrößert sich auch in diesem Jahr weiter,
ohne dass einmal jemand fragt, ob die Bezüge im oberen
Beamtenbereich vielleicht unberechtigt sind. Bei uns
wird das ständig gefragt.
Ich glaube, wir alle müssen uns ermannen, für das
Ansehen des Parlamentes, für die Demokratie und auch
dafür zu werben, dass zu einer funktionierenden Demokratie auch Abgeordnete gehören, die nicht danach
schielen müssen sollten, was sie nach ihrem Mandat machen, die sich nicht schon nach Perspektiven umsehen
müssen sollten, was unter Umständen dazu führen
könnte, dass sie ihre Politik danach ausrichten, was ihrem künftigen Arbeitgeber möglicherweise gefällt oder
gefällig ist. Das wäre eine schlechte Politik zulasten der
Bürgerinnen und Bürger und zulasten unseres Landes.
Eine solche Politik wollen wir nicht. Der Sinn einer Abgeordnetenversorgung und einer Abgeordnetenentschädigung besteht darin, die Unabhängigkeit jedes einzelnen Bundestagsabgeordneten zu garantieren und ihn vor
dem Druck seiner Partei und vor falschen Lobbyeinflüssen zu schützen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für die FDP-Bundestagsfraktion ist es ganz selbstverständlich, dass wir die Einschnitte, die wir bei den Bürgern vornehmen, auch auf die Abgeordnetenversorgung
übertragen.
({0})
Trotzdem werden Sie jetzt nicht von mir erwarten, dass
ich ein Jubellied auf das singe, was heute hier vorgeschlagen wird.
Es war schon interessant, zu hören, wie oft in dieser
Debatte der Vergleich zwischen der Versorgung der Abgeordneten und derjenigen der Beamten angestellt
wurde. Beispielsweise war es das Ziel der beiden großen
Fraktionen, die Diäten der Abgeordneten mit der Besoldung der Beamten gleichzustellen. Für uns Liberale ist
es aber ganz selbstverständlich, dass Abgeordnete mit
Beamten nicht zu vergleichen sind.
({1})
Beamte haben Vorgesetzte und eine festgelegte
Dienstzeit. Es ergeben sich noch viele andere Unterschiede. Typisch für die Tätigkeit des Abgeordneten hingegen ist, dass er unabhängig ist, dass er keinen Chef hat
und dass er nur seinem Gewissen verpflichtet ist. Damit
ist er den Angehörigen der freien Berufe wie Journalisten, Ärzten und Rechtsanwälten gleichgestellt.
Bei den gerade von mir genannten Berufsgruppen
gibt es eben keine beamtenähnliche Versorgung. Es ist
ganz selbstverständlich, dass die Angehörigen dieser Berufsgruppen für ihr Alter selbst Vorsorge treffen müssen.
Unser Vorschlag ist - ich wiederhole ihn an dieser
Stelle -, von der bisherigen Form der Altersversorgung
abzugehen und nicht an dieser oder jener Stelle ein wenig zu ändern - Sie haben die 25. Änderung schon angesprochen -, sondern zu einer wirklichen Neuregelung zu
kommen.
({2})
Dass wir mit unseren Überlegungen offensichtlich
nicht ganz falsch liegen, konnte ich in dieser Woche in
einer Zeitung nachlesen. Da hat nämlich ein Kollege Ihrer Fraktion genau die Vorschläge wiederholt, die die
FDP-Bundestagsfraktion seit vielen Jahren macht,
({3})
nämlich von der bisherigen Versorgung wegzukommen
und diese selbst zu regeln.
Eines ist vollkommen klar: Die Bürger schauen uns
sehr kritisch auf die Finger. Sie haben einfach das Gefühl: Wenn man selbst etwas regeln kann, dann macht
man es nicht zu seinem Nachteil. Das ist zwar ein unberechtigter Vorwurf, wie Ihr Beitrag gezeigt hat. Aber dieses Gefühl gibt es bei den Bürgern. Deshalb ist unser
Vorschlag, dass wir in einer verfassungsrechtlich sauberen Weise unsere Kompetenz in dieser Angelegenheit an
eine Kommission abgeben, die vom Bundespräsidenten
einberufen wird.
({4})
Die Mitglieder dieser Kommission haben keine eigenen
finanziellen Interessen. In ihr sind auch diejenigen vertreten - zum Beispiel der Bund der Steuerzahler -, die
immer wieder Kritik an Diätenerhöhungen üben, die es
alle Jahre wieder einmal gibt.
({5})
- Es ist nicht weltfremd. Es gibt schon Umsetzungen in
der Praxis, die zeigen, dass so etwas möglich ist.
Unser Vorschlag ist, keine Flickschusterei zu machen,
sondern zu einem wirklichen Neuanfang zu kommen.
Wir haben die entsprechenden Anträge in den Bundestag
eingebracht. Stimmen Sie ihnen zu!
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3942 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die
Vorlage jedoch nicht an den Finanzausschuss überwiesen werden soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Erwin Marschewski
({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter
- Drucksachen 15/924, 15/3907 Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Erwin Marschewski ({2})
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marga Elser, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, wir alle sind uns darüber einig, dass die
Schicksale von Zwangsarbeitern wirklich schrecklich
sind. Über Jahrzehnte haben wir uns alle bemüht, das
Thema der deutschen Kriegsschuld sachlich aufzuarbeiten. Es gilt: Das Leid, das Deutschland über andere gebracht hat, ist schlimm. Das Leid, das deutsche Bürger
als Folge dessen erlitten haben, ist ebenfalls schlimm.
Aber für beides gilt auch: All dieses Leid hatte seine
Wurzeln im Unrecht der NS-Zeit und damit in Deutschland.
Genau dieser Punkt darf nicht vergessen werden. Die
Schicksale deutscher Zwangsarbeiter sind eine Folge der
deutschen Schreckensherrschaft. Bereits in den 50erJahren bestand Einigkeit darüber, dass die Heranziehung
der Deutschen zur Arbeitsleistung in der Folge des
Zweiten Weltkriegs als allgemeines Kriegsfolgenschicksal zu bewerten ist. Eine sachliche Begründung,
weshalb diese Nachkriegsbewertung, die bisher von allen Bundesregierungen mitgetragen wurde, nun plötzlich
aufgegeben werden soll, geht aus dem Antrag der CDU/
CSU-Fraktion nicht hervor.
Es war bisher auch ganz eindeutiger Konsens, dass
das allgemeine Kriegsfolgenschicksal deutscher
Zwangsarbeiter nicht als Anknüpfungspunkt für innerstaatliche Ausgleichsleistungen herangezogen werden
soll. Ich kann nicht erkennen, sehr geehrter Herr
Marschewski, warum die Bundesregierung ausgerechnet
jetzt von dieser einheitlichen Linie abweichen soll. Hier
stellt sich auch die Frage, warum Ihre Fraktion während
16 Jahren Regierungstätigkeit nicht selbst eine Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter durchgesetzt hat.
({0})
Sie nehmen in Ihrem Antrag zur Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter auf das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Bezug. Sie erklären in Ihrem Antrag, dass der Deutsche
Bundestag mit diesem Gesetz seiner Verantwortung
nachgekommen sei, eines der furchtbarsten Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit aufzuarbeiten. Im gleichen
Atemzug leiten Sie aus diesem Gesetz nun ab, dass eine
Entschädigung als Geste für die Würdigung des schweren Schicksals der deutschen Zwangsarbeiter geleistet
werden muss, und zwar unabhängig von der Frage der
Kriegsschuld.
Ich frage Sie wieder, Herr Marschewski: Wieso hat
Ihre Fraktion 16 Jahre lang eine Entschädigung als nicht
notwendig erachtet? Wieso beantragen nun auch die
Mitglieder Ihrer Fraktion, die bei der Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit Nein gestimmt haben, eine Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter in Anlehnung an ebendieses Gesetz? Ich weiß ja,
dass sich einige von Ihnen enthalten haben, beispielsweise der Herr Büttner. Aber es gibt in Ihren Reihen
auch einige wenige, die damals dagegen gestimmt haben. Vielleicht geschah dies unter dem Aspekt, dass Sie
schon damals die Gleichmachung der Opfer gefordert
haben. Denn der Tenor Ihres jetzigen Antrags ist eine
Gleichsetzung der Opfer des Nationalsozialismus mit
den Opfern der Kriegsfolgen.
Ich weise nochmals darauf hin: Die deutsche Nachkriegsgesetzgebung hat die Heranziehung von Deutschen oder deutschen Volkszugehörigen durch dritte
Länder zur Zwangsarbeit ganz klar als allgemeines
Kriegsfolgenschicksal bewertet. Eine Entschädigung
sollte hieran nicht anknüpfen.
Es ist in jedem Fall zu beachten, dass diese Opfer
nicht ganz von den Nachkriegsregelungen ausgenommen waren. Zum Ausgleich besonderer Härten deutscher
Kriegsopfer wurden nach dem Bundesversorgungsgesetz
und seinen zahlreichen Nebengesetzen bisher rund
400 Milliarden DM aufgewendet. Das hat übrigens das
Bundesfinanzministerium ermittelt. Es ist also keinesfalls so, dass das Schicksal deutscher Kriegsopfer in der
Vergangenheit vollkommen ignoriert worden wäre. Im
Rahmen der politischen und rechtlichen Möglichkeiten
wurden sehr wohl Härtefälle entschädigt. In sozialen
Härtefällen kann auch jetzt noch über die Stiftung für
ehemalige politische Häftlinge eine materielle Leistung
gewährt werden.
Ihrem Antrag muss jedoch nicht nur das politische
Argument entgegengesetzt werden. Auch der finanzielle
Aspekt muss ganz deutlich hervorgehoben werden. In
diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf eine Einschätzung aus Ihren eigenen Reihen hinweisen. Bereits
vor fast 40 Jahren, am 13. Dezember 1966, forderte der
damalige
Die Gesetzgebung über die Abwicklung von
Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen
werden. Die Finanzlage des Bundes beweist, dass
wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich
vernachlässigt werden würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden.
Damals hatte also ein Bundeskanzler aus Ihren Reihen die Opportunitätskosten und die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Haushalts im Blick. Auch Sie wissen, dass es uns die Haushaltslage nicht erlaubt, in die
Vergangenheit zu investieren. Denn dies würde notwendig bedeuten, dass wichtige Vorhaben für die Zukunft
Deutschlands nicht wahrgenommen werden könnten.
Ich bin mir sicher, dass wir die Diskussion hier nicht
führen würden, wenn die Mehrheitsverhältnisse anders
wären. Ich bin mir ebenfalls sicher, dass auch Sie als Antragsteller im Grunde wissen, dass NS-Zwangsarbeiter
und deutsche Zwangsarbeiter nicht gleichgesetzt werden
können. Eine Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter
kann damit auch nicht aus dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
abgeleitet werden.
Im Übrigen wundert mich doch sehr, dass Sie mit Ihrem Antrag ein Ziel verfolgen, das bereits im Jahre 2001
von der Fraktion der DVU im Landtag von Brandenburg
verfolgt wurde.
({0})
Ich gehe aber davon aus, dass Sie sich ganz sicher nicht
mit der DVU auf eine Ebene stellen werden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Erwin Marschewski, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Robert Jungk, Publizist und Zukunftsforscher,
schrieb im November 1945 in der Zürcher „Weltwoche“
unter dem Titel „Aus einem Totenland“ einen Artikel
über Vertreibungsverbrechen an Deutschen, der weltweites Aufsehen erregte. Darin benannte er die Zustände in
Schlesien nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Erwin Marschewski ({0})
Dieser Bericht ist eine Dokumentation von Elend und
Gewalt. Ich möchte es allen ersparen, hier auf das Verwerflichste, Brutalste einzugehen. Nur zwei kurze Erlebnisse Robert Jungks:
Hinter ihm liegen leer geplünderte Städte, Pestdörfer, Konzentrationslager, öde, unbestellte Felder,
leichenbesäte Straßen, an denen Wegelagerer …
Flüchtigen die letzte Habe rauben.
Und über Zwangsarbeit:
Es ist wahr, dass in den so genannten Arbeitslagern
S. und C. Insassen nächtelang bis zum Hals im eiskalten Wasser stehen müssen und dass man sie bis
zur Bewusstlosigkeit schlägt.
Der Bericht von Robert Jungk sollte zugleich Mahnung an die Alliierten sein, diesem Treiben nicht tatenlos
zuzusehen. Die Staatengemeinschaft hat aber auch hier
nicht eingegriffen. Die Menschen mussten dieses
Schicksal erdulden. Heute, fast sechs Jahrzehnte später,
ist es Zeit, den von diesem Schicksal in den Zwangsarbeiterlagern Betroffenen moralische Anerkennung zuzugestehen. Dies wäre eine Geste des Mitgefühls und
der Aufarbeitung auch dieses Kapitels der Geschichte.
Diese Aufarbeitung ist dringend notwendig. Wir sind
dies den Opfern und uns selbst schuldig.
({1})
Bis heute ist nicht exakt ermittelbar, wie viele Deutsche zu Zwangsarbeit gezwungen wurden. Es ist auch
nicht ermittelbar, wie viele über Jahre hinweg in Lagern
verschwanden. Man bemisst die Zahl auf rund 2 Millionen, insbesondere Frauen, Jugendliche und auch Kinder,
verschleppt nach Sibirien, in den Ural oder sonst wohin.
Für sie bedeutete Zwangsarbeit mehr als zehn Stunden
tägliche Arbeit unter härtesten Bedingungen, in unter
Wasser gesetzten Zechen im Ural. Immer wieder gab es
Übergriffe, oftmals Massenvergewaltigungen. Viele
kehrten nicht zurück. Wer das Leiden überlebte, war für
immer geschädigt.
Es sind Schicksale wie das von Heinz Skaletz aus
meiner Heimatstadt Recklinghausen. Als Kind von gerade einmal 13 bis 14 Jahren verschleppt, zur Zwangsarbeit im Bergbau gezwungen, musste er in einem von
Deutschen in Oberschlesien zerstörten Bergwerk unter
schwersten Bedingungen zwölf bis 14 Stunden täglich
arbeiten. Oder das Schicksal von Margarete E. aus
Pforzheim: Im Februar 1945 als 20-Jährige aus Ostpreußen in ein Lager im Ural verschleppt, in dem Unterernährung und hygienische Mängel zu Typhus und Ruhr
führten, prägten körperliche Repressalien und schwerste
Arbeiten in Steinbrüchen, in der Kolchose und bei der
Waldarbeit ihr Leben. In ihrem Bericht schreibt sie:
Die Unterkunft im Wald war ein Erdbunker ohne
Licht und Wasser. Fünf Jahre hat die Zwangsarbeit
gedauert. Geblieben sind ein Herzfehler, Rheuma
und traumatische Erinnerungen.
Meine Damen und Herren, es ist legitim und wichtig,
auch an das Leid zu erinnern, das der von den Nazis begonnene Krieg und seine Folgen über die deutsche Bevölkerung gebracht haben. Da bin ich einer Meinung mit
Ute Frevert: Solche Erinnerungen politisch stillstellen
oder unterdrücken zu wollen wäre nicht nur sinnlos, sondern auch kontraproduktiv.
Meine Position im Innenausschuss habe ich klar gemacht: Es kann nicht darum gehen, Leid mit Leid,
Schuld mit Schuld zu verrechnen. Diese Aufrechnung ist
- wie beim Historikerstreit Mitte der 80er-Jahre - eine
schlimme Tradition, und zwar in allen politischen Lagern. Daher noch einmal diese Feststellung: Die Naziverbrechen, insbesondere der Völkermord an den Juden
und die Vernichtung ganzer Völker aus so genannten rassischen Gründen, sind mit nichts vergleichbar. Dies
brauchte eigentlich jemand, der die braune Pest ein Leben lang bekämpft hat, nicht erneut zu bestätigen.
Aber auch ein Weiteres sollte selbstverständlich sein:
den verzweifelten Wunsch der deutschen Zwangsarbeiter zu erfüllen, endlich mit ihrem Schicksal wahrgenommen zu werden. Wie es Helga Hirsch sagt:
Ihren Leidensweg in die deutsche Nachkriegsgeschichte zu integrieren. Und ihnen zuzugestehen,
dass sie im Verhältnis zum Durchschnitt der Bevölkerung einen besonders hohen Preis für die Verbrechen des NS-Regimes gezahlt haben.
Deswegen unser Antrag, meine Damen und Herren von
SPD und Grünen. Wir wollen eine Anerkennung auch
dieses Leidens.
({2})
Wir meinen, dass auch deutsche Opfer von Zwangsarbeit
einen Anspruch auf moralische Anerkennung haben.
Das wollen wir, damit auch ihnen eine Entschädigung in
Form einer humanitären Geste zuteil wird. Denn es ist
doch eigentlich unbestritten, dass dies kein allgemeines
Kriegsfolgenschicksal ist. Meine Damen und Herren, es
ist mehr.
Nun zu Ihnen von der SPD. Sie haben uns die Hoffnung gemacht, dass Sie uns entgegenkommen. Im Gegensatz zum Bundeskanzler, der die Betroffenen vor geraumer Zeit schroff abgewiesen hat, haben Sie immerhin
mit uns geredet. Aber auch nach fast 18-monatigen Verhandlungen sind Sie nicht weiter als zu einem Nein gekommen, obwohl wir Ihre Begründungen widerlegt haben: die
Begründung vom allgemeinen Kriegsfolgenschicksal oder
die Behauptung - Frau Kollegin Elser, hier haben Sie
Unrecht -, die Zwangsarbeiter seien bereits entschädigt
worden. Das ist falsch. Denn weder das Kriesgefangenenentschädigungsgesetz noch das Heimkehrerstiftungsgesetz noch das Häftlingshilfegesetz findet Anwendung.
Auch Ihre Behauptung, dieses Thema sei im Kriegsfolgenbereinigungsgesetz des Jahres 1992 abschließend
geregelt worden, ist falsch. Ich selbst habe 1992 die Auffassung der Union im Deutschen Bundestag so dargelegt: Zu ist der Vorhang nicht - deswegen nur Bereinigung. Uns war damals klar, dass der Versuch, Leid zu
mildern, keineswegs einen gesetzgeberischen Abschluss
bedeutete. Frau Kollegin, es geht nur um Heilung und
Versöhnung bei damals bekanntem Unrecht. Die Vertreibungsgeschichte und die damit verbundenen Ereignisse
haben sich lange im Schatten der Geschichte abgespielt
Erwin Marschewski ({3})
und es verbot sich, im Land der Täter an eigene Opfer zu
erinnern.
Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat das so beschrieben:
Jahrzehntelang lief die Mehrheitsmeinung darauf
hinaus, den Vertriebenen die Privatisierung ihres
Leids zuzumuten. … Erst in den letzten Jahren ist
Bewegung
- so Wehler weiter in diese Problematik geraten.
Dabei handelt es sich um eine Bewegung, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, die ich bei Ihnen
bedauerlicherweise vermisse. Warum verschließen Sie
sich eigentlich dem, was Helga Hirsch, die Ihnen ja eigentlich nahe steht, in ihrem Aufsatz „Keine Entschädigung für Zwangsarbeiter - eine Gerechtigkeitslücke?“ so
formuliert hat:
Denn auch das gehört zur Erkenntnis über die Nazizeit: dass die Deutschen … selbst Opfer des nationalsozialistischen Terrors geworden sind - die Opfer der Rache jener Völker, die zuvor von den
Deutschen unterdrückt, verfolgt, ermordet wurden.
So weit Helga Hirsch.
Warum, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, verweigern Sie sich kategorisch, die Opfer, deutsche
Zwangsarbeiter, mit ihrem Schicksal und den entsprechenden Folgen wahrzunehmen? Nein, das ist - diesen
Satz habe ich mir sehr genau überlegt - kein humanes
Handeln.
({4})
Nicht zu vergessen ist die politisch mögliche, fatale
Auswirkung. Niemals, so schreibt Günter Grass in der
Novelle „Im Krebsgang“, hätte man über so viel Leid
schweigen dürfen, nur weil die eigene Schuld und die erkennende Reue in all den Jahren vordringlich gewesen
sei. So Günter Grass.
Meine Damen und Herren auf der linken Seite, sollen
wir dieses Thema wirklich ausschließlich den Radikalen
überlassen? Was mir bleibt, ist, mit Grass zu schließen:
„Dieses Versäumnis wäre bodenlos.“
({5})
Ich bedanke mich.
({6})
Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/
Die Grünen, und der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-
Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deshalb schließe ich die Aussprache.
Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/3907 zum Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Entschädigung
deutscher Zwangsarbeiter“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 15/924 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/3443 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({1})
- Drucksache 15/3973 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgitt Bender
Die Abgeordneten Erika Lotz, SPD-Fraktion,
Hildegard Müller, CDU/CSU-Fraktion, Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Heinrich Kolb, FDP-
Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/3443.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 15/3973, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Rzepka, Roland Gewalt, Verena Butalikakis,
1) Anlage 2
2) Anlage 3
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Siegfried Helias, Günter Nooke und weiterer Abgeordneter
Flugverkehrskonzept für den Großraum Berlin überprüfen - Flughafen Berlin-Tempelhof
offen halten
- Drucksache 15/3727 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen. Ich darf darauf hinweisen, dass alle Genehmigungsfragen nach § 31 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz im Rahmen
der Auftragsverwaltung beim Land Berlin liegen. Lediglich dann, wenn Bundesinteressen berührt sind, kann der
Bund tätig werden. Durch die Schließung bzw. teilweise
oder völlige Offenhaltung des Flughafens Tempelhof
sind öffentliche Interessen des Bundes aber nicht berührt: Selbst wenn Berlin als Luftverkehrsstandort für
den Bund von herausragender Bedeutung ist, trifft dies
auf den Flughafen Tempelhof alleine nicht zu.
Durch den Ausbau des Standorts Schönefeld zu einem
leistungsfähigen internationalen Verkehrsflughafen erfährt der Luftverkehrsstandort Berlin eine erhebliche
Stärkung.
({0})
Ob ein Verzicht auf den Flughafen Tempelhof schon zum
jetzigen Zeitpunkt möglich ist, muss von den Verantwortlichen insbesondere im Hinblick auf die für den Sommerflugplan 2005 angemeldeten Flüge geprüft werden. Zurzeit stellt sich die Situation so dar: Bis auf eine Ausnahme
haben sich die Luftverkehrsunternehmen, die bisher ex
Tempelhof im Linienverkehr operiert haben - das waren
insgesamt sieben -, mit einer Verlagerung ihrer Verkehre
nach Tegel einverstanden erklärt, nachdem ihnen entsprechende Slots und Umzugshilfen zur Verfügung gestellt wurden.
Mit den nächsten Bemerkungen beantworte ich
gleichzeitig die ersten drei Punkte des vorliegenden Antrags. Die drei Gesellschafter der Berliner Flughäfen
- Berlin, Brandenburg und der Bund - haben sich mit
dem so genannten Konsensbeschluss vom Mai 1996 darauf verständigt, den Luftverkehr der Hauptstadtregion
auf einen Flughafen, und zwar in Schönefeld, zu konzentrieren. Es wurde ferner vereinbart, Tempelhof bei Bestandskraft des für den Ausbau Schönefelds zum
Flughafen „Berlin-Brandenburg International“, kurz
BBI, erforderlichen Planfeststellungsbeschlusses zu
schließen. Tegel wird bei Inbetriebnahme des Flughafens BBI in Schönefeld geschlossen. Der Planfeststellungsbeschluss für den BBI ist am 13. August 2004 erlassen worden. Die Bestandskraft dieses Beschlusses ist
noch nicht abzusehen, da zahlreiche Klageverfahren anhängig sind.
Die Flughafengesellschaft hat den Antrag auf Schließung von Tempelhof mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses BBI gestellt. Außerdem hat die Flughafengesellschaft zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen
Situation wegen der seit Jahren steigenden Defizite aus
dem Betrieb und der Unterhaltung von Tempelhof den
Antrag auf Befreiung von der Betriebspflicht für Tempelhof gestellt. Die zuständige Luftfahrtbehörde in Berlin hat diesen Anträgen stattgegeben. Sie hat die Berliner
Flughafengesellschaft mit Wirkung ab dem 31. Oktober
2004 von der Betriebspflicht des Flughafens Tempelhof
befreit.
({1})
Diese Befreiung von der Betriebspflicht wurde mit der
sofortigen Vollziehbarkeit versehen. Die Anordnung der
sofortigen Vollziehung ist mittlerweile durch einen Gerichtsbeschluss aufgehoben worden. Die anhängigen
Gerichtsverfahren entfalten damit aufschiebende Wirkung.
Die Auswirkungen und Folgen dieses Gerichtsbeschlusses werden unterschiedlich interpretiert. Die Geschäftsführung ist der Auffassung, die Betriebspflicht
gelte nur gegenüber den Luftverkehrsunternehmen, die
geklagt haben. Die Unternehmen und die Berliner Wirtschaft sind der Meinung, die Entscheidung des OVG
gelte für alle, die von Tempelhof aus fliegen möchten.
Die Berliner Luftfahrtbehörde prüft derzeit gemeinsam
mit der Geschäftsführung das weitere Vorgehen insbesondere im Hinblick auf die verkehrspolitischen Auswirkungen auf den Luftverkehrsstandort Berlin. Unabhängig
vom Ausgang dieser Prüfung wird dem Konsensbeschluss insoweit entsprochen, als der im Bescheid enthaltene Widerruf der Betriebsgenehmigung, also die
endgültige Stilllegung Tempelhofs, erst zu dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem ein Planfeststellungsbeschluss für die Süderweiterung des Flughafens BerlinSchönefeld bestandkräftig ist.
Die Vorschläge, den Flughafen Tempelhof von Fluggesellschaften in Eigenregie betreiben zu lassen oder als
Check-in-Terminal für BBI zu nutzen, sind von der Berliner Luftfahrtbehörde gemeinsam mit der Geschäftsführung zu prüfen. Nach unserem Kenntnisstand bestehen
hier sowohl erhebliche rechtliche als auch konzeptionelle Bedenken.
Nun zum Punkt 4 des Antrags. Vonseiten des Bundes
ist die Prüfung veranlasst, ob und inwieweit die Immobilie Flughafen Tempelhof insbesondere auch im Hinblick
auf die Herrichtungskosten als Behördenzentrum genutzt
werden kann. Das Ergebnis liegt uns noch nicht vor.
Zum Punkt 5. Die Verlegung der gesamten Flugbereitschaft des BMVg nach Berlin-Tempelhof ist wegen der zwingend notwendigen und aufwendigen Infrastrukturmaßnahmen und aufgrund nicht hinnehmbarer
operationeller Einschränkungen nicht möglich. Für den
Bereich der Mittel- und Langstrecke ist der Standort
Köln-Wahn mit seiner entsprechend bedarfsgerechten
Infrastruktur unverzichtbar.
({2})
Nach heutigem Planungsstand verbleiben die Lufttransportmittel im Mittel- und Langstreckenbereich mit
Ausnahme der beiden zur Durchführung des politischparlamentarischen Flugbetriebs von Berlin-Tegel aus
eingesetzten CL-601 am Standort Köln-Wahn. Zur
Durchführung des politisch-parlamentarischen Flugbetriebs im Kurzstreckenbereich ist eine Staffel auf dem
Verkehrsflughafen Berlin-Tegel mit dem Hubschrauber
Cougar AS-532 stationiert.
Mit der Inbetriebnahme von Berlin-Schönefeld und
der Schließung von Berlin-Tegel ist vorgesehen, die vorhandenen Ressourcen zur Durchführung des Regierungsflugbetriebs nach Schönefeld zu verlagern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Rzepka.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, der heutige Beitrag der Staatssekretärin beweist einmal mehr, wie notwendig unser Gruppenantrag hier in diesem Hause ist; denn sie hat hier weder zur Zukunft des sich in der Planung befindlichen
Flughafens Schönefeld klare Worte sagen und zeitliche
Perspektiven nennen können noch scheint sie aktuell
über die Situation in Tempelhof informiert zu sein.
({0})
Der Flugverkehr ist auch dort in den letzten Monaten
gewachsen. Eine Reihe von Fluggesellschaften nutzt
nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
Berlin die Möglichkeit, wieder nach Tempelhof zurückzukehren oder dort zu bleiben. Heute hat wieder eine
Fluggesellschaft bekannt gegeben, dass sie von den Umzugsplänen nach Tegel Abstand nimmt und dass sie den
Flughafen Tempelhof auch aufgrund der Äußerungen ihrer Passagiere und des Drucks, der von dort gekommen
ist, selbst in der Konkurrenz zu Tegel für viel interessanter hält.
({1})
Ich bin deshalb der Auffassung, dass der Deutsche
Bundestag Forum für die Diskussion darüber sein muss
und soll, welche Aufgaben die alte und neue Hauptstadt
für unser Land wahrnehmen kann und welche Unterstützung sie dafür benötigt.
Das Luftverkehrskonzept für die Hauptstadt und
den Großraum Berlin ist nicht nur ein Thema für die
Länder Berlin und Brandenburg, sondern auch für den
Bund und die anderen Bundesländer. Über
100 Abgeordnete aus allen Fraktionen haben den von
der Landesgruppe der CDU-Abgeordneten initiierten
Gruppenantrag, den wir heute beraten, unterzeichnet.
Den Kolleginnen und Kollegen möchte ich an dieser
Stelle für ihre Unterstützung sehr herzlich danken.
Der Berliner Senat und die Berliner Flughafengesellschaft haben mit ihrer Flughafenpolitik eine schwere
Niederlage erlitten. Das Oberverwaltungsgericht Berlin
hat die zum 31. Oktober 2004 geplante Stilllegung des
Flughafens Tempelhof für offensichtlich rechtswidrig erklärt. Die „Mutter aller modernen Flughäfen“, wie Lord
Norman Foster den Flughafen Tempelhof nennt, hat damit mindestens bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen
Planfeststellungsbeschlusses für den Großflughafen in
Schönefeld eine neue Chance erhalten.
Die mit dieser Rechtsprechung übereinstimmende
Forderung unseres Antrags zum Offenhalten des Flughafens Tempelhof entspricht auch dem Konsensbeschluss
von 1996, den die Staatssekretärin hier schon erwähnt
hat, in dem sich der Bund und die Länder Berlin und
Brandenburg darauf verständigt hatten, den Flughafen
Tempelhof frühestens zu schließen, wenn ein rechtskräftiges Planfeststellungsverfahren für das Bauvorhaben in
Schönefeld vorliegt.
Die zur Begründung der vorzeitigen Stilllegung des
Flughafens Tempelhof geltend gemachten Verluste in
Höhe von 16 Millionen Euro im Jahr sind nie belegt
worden. Bis heute werden die Zahlen unter Verschluss
gehalten. Nach meinen Recherchen resultieren die Verluste nicht aus dem Flugbetrieb, sondern vor allem aus
dem Gebäudeleerstand.
({2})
Es gibt einen weiteren entscheidenden Aspekt, den
die Schließungsbefürworter nicht zutreffend bewerten.
Würde der Flughafen Tempelhof geschlossen werden,
fielen zwei Start- und Landebahnen weg. Fachleute gehen davon aus, dass schon 2008 weitere Engpässe im
Berliner Flugverkehr drohen. Die fehlenden Möglichkeiten zur Ausschöpfung der Wachstumsmöglichkeiten
im Berliner Luftverkehr würden letztlich auch den wirtschaftlichen Erfolg von BBI gefährden, der zum
Winterflugplan 2010/2011 - jedenfalls nach jetziger Planung - eröffnet werden soll.
({3})
Schließlich ist die 1996 vorgesehene Privatisierung
gescheitert. Der Planfeststellungsbeschluss liegt zwar
vor, über 3 700 Flughafengegner klagen jedoch derzeit
gegen die Pläne. Der Ausgang des Verfahrens vor dem
Bundesverwaltungsgericht ist ungewiss. Eine Entscheidung wird frühestens in zwei Jahren erwartet. Auch die
Finanzierung des Großflughafens in Schönefeld ist derzeit noch ungeklärt. Dies gilt insbesondere für die Anteile, die die Berliner Flughafengesellschaft sowie die
Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg an dem
nach jetzigen Schätzungen 2,5 Milliarden Euro teuren
Projekt zuzüglich der etwa 500 Millionen Euro für die
Schienenanbindung des BBI übernehmen müssen.
Vor diesem Hintergrund ist die Schließung des Flughafens Tempelhof vor rechtskräftiger Planfeststellung
und gesicherter Finanzierung für den Großflughafen in
Schönefeld sowie ohne Nachnutzungskonzept „betriebswirtschaftlich kurzsichtig, verkehrspolitisch unverantwortlich und rechtlich nicht begründet“, so der Kollege
Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion. Insoweit
stimme ich mit ihm völlig überein.
({4})
Die Kollegin Selg von den Grünen wird in der heutigen
Ausgabe der „taz“ mit den Worten zitiert:
Tempelhof soll ruhig schließen - aber erst, wenn sicher ist, dass Schönefeld in Betrieb geht.
Frau Staatssekretärin, diese Sicherheit haben Sie uns
heute Abend nicht geben können.
Der Befund ist danach eindeutig: Der Berliner Senat
und die Berliner Flughafengesellschaft sind unfähig, ein
rechtlich und finanziell tragfähiges Flugverkehrskonzept
für den Großraum Berlin zu entwickeln und umzusetzen.
Der Konsensbeschluss von 1996 muss deshalb unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Entwicklungen
überdacht werden. Der Bund ist als Gesellschafter der
Flughafengesellschaft, als wesentlicher Miteigentümer
der Immobilie Flughafen Tempelhof und in seiner Verantwortung für eine Neukonzeption der Flugbereitschaft
des Bundes in einer besonderen Verpflichtung.
In die von uns geforderte Prüfung sollte auch einbezogen werden, ob im Rahmen einer möglichen Neukonzeption einer zukünftig privatisierten Flugbereitschaft
des Bundes Teile davon zum regierungsnahen Standort
Tempelhof verlagert werden können.
({5})
Darüber hinaus wollen wir, dass die Angebote von Fluggesellschaften, den Flughafen in Eigenregie zu betreiben, ebenso gründlich geprüft werden wie das Angebot
und das Konzept, Tempelhof als Check-in-Terminal für
BBI und als innerstädtischen Flughafen für kleine Verkehrsmaschinen zu nutzen.
Es ist dringend notwendig, die gegenwärtige Lage
neu zu bewerten, mögliche Fehlentwicklungen abzuwenden und neue Chancen zu nutzen. Auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Prüfaufträge könnten tragfähige Entscheidungen vorbereitet werden. Dazu möchten
wir mit unserem Gruppenantrag einen Beitrag leisten.
Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Prüfungen zu dem Ergebnis
führen werden, dass der innerstädtische Flughafen Tempelhof als Standort für Geschäftsreisende, Regionalverbindungen und Teile der Flugbereitschaft des Bundes
eine sinnvolle Ergänzung zu BBI darstellen könnte
({6})
und die größtenteils leer stehenden Gebäude für die konzentrierte Unterbringung von Bundesbehörden genutzt
werden könnten.
Der Flughafen Tempelhof ist Symbol für die deutsche Luftfahrtgeschichte, für die Überwindung der
Blockade Berlins und für die Entwicklung der Freundschaft zu den westlichen Alliierten. Er ist mit seiner
weltweit einzigartigen planerischen und architektonischen Einbindung in die Berliner Stadtlandschaft zugleich eine wesentliche Grundlage für die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zukunft der Hauptstadt.
Lassen Sie mich zum Abschluss meines Beitrags
Lord Norman Foster, den Architekten bahnbrechender
Flughäfen in London, Hongkong und Peking nach der
„Süddeutschen Zeitung“ vom heutigen Tage zitieren:
Tempelhof ist eines der wenigen Beispiele innerstädtischer Flughäfen, die es heute noch gibt und
die in die städtische Maserung eingewoben sind. So
etwas darf man nicht einfach preisgeben. Das wäre
ein Verlust nicht nur für Berlin und Deutschland,
sondern auch weit darüber hinaus.
({7})
Die Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und
Siegfried Scheffler haben gebeten, ihre Reden zu Pro-
tokoll geben zu dürfen.1) - Dann verfahren wir so.
Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Hellmut
Königshaus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das,
was wir eben von der Staatssekretärin gehört haben, hat
gezeigt, wie notwendig es in der Tat ist, dass wir uns mit
diesem Thema befassen. Sie hat den Eindruck zu erwecken versucht, als gehe das uns, die Bundesebene, überhaupt nichts an. Dabei ist der Bund Gesellschafter der
Flughafengesellschaft. Es geht um unser Geld.
({0})
Es scheint heutzutage keine Rolle mehr zu spielen, wenn
Geld verschleudert wird. Das ist genau unser Thema.
Wenn Sie heute Geld verschleudern und etwas machen
wollen, was gegen die Interessen der Bürger ist, dann
brauchen sie in der Regel einige nützliche Idioten. Die
finden sich immer. Sie brauchen vor allem einen Dummen, der sich auch hier wieder gefunden hat. Wie immer,
wenn es um Großprojekte geht, an denen Herr Wowereit
und Herr Stolpe beteiligt sind, ist der Dumme der Steuerzahler. So ist es auch hier.
({1})
1) Anlage 4
Hier werden bestehende Kapazitäten, die sich bewährt haben und die wir noch brauchen - Herr Rzepka
hat das gesagt; ich will das nicht wiederholen, weil ich
nicht so viel Zeit habe -, zerschlagen. Es sind Kapazitäten, deren Aufbau teuer war und deren Unterhalt auch in
Zukunft teuer ist. Das haben wir vorhin schon angesprochen. Die Anlagen in Tempelhof stehen unter Denkmalschutz. Wir müssen auch den Weiterbetrieb in Schönefeld betrachten. Dort haben wir die Situation, dass wir
im Rahmen der Bauarbeiten eine Start- und Landebahn
verlieren werden. Alles dies zusammen ergibt ein totales
Chaos und eine Konfusion. Nichts, Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung bisher in Angriff genommen. Sie tut so, als gehe sie das alles gar nichts an.
Wir haben hier unglaubliche Chancen, die andere vergleichbare Städte nicht haben. Wir haben einen innerstädtischen Flughafen, der in anderen Städten erst noch
geschaffen werden muss. Wir kennen die Situation in
London City. Dort können nur drei oder vier Flugzeuge
gleichzeitig abgestellt und abgefertigt werden. Der Flughafen Tempelhof als innerstädtischer Flughafen ist in der
Lage, bis zu 80 Prozent der gesamten Abstellkapazitäten
im Berliner und brandenburgischen Raum zur Verfügung
zu stellen. Das ist ein ungeheures Pfund, mit dem man
wuchern könnte. Sie aber wollen es, wie wir eben gehört
haben, einer völlig ungeklärten Nutzungsprüfung zugunsten eines Behördenzentrums, das dann ähnlich wie
die Beamtenstadt Wünsdorf leer stehen würde, überantworten.
Was wir hier erleben, ist Chaos. Wir brauchen ein vernünftiges Konzept, wie es die FDP übrigens schon 1996,
als der unselige Konsensbeschluss gefasst wurde, an
dem wir bekanntlich nicht beteiligt waren, vorgelegt hat.
Darin haben wir eine Verbindung zwischen dem sich neu
entwickelnden Flughafen in Schönefeld und dem Flughafen Tempelhof mit einer Zugverbindung und einer
Check-in-Funktion Tempelhofs für Schönefeld vorgeschlagen. All das entspricht dem, was uns heute mit dem
Brunnert-Entwurf als neu vorgestellt wurde; gleichwohl sind die Vorschläge völlig richtig. Ich habe heute
lange mit Herrn Brunnert gesprochen. Sein Konzept
passt haargenau zu den Notwendigkeiten der aktuellen
Flugbetriebsituation in Berlin.
({2})
Wenn Sie dieser Stadt etwas Gutes tun und es ermöglichen wollen, dass sich auch dieser Flughafen wie die in
München, Frankfurt und anderswo als Jobmaschine entwickelt, dann haben Sie bitte den Mut und zeigen Sie die
Bereitschaft, über Ihren Schatten zu springen. Nehmen
Sie die Konzepte an! Wenn es Ihnen nicht gefällt, sie
„FDP-Vorschläge“ zu nennen, dann nennen Sie sie eben
„Brunnert-Konzept“. Aber kommen Sie endlich in
Fahrt! Stimmen Sie den Vorschlägen zu und helfen Sie,
endlich ein vernünftiges Konzept zu verwirklichen!
Ich danke Ihnen.
({3})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Abgeordnete Edeltraut Töpfer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ablauf der Planung des Großflughafens Berlin-Schönefeld
und damit einhergehend die Schließung der Flughäfen
Tempelhof und Tegel ist wahrlich kein Ruhmesblatt
in der Unternehmensgeschichte der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg.
({0})
Bereits zwei Untersuchungsausschüsse des Berliner
Abgeordnetenhauses mussten sich seit 1995 mit skandalösen Fehlentwicklungen beschäftigen, die von der Flughafengesellschaft zu verantworten waren.
({1})
Dabei handelt es sich um ein Unternehmen, an dem der
Bund mit immerhin 26 Prozent beteiligt ist. In letzter
Zeit hat man allerdings den Eindruck, dass die Politik
der Flughafengesellschaft insbesondere in Bezug auf die
geplante Schließung des Flughafens Tempelhof ausschließlich vom Gesellschafter Land Berlin bestimmt
wird. Es ist höchste Zeit, dass auch die Bundesregierung
im Aufsichtsrat stärker als bisher ihr Kontroll- und Lenkungsrecht ausübt.
({2})
Nachdem die Flughafengesellschaft Anfang der 90erJahre mit dem Kauf von nicht benötigten Grundstücken
am Flughafen Schönefeld rund 250 Millionen Euro im
wahrsten Sinne des Wortes in den märkischen Sand gesetzt hat, droht nun dieser Gesellschaft bei der von ihr
forcierten Schließung von Tempelhof erneut ein skandalträchtiges Desaster.
Obwohl das Oberverwaltungsgericht Berlin die
Schließung des Flughafens Tempelhof als offensichtlich
rechtswidrig eingestuft hat, versucht die Geschäftsführung nun mit windigen Tricks, den Gerichtsbeschluss
zu umgehen, indem sie die Fluggesellschaften und Passagiere mit schikanösen Maßnahmen traktiert. Eine
Schließung der Haupthalle des Flughafens kann man nur
als Schildbürgerstreich bezeichnen.
Auch der Versuch, mit Dumpingangeboten Fluggesellschaften nach Tegel zu locken, ist nicht gerade von
Seriosität gekennzeichnet. Die Geheimniskrämerei der
Flughafengesellschaft um die entsprechenden Verträge
bestärkt den Verdacht, dass hier Fluggesellschaften von
Gebühren befreit werden bzw. nur reduzierte Gebühren
bezahlen müssen, was eindeutig rechtswidrig wäre. Das
ist eine Wettbewerbsverzerrung, die nicht hinnehmbar
ist.
({3})
Besonders ein Unternehmen, das ausschließlich von
der öffentlichen Hand getragen wird, darf sich nicht in
dieser Weise verhalten. Es ist die Pflicht des Aufsichtsrates - das gilt auch für die Vertreter der Bundesregierung -, dem schnell und effektiv Einhalt zu gebieten.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und die SPD in Berlin verweisen gern auf den
1996 einvernehmlich zwischen dem Bund, dem Land
Brandenburg und dem Land Berlin - damals noch unter
Führung des Regierenden Bürgermeisters Eberhard
Diepgen - vereinbarten Konsensbeschluss. Dieser Beschluss sieht vor, die Aufteilung des Flugverkehrs in
Berlin auf drei Flughäfen zu beenden und stattdessen auf
dem BBI in Schönefeld zu konzentrieren, sobald für
Schönefeld ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Zur damaligen Übereinkunft setzt sich
aber der derzeit amtierende Berliner Senat mit seiner
Entscheidung, den Flughafen Tempelhof vorzeitig zu
schließen, eindeutig in Widerspruch. Damals war man
übereingekommen, die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses abzuwarten und nicht bereits vorher alles daran zu setzen, Tempelhof früher zu schließen.
Gestatten Sie mir, kurz Ihr Augenmerk gezielt auf die
Bedeutung des Flughafens Tempelhof für den Flugverkehr, der von Geschäftsleuten aus ganz Deutschland genutzt wird, sowie auf den Messe- und Kongresstourismus, der viele Geschäftsreisende aus dem Ausland in die
Bundeshauptstadt bringt, zu lenken. Eine derart innerstädtische Fluganbindung ist für die in Berlin zahlreich
stattfindenden wirtschaftlichen, politischen und sportlichen Großereignisse von besonderer Bedeutung.
({4})
Frau Kollegin, versuchen Sie, zum Schluss zu kommen. Sie schaffen es bestimmt nicht mehr, Ihre gesamte
vorbereitete Rede zu halten.
Der Flughafen Tempelhof muss deshalb für den Flugbetrieb mindestens bis zum Vorliegen eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses für den Großflughafen erhalten bleiben. Noch sinnvoller wäre es, den
Flughafen Tempelhof bis zur Inbetriebnahme von Berlin
Brandenburg International offen zu halten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3727 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Obwohl es so spät ist und obwohl es sich um ein Berliner Thema handelt, soll ich auf Wunsch eines besonderen Abgeordneten die auf der Tribüne versammelten
Landräte Niederbayerns begrüßen.
({0})
Viel Spaß und Vergnügen in Berlin. Die Nacht ist ja
noch nicht zu Ende.
Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verlängerung der Geltungsdauer der
§§ 100 g, 100 h StPO
- Drucksache 15/3349 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 15/3971 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Siegfried Kauder ({3})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rechtsstaatlichkeit der Telefonüberwachung
sichern
- Drucksachen 15/1583, 15/3971 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Siegfried Kauder ({5})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch
und Petra Pau vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung wird die Geltungsdauer der § § 100 g
und 100 h der Strafprozessordnung um drei Jahre, bis
Ende 2007, verlängert. Die Notwendigkeit dieses Ermittlungsinstruments liegt auf der Hand und wird auch von
keiner Seite in Zweifel gezogen. Im Bereich der organisierten Kriminalität dient es unter anderem dazu, Verbindungen und Strukturen von Bandenmitgliedern aufzudecken. Bei Straftaten, die mittels Telekommunikation,
etwa im Internet oder per Telefon, begangen werden, ist
es zumeist die einzige Möglichkeit, den Täter zu identifizieren. Der Aufenthalt eines flüchtigen mehrfachen
Mörders konnte bereits mittels dieser Maßnahme, die
auch Auskunft über Standortdaten eines Handys erlaubt,
ermittelt werden.
Rechtsstaatliche Bedenken sind im Grundsatz weder
gegen das Ob noch gegen die derzeitige Ausgestaltung
der Regelungen begründet. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. März 2003 insoweit keine Bedenken erhoben.
Allerdings stehen diese Bestimmungen in engem Zusammenhang mit den Regelungen zur inhaltlichen Telefonüberwachung nach den §§ 100 a und 100 b StPO,
ohne mit diesen jedoch in allen Punkten - wie etwa bei
der Berücksichtigung von Zeugnisverweigerungsrechten - zu harmonieren.
Mit der jetzigen Verlängerung der Geltungsdauer der
§§ 100 g und § 100 h StPO bekräftigt die Bundesregierung daher ihre bereits bei der Einführung der Vorschriften Ende 2001 geäußerte Ansicht, dass eine dauerhafte
Regelung dieser Materie nur im Rahmen eines harmonischen Gesamtsystems dieser heimlichen Ermittlungsmaßnahmen erfolgen kann. Dazu hat die Bundesregierung die erforderlichen Schritte eingeleitet:
Um eine tragfähige rechtstatsächliche Basis für eine
Gesamtnovellierung zu legen, hat das Bundesministerium der Justiz beim Max-Planck-Institut Freiburg ein
Gutachten zu „Rechtswirklichkeit und Effizienz der
Überwachung der Telekommunikation nach den
§§ 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ in Auftrag gegeben. Der erste Teil
des Gutachtens betrifft die inhaltliche Telekommunikationsüberwachung nach den §§ 100 a und 100 b StPO
und liegt seit Mai 2003 vor. Der zweite Teil des Gutachtens betrifft die akustische Wohnraumüberwachung und
wird in Kürze vorliegen.
Geprüft wird derzeit, auf welche Weise dem Entschließungsantrag der Koalition Rechnung getragen
werden kann, demzufolge auch Erkenntnisse über die
rechtstatsächliche Umsetzung der §§ 100 g und
100 h StPO in der Praxis bei der beabsichtigten Gesamtnovellierung Berücksichtigung finden sollen.
Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
aus dem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung
Rechnung zu tragen, hat das Kabinett zudem im vergangenen Monat einen entsprechenden Regierungsentwurf
beschlossen, sodass die vom Bundesverfassungsgericht
gesetzte Frist zum 30. Juni 2005 eingehalten werden
kann.
In einem weiteren Schritt werden diese heimlichen
Ermittlungsmaßnahmen in ein harmonisches Gesamtkonzept zusammenzuführen sein. Der durch das Auslaufen der §§ 100 g und 100 h StPO zum Ende des Jahres
bedingte knappe Zeitrahmen reichte dafür nicht aus. Es
ist daher sachgerecht und notwendig, mit einer Verlängerung der Geltungsdauer der §§ 100 g und 100 h StPO zunächst sicherzustellen, dass dieses wichtige Ermittlungsinstrument unabhängig von der mit Stringenz von der
Bundesregierung weiterverfolgten gesamten Novellierung der §§ 100 a ff. StPO den Strafverfolgungsbehörden auch über den 31. Dezember 2004 hinaus zur Verfügung steht.
Da mir noch ein bisschen Redezeit bleibt, erlaube ich
mir ein letztes Wort zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau. Hätten Sie, verehrte Frau Kollegin Pau, gestern auf meine mündliche
Antwort zum selben Thema Wert gelegt, dann hätten Sie
erfahren, dass die Bundesländer keine eigene Statistik
über die Maßnahmen zu §§ 100 g und 100 h StPO führen und die Bundesregierung daher auch nicht in der
Lage ist, Auskunft zu erteilen. Wenn Sie einen Antrag
stellen, mit dem Sie die Bundesregierung verpflichten
wollen, hätten Sie ihn sinnvollerweise um das Verlangen
ergänzen müssen, die Länder zu verpflichten, der Bundesregierung entsprechende Daten zur Verfügung zu
stellen, wie es in anderen Gesetzen etwa zur Telefonüberwachung und der Wohnraumüberwachung der Fall
ist. Ihr Antrag ist also nichts anderes als billige Makulatur.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es muss schon einen Grund gehabt haben, dass man die
§§ 100 g und 100 h StPO in einem Zeitgesetz verabschiedet hat. Dies kann nur bedeuten, dass es bei Verabschiedung dieses Gesetzes gewisse Vorbehalte gegeben
hat, die man innerhalb des Zeitraums bis zum 1. Januar
2005 bereinigt wissen wollte.
Meine Damen und Herren, diese Bedenken gibt es in
der Tat. Worüber reden wir denn? - Wir reden über
heimliche, verdeckte Ermittlungsmaßnahmen. Daraus
ergeben sich verfassungsrechtliche und rechtstechnische
Konsequenzen.
Am 18. Oktober 2004 hat Professor Philipp
Reemtsma anlässlich des 25-jährigen Bestehens des
Weißen Rings in Hamburg einen bemerkenswerten Vortrag gehalten. Professor Reemtsma kann aus eigener Erfahrung als Opfer berichten. Er hat die leidvolle Erfahrung eines Menschen machen müssen, an dem ein
gravierendes Verbrechen begangen worden ist. Trotzdem
berichtete er ohne Emotionen, sehr differenziert und
ohne Hass über ein Thema, das zu dem Thema, das wir
heute zu besprechen haben, sehr gut passt. Er hat sich
Siegfried Kauder ({0})
nämlich sehr differenziert mit Verletztenrechten und mit
Beschuldigtenrechten auseinander gesetzt.
Quintessenz seines Vortrags war die Feststellung:
Einen hundertprozentigen Schutz vor Straftaten hat es
nie gegeben, gibt es nicht, wird es nie geben und - das
war das Wichtige - darf es auch nicht geben; denn der
Schutz der Menschen vor Straftaten korrespondiert nicht
mit Freiheits- und Abwehrrechten, die im Grundgesetz
niedergelegt sind, sondern sie stehen einander diametral
gegenüber.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 3. März 2004
eine Entscheidung zum großen Lauschangriff gefällt,
die man immer dann im Hinterkopf haben muss, wenn
Grundrechtseingriffe anstehen. Jetzt darf man aber nicht
den Fehler begehen und sagen: Was das Bundesverfassungsgericht zum Lauschangriff entschieden hat, lässt
sich problemlos auf die Telekommunikationsüberwachung übertragen.
({1})
Das wäre ein Trugschluss, Herr Kollege Ströbele; Sie
wissen das, weil auch Sie Jurist sind.
Der Schutzbereich beim Lauschangriff ergibt sich
aus Art. 13 Grundgesetz - Schutz der Wohnung -;
({2})
bei der Telekommunikationsüberwachung ergibt er sich
aus Art. 10 Grundgesetz. Beide Vorschriften haben verschiedene Voraussetzungen. Art. 13 des Grundgesetzes
hat einen so genannten qualifizierten Gesetzesvorbehalt,
während Art. 10 des Grundgesetzes nur einen einfachen
Gesetzesvorbehalt hat. Deswegen ist die Eingriffsschwelle bei dem Lauschangriff höher anzusetzen als die
Eingriffsschwelle bei der Telekommunikationsüberwachung.
({3})
Man muss aber auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 100. Band, Seite 313 gelesen haben. Dort ist festgehalten, dass in Art. 10 des Grundgesetzes nicht zwischen der Überwachung des Inhalts
eines Telefongesprächs und der Überwachung der
Daten über ein Telefongespräch unterschieden wird.
Im Gesetz sind aber beide Bereiche unterschiedlich geregelt. Die Überwachung des Inhalts eines Telefongesprächs ist in § 100 a Strafprozessordnung geregelt. Die
Überwachung der Telekommunikationsdaten ist in
§§ 100 g und 100 h der Strafprozessordnung geregelt.
Der Gesetzgeber hat also beide Bereiche unterschiedlich
geregelt.
Vergleicht man einmal die Voraussetzungen für die
Überwachung des Inhalts eines Telefongesprächs mit
denen für die Überwachung der Telekommunikationsdaten, so stellt man fest: Der Inhalt eines Telefongesprächs
darf nur bei einer der enumerativ in einem Katalog aufgeführten Straftaten abgefragt werden. Geht es um Telekommunikationsverbindungsdaten, ist das Feld weiter
geöffnet. Da gelten nicht nur enumerativ aufgeführte
Straftaten als Voraussetzung, sondern es darf auch kontrolliert werden, wenn besonders schwerwiegende Straftaten anstehen.
Diese Differenzierung ist unter dem Gesichtspunkt
der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung im 100. Band,
Seite 313 höchst fraglich;
({4})
denn dort ist festgelegt, dass diese Rechte gleichrangig
nebeneinander stehen.
({5})
Daraus ergeben sich Probleme, die wir unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten durchleuchten müssten.
Ein Gesichtspunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lauschangriff ist durchaus auf die
Telekommunikationsüberwachung übertragbar: der
Richtervorbehalt. Bei dem großen Lauschangriff kann
nur ein Gremium aus drei Richtern darüber befinden, ob
ein solcher Lauschangriff angeordnet wird. Bei der
Überwachung von Telekommunikationsdaten genügt ein
Richter, nämlich der Ermittlungsrichter oder der federführende Richter der Hauptverhandlung. Ist diese Differenzierung nach modernem Verfassungsrecht noch gerechtfertigt? Auch dieser Frage werden wir uns stellen
müssen.
Die gleiche Frage ergibt sich aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dem Thema „Für
welchen Zeitraum kann eine Überwachungsmaßnahme
angeordnet werden?“ Zu Recht, weil es sich aus Art. 13
des Grundgesetzes ergibt, darf der Lauschangriff nur für
die Dauer eines Monats angeordnet werden. Er darf um
jeweils einen Monat bis zu insgesamt sechs Monaten
verlängert werden. Ab dem sechsten Monat hat das
Oberlandesgericht zu entscheiden, ob der Lauschangriff
fortgesetzt werden darf.
Ganz anders sieht es bei der Überwachung von Telekommunikationseinrichtungen aus. Der Überwachungszeitraum, für den die Anordnung erfolgt, beträgt hier
drei Monate. Er darf ständig verlängert werden, ohne
dass das Oberlandesgericht irgendwann aufgerufen
wäre, darüber zu befinden.
Das sind Fragen, denen man sich wird stellen müssen.
Wir dürfen es nicht dabei bewenden lassen, der Bundesregierung zu sagen: Wir treffen uns im Jahre 2007 hier
wieder, um das Gutachten des Max-Planck-Instituts
zu evaluieren. Als Gesetzgeber sind wir aufgerufen, jeden Tag, immer dann, wenn es um Eingriffe in die
Grundrechte geht, zu überprüfen, ob die moderne Auffassung des Grundgesetzes zum Tragen kommt oder ob
es Lücken gibt, die zu schließen sind.
({6})
Siegfried Kauder ({7})
Die Befristung wurde - das darf man durchaus
sagen - ins Gesetz aufgenommen, damit man sich Gedanken darüber macht, inwieweit Aussageverweigerungsrechte bei Überwachungsmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.
({8})
Herr Staatssekretär Hartenbach, in diesem Zusammenhang kommt es nicht auf das Gutachten des Max-PlanckInstituts an. Wenn Sie sich die Bundestagsdrucksache
zum Erlass des Gesetzes zu den §§ 100 g und
100 h StPO anschauen, werden Sie feststellen, dass die
Bundesregierung selbst gesagt hat, dass sie bis zum
Ablauf des Gesetzes eine Vereinheitlichung der Aussageverweigerungsrechte in allen Bereichen - Telekommunikationsdatenüberwachung, Inhalt des Telefongesprächs und Lauschangriff - herbeigeführt haben wird.
Es kommt also nicht auf den zweiten, noch ausstehenden
Teil des Gutachtens des Max-Planck-Instituts an.
Warum sage ich das? Nicht aus Häme. Ich bitte vielmehr dringend darum, schon jetzt an die Arbeit zu gehen,
sich Gedanken darüber zu machen, wie die uneinheitliche Aufsplitterung der Aussageverweigerungsrechte in
den unterschiedlichen Vorschriften aufgelöst und eine
Vereinheitlichung herbeigeführt werden könnte.
({9})
Hierzu sind alle aufgerufen.
Es wird darüber zu sprechen sein, ob nicht eine
Berichtspflicht eingeführt werden sollte. In diesem Zusammenhang bin ich der Bundesregierung durchaus
dankbar. Beim großen Lauschangriff ergibt sich die Berichtspflicht aus Art. 13 des Grundgesetzes direkt. Bei
den §§ 100 a, 100 g und 100 h StPO ergibt sich diese Berichtspflicht nicht aus Art. 10 des Grundgesetzes; man
könnte sie aber durchaus durch ein einfaches Gesetz - es
gibt dort keinen qualifizierten Gesetzesvorbehalt - einführen. An diesem Aspekt sollte man arbeiten.
Sie sehen also: Wir haben eine umfassende Baustelle
vor uns, die es zu beackern gilt. Wir werden dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Regierungskoalition zwar,
mit Bauchschmerzen und Bedenken, zustimmen, verbinden damit aber die dringende Bitte, sich jetzt schon Gedanken zu machen, damit wir nicht in vier Jahren wieder
hier stehen und wieder keine Lösung haben.
Vielen Dank.
({10})
Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete
Petra Pau das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie unterstellten eben, dass ich
gestern keinen Wert auf Ihre mündliche Antwort auf
meine mündliche Frage gelegt hätte. Ich habe sehr großen Wert auf diese Antwort gelegt und hätte auch sehr
großen Wert auf mein Nachfragerecht gelegt.
Nach unserer Geschäftsordnung, Anlage 4, Ziffer 2,
werden aber Fragen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, der in der Sitzungswoche behandelt wird, nicht
mündlich beantwortet, sondern schriftlich. Ich konnte
dagegen nicht einmal Widerspruch erheben. Insofern
habe ich mich darauf vorbereitet, heute die Antragsteller
der Koalition nach der Sinnhaftigkeit ihrer Beschlussempfehlung zu fragen. Sie haben Recht: Über Dinge, die
nicht vorhanden sind, können Sie nicht berichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Staatssekretär hat mir gestern mitgeteilt, dass Anlass, Ergebnis
und Anzahl der bisherigen Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht zu ermitteln sind, weil diese Daten nicht erhoben werden. Damit geht dann aber auch Ihr Entschließungsantrag vollständig ins Leere, weil Sie einen
Bericht über den Zeitraum zwischen dem Beginn der
Wirksamkeit dieses Gesetzes bis hin zum Jahre 2007 begehren, und zwar zu Anlass, Ergebnis und Anzahl der
bisherigen Maßnahmen. Insofern wäre es sinnvoll, heute
zwar eine solche Berichtspflicht, zunächst aber die
Pflicht zur Erhebung dieser Daten zu beschließen. Es
wäre sinnvoll, einen kürzeren Zeitraum bis zur Vorlage
des ersten Berichts festzuhalten.
Zur Antwort hat Staatssekretär Hartenbach das Wort.
Ich gebe zu, dass Sie mich mit Ihrem Hinweis auf die
Geschäftsordnung voll erwischt haben. Aber da Sie
meine schriftliche Antwort gestern schon hatten, verehrte Frau Kollegin, halte ich meine Kritik nach wie vor
aufrecht. Aus dieser schriftlichen Antwort hätten Sie
nämlich ersehen können, dass Ihr heutiger Antrag unvollständig ist. Genau in diesem Punkt habe ich Ihren
Antrag kritisiert.
Zur Erstellung des Berichtes, den die Koalitionsfraktionen erbeten haben, gibt es neben statistischen Erhebungen eine Fülle anderer Möglichkeiten; zum Beispiel
könnte ein auf Aktenauswertungen beruhendes wissenschaftliches Gutachten erstellt werden oder es könnten
Befragungen, Interviews und Ähnliches durchgeführt
werden. Die Bundesregierung wird sich da ebenso etwas
einfallen lassen, wie sie sich in der letzten Legislaturperiode auch etwas zur Erfüllung des Auftrages des Parlaments im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit der
Telefonüberwachung hat einfallen lassen. Das kann ich
Ihnen versichern.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian
Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind jetzt viele neue Fragen aufgetaucht. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt darüber debattieren und
nicht, wie ursprünglich geplant, die Reden zu Protokoll
gegeben haben.
Herr Kollege Kauder, ich kann Sie versichern
({0})
- nee, Sie versichern -, dass wir uns schon hingesetzt
haben, allerdings nicht auf die bequemen Bänke der Opposition, sondern auf die harten Bänke der Regierung,
({1})
und seit längerer Zeit dabei sind, die Novellierung der
§§ 100 a ff. und damit auch der hier infrage stehenden
Paragraphen vorzunehmen. Das ist schwierige handwerkliche Arbeit, weil das Bundesverfassungsgericht,
wie Sie wissen, nicht nur in seiner Entscheidung über
den großen Lauschangriff, sondern auch in anderen Entscheidungen immer wieder neue Kriterien zu bedenken
gegeben hat. Ich hoffe, wir können dieses Vorhaben bald
abschließen und Ihnen das Ergebnis vorlegen.
In der Tat ist es so, dass wir die §§ 100 h und 100 g
im Jahre 2001 novelliert haben, aber zugleich haben wir
die Geltungsdauer der Novelle befristet, weil wir eine
Novellierung des gesamten Komplexes planten. Damals mussten wir ja auch deswegen etwas tun, weil eine
Frist ablief. Deshalb haben wir das getan, was wir bis zu
diesem Zeitpunkt einigermaßen schnell hinbekommen
konnten. Sie haben übrigens vergessen, zu erwähnen,
dass Sie über zehn Jahre lang mit der Anwendung des
§ 12 FAG eine Vorschrift angewendet haben, die, um das
einmal ganz milde zu formulieren, viele datenschutzund verfassungsrechtliche Bedenken aufgewiesen hat.
({2})
Wir haben im Jahre 2001 dafür gesorgt, dass in die Strafprozessordnung eine Vorschrift aufgenommen wurde
- dort gehört dieser Komplex ja auch hin -, die einigermaßen verfassungs- und datenschutzrechtlichen Erfordernissen entsprach.
({3})
Schon damals wollten wir die Rechte von Berufsgeheimnisträgern - Rechtsanwälte, Geistliche, Abgeordnete, aber auch Journalisten - respektieren und ihr
Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten unter einen besonderen Schutz stellen. So haben wir in einer Art Zwischenlösung einige dieser Berufsgeheimnisträger, auf
die wir uns einigen konnten, im Gesetz in der Form geschützt, dass keine Auskünfte über ihre Telekommunikationsverbindungen gegeben werden dürfen. Wir haben
aber zugleich die Geltungsdauer dieser Vorschriften befristet, weil wir eine Angleichung an die Regelungen des
§ 100 a StPO vorhatten, in dem es um die inhaltliche Telefonüberwachung geht, aber noch nicht wussten, wie
die konkreten Regelungen aussehen sollten. Damit wollten wir den Gesetzgeber, also uns alle, zwingen, rechtzeitig wieder tätig zu werden und den im Augenblick
herrschenden Zustand zu beenden, dass zwar die äußeren Kommunikationsdaten von einigen der Berufsgeheimnisträger geschützt sind - also wer mit wem wie
lange telefoniert hat -, aber nicht die Inhalte. In dem Bereich, in dem es um die Inhalte geht, um den Eingriff in
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der
Bürgerinnen und Bürger, haben wir keinen solchen
Schutz. Das ist ein Ungleichgewicht, das beseitigt werden muss und das im Rahmen der Novellierung auch beseitigt werden wird. Da können Sie ganz sicher sein; daran arbeiten wir. Das ist der Grund für die Befristung.
Da wir aber bis zum Ende des Jahres mit der Gesamtregelung nicht zurande kommen, müssen wir nun eine
Verlängerung der Befristung herbeiführen. Ich mache
überhaupt kein Hehl daraus, dass mir eine kürzere Frist
lieber gewesen wäre, dass ich eine Frist von einem oder
höchstens zwei Jahren für angemessen gehalten hätte.
Aber ich habe mich damit nicht durchgesetzt; das nehme
ich zur Kenntnis.
Es gibt aber Gründe, die Auseinandersetzung über die
Regelung dieser Materie nicht in Wahlkampfzeiten hineinzutragen.
({4})
Denn Wahlkampfzeiten sind erfahrungsgemäß keine besonders guten Zeiten, um mehr Bürgerrechte ins Gesetz
aufzunehmen. Wahlkampfzeiten sind leider - das bedaure ich selber außerordentlich - Zeiten, in denen sehr
viel mit Polemik gearbeitet wird.
({5})
Deshalb ist die Befristung jetzt so geregelt worden, dass
bis zum Ende des Jahres 2007 erstens nachgedacht werden kann und zweitens Daten erhoben werden können.
Die Daten sollen bis Mitte des Jahres 2007 vorliegen.
Um zu dem Petitum der Abgeordneten der PDS zu
kommen: Das ist ja von der Humanistischen Union übernommen worden. Es ist eine gute Idee, zu sagen, wir
verpflichten die Länder, endlich die Daten zu liefern, um
eine vernünftige Datenbasis zu erhalten. Nur, Frau Kollegin Pau, wenn wir das ins Gesetz schreiben, dann wird
dieses Gesetz zustimmungspflichtig, und so, wie die
Länder im Augenblick gestrickt sind und die Mehrheiten
im Bundesrat aussehen, wird das Gesetz dann im Bundesrat sicher angehalten werden, sodass es nicht zur
Sammlung der Daten kommt. Deshalb haben wir den
richtigeren Weg gewählt - denn unser Weg ist realisierbar -, indem heute wir einen Entschließungsantrag mit
verabschieden, bei dem die Bundesregierung aufgefordert - nicht gebeten, sondern aufgefordert - wird, die
Daten für die Novellierung rechtzeitig vorzulegen. Die
Bundesregierung wird diesem Auftrag nachkommen
müssen, vor allem wenn alle Fraktionen des Deutschen
Bundestages hinter diesem Auftrag stehen. So sieht es ja
im Augenblick aus. Deshalb bin ich guten Mutes, dass
wir am Ende eine verlässliche Datengrundlage haben
werden.
Ich versichere allen, dass wir im Rahmen der gesamten Novellierung auch diese Paragraphen novellieren
und noch weiter an verfassungsrechtliche und datenschutzrechtliche Erfordernisse angleichen werden.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir werden als FDP-Bundestagsfraktion der Verlängerung zustimmen. Wir werden auch die Aufforderung mit
unterstützen, dass Daten gesammelt werden, denn auch
wir halten das für notwendig.
Ich hätte mir allerdings, Herr Kollege Ströbele, gewünscht, dass das als gesetzliche Pflicht festgeschrieben
wird. Denn ich erlebe in einem anderen Bereich immer,
in dem ich persönlich sehr aktiv bin, nämlich im Bereich
der Telefonüberwachung nach § 100 a der Strafprozessordnung, dass wir nur aufgrund meiner jährlichen Nachfrage über die notwendigen Daten verfügen können.
({0})
- Das kann ich gerne schnell aufklären: Seitdem ich im
Deutschen Bundestag bin, frage ich genau diese Daten
nach. Es gibt Gott sei Dank eine Rechtsstaatspartei in
diesem Land, die sich für diese Frage interessiert.
({1})
Ihre Fraktion hat das nie getan, Frau Kollegin.
({2})
Deswegen freue ich mich sehr, dass wir jedes Jahr die
Entwicklung beobachten können. Zum Beispiel bereitet
es mir große Sorge, wenn ich sehe, dass bei den Telefonüberwachungen in Berlin, das hier an der Spitze liegt
- vielleicht auch wegen seiner Kriminalitätsentwicklung -, jetzt wieder eine Steigerung um 70 Prozent zu
verzeichnen ist. Ich habe deshalb die FDP-Kollegen im
Berliner Abgeordnetenhaus gebeten, dem Thema nachzugehen und nach Erklärungen dafür zu suchen.
Mich ärgert ganz außerordentlich, dass - da zeigt sich
wieder, wer eine Rechtsstaatspartei ist und wer nicht ({3})
unser Antrag zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit der
Telefonüberwachung heute abgelehnt wird. Denn die
Forderungen, die wir dort stellen, sind alle berechtigt.
Erstens fordern wir nämlich den jährlichen Bericht,
den ich gerade angesprochen habe. Zweitens fordern wir
die Bundesregierung auf - Herr Kollege Kauder hat die
entsprechende Fragestellung deutlich herausgearbeitet -,
die richterliche Überwachung zu verbessern. Das ist
dringend erforderlich. Beispielsweise hat die Untersuchung durch die Universität Bielefeld deutlich gemacht,
dass etwa ein Viertel der richterlichen Anordnungen zu
beanstanden ist.
({4})
Die richterliche Überwachung zu verbessern ist eine
Forderung, die wir an die Bundesregierung stellen. Warum sie diese ablehnt, verstehe ich nicht.
Ich denke, dass das Prozedere insgesamt bei der Telefonüberwachung verbessert werden muss.
({5})
Ich selbst komme aus der Justiz. Ich weiß, dass wir als
Oberstaatsanwälte und Staatsanwälte diese Anträge immer vorformuliert haben, sodass der Richter nur unterschreiben musste. Wenn er ablehnte, musste er die entsprechende Begründung selbst formulieren. Dadurch
wurde es den Richtern leicht gemacht.
Weil es sich um einen wesentlichen und tiefen Eingriff in die Intimsphäre und Persönlichkeitssphäre handelt - das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum
Abhören in Wohnungen zeigt unsere Verpflichtung -,
müssen wir in diesem Bereich die richterliche Kontrolle
verbessern.
All diese Forderungen der FDP werden von der
Koalition abgelehnt. Mich ärgert das. Ich fordere Sie
noch einmal auf, unserem Antrag zuzustimmen. Es dient
uns allen und der Rechtsstaatlichkeit in unserem Land.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Stünker.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir werden gleich die Geltungsdauer von zwei Vorschriften der Strafprozessordnung, die wir im Jahre 2001
nach den Terroranschlägen in New York einstimmig in
die Strafprozessordnung hingeschrieben haben, verlängern. Damals hatten wir den problematischen § 12 FAG
abgelöst. Diese Vorschriften benötigen die Ermittlungsbehörden, um insbesondere im Bereich der organisierten
Kriminalität ihre Arbeit zu machen. Es ist daher gut,
dass wir die Verlängerung ihrer Geltungsdauer einvernehmlich beschließen werden.
({0})
Herr Kollege van Essen, Sie haben von der Rechtsstaatspartei FDP gesprochen. Wir werden im Zusammenhang mit der Novellierung der § § 100 a ff. der
Strafprozessordnung, an der wir sehr intensiv arbeiten,
diese Diskussion gemeinsam in diesem Hohen Haus zu
führen haben. Ich bin gespannt, ob das, was hier akademisch vom Katheder dazu gesagt wurde, auch politisch
von Ihnen gehalten werden kann. Auf die Diskussion bin
ich wirklich gespannt.
({1})
Wir wollten heute Abend die Reden zu diesem Punkt
eigentlich zu Protokoll geben, weil es schon spät geworden ist und weil wir alle im Augenblick kein Problem in
der Verlängerung sehen. Aber Herr Kollege Kauder
wollte gerne reden. Darum sind wir jetzt noch hier.
({2})
- Ich muss nicht immer reden, Herr Kauder. Das muss
wirklich nicht sein.
Interessanterweise werden die Reden zum Tagesordnungspunkt 17 zu Protokoll gegeben, in dem es um die
erste Lesung eines Regierungsentwurfes eines Gesetzes
zur Neuregelung der präventiven Telekommunikationsund Postüberwachung durch das Zollkriminalamt geht.
Darüber werden wir noch in diesem Jahr die Entscheidung zu treffen haben. Ich bin auf die Diskussion mit Ihnen gespannt und darauf, ob Sie auch in diesem Punkt,
in dem es um Vorfeldermittlungen in einem hoch sensiblen Bereich geht, genauso rechtsstaatlich argumentieren
werden wie heute Abend.
({3})
Noch in diesem Jahr werden Sie den Beweis erbringen
können,
({4})
ob Sie, Herr van Essen, in der Lage sind, das, was Sie
heute Abend akademisch in Ihrer Rede ausgeführt haben, politisch zu halten. Sie werden uns dabei an Ihrer
Seite haben.
Wir haben nur eine kurze Frist. Herr Kollege
Ströbele, wir beide haben schon darüber gesprochen.
Wir haben dafür gesorgt, dass der Rechtsausschuss federführend ist. Die federführende Beratung sollte eigentlich im Finanzausschuss stattfinden. Ich freue mich auf
die Diskussion in den nächsten Wochen und bedanke
mich, dass wir heute Abend das Gesetz einstimmig verabschieden werden.
Schönen Dank.
({5})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlänge-
rung der Geltungsdauer der § § 100 g und 100 h der
Strafprozessordnung. Der Rechtsausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
15/3971, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 15/3989? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses gegen die Stimme der Abgeordneten
Pau abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimme der Ab-
geordneten Pau in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich jetzt erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimme der Abgeordneten Pau angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, Druck-
sache 15/3971, empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, Druck-
sache 15/3971, zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Rechtsstaatlichkeit der Telefonüberwachung
sichern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/1583
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung
des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der FDP und der Abgeordneten Pau bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Ukraine nach der EU-Osterweiterung und
vor den Präsidentschaftswahlen am 31. Okto-
ber 2004
- Drucksache 15/3958 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia
Nolte, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Für eine demokratische und freie Präsidentenwahl 2004 in der Ukraine
- Drucksachen 15/3799, 15/3968 Berichterstattung:
Abgeordnete Jelena Hoffmann ({1})
Dr. Friedbert Pflüger
Die Abgeordneten Nolte, Steenblock, Leibrecht und
Grund haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu
dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Dann spricht jetzt zu diesem Punkt ausschließlich die
Abgeordnete Jelena Hoffmann. Ich eröffne für sie die
Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich gehört habe, dass alle Kolleginnen
und Kollegen ihre Rede zu Protokoll gegeben haben,
habe natürlich auch ich mir überlegt, ob ich meine Rede
zu Protokoll gebe.
({0})
Sie sehen: Ich habe es nicht gemacht.
({1})
Wir reden nun nicht jeden Tag über das landschaftlich
wunderschöne Land Ukraine. Deshalb erlaube ich mir,
zehn bis zwölf Minuten Ihrer geschätzten Zeit in Anspruch zu nehmen.
({2})
Denn ich denke, dass das diesem Land gerecht wird und
wir dadurch unsere Verbundenheit zeigen. Ich bedanke
mich natürlich dafür, dass Sie alle um diese Zeit noch
hier sind.
({3})
Die Ukraine liegt geographisch mitten in Europa und
ist mit 48 Millionen Menschen einer der größten unserer
neuen europäischen Nachbarstaaten. Wir sollten - darin
sind wir uns einig - die Entwicklung in den postkom-
munistischen Staaten mit einem kritischen Auge beo-
bachten. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass wir
drei Dinge beachten sollten, wenn wir unseren neuen
Nachbarn klar machen wollen, dass uns nicht nur an blo-
ßer Kritik gelegen ist, sondern dass wir ein wirkliches
1) Anlage 5
Interesse an einer gut funktionierenden Nachbarschaft
haben:
({4})
Erstens sollten wir uns überlegen, was unsere Nachbarn in den letzten Jahrzehnten durchgemacht haben. Im
Fall der Ukraine ist dazu festzuhalten, dass sie sich erst
im 13. Jahr ihrer Unabhängigkeit befindet. Sie ist ein
Land, das von der Kiewer Rus bis zur Sowjetunion über
Jahrhunderte nur diktatorische Herrschaften erfahren
hat und sich erst in den letzen 13 Jahren unabhängig und
demokratisch entwickeln konnte.
Zweitens. Auch wenn in der letzten Zeit mehr von der
positiven ökonomischen Entwicklung in der Ukraine die
Rede ist und im politischen Bereich eher eine Stagnation
festzustellen ist, müssen wir doch gewisse Fortschritte
auf dem Wege der Demokratisierung des Landes erkennen und auch anerkennen.
Drittens sollten wir bei aller Kritik, die wir an den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in der Ukraine
üben und üben müssen, grundsätzlich klar machen, dass
wir Beratung und Hilfestellung anbieten, um die Verhältnisse zu verbessern.
Alle - ich unterstreiche: alle - Bundesregierungen der
letzten zehn Jahre haben diese Linie von kritischer und
konstruktiver Begleitung der Entwicklung der Ukraine
konsequent verfolgt. Ich finde es jedenfalls der Größe
und der Bedeutung der Ukraine angemessen, dass wir
mit den deutsch-ukrainischen Regierungskonsultationen
das höchste Niveau zwischenstaatlicher Zusammenarbeit pflegen.
Über zehn Jahre haben wir in der Ukraine im Rahmen
des Transform-Programms ganz konkrete Hilfen in den
verschiedensten Bereichen geleistet. Ich bin sehr froh zu
hören, dass die bilaterale Projektzusammenarbeit mit der
Ukraine auch nach der Beendigung des Transform-Programms in diesem Jahr nicht beendet wird. Vielmehr
werden Anfang November in Kiew Regierungsgespräche über die Ausgestaltung der künftigen bilateralen Zusammenarbeit geführt. Ebenso bin ich froh darüber, dass
die Europäische Kommission und die ukrainische Regierung in diesem Jahr einen Aktionsplan der EU für die
Ukraine ausgehandelt haben. Übrigens bin ich überzeugt, dass wir als größter Mitgliedstaat der EU hier eine
besondere Verpflichtung haben.
Mit der jahrelangen Kooperation hat die Bundesregierung aber noch viel mehr erreichen können. Sie hat mit
diesen konkreten, praktischen Hilfestellungen eine Vertrauensbasis zum neuen Nachbarn Ukraine aufgebaut.
Auf dieser Vertrauensbasis wird es uns Parlamentariern
überhaupt erst möglich, glaubwürdig Kritik an demokratischen Defiziten zu üben. Das muss uns allen klar sein.
Damit komme ich zu den vorliegenden Anträgen.
Beide Anträge sollen - neben einem kritischen Blick auf
die demokratische Entwicklung im Lande - der ukrainischen Regierung und dem Parlament signalisieren, wie
wichtig freie und faire Wahlen am 31. Oktober für das
Jelena Hoffmann ({5})
Land selbst sowie für die zukünftigen Beziehungen mit
Deutschland sind.
Wenn ich allerdings den Antrag der Union zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine lese, dann frage ich mich
doch, was damit erreicht werden soll. Einige Formulierungen des Antrages der Union scheinen mir unklar, ja
sogar falsch und missverständlich.
Sie reden in Ihrem Antrag von einer Vorlage für eine
Reform des Wahlgesetzes, die bewirken soll, dass die
Opposition bei den Stimmauszählungen dabei sein kann.
Davon ist bisher nichts bekannt. Könnte es sein, dass Sie
vielleicht nicht die Opposition, sondern NGOs meinen?
Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union,
kann und muss man sich dafür einsetzen, dass die NGOs
zur Wahlbeobachtung zugelassen werden, aber nicht
so, wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben. Wir können
das auf parlamentarischer Ebene tun. Ich habe an viele
Kolleginnen und Kollegen in der Verkhovna Rada einen
Brief geschrieben und sie gebeten, sich mit diesem Problem noch einmal auseinander zu setzen. Die parteipolitische Opposition kann ohnehin die Wahlen beobachten.
Das Parlament hat dazu eine eigene Kommission eingerichtet. In dieser Kommission sind alle Parteien vertreten.
Ich will nicht falsch verstanden werden. Ich sage
nicht, dass bei Wahlen in der Ukraine alles in Ordnung
war. Auch wir machen uns berechtigte Sorgen über den
Ablauf der Wahl am 31. Oktober. Doch wie ich schon
vor drei Wochen sagte, ist der Antrag der Union mit heißer Nadel gestrickt worden. Man sollte sich überlegen,
ob diese Art von Außenpolitik dem Land und unseren
Beziehungen zur Ukraine gerecht wird. Deshalb haben
wir gestern im Auswärtigen Ausschuss den Antrag abgelehnt.
Auch wir fordern in unserem Antrag, dass die Präsidentschaftswahl entsprechend den Standards und Kriterien der OSZE und des Europarates abgehalten werden.
Das ist ein Punkt, in dem wir uns mit der Union einig
sind: Freie, gleiche und geheime Wahlen sind für unser
Demokratieverständnis die Basis unserer nachbarschaftlichen Beziehungen. Dasselbe gilt, so denke ich, auch
für die Forderungen nach Pressefreiheit und freier
Wahlberichterstattung sowie die Absage an Wahlempfehlungen durch Vertreter staatlicher Institutionen. Auch
wir müssen uns mit Empfehlungen zurückhalten. Ich
habe bei diesen Wahlen natürlich einen Lieblingskandidaten, aber den Namen verrate ich hier heute nicht.
({6})
- Ich habe gewusst, dass Sie das sagen.
Das ukrainische Volk soll aber die Möglichkeit haben,
frei zu wählen; darum geht es uns in erster Linie. Gerade
darauf achten viele Wahlbeobachter. Einige davon sind
schon seit längerer Zeit im Lande, noch mehr werden zu
den Wahlen anreisen. Ich selbst und, wie ich erfahren
habe, auch einige Kollegen aus unserem Parlament werden nächste Woche in die Ukraine - nach Kiew und auch
in andere Regionen - reisen und ganz konkret beobachten, wie die Wahlen stattfinden.
Eine besondere Bedeutung hat für jeden demokratischen Staat die Entwicklung einer offenen Bürgergesellschaft. Dank vieler Projekte und Kooperationen mit
deutschen Parteien und politischen Stiftungen, mit
NGOs und Kirchen ist in der Ukraine in den vergangenen 13 Jahren vieles erreicht worden. Das verdient hohe
Anerkennung. Doch Anerkennung alleine reicht nicht
aus. Für eine wirklich nachhaltige Kooperation der Zivilgesellschaften unserer Länder muss eine weitere Förderung und Vertiefung des Dialogs stattfinden. Meine
persönliche Auffassung geht darüber hinaus: Ich würde
mir sogar einen Dialog der Zivilgesellschaften wünschen, der im institutionellen Rahmen organisiert ist.
Vor ungefähr einem Monat hat die Deutsch-Ukrainische Parlamentariergruppe unter meiner Leitung eine
Reise in die Ukraine unternommen. Wir haben in Kiew,
Odessa, Dnepropetrovsk und Lviv Gespräche mit Politikern, Unternehmern, Kirchen und NGOs geführt. Wir
haben auch die neue europäische Grenze besucht. Bei allen Gesprächen und Veranstaltungen haben wir, sechs
Politikerinnen und Politiker des Bundestages, über alle
Fraktionen hinweg immer wieder unseren Wunsch, ja
sogar die Forderung nach freien und fairen Wahlen deutlich gemacht. Beide Worte, frei und fair, stehen als
Synonym für die Demokratie. Diese Botschaft möchte
ich mit unserer heutigen Debatte an die Kolleginnen und
Kollegen der Werchowna Rada und an das ukrainische
Volk senden.
Ich bedanke mich noch einmal für Ihre Geduld und
Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 15/3958 mit dem Titel „Die Ukraine nach
der EU-Osterweiterung und vor den Präsidentschaftswahlen am 31. Oktober 2004“. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU.
Zusatzpunkt 8 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/3968 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Für eine
demokratische und freie Präsidentenwahl 2004 in der
Ukraine“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations12130
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt ({0})
- Drucksache 15/3931 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Die Abgeordneten Stünker, Müller ({2}),
Ströbele und Funke sowie die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Hendricks haben gebeten, ihre Reden zu Proto-
koll geben zu dürfen.1)
Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen, wobei die Federführung, abweichend
von der Tagesordnung, beim Rechtsausschuss liegen
soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Situation des
deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes im
europäischen Wettbewerb
- Drucksache 15/3637 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Mindestbedingungen für die Durchführung der Richtlinie
2002/15/EG sowie der Verordnung ({5})
1) Anlage 6
Nr. 3820/85 und ({6}) Nr. 3821/85 des Rates
über Sozialvorschriften für Tätigkeiten im
Kraftverkehr
KOM ({7}) 628 endg.; Ratsdok. 15688/03
- Drucksachen 15/2373 Nr. 2.47, 15/3578 Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
Hier haben die Abgeordneten Beckmeyer, Sebastian,
Hofbauer, Hettlich und Friedrich ({8}) sowie die
Parlamentarische Staatssekretärin Mertens gebeten, ihre
Reden zu Protokoll geben zu dürfen.2) - Offensichtlich
sind Sie damit einverstanden. Dann verfahren wir so.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3637 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 18 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestbedingungen für die
Durchführung der Richtlinie sowie der Verordnung des
Rates über Sozialvorschriften für Tätigkeiten im Kraftverkehr. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der
Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Freitag, den 22. Oktober 2004,
9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.