Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, dass am Mittwoch, dem 20. Oktober, die Befragung
der Bundesregierung entfällt und die Fragestunde wegen
der Gedenkfeier für Hermann Ehlers erst um 14 Uhr
beginnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von
Zahnersatz
- Drucksache 15/3681 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({1})
- Drucksachen 15/3834, 15/3865 Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Gesundheitsreform wirkt. Sie verbessert die Qualität, die
Transparenz und die Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung. Die gesetzliche Krankenversicherung
schreibt wieder schwarze Zahlen. Wir haben viele Veränderungen auf den Weg gebracht, um die Strukturen im
Gesundheitswesen zu verbessern. Es werden Verträge
zur besseren Zusammenarbeit zwischen Ärzten und
Krankenhäusern, zur besseren Versorgung chronisch
kranker Menschen und zur Stärkung der hausärztlichen
Versorgung geschlossen. Dies haben wir gemeinsam auf
den Weg gebracht.
Vor einem Jahr haben wir auch entschieden, den
Zahnersatz künftig - wahlweise privat oder gesetzlich über eine Minikopfpauschale abzusichern.
({0})
Sie erinnern sich daran, dass das Frau Merkels Vorbedingung für Ihre Zustimmung zu unserem Kompromiss war.
Schon damals war allen Insidern klar, dass dieses Vorhaben schwierig wird. Wir haben daran gearbeitet, wie es
umgesetzt werden kann.
({1})
Dabei stellte sich heraus, dass es extrem bürokratisch
und zu teuer ist, in einem System, das wie die gesetzliche Krankenversicherung einkommensabhängig finanziert ist, eine Minikopfpauschale einzuführen. Zudem ist
es den Versicherten nicht zuzumuten, pro Monat 2 Euro
nur für Bürokratie zu bezahlen.
({2})
Das wissen auch Sie. Deswegen haben wir seit
Wochen über diese Frage gesprochen und über eine versichertenfreundliche, unbürokratische und sozialverträgliche Regelung verhandelt. Die Zeit drängt. Die Versicherten wollen Klarheit. Auch die Krankenkassen
brauchen Klarheit; denn Wartezeit kostet Geld. Deswegen haben wir entschieden: Wir belassen den Zahnersatz
im Leistungskatalog der Kassen und wir senken den
durchschnittlichen Beitragssatz der Krankenkassen für
ihre Mitglieder und die Lohnnebenkosten für die Betriebe.
({3})
Redetext
Vielleicht ist Folgendes für Herrn Storm interessant:
Am gemeinsam vereinbarten Leistungskatalog und
Leistungsumfang beim Zahnersatz mit mehr Wahlmöglichkeiten für die Versicherten ab 1. Januar 2005
halten wir fest. Wir ändern nichts. Wir regeln nur die Finanzierung neu,
({4})
und zwar einkommensabhängig und sozialverträglich.
({5})
Indem die Versicherten diesen Sonderbeitrag zukünftig
allein tragen müssen, entlasten wir die Lohnnebenkosten. Außerdem verpflichten wir die Krankenkassen, ihren allgemeinen Beitragssatz in gleichem Umfang zu
senken.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU
- Sie spreche ich ganz besonders an -, es grenzt manchmal schon an ein Stück aus dem Tollhaus: In all den Wochen machen Sie keinen einzigen Vorschlag, wie wir zu
einer unbürokratischen Lösung kommen können. Hinter
vorgehaltener Hand hört man aus Ihren Reihen immer
wieder, dass die von uns vorgeschlagene Lösung eigentlich die beste sei. Dann wird stets gesagt: Springen täten
wir gern, aber können dürfen wir nicht.
Auf der einen Seite überbieten Sie sich tagtäglich mit
immer neuen Privatisierungsorgien - ich nenne nur einige -: 70-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich,
({7})
die völlige Streichung des Kündigungsschutzes, eine
Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die dazu führt,
dass die Krankenschwester den gleichen Beitrag wie der
Manager zahlt, und die Privatisierung der Unfallversicherung, die Herr Storm kürzlich vorgeschlagen hat. Auf
der anderen Seite, wenn es um eine einzige Entscheidung geht, die Lohnnebenkosten zu senken und beim
Sonderbeitrag für Zahnersatz die Parität um 0,45 Prozent
zu verschieben, drücken Sie sich vor der Verantwortung
und schlagen sich in die Büsche. Meine Damen und Herren, wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte die Küche meiden. Wer die Küche schon beim Kochen eines
kleinen Gerichts verlassen muss, der hat gar kein Rückgrat, um in diesem Land in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen.
({8})
Die gemeinsam verabschiedete Gesundheitsreform
verlangt nicht nur Entschlusskraft, sondern auch Standfestigkeit.
({9})
Sie stehen ja nicht einmal mehr zu der Minikopfpauschale. Ich kenne niemanden aus Ihren Reihen, der die
Beibehaltung dieser Kopfpauschale fordert
({10})
und der auch dazu steht, dass man den Rentnerinnen mit
einer Rente von 500 Euro klipp und klar sagt, sie müssten nicht, wie bei Frau Schmidt, 1 Euro, sondern
7,50 Euro mehr bezahlen. Ich kenne niemanden, der
demjenigen, der monatlich 1 000 Euro Einkommen hat,
sagt, er müsse nicht wie bei Frau Schmidt 2 Euro, sondern 6,50 Euro mehr bezahlen.
({11})
Dass Sie dazu stehen und dafür streiten, das erwarte ich
von Ihnen hier und heute.
Unser Vorschlag hält an dem gemeinsamen Kompromiss fest. Er hält an den Zielen fest, auch was den Leistungsumfang angeht. Wenn sich aber im Laufe eines
Verfahrens herausstellt, dass die beschlossene Lösung zu
bürokratisch ist und zu Belastungen der Versicherten
führt, die man sich angesichts der Situation im Gesundheitswesen nicht erlauben kann, dann muss man den Mut
haben, zu bekennen, dass die Entscheidung falsch gewesen sei. Heute treffen wir eine Entscheidung, die, im Interesse der Versicherten, sozialverträglich und unbürokratisch ist. Es wäre gut, wenn Sie dabei mitmachten.
Dies zeigte, dass Sie auch das tun dürfen, was Sie tun
müssen, und in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die mit dem GKV-Modernisierungsgesetz … zum
1. Januar 2005 vorgesehene gesonderte Finanzierung des Zahnersatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung … soll rückgängig gemacht werden.
So lautet der erste Satz Ihres Gesetzentwurfes. Damit
wird eines ganz klar: Rot-Grün kündigt den Gesundheitskompromiss des vergangenen Sommers auf.
({0})
Dies ist nicht nur ein Vertrauensbruch, sondern auch ein
Vertragsbruch. Diesmal liegt es nicht an Ihrer bekannten
Unfähigkeit, sondern - das haben Sie heute Morgen
deutlich gemacht - diesmal ist es politischer Vorsatz. Sie
wollten und wollen diese Kompromisslösung nicht umsetzen. Das, was Sie selbst - Herr Schmidbauer, Herr
Kirschner, Frau Lotz und wie Sie alle hier sitzen - vor
einem Jahr beschlossen haben, wollen Sie jetzt wieder
rückgängig machen.
({1})
Ihr Argument lautet: Wir wollen zwar, aber wir können
nicht.
Seit Mai dieses Jahres weisen die Spitzenverbände
der Krankenkassen auf die Probleme beim Beitragseinzug hin; sie haben eine konkrete Lösung vorgeschlagen. Daraufhin haben auch wir Sie angeschrieben, Frau
Schmidt. Sie teilten uns mit, es bestehe kein Handlungsbedarf. Statt die Probleme zu lösen, haben Sie die Dinge
vorsätzlich liegen gelassen und damit ganz bewusst die
Verunsicherung der Bevölkerung in Kauf genommen.
({2})
Die Menschen vertrauen Ihren handwerklichen Fähigkeiten schon lange nicht mehr. Ich erinnere nur an das
Chaos bei der Einführung der Praxisgebühr,
({3})
an die Ausnahmeliste für die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente, an die Fahrkosten und an vieles
mehr.
({4})
Frau Schmidt, insbesondere bei der Umsetzung dieses
Kompromisses hat auch die Union schlechte Erfahrungen mit Ihrer Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit
gemacht; Sie wissen das. Bereits im ersten Arbeitsentwurf zur Umsetzung des Kompromisses war die Pauschalprämie nicht enthalten. Von Anfang an waren Sie
nicht gewillt - das haben Sie auch heute wieder mehr als
deutlich gemacht -, diese Vereinbarung umzusetzen.
Herr Müntefering hat das mit entsprechenden Aussagen
noch untermauert.
({5})
Heute schieben Sie ein kleines technisches Problem
vor, das man bei gutem Willen rechtzeitig hätte lösen
können.
({6})
Vordergründig geht es Ihnen um einen unbürokratischen
Beitragseinzug für Rentner und Arbeitslose. In Wahrheit
geht es Ihnen aber schlicht und einfach um die Ablehnung des Kompromisses. In der Anhörung wurde das
doch bestätigt.
({7})
Sie versuchen heute zum wiederholten Male, die Bevölkerung mit falschen Zahlen in die Irre zu führen.
({8})
Der Zahnersatz inklusive den Verwaltungskosten ist in
der gesetzlichen Krankenversicherung für rund 7 Euro
monatlich versicherbar. Die Behauptung, die Pauschalprämie führe zu enormen Verwaltungskosten - Sie haben
das vorhin so genannt -, konnte von keinem der angehörten Experten mit belastbaren Zahlen belegt werden.
Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass
man einfach das Gegenteil behauptet.
Ein unbürokratischer Beitragseinzug wäre möglich
gewesen, wenn die Bundesregierung noch vor der Sommerpause ein Gesetz in den Bundestag eingebracht hätte.
({9})
Laut Krankenkassen wären in der Summe nicht mehr
Verwaltungskosten angefallen als beim prozentualen
Sonderbeitrag, nämlich 40 bis 60 Cent. Ob die Spitzenverbände der Kassen, der VDR oder die Bundesagentur
für Arbeit - alle haben in der Anhörung bestätigt: Ja, wir
sind in der Lage, das umzusetzen, wir brauchen dafür
aber einen Vorlauf von etwa fünf Monaten. Genau das
haben sie Ihnen ja auch mitgeteilt.
Es ist sicher sinnvoll, Fehler zu korrigieren. Es stellt
sich aber schon die Frage, wo das Problem im GMG eigentlich gelegen hat.
({10})
Die Kassen haben betont, es sei der fehlende Quelleneinzug bei den Rentnern und bei den Arbeitslosen. Diese an
sich kleine Lücke braucht keinen völligen Neuansatz.
Die Sachverständigen haben in der Anhörung gesagt,
dass sich dies leicht hätte korrigieren lassen. Auch wenn
Sie das Gegenteil behaupten: Wir haben Sie aufgefordert, die Grundlagen dafür zu schaffen. Selbst der VDR
hat diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Die Antwort
der Ministerin lautete: Ich sehe derzeit keine Regelungslücken, die unverzüglich geschlossen werden müssten.
({11})
Durch Ihr anhaltendes Nichtstun tragen Sie die Verantwortung dafür, dass die Neuregelung nicht pünktlich
zum 1. Januar 2005 umgesetzt werden kann, wie dies im
Kompromiss vereinbart wurde. Es zeugt nicht von Geradlinigkeit und Verlässlichkeit in der Bundesregierung,
wenn man uns Handlungsunfähigkeit vorwirft und
gleichzeitig neun Monate lang die Hände in den Schoß
legt und erst in einer Last-Minute-Aktion innerhalb von
drei Tagen dem Parlament und den beteiligten Fraktionen drei verschiedene Vorschläge vorlegt.
({12})
Der Preis des Regierens heißt Verantwortung. Ihr Versuch, die Schuld für Ihre Untätigkeit bis hin zur Blockade
der Union in die Schuhe zu schieben, ist schlichtweg unverschämt. Die Regelung des Kompromisses ist die bessere Lösung. Sie brächte mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und vor allen Dingen mehr Wahlmöglichkeiten
und Entscheidungsfreiheit für die Versicherten. Davor
wollen Sie die Menschen in unserem Land ja immer wieder bewahren. Das beweisen Sie heute einmal mehr.
Das, was Sie heute vorschlagen, ist die eindeutig
schlechtere Lösung; denn häufig werden die Menschen
jetzt mehr zahlen. Einer solchen Mehrbelastung ohne
Sinn und Verstand stimmen wir nicht zu.
({13})
Ein Mann mit einem Eintrittsalter von 30 Jahren zahlt in
unserem Land in Zukunft 10,80 Euro pro Monat. Dabei
habe ich die verpflichtende Senkung des allgemeinen
Beitragssatzes schon mit eingerechnet. Nach dem Willen von Rot-Grün wird ein Sonderbeitrag von
0,9 Prozent fällig, an dem sich die Arbeitgeber nicht beteiligen.
({14})
Sie haben nur vom Zahnersatz geredet. Ich habe kein
einziges Wort darüber gehört, dass Sie gleichzeitig einen
Sonderbeitrag für das Krankengeld einführen wollen.
({15})
Dieser dilettantische Versuch ist an Perfidität nicht zu
überbieten.
({16})
Ihnen geht es in Wahrheit nur darum, die Einführung des
Arbeitnehmersonderbeitrags, für den die Rentnerinnen
und Rentner in unserem Lande Beiträge zahlen müssen,
ohne dafür je eine Leistung zu erhalten, aus dem
Wahljahr 2006 herauszunehmen und in das Jahr 2005 zu
legen, damit die Menschen nicht merken, was Sie hier
für ein perfides Spiel betreiben.
({17})
Zusätzlich suggerieren Sie ein Nullsummenspiel; Sie
würden ja die Kassen verpflichten, im Gegenzug die
Beiträge um 0,9 Prozent zu senken. Erstens. Eine einseitige Erhöhung und eine paritätische Senkung ergeben
unterm Strich eben keine Null. Zweitens. Die Kassen
werden die Beiträge weder in diesem noch im ersten
Halbjahr 2005 senken können.
({18})
Im Gegenteil: Einige Kassen werden die Beiträge sogar
anheben, um sich die notwendige Liquidität zu verschaffen. Das kann man den Kassen auch nicht verdenken; denn sie sind verpflichtet, die Beiträge wirtschaftlich zu kalkulieren und die Verschuldung abzubauen.
Haben Sie § 220 Abs. 1 SGB V überhaupt einmal gelesen, Frau Schmidt? Da heißt es:
Die Beiträge sind so zu bemessen, dass sie zusammen mit den sonstigen Einnahmen die im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben und die vorgeschriebene Auffüllung der Rücklage decken.
Drittens. Eine Beitragssenkung für alle Kassen bestraft insbesondere diejenigen, die bereits früher als andere Kassen Mehreinnahmen, die sie durch höhere Zuzahlungen und andere Maßnahmen erreicht haben, in
Beitragssenkungen weitergegeben haben. Im Ergebnis
ist also eine zusätzliche Zwangsabsenkung ein nicht kalkulierbares Finanzrisiko für die Kassen. Neue Verschuldung und höhere Beiträge werden nicht lange auf sich
warten lassen. Zudem widerspricht die Zwangsabsenkung - darauf haben in der Anhörung selbst die Arbeitgeber hingewiesen - der Selbstverwaltung unserer sozialen Sicherungssysteme.
Für dieses Jahr kann man laut Berechnungen des
Schätzerkreises der Krankenkassen allenfalls mit einem
Überschuss von etwa 3 Milliarden Euro rechnen. Ein
Teil dieser Summe muss jedoch, wie es im Kompromiss
verlangt wird, für den Abbau der Schulden verwandt
werden. Bislang haben die Kassen den Beitragssatz lediglich um 0,1 Prozentpunkte auf 14,2 Prozent gesenkt.
Damit sind wir noch weit von der mit der Reform angepeilten Marke von 13,6 Prozent entfernt. Nach den aktuellen Berechnungen des Schätzerkreises wird es in diesem Jahr kaum noch zu Beitragssatzsenkungen kommen.
Im Gegenteil: Im nächsten Jahr sollen die Beiträge wieder ansteigen.
Die Arbeitnehmer werden damit - das sind die aktuellen Prognosen - einen Beitragsanteil von 7,5 Prozent zu
tragen haben. 7,5 Prozent, das ist der höchste Beitrag,
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals zu tragen hatten. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Wir haben der Gesundheitsreform nur unter der Bedingung
zugestimmt, dass sich die Be- und Entlastungen für die
Versicherten über die Laufzeit des Vertrages in etwa die
Waage halten.
({19})
Diese Ausgewogenheit, Frau Ministerin, verletzen Sie;
denn der Sonderbeitrag im Jahr 2005 führt zu einer Belastungskumulation, der auf der anderen Seite keine entsprechenden Beitragsentlastungen gegenüberstehen. Damit belasten Sie gerade die Geringverdiener in einem
nicht akzeptablen Maß.
Es gäbe noch viel zu sagen. Die Verschiebung der Arbeitskosten ist keine wirkliche Entkoppelung und fördert
damit eben nicht Beschäftigung. Sie verschieben in einem ganz erheblichen Umfang die Parität. Der Anteil
der Arbeitgeber beträgt nur noch etwa 47 Prozent und
der der Arbeitnehmer etwa 53 Prozent. Sie setzen falsche Anreize, insbesondere wenn es darum geht, die Abwanderung freiwillig Versicherter in die private Krankenversicherung zu verhindern. Vielmehr provoziert
Ihr Gesetzentwurf diese Abwanderung. Das ist Entsolidarisierung und hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
({20})
Wir werden Ihre Kapriolen nicht mitmachen. Für dieses Theater bekommen Sie unsere Zustimmung nicht.
Das müssen Sie im Alleingang machen. Die VerantworAnnette Widmann-Mauz
tung für die zusätzlichen Belastungen der Versicherten
tragen Sie ganz allein.
({21})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Das ist ein Vertrags- und Vertrauensbruch gegenüber
den Wählerinnen und Wählern.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre
schön, wenn auch die Union einmal Lernfähigkeit beweisen würde.
({0})
Denn wenn man feststellt, dass eine Lösung, die man gefunden hat, wenngleich auch in einem Kompromiss, unpraktikabel ist, sollte man eine bessere suchen. Ich behaupte: Wir in der Koalition haben sie gefunden und
Ihnen heute vorgelegt. Die Lösung, die wir jetzt vorschlagen, ist erstens versichertenfreundlich, zweitens
wettbewerbsfördernd und führt drittens zu einer Entlastung bei den Lohnnebenkosten, die sich alle Parteien
zum Ziel gesetzt haben.
({1})
Erstens. Die Kopfpauschale hat, so wie sie verabredet war, gravierende Nachteile.
({2})
Sie bringt eine hohe Belastung für niedrige Einkommen.
Wenn Sie, Frau Kollegin Widmann-Mauz, jetzt immer beklagen, dass bei der prozentualen Lösung für Einkommen nahe der Beitragsbemessungsgrenze Belastungen entstehen, kann ich Ihnen nur sagen: Es ist das
Wesen des Solidarsystems, dass diejenigen, die mehr haben, auch mehr zahlen, dass eine Umverteilung von gut
Verdienenden zu schlecht Verdienenden stattfindet.
({3})
Das wollen Sie mit Ihrem Kopfgeld abschaffen. Gerade
das unterscheidet uns auch in der Perspektive der Gesundheitsversorgung.
({4})
Der spezifische Kompromiss mit der Kopfpauschale
beim Zahnersatz hat aber, so hat sich gezeigt, zusätzlich
zu den erwähnten Nachteilen einen unverhältnismäßig
hohen Verwaltungsaufwand mit sich gebracht, den niemand ernsthaft vertreten kann.
({5})
Zweitens. Die neue Lösung ist wettbewerbsfreundlich.
({6})
Seien wir doch ehrlich, der Union war es unheimlich
wichtig, die PKV, die private Krankenversicherung,
irgendwie in den Gesamtkompromiss einzubringen.
Aber der Kompromiss, den wir unter viel Ächzen in der
letzten Nacht, die ich, anders als Herr Seehofer, nicht so
schön fand,
({7})
zustande gebracht haben, bedeutete keinen Wettbewerb,
weil es zwischen der GKV und der PKV keinen Wettbewerb gibt. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen alle
aufnehmen, auch wenn sie krank sind und nicht viel verdienen; die privaten Krankenkassen nehmen Versicherte
nach der Theorie des Rosinenpickens auf.
({8})
Die einen erheben normalerweise einkommensabhängige Beiträge - das hätten wir in diesem Fall geändert -,
die anderen erheben sowieso risikoadäquate Beiträge.
Ein weiterer Nachteil war, Frau Kollegin, dass wir den
Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen in diesem Bereich stillgestellt haben; denn bei einem
einheitlichen Betrag für den Zahnersatz hat keine Krankenkasse mehr wirklich Interesse daran, durch gute Beratung der Versicherten für wirtschaftliche Leistungserbringung zu sorgen. Das ist jetzt wieder anders.
Drittens. Wir senken - das war ja ein gemeinsames
Ziel - jetzt tatsächlich die Lohnnebenkosten.
({9})
Hier verstehe ich den Einwand der Krankenkassen nicht
und ich verstehe noch weniger, Frau Kollegin, dass Sie
ihn sich zu eigen machen. Es ist doch schlechterdings
unverständlich, wenn einer Erhöhung des Beitrages um
insgesamt 0,9 Beitragssatzpunkte, mit der die Versicherten allein belastet werden, nicht eine entsprechende Entlastung auf der Arbeitgeberseite, also beim allgemeinen
Beitragssatz, gegenübersteht. Was sich die Kassen denken, wenn sie dagegen opponieren, ist mir wirklich nicht
klar. Vielleicht muss man sie auch einmal daran erinnern, dass sie für die Versicherten da sind und nicht für
sich selber.
({10})
Wenn man die Strategie der Union - Union ist eigentlich ein komisches Wort für diese Veranstaltung, ich
glaube, Sie sind eher so etwas wie eine Koalition, aber
eine sehr schlecht funktionierende; vielleicht überprüfen
Sie einmal die Verträge ({11})
betrachtet, sieht man, dass die Ablehnung von CDU und
- vielleicht? - CSU von keinerlei Sacherwägungen getrübt ist.
({12})
Wenn wir ehrlich sind, Frau Kollegin, geht es hier doch
nur um die Gesichtswahrung für Frau Merkel, damit sie
ihr Kopfgeld weiterhin als Perspektive hochhalten kann.
({13})
Eine Vorsitzende, die so sehr auf Gesichtswahrung angewiesen ist, muss schon arg schwach sein. Aber das ist Ihr
Problem.
({14})
Vielleicht klären Sie einfach einmal die Führungsfragen; das ist meine Empfehlung an Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Dann bekämen Sie mehr Durchblick bei
den Sachfragen und würden unserer Lösung beim Zahnersatz auch zustimmen.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Dieter Thomae, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kompromiss zwischen Rot-Grün und der CDU/
CSU über den Zahnersatz ist schon eine Tragödie. Das
kann man wirklich sagen.
({0})
Jetzt zeigt sich, dass dieser Kompromiss überhaupt nicht
haltbar war und, wie ich glaube, von Rot-Grün von Anfang an nicht gewollt war. Sie behaupten heute, ein Wettbewerb zwischen Versicherungen, die auf einem Umlageverfahren basieren, und Privatversicherungen sei
nicht denkbar. Das ist ein vorgeschobenes Argument;
denn der Zahnersatz sollte aus dem Leistungsumfang des
gesetzlichen Systems ausgegliedert werden. Das wäre
machbar. Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben stets behauptet, dass sie das können. Sie hätten ihnen
die Chance geben sollen, in einem vernünftigen Umfang
in den Wettbewerb mit den privaten Krankenversicherungen einzutreten.
({1})
Die privaten Versicherungen haben erklärt, dass sie zwar
am Anfang risikogerechte Prämien nehmen, aber jeden
ohne Prüfung aufnehmen, der wechseln will.
({2})
Das war ein entscheidendes Argument, um den Wettbewerb zu befördern.
Nun kommen wir zu dem zweiten Argument, nämlich
dass die Rentenversicherung und die Bundesagentur so
immense Verwaltungskosten sehen, dass das überhaupt
nicht machbar ist. Ich habe in der Anhörung etwas ganz
anderes gehört;
({3})
aber vielleicht bin ich schwerhörig. Ich habe zwar in der
dritten Reihe gesessen, aber genau gehört,
({4})
dass es kein Problem für die BfA und für die Bundesagentur wäre, die Beiträge abzuführen.
({5})
Mich erschüttern an dieser Konzeption zwei Punkte:
Erstens. Ich finde es schade, dass die Versicherten nicht
die Möglichkeit haben, Wahlfreiheit in Anspruch zu
nehmen.
({6})
Das ist eine der wichtigsten Präferenzen, die wir den
Bürgern einräumen müssen. Dass es viele Bürger gibt,
die diese Präferenz gerne nutzen wollen, ersehen Sie daran, dass schon 500 000 Verträge vorab abgeschlossen
worden sind. Die Bürger sind gar nicht so unkritisch und
unmündig, wie wir manchmal glauben und wie es die
SPD haben möchte.
({7})
Zweitens. Die Bundesregierung macht ein Gesetz;
aber von Rechtssicherheit kann nicht die Rede sein. Das
Gesetz wird einfach wieder geändert, obwohl solche
Verträge abgeschlossen worden sind. Jetzt sagen Sie den
Bürgern in voller Euphorie, dass sie nächstes Jahr den
Zahnersatz und das Krankengeld - das wird allerdings
nicht Krankengeld genannt - selber finanzieren müssen.
Anschließend soll der Bürger eine vernünftige Beitragssenkung bekommen.
Ich sage Ihnen heute voraus, dass das nicht passieren
wird. Die gesetzlichen Krankenkassen haben schon
heute so große Probleme mit ihren Krediten, dass die
Vorstände der Krankenkassen genau wissen, dass sie mit
einem Fuß im Gefängnis sind, wenn sie eine Beitragssatzsenkung herbeiführen. Es ist der Öffentlichkeit nicht
bekannt, wie hoch die Kreditaufnahmen waren, und wir
wissen nicht genau, wie die Situation in den nächsten
Monaten aussieht. Ihr Optimismus ist nicht angezeigt.
Sagen Sie den Bürgern die Wahrheit!
Sie haben vor der Wahl mit aller Macht niedrige Beitragssätze durchgesetzt, obwohl dies ökonomisch nicht
vertretbar war. Sie versuchen heute noch, die Vorstände
massiv zu zwingen, die Beitragssätze zu senken. Die
Vorstände machen das aber nicht mit, weil die ökonomische Situation der Krankenkassen sehr instabil ist. Daher
werden Sie keine Beitragssatzsenkung zum Wohle der
Versicherten herbeiführen.
({8})
Ich möchte zum Abschluss sagen: Sie betreiben eine
Politik im Gesundheitswesen, die schlimmer als Planwirtschaft ist.
({9})
Viele Beteiligte - sowohl Versicherte als auch Leistungserbringer - sagen mir: Das ist schlimmer, als wir es uns
je vorgestellt hatten. Meine Damen und Herren von RotGrün, treiben Sie die Planwirtschaft voran! Ich hoffe,
dass die Bürger bald erkennen, wohin das führt.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich erteile Kollegen Horst Schmidbauer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern
war unter der Überschrift „Die Messer der Frau Merkel“
in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen:
In Deutschland sind die politisch Interessierten eine
Minderheit und diejenigen, die zum Beispiel die
Unterschiede zwischen Kopfpauschale, Stufenprämien und Bürgerversicherung kennen, eine kleine
Minderheit.
Wir haben heute eine gute Chance, diesen Bürgerinnen und Bürgern zu einer Mehrheit zu verhelfen, indem
wir den Unterschied zwischen der Kopfpauschale und
einer solidarischen Versicherung ihrer Zahnersatzleistungen klar machen. Diese Chance werden wir nutzen.
({0})
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat noch nachgelegt. In
dem Artikel heißt es weiter:
Merkel will, dass der Generaldirektor genauso viel
Krankenversicherung bezahlt wie die Putzfrau.
({1})
- Das ist ein Zitat vonseiten der CSU, lieber Herr Kollege Zöller.
({2})
Herr Stoiber ist mit dieser Aussage zitiert worden.
Es geht darum, dass die Menschen draußen kapieren,
dass es nicht sozial gerecht sein kann, wenn derjenige,
der oben steht, und die kleine Frau unten den gleichen
Betrag für den Zahnersatz bezahlen sollen.
({3})
Das wollen wir nicht, weil wir glauben, dass eine solche
Regelung in Deutschland nicht akzeptiert wird. Die
Menschen haben ein Gefühl für soziale Gerechtigkeit.
Dieses Gefühl dürfen wir nicht verletzen; wir müssen
ihm vielmehr Rechnung tragen. Das ist aber nur dann
möglich, wenn die Leistungsfähigkeit des Einzelnen berücksichtigt wird. Wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Es geht nicht an, dass derjenige mit einem kleinen Einkommen einen größeren Anteil zahlt als jemand
mit einem hohen Einkommen. Insofern ist eine prozentuale Regelung notwendig.
({4})
Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sehen es so
wie ich. Ich möchte einer Rentnerin, die über 500 oder
600 Euro im Monat verfügt, in die Augen schauen können. Dies kann ich aber nicht, wenn ich als Abgeordneter
und freiwillig Versicherter den gleichen Beitrag bezahle,
den wir von dieser Rentnerin verlangen müssten. Das
können wir nicht machen; das wäre sozial ungerecht.
({5})
Herr Abgeordneter Schmidbauer, gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Widmann-Mauz?
({0})
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schmidbauer, Sie haben von den Augen
gesprochen, in die Sie nicht mehr schauen könnten.
({0})
Können Sie mir erklären, wie zum Beispiel eine Rentnerin, die in einem Pflegeheim untergebracht ist, ihre nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimittel bezahlen soll?
({1})
Sie muss diese nämlich in dem gleichen Umfang bezahlen wie der leistungsfähigere Versicherte, dessen Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet.
Hat der Grundsatz, der nun für den Zahnersatz gelten
soll, bei Ihren damaligen Erwägungen auch eine Rolle
gespielt? Denn wenn ich mich recht erinnere, kam dieser
Vorschlag von Ihnen.
Frau Kollegin Widmann-Mauz, ich glaube, dass Ihr
Beitrag mit dem Thema Zahnersatz wenig zu tun hat.
({0})
Ich glaube vielmehr, dass Sie sich letztendlich vor dem
davonstehlen wollen, was Sie selbst mitbeschlossen haben. Das ist der kleine, aber feine Unterschied.
Wir werden in der Frage des Zahnersatzes das vereinbarte Ziel beibehalten und mit dem von uns angestrebten
Gesetz bis 2007 eine Senkung der Lohnnebenkosten um
9 Milliarden Euro erreichen.
({1})
Ich frage Sie umgekehrt, wieso Sie dieses gemeinsam
vereinbarte Ziel nicht beibehalten wollen. Wir halten an
diesem Ziel fest, die Lohnnebenkosten zu senken, und
zwar um 9 Milliarden Euro bis 2007.
({2})
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, den
ich für wichtig halte. Wir müssen darauf achten, dass
Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis
stehen. Ich frage mich, wodurch es zu rechtfertigen
wäre, 25 oder 30 Prozent der Beiträge für Bürokratie
aufzuwenden. Dabei geht es schließlich um das Geld der
Beitragszahler.
({3})
- Das kann man doch nachrechnen, Herr Kollege Zöller.
So schwierig kann die Rechnung doch nicht sein. Sie ist
auch in der Anhörung in aller Breite erläutert worden. Je
nach Kassenart sind 25 bis 30 Prozent der Beiträge für
Bürokratie aufzuwenden.
({4})
Wir wollen nicht, dass Beiträge für einen erhöhten Bürokratieaufwand missbraucht werden; wir wollen vielmehr, dass die Beiträge denjenigen zufließen, denen sie
zustehen, nämlich dem Zahnarzt oder dem Zahntechniker. Das muss unser Ziel sein. Wir wollen das Geld nicht
für Bürokratie, sondern für medizinische Leistungen
aufwenden. Das ist der ganz entscheidende Punkt.
({5})
Wer das Ganze noch immer nicht rechnerisch nachvollziehen kann, der sollte sich Folgendes vor Augen
führen: Wenn ein fester, einkommensunabhängiger Sonderbeitrag erhoben würde, müssten 20 Millionen Sonderkonten in Deutschland eingerichtet, geführt und verwaltet werden.
({6})
Dass das Geld kosten würde, dürfte jedem einleuchten.
So etwas ist also unnötig. Aber in Ihrer Fraktion überwiegt die Zahl derjenigen, die den ideologischen Ansatz
einer Kopfpauschale favorisieren. Sie sind selbst dann
nicht bereit, unserem Vorschlag zuzustimmen, wenn damit das Ziel erreicht wird.
Wir halten unseren Vorschlag auch im Hinblick auf
die Akzeptanz für richtig. Da Geben und Nehmen Hand
in Hand gehen müssen, haben wir, die Koalition, darauf
geachtet, dass zum Stichtag 1. Juli 2005 - von da an wird
ein einkommensbezogener Sonderbeitrag erhoben - den
gesetzlich Krankenversicherten auch etwas gegeben
wird. Wir schreiben den gesetzlichen Krankenkassen
deshalb vor, den durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz um 0,9 Prozentpunkte zu senken. Diese Form
des Gebens und Nehmens gehört zur Redlichkeit und
wird die soziale Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger
finden.
Kollege Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hildegard Müller?
Ja, gerne.
Frau Müller, bitte.
Herr Schmidbauer, Sie haben gerade von Redlichkeit
und von einem Verwaltungskostenanteil von 25 bis
30 Prozent gesprochen. Wenn ich darf, möchte ich gerne
den Sachverständigen Herrn Schulte zitieren. Er hat in
der Anhörung gesagt, dass bei einem festen, einkommensunabhängigen Sonderbeitrag in Höhe von
6,22 Euro mit einem Verwaltungsmehraufwand in Höhe
von maximal 60 Cent pro Mitglied zu rechnen ist. Keiner der anwesenden Experten hat eine andere Zahl genannt. Wie kommen Sie also auf einen Verwaltungskostenanteil von 25 bis 30 Prozent?
Sie haben allem Anschein nach nicht zugehört, als die
anderen Sachverständigen - der Krankenkassen, der
Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit geredet haben. Sie können doch nicht die Aussagen eines von Ihnen bestellten Sachverständigen für verbindlich erklären.
({0})
Verbindlich können sich nur diejenigen äußern
({1})
- das stimmt nicht -, die die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Rentenversicherungsanstalten sowie die
Bundesagentur für Arbeit vertreten. In der Anhörung ist
doch ganz deutlich geworden, dass der Einzug eines festen, einkommensunabhängigen Sonderbeitrags zu Verwaltungsmehrkosten in Höhe von 1,50 bis 2 Euro pro
Mitglied führen würde. Das muss man natürlich additiv
sehen. Aber ich denke, dass Sie zusammenzählen können. Der Anteil der Verwaltungsmehrausgaben bei einem Beitrag von etwas über 6 Euro wäre entsprechend
hoch. Daran besteht überhaupt kein Zweifel.
({2})
Sie wollen das nur nicht wahrhaben, weil es Ihnen wehtun würde, das zuzugeben. Sie geben zwar ständig vor,
gegen Bürokratisierung zu sein. Aber im gleichen Atemzug wollen Sie hier einer Lösung zum Durchbruch verhelfen, durch die das Geld der Versicherten letztendlich
in die Bürokratie und nicht in die medizinischen Leistungen fließt. Das werden wir nicht mitmachen. Es wird
also keinen gemeinsamen Weg geben.
({3})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Vertrauensschutz.
({4})
Da es neue gesetzliche Rahmenbedingungen geben soll
- in dieser Hinsicht haben wir von Ihrem Verhalten 1988
gelernt -, belassen wir es nicht bei Absichtserklärungen,
sondern schaffen mit dem Gesetz ein Sonderkündigungsrecht, damit wir auch denjenigen, die bereits eine
Zahnersatzversicherung abgeschlossen haben, die also
nicht dem Ratschlag gefolgt sind, damit zu warten, bis
die Kosten für den Zahnersatz offen liegen, Vertrauensschutz geben. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass der
Streit nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen wird.
Ich glaube, die Perspektiven sind gut. Es wäre auch
gut, wenn Sie angesichts des Ziels bereit wären, Ihren
ideologischen Ansatz aufzugeben, und unserem Vorschlag zustimmen würden. Das würde auch Ihre Akzeptanz in der Bevölkerung verbessern.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Zöller,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Schmidbauer, vielleicht liegt es am
Thema Zahnersatz, dass man hier so verbissen diskutiert.
({0})
Man sollte allerdings bei der Wahrheit bleiben. Sie haben hier kein einziges Argument vorgetragen, das man
nicht schon vor einem Jahr kannte. Sie hätten vor einem
Jahr anders abstimmen müssen. Es ist unredlich, sich
hier in einer Abstimmung für eine bestimmte Regelung
auszusprechen, und sich jetzt hier hinzustellen und so zu
tun, als wollte man mit dieser Regelung nichts zu tun haben.
({1})
Man kann fachlich unterschiedlicher Auffassung sein.
Mir geht es aber auch hier um die Verlässlichkeit unter
den Parlamentariern.
({2})
Wir unterhalten uns jetzt über eine Änderung beim
Zahnersatz. Dieser Änderung haben 90 Prozent der Abgeordneten zugestimmt und jetzt will sich die SPD davonschleichen.
({3})
Das sah vor drei Monaten noch ganz anders aus. Der
Bundeskanzler antwortete in einem Interview mit dem
„Spiegel“ im Juli dieses Jahres, also vor nur drei Monaten, auf die Frage, ob die SPD noch zu ihrem Wort hinsichtlich der Einführung der Zusatzversicherung für
Zahnersatz stehe:
Ich bekomme ja gelegentlich den Hinweis, man
könne Vermittlungsergebnisse, die Gesetz geworden sind, später ändern, indem man aus Einzelteilen
des Verabredeten neue Gesetze macht, die im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sind. Da kann
ich nur sagen: Das geht nicht. Wenn man in unserem Verfassungsgefüge in einem Vermittlungsverfahren einen Kompromiss erzielt, muss man ihn
auch in den Punkten einhalten, wo er einem nicht
gefällt. … Im Klartext: Pacta sunt servanda - das soll heißen - ich wusste es vorher nicht -: Verträge
sind einzuhalten. ({4})
das gilt für die Opposition, das gilt auch für die
Bundesregierung.
Noch am 18. August erklärte der Bundeskanzler in
der „Berliner Zeitung“ zu Forderungen aus Reihen der
SPD, die Neuregelung beim Zahnersatz notfalls gegen
den Willen der Union zu ändern: „Wir werden einseitig
keine Absprachen brechen.“ Was ist das Wort des Bundeskanzlers und der rot-grünen Regierung eigentlich
noch wert?
({5})
Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Caspers-Merk?
Mit Freuden.
Frau Caspers-Merk, bitte.
Herr Kollege Zöller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass uns Ihre eigene Parteivorsitzende in einem
Brief aufgefordert hat, hierzu einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen? Sind Sie ebenfalls bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass sie in diesem Brief ebenfalls mitgeteilt
hat, dass die Union bereit ist, die neuen Regelungen zu
prüfen, wenn die bisher geplante in der Tat zu viel bürokratischen Aufwand mit sich bringt, und dass wir genau dem Folge leisten?
Ich bestätige Ihnen das. Ich füge aber hinzu, dass das,
was Sie inhaltlich zu vermitteln versuchen, falsch ist. Ich
habe den Brief dabei, den die Ministerin Schmidt an
Frau Merkel geschrieben hat. Die Zeit für die Beantwortung dieser Frage wird nicht auf meine Redezeit angerechnet. Das ist hervorragend.
In diesem Brief heißt es, monatliche Verwaltungskosten in Höhe von 2 Euro seien notwendig. In der Anhörung haben wir erfahren, dass monatliche Verwaltungskosten in Höhe von 0,4 Euro bis 0,6 Euro notwendig
seien. Daraufhin haben Sie geschrieben, es fielen Verwaltungskosten in Höhe von insgesamt 1,2 Milliarden
Euro an. Das ist richtig, falls die monatlichen Verwaltungskosten bei 2 Euro liegen, aber eben nicht, falls sie
bei 0,4 Euro liegen.
Ein ganz entscheidender Fehler ist, von einer Größenordnung von 4 bis 5 Euro pro Mitglied auszugehen - das
wird jetzt fast verdoppelt -: Da hat die Ministerin wieder
Mitglieder und Versicherte verwechselt. Dabei handelt
es sich aber um einen gravierenden Unterschied; denn es
gibt beitragsfreie Mitversicherte. Das heißt: Man hat hier
entweder ganz bewusst mit falschen Zahlen gespielt oder
man wollte den Kompromiss von vornherein einfach
aufkündigen.
({0})
Ich will Folgendes ganz ernst sagen:
({1})
Damit wird die Akzeptanz von Reformen gebrochen.
Die Akzeptanz von Reformen bekommt man nur, wenn
man auch das nötige Vertrauen hat. Was sollen die Bürger davon halten, dass eine Änderung im Konsens beschlossen wird, woraufhin 500 000 Menschen Verträge
abschließen, die dann nicht mehr gelten sollen? Was hat
das noch mit Vertrauen zu tun? Es tut mir Leid, diese
Fragen stellen zu müssen.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus fachlichen Gründen ist nicht erkennbar, warum man jetzt beim
Zahnersatz Änderungen will. Ein Bereich, den man herausnehmen und klar abgrenzen kann und bei dem Versicherte durch ihr eigenes Verhalten etwas dazu beitragen
können, ist gerade der des Zahnersatzes.
({3})
Wenn Sie unbedingt etwas ändern wollen, bei dem sich
die gesetzliche Regelung als nicht sinnvoll erwiesen hat,
dann hätten Sie fairerweise die Regelungen zum OTC,
das heißt zu den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, ändern müssen.
({4})
In diesem Bereich können die Leute durch ihr persönliches Verhalten nichts ändern und nichts beeinflussen.
Wenn man etwas für die Versicherten hätte tun wollen,
wäre eine solche Änderung redlicher gewesen.
({5})
All dies betrifft auch die Wahlfreiheit: Jetzt hätten wir
endlich einmal wieder die kleine Chance gehabt, etwas
Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen in das System zu bringen. Aber das
wollen Sie leider verhindern.
Ich halte es auch nicht für in Ordnung, wie hier heute
bei der Debatte vorgegangen wurde. Eine Regelung
wurde im Konsens beschlossen und es wurde rechtzeitig
darauf hingewiesen, dass man, wenn man die im Konsens gefundene Regelung unbürokratisch umsetzen will,
auch dementsprechend handeln muss. 20 Millionen Einzelkonten sind nur dann erforderlich, Herr Kollege
Schmidbauer, wenn die Regierung untätig bleibt. Wäre
die Regierung tätig geworden und hätte sie den Quellenabzug gesetzlich geregelt, hätte es nie die Notwendigkeit gegeben, 20 Millionen Einzelkonten zu führen. Man
muss also erst seine Hausaufgaben machen und darf
nicht eine Regelung, die aufgrund des Nichtstuns der
Bundesregierung so ausgeartet ist, als Begründung dafür
nehmen, eine gesetzliche Änderung vornehmen zu müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch über
die aus der Anhörung gezogenen Schlussfolgerungen bin
ich schon ein wenig überrascht. Es kann doch nicht sein,
dass man ein und dieselbe Anhörung so unterschiedlich
wahrnimmt.
({6})
Es ist nachlesbar, dass die Sachverständigen bezüglich
der Frage des Bürokratismus gesagt haben, dass es ohne
weiteres unbürokratisch zu machen gewesen wäre. Auch
die hierfür veranschlagten Kosten wurden genannt: zwischen 0,4 und 0,6 Euro und eben nicht 2 Euro. Selbst die
Vertreter der von Ihnen hofierten Spitzenverbände haben
konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ein unbürokratisches Verfahren in diesem Bereich hätte aussehen können. Dies wurde Ihnen mitgeteilt. Es wurden sogar Gesetzestextformulierungen präsentiert. Was hat die Regierung
gemacht? Nichts. Deshalb liegt für mich der Verdacht
sehr nahe, dass von Anfang an überhaupt kein Interesse
bestand, diese gemeinsam beschlossene Lösung umzusetzen. Ein möglicher Grund - lesen Sie einmal die Anhörungsprotokolle nach - dafür kam in der Anhörung zur
Sprache. Ich darf Herrn Dr. von der Heide vom Verband
Deutscher Rentenversicherungsträger zitieren:
Wir haben vielmehr darauf hingewiesen, dass es erhebliche Probleme geben kann, nämlich für die
Rentner, weil die Rentner diesen Einzug
- gemeint ist der Einzug der Prämie im Quellenabzugsverfahren als Rentenkürzung empfinden würden. Darauf haben wir hingewiesen; das ist, denke ich, von der Regierung auch aufgenommen worden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie waren
nicht bereit, den Rentnern die Wahrheit zu sagen.
({7})
Das eigentliche Problem ist also ein rein parteitaktisches
und kein fachtechnisches.
({8})
Rot-Grün möchte die Belastung der Rentner in zwei
Stufen wie ursprünglich aus Zumutbarkeitsgründen geplant - wir wollten ja am 1. Januar 2005 die Regelungen
zum Zahnersatz und am 1. Januar 2006 die Regelungen
zum Krankengeld in Kraft setzen - nicht mehr mitverantworten. Dabei haben wir ganz bewusst dieses zweistufige Verfahren vorgesehen, weil die Wahrscheinlichkeit groß war, dass zum 1. Januar 2005 und dann
wiederum zum 1. Januar 2006 aufgrund unseres Finanzierungstableaus die Beiträge gesenkt werden und so
höchstens eine geringe stufenweise Belastung der Rentner erfolgt. Das wollen Sie nicht mehr mittragen.
Sie bündeln jetzt beide Maßnahmen und legen den
Start - das ist hochinteressant - auf den 1. Juli 2005, also
nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und weit vor
den Bundestagswahlen. Rot-Grün hat inzwischen Angst
vor den eigenen Reformen.
({9})
Aber diese Feigheit wird Sie noch einholen.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
({0})
Zum Thema Zahnersatz gibt es eine gute und eine
schlechte Nachricht. Ich fange mit der guten an: Es wird
keine Kopfpauschale auf den Zahnersatz geben, wie es
die CDU gefordert und SPD, Grüne und CDU/CSU
schon einmal beschlossen hatten. Das ist ein Erfolg für
die Gesundheitsministerin, Frau Schmidt, vor allem aber
für die vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich massiv
gegen die Praxisgebühr und damit gegen die schleichende Demontage des solidarischen Gesundheitssystems gewandt haben.
({1})
Die schlechte Nachricht ist allerdings: Der Zahnersatz
soll nicht mehr paritätisch finanziert werden. Die Arbeitgeber werden mehr und mehr aus der Verantwortung
entlassen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Rogowski, hat den Kurs in einem
„Zeit“-Interview schon vorgegeben. Zitat:
Unternehmen sollen Arbeit schaffen, während die
Beschäftigten die soziale Sicherung und das Gesundheitssystem selbst finanzieren.
Das heißt, die Herausnahme des Zahnersatzes und des
Krankengeldes aus der paritätischen Finanzierung ist
erst der Anfang. Der BDI und die CDU wollen das gesamte Gesundheitssystem und die soziale Sicherung den
Arbeitnehmern überlassen und die Unternehmen völlig
aus der Verantwortung herausnehmen.
Wir, die PDS, lehnen diese Forderung ab. Wir sind
aber auch besorgt, dass die Bundesregierung offensichtlich bereit ist, einen Teil des Weges mit dem BDI und der
CDU zu gehen.
Es wird immer wieder behauptet, das alles sei alternativlos, wenn man Arbeitsplätze erhalten wolle. Es wird
gern von Lohnnebenkosten gesprochen, die gesenkt werden müssten. Doch auch Lohnnebenkosten sind Lohnkosten. Wer die Lohnnebenkosten senkt, senkt den Lohn.
Wenn die Arbeitnehmer den Beitrag des Arbeitgebers
zum Zahnersatz mitfinanzieren müssen, dann ist das eine
direkte Lohnsenkung.
Auch wir als PDS sehen, dass in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit und der demographischen Entwicklung die Finanzierung der Sozialsysteme neu gestaltet
werden muss. Wir wollen allerdings nicht die Sozialsysteme abbauen, sondern die Finanzierung auf mehr
Schultern verteilen.
({2})
Wir, die PDS, schlagen vor, dass in eine Bürgerversicherung alle einzahlen und nicht nur die abhängig Beschäftigten.
Meine Damen und Herren, auch wenn das Gesetz gegenüber der Kopfschale auf Zahnersatz eine Verbesserung darstellt, werden wir nicht zustimmen, weil das ein
Schritt in Richtung weniger Solidarität und weniger soziale Gerechtigkeit im Gesundheitssystem ist. Wir brauchen die paritätische Finanzierung, wir brauchen die
Bürgerversicherung. Sie haben sie schon lange angekündigt;
({3})
arbeiten Sie bitte daran und legen Sie sie noch in dieser
Legislaturperiode vor!
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Kirschner, SPDFraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich greife gern ein
Wort vom Kollegen Zöller auf. Warum hier so „verbissen“ gekämpft wird,
({0})
kann ich gut verstehen; denn es geht natürlich um die
Grundsatzfrage: Kopfpauschale oder weiterhin solidarische Finanzierung? Dazu kann ich Ihnen ein Zitat aus
einem Interview in der „Stuttgarter Zeitung“ vom
28. September mit Professor Böhmer, seines Zeichens
Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, CDU - er war mir
früher schon sympathisch, jetzt wird er mir immer sympathischer -,
({1})
nicht ersparen:
Das Modell von Frau Merkel ist durch das Thema
Zahnersatz angeschlagen.
Heute - auch das gehört dazu - können Sie in der
„Frankfurter Rundschau“ nachlesen:
Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ({2}) verglich das Vorhaben seiner Partei, eine einheitliche
Gesundheitsprämie einzuführen, mit dem Gesundheitssystem der DDR, wo jeder Bürger eine Pauschale von 60 Mark pro Kopf zahlen musste.
({3})
Da dies aber nicht ausgereicht habe, sei auch das
DDR-Modell von der Steuerfinanzierung abhängig
gewesen. Dies habe dann „schnell dazu geführt,
dass die Gesundheitsversorgung nach Haushaltslage erfolgte“.
So Böhmer.
({4})
In der „Stuttgarter Zeitung“ vom 28. September steht:
Die Finanzierung des Gesundheitswesens muss auf
eine neue Basis gestellt werden.
Da müssten Sie jetzt eigentlich klatschen. Es klingt sympathisch, wenn gesagt wird: Wir finanzieren den Sozialausgleich über Steuern. Sie haben aber nicht gesagt, wie
man mit einer Steuerreform, die dem Bürger mehr lassen
will, gleichzeitig mehr einnehmen kann. Ich sage noch
einmal: Böhmer ist richtig sympathisch.
({5})
Ich komme auf das eigentliche Thema zurück. Die
gute Nachricht für die Versicherten lautet: Leistungen
für Zahnersatz werden wie bisher von der gesetzlichen
Krankenkasse bezuschusst. Das heißt, es ist eine Kassenleistung. Die bei den Verhandlungen zum GKV-Modernisierungsgesetz im letzten Sommer von der CDU/
CSU verlangte Einheitskopfpauschale für den Zahnersatz wird gestrichen. Die gute Nachricht ist - ich wiederhole es -: Der Zahnersatz bleibt Kassenleistung
({6})
und der Beitrag wird weiterhin solidarisch - in Höhe von
0,4 Beitragssatzpunkten von dem beitragspflichtigen
Entgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze - erhoben.
Damit tragen stärkere Schultern mehr als schwache.
Ich will nicht verschweigen: Die Finanzierung des
Zahnersatzes und die Erhebung des Sonderbeitrags ab
1. Juli zahlen allein die Versicherten. Dadurch erfährt
der allgemeine Beitragssatz jedoch eine Entlastung um
0,9 Beitragssatzpunkte. Ich sage deutlich: Damit sind die
Kassen in der Pflicht, den allgemeinen Beitragssatz entsprechend zu senken.
Ich will an dieser Stelle für die Koalition feststellen:
Diese Absenkung durch die Neufassung des § 241 a des
Sozialgesetzbuches V hat Vorrang vor der Entschuldung
nach § 220 Abs. 4 und § 222 Abs. 5 Sozialgesetzbuch V.
Die Aufsichten - das will ich deutlich betonen - haben
dies zu beachten. Eine Blockade widerspricht eindeutig
dem Willen des Gesetzgebers.
Ich sage auch deutlich: Wenn unionsgeführte Länderministerien glauben, hier verdeckte Beitragssatzsteigerungen anordnen zu können, indem diese Absenkung um
0,9 Prozentpunkte, die - wohlgemerkt - für die Kassen
finanzneutral ist, nicht voll umfänglich durchgeführt
wird, handeln sie in höchstem Maße verantwortungslos,
schädigen Versicherte sowie Arbeitgeber und gefährden
den Erfolg des gemeinsam beschlossenen GKV-Modernisierungsgesetzes. Das will ich deutlich sagen.
({7})
Lassen Sie mich noch zu dem Argument kommen,
das auch heute Morgen vorgebracht worden ist und das
den prozentualen Beitrag bzw. den Einheitsbeitrag betrifft. Es ist auch von Ihnen, Frau Kollegin WidmannMauz, gesagt worden, freiwillig Versicherte würden wegen des prozentualen Beitragssatzes von 0,4 Prozent für
Zahnersatz möglicherweise in die PKV wechseln, weil
sie mehr bezahlen müssten als bei einer Einheitskopfpauschale für Zahnersatz, die zwischen 8 und 10 Euro
liegt. Wer so etwas sagt, dem kann ich nur entgegenhalten - auch Horst Seehofer hat das einmal getan -: Das ist
das typische Denken einer Ich-Generation. Anders
kann ich das nicht bezeichnen.
({8})
Gehen wir einmal von 8 Euro für die Zahnersatzkopfpauschale aus. Die Altersrente einer Rentnerin beträgt
im Durchschnitt 500 Euro. 8 Euro sind das Vierfache
dessen, was ihr bei einem Beitragssatz von 0,4 Prozent
abverlangt würde.
({9})
- Entschuldigung, wenn es 8 Euro sind, dann sind es
8 Euro.
({10})
- Damit widerlegen Sie mein Argument nicht.
Es muss uns doch darum gehen - das ist das durchgängige Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung -,
dass diejenigen mit den breiteren Schultern mehr zu tragen haben als diejenigen mit den schwächeren Schultern.
({11})
Ich sage noch einmal: 8 Euro sind das Vierfache von
dem, was bei 0,4 Beitragssatzpunkten im Falle der
Durchschnittsrente von Frauen herauskommt.
({12})
- Man kann ja auch schlauer werden.
({13})
- Ja sicher. Wo sind wir denn eigentlich? Wieso soll man
nicht innerhalb eines Jahres Regelungen überprüfen und
zu dem Schluss kommen, dass eine Änderung notwendig
ist? Es ist vorhin von Frau Staatssekretärin CaspersMerk aus dem Brief von Frau Merkel zitiert worden, in
dem sie geschrieben hat, man solle darüber nachdenken.
Freiwillig Versicherte wie ich bringen diese
0,4 Prozent - ich bin ein freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung; das macht bei mir in
etwa 14 Euro aus ({14})
- auch bei Ihnen; das weiß ich ({15})
leicht auf; das bringt mich nicht an den Bettelstab. Das
ist gerechter, als pauschal 8 Euro zu verlangen. Das ist
für mich ungerechter, als so wie jetzt 14 Euro zahlen zu
müssen.
Ich sage es noch einmal: Wir gehen vom Kern des Solidarprinzips aus. Deshalb fordere ich Sie auf, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Springen Sie
über Ihren ideologischen Schatten!
({16})
- Natürlich handelt es sich hierbei um einen ideologischen Schatten. Denn Sie wollen mit den von Ihnen geforderten 8 Euro den Einstieg in die Kopfpauschale, wonach der Generaldirektor letzten Endes genauso viel
zahlen soll wie die Putzfrau.
({17})
Das ist doch unsolidarisch.
Deshalb fordere ich Sie auf: Springen Sie über Ihren
ideologischen Schatten und stimmen Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf zu!
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung
von Zahnersatz auf Drucksache 15/3681: Der Ausschuss
für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({0})
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen
Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
Präsident Wolfgang Thierse
ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Johannes Singhammer, Klaus Hofbauer, KarlJosef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Klarstellung der Auswirkungen der EU-Osterweiterung
- Drucksachen 15/2438, 15/3015 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich aber das Wort
erteile, bitte ich die Kollegen, die den Plenarsaal verlassen wollen, sich zu beeilen, damit der Redner in Ruhe
argumentieren kann.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Beitritt von zehn Staaten
zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 hat die Einigung Europas einen ganz gewaltigen Schritt nach vorne
getan. Man spricht sogar davon, dass dies die wichtigste
Entscheidung seit Gründung der Europäischen Union ist.
Dieses Ereignis ist für unser Vaterland historisch, ist
doch Deutschland vom Rande in die Mitte Europas gerückt. Mit der Einigung Europas sind viele positive Impulse verbunden. Auf unserem Kontinent werden damit
Frieden und Freiheit gesichert bzw. gestärkt. Ein Europa
ohne wirtschaftliche Grenzen schafft umfassende Entfaltungsmöglichkeiten. Entscheidend sind die vielfältigen
menschlichen und kulturellen Kontakte, die wir miteinander erleben. Wir dürfen feststellen, dass die Einigung
Europas, wenn sie richtig gestaltet wird, zu einer Erfolgsgeschichte auf unserem Kontinent werden kann.
({0})
Aber dieser Erfolg ist nur dann möglich, wenn das
vereinte Europa bzw. der Einigungsprozess richtig gestaltet wird. Entscheidend ist für uns, dass wir auch zur
Kenntnis nehmen: Mit dem 1. Mai 2004 ist der Einigungsprozess nicht abgeschlossen. Wir haben noch ganz
gewaltige Aufgaben vor uns, um die Einigung zu vollenden bzw. den Erfolg überhaupt zu ermöglichen.
({1})
Erlauben Sie mir, einige Beispiele dafür anzuführen
und kurz zu erläutern:
Wir haben erheblichen Nachholbedarf bei der Verkehrsstruktur, insbesondere im Hinblick darauf, diese
Verkehrsstruktur auf die europäische Einigung auszurichten. Bei der Diskussion um den Bundesverkehrswegeplan sowie bei der Diskussion um verschiedene Gutachten und Konzepte wird immer wieder festgestellt: Im
vereinten Europa wird es infolge der Osterweiterung
eine Zunahme des Güterverkehrs von 200 bis
300 Prozent geben. Die ersten Monate haben bereits gezeigt, dass diese Zahlen übertroffen werden. An den
Grenzübergängen zwischen Bayern und Böhmen ist im
Güterverkehr bereits nach fünf Monaten eine Steigerung
um 20 Prozent festzustellen. Deswegen ist unsere zentrale Forderung: Wir brauchen „Verkehrsprojekte
Europäische Einheit“. Sie müssen nicht nur im Bundesverkehrswegeplan niedergeschrieben, sondern auch
finanziell unterfüttert werden.
({2})
Diese Verkehrsprojekte müssen tatsächlich verwirklicht
werden. Dazu sind wir aufgerufen!
({3})
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die Bahn
ansprechen. Die Bahn ist nicht europafähig. Sie selbst
stellen in Ihrer Antwort auf eine Anfrage der Kollegen
von der FDP-Fraktion fest, dass es bei der Europäisierung der Bahn einen erheblichen Nachholbedarf gibt.
({4})
Wir brauchen - das hat die Bundesregierung selbst festgestellt - einen gemeinsamen, einheitlichen europäischen Eisenbahnraum. Ich fordere die Bundesregierung
auf, diese Aussage zu untermauern bzw. Taten folgen zu
lassen.
({5})
- Aber sehr langsam und nicht zielstrebig genug! Sonst
könnten wir nicht noch fünf Monate nach der EU-Osterweiterung auf diesem Stand sein. Zum Beispiel können Loks nicht grenzübergreifend fahren. So weit sind
wir im Hintertreffen!
({6})
Auf dem Arbeitsmarkt gibt es unheimliche Verwerfungen. Insbesondere in den Grenzregionen gibt es ganz
gewaltige Lohngefälle. Die Lohnunterschiede bereiten
momentan nicht der Industrie, sondern insbesondere
dem Mittelstand erhebliche Schwierigkeiten. Wenn Sie
in Tschechien ein Auto reparieren lassen, dann kostet es
- bei gleicher Qualität - ein Drittel von dem, was auf
deutscher Seite verlangt werden muss. Das bedeutet,
dass auf deutscher Seite Wirtschaftskraft abgezogen
wird. Auf diese Situation geht die Bundesregierung leider Gottes überhaupt nicht ein.
({7})
Als einen weiteren Punkt möchte ich die europäische
und die nationale Strukturpolitik ansprechen. Wir stehen vor einer gewaltigen Reform. Die europäische
Strukturpolitik wird neu gestaltet. Wir müssen uns auch
auf nationaler Ebene einige Gedanken machen. Ich
möchte darauf hinweisen, dass die Umsetzung der Ergebnisse der Föderalismuskommission einige EinKlaus Hofbauer
schnitte mit sich bringen wird. Gerade wegen des Einigungsprozesses in Europa müssen wir klare Konzepte
für eine europäische und eine nationale Strukturpolitik
haben. Der Einigungsprozess muss gestaltet werden. Die
Bundesregierung muss insbesondere bei der Europäischen Union eine eigene Strategie vorlegen. Momentan
ist eine eigene Strategie nicht erkennbar. Wir brauchen
Spielräume auf nationaler Ebene. Dies zu erreichen ist
eine große Herausforderung.
({8})
Das vereinte, erweiterte Europa hat riesengroße
Chancen. Diese Chancen müssen wir aber nutzen. Wir
müssen das vereinte Europa gestalten! Dazu sind wir
aufgerufen.
({9})
Ich erteile Staatsminister Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der friedlichen Einigung Europas wird ein jahrhundertealter Traum Wirklichkeit, ein Traum, den große Europäer - wie Willy Brandt, Helmut Kohl und HansDietrich Genscher - teilten. Am 1. Mai wurde mit dem
Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten und der
damit verbundenen Überwindung der Teilung, mit der
Vereinigung Europas, der lange Weg der Völker zu guter
Nachbarschaft, zum freien Austausch von Waren und
Ideen und zu einer zuvor nie gekannten Intensität der politischen Zusammenarbeit endgültig frei.
({0})
Mit der Erweiterung entstand zugleich ein Europa,
das nicht nur ökonomisch ein Global Player ist, sondern
das weltweit an Bedeutung und Einfluss gewinnt. Möglich wurde diese Entwicklung durch den beherzten Einsatz der Menschen in Polen, in Ungarn und in der damaligen DDR, die Mut zeigten, um Freiheit, Demokratie
und Selbstbestimmung zu erkämpfen.
({1})
Die Entschlossenheit der Länder Mittel- und Osteuropas, der EU angehören zu wollen, zeigt die Attraktivität
europäischer Integration, zeigt die Attraktivität des Erfolgsmodells eines friedlichen Interessenausgleichs auf
der Grundlage von Demokratie, gemeinsamen Werten,
Marktwirtschaft und der Möglichkeit zur Teilhabe am
größten Binnenmarkt der Welt. Diese Entschlossenheit
zeichnet viele der neuen Mitgliedstaaten bis heute aus.
Millionen von Menschen verloren dort die Sicherheit eines geradlinigen, planbaren Lebensverlaufs. Zugleich
entstanden aber neue, bessere Möglichkeiten, sich zu
entfalten und sein Leben selbst zu gestalten. Etwas mehr
von der Dynamik und Veränderungsbereitschaft, die in
vielen neuen Mitgliedstaaten zu beobachten ist,
wünschte ich mir manchmal auch bei uns.
({2})
Deutschland profitiert von der positiven Entwicklung
und der wirtschaftlichen Dynamik in den mittel- und osteuropäischen Ländern in besonderem Maße. Seit 1992
haben sich unsere Exporte dorthin verfünffacht. Die
Steigerungsraten sind bei einem Vergleich mit unseren
traditionellen Handelspartnern noch eindrucksvoller.
Schon heute ist der Warenaustausch mit den neuen Mitgliedstaaten größer als mit den USA. Unseren Titel als
Exportweltmeister verdanken wir nicht zuletzt dem Erfolg auf neuen Märkten.
Zugleich haben sich viele Befürchtungen, die mit der
Erweiterung verbunden waren, nicht bewahrheitet. So
stieg etwa die Zahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie, die zu den größten Investoren in den Beitrittsländern zählt, in Deutschland von 1994 bis heute um
rund 20 Prozent. Ich weiß natürlich, dass es trotz der insgesamt positiven Bilanz Sorgen der Bürgerinnen und
Bürger gibt. Wir nehmen diese Sorgen ernst. Es gilt, die
Herausforderungen zu benennen, sie aber nicht nur zu
beklagen, sondern anzugehen.
({3})
Es gilt, zu erkennen, dass die EU zumeist nicht das
Problem, sondern Teil der Lösung ist. So ist grenzüberschreitende Kriminalität, die Sie in Ihrer Großen Anfrage thematisiert haben, kein Problem, das mit der Erweiterung entstanden ist. Sie ist zum Teil Folge offener
Grenzen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Gerade
durch die enge Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn
in der EU haben wir heute viel bessere Möglichkeiten,
grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Die
Schaffung eines europäischen Haftbefehls, der Aufbau
einer europäischen Straftäterdatei und eine besonders
enge Zusammenarbeit im Bereich der Grenzpolizei sind
nur einige der Möglichkeiten, die die EU bietet.
Um negative Begleiterscheinungen in den Grenzregionen abzumildern, hat die Bundesregierung Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit durchgesetzt.
Zugleich setzen wir uns dafür ein, die EU-Förderung für
grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf die neuen
Außengrenzen, vor allem aber auf die neuen Binnengrenzen zu konzentrieren.
Um die Chancen der Erweiterung besser nutzen zu
können, hat die Bundesregierung erhebliche Mittel in
den Ausbau der Verkehrsverbindungen mit den östlichen Nachbarn investiert. Grenzüberschreitende Autobahnverbindungen befinden sich im Bau bzw. unter
Verkehr. Die deutschen Abschnitte der Schienenverbindungen Berlin-Warschau und Berlin-Prag befinden sich
ebenfalls im Bau, abschnittsweise sind sie schon fertig
gestellt. Ingesamt wurden 24 Projekte mit herausgehobener Bedeutung für die EU-Osterweiterung in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU,
Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie, wie Herr
Ministerpräsident Koch, Verkehrsinvestitionen als Subventionen betrachten, die Sie kürzen wollen, oder ob Sie,
wie Herr Ministerpräsident Stoiber, alle Haushalte um
5 Prozent kürzen wollen, aber gleichzeitig Forderungen
zur Verstärkung von Verkehrsinvestitionstiteln stellen.
({4})
Diese Widersprüche müssen Sie in Ihren Reihen klären.
Eine erhebliche Unterstützung leistet - das will ich in
diesem Zusammenhang erwähnen - die EU, die im Rahmen der Ziel-1-Förderung für das Programm Verkehrsinfrastruktur 1,66 Milliarden Euro für den Zeitraum
2000 bis 2006 zur Verfügung stellt.
Die zentrale Herausforderung in der EU ist jedoch die
Schaffung von mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätzen in allen Mitgliedstaaten. Mit dem Lissabon-Prozess
hat sich die EU das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 zum
dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der
Welt zu werden. Jetzt - kurz vor der Halbzeitbilanz zeigt sich, dass wir in vielen Bereichen tatsächlich vorangekommen sind.
Wir haben die strategisch wichtigen Märkte für Telekommunikation, Schienengüterverkehr, Post und Energie geöffnet. In einigen Hochtechnologiebereichen ist
Europa heute gegenüber den USA und Japan bereits führend, so etwa im Bereich des Flugzeugbaus, in dem Airbus im letzten Jahr erstmals mehr Flugzeuge auslieferte
als der Erzrivale Boeing. In anderen Bereichen sind wir
noch nicht weit genug. Das ist für mich kein Anlass, das
Ziel zu relativieren. Stattdessen müssen wir die Strategie
auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung fokussieren.
Deutschland leistet mit der Agenda 2010 hierzu einen
wesentlichen Beitrag. Indem wir Mittel gezielt für Innovation, Bildung und Forschung einsetzen, stärken wir die
Innovationskraft unseres Landes und schaffen die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg. Erfolg basiert
auf Leistung, setzt aber auch faire Wettbewerbsbedingungen voraus. Diese gilt es auch im Bereich der Unternehmensteuern durchzusetzen. Die Bundesregierung
tritt durchaus für Wettbewerb ein, seine Grundlage muss
aber bleiben, dass jedes Land zumindest anstrebt, notwendige Infrastrukturmaßnahmen aus eigenen Steuereinnahmen zu finanzieren.
Auf Steuereinnahmen bewusst zu verzichten, um
Auslandsinvestitionen anzulocken, und zugleich darauf
zu vertrauen, dass die Solidargemeinschaft der Europäischen Union die notwendigen Investitionen in Straßen
und Häfen finanziert, widerspricht dem Prinzip eines fairen Wettbewerbs.
({5})
Ich habe allerdings zur Kenntnis genommen, dass Frau
Merkel der Auffassung ist, dass Steuerdumping Teil eines fairen Wettbewerbs in Europa ist. Auch das gehört
zu den Widersprüchen, die Sie nicht in Anfragen an die
Bundesregierung, sondern in Anfragen an die eigene
Parteivorsitzende einmal klären sollten.
({6})
Die Bundesregierung setzt sich für die Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für Unternehmensteuern ein. Dies würde nicht zuletzt kleinen und
mittleren Unternehmen helfen, die Vorteile der EU besser zu nutzen, was angesichts 25 unterschiedlicher Steuersysteme in den Mitgliedstaaten gerade für den Mittelstand nicht immer ganz einfach ist. Doch auch hier gilt:
Die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU gibt uns bessere Möglichkeiten, faire Wettbewerbsbedingungen zu
schaffen.
Wir haben deshalb allen Grund, nicht wie die Union
- das kennen wir aus der Innenpolitik - Ja und Nein oder
Ja und Aber zu sagen. Wir können die europäische Einigung uneingeschränkt als ein großes Geschenk betrachten und wir haben allen Grund, selbstbewusst, mit
Selbstvertrauen und Optimismus in die Zukunft zu
schauen, die Chancen zu nutzen und die Herausforderungen nicht zu beklagen, sondern anzunehmen.
({7})
Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage, die Anlass der
Debatte über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung
ist, ist wenige Tage vor dem Beitritt der zehn Staaten beantwortet worden. Die Große Anfrage ist wahrscheinlich
in Vorfreude auf die Osterweiterung gestellt worden und
macht eines deutlich: Man kann die Erweiterung und die
Einheit Europas nicht in Cent und Euro messen; denn
der historischen Dimension werden wir nur gerecht,
wenn wir uns die Situation 60 Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs und 15 Jahre nach dem Vollzug der
deutschen Einheit vor Augen führen. Transformationsprozesse mit dem Bekenntnis zu Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit sowie zu Marktwirtschaft und Wettbewerb waren in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht vorstellbar. Deshalb muss das die Debatte über die notwendigen Auswirkungen der EU-Osterweiterung immer noch beherrschen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Bewertung
dieses wichtigen historischen Prozesses nicht auf Einzelpunkte reduziert wird.
({0})
Fünf Monate nach dem Beitritt von zehn Staaten von
unterschiedlicher Größe und mit sehr verschiedenen internen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ethnischen Bedingungen ist es außerdem viel zu früh, um eine
erste Bilanz zu ziehen. Das werden wir im Laufe der
nächsten Monate mit Sicherheit tun. Ebenso werden wir
uns wichtige Einzelpunkte immer wieder vornehmen
und überlegen müssen, wie wir möglicherweise falschen
Entwicklungen durch Innenpolitik gegensteuern können.
Aber diese Auseinandersetzung sollten wir auf keinen
Fall dann führen, wenn wir über die Auswirkungen der
Osterweiterung diskutieren. Denn wir wollen diesen für
Europa wichtigen Prozess zukunftsorientiert gestalten,
damit im Jahre 2007 hoffentlich auch Bulgarien und
Rumänien der Europäischen Union beitreten können natürlich nur dann, wenn sie die entsprechenden Kriterien erfüllen.
Wir wollen diesen Prozess. Deshalb sollten wir jetzt
keine Debatten führen, durch die vielleicht Zweifel an
unserer Haltung, die vor vielen Jahren begründet worden
ist und zu der wir uns immer bekannt haben, aufkommen.
({1})
Das sollten wir im Rahmen der in der Politik notwendigen Diskussionen über Einzelpunkte auf jeden Fall deutlich machen, um uns nicht in diese Richtung zu bewegen.
({2})
Auch wir befassen uns mit den Auswirkungen und
Entwicklungen im Rahmen der Osterweiterung, gerade
hinsichtlich der Grenzregionen. Natürlich sind bestimmte Bundesländer - sei es Bayern, seien es die
neuen Bundesländer - von dem Prozess der Erweiterung
besonders betroffen; denn bisher waren sie Grenzregionen. Das sind sie nun Gott sei Dank nicht mehr. Ihre
Grenzen sind keine Außengrenzen der Europäischen
Union mehr, sondern Grenzen zu den Nachbarn. Die
Grenzen der bisherigen Grenzregionen haben sich in den
letzten Jahren schon geöffnet. Nun entwickeln sich die
betroffenen Länder weiter und stellen in zunehmendem
Maße einen gemeinsamen Markt für diese Grenzregionen dar. Dadurch wird auch die Möglichkeit eröffnet,
sich viel schneller miteinander zu verstehen, die kulturellen Unterschiede als Chance bzw. Vielfalt wahrzunehmen, aufeinander zuzugehen und gerade der jungen Generation deutlich zu machen: Dies ist ein gemeinsamer
europäischer Raum, in dem sie in Zukunft Chancen haben wird.
({3})
Schauen Sie sich nur einmal die oberfränkische Region an - wir alle haben ja Kontakt zu den Industrie- und
Handelskammern; das ist auch sehr wichtig -: Es ist besonders hervorzuheben, dass insbesondere dort, wo vor
der Erweiterung der Europäischen Union eher Skepsis
vorherrschte, die ersten Trends - mehr als Trends sind
die bisherigen Entwicklungen ja noch nicht - positiv zu
bewerten sind.
({4})
In diesen Regionen herrschten Ängste vor dem Gefälle
bei der Unternehmensteuer, der Körperschaftsteuer und
den Löhnen. Man fragte sich: Wie nachteilig wirkt sich
das aus? Inzwischen sehen wir, dass es Veränderungen,
allerdings im positiven Sinne, gibt; denn diese Regionen
wachsen zusammen. So werden zum Beispiel gerade in
den neuen Märkten Zweitbetriebe eröffnet. Dort wird
produziert. Dort werden mögliche Vorteile genutzt und
das Ziel verfolgt, auch in Deutschland Produkte abzusetzen, sodass die Unternehmen wettbewerbsfähig sind.
({5})
- Das ist nicht nur ein Problem der EU, sondern auch ein
Problem der Globalisierung und des internationalen
Wettbewerbs.
({6})
Das hat positive Auswirkungen auf diese Regionen.
Wenn sogar die Wirtschaftskammern zu diesem Ergebnis kommen, dann ist das doch ein anderes Urteil, als
wenn wir immer wieder versuchen, unsere Vorurteile zu
bestätigen. Das zeigt: Wir brauchen keine Regelungen,
keine Mindeststeuersätze und keine festgelegten Lohngrenzen bzw. Mindestlöhne. Vielmehr brauchen wir einen Wettbewerb, dessen Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass auch die Wirtschaft in Deutschland
bestehen kann. Daher müssen wir darüber diskutieren,
wie wir die strukturellen Defizite in Deutschland beseitigen.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile dem Kollegen Rainder Steenblock von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang Mai dieses Jahres erlebten wir bewegende Augenblicke. Wir alle haben die Stimmung und die Debatten
gerade in den osteuropäischen Ländern miterlebt. Bei
den Feierlichkeiten anlässlich der Erweiterung wurde
deutlich, dass sich die Bevölkerung in den ost- und mitteleuropäischen Staaten den Weg nach Europa in
schwierigen politischen Situationen auch unter großen
Entbehrungen erkämpft hat.
Wir können kaum ermessen, welche Freiheiten und
Chancen, für die eine ganze Generation von Kritikern
und Widerständlern in Osteuropa schwere Entbehrungen
auf sich genommen hat, diese Menschen jetzt haben. Daher sollten wir bei den Debatten über Vor- und Nachteile
der europäischen Einigung, die bei uns häufig sehr kleinteilig geführt werden, nie vergessen, welche politischen
Implikationen und welche Opfer dieser Erweiterungsprozess gefordert hat und welche historischen Dimensionen er aufweist.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Großen Anfragen ist es immer so eine Sache. Der rationale Kern dieser
Anfrage, nämlich das Aufnehmen von in der Bevölkerung vorhandenen Befürchtungen, stellt sicherlich einen richtigen Ansatz dar. Aber so, wie diese Große Anfrage zeitlich angelegt und in ihren Details ausformuliert
war, birgt sie zumindest die Gefahr in sich, einer falschen Fährte zu folgen und die Befürchtungen von Menschen zu instrumentalisieren, mit ihren Ängsten zu spielen und diese Ängste zu schüren.
({1})
Gerade die Wahlen in Sachsen haben deutlich gemacht,
welches das Resultat ist, wenn man solche Ängste instrumentalisiert und schürt. Ich unterstelle Ihnen dies gar
nicht; aber ich sage Ihnen ganz deutlich, was passiert,
wenn man diese Ängste schürt, ohne die realen Chancen
und Möglichkeiten in den Vordergrund zu stellen.
({2})
Dann wird man die Radikalen in diesem Lande stärken,
die mit ihrem Populismus genau diese Ängste ausnutzen.
Deshalb sollten wir uns auf eine Politik verständigen,
die Ja zur Osterweiterung sagt und die Chancen, auch
die ökonomischen Chancen, für die Menschen in unserem Lande in diesem politischen Prozess in den Vordergrund stellt. Wir wollen diesen Prozess nach vorn bringen. Wir wollen nicht an ihm herummäkeln, sondern uns
den Schwierigkeiten stellen. Diejenigen, die als Behinderer dieses Prozesses in der braunen Soße sitzen, wollen wir politisch hart angehen. Sie sind die Rückwärtsgewandten, während wir nach vorn gehen.
({3})
Es ist zu früh, um nach fünf Monaten Bilanz zu ziehen. Aber es gibt einzelne Ergebnisse, die deutlich machen, dass der Prozess trotz aller Schwierigkeiten sehr
viel positiver verläuft, als wir befürchtet haben.
({4})
Natürlich gibt es im Hinblick auf die wirtschaftliche
Situation Schwierigkeiten; darauf komme ich gleich
noch. Aber denken wir nur an die Sicherheitsdebatte.
Jeder, der wie ein Bedenkenträger in diese Debatte einsteigt, muss sich vor Augen halten, wie es sich an dieser
Grenze verhielte, wenn wir die Osterweiterung nicht gehabt hätten.
({5})
Daher glaube ich, dass wir mit den Ergebnissen, die jetzt
vorliegen, sehr zufrieden sein können.
Wir haben in der Tat ökonomische Probleme. In offenen Volkswirtschaften ist Wettbewerb eines der zentralen Elemente. Ich halte es für hoch problematisch - Herr
Hofbauer hat wieder versucht, in diese Richtung Politik
zu machen -, dann, wenn Menschen von Wettbewerb betroffen sind, sofort nach dem Staat zu rufen, der mit seinen Subventionen dafür zu sorgen hat, dass in diesem
Bereich niemandem auf die Füße getreten wird.
({6})
Genau diese Subventionierung von Wettbewerbsnachteilen aber haben Sie in der Konsequenz gefordert. So kann
unsere Volkswirtschaft nicht funktionieren.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns den
Problemen stellen. Herr Hofbauer, ich bin mit dem völlig einverstanden, was Sie zum Verkehr gesagt haben.
Die Verkehrsprojekte auf den Ost-West-Achsen sind in
Europa zu spät entwickelt worden. Darin sind wir uns einig. Die Zusammenführung von TEN und TINA ist ein
Problem. Wir haben an den Grenzen Verkehrsprobleme
und müssen zusehen, dass wir auf deutscher, aber auch
auf europäischer Ebene diese Ost-West-Achsen schnellstens ausbauen.
({8})
Sie haben uns hier auf Ihrer Seite. Diese Debatten haben
wir im Verkehrsausschuss ausführlich geführt. Es ist
überhaupt keine Frage: Hier gibt es Verzögerungen und
Probleme, die zu kritisieren sind.
Kollege Steenblock, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Silberhorn?
Ja.
Herr Kollege Steenblock, Sie haben der Union gerade
vorgeworfen, wir wollten subventionieren und den Wettbewerb an der ehemaligen Grenze zwischen Deutschland und den neuen Nachbarn im Osten dadurch beeinträchtigen. Ist es nicht vielleicht umgekehrt? Zwischen
Deutschland auf der einen und Polen und Tschechien auf
der anderen Seite gibt es das größte Wohlstandsgefälle
zwischen Nachbarschaftsregionen weltweit. Ist es nicht
so, dass der Wettbewerb bei einem solch großen Wohlstandsgefälle durch die Europäische Union beeinträchtigt wird und dass gerade aufgrund der Subventionierung
aus den europäischen Fördertöpfen dort keine fairen
Wettbewerbsbedingungen gegeben sein können, was die
Ursache dafür ist, dass zahlreiche Betriebe aus Deutschland ihren Sitz nach Polen oder Tschechien verlagern
wollen, um diese Förderungen mitzunehmen, ohne dass
dadurch auch nur ein einziger neuer Arbeitsplatz geThomas Silberhorn
schaffen würde? Das ist doch die Sorge, die die Menschen bei uns in den Grenzregionen bewegt.
({0})
Lieber Kollege Silberhorn, ich stimme Ihnen in einem
Punkt zu: Wir müssen darauf achten, dass es bei der
europäischen Förderpolitik für diesen Grenzraum keine
Disparitäten gibt. Ich habe immer betont, dass die EUStrukturpolitik für mich ein wesentlicher sozialer Kitt
der Europäischen Union ist. Das ist ein wesentliches
Element und wird auch in der nächsten Förderperiode
ein zentrales Instrument sein, um diese Disparitäten auszugleichen.
Bei regionalen Besonderheiten - seien es Randlagen
oder andere - benötigen wir die EU-Strukturpolitik. Ich
habe mich immer dafür eingesetzt, den statistischen Effekt zu berücksichtigen, das heißt, dafür zu sorgen, dass
die neuen Bundesländer weiterhin Gegenstand der EUFörderpolitik bleiben. Wir werden dann prüfen müssen,
wie sich die EU-Förderpolitik mengenmäßig auswirkt
und welche Kriterien dafür wichtig sind. Ich war immer
der Meinung, dass wir bei gleichen Bedingungen die
Strukturpolitik für die neuen Bundesländer, für Polen
und für die Beitrittsländer insgesamt brauchen. Gerade
wegen der Ost-West-Achsen ist im neuen Haushalt mehr
Geld für die Verkehrspolitik nötig. Wir brauchen mehr
Innovationen in diesem Bereich. Wir benötigen einen
größeren europäischen Haushalt - das gehört noch zur
Antwort -, um diese EU-Strukturpolitik umzusetzen, die
Disparitäten also zu begrenzen.
Ich verlange von der Bundesrepublik, dass sie sich in
erster Linie diesen inhaltlichen Kriterien stellt und dass
sie in zweiter Linie sagt, wie man für einen Deckel sorgen kann, damit wir nicht zu viel bezahlen. Hier gibt es
überhaupt keine Unterschiede zwischen uns. Die Strukturpolitik ist das zentrale Instrument, um dies realisieren
zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Schluss noch einmal deutlich machen: Es geht um
ein historisch wichtiges Projekt. Die Ansätze, mit denen
wir unsere ersten Erkenntnisse jetzt umgesetzt sehen, gehen in die richtige Richtung. Die ökonomische Entwicklung ist schneller positiv geworden, als wir es erwartet
haben.
({0})
Meiner Meinung nach wirkt sich das auch auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus. In den Grenzgebieten ist
zwar Verständnis für die Entscheidung zu spüren, dass
wir hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf einen
so langen Übergangszeitraum gesetzt haben. Ich glaube
aber, dass wir hier in einem sehr viel kürzeren Zeitraum
zu einer Parität kommen werden. Wir werden die Arbeitnehmerfreizügigkeit also in sehr kurzer Zeit erreicht haben. Diesen Herausforderungen werden wir uns stellen.
Die Förderung der Grenzregionen - dies ist bereits in
der Vergangenheit erfolgreich geschehen - wird von der
Bundesregierung weitergeführt. Darüber haben wir hier
ja schon häufiger diskutiert. In den Grenzförderfonds der
Europäischen Union befinden sich über 16 Milliarden Euro. Damit muss vernünftig gearbeitet werden. Das
heißt nicht, dass man mit der Fördergießkanne durchs
Land geht. Man muss Kerne und Projekte mit sinnvollen
Inhalten fördern und darf nicht jedem alles versprechen.
Es muss eine intelligente Politik gemacht und dort mit
der Förderung angesetzt werden, wo Potenziale vorhanden sind.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Robert Hochbaum,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am heutigen Tag sind fünf Monate vergangen, seit
die größte Erweiterung der europäischen Geschichte
vollzogen wurde. Nach Krieg und ideologischer Teilung
wurde eine neue Seite im Geschichtsbuch aufgeschlagen. Dies ist für die Menschen in Europa wahrlich eine
große Chance.
Mit der Erweiterung wird politisch die historische
Spaltung Europas überwunden. Stabilität, Frieden und
Sicherheit können dauerhaft gesichert werden. Wir von
der CDU/CSU stehen - daran soll kein Zweifel aufkommen - zu diesem epochalen Schritt, der die Menschen
Europas noch näher zusammenrücken lässt und ein weiterer Garant für Frieden und Freiheit ist.
({0})
Trotz dieser positiven Grundeinschätzung muss es erlaubt sein, auch über die Risiken der Erweiterung, das
heißt über die Kehrseite der Medaille zu sprechen. Deren
Ursachen sind hauptsächlich in der verfehlten Strukturund Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu suchen.
({1})
Diese Risiken betreffen vor allem die Regionen, die gemeinsame Grenzen mit den neuen Beitrittsstaaten haben.
Dies trifft in unserem Lande West- wie Ostregionen, wobei die Letztgenannten aufgrund des bei weitem noch
nicht abgeschlossenen Aufholprozesses gegenüber den
alten Bundesländern natürlich besonders benachteiligt
sind.
In diesem Zusammenhang lassen einige Antworten
der Bundesregierung auf unsere Anfrage zu den Auswirkungen der EU-Osterweiterung, wenn auch umfangreich
an Seiten, nicht den Eindruck aufkommen, man beschäftige sich ernsthaft mit diesem Problem.
({2})
Da wird zum Beispiel auf die Frage nach den beschäftigungspolitischen Auswirkungen der EU-Osterweiterung
lapidar geantwortet, dass man dies nicht genau voraussagen könne. Auch auf andere Fragen wie die nach dem
Abwanderungspotenzial in der mittelständischen Wirtschaft oder in welchen Branchen Abwanderung zu erwarten ist, heißt es meistens: nicht bekannt. So, meine
Damen und Herren von der Regierungsbank, kann man
den Problemen der EU-Osterweiterung nicht begegnen.
({3})
Eine Vogel-Strauß-Politik - den Kopf in den Sand stecken und abwarten, was passiert - hilft unserer Wirtschaft im Osten, vor allem aber den Menschen, die bereits betroffen sind oder noch betroffen sein werden,
nicht weiter.
({4})
Dabei nützt es sehr wenig, wenn Sie als Alibi für Ihr
Versagen bei der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
die Entwicklung der Weltwirtschaft ins Feld führen.
({5})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich weiß nicht,
ob an Ihnen die Erkenntnis vorbeigegangen ist, dass um
uns herum die Weltwirtschaft wächst und nur in
Deutschland ein Bremsklotz untergelegt zu sein scheint.
({6})
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie von der Regierungskoalition der Bremsklotz sind.
({7})
Es hilft wenig, wenn der zuständige Bundesminister,
Herr Stolpe, vor kurzem einen Bericht zur deutschen
Einheit vorgelegt hat, der so schöngefärbt ist, dass meiner Meinung nach auch noch die Buchstaben hätten farbig gestaltet werden müssen.
Wie aber sieht die Realität aus? Die Arbeitslosigkeit
im Osten, der besonders betroffen ist, liegt bei über
18 Prozent, das heißt gut 10 Prozent höher als in den alten Bundesländern. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt laut dem letzten IWH-Report 2 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Für circa
30 Prozent der Arbeitsfähigen im Osten gibt es auf dem
regulären Arbeitsmarkt keine Stelle. Da hilft kein
Schönfärben und kein Schreien, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Diesen Fakten müssen Sie sich stellen. Diese sind die Folgen Ihrer katastrophalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre.
({8})
Diese Fakten treffen nun auf die Risikofaktoren der
EU-Osterweiterung, nämlich auf die genannten Schwächen auf dem Arbeitsmarkt und die strukturellen Schwächen der Grenzregionen im Osten und ihrer Unternehmen, auf die schon angesprochene vollkommen
unzureichende grenzüberschreitende Verkehrsinfrastruktur - auch das dürfen Sie sich auf Ihre Fahnen
schreiben -,
({9})
eine geringe Unternehmensdichte, eine unterdurchschnittliche Präsenz großer und innovativer Unternehmen sowie eine Produktions- und Betriebsstruktur kleinerer und mittlerer Unternehmen, die im Hinblick auf
den zu erwartenden verstärkten Wettbewerbsdruck in
den Grenzregionen einfach unzureichend ist. Hierbei
brennen gerade auch dem Handwerk in den Grenzregionen die wirtschaftlichen Konsequenzen der Erweiterung
auf den Nägeln. Denn die Arbeitskosten beim östlichen
Nachbarn machen nur einen Bruchteil der deutschen Arbeitskosten aus. Die versprochenen Aussichten auf neue,
dynamisch wachsende Märkte erscheinen dort als Fata
Morgana. Viele Betriebe, denen das Wasser ohnehin bereits bis zum Halse steht, sind nicht in der Lage, in neue
Geschäftsfelder zu investieren.
So sieht es vor Ort beim kleinen Handwerksmeister
aus. Dem nützen keine Lagebeschreibungen, die nicht
einmal das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind.
Der braucht schlicht und einfach Hilfe.
({10})
Darum, meine Damen und Herren von Rot-Grün: Unternehmen Sie etwas! Kümmern Sie sich zum Beispiel
tatsächlich um den Abbau von Bürokratie und der Regelungsflut in Deutschland! Sorgen Sie für ein verlässliches Förderszenario und unterstützen Sie damit die
Grenzregionen!
({11})
Sparen Sie sich Drohgebärden in Richtung Wirtschaft
wie zum Beispiel die mit der Ausbildungsplatzabgabe.
Diese Politik schafft keine Arbeitsplätze, sondern diese
Politik vernichtet sie.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,
über sieben Jahre erstrecken sich die Übergangsfristen
bei der EU-Osterweiterung. Sieben Jahre sind eine sehr
kurze Zeit, wenn sie von Ihnen schon im Ansatz verschlafen werden. Deshalb: Wachen Sie auf!
Danke schön.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU hat im Januar eine Große Anfrage zur EU-Erweiterung gestellt. Die Bundesregierung hat sie Ende
April beantwortet. Nun, Anfang Oktober, befasst sich
der Bundestag mit beidem. Ein Beleg dafür, dass die EU
im Bundestag Priorität genießt, ist das nicht gerade.
({0})
Genau das aber muss sich ändern.
Im lyrischen Teil ihrer Anfrage beschreibt die CDU/
CSU-Fraktion die Osterweiterung der EU als eine der
größten Chancen für die Menschen des Kontinents in
diesem Jahrhundert. Sicher war die EU-Osterweiterung
ein großer diplomatischer Akt. Aber das macht aus einem Pakt der Staaten noch längst keine EU der Menschen.
Die „Bild“-Zeitung hat in Polen einen Ableger. Er
heißt „Fakt“ und malt das Gespenst deutscher Reparationsforderungen mit großen Lettern. Hierzulande droht
„Bild“ mit polnischen Billiglöhnern, die deutschen Bürgern die Arbeit nehmen werden. So steigert man zwar
die Auflage, so schürt man Stimmungen, aber so schafft
man keine Europäische Union.
({1})
Zugleich verweigert der Bundestag eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung. Anstatt
die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, signalisieren
Sie, die EU sei viel zu komplex und zu kompliziert für
das Volk. So verspielt man die größte Chance für die
Menschen des Kontinents.
Es geht aber auch um ganz praktische Fragen. Die
Berliner PDS-Senatoren, die Fraktion im Abgeordnetenhaus und die PDS im Bundestag waren am vergangenen
Wochenende in Szczecin, also in Polen. Es gab Gespräche mit Repräsentanten der Stadt und der Woiwodschaft.
Es ging um die zukünftige gemeinsame EU-Oder-Region. Die Diskussionen mit den polnischen Partnern wie
auch mit der Berliner Industrie- und Handwerkskammer
ergaben dieselben Schwerpunkte: erstens ein gewinnendes Klima für die EU-Erweiterung schaffen; zweitens
die gemeinsame Infrastruktur modernisieren; drittens
falsche Regeln korrigieren. Dazu gehört auch die Sieben-Jahre-Übergangsfrist, mit der Bürgerinnen und Bürger der Beitrittsländer zu EU-Mitgliedern zweiter Klasse
degradiert werden.
({2})
Damit komme ich zu meinem Hauptkritikpunkt. Nach
allem, was überschaubar und absehbar ist, werden mit
der EU-Osterweiterung dieselben Fehler wiederholt, die
es im Zuge der deutschen Einheit gab. Den neuen Ländern werden die Strukturen der alten angedient, obwohl
sie alles andere als modern und zukunftsfähig sind. Zugleich werden die neuen EU-Länder mit ihrem oft ärmlichen Niveau gegen die Menschen in den alten Ländern
als Billiglohn- und Steuerparadiese in Stellung gebracht.
Heraus kommen zwei Leitbilder, die auch in der künftigen EU-Verfassung stecken: das einer freien Marktwirtschaft, die möglichst ungetrübt von sozialen und
ökologischen Zielen private Gewinne scheffelt, und das
einer EU, die ihr Heil im militärischen Wettlauf sucht,
anstatt sozialen Frieden zu suchen und zu stiften.
Die PDS im Bundestag streitet für das soziale und
friedliche Leitbild als Jahrhundertchance.
({3})
Ich erteile das Wort Rainer Fornahl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon mehrfach angesprochen worden,
aber ich als Leipziger will es auch erwähnen: 1989
wurde erstmals in der Geschichte Europas die Tür für die
Verwirklichung von Demokratie, Freiheit und Recht in
ganz Europa weit geöffnet. Für das mutige Engagement
Ungarns und Tschechiens - ich erinnere an die Grenzöffnung in Ungarn, den Fall des Eisernen Vorhangs und die
Ereignisse um die Prager Botschaft, was fast 15 Jahre
her ist - sollte man von dieser Stelle aus einen ganz herzlichen Dank an unsere Freunde in Ungarn und Tschechien aussprechen und ihnen unseren Respekt bekunden.
({0})
Seit dem 1. Mai 2004 ist die Europäische Union mit
dem Beitritt von zehn mittel- und osteuropäischen Ländern - Malta und Zypern nicht zu vergessen; in Zypern
besteht immer noch ein ungelöstes Problem - wirtschaftlich und kulturell reicher und im globalen Wettbewerb
stärker geworden. Das ist eine Entwicklung, die man
nicht in Mark und Pfennig messen kann. Ich stimme darin der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger ausdrücklich zu. Es sind vielmehr die historischen Dimensionen
und die Perspektiven, die sich für Europa eröffnen, das
in Zukunft in einer komplizierten Welt ganz anders gestalten kann.
Die ersten 100 Tage sind um. Normalität ist entgegen
allen Unkenrufen inzwischen eingekehrt, und zwar auf
beiden Seiten der ehemaligen Grenze. Das ist gut so.
Jetzt wächst - um mit Willy Brandt zu sprechen - zusammen, was zusammengehört.
Die Geschichte der europäischen Integration hat gezeigt, dass die EU und Deutschland bisher von jeder Erweiterung profitiert haben. Anpassungsprobleme und regionale Schwierigkeiten dürfen aber nicht unter den
Teppich gekehrt werden. Das tun wir nicht, das tut die
EU nicht und das tut auch der Bund nicht. Man wird sich
auch in den Regionen mit diesen Problemen noch lange
intensiv zu befassen haben.
Liest man sich den Fragenkatalog durch, den die CDU/
CSU in ihrer Großen Anfrage aufstellt, dann stellt man
fest, dass die EU-Erweiterung für sie nur ein einziger
Wust von Problemen ist. Krank- und kaputtgeredete Regionen sind aber für Investitionen und Ansiedlungen
nicht attraktiv. Auch werden die eigenen Bemühungen
der dort lebenden Menschen gehemmt. Das sollten Sie
immer beachten.
({1})
Die Mahnungen, Bedenken und Einwände, in insgesamt
113 Fragen gepresst, werden nur noch von dem ewigen
Ruf nach mehr Geld und Programmen, zum Beispiel für
die Strukturpolitik, übertroffen.
Den Grenzregionen steht bereits seit langem ein bewährtes strukturpolitisches Förderinstrumentarium
zur Verfügung. Meine Redezeit würde nicht ausreichen,
um alle Instrumente aufzuzählen. Sie sollten sich aber
die Dokumentation des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit mit dem Titel „Förderung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern - Die Hilfen von EU,
Bund und Ländern“ durchlesen. Das EU-Grenzregionenprogramm, also das Zusatzprogramm, das aus der Diskussion in Weiden über die EU-Osterweiterung entstanden ist, umfasst zusätzliche Fördermittel von immerhin
255 Millionen Euro, davon alleine 85 Millionen Euro für
kleine und mittlere Unternehmen.
Diese Mittel werden zusätzlich zu dem EU-Strukturförderprogramm gewährt, mit dem den Grenzregionen
schon ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Mecklenburg-Vorpommern erhält 2,5 Milliarden
Euro, Brandenburg 3,2 Milliarden Euro, Sachsen 5 Milliarden Euro und Bayern, wenn man die Förderung für
die Landwirtschaft hinausrechnet, immerhin 1 Milliarde
Euro für die Förderung in den dortigen Grenzregionen.
Hinzu kommt eine Vielzahl von nationalen Förderprogrammen für kleine und mittlere Unternehmen, für Forschung und Entwicklung, für Netzwerkbildung und für
vieles andere mehr. Das wird aus dem Haushalt des Bundes finanziert.
({2})
Darüber hinaus sollte uns um die weitere Unterstützung nicht bange sein. Die Verordnungsvorschläge der
EU-Kommission von Juli 2004 zur Reform der Strukturund Kohäsionspolitik zeigen den festen Willen, die Förderung für die Periode 2007 bis 2013 fortzusetzen. Dabei
liegt das besondere Augenmerk auf den Grenzregionen.
Nicht zu vergessen ist die Initiative der Bundesregierung
zur Erreichung ausreichender Handlungsspielräume für
die nationale Förderpolitik zur Begleitung dieses Prozesses auf nationaler Ebene, über die derzeit in Brüssel verhandelt wird.
Denken Sie auch an den Solidarpakt II für die neuen
Bundesländer, für den die Finanzierung bis 2019 gesichert ist. Dass einige Ministerpräsidenten, angeführt
vom hessischen Ministerpräsidenten Koch, die Gemeinschaftsaufgaben insgesamt in ihrer jetzigen Form in
Zweifel ziehen, ist ein fatales und falsches Signal für den
Aufbauwillen in den neuen Bundesländern.
({3})
Kommen wir zur Verkehrsinfrastruktur. Sie fordern
entsprechend den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“
die Verkehrsprojekte „Europäische Einheit“. In dem unter Ihrer Regierung entstandenen Bundesverkehrswegeplan 1992 war nicht ein einziges Schienenprojekt bis zur
östlichen Grenze definiert. Wir haben damit Schluss gemacht. Unser Bundesverkehrswegeplan 2003 umfasst
eine Reihe von Projekten mit einer Ost-West-Ausrichtung. Sie zeichnen die transeuropäischen Korridore nach
und bieten zumindest auf unserer Seite entsprechende
Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Projekte sind bis
2015 ausfinanziert.
({4})
Die Umsetzung dieser Projekte ist aber nur dann
möglich, wenn sie auch aufseiten unserer Nachbarn weitergeführt werden und wenn wir in der Lage sind, die
großen Verbindungen von Menschen und Märkten gemeinsam zu realisieren. Insofern ist Zusammenarbeit
notwendig. Ohne Konsens geht es nicht.
In Grenznähe besteht aber auch die Notwendigkeit
- das ist bereits angesprochen worden -, lokale und regionale Netze und Verbindungen wie auch die Grenzübergänge auszubauen, um damit regionale Kreisläufe zu
schaffen. Auch dafür bestehen Fördermöglichkeiten. In
diesem Zusammenhang verweise ich beispielsweise auf
das GVFG und die Regionalisierungsmittel für den
schienengebundenen Personennahverkehr.
Eine möglichst große Zahl von Grenzübergängen und
alle 20 km eine Autobahn in Richtung der Grenzen kann
aber nicht die Lösung aller Probleme bieten. Es geht
vielmehr darum, den Verkehr zu bündeln und die Grenzübergänge durchlässig zu gestalten, um schnelle und
umfangreiche Transporte gewährleisten zu können.
Derzeit führt die Bundesrepublik mit Tschechien und
Polen Verhandlungen zu dieser Frage. Zurzeit weisen
positive Signale darauf hin, dass fünf Grenzübergänge
mit Polen und zehn mit Tschechien vereinbart werden
können. Ich hoffe, es wird in Bälde gelingen, die Verkehrswege für den Wirtschaftsverkehr zu öffnen. Ich
halte diese Initiative für sehr wichtig. Die betroffenen
Länder sollten sich aktiv an den Verhandlungen beteiligen.
({5})
Abschließend möchte ich noch einen weiteren Aspekt
ansprechen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in Frankfurt/Oder in Brandenburg und im bayrischen Arzberg
zwei große Informationsveranstaltungen zur aktuellen
Bewertung der Lage durchgeführt. Dabei ging es darum,
herauszufinden, wie die Stimmung ist, welche Probleme
vorhanden sind und ob die Lösung dieser Probleme angegangen wird. Im Gegensatz zu dem Inhalt Ihres Antrags und dem, was in Ihren Redebeiträgen zum Ausdruck gekommen ist, wurde deutlich, dass zwar noch
nicht alle Probleme gelöst worden sind, dass die Menschen aber die sich ihnen stellenden Aufgaben anpacken.
Sie gehen ihre Probleme offen an und versuchen, Lösungen zu finden. Das ist zu begrüßen. Beispielsweise ist in
Schirnding - wohlgemerkt: in Bayern - ein deutschRainer Fornahl
tschechischer Kindergarten entstanden, in dem die Kinder die jeweils andere Sprache lernen und sich damit
besser auf das Partnerland einstellen können. Das ist ein
großer Erfolg.
Abschließend habe ich eine Bitte an die Bundesregierung und an die Bundesländer. Sprache und Kultur sind
sehr bedeutende Faktoren für das Verständnis benachbarter Länder. Daraus ergeben sich letztlich auch ökonomische Potenziale. Das Bundesverwaltungsamt finanziert
in einer gemeinsamen Initiative mit der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt ein Austauschprogramm für Deutschlehrer. Meines Wissens gibt es
Schwierigkeiten hinsichtlich der künftigen Finanzierung.
Ich bitte Sie, dieses Thema in den Haushaltsberatungen
zu berücksichtigen, damit dieses wichtige Programm,
das deutschen Lehrern die Möglichkeit gibt, in Polen und
Tschechien die deutsche Kultur und Sprache zu vermitteln und damit zu einer besseren Verständigung beizutragen, keine Streichungen erfährt, sondern in der bisherigen
Größenordnung aufrechterhalten wird. Dann könnten wir
sagen: Wir befinden uns auf einem guten Weg.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss.
Wir sollten den Menschen auf dem Wege zur Vollendung der europäischen Einheit Mut machen. Zu Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, sage ich:
Reißen Sie endlich Ihre Klagemauer ein! Dann wird es
gut.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Rupprecht,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Osterweiterung ist formell und außenpolitisch am 1. Mai
dieses Jahres erfolgreich vollzogen worden. Die große
innenpolitische Frage ist nun aber, wie wir aus den
Chancen der Erweiterung wirklich handfeste Erfolge
machen. Das wird sicherlich nicht gelingen, wenn sich
die Bundesregierung nicht darum kümmert. Die Regierung ist nach den Festlichkeiten am 1. Mai schlichtweg
abgetaucht.
({0})
Derweil tun sich neue Baustellen auf, die die Regierung nicht zur Kenntnis nimmt. Erste Baustelle: Der behördliche Vollzug ist in vielen Bereichen überhaupt
nicht geregelt. Konkretes Beispiel: Ein Malermeister
fragt Anfang Mai bei der Kammer an, ob er einen tschechischen Einzelunternehmer als Subunternehmer beschäftigen kann. Die Antwort der Kammer ist: Grundsätzlich ja, der tschechische Partner muss nur sechs
Jahre selbstständige Tätigkeit nachweisen. Das ist
schnell erledigt. Der tschechische Einzelunternehmer
legt ein amtliches Dokument vor, das bestätigt, dass er
seit über sechs Jahren selbstständig tätig ist. Aber dann
beginnt die groteske Steigerung des Falles Buchbinder
Wanninger. Seit fünf Monaten kämpft der deutsche Unternehmer gemeinsam mit seinem tschechischen Partner
darum, eine Genehmigung in Deutschland zu erhalten:
von der Bezirksregierung zur Kammer, von der Kammer
zum bayerischen Wirtschaftsministerium, vom bayerischen Wirtschaftsministerium zum Bundeswirtschaftsministerium, und all dies dreimal im Kreise. Wo liegt die
Verantwortung? Das Bundeswirtschaftsministerium
müsste den Vollzug regeln. Das hat es bis heute aber
nicht getan.
({1})
Exemplarisch eine zweite Baustelle: Es gibt in der Tat
bedenkliche Warnsignale, aber die Bundesregierung registriert diese nicht. Die Wissenschaft sagt uns, dass die
Wirkung der Erweiterung in den Grenzregionen früher
zu spüren sein wird. Dort werden wir als Erstes sehen,
wie unsere Wirtschaft dem steigenden Wettbewerbsdruck aus Osteuropa begegnen wird. Die Grenzregionen haben sozusagen eine Frühwarnfunktion. Deswegen
ist es schon hochinteressant, zu wissen, wie sich die
Grenzregionen seit dem 1. Mai dieses Jahres entwickelt
haben. Meine Frage an die Bundesregierung lautete daher, wie sich das Lohnsteueraufkommen in den Grenzregionen seit dem 1. Mai dieses Jahres entwickelt hat. Die
kurze Antwort von Staatssekretär Diller war: Wir kennen
die Zahl nicht; da müssen Sie die Finanzämter fragen.
Das habe ich dann auch getan. Das Ergebnis ist schlichtweg verheerend. Das Lohnsteueraufkommen in den Finanzämtern in den Grenzregionen, die ich angerufen
habe, ist im Schnitt um 5 bis 7 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr eingebrochen. Das bedeutet eine dramatische
Verarmung der Bevölkerung in diesen Regionen auf
breiter Front.
Natürlich können wir nicht abschließend sagen, ob
die Ursache die Osterweiterung ist.
({2})
Aber in jedem Fall müsste die Bundesregierung ein Interesse daran haben, ein aussagekräftiges Monitoringsystem einzuführen und gegebenenfalls massiv gegenzusteuern.
({3})
Von dieser Art gibt es zahlreiche Baustellen und es
tun sich neue auf. Aber wir alle wussten und wissen,
dass uns die Erweiterung lange beschäftigen wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dr. Hendricks von der SPD-Fraktion?
Am Ende meiner Rede gerne.
Frau Hendricks möchte eine Zwischenfrage stellen,
die sich auf ein aktuelles Argument Ihrerseits bezieht.
Jetzt erlaube ich keine Zwischenfrage.
Wir, die Unionsfraktion, haben in den vergangenen
Jahren viele Vorschläge gemacht, unter anderem zur Regionalförderung, zum Beihilferecht, zur Kriminalitätsbekämpfung und zu den Verkehrsprojekten „Europäische
Einheit“. Die Bundesregierung hat unsere Vorschläge
zum großen Teil abgeblockt. Damit müssen wir als Opposition leben. Aber dass die Regierung seit dem 1. Mai
dieses Jahres abgetaucht ist, ist absolut inakzeptabel.
({0})
Die Antworten auf unsere Große Anfrage zeigen, dass
sich die Bundesregierung für das Thema einfach nicht
mehr interessiert. Die Antworten sind Stand 2002. Von
den 116 Antworten sind 100 schlichtweg kalter Kaffee
und vollkommen überholt. Keine Ansätze für heute und
auch keine Ansätze für morgen!
Eines ist an den Antworten aber in der Tat hochinteressant: Die Bundesregierung sieht sich im Jahr 2004
nicht in der Lage, abzuschätzen, wie sich die Erweiterung auf Deutschland und auf Europa in Zukunft auswirken wird. Wenn die Regierung das aber nicht abschätzen
kann, dann kann sie auch nicht prognostizieren, wann
Deutschland und die Europäische Union zur Aufnahme
weiterer gewichtiger Länder fähig sind. Die Integrationsfähigkeit ist aber eines der entscheidenden Kriterien für Erweiterungsschritte.
({1})
Die einzig logische Folgerung ist, dass man der Türkei
im Jahr 2004 keine verlässliche zeitliche Perspektive geben kann, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob
man grundsätzlich für oder gegen ihren Beitritt ist.
({2})
Regieren besteht am wenigsten darin, die Korken
knallen zu lassen, sondern darin, die großen Schritte im
Detail nachzuarbeiten. Genau das ist es, was die Bundesregierung tun muss. Das ist ihr Auftrag.
Herzlichen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich will mich zu Ihren
europapolitischen Aussagen hier gar nicht äußern. Das
werden die Kollegen noch tun.
Sie haben zum Ausdruck gebracht, der Rückgang des
Lohnsteueraufkommens in den Finanzämtern der
Grenzregionen sei ein Nachweis für die Verarmung der
Bevölkerung. Wahrscheinlich haben Sie nicht zum Vergleich in Finanzämtern nachgefragt, die nicht in den
Grenzregionen liegen, was sich ja angeboten hätte.
Ich will nur kurz auf Folgendes hinweisen: Wir haben
zu Beginn des Jahres 2004 - dies ist in die Lohnsteuertabellen unmittelbar eingearbeitet worden - den Grundfreibetrag von rund 7 300 Euro auf 7 664 Euro erhöht.
Wir haben den Eingangssteuersatz von 19,9 Prozent auf
16 Prozent gesenkt und wir haben den Spitzensteuersatz
von 47 Prozent auf 45 Prozent gesenkt. Dies alles ergibt
notwendigerweise eine umfangreiche Entlastung für die
Bürgerinnen und Bürger und selbstverständlich ein
Minus beim Lohn- und Einkommensteueraufkommen.
Daraus den Schluss zu ziehen, die Bürgerinnen und
Bürger in den Grenzregionen verarmten, halte ich nicht
nur für von wenig Kenntnis getrübt, sondern auch für demagogisch. Ich bitte Sie in aller Form, das zurückzunehmen und die Wirkungen der Steuerreform zur Kenntnis
zu nehmen.
({0})
Herr Kollege Rupprecht, Sie haben das Wort zu einer
Erwiderung.
Meine Aussage war: Die Grenzregionen haben eine
Frühwarnfunktion. Deswegen ist die Relation zwischen Grenzregionen und dem restlichen Deutschland
entscheidend.
Wenn mir die Bundesregierung keine vernünftige
Antwort geben kann, dann kann ich dies nur exemplarisch, also über Einzelfälle, überprüfen. Meine Überprüfung hat ergeben, dass der Unterschied zwischen den
Finanzamtsbezirken in den Grenzregionen und den anderen Finanzamtsbezirken dramatisch ist. Ob ein Rückgang um 6 Prozent unter anderem auf die Steuerreform
zurückzuführen ist, ist unerheblich.
({0})
Entscheidend ist, dass der Unterschied zwischen den
Grenzregionen und Gesamtdeutschland dramatisch ist.
({1})
Wir wissen, dass in den Grenzregionen eine Wirkung
schneller zu erkennen sein wird. Bitte, nehmen Sie dies
zur Kenntnis und vollziehen Sie die notwendigen
Schritte, um angesichts der mit der Osterweiterung verbundenen Herausforderungen den Wohlstand nicht nur
Albert Rupprecht ({2})
in den Grenzregionen, sondern in Gesamtdeutschland
aufrechtzuerhalten.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berücksichtigung der Kindererziehung im
Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung
({0})
- Drucksache 15/3671 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({2})
- Drucksache 15/3837 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas
Storm, Annette Widmann-Mauz, Horst
Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen - Grundlegende Reform der Pflegeversicherung noch in dieser Wahlperiode einleiten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr
({4}), Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Dieter
Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Familien spürbar durch einen Kinderbonus
entlasten - Keine Beitragserhöhungen in der
sozialen Pflegeversicherung - Grundlegende Reform beginnen
- Drucksachen 15/3682, 15/3683, 15/3837 Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen
Pflegeversicherung. Wir setzen damit ein Verfassungsgerichtsurteil um. In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir viele Spekulationen über dieses Urteil
gehört. Die wenigsten Äußerungen, die ich gehört habe,
hatten aber etwas mit dem Urteil zu tun. Ich habe mich
gewundert, dass es über Nacht plötzlich 80 Millionen
Verfassungsexpertinnen und -experten gab und jeder
seine Interpretation des Urteils zum Besten gab.
({0})
Deswegen zitiere ich zunächst aus dem Inhalt des Urteils. Dort stehen zwei entscheidende Sätze:
Der Gesetzgeber verfügt über einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden
Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung.
Das Grundgesetz verpflichtet ihn lediglich dazu,
beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern
der sozialen Pflegeversicherung bei der Bemessung
der Beiträge relativ zu entlasten.
Der zweite Satz ist der Kern des Urteils. Wir haben mit
unserem Gesetzentwurf diesen Auftrag umgesetzt.
Zugleich erreichen wir ein zweites Ziel, das uns besonders wichtig war: Wir wollen garantieren, Herr Kollege Storm, dass sich die Einnahmesituation der sozialen Pflegeversicherung, die ja im Moment insgesamt
problematisch ist, verbessert.
({1})
Im Übrigen ist das keine neue Entwicklung: Schon
1995 haben die damals Regierenden bei der Einbringung
des Gesetzes zur sozialen Pflegeversicherung - Herr
Kollege, Sie erinnern sich, damals war Ihre Partei an der
Regierung beteiligt - darauf hingewiesen, dass es bei
Verschärfung des demographischen Problems schon in
zehn bis 15 Jahren zu Problemen bei den Einnahmen
kommen werde. Das war also schon 1995 bekannt.
({2})
Insofern leisten wir einen doppelten Beitrag: Wir setzen
das Verfassungsgerichtsurteil um und stabilisieren die
soziale Pflegeversicherung, um der Verunsicherung gerade älterer Menschen entgegenzuwirken. Ich glaube,
das ist ein richtiger Ansatz.
({3})
Wir haben deswegen ein anderes Konzept als die
Union verfolgt. Herr Kollege Storm, Sie müssen sich
schon daran messen lassen, was Vertreter Ihrer Partei
hier früher verkündet haben. Unserem Konzept liegt die
Auffassung zugrunde, dass Ältere nicht zusätzlich belastet werden sollen. Ich darf mit der Erlaubnis der Frau
Präsidentin einmal zitieren, was der Herr Seehofer am
30. Januar dieses Jahres an dieser Stelle gesagt hat:
… eines kann man nicht machen, nämlich Familien,
die in der Vergangenheit Kinder großgezogen haben
und deren Kinder aus dem Haus sind, jetzt einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag zumuten …
Genau dies sieht aber Ihr Gesetzentwurf vor. Wir tun
dies nicht, weil wir die Erziehungsleistung auch älterer
Frauen respektieren.
Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen ältere Eltern die
Entlastung der jüngeren Eltern finanzieren. Eltern finanzieren Eltern.
({4})
Das ganze Konzept funktioniert nach dem Prinzip: raus
aus der rechten Tasche, rein in die linke Tasche. Das,
was Sie durch die für alle geltende Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,1 Prozentpunkte einnehmen, geben Sie wieder aus
({5})
für die vorgesehenen 5 Euro pro Kind. Das heißt, es werden diejenigen, die erwachsene Kinder haben und bereits
eine Erziehungsleistung erbracht haben, nicht mehr ent-,
sondern belastet. Sie belasten auch die Generation der
Älteren. Das Ganze führt unterm Strich noch nicht einmal zu einer Konsolidierung der Pflegekasse, weil das,
was eingenommen wird, eins zu eins wieder ausgegeben
wird.
Damit verspielen Sie auch Reformoptionen für die
Zukunft. Es wird ja von niemandem bestritten, dass Reformbedarf in der Pflegeversicherung besteht. Diese
Aufgabe müssen wir angehen. Eine Reform kann aber
vernünftigerweise doch nur dann umgesetzt werden,
wenn das finanzielle Konzept einigermaßen klar ist. Mit
dem, was Sie jetzt vorhaben, erheischen Sie oberflächlich Lob von den Familienverbänden und von denen, die
eine Entlastung wünschen.
({6})
Sie sagen ihnen aber nicht die Wahrheit, dass nämlich
bei Umsetzung Ihres Konzeptes eine Chance für eine zukunftsfähige Reform der Pflegeversicherung verspielt
und sich die finanzielle Situation der Pflegekassen verschärfen wird. Insofern ist es, wie ich glaube, sehr wichtig, in einem Reformschritt beide Ziele zu erreichen:
Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils und finanzielle Konsolidierung der Pflegekassen. Das ist unser
Konzept.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal darum bitten,
nicht zu behaupten, dies sei schon die Reform der Pflegeversicherung. Diese hat noch zu erfolgen.
({7})
Wir haben in dieser Richtung gehandelt. Die beiden betroffenen Ministerien haben jetzt vier Arbeitsgruppen
eingerichtet.
({8})
Die eine beschäftigt sich mit dem Thema Entbürokratisierung. Dieses Thema anzugehen wird der nächste
Schritt sein. In einem weiteren Schritt muss das Thema
der demenziell Erkrankten angegangen werden; auch
darüber sind wir uns einig.
Jetzt wird eingefordert, dass etwas getan werden
müsse. Aber, Herr Kolb, mit dem Konzept, das Sie vorgelegt haben, brauche ich mich gar nicht auseinander zu
setzen, denn das erfüllt noch nicht einmal die Mindestvoraussetzungen für die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils. Sie wollen Eltern nur für die ersten drei
Jahre der Kindererziehung entlasten, und das auch noch
über Steuern, also zulasten der öffentlichen Kassen. Sie
sind aber noch nicht einmal so ehrlich, zu sagen, woher
das Geld eigentlich kommen soll.
({9})
So etwas kann man nicht als Reform verkaufen.
Deswegen sage ich noch einmal: Unser Konzept ist
das einzige, das Reformvorhaben, Verfassungsgerichtsurteil und finanzielle Konsolidierung verbindet, und deshalb ist es das einzige verantwortbare.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Andreas Storm, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich hätte heute ein guter Tag für die Pflegeversicherung und vor allen Dingen für Versicherte mit Kindern sein können. Dass daraus nichts wird, dafür hat
Rot-Grün nachdrücklich gesorgt: Erstens hat der Bundeskanzler höchstpersönlich im Januar die Pläne für eine
umfassende Reform der Pflegeversicherung, die dringend auf die Tagesordnung gehört, gestoppt.
({0})
Zweitens legen Sie jetzt, dreieinhalb Jahre nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Behandlung der Familien im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung und
wenige Wochen vor Torschluss, eine völlig unbrauchbare Lösung vor.
({1})
In der Anhörung hat Ihr Gesetzentwurf einen Totalverriss erfahren. Es ist rational nicht mehr begründbar,
wenn Sie dieses Gesetz heute im Bundestag beschließen
wollen. Die Bauchschmerzen sind der Kollegin Selg von
den Grünen mittlerweile ins Gesicht geschrieben.
Das Bundesverfassungsgericht hat vor dreieinhalb
Jahren in seinem Urteil Folgendes gefordert: Versicherte, die Kinder erziehen, müssen gegenüber kinderlosen Versicherten entlastet werden. Diese Voraussetzung
erfüllt Ihr Gesetzentwurf, allerdings in einer höchst
zweifelhaften Weise; denn Familien zahlen keinen einzigen Cent weniger, sie werden nur von der Beitragserhöhung ausgenommen. Das als Entlastung der Familien
darzustellen ist schon mutig.
Entscheidend sind aber die beiden anderen Forderungen des Verfassungsgerichts: Die Entlastung muss während der Erziehungsphase erfolgen und sie muss nach
der Kinderzahl differenziert sein.
({2})
Hier scheitert Ihr Gesetzentwurf vollständig; denn ob jemand ein Kind oder mehrere Kinder erzieht - der Beschwerdeführer war immerhin zehnfacher Vater -, ob die
Kinder noch klein sind oder schon aus dem Haus, spielt
bei Ihnen keine Rolle, jeder wird gleich behandelt. Das
ist absurd.
({3})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die
Experten bei der Anhörung unisono gesagt: Der Gesetzentwurf ist verfassungswidrig, weil er nicht nach der
Kinderzahl differenziert. Ich zitiere hier beispielhaft
den Präsidenten des Berliner Verfassungsgerichtshofs,
Herrn Professor Sodan,
({4})
der wörtlich sagte:
Die Gleichbehandlung von Versicherten mit einem
Kind und solchen mit mehreren Kindern verstößt
meines Erachtens gegen Art. 3 Abs. 1 - also gegen
den allgemeinen Gleichheitssatz - des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 6 … Dieser Gesetzentwurf bietet an diesem Punkt eine enorme Angriffsfläche.
So weit Professor Sodan, der heute noch einmal öffentlich dazu aufgefordert hat, gegen diesen Gesetzentwurf
zu klagen. Damit ist ein weiterer Gang nach Karlsruhe
schon vorprogrammiert.
Es kommt aber ein Zweites hinzu: Sie wollen die
Rentner in zwei Gruppen unterteilen, von denen die
eine pauschal vom Beitragszuschlag befreit ist, die andere hingegen nicht. Sie wählen willkürlich einen Stichtag, nämlich den 1. Januar 1940, der nun wirklich durch
nichts sachlich zu begründen ist. Auch das haben die Experten bestätigt. Ich zitiere einmal den Geschäftsführer
des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger,
Professor Ruland, der in der Anhörung wörtlich gesagt
hat - Frau Ministerin, hören Sie gut zu -:
Wenn man von den Fakten ausgeht, lässt sich der
1. Januar 1940 als Stichtag nicht rechtfertigen. Für
diese Festlegung gibt es keinen Grund.
So weit Professor Ruland.
Wenn einerseits die Rentner die einzige Gruppe sind,
die seit diesem Jahr den vollen Beitrag zur Pflegeversicherung selbst bezahlen müssen, andererseits eine pauschale Ungleichbehandlung der Rentner nach dem Geburtsjahr vorgenommen wird, dann ist diese Regelung
an Willkür kaum zu überbieten.
({5})
Ähnlich willkürlich sind auch die kurz vor Toresschluss erfolgten Änderungen bei den Arbeitslosen.
Wenn jemand Arbeitslosengeld II bezieht, dann wird er
vom Kinderzuschlag pauschal befreit. Das kann man
noch nachvollziehen. Aber dass auch für alle anderen
Arbeitslosen eine willkürlich festgelegte Pauschale von
der Bundesagentur für Arbeit an die Pflegeversicherung
gezahlt wird, ist in der Tat nicht mehr nachvollziehbar.
Jetzt kommt der Hammer. Die Bundesagentur kann
diese Pauschale mit Zustimmung des Bundeswirtschaftsministers von den Arbeitlosen einfordern, sie muss es
aber nicht. Nach welchen Kriterien Herr Clement und
Herr Weise das entscheiden - ob in den Arbeitsamtsbezirken unterschiedlich oder einheitlich vorgegangen
wird, ob man den Beitrag einkassiert oder ob am Ende
alle Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung diesen
Mehraufwand gemeinsam tragen müssen, egal ob sie
Kinder erzogen haben oder nicht -, ist völlig offen gelassen. Dies ist eine Form von Willkür, wie sie schlimmer
nicht vorstellbar ist.
({6})
Damit wird deutlich: Es geht Ihnen nicht um eine sachgerechte Umsetzung des Karlsruher Urteils. Sie wollen
Zeit gewinnen - nur darum geht es.
Wenn Sie, Frau Staatssekretärin, sagen, man würde
dadurch einen Beitrag zur finanziellen Konsolidierung
der Pflegeversicherung leisten,
({7})
dann muss ich sagen, dass dies nachweislich falsch ist.
({8})
Sie gewinnen nur zwei Jahre. Die Pflegekassen stehen
im Hinblick auf ihre finanzielle Situation spätestens im
Jahr 2007 vor dem Aus, und zwar durch hausgemachte
Fehler. Beispielsweise haben Sie die Pflegebeiträge für
Langzeitarbeitslose, die aus dem Bundeshaushalt an die
Pflegekassen gezahlt werden, deutlich reduziert. Allein
dadurch ist mittlerweile ein Loch von 1,5 Milliarden Euro in den Pflegekassen entstanden.
({9})
Nun daranzugehen, das Karlsruher Familienurteil zu
missbrauchen, um Löcher in der Pflegekasse zu stopfen,
ohne die Strukturprobleme zu lösen, ist unverantwortlich.
({10})
Es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund, diesem
Gesetzentwurf zuzustimmen.
({11})
Dass es die SPD trotzdem tut, ist nicht verwunderlich.
Aber wenigstens von den Grünen hätte ich mir doch ein
bisschen mehr Standfestigkeit erwartet. Liebe Kollegin
Selg, Sie haben seit Monaten gegen die Pflegepolitik der
Bundesregierung gewettert. Sie haben das Gesetz zu
Recht als bürokratisches Monstrum bezeichnet. Noch
vor wenigen Tagen haben Sie nach der Anhörung erklärt: Ich frage mich ernsthaft, ob unser Gesetzentwurf
verfassungskonform ist. - Es ist gut, dass wenigstens einer bzw. eine in der Koalition erkannt hat, dass dieser
Weg ein Irrweg ist.
({12})
Daher ist es unverständlich, wenn Sie aus Koalitionstreue sagen: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, obwohl wir ihn für falsch halten.
Dabei liegen bessere Lösungen auf dem Tisch. Die
Union will eine echte Entlastung für Versicherte, die
Kinder erziehen,
({13})
und zwar durch einen Bonus pro Monat und Kind in
Höhe von 5 Euro. Diese Entlastung - das hat die Frau
Staatssekretärin vorhin zugegeben - findet bei den Familienverbänden - das zeigte sich auch bei der Anhörung viel Beifall.
({14})
Nun gestehe ich Ihnen durchaus zu, dass man darüber
diskutieren kann, ob wir einen solchen Kinderbonus aus
Beitragsmitteln, wie wir das vorgeschlagen hatten, oder
aus Steuermitteln finanzieren. Viele Experten haben
empfohlen, diesen Bonus aus allgemeinen Haushaltsmitteln zu finanzieren. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Allerdings hat keiner der Experten gesagt, welche
Steuermittel dafür herangezogen werden sollen.
Deshalb bleibt im Moment nur der Weg über eine
leichte Anhebung der Beiträge. In unserem Vorschlag ist
aber dafür gesorgt, dass bereits ab dem ersten Kind unter
dem Strich eine Entlastung übrig bleibt. Wir haben die
größte Entlastung dort vorgesehen, wo sie am dringendsten gebraucht wird:
({15})
bei Familien mit niedrigem Einkommen und bei Familien mit mehreren Kindern.
({16})
Ich gestehe etwas Weiteres zu: Man kann darüber diskutieren, ob man den Kinderbonus nur bis zum
18. Lebensjahr oder für den gesamten Zeitraum zahlt, in
dem Kindergeld gewährt wird. Auch insoweit wären wir
gesprächsbereit gewesen; beides ist grundsätzlich machbar. Aber ohne eine Besserstellung der Familien geht
man meilenweit an der Vorgabe des Verfassungsgerichts
vorbei. Von dem, was Rot-Grün heute vorgelegt hat,
würde man in der Schule sagen: Setzen, Thema verfehlt,
sechs!
({17})
Eines ist aber in der Debatte der letzten Wochen auch
klar geworden: Wir sind mittlerweile an den Grenzen
der umlagefinanzierten und lohnabhängigen Pflegeversicherung angekommen.
({18})
Gestern hat der runde Tisch zur Pflege getagt und diskutiert. Es wird immer klarer, dass wir uns darüber unterhalten müssen, inwieweit die derzeitigen Leistungen
und Strukturen noch stimmig sind. Ist beispielsweise
der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ ausreichend
berücksichtigt?
({19})
Offenbar nicht. Stimmen die Strukturen im Bereich der
ambulanten und der stationären Leistung? Was ist mit der
Anpassung der Pflegeleistungen an die Kostenentwicklung? Denn die Pflegeversicherung gewährt heute noch
die Leistungen, die im Jahre 1995 festgelegt würden. Wie
können wir vor allen Dingen die Pflegeversicherung auf
die langfristige demographische Entwicklung einstellen? Müssen wir nicht auch das Finanzierungsverfahren
ändern? Brauchen wir nicht starke Elemente der Kapitaldeckung?
({20})
Über diese Fragen muss diskutiert werden.
Vor knapp zehn Jahren ist die Pflegeversicherung eingeführt worden. Rot-Grün ist seit sechs Jahren an der
Regierung. Diese sechs Jahre waren leider verlorene
Jahre, weil keine einzige dieser wichtigen strukturellen
Fragen auch nur im Ansatz geklärt worden ist. Das anhaltende Nichtstun der Bundesregierung ist unverantwortlich gegenüber den pflegebedürftigen Menschen,
gegenüber den Beitragszahlern, aber vor allen Dingen
auch gegenüber den Pflegekräften.
Wir brauchen noch in dieser Wahlperiode den Einstieg in eine umfassende Neuordnung der Pflegeversicherung, damit wir den demographischen, aber vor allen
Dingen bereits kurzfristig den pflegerischen Herausforderungen für eine menschenwürdige Pflege gerecht werden. Ich nenne ein letztes Stichwort: die Einbeziehung
der Demenzkranken in die Pflege, von den Grünen zu
Recht gefordert und am Ende wieder fallen gelassen.
Als Fazit bleibt: Der Gesetzentwurf, den SPD und
Grüne heute zur Abstimmung vorlegen, ist familienpolitisch falsch und verfassungsrechtlich bedenklich.
({21})
Er ist von einer unverhohlenen Willkür gekennzeichnet.
Da nahezu alle Experten bei der Anhörung vorausgesagt
haben, dass dieser Gesetzentwurf wieder in Karlsruhe
landen wird und Sie dort Schiffbruch erleiden werden,
appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen von RotAndreas Storm
Grün: Ersparen Sie uns diesen Irrweg! Ziehen Sie Ihren
Gesetzentwurf zurück und folgen Sie unserem Vorschlag!
({22})
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Storm, ich stehe mit beiden Beinen im
Leben und werde noch lange dort stehen bleiben.
({0})
Es geht heute um die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es geht darum, das Urteil fristgemäß umzusetzen, um die Pflegeversicherung einigermaßen zu stabilisieren und die weiteren Strukturprobleme
angehen zu können. Beides, die Urteilsumsetzung und die
Stabilisierung, erreichen wir, indem wir den Beitragssatz
für Kinderlose ab 23 Jahre um 0,25 Prozent anheben.
Ich möchte deutlich sagen - auch im Hinblick auf den
Titel des CDU/CSU-Antrags -: Es geht hier nicht um
eine Bestrafung von Kinderlosen. Denn die Pflegeversicherung ist nun einmal umlagefinanziert und sie ist daher auf nachwachsende Generationen angewiesen. Im
Urteil ist nun einmal festgelegt worden, dass Mitglieder,
die einen so genannten generativen Beitrag leisten, besser gestellt werden müssen.
Herr Storm, ich wahre auch heute mein Gesicht. Es ist
kein Geheimnis, dass wir in der Fraktion der Grünen uns
Details der Umsetzung teilweise anders vorgestellt haben. Einige unserer Bedenken konnten auch in der Anhörung nicht ausgeräumt werden. Aber eines sage ich Ihnen: Wir übernehmen Verantwortung und wir sind
standfest.
({1})
Denn wir verschließen uns nicht der Einsicht, dass im
anderen Fall das Urteil nicht fristgerecht umgesetzt werden könnte und somit ein ganzes System ruiniert werden
würde.
({2})
Wir haben auch die Lösung für viele Probleme, die in
der Anhörung genannt wurden, in Änderungsanträge
aufgenommen; auch da verweigern Sie sich.
({3})
In der ersten Lesung habe ich es Ihnen schon einmal gesagt: Auch die Oppositionsfraktionen haben mit ihren
Anträgen bei weitem nicht den Stein der Weisen gefunden.
({4})
Ihre Anträge sind in der Anhörung ebenfalls ganz klar
durchgefallen. Hier gilt genauso: setzen sechs!
({5})
Auf den Antrag der FDP möchte ich eigentlich gar
nicht näher eingehen; seine Realitätsfremdheit ist offensichtlich. Sie können es im Anhörungsprotokoll gern
nachlesen. Vor allem wollen Sie die Mittel aus dem
Haushalt nehmen; Sie wollen Steuermittel heranziehen.
({6})
Erkundigen Sie sich doch einmal bei Herrn Eichel! Zum
einen wettern Sie in den Haushaltsdebatten immer gegen
die Überschuldung; zum anderen wollen Sie das Geld
für die Finanzierung der Pflegeversicherung aus dem
Haushalt nehmen.
({7})
Der Antrag der CDU/CSU betreibt Augenwischerei;
denn der Bonus von 5 Euro pro Kind würde durch eine
nicht paritätische Beitragssatzerhöhung für alle Mitglieder finanziert werden. Wo da eine Entlastung für die Familien liegen soll, kann ich nicht erkennen. Ich sage Ihnen: Das ist das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“.
({8})
Entscheidend ist aber, dass in der Pflegekasse aufgrund
dieses Vorschlags 760 Millionen Euro fehlen würden.
Ein Beitrag zur Konsolidierung der Pflegekasse ist
überhaupt nicht erkennbar. Sie würden wissentlich ein
ganzes System an die Wand fahren. Sie verhalten sich
hier unverantwortlich.
({9})
Herr Storm, ich stimme Ihnen zu: Weitere Reformschritte sind dringend notwendig. Nur, es nutzt überhaupt nichts, immer nur aufzuzählen, was alles nötig
wäre, wenn man nicht sagt, wie man es finanzieren will.
Auch da sehe ich bei Ihnen leider immer nur: Fehlanzeige!
({10})
Sie können sicher sein: Wir werden uns nicht verstecken; wir werden auch weiterhin Vorschläge dazu vorlegen, was in Zukunft notwendig ist. Wir beziehen dabei
die Ergebnisse des runden Tisches mit ein, aber nicht
nach dem Motto: Wenn einer mal nicht weiter weiß,
dann bildet er einen Arbeitskreis. Das haben Sie ja heute
für die Gesundheitspolitik beschlossen.
({11})
Ich rate Ihnen: Beziehen Sie doch die Pflege auch mit
ein, damit die Leute von Ihnen erfahren, was Sie auch in
Bezug auf die Pflege wollen. Vielleicht wollen Sie ja
auch da eine Kopfpauschale? Ich rate Ihnen aber vor allem: Beziehen Sie doch Herrn Kampeter mit ein, Ihren
Haushaltsexperten, der in der „Berliner Zeitung“ gesagt
hat: Die Union fordert angesichts neuer Löcher im Bundeshaushalt auch Kürzungen bei den staatlichen Leistungen. Herr Kampeter meinte, es sei endlich an der Zeit;
auch bei den so genannten Leistungsgesetzen müsse es
Eingriffe geben. Als Beispiel nannte er das Erziehungsund das Kindergeld.
({12})
Ich wünsche Ihnen dabei frohe Verrichtung. Wenn Sie
sich in Ihrer CDU/CSU-Fraktion und mit Herrn
Kampeter einig sind, dann lassen Sie es uns und die Bevölkerung wissen. Von uns werden Sie in Zukunft klare
Antworten bekommen.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Daniel Bahr, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin ja erst zwei Jahre im Deutschen Bundestag, aber
eine solche Anhörung habe ich wirklich noch nicht erlebt,
({0})
eine Anhörung, in der die Vertreter aller Verbände und
alle Experten diesen Gesetzentwurf unisono abgelehnt
haben.
({1})
Sie haben Ihnen gesagt, dass Sie die fristgerechte Umsetzung nicht hinbekommen und dass zumindest erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfs bestehen.
({2})
Deswegen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ist es nicht die Frage, ob der Vorschlag
der FDP-Fraktion fristgerecht umgesetzt werden kann;
es geht vielmehr darum, dass Ihr Gesetzentwurf nicht
fristgerecht umgesetzt werden kann. Deshalb sollten Sie
ihn so schnell wie möglich zurückziehen. Sie verunsichern die Bürgerinnen und Bürger; Sie verunsichern diejenigen, die diesen Gesetzentwurf umsetzen müssen.
({3})
Ich will einen Punkt aus dem Fiasko der Anhörung herausgreifen: Ihr Gesetzentwurf trägt den Titel „KinderBerücksichtigungsgesetz“. Aber Sie berücksichtigen darin gar nicht die Anzahl der Kinder. Frau Staatssekretärin, Sie müssen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
noch etwas weiter zitieren; denn Sie haben den entscheidenden Absatz weggelassen, als Sie vom breiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers gesprochen haben. Danach heißt es nämlich:
… allerdings ist er
- der Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung
zu wählen, die Unterhaltverpflichtete bereits ab
dem ersten Kind relativ entlastet …
Das heißt, das Urteil sieht zwingend eine Berücksichtigung der Anzahl der Kinder vor.
({4})
Das ist nach Ihrem Gesetzentwurf nicht der Fall. Sie entlasten nicht, sondern belasten Kinderlose. Sie entlasten
die Familien nicht nach der Anzahl ihrer Kinder.
({5})
Genau das aber will die FDP. Wir wollen eine Regelung, die nicht mit viel Bürokratie verbunden ist und
durch die die Familien wirklich spürbar entlastet werden. Wir haben daher vorgeschlagen, diese Familien in
den ersten drei Lebensjahren des Kindes über das Kindergeld finanziell spürbar zu entlasten, und zwar in
Höhe von 150 Euro pro Jahr. - In dem Urteil des Verfassungsgerichts steht nichts über die Dauer der Entlastung.
Darin heißt es nur, dass eine entsprechende Berücksichtigung während der Zeit der Erziehungsleistung erfolgen
muss. Wir meinen, dass drei Jahre beherrschbar sind,
und deswegen schlagen wir das vor.
Liebe Frau Selg, tun Sie doch nicht so, als sei das
nicht machbar. Sie haben in der ersten Lesung gesagt:
Wir können uns keinen Zuschuss für die Pflegekasse
leisten. Einer der Änderungsanträge, die vorgelegt wurden, sieht aber einen Zuschuss in Höhe von 20 Millionen
für die Pflegekasse vor. Das ist doch nichts anderes als
das, was wir vorgeschlagen haben.
({6})
Wir müssten nur noch 80 Millionen drauflegen. Mit
100 Millionen Euro bekommen Sie dies im ersten Jahr
finanziert. Schließlich ist es eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, die Berücksichtigung der Erziehungsleistung
durch die Familien zu finanzieren.
Daniel Bahr ({7})
({8})
Frau Selg, nun zu Ihren vollmundigen Ankündigungen, was das Gesetz alles bewirken soll. Noch im Juni,
als der Referentenentwurf vorlag, haben Sie von drei Bedingungen gesprochen: Die Demenzkranken müssen berücksichtigt werden, ambulante und stationäre Pflege
sind gleichzustellen und es muss eine Demographiereserve aufgebaut werden.
({9})
Nachdem Sie diese drei Bedingungen formuliert haben,
können Sie diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({10})
Dieser Gesetzentwurf ist Murks. Damit wird nichts anderes bewirkt, als den Reformbedarf in der Pflege um
ein bis zwei Jahre hinauszuschieben. Die Probleme in
der Pflegeversicherung lösen Sie mit diesem Gesetzentwurf keineswegs. Deswegen sollten Sie ihn alle ablehnen.
({11})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Hilde Mattheis, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben es vorhin von der Parlamentarischen Staatssekretärin gehört: Wir sind uns in der Koalition einig
- auch die Opposition sagt diesmal nichts anderes -,
dass wir eine umfassende und sorgfältig vorbereitete Reform der Pflege brauchen.
({0})
Dazu brauchen wir eine finanzielle Konzeption, die
trägt.
Wir alle wissen: Die Pflegeversicherung hat sich
grundsätzlich bewährt. Aber zehn Jahre nach ihrem InKraft-Treten brauchen wir neben Strukturreformen dringend auch eine Verbesserung auf der Einnahmeseite.
Wir werden dies in den nächsten Monaten hinreichend
debattieren und die Gelegenheit haben, uns über die unterschiedlichen Konzeptionen auszutauschen.
Heute stand in der „Welt“ schon einiges darüber, was
sich die CDU vorstellt. Sie wollen eine Reform der Pflegefinanzierung und hantieren mit einem Beitragssatz in
Höhe von 3,2 Prozent.
({1})
Ich möchte gern einmal wissen, wie Sie eine solche Finanzkonzeption vermitteln wollen. Ihre Idee bedeutet im
Prinzip, dass alle, die pflegebedürftig sind, ihre Pflegebedürftigkeit zunächst einmal selbst finanzieren müssen,
ist also nichts anderes als eine Privatisierung des Pflegerisikos. Das ist mit uns nicht zu machen. Für uns ist mit
der Pflegeversicherung Solidarität verbunden.
({2})
Wir werden also in den nächsten Monaten grundsätzlich diskutieren.
({3})
Wir wollen erreichen, dass alte und pflegebedürftige
Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben
führen können und dass die Angehörigen der Pflegebedürftigen so weit entlastet werden, dass sie mit der
Pflege weder körperlich noch emotional überfordert
sind.
Heute geht es ausschließlich um die Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Vorab möchte
ich noch einige grundsätzliche Anmerkungen dazu machen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber mit seinem Urteil vor keine leichte Aufgabe gestellt;
denn das, was das Gericht verlangt - beitragspflichtige
Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber
kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung
bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten -, ist
zum einen vor dem Hintergrund der allgemeinen Haushaltssituation des Bundes und der Situation der Pflegekassen nicht einfach, zum anderen führt die große Zahl
der Kritikerinnen und Kritiker aus, das Bundesverfassungsgericht betreibe an dieser Stelle selbst Sozialpolitik
und überschreite damit seine Kompetenzen. Es ist also
keine leichte Aufgabe für uns alle.
Nach diesen grundsätzlichen Anmerkungen gehe ich
gern auf den Vorschlag der FDP ein, wonach Erziehende
in den ersten drei Lebensjahren des Kindes 150 Euro
jährlich pro Kind erhalten sollen. Diese Forderung ist
höchst problematisch. Das haben unisono alle Sachverständigen - bis auf den Sachverständigen, der von Ihnen
bestellt wurde - ausgeführt. Sie legen dazu kein Finanzierungskonzept vor; darauf wurde bereits eingegangen.
Die CDU/CSU-Fraktion will mit ihrem Kinderbonus
von 5 Euro pro Monat für Kinder unter 18 Jahren genau
das nicht umsetzen, was das Bundesverfassungsgericht
fordert,
({4})
nämlich Familien mit Kindern zu entlasten, die sich
noch in der Erziehungsphase befinden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bahr?
Ja, bitte.
({0})
Frau Kollegin Mattheis, in dem Magazin „Pflege intern“ ist am 10. September - einen Tag nach der ersten
Lesung des Gesetzentwurfs - ein Kommentar von Ihnen
veröffentlicht worden. Darin sprechen Sie sich wörtlich
für eine „steuerfinanzierte Umsetzung“ aus. Sie sagen
dort:
Eine steuerfinanzierte Umsetzung, die Erhöhung
des Kindergeldes, erscheint hier als gangbarster
Weg.
Zum Ende hin heißt es:
Mit der „Kindergeld-Lösung“ wäre dagegen im
Hinblick auf unser eigentliches Anliegen, die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes zur Reform der
Pflege, keine Vorfestlegung getroffen …
Und außerdem:
Der Personenkreis ist klar beschrieben. Dagegen ist
die Eingrenzung von so genannten Kinderlosen
sehr schwierig und wirft viele Detailfragen auf.
Nachdem ich gelesen habe, was einen Tag nach der
ersten Lesung veröffentlicht wurde, frage ich mich:
Stimmen Sie dem Gesetzentwurf der Regierung nicht
zu? Stimmen Sie dem FDP-Vorschlag zu?
({0})
Erstens. Herr Kollege Bahr, solche Artikel werden
nicht punktgenau geschrieben; auch dieser ist nicht erst
einen Tag nach der ersten Lesung, sondern etwas früher
verfasst worden. Aber das spielt jetzt eine untergeordnete Rolle.
Zweitens. Wir haben immer gesagt - auch in dieser
Hinsicht besteht große Übereinstimmung -, dass das,
was das Bundesverfassungsgericht uns aufgetragen hat,
nicht so einfach zu lösen ist. Das Wunschdenken hebt
sich manchmal von dem ab, was man in der Realität umsetzen kann. In diesem Fall ist das nicht anders: Der
Wunsch, das Urteil über eine Kindergeldlösung umzusetzen, ist das eine; ob man dafür Steuermittel locker
machen kann, ist etwas ganz anderes. Das haben auch
viele Sachverständige bestätigt.
({0})
Eine Diskussion wie die, welche wir gestern über das
Thema Eigenheimzulage geführt haben, möchte ich bei
diesem Thema nicht auch noch haben.
({1})
Deshalb haben wir ganz offen gesagt: Bei der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils kann es nur
eine zweitbeste Lösung geben. Aber diese Lösung müssen wir finden; in diesem Fall ist die Lösung die der
Koalition.
({2})
Ich halte die drei Verbesserungen, die wir auf der
Grundlage der Sachverständigenaussagen vom 22. September in den Entwurf aufgenommen haben, für grundsätzlich wichtig.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat sich gezeigt, dass wir bezüglich bestimmter Personengruppen
Klärungen benötigten. Die Ergebnisse dieser Klärungen
haben wir jetzt umgesetzt. So haben wir in den Gesetzentwurf aufgenommen, dass für die Gruppe der ALG-IIEmpfängerinnen und -Empfänger keine Zuschlagspflicht
besteht. Eine Prüfung hat zudem ergeben, dass das
BSHG eine entsprechende Regelung für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger gewährleistet. Das ist genauso wichtig wie die Regelung, dass die Beitragszuschläge für kinderlose Leistungsempfänger nach dem
SGB III pauschal in Höhe von 20 Millionen Euro pro
Jahr gezahlt werden.
({3})
- Herr Bahr, es sind 20 Millionen Euro. Es gibt einen
Unterschied zwischen zwei- und dreistelligen Beträgen.
Das sollte ich Ihnen eigentlich nicht sagen müssen.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Das tue ich.
Vor diesem Hintergrund glauben wir als Koalition,
dass wir mit der ersten Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts das in die Wege geleitet haben,
was schon die Parlamentarische Staatssekretärin in ihrer
Rede ausgeführt hat: Erstens haben wir uns Spielraum
verschafft und die Kassenlage stabilisiert. Zweitens haben wir dem, was das Gericht von uns erwartet und verlangt hat, Rechnung getragen, ({0})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
- immer wissend, dass die Reform nicht aufgeschoben ist; denn hier brauchen wir eine Lösung.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 21 a: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Entwurf eines Kinder-Berücksichtigungsgesetzes auf Drucksache 15/3671. Dazu lieVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
gen mir mehrere Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor,
({0})
und zwar vom Kollegen Volker Beck, von der Kollegin
Petra Selg und weiteren 17 Abgeordneten der Grünen
({1})
sowie von der Kollegin Ekin Deligöz und weiteren sechs
Abgeordneten der Grünen.1)
({2})
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 15/3837, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der CDU/CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf
Drucksache 15/3837. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/3682 mit dem Titel „Familien entlasten
statt Kinderlose bestrafen - Grundlegende Reform der
Pflegeversicherung noch in dieser Wahlperiode einlei-
ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU
angenommen.
Noch Tagesordnungspunkt 21 b: Unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss
die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/3683 mit dem Titel „Familien spürbar
durch einen Kinderbonus entlasten - Keine Beitragser-
höhungen in der sozialen Pflegeversicherung - Grund-
legende Reform beginnen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die
Stimmen der FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
1) Anlagen 3 bis 5
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Erich G. Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar
Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Neustrukturierung der Außenwirtschaftsförderung als Beitrag zur Schaffung von Wachstum und Beschäftigung
- Drucksachen 15/746, 15/3269 Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Müller ({4})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({5})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern die
Aussprache eröffnen. Daher bitte ich diejenigen, die sich
nicht beteiligen wollen, ihre Gespräche außerhalb des
Plenarsaals fortzusetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für
Wirtschaft und Arbeit, Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich eingangs zu dem hier vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion Folgendes bemerken: Wir benötigen keine Neustrukturierung unserer
Außenhandelspolitik. Wir haben im Außenhandel ein
hohes Maß an Erfolgen zu verzeichnen. Wir bekennen
uns dazu, unsere Instrumente immer wieder den Gegebenheiten anzupassen, sie feinzujustieren und, wenn erforderlich, zu steuern. Aber eine Neustrukturierung, wie
sie in diesem Antrag suggeriert wird, brauchen wir weiß
Gott nicht.
Der Außenhandel ist die Triebfeder für wirtschaftliches Wachstum in Deutschland; das wissen wir alle.
Der Anteil der Exporte am Sozialprodukt lag 2003 bei
rund 35 Prozent und ist damit in den vergangenen zehn
Jahren um rund 11 Prozent gestiegen. Jeder fünfte Arbeitsplatz und jeder dritte Industriearbeitsplatz hängt in
Deutschland vom Außenhandel ab. Die deutsche Exportwirtschaft hat ihre Position in der Weltspitze gut behauptet und ist nach wie vor nach den Vereinigten Staaten
von Amerika auf Platz zwei. Noch wichtiger ist, dass die
deutsche Wirtschaft ihren Weltmarktanteil nach zwischenzeitlichen Schwächen Mitte der 90er-Jahre nunmehr bei deutlich über 9 Prozent hat halten können. Dagegen haben andere OECD-Staaten wie die Vereinigten
Staaten von Amerika, Japan und Frankreich ganz erhebliche Exportanteile verloren. Dies ist insbesondere der
Exportkraft Chinas und der mittelosteuropäischen Länder geschuldet.
Auch die regionale Struktur ist „topgesund“, wenn ich
es so sagen darf. Rund 70 Prozent unserer Handelsbeziehungen sind Handelsbeziehungen mit Europa, vor allem
natürlich mit den Staaten der Europäischen Union. Hier
muss man sehen, dass diese Beziehungen in den letzten
zehn Jahren ein Wachstum um rund ein Drittel des Volumens aufwiesen. Auch hier können wir auf eine Erfolgsbilanz verweisen.
Sehr wichtig für unsere politischen Rahmenbedingungen ist auch die Güterstruktur: Der Automobilbau, der
Maschinenbau und die Chemieindustrie sind die eigentlichen Träger dieses großen Exporterfolges. Sie machen
rund 45 Prozent der Exportgüter aus, die aus Deutschland kommen.
Natürlich wissen wir, dass der Außenhandel auch deshalb so robust ist, weil er sich in hohem Maße auf Investitionsgüter stützt. Sie machen rund 45 Prozent der Exporte aus, sind vergleichsweise konjunkturunabhängig
und haben auch davon profitiert, dass beispielsweise in
China und in den mittelosteuropäischen Volkswirtschaften eine sehr hohe Nachfrage besteht.
Die positive Entwicklung des deutschen Außenhandels seit 2001 spiegelt die gegenüber unseren Hauptwettbewerbern verbesserte preisliche Wettbewerbsfähigkeit
wider. Das hat vor allen Dingen zwei wichtige Gründe:
zum einen die hohe Preisstabilität und die moderate
Lohnpolitik, die die Lohnstückkostenvorteile ganz erheblich beeinflusst hat, zum anderen die hohe Produktivität, also der Einsatz neuester Technologien in unserer
Produktion, die uns immer wieder Wettbewerbsvorteile
gegenüber anderen Ländern bringt.
Zur aktuellen Exportentwicklung sei gesagt: Der
deutsche Export hat nochmals kräftig an Dynamik gewonnen. Er ist die Stütze der konjunkturellen Erholung.
Der Zuwachs bei der Warenausfuhr beträgt im bisherigen Verlauf des Jahres rund 4 Prozent. Die Auftragssteigerung aus dem Ausland lag in den Monaten April, Mai
und Juni bei rund 4,1 Prozent. Auch hier ist also ein
deutlicher Wachstumstrend erkennbar, der sich natürlich
auch positiv auf die Wachstumsprognosen in unserem
Land auswirkt. In diesem Zusammenhang müssen wir
immer wieder bedenken, dass nichts von alleine kommt.
Diese Erfolge müssen immer wieder erarbeitet werden.
Es gibt zwei große Problemfelder: Das eine sind die
Währungsparitäten - insbesondere die Währungsparität zwischen dem Euro und dem Dollar - und das andere
ist die problematische Rohstoffsituation und hier insbesondere die Entwicklung des Ölpreises. - Ich will an
dieser Stelle allerdings auch sagen: Es ist ein Erfolg,
dass es uns trotz dieser für uns eher ungünstigen Entwicklung gelungen ist, solche Erfolge zu erzielen. Das
zeigt, in welch hohem Maße die deutschen Unternehmen
Vorsorge geleistet haben, um sich auf derlei Entwicklungen vorzubereiten. Auch hier gibt es also eine sehr positive Entwicklung.
({0})
Die Erfolge sind insbesondere natürlich der Arbeit
der deutschen Unternehmen zuzurechnen. Die Politik
kann lediglich Rahmenbedingungen setzen und Entwicklungen unterstützen. Ich glaube, dies tun wir mit
ganz erheblichem Erfolg. Wir haben hervorragend arbeitende Außenhandelskammern - einschließlich der Repräsentanten sind es 120 in 80 Ländern dieser Welt und eine Bundesagentur für Außenwirtschaft mit rund
50 Korrespondenten, die wertvolle Informationen liefert.
Hiermit bin ich bei zwei zentralen Dingen angelangt, die
wir tun können: zum einen zu informieren und zum anderen vor Ort zu helfen, damit jene, die Interesse haben,
in einem solchen Land zu investieren, Ansprechpartner
finden.
Wir haben auch etwas für die Auslandsmesseförderung getan. In unserer Politik haben wir eine grundlegende Überlegung platziert: Den ganz großen Unternehmen - Siemens und anderen - müssen wir eigentlich
nicht mehr helfen; sie wissen sich selbst zu helfen. Sie
sind weltweit bestens aufgestellt. Wo immer man hinkommt: Mindestens ein Vertreter der Firma Siemens ist
schon vor Ort. Wir setzen unsere Prioritäten ganz klar
auf die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, die mit ihrer Arbeit beginnen.
({1})
Wir haben noch längst nicht alle Potenziale gehoben.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, ihnen zu helfen.
Meist können kleine und mittlere Unternehmen an den
verschiedensten Ecken dieser Welt nicht gleichzeitig
vertreten sein. Sie müssen einen Treffer landen, um dann
erfolgreich arbeiten zu können. Dabei wollen und müssen wir ihnen helfen. Dies tun wir sehr erfolgreich.
Ich denke, mit dem Instrument der Hermes-Bürgschaften haben wir ganz erhebliche Erfolge erzielt.
Rund 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland werden allein über diese Absicherungsgeschäfte gesichert. Weil
das immer groß thematisiert wird, will ich hinzufügen:
99 Prozent aller Hermes-Anträge werden ohne jede Diskussion durchgeleitet. Das ist auch ganz vernünftig. Ein
großer Teil der Anträge liegt vom Antragsvolumen her
unter der ersten Schwelle von 2,5 Millionen Euro. Es
gibt nur einen sehr kleinen Teil - dieser liegt in sensiblen
Bereichen des Umweltschutzes und der Wehrtechnik -,
in dem es die bekannten Diskussionen im interministeriellen Ausschuss gibt. Mit der neuen Hermes-Deckung
„APG-light“ haben wir es geschafft, dass die Absicherungen im Ausland unbürokratischer und insbesondere
auch kostengünstiger werden. Das ist ein Schlüsselthema für all diese deutschen Unternehmen.
Mit „Invest in Germany“ haben wir ebenfalls ein gutes
Instrument an der Hand. Wir haben hier drei wichtige
und bedeutende deutsche Unternehmer gewinnen können, die für Deutschland aktiv sind, nämlich Herrn von
Pierer, Herrn Weber und Herrn Mangold. Mit einem
Schwerpunkt auf die Vermarktung innovativer Technologien aus Deutschland im Ausland haben wir eine sehr erfolgreiche Strategie begonnen. Zudem haben wir - auch
das will ich noch einmal sagen - im Bereich der Zollverfahren die ersten Schritte zur Entbürokratisierung unternommen. Das ist für jeden, der mit einem anderen Handel treiben will, wichtig.
Darüber hinaus ist für mich wichtig, dass wir eine
konsequente Marktöffnungspolitik betreiben. Wir haben im Juli unter erheblicher Einflussnahme von Minister Clement und der Bundesregierung erreicht, dass in
der Welthandelsrunde Rahmenvereinbarungen beschlosParl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
sen worden sind. Wir wollen Fortschritte in der Liberalisierung der Agrarmärkte erzielen, damit auch die Entwicklungsländer eine Möglichkeit bekommen, ihre
Produkte in stärkerem Maße auf die Märkte der hoch industrialisierten Länder zu bringen. Andererseits wollen
wir aber auch die Themen Industriezölle und Dienstleistung in verstärktem Maße in den Vordergrund rücken,
weil wir glauben, hier unsererseits noch ganz erhebliche
Potenziale entwickeln zu können, was einer weiteren
Unterstützung unserer Wirtschaft zugute käme.
Lassen Sie mich eines ganz schlicht sagen: Die Idee
des internationalen Handels beruht auf der Erkenntnis,
dass es offene Märkte und Wettbewerb gibt. Es ist klar,
dass sich die bestmögliche Allokation von Kapital und
Arbeit genau danach richtet. Deshalb dürfen wir uns
nicht zurückziehen und in die Defensive gehen, sondern
wir müssen alles dafür tun, um unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt zu stellen und weiterzuentwickeln. Dabei hilft uns die Agenda. Auch mit einer Vielzahl von verbesserten Rahmenbedingungen, die
seit 1998 in diesem Lande realisiert worden sind, sind
wir ein gewaltiges Stück vorangekommen. Daran werden wir weiter bauen.
Deshalb - das will ich zum Abschluss sagen - habe
ich gar keine Sorge, dass wir es nicht schaffen werden,
weiterhin in der Außenwirtschaft ein überaus erfolgreiches Land zu bleiben. Der Erfolg in diesem Bereich
zeigt, dass insbesondere das Schlechtreden in diesem
Lande so stichhaltig nicht sein kann, sonst hätten wir
diese Erfolge in der Welt nicht aufzuweisen.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Erich Fritz, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Holzspielzeug aus Thüringen per Internet in alle Welt,
Turbinen nach China, Industrieroboter in die Slowakei
und Autos in die USA: Deutschland ist wie nie vorher in
der Weltwirtschaft verflochten. Ich möchte deshalb zunächst allen Unternehmern und ihren Mitarbeitern danken, die mit immer neuer Energie und vielen Ideen auf
den Märkten dieser Welt unterwegs sind und die trotz aller hausgemachten Schwierigkeiten ihre Chancen nutzen
und einen wesentlichen Beitrag zu unserem Wirtschaftsergebnis leisten.
({0})
Dies zu wissen ist ebenso ermutigend, wie in diesen
Tagen die nach oben korrigierten Exportprognosen
2004 - der Staatssekretär hat es gerade angeführt - der
meisten Forschungsinstitute zu lesen. Eurostat beispielsweise rechnet mit einem Plus von 1,5 Prozent, der IWF
mit einem Plus von 1,9 Prozent. Auch die OECD hat
ihre Prognose für Deutschland von 1,1 Prozent auf
1,7 Prozent erhöht. All das klingt sehr gut.
Das Bild wird allerdings darüber getrübt, dass in deutschen Importen immer weniger deutsche Wertschöpfung
steckt. Der Anteil ausländischer Zulieferungen ist in
15 Jahren von 20 auf 40 Prozent gestiegen. Das ist zwar
im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung ein nicht
zu beklagender Vorgang, aber er macht sich natürlich an
den Arbeitsplätzen bemerkbar, die mit dem Export zusammenhängen.
Die Forschungsinstitute, zum Beispiel das IfW, sagen
aber auch voraus, dass das erneute Anziehen des Ölpreises dazu führen dürfte, dass die Konjunktur in der zweiten Hälfte dieses Jahres etwas schwächer verläuft und
sich die Zuwächse beim Export angesichts einer etwas
langsameren Gangart der Weltkonjunktur abflacht, auch
wenn auf der anderen Seite die dämpfenden Effekte aus
der Euroaufwertung nachlassen.
Der Euroaufwertung ist zu einem guten Teil der Titel „Exportweltmeister 2003“ geschuldet; Sie kennen
das. Tatsächlich sind wir wechselkursbereinigt seit Jahren „nur“ Exportvizeweltmeister. Die Exportleistung ist
gut, aber sie ist nicht so gut, wie behauptet wird. Es gibt
durchaus Veränderungen, die man ernst nehmen muss.
Eine Studie des DIHK macht deutlich, dass Deutschland
hinter die USA zurückfiele, würde man den durchschnittlichen Euro-Dollar-Kurs des Jahres 2002 zugrunde legen.
Ein besserer Indikator, die Exportperformance, bei
der das Wachstum der deutschen Exporte mit dem der
Importe der deutschen Handelspartner gemessen wird,
zeigt, dass Deutschland zwischen 1990 und 2003 ungefähr ein Siebtel seiner Weltmarktanteile am Welthandel
verloren hat. Der Welthandel insgesamt wächst. Es wird
immer schwieriger, einen entsprechenden prozentualen
Anteil zu halten, vor allen Dingen angesichts der Dynamik in einigen Bereichen.
Man könnte also meinen, es sei alles in Ordnung.
Trotzdem ist es sinnvoll, gerade auf einem Feld, auf dem
wir an einem Strang ziehen, wieder über die Frage nachzudenken: Wie kann man es noch besser machen? Es
gibt Fortschritte wie die Ausweitung des AHK-Netzes
und die Erhöhung der Mittel in der Auslandsmesseförderung von 35 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 36 Millionen Euro im Jahr 2003. Darüber freuen wir uns.
Aber die Herausforderungen sind nach wie groß und
deshalb war es sinnvoll, diesen Antrag zu stellen, meine
Damen und Herren. Es gibt eine Reihe von Einschränkungen. Beim Vergleich der Attraktivität einzelner Länder als Investitionsstandorte rutscht Deutschland von
Jahr zu Jahr ab. Inzwischen liegen wir hinter einer Reihe
von europäischen Ländern. Es gibt also zahlreiche Felder, auf denen man weiterhin aufmerksam sein muss.
Wir wissen alle, dass die beste Außenhandelsförderung natürlich eine vernünftige Reformpolitik in
Deutschland ist. Wenn man die Unternehmen von Bürokratie und von zu schwierigen Genehmigungsverfahren
entlastet, wenn man ihnen die Ertragskraft zugesteht, die
ihnen das Bewegen auf dem Weltmarkt ermöglicht,
wenn man ihnen die Flexibilität gibt, die sie brauchen,
dann ist das die beste Förderung der Außenwirtschaft.
Natürlich will ich überhaupt nicht an dem von uns gemeinsam für gut befundenen Instrumentarium der Bundesrepublik Deutschland herummäkeln. Dafür gibt es
keinen Grund. Es ist ein sehr bewährtes Instrumentarium, es ist bekannt und es wird deshalb sehr gut genutzt
im Vergleich zu vielen anderen Unterstützungsformen in
der Wirtschaftspolitik, von denen manchmal die Betroffenen oder die, die sie nutzen könnten, noch nicht einmal
wissen, dass es sie gibt.
Ziel unseres Antrages ist es, meine Damen und Herren, die Instrumente der Außenwirtschaftspolitik kontinuierlich an den Bedarf und an die Belange vor allem der
mittelständischen Wirtschaft anzupassen. Das ist angesichts der Bedeutung des mittelständischen Exportgeschäfts und der mit der Globalisierung einhergehenden
Herausforderungen sowie im Hinblick auf die neuen
Wettbewerber in China, in Russland, in den EU-Beitrittsstaaten und in den hoffentlich bald wieder aufkommenden südamerikanischen Staaten aktueller und notwendiger denn je.
Die Bemühungen, mit der Außenwirtschaftsoffensive vor allem exportorientierte Mittelständler noch stärker ins Auslandsgeschäft zu bringen, sind ein guter Ansatz, sie zeigen aber noch nicht die Wirkung, die wir
brauchen. Nach wie vor ist es für Mittelständler wesentlich schwieriger als für die großen Global Players, sich
auf dem Weltmarkt zu bewegen. Der Mittelstandsbericht
2004 des DIHK zeigt genau in diesem Bereich noch
Schwächen auf. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen
unternehmen, die Mittelständler noch stärker auf den
Weltmarkt zu bringen. Für die KMUs ist es schwieriger,
gestiegene Rohstoffpreise an ihre Kunden weiterzugeben. Auch der steigende Preisdruck durch die MOEWettbewerber muss berücksichtigt werden. Gerade entstandene Chancen werden dadurch schon wieder begrenzt und eingeschränkt. Unsere Aufgabe ist es, da die
richtigen Methoden zu finden.
Meine Damen und Herren, einige Einzelforderungen
aus unserem Antrag, bei denen sich die Bundesregierung
ein wenig schwer tut, möchte ich noch ansprechen. Angesichts der guten Ergebnisse der Hermes-Exportkreditgarantien und des erwirtschafteten Hermes-Überschusses plädieren wir dafür, das Hermes-Instrumentarium
über das von Rot-Grün eingeführte und erfreulicherweise stark angenommene APG light hinaus noch mittelstandsfreundlicher zu gestalten. Vertreter der deutschen
Wirtschaft haben Ihnen dazu mit der Einführung von
Schadensfreiheitsrabatten, der Reduzierung der Selbstbehalte und der Entgeltsenkung konstruktive Vorschläge
gemacht. Darüber müsste man einmal ernsthaft nachdenken.
Außerdem fordern wir die Regierung auf, in Brüssel
für eine Übergangsfrist für Geschäfte mit Mittel- und
Osteuropa einzutreten, falls die EU-Kommission die
Marktfähigkeit von Kreditrisiken in den EU-Beitrittsländern feststellt und damit die staatlichen Deckungen wegfallen. Eine solche Übergangsfrist ist unerlässlich, weil
die Absicherungsmöglichkeiten auf dem privaten Markt
unzureichend und aufgrund der hohen Kosten vor allem
für mittelständische Unternehmen unzugänglich sind.
Eine gerade erhobene Umfrage zeigt, dass viele Mittelständler zur privaten Absicherung noch keinen Zugang
haben. Da müssen Sie noch einmal genau hinschauen,
Herr Staatssekretär Staffelt. Das ist ein Feld, auf dem Sie
sich noch bewähren können.
Die BfAI ist wirkungsvoller geworden. Es ist ein erstaunlicher Weg mit IXPOS, den Internetangeboten und
der Ausweitung des Korrespondentennetzes zurückgelegt worden. Ich finde, da ist zur richtigen Zeit das Richtige geschehen. Aber
({1})
- natürlich „aber“, es muss doch weitergehen - was erheblich hindert, ist der Eigenfinanzierungsanteil. Mitte
der 90er-Jahre war ein Anteil von 20 Prozent angepeilt,
dann wurde die Marge auf 14 Prozent reduziert. Tatsache ist, dass dieser Anteil nicht zu erwirtschaften ist.
Viele Dinge kann man verkaufen. Aber bei den Internetzugriffen zeigt sich ganz klar, dass es zwar ein Rieseninteresse an dem Angebot gibt, aber die Leute das Interesse verlieren, sobald sie Gebühren entrichten sollen.
Das ist nicht verwunderlich. Information ist kein Gut,
das man sich vorher anschaut. Information muss man
kaufen, ohne zu wissen, was man bekommt. Also gehen
viele nicht weiter. Wir könnten einen wesentlichen Beitrag gerade für die ganz kleinen Unternehmen leisten,
wenn wir den Eigenfinanzierungsanteil senken und die
Internetangebote für Abonnenten frei zugänglich machen würden. Unsere Konkurrenten in Europa machen
dies übrigens schon. Die Briten, die Niederländer, die
Franzosen und die Österreicher haben das umgestellt.
Darüber sollten wir nachdenken.
Bei der Auslandsmesseförderung sollten wir prüfen,
ob Großereignisse wirklich die sinnvollste Präsentation
sind und ob nicht eine noch stärkere Konzentration auf
den Mittelstand sinnvoll ist.
({2})
- Das ist in Ordnung. - Man sollte fragen, ob man dort,
wo heute noch künstliche Grenzen wie zum Beispiel die
Mindestbeteiligung existieren, flexibler werden kann.
Außerdem müssen wir gemeinsam aufpassen, dass nicht
eine weitere Abschmelzung des Haushaltstitels erfolgt.
Denn das ist für die kleinen und mittleren Unternehmen
eines der Hauptinstrumente, um den Fuß in einen neuen
Markt zu bekommen.
Wir würden sehr gerne die Anlaufstellen des Wirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes zusammenführen. Es war gut, dass seinerzeit beim Auswärtigen Amt eine Anlaufstelle für politische Flankierung
eingerichtet worden ist. Später kam das Gleiche im Wirtschaftsministerium. Diese Entwicklung war logisch;
denn der Unternehmer wendet sich zuerst an das Wirtschaftsministerium, bevor er ins Außenministerium geht.
Das Außenministerium hat die Weisungsbefugnis. Ist es
nicht möglich, eine Serviceeinrichtung beider MinisteErich G. Fritz
rien einzurichten, die dem Unternehmen eine solche
Dienstleistung aus einer Hand anbietet?
Außerdem gibt es eine Reihe von Beschwerden von
der mittelständischen Wirtschaft, dass die politische
Flankierung wieder schwächer geworden ist. Das ist
kein Vorwurf an das BMWA. Es heißt, der Bundesaußenminister interessiere sich nicht für Wirtschaftsfragen.
({3})
Der Schwerpunkt, der vor ihm gelegt worden sei, existiere nicht mehr und man stehe wieder vor verschlossenen Türen. Herr Kuhn, seien Sie so freundlich und sprechen Sie ein Wort mit dem Außenminister, damit er
wieder ein klares Wort im Hause sagt. Unsere Standortwerbung ist nicht gut. Sie ist nicht aus einem Guss, sie
ist undifferenziert und es gibt eine Konkurrenz zwischen
Bund und Ländern. Es ist nicht so einfach, aber man
muss versuchen, eine Lösung zu finden. Dazu gehört
auch, zu prüfen, ob man die Invest in Germany GmbH
und das IIC zusammenlegen kann. Ich habe in einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses von Herrn Schlauch
gehört, dass man daran denkt. Jetzt ist es aber für einige
Jahre festgeschrieben. Man sollte die Sache nicht aus
den Augen verlieren.
Die Agentur unseres westlichen Nachbarn Invest in
France - sie gibt es noch nicht so lange - gibt inzwischen das Dreifache der Summe aus, die wir für Standortwerbung ausgeben. Dieser Bereich ist also noch etwas
unterbelichtet. Ich finde es gut, dass es jetzt Personen
gibt, die sich dafür im Rahmen von 1-Dollar-Jobs engagieren. Das war früher eine interessante Sache. Da können Potenziale mobilisiert werden, ohne dass Kosten anfallen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir an
den organisatorischen Strukturen arbeiten.
Erfolg in der Außenwirtschaft muss jeden Tag aufs
Neue errungen und verteidigt werden. Die Wettbewerber
in dieser Welt schlafen nicht. Die Probleme bei der Rohstoff- und Energiefrage und bei den Liberalisierungsbemühungen im Rahmen der WTO verlangen, dass wir alles tun, um vor allem unsere mittelständische Wirtschaft
auf den Märkten gut zu platzieren. Deshalb ist es wichtig, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Außenwirtschaftsförderung effektiver zu gestalten und dem
Mittelstand den Zugang zu den Auslandsmärkten zu erleichtern.
Auch wenn Sie diesen Antrag jetzt ablehnen, seien
Sie so freundlich, sich weiter mit diesen Vorschlägen zu
beschäftigen. Denn wir wollen gemeinsam das Instrumentarium verbessern.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Breite des Themas, die in dem
Antrag der CDU/CSU und in der Stellungnahme der
Bundesregierung zum Ausdruck kommt, ist meines Erachtens festzustellen, dass wir hinsichtlich der deutschen
Außenwirtschaftsförderung und ihrer Erfolge gut dastehen. Ich denke, dass Sie das genauso sehen, Herr Fritz.
Das wird auch aus Ihren Ausführungen deutlich.
Die Außenwirtschaftsoffensive „Weltweit aktiv“ der
Bundesregierung ist gut, wird von uns unterstützt und
trägt bereits Früchte. Sie haben im Zusammenhang mit
Informationen über mögliche Auslandsengagements
mittelständischer Firmen die gute Arbeit der BfAI insbesondere für den Mittelstand angesprochen. Ich bin sehr
zufrieden damit; denn es wurden eindeutig Verbesserungen erzielt.
Ich möchte an dieser Stelle etwas zu dem Beitrag anmerken, den diejenigen entrichten müssen, die dort
Informationen abrufen. Ich halte diese Regelung für
gut;
({0})
denn bei uns im Schwäbischen gibt es den guten alten
Spruch „Was nichts kostet, taugt nichts“. Der für die Informationen zu zahlende Betrag hat viele veranlasst, sich
genau zu überlegen, ob sie ihnen das wert sind. Das hat
sicherlich die Wertschätzung erhöht und zu einer besseren Nutzung der Informationen geführt. Insofern halte
ich den Einwand, es wäre viel besser, die Informationen
kostenlos zur Verfügung zu stellen, für zu kurz gesprungen; es hilft in der Sache nicht weiter.
Die Exportzahlen sprechen für sich. Die derzeit bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind auch nicht
auf den Export zurückzuführen, sondern haben sich aus
dem Binnenmarkt ergeben. Notwendig ist eine Verstetigung des Exports. Dazu ist im Zusammenhang mit dem
Thema Innovation bereits alles Wichtige gesagt worden.
Auch bei den deutschen Direktinvestitionen im Ausland stehen wir nicht schlecht da. Ich will Ihnen die Entwicklung über einen längeren Zeitraum anhand der Zahlen darstellen; denn meines Erachtens operieren Sie
immer wieder mit falschen Zahlen. 1996 wurden Direktinvestitionen in einem Umfang von 4,94 Milliarden Euro
getätigt, Herr Fritz. 1997 waren es 10,61 Milliarden
Euro, 1998 - in diesem Jahr haben wir die Regierung
übernommen - 22,19 Milliarden Euro, 1999 52 Milliarden Euro - dieser starke Anstieg ist auf den Technologieboom zurückzuführen - und im Jahr 2000 waren es
215 Milliarden Euro.
({1})
In dem Jahr hat sich die Übernahme von Mannesmann
durch Vodafone ausgewirkt. Das muss berücksichtig
werden, weil sich die Summe dadurch entsprechend erhöht hat. Dann kam es zum Crash, als die Dotcom-Blase
geplatzt ist. Das hat neben steuerlichen Auswirkungen
zu einem Rückgang der Investitionen geführt. 2001
betrug die Summe der Direktinvestitionen 23 Milliarden
Euro, 2002 38 Milliarden Euro. Im Krisenjahr 2003 war
die Summe der Direktinvestitionen mit 11,4 Milliarden
Euro immer noch höher als in Ihrer Regierungszeit in
den 90er-Jahren.
({2})
Die Tendenz ist derzeit steigend. Insofern besteht kein
Anlass zu Kritik und Skepsis.
Sie haben Recht: Eine Initiative wie „Invest in Germany“ ist notwendig und gut. Eine solche Initiative
wird man angehen müssen. Aber ich möchte zum
Schluss dieser kurzen Rede eines festhalten: Wenn ich in
London, in den USA oder wo auch immer mit Vertretern
der Wirtschaft über Standorte und Ähnliches spreche,
dann stelle ich immer wieder fest, dass Deutschland als
guter Standort betrachtet wird. Im Verlaufe eines Gesprächs werde ich oft gefragt, was eigentlich bei uns los
sei. Sie hörten von deutschen Politikern - sie geraten
wohl oft an Vertreter der CDU bzw. CSU -, dass in
Deutschland alles so schrecklich sei. Meine Gesprächspartner haben mir gegenüber festgestellt, es gebe kein
anderes Land, in dem die eigene Lage so miesgeredet
wird, wie es in Deutschland in dem von Ihnen angefeuerten Diskurs der Fall ist.
({3})
Insofern will ich Ihnen zum Schluss eine ernsthafte
Empfehlung für die Initiative „Invest in Germany“ geben. Das Beste, das Sie persönlich für die Förderung der
Außenwirtschaft und der Direktinvestition tun können,
ist, unser Land, den Kanzler, die Agenda 2010 und die
deutsche soziale Marktwirtschaft zu loben.
({4})
Erwähnen Sie aber nicht die Namen „Angela Merkel“
und „Guido Westerwelle“.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
({0})
Sowieso. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Lieber Herr Kuhn, zu loben ist unsere deutsche Wirtschaft, die sich trotz des Fehlens passender Rahmenbedingungen redlich müht, Geschäfte zu
machen und am Markt präsent zu bleiben. Das ist gerade
für mittelständische Unternehmen eine riesengroße Aufgabe. Herr Kuhn, Sie sollten hier nicht so dick auftragen;
denn Sie haben allen Grund, Ihre Leistungen selbstkritisch zu hinterfragen.
({0})
Keine Frage, die Außenwirtschaftsförderung ist angesichts ihrer Bedeutung sowohl für das internationale als
auch für das deutsche Wirtschaftsgefüge eine Schlagader. Herr Staatssekretär Staffelt, es ist zwar richtig, dass
auf diesem Gebiet sehr viel Positives geschehen ist.
Aber es ist sicherlich auch für Sie keine unüberwindbare
Hürde, einzuräumen, dass die Außenwirtschaftsförderung effizienter und unbürokratischer gestaltet werden
kann. Zumindest das muss doch möglich sein. Damit hat
der Kollege Fritz völlig Recht.
Ich sage Ihnen im Namen der FDP-Bundestagsfraktion, dass der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion sehr gut ist; denn in ihm wird die tatsächliche Lage
sehr kritisch beschrieben. Kleine und mittelgroße Unternehmen haben es wirklich sehr schwer, sich international
aufzustellen. Deshalb fordern wir nicht mehr Mittel
- wir wissen ja, dass das bei der momentanen Finanzlage
schwierig ist -, sondern, die Effizienz des Mitteleinsatzes zu verbessern. Wir sollten den Firmen zum Beispiel
im Rahmen der Auslandsmesseförderung mehr helfen.
Hier gibt es noch eine Menge zu tun; denn die Transaktionskosten eines Auslandsengagements stellen nach wie
vor sehr hohe Hürden für die kleinen und mittelgroßen
Unternehmen dar.
Ich bitte Sie, noch einen anderen Punkt zu überdenken. Die Vertreter der freien Berufe gehören bislang
nicht zum Förderkreis. Ich finde, angesichts der Tatsache, dass international auch Dienstleistungen unter die
Exportförderung fallen, müssen die freien Berufe ebenfalls berücksichtigt werden.
Zum Thema Effizienzsteigerung: Herr Staffelt, die
Außenwirtschaftsförderung ist derzeit in verschiedenen
Ressorts angesiedelt. Auch hier können wir mehr Potenzial heben und effizienter arbeiten. Das hat der Kollege
Fritz eben ganz klar herausgestellt. Für uns ist das Nebeneinander verschiedener Akteure störend. Hier gibt es
eine Menge zu tun. Wir müssen für eine Angleichung
der Förderinstrumente und für Entbürokratisierung sorgen. Wir müssen vor allen Dingen den kleinen und mittelgroßen Unternehmen eine faire Chance geben, sich
nicht nur europäisch - das machen sie schon häufig -,
sondern auch international aufzustellen. Diese Unternehmen sollten sich mehr zutrauen.
Ich bitte Sie daher, den Antrag der CDU/CSU positiv
zu bescheiden.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/3269 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Neustrukturierung der Außenwirtschaftsförderung als Beitrag zur Schaffung von
Wachstum und Beschäftigung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/746 abzulehnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Organisationsreform in der gesetzlichen
Rentenversicherung ({0})
- Drucksache 15/3654 ({1})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
- Drucksachen 15/3824, 15/3866 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/3836 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Dr. Michael Luther
Anja Hajduk
Otto Fricke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster
der Kollege Peter Dreßen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das schon vier Wahlperioden im Gespräch war, dessen Verabschiedung aufgrund
unterschiedlicher Meinungen bei Bund und Ländern
aber immer wieder gescheitert ist oder hinausgezögert
wurde. Wir haben heute einen guten Tag; denn heute
werden - wenn ich das richtig sehe - alle Fraktionen in
diesem Hause dem Rentenversicherungsorganisationsgesetz zustimmen.
Man fragt sich natürlich: Wer sind eigentlich die Gewinner dieses Gesetzes? Das sind in erster Linie die
Versicherten; denn durch dieses Gesetz werden die Verwaltungskosten innerhalb von fünf Jahren um rund
350 Millionen Euro gesenkt. Darüber hinaus haben die
Versicherten Grund, sich darüber zu freuen, dass Auskunft und Beratung zukünftig sehr dezentral, nämlich in
jeder mittelgroßen und in jeder größeren Stadt, möglich
sein werden.
Hinzu kommt, dass die Entscheidungswege viel kürzer
sein werden: Unter dem Dach der Deutschen Rentenversicherung werden sich zukünftig alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wiederfinden. Die Versicherten müssen also nicht, wie bisher, erst einmal klären,
wer für sie wann und wo zuständig ist. Sie wenden sich
vielmehr an die Deutsche Rentenversicherung, egal ob
sie bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, bei einem der Regionalträger oder bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See versichert sind.
Gewinner sind auch die Länder und damit die
Beschäftigten bei den diversen Rentenversicherern;
denn die Arbeitsplätze bleiben zum größten Teil an ihren
Standorten erhalten. Wir haben in der Vergangenheit bestimmte Auszehrungen erlebt, weil es in diesem Land
immer mehr Angestellte gab. Dieses Gesetz sieht eine
Aufschlüsselung der Versicherten vor: 55 Prozent bei
den Regionalträgern, 40 Prozent bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und 5 Prozent bei der Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See.
Ich hoffe - das gebe ich zu -, dass, insbesondere in
Bayern, weitere Fusionen stattfinden werden. Dabei
könnte das Modell in Baden-Württemberg Pate stehen;
denn dort wurde der größte Teil der Arbeitsplätze durch
den Zusammenschluss von LVA Baden und LVA Württemberg in Karlsruhe und Stuttgart erhalten. Allerdings
wurden in den Führungsetagen Mittel eingespart. In der
einen oder anderen Ecke dort knistert es jedoch noch.
Auch haben wir die große Hoffnung, dass die angedachten Fusionen im Norden unserer Republik Wirklichkeit werden und sich nicht als Fata Morgana erweisen.
Die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofs können sich
zumindest teilweise zu den Gewinnern zählen; denn ihr
Mindestziel von 10 Prozent Einsparungen werden wir
erreichen.
Wenn wir den Vorschlägen des Bundesrechnungshofes nun doch nicht zu 100 Prozent folgen - er hatte vorgeschlagen, dieses Ziel in kürzerer Zeit zu erreichen; die
10 Prozent waren nur die Untergrenze des Einsparpotenzials -, so hat dies im Wesentlichen soziale Gründe: Bei
einer kürzeren Umsetzungsphase wären betriebsbedingte
Kündigungen nicht zu vermeiden gewesen. So gehen wir
davon aus, dass das Ziel durch normale Fluktuationen
und Übergänge in die Altersrente erreicht wird. Damit
hat Rot-Grün ein Beispiel dafür gegeben, wie es möglich
ist, soziale Verantwortung und ökonomische Notwendigkeiten unter einen Hut zu bringen.
({0})
Ein weiterer Gewinner in dieser Angelegenheit ist der
Wettbewerb. Durch das Benchmarking der verschiedenen Rentenversicherungsträger auf Ebene des Bundes
und der Länder wird es zu einem Wettstreit über kostengünstige Lösungen kommen.
Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass es noch
Möglichkeiten für Einsparungen gibt. Ich nenne als Beispiel die Abkommensfälle. Dabei handelt es sich um
ausländische Arbeitnehmer, zum Beispiel aus Italien, die
teilweise in Deutschland gearbeitet haben und Rentenansprüche bei uns und in Italien erworben haben. Die
LVA Schwaben betreut als Verbindungsstelle 92,6 Prozent dieser italienischen Arbeitnehmer. Gleichzeitig gehören von ihnen, was die gesetzliche Rentenversicherung angeht, nur 5,3 Prozent der BfA und 2 Prozent der
Knappschaft an. Angesichts dessen kann man sich schon
die Frage stellen, ob der Regionalträger Schwaben der
Deutschen Rentenversicherung in Zukunft nicht alle
Versicherten aus Italien betreuen sollte. Man würde dadurch sicherlich die eine oder andere Million sparen.
Dieses Gesetzesvorhaben hat eine intensive Beratung erfahren. Das strucksche Wort, dass kein Gesetz so
verabschiedet wird, wie es in den Bundestag eingebracht
worden ist, trifft auf dieses Gesetz voll und ganz zu.
({1})
So hat Rot-Grün in den Beratungen erkannt, dass der
vorgesehene Genehmigungsvorbehalt das bisherige Beanstandungsrecht nicht ersetzen sollte.
({2})
Wir sind damit einem Wunsch der Rentenversicherungsträger, aber auch des Bundesrates entgegengekommen.
Ausgenommen davon bleibt die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, weil der Bund hier in
der Defizithaftung steht.
Die Selbstverwaltung muss jedoch wissen, dass sie
auch Verantwortung übernommen hat.
({3})
Wir werden sehr genau darauf achten, ob das vorgegebene Einsparziel erreicht wird. Dem dient auch der Änderungsantrag Nr. 9, mit dem wir in § 220 Abs. 3
SGB VI diesen Wunsch verfestigen. Die Regelung eines
weiteren Änderungsantrages, den wir beschlossen haben, kommt wiederum den Versicherten zugute, denn die
Deutsche Rentenversicherung Bund wird in Zukunft regelmäßig Informationen zu Fragen der Alterssicherung
einschließlich der Rehabilitation herausgeben. Dies führt
zu einer verbesserten Aufklärung aller Versicherten und
damit auch zu einer Erhöhung der Akzeptanz der Deutschen Rentenversicherung.
({4})
Auch haben wir in der Deutschen Rentenversicherung
Bund bei den Kompetenzabgrenzungen zwischen dem erweiterten Direktorium und den Fachausschüssen Änderungen vorgenommen, die die Arbeit der Selbstverwaltung in Zukunft erleichtern werden. Ein weiterer
Änderungsantrag stellt klar, dass auch die Personalvertretungen aus den verschiedenen Bereichen in der Übergangsphase zusammenarbeiten müssen.
Abschließend möchte ich mich insbesondere bei der
Ministerin Ulla Schmidt, dem Staatssekretär Heinrich
Tiemann und der Ministerialrätin Frau Freund bedanken,
die hier eine entsprechend gute Vorarbeit geleistet haben.
({5})
- Selbstverständlich geht mein Dank auch an Staatssekretär Thönnes, aber bei Heinrich Tiemann ist ja das
Ganze zusammengelaufen.
Rot-Grün hat hiermit gezeigt, dass auch ein schwieriger Sachverhalt kompetent und zur Zufriedenheit aller
gelöst werden kann. Dabei möchte ich mich - ausnahmsweise einmal - auch bei der Opposition für die konstruktive Mitarbeit herzlich bedanken.
({6})
Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Einig mit Herrn Dreßen zu sein ist
ein seltener Genuss.
({0})
Die Neuorganisation der Rentenversicherung ist ein
großer Schritt. Der Begriff „historische Entscheidung“
wird oft inflationär gebraucht, manchmal sogar hochstaplerisch. Die Neuorganisation der Rentenversicherung
verdient aber das Prädikat „historische Weichenstellung“. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, begrüßen
und unterstützen diese historische Weichenstellung.
({1})
Keine Trennung mehr zwischen den Rentenversicherungen für Arbeiter und für Angestellte; von jetzt an sind
sie zusammengefasst in der gemeinsamen Arbeitnehmerrentenversicherung. Keine Zersplitterung, aber auch
keine bürokratische Zentralisierung; eine gegliederte,
bürgernahe Rentenversicherung, aber ein organisatorisches Dach, eine starke gemeinsame Stimme. Keine Zerschlagung - das ist ganz wichtig, da war manches in Gefahr - leistungsfähiger Verwaltungen, vielmehr Straffung
der Organisationsstruktur im Ganzen.
Auch wenn wir uns einerseits gewünscht hätten, dass
diese Weichenstellungen früher vorgenommen worden
wären, so war es andererseits doch richtig, sie sorgfältig
vorzubereiten; denn unsere gesetzliche Rentenversicherung braucht Verlässlichkeit und Vertrauen. Sie muss
von Berechenbarkeit geprägt sein. Deshalb darf man
Entscheidungen über die Organisationsstruktur nicht
übers Knie brechen. Im Ganzen also ein gelungener
Wurf, ein gelungener Kompromiss. Die gesetzliche Rentenversicherung bekommt ein neues, tragfähiges Fundament, das mehr Effizienz, mehr Effektivität und bessere
Servicequalität gewährleistet.
Die neue Rentenorganisation ist ein Konsens der Vernunft. Insoweit hat Herr Dreßen Recht: Sie ist eine große
Gerald Weiß ({2})
Gemeinschaftsleistung. Viele haben an dieser Gemeinschaftsleistung Anteil: die Bundesregierung, die Länderregierungen, gerade die von CDU und CSU getragenen,
die Opposition im Bundestag, die Koalition im Bundestag. Aber nehmen wir uns doch bescheiden ein bisschen
zurück. Der mit Abstand größte Beitrag kam aus der
Selbstverwaltung, die in diesem Punkt Mut und Gestaltungskraft bewiesen hat
({3})
und die unseren Dank und unseren Respekt verdient.
({4})
Ohne den Kraftakt der Selbstverwaltung - da hat einiges
seine Zeit gebraucht - gäbe es, Kollege Dreßen - deshalb meine ich, Sie haben mit dem Lob an der falschen
Stelle angefangen -, heute keinen Gesetzesakt.
Wir tragen diese Reform mit.
({5})
Bei allen Reformerfordernissen, auch im Leistungsrecht,
bei aller Notwendigkeit, stärker als bisher ergänzend betrieblich und privat vorzusorgen, gilt für uns: Ohne eine
starke erste Säule der Alterssicherung, umlagefinanziert
und solidarisch organisiert, kommen wir auch in Zukunft
nicht aus.
Im Übrigen kann jeder, der eine bessere Vernunftgemeinschaft der Parteien und in der Gesellschaft wünscht,
heute feststellen - insoweit ist es ein guter Tag -: Ihr
habt zwar ein bisschen lange gebraucht; aber am Ende ist
gute Arbeit dabei herausgekommen.
Gerade weil wir eine starke gesetzliche Rentenversicherung wollen, müssen wir sie modernisieren. Das beginnt damit, dass wir den alten Hut der Unterscheidung
zwischen Arbeitern und Angestellten auch in der Organisationsstruktur der Rentenversicherung als nicht
mehr zeitgemäß über Bord werfen.
({6})
Das Arbeitsrecht hat diese Aufspaltung längst überwunden. Bei den Kündigungsfristen und in vielen Tarifverträgen hat man sich von ihr verabschiedet; jetzt geschieht das auch in der Rentenversicherung.
Handlungsbedarf bestand auch, weil der Anteil der
Arbeiter an den Beschäftigten stetig zurückgeht. Durch
den Wandel der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft steigt der Anteil der Angestellten ständig. Es kann
nicht angehen, dass dem einen Träger die Versicherten
ausgehen, während zugleich der Bundesträger einen immer größeren Anteil des Versichertenkuchens schultern
muss.
Richtig ist auch, dass durch den Zusammenschluss
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des
Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zur
Deutschen Rentenversicherung Bund Grundsatz- und
Querschnittsaufgaben mit verbindlicher Entscheidungskompetenz gegenüber den Trägern gebündelt werden.
Wir brauchen eine Institution, die zugleich Thinktank ist
und die die Rentenversicherung wirksam nach außen,
auch gegenüber der Politik, mit starker Stimme vertritt.
Bei aller Notwendigkeit einer starken Zentrale und einer schlagkräftigen Vertretung nach außen durften wir
gerade keinen zentralistischen, bürokratischen Moloch
und keine Monopolstruktur schaffen. Der Kompromiss,
der gefunden wurde, verhindert dies.
Alles in allem ist eine Reform herausgekommen, die
dem Strukturwandel Rechnung trägt. Das Subsidiaritätsprinzip wurde ernst genommen, das dezentrale Element ist unverkennbar und die Selbstverwaltungskörperschaften haben eine starke Stellung.
Leider ist die starke Stellung der Selbstverwaltung
keine Selbstverständlichkeit gewesen. Es hat einiger Anstrengungen bedurft, um sie im Gesetzgebungsverfahren
zu sichern, Herr Kollege Dreßen. Denn die rot-grüne
Koalition hatte einen Frontalangriff auf die Selbstverwaltung vor,
({7})
- auch Unangenehmes muss gesagt werden -, als sie bekanntlich einen Genehmigungsvorbehalt für die Haushalte der Rentenversicherungsträger einführen wollte.
Eine gespenstische Vorstellung: Die Rentenversicherung
am Gängelband von Hans Eichel.
({8})
Das wäre absurd gewesen. Sie sind jetzt auf den Pfad der
Tugend zurückgekehrt
({9})
und haben von Ihrer abstrusen Vorstellung Abschied genommen. Es wäre auch ein Stück aus dem Tollhaus gewesen.
Die große Verantwortlichkeit, die die Selbstverwaltung gerade dieses Zweiges der Sozialversicherung unter
Beweis gestellt hat, sozusagen mit staatlich organisiertem Misstrauen zu vergelten, wäre völlig inakzeptabel
gewesen. Wir können den Selbstverwaltungskörperschaften zutrauen, dass sie mit den Beitragsmitteln der
Versicherten ordentlich umgehen. Es sind die Mittel der
Solidargemeinschaft, also die Mittel derer, die von der
Selbstverwaltung vertreten werden. Wir wollen keine
staatliche Einheitsversicherung.
Die Reform soll die Zukunft der Rentenversicherung
sichern helfen. Sie soll auch ein Stück mehr Versichertennähe und bessere Serviceorientierung schaffen. Herr
Kollege Dreßen, auch das müssen wir erwarten: Mit dieser Reform sollen die Verwaltungs- und Verfahrenskosten in den ersten fünf Jahren - so ist es
quantifiziert - um 10 Prozent gesenkt werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die neue Organisationsform in der gesetzlichen Rentenversicherung
liegt in unserer gemeinsamen politischen Verantwortung. Die aktuelle materielle Rentenpolitik aber ist in
Gerald Weiß ({10})
diese gemeinsame Verantwortung natürlich nicht mit
eingeschlossen. Für den rentenpolitischen Murks, für die
Achterbahnfahrt, die Rot-Grün hier zu verantworten hat,
tragen wir zu keiner Sekunde Verantwortung.
({11})
- Frau Scheel, es muss schon klargestellt werden: Die
Nullrunden für die Rentnerinnen und Rentner hat RotGrün allein zu verantworten. Dass die Rentner ihre Pflegeversicherungsbeiträge allein zahlen müssen, hat RotGrün allein zu verantworten. Das sich daraus ergebende
Minus im Geldbeutel der Rentner hat Rot-Grün allein zu
verantworten. Das Aussetzen des demographischen
Faktors - der Bundeskanzler hat inzwischen eingeräumt,
dass dies ein Irrtum gewesen ist; in Wirklichkeit war es
eine vorsätzliche Irreführung, was man an den deutschlandweit aufgehängten Plakaten erkennen konnte -,
({12})
die Einführung des Riester-Faktors und das Draufsatteln
des Nachhaltigkeitsfaktors sind keine konsistente Politik. Dieser Murks liegt nicht in unserer Verantwortung.
Sie haben drastische Rentenkürzungen beschlossen,
ohne die Rahmenbedingungen für ergänzende betriebliche und private Vorsorge hinreichend zu verbessern. Die
Riester-Rente floppt. Sie konnten sich auch nicht dazu
durchringen, die Entgeltumwandlungsmöglichkeit über
2008 hinaus bestehen zu lassen.
({13})
- Das mache ich zu anderer Stunde gern. - Die kapitalgestützte Vorsorge ist nicht hinreichend gestärkt. Der
Zweigenerationenvertrag ist unseligerweise nicht zu einem Dreigenerationenvertrag mit stärkerer Anerkennung
der Erziehungsleistung ausgestaltet worden.
Sie mögen unseren guten Willen in der Rentenpolitik
daran erkennen, dass wir an dieser entscheidenden Stelle
mitwirken. Es könnte auch ein Stück rentenpolitischer
Neuanfang sein. Sichern Sie mit uns gemeinsam die Zukunft unserer gesetzlichen Rente!
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Weiß, jetzt dachte ich glatt, ich könnte einer
Rede von Ihnen Beifall zollen. Aber leider mussten Sie
dann am Schluss doch noch aufs Blech hauen. Also sage
ich kurz in Ihre Richtung: Wer noch vor kurzem die Rentenversicherungsbeiträge für die nächsten Jahrzehnte auf
20 Prozent festschreiben wollte, sollte sich in Sachen
Rentner und Rentenhöhe mäßigen. Wäre das nämlich erfolgt, wären die Renten heute niedriger, als sie es unter
unserer Regierung sind.
({0})
Jetzt komme ich zur Organisationsreform,
({1})
über die wir uns hier im Hause - das ist auch gut so - einig sind. Die Reform führt auch aus grüner Sicht zu
mehr Wirtschaftlichkeit, Effektivität und Bürgernähe der
Rentenversicherung. Die Landesversicherungsanstalten erhalten stabile Rahmenbedingungen für ihre Arbeit.
Es ist gut, dass die Versicherten nicht mehr wie bisher in
Arbeiter und Angestellte gespalten werden, sondern dass
wir einen einheitlichen Versichertenbegriff haben. Dem
Bund werden 45 Prozent der Versicherten und den Regionalträgern 55 Prozent zugeordnet. Die Zahl der Bundesträger wird halbiert; weitere Zusammenschlüsse der Regionalträger sind geplant. Ich hoffe, sie werden auch
kommen.
BfA und VDR werden zu einem Träger vereinigt, der
wichtige Grundsatz- und Querschnittsaufgaben verbindlich entscheiden kann. Das erleichtert die Koordination
und beseitigt Mehrarbeit. Ein Vorteil der Reform ist
auch, dass die Finanzbeziehungen zwischen den Arbeitgebern und den Einzugsstellen sowie unter den Trägern
selbst optimiert werden. Die tatsächlichen Zahlungsströme werden auf ein Minimum reduziert. Für die
Beschäftigten - Kollege Dreßen hat es hervorgehoben wird der Übergang sozialverträglich vollzogen.
Im Mittelpunkt wird in Zukunft der Wettbewerb der
Träger stehen. Durch einen kontinuierlichen und systematischen Vergleich werden die Strukturen und Prozesse
nach dem Prinzip des Lernens von den Besten optimiert.
Der Gesetzentwurf wurde im Verfahren verändert.
Zwei Punkte sind am wichtigsten: Die Koalition hat sich
darauf verständigt, die Selbstverwaltung zu stärken. In
dieser Hinsicht wurde der Gesetzentwurf überarbeitet.
Zum einen haben wir Kritik am Entscheidungsverfahren
aufgegriffen; die Selbstverwaltung erhält nun ein Initiativrecht. Zum anderen werden die Rentenversicherungsträger - das war Ihnen, Herr Kollege Weiß, besonders
wichtig - ihre Haushalte auch in Zukunft ohne Genehmigung der Behörden erstellen können. Wichtig ist aber,
dass wir als Alternative eine Zielvorgabe für die Senkung der Verwaltungs- und Verfahrenskosten eingeführt
haben.
Wir sind uns einig, dass die Kosten der Rentenversicherungsträger weiter gesenkt werden können und gesenkt werden müssen. Der nun gewählte Ansatz stärkt
den Wettbewerb und das wird von der Fraktion der Grünen ausdrücklich unterstützt.
Jedoch sind die Träger gefordert, ihre Strukturen und
Verfahren fortlaufend zu verbessern sowie wirtschaftlicher und effektiver zu arbeiten. Dies setzt voraus, dass
geeignete Kriterien und Instrumente entwickelt werden,
die einen Leistungs- und Qualitätsvergleich innerhalb
der gesamten Rentenversicherung ermöglichen.
Zum guten Schluss sage ich: Was lange währt, wird
endlich gut. Jetzt brauchen wir noch eine gute Umsetzung.
Danke schön.
({2})
Letzter Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heute zu beschließende Organisationsreform wird
von einer breiten Mehrheit dieses Hauses - die FDP gehört dazu - getragen. - Das ist die gute Nachricht.
Die Wahrheit ist aber: Der Preis für diesen Konsens ist
die Beschränkung auf eine Minimalreform. Sie ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Herr Dreßen, Sie
haben es gesagt: In den nächsten fünf Jahren und dann
auf Dauer sollen jährlich 10 Prozent der Verwaltungskosten - das sind immerhin rund 350 Millionen Euro - eingespart werden. Nach Ansicht des Bundesrechnungshofes, vorgetragen in unserem Ausschuss, wäre aber eine
Einsparung von 30 Prozent bei einer entschlosseneren
und einschneidenderen Reform ohne weiteres möglich
gewesen. Aber Maximalreformen scheinen nicht die Art
und Weise zu sein, wie in Deutschland - zumal unter einer rot-grünen Regierung - Veränderungen durchgeführt
werden.
Wir verbinden unsere Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf deswegen heute mit der klaren Aussage: Das kann nicht alles gewesen sein; dieser Reform
werden weitere Schritte folgen müssen.
({0})
Voraussetzung für unsere Zustimmung war auch, dass
es den Sachverständigen und der Opposition gelungen
ist, zu erreichen, dass zwischenzeitlich zu beobachtende
Irrwege typisch sozialdemokratischer Machart, hinsichtlich der Haushaltsbeschlüsse eine Pflicht zur Genehmigung durch die staatlichen Stellen herbeizuführen, abgewendet werden konnten.
Dass Sie so etwas immer wieder versuchen, zeugt von
einem staatszentrierten Denken bei Ihnen. Die Bedeutung von Anreizstrukturen für eine erfolgreiche Gesetzgebung wird weithin missachtet. Das ist leider kein Einzelfall.
Als besondere Schwäche dieser Reform möchte ich
ferner benennen, dass auch nach der Reform § 127 a
SGB VI fortbestehen wird, der die eigentlich aus Gründen der Kostensenkung erwünschten und notwendigen
Fusionen zwischen den Landesträgern behindert,
({1})
weil er eine Genehmigung der Landesaufsichtsbehörden
bei Fusionsvorhaben fordert. Damit bleibt - man muss
es so nüchtern sehen - Regionalinteressen weiterhin Tür
und Tor geöffnet.
({2})
Es ist ein Widerspruch, wenn man auf der einen Seite die
Selbstverwaltung auffordert, die Kosten zu senken, die
Länder aber aus strukturpolitischen Gründen die Rationalisierung der Aufgabenwahrnehmung behindern können. Warum ist es eigentlich nicht möglich, diese Regelung aufzuheben?
({3})
Es ist aus unserer Sicht ebenfalls nicht nachzuvollziehen, warum den Selbstverwaltungsorganen eine bestimmte Gremiengröße vorgeschrieben wird, statt gesetzliche Anreize zur Verringerung der Zahl der Sitze
etwa in den Vertreterversammlungen zu geben. Typisch
für eine von den Trägern weitgehend selbst entworfene
Reform ist schließlich, dass im Zentrum der Reformbemühungen vor allem verwaltungsinterne, organisatorische Überlegungen stehen; Aspekte der Qualität des
Systems für den Bürger, für den Versicherten treten demgegenüber deutlich erkennbar zurück. Gerade deswegen
ist die Zuteilung der Versicherten nach Quoten, nach einem Zufallsverfahren - auch Sie, Herr Dreßen, haben
ein Beispiel angesprochen - im Sinne der Betroffenen.
Es wird eine qualitativ bessere und von den Kosten her
günstigere Betreuung nicht dadurch gewährleistet, dass
eine Konzentration von bestimmten Versichertengruppen an einem Ort stattfindet. Ich nenne hier auch noch
ergänzend das Handwerk und die freien Berufe.
Trotz aller Mängel des Gesetzentwurfs wird die FDPBundestagsfraktion der Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung zustimmen. Denn neben
den Problemen, die ich aufgezählt habe und die bestehen
bleiben, werden doch auch einige Probleme gelöst, die
die Rentenversicherung bisher unnötig belasteten. Frei
nach Sepp Herberger gilt in der Rentengesetzgebung
aber unverändert weiter: Nach der Reform ist vor der
Reform.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Drucksache 15/3654. Der Ausschuss für
Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen; das sind die Drucksachen 15/3824 und 15/3866. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf:
24 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Julia Klöckner,
Peter H. Carstensen ({1}), Albert Deß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Arznei-
mittelgesetzes für Tierärzte und Landwirte
praxisgerecht und verbraucherfreundlich ge-
stalten
- Drucksachen 15/3112, 15/3828 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wilhelm Priesmeier
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann
ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 15/1494 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3})
- Drucksache 15/2999 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wilhelm Priesmeier
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({4})
zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Praxisgerechte Novelle des Tierarzneimittelge-
setzes verbessert Tier- und Verbraucherschutz
- Drucksachen 15/1596, 15/2999 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wilhelm Priesmeier
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Dr. Volker Wissing, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Agrarischen Veredlungsstandort Deutschland
stärken - Bürokratie abbauen und Rahmenbedingungen verbessern
- Drucksache 15/3103 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({5})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte am Anfang der Debatte über den
CDU/CSU-Antrag die Gelegenheit nutzen, darzulegen,
was die Bundesregierung auf dem Gebiet der Novellierung des Arzneimittelgesetzes in Bezug auf die Tierarzneimittel vorhat. Es werden zwei Dinge deutlich werden:
zum einen, dass sich der Antrag der CDU/CSU-Fraktion
in wenigen Wochen erledigt hat, und zum anderen, dass
die in dem Antrag enthaltenen Vorschläge in die falsche
Richtung führen. Es ist aber ebenfalls notwendig, die
Ausgangssituation darzustellen, in der wir uns befinden.
Erst im Jahre 2002 waren die Regelungen über die Genehmigung von Tierarzneimitteln novelliert worden. Es
handelte sich damals um einen Antrag der Bundesländer, der im Bundesrat mit 16 : 0 beschlossen wurde. Das
war die Reaktion der Länder auf die Tierarzneimittelskandale, auf das, was ich vereinfachend mit dem Begriff
Autobahntierärzte umschreiben will. Wohlgemerkt: Der
Antrag wurde damals mit 16 : 0 beschlossen. Vonseiten
unseres Hauses ist damals auf die Novellierung dahin
gehend Einfluss ausgeübt worden, dies praktikabler zu
machen. Das führte zu der Situation, die wir heute haben.
In der nächsten Woche werden wir dem Bundeskabinett einen Novellierungsentwurf vorlegen, über den
dann auch beschlossen wird, der folgende Kernpunkte
enthält:
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Tierärzte und Landwirte haben die Begrenzung der
Verschreibung von Tierarzneimitteln auf sieben Tage
kritisiert. Künftig soll es möglich sein, Arzneimittel bis
zu 31 Tagen zu verabreichen. Allerdings wird es bei Antibiotika bei der Begrenzung auf sieben Tage bleiben.
Die Antibiotikaregelung war im Prinzip der Kernpunkt;
damit soll sichergestellt werden, dass sich keine Antibiotikarückstände in Fleisch und anderen tierischen Produkten befinden.
Wir werden jedoch Ausnahmen bei der Siebentageregelung zulassen. Darüber gab es eine lange Diskussion
- ich nenne als Stichwort nur die Behandlungspläne -;
Sie kennen die Geschichte. Es haben auch eine Reihe
von Anhörungen dazu stattgefunden. Wir sind sehr wohl
bereit, auch bei der Verordnung von Antibiotika praktikablere Regelungen zuzulassen, allerdings mit der Einschränkung, dass klar sein muss, für welche Indikationen
dies gilt. Dafür muss die Indikation präzise beschrieben
werden, sodass die Nachvollziehbarkeit der Diagnose
der Tierärzte gegeben ist. Das wird Inhalt einer in diesem Punkt flexibleren Regelung sein.
Wir sind mit diesem Vorgehen den Hinweisen, die uns
in der Anhörung gegeben wurden, nachgekommen. Ich
erinnere mich noch daran, dass uns der Vertreter aus
Bayern mit auf den Weg gegeben hat, hier sehr vorsichtig vorzugehen. Dass die Regelungen richtig waren, die
wir im Jahre 2002 beschlossen haben, wird daran deutlich, dass uns gelegentlich Tierärzte sagen: Seit der Novelle von 2002 werden wir wieder geholt; es erfolgt
keine Selbstmedikation mehr. Früher haben die Landwirte aufgrund ihrer Reserven, die sich im Stall befanden, die Arzneimittel selbst verordnet.
Weitere Punkte neben dieser zentralen Flexibilisierungsregelung wird die Schaffung einer Kommission
sein, die hier Vorgaben macht, außerdem die so genannte
Umwidmungskaskade, die Erleichterung der Einfuhr
von Arzneimitteln für die Anwendung bei Tieren, die der
Gewinnung von Lebensmitteln dienen, aus anderen Mitgliedstaaten und schließlich die Erleichterung der Abgabe bei Teilmengen.
Wir sind überzeugt, dass wir mit dem Novellierungsentwurf den berechtigten Einwendungen der Tierärzte
und der Landwirte Rechnung tragen, aber gleichwohl bei
der Anwendung von Antibiotika dem Ziel und den
Grundsätzen der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes entsprechende Beachtung einräumen
und sicherstellen, dass dies gewährleistet ist.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herzlichen Dank, Herr Thalheim, für Ihre
Ausführungen. Man hat gar nicht mehr zu glauben gewagt, einen Gesetzentwurf vorgelegt zu bekommen.
Aber noch haben wir ihn nicht auf dem Tisch. Sie wissen, dass wir vor vier Monaten schon einmal an dieser
Stelle standen und uns daran erinnert haben, dass wir vor
vier Monaten auch schon einmal an dieser Stelle standen
und über das gleiche Thema debattierten. Damals hieß
es, dass in Bälde ein Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen
würde. Das geschah aber leider nicht. Dann wurde gesagt: vor der Sommerpause. Danach lautete es: nach der
Sommerpause. Dann sollte unsere Büros im September
ein Entwurf erreichen. Vor allen Dingen wollte man bereit sein, mit uns gemeinsam eine Lösung zu finden.
Jetzt haben wir Oktober und Sie kündigen den Gesetzentwurf für nächste Woche an. Es wäre wunderbar,
wenn es dazu kommen würde; wir würden uns freuen.
Zwischendurch war ein Referentenentwurf im Umlauf,
der aber still und heimlich in der Schublade verschwand.
Ich muss Ihnen sagen: Ich wäre sehr enttäuscht, aber es
würde mich nicht wundern, wenn der angekündigte Gesetzentwurf nur eine kleine redaktionelle Überarbeitung
wäre. Sie haben das schon angedeutet, Herr Thalheim.
Ich schätze Sie als Pragmatiker und habe ein bisschen
Mitleid mit Ihnen, weil Sie hier gegen Ihre Überzeugung
handeln müssen.
({0})
An der Idee einer Sachverständigenkommission hält
Ihr Entwurf fest. Das Gleiche gilt für die Indikationsliste. Jeder Praktiker weiß das. Deshalb haben die Tierärzte in den Koalitionsfraktionen, die Ahnung haben,
meinen Beistand. Gemeinsam könnten wir es schaffen,
das aus dem Gesetzentwurf zu streichen.
Den Wiederholungsreigen aus Hoffen und Bangen
kann niemand leugnen. Wir setzen damit das falsche
Zeichen für die Tierärzte, Tierhalter und Verbraucher.
Dieses Hin und Her ist eine Selbstbeschäftigung unsererseits. Aber diejenigen, die damit jeden Tag arbeiten müssen, ärgern sich darüber, dass das jetzige Tierarzneimittelgesetz - wir sind uns alle darin einig und es würde
mich wundern, wenn jemand, der davon Ahnung hat, anderer Meinung wäre - überhaupt nicht praktikabel ist.
({1})
Das Tierarzneimittelgesetz ist praxisfern. Als wir es
verabschiedeten bzw. die Regierung es durchdrückte, haben wir erkannt, dass wir es sofort novellieren müssen.
Diese Erkenntnis ist so ähnlich wie der Wunsch nach einer guten Scheidung: Wenn man sie will, muss man
nicht noch zwei Jahre zusammenbleiben.
({2})
Sie aber blieben bei dem Gesetz und wir warten auf die
Überarbeitung.
Ich denke sehr gern an den Beginn meiner Parlamentszeit vor zwei Jahren zurück, damals haben wir parteiübergreifend zusammengearbeitet. Die Berichterstatter aller Fraktionen haben sich auf einen Obleutebrief
geeinigt, in dem die neuralgischen Punkte aufgeführt
werden sollten. Wir haben dafür die Zustimmung von allen beteiligten Gruppierungen erhalten. Was war das
Ende vom Lied? Frau Ministerin Künast hat es nicht erlaubt, dass dieser Brief abgeschickt wurde. So konnten
die entsprechenden Parteifreunde auch nicht unterschreiben. Das verstehe ich nicht unter Hilfe für Verbraucher,
für Betroffene und für die Menschen, die die Steuergelder für uns aufbringen.
({3})
Dieser Brief wurde wie letztlich auch ein gemeinsamer Gesetzentwurf verhindert. Jetzt wird gebangt und
darum gerungen, was gemacht werden soll.
Ich möchte daher noch einmal die wichtigsten Punkte
unseres Antrags, der Ihnen schon lange vorliegt, skizzieren. Es wundert mich übrigens, dass das Gespräch mit
uns nicht gesucht wird und dass auch nicht versucht
wird, mit uns zu einer Einigung zu kommen. Dabei wird
doch auf der anderen Seite immer wieder gesagt, die
Union und die FDP blockierten. Das ist mitnichten der
Fall!
({4})
Wenn es um Prinzipien geht und man prinzipielle Äußerungen tätigt, muss man auch überprüfen, woran man
diese Äußerungen festmacht. Für uns ist die Frage der
Siebentageregelung besonders wichtig. Herr Staatssekretär Thalheim, Sie haben die Siebentageregelung angesprochen. Diese Regelung ist der Punkt, der allen auf
den Nägeln brennt. Wir müssen die Tierärzte und Tierhalter aus der Grauzone herausholen; denn es kann nicht
sein, dass sie bei ihrer täglichen Arbeit, die von einem
Verständnis für den Verbraucherschutz und den Tierschutz geprägt ist, mit einem Bein im Gefängnis stehen.
Das darf in Deutschland nicht länger der Fall sein.
({5})
Sie schlagen eine neue Regelung vor und wollen die
Siebentageregelung angehen. Sie sprachen jetzt von
31 Tagen; das hört sich gut an. Ich bitte aber alle, die damit zu tun haben, den Gesetzentwurf genau zu lesen:
31 Tage sind nicht gleich 31 Tage; denn die 31 Tage sollen sich nicht auf die Dauer der Behandlung mit Antibiotika beziehen. Das ist jedoch genau der Punkt, um
den es geht. Soll denn ein Tierarzt alle sieben Tage jedem Tier, sei es ein Hamster oder ein Mastkalb, einen
Besuch abstatten?
({6})
Zum Glück haben unsere Tierärzte in Deutschland noch
ein bisschen mehr zu tun. Vielleicht sind sie eines Tages
dazu in der Lage, wenn es keine Tierhalter und keine
Bauern mehr gibt. Dieser Punkt ist entscheidend und es
bringt nichts, vorher über irgendetwas anderes zu reden,
solange dieser Punkt nicht zufriedenstellend gelöst ist.
Natürlich müssen wir auch die anderen offenen
Punkte in diese Paketlösung einbeziehen. Wenn wir einmal dabei sind, lassen Sie uns doch auch die Frage nach
der Umfüllung und der Kaskadenregelung und einiges
andere mit klären. Ich denke, dabei haben wir weniger
Probleme, uns zu einigen.
Es ist uns sehr wichtig, eine Art Behandlungsplan zu
entwerfen, der im Gegensatz zu der Siebentageregelung
flexibel ist und auf die verschiedenen Arten der Tierhaltung eingeht, sodass wir damit zu einer praktikablen und
vor allen Dingen schnellen Lösung kommen.
Wir können uns noch ewig damit beschäftigen. Dann
hätten wir immer ein Thema und ich müsste mich nicht
mehr so lange vorbereiten, weil wir dann alle genau informiert wären. Das kann es aber nicht sein, weil es uns
nicht hilft. Deshalb warte ich auf ein Gesprächsangebot,
damit Sie unseren Antrag in Ihr Vorhaben integrieren.
Denn auch die Fachleute sehen keinen Grund, warum
unser Antrag abgelehnt werden sollte. Lassen Sie uns
also zusammenarbeiten!
Ganz herzlich danke ich den Kolleginnen und Kollegen, die bisher mit uns zusammengearbeitet haben. Das
war ein gutes Zeichen. Allerdings kann man hier auch
sehen, wie eine Regierung das Parlament missachtet.
({7})
Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die geltende Elfte Novelle des Tierarzneimittelgesetzes hat seit ihrem In-Kraft-Treten bei Tierärzten
und Tierhaltern sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die Hauptkritikpunkte waren Probleme bei
der praktischen Durchführung bestimmter Regelungen und ihrer Kontrolle. Diese Probleme haben wir in
den vergangenen Monaten intensiv diskutiert und beleuchtet. Die Bundesregierung hat heute angekündigt,
dass sie bald einen veränderten Gesetzentwurf vorlegen
wird, in dem die aufgetretenen Probleme aufgegriffen
werden.
Es hat sich erwiesen, dass einzelne Regelungen des
Arzneimittelgesetzes, die gemeinsam von allen 16 Bundesländern beschlossen worden waren, in der Praxis sehr
schwer umzusetzen sind. Daher sollten sie entsprechend
angepasst werden. Dies betrifft die so genannte Umwidmungskaskade, die Verfügbarkeit zugelassener Tierarzneimittel, die Möglichkeit der Abgabe von Teilmengen
aus Arzneimittelpackungen und einige weitere Details.
Es muss auch darüber nachgedacht werden, ob die bestehende Siebentageregelung, die Begrenzung der Abgabemenge auf den Bedarf von sieben Tagen, für bestimmte
Arzneimittel auf 31 Tage ausgeweitet werden sollte.
Sehr vorsichtig müssen wir allerdings beim Umgang
mit Antibiotika sein. Die Abgabe von Antibiotika muss
weiterhin eng an den vom Tierarzt festgestellten Bedarf
gebunden sein. In diesem Bereich dürfen wir aus übergeordneten Interessen des allgemeinen Gesundheitsschutzes keine Aufweichungen der geltenden Rechtslage zulassen. Antibiotikaresistenzen sind eine ausgesprochen
ernste und gefährliche Angelegenheit. Ihre Ausbreitung
muss im Interesse des Gesundheitsschutzes von Mensch
und Tier verhindert werden.
Wenn wir die Kontrolle von Antibiotika ernst nehmen, dann müssen wir die Bedingungen ihrer Abgabe
sehr stringent handhaben. Anders geht es nicht. Das hat
nichts mit einem Generalverdacht gegenüber den Anwendern zu tun, sondern mit dem Grad der Gefährdung,
der auch von wenigen schwarzen Schafen ausgehen
kann. Daher dürfen wir uns auf keinen Fall auf eine generelle Abschaffung oder Aufweichung der Siebentageregelung, wie sie sich die Opposition vorstellt, einlassen.
({0})
Diese Auffassung wird übrigens auch von den Bundesländern mehrheitlich getragen. Lediglich bei bestimmten, eng und klar eingegrenzten endemischen Krankheitsbildern wie MMA oder chronischer Mastitis kann
über eine Verlängerung der Abgabedauer nachgedacht
werden.
({1})
Ich sage sehr deutlich, dass wir für alle praxisgerechten
Neuregelungen zu haben sind, solange die elementaren
Zielsetzungen der 11. AMG-Novelle nicht eingeschränkt
werden. Diese sind ein verbesserter Gesundheits- und
Verbraucherschutz durch die Reduzierung des Arzneimitteleinsatzes auf das therapeutisch unerlässliche Mindestmaß, insbesondere im Bereich der Antibiotika, und eine
Verbesserung der Sicherheit im Tierarzneimittelverkehr.
Das sind unsere Kriterien. Alle Vorschläge sind daraufhin zu prüfen.
Leider halten Ihre Anträge, meine Damen und Herren
von der Opposition, dieser Überprüfung nicht stand. Sie
wollen eine Lockerung des geltenden Rechts hin zu weniger Kontrolle. Diese Lockerung halten wir im Sinne
des Gesundheits- und Verbraucherschutzes für nicht vertretbar.
({2})
Die Lebens- und Futtermittelskandale der vergangenen Jahre haben der Landwirtschaft jedes Mal gewaltige
Verluste und Kosten beschert. Wir haben daraus die
Konsequenz gezogen, die jedes Unternehmen im Bereich der Lebensmittelerzeugung ziehen muss, wenn es
seine Existenz nicht aufs Spiel setzen will: Lebensmittelsicherheit muss auch und gerade aus wirtschaftlichem Interesse oberste Priorität haben, selbst wenn
dies manchmal mit viel Aufwand und mit Kosten verbunden ist. Jeder Lebensmittelskandal kostet die Landwirtschaft ein Vielfaches dessen, was die Vorbeugung an
Mehraufwand bedeutet hätte. Hier darf es keine faulen
Kompromisse geben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
finde es äußerst problematisch, dass Sie im Sinne einzelner Interessengruppen immer wieder Abstriche bei der
Lebensmittelsicherheit machen wollen.
({3})
Sie wollen eine Erhöhung des BSE-Testalters, möglichst
lasche Kennzeichnungen bei gentechnischer Verunreinigung und die Abschaffung der Siebentageregelung bei
Arzneimitteln.
({4})
Diese Liste Ihrer Botschaften ließe sich beliebig fortsetzen. Ich kann Ihnen schon sehr genau sagen, was beim
nächsten Lebensmittelskandal passieren wird: Dann
werden Sie und alle Herrschaften, die jetzt noch sämtliche Regelungen und Kontrollen abschaffen wollen, mit
größter Entrüstung und aufgeblasenen Backen über die
angeblichen Versäumnisse von Ministerin Künast beim
Verbraucherschutz schwadronieren.
({5})
Diese Doppelbödigkeit, meine Damen und Herren,
machen wir nicht mit. Wir werden uns deshalb auch
nicht darauf einlassen, beim Arzneimittelgesetz mehr
Zugeständnisse zu machen, als vertretbar sind. Wir bleiben bei der in der 13. AMG-Novelle enthaltenen klaren
Reihenfolge: erst der Schutz der Gesundheit, dann die
Interessen der Anwender.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel HappachKasan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lebensmittelsicherheit hat für die FDP hohe Priorität.
Aber wir fügen hinzu, dass auch der Tierschutz beachtet
werden muss. Staatssekretär Thalheim hat gerade ausgeführt, dass wir im Bereich des Tierarzneimittelgesetzes
praktikablere Regelungen brauchen. Genau dies fordern
wir: praktikablere Regelungen. Damit, Herr Staatssekretär, haben Sie auch gesagt, dass die jetzigen Regelungen nicht praktikabel sind. Genau dies ist unsere Kritik
daran.
({0})
Die Fachleute in allen Fraktionen sind sich einig, dass
dieses Gesetz gründlich überarbeitet werden muss. Die
Tatsache, dass dies noch nicht geschehen ist, zeigt auch,
dass in dieser Bundesregierung nicht Fachleute das Sagen haben, sondern ideologisch bestimmt wird, was gemacht werden darf.
Es ist bereits ausgeführt worden, dass die Siebentageregelung so, wie sie im Gesetz steht, nicht praktikabel
ist. Wir brauchen eine klare Grenzziehung zwischen Tieren, die Lebensmittel liefern, und Tieren, die aus Sportgründen oder als Haustiere gehalten werden. Wir brauchen die adäquate Behandlung von Tieren mit
zugelassenen Wirkstoffen; diese darf nicht länger illegal
sein, wie es das Gesetz heute bestimmt.
({1})
Dieses Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
Ausdruck des Misstrauens gegenüber der fachlichen
Kompetenz und der beruflichen Redlichkeit von Tierärzten und Landwirten. Genau dies weisen wir zurück. Wir
wissen, dass es Verfehlungen gegeben hat. Diese Verfehlungen müssen geahndet werden und es muss dafür gesorgt werden, dass sie ein Ende haben. Aber ein solches
bürokratisches Monstrum von Gesetz, wie Sie es hier erlassen haben, muss schnellstens novelliert werden.
Dieses Gesetz reiht sich in die Politik der Bundesregierung ein, den Veredelungsstandort Deutschland zu
schwächen. Tierschutz ist dafür die Begründung; diese
Begründung aber ist falsch. Wir brauchen einen einheitlich hohen Tierschutz in der gesamten EU; er muss überall in der EU einen höheren Stellenwert bekommen. Nur
so ist sichergestellt, dass die Tierproduktion nicht in
Länder mit geringeren Standards verlagert wird. Genau
dies aber ist die Folge Ihrer Politik. Deswegen lehnen
wir Ihre bürokratischen Regelungen in der Schweinehaltungsverordnung und in der Legehennenverordnung ab.
Wir haben die Folgen schon jetzt zu tragen. Dass der
Standort Deutschland geschwächt wird, weil Produktionsbetriebe abwandern und Arbeitsplätze in Deutschland verlorengehen, wollen wir verhindern.
({2})
Deshalb fordern wir die vorurteilsfreie und nach fachlichen Kriterien durchgeführte Prüfung der so genannten
Kleinvoliere. Wir wollen, dass beim Tierschutz die
Raumgröße Beachtung findet, die dem Tier zur Verfügung steht. Wir wollen aber auch, dass die Ernährung
und die Verhaltensweisen berücksichtigt werden und
dass hohe Mortalitätsraten zur Schließung von Betrieben
führen. 25 Prozent Todesfälle bei Legehennenbodenhaltung und ein hoher Medikamenteneinsatz können nicht
toleriert werden. Im Bereich der Tierhaltung gibt es noch
eine Menge zu tun.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm
Priesmeier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube,
heute ist es einmal an der Zeit, ein Resümee bezüglich
der eigentlichen Entstehungsgeschichte dieser immer
wieder so umstrittenen 11. AMG-Novelle zu ziehen.
In Bayern hat es damals einen großen Arzneimittelskandal gegeben, der weit über die bayerischen Grenzen
hinaus bis nach Thüringen, Sachsen und Österreich gegangen ist. Im Laufe der Bewältigung dieses Skandals
ist der politische Druck so groß geworden, dass man sich
auf Länderebene gemüßigt gesehen hat, möglichst rigide
Regelungen umzusetzen. Hätte das damalige BMVEL
bei verschiedenen Punkten nicht für Entlastung gesorgt,
dann hätte es eine noch wesentlich rigidere Lösung gegeben.
({0})
Offensichtlich gibt es Situationen, in denen die Überwachung in den einzelnen Bundesländern versagt. Dies war
ein klassischer Fall des Versagens der Überwachung; das
muss man konstatieren.
Gott sei Dank hat es in Bayern zu entsprechenden
personellen Konsequenzen auf der Ministerebene geführt. Man hat die Verantwortlichkeiten erkannt und sich
neu orientieren müssen. Das zeigt die Grundproblematik, vor der wir Politiker stehen. Wir können uns natürlich nicht davonstehlen, indem wir ein Gesetz erlassen,
sondern wir müssen uns an den praktischen Gegebenheiten und Erfordernissen orientieren, wie sie sich in der
konkreten Umsetzung der Gesetze darstellen. Ich glaube,
wir alle haben in verschiedenen Bereichen einen zum
Teil erheblichen Nachholbedarf, wenn es um das Ausformulieren und das Vorgeben von neuen Verordnungen
und Gesetzen geht. Diesen haben wir gemeinsam zu bewältigen.
Das, was mit der 11. AMG-Novelle beschlossen worden ist, war in vielen Teilbereichen überhaupt nicht
praktikabel.
({1})
Das steht hier vollkommen außer Frage und wird von
niemandem bezweifelt - auch von der Koalition nicht.
Die Ursache muss noch einmal benannt werden: Die
11. AMG-Novelle ist damals mit dem geschlossenen Votum des Bundesrates umgesetzt worden. Auch Regierungen, die von der FDP mitgetragen wurden, waren daran
beteiligt. Schuldzuweisungen helfen uns im Augenblick
überhaupt nicht. Richten wir unseren Blick doch in die
Zukunft.
Wenn wir ein wenig vorausschauen, dann erkennen
wir, dass die jetzt vorliegende 13. AMG-Novelle eine
durchaus vernünftige Grundlage ist, auf der man zu adäquaten Regelungen kommen kann, durch die der Verbraucherschutz bei uns sichergestellt und auch der Tierschutz nicht außer Acht gelassen wird. Es wurden
verschiedene Tatbestände liberalisiert, die auch auf Länderebene mit Sicherheit jetzt schon unumstritten sind.
Ich nenne die Verbesserung der Einfuhr von in anderen
EU-Staaten registrierten Arzneimitteln, die Bevorratung
in dem Bereich, die Veränderung der Kaskadenregelung
im Rahmen der Umwidmung und die Änderungen beim
Anwendungsverbot für den Tierhalter in Bezug auf umgewidmete Arzneimittel. Das alles sind ganz erhebliche
Erleichterungen. Niemand kann das hier infrage stellen
und das Gegenteil davon behaupten. Diese ganz erheblichen Verbesserungen steckten auch schon im Referentenentwurf.
Ganz zentral geht es um das Problem der sieben
Tage, das hier hochstilisiert wird. Es geht um die Lebensmittelsicherheit, den Verbraucherschutz und auch
den Tierschutz. Die Frage ist natürlich nicht ausschließlich an den sieben Tagen zu orientieren. Wir müssen versuchen, zu einem Konsens zu kommen, der auch auf der
Länderebene mitgetragen wird. Ansonsten werden wir
vielleicht wieder die alten Konstellationen erleben: Es
könnte zu einem Konflikt zwischen den Intentionen der
Länder und dem, was wir hier verfolgen, kommen. Das
wäre mit Sicherheit nicht förderlich für den ganzen Prozess; das wäre eher kontraproduktiv. Auf dieser Basis
sollten wir den weiteren Verlauf dieses Gesetzentwurfs
debattieren und diskutieren. Keine Vorlage ist so gut,
dass sie nicht noch verbesserungsfähig wäre. Entsprechende Verbesserungen sollten wir noch einfügen.
Ich sehe auch die Notwendigkeit, zu definieren, was
Lebensmittel liefernde Tiere sind. Weil das ein Bereich
ist, der im Augenblick nicht klar definiert ist und in dem
die Kollegen vor Ort und auch die betroffenen Tierbesitzer Schwierigkeiten haben, müssen wir dort zu klaren
Regelungen kommen, wodurch wir letztendlich für
Rechtssicherheit sorgen. Bisher kann nicht ausgeschlossen werden, dass Pferde, welche man zum Reiten oder zu
anderen Zwecken benötigte, noch immer als Lebensmittel an den Verbraucher gelangen, nachdem sie geschlachtet wurden. Hier gilt es, entsprechende Verbesserungen
einzufügen. Das ist aber auch nur ein Randaspekt.
Es stellt sich die Frage, ob wir mit den Regelungen
von Kommissionen und mit von diesen Kommissionen
festgelegten Indikationen im praktischen Bereich, also
bei der Umsetzung, eine Verbesserung erreichen werden.
Darüber müssen wir uns nüchtern und vernünftig unterhalten. Es ist mir ein wesentliches Anliegen, dass wir
uns auch mit der Praxis rückkoppeln. Zu gegebener Zeit
sollte man sich im Rahmen des Beratungsverfahrens zur
13. Novelle erneut Sachverstand in den entsprechenden
Ausschuss holen und dort über die Ausgestaltung debattieren und diskutieren. Das halte ich in diesem Bereich
für ganz wesentlich.
Wir können die 13. Novelle nicht abgekoppelt und
unisono als einzelnes Gesetzesvorhaben sehen, sondern
wir müssen erkennen, dass erst die Gesamtheit von Verbesserung und Novellierung der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken, die Anpassung des Begriffs
der tierärztlichen Behandlung zusammen mit der
Stallbuch-Verordnung und dieser 13. Novelle ein rundes Ganzes ergibt. Wenn wir das auf dem Tisch liegen
haben, dann werden wir auch zu einem vernünftigen
Konsens kommen. Der ursprüngliche Grundsatz, sich an
der Sache zu orientieren, ist irgendwo aufgekündigt worden. Wenn wir zielgerichtet fortschreiten, dann gelingt
es uns, hier zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.
Um auf Ihre Einwendungen zur Hennen- und
Schweinehaltung Position zu beziehen: Ich halte es für
vernünftig, dass man sich in der jetzigen Situation, bei
der es in der Umsetzung und der Ausgestaltung große
Probleme gibt, an den Gegebenheiten orientiert und einen Kompromiss findet. Man muss versuchen - das ist
von dieser Stelle mein Appell an die Agrarministerkonferenz und die Ministerin -, einen Konsens zu finden,
der letztendlich tragbar ist. Mit den im Augenblick verhärteten Fronten ist der deutschen Landwirtschaft, den
Hühnern und auch uns allen nicht gedient.
Ich meine, dass man auf einer vernünftigen Ebene
durchaus noch Bewegungsspielräume hätte, wenn man
es denn wollte. Das setzt aber voraus, dass sich auch die
andere Seite bewegt. Bei bisher kritischen Positionen,
bei denen die Tierschutzverbände den Dialog nicht weiterführen, müssen alle Seiten bereit sein, den Dialog
wieder aufzunehmen, sodass man zu vernünftigen Regeln kommt.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Hätte die Bundesregierung 2002 kurz vor der Bundestagswahl auf die CDU/CSU-Fraktion gehört, dann hätten
wir uns heute diese Zeit sparen können. Wir hätten in der
Tierarzneimittelpolitik nicht zwei Jahre mit einer Grauzone leben müssen,
({0})
es wäre zu keiner praxisfremden und tierfeindlichen Gesetzgebung gekommen
({1})
und wir hätten kein überbürokratisches und wettbewerbsverzerrendes Gesetz gehabt.
({2})
All das hätten wir uns sparen können. Herr Staatssekretär Thalheim hat vorhin auf die Bundesländer verwiesen, ich gebe gerne zu, dass sich auch dort die Landesveterinäre von der allgemeinen Hysterie haben anstecken
lassen und nicht auf den fachmännischen Rat unserer
Fraktion gehört haben.
({3})
Aber das entschuldigt das Verhalten überhaupt nicht.
Das hat auch deswegen nicht zur Entschuldigung gereicht, weil doch schon eine gewisse Philosophie dahinter steckt; das will ich einmal aufzeigen.
Dass sich damals insbesondere Frau Künast als besonders beratungsresistent erwiesen hat, ist sicherlich
nicht nur auf mangelnde Sachkenntnis zurückzuführen.
({4})
Es war nüchternes Kalkül, mit der Verschärfung des
Tierarzneimittelgesetzes den Menschen zu suggerieren,
die Lebensmittelqualität würde verbessert. Das war in
Wahrheit das Motiv von Frau Künast. Das passt in ihre
Strategie, mit der Verängstigung der Verbraucher und
anschließendem opportunistischen Handeln insbesondere in den Oberschichten der Städte auf Stimmenfang
zu gehen. Diese Intention stand hinter der damaligen Gesetzgebung; das muss man einmal deutlich machen.
({5})
Dabei war und ist es ihr völlig gleichgültig, dass damit der Tierschutz mit Füßen getreten wird. Bestes Beispiel dafür ist das Verbot der Umwidmung von zwar
wirksamen, aber selbst in Notfällen und bei Lückenindikation nicht zugelassenen Medikamenten. Ich habe ihr
vor einigen Monaten das Beispiel einer von Leberegeln
befallenen Ziege genannt, bei der eine Behandlung möglich wäre, aber kein zugelassenes Medikament vorhanden ist. Die Tierärzte müssen zum Schutz des Tieres wider das Gesetz handeln, wenn sie ihren Charakter
bewahrt haben. Ich bin sicher, dass dies die meisten getan haben.
({6})
Es ist Ihnen völlig gleichgültig, dass die jetzt auf sieben Tage begrenzte Zeit für die Abgabe von Medikamenten in der Praxis nicht eingehalten werden kann.
Landwirte und Tierärzte werden damit in den Konflikt
mit dem Gesetz getrieben. Man stelle sich nur einmal
vor - dies als Hinweis für die Zuschauer -, in der Humanmedizin gäbe es eine solche Beschränkung der Lagerung von Medikamenten. Praktisch alle Bundesbürger
wären Gesetzesbrecher.
Es ist Ihnen auch völlig gleichgültig, dass das Verbot
des Umfüllens und Aufteilens von Großpackungen
nichts anderes als Kostentreiberei ist und damit die fachliche Kompetenz und Verantwortung der Tierärzte untergraben wird.
({7})
Nun hören wir, Herr Priesmeier, dass die Bundesregierung eventuell in der nächsten Woche endlich einen
Gesetzentwurf vorlegen wird. Ich bin sehr gespannt auf
diesen Vorschlag. Außerdem möchte ich die Aussage
von Herrn Ostendorff, wir sähen den Verbraucherschutz
nicht an vorderster Stelle, entschieden zurückweisen.
({8})
Ich stelle hier in aller Klarheit fest: Wir sind für minimalen und nur unvermeidbaren Medikamenteneinsatz in
der Tierhaltung.
({9})
Wir sind für eine mit strengen und harten Sanktionsmöglichkeiten ausgestattete Lebensmittelüberwachung, gerade in der Fleischproduktion.
({10})
Wir sind für eine optimale tierärztliche Behandlung
von Tierbeständen nach dem Stand - das ist wichtig der tierärztlichen Wissenschaft. Das ist eine sich ständig
erweiternde flexible Grenze und deshalb kann die Politik
nicht ständig nachjustieren.
Wir sind für mehr Wettbewerbsgleichheit beim Tierarzneimittelgesetz innerhalb der Europäischen Union,
weil die Erzeugnisse auch grenzüberschreitend gehandelt und von unseren Mitbürgern auch grenzüberschreitend verzehrt werden.
Meine Damen und Herren, in einem Punkt herrscht
Einigkeit in diesem Haus: bei der Notwendigkeit eines
Nachbesserungsgesetzes. Schon vor einem Jahr wurde
mit dem Entwurf eines Briefes, der von allen Fraktionen
mitgestaltet und inhaltlich mitgetragen worden ist, diese
Notwendigkeit einer Gesetzesänderung aufgezeigt. Es
wurden auch Vorschläge für Veränderungen gemacht.
Leider durften die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsparteien diesen Brief nicht abschicken. Sie wurden
mit der Ankündigung eines Gesetzentwurfes der Regierung getröstet. Wenn es denn wahr ist, dass ein solcher
Entwurf in der nächsten Woche das Licht der Welt erblickt, hat es bis zur Vorlage über ein Jahr gedauert.
Meine Damen und Herren, wie man hört - das wurde
heute Morgen noch einmal bestätigt -, ist in diesem Gesetz wiederum die Siebentagefrist enthalten. Zwar sind
Auflockerungen durch alle möglichen bürokratischen
und verfahrenstechnischen Umgehungen vorgesehen,
({11})
aber das ändert doch nichts an der Tatsache, dass die
Grauzone, die zwangsläufig bei einer starren Frist entstehen muss, weiter bestehen bleibt. Das werden Sie mit
uns nicht machen können. Wir werden dagegen angehen
und ein solches Gesetz nicht mittragen. Das ist völlig
klar.
({12})
Meine Damen und Herren, wir sind für eine stärkere
Bindung der Tierärzte an die Landwirtschaft. Ich kann
mir vorstellen, dass mit Betreuungsverträgen einiges
zu gestalten ist, um die Wissenschaft und die Praxis zueinander zu führen und verantwortliches Handeln in der
Praxis zu garantieren. Darüber kann man mit uns reden,
aber man muss auch bereit sein, andere Vorschläge wie
insbesondere die starre Frist beiseite zu räumen.
Ich hoffe sehr, dass es gelingt, mit diesem neuen Tierarzneimittelgesetz eine Situation zu schaffen, die in der
Praxis nicht nur handhabbar ist, sondern die auch dazu
führt, das Vertrauen der Verbraucher in Zukunft zu erhalten.
({13})
Mehr Selbstverantwortung für Tierärzte und Landwirte ist das Gebot der Stunde. Ich würde mich freuen,
wenn auch Minister und Abgeordnete bereit wären, über
die Empfehlungen der Amtstierärzte hinaus Verantwortung zu übernehmen. Wir sind dazu bereit und wir laden
Sie ein, dabei mitzumachen.
Herzlichen Dank.
({14})
Danke schön.
Ich schließe damit die Aussprache und wir kommen
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, Drucksache 15/3828, zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes für Tierärzte
und Landwirte praxisgerecht und verbraucherfreundlicher gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 15/3112 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 15/1494 zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2999, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Drucksache 15/2999, zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Praxisgerechte Novelle
des Tierarzneimittelgesetzes verbessert Tier- und Verbraucherschutz“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/1596 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3103 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten
Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ({0})
- Drucksache 15/3169 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({2})
- Drucksachen 15/3838, 15/3867 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Verena Butalikakis
Die Kollegen Kirschner, Butalikakis, Kurth, Funke
und Lötzsch haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll ge-
ben zu dürfen. - Sie sind damit, wie ich sehe, einverstan-
den. Dann verfahren wir so.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 15/3169. Der Ausschuss für Gesundheit und
Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen aus der Entscheidung zum Ladenschlussgesetz ziehen - Regelung des Ladenschlusses den Ländern überlassen
- Drucksache 15/3359 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch
höre ich keinen. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Seit fast zehn Jahren diskutieren wir im Deutschen Bundestag darüber, ob die Bestimmung über den
Ladenschluss um einige wenige Minuten gelockert werden soll oder nicht. Es stellt sich nicht die Frage, ob rund
um die Uhr geöffnet werden soll, sondern die Grundfrage ist, was der Staat gesetzlich regeln soll oder muss
und ob er bevormunden soll. Wir Liberale sagen ganz
klar: Hier können wir einen alten Zopf abschneiden,
nämlich den auf dem Markt Agierenden, also den Händlern und denjenigen, die die Dienstleistung abfragen, den
Kunden, vorzuschreiben, wann eine Ladentür zu schließen ist und wann nicht. Das ist in höchstem Maße antiquiert und entspricht nicht einem modernen Zeitgeist.
({0})
Deshalb freuen wir uns, dass das Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres zumindest eine
Bandbreite des Handelns dem Bundesgesetzgeber gegeben hat und empfiehlt, den Ländern die Entscheidung
über die jeweiligen Ladenschlusszeiten an Werktagen zu
belassen.
Dabei handelt es sich um einen sehr wichtigen Punkt.
Es geht um die Tage Montag bis Sonnabend. Die Sonnund Feiertage sind grundgesetzlich geschützt. Insoweit
haben die Länder die Möglichkeit, zu handeln, sofern
der Bundesgesetzgeber dafür die rechtlichen Voraussetzungen in Form eines so genannten Ermächtigungsgesetzes schafft.
Wer eine Überbelastung von Arbeitnehmern und die
Aushöhlung des Arbeitsrechts befürchtet - Sie lächeln
schon vielsagend, Herr Kollege Ulrich; Sie tragen sicherlich gleich wieder die übliche Arie vor -, den weise
ich auf das Arbeitszeitgesetz und die darüber hinaus bestehende tarifvertragliche Vereinbarung über die
Arbeitszeiten von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
hin.
Ich halte es für notwendig, ideologiefrei an das
Thema Ladenschluss heranzugehen. Der Deutsche Bundestag sollte nicht ständig aufs Neue mit diesem Thema
befasst werden. Ich denke, wir haben andere Sorgen und
sollten die bestehenden Möglichkeiten nutzen, um Freiräume zu schaffen und zur Entbürokratisierung beizutragen.
({1})
Ich habe mit Freude gelesen, dass etwa zehn Bundesländer die gesetzliche Freigabe des Ladenschlusses fordern. Sie haben signalisiert, dass sie die Ladenöffnungszeiten in ihrem jeweiligen Land an Werktagen freigeben
möchten. Das ist ein gutes Signal.
Ich halte nichts davon, dass Bundeswirtschaftsminister Clement, der die Meinung vertritt, die Entscheidung
über die Freigabe des Ladenschlusses nicht den Ländern
überlassen zu dürfen, das Thema in die Föderalismuskommission verlagern möchte. Es ist immer wieder dasselbe: Wenn man sich nicht traut, eine Entscheidung zu
treffen oder sich ein weiteres Mal mit den Gewerkschaften anzulegen, dann kommt eine Kommission gerade
recht, um eine unangenehme Entscheidung zumindest zu
vertagen.
Wir wollen nicht, dass das Thema vertagt wird und in
der Versenkung verschwindet, und fordern mit unserem
Antrag dezidiert eine bundesgesetzliche Regelung, nach
der das Ladenschlussgesetz durch Landesrecht ersetzt
werden kann. Meine Fraktion und ich sind der Ansicht,
dass es hohe Zeit ist, diesen Schritt endlich zu vollziehen. Denn wir müssen den Gegebenheiten der heutigen
Zeit und den Lebensgewohnheiten der Menschen gerecht werden.
Ich bitte diejenigen, die unserem Anliegen skeptisch
gegenüberstehen, noch einmal in sich zu gehen. Trauen
Sie den Ländern mehr zu und lassen Sie uns die Regelung des Ladenschlusses an die Länder übertragen! Sie
wissen selbst am besten, welche Regelung vor Ort angebracht ist. Deshalb fordere ich Sie auf: Zeigen Sie Mut
zur Entscheidung und bescheiden Sie unseren Antrag
positiv!
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anette Kramme.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kopp, ich habe von Ihnen kein einziges
Argument gehört. Das einzige vermeintliche Argument,
das Sie vorgetragen haben, lautet: Wir müssen alte Zöpfe
abschneiden.
Der Bürokratieabbau, den Sie angesprochen haben,
stellt allerdings ebenso wie die Bürokratie als solche keinen eigenen Wert dar. Wenn ich gut singen könnte - das
kann ich aber leider nicht -, dann würde ich jetzt Folgendes vortragen: Alle Jahre wieder kommt der Ladenschluss auf den Bundestag nieder, wo wir Leidtragende
sind.
({0})
Das Thema Ladenschluss hat in der Vergangenheit
schon oft auf der Tagesordnung gestanden. Man sollte
meinen, dass dazu schon alles gesagt worden ist. Offensichtlich besteht aber nach wie vor Klärungsbedarf, wie
der Antrag der FDP zeigt.
Deshalb lassen Sie mich noch einmal dazu Stellung
nehmen. Meine Damen und Herren von der FDP, der Titel Ihres Antrags lautet: „Konsequenzen aus der Entscheidung zum Ladenschlussgesetz ziehen - Regelung
des Ladenschlusses den Ländern überlassen“. Sie erwecken damit den Eindruck der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Rechtslage. Um es
klar und deutlich hervorzuheben: Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Das Gesetz ist in formaler Hinsicht
ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt worden. Der
Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Der Bund darf Änderungen an dem Gesetz vornehmen. Nur wenn es um
grundlegende Neuregelungen geht, gilt eine Regelungssperre. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich
festgestellt, dass keinerlei Verstoß gegen Art. 12 oder
Art. 3 des Grundgesetzes vorliegt und hat in diesem Zusammenhang die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer
hervorgehoben.
Es gibt derzeit also keinerlei Grund, gesetzgeberisch
zu handeln, zumal der Gesetzgeber erst letztes Jahr tätig
geworden ist. Ich schlage deshalb vor, dass wir bei diesem Thema Ruhe und Gelassenheit bewahren und es der
Föderalismuskommission überlassen, und zwar nicht,
um uns einen Zeitaufschub zu verschaffen oder um uns
vor der Behandlung dieses Themas zu drücken, sondern,
weil Bund und Länder inzwischen über viele Dinge
streiten, unter anderem über die konkurrierende Gesetzgebung. Es ist daher objektiv vernünftig, dies zu tun.
Meine Damen und Herren der Dagobert-Duck-Partei,
Ihr Antrag zielt einzig und allein darauf ab, den Ladenschluss mit der vermeintlichen Hilfe der Länder vollständig zu kippen. Sagen Sie das doch klipp und klar und
zünden Sie keine rhetorischen Nebelkerzen! Meine Damen und Herren von der FDP, wieder einmal wollen Sie
ohne Sinn und Zweck den Arbeitnehmern mehr zumuten.
({1})
Sie gebärden sich als Ladendiebe des Arbeitsrechts.
Frau Kopp, auch wenn Sie nicht allein für den vorliegenden Antrag verantwortlich sind, möchte ich auf die
vermeintlichen Argumente zugunsten einer weiteren
Flexibilisierung des Ladenschlusses eingehen. Zunächst
Folgendes: 2003 haben wir weitere Lockerungen gestattet. Dabei haben wir eine vernünftige Abwägung zwischen den Interessen der Verbraucher, der Arbeitnehmer
und insbesondere der Arbeitnehmerinnen sowie des gesamten Handels vorgenommen und die Interessen nicht
nur der großen, sondern auch der kleinen Unternehmen
berücksichtigt.
Für längere Öffnungszeiten besteht zwar derzeit kein
Bedarf. Trotzdem möchte ich auf das Pro und Kontra einer vollständigen Aufhebung des Ladenschlusses eingehen. Ein erstes gewichtiges Argument für längere Öffnungszeiten ist der vermeintliche Verbraucherwunsch.
Diesen Wunsch gibt es tatsächlich. Auch ich finde es
toll, jederzeit das zu bekommen, was ich möchte. Allensbach hat festgestellt, dass ein entsprechendes Interesse besteht und dass sich der Nutzungsgrad der bisherigen Öffnungszeiten positiv gestaltet. 50 Prozent - das
sind vor allem Jüngere und Berufstätige - machen von
den längeren Öffnungszeiten Gebrauch.
Das ist allerdings nicht der einzige Verbraucherwunsch. Die Verbraucher - das gilt vor allen Dingen für
Ältere - haben auch Interesse an einer wohnungsnahen
Versorgung. Eine Umfrage des Landes Nordrhein-Westfalen dazu hat ergeben - das ist erschreckend -, dass
17 Prozent der Gesamtbevölkerung und sogar 29 Prozent
der durchschnittlichen Gemeindefläche des Landes bereits heute von einer unzureichenden Lebensmittelnahversorgung betroffen sind.
({2})
- Natürlich liegt das am Ladenschluss; denn die Verlängerung des Ladenschlusses hat zu Konzentrationsprozessen geführt. Hier gilt es also widerstreitende Interessen
zu berücksichtigen. Würden wir der Forderung nach einer weiteren Flexibilisierung nachgeben, führte dies zu
einer weiteren Einschränkung der wohnungsnahen Versorgung.
Ein anderes Argument für eine weitere Flexibilisierung des Ladenschlusses ist die Steigerung des Umsatzes. 1996 hat die damalige Bundesregierung, gestützt auf
eine Ifo-Studie, behauptet, die verlängerten Öffnungszeiten brächten 20 Milliarden Euro mehr Umsatz. 1999
musste das Ifo-Institut zugeben, dass es keinerlei Umsatzsteigerungen gegeben hat. Vielmehr haben wir zu registrieren, dass der Gesamtumsatz seit Jahren stagniert.
Trotz erweiterter Öffnungszeiten waren die Umsatzzahlen im Jahr 2003 negativ. Der Rückgang betrug 0,7 Prozent. Damit ist Ihre Argumentation zugunsten einer weiteren Flexibilisierung des Ladenschlusses widerlegt. Es
ist nicht mit Umsatzsteigerungen zu rechnen. Es gibt
kein Argument für mehr Flexibilität.
Des Weiteren wird ein städtebauliches Argument für
eine weitere Flexibilisierung der Ladenschlusszeiten angeführt, nämlich die Belebung der Innenstädte. Dazu
gibt es drei Feststellungen in einer der beiden Ifo-Grundsatzstudien zu diesem Thema. Die erste lautet: Die kleineren Geschäfte - damit sind diejenigen gemeint, deren
Jahresumsatz unter 2 Millionen DM liegt - können nicht
mithalten und schließen überwiegend um 18.30 Uhr,
während nahezu alle großen Geschäfte - damit sind diejenigen gemeint, die einen Jahresumsatz von mehr als
25 Millionen DM haben - davon Gebrauch machen.
Die zweite Feststellung des Ifo-Instituts lautet: Die
Ausweitung der Öffnungszeiten hat den öffnungsaktiven
Geschäften nennenswerte Umsatzsteigerungen gebracht. Die verlängerten Öffnungszeiten haben daher zu
einer Differenzierung der Leistungsprofile der Geschäfte
und Filialsysteme geführt. Zentrale Standorte des Einzelhandels sowie großflächige Betriebstypen haben an
Bedeutung gewonnen.
Die dritte Feststellung des Ifo-Instituts lautet - das ist
die Schlussfolgerung -: Gewinner sind die Ia-Lagen in
Großstädten ab 500 000 Einwohnern. Verlierer sind die
Stadtteile, die Klein- und die Mittelstädte.
Auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels
hat sich in einer Sachverständigenanhörung im
Jahre 2003 gegen eine gänzliche Ausweitung ausgesprochen:
Unsere große Sorge ist, dass sich, wenn eine totale
Liberalisierung stattfände, der schon zu beobachtende Drang auf die grüne Wiese noch weiter verstärken wird, insbesondere wenn die Öffnungszeiten tief in die Nacht hineingehen. Wir befürchten,
dass Einzelhandelsstandorte der Innenstadt in der
Konkurrenz mit der grünen Wiese noch weiter zurückfallen werden.
Also trägt auch das Argument „Belebung der Innenstädte“ nicht.
Meine Damen und Herren der FDP, seien Sie doch
ehrlich: Sie wollen den kleinen und mittelgroßen Einzelhändlern doch gar keine Chancen verschaffen. Ihnen
geht es nur um Ihre Klientel, um die Interessen der großen Kaufhäuser und der Einkaufszentren auf der grünen
Wiese.
({3})
Meine Damen und Herren von der FDP, die Geschichte
von Robin Hood ging anders. Sie lautete nicht - so
macht es die FDP -: Nehmts den Kleinen, gebts den
Großen.
Ein weiteres Argument lautet: mehr Beschäftigung.
Auch in dieser Hinsicht hat es in der Vergangenheit viel
versprechende Voraussagen gegeben. 1996 hat Ihre alte
Bundesregierung erklärt, das Ganze werde 50 000 Arbeitsplätze bringen. Das Gegenteil war die Folge. Die
Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel ist von 2,75 Millionen im Jahr 1995 auf 2,5 Millionen im Jahr 2002 zurückgegangen. Das sind die offiziellen Zahlen. Hinzuzufügen ist, dass der Umfang der geringfügigen Beschäftigung und der Teilzeitbeschäftigung zugenommen hat,
sodass das Ausmaß des Beschäftigungsabbaus noch
deutlich größer ist. Die Konsequenz: kein Arbeitsplatz
mehr, aber eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von 2,5 Millionen Menschen. Das ist nicht
akzeptabel. Sie wollen die Arbeitnehmerrechte dem
Wühltisch preisgeben.
Das letzte Argument - es richtet sich besonders klar
gegen Ihr Vorhaben -: Das Ganze ist frauen-, familienund gesellschaftsfeindlich. Fast 70 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen. Wie sie mit den
Arbeitszeiten fertig werden sollen, insbesondere vor
dem Hintergrund der Kinderbetreuungssituation, die nun
einmal vorrangig von den Ländern bestimmt wird, können Sie nicht erklären. Soziale Werte wie Familienleben,
Vereinsleben und bürgerschaftliches Engagement gelten
bei Ihnen wenig. Sie sind ja auch nicht in Euro und Cent
messbar.
Meine Damen und Herren der FDP, die Ihrerseits intendierte vollständige Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten ist ein Ladenhüter. Kein Umsatzplus, kein
Beschäftigungsplus, sondern eine zusätzliche Verödung
der Innenstädte und schlechtere Arbeitsbedingungen wären die Folge. Nehmen Sie Abstand von Ihrem Vorhaben!
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann Kues.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin, wenn wir heute am Punkt null wären und
uns überlegen müssten, wie wir das Ganze - Zuständigkeiten des Staates, Umfang des Freiraums der Menschen organisieren sollten, kämen wir dann wohl auf die Idee,
ein so kompliziertes Ladenschlussgesetz zu verabschieden? Ich glaube, nein. Deswegen sage ich im Hinblick
auf Ihre Argumentationsweise ausdrücklich: Sie sind
dem Status-quo-Denken zu sehr verhaftet. Das ist für
mich strukturkonservativ und bringt uns überhaupt nicht
weiter.
({0})
Auch unter den Sozialdemokraten gibt es sehr unterschiedliche Töne; ich denke zum Beispiel an den Wirtschaftsminister. Ich habe schon einmal gesagt - ich rede
nicht zum ersten Mal zum Thema Ladenschluss -: Dieses Thema wird immer dann hervorgeholt, auch von den
Sozialdemokraten, wenn einem zur Wirtschaftspolitik
nicht mehr so ganz viel einfällt. Man tut dann so, als
wäre damit die zentrale Lösung verbunden. Das ist aber
keineswegs so. Die zentrale Lösung ist - darüber müssen
wir uns Gedanken machen -, dass wir wirtschaftlich
wieder in Gang kommen, damit vorhandene Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.
({1})
Ich will ganz klar festhalten, dass die Position der
Union zum Ladenschluss von zwei Eckpunkten gekennzeichnet ist: Erstens wollen wir den Sonntag konsequent
schützen.
({2})
Zweitens wollen wir dem Werktag die bürokratischen
Fesseln nehmen. Wir sind also liberal, was die Werktage
angeht, wir sind aber prinzipienorientiert, was den
Sonntag angeht.
({3})
Ich will ganz deutlich sagen, wie wir das sehen: Der
Sonntag ist wichtig für Familien, Verwandte und
Freunde; er ist wichtig für die Pflege sozialer und gesellschaftlicher Kontakte; er ist auch wichtig als Ruhepause,
in der man zur Besinnung kommen und innehalten kann;
er ist auch wichtig als Freiraum für religiöse Aktivitäten;
er ist wichtig für Freizeit und Sport, also für die Zeit, die
nicht in erster Linie von vordergründigen Nützlichkeitserwägungen bestimmt ist.
Es ist klug, wenn wir als Gesetzgeber zum einen klar
sagen, was für uns von zentraler Bedeutung ist, nämlich
der Sonntagsschutz, zum anderen uns aber ebenso zu
unbürokratischen Regelungen an Werktagen bekennen. Der Ansatzpunkt der Union ist klar: Zur Siebentagewoche gehört ein freier Tag. Das ist Teil unserer Kultur und hat eine mindestens 2 000-jährige Tradition.
Unserer Auffassung nach muss der Gesetzgeber das bundeseinheitlich und effektiv schützen, unabhängig davon,
welchen Spielraum man den Ländern ansonsten einräumt. Ich sage aber auch, und zwar nicht nur aufgrund
des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, sondern
auch aufgrund der Diskussionen, die es im Bundesrat gegeben hat, dass meines Erachtens der Bundesgesetzgeber handeln muss, und zwar völlig unabhängig von den
Entwicklungen in der Föderalismuskommission.
({4})
Wir sind dafür, dass den Menschen zeitlicher Spielraum gegeben wird, den Verbrauchern ebenso wie den
zahlreichen Menschen, die sich beispielsweise mit einer
Dienstleistung zu einer ungewöhnlichen Zeit ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, statt arbeitslos zu sein.
Wir als Union sind dafür, lieber weniger und das gescheit zu regeln, als alles Mögliche zu regeln. Damit produzieren wir nur neue Bürokratie und verlieren im Endeffekt das eigentliche Ziel aus den Augen. Den
Sonntagsschutz dürfen wir eben nicht aus den Augen
verlieren. Deswegen brauchen wir hierfür bundeseinheitliche Regelungen. Ich kann es noch anders formulieren: Wir müssen wissen, was wir verlieren, wenn wir die
letzte einheitlich geprägte Zeitzone in einer immer flexibilisierteren Zeitstruktur vernichten.
Ich weiß nicht, um den wievielten Antrag zum Ladenschluss es sich bei dem vorliegenden handelt. Wir reden
seit Jahrzehnten darüber. Immer ging es darum, etwas zu
regeln bzw. festzuschreiben. Interessanterweise reden
wir ja auch von Ladenschluss und nicht von Ladenöffnung. Wir schreiben den Kaufleuten vor, wann sie den
Laden geschlossen zu halten haben, und wir schreiben
den Kunden vor, wann sie einzukaufen haben. Wir überziehen den Vorgang des Kaufens, der ja eigentlich ein
sehr individueller ist, meiner Meinung nach völlig unnötig mit Paragraphen.
({5})
Der Kollege Brandner hat kürzlich einmal gesagt
- das klang ja hier eben auch wieder an -, er sei gegen
eine Freigabe der Öffnungszeiten, weil die bestehenden
Ladenöffnungszeiten schon nicht genutzt würden. Ich
sage deutlich: Darum geht es gar nicht. Es geht darum,
ob wir den Menschen vorschreiben wollen, wann und
wo sie ihre Geschäfte zu öffnen haben und wann und wo
sie einzukaufen haben. Ich bin dagegen, da sich, wie ich
denke, die Konsumgewohnheiten und die Konsummöglichkeiten nicht zuletzt dank des Internets geändert
haben.
Ich gebe zwar nicht viel auf Umfragen, aus denen hervorgeht, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung die jetzigen Regelungen als nicht weit genug gehend empfinden
und mehr Flexibilität wollen, aber zugleich möchte ich
auch nicht, dass die Menschen - das wollen sie ja auch
selbst nicht - auf Tankstellen und Bahnhofsverkaufsstände angewiesen sind, wo die Waren in der Regel wesentlich teurer sind. Deswegen sollten wir den Menschen
mehr zeitlichen Spielraum geben. Sie sollten selbst entscheiden können, wo es sich für sie lohnt bzw. wann es
sich für sie privat oder familiär einrichten lässt.
Ausdrücklich gilt: Keiner muss seinen Laden öffnen.
Die Frage ist, ob er es darf. Ich bin sicher, dass sich aufgrund der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten vernünftige Regelungen - das können wir auch bei dem jetzt
vorgegebenen zeitlichen Rahmen feststellen - einpendeln werden. Manche sagen zwar, es werde nicht zu zusätzlichen Umsätzen kommen. Aber ich bin ganz sicher,
dass der Einzelhändler genau weiß, ob es sich für ihn
lohnt, sein Geschäft zu öffnen; wenn sich herausstellt,
dass es zu bestimmten Zeiten keine Nachfrage gibt, wird
er es zu diesen Zeiten sicher schnell wieder schließen.
Ich finde jedenfalls, diejenigen, die einfallsreich sind,
die etwas unternehmen wollen, die eine besondere
Dienstleistung anbieten wollen, dürfen nicht gezwungen
werden, sich eine Tankstelle zu pachten, damit das möglich wird.
({6})
Insofern ist der Antrag der FDP durchaus zu begrüßen; denn die Forderung, den Ladenschluss den Ländern
zu überlassen, ist nicht nur eine föderalistische Frage,
sondern sie läuft darauf hinaus, den Ladenschluss faktisch zu flexibilisieren.
Wenn eben gesagt wurde - dazu sind auch einzelne
Stimmen aus dem Regierungslager zu hören -, über den
Ladenschluss müsse die Föderalismuskommission entscheiden, so ist das meines Erachtens nichts weiter als
ein Bremsmanöver, weil man sich in der Sache nicht einig ist. Die Landwirtschaftsminister fordern den Wechsel und die Bundestagsfraktion ist dagegen. Ich jedenfalls erkenne keine Linie. Angesichts dessen, was die
Föderalismuskommission vor sich hat, frage ich mich,
warum man ihr diese Entscheidung überlassen will. Ich
finde, man sollte das abräumen, was man leicht abräumen kann, wenn man es nur will.
Wir quälen uns in Deutschland seit über 110 Jahren
mit diesem Problem herum, das andernorts überhaupt
kein Thema mehr ist. Die Argumente werden seit Jahren
ausgetauscht; sie sind im Wesentlichen auch im FDP-Antrag aufgeführt, es sind nur weniger geworden. Der
Schwerpunkt liegt gegenwärtig auf der Frage, wie viel
Kompetenz man den Ländern geben will. Es sind im
Grunde genommen immer dieselben Argumente, im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe. Ich sage ausdrücklich,
dass der wirtschaftliche Grund, der flexible Ladenschluss
führe womöglich zu Umsatzsteigerungen, für mich
nicht der zentrale ist; denn das ist nur begrenzt überzeugend. Für mich ist ein anderer Aspekt entscheidend:
Wenn man, abgesehen von der Sonntagsregelung, die
Bundeszuständigkeit hier aufgeben würde, wäre das ein
Signal, den Bürgern auch in anderen Bereichen mehr Entscheidungsfreiheit zu geben, ihnen mehr Verantwortung
zukommen zu lassen und auch in anderen Bereichen
mehr von den Bedürfnissen der Menschen auszugehen,
statt immer alles staatlich vorzuschreiben.
({7})
Das Stichwort Arbeitsschutz ist hier angesprochen
worden. Es ist schon mehrfach gesagt worden: Dafür
gibt es arbeitszeitgesetzliche und tarifvertragliche Regelungen. Für mich ist völlig klar, dass die Öffnungszeiten
in Berlin ganz anders geregelt werden können als zum
Beispiel auf dem flachen Land. Wir wollen, bis auf den
generellen Sonntagsschutz, den Ländern die Zuständigkeit übertragen. Wir haben in den vergangenen Jahren in
immer schnellerer Folge neue Öffnungszeiten beschlossen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass sich die Gewohnheiten der Menschen verändert haben und dass wir
im Prinzip eingesehen haben, dass wir ihnen in diesem
Bereich keine Fesseln anlegen sollten.
({8})
Es haben sich über viele Jahre Sonderregelungen
etabliert: Apotheken dürfen Arzneien, Kioske Zeitungen
und Bäcker Brötchen verkaufen. An Tankstellen - ich
habe sie schon angesprochen -, Bahnhöfen und Flughäfen kann sich der Kunde mit Artikeln des Reisebedarfs
eindecken, wozu heute fast alles gehört, sodass mancher
Bahnhof zum Shoppingcenter und nicht wenige Tankstellen zu regelrechten Supermärkten geworden sind.
Außerdem sind anlässlich von Märkten und Messen bis
zu vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage erlaubt. Weitere Ausnahmen gibt es für beliebte Tourismusziele.
Ich werbe aus gutem Grund deswegen erstens für
Länderzuständigkeit, zweitens für die Abschaffung der
Überregelung an Werktagen und drittens für einen konsequenten bundeseinheitlichen Schutz des Sonntags. Dabei will ich eines allerdings nicht verschweigen: Der
Sonntag schenkt uns nicht einfach Zeit, sondern er
schenkt uns vor allem gemeinschaftliche Zeit, frei von
Nützlichkeitserwägungen und ohne großen Koordinierungsaufwand. Das wird in Zukunft ein wertvolles Gut
sein.
({9})
Wie sich allerdings die Regelung bezüglich des Sonntags auf Dauer entwickeln wird, hängt - diese persönliche Bemerkung sei mir gestattet, auch an dieser Stelle
am Freitagnachmittag - in erster Linie nicht vom staatlichen Rahmen ab. Das hängt vielmehr davon ab, wie wir
als Bürgerinnen und Bürger den Sonntag praktizieren
und ob wir ihn durch unser Verhalten auch inhaltlich füllen. Denn eine leere Hülle ist auf Dauer schwer zu verteidigen. Damit wir ihn überhaupt inhaltlich füllen
können, muss der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, und zwar bundeseinheitlich und effektiv unter Mitwirkung der Länder.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile nun dem Abgeordneten Hubert Ulrich das
Wort zu seiner vorerst letzten Rede in diesem Parlament.
Er geht zurück ins Saarland.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Hintergrund des FDP-Antrages - so interpretiere ich ihn - ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Sommer dieses Jahres. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass der Deutsche
Bundestag in Zukunft nur noch sehr eingeschränkte
Möglichkeiten haben wird, das Ladenschlussgesetz zu
ändern. Daraus folgte ein einstimmig beschlossener Gesetzentwurf der Länder, die den Ladenschluss in eigener
Hoheit regeln wollen.
Über eine Länderzuständigkeit für den Ladenschluss
kann man ernsthaft diskutieren. Ich habe grundsätzlich
kein Problem damit. Allerdings gibt es, wie wir vorhin
gehört haben, die Föderalismuskommission. Diese
Kommission verhandelt über ein Gesamtpaket zur Entflechtung des Wirrwarrs bezüglich der Bund- und Länderkompetenzen, was mehr als sinnvoll ist.
Zum jetzigen Zeitpunkt, liebe Frau Kopp, wäre es
völlig falsch, einen einzelnen Punkt aus diesem Verhandlungspaket herauszulösen.
({0})
Der Ladenschluss ist ein Teil der Verhandlungsmasse.
Diese Kommission ist nicht irgendeine Kommission,
wie das vorhin von Ihrer Seite dargestellt wurde. Es ist
eine Kommission, die immerhin von Franz Müntefering
und Edmund Stoiber geleitet wird.
({1})
Sie ist also hochkarätig besetzt. Es soll auch etwas dabei
herauskommen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt eine entsprechende Entscheidung zu treffen wäre völlig falsch.
Was Sie machen - das ist meine Interpretation -, ist reiner FDP-Klamauk, um ein Thema hochzubringen, über
das Sie gerne diskutieren wollen.
Diese Diskussion hat einen anderen Vorteil, Frau
Kopp: Sie gibt uns Gelegenheit, ernsthaft über die aktuelle Karstadt-Krise zu reden.
({2})
Ich habe mit Schmunzeln die Einlassungen des hochkompetenten Herrn Brüderle, des harten Marktwirtschaftlers der FDP, vernommen, der vor dem Hintergrund der Karstadt-Krise nach dem Staat ruft. Herr
Brüderle tritt sonst immer für eine knallharte Deregulierung, für die Privatisierung bis zum letzten Putzlappen
und für das freie Spiel der Kräfte ein.
Ein großes Privatunternehmen ist - wie man hört - im
Wesentlichen durch eigene Managementfehler in der
Krise. Jetzt kommt aber nicht der Ruf der FDP nach
marktwirtschaftlichen Lösungen. Nein, man ruft nach
dem starken Staat. Es ist nicht das erste Mal, dass sich
Herr Brüderle zu solchen Einlassungen verstiegen hat.
Was hat Herr Brüderle gefordert, als vor anderthalb oder
zwei Jahren die T-Aktie in den Keller gerutscht war?
({3})
- Ja, der Staat muss aushelfen. Die Verluste sollen vom
Staat übernommen werden. - Das ist wirklich ein starkes
Stück. Ein solcher Unsinn kommt normalerweise nur
von der PDS. Von einer Partei wie der FDP, die ernsthaft
den Anspruch erhebt, dieses Land wieder zu regieren,
sollte man etwas anderes erwarten können. Aber das ist
Ihre Linie.
({4})
Stichwort Handwerksordnung. Auch da war die
FDP gegen eine Deregulierung. Ihre Gesundheitspolitik
ist reine Klientelpolitik. Diese Art von Populismus schadet der Sache insgesamt. Was Sie hier machen, ist PDS
für Besserverdienende, sonst nichts.
({5})
Die „Financial Times Deutschland“ hat heute Morgen
diese Diskussion in einem Kommentar gut auf den Punkt
gebracht. Sie hat daran erinnert, dass der Ruf der FDP
nach dem Kanzler fatal an einen alten Glauben in der
DDR erinnert, nämlich an den Glauben, dass eine Eingabe an Honecker es schon richten würde.
({6})
Vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit,
dass die Kompetenz für den Ladenschluss wirklich an
die Länder übergeht, nicht so gering ist, will ich auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Ich möchte in
Erinnerung rufen, dass der Staat helfend eingreifen
könnte, um die Verödung der Innenstädte aufzuhalten.
Die Verödung der Innenstädte ist ja in dieser Woche
vor dem Hintergrund der Karstadt-Krise in der Tat ein
ernsthaftes Thema in der deutschen Presse. Und das zu
Recht. Unsere Innenstädte veröden wirklich. Der Staat
muss sich überlegen: Wie kann er da eingreifen?
({7})
Es wurde ja schon mehrfach in den Debatten um den
Ladenschluss versucht, das so genannte Cityprivileg in
die Diskussion zu bringen. Ich glaube, eine zeitliche Differenzierung im Hinblick auf Geschäfte in Innenstadtlagen und im Hinblick auf solche auf der grünen Wiese
ist vermutlich der einzige Weg, wie man der Innenstadt
helfen und eine Verödung stoppen kann. So kann man in
Deutschland vielleicht eine Entwicklung verhindern, die
heute in den Vereinigten Staaten mit horrenden Summen
bekämpft wird. Dort hat man die Innenstädte durch die
Ansiedlung von Geschäften auf der grünen Wiese ausgeräumt. Heute werden zig Millionen US-Dollar investiert,
um die Innenstädte wieder zu beleben.
Das heißt, man sollte ernsthaft darüber nachdenken
- das ist auch ein Appell an die Länder, falls sie die
Kompetenz erhalten sollten, die Ladenschlusszeiten zu
regeln -, eine zeitliche Differenzierung einzuführen, was
ja rechtlich geht. So etwas kann man beispielsweise in
der Baunutzungsverordnung regeln - das geht auch im
Rahmen der jetzt geltenden Ladenöffnungszeiten -, sodass Geschäfte auf der grünen Wiese eine Stunde bzw.
anderthalb Stunden früher schließen müssten als Geschäfte in Innenstadtlage.
({8})
Das heißt, Geschäfte in der Innenstadt haben bis 20 Uhr
und Geschäfte auf der grünen Wiese haben bis 18.30
oder 19 Uhr geöffnet. Das hätte auch den enormen Vorteil, dass davon nicht nur die Geschäfte in den Innenstadtlagen profitieren würden, sondern insbesondere
auch Kleinunternehmer, die von der FDP regelmäßig
vergessen werden. Dies gilt auch für Kinos, Theater und
die Gastronomie.
({9})
Darüber sollte man also noch einmal ernsthaft nachdenken.
({10})
Meine Redezeit geht zu Ende.
({11})
Die Präsidentin war so nett, darauf hinzuweisen, dass
dies heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag
ist. Ich gehe in den saarländischen Landtag zurück.
({12})
Deshalb möchte ich mich heute an dieser Stelle von Ihnen verabschieden und mich bei all denen bedanken, mit
denen ich in diesem Hause gut zusammengearbeitet
habe. Ich wünsche Ihnen allen parteiübergreifend eine
gute Hand bei der Politik, die Sie hier für uns alle machen müssen.
Vielen Dank.
({13})
Ich wünsche Ihnen auch alles Gute für Ihre politische
und persönliche Zukunft. Wir sehen uns bestimmt wieder.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3359 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wirkungsgleichen Übertragung von
Regelungen der sozialen Pflegeversicherung
sowie der gesetzlichen Krankenversicherung
auf dienstrechtliche Vorschriften
- Drucksache 15/3444 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 15/3830 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Thomas Strobl ({2})
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/3847 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Alexander Bonde
Otto Fricke
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
vor.
Die Abgeordneten Kemper, Göbel, Stokar von
Neuforn und Max Stadler sowie der Parlamentarische
Staatssekretär Körper haben gebeten, ihre Reden zu Pro-
tokoll geben zu dürfen. Sie sind damit einverstanden? -
Dann verfahren wir auch so.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den eingebrachten Gesetzentwurf. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3830, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag auf Drucksache 15/3848? ({4})
1) Anlage 8
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsan-
trag ist mit den Stimmen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei
Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen wor-
den.
Der Abgeordnete Kelber hatte darum gebeten, eine
Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zu dem eben
verabschiedeten Gesetzentwurf zu Protokoll zu geben.
Der Bitte wird entsprochen.2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge
- Drucksachen 15/3678, 15/3822 ({5})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({6})
- Drucksache 15/3819 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Weis ({7})
Wilhelm Josef Sebastian
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer
({9}), Eduard Oswald, Dr. Klaus W.
Lippold ({10}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
LKW-Mauteinführung zügig voranbringen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer
({11}), Eduard Oswald, Dr. Klaus W.
Lippold ({12}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Mautbefreiung für humanitäre Hilfstrans-
porte
- Drucksachen 15/3314, 15/3489, 15/3819 -
2) Anlage 6
Abgeordnete Reinhard Weis ({0})
Wilhelm Josef Sebastian
Die Abgeordneten Weis, Hofbauer, Sebastian,
Schmidt und Friedrich und die Parlamentarische
Staatssekretärin Mertens haben gebeten, die Reden zu
Protokoll geben zu dürfen.1) - Auch das findet Ihre Zu-
stimmung.
Wir kommen somit gleich zur Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgeset-
zes für schwere Nutzfahrzeuge; das sind die Druck-
sachen 15/3678 und 15/3822. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3819,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gibt es
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall.
Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
1) Anlage 9
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 15/3314 mit dem Titel „LKW-Mauteinführung zügig voranbringen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 15/3489 mit dem Titel „Mautbefreiung
für humanitäre Hilfstransporte“ für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Oktober 2004, 14 Uhr
- das ist eine Stunde später als üblich -, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und
ebenso den Besucherinnen und Besuchern auf den Tribünen eine gute Heimfahrt und ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.