Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Für den verstorbenen Kollegen Büttner hat die Abgeordnete Dr. Bärbel Kofler am 21. September 2004 die
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich
begrüße die Kollegin herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b so-
wie Zusatzpunkt 5 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 15/3674 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2})
- Drucksache 15/3737 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Kues
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der
Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen
- Drucksachen 15/3513, 15/3737 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Kues
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten KarlJosef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Langfristig eine einheitliche Förderung der
Selbstständigkeit von Arbeitslosen schaffen
- Drucksache 15/3707 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Karin Roth, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
zur Arbeitsmarktpolitik wollen wir die Maßnahmen konkretisieren und mit dazu beitragen, dass die begonnenen
Reformen unkompliziert und unbürokratisch umgesetzt
werden können. Mit den Vorschlägen setzen wir unsere
Strategie, den Arbeitsmarkt zu modernisieren und dabei
vor allen Dingen die Vermittlung in Arbeit zu beschleunigen, fort.
Wir wissen, dass die Arbeitsmarktpolitik kein Ersatz
für Beschäftigungspolitik ist. Deshalb sind Investitionen
- insbesondere der Kommunen - zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Regionen genauso wichtig wie die
Erfindung neuer Produkte und Dienstleistungen in den
Unternehmen. Innovation und Beschäftigung durch Forschung und Entwicklung - das ist die eine Seite der Medaille einer nachhaltigen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Die andere Seite erfordert passgenaue
Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Das haben wir mit
unseren Reformen am Arbeitsmarkt angepackt, die es
jetzt in die Praxis umzusetzen gilt.
Zu allererst geht es um eine schnellere Vermittlung in
Arbeit. Dazu wird die Organisation in den Agenturen für
Arbeit vor Ort so verändert, dass nunmehr die Arbeitsvermittlung im Mittelpunkt steht. Zu Norbert Blüms
Redetext
Karin Roth ({0})
Zeiten hatte ein Arbeitsvermittler bis zu 800 Arbeitslose
im wahrsten Sinne des Wortes zu verwalten, aber wenig
Chancen, den Einzelnen so zu betreuen, ihn so im Blick
zu haben, dass eine passgenaue Arbeit vermittelt werden
konnte.
Jetzt steuern wir um. Unser Ziel ist, dass in Zukunft
ein Arbeitsvermittler maximal 150 Arbeitslose betreut,
bei Jugendlichen sogar nur 75. Damit verbessern wir die
Vermittlungschancen, weil jeder einzelne Arbeitslose
stärker im Blickfeld des Arbeitsvermittlers steht.
Folgerichtig verlängern wir deshalb heute auch die
bisher bestehende zeitliche Befristung für das neue Instrument der Vermittlungsgutscheine für private Vermittler
bis zum 31. Dezember 2006. Rund 1,2 Millionen Vermittlungsgutscheine wurden in den letzten zwei Jahren
ausgegeben, um zusätzlich zur Arbeitsvermittlung in den
Agenturen neue Vermittlungsfelder zu erschließen. In
Ostdeutschland - man höre und staune - wurde die
Hälfte aller Vermittlungsgutscheine, nämlich 615 000,
ausgegeben. Das zeigt, dass offensichtlich eine große
Nachfrage nach diesem Instrument besteht.
Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung macht zudem deutlich, dass durch
den Einsatz von Vermittlungsgutscheinen die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit um rund zwei
Wochen verkürzt und die Vermittlungsgeschwindigkeit
sogar um 7 Prozent erhöht werden kann. Das ist ein Beweis dafür, dass bei der Vermittlung in Arbeit noch mehr
möglich ist. Könnten wir diese Beschleunigung auf den
gesamten Prozess der Arbeitsvermittlung nur zur Hälfte
übertragen, würden wir durch die Reduzierung um eine
Woche Ausgaben für das Arbeitslosengeld in Höhe von
immerhin 1 Milliarde Euro einsparen.
Bei der Vereinfachung geht es nicht nur um die
Beschleunigung des Vermittlungsprozesses im Interesse der Arbeitslosen, sondern auch um die paritätisch
finanzierte Arbeitslosenversicherung; denn dieses Geld
muss nicht notwendigerweise ausgegeben werden. Dieses positive Zwischenergebnis zeigt uns, dass wir mit
unserer Politik auf dem richtigen Weg sind. Deshalb
werden wir die Frist für den Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein von heute drei Monaten Arbeitslosigkeit
auf sechs Wochen verkürzen.
({1})
Warum sollten wir wertvolle Zeit vergeuden, wenn eine
schnellere Vermittlung bzw. Eingliederung in Arbeit
möglich ist?
({2})
Allerdings müssen wir Missbrauch und Mitnahmeeffekte verhindern. Dazu hat uns vor allen Dingen der
Bundesrechnungshof aufgefordert. Deshalb werden wir
die Auszahlung an die Dauer der Beschäftigung koppeln. Die erste Rate des Vermittlungshonorars wird erst
ausgezahlt, wenn das Beschäftigungsverhältnis mindestens sechs Wochen besteht. So beugen wir Scheinarbeitsverhältnissen vor und so verhindern wir gemeinsam
Missbrauch.
Das erfolgreiche Instrument der Ich-AG, bei der ein
Arbeitsloser ohne bürokratischen Aufwand den Schritt
in die Selbstständigkeit wagen kann, wollen wir weiter
stärken. Dabei kommt es vor allem darauf an, die betriebswirtschaftlichen Grundlagen stärker ins Blickfeld
zu nehmen, weil der Erfolg von Ich-AGs entscheidend
von entsprechenden Kenntnissen abhängig ist. Fachkundige Stellen, die schon heute Existenzgründungen von
Arbeitslosen vor Ort unterstützen, sollen deshalb die
Ich-AGs und die Tragfähigkeit des Gründungskonzepts
überprüfen und vor allen Dingen die Existenzgründerinnen und Existenzgründer in spe beraten. Dadurch soll
das Risiko des Scheiterns der Existenzgründer vermindert werden.
Die Erfahrungen mit dem Überbrückungsgeld zeigen,
dass bei Arbeitslosen ein großes Potenzial für die Selbstständigkeit vorhanden ist. Deshalb sollten wir die arbeitslosen Menschen gemeinsam - ich betone: gemeinsam - ermutigen, Neues zu wagen. Es ist sehr
bemerkenswert, mit wie viel Fantasie solche Ich-AGs
gegründet werden. Aufgrund der Beispiele, die ich vor
Ort kennen gelernt habe, kann ich sagen: Ich war sehr
beeindruckt, dass insbesondere auch Frauen dieses Instrument nutzen, um in die Selbstständigkeit zu gehen.
Die Fantasie dieser Frauen ist wahrlich bewundernswert.
({3})
Denn es sind nicht die traditionellen Beschäftigungszweige, die Frauen in die Selbstständigkeit bringen.
Vielmehr haben sie wirklich wunderbare Ideen. Es gilt,
sie zu ermutigen.
Immerhin sind in den letzten 12 Monaten insgesamt
31 Prozent mehr Ich-AGs entstanden. Das ist eine gute
Bilanz. Noch mutiger - auch das möchte ich betonen sind die Menschen in den neuen Bundesländern: Dort
liegt die Zunahme bei denen, die eine Ich-AG gründen
und sich der Selbstständigkeit stellen, bei 40 Prozent.
Diese erfreulichen Zahlen sind für uns ein Ansporn, dieses Instrument zu verbessern. Genau das tun wir durch
den vorliegenden Gesetzentwurf.
Ich bin davon überzeugt, dass durch Kreativität, Engagement und längerfristige Unterstützung eine neue
Existenzgründerkultur entstehen kann. Angesichts des
konjunkturellen Aufschwungs unserer Wirtschaft, der
sich bereits in höheren Gewerbesteuereinnahmen niederschlägt, ist die Zeit reif für eine solche Existenzgründerkultur. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest,
dass Deutschland in der Europäischen Union auf Platz
vier bei der Anzahl der Existenzgründer liegt. Ich bin davon überzeugt, wir können noch besser werden, ja wir
müssen besser werden. Dafür müssen wir alles tun und
deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, diesem Gesetz zustimmen.
({4})
Karin Roth ({5})
Die Opposition hat beantragt, über die Wirksamkeit
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Bericht zu erstatten. Ich denke, dass das erst dann sinnvoll ist, wenn
die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten vorliegen.
Ich denke, Sie können unserem Gesetzentwurf in aller
Ruhe zustimmen; das gilt auch für den vorgesehenen
Kinderfreibetrag, dessen Erhöhung Sie unterstützen
wollen. Auch hier sollten Sie heute zustimmen. Wir haben die größte Arbeitsmarktreform in Deutschland auf
den Weg gebracht. Wir sollten die arbeitslosen Menschen ermutigen, wir sollten Positives nach vorne bringen.
Wir sollten die Jugendlichen auffordern, Beschäftigungs- und Ausbildungsangebote anzunehmen. Kurzum:
Wir fordern und fördern die Menschen. Wir machen
diese Reformpolitik, weil wir wissen, dass sie gut für
dieses Land ist. Ich bin davon überzeugt: Wir sind ein
starkes Land. Wir können es schaffen - wir haben eine
starke Regierung -, die Menschen davon zu überzeugen,
dass diese Arbeitsmarktpolitik richtig ist und dass sie vor
allen Dingen gut für die Zukunftsperspektiven der Menschen in diesem Land ist.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Kues, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion wird dieses Gesetz mittragen - trotz
einiger Widersprüche zu anderen sozialstaatlichen Regelungen. Wir haben das im Ausschuss angesprochen: Die
Erhöhung des Kinderfreibetrags ist in Ordnung. Sie wissen aber auch, dass jetzt die Kinder der nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger aufgrund einer anderen Freibetragsregelung anders behandelt werden als die Kinder
der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger. Das ist ein
Widerspruch; wir tragen es trotzdem mit.
({0})
Wir tragen es mit, obwohl Sie diesen Gesetzentwurf erst
vor zwei Wochen eingebracht haben, quasi beiläufig zu
den Haushaltsberatungen. Wir tragen es auch mit, obwohl es typisch ist für die Art und Weise, wie diese Bundesregierung Gesetzgebung betreibt: Bevor ein Gesetz in
Kraft tritt, werden bereits Korrekturen auf den Weg gebracht. Das ist ein Hin und Her, das kann nicht überzeugen und führt zu Unsicherheit.
({1})
Vor diesem Hintergrund werden Sie mir sicherlich zugestehen müssen, dass das deutsche Parlament noch nie
eine so konstruktive Opposition gehabt hat, wie CDU
und CSU sie darstellen.
({2})
Allerdings kann auch kein Zweifel daran bestehen - darauf will ich dann doch hinweisen -, dass dieses Gesetz
zu einem Lazarettzug gehört, der die Arbeitsmarktgesetzgebung der Regierung in den letzten Jahren begleitet, und zwar deshalb, weil sich die Arbeitsmarktpolitik
dieser Regierung im Wesentlichen darauf beschränkt,
mit hohem finanziellen Aufwand die Ergebnisse einer
verfehlten Wirtschaftspolitik in den Griff zu bekommen.
({3})
Ich sage auch ganz deutlich: Das, was an Wachstumschancen in Deutschland nicht genutzt wird, beispielsweise durch eine überhaupt nicht erkennbare in sich
schlüssige, langfristig angelegte Energiepolitik, kann
auch durch eine nachgelagerte Arbeitsmarktpolitik auf
dem zweiten Arbeitsmarkt nicht ausgeglichen werden.
Ich wundere mich schon, dass beispielsweise - auch das
ist einer der Widersprüche - bei der Grünen Gentechnik die gesetzlichen Regelungen mit Bürokratie überzogen werden, sodass eigentlich kaum noch etwas möglich
ist, während gleichzeitig der Wirtschaftsminister - mir
persönlich ist das ein Anliegen - etwa in der Frage der
Stammzellforschung so tut, als habe es nie eine gründliche Diskussion und einen fraktionsübergreifenden Beschluss hier im Parlament gegeben. Diese Dinge passen
nicht zusammen.
({4})
Jetzt ist neu hinzugekommen - die Politik, dass man
Gesetze ständig wieder korrigieren muss, hat sich im
Prinzip nicht verändert -, dass das Ganze durch die Beschimpfungsaktionen des Bundeskanzlers begleitet wird.
Ich sage ausdrücklich: Es gibt Missbrauch und Mitnahmeeffekte. Das ist nicht in Ordnung, dagegen muss etwas getan werden. Ich sage aber auch: Wenn man so miserable Gesetze verabschiedet, dass sie geradezu zu
Mitnahmen und Missbrauch einladen, dann muss sich
die verantwortliche Politik, die Bundesregierung, auch
ein wenig selbst an die Nase fassen.
({5})
Im Übrigen hätten Sie das alles vorher wissen können; Sie waren bei den Anhörungen ja dabei. Alle kritischen Punkte, die jetzt teilweise korrigiert werden, sind
damals angesprochen worden. Deswegen wäre es überhaupt nicht notwendig gewesen, dass man jetzt pausenlos nachbessern muss.
Ich habe die Anmerkungen des Bundesrechnungshofes zur Inanspruchnahme der Vermittlungsgutscheine
sehr genau gelesen; Sie haben das angesprochen. Die
Mitarbeiter zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit
haben gesagt, diese seien auch vom Auszahlungsmodus
her so angelegt gewesen, dass man bei Missbrauch und
Mitnahmen praktisch hilflos gewesen sei, und man
könne aus Zeit- und Personalgründen ohnehin nicht jedem Verdacht nachgehen.
Jetzt kommt hinzu, dass der Kanzler seine Schelte pikanterweise in der Ostzeitung „Guter Rat“, die es auch
schon vor der Wende gab, abgegeben hat. Ich hätte das
nicht so genau gewusst, wenn ich nicht einen Mitarbeiter
hätte, der im Osten aufgewachsen ist und das sehr genau
verfolgt hat. Er hat diese Hinweise also in erster Linie an
die Menschen in den neuen Bundesländern gegeben. Ich
sage auch an dieser Stelle noch einmal: Missbrauch ist
nicht in Ordnung, er muss bekämpft werden. Wenn man
Gesetze aber so anlegt, dass praktisch alles auf einen
Missbrauch hinausläuft und dass eine Mentalität entsteht, aufgrund deren sich jeder vom Staat das holt, was
er bekommen kann, dann darf man sich nicht darüber
wundern.
Apropos guter Rat: Ich erinnere mich noch sehr genau
an die SPD-Broschüre - damals gab es noch einen anderen Vorsitzenden; das gebe ich gerne zu -, in der den
Bürgern haarklein erläutert wurde, wie sie notfalls am
Rande der Legalität an staatliche Leistungen kommen
konnten, obwohl sie ein ausreichendes Einkommen hatten.
({6})
Das war im Jahre 1994; es ist also gerade einmal zehn
Jahre her. Es gibt einen Unterschied: Sie waren damals
die Opposition und haben geglaubt, der Regierung damit
schaden zu können. Es war aber unverantwortlich. Das
ist der Unterschied zu unserer heutigen Oppositionsarbeit.
({7})
Im Übrigen muss man nicht bis in Ihre Oppositionszeit
zurückgehen, um festzustellen, wie Sie Ihre Meinungen
über Bord werfen. Ich könnte dazu viele Beispiele nennen.
Frau Roth, Sie sagten, wir sollten uns einmal gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir den Weg in die
Selbstständigkeit fördern können. Wir haben im Ausschuss einen Antrag dazu eingebracht und gesagt, dass
man die Grundgedanken der Ich-AG und die Einführung
des Überbrückungsgeldes zusammenführen muss, weil
sich gezeigt hat, dass das Überbrückungsgeld wesentlich
nachhaltiger wirkt als die Ich-AG. Das lässt sich im Prinzip schon jetzt nachweisen.
70 Prozent der mit dem Überbrückungsgeld geförderten Kleinstunternehmen waren auch drei Jahre nach der
Gründung noch erfolgreich am Markt tätig. Jeder zweite
Existenzgründer hat inzwischen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben Ihnen im Ausschuss dringend ans Herz gelegt, dass Sie das unterstützen, weil das
ja ein gemeinsamer Weg sein könnte. Wir sagen an allen
Stellen: Dort, wo im Hinblick auf die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit etwas besser zu werden scheint, machen
wir mit. Das nenne ich konstruktiv. Sie sind aber destruktiv, weil Sie einen guten Vorschlag, dessen Sinn
auch Sie nicht bezweifeln, nur deshalb nicht unterstützt
haben, weil er von der Opposition kommt. Das geht
letztlich zulasten der Arbeitlosen.
({8})
Ich will jetzt nicht im Einzelnen etwas zu den Vermittlungsgutscheinen sagen. Ich habe mich einmal bei
meinem örtlichen Arbeitsamt erkundigt, wie damit umgegangen wird. Die Vermittlungsgutscheine sind im Wesentlichen für die Arbeitsuchenden geeignet, die mit
komplizierten Abläufen alleine fertig werden. Die
Gruppe, um die es uns besonders gehen muss, tut sich
sehr schwer. Fragen Sie einmal die arbeitslos gemeldeten Putzfrauen in den Arbeitsagenturen. Viele der Vermittlungsgutscheine finden Sie im Papierkorb wieder,
weil die Menschen nichts damit anfangen können. Das
alles lässt sich belegen; es ist in der Tat so. Im Grunde
genommen ist es ein ungeeignetes Mittel. Es passt nicht
und bewirkt letztlich nichts.
Was unser Land braucht, ist eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Verkrustungen löst, bürokratische
Hemmnisse abbaut und Optimismus und nicht Angst
verbreitet. Wir als Union sind schon immer dafür gewesen - da waren Sie noch weit davon entfernt -, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzufassen. Wir haben
das Gesetz mitgetragen, weil es eine Strukturveränderung bedeutet, die unseres Erachtens außerordentlich
notwendig ist. Aber so wie Sie es umsetzen, wird es sehr
schwierig.
Ich habe bis heute nicht begriffen, weshalb Sie sich
mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben - Frau
Dückert, Sie kennen das aus unserer Region, wenn ich
einmal Oldenburg zum Emsland zählen darf -, den
Kommunen hier die Verantwortung zu übertragen, obwohl wir damit beste Erfahrungen gemacht haben. Wir
mussten Ihnen das Zugeständnis abringen, dass gerade
einmal 69 Kommunen diese Erlaubnis bekommen. Das
zeigt, dass Sie einen guten Ansatz durch Bürokratie und
Zentralismus zu torpedieren versuchen. Das finde ich
außerordentlich schade.
({9})
Jetzt höre ich - damit komme ich zum Schluss -, dass
die Koalition bereits in der Mitte der Legislaturperiode
wieder zum Stillstand übergehen will. Ich halte das für
fatal. Wir brauchen eine durchgreifende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wir brauchen ein Denken
aus der Sicht des Arbeitslosen und nicht aus der Sicht
des Arbeitsplatzbesitzers. Wir brauchen Entscheidungsfreiheit für die betriebliche Ebene überall da, wo eine
Abkopplung der Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn
möglich ist. Der Wandel in Deutschland braucht mehr
Freiheit, mehr Eigenverantwortung und mehr Leistungsgerechtigkeit, vor allem auf dem Arbeitsmarkt.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kues, wir kommen zwar beide aus dem Norden - als Oldenburgerin grüße ich Sie -, aber da hören die Gemeinsamkeiten schon fast auf. Gerade in Bezug auf unsere
Sicht auf den Arbeitsmarkt und die arbeitsmarktpolitischen Ansätze gibt es große Unterschiede.
Ich möchte Folgendes vorausschicken: Ich begrüße
es, dass Sie trotz allem Ach, Weh und Aber deutlich gemacht haben, dass mit dem Gesetzentwurf, den wir heute
einbringen und in dem beispielsweise die Heraufsetzung
des Grundfreibetrages zur Schonung des Vermögens und
die Sicherstellung der nahtlosen Auszahlung im Januar
vorgesehen sind, die letzten Pflöcke eingeschlagen werden, damit diese Reform am 1. Januar 2005 wirklich umgesetzt wird.
Wir alle wissen, wie notwendig diese Reform ist. Eine
derart lange Dauer der Arbeitslosigkeit wie in Deutschland gibt es sonst in Europa nicht. Wir alle wissen, dass
der Paradigmenwechsel, den wir mit diesen Reformen
am 1. Januar 2005 vornehmen, hin zu einer Arbeitsmarktpolitik der Integration, in Deutschland bitter nötig
ist. Es geht darum - Frau Kollegin Roth hat das eben mit
Zahlen schon belegt -, endlich auch die Vermittlungstätigkeit zu verbessern, um die Menschen direkt und individuell beraten zu können, ihnen vielfältige Brücken in
den Arbeitsmarkt zu bauen und vor allen Dingen die Arbeitsmarktpolitik dezentral auszurichten. Wir wissen
auch: So unpopulär diese Reformen sind, so nötig sind
sie gleichzeitig.
Wir haben eben gehört, dass hier eine konstruktive
Oppositionsarbeit betrieben worden sei. Ich muss Ihnen
schon sagen, Herr Kues: Wenn ich zurückblicke, stelle
ich fest, dass der Weg zur Umsetzung einer wirklich sehr
schwierigen Reform in diesem Jahr mit lauter kleinen
Steinen der Destruktivität gepflastert ist. Ich will zum
Beispiel daran erinnern, dass Herr Koch noch im Frühjahr die Kommunen zum Boykott dieser Reformen aufgerufen hat. Ich will an den Schlingerkurs von Herrn
Milbradt erinnern, der auf der einen Seite im Vermittlungsausschuss Verschärfungen forderte und auf der anderen Seite am liebsten an den Montagsdemonstrationen
teilgenommen hätte.
Ich will auch - das geht an die FDP - an den billigen
Populismus in Form des Wahlslogans erinnern: Hartz
statt Herz.
({0})
- Das ist wahr. Ich bin für das Herz.
({1})
Es ärgert mich, dass Sie einen so populistischen Spruch
gebraucht haben.
({2})
Es geht darum, eine Arbeitsmarktpolitik zu machen, die
sich an den Menschen orientiert. Ihre billige Propaganda
mit dem Spruch „Herz statt Hartz“
({3})
hat den Rechten in die Hände gespielt. In trauter Einheit
mit der PDS haben Sie diese Strategie gewählt. Es hat
Ihnen vielleicht in Sachsen genutzt; aber damit haben
Sie den Neonazis in die Hände gespielt. Das wissen Sie
auch.
({4})
Die politische Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist,
dass wir notwendigerweise zusammenstehen müssen,
um diese Reformen zu verteidigen und zu erklären, weil
sie für Deutschland unumgänglich sind.
Herr Kues, bei allen Differenzen über einzelne Instrumente
({5})
- ob das Vermittlungsgutscheine, Ich-AGs oder ABM
sind - dürfen Sie nicht einen neuen Aufhänger suchen,
um die Politik des schlanken Fußes fortzusetzen. Sie
müssen - das zeigen auch die Wahlen - diesem Parlament und der Bevölkerung klar machen, dass erstens
kein Weg an den Reformen, die am 1. Januar wirksam
werden, vorbeiführt und zweitens vor dem 1. Januar die
Ärmel aufgekrempelt werden müssen, um die Reformen
möglichst reibungslos umzusetzen.
({6})
Wir stehen unter Zeitdruck. Den haben Sie durch das
Theater im letzten Jahr, als es um das Optionsgesetz
ging, mit zu verantworten.
({7})
Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Auszahlung am
1. Januar funktioniert, und es ist wichtig, sicherzustellen,
dass die verbesserte Förderung und Betreuung funktionieren, egal ob es Schwierigkeiten bei der Software gibt
oder nicht. Es ist wichtig, dass die Förderung, die Begleitung, die Beratung und die Auszahlungen bei den
Menschen ankommen. Darum geht es. Wir müssen uns
hier zusammentun, um das vorzubereiten.
Diese Reformen bedeuten nicht nur eine Veränderung
im Denken und im Umgang mit der Arbeitslosigkeit - es
geht darum, immer wieder alles daranzusetzen, dass die
Menschen beraten und integriert werden und die Dauer
der Arbeitslosigkeit reduziert wird -,
({8})
sondern diese Reformen bedeuten auch eine große
Chance für Deutschland. Das gilt in zweierlei Hinsicht,
und zwar einmal für die Jugendlichen, die erstmals nicht
nur eine elternunabhängige Leistung bekommen, sondern auch die Garantie für ein Angebot. Sie werden es
annehmen müssen, um ihre Leistung zu bekommen. Sie
bedeuten zum anderen auch eine Chance und eine Herausforderung für die Regionen, weil mit dieser Reform
eine dezentrale Arbeitsmarktpolitik - Herr Kues, diese
wollten wir immer - umgesetzt wird.
({9})
- Natürlich wollten wir sie.
({10})
Wir haben immer auf das Know-how vor Ort hingewiesen. Die Kommunen, die Träger, die Arbeitgeber, die
Kammern und die Wohlfahrtsverbände vor Ort wissen
am besten, was sie ihren Langzeitarbeitslosen anbieten
können und wie sie mit ihnen umgehen müssen. Sie kennen die Menschen. Dieses Wissen wollen wir einbinden.
({11})
Wir wissen aber auch, dass die Vermittlung wichtig ist.
Dabei hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Erfahrungen
eingebracht.
({12})
Wir müssen am 1. Januar und auch schon vorher für
eine reibungslose Umsetzung sorgen.
({13})
Ich plädiere für eine lernende Umsetzung. Ich rate jeder
Kommune und unseren Kommunalpolitikern, dafür zu
sorgen, dass Beiräte bei den Jobcentern eingerichtet werden, damit dieses Know-how in den Jobcentern gebündelt wird. Man muss darauf achten, dass Maßnahmen
wie die fälschlicherweise so genannten 1-Euro-Jobs
Qualifizierungsanteile haben und keine regulären Jobs
verdrängen. Wir wollen eine lernende Umsetzung, weil
es auch Spezialfälle gibt. Die Jobcenter und die Fallmanager haben eine hohe Verantwortung, wenn diese Spezialfälle auftreten.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Ich möchte ein Beispiel für die lernende Umsetzung nennen. So gibt es Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind und in
ein Frauenhaus gehen. Auch diese Frauen brauchen
- egal ob sie sich dafür entschieden haben, ihr Leben zusammen mit ihrem Partner weiterzuführen, oder dafür,
sich von ihm zu trennen - eine unabhängige Unterstützung und eine besondere Betreuung. All das werden wir
sicherstellen müssen.
Uns erwartet vor Ort eine Vielzahl von Aufgaben. Ich
wiederhole, Herr Kues: Ich hoffe, wir können das in Ihrer Region, dem Emsland, bei uns in Oldenburg wie
auch in den neuen Bundesländern gemeinsam auf den
Weg bringen.
Frau Kollegin, Sie wollten doch zum Schluss kommen.
Danke.
({0})
Ich erteile Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die Rede der Kollegin Dückert hört,
dann wundert man sich, dass sich alles, was sie zu Recht
festgestellt hat, leider nicht im Gesetzentwurf wiederfindet. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass
das Wort „Nachbesserung“ zum Unwort des Jahres erklärt werden müsste; denn es impliziert, dass etwas Gutes weiter verbessert wird. Aber aufgrund der Erfahrung
mit Ihrer Gesetzgebung wissen wir, dass meistens das
Gegenteil der Fall ist. Das trifft auch auf das vorliegende
Sammelsuriumgesetz zu, in das nicht nur das Schonvermögen für Kinder, sondern auch viele Einzelpunkte mit
eingebracht werden, die dazu führen, dass wir diesen
Gesetzentwurf nicht mittragen können.
Ich betone aber ausdrücklich: Die FDP-Bundestagsfraktion war und ist - übrigens schon länger als Sie - für
die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe,
weil es Sinn macht, zwei steuerfinanzierte Transferleistungen für den gleichen Lebenssachverhalt zusammenzufassen, und zwar nicht nur aus Gründen der Kostenersparnis und der Verwaltungsvereinfachung, sondern
auch wegen der Würde der Betroffenen. Diese wird
nämlich eher gewahrt, wenn man sich mit seinen intimsten wirtschaftlichen Daten nur vor einem wildfremden
Beamten „entkleiden“ muss statt gegenüber unterschiedlichen Behörden.
Nichtsdestotrotz sind wir der Ansicht, dass das Motto
besser „Herz und Hartz“ gelautet hätte.
({0})
Das Motto „Herz statt Hartz“ geht auf das Ergebnis der
Gesetzgebungsberatungen zurück, in denen Sie dafür gesorgt haben, dass nur das Element des Forderns außerordentlich gut geregelt wird. Auch wir sind übrigens dafür.
({1})
- Frau Dückert, Sie sollten besser still sein und zuhören,
wenn ich darstelle, was Sie falsch gemacht haben.
({2})
Was das Fordern angeht, haben Sie in dem Gesetzentwurf effektive Regelungen vorgesehen. Zu kurz kommt
aber das Fördern. Denn Sie haben etwas Entscheidendes
vergessen, an dem das Herz der Menschen hängt. Sie haben vergessen, die Wirtschafts-, Steuer-, Arbeitsmarktund Finanzpolitik so zu reformieren, dass weiteres Investieren und Konsumieren möglich wird, dass Arbeitsplätze geschaffen werden können und dass die Menschen eine Chance bekommen, in den Arbeitsmarkt
zurückzukehren.
({3})
Was wir brauchen, ist „Herz und Hartz“. Das aber schaffen Sie mit Ihrer Gesetzgebung leider nicht.
({4})
Sie regeln in dem vorliegenden Gesetzentwurf die so
genannte Ich-AG neu. Herr Hartz hat versprochen, dass
durch die Ich-AGs in zwei Jahren 500 000 selbstständige
Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Tatsächlich sind
190 000 dieser Beschäftigungsverhältnisse zustande gekommen, von denen es gegenwärtig noch 157 000 gibt.
Gut 30 000 sind inzwischen weggefallen. Vielleicht haben es ein paar Betroffene geschafft, mehr als
25 000 Euro im Jahr zu verdienen. Ich wünsche es ihnen
zwar, aber ich bezweifle es. Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich das Problem erkannt haben, dass der
Förderbetrag von 600 Euro im ersten Jahr auf 360 Euro
im zweiten Jahr sinkt und dass die Ich-AG dann wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist.
({5})
Weil wir das Potenzial der selbstständigen Beschäftigung für die Arbeitslosen kennen, unterstützen wir ausdrücklich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die das
gut eingeführte und seit über 20 Jahre wirksame Instrument des Überbrückungsgeldes stärken will.
({6})
Wir brauchen nicht zwei verschiedene Leistungen für
denselben Sachverhalt, dass man sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig macht.
({7})
Notwendig ist vielmehr eine Leistung, die gut ausgestattet und etabliert ist und bei der die wirtschaftliche Tragfähigkeit überprüft wird.
Die Kriterien, die Sie jetzt bei der Ich-AG einführen
wollen, entsprechen im Prinzip denen, die es beim Überbrückungsgeld schon lange gibt, mit dem feinen Unterschied, dass die Leistungen über einen längeren Zeitraum gewährt werden und dass bis zu 25 000 Euro
anrechnungsfrei hinzuverdient werden können. Das darf
der Empfänger von Überbrückungsgeld nicht. Insofern
ist es sinnvoll, eine einheitliche Leistung zu schaffen.
Sie haben völlig zu Recht festgestellt, Frau Dückert,
dass eine Dezentralisierung notwendig ist. Aus diesem
Grunde haben wir gefordert, die neue Leistung von den
Kommunen administrieren zu lassen. Sie haben ausgeführt, dass dies mit dem Gesetzentwurf der Fall sei. Es
ist mitnichten der Fall. In dem Pflichtenheft der Bundesagentur für Arbeit über die räumliche Ausgestaltung
von Arbeitsgemeinschaften wird auf den Zentimeter genau festgelegt, wie weit die Steckdosen voneinander entfernt sein müssen, und geregelt, ob es Oberlichter geben
darf. Die Bundesagentur regiert in die Bausubstanz der
Kommunen hinein. Eine Stadt wie Berlin, die pleite ist
und über eine Liegenschaft in Charlottenburg verfügt,
die für eine Arbeitsgemeinschaft durchaus geeignet ist,
darf sie nicht nutzen, weil die Bundesagentur in Nürnberg feststellt, dass die Steckdosen zu weit auseinander
liegen. Das ist Dezentralisierung im Sinne von RotGrün!
({8})
Der Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister will einen Ombudsrat ähnlich dem Petitionsausschuss einführen, der sich mit den Beschwerden der Bürgerinnen und
Bürger beschäftigen darf. Er will also die Verantwortung
für den gesetzlichen Murks, den Sie anrichten, an ein zusätzliches, nicht demokratisch legitimiertes Gremium
abgeben und sich so aus der Verantwortung ziehen. Das
können wir nicht mittragen.
Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung zu unserem
Antrag im Zusammenhang mit den Vermittlungsgutscheinen. An dieser Stelle wundere ich mich auch darüber, dass die CDU/CSU unsere Forderungen nicht mittragen kann. Vermittlungsgutscheine sind ein probates
Mittel, um einen zusätzlichen Weg in die Arbeit zu finden. Man muss sie aber - im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag - marktgerecht ausgestalten. Sie richten sich nur
nach der Frage, wie lange jemand arbeitslos ist. Vermittlungsrelevante Daten sind aber auch zum Beispiel die
Qualifikation, der Erwerbsverlauf, die gesundheitliche
Situation und die Mobilität der Bewerber. Man muss
also entsprechend dem jeweiligen Einzelfall festlegen
können, wie teuer ein Vermittlungsgutschein bezahlt
werden muss.
So hat man übrigens auch die Chance, die Nachfragemacht der Arbeitsuchenden zu stärken. Diese gehen zum
Vermittler ihres Vertrauens. Das kann ein privater Vermittler sein. Das muss in Zukunft aber auch der staatliche Vermittler sein können, der sich durch die Einnahmen aus dem Einlösen der Vermittlungsgutscheine zu
refinanzieren hat. Eine solche erfolgsabhängige Lohnkomponente ist ein privatwirtschaftliches Element in der
Arbeitsvermittlung, das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Anreize für eine bessere Vermittlung gibt, weil
sie die Möglichkeit haben, ihr eigenes Einkommen
durch Effizienz und gute Erfolge zu erhöhen.
Deswegen werbe ich dafür, unseren Vorschlag zur
marktgerechten Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine zu unterstützen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute über Änderungen, die Hartz IV betreffen.
Ich erspare mir daher den komplizierten Originaltitel des
heute zu beratenden Gesetzentwurfs. Dabei geht es um
Änderungen, die wir als PDS im Bundestag mittragen
werden, was allerdings nichts an der grundsätzlichen
Ablehnung von Hartz IV durch die PDS ändert.
Zum einen geht es darum, dass Kinderfreibeträge
für alle bedürftigen Kinder gelten sollen. Das ist für
viele Betroffene eine Entspannung. Deshalb stimmen
wir dem zu.
({0})
Ich kann es auch salopp sagen. Wir beschließen per Gesetz: Ein Kind ist ein Kind, und zwar von Geburt an.
Eine weitere Änderung ist von ähnlicher Güte. Ich erinnere daran - auch wenn Sie darauf verzichtet haben,
das in Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch
einmal zu erwähnen -, dass das Bundeskabinett bereits
im Sommer dieses Jahres beschlossen hat: Ein Jahr hat
zwölf Monate, auch unter Rot-Grün. Folglich soll das
Arbeitslosengeld II für alle Berechtigten bereits ab Januar 2005 und nicht erst ab Februar, wie es der Bundeswirtschaftsminister wollte, ausgezahlt werden. Auch das
ist logisch.
Neu zu beschließen ist heute eine Lösung zu den Vermittlungsgutscheinen für Arbeitsuchende. Die neue
Lösung ist für die Betroffenen besser als die alte. Wir
stimmen ihr daher zu.
Schließlich folgen wir noch einer weiteren Änderung.
Ich-AGs sollen künftig auf einem tragfähigen Konzept
fußen. Es soll also vorher geprüft werden. Gleichwohl
merke ich an, dass Ich-AGs mitnichten das Wundermittel gegen die Arbeitslosigkeit sind, als das sie eingeführt
wurden.
Damit komme ich zurück zur gesamten Hartz-Philosophie. Wir finden sie nach wie vor grundsätzlich falsch.
({1})
Denn unter dem Strich werden nicht weniger Arbeitslose
stehen, sondern mehr arme Arbeitslose. Das wird durch
Hartz IV verstärkt, allemal in den strukturschwachen
Regionen, egal ob in West, Ost, Nord oder Süd. Ich
möchte Sie nur an die aktuelle Arbeitsmarktstatistik erinnern. Die Zahl der freien Arbeitsstellen hat drastisch
abgenommen und die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat
zugenommen. Das sind die Zahlen, an denen sich Bundeskanzler Schröder noch 2002, als die Hartz-Module
vorgestellt wurden, messen lassen wollte. Inzwischen
pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Hartz folgt der
bekannten Volksweisheit: Dreimal abgeschnitten und
immer noch zu kurz. Deshalb ist die PDS weiter dagegen, auch wenn wir den Verbesserungen im Detail im
Sinne der Betroffenen zustimmen.
({2})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach den Reden, die hier bisher gehalten wurden, und nach den Ausschussberatungen kann man davon ausgehen, dass wir die von uns vorgeschlagenen
notwendigen Änderungen mit einer breiten Mehrheit beschließen werden. Ich füge hinzu: Unser gemeinsames
Einstehen für die Reformen ist doch ein Grund dafür,
dass in letzter Zeit offensichtlich die Akzeptanz für die
Einführung des Arbeitslosengeldes II zunimmt. Das
finde ich gut und das liegt im Interesse unseres Staates
und unserer Gesellschaft.
({0})
Matthias Platzeck hat in Brandenburg sehr eindrucksvoll bewiesen, dass man auch dann Wahlergebnisse positiv gestalten kann, wenn man vermeintlich unpopuläre
Maßnahmen vernünftig erklärt und wenn man darum
fightet. Ihm gilt - das sage ich ganz ausdrücklich meine Hochachtung. Mancher Warnung zum Trotz ist er
auf die Marktplätze gegangen, hat mit den Menschen gesprochen und die Notwendigkeit dieser Reform erklärt.
Wir sehen: Das wird dann auch angenommen.
({1})
Es muss daher zukünftig darum gehen, die Bürger
von der Notwendigkeit der Umsetzung der Reformen zu
überzeugen. Es muss uns gelingen, ihnen die Vorteile der
Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu verdeutlichen, damit nicht der Eindruck, es gehe
allein um die Kürzung von Sozialleistungen, zurückbleibt. Unser Ziel ist es, Arbeitslose besser zu betreuen
und ihnen die Möglichkeit zu geben, schneller auf eigenen Füßen zu stehen.
Das heute zu beratende Gesetz ist nicht der Anfang
einer Erosion unserer Konzepte. Im Übrigen enthält es
nur einen einzigen Punkt - darauf will ich einmal dezent
hinweisen -, der sich mit Hartz IV befasst. Wir nehmen
lediglich eine für notwendig erachtete Nachsteuerung
vor, deren Richtigkeit auch von Ihnen bestätigt wird;
dementsprechend tragen Sie diese Änderung mit. Insgesamt müssen wir die Reformen jetzt wirken lassen. Wir
werden die Einführung des Arbeitslosengeldes II genau
beobachten. Dabei ist es selbstverständlich, dass ein Reformvorhaben dieses Umfangs nicht völlig reibungslos
über die Bühne gehen kann.
Herr Kues, Sie haben hier gewaltige Worte - „Lazarettzug“ und Ähnliches - gefunden. Von Niebel kennt
man das ja: Murks usw. Was Niebel erzählt, kann man eh
vergessen; aber Herrn Kues nehme ich wirklich sehr
ernst.
({2})
Wer diskutiert und im Land unterwegs ist, der weiß, dass
wir uns mit einem ganz bestimmten Problem auseinander setzen müssen: Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die der Meinung sind, im Falle der Arbeitslosigkeit
habe der Staat zu garantieren, dass der Lebensstandard
auf Dauer erhalten bleibt - je länger, umso besser. Angesichts dessen muss man mit den Menschen darüber diskutieren, dass auch die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung tragen und dass diese Verantwortung nicht darin
bestehen kann, auf unbegrenzte Dauer Transferleistungen des Staates zu beziehen. Ich finde es richtig - das
sage ich ausdrücklich -, was der Bundeskanzler dazu gesagt hat.
Ich erkläre für die Bundesregierung: Mit der Umsetzung der so genannten Hartz-IV-Gesetze kommen wir
zügig voran. Letzte Woche Mittwoch ist die Frist zur Zulassung als Optionskommune abgelaufen. Bis zum Ablauf der Frist haben sich beim Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit 73 Kommunen beworben, die anstelle der jeweiligen Arbeitsagenturen Leistungsträger
für das neue Arbeitslosengeld II werden wollen.
70 Kommunen haben sich mit Zustimmung der Länder
beworben. Insgesamt können 69 Kommunen zugelassen
werden. Die meisten Anträge sind aus Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eingegangen. Von den
eingegangenen Anträgen können voraussichtlich fast
alle berücksichtigt werden, da einige Länder ihre Antragskontingente nicht ausgeschöpft haben.
Dieses Gesetz war ein Kompromiss. Es gibt
69 Optionen. Die Bundesregierung wird die Vorgaben
penibel einhalten. Wir werden auch dafür sorgen, dass
diese Optionen mit den gleichen finanziellen und materiellen Ausstattungen verbunden sind wie andere.
({3})
Das normale Modell ist die Arbeitsgemeinschaft. Die
Kommunalaufsicht liegt bei den Ländern. Ich bitte Sie
daher herzlich - damit wende ich mich auch noch einmal
an Sie, Herr Kues -, in den Ländern mit dafür zu sorgen,
dass die Möglichkeiten zur Blockade der Arbeitsgemeinschaften beseitigt werden. Dass die Kommunalaufsicht
bei den Ländern liegt, können wir nicht ändern; verfassungsrechtlich ist es auch richtig. Ich will daran erinnern, dass auch Niedersachsen dieser Konstruktion zugestimmt hat. Es kann nicht sein, dass unterschwellig ein
Partisanenkampf stattfindet, nach der Melodie: Die einen kümmern sich nur um die Optionen und die anderen
nur um die Arbeitsgemeinschaften.
({4})
Wir sind der Gesetzgeber. Wir müssen dafür sorgen, dass
das Gesetz insgesamt umgesetzt wird.
Nach aktuellem Stand haben zwischenzeitlich
335 kommunale Träger ihre Bereitschaft erklärt, mit der
Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsgemeinschaft zu
gründen. Die ersten Arbeitsgemeinschaften bestehen bereits, zum Beispiel in Leverkusen und in Kaiserslautern.
Bei weiteren steht die Gründung unmittelbar bevor. Der
Zeitplan für die Einführung der Arbeitslosengeld-II-Software ist - das ist allen bekannt - eng und
bietet nur wenig Spielraum. Ich gehe aber davon aus,
dass die Software zur Erfassung der Daten Mitte Oktober bereitsteht. Alle, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II besitzen und rechtzeitig einen Antrag gestellt haben, werden zum 1. Januar ihr Geld erhalten. Es
ist daher wichtig, dass die Anträge auf das Arbeitslosengeld II rechtzeitig abgegeben werden.
Die Rücklaufquoten sind in den Agenturen, aber auch
bei den örtlichen Sozialhilfeträgern regional sehr unterschiedlich. Sie liegen zwischen 63 und 10 Prozent. Die
Agenturen vor Ort sind deshalb dazu übergegangen, die
Kunden persönlich anzusprechen und einzuladen. Es
kann und darf nicht sein, dass Menschen aufgefordert
werden, die Antragsrückgabe zu verzögern. Die Leute
brauchen ihr Geld. Sie sind darauf angewiesen. Sie müssen mitwirken, damit sie zum 1. Januar ihr Geld auch bekommen können. Ich bitte Sie alle, unsinnige Boykottaufrufe zurückzuweisen und dafür zu sorgen, dass
die Menschen ihre Anträge ausgefüllt zurückgeben.
({5})
Die Bundesagentur wird in den Arbeitsgemeinschaften ab Januar 2005 - das ist gesagt worden - intensiver
beraten und betreuen. Es gibt für die unter 25-Jährigen
sofort einen Betreuungsschlüssel von 1 : 75 und im
Laufe des Jahres wird es einen Schlüssel von 1 : 150 für
alle anderen erwerbsfähigen Erwachsenen geben.
Das neue Recht sieht eine Vielzahl von Förderinstrumenten vor und bietet wesentlich größere Spielräume als
bisher. Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung und
die Koalitionsfraktionen haben ein Interesse an einer
bürgernahen örtlichen, regionalen, dezentralen Umsetzung. Dazu muss die Bundesagentur Punkt für Punkt
aufgefordert werden. Auch dort muss ein Umlernprozess
stattfinden. Wir sind der Meinung, dass die Bundesagentur insofern ihren Job bisher sehr gut macht. Wir werden
das auch politisch entsprechend weiter begleiten.
Bereits ab Oktober wird die Bundesagentur in Zusammenarbeit mit den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden schrittweise 100 000 zusätzliche Fördermöglichkeiten zur Verfügung stellen. Es handelt sich um
25 000 Beschäftigungsmöglichkeiten in den Bundesprogrammen „JUMP plus“ und „Arbeit für Langzeitarbeitslose“, 25 000 Möglichkeiten zur Teilnahme an Sprachkursen sowie 50 000 Zusatzjobs.
Die Zusatzjobs sind zusätzliche Arbeitsgelegenheiten,
die qualifizierte Arbeitsmöglichkeiten bieten. Wir sind
bei unseren Gesprächen mit den Wohlfahrtsverbänden
- sowohl der Minister als auch die Arbeitsebene als auch
die Staatssekretäre haben entsprechende Gespräche geführt -, auf großes Interesse gestoßen. Wichtig ist mir
dabei, Rahmenbedingungen, Kriterien, Einsatzfelder
und Zielgruppen für die Schaffung von Zusatzjobs festzulegen und Qualitätsmaßstäbe zu erarbeiten. Wir wollen den Menschen über die Zusatzjobs eine Perspektive
auf eine Rückkehr ins normale Erwerbsleben eröffnen.
Lassen Sie mich noch kurz auf die hier zu beratenden
Anträge eingehen. Anstatt die beschlossene Reform entschlossen umzusetzen, machen Sie genau das, was Sie
uns schon wieder vorwerfen: Sie fordern ständig Veränderungen dieser Reform, bevor sie überhaupt in Kraft
getreten ist. Lassen Sie uns doch die Wirkung der neuen
Arbeitsmarktpolitik evaluieren, bevor übereilt noch
nicht voll zur Wirkung gekommene Instrumente wieder
verändert werden!
Ich möchte daran erinnern, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung am 14. November 2002 aufgefordert hat, die Umsetzung der Hartz-Vorschläge zeitgenau zu evaluieren und innerhalb von drei Jahren einen
Ergebnisbericht vorzulegen. Dieser Aufforderung ist
die Regierung konsequent nachgekommen. Wir haben
Wirkungsforschung in Auftrag gegeben und die Forschungsinstitute haben sich bereits an die Arbeit gemacht. Wir werden dem Bundestag im Jahr 2006 von ihren Ergebnissen berichten.
({6})
Mithilfe der Evaluation werden wir erfahren, welche Instrumente tatsächlich Wirkung zeigen und welche nicht.
Dazu will ich noch etwas sagen; das betrifft eine deutsche Eigenart. Wir haben die Ich-AG eingeführt, weil
wir der Auffassung sind, dass wir eine unkomplizierte
Möglichkeit einer einfachen Form der Selbstständigkeit
brauchen. Sie ist erfolgreich. In diesem Jahr gibt es
120 000 Bezieher von Überbrückungsgeld, daneben haben wir 160 000 Personen über die Ich-AG gefördert.
Dass wir jetzt Steuerungsinstrumente dazu einführen,
hängt damit zusammen, dass wir natürlich auch die Ausgabenseite in diesem Bereich steuern müssen; denn der
Staat - das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung hat kein Geld zu verschenken.
Aber was Herr Niebel in Bezug auf die Ich-AG sagt
- er hantiert ja mit der Zahl von 30 000 -, geht so nicht.
Sicherlich werden viele, die eine Ich-AG gegründet haben, die Selbstständigkeit nicht überstehen, aber wir hoffen, dass viele andere sie überstehen. Mit diesem Instrument wird eine zusätzliche Chance gegeben, in die
Selbstständigkeit zu gehen.
({7})
Die Hälfte aller Neugründungen von Selbstständigen erfolgt aus der Arbeitslosigkeit, und zwar mit unseren bewährten Instrumenten. Deswegen braucht man die auch
gar nicht zu beseitigen oder zu verändern, wie das hier
gefordert wird.
Kollege Andres, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Nein, Herr Präsident. Ich bin mit meiner Redezeit zu
Ende. Herr Niebel wird sicherlich die Möglichkeit einer
Kurzintervention nutzen; dafür ist er doch Spezialist.
({0})
Ich komme zu meinem letzten Satz; er richtet sich an
die Kolleginnen, die hier Fragen insbesondere zum
Thema Frauenhäuser gestellt haben. Wir bemühen uns
sehr, für Frauen, die in Gemeinschaft leben, entsprechende untergesetzliche Regelungen zu finden, damit
diesen Frauen durch die Einführung des Gesetzes nicht
zusätzliche Nachteile bei den Leistungen entstehen. Wir
wollen über den Deutschen Verein erreichen, dass diese
Regelungen auch bei den Kommunen durchgesetzt werden, die optieren und wo diese Häuser in kommunaler
Verantwortung betrieben werden. Ich finde, wir müssen
da etwas ändern und etwas machen. Die Bundesregierung bemüht sich sehr. Ich möchte diese Debatte dafür
nutzen, auch öffentlich zu sagen: Alle, die mit Frauenhäusern zu tun haben, können sich darauf verlassen, dass
wir daran arbeiten, eine vernünftige untergesetzliche Regelung zustande zu bringen.
Schönen Dank.
({1})
Wie erbeten, erteile ich dem Kollegen Niebel das
Wort zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident. Der Wunsch des Herrn
Staatssekretärs ist mir natürlich Befehl. Er hätte auch
ganz kurz einfach eine Frage beantworten können.
In Ihrer Rede, Herr Staatssekretär, haben Sie gesagt,
dass die Ich-AG ein Instrument sein soll, mit dem man
sich ohne großen bürokratischen Aufwand leicht selbstständig machen kann. Jetzt führen Sie mit diesem Gesetz, über das heute abgestimmt wird - wie ich finde,
übrigens zu Recht -, als Voraussetzung für die Gründung
einer Ich-AG das Vorliegen einer Tragfähigkeitsbescheinigung ein. Dafür muss der Bewerber Folgendes vorlegen: eine Beschreibung der Geschäftsidee, einen Kapitalbedarfsplan, einen Finanzierungsplan, eine Umsatzund Rentabilitätsvorschau. Exakt diese Kriterien müssen
auch für die Bewilligung des Überbrückungsgeldes erfüllt werden. Beide Formen unterscheiden sich jetzt
nicht mehr, was den bürokratischen Aufwand angeht,
sondern nur noch hinsichtlich der Länge der Förderung
und im Umstand, dass man bei einer Ich-AG
25 000 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen kann. In
Bezug auf die Bürokratie gelten exakt die gleichen Rahmenbedingungen. Das heißt, Ihr Argument ist schlichtweg falsch.
({0})
Kollege Andres, ich erteile Ihnen das Wort zur Antwort.
Mein Argument ist natürlich nicht falsch. Ich habe
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir diese Regelungen einführen, um das mengenmäßige Anwachsen in
einer bestimmten Art und Weise steuern zu können. Wir
bleiben dabei, dass es im Unterschied zur Gründung einer Firma mit einer ausgeprägten Idee und allem Drum
und Dran auch Möglichkeiten geben muss, sich relativ
einfach und simpel selbstständig zu machen.
({0})
Dazu gehört, dass bei der Ich-AG eine andere Förderung
stattfindet, nämlich bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Dazu gehört nach Vorstellung der Bundesregierung
auch eine andere steuerrechtliche Behandlung. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, die zum Teil leider im
Bundesrat abgelehnt wurden. Hierzu zählen eine Überschussrechnung in einem vereinfachten Verfahren und
eine Grenze für die Besteuerung von 25 000 Euro. Ich
kann Ihnen versichern, wir werden weiter daran arbeiten,
weil wir glauben, dass dieses Land mehr Selbstständige
braucht und es Wege geben muss, wie Menschen sich
einfach selbstständig machen können.
({1})
Daran, dieses Ziel zu erreichen, wird die Regierung weiter arbeiten.
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, dass ich dieses
hier noch einmal darstellen durfte, Herr Niebel. Herzlichen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegin Veronika Bellmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist noch nicht in Kraft und schon
müssen wir nachbessern. Sie nennen das korrigieren.
Wie so oft bei Gesetzen und Reformen der Bundesregierung wurde wieder einmal nach dem Motto „Versuch
und Irrtum“ verfahren. Genau da liegt der Unterschied
zu den von Ihnen so viel gescholtenen CDU-geführten
Regierungen. Wenn wir bei den umfangreichen Umbrüchen nach der Wende - man denke nur an die Währungsumstellung - so geschludert hätten wie Sie bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreformen, dann wären wir
nicht dort, wo wir jetzt sind.
({0})
Für die ordnungsgemäße Umsetzung des politischen
Willens sind einzig und allein die Bundesregierung und
ihre Administration zuständig. Eine Regierung, die für
Imagebroschüren all ihrer Minister Millionen ausgibt,
aber weder Zeit noch Geld zum rechten Zeitpunkt aufbringt, um Millionen von Arbeitslosen zu informieren,
woraus diese zukünftig ihre Existenz bestreiten sollen,
gefährdet leichtfertig das Vertrauen in die Demokratie.
({1})
Bei einem solchen Reformwerk ist Nachbesserung
aber immer noch besser, als Falsches in Kraft treten zu
lassen. Es wird sich zeigen, dass wir unter Beibehaltung
der Grundsätze für Veränderungen offen bleiben müssen.
Wir werden deshalb sicherlich nicht das letzte Mal nachgebessert haben; da bin ich mir fast sicher.
({2})
Ich klage Sie an wegen der miserablen Informationsund Aufklärungspolitik. Ich klage Sie an, weil Sie uns
Parlamentarier immer wieder hinters Licht führen, indem Sie in Ihren Ministerien mit der Erarbeitung der
notwendigen Verwaltungsvorschriften nicht Schritt halten können oder wollen - beides ist schlimm genug. Ich
erinnere dabei zum Beispiel an das Optionsgesetz.
Nicht die Aussage von Frau Dückert ist richtig, dass wir
schuld an den Verzögerungen seien. Sie sind schuld daran, weil Sie der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt
haben, die die Finanzsicherheit für die Kommunen gebracht hätte.
({3})
Sie wollen sagen können - eine Antwort aus dem Wirtschaftsministerium von dieser Woche bestätigt mir
das -: Seht her, niemand will die Optionen! - Deswegen
blockieren Sie in Ihren Häusern.
Ich bewundere diejenigen Kommunen, die es dennoch wagen, zu optieren, und ich wünsche ihnen Erfolg.
Aber ich kann auch die verstehen, die sich diesen Schritt
nicht trauen, weil sie kein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Aussagen der Bundesregierung haben.
({4})
Kollegin Bellmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Andres?
Nein.
Ich klage Sie an, weil Ihr Bundeskanzler wie ein Elefant im Porzellanladen ohne jegliche Sensibilität für die
Ängste der Menschen, vor allem im Osten, reagiert. Er
müsste längst gemerkt haben, dass sich bei uns nicht nur
die Postleitzahlen geändert haben, sondern die Menschen von einem Umbruch in den anderen geraten; denn
Deutschland leidet eben nicht an seinen neuen Ländern,
sondern an seinen alten Krankheiten, die nicht der Osten
eingeschleppt hat. Ich spüre oft, dass die Sehnsucht im
Osten nach Gerechtigkeit bei Reformen eher zur Forderung nach Gleichheit wird. Der Osten habe den Erfolg
der sozialen Marktwirtschaft noch nicht erlebt, sagt
Angela Merkel. Stimmt, denn sonst wäre klar, dass die
Forderung nach Gleichheit den Wettbewerb und damit
die Triebkraft in unserer Gesellschaft erstickt.
Wir alle miteinander haben es nicht verstanden, mit
dem langfristigen Nutzen von gut umgesetzten Reformen zu werben. Stattdessen wird nur über Einschnitte,
Kürzungen und Opfer gesprochen. Das ist genau so, als
wenn Sie Alkoholikern sagen, sie opferten etwas, wenn
sie nicht mehr trinken. Nein, Sie müssen ihnen klar machen, dass der Verzicht auf die Droge ihre einzige
Chance ist, wieder ein Leben in Würde in einer Gemeinschaft zu führen.
({0})
Wir kommen nicht ohne Erneuerung und Anpassung an
die Erfordernisse der Zeit aus und wir müssen alle unseren Beitrag leisten, auch wir Politiker.
Vielleicht vermissen die Menschen die Vorbildfunktion der Repräsentanten dieses Landes und das ist bei
weitem nicht nur die Politik. Auch das ist unsere Aufgabe: Vorbild zu sein, Richtung und Orientierung zu geben. Mit der Zustimmung zu den Arbeitsmarktreformen
haben wir uns an einer Weggabelung für eine Richtung
entschieden. Die Bundesregierung, die nun Orientierung
geben sollte, hat aber eine Baustelle nach der anderen
auf dieser Straße angefangen, ohne wenigstens mit den
entsprechenden Hinweisschildern oder sozusagen als
Verkehrshelfer den Menschen Hilfe zu geben. Stattdessen kam es immerfort zum Stau. Die Menschen haben
das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Die PeterHartz-Straße ist für sie oftmals eine Einbahnstraße ins
Niemandsland.
({1})
Damit zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die
wichtigsten Punkte - Kollege Kues hat schon darauf hingewiesen - tragen wir mit, obgleich sich wiederum die
Frage stellt, ob die Regierung dabei bis zum Ende gedacht hat. Beispiel Ich-AG: Dafür muss jetzt ein Geschäftsplan vorgelegt werden, der fachkundig geprüft
wird. Das allein garantiert aber noch nicht, dass das
Gründungsvorhaben erfolgreich ist. Immerhin haben
schon wieder 30 000 Kleinstunternehmen aufgegeben.
Im Übrigen befürchten die Industrie- und Handelskammern außer Wettbewerbsverzerrungen, dass sich die IchAGs und die so genannten 1-Euro-Jobs gegenseitig eine
große Konkurrenz werden, da sich beide vornehmlich
auf dem Dienstleistungssektor betätigen. Diese Befürchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Schließlich
haben wir ungefähr 1,06 Millionen erwerbsfähige Sozialhilfebezieher. Wenn diesen Jobs angeboten werden
müssen, dann ist es schon fast eine Kunst, solche Jobs
ausschließlich im gemeinnützigen Sektor zu finden.
({2})
Im Übrigen wäre es unserer Meinung nach sinnvoller,
die Förderinstrumente für Unternehmensgründungen
durch Arbeitslose zu vereinheitlichen; das sagten auch
meine Vorredner schon.
Die Mehrheit der 13 Reformmodule der Hartz-Reformen verfehlt das angestrebte Ziel, die Arbeitslosenzahl
um 2 Millionen zu verringern. Die Bilanz der Bundesregierung: Höchststände an Arbeitslosen, Tiefststände bei
offenen Stellen, die Zahl der Erwerbstätigen ist um über
500 000 zurückgegangen.
Um das Ziel der Hartz-Kommission - die Zahl der
Arbeitslosen auf 2 Millionen zu senken - doch noch zu
erreichen, dürfte im kommenden Jahr kein einziger Arbeitsplatz wegfallen und pro Tag müssten 6 145 Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Das werden Sie nicht
schaffen - nicht einmal mit dem erfolgreichen Instrument der Hartz-Reformen, den Minijobs, die auf die Forderung der Union hin zustande kamen.
({3})
Daher liegt noch viel Arbeit vor uns und vom Ende
der Reformen darf noch keine Rede sein. Uns muss vor
allem klar sein, dass wir zurzeit nur die Symptome kurieren und nichts weiter. Das eigentliche Hauptübel ist
die verfehlte Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Die
hohe Arbeitslosigkeit zieht einen Mangel an offenen
Stellen nach sich. Hartz IV allein schafft keine Arbeitsplätze.
Solange den Menschen nicht in ausreichendem Maße
Stellen zur Verfügung gestellt werden, die aus Investitionen resultieren - ich werde Sie im Rahmen der Beratungen über den Bundeshaushalt gerade bei den GA-Forderungen eindeutig darauf hinweisen -, bleibt das Konzept
des Förderns und Forderns Makulatur.
Danke.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Gerd Andres.
Liebe Frau Kollegin Bellmann, Sie haben in Ihrer
Rede formuliert - ich bitte Sie, dies zu überprüfen und
zu korrigieren -: Deshalb blockieren Ihre Häuser die Optionen. - Ich will hier ausdrücklich für die Bundesregierung erklären
({0})
- Herr Kauder und andere, die es wissen, sitzen dort -:
Wir stehen zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses.
({1})
Es wird 69 Optionen geben. Die Optionen werden den
Agenturen vergleichbar ausgestattet. Wir haben ein Interesse daran. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir machen die 69!
Ich bitte Sie ganz ausdrücklich: Wenn Sie irgendwo
einen Beleg dafür haben, dass Häuser der Bundesregierung die Optionen behindern, dann bitte ich Sie, das zu
belegen. Andernfalls bitte ich Sie, diese Aussage zurückzunehmen.
({2})
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erhält
Kollege Kauder.
Herr Kollege Andres, es ist nicht so, wie Sie gesagt
haben.
({0})
- Ich mache eine Kurzintervention, weil ich persönlich
angesprochen wurde. Herr Andres hat mich angesprochen.
({1})
Was geht oder was nicht geht, entscheide ich. Kollege
Kauder hat die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
({0})
Herr Kollege Andres, Fakt war - das habe ich im Vermittlungsausschuss alles miterlebt -: Die Bundesregierung, die rot-grüne Regierungskoalition, hat alles darangesetzt, den Kommunen eine Option so schwer wie
möglich zu machen. Das war Ihre Haltung.
({0})
Es war ein irrsinniger Kampf, um überhaupt auf die
69 zu kommen. Weil es so ein Kampf mit Ihnen war, hat
es so lange gedauert.
Ich will jetzt nicht über das Gesetz streiten. Denn es
ist tatsächlich so: Wir haben dieses Gesetz miteinander
beschlossen und wollen es auch miteinander ausführen.
Bei Ihnen hat es allerdings Landtagsabgeordnete gegeben - den einen oder anderen auch bei uns -, die das Gesetz kritisiert haben. Aber was der Vorsitzende der SPD
und der SPD-Bundestagsfraktion in diesen Tagen macht,
ist unerträglich. Er hat einen Brief an die Menschen in
diesem Land geschrieben, in dem steht, dass das, was die
Union im Zusammenhang mit Hartz IV macht, schäbig
- so steht es dort - sei.
({1})
Ich will Ihnen einmal sagen: In dieser Art und Weise
mit einer Opposition umzugehen, die konstruktiv ist,
({2})
ist unglaublich.
({3})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wir stehen zu dem, was
wir beschlossen haben.
({4})
- Sie brauchen gar nicht zu lachen. - Der Bundeskanzler
sagt hier einerseits vor dem Plenum: „Wir stehen zu
dem, was wir beschlossen haben“, und kündigt andererseits den im Rahmen der Gesundheitsreform getroffenen
Kompromiss auf. So sind Ihre Positionen!
({5})
Sie halten sich an gar nichts und verschicken Briefe, in
denen Sie schreiben, dass sich die Union schäbig verhält.
So kann man nicht zusammenarbeiten. Merken Sie sich
das!
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge-
setze, Drucksache 15/3674. Der Ausschuss für Wirt-
schaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/3737, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.
Ich muss noch nachtragen: Die Kollegin Bellmann
hat eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/3737 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Möglichkeiten der privaten Arbeits-
vermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Ver-
mittlungsgutscheine verstärkt nutzen“. Unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss,
1) Anlage 3
Präsident Wolfgang Thierse
den Antrag auf Drucksache 15/3513 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen, mehrheitlich der CDU/CSU-Fraktion und der
beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 5, zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/3707 mit dem Titel „Langfristig eine einheitliche
Förderung der Selbstständigkeit von Arbeitslosen schaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der beiden
fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf
Bietmann, Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Keine weitere Verzögerung in der Frage der
Entsorgung nuklearer Abfälle
- Drucksache 15/3492 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die den
Saal verlassen wollen, bitte ich, das schnell zu tun, damit
wir mit unseren Beratungen ungestört fortfahren
können. - Kollege Paziorek, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag meiner Fraktion, mit
dem der Deutsche Bundestag aufgefordert wird, den
Blockade- und Verhinderungskurs des Bundesumweltministers in Sachen Endlagerung nuklearer Abfälle zu
stoppen. Wir als Union wollen, dass mit der permanenten Verzögerung wichtiger Entscheidungen durch diese
Bundesregierung bei der Entsorgung nuklearer Abfälle
endlich Schluss ist.
({0})
Seit Monaten kündigt der Minister an, dass er in der
Endlagersuche aktiv werden will. Aber nichts passiert.
Es ist ja auch kein Wunder: Wer sich so wie Sie, Herr
Minister, auf das Dosenpfand konzentriert, der hat keine
Zeit für die wirklich wichtigen Themen der Umweltpolitik.
({1})
Die CDU/CSU beantragt deshalb heute Morgen, erstens
die atomrechtliche Veränderungssperre für das Erkundungsbergwerk Gorleben zu erlassen und den begonnenen Beratungsgang nicht zu verzögern, zweitens von der
Ein-Endlager-Strategie abzugehen und zu der bis 1998
verfolgten Zwei-Endlager-Strategie zurückzukehren, das
heißt den Schacht Konrad für schwach und mittelradioaktive Abfälle endlich in Betrieb zu nehmen und den
Standort Gorleben als mögliches Endlager für hoch
radioaktive, Wärme entwickelnde Abfälle vorzusehen,
drittens - als Konsequenz daraus - das Moratorium zur
Erkundung von Gorleben aufzuheben und die Erkundungsarbeiten fortzusetzen.
Wir beantragen dies deshalb, weil Sie, Herr Minister,
bei der Entsorgungsfrage eine Doppelstrategie betreiben. Nach außen bekunden Sie immer die Bereitschaft,
mit einem neuen Suchverfahren zu beginnen, und
gleichzeitig verordnen Sie nach innen den permanenten
Stillstand. Die Ergebnisse des von Ihnen ja selbst eingesetzten Arbeitskreises Endlager liegen schon seit Ende
2002 vor. Bis heute haben Sie den Endbericht noch nicht
einmal bewertet und immer nur allgemein gesagt, wie
Sie damit umgehen wollen. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn zu Ihrem großen Erstaunen ist der Endbericht nicht so ausgefallen, wie Sie sich das vielleicht
erhofft haben. Nun haben Sie vor wenigen Wochen öffentlich erklärt, Sie wollen jetzt, im Herbst, einen Gesetzentwurf vorlegen. Die hierzu von Ihnen abgegebenen Erklärungen ignorieren jedoch Ihre frühere
Vorgehensweise zur Standortauswahl vollkommen. Sie
stellen die Endlagerkonzepte Gorleben und Konrad infrage und verstoßen mit Ihrer Vorgehensweise tatsächlich auch gegen die Vereinbarung, die Sie am 14. Juni
2000 mit den Energieversorgungsunternehmen geschlossen haben.
Die Union spricht sich heute klar und deutlich, Herr
Minister, gegen ein neues Suchverfahren aus. Es ist nicht
nötig; Sie sind in dieser Frage auf dem falschen Weg.
({2})
Die von Ihnen beabsichtigte Neuaufnahme der Standortsuche führt ja zwangsläufig zu einer Realisierung der
Endlagerung frühestens erst nach 2040 - und dies ist ja
nach Ihren eigenen Zeitvorstellungen viel zu spät. Denn
auch Sie sprechen sich immer dafür aus, dass wir schon
2030 ein Endlager haben müssten. Sie können mit dem
Verfahren, das Sie jetzt anstreben, Ihre eigene Zielvorstellung - 2030 - gar nicht einhalten; das wissen Sie.
Deshalb versuchen Sie, einer Diskussion über diese
Frage vor der Bundestagswahl 2006 auszuweichen.
({3})
Man braucht sich einfach nur den Zeitablauf beim
bisherigen Standorterkundungsverfahren Gorleben bis
zum Moratorium anzuschauen. Da sind schon 20 Jahre
vergangen. Wenn das Moratorium jetzt aufgehoben
wird, können wir frühestens in fünf Jahren zu einem Ergebnis kommen, sodass wir sagen können: Der Standort
ist geeignet oder er ist nicht geeignet. Zusätzlich müssen
wir uns den Zeitrahmen anschauen, den wir für ein Planfeststellungsverfahren brauchen. Das ist Neuland.
({4})
- Auch wenn Sie „interessant“ rufen: Wir haben
20 Jahre für Konrad gebraucht, für ein Planfeststellungsverfahren, in dem es um schwach radioaktive Stoffe
ging. Wir haben nach 20 Jahren den Planfeststellungsbeschluss. Sie selbst haben ihn noch nicht einmal für vollziehbar erklärt. Sie setzen darauf, dass jetzt dieser Planfeststellungsbeschluss beklagt wird. Jetzt zählen Sie
einmal zusammen, welche Zeiträume uns noch für Gorleben bleiben, wie lange wir noch für ein Planfeststellungsverfahren brauchen, wie lange ein Klageverfahren
laufen wird! Dann werden Sie sehen, dass Sie nie mit
2030 hinkommen. Ihre eigenen zeitlichen Vorstellungen,
Herr Minister, sind auf Sand gebaut.
({5})
Sie werden mit dem, was Sie dem Bundestag und der
Presse sagen, Ihrer Verantwortung als Minister nicht gerecht. Das wissen Sie. Sie tun in dieser Frage nichts.
Jetzt kommt das Interessante. In der deutschen Atompolitik hat immer das Verursacherprinzip gegolten, das
besagt: Die Wirtschaft ist letztlich zuständig, die Kosten
zu tragen.
({6})
Gleichzeitig bestand in Deutschland zwischen Bund und
Ländern ein Konsens darüber, dass bei der wichtigen
Frage, wo ein solches Lager nun geplant und gebaut
wird, sich der Bund als Vertreter des Staates nicht aus
dieser Verantwortung zurückziehen kann. Deshalb hat es
in Deutschland einen Konsens dahin gehend gegeben,
dass trotz Anerkennung des Verursacherprinzips der
Bund die staatlichen Aufgaben der grundsätzlichen Planung übernimmt. Damit war das immer eine grundsätzliche Bundesaufgabe. Indem Sie davon reden, es solle ein
spezieller Verband gegründet werden, in dem die
Energieversorgungsunternehmen eine Mehrheit bekommen sollten, unternehmen Sie im Augenblick den Versuch, diese typische Bundesaufgabe loszuwerden. Sie
machen das deshalb, weil Sie genau wissen: Wenn Sie
als Minister diese Bundesaufgabe erfüllen müssen, dann
kommen Sie parteipolitisch in eine schwierige Situation.
Sie müssen nämlich einerseits als Minister Verantwortung für den Staat tragen, während Sie andererseits mit
Ihrer parteipolitischen Basis nicht klarkämen. Diesem
Konflikt wollen Sie ausweichen;
({7})
deshalb verhindern und blockieren Sie. Sie haben in dieser Frage kein Konzept. Das muss man Ihnen vorwerfen.
({8})
Somit machen Sie in den letzten Monaten nichts anderes, als mit Schuldzuweisungen zu versuchen, von Ihrem eigenen Versagen abzulenken. Nichts anderes war
es doch, was Sie in der letzten Haushaltswoche vorgetragen haben. Sie haben nichts anderes getan, als mit völlig
falschen Angriffen gegenüber den unionsgeführten Bundesländern von Ihren eigenen Fehlern und von Ihrem eigenen Versagen in dieser Sache abzulenken.
Aber so kennen wir Sie: Wenn Sie kein Konzept haben oder wenn Sie dieses Konzept nicht realisieren wollen, dann kündigen Sie in der Presse an, neue Konzepte
vorzutragen, oder Sie versuchen, mit falschen Angriffen
auf den politischen Gegner von Ihren eigenen Fehlern
abzulenken. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Das ist der
tiefere Grund unseres Antrages: Dies werden wir Ihnen
zukünftig nicht mehr durchgehen lassen.
({9})
Wenn Sie eine andere Standortprüfung wollen, dann
sagen Sie doch bitte den Menschen, wo in Deutschland
eventuell die Regionen sind, die noch für weitere Standorte in Betracht kommen. Das ist nämlich Niedersachsen, das ist interessanterweise, wenn Sie von Salz, Ton
und Granit ausgehen, auch Nordrhein-Westfalen und
das sind einige süddeutsche Länder. Sie wissen es ganz
genau; Ihnen liegen schon wissenschaftliche Voruntersuchungen vor. Vielleicht kommt vor Süddeutschland noch
Nordrhein-Westfalen dran; vielleicht gibt es dort noch
interessante Standorte.
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und
Herren, dieser Minister sagte, auch Standorte in Nordrein-Westfalen müssten untersucht werden; ausgeschlossen ist dies nach den wissenschaftlichen Untersuchungen
nicht. Seine Parteifreundin Frau Höhn bricht ja schon
zusammen, wenn es um Transporte ins Zwischenlager
Ahaus geht.
Herr Minister, jetzt stellen Sie sich einmal die politische Unterstützung vor, die Sie aus Nordrhein-Westfalen
erhielten, wenn Sie auf einmal sagten, es sollten auch
Standorte in Nordrhein-Westfalen untersucht werden.
Weil Sie genau wissen, dass Sie von dort eine volle
Breitseite bekämen, sind Sie gar nicht gewillt, den Deutschen konkret zu sagen, welche sonstigen Standorte
noch in Betracht kommen.
({10})
Daran kann man sehen, wie Sie in dieser Frage schlingern und welchen Kurs Sie haben.
Wir sagen klar und deutlich: Das Moratorium in Gorleben soll aufgehoben werden. Wir sollten endlich die
wissenschaftlichen Erkundungsarbeiten in Gorleben
fortsetzen.
({11})
Zum Schluss: Auch aus finanziellen Gründen ist Ihr
Kurs verantwortungslos.
({12})
Seit 1998 bis heute haben Sie Studien zur nuklearen Entsorgung für mehr als 18 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Nach Angaben der Bundesregierung verschlang allein die Erstellung des Endberichtes des Arbeitskreises
Endlager Steuergelder in Höhe von 5,8 Millionen Euro.
Weitere Studienvergaben stehen an. Es ist sogar zu befürchten, dass diese Studien freihändig vergeben werden. Das alles zeigt, wie schleierhaft und fragwürdig das
ganze Verfahren ist.
Wir sagen ganz klar und deutlich: Auch aus finanziellen Gründen ist Ihr Kurs verantwortungslos. Erst kürzlich hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass Sie
durch Ihre Politik der Verzögerung Haushaltsrisiken in
Milliardenhöhe in Kauf nehmen.
Herr Minister, es ist höchste Zeit, dass Sie die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Geben Sie Ihre starre Haltung
auf! Stellen Sie sich der Verantwortung und machen Sie
endlich den Weg für eine zukunftsfähige Lösung in der
Endlagersuche frei!
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Horst Kubatschka,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es wird Sie sicherlich nicht überraschen,
wenn wir Ihren Antrag ablehnen. Wir tun das mit gutem
Gewissen, denn Ihr Antrag ist im Grunde genommen nur
der durchsichtige Versuch, einen sicherlich schwierigen
Prozess der Ergebnisfindung durch forsche Behauptungen und Unterstellungen abzukürzen. Dafür ein Beispiel:
In Ihrem Antrag sagen Sie, die dezentralen Zwischenlager drohten quasi zu Endlagern zu werden. Das ist Panikmache.
({0})
Dabei kann ich Ihnen eine gewisse Konsequenz nicht
absprechen: Sie setzten mit Ihrem Antrag konsequent einen weiteren Meilenstein auf Ihrem Weg einer fahrlässigen Atom- und Energiepolitik.
({1})
Sie unterstellen wider besseres Wissen, dass die Bundesregierung in Verzug sei. Das ist unredlich, um nicht
schärfere Ausdrücke zu benutzen. Wir sind nicht in Verzug, sondern liegen weiterhin gut im Zeitplan.
({2})
Der Bundesumweltminister hat erst Anfang September öffentlich klargestellt, dass noch in diesem Herbst
ein Gesetzentwurf für ein Endlagersuchverfahren vorgelegt wird. Dann werden wir im Bundestag die Kriterien für das von uns beschlossene ergebnisoffene Auswahlverfahren in aller Gründlichkeit und Transparenz
debattieren.
Es bringt uns nicht voran, wenn Sie sich an BundLänder-Beschlüsse von 1979 klammern. Über diese Beschlüsse ist sowohl der Stand von Wissenschaft und
Technik als auch die energiepolitische Diskussion hinweggegangen.
({3})
- Ach, Sie stehen immer noch zur Wiederaufbereitung in
Wackersdorf? Das ist überraschend.
({4})
Oder wollen Sie allen Ernstes mit einer 25 Jahre alten
politischen Vereinbarung die Entscheidungsfreiheit des
Bundestages aufheben? Das wäre doch ein etwas seltsames Verständnis von parlamentarischer Souveränität.
Wir wollen ein zügiges Verfahren, aber keine Hudelei. Dafür ist das viele Jahrtausende überspannende Problem der sicheren Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle nun wirklich viel zu sensibel. Ich respektiere die
Einwände derer, die auf eine möglichst rasche und auch
kostengünstige Lösung drängen, wobei ich allerdings
Zweifel habe, ob Zügigkeit und Kostengünstigkeit hier
wirklich zueinander finden.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie wurde eingeleitet, ohne das Problem der Endlagerung ernst zu nehmen.
({5})
In den 50er-Jahren wurde das Programm „Atome für den
Frieden“ aufgelegt. Von Entsorgung sprach damals niemand. Wir hatten einen Atomminister Strauß, der über
die Frage der Entsorgung nie ein Wort verloren hat.
({6})
Das ist kein Vorwurf. Das war in der Gesellschaft einfach kein Thema.
Die Wissenschaft hat uns in den 50er- und 60er-Jahren eine Welt ohne Energieprobleme vorgegaukelt. Es
gab Wissenschaftler - damals haben bekanntlich Sie regiert -, die meinten, in den Häusern könnten die Stromzähler ausgebaut werden, weil der Strom so billig sei,
dass sich die Kosten für die Zähler nicht mehr amortisieren würden.
({7})
Die Wissenschaft gaukelte uns ein Perpetuum mobile
vor.
({8})
Als junge Studenten saßen wir Anfang der 60er-Jahre in
den Vorlesungen und waren begeistert von den technischen Möglichkeiten der Kernenergie. Es fiel aber kein
Wort über Entsorgung und die Lösung der damit verbundenen Probleme.
({9})
Professor Heisenberg, eine Ikone der deutschen Kernenergieforschung, gab damals als Lösung an: ein drei
Meter tiefes Loch, drei Meter Erde darüber, das Problem
der Entsorgung ist gelöst. Wir wissen, dass das nicht die
Lösung ist.
({10})
- Sie lachen, aber das war sein Vorschlag.
Die Wissenschaft und die Technik haben die Politik,
aber auch die Wirtschaft in eine Sackgasse geführt. Bisher gibt es weltweit noch keine Lösung für die Endlagerung.
({11})
Jahrzehntelang wurde das Problem der Endlagerung auf
zukünftige Generationen geschoben.
({12})
Dies war einer der Gründe dafür, warum die rot-grüne
Koalition die Nutzung der Atomkraft für nicht mehr verantwortbar hält und den Atomausstieg eingeleitet hat.
({13})
Deshalb ist es leichtfertig, wie Sie in Ihrem Antrag über
Einigungen und Sicherheitsfragen atomarer Endlager anscheinend abschließende und belastbare Urteile fällen.
Sie haben das gerade in Ihrer Vorrede bestätigt. Es ist jedoch - gelinde gesagt - erstaunlich. Ich halte dies in hohem Maße für unseriös.
Genauso fragwürdig ist in meinen Augen auch Ihre
Haltung zum Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlagerstandorte“, kurz: AK End, und zu der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verhandlungsgruppe Nukleare Endlager. Union und FDP haben sich in trautem
Einvernehmen mit dem Land Niedersachsen und den
AKW-Betreibern schlicht verweigert.
({14})
Ich muss aber in aller Deutlichkeit feststellen: Nicht wir,
sondern die Union hat sich aus der nationalen Verantwortung für die Endlagerung herausgeschlichen.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es ganz
deutlich sagen: Wir stehen zu unserer nationalen Verantwortung für die sichere Endlagerung des deutschen
Atommülls in unserem Land.
({16})
Gerade beim Atommüll gilt ohne Einschränkung das
Verursacherprinzip. Einen Atommülltourismus und das
Wegschieben dieser Erblast wird es mit uns nicht geben.
({17})
Das haben wir auch mit Blick auf die Diskussion in
Brüssel über die europäischen bzw. internationalen Optionen deutlich gemacht, um gerade von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort immer wieder geäußerte Zweifel zu entkräften. Zwischenlager sind keine Endlager
und sie werden nicht zu Endlagern gemacht. Ihre Genehmigung ist befristet. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 ein betriebsbereites Endlager zur Verfügung zu haben, steht
und wird eingehalten. Das hat Umweltminister Trittin
immer wieder betont.
({18})
Die Unionsfraktionen instrumentalisieren jetzt auch
noch den Bericht des Bundesrechnungshofs für ihre parteipolitischen Spielchen.
({19})
Der Bundesrechnungshof ist jedoch kein Hiwi für die
Atompolitik der Unionsparteien.
({20})
Sie verstecken sich hinter den Kostenprognosen, haben
jedoch in der Sache weniger denn je überzeugende Argumente für die Atomkraft.
({21})
Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie eingestehen,
dass Sie wissen, dass die Atomkraft in unserer Bevölkerung keine große Zustimmung findet. Selbst in der uns
nun wahrlich nicht politisch nahe stehenden „Wirtschaftswoche“ kommt eine repräsentative Blitzumfrage
von Anfang September dieses Jahres nur auf 38 Prozent
Zustimmung für eine weitere Nutzung der Kernenergie,
({22})
und das, obwohl die Frage denkbar suggestiv gestellt
wurde. Sie lautete:
Sind Sie dafür, dass der geplante Ausstieg aus der
Kernenergie abgesagt wird, wenn dadurch die
Strompreise konstant bleiben oder sogar fallen würden?
Auch auf diese Frage haben sich die meisten Bürger für
einen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen.
({23})
Da hilft kein Klingeln mit dem Geldbeutel. Auch bei
einer - ich sage ganz ausdrücklich: zu Recht geführten öffentlichen Diskussion über Energiekosten und Strompreise gibt es keine Mehrheit für eine Renaissance der
Atomkraft. Darum geht es Ihnen doch in Wirklichkeit:
Sie wollen den Wiedereinstieg in die Kernenergie. Es ist
jedoch in hohem Maße unsinnig, eine Diskussion über
den Wiedereinstieg in die Atomkraft anzufangen, solange die zentralen Gründe für den Atomausstieg, insbesondere das Sicherheitsproblem, die Entsorgungsfrage
und das Proliferationsrisiko, weiter bestehen. All diese
Gründe verschärfen sich durch Ihre Haltung.
Aber da auch Sie nicht an der Physik vorbeikommen
und es schlichtweg nicht zu leugnen ist, dass sich das
Atommüllvolumen mit jedem weiteren Betriebsjahr und
jedem neuen Atomkraftwerk vermehrt, müssen Sie die
Endlagerproblematik zwangsläufig für gelöst erklären.
({24})
Deshalb wollen Sie diese offene Flanke um jeden Preis
schließen, auch wenn dabei Seriosität und Sicherheit auf
der Strecke bleiben.
({25})
Das, meine Damen und Herren, geht mit uns nicht.
Apropos Sicherheit: Gerade mit Blick auf die
schrecklichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit
muss ich Ihnen sagen, dass es schon erstaunlich ist, wie
selektiv einige von Ihnen mit den Gefahren des internationalen Terrorismus umgehen. Die Verwundbarkeit
hoch riskanter Großtechnologien durch terroristische
Angriffe verschwindet nicht durch Verschweigen. Auch
bayerische Nebelkerzen sind kein hilfreicher Beitrag zu
einer seriösen Diskussion.
({26})
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Terrorgefahr
ein wichtiges Argument gegen die Kernenergie ist. Deshalb bleibt es dabei: Der Atomausstieg ist gesetzlich beschlossen und der Fahrplan eindeutig festgelegt. Alle
Atomkraftbetreiber haben dem zugestimmt. Hier bin ich
ausnahmsweise mit dem seligen Franz Josef Strauß völlig einer Meinung: Verträge müssen eingehalten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute
nicht allein über die Endlagerung, sondern über die
Atomkraft insgesamt. Ich darf deshalb heute noch einmal feststellen, was unter anderem die Energie-EnqueteKommission des letzten Bundestages bestätigt und das
Parlament in seiner Befassung mit deren Abschlussbericht beschlossen hat: Die weitere Nutzung der Atomkraft ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch unsinnig. Ich füge hinzu: Sie ist rückwärts gerichtet und
innovationsfeindlich.
({27})
Denn wer heute noch Atomkraftwerken das Wort redet,
ignoriert, dass die zukünftige Energieversorgung nicht
mehr in dem bekannten Maße auf Großstrukturen ausgerichtet sein kann. Der dezentralen, hoch effizienten und
verbrauchernahen Energieversorgung gehört die Zukunft. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind
der Schlüssel für eine Energieversorgung, die am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Atomkraftwerke
sind Auslaufmodelle.
Das Auswahlverfahren der Endlagerstandorte erfordert von allen Beteiligten - ich appelliere hier ganz besonders an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition - ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein
und Gemeinsinn. Wir haben die Atomkraft genutzt, jetzt
müssen wir auch dafür sorgen, dass die unangenehmen
Hinterlassenschaften sicher verwahrt werden.
({28})
Ein Denken nach dem Sankt-Florians-Prinzip - Endlager, ja, aber bitte nicht bei mir - führt uns nicht weiter.
Ich danke Ihnen.
({29})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege
Kubatschka. Deshalb möchte ich nicht über die Energiepolitik im Allgemeinen reden, sondern auf das zurückkommen, über das wir heute diskutieren, nämlich den
Antrag zum Thema Endlagerung.
({0})
Für die Endlagerung gilt bei uns in Deutschland nach
dem Atomgesetz ein strenger Vorsorgemaßstab, nämlich
der Stand von Wissenschaft und Technik. Unter dem
grünen Umweltminister wird dieser in Deutschland zum
Stand der Ideologie und Stillstand.
({1})
Sie handeln in der Frage der Entsorgung radioaktiven
Abfalls absolut verantwortungslos. Vor allen Dingen
- das halte ich für viel schlimmer - wird die Entsorgungsfrage auf zukünftige Generationen verschoben.
Das ist nicht akzeptabel.
({2})
Herr Kubatschka, ich habe Ihnen zugehört und ich
frage mich: In welcher Zeit leben Sie eigentlich?
({3})
Was für eine Diskussion wollen Sie hier eigentlich führen? Ihnen muss doch klar sein, dass selbst wenn Sie den
Ausstieg vollziehen, den Ihre rot-grüne Koalition eingeleitet hat, immer noch die Endlagerung der schon vorhandenen radioaktiven Abfälle vorzunehmen bleibt.
({4})
Auch mittel- und schwach radioaktive Abfälle müssen
wir entsorgen. Darüber müssen wir sprechen.
({5})
Im Übrigen war immer von vornherein klar, dass dieses
Problem gelöst werden muss. Wir haben dafür über viele
Jahre die Zwei-Endlager-Strategie verfolgt und die Erkundung entsprechender Standorte weit vorangetrieben.
({6})
Das wurde jetzt ohne Not aufgegeben. Um es einmal
ganz klar zu sagen: Wir haben jetzt eine Ein-EndlagerStrategie. Wir sind also abgekommen von Schacht
Konrad und Gorleben und haben zwei Jahre lang einen
AK „End“ arbeiten lassen: Er hat einen Bericht vorgelegt.
({7})
Jetzt meint der Bundesumweltminister, man könnte ein
Endlager bis 2030 in Betrieb nehmen. Das ist doch vollkommen illusorisch. Sie haben bisher noch nicht einmal
eine Novelle des Atomgesetzes vorgelegt. Wenn Sie
nicht einmal das schaffen, wie wollen Sie dann bis 2030
ein Endlager zuwege bringen? Das ist völlig unrealistisch.
({8})
Ich sage auch ganz deutlich, weil Sie es angesprochen
haben: Wir haben auch keine weitere Arbeitsgruppe
nötig. Die Experten sind sich einig.
({9})
Es ist eben nicht so, wie Sie sagen, dass wir an irgendetwas von 1979 festhalten. Es gibt unter Sicherheitsgesichtspunkten kein anderes Land in der Welt, das auf
eine Ein-Endlager-Strategie setzt.
({10})
Alle sagen, wir müssen zwischen den schwach und mittelradioaktiven Abfällen auf der einen und den hoch
radioaktiven Abfällen auf der anderen Seite trennen.
Herr Minister Trittin, das sagt im Übrigen auch das Bundeswirtschaftsministerium und das steht im Bericht des
Bundesrechnungshofes. Auch der Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlagerstandorte“, der von Ihnen einberufen
wurde, sagt wörtlich, dass die Aufteilung auf zwei Endlager unter Sicherheitsgesichtspunkten vorzugswürdig sei.
({11})
Sie haben allerdings ein Ein-Endlager-Konzept vorgelegt, weil Sie vorgegeben haben, dass es ein Ein-Endlager-Konzept sein muss. So kann man unter Sicherheitsgesichtspunkten schlicht und ergreifend nicht arbeiten.
({12})
Die Verzögerung, die dadurch entsteht, bewirkt auch
eine Verzögerung bei der Inbetriebnahme von Schacht
Konrad. Das wirkt sich wiederum auf die Zwischenlagerung von schwach und mittelradioaktiven Abfällen aus.
Dort muss umkonditioniert werden. Das heißt, es wird
auch für die damit befassten Mitarbeiter eine zusätzliche
Strahlenbelastung auftreten.
({13})
Genau aus diesem Grunde hat auch die Bildungs- und
Forschungsministerin in diesem Lande klar gesagt, dass
sie für eine schnelle Inbetriebnahme von Schacht
Konrad ist, um eine solche zusätzliche Gefährdung der
Mitarbeiter auszuschließen.
({14})
Herr Minister Trittin und Herr Kubatschka scheinen
etwas auszublenden:
({15})
Auch in Forschungseinrichtungen des Bundes und in der
Medizin wird mit Radioaktivität umgegangen. Herr
Trittin spricht von der Verantwortung der Abfallverursacher. Wenn Sie davon sprechen, dann denken Sie immer
nur an Atommüll und an die Kernkraftwerke. Dabei
blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel der Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung aus dem
Verantwortungsbereich des Bundes kommen.
({16})
Mit dem Schacht Konrad hätten wir hier ein geeignetes
Endlager. Deswegen wollen wir, die FDP, mit der CDU
gemeinsam, dass der Schacht Konrad nach dem entsprechenden Verfahren so schnell wie möglich in Betrieb genommen wird.
({17})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
({18})
Ich habe mich hier sehr stark auf die sicherheitspolitischen Komponenten bezogen, die ich für zentral halte.
Der Bundesrechnungshof hat daneben gesagt, dass Sie
mit dieser neuen Strategie auch finanziell ein großes
Risiko eingehen.
Herr Minister Trittin, ich stelle fest: Sie sind ein
Sicherheitsrisiko, Sie sind ein Haushaltsrisiko und ich
fordere Sie auf: Kehren Sie endlich zu seriöser Politik
zurück!
({19})
Ich erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin das
Wort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Kubatschka hat auf einen wichtigen Umstand
hingewiesen:
({0})
Das Problem insbesondere bei den hoch aktiven Stoffen,
mit dem wir alle unabhängig von unserer jeweiligen Haltung zur Atomenergie umgehen müssen - da stimme ich
Ihnen doch zu -, entstand durch das verantwortungslose
Einsteigen in die Atomenergie, ohne eine Lösung für die
Endlagerproblematik zu haben. Damit müssen wir uns
herumschlagen.
({1})
Seit dreißig Jahren hat sich daran wenig geändert. In
diesen dreißig Jahren seit Bestehen des Problems standen Sie in der meisten Zeit in der Regierungsverantwortung.
({2})
Wie sind Sie damit umgegangen? Sie haben uns erklärt,
Sie hätten ein sicheres Endlager, das Sie weiter nutzen
würden. Dann haben Sie in Morsleben Atommüll nicht
eingelagert, sondern, um es auf Deutsch zu sagen, abgekippt.
Frau Homburger, Sie sprachen von Haushaltsrisiken.
Was finden Sie heute im Haushalt? Schauen Sie einmal
nach, wie viele Millionen Euro ich ausgeben muss
- Geld des Steuerzahlers -, um dieses von Ihnen für
sicher erklärte Endlager, in dem Sie eingelagert haben,
vor dem Einsturz zu bewahren. Das ist die Realität.
Wenn hier jemand für Risiken und für die Verschwendung von Steuergeldern in der Entsorgungspolitik verantwortlich ist, dann sind es CDU, CSU und FDP und
niemand sonst.
({3})
Es geht noch weiter: Diese Politik der Verweigerung
setzen Sie fort. Herr Paziorek stellt sich hier vorne hin
und ist stolz darauf, dass sich die CDU, die CSU und die
FDP nicht an der Verhandlungsgruppe für die Bestimmung eines Endlagerstandortes beteiligen. Sie scheuen
sich nicht, mir vorzuwerfen, ich hätte Probleme damit,
meiner Klientel etwas zuzumuten. Dazu könnte ich Ihnen von Auseinandersetzungen auf Parteitagen, Demos
in Gorleben und Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Kuhn einiges erzählen. Aber was machen Sie? Sie
berufen sich ernsthaft auf den AK End, aber negieren
die zentrale Aussage des AK End einfach. Der AK End
hat erklärt: Es gibt kein sicheres Endlager, sondern nur
das im Vergleich zu anderen konkreten Gesteinsformationen sicherere Endlager.
({4})
Deswegen bedarf es eines Auswahlprozesses, nicht einer
Vorfestlegung.
({5})
Was haben Sie gemacht? Sie haben sich genau diesem
Auswahlverfahren entzogen.
({6})
Wer sich aber verweigert, der sollte aufhören, hier Anträge wegen einer angeblichen Verzögerung in der Frage
der Entsorgung zu stellen, sondern bei diesem Problem
einfach stille sein.
({7})
Noch eine letzte Bemerkung zu diesem Verfahren.
Schauen Sie sich einmal das Urteil des US-amerikanischen Bundesgerichts zu Yucca Mountain an. Dort hat
man wie Sie in Gorleben alles auf eine Karte gesetzt.
Das Endlager ist faktisch betriebsfähig. Und was passiert
dann? Ein Gericht erklärt: Ihr habt einen Fehler gemacht, weil ihr die Langzeitsicherheit dieses Lagers
nicht hinreichend beachtet habt. Ihr hättet vergleichen
müssen; denn 10 000 Jahre Langzeitsicherheit sind nicht
genug. - Wollen Sie mit dem Schacht Konrad und der
Anlage in Gorleben im Jahre 2030 genauso enden? Ich
halte das für unvernünftig und verantwortungslos.
({8})
Ich will Ihnen etwas zu den finanziellen Risiken sagen. Der Bundesrechnungshof hat erklärt, wir seien Risiken eingegangen. Unsere Antwort war: Bisher ist für die
angeblichen Risiken kein Geld ausgegeben worden.
Diese Auskunft von uns war nicht ganz vollständig. Das
Gegenteil ist der Fall: Wir haben in den letzten Jahren
auf diesem Gebiet sehr viel Geld gespart.
({9})
Herr Paziorek, Sie waren einmal Stadtdirektor. Wie
nennen Sie es als gelernter Jurist, wenn jemand etwas
ohne eine Baugenehmigung baut? Der Volksmund
spricht von einem Schwarzbau. Genau das ist in Gorleben passiert. In Gorleben ist ein Endlager gebaut worden, und zwar - das haben Sie selber bemerkt, das ist
eine interessante Feststellung - ohne eine Plangenehmigung und einen Planfeststellungsbeschluss.
({10})
Es gibt kein atomrechtliches Genehmigungsverfahren
für den Bau eines atomaren Endlagers in Gorleben.
({11})
Diesen Schwarzbau haben wir in der Tat gestoppt.
({12})
Was hat das im Ergebnis gebracht? Ergebnis war, dass
die deutschen Energieversorger in den letzten Jahren
165 Millionen Euro, die sie sonst für die Fortsetzung
dieses Schwarzbaus hätten ausgeben müssen, gespart haben. So ist das mit den Risiken. Wir haben die Risiken
nicht vergrößert, sondern sie gemindert.
Nun wollen Sie uns erneut einem Risiko aussetzen.
Sie sagen, die Bundesregierung soll zulassen, dass im
Schacht Konrad Atommüll eingelagert wird. Was ist
das denn für ein merkwürdiger Rat? Was passiert denn,
wenn die Klage, beispielsweise aus Salzgitter, vor dem
OVG Erfolg hat? Erwarten Sie dann von mir, dass ich
zulasten der Stromkunden, zulasten des Steuerzahlers
den Atommüll, den Sie dort voreilig eingelagert haben,
wieder hochhole? Nein, was Sie machen wollen, ist
abenteuerlich. Sie wollen ein Atommülllager ohne atomrechtliche Genehmigung weiterbauen.
({13})
Sie wollen Atommüll in einem Endlager einlagern, für
das es keine rechtsfeste Genehmigung gibt. Damit setzen
Sie die Bevölkerung auch finanziell unkalkulierbaren
Risiken aus.
Frau Homburger, ich sage es ungern, aber Sie sollten
sich mit der Geschichte beschäftigen. Frau Tritz gibt Ihnen gerne Nachhilfe. Gorleben war immer als ein Einendlager geplant. Es ist ausdrücklich darauf hingewiesen
worden, dass es dafür geeignet ist. Das ist nicht meine
Auffassung, aber die Auffassung derjenigen gewesen,
die das damals gemacht haben. Sie sollten also mit Ihrer
Haltung zum Ein-Endlager-Konzept ein bisschen vorsichtiger sein.
Wer solche unkalkulierbaren Risiken eingeht, sollte
es besser unterlassen, solche Anträge zu stellen. Aber es
kommt noch toller. Die wichtigste Vorgabe zur Lösung
des Atommüllproblems war und ist der Ausstieg aus der
Atomenergie. Eine Voraussetzung, dieses Problem zu
lösen, ist es, die Menge des atomaren Mülls zu reduzieren. Wer wie Sie die Laufzeiten verlängern will, der
muss den Bürgern sagen, dass er das Problem des Atommülls um Tausende von Kubikmetern hoch radioaktiv
strahlenden Mülls vergrößern will. Dann müssen Sie
auch eine Antwort darauf geben, wie Sie dieses Problem
lösen wollen. Sie sind gegen Zwischenlager. Sagen Sie
doch offen, dass Sie dafür sind, dass der Atommüll weiterhin, wie es früher üblich gewesen ist, im Ausland zwischengelagert wird.
({14})
Die Wiederaufarbeitung war nichts anderes als das. Das
halte ich für verantwortungslos. Wer Atomanlagen
schwarz baut, wer Laufzeiten verlängert, der will das
Atommüllproblem nicht lösen, sondern es vermehren.
Das werden wir nicht zulassen.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Franz Obermeier, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Lautstärke des Bundesumweltministers stand in umgekehrtem Verhältnis zum politischen Inhalt und zum sachlichen Gehalt seiner Rede.
({0})
Herr Bundesumweltminister, ich möchte Ihnen unser
Empfinden über das Wort „verantwortungslos“ darlegen.
Verantwortungslos war nicht der Einstieg in die Kernenergie, sondern verantwortungslos ist das Moratorium
für das Endlager Gorleben.
({1})
Wenn Sie uns hier unterstellen, dass wir immer davon
ausgegangen sind, dass Gorleben das Endlager schon ist,
dann sagen Sie die pure Unwahrheit.
({2})
Wir haben immer gesagt, dass es sich in Gorleben um
eine wissenschaftliche Erkundung über die Geeignetheit
in Richtung Sicherheit des Salzstocks handelt und nichts
anderes.
({3})
Ob ein Salzstock wie in Gorleben geeignet ist oder nicht,
müssen die Wissenschaftler entscheiden. Die Untersuchung, ob wir in Deutschland einen geeigneteren Standort haben, fand schon vor Jahren statt. Sie tun heute so,
als müssten Sie einen Schwarzbau korrigieren. Das ist
schlicht und einfach unwahr, Herr Bundesumweltminister. Sie sollten sich die bergrechtliche Genehmigung ansehen, die für diese Arbeiten besteht.
({4})
Jetzt reden wir über die Zwischenlager. Herr Bundesumweltminister, jetzt gibt es die Zwischenlager, zum
Teil stehen sie schon, zum Teil sind sie im Bau. Herr
Kubatschka, wir waren doch zusammen auf der Podiumsdiskussion in Niederaichbach. Die Leute wehrten sich
nicht so sehr gegen die befristete Zwischenlagerung von
Brennstäben, sondern deswegen, weil sie die Sorge haben, dass aus diesen Zwischenlagern Endlager werden.
Auf diesem Kurs sind Sie, Herr Bundesumweltminister,
aus rein ideologischen Gründen, weil Sie die Unsicherheit in der Bevölkerung weiter schüren wollen.
({5})
Ihre Äußerung zum Schluss Ihrer Rede, wir zielten
darauf ab, dass die atomaren Abfälle der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland gelagert werden sollen, ist eine
glatte Verleumdung. Bitte geben Sie uns einen Beleg dafür, dass wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dies
beabsichtigen! Wenn Sie das nicht können, dann nehmen
Sie diese Äußerung bitte zurück!
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Bericht des Bundesrechnungshofes anmerken. Dass dieser Bericht eine
Ohrfeige für Sie ist,
({7})
die so laut geknallt hat, dass man es bis nach Bayern gehört hat, dürfen Sie mir glauben. Noch trauriger ist der
Inhalt. Der Bundesrechnungshof als neutrale Instanz
schreibt, Ihre Arbeit in dieser Angelegenheit sei nicht
systematisch, nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und
wenig transparent. Warum sollen wir das bezweifeln?
Noch schlimmer ist es, Herr Bundesumweltminister
- ich weiß, dass Sie kein Verhältnis zur Ökonomie haben
und dass Ihnen der Euro weit weniger wert ist als Ihre
eigene Ideologie -, wenn Ihre Politik ein finanzielles
Risiko in Höhe von 7 Milliarden Euro bedeutet. Das
müsste für die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen gerade in Zeiten, in denen so viel über Energiepreise, die hohen Kosten im Energiesektor und die
sich daraus ergebenden Arbeitsplatzverluste diskutiert
wird, der Anlass sein, sich intensiv damit auseinander zu
setzen.
Lassen Sie mich noch etwas zu der Ein-EndlagerTheorie ausführen, die nichts anderes als eine Geldvernichtungsmaschine ist, Herr Bundesumweltminister.
Weltweit besteht weder die Absicht, diesen Ansatz umzusetzen, noch befinden sich entsprechende Lager im
Bau. Dafür gibt es physikalische und gesundheitliche
Gründe, die Ihnen bekannt sind. Sie haben 1998 das gesamte Vorhaben gekippt.
Wir fordern Sie auf, Herr Bundesumweltminister:
Kehren Sie auf den Weg der Vernunft zurück! Wir kommen um die Endlagerung der Brennstäbe nicht herum,
ob wir dies wollen oder nicht. Kehren Sie zur Inbetriebnahme von Schacht Konrad und zu weiteren Erkundungen in Gorleben zurück!
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Schmidt, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! So ist das mit der Union: Sie
vernachlässigt in sehr umfangreichem Maße Sicherheitsinteressen in diesem Lande. Sie und niemand anders sind das Risiko für die Menschen. Das ist es, was
wir an Ihrem Antrag bemängeln.
({0})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit vollendete Tatsachen geschaffen und wollen mit Ihrem Antrag heute weitere Wege dieser Art beschreiten,
({1})
von denen wir meinen, dass sie unter Sicherheitsaspekten nicht beschritten werden dürfen. Wir werden dabei
nicht mitmachen.
Wenn Sie darauf abheben, dass das Vorhaben möglicherweise mit einem finanziellen Risiko verbunden ist,
dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Uns geht Sicherheit vor Finanzrisiken. An diesem Maßstab haben wir
dieses gefährliche Thema zu orientieren.
({2})
Wilhelm Schmidt ({3})
Wir haben Ihre Politik in den vergangenen Jahren
- das gilt sowohl für Ihre Regierungszeit als auch für die
Jahre, in denen Sie in der Opposition sind - zu kritisieren, weil Sie sich nicht der Mitverantwortung stellen.
Wir haben den Energiekonsens doch deshalb zustande
gebracht, weil wir die Unternehmen im Energiesektor
und die Politik von Bund und Ländern zusammenführen
wollten. Sie haben sich immer wieder ausgeschlossen
und diese Pfade der Zusammenarbeit nicht mitbeschritten. Das kritisieren wir nachdrücklich, zumal Sie auch
jetzt wieder eine Politik betreiben wollen, die nur davon
ausgeht, bestimmte Interessen einzelner Beteiligter zu
befriedigen, statt das Gesamtinteresse Deutschlands im
Blick zu behalten.
Diejenigen, die aus den Verhandlungen der Gruppe
„Nukleares Endlager“ ausgestiegen sind,
({4})
sollten nicht die Backen aufblasen und so tun, als ob sie
damit andere bzw. bessere Sicherheitsinteressen verfolgen würden. Was Sie bisher betrieben haben, ist blanke
Ideologie.
({5})
Das wird von uns entsprechend kritisiert.
Ich denke, dass wir gut daran täten, die Gruppe
„Nukleares Endlager“ in Gang zu setzen, sie vor allen
Dingen über alle Grenzen hinweg ernst zu nehmen und
als Grundlage dafür zu nutzen, die Fragen von Endlagerstandorten und Sicherheitskriterien ernsthaft und neutral
zu bewerten. Dem verweigern Sie sich. Das kritisiere
ich.
Wenn Sie schon die Finanzseite dieses Projekts ansprechen, dann sollten Sie auch - Herr Trittin hat das
eben angedeutet - Ihre eigenen Sünden zugeben und deren Folgen nüchtern kalkulieren. Morsleben kostet
1,8 Milliarden Euro. Das ist Ihre Schuld.
({6})
- Man hätte mit diesem Erbe auch anders umgehen können, nur um das deutlich zu sagen.
({7})
Die Union ist für den teuren Teil verantwortlich und die
FDP hat bereitwillig mitgemacht. Dies ist zu kritisieren.
Mit Ihrem jetzt vorliegenden Antrag wollen Sie wieder einmal vorschnelle Entscheidungen nach dem Motto
herbeiführen: Aus den Augen, aus dem Sinn! Sie wollen
das ganze Zeug zügig unter die Erde bringen, nur damit
man optisch nichts mehr damit zu tun hat. Dies kann
nicht gut gehen. Als Abgeordneter des Wahlkreises Salzgitter-Wolfenbüttel kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden vor Ort gegen Konrad kämpfen, so lange und so gut
es nach Rechtsmaßstäben möglich ist. Ich bin schon sehr
gespannt, wie der Kollege Fromme, der den vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit unterschrieben
hat, vor Ort damit umgehen wird. Es ist jedenfalls fahrlässig, so zu tun, als ob die Sicherheit für Konrad längst
gegeben wäre. Das akzeptieren wir nicht. Erklären Sie
Ihre Vorgehensweise einmal den Menschen vor Ort.
({8})
In der betroffenen Region wohnen 1 Million Menschen.
Dort gibt es viele Industrieunternehmen. Aber Sie vernachlässigen die Transportgefahren und leugnen die Unsicherheit des Einlagerungsverfahrens. Machen Sie nur
fröhlich weiter! Damit das entsprechend klar ist: Ich
werde mich im Gegensatz zu Ihnen weiterhin am Widerstand gegen Konrad betätigen.
({9})
Damit das ebenfalls deutlich wird: Wir wollen an dieser Stelle unsere gemeinsame Verantwortung wahrnehmen. Das Entscheidende ist aber, dass wir natürlich auch
für die entsprechenden Grundlagen sorgen müssen.
Wenn wir die Gruppe „Nukleares Endlager“ aktivieren
wollen, dann brauchen wir eine sorgfältige, verbesserte
und umfangreichere Endlagerforschung. Herr Minister,
wir sind uns darüber einig, dass wir hier alle Ministerien
noch einmal entsprechend aktivieren sollten. Da wir unsere Verantwortung wahrnehmen wollen, brauchen wir
eine verbesserte Grundlage. Wir werden deshalb auf unserem verantwortungsbewussten Pfad weitergehen und
nicht dem verantwortungslosen Pfad der CDU/CSU folgen.
Danke.
({10})
Herr Kollege Schmidt, bevor Sie das Rednerpult verlassen: Der Kollege Fromme wollte Ihnen noch eine
Zwischenfrage stellen.
({0})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem
Kollegen Fromme.
Herr Kollege Schmidt, können Sie mir vielleicht erklären, warum Sie die Gelegenheit, eine Vereinbarung
mit den Unternehmen zu erzielen, ausgelassen haben
- das war ja Ihre letzte rechtsstaatliche Möglichkeit,
Konrad zu verhindern -, wenn Sie jetzt dagegen plädieren, und warum in Ihrer Verantwortung der Planfeststellungsbeschluss ergangen ist?
Kollege Schmidt, bitte.
Herr Fromme, da Sie keine Zwischenfrage gestellt,
sondern eine Kurzintervention gemacht haben, können
Sie sich wieder setzen.
({0})
Wenn Sie sich gesetzt haben, antworte ich.
Herr Fromme, das stimmt. Sie dürfen Platz nehmen.
Die entscheidende Frage ist doch, wie weit wer welches Verfahren vorangetrieben hat. Sie waren in der Verantwortung, um das deutlich zu sagen. Sie legen hier
Maßstäbe an, mit denen Sie winkeladvokatische Wege
beschreiten. Das sollten Sie mit mir nicht machen. Das
Entscheidende war und ist immer - nicht nur für uns vor
Ort, sondern auch für die SPD-Bundestagsfraktion - die
Sicherheitsfrage. Auch diejenigen, die sich vor Ort gegen das Projekt Konrad wenden, waren und sind der
Meinung, dass die Sicherheitsfragen im Rahmen des
Planfeststellungsverfahrens nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Wir werden über die Fragen betreffend die Transportsicherheit und die Langzeitsicherheit
weiter - notfalls auch vor Gericht - zu streiten haben.
Ich bin sehr sicher, dass der Widerstand vor Ort, der
nach meiner Einschätzung sehr solide und sachkundig
aufgebaut worden ist und der deshalb erfolgsträchtig ist,
vor Gericht die entsprechende Unterstützung bekommen
wird.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, der Bundesumweltminister und Sie haben
heute Morgen einen Beitrag zur Volksverdummung und
Geschichtsklitterung geleistet.
({0})
Ich will hier noch einmal auf den Schacht Konrad
eingehen: 1989 hat der damalige Ministerpräsident Rau
Klaus Töpfer und Helmut Kohl gebeten, eine Konsensrunde einzurichten, um die mit der Endlagerfrage verbundenen Probleme zu lösen. Nordrhein-Westfalen hat
nämlich die Schaffung des Zwischenlagers in Ahaus immer unter der Voraussetzung betrieben, dass eine Endlagerlösung gefunden wird. 1990 haben die Ministerpräsidenten mit Zustimmung von Schröder, Scheibe und
anderen einstimmig den Beschluss gefasst - ihn haben
übrigens auch Frau Griefahn und der grüne Staatssekretär Bulle unterstützt -, dass ein Endlager für schwach radioaktive Abfälle schnellstmöglich geschaffen werde.
Damit war Schacht Konrad gemeint. Das, was Sie hier
als fehlerhaftes Verfahren beschreiben, lag ab 1990 allein in der Hand der rot-grünen Regierung in Niedersachsen. Das ist die eine Seite.
({1})
Die andere Seite sieht folgendermaßen aus, Herr
Schmidt: Wir haben unsere Verantwortung im Bund
wahrgenommen. Aber Fakt ist, dass in dem so genannten
Ausstiegsvertrag - er ist gar keiner - steht, Konrad solle
genehmigt werden.
({2})
Die Genehmigung für Schacht Konrad - Sie loben diesen Vertrag ja - haben Sie und nicht wir erteilt. Wenn ich
Ihrer Argumentation folge, dann muss mit der Sicherheit
also alles in Ordnung sein.
({3})
Ich finde es infam, wie Sie hier vorgehen und der Bevölkerung vor Ort den Eindruck vermitteln, Sie leisteten
Widerstand, obwohl Sie in Wahrheit hier, in diesem
Hause, den Vertrag, den Schröder und Trittin unterschrieben haben, als Ausstieg aus der Kernenergie bejubelt haben. Das ist die Wahrheit.
({4})
Der Bundesumweltminister hat sich darin gefallen,
über „Schwarzbauten“ zu reden. Ich will Ihnen nur sagen, dass im Landkreis Lüchow-Dannenberg über die
Frage „Bergrecht oder Atomrecht?“ monatelang gestritten worden ist.
({5})
Wir im Kreistag haben damals mit großer Mehrheit gesagt: Wir wollen aus Glaubwürdigkeitsgründen eine Untersuchung des Salzstockes nach Bergrecht und nicht
nach Atomrecht.
({6})
Anderenfalls wären Sie es nämlich, die heute hier stünden und sagten: Es ist ein Endlager. Aus genau diesem
Grund haben auch Ihre Parteifreunde gesagt: Wir wollen
eine Untersuchung des Salzstockes in Gorleben nach
Bergrecht und nicht nach Atomrecht. Es handelt sich
also um eine Glaubwürdigkeitsfrage.
({7})
Alles, worüber wir heute diskutieren, geschah bis
1990, 1993, 1997 - wir haben noch mit Herrn Schröder
verhandelt - im Konsens mit der SPD. Diesen Konsens
haben Sie erst mit dem Regierungswechsel 1998 aufgekündigt. Ich zeige Ihnen die Rede von Gerhard Schröder
als Ministerpräsident im Niedersächsischen Landtag, in
der er ein Endlager gefordert hat. Aber er hat geglaubt,
man könne die hochradioaktiven Abfälle im Schacht
Konrad einlagern. Lesen Sie die Rede von Schröder im
Niedersächsischen Landtag nach! Sie sind die Letzten,
die uns Vorträge über Sicherheit und Verantwortung für
die Menschen in diesem Land halten müssen.
({8})
Da es mich nicht nur rational, sondern auch emotional
berührt, sage ich Ihnen Folgendes: Monika Griefahn, die
frühere Umweltministerin einer rot-grünen Regierung in
Niedersachsen, hat Gorleben mit den Bezeichnungen
„bessere Tennishalle“, „Schrotthalle“ und „Blechbude“
diskriminiert. Fakt ist, dass der Bundesumweltminister
- er hat von einem gescheiterten Entsorgungskonzept
geredet - genau diese Bautypen im Lande 13-mal hat
bauen lassen, damit keine Transporte durchgeführt werden müssen.
({9})
Solange Töpfer, Merkel und Kohl das gemacht haben,
war das unsicher. Wenn Trittin und Schröder das machen, dann wird der gleiche Bau zu einer sicheren Veranstaltung.
({10})
Das ist es, was wir in diesem Land erleben.
({11})
Sie sollten auch einmal die Einbringungsrede von
Franz Josef Strauß lesen: Da werden die Fragen der Vorsorge für die Endlagerung behandelt. Infolgedessen sind
225 mögliche Standorte in Deutschland untersucht worden. Sie sind nicht die Erfinder der Standortsuche. Eine
solche Suche haben kluge Wissenschaftler und verantwortliche Politiker in den 60er- und 70er-Jahren durchgeführt.
({12})
Das Ergebnis dieser Standortsuche hat die Regierung
Helmut Schmidt der Regierung Kubel in Niedersachsen
mitgeteilt. Es hieß: Wir wollen einen Salzstock bei euch.
Das Ergebnis ist Gorleben.
Stellen Sie sich heute bitte nicht hierhin und setzen
auf das Vergessen der Bürgerinnen und Bürger,
({13})
auf die jungen Leute, die nicht mehr wissen, wie die Geschichte gewesen ist! Sie haben hier heute Morgen behauptet, wir hätten uns nie um die Sicherheit und die
Endlagervorsorge gekümmert.
({14})
Die Wahrheit ist eine andere.
({15})
Im Übrigen: Wer, so wie Sie, aus der Kernenergie
aussteigt und nicht sagen kann, was anstelle dessen
kommt, der sollte hier etwas kleiner und bescheidener
auftreten. Sie können bis heute nicht belegen, wie die
20 000 Megawatt aus der Kernenergie in Deutschland
ersetzt werden sollen. Sie haben dafür kein Programm.
Letzter Punkt. Die Sozialdemokraten in diesem Land
- das will ich sehr deutlich sagen - haben im Godesberger Programm von der unendlich verfügbaren Atomenergie gesprochen. Ihr Parteifreund Erhard Eppler -
Herr Kollege, Sie müssen ganz schnell zum Schluss
kommen.
Ja, ich komme zum Ende.
Nein, Sie haben schon zwei Minuten überzogen.
Darf ich den Satz noch eben zu Ende sprechen, Frau
Präsidentin?
({0})
Ich will nur noch eines sagen - und zwar mit vollem
Bedacht -: Erhard Eppler war ein Befürworter des
Schnellen Brüters. Den Wahlkampf 1969 hat die Union
gegen die SPD genau vor diesem Hintergrund verloren:
unbegrenztes Wachstum
Herr Kollege!
- und unbegrenzter Wohlstand.
Herr Kollege!
Meine Damen und Herren,
Nein!
- das Ergebnis sitzt heute als grüne Fraktion in der
Mitte dieses Parlaments.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3492 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz
Schmitt ({1}), Ulrike Mehl, Michael
Müller ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard
Loske, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Eine nachhaltige Chemiepolitik in Europa Innovation fördern, Umwelt und Gesundheit
schützen und Verbraucherschutz stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Marie-Luise Dött, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Unabhängige Folgenabschätzung der neuen
EU-Chemikalienpolitik
- Drucksachen 15/2666, 15/2654, 15/3381 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schmitt ({3})
Dr. Antje Vogel-Sperl
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Rolf Bietmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Tierversuche in der europäischen Chemikaliengesetzgebung auf ein Minimum begrenzen
- Drucksachen 15/1982, 15/3261 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schmitt ({5})
Dr. Antje Vogel-Sperl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Heinz Schmitt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befassen uns heute
erneut mit der Neuordnung der europäischen Chemiepolitik. Wir beraten Anträge, die dazu bisher im Bundestag
eingebracht wurden.
Im Oktober vergangenen Jahres hat die Europäische
Kommission ihren Verordnungsentwurf für einen europaweit einheitlichen Umgang mit chemischen Stoffen
vorgelegt. Dieser Entwurf ist mittlerweile, zumindest
uns Umweltpolitikerinnen und -politikern, unter dem
Namen REACH geläufig. REACH steht für ein System,
mit dem chemische Stoffe auf dem europäischen Markt
abhängig von der Produktionsmenge und abhängig vom
Gefährdungspotenzial registriert, bewertet und zugelassen werden. Im Kern geht es bei dieser Verordnung darum, dass chemische Neu- und Altstoffe in Zukunft europaweit gleich behandelt werden. Außerdem soll die
Chemieindustrie für ihre Produkte mehr Eigenverantwortung übernehmen, während sich die staatlichen Behörden auf Stoffe mit großen Produktionsmengen bzw.
auf Stoffe konzentrieren werden, die Anlass zur Besorgnis geben. Insgesamt soll REACH zu einem erheblich
besseren und sichereren Umgang mit Chemikalien führen. Darüber besteht unter allen Beteiligten, insbesondere der Industrie, generell Übereinstimmung.
Nach der Vorlage des Verordnungsentwurfs vor gut
einem Jahr befinden wir uns im Augenblick in einer
Phase, in der die verschiedenen Entwicklungen parallel
ablaufen. Nach der Europawahl befassen sich nun auch
das Europäische Parlament und seine Gremien in erster
Lesung mit der neuen Verordnung. Wir rechnen mit einem Abschluss dieser Beratungen bis Mitte des Jahres
2005. Auch in den Arbeitsgruppen des Rates werden
mittlerweile die konkreten Artikel des Verordnungsentwurfs beraten. Die niederländische Präsidentschaft strebt
dafür eine grundsätzliche Einigung zum Thema Registrierung bis zum Ende des Jahres an.
Gleichzeitig ist auf europäischer wie auf nationaler
Ebene eine Reihe von Projekten angelaufen, die die neue
Gesetzgebung auf ihre Umsetzbarkeit wie auch auf ihre
Folgen für die Industrie untersuchen werden. Das Umweltbundesamt wird in Kürze eine Studie veröffentlichen, die sich mit den wissenschaftlichen Effekten der
neuen Chemikalienpolitik anhand von ausgewählten
Sektoren beschäftigt. Unter der Schirmherrschaft der
Europäischen Kommission wie auch unter Beteiligung
der Industrie und der Behörden ist das Projekt SPORT
angelaufen; hinter dieser Abkürzung steckt das gemeinsame Testen von REACH für eine strategische Partnerschaft. Damit soll - das wurde vom Europäischen Chemieverband angeregt - ein umfassender Probelauf von
REACH anhand ausgewählter Stoffe durchgeführt werden. Die Chemieindustrie ist damit einer Einladung der
Kommission zu einer so genannten strategischen Partnerschaft gefolgt, um mögliche Verbesserungen für die
Durchführung zu prüfen. Selbstverständlich ist auch die
deutsche Chemieindustrie mit eigenen Vorschlägen lebhaft an der Diskussion beteiligt und insbesondere in die
weitere Ausgestaltung von REACH mit einbezogen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, allein diese Aufzählung belegt, dass niemand der Beteiligten an der
neuen europäischen Chemiegesetzgebung ein Interesse
daran hat, der Industrie unangemessene Belastungen
oder unnötige Bürokratie aufzubürden.
({0})
Heinz Schmitt ({1})
Es wird im Augenblick intensiv daran gearbeitet, die Bestimmungen zu konkretisieren, Standards für die Anmeldung der Stoffe und die Qualitätssicherung zu entwickeln und die Verfahrensabläufe zu optimieren. Die
chemische Industrie ist fast überall eingebunden und
beteiligt. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition werden daher eine ernsthafte Auseinandersetzung aller Beteiligten mit den Argumenten der betroffenen Unternehmen - bei allem Bemühen - nicht in Abrede stellen können.
Die Forderungen in Ihren Anträgen nach einer weiteren unabhängigen Folgenabschätzung zu REACH sind
daher von den derzeitigen Aktivitäten längst überholt.
Zum einen wurde eine grundsätzliche Debatte um
REACH bereits im letzten Jahr im Rahmen der Internetkonsultationen der EU-Kommission geführt. Auch dazu
konnten alle Beteiligten Stellung beziehen. Viele der
vorgebrachten Einwände haben ja bereits zu Korrekturen, auch im Sinne der chemischen Industrie, geführt.
Zum anderen kann man in Ihrem Antrag auch nachlesen, wie Sie sich eine unabhängige Folgenabschätzung
vorstellen. Sie listen dort ausschließlich industriepolitische Gesichtspunkte auf. Die Ziele des Umwelt-,
Gesundheits- und Verbraucherschutzes werden von
Ihnen mit keiner Silbe erwähnt. Ich denke, solche Folgenabschätzungen liegen uns bereits zur Genüge vor.
Deshalb sage ich: Wir brauchen keine weiteren Studien
zu REACH, wir müssen uns nun mit der Ausgestaltung
der neuen Chemikalienpolitik in Europa intensiv befassen. Wir begrüßen es deshalb, dass die neue Verordnung
zügig in Kraft gesetzt werden soll, um den jetzigen unhaltbaren Zustand beim Umgang mit chemischen Altstoffen zu beenden.
({2})
Auch auf Ihren zweiten Antrag in Sachen Tierschutz
möchte ich eingehen. Dieser Antrag ist überholt. Er war
es bereits, als Sie ihn eingebracht haben. Ihr Antrag,
Herr Paziorek, basiert auf Daten des Jahres 2001 und arbeitet mit vollkommen falschen Zahlen. Ich kann nur
wiederholen, dass der Verordnungsvorschlag der Kommission auch den Anforderungen des Tierschutzes weitestgehend Rechnung trägt. Die Kommission will bei der
Umsetzung von REACH Tierversuche ebenfalls auf ein
Mindestmaß reduzieren. Die Kommission ist damit auch
beim Tierschutz auf einem guten Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Rücksichtnahme auf Einwände der Industrie müssen wir als Politiker, die wir dem Gemeinwohl verpflichtet sind, auch den
anderen grundlegenden Zielen von REACH das gleiche,
wenn nicht sogar ein höheres Gewicht beimessen. Wir
sind für den Umwelt- und den Verbraucherschutz verantwortlich. Ich denke, dieser Aufgabe müssen wir auch bei
REACH gerecht werden, wiewohl auch die Interessen
der Wirtschaft zu berücksichtigen sind. Die genannten
Ziele kommen in Ihren Anträgen weniger zur Geltung.
REACH ist also in erster Linie ein bedeutender
Schritt für den Umwelt-, den Gesundheits- und den Verbraucherschutz. Deshalb haben wir in unserem Antrag
zur Chemiepolitik das Augenmerk nicht nur auf Verbesserungen bei der praktischen Umsetzung von REACH
gelegt. Wir haben auch nochmals unterstrichen, dass wir
die Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt als erstes Ziel sehen.
Wir erwarten also von dem neuen System aussagekräftige Informationen über Gefahren der erfassten
Stoffe für die Umwelt und für die Gesundheit. Wir haben
auch bereits mehrfach auf notwendige Korrekturen bei
der weiteren Ausgestaltung von REACH hingewiesen.
Wir plädieren zum Beispiel für die Beibehaltung einer
allgemeinen Sorgfaltspflicht für Stoffe unterhalb der
Registrierungsschwelle von einer Jahrestonne. Wir wollen im Registrierungsverfahren bestimmte Prüfanforderungen verankern, beispielsweise einen Mindestdatensatz für Zwischenprodukte, um einen angemessenen
Störfallschutz zu gewährleisten.
Wir setzen uns in unserem Antrag dafür ein, das neue
System offen zu halten. In Zukunft sollten weitere Stoffe
einbezogen werden können, wenn sie ein Risiko für Verbraucher und Arbeitnehmer darstellen. Schließlich haben wir uns in unserem Antrag auch dafür ausgesprochen, das Funktionieren von REACH und das Erreichen
der Ziele in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um
die Wirksamkeit zu testen. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Schutzziele der neuen Verordnung auch tatsächlich erreicht werden. Der Umgang mit Chemikalien
in Europa muss verbessert, er muss sicherer werden.
REACH bietet dafür den geeigneten Rahmen.
Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Monaten weitere Details klären werden und dass die Vorarbeiten für
die Umsetzung der Verordnung in Kooperation mit der
Industrie vorankommen werden. Nur im konstruktiven
Dialog kann ein neues Chemikalienrecht entstehen, das
einerseits einen sicheren Umfang mit Chemikalien gewährleistet und andererseits für die Unternehmen gut zu
handhaben ist. Ich bin sicher, wir sind mit REACH auf
einem guten Weg.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marie-Luise Dött.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte Sie an die Zielsetzungen des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission zur Chemikalienpolitik erinnern. Deren gibt es nämlich drei: Mit der Neuordnung
der Chemikalienpolitik soll nicht nur erstens die Sicherheit von Chemikalien verbessert werden, sondern
zweitens auch und vor allem die Förderung von Innovationen und drittens die Erhaltung und Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen chemischen
Industrie gesichert werden. Um zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen, möchte ich zu allen
drei Punkten Stellung nehmen und mich nicht - wie bei
anderen Fraktionen oft üblich - nur auf die politisch
nahe stehenden Ziele konzentrieren.
Es ist ausdrückliches Ziel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Menschen und seinen Lebensraum vor Gefahren zu schützen.
({0})
Wir möchten das aber auf eine Weise tun, die alle drei
Zielsetzungen miteinander in Einklang bringt. Wenn wir
uns also über Gefahren und Gefahrenprävention unterhalten, müssen wir bei der Gefährlichkeit der Stoffe
ansetzen.
({1})
Es versteht sich von selbst, dass ein Stoff einer strikten
Kontrolle unterliegen muss, wenn er in seiner konkreten
Verwendung schädliche Auswirkungen auf Mensch und
Umwelt hat. Um eine effektive Kontrolle zu gewährleisten, sollte demzufolge ein Kontrollsystem etabliert werden, das an die Gefährlichkeit der Stoffe und ihrer Exposition anknüpft.
({2})
Weniger zielführend ist aus unserer Sicht ein System,
das sich nicht an der Gefährdung, sondern lediglich an
den Herstellungs- und Importmengen orientiert,
({3})
so wie die EU-Chemikalienverordnung, die Rot-Grün
mit ihrem Antrag unterstützt. Der Verordnungsvorschlag
knüpft die Kontrollmechanismen an die Überschreitung
von Mengengrenzen von exakt einer, 10 oder
100 Tonnen. Es wird außer Betracht gelassen, dass
Stoffe schon in Kleinstmengen hoch toxisch sein können, während andere, in Tonnagemengen hergestellte
Chemikalien absolut ungefährlich sind. Uns ist dieses
mengenbasierte System zu statisch und zu schematisch.
Ich bin mir sicher, dass es weitaus intelligentere Alternativen gibt.
({4})
Neben dem Schutz von Umwelt und Gesundheit soll
durch die Neuordnung des europäischen Chemikalienrechts auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Europa gefördert werden. Ob
dieses Ziel mit dem vorliegenden Entwurf tatsächlich erreicht wird, erscheint mir mehr als fraglich. Die bisher
durchgeführten Studien dazu sind nach meiner Auffassung nicht aussagekräftig. Insbesondere das oft zitierte
Extended Impact Assessment der Kommission unterliegt
erheblichen Zweifeln an der Methodik und lässt vor allem den Aspekt außer Betracht, dass die EU auch im internationalen Wettbewerb steht. Unsere Betriebe müssen
mit Unternehmen aus den USA und dem asiatischen
Wirtschaftsraum konkurrieren. Wenn in einer Studie ein
solch erheblicher Faktor nicht berücksichtigt wird, kann
man ihre Aussagekraft nur infrage stellen.
({5})
Andere Studien haben gezeigt, dass die Umsetzung
dieses Verordnungsentwurfs durchaus erhebliche Probleme mit sich bringen kann. Exemplarisch ist hier das
in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Planspiel zu
nennen. In dieser von der rot-grünen Landesregierung
Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen Studie werden die Schlüsselelemente von REACH zum ersten Mal
einem umfassenden Praxistest unterzogen. Die Ergebnisse sind mehr als bedenklich. Sie zeigen, dass die geplante Chemikalienverordnung unpraktikabel und ineffizient ist. Die Unternehmen, aber auch die Behörden
werden überfordert und die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Industrie wird beeinträchtigt.
Als besonders problematisch hat sich das komplizierte Registrierungsverfahren erwiesen. Hiervon ist
zu allererst der Mittelstand betroffen. Den kleinen und
mittelgroßen Betrieben fehlen oftmals die finanziellen
Mittel und das Know-how. Bei geringerem Umsatz müssen sie die gleichen Kosten und Anstrengungen für die
Registrierung aufbringen wie Großbetriebe. Wir müssen
uns also die Frage stellen, wie wir eine überproportionale Belastung des Mittelstandes vermeiden können und
wie den kleinen und den mittleren Unternehmen praktische Hilfestellungen gegeben werden können.
Aber auch über die Mittelstandsproblematik hinaus
wirft das Planspiel mannigfaltige Fragen auf, zum Beispiel nach der Möglichkeit einer Vereinfachung des
Registrierungssystems bzw. der Möglichkeit, einen vergleichbar großen Nutzen bei sehr viel geringerem Aufwand und geringeren Kosten zu erreichen.
In dem Antrag, den die Regierungsfraktionen vorgelegt haben, wird mit keinem Wort auf die Ergebnisse des
Planspiels und die sich daraus ergebenden Fragestellungen eingegangen. Es findet sich lediglich ein lapidarer
Hinweis darauf, dass es stattgefunden hat.
Es handelt sich nicht um ein rein europäisches
Thema, meine Damen und Herren. Unsere deutschen
Unternehmen sind davon stark betroffen.
({6})
Deshalb müssen wir uns hier im Bundestag verstärkt mit
dem Thema REACH beschäftigen.
Dies ist bisher jedoch ausschließlich auf die Initiativen der CDU/CSU bzw. der Opposition hin erfolgt.
({7})
Auch eine Anhörung wurde nicht von der Regierungsseite vorgeschlagen, sondern von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt. Ihre einzige Initiative zu dem
wichtigen Thema der europäischen Chemikalienpolitik
wird heute im Dreierpack in viel zu kurzer Zeit, nämlich
in 30 Minuten, abgehandelt. Daran erkennt man, welchen Stellenwert Sie der Chemikalienpolitik einräumen.
({8})
Auch die Umsetzung der Forderungen von Bundeskanzler Schröder wird von Ihnen nicht mit Nachdruck
verfolgt. In der gemeinsamen Position des Bundeskanzlers mit der Bundesregierung und den Chemieverbänden
wurde die Forderung nach einer unabhängigen Folgenabschätzung formuliert. Der Bedarf besteht nach wie
vor. Bisher gibt es keine wirklich unabhängige und vollständige Abschätzung der Folgen des EU-Kommissionsvorschlags zum Chemikalienrecht. In unserem Antrag
werden daher keine neuen Forderungen gestellt; mit ihm
wird nur an die Position erinnert, die die Bundesregierung in ihren schriftlichen Stellungnahmen und Positionspapieren vertreten hat, und auf deren Einhaltung gedrängt.
({9})
Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung unseres Antrages durch die Regierungsfraktionen nicht nachvollziehbar.
({10})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje VogelSperl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich eines eingangs betonen: Es ist doch unbestritten, dass wir nicht immer wieder mit neuen Einzelregelungen - es dauert zudem unendlich lange, bis wir sie
endlich haben - neuen Schadstoffquellen hinterherlaufen
können. Ein aktuelles Beispiel ist die Weichmacherproblematik in medizinischen Produkten. Daraus folgt ganz
klar: Wir brauchen ein Gesamtkonzept im Sinne des
Vorsorgeprinzips, wie es in der EU-Chemikalienverordnung vorgesehen ist, und wir brauchen ein optimales
Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen.
Nun zum Prozess. Im Laufe des Verfahrens wurde der
Inhalt dieser Verordnung durch drei gemeinsame Positionen - der Bundesregierung, der IG BCE und des VCI wesentlich beeinflusst. Das heißt, im Prozess haben in
den Verordnungsentwurf wesentliche Verbesserungen
Eingang gefunden, und zwar insgesamt zugunsten der
Wirtschaft. Dagegen betreffen die im aktuellen Entwurf
noch nicht berücksichtigten gemeinsamen Vorschläge
auf Grundlage ebendieser drei Positionen den Umwelt-,
Gesundheits-, Verbraucher- und Tierschutz.
Wir wollen erstens aussagekräftige Daten auch für geringvolumige Stoffe und Zwischenprodukte. Auch dies
ist im Übrigen aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der deutschen chemischen Industrie bereits Standard. Von daher ist es doch gerade im Interesse der Industrie, nicht hinter dieses Niveau zurückzufallen.
({0})
Wir wollen zweitens die Einbeziehung bestimmter sensibilisierender und chronisch-toxischer Stoffe in das Zulassungsverfahren. Drittens wollen wir ein Qualitätssicherungssystem und wir wollen auch, dass doppelte
Wirbeltierversuche konsequent verhindert werden.
All diese genannten Punkte sind Bestandteil der drei
gemeinsamen Positionen, deren Inhalt aber der VCI, die
deutsche Industrie, offensichtlich nicht mehr kennt. Interessant ist hingegen, dass die Industrie auf europäischer
Ebene nach dem Motto agiert: „Let’s make REACH better“ und eben keine Fundamentalopposition betreibt.
Was den aktuellen Stand des Verfahrens betrifft
- Herr Kollege Schmitt hat dies bereits angesprochen -:
Es gibt erstens eine konstruktive Zusammenarbeit im
Wettbewerbsrat und im Umweltrat. Es gibt zweitens im
Industrieausschuss des Europäischen Parlaments eine
fraktionsübergreifende Kritik an der von Arthur D. Little
durchgeführten Studie. Drittens gibt es eine allgemeine
Zustimmung zum Prinzip „Ein Stoff - ein Dossier“. Damit können Kosten gespart und Bürokratie verhindert
werden. Es gibt viertens die Entwicklung eines Systems
von Verwendungs- und Expositionskategorien sowie auf
europäischer und auf nationaler Ebene verschiedene begleitende Projekte und Folgenabschätzungen, wie Sie sie
gefordert haben.
Daraus ergibt sich ganz klar: Eine zusätzliche Folgenabschätzung, wie Sie sie fordern, hätte nur einen Effekt:
das ganze Verfahren weiter hinauszuschieben und weiter
zu verzögern.
({1})
Ist es in einer globalen Weltwirtschaft nicht gerade essenziell, bessere Produkte zu entwickeln, das heißt, die
Nase vorn zu haben? Genau diesen Innovationsanreiz
setzt REACH. Das heißt, REACH ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Ökologie und Ökonomie eben kein
Gegensatz sind. Denken Sie an das Verbot der Fluorkohlenwasserstoffe oder die Einführung des Katalysators: Kühlschränke gibt es immer noch und der Katalysator ist eine Selbstverständlichkeit.
({2})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie beklagen vor allem die hohe Belastung der kleinen und
mittelständischen Unternehmen. Wir von Bündnis 90/
Die Grünen nehmen diese Sorgen sehr ernst. Wir haben
deshalb ganz gezielt nachgeschaltete Anwender eingeladen, um mit ihnen über die Umsetzung von REACH zu
diskutieren. Das Ergebnis war ernüchternd: Die meisten
der Unternehmen waren durch ihre Verbände entweder
gar nicht oder schlicht falsch darüber informiert, inwieweit sie tatsächlich von REACH betroffen sind. Das
heißt, was die Unternehmen wirklich brauchen, ist eine
fachgerechte, sachliche Information und keine interessengeleitete Strategie der Desinformation.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie behaupten, durch REACH würden künftig viele Chemikalien nicht mehr produziert und REACH hätte den Wegfall ganzer Produktionsbereiche zur Folge. Aber Fakt ist,
dass bereits aus ökonomischen Gründen immer wieder,
auch heute schon, Chemikalien vom Markt verschwinden
und durch andere ersetzt werden. Das heißt, die Industrie
ist sehr wohl in der Lage, die Produktion umzustellen.
Und wenn REACH dazu führt, dass Stoffe aus Gründen
des Umwelt- und Gesundheitsschutzes vom Markt genommen werden, dann ist dies genau das, was wir mit
REACH erreichen wollen.
({3})
Aus all den genannten Gründen lehnen wir Ihre Anträge ab. Wir sind der festen Überzeugung, dass ganz im
Sinne der Lissabon- und Göteborg-Strategie REACH
sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie als auch
den Umwelt- und Verbraucherschutz stärkt und dass
REACH die Chance hat, weltweit Vorbild für ein modernes, nachhaltiges Chemikalienrecht zu werden.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Ich bitte für alle noch folgenden Rednerinnen um etwas mehr Ruhe, sodass sie leichter mit ihrer Stimme
durchdringen können.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass die Chemikalienpolitik heute endlich einmal die nötige Aufmerksamkeit im Deutschen
Bundestag erfährt.
({0})
Sie können der Debatte jedenfalls entnehmen, wie wichtig dieses Thema für uns alle ist und wie wichtig es ist,
dass wir uns in dieser Frage in Europa gemeinsam einschalten.
Es geht um eine Neuordnung der Chemikalienpolitik
und darum, in allen europäischen Ländern einen hohen
Sicherheitsstandard zu erreichen. Wir in Deutschland haben bereits einen hohen Sicherheitsstandard im Umgang
mit Chemikalien. Deswegen teilen wir das Ziel, das verfolgt wird, nämlich einen hohen Umwelt- und Gesundheitsschutz bei gleichzeitiger Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen anzustreben. Aber
dieses Ziel wird nicht erreicht, weil uns im Augenblick
in Gestalt dieser Chemikalienverordnung aus Europa ein
bürokratisches Monstrum droht.
({1})
Frau Vogel-Sperl, Sie haben Recht: Es wurde bereits
viel geändert und viel getan. Ich sage ganz deutlich: Das
reicht noch nicht aus, auch wenn wir das erreichen wollen, was in der gemeinsamen Vereinbarung zwischen der
Bundesregierung und der Wirtschaft niedergelegt wurde.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme auf 26 Seiten
eine ganze Reihe weiterer Punkte angeführt, die geändert werden müssten, und er hat vor allen Dingen gesagt,
dass trotz der Änderungen, die bisher vorgenommen
wurden, dieser Entwurf nach wie vor dem Ziel einer einfachen, klaren und praxisgerechten Regelung sowohl im
Sinne des Umwelt- und Gesundheitsschutzes als auch
der Entlastung der Wirtschaft nicht gerecht wird.
({2})
Das sieht auch die Landesregierung von NordrheinWestfalen so. Sie hat ein Planspiel durchführen lassen
- Frau Dött hat es gerade schon angesprochen - und hat
als Ergebnis dieses Planspiels festgestellt, dass insbesondere die mittelständische Wirtschaft in der chemischen
Industrie, aber auch all jene, die mit chemischen Produkten umgehen, mit diesen Regelungen völlig überfordert
sein werden. Deswegen sagen wir: Es kann nicht nur darum gehen, Herstellungs- und Importmengen festzusetzen. Bei Chemikalien geht es nicht um Mengen, sondern
es geht um die Gefährlichkeit und Beherrschbarkeit. Daran muss eine entsprechende Verordnung ansetzen.
({3})
Im Übrigen lehnen wir auch Ihren Antrag ab, weil Sie
damit den Weg verlassen, der von der Bundesregierung
mit der Wirtschaft vereinbart wurde. Ich will Ihnen aber
auch ganz klar sagen: Wenn man schon, Herr Schmitt,
mit der Wirtschaft eine Vereinbarung trifft und angeblich
gemeinsam in Europa verhandeln will, dann finde ich es
unanständig, wenn gleichzeitig vom BUND Anzeigen
geschaltet werden, in denen der chemischen Industrie in
Deutschland vorgeworfen wird, sie laufe gegen ein entsprechendes Sicherheitsregime Sturm. Das wird dann
auch noch mit Mitteln des Bundeshaushalts gefördert.
Auf die Frage - die habe ich dem Bundesministerium
gestellt -, warum diese Anzeige gefördert wurde, wurde
mir lapidar erklärt, es sei nicht die Anzeige gefördert
worden, sondern das Projekt. So geht man nicht miteinander um, wenn man gemeinsam ein Ziel erreichen
will.
({4})
Deshalb - letzter Satz, Frau Präsidentin - sage ich
ganz klar: Setzen Sie sich auch aus Umwelt- und Gesundheitsgründen endlich dafür ein, dass es weitere Veränderungen gibt! Ich möchte, dass die chemische Industrie in Deutschland bleibt, in Europa bleibt, und zwar bei
hohen Sicherheitsstandards, weil wir alle davon mehr
haben, als wenn wir riskieren, durch unsinnige Änderungen die Industrie ins Ausland zu vertreiben, in Standards, die weit unter unserem Niveau liegen. Damit wäre
dem Umwelt- und Gesundheitsschutz überhaupt nicht
gedient.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria
Flachsbarth.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die möglichen Auswirkungen der europäischen
Chemierechtsetzung REACH auf den Tierschutz sind
nach wie vor inakzeptabel. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, das in Deutschland für die toxikologische Bewertung von Chemikalien zuständig ist, geht in
einer im August dieses Jahres, Herr Kollege Schmitt,
veröffentlichten Studie von einem Worst-Case-Szenario
von bis zu 45 Millionen Versuchstieren in 15 Jahren aus,
({0})
sollten denn alle Chemikalien einschließlich der Altstoffe entsprechend der von REACH geforderten Bedingungen untersucht werden. Dass diese Befürchtung nicht
nur von der böswilligen Opposition in Deutschland ernst
genommen wird, zeigt auch, dass Anfang dieses Monats
in Brüssel dem Europäischen Parlament über 500 000 Unterschriften übergeben wurden, die sich gegen Tierversuche im Rahmen der Chemikalienprüfung aussprechen.
Vor diesem Hintergrund befremdet es, dass die Mehrheit in diesem Haus durchgesetzt hat, dass alle in den
Bundestag eingebrachten Anträge zur Chemikalienpolitik nunmehr innerhalb einer halben Stunde möglichst
schnell an die Seite geschoben werden.
({1})
Damit wir uns richtig verstehen: Tierversuche sind
nach Auffassung der Union leider nicht immer vermeidbar, um einen sicheren Umgang des Menschen mit Chemikalien oder Arzneimitteln gewährleisten zu können.
Doch wir müssen aus ethischen Gründen alles tun, um
die Zahl der notwendigen Tierversuche auf das absolute
Minimum zu begrenzen und immer weiter zu reduzieren.
({2})
Daher besteht aus Sicht des Tierschutzes beim vorliegenden Kommissionsentwurf der Chemikalienverordnung weiterhin großer Handlungsbedarf. Zwar gibt es
die Verpflichtung für Produzenten, bereits vorhandene
Daten über Tierversuche zu nutzen, doch es gibt gravierende Regelungslücken bei der Parallelregistrierung eines Stoffes. Zwar informiert die Agentur über die jeweiligen Adressen der Produzenten, es gibt aber keine
rechtsverbindlichen Vorgaben für den Fall, dass sich die
Produzenten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Auch die Verpflichtung zur Teilung der
Nutzung von Daten aus Wirbeltierversuchen ist bei NonPhase-in-Stoffen strikter als bei Phase-in-Stoffen.
Der Bundesrat hat eben diese Punkte in seiner Stellungnahme vom 11. Juni dieses Jahres kritisiert. Er fordert wie wir auch die grundsätzliche Ausrichtung an
§ 20 a des deutschen Chemikaliengesetzes, der bereits
seit 1994 auf bewährte Weise überflüssige Doppelversuche verhindert, und zwar durch anteilige Übernahme
der durch die Anfertigung der mit Tierversuchen erarbeiteten Studie verursachten Kosten und dadurch, dass
wettbewerbsverzerrende Zeitvorteile der Auftraggeber
durch das Verwenden der Altstudie durch Sperrfristen
ausgeglichen werden.
Seit dem 20. Mai dieses Jahres findet eine Ausweitung der Anwendung ebendieses § 20 a auch auf die Prüfung und Bewertung von alten Biozidstoffen im Rahmen
des EU-Review-Programms statt. Deshalb ist dieser
Paragraph sehr wohl ein Vorbild für REACH. Die Bundesregierung ist daher dringend aufgefordert, sich dafür
einzusetzen, dass auf EU-Ebene eine vergleichbare Regelung gefunden wird
({3})
und dass es auf EU-Ebene eine Stelle wie zum Beispiel
die europäische Chemikalienagentur oder die ECVAM
gibt, die die Funktion der deutschen ZEBET bezüglich
einer zentralen Sammel- und Auskunftsstelle für Tierversuchsdaten übernimmt.
Die oben genannte Studie des BfR zeigt auch, dass
eine drastische Reduzierung der Zahl der notwendigen
Tierversuche auf 7,5 Millionen in derselben Zeit möglich wäre. Dazu ist es aber erforderlich, den Grundsatz
„ein Stoff, eine Registrierung“ zu beherzigen und die
Notwendigkeit des Umfangs der Untersuchungen an
Risiko und Exposition und nicht an der Produktionsmenge auszurichten. Des Weiteren sind die Neu- und
Weiterentwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen und deren Validierung bei der
OECD sowie die Einbeziehung von QSAR-Untersuchungen erforderlich.
Wenn wir uns die politische Realität in diesem Lande
ansehen, so stellen wir einen drastischen Rückgang der
Fördermittel für Tierversuchsersatz- und Ergänzungsforschung im Haushalt des BMBF 1998 fest.
({4})
1998 waren es 4,3 Millionen Euro, 2002 waren es
2,6 Millionen Euro. In diesem Jahr wurde im Umfeld der
Debatte zum EU-Chemikalienrecht der Etat schließlich
auf 2,8 Millionen Euro erhöht, um im nächsten Jahr wieder auf einen historischen Tiefstwert von 2,4 Millionen
Euro zurückzufallen.
({5})
Interessant ist dabei, dass Staatssekretär Müller noch
im August auf eine schriftliche Frage des Kollegen
Bleser angegeben hat, dass die Sicherung und nach
Möglichkeit Aufstockung der bisher ausgewiesenen Mittel im BMBF-Förderschwerpunkt vorgesehen sei, um
den Herausforderungen von REACH zu begegnen.
Die Diskussion von REACH läuft auf EU-Ebene auf
vollen Touren. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die Bundesregierung noch entschiedener Einfluss auf die Gestaltung von REACH nehmen muss. Diese Gelegenheit darf
sie jetzt nicht verpassen.
({6})
Der Deutsche Bundestag, der im Jahre 2002 mit einer
Zweidrittelmehrheit den Tierschutz als Staatsziel im
Grundgesetz verankert hat, darf sich vor dieser Diskussion nicht wegducken.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zunächst zu drei einfachen Abstimmun-
gen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache
15/3381: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 15/2666 mit dem Titel „Eine nachhaltige
Chemiepolitik in Europa - Innovationen fördern, Um-
welt und Gesundheit schützen und Verbraucherschutz
stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/2654 mit dem Titel
„Unabhängige Folgenabschätzung der neuen EU-Che-
mikalienpolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Diese Be-
schlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/3261
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Tierversuche in der europäischen Chemikaliengesetz-
gebung auf ein Minimum begrenzen“: Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1982 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesam-
ten Opposition angenommen worden.
Interfraktionell ist vereinbart worden, Tagesord-
nungspunkt 22 nach Tagesordnungspunkt 16, also jetzt,
aufzurufen. Außerdem soll Tagesordnungspunkt 22 um
den Wahlvorschlag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 15/3752 erweitert werden. Sind
Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das
sind Sie. Dann ist das so beschlossen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass im Anschluss an
die Wahlen zwei namentliche Abstimmungen über An-
träge auf Zurückweisung von Einsprüchen des Bundes-
rates vorgesehen sind.
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 22 sowie
Zusatzpunkt 6 auf:
22 Wahlvorschlag der Fraktion der FDP
Wahl eines Mitglieds in das Gremium gemäß
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset-
zes
- Drucksache 15/3703 -
ZP 6 Wahlvorschlag der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Wahl eines Mitglieds in das Gremium gemäß
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset-
zes
- Drucksache 15/3752 -
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen schlägt
auf Drucksache 15/3752 die Abgeordnete Anja Hajduk
und die Fraktion der FDP schlägt auf Drucksache 15/3703
den Abgeordneten Otto Fricke vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich Sie um Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren. Für
diese Wahl benötigen Sie die blaue Stimmkarte, die im
Saal verteilt wurde. Sollten Sie noch keine Stimmkarte
haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den
Plenarassistenten zu erhalten. Für die Wahl benötigen
Sie außerdem Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit
noch nicht geschehen, jetzt noch Ihrem Stimmkartenfach
entnehmen können.
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit-
glieder des Bundestages auf sich vereint, also mindes-
tens 301 Stimmen.
Es sind zwei Mitglieder zu wählen. Sie haben zwei
Stimmen, mit denen Sie diese zwei Mitglieder wählen
können. Ungültig sind Stimmkarten, die andere Namen
oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten
will, macht keine Eintragung. Die Wahl ist nicht geheim.
Deshalb können Sie Ihre Stimmkarte, soweit noch nicht
geschehen, an Ihren Plätzen ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer-
fen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und
Schriftführern an den Wahlurnen Ihren blauen Wahlaus-
weis. Die Abgabe dieses Wahlausweises gilt als Nach-
weis der Teilnahme an der Wahl. Achten Sie also bitte
darauf, dass Sie die blaue Stimmkarte und den blauen
Wahlausweis abgeben.
Nun bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann er-
öffne ich jetzt die Wahl.
Ist noch ein Mitglied dieses Hauses anwesend, das
seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich sehe nieman-
den. Dann schließe ich die Wahl.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir können gleich anschließend die beiden namentli-
chen Abstimmungen durchführen. Interfraktionell ist
1) Siehe Seite 11617 C
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung von Einsprüchen des Bundesrates zu erweitern und diese jetzt
als Zusatzpunkte 7 bis 8 aufzurufen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe somit die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
ZP 7 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Neuregelung von
Luftsicherheitsaufgaben
- Drucksachen 15/2361, 15/3338, 15/3587,
15/3759 ZP 8 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Zweite Gesetz zur Änderung
des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften ({0})
- Drucksachen 15/3279, 15/3486, 15/3590,
15/3760 -
Der Präsident des Bundesrates hat schriftlich mitge-
teilt, dass der Bundesrat beschlossen hat, gegen das Ge-
setz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sowie
gegen das Zweite Zivildienstgesetzänderungsgesetz Ein-
sprüche einzulegen. Es liegen zwei Anträge der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Zu-
rückweisung der Einsprüche des Bundesrates vor.
Bevor wir zur Abstimmung über die Anträge kom-
men, bitte ich erneut um Aufmerksamkeit für Hinweise
zum Abstimmungsverfahren. Es ist jeweils namentliche
Abstimmung verlangt; das wissen Sie schon. Nach
Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückwei-
sung eines Einspruchs des Bundesrates die Mehrheit der
Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Das
sind 301 Stimmen. Wer den Einspruch zurückweisen
will, muss mit Ja stimmen.
Sie benötigen außer Ihren Stimmkarten auch Ihre
Stimmausweise in den Farben Grün und Gelb; die Farbe
des zu verwendenden Stimmausweises werde ich Ihnen
jeweils vorher sagen. Bitte achten Sie darauf, dass die
Stimmkarten und Stimmausweise Ihren Namen tragen;
das ist sehr wichtig. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die
Urne werfen, übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimm-
ausweis einem der Schriftführer an der Urne. Sie müssen
also Stimmkarte und Stimmausweis abgeben. Die
Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu
achten, dass Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kol-
legen in die Urne geworfen werden dürfen, die vorher
ihren Stimmausweis in der richtigen Farbe abgegeben
haben.
Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung
über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Ein-
spruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Neurege-
lung von Luftsicherheitsaufgaben. Sie benötigen Ihren
Stimmausweis in der Farbe Grün.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich er-
öffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Bei dieser ers-
ten namentlichen Abstimmung haben also alle mit ihrem
grünen Stimmausweis abgestimmt.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen
zur zweiten namentlichen Abstimmung: Abstimmung
über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Ein-
spruchs des Bundesrates gegen das Zweite Zivildienst-
gesetzänderungsgesetz. Sie benötigen jetzt Ihren
Stimmausweis in der Farbe Gelb.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme und den gelben Stimmausweis noch nicht ab-
gegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.2) Wir setzen die Beratung fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Kristina Köhler ({2}), Dr. Christian Ruck,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mehr Kosteneffizienz im Klimaschutz durch
verstärkte Nutzung der projektbezogenen
Kioto-Mechanismen
- Drucksachen 15/1690, 15/2803 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Dr. Reinhard Loske
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
1) Ergebnis Seite 11619 C
2) Ergebnis Seite 11621 B
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Man könnte es fast persönlich nehmen, dass so
viele Kollegen den Raum verlassen, wenn man zur Klimapolitik redet. Das kann mir aber die gute Stimmung
nicht verderben, da ich heute Morgen bei den Nachrichtenagenturen lesen konnte, dass der russische Außenminister Lawrow gestern auf der UN-Versammlung bestätigt hat, dass Präsident Putin fünf russischen Ministerien
die Dokumente zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls
zugeleitet hat. Das erste Ministerium hat bereits zugestimmt. Wenn die anderen vier Ministerien ebenfalls zustimmen, soll das Unterhaus die Dokumente zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls erhalten.
({0})
Das sollten wir im Hinterkopf behalten, da wir in der
nächsten Woche über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion hier im Plenum - Mittwoch wurde er im Umweltausschuss debattiert - diskutieren werden, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wird, Alternativszenarien
bezüglich des Ratifizierungsverfahrens des Kioto-Protokolls durch Russland zu erarbeiten. Ich denke, wir können uns nächste Woche eine Debatte sparen.
Allerdings gibt es doch etwas, das mir meine gute
Laune verderben kann. Wir führen zwar heute eine
schöne Debatte über den Klimaschutz, aber in dem Antrag der Opposition, den wir im Umweltausschuss debattiert haben, ging es um weniger Klimaschutz. Der Kern
des Antrags der CDU/CSU ist: Klimaschutz soll in der
Dritten Welt selbst durch fragwürdige Projekte billig
eingekauft werden und dadurch die Motivation zum
Klimaschutz in Deutschland verringert werden. Ich
glaube, dass es moralisch falsch ist, wenn der Norden,
der für den größten Teil der Klimaverschlechterung verantwortlich ist, die Hauptlast der Aktivitäten zur Verbesserung des Klimaschutzes in der Dritten Welt erbringen
will, seiner Beispielfunktion zu Hause aber nicht gerecht
werden will. Ich glaube, dass es auch ökologisch falsch
ist, weil man nicht nur kurzfristige Erfolge braucht, sondern auch langfristige. Es ist ökonomisch falsch, weil
wir neue Produkte und neue Technologien brauchen, um
bei uns Arbeitsplätze zu schaffen.
({1})
Wir unterscheiden uns nicht in der Frage, ob wir die
flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls, also Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern durch
Unternehmen der Industrieländer, wollen oder nicht. Wir
wollen aber darüber hinaus, dass auch in Deutschland
und Europa moderne Technologien entwickelt werden.
Das geht nur, wenn es den Anreiz gibt, auch hier vor der
eigenen Tür Klimaschutz zu betreiben.
In dem Antrag der Union kommt es zu einem der üblichen Oppositionsrituale. Dort steht, es gebe eine EUVerordnung und die deutsche Wirtschaft werde wieder
einmal benachteiligt. Lassen Sie uns einmal schauen,
was tatsächlich der Fall ist: Die Europäische Union hat
sich längst darauf geeinigt, wie wir die flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls in Europa umsetzen wollen.
Die Eins-zu-eins-Umsetzung in Deutschland ist gesichert, und zwar über zwei Wege: erstens durch die Zusicherung der Bundesregierung - mir ist klar, dass die
Opposition daran nicht glaubt - und zweitens durch die
Art und Weise des Emissionshandels in Europa. Dadurch
wird jedes Unternehmen, selbst wenn wir in Deutschland ein anderes Recht der Nutzung der flexiblen Instrumente haben, in einem anderen europäischen Land diese
anmelden und eins zu eins nach Deutschland übertragen
können. Das heißt, es kann schon vom System her keine
Benachteiligung der deutschen Wirtschaft geben. Deswegen sollte man eine solche Behauptung unterlassen.
({2})
Die Union spricht von einer unbegrenzten Nutzung.
Das hieße, dass es keinen Klimaschutz mehr in Europa
gäbe. Die Obergrenze, die die Europäische Union vorschlägt, bedeutet, dass deutsche Unternehmen unbegrenzt nutzen können. Denn das, was Deutschland an der
Nutzung der flexiblen Instrumente zugebilligt wird, ist
mehr, als wir brauchen, um unser Kioto-Ziel bis 2010 zu
erreichen.
Welches Interesse sollten wir daran haben, dass die
Klimasünder in der EU, die ihren Ausstoß von CO2 um
20 oder 30 Prozent reduzieren müssen, ihren Verpflichtungen mit fragwürdigen Aufforstungsprojekten in der
Dritten Welt nachkommen können, anstatt moderne
deutsche Technologie kaufen zu müssen,
({3})
die wir in unseren Unternehmen, Energieerzeugungsanlagen, Autos und Haushalten längst einsetzen? Daran
müssen wir doch ein Interesse haben. Deswegen schadet
der CDU/CSU-Antrag eindeutig deutschen wirtschaftlichen Interessen.
({4})
Die Gretchenfrage an CDU/CSU und FDP lautet: Wie
haltet ihr es mit dem Klimaschutz? Heute liegt ein Antrag vor, mit dem erreicht würde, dass der Klimaschutz
für viele Jahre in Deutschland unnötig gemacht würde.
Im Sommer gab es den Versuch, die Emission von Treibhausgasen in Deutschland sogar noch zu erhöhen, anstatt
sie zu senken.
({5})
CDU/CSU und FDP stimmen gegen alles, was mit Klimaschutz zu tun hat.
({6})
Ein einfaches Beispiel sind die erneuerbaren Energien,
bei denen Deutschland Weltmarktführer ist. Es geht um
eine schnelle Markteinführung neuer Technologien. Wir
haben sinkende Preise erzielt und eine steigende Anzahl
von Jobs erreicht. Weiterhin konnte die Emission von
Treibhausgasen reduziert werden. Die Zwischenrufe, die
man jetzt vielleicht auch im Publikum hören kann, hat es
auch schon in der letzten Sitzungswoche gegeben, als
ich diese Kritik vorgebracht habe. Deswegen werde ich
heute zusätzliche Fakten auf den Tisch legen.
Zunächst einmal komme ich zur FDP und zum Thema
erneuerbare Energien und Windenergie. Die FDP lehnt
die heutige Förderung ab, die uns - wie gesagt - zum
Weltmarktführer gemacht hat. Sie fordert Ausschreibungsmodelle mit Mengenregelungen. So ist es doch,
Frau Homburger? Das will die FDP haben. Lassen Sie
uns einmal auf die Zahlen von Europa schauen. Ich
nehme vier große Länder. Deutschland und Spanien haben eine Förderung nach dem deutschen System, Großbritannien und Italien haben ein Ausschreibungsmodell
mit Mengenregelung, also ein System, wie es die FDP
haben will.
Fangen wir mit der installierten Leistung an. Die lag
Ende 2003 in Großbritannien bei 649 Megawatt, in
Italien bei 904 Megawatt.
({7})
In Spanien lag die Leistung bei 6 202 Megawatt, in
Deutschland bei 14 602 Megawatt. Das Modell der Koalition ist also um den Faktor 10 bis 15 erfolgreicher als
das von der FDP und der CDU/CSU.
({8})
Gehen wir zum nächsten Punkt: Preise pro Kilowattstunde. Es geht darum, was der Verbraucher bezahlen
muss. In Großbritannien sind es 9,6 Cent pro Kilowattstunde, in Italien 13 Cent pro Kilowattstunde. In Spanien
sind es 6,6 Cent pro Kilowattstunde, in Deutschland
6,6 bis 8,8 Cent pro Kilowattstunde. Auch hier ist das
Modell von Rot-Grün 10 bis 50 Prozent günstiger für die
Verbraucher als das der Opposition.
({9})
Der dritte Punkt betrifft die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze. In Großbritannien waren es 3 000, in Italien
2 500, in Spanien 20 000 und in Deutschland 46 000 Arbeitsplätze. Also auch hier ist das Modell der Koalition
um den Faktor 8 bis 20 erfolgreicher. Darüber sollte die
FDP einmal nachdenken.
Der Kollege Pfeiffer hat für die CDU/CSU angekündigt, das Fördersystem bei den erneuerbaren Energien
im Jahr 2007 kippen zu wollen. Frau Merkel - die frühere Umweltministerin - hat es wiederholt.
({10})
Da Sie meine Kritik zurückweisen, zitiere ich aus
„Spiegel Online“ vom 11. September 2004:
Mit Blick auf die Bundestagswahlen 2006 drängt
CSU-Chef Edmund Stoiber auf eine „umweltpolitische Offensive“ - und kritisiert die Schwesterpartei. So blockierten CDU-Mitglieder im Umweltausschuss Ökoprojekte wie die Energie sparende
„Sanierung der Altbausubstanz“, die „Einführung
von Rußfiltern für PKW“ ... Die Christsozialen bemängeln, die „Exportchancen“ für deutsche Umwelttechnik wie Windenergieanlagen oder BioKraftwerke würden in der CDU/CSU-Fraktion zu
wenig erkannt. Als einziger Unionsabgeordneter
hatte ein CSU-Mann, der Forstingenieur Josef
Göppel, Anfang April mit der Regierung für die
umstrittene Gesetzesnovelle über erneuerbare Energien gestimmt.
Das ist einer von 248 und entspricht 0,4 Prozent Ihrer
Fraktion!
Ich stimme Edmund Stoiber nicht oft zu, aber damit
hat er Recht: Mit CDU/CSU und FDP ist kein konsequenter Klimaschutz möglich. Der vorliegende Antrag
ist der erneute Beweis dafür. Der Umweltausschuss
empfiehlt zu Recht, den Antrag abzulehnen. Wir schließen uns dieser Empfehlung an.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Ich gebe Ihnen kurz das Ergebnis der Wahl von zwei
Mitgliedern in das Gremium gemäß § 4 a des Bundes-
wertpapierverwaltungsgesetzes bekannt. Von den 601 Mit-
gliedern des Deutschen Bundestages haben 581 ihre
Stimme abgegeben. Davon sind 581 gültig. Es gab fünf
Enthaltungen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf
die Abgeordnete Anja Hajduk 499 Stimmen und auf den
Abgeordneten Otto Fricke 564 Stimmen. Die Abgeord-
neten haben die erforderliche Mehrheit von 301 Stimmen
erreicht und sind damit Mitglieder des Gremiums nach
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes.1)
Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der
Abgeordnete Josef Göppel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, hier ist ein Kontrastprogramm angesagt. Es geht um die Frage, wie wir zu einem Klimaschutz und zu einem Weltklimaabkommen kommen, an
dem auch die Entwicklungsländer ein finanzielles Interesse haben.
Ich habe vor zwei Tagen an der öffentlichen Sitzung
des Nachhaltigkeitsrates teilgenommen.
({0})
Der Vorsitzende, Volker Hauff, schloss die Sitzung mit
den Worten: „Kioto ist keine tragfähige Lösung zur Sta-
bilisierung des Weltklimas.“
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer siehe Anlage 2
Die Union und ich sind anderer Meinung. Wie soll jemand den Mut zu einem anderen, besseren Konzept fassen, wenn wir das vorhandene, mühsam errungene Konzept bereits auf halbem Wege als nutzlos bezeichnen?
({1})
Insofern stellt sich die Frage, wo wir stehen.
144 Staaten haben das Kioto-Protokoll ratifiziert. Diese
Staaten erzeugen 44 Prozent der gesamten Klimagase.
Russland erzeugt 17 Prozent; das ergibt zusammen
61 Prozent. Die Schwelle liegt bei 55 Prozent.
Ich habe ebenso wie Sie, Herr Kelber, mit Freude die
Nachricht vernommen, dass Herr Putin die Ratifizierung
des Abkommens eingeleitet hat. Aber das ist uns schon
zweimal angekündigt worden. Das ist das Problem.
({2})
Ich sage Ihnen in allem Ernst: Der Bundeskanzler muss
bei seinem Freund Putin sein volles politisches Gewicht
in die Waagschale werfen, damit Russland das Abkommen tatsächlich ratifiziert!
({3})
Wir wollen, dass dieses Abkommen nicht scheitert, sondern ein Erfolg wird.
Wo stehen wir heute beim weltweiten Ausstoß von
klimaschädlichen Gasen? Für das Abkommen von
Kioto gilt das Basisjahr 1990. Damals betrug der Ausstoß klimaschädlicher Gase weltweit 30 Milliarden Tonnen. Im Jahr 2000 - zehn Jahre später - waren 35 Milliarden Tonnen zu verzeichnen. Das heißt, dass in den
letzten zehn Jahren keine Senkung erfolgt ist. Im Gegenteil: Es gab eine Steigerung um 17 Prozent. An diesen
35 Milliarden Tonnen haben die Industrieländer einen
Anteil von 21 Milliarden Tonnen. Der Ausstoß in den Industrieländern ist allerdings in den letzten zehn Jahren
durch die Rückgänge in Russland, die die Zuwächse in
den Vereinigten Staaten ausgeglichen haben, in etwa
gleich geblieben. Die Europäische Union hat ihren Ausstoß in den letzten zehn Jahren um immerhin 2 Prozent
senken können. Aber ihre Verpflichtung, den Ausstoß
um 8 Prozent zu senken - Herr Kollege Kelber, wir sind
jetzt an einer wichtigen Stelle; denn Sie haben der Union
unterstellt, dass sie entsprechende Maßnahmen lieber
woanders als in Deutschland durchführen möchte -, hat
sie nicht erfüllen können. Deshalb sage ich ganz klar:
Wir müssen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland noch eine Menge tun, um unser Ziel
zu erreichen.
Ich gebe aber zu bedenken: Selbst wenn das Abkommen von Kioto Erfolg hätte und alle Industrieländer ihre
Verpflichtungen erfüllen würden, würde der weltweite
Ausstoß bis 2010 auf über 40 Milliarden Tonnen steigen. Die Folgen einer solchen Entwicklung können wir
uns schon heute täglich im Fernsehen anschauen. Es ist
schon fast symbolisch gewesen, dass die Bilder von Haiti Menschen zeigten, die im Wasser wateten, überflutete
Dörfer und im Hintergrund kahl geschlagene Berghänge.
Schon aus diesem Grund muss es uns ein elementares
Anliegen sein, dass die Entwicklungsländer ein finanzielles Interesse daran bekommen, klimaverträglich und
nachhaltig zu wirtschaften.
({4})
Das Ziel von Kioto ist, zu verhindern, dass die Erdmitteltemperatur mehr als 2 Grad im Vergleich zum
vorindustriellen Wert ansteigt. Wenn der weltweite Ausstoß auf mehr als 40 Milliarden Tonnen steigt, dann
steigt die Erdmitteltemperatur - so schätzt das IPCC, ein
internationales Wissenschaftlergremium für Klimafragen - um 3 bis 5 Grad. Die Folgen wären - ich nenne
nur die wirtschaftlichen - Verlust fruchtbarer Tieflandgebiete, Verschiebung von Klimazonen mit volkswirtschaftlichen Schäden und ernst zu nehmende Wanderungsströme. Wir dürfen also nicht an der Frage
vorbeigehen, wie wir für die Entwicklungsländer einen
Rahmen schaffen können, der dafür sorgt, dass auch sie
ein wirtschaftliches Interesse haben, mehr Klimaschutz
zu betreiben.
Es gibt dafür bereits Konzepte. So haben Wissenschaftler schon vor einigen Jahren in Großbritannien das
Modell „Contraction and Convergence“ entwickelt, das
auf die Verringerung und die Annäherung der Pro-KopfAusstöße bei den klimaschädlichen Gasen abzielt. Der
deutsche Wissenschaftler Lutz Wicke hat im Rahmen
des Nachhaltigkeitsrates der baden-württembergischen
Landesregierung ein weltweit wirksames Anreizsystem mit handelbaren Zertifikaten entwickelt. Danach
wird jedem Menschen auf der Welt ein Ausstoß von
5 Tonnen pro Jahr zugestanden. Das wären bei
6 Milliarden Menschen etwa 30 Milliarden Tonnen, also
das Niveau von 1990. Länder, die darüber liegen, müssten zukaufen und Länder, die darunter liegen, könnten
finanzielle Anreize für ihre wirtschaftliche Entwicklung
bekommen. - Sie lachen vielleicht zu Recht, wenn es um
die Frage geht, ob sich so etwas durchsetzen lässt. Immerhin will die Europäische Kommission auf der nächsten Folgekonferenz in Buenos Aires im Dezember dieses
Jahres ein Dreistufenkonzept einbringen, das in der ersten Stufe eine freiwillige Verpflichtung zur Erhöhung
der Wirkungsgrade von Anlagen in Entwicklungsländern, in der zweiten Stufe den verbindlichen Ersatz alter
Anlagen, sodass etwa 1 Tonne Stahl mit weniger klimaschädlichen Abgasen erzeugt wird, und erst in der dritten
Stufe verbindliche Länderobergrenzen vorsieht. Es ist
natürlich noch offen, ob ein solches Modell eine Mehrheit finden kann; denn die entscheidenden Länder sind
China und Indien. Man hört in Brüssel, dass sie für ein
solches Mehrstufenmodell Sympathie zeigen; aber der
Erfolg ist noch lange nicht sicher.
Die so genannten flexiblen Maßnahmen im jetzigen
Kioto-Abkommen - Clean Development Mechanism,
also umweltverbessernde Maßnahmen in den Entwicklungsländern, und die so genannten Joint Implementations
in den osteuropäischen Ländern; damit ist im Grunde
dasselbe gemeint - betreffen den Export klimaschützenJosef Göppel
der Technologien. Ich bin schon der Meinung, dass die
jetzige Grenze von 6 bis 8 Prozent willkürlich gewählt
ist. Es gibt für sie weder eine wirtschaftliche noch eine
naturwissenschaftliche Begründung. Das war vor einem
Jahr der Grund dafür, den Antrag einzubringen, über den
wir heute reden.
({5})
Ich bin der Meinung, dass es sinnvoll ist, den Entwicklungsländern mehr Technologietransfer bereitzustellen und auf diese Art und Weise das wirtschaftliche
Interesse dort in Gang zu bringen. Das ist aber noch
keine über das jetzige Abkommen hinausweisende Lösung. Das müssen wir alle gemeinsam erkennen.
Ich fasse zusammen: Fortschritte beim weltweiten
Klimaschutz sind davon abhängig, dass die Entwicklungsländer ein wirtschaftliches Interesse daran entwickeln. An einem solchen Konzept muss die Bundesregierung mit größerem Nachdruck als bisher arbeiten.
Schön, dass Minister Trittin bei uns ist. Herr Minister
Trittin, wir brauchen Ihre Initiativen auf internationaler
Ebene! Vor allen Dingen brauchen wir auch die Initiativen des überall so geschätzten Außenministers Joschka
Fischer auf diesen Sektoren. Ich habe solche Initiativen
bisher noch nicht wahrgenommen. Ich bin sehr gespannt.
Nötig sind Initiativen zu einer sinnvollen Weiterentwicklung des Abkommens von Kioto von unserer deutschen
Bundesregierung. Sie ist hier ganz besonders gefordert.
({6})
Ich unterbreche die Aussprache, um Ihnen die von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten
Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen über die
Zurückweisungen der Einsprüche des Bundesrates mitzuteilen.
Zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das
Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben“:
Abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 303,
mit Nein haben gestimmt 278. Es gab keine Enthaltungen. Der Antrag ist damit mit der erforderlichen
Mehrheit - 301 Stimmen waren nötig - angenommen
worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 303
nein: 278
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Hans Martin Bury
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Sabine Bätzing
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiss
Detlef Dzembritzki
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({5})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({6})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Uwe Göllner
Karl-Hermann Haack
({7})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({8})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({9})
Walter Hoffmann
({10})
Iris Hoffmann ({11})
Frank Hofmann ({12})
Eike Hovermann
Christel Humme
Klaas Hübner
Gerd Höfer
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Renate Jäger
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Volker Kröning
Ute Kumpf
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Dr. Heinz Köhler ({13})
Fritz Rudolf Körper
Christine Lambrecht
Christian Lange ({14})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Gesine Multhaupt
Michael Müller ({15})
Christian Müller ({16})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({17})
Dietmar Nietan
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({18})
Michael Roth ({19})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({20})
Gerhard Rübenkönig
René Röspel
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({21})
Ulla Schmidt ({22})
Silvia Schmidt ({23})
Dagmar Schmidt ({24})
Wilhelm Schmidt ({25})
Heinz Schmitt ({26})
Carsten Schneider
Olaf Scholz
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({27})
Reinhard Schultz
({28})
Swen Schulz ({29})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Axel Schäfer ({30})
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Rolf Stöckel
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({31})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({32})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({33})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({34})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({35})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
({36})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({37})
Volker Beck ({38})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Ulrike Höfken
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({39})
Markus Kurth
Renate Künast
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({40})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Claudia Roth ({41})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({42})
Werner Schulz ({43})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({44})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({45})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Georg Brunnhuber
Monika Brüning
Klaus Brähmig
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({46})
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({47})
Dr. Wolfgang Bötsch
Cajus Julius Caesar
Manfred Carstens ({48})
Peter H. Carstensen
({49})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({50})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({51})
Dirk Fischer ({52})
Axel E. Fischer ({53})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Markus Grübel
Hermann Gröhe
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Hubert Hüppe
Joachim Hörster
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({54})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn ({55})
Kristina Köhler ({56})
Norbert Königshofen
Dr. Karl A. Lamers
({57})
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({58})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({59})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({60})
Stephan Mayer ({61})
Dr. Conny Mayer
({62})
Dr. Martin Mayer
({63})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({64})
Doris Meyer ({65})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({66})
Bernward Müller ({67})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({68})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({69})
Peter Rzepka
Volker Rühe
Dr. Norbert Röttgen
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({70})
Andreas Schmidt ({71})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Anita Schäfer ({72})
Dr. Wolfgang Schäuble
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({73})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({74})
Gerald Weiß ({75})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({76})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Gerhard Wächter
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
FDP
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({77})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Joachim Günther ({78})
Christoph Hartmann
({79})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({80})
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose Abgeordnete
Dr. Gesine Lötzsch
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen „Zurückweisung des
Einspruchs des Bundesrates gegen das Zweite Gesetz
zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften“: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein haben gestimmt 275, Enthaltungen
ebenfalls keine. Auch dieser Antrag ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 305
nein: 275
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({81})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({82})
Klaus Barthel ({83})
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({84})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({85})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Hans Martin Bury
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Sabine Bätzing
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiss
Detlef Dzembritzki
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({86})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({87})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Uwe Göllner
Karl-Hermann Haack
({88})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({89})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({90})
Walter Hoffmann
({91})
Iris Hoffmann ({92})
Frank Hofmann ({93})
Eike Hovermann
Christel Humme
Klaas Hübner
Gerd Höfer
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Renate Jäger
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Volker Kröning
Ute Kumpf
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Dr. Heinz Köhler ({94})
Fritz Rudolf Körper
Christine Lambrecht
Christian Lange ({95})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Gesine Multhaupt
Michael Müller ({96})
Christian Müller ({97})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({98})
Dietmar Nietan
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({99})
Michael Roth ({100})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({101})
Gerhard Rübenkönig
René Röspel
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({102})
Ulla Schmidt ({103})
Silvia Schmidt ({104})
Dagmar Schmidt ({105})
Wilhelm Schmidt ({106})
Heinz Schmitt ({107})
Carsten Schneider
Olaf Scholz
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({108})
Reinhard Schultz
({109})
Swen Schulz ({110})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Axel Schäfer ({111})
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Rolf Stöckel
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({112})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({113})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({114})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({115})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({116})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
({117})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({118})
Volker Beck ({119})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Ulrike Höfken
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({120})
Markus Kurth
Renate Künast
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({121})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Claudia Roth ({122})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({123})
Werner Schulz ({124})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({125})
Fraktionslose Abgeordnete
Dr. Gesine Lötzsch
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({126})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Georg Brunnhuber
Monika Brüning
Klaus Brähmig
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({127})
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({128})
Dr. Wolfgang Bötsch
Cajus Julius Caesar
Manfred Carstens ({129})
Peter H. Carstensen
({130})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({131})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({132})
Dirk Fischer ({133})
Axel E. Fischer ({134})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Markus Grübel
Hermann Gröhe
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Hubert Hüppe
Joachim Hörster
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({135})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn ({136})
Kristina Köhler ({137})
Norbert Königshofen
Dr. Karl A. Lamers
({138})
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({139})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({140})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({141})
Stephan Mayer ({142})
Dr. Conny Mayer
({143})
Dr. Martin Mayer
({144})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({145})
Doris Meyer ({146})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({147})
Bernward Müller ({148})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({149})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({150})
Peter Rzepka
Volker Rühe
Dr. Norbert Röttgen
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({151})
Andreas Schmidt ({152})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Anita Schäfer ({153})
Dr. Wolfgang Schäuble
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({154})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({155})
Gerald Weiß ({156})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({157})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Gerhard Wächter
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
FDP
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({158})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Joachim Günther ({159})
Christoph Hartmann
({160})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({161})
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat jetzt der
Abgeordnete Reinhard Loske.
({162})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Rede meines Vorredners kann ich weitestgehend zustimmen.
({0})
- Ja, das war eine sehr gute Rede. - Er hat vor allen Dingen die Kernthese dargestellt, dass die Kosten unterlassenen Handelns möglicherweise viel höher sind als die
Kosten des Handelns. Das, was wir zurzeit in der Karibik, in Haiti, in Kuba und in Teilen Floridas erleben, verursacht natürlich sehr hohe Kosten, die man möglicherweise hätte vermeiden können, wenn man in den
Klimaschutz rechtzeitig investiert hätte. Die Kosten des
Nichthandelns müssen immer mit den Kosten der Vorsorge verglichen werden. Genau das geschieht in dem
Antrag der CDU - über den spreche ich hier - nicht.
Wenn das, was Herr Göppel hier gefordert hat, in diesem
Antrag stünde, dann stimmten wir ihm ganz sicher zu.
Ich möchte nun auf einige Argumente in diesem Antrag
eingehen.
Es geht in diesem Antrag vor allen Dingen um die flexiblen Mechanismen: Joint Implementation, also die gemeinsame Umsetzung, und CDM, Clean Development
Mechanism, also die gemeinsame Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern. Wenn
man aus einer rein ökonomischen Perspektive auf diese
Mechanismen schaut - auch ich bin Ökonom -, dann erkennt man: Sie haben sehr viele Vorzüge. Der Grundgedanke ist, dass die Klimaschutzinvestitionen dort stattfinden sollen, wo die Kosten der Vermeidung von
Kohlendioxid am niedrigsten sind. Theoretisch ist das
hundertprozentig richtig; denn man soll knappe Mittel
wirtschaftlich einsetzen.
Dennoch - das scheint eine wichtige Einschränkung
zu sein - muss man vor einer einseitigen ökonomischen
oder gar ökonomistischen Betrachtung, wie sie in Ihrem
Antrag leider stattfindet, warnen. Sie lassen die Innovationen völlig außen vor. Es kann uns aber nicht nur darum gehen, Technologien, die bereits vorhanden sind,
sozusagen in den Rest der Welt zu transferieren; wir
wollen doch den Innovationsprozess in unserem eigenen
Land voranbringen, in neue Technologien investieren
und mit diesen Technologien auf den Weltmärkten der
Zukunft präsent sein. Deswegen geht es eben nicht nur
um die flexiblen Mechanismen, die Sie sehr stark betonen, sondern es geht vor allem darum, in unserem eigenen Land den ökologischen Strukturwandel hinzubekommen und die Innovation voranzutreiben. Dabei
warten wir vergeblich auf die Unterstützung von der
Union - die findet sich in ihrem Antrag nicht -; da erleben wir leider das genaue Gegenteil.
Der Antrag hat so ein bisschen die Tonlage, als sei
Klimaschutz quasi nur eine Bürde, nur ein Kostenfaktor.
Es wird überhaupt nicht erkannt, welch große Chance
für die großen Zukunftsmärkte darin liegt. Diese einseitige Betrachtung können wir nicht unterstützen. Wir
brauchen beides. Wir brauchen Kostenbewusstsein, aber
wir müssen vor allem auch die wirtschaftlichen Chancen
des Klimaschutzes erkennen. Das kommt in Ihrem Antrag nicht hinreichend zum Ausdruck.
({1})
Wir wollen innerhalb dieser Mechanismen natürlich
eine Konzentration auf bestimmte qualitative Kriterien.
Wir wollen, dass die Mechanismen vor allem dazu beitragen, erneuerbare Energien zu fördern, Energie einzusparen und Energieeffizenz zu befördern. Wir wollen
nicht - darin unterscheiden wir uns -, dass die Mechanismen auch für die Atomenergie gelten. Die AtomenerDr. Reinhard Loske
gie - das ist der erste wichtige Punkt - soll bei den flexiblen Mechanismen ausgeschlossen werden. Zweitens.
Senkenprojekte sollen nur in einem begrenzten Umfang
anrechenbar sein sowie nur dann - auch das ist ganz
wichtig -, wenn es wirklich um zusätzliche Anstrengungen geht. Drittens. Die Große Wasserkraft soll im Rahmen dieser Mechanismen nur gefördert werden, wenn
klare ökologische Qualitätsstandards eingehalten werden, nämlich die der Weltkommission für Dämme.
Das sind wichtige Einschränkungen. Ein Persilschein
für die flexiblen Instrumente ist nicht das Richtige; man
muss vielmehr klare qualitative Anforderungen formulieren. Auch das vermissen wir in Ihrem Antrag.
Sie tun so, als würde der deutschen Industrie verwehrt, die Instrumente anzuwenden. Das ist natürlich
nicht der Fall. Wir haben jetzt die Verbindungsrichtlinie auf europäischer Ebene. Wir werden sie in
Deutschland schnell umsetzen. Wir sind da sogar ganz
vorn. Insofern ist dieser Vorwurf ebenfalls leere Polemik. Auch das trifft schlicht und einfach nicht zu.
Jetzt zu den allgemeinen Signalen der letzten Tage. Es
ist ein gutes Zeichen - ich glaube, Ulrich Kelber hat es
schon gesagt -, dass Russland jetzt angekündigt hat, den
Ratifizierungsprozess einzuleiten. Das ist sicherlich
auch auf die diplomatischen Anstrengungen von deutscher Seite zurückzuführen. Der Bundeskanzler hat es
immer wieder angesprochen. Der frühere Bundespräsident Rau hat es immer wieder angesprochen. Außenminister Fischer hat es immer wieder angesprochen. Auch
der Deutsche Bundestag hat es angesprochen. Insofern
geht der Vorwurf, es gebe hierzu keine diplomatischen
Bemühungen, schlicht und einfach ins Leere und ist billige Polemik.
({2})
Ein ganz wichtiger Punkt sind die Signale, die aus
Großbritannien kommen. Ich finde es sehr positiv, dass
Premierminister Blair angekündigt hat, das Thema Klimaschutz auf dem G-8-Gipfel zu einem zentralen Thema
zu machen. Deutschland und Großbritannien sind in
Europa mittlerweile die Hauptkonkurrenten in Sachen
Klimaschutz. Wer ist der Erfolgreichste? Ich würde sagen: Wettbewerb belebt das Geschäft.
Sehr wichtig und vor allem unterstützenswert finde
ich das Vorgehen der Briten, die nämlich Klimaschutz
als strategische Langfristplanung begreifen. Sie setzen
sich langfristige Ziele, so wie wir uns in Deutschland
vorgenommen haben, bis zum Jahr 2020 den Kohlendioxidausstoß um 40 Prozent zu reduzieren, um unseren
Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, aber auch um den
Unternehmen sowie den Bürgerinnen und Bürgern Planungssicherheit zu geben.
Es darf nicht nur die Kostenseite betont werden - sie
ist wichtig -; vor allem müssen die Chancen für Innovation und für Zukunftsmärkte gesehen werden. Das gehört zusammen. Das vermissen wir bei Ihnen. Deswegen
können wir dem Antrag nicht zustimmen.
Danke schön.
({3})
Die Kollegin Birgit Homburger macht nun das, was
wir in der Fußballersprache einen Hattrick nennen: dritte
Rede in Folge für die FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute zum wiederholten Male die Themen internationaler Klimaschutz und Kioto-Protokoll auf der
Tagesordnung, diesmal aufgrund eines Antrages der
CDU/CSU-Fraktion. Ich finde, wir diskutieren das völlig
zu Recht. Luft macht nämlich an Grenzen nicht Halt.
Deshalb ist Klimaschutz eine weltweite Aufgabe und das
Kioto-Protokoll die richtige Antwort darauf. Die Tatsache, dass wir im Kioto-Protokoll erstmals den Emissionshandel als Instrument verankert haben, stellt einen
riesigen Erfolg für die Liberalen und insbesondere für
die damalige FDP-CDU/CSU-Regierung dar, die auf internationaler Ebene massiv darauf gedrängt hat, dass das
Kioto-Protokoll zustande kommt.
({0})
Nun ist das Kioto-Protokoll leider noch nicht in Kraft
getreten. Dazu ist es erforderlich, dass es mindestens
55 Länder ratifizieren und zugleich 55 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen erfasst werden. Im Augenblick
haben es 124 Länder ratifiziert; aber damit werden leider
erst 44,2 Prozent der Emissionen erfasst. Russlands Anteil an den Emissionen zum Beispiel beträgt 17 Prozent.
Das heißt, wenn Russland es ratifizieren würde, wäre das
Kioto-Protokoll endlich in Kraft. Deswegen ist es eine
gute Nachricht, dass, wie wir gehört haben, in Moskau
der Ratifizierungsprozess von der Regierung offensichtlich angestoßen und ins Parlament eingebracht wurde.
Wenn es wirklich zu einer Ratifizierung käme, dann
wäre das der Durchbruch für den internationalen Klimaschutz. Ich hoffe, dass das passiert; ich sage aber auch
ganz deutlich: Wir dürfen in unseren Anstrengungen bei
Gesprächen mit Russland, und zwar auf allen Ebenen,
nicht nachlassen, bis tatsächlich die Ratifizierung erfolgt.
({1})
Wir haben auf europäischer Ebene zwischenzeitlich
den Emissionshandel eingeführt und in Deutschland die
entsprechenden Beschlüsse gefasst. Eines haben wir allerdings bisher nicht in Deutschland, was andere europäische Länder bereits im Vorgriff auf das Kioto-Protokoll
eingeführt haben und was rechtlich auch zulässig ist,
ohne dass die von dem Kollegen von den Grünen angesprochene Linking Directive, also die Verbindungsrichtlinie, die kommen soll, schon in Kraft getreten
wäre. Andere Länder in Europa nutzen nämlich bereits
jetzt schon die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls. Ich wäre froh, wir könnten das in Deutschland
ebenfalls tun.
({2})
- Nein, Sie haben es versäumt, zuzulassen, dass so etwas
auch in Deutschland möglich ist.
({3})
- Ja, den kenne ich. Wir können uns gerne noch einmal
darüber auseinander setzen. Ich habe leider nicht so viel
Redezeit, um jetzt mit Ihnen eine Diskussion darüber zu
führen. Das mache ich bei Gelegenheit aber gerne.
({4})
Etwas, was die FDP schon seit langem und immer
wieder gefordert hat, steht jetzt auch im CDU/CSU-Antrag - deswegen unterstützen wir ihn -, nämlich eine
Stärkung der Flexibilität und Effizienz im internationalen Klimaschutz durch Zulassung genau solch flexibler
Mechanismen. Was bedeutet das? Es bedeutet letztendlich, dass wir auch im Ausland Klimaschutzmaßnahmen
ergreifen können. Dort ist pro eingesetztem Euro deutlich mehr Klimaschutz möglich als hier in Deutschland.
Deswegen wollen wir, dass diese Möglichkeit eröffnet
wird und ein Teil dieser im Ausland erzielten Minderungen dann auch auf den Emissionsrechtehandel in
Deutschland angerechnet werden kann.
({5})
Es ist ganz klar, dass die Mechanismen mit den komplizierten Namen, über die wir reden, bei geringeren
Kosten mehr Klimaschutz bewirken. Außerdem bergen
sie eine Riesenchance für Innovationen gerade in den
Ländern, die sich rasant entwickeln, wodurch die CO2Emissionen in der Welt massiv ansteigen werden. Deswegen ist es so wichtig, dass hier Klimaschutz greift.
Dafür wäre es unglaublich wichtig, dass Deutschland für
diesen Bereich auch vernünftige Regelungen trifft.
({6})
In meiner letzten Bemerkung möchte ich auf das eingehen, was Sie, Herr Kollege Kelber, vorhin zu dem
Thema erneuerbare Energien gesagt haben. Klimaschutz
geschieht nicht nur durch den Einsatz erneuerbarer Energien;
({7})
Klimaschutz heißt auch Energiesparen und effizienter
Umgang mit Energie. Das geht nur durch einen vernünftigen Energiemix unter Einbeziehung und Förderung der
erneuerbaren Energien.
({8})
So weit sind wir uns einig. Wenn Sie hier aber Äpfel mit
Birnen vergleichen
({9})
und behaupten, nach dem FDP-Modell würden die gleichen Zahlen wie in Großbritannien erzielt, muss ich Ihnen entgegnen: Das ist doch völliger Nonsens.
({10})
Es tut mir furchtbar Leid: Wir haben klar gesagt, wir
wollen eine bestimmte Menge regenerativer Energie
vorgeben, die erreicht werden muss. Deswegen kann
eine Verfehlung des Ziels ausgeschlossen werden.
({11})
Aber wir wollen das im Wettbewerb erreichen, weil wir
so auch eine Kostenreduktion erreichen können.
Deswegen sage ich zusammenfassend für uns: Die
Menschen in diesem Land haben Anspruch darauf, dass
wir uns im Klimaschutz engagieren; aber sie haben auch
Anspruch darauf, dass wir das effizient und kostengünstig organisieren. Dafür steht die FDP.
({12})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen
Trittin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat hat der Rat in der letzten Woche die Richtlinie über
die Nutzung der flexiblen Instrumente beschlossen. Ich
begrüße das, weil mit diesem Beschluss erreicht wird,
was der Kollege Loske zu Recht angemahnt hat, nämlich
ein Einsatz der im Kioto-Protokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen derart, dass die Nutzung einer nicht
nachhaltigen Technologie wie der Atomkraft ausgeschlossen ist, dass bei der Nutzung der großen Wasserkraft die Standards der World Commission on Dams
berücksichtigt werden und dass die Integration von Senken sehr vorsichtig erfolgt; denn - hier sehe auch ich das
Problem, das Sie genannt haben - wenn auf der einen
Seite Aufforstung begünstigt wird, darf nicht auf der anderen Seite unkontrolliert abgeholzt werden; das würde
dem Klimaschutz nicht dienen.
Wir sind für dieses Gesetz, weil wir die flexiblen Mechanismen wollen. Eine Diskussion darüber haben wir in
Deutschland gar nicht mehr nötig. Wir haben in verschiedenen internationalen Verhandlungen darüber diskutiert, ob eine Reduktion von 50 Prozent im eigenen
Land erbracht werden soll. Das war ein strittiger Punkt.
Jetzt schauen Sie sich einmal unsere Situation an: Wir
werden bei fast 100 Prozent landen. Wir werden auch
ganz deutlich unter den 6 bis 8 Prozent der Richtlinie
bleiben. Es wird einer Anstrengung bedürfen, diese
überhaupt zu erreichen.
Ich sage bewusst: Ich möchte, dass viele Unternehmen die Chance nutzen - dafür legen wir dieses Programm bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf ({0})
- nein -, weil wir der Auffassung sind, dass der CleanDevelopment-Mechanismus eine klassische Win-WinSituation herbeiführt: effizienterer Klimaschutz - darin
stimme ich mit Ihnen überein, Frau Homburger - und
Technologietransfer in die Entwicklungsländer.
Bei einem dritten Punkt besteht vielleicht eine kleine
Differenz zwischen uns und der CDU/CSU. Wir meinen,
dass mit einem schnellen Einstieg in den Clean Development Mechanism auch der Druck zur Weiterentwicklung
des Kioto-Protokolls wächst. Das gilt allerdings nicht
- da besteht die Differenz - für einen vorzeitigen Start
des Joint Implementation. Dieser würde den Anreiz
zur Ratifizierung, beispielsweise für Russland, deutlich
reduzieren.
Deswegen wollen wir einen schnellen Start des Clean
Development Mechanism. Wir würden uns wünschen,
dass sich viele Unternehmen daran beteiligen, weil es für
sie günstig ist. Wir werden darangehen, sehr schnell die
entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen.
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Wenn
Russland den Weg der Ratifizierung weitergeht - ich
glaube, Deutschland hat durch das gute Verhältnis, das
wir zu Russland haben, viel dafür getan -, werden wir
uns bei der nächsten Klimakonferenz in Buenos Aires
genau über die Fragen unterhalten müssen, die Sie genannt haben, Herr Göppel: Wie erfüllen die Industriestaaten ihre Verpflichtung?
({1})
Welche Schwellenländer, die teilweise höhere Pro-KopfEmissionen als manche Länder der Europäischen Union
haben, müssen hinzugenommen werden? Wie gehen wir
gemeinsam mit dem Problem der Treibhausgasemissionen insbesondere aus dem weltweit wachsenden Luftverkehr und aus dem Schiffsverkehr um? Ich bin sehr
gespannt, wie wir in diesen Fragen zu einem konsensualen Ergebnis bezüglich des Klimaschutzes kommen,
was das Kioto-Protokoll angeht. Bisher gab es da in diesem Hause eine gute Tradition.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Bietmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, ich denke, es ist gut, dass wir heute Gelegenheit haben, uns wirklich noch einmal sachgerecht mit
dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auseinander zu setzen, der Schwachstellen der aktuellen Politik aufzeigt.
Eine der wesentlichen Schwachstellen der aktuellen
Politik ist es, dass wir in Deutschland bisher keine Regelungen für den Einsatz der flexiblen Kioto-Mechanismen
Joint Implementation und Clean Development Mechanism haben.
({0})
Deswegen greift unser Vorwurf, dass wir noch kein
überzeugendes nationales Klimaschutzkonzept haben.
Das bedauern wir ausdrücklich.
Auch außenpolitisch ist für mich nicht erkennbar,
dass mit dem notwendigen Druck auf all die Staaten
reagiert wird, die das Kioto-Protokoll bisher nicht unterzeichnet haben. Wir schauen immer auf Russland. Herr
Kelber hat uns heute erzählt, Russland werde es ratifizieren. Nur, Herr Kelber, Sie wissen genau, dass es sich dabei lediglich um ein Vorprüfungsverfahren handelt. Niemand weiß, was dabei herauskommt.
({1})
Noch eines, Herr Kelber und Herr Minister Trittin:
Die Russen haben unmissverständlich erklärt, dass sie,
wenn sie das Protokoll unterzeichnen, in ein neues, großes Programm zum Bau von Atomkraftwerken einsteigen werden. Dafür möchten sie die Unterstützung ihrer
europäischen Verbündeten und Partner. Ich bin einmal
gespannt, wie diese Bundesregierung, insbesondere Herr
Trittin, darauf reagieren wird.
({2})
Klar ist, dass sich aus der Nichtratifizierung des
Kioto-Protokolls erhebliche Folgen für Europa und den
Standort Deutschland ergeben; denn es wird sich natürlich die Frage stellen, wie es mit der Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA oder Schwellenländern wie China oder Indien steht, wenn dem KiotoProtokoll nicht international rechtliche Bindungswirkung zukommt. Die Umsetzung des Kioto-Protokolls allein in Europa kann zu erheblichen Wettbewerbsverschiebungen weltweit führen und nutzt den Zielen des
Klimaschutzes angesichts eines weltweit steigenden
CO2-Ausstoßes nicht. Allein in Asien werden in den
nächsten Jahren zusätzliche Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen, ohne dass die Notwendigkeit des Klimaschutzes in die dortigen staatlichen Programme einfließt. Die
dabei so gerne propagierte Vorreiterrolle Deutschlands
hat jedenfalls in diesen Fällen international keine Wirkung gezeigt.
Umso bedauerlicher ist es, dass die rot-grüne Regierungskoalition bis heute keine Bereitschaft zeigt, die
projektbezogenen Klimaschutzmechanismen CDM und
JI im System des Emissionshandels ohne Einführung einer Obergrenze für deren Inanspruchnahme zu akzeptieren.
({3})
Herr Minister, bereits bei der ersten Lesung unseres
Antrages haben Sie und Vertreter der rot-grünen Regierungskoalition deutlich gemacht, dass Sie an einer
niedrigen Quote für den Einsatz dieser Klimaschutzmechanismen festhalten wollen. Diese Politik ist nach meiner Auffassung im Ergebnis klimaschutzschädlich.
({4})
Die am Emissionshandel Beteiligten müssen die Möglichkeit haben, sich Emissionsreduktionen im Ausland
ohne Begrenzung gutschreiben zu lassen, um damit weitere Beiträge zum Klimaschutz bei möglichst geringem
Kosteneinsatz leisten zu können.
({5})
Treibhausgasemissionen stellen nun einmal ein globales
Problem dar. Es ist nicht nationalstaatlich zu lösen, sondern nur in Form internationaler Zusammenarbeit. Wer
daher unbedingt an einer geringen Quote für projektbezogene Klimaschutzmechanismen festhalten will, handelt entgegen aller klima- und wirtschaftspolitischen
Vernunft.
({6})
Herr Loske, dass ausgerechnet Sie, die Vertreter der
grünen Fraktion, fordern, die Emissionsminderung im
Inland müsse Priorität haben, dokumentiert für mich,
wie weit Teile der Politik von den Erfordernissen einer
international ausgerichteten Klimaschutzpolitik entfernt
sind.
({7})
Mit nationalen Instrumenten lassen sich Klimaschutzherausforderungen von Gegenwart und Zukunft dauerhaft
nicht lösen.
({8})
Daher unterstreiche ich die Forderung in unserem Antrag, umgehend ein schlüssiges nationales Klimaschutzkonzept vorzulegen und darin die flexiblen KiotoMechanismen einzubinden.
({9})
In diesem Konzept müssen dann endlich auch die Ökosteuer, das KWK-Gesetz und das EEG auf den Prüfstand
gestellt und entsprechend angepasst werden.
({10})
Insbesondere der Ökosteuer, Herr Kelber, kommt keinerlei klimawirksame Lenkungswirkung zu. Auch mit dem
EEG allein werden wir auf den Schutz des Klimas keinen
messbaren Einfluss nehmen können. Von daher muss der
Emissionshandel einschließlich der Joint-Implementationund der Clean-Development-Mechanismen das entscheidende Instrument eines zukünftigen Klimaschutzkonzeptes sein.
Die Richtlinie der Europäischen Union vom Juli
2004, die zitiert worden ist, entspricht in Teilen der Intention unseres Antrages. Sie sollte daher von der Bundesregierung schnellstens vor In-Kraft-Treten der ersten
Stufe des Emissionshandels aufgegriffen und umgesetzt
werden. Die CDU und die CSU haben jedenfalls mit
dem vorliegenden Antrag rechtzeitig die Möglichkeiten
und Chancen einer international wirksamen und flexiblen Klimaschutzpolitik aufgezeigt.
Ich sage hier ausdrücklich: Für mich ist bedauerlich,
dass Rot-Grün angesichts der klimapolitischen Herausforderungen in nationaler Kleinkariertheit verharrt. Damit werden wir die weltweiten Probleme nicht lösen
können.
({11})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Ulrich von
Weizsäcker.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! In das Kioto-Protokoll sind flexible projektbezogene Mechanismen aufgenommen worden, damit die
Entwicklungsländer schon in der Frühphase der Umsetzung des Protokolls beteiligt werden. Denn in dem Protokoll selbst werden nur von den Industrieländern Reduktionsverpflichtungen verlangt.
({0})
Insofern haben die Oppositionsparteien zweifellos Recht
damit, dass man die flexiblen Mechanismen auch nutzen
soll; insoweit besteht überhaupt kein Widerspruch.
Ich bin einerseits sehr froh darüber, dass man auf der
europäischen Ebene ein Stück vorangekommen ist. Ich
stimme andererseits Herrn Minister Trittin zu
100 Prozent zu, wenn er sagt, dass es aus Gründen eines
politischen Anreizes eine zeitliche Präferenz für den
Clean Development Mechanism gegenüber der Joint Implementation gibt. Das ist notwendig, damit wir den
Russen, die den jetzt erforderlichen Schritt gemacht haben, nicht schon wieder in den Rücken fallen und den
Bremsern, die es in Moskau weiterhin gibt, nicht Nahrung geben. Insofern ist der Prozess auf dem richtigen
Weg.
({1})
Ich will mich kurz mit der Aussage des Herrn Abgeordneten Göppel auseinander setzen, der den Vorsitzenden des Nachhaltigkeitsrats, Herrn Dr. Hauff, zitiert
hat, der gesagt haben soll, das Kioto-Protokoll sei gar
nicht mehr nütze. So habe ich Herrn Dr. Hauff nicht verstanden; auch ich war bei dieser Zusammenkunft anwesend. Er hat lediglich gesagt - da hat er natürlich
Recht -, dass das Kioto-Protokoll klimapolitisch bei
weitem nicht weit genug geht. Das liegt unter anderem
daran, dass die Entwicklungsländer bei den CO2-Emissionen erhebliche Wachstumsraten zu verzeichnen haben
und nicht Bestandteil des Kioto-Protokolls sind. Insofern
ist es wieder richtig, dass wir das Kioto-Protokoll zwar
so schnell wie möglich ratifiziert bekommen und in die
Tat umsetzen, dabei aber wissen, dass das nicht das Ende
der Fahnenstange sein kann.
({2})
In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, auf einen
wissenschaftlichen Artikel hinzuweisen, der im März
dieses Jahres im „Scientific American“ von einem Amerikaner namens James Hansen erschienen ist, der über
den Art. 2 des Klimarahmenabkommens reflektiert und
sich fragt: Was heißt das eigentlich, dass es keine schädliche Indifferenz des Menschen mit dem Klimageschehen geben darf? Er nimmt dann genau einen Parameter
heraus - ich glaube, das macht er richtig -, der uns allen
wirklich höchst bedrohlich erscheinen muss: den Meeresspiegel. Er sagt, dass nach all dem, was man aus geologischen Daten weiß, ein gefährlicher Anstieg des
Meeresspiegels nur dann verhindert werden kann, wenn
der Temperaturanstieg nicht über 1 Grad Celsius hinausgeht. Diese Toleranzgrenze ist wesentlich geringer als
die, die man bisher angenommen hat. Wenn sich das
zum Beispiel in Sankt Petersburg, das ebenfalls auf
Meeresspiegelhöhe liegt, in Kalkutta, in Hamburg oder
an anderen Stellen herumspricht,
({3})
dann wird völlig klar, dass wir über das Kioto-Protokoll
weit hinausgehen müssen. Dann wird das Land, das die
Abkoppelung der Wirtschaftskraft von CO2-Emissionen
am elegantesten und effizientesten vorgeführt hat, den
Wettbewerbsvorteil haben.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir Deutsche uns
aus dieser klimapolitischen Diskussion nicht durch eine
Wegnahme dieser Obergrenze davonstehlen. Die Obergrenze ist ja sehr sinnvoll für ein Land, das die KiotoVerpflichtungen schon erreicht hat, ohne auf die flexiblen Mechanismen zurückgegriffen zu haben. Wenn
wir jetzt auch noch die Obergrenze wegnehmen, dann ist
der Anreiz für die deutsche Industrie, wie Herr Kelber
richtig gesagt hat, faktisch null, sich auf diesen fortschrittsträchtigen Weg zu begeben.
({4})
- Wir sind uns einig, Herr Bietmann, dass wir die flexiblen Mechanismen nutzen wollen. Wir sollten versuchen, in dieser Sache keinen unnötigen Parteienstreit anzufangen. Wir müssen auch bei uns im Land den Anreiz
dafür groß genug machen, dass man sich auf die nötigen
klimafreundlichen Innovationen einlässt.
Im Bereich der erneuerbaren Energien ist ja bereits
der Beweis geführt worden, dass die Zahl der Arbeitsplätze, an denen für den heimischen Markt und für den
Export produziert wird, durch den Ausbau dieser zukunftsträchtigen Energieformen erheblich vergrößert
werden konnte. China hat ja anlässlich der Bonner Konferenz erklärt, man wolle auf jeden Fall eine gewaltige
Ausweitung auf - ich glaube - 17 Prozent bei den erneuerbaren Energien haben.
({5})
Ferner hat man erklärt, dass Deutschland für sie in dieser
Frage der Technologiepartner ist. Darauf können wir
stolz sein.
Im Bereich der Energieeffizienz sind wir noch nicht
ganz so weit; wir sind jedenfalls nicht an der Weltspitze.
Bei der gleichen Veranstaltung, Herr Göppel, hat Frau
Dr. Merkel mit Recht auf das riesige Potenzial an Einsparungen im Bereich der Gebäudesanierung hingewiesen. Da muss bei uns im Lande einiges gemacht werden; auf diese Beschäftigungsmöglichkeiten zugunsten
des Klimaschutzes warten auch Tausende von Handwerksbetrieben. Das wird Deutschland voranbringen
und sicherlich nicht zurückwerfen.
({6})
Um der Beschäftigung willen, um der Pionierrolle
willen und um des langfristigen Klimaschutzes willen
haben wir also allen Anlass, die im Kioto-Protokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen zu nutzen, aber auch
darüber hinauszugehen und bei uns wesentlich mehr zu
erreichen als nur die Verminderung um 19 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Darüber sollte es keinen Parteienstreit geben.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, auch dafür, dass Sie Ihre Redezeit nicht
voll ausgenutzt haben. - Ich schließe damit die Aussprache.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/2803 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Mehr Kosteneffizienz im Klimaschutz durch verstärkte Nutzung der projektbezogenen Kioto-Mechanismen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 15/1690 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005 ({0})
- Drucksache 15/3442 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
- Drucksache 15/3755 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Ernst Bahr ({3})
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Andreas Pinkwart
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch
höre ich von Ihnen nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Ernst Bahr.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Inzwischen haben sich offenbar alle Fraktionen
den Schuldenabbau auf die Fahnen geschrieben. Das ist
gut so. Die 40 Milliarden, die wir heute für Zinsen ausgeben müssen, fehlen uns bei Investitionen für Bildung,
Forschung, Familie, Infrastruktur usw. Jeden Tag könnten wir mit über 110 Millionen Euro den Bau von Universitäten, Schulen oder Kindergärten fördern und damit
in die Zukunft unserer Kinder investieren.
({0})
Das zeigt: Wer Schulden macht, der prellt die Zeche zulasten der nächsten Generationen. Soweit sind wir uns
hier alle einig.
({1})
Die Unterschiede beginnen allerdings, wenn es konkret wird. Auch im vergangenen Jahr hatte die Opposition vom Schuldenabbau geredet und sich dann, als es
konkret wurde, vom Acker gemacht, um sich opportunistisch seitwärts in die Büsche zu schlagen. Im Ergebnis dessen wurden die Einsparungen, über die wir heute
wieder reden, im Vermittlungsausschuss von Edmund
Stoiber für ein Jahr einkassiert, wohlgemerkt für ein
Jahr, denn sowohl das Haushaltsgesetz als auch das
Haushaltsbegleitgesetz sind Gesetze für ein Jahr, was Sie
im Übrigen auch alle wissen. Also kommen Sie dann
nicht wieder mit dem Märchen vom Wortbruch.
Schließlich fordert inzwischen auch Herr Stoiber
selbst wieder 5 Prozent Ausgabeneinsparungen, auch im
Agrarbereich, allerdings ohne zu sagen, an welcher
Stelle gespart werden soll. Es handelt sich also weiterhin
nur um Scheingefechte, die die Öffentlichkeit täuschen
sollen.
({2})
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die leeren Anträge der CDU/CSU in den anschließenden Beratungen des Haushaltsausschusses im letzten Jahr. Sie
sind geradezu der Papier gewordene Ausdruck Ihrer
Politik. Anstatt konkrete Vorschläge zu machen, haben
Sie sich erst der Beratung des Haushalts verweigert, um
anschließend über 300 Änderungsanträge einzureichen,
auf denen nur ein Wort stand: Erörterungsbedarf. Das
muss man sich einmal vor Augen führen: erst nicht mitberaten und dann Erörterungsbedarf anmelden.
({3})
Ich bin schon sehr gespannt - Herr Kampeter, jetzt
kommen wir genau zu diesem Punkt - auf die Umsetzung Ihrer Ankündigung, dieses Jahr konkrete Einsparvorschläge zu machen.
Um die Bewertung unserer konkreten Vorschläge
ging es bei der Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz.
Mit deren Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Alle unabhängigen Experten haben unseren Gesetzentwurf ausgesprochen positiv bewertet.
({4})
- Ich habe gesagt: alle unabhängigen Experten.
({5})
Dass die Experten des Deutschen Bauernverbandes und
des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Krankenkassen anderer Meinung waren, war sowohl vorhersehbar als auch nachvollziehbar.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte gern die Zeit nutzen, um ohne Unterbrechung zu reden.
({0})
- Ich kenne diese Situation aus dem Haushaltsausschuss.
Das wollen wir uns hier lieber sparen.
Bei den zuletzt genannten Experten handelt es sich
um die Interessenvertreter der vom Subventionsabbau
Betroffenen. Insofern ist es klar, dass diese Leute andere
Meinungen vertreten. Alle übrigen Experten haben unsere Vorschläge begrüßt.
Dr. Schrader vom Institut für Weltwirtschaft hat auf
die hohen öffentlichen Hilfen im Agrarsektor aufmerksam gemacht. Insgesamt fließen 14,3 Milliarden Euro
Steuergelder in den Agrarsektor. Ihnen steht eine Nettowertschöpfung von lediglich 8,3 Milliarden Euro gegenüber. Herr Dr. Schrader folgert daraus zu Recht, dass der
Abbau von Subventionen nicht nur eine Entlastung des
Bundeshaushalts bringt,
({1})
sondern vor allem auch das Wirtschaftsergebnis unseres
gesamten Landes verbessert. Dies sollte eigentlich in unser aller Interesse sein.
Ebenso unterstützen Dr. Mehl von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Dr. Rexrodt vom
Bundesrechnungshof den von uns vorgeschlagenen Subventionsabbau. Beide kritisieren die vollständige Übernahme des Leistungsdefizits der Altenteiler durch den
Bund. Sie sei eine - ich zitiere Ernst Bahr ({2})
unter den heutigen Bedingungen nicht mehr zu
rechtfertigende Besserstellung der aktiven Mitglieder in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung gegenüber denen in der übrigen gesetzlichen
Krankenversicherung.
so die Gutachter.
Natürlich müssen wir den Strukturwandel in der
Landwirtschaft berücksichtigen. Viele junge Leute verlassen die ländlichen Regionen und stehen den landwirtschaftlichen Krankenkassen nicht mehr als Beitragszahler zur Verfügung. Deshalb finanzieren wir das Defizit
der landwirtschaftlichen Krankenkassen, soweit es durch
den Strukturwandel in der Landwirtschaft verursacht
wird. Das haben wir bisher gemacht;
({3})
das werden wir auch zukünftig tun. Diesen Strukturwandel gibt es im Übrigen bereits seit 50 Jahren und nicht
erst, seitdem Rot-Grün regiert. Allerdings muss man
auch anerkennen, dass ein Teil dieses Defizits bei den
Krankenkassen eben nicht durch den Strukturwandel,
sondern durch den demographischen Wandel verursacht
ist.
({4})
Davon sind auch die übrigen gesetzlichen Krankenkassen betroffen. Bei ihnen müssen die aktiven Mitglieder circa ein Drittel ihrer Beiträge für die Defizitdeckung
in der Krankenversicherung der Rentner bereitstellen.
Hier geht es also um einen Solidarbeitrag zwischen den
Generationen. Diesen Solidarbeitrag sollten auch die
Mitglieder der landwirtschaftlichen Krankenkasse auf
gleichem Niveau leisten. Dem haben wir mit unserem
Gesetzentwurf Rechnung getragen.
Auch die Agrardieselsubventionierung kann nicht
auf Dauer Bestand haben.
({5})
Zwar ist es so, dass sich die Wettbewerbssituation der
deutschen Landwirte gegenüber denen aus dem europäischen Ausland dadurch verschärft. Der Wettbewerb aber
wird nicht nur durch die Dieselbesteuerung bestimmt,
sondern auch durch die übrigen Steuern sowie die
Sozialgesetzgebung. Diesem Vergleich können wir uns
sehr wohl stellen.
({6})
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich wollte
Ihnen gerne noch sagen, dass bezüglich Ihrer Verweise
auf Flugbenzin Herr Stoiber befragt werden sollte, wie
er es damit hält. Denn die Wettbewerbsfähigkeit des
Flughafens in München liegt ihm offenbar eher am Herzen als die Besteuerung des Flugbenzins. Sonst hätten
Sie schon einen Antrag eingebracht.
({7})
Ich denke, wir geben den Landwirten mit unserer Gesetzgebung die Chance, auf eine neue Technologie umzusteigen und Biodiesel zu nutzen. Das wird die Landwirte in die Lage versetzen, im Wettbewerb zu bestehen.
Darauf setzen wir mit diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank.
({8})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege
Koppelin für die FDP-Fraktion das Wort.
Das, was der Kollege Bahr über die Anhörung, die
der Haushaltsausschuss durchgeführt hat, gesagt hat,
kann man so nicht stehen lassen, weil es nicht den Tatsachen entspricht.
({0})
Er hat gesagt, an der Anhörung hätten „auch unabhängige Experten“ teilgenommen. Scheinbar nehmen Sie
nicht an Anhörungen teil, sonst wüssten Sie, dass vor
Durchführung einer Anhörung alle Fraktionen Experten
vorschlagen. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass alle
Experten, die bei der Anhörung anwesend waren, unabhängige Experten waren, selbst diejenigen, die von den
Sozialdemokraten eingeladen worden sind.
Alle Experten haben sich sehr wohl - insoweit unterstütze ich das, was der Kollege Bahr gesagt hat - für
einen Subventionsabbau ausgesprochen. Die Experten
haben sich aber nicht dafür ausgesprochen, Jahr für Jahr
nach rot-grüner Methode nur bei den Landwirten abzukassieren. Sie haben sich für einen allgemeinen Subventionsabbau ausgesprochen.
Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass ich
zum Beispiel den Vertreter des Institutes für Weltwirtschaft, welches auch Bundeszuwendungen bekommt,
darauf angesprochen und ihm gesagt habe, dass dieses
Institut dann davon auch betroffen wäre. Er hat das auch
eingeräumt und gesagt: Wir müssen allgemein die Subventionen kürzen. Das unterstützen wir.
Sie, Kollege Bahr, haben einzig und allein die Landwirte zu Opfern Ihrer Politik gemacht. Der Grund ist,
dass die Landwirte ihren Betrieb nicht ins Ausland verlagern können. Deswegen kassieren Sie bei denen ab.
({1})
Zur Erwiderung Herr Kollege Bahr.
Herr Kollege Koppelin, ich denke, hinsichtlich der
Unabhängigkeit der Gutachter besteht Einigkeit. Das
kann auch im Protokoll nachgelesen werden. Vom Deutschen Bauernverband waren ebenso wie von den Krankenkassen Interessenvertreter anwesend. Dies sind ja die
direkt betroffenen Interessenvertreter der Landwirtschaft. Dass diese sich einseitig für die Interessen der
Landwirte einsetzen, ist doch verständlich und nachvollziehbar. Das habe ich gar nicht kritisiert. Ich stelle das
nur fest.
Ich denke, dass die anderen drei Gutachter, die ich
hier genannt habe, sehr wohl eine unabhängige Interessenvertretung machen, selbst wenn die Institutionen, die
sie vertreten, wie etwa das Institut für Weltwirtschaft,
vom Bund finanziert werden. Fachlich ist eindeutig Stellung bezogen worden.
Wir haben die Mittel nicht nur im Landwirtschaftsbereich gekürzt. Außerdem haben wir im vergangenen Jahr
die Mittel im Landwirtschaftbereich nicht in dem Umfang gekürzt wie in allen anderen Bereichen, weil im
Vermittlungsausschuss auf Veranlassung von Herrn
Stoiber die Verabredung getroffen wurde, die Landwirtschaft von dem Subventionsabbau völlig auszunehmen.
Dieses Ausnehmen der Landwirtschaft kann - wie ich
erläutert habe - nur für ein Jahr gegolten haben. Es gab
keine andere Verabredung. Soweit ich weiß, ist dort sogar ausdrücklich gesagt worden, dass dies nur für das
Haushaltsjahr 2004 gilt. Es kann daher von Wortbruch
keine Rede sein.
Genauso wenig kann davon die Rede sein, dass wir
die Landwirtschaft auf Dauer ausnehmen. Diese Diskussion haben wir bereits voriges Jahr geführt und wir
mussten sie in diesem Jahr wieder führen. Wir wissen
sehr wohl, dass wir dafür von den Landwirten kritisiert
werden. Wir müssen aber diesen Mut aufbringen; denn
Subventionsabbau steht nicht nur in unseren Wahlprogrammen. Eine solche Politik verfolgen wir definitiv
nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in allen
anderen Bereichen, und das vertreten wir auch den Betroffenen gegenüber mit aller Klarheit und Sachlichkeit.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dietrich Austermann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den
sie ausschließlich bei einer Berufsgruppe Geld einsparen
möchte: bei den Landwirten.
({0})
Das halten wir für unanständig, weil jeder, der die Situation in der Landwirtschaft kennt, die Konsequenzen
eines Preisverfalls - bei welchen Produkten auch
immer - kennt. So liegt zum Beispiel der Verkaufspreis
der Milch unterhalb der Produktionskosten. Dieser Zustand ist gewissermaßen symbolisch für die gesamte Situation in der Landwirtschaft.
({1})
- Frau Kollegin, trotz dieser Lage verhalten Sie sich entgegen den Verabredungen des letzten Jahres.
Kollege Bahr, Sie wissen, dass über die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss nicht berichtet wird.
Deswegen kann ich nicht belegen, dass das, was Sie gesagt haben, falsch ist. Ich verweise somit nur darauf,
welche Verabredung tatsächlich getroffen wurde: Man
hat sich in einem lange andauernden Prozess, der von
den Bundesländern angestoßen worden war, darauf verständigt, Subventionen abzubauen, beispielsweise im
Bereich der Steinkohle und in vielen anderen Wirtschaftsbereichen.
Am Ende kam man zu dem Ergebnis, im Kohlebereich und in vielen weiteren Bereichen einen bestimmten
Betrag einzusparen, bei der Landwirtschaft aufgrund der
Situation, in der sie sich befindet, allerdings nicht. Jetzt,
ein halbes Jahr nachdem diese Verabredung getroffen
wurde - so lange gibt es diesen Gesetzentwurf nämlich
schon -, wollen Sie, ohne dass sich die Situation in der
Landwirtschaft geändert hat, ein Sonderopfer erheben,
({2})
das gewissermaßen eine Strafaktion für einen bestimmten Teil der Bevölkerung sein soll, von dem Sie wissen,
dass er anders wählt als Sie.
({3})
Es wird immer wieder darauf hingewiesen, wir hätten
uns den Kürzungen verweigert. Daher möchte ich deutlich sagen, dass die potenziellen Kürzungen, die vom
Finanzminister vorgeschlagen wurden, in ihrer vollen
Jahreswirkung ein Volumen von insgesamt 22,8 Milliarden Euro umfasst haben, dass wir davon Kürzungen in
Höhe von rund 22 Milliarden Euro mitgetragen haben
und lediglich den restlichen Teil abgelehnt haben. Jetzt
zu behaupten, wir hätten uns beim Subventionsabbau
verweigert, ist einfach nicht wahr. Genau das Gegenteil
ist richtig.
({4})
Diese Vorschläge sind von den Ministerpräsidenten
Koch und Steinbrück einvernehmlich eingebracht worden. Daher wäre es ziemlich töricht, zu sagen, wir hätten
das, was gemeinsam vereinbart worden ist, abgelehnt.
Dieser Weg wurde beschritten, weil sich Deutschland
nach sechs Jahren rot-grüner Regierung in der schlimmsten Finanz-, Haushalts- und Arbeitsmarktkrise seit 1949
befindet. Trotzdem waren wir bereit, Entscheidungen
mitzutragen, die gegenüber der Bevölkerung nicht bequem zu vertreten sind. Aber ich sage noch einmal und
nicht zum letzten Mal: Wir wehren uns gegen ein Sonderopfer für eine einzige Berufsgruppe.
({5})
- Herr Poß, es ist gut, dass Sie als Nordrhein-Westfale
sich zu Wort melden. Denn dieses Sonderopfer wird zudem dadurch konterkariert, dass andere Berufsgruppen
von Kürzungen, die gemeinsam vereinbart worden sind,
ausgenommen werden. So wurde miteinander vereinbart, die Subventionen für den Kohlebereich in einem
Umfang zu kürzen, der über den Kohlekompromiss des
Jahres 1997 hinausgeht. Das ist auch so beschlossen
worden. Aber dann sagen der Finanzminister und der
Wirtschaftsminister, dass die Einsparungen, die im
Kohlebereich vorgenommen werden sollten, in anderen
Bereichen zu erbringen sind.
({6})
Wer sich den Etat des Wirtschaftsministers ansieht,
stellt fest, zu welchem Ergebnis das führt: Gerade die
Bereiche, in denen neue Arbeitsplätze geschaffen werden können - Mittelstandsförderung, Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
neue Bundesländer -, werden zusätzlich gebeutelt, weil
eine Technologie von gestern anders behandelt wird.
Aber der Skandal ist noch größer: Sie haben im Vollzug die Kohle nicht nur von der Kürzung ausgenommen,
sondern bis zum Jahre 2013 noch einen zusätzlichen Betrag von 16 Milliarden Euro für diesen Bereich bereitgestellt. Wir alle - vom Präsidenten bis ins Plenum - sind
der Auffassung, dass wir mit der Kohle anständig umgehen müssen. Wir alle fühlen uns dem Kohlekompromiss
verpflichtet. Aber wir sehen es nicht ein, dass, während
in anderen Bereichen gekürzt wird, bei der Kohle draufgesattelt wird. Mich wundert dabei sehr, wie die Grünen,
({7})
die ja immer gegen fossile Energien, gegen CO2-Ausstoß
und vieles andere wettern, hier bereitwillig dabeigestanden und gesagt haben: Das tragen wir mit.
({8})
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden 16 Milliarden
Euro zusätzlich für die Kohle bereitgestellt. Also, von
Degression kann da keine Rede mehr sein.
({9})
Jetzt kommt der freche Herr Müller auch noch her
und sagt: Jetzt muss der Bund auch noch eine zusätzliche
Zeche finanzieren.
({10})
Wo sind wir denn überhaupt? Das ist doch eine völlig
abwegige Vorstellung. Auch der Union geht es um die
Kumpel, Herr Kollege Müller. Deswegen wurde seinerzeit eine sanfte Degression der Kohleförderung beschlossen. Diese Vereinbarung, die auch von Koch/
Steinbrück im Vermittlungsausschuss bestätigt worden
ist,
({11})
wischen Sie jetzt einfach zur Seite und stellen noch einmal 16 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Sagen
Sie doch nicht: Wir brauchen Geld für Forschung,
({12})
wir brauchen Geld für Bildung, wir brauchen Geld für
das und jenes, wenn Sie dann bei der Kohle einen großen
Schluck aus der Pulle nehmen. Was heißt hier Pulle? Es
ist ja keine Pulle, es sind Tonnen und Fässer.
({13})
Ich werde jetzt etwas dazu sagen, wie Sie kürzen wollen. Zum einen, so Ihr Vorschlag, wollen Sie im Bereich
der Krankenversicherung der Landwirte kürzen: Die
aktiven Landwirte, deren Zahl wegen Ihrer Politik immer kleiner wird, sollen stärker belastet werden; das
macht allein im nächsten Jahr 82 Millionen Euro aus.
({14})
Zum anderen wollen Sie die Vergütung bei Gasöl so
ändern, dass in absehbarer Zeit eine zusätzliche Belastung der Landwirtschaft von 1,2 Milliarden Euro entsteht. Ein Sonderopfer von 1,2 Milliarden Euro für die
Bauern - nur weil sie nicht SPD wählen; das ist gewissermaßen der Grund.
({15})
Jetzt wird das Ganze auch noch ideologisch begründet:
Die Bauern könnten ja umsteigen auf Biodiesel, der ist ja
steuerfrei.
({16})
Jeder, der ein bisschen technischen Sachverstand hat,
weiß doch wohl, dass es Geld kostet, einen Motor auf
Biodiesel umzustellen. Wenn es ein Traktor ist, kostet es
noch ein bisschen mehr, erst recht, wenn es ein Mähdrescher ist. Das kann man so ohne weiteres nicht verordnen.
({17})
Aber der Witz, Herr Öko-Müller, erfährt seine Pointe ja
erst
({18})
- nein, überhaupt nicht! -, wenn Sie sich vorstellen, alle
Bauern würden Ihrem Vorschlag folgen
({19})
und zu 25 Prozent mit Biodiesel fahren. Was heißt das
für Ihre Einsparmaßnahme?
({20})
Das heißt doch, das Geld, das Sie sich zusätzlich versprechen, kommt gar nicht in die Kasse. Das erinnert
mich ein bisschen an die Tabaksteuer. Da hat man auch
gesagt: Steuern rauf! Und was war? Einnahmen runter.
Hier machen Sie genau das Gleiche.
({21})
Aber einmal abgesehen davon, dass Ihr Vorschlag erhebliche Einnahmerisiken für den Bundeshaushalt enthält - wenn alle Bauern auf Biodiesel umsteigen, fehlen
Ihnen 250 Millionen Euro in der Kasse -: Am Markt für
Biodiesel wird sich durch den plötzlichen Nachfrageimpuls ein erheblicher Preisanstieg einstellen, was einen
schwer zu kompensierenden Kostenanstieg bei den
Landwirten nach sich zieht. Das heißt, die Maßnahme ist
überhaupt nicht durchdacht,
({22})
eine Alternative gibt es nicht.
Grundsätzlich unterstützen wir es sehr wohl, alternativ Biodiesel in der Landwirtschaft einzusetzen
({23})
- doch, natürlich -, aber soll ich Ihnen einmal sagen,
welche Schwierigkeiten ich hatte, in meinem Wahlkreis
einen Rapsölbetrieb auf die Beine zu stellen?
({24})
Die Verhandlungen mit dem Umweltminister haben sich
als äußerst schwierig herausgestellt, die Zuständigen haben sich in die Büsche geschlagen und gesagt: Das ist
eine Technologie von vorgestern, so etwas wird nicht
gefördert. - Auch wenn Sie immer wieder Ihre ideologischen Argumente zum Biodiesel hervorholen, im
Grunde glauben Sie doch selber nicht, was Sie hier versprechen. An keiner Stelle halten Sie sich daran.
({25})
- Ich habe Sie offensichtlich getroffen an dieser Stelle.
({26})
- Ich verstehe gut, dass Sie hier den Brüller machen.
({27})
Sie können ja gerne widersprechen.
({28})
Ich sage es noch einmal ganz ruhig, Herr Müller: Erstens. Sie wollen der Landwirtschaft in Deutschland ab
1. Januar 2005 ein Sonderopfer abverlangen - in einem
Volumen von zunächst 370 Millionen Euro; im Vollzug
wird sich der Betrag in den nächsten zwei Jahren auf
1,2 Milliarden Euro addieren -, während Sie gleichzeitig
einer anderen Branche 16 Milliarden Euro schenken.
Das muss festgestellt werden.
Jetzt hört mir Herr Müller nicht einmal zu.
({29})
Ich wollte Sie gerade aufklären, damit Sie endlich ein
bisschen wirtschaftlichen Sachverstand bekommen.
({30})
Zweitens. Sie haben Maßnahmen getroffen, die wirtschaftspolitisch kontraproduktiv sind. Allein der Gedanke, in der gegenwärtigen Wirtschaftslage in einem
solchen Bereich die Steuern zu erhöhen, wird jeden, der
auch nur ein bisschen wirtschaftlichen Sachverstand hat,
zu dem Urteil veranlassen: Das ist dumm.
({31})
Zurzeit bezahlen die deutschen Bauern pro Liter Diesel
Steuern in Höhe von 25,56 Cent. In keinem anderen
Land in Europa wird ein so hoher Preis gezahlt. Die
Bauern bei unseren dänischen Nachbarn zum Beispiel
zahlen 3 Cent. Trotzdem wollen Sie diesen Betrag jetzt
auf 40 Cent erhöhen. Das ist doch wohl ganz klar eine
Steuererhöhung, die die Wirtschaft zusätzlich belastet.
Der Kollege Koppelin hat es völlig richtig gesagt:
({32})
Die Bauern haben im Vergleich zu anderen Mittelständlern nur das Problem, dass sie ihren Betrieb nicht ins
Ausland verlagern können, weil sie ihre Scholle nicht
mitnehmen können. Ansonsten ist das Problem genau
das gleiche: Weil Sie glauben, Geld einsparen zu können, belasten Sie die Wirtschaft und machen die Betriebe
kaputt.
Es wird immer wieder gesagt, dass wir unsere Alternativen nennen sollen. Herr Bahr hat damit angefangen.
({33})
Für den Haushalt 2005 haben wir eine Kürzung in der
Größenordnung von 3 Prozent vorgeschlagen, was
7,5 Milliarden Euro ausmacht. Während der HaushaltsDietrich Austermann
beratung werden wir Ihnen genau sagen, an welchen
Stellen wir die Kürzungen wollen, nämlich vor allen
Dingen bei den flexibilisierten Verwaltungsausgaben
und an vielen anderen Stellen, wo noch heute das Geld
mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen wird.
Wenn Sie vorgestern die „FAZ“ und die „Süddeutsche
Zeitung“ gelesen haben, dann haben Sie dort halbseitige
Anzeigen gesehen. Die Regierung wirbt mit einer Politik, die sie leider nicht macht.
({34})
Das alles muss der Steuerzahler unserer Meinung nach
nicht mehr bezahlen. Das sollten Sie aus Ihrer Parteikasse bezahlen.
({35})
Neben dieser dreiprozentigen Kürzung im Haushalt
könnte man zusätzliche Mittelzuflüsse erzielen und die
Einnahmen steigern, indem man endlich etwas gegen
den Umsatzsteuerbetrug tut. Auch dadurch würden
Bund, Ländern und Gemeinden zusätzliche Milliarden in
die Kassen fließen.
({36})
Sie könnten auch bei den Stellen, deren Anzahl Sie ausgeweitet haben, sparen. So könnten Sie an vielen Punkten sparen. Wir machen unsere Vorschläge dafür. Ich
glaube, deswegen sollten Sie endlich aufhören, zu sagen,
es gebe von uns keine Alternativen beim Sparen.
Rot-Grün veranstaltet einen Beutezug gegen die bäuerlichen Familienbetriebe.
({37})
Ich kann die Ministerpräsidenten der Länder nur auffordern, gegen diese Politik zu stimmen.
({38})
- Die Landwirte sollen bei Ihnen zahlen, Herr Bahr. Ich
finde es sonderbar, dass bei Ihnen nur die Landwirte zahlen, Herr Bahr. - Ich fordere einen jeden Ministerpräsidenten auf, im Bundesrat zu prüfen, ob er nicht mithelfen sollte, diese Sondermaßnahme zulasten eines
Berufsstandes zu stoppen. Wenn zwei Drittel aller Ministerpräsidenten - dazu gehören dann auch ein paar von
der SPD - diesen Unfug stoppen, dann ist der Wirtschaft
und der Landwirtschaft gedient und dem Haushalt fehlt
überhaupt kein Geld.
({39})
Ich erteile dem Kollegen Friedrich Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, zum Thema zurückzukehren,
obwohl mir das als jemand, der seinen Hof über der sehr
wertvollen Kokskohle im Bereich Hamm bewirtschaftet,
sehr schwer fällt.
Herr Austermann, den Unfug, den ich hier von Ihnen
gehört habe, sollten Sie vor Ort bei Ihrem Oberbürgermeister Hunsteger-Petermann in Hamm vertreten, der ja
nicht unserer Partei, sondern Ihrer angehört. Ich werde
ihm morgen bei einem gemeinsamen Termin empfehlen,
Sie einzuladen, damit Sie diese Thesen dort vertreten
können.
({0})
Hier geht es um Rentabilität. Das werden wir in Ruhe
miteinander besprechen, auch wir Grünen aus Nordrhein-Westfalen. Entweder wird sich hier eine Wirtschaftlichkeit darstellen oder nicht. Danach wird das entschieden.
Das Haushaltsbegleitgesetz 2005 bedeutet eine sehr
harte Belastung für die Landwirtschaft.
({1})
Aufgrund der Sparsumme ist es aber sehr notwendig. In
der Lastenverteilung ist es so ausgewogen, wie es eben
geht, und beim Sparen werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt.
({2})
Über die Notwendigkeit, einen erheblichen Einsparbeitrag in allen Bereichen zu leisten, herrscht ja mittlerweile Einigkeit unter allen Fraktionen dieses Hauses.
Wenn man das eingesehen hat, dann muss man aber auch
die Konsequenzen ziehen und dazu stehen. An diesem
Punkt wird es auf der Seite der Opposition immer ziemlich still.
({3})
Nach außen markieren CDU/CSU und FDP den Verein
der brutalstmöglichen Sparer, aber wenn es zum Schwur
kommt, sind die Kolleginnen und Kollegen abgetaucht.
In den Bauernblättern kann man dann nachlesen, dass
die Sparmaßnahmen im Grunde überflüssige rot-grüne
Gemeinheiten sind.
({4})
Herr Goldmann von der FDP behauptet im „Allgäuer
Bauernblatt“, man könne beim Ökolandbau dreistellige
Millionenbeträge kürzen, dann sei man aus dem
Schneider. Weil Sie zu feige sind, den Bauern die Wahrheit zu sagen, dass nämlich jeder einen Sparbeitrag leisten muss, wollen Sie den Biobauern den schwarzen Peter
zuschieben. Herr Goldmann, Sie wissen ganz genau,
dass - abgesehen davon, dass Sie aus einem Programm
im Umfang von 20 Millionen Euro schwerlich dreistellige
Millionenbeträge werden mobilisieren können - das
Bundesprogramm Ökolandbau keine Subventionierung
von irgendwem ist, sondern im Wesentlichen eine Investition in Forschung, Entwicklung und Information bedeutet.
({5})
Dreistellig wird der Betrag erst durch die von der FDP
vorgeschlagenen Kürzungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. 100 Millionen
Euro wollte die FDP im letzten Jahr hier kürzen. Damit
hätten wir erhebliche Kofinanzierungsmittel aus Brüssel
verschenkt. Das macht die ganze Absurdität der FDPSparvorschläge deutlich.
Sie wollen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe,
die Forschung und die Entwicklung kürzen. Das bedeutet, die Zukunftsfähigkeit aufzugeben, um den Agrardiesel beizubehalten. Wettbewerbsfähigkeit lässt sich so
nicht sichern.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin zulassen?
Keine Zwischenfragen! - Wir werden stattdessen den
Bauern und Bäuerinnen beim Ausstieg aus dem Erdöl
helfen.
Die CDU/CSU hat diese Woche im Agrarausschuss
überraschend doch noch den Kern ihrer Sparvorschläge
präsentiert, nämlich die Streichung nicht wissenschaftlicher Untersuchungen. Auf Deutsch: Streichung des Testbetriebnetzes - Sparvolumen: 10 Millionen Euro. Meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, ich fürchte, das
wird nicht reichen, um an die Sparvorgaben von rund
375 Millionen Euro heranzukommen.
({0})
Kollege Schirmbeck von der CDU hat dann noch gefordert, man solle doch endlich das Flugbenzin besteuern.
({1})
Das hat ihm wohl im Ausschuss der Bauernverband aufgeschrieben. Aber wenn man ihn dann beim Wort nehmen will - das haben wir getan -, zieht er zurück, was
symptomatisch ist für die CDU, und erklärt wörtlich, er
habe das nur so aus Spaß vorgeschlagen. Noch eine
Spaßpartei im Bundestag!
Herr Carstensen, der Agrarsprecher der CDU, nimmt
heute wie auch im Ausschuss an der wichtigen Beratung
dieser Gesetze leider nicht teil. Ich sage „leider“, weil
ich befürchte, dass er stattdessen wieder einmal als
Sandmännchen in Schleswig-Holstein unterwegs ist und
den Bäuerinnen und Bauern Sand in die Augen streut,
indem er behauptet, sie müssten nur ihn wählen und alles
könne wieder so werden, wie es früher war,
({2})
als der CDU-Filz in Schleswig-Holstein und im Bund regierte und in der Landwirtschaft ein aberwitziges System
von fehlgeleiteten Subventionen herrschte.
Die Landwirtschaft befindet sich heute in einem tief
greifenden Wandel. Die EU-Agrarreform verlangt den
Bäuerinnen und Bauern viel ab, aber dafür bietet sie das,
was das alte System schon lange nicht mehr hatte: eine
Perspektive. Sehen Sie sich doch einmal an, wie wir
heute bei der WTO dastehen. Dort spielt heute eine ganz
andere Musik als vor der Agrarreform. Inzwischen sind
wir Motor, nicht mehr Bremse. Das wird uns Bauern in
der Zukunft helfen.
Schauen wir aber auch auf die landwirtschaftlichen
Märkte. Die Lage ist teilweise angespannt und die Stimmung dementsprechend schlecht. Aber sehen Sie sich
doch bitte auch einmal die Entwicklung an. Der Milchpreis liegt heute eben nicht bei 23 bis 25 Cent - Herr
Austermann, Sie als Nichtbauer müssen das nicht wissen -, wo Sie und die Schwarzmaler vom Bauernverband ihn immer hinreden wollten, sondern bei 29 bis
30 Cent.
({3})
- Wenn Sie melken würden, wüssten Sie das. Aber Sie
müssen das nicht wissen. Sehen Sie sich auch die Entwicklung am Rind- und Schweinefleischmarkt an. Die
Preise für Bullen sind 30 Prozent höher als am Jahresanfang, die für Schweine 60 Prozent höher.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ein
Westfale redet immer da weiter, wo er aufgehört hat.
Deshalb bleibe ich bei dem, was ich schon letzte Woche
gesagt habe: Nicht Ihre Gummistiefelrhetorik und Ihre
Spanferkelweisheiten machen die deutsche Landwirtschaft zukunftsfähig, sondern Renate Künast und RotGrün.
({4})
Bei schwerer See haben wir das schlingernde Schiff stabilisiert, indem wir entschlossen das Ruder übernommen
haben, während Sie weiter an der Reling stehen und über
die Lust am Untergang philosophieren. Ich wünsche Ihnen dabei weiterhin viel Vergnügen. Wir werden uns
derweil an die großen Aufgaben machen, die noch vor
uns liegen.
({5})
Für den frühen Freitagnachmittag herrscht eine bemerkenswerte Stimmung im Hause.
({0})
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Zur Stabilisierung derselben hat nun für eine Kurzintervention der Kollege Schirmbeck das Wort erbeten.
({1})
- Kurzinterventionen erfolgen vom Platze aus, Herr Kollege.
({2})
- Nein, nicht nach Wahl. Die Versuchung, aus Kurzinterventionen Reden entstehen zu lassen, ist umso größer, je
mehr man durch die Strecke vom Platz zum Mikrofon
glaubt, einen solchen Nachweis erbringen zu müssen.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ja eben
darauf hingewiesen wurde, dass ein Westfale geredet
hat, will ich sagen: Ich komme aus dem Osnabrücker
Bereich, dem größten westfälischen Bereich in Niedersachsen. Das, was Sie erklärt haben, sollten wir einmal
mit unseren Landsmännern besprechen.
Wenn man aus dem bäuerlichen Berufsstand kommt,
gehört es dazu, dass man redlich miteinander umgeht
und man niemandem etwas unterstellt, was er überhaupt
nicht gesagt hat.
({0})
Ich habe das Flugbenzin in die Debatte im Agrarausschuss nicht eingebracht. Wir haben zwar über Flugplätze und deren Entwicklungen gesprochen, aber diese
Vokabel ist von mir nicht genannt worden.
Sie sollten wenigstens so redlich sein, Herr
Ostendorff, offen zu sagen, dass Sie dem Berufsstand,
dem wir gemeinsam angehören, von 1999 bis jetzt eine
zusätzliche Belastung von 1 Milliarde Euro aufgebürdet
haben. Das heißt, 1 Milliarde Euro weniger Kaufkraft im
ländlichen Raum. Wenn wir feststellen müssen, dass jeden Tag 1 000 Arbeitsplätze verloren gehen, dann umfasst das auch Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in
unseren Familienbetrieben. Es ist eine Schande, dass Sie
mich mit einer solchen Unwahrheit in Zusammenhang
bringen und so versuchen, die Situation zu vernebeln.
Dafür sollten Sie sich entschuldigen.
({1})
Zur Erwiderung Herr Kollege Ostendorff, bitte schön.
Man muss sich nicht an alles erinnern, was man so im
Ausschuss sagt, Herr Schirmbeck. Sie reden immer sehr
viel. Das kann ich Ihnen nachsehen. Natürlich haben wir
die Flugbenzindebatte geführt. Sonst hätte ich das nicht
in meiner Rede aufgegriffen.
({0})
Als wir das Haushaltsbegleitgesetz im Ausschuss besprochen haben, haben gerade Sie immer wieder darauf
hingewiesen, dass wir die Landwirtschaft einseitig belasten würden, andere aber nicht.
({1})
Sie haben den Schiffsverkehr sowie das Flugbenzin erwähnt und gesagt, dass wir hier eine Menge Geld sparen
könnten. Das haben Sie im weiteren Verlauf Ihrer Intervention auch zugegeben.
({2})
Das sollten wir jetzt festhalten. Das ist von Ihnen in die
Debatte gebracht worden. Niemand anderer hat dazu gesprochen. Sie können das im Protokoll nachlesen. Nichts
anderes habe ich hier behauptet.
Natürlich können wir diese Debatte führen, aber diese
Debatte können wir nur gemeinsam führen. Wir vermissen allerdings Ihr Engagement, wenn es darum geht, das
umzusetzen. Sie reden nur plakativ, um Stimmung zu
machen. Konkret kommt nichts. Das ist das, was wir immer wieder feststellen.
({3})
Wir können in der Debatte über den Abbau von Subventionen, die der Vergangenheit angehören, nur weiterkommen, wenn wir einen möglichst breiten Konsens erzielen. Wenn wir eine demagogische Debatte führen, wie
Sie es immer wieder tun, werden wir nicht weiterkommen.
({4})
Wir können natürlich weiterhin auf der Politik der
Vergangenheit beharren. Aber ich glaube, Herr
Schirmbeck, dass wir klug beraten sind, wenn wir gemeinsam versuchen, der Landwirtschaft, gerade was den
Agrardiesel angeht, beim Umstieg zu helfen.
({5})
Wir können durchaus in einem zweiten Schritt auch über
den Schiffsverkehr diskutieren. Jedenfalls sollten wir der
Landwirtschaft helfen, auf pflanzliche Energieformen
umzustellen. Darüber werden wir viele Diskussionen
führen können, wenn Sie nur wollen. Wenn nicht, müssen wir es alleine tun. Das würden wir auch machen. Wir
bieten jederzeit an, gemeinsam vorzugehen. Das ist der
Weg in die Zukunft. Das sichert der Landwirtschaft
Akzeptanz in der Gesellschaft und darum streiten wir. Es
geht um Zukunftsfähigkeit, um nichts anderes.
({6})
Da vorhin vom Kollegen Kampeter und anderen in
sehr freundschaftlicher Weise Zweifel an der Richtigkeit
des vermeintlich zu strengen Hinweises, von welchem
Ort aus Kurzinterventionen durchzuführen sind, angemeldet worden sind, verweise ich auf die inzwischen
von Ihnen offenkundig auch entdeckte Fundstelle in der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. In § 27
Nr. 2 heißt es:
Für Zwischenfragen an den Redner und für Zwischenbemerkungen in der Aussprache über einen
Verhandlungsgegenstand melden sich die Mitglieder des Bundestages über die Saalmikrofone zum
Wort.
Nachdem damit hoffentlich alle Restzweifel über die
korrekte Handhabung durch das Präsidium ausgeräumt
sind, erteile ich nun dem Kollegen Hellmut Königshaus
für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Ostendorff hat eben gesagt, die Landwirtschaft sei bei
Frau Künast in guten Händen. Wir unterhalten uns hier
über enorme Belastungen, die auf die Landwirtschaft zukommen, und wo ist Frau Künast? Wo sind die Vertreter
des Landwirtschaftsministeriums? Das interessiert sie
überhaupt nicht.
({0})
Das zeigt einmal mehr, dass sich hinter dem schönen
Begriff Haushaltsbegleitgesetz eine böse Absicht versteckt. Ähnliches galt früher für das schöne Wort „Steuervergünstigungsabbaugesetz“. Es verbirgt sich dahinter
nichts anderes als schlichtes Abkassieren bei denen, die
sich nicht wehren können.
({1})
Sie begründen Ihr Vorhaben mit Subventionsabbau. Wir
haben eben schon - der Kollege Austermann hat das sehr
klar dargestellt - über wirkliche Subventionen gesprochen, zum Beispiel über die Steinkohle. Wir können
auch über die Windenergie sprechen. Das sind wirkliche
Subventionen.
({2})
Wer das hiermit vergleicht, vergleicht Äpfel mit Birnen.
({3})
Worum geht es denn hier? Sie wollen zum einen die
Besteuerung des Agrardiesels anheben. Das würde eine
weitere Belastung bedeuten. Der Kollege Austermann
hat das eben zum Beispiel in einem Vergleich mit Dänemark erläutert.
Wenn Sie sagen, dass es nicht darum geht, abzukassieren, dann gibt es nur einen anderen möglichen Grund:
Das ist die Heranführung an die Mineralölsteuer. Diese
Steuer dient aber einem anderen Zweck. Eigentlich
sollte damit die Verkehrsinfrastruktur gestärkt werden.
Die Landwirtschaft hat damit aber nichts zu tun. Deshalb
können Sie sie auch nicht zu Vergleichen heranziehen.
({4})
Der Landwirt fährt doch mit seinem Trecker allenfalls
auf der Kreisstraße zu seinem Acker. Deshalb sind alle
entsprechenden Vergleiche fehl am Platz. Sie wollen
doch nur die durch die ausbleibenden Mauteinnahmen
entstehenden Haushaltslöcher auf Kosten der Landwirtschaft schließen.
({5})
Interessant war auch der Hinweis auf den Biodiesel.
Herr Austermann hat ausgeführt, warum das nicht funktionieren kann. Aber immerhin ist eines im Haushaltsausschuss deutlich geworden. Der Parlamentarische
Staatssekretär hat dort nämlich erläutert, dass die Produktion von Biodiesel nicht unbegrenzt erweitert werden
könne. Im Gegenteil: Bei den derzeit produzierten Mengen handele es sich um eine konstante Größe. Das heißt,
wir werden keine Ölscheichs, wie es Herr Trittin immer
wieder in Aussicht stellt; es wird nichts aus der „grünen
Ölproduktion“. Insofern bin ich dankbar dafür, dass einmal Klartext gesprochen wurde.
({6})
Zum anderen sollen die Landwirte mehr für die
Kranken- und Sozialversicherung zahlen. Auch in diesem Zusammenhang vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.
Bei den landwirtschaftlichen Kassen handelt es sich um
ein in sich geschlossenes System außerhalb der übrigen
Kassen; sie weisen andere Voraussetzungen, Strukturen
und demographische Bedingungen auf.
Auch das Stichwort „Altenteiler“ ist bereits genannt
worden. Das alles sind Belastungen, die mitzutragen
sind und die in anderen gesetzlichen Kassen durch den
Risikostrukturausgleich ausgeglichen werden. Wollen
Sie das auch in diesem Bereich? Herr Austermann hat
diese Frage schon vorhin gestellt. Sie äußern sich aber
nicht dazu. Es würde uns schon interessieren, was Sie in
dieser Hinsicht beabsichtigen.
({7})
Beide Vorhaben zusammengenommen bewirken eine
erhebliche Belastung. Das gilt auch für den europäischen
Wettbewerb. Wir haben das eben noch einmal erörtert.
So können vor allem die kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe nicht überleben. Deswegen wollen
wir über Umstrukturierungen reden - das ist durchaus
richtig -, aber diese dürfen nicht in einer Weise erfolgen,
die die Landwirtschaft in ihrem Kern gefährdet und die
Betriebe in ihrer Existenz bedroht.
({8})
Ich komme zum Schluss. Wenn Sie ausgerechnet uns
nach Alternativen und Vorschlägen fragen, dann sollten
Sie sich in Erinnerung rufen, dass die FDP bereits den
Entwurf eines Subventionsbegrenzungsgesetzes vorgeHellmut Königshaus
legt hat. Manchmal empfiehlt es sich, auch die Vorschläge der Opposition zu betrachten.
Ich danke Ihnen.
({9})
Herr Kollege Königshaus, zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag gratuliere ich Ihnen auch im Namen des Hauses herzlich.
({0})
Sie werden sie gewiss auch deshalb in bester Erinnerung
behalten, weil sie vor beinahe vollem Haus erfolgt ist,
was - zumal freitagnachmittags - eher selten der Fall ist.
({1})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zutiefst beeindruckt von dem kolossalen
Fachwissen, das von den Kollegen Königshaus - auch
wenn es Ihre erste Rede gewesen ist; Entschuldigung ({0})
und Austermann an den Tag gelegt worden ist.
({1})
- Ihr Lachen wird Ihnen gleich vergehen.
Herr Austermann, Sie haben die Koch/SteinbrückVorschläge angesprochen. Merkwürdigerweise haben
diese Vorschläge aber für die CDU/CSU-Fraktion in den
Haushaltsberatungen keine Rolle mehr gespielt. Das
können Sie nachlesen. Nichts davon hat noch gezählt.
Alle Einsparvorschläge sind außen vor geblieben.
Auch wenn wir die Subventionen für Agrardiesel zurückführen müssen, erhält der größte Teil der Bauern
beim Agrardiesel die Rückerstattung in gleicher Höhe
wie im vergangenen Jahr. Auch das muss einmal deutlich gesagt werden. Das haben Sie aber hier nicht berücksichtigt.
({2})
Wir stimmen heute über die Beschlussempfehlung
des federführenden Haushaltsausschusses ab. Nun frage
ich mich, woher das geballte Fachwissen kommen soll,
wenn die Opposition nicht einmal einen einzigen Fachpolitiker reden lässt. Das finde ich sehr bemerkenswert.
Man kann es doch drehen und wenden, wie man will.
Wir müssen in allen Bereichen des Haushaltes die Leistungen, die einzelne Gruppen erhalten, in Relation zur
wirtschaftlichen Situation der Allgemeinheit, der Steuerzahler, setzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren
von der Opposition, das wissen Sie. Klar ist uns allen in
diesem Haus ebenfalls - das steht hundertprozentig
fest -: Hätten Sie die Regierungsverantwortung, dann
würden Sie weder bei der Agrarsozialsicherung noch
beim Agrardiesel etwas ändern. Das gehört ebenfalls zur
ganzen Wahrheit.
({3})
Die Zweidritteleinsparung beim Agrardiesel hat uns
sehr lange beschäftigt und hat mir persönlich - das gebe
ich zu - große Bauchschmerzen bereitet. Es gab mehrere
Modelle, nach denen die 287 Millionen Euro hätten abgebaut werden können. Eines möchte ich ganz deutlich
sagen: Niemand von uns hat es sich einfach gemacht. Es
gab eine Anhörung - dazu ist schon etwas gesagt worden -, in der wir alle Facetten noch einmal beleuchtet
haben. Letztendlich ist die Entscheidung zugunsten des
Regierungsentwurfs gefallen. Wichtig an dieser Stelle ist
aber, dass man nach allen Erwägungen zu einer Entscheidung kommt, mit der man in Zukunft leben kann.
Ich denke, das haben wir mit dem jetzigen Modell der
Agrardieselkürzung mit einer Obergrenze von 10 000 Litern Verbrauch, einer Untergrenze von 350 Euro Selbstbehalt und einer Bagatellgrenze von 50 Euro geschafft.
Wir haben gleichzeitig den Umstieg auf Biodiesel vorangetrieben. Herr Austermann - hier zeigt sich die Qualität Ihres Fachwissens noch einmal -, natürlich können
die meisten landwirtschaftlichen Fahrzeuge mit Biodiesel betrieben werden. An die Adresse der FDP: Es
stimmt nicht, dass der Markt an dieser Stelle ausgereizt
ist. Natürlich haben die Bauern noch Möglichkeiten, hier
etwas zu tun.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ja, gerne.
({0})
- Entschuldigung, aber ich möchte gerne, dass Herr
Koppelin eine Zwischenfrage stellt.
Herr Koppelin, bitte.
Herzlichen Dank, dass Sie nicht wie der Kollege der
Grünen bei einer Frage kneifen. - Da Sie deutlich gemacht haben, dass es selbst in der Koalition Probleme
mit dem Gesetz gibt, weil es erhebliche Einschnitte bei
der Landwirtschaft - das haben Sie auch eingestanden 11640
vorsieht, frage ich Sie: Wie bewerten Sie es als Parlamentarierin, dass weder die für die Landwirte zuständige
Ministerin noch ein Vertreter ihres Ministeriums heute
anwesend sind?
({0})
Herr Koppelin, diese Frage kann ich nicht beantworten; denn ich kenne den Terminplan von Frau Ministerin
Künast nicht. Aber Herr Diller ist anwesend. Die Federführung liegt schließlich beim Haushaltsausschuss. Ich
kann mich an dieser Stelle nur bei meinen Kollegen vom
Haushaltsausschuss bedanken, dass ich hier reden darf.
So ist die Sache.
({0})
Schön, dass ich Ihnen erlaubt habe, dazu eine Zwischenfrage zu stellen.
Wenn Sie an dieser Stelle eine gute Möglichkeit für
die Landwirte sehen, warum haben Sie dann unser EEG
abgelehnt, mit dem wir den Bauern die Chance eröffnen,
sich selber mit Biodiesel zu versorgen, wenn es schwierig wird? Sie verfahren ganz nach dem Motto: Die CDU/
CSU ist für die Landwirtschaft zuständig, nur nicht die
SPD. Ganz so ist es aber nicht. Ich finde es auch sehr
verwerflich, dass hier zweimal der gesamte landwirtschaftliche Berufsstand durch eine Partei vereinnahmt
wird. Das darf nicht sein.
Wir alle wissen, dass wir mit dem alten Preisstützsystem nicht mehr wirtschaften können. Angesichts der
Ängste und der Sorgen, die zum Beispiel durch die EUAgrarreform bei den Landwirten bestehen, kann ich nur
sagen, dass wir ein konstruktives Konzept entwickelt haben. Was mich nicht nur froh, sondern auch glücklich
macht - das habe ich schon angesprochen -, ist die Novelle des EEG.
Zum Schluss möchte ich an die Adresse der Opposition noch Folgendes sagen: Es macht keinen Spaß, Einsparungen vorzunehmen und den Haushalt Jahr für Jahr
zu konsolidieren. Die Ursachen dafür liegen aber - das
will heute niemand mehr hören - in Ihrem 16-jährigen
Wirtschaften.
({1})
Ansonsten hätten wir an dieser Stelle heute nicht solche
Schwierigkeiten.
({2})
Auf der anderen Seite weiß ich - schließlich muss ich
hier für solche Einsparmaßnahmen einstehen - Überschriften wie „Sektkorken knallen auf deutschen Höfen
nach der Verabschiedung des EEG“ zu deuten. Wissen
Sie, was das bedeutet? Die Bauern haben verstanden:
Die rot-grüne Bundesregierung hat an dieser Stelle besonders eigenverantwortliches Unternehmertum gestärkt.
Schönen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes
2005, Drucksache 15/3442. Der Haushaltsausschuss
empfiehlt auf Drucksache 15/3755, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Freie Wahl der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung
- Drucksache 15/3511 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({1})
- Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich diejenigen, die an derselben nicht mehr teilnehmen können
oder wollen, bitten, den Plenarsaal zu verlassen und
wichtige Staatsgeschäfte außerhalb des Plenums fortzusetzen.
Ich eröffne nun die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Kollegen Detlef Parr von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit der Einleitung meiner Rede ein bisschen
Freizeitstimmung transportieren. Vorgestern haben wir
in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz das Sommerfest einer großen gesetzlichen Krankenkasse gefeiert.
Die Vorhänge im Saal waren zurückgezogen, es bot sich
ein herrlich freier Blick in den Garten - es war so ähnlich wie im Sommer 2003 bei den Konsensverhandlungen in der Landesvertretung Baden-Württemberg - und
man hatte eine Transparenz, wie wir sie uns heute auch
im Gesundheitswesen wünschen.
Heute wie damals scheint aber ein seltsamer Geist
den Blick der großen Gesundheitskoalition zu vernebeln.
In allen Reformpapieren, die wir zurzeit diskutieren, finden sich zwar gleich lautende Forderungen nach mehr
Wettbewerb, mehr Effizienz, mehr Eigenverantwortung
und mehr Wahlfreiheit - alles auf der Grundlage von
mehr Transparenz -; den entscheidenden Schritt nach
vorne, endlich das anonyme Chipkartensystem durch die
Kostenerstattung abzulösen, wagen Sie aber nicht. Was
nützt alles Wehklagen über Doktor-Hopping, Selbstbedienungsmentalität oder Abrechnungsbetrug, wenn wir an
einem Sachleistungsprinzip sklavisch festhalten, das genau diese Fehlentwicklungen fördert? Gesundheitsleistungen als Naturalleistungen sind ein Relikt aus vergangener Zeit und ein Luxus, den wir uns heute nicht mehr
leisten können. Bismarck ist tot!
Die Chipkarte öffnet den Zugang zu gesetzlich zustehenden medizinischen Leistungen nach dem Motto
„Sesam, öffne dich“. Der Patient wird künstlich uninformiert gehalten. Die Kosten seiner Behandlung bleiben
ihm unbekannt. Die Abrechnung findet ohne ihn statt.
Das Sachleistungsprinzip verleitet zudem dazu, mehr
Leistungen als erforderlich zu erbringen. Patient und
Arzt haben wenig Interesse an einem kostenbewussten
Umgang mit den immer begrenzteren Ressourcen. Dafür
hat die Bundesregierung aufwendige Kontrollmechanismen etabliert. Diese Mechanismen werden immer ausgefeilter, immer komplizierter. Das heißt: Bürokratisierung
und Intransparenz auch an dieser Stelle. Gäbe es das
Kostenerstattungsprinzip, würde den Versicherten eine
völlig neue Rolle im Gesundheitswesen eingeräumt.
Herr Staatssekretär, Ihre Ministerin hat gestern auf
dem Hausärztetag zu Recht von einer neuen Balance der
Solidarität und der Eigenverantwortung gesprochen.
Die können Sie mit der Kostenerstattung leicht herstellen. Trauen wir dem Versicherten doch endlich mehr zu!
Lassen wir ihn die Rechnung seines Arztes prüfen! Lassen wir ihn zu einem Partner des Arztes werden, der sich
über seine Krankheit informiert und Kostenbewusstsein
entwickelt! Lassen wir ihn zu einem Partner im Wettbewerb werden, der sich für einen effizienten und guten
Ablauf seiner Behandlung interessiert! Last, but not
least: Schaffen wir mit der Kostenerstattung eine zuverlässige Selbstbeteiligungsregelung, über die der Einzelne der Höhe nach im Rahmen einer prozentualen
Zuzahlung selbst entscheiden kann, statt ihm eine willkürliche Praxisgebühr aufzupfropfen!
Der Versuch, die Kostenerstattung einzuführen, hat
eine lange Tradition: von Schwarz-Gelb in den 90er-Jahren als Wahloption für alle Versicherten eingeführt, nach
dem Regierungswechsel 1998 wieder abgeschafft,
schließlich im letzten Jahr wiederbelebt. Freiwillig ist
das wohl nicht geschehen. Wohl eher die notwendige
Angleichung an europäisches Recht hat die Regierung
zu diesem Schritt gezwungen.
Wir haben heute also eine Wahlmöglichkeit für die
Versicherten - eine Mogelpackung, wie ein Blick auf die
Beratungspflicht durch die Krankenkassen beweist. Die
AOK Rheinland zum Beispiel empfiehlt in ihrer Zeitschrift „Vigo“ ihren Versicherten Anfang des Jahres Folgendes - man achte auf die Qualität der Sprache; Zitat -:
Sie erhalten eine Rechung Ihres Arztes. Diese
Rechnung begleichen Sie selbst. Anschließend bekommen Sie die Kosten auf der Grundlage der geltenden Vertragssätze zum Teil erstattet.
Kommen Sie nämlich als „Privatpatient“ zum Arzt,
was bei der gewählten Kostenerstattung quasi der
Fall ist, räumt der Gesetzgeber den Ärzten die
Möglichkeit ein, höhere Gebühren für die Behandlung abzurechnen.
Die Differenz müssen Sie selbst bezahlen, wenn Sie
dafür nicht wiederum eine private Zusatzversicherung abgeschlossen haben. Daher sollten Sie
- jetzt kommt der erhobene Zeigefinger den Schritt gut überlegen und sich unbedingt vor
einer Entscheidung für die Kostenerstattung von Ihrer AOK Rheinland beraten lassen. Denn Sie sind
an Ihre Entscheidung dann mindestens ein Jahr lang
gebunden.
Meine Damen und Herren, das ist keine Wahlfreiheit,
das ist die blanke Kostenerstattungsabschreckung.
({0})
Daher fordern wir, dass diese Beratungspflicht gestrichen wird. Außerdem sollte der Versicherte jeden approbierten Arzt aufsuchen können. Wir schützen die Krankenkasse vor finanzieller Überforderung; es gibt ja die
Regelung, dass sie die Kosten nur in der Höhe übernimmt, die bei einer vertragsärztlichen Behandlung im
Rahmen der Sachleistung anfallen würden. Auch sollte
der Versicherte nach unserer Überzeugung die Wahl haben, für die ambulante oder die Krankenhausbehandlung
die Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen.
({1})
Ich möchte Sie alle im Hohen Hause auffordern, über
mehr Eigenverantwortung, über mehr Wahlfreiheit und
über den mündigen Patienten nicht nur zu reden. Entlassen Sie den Patienten endlich in ein freiheitlicheres Gesundheitssystem!
({2})
Das Wort hat nun die Kollegin Erika Ober, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Parr, auf dem AOK-Sommerfest war ich auch. Sie
haben davon gesprochen, es sei so schön gewesen, die
Vorhänge seien zurückgezogen gewesen, es sei transparent gewesen, es habe gute Kommunikation gegeben.
({0})
Sie haben es so empfunden; ich habe es auch so empfunden. Aber warum sind Sie, Herr Parr, wenn alles so gut,
so kommunikativ und transparent gewesen ist, im letzten
Jahr aus den Verhandlungen ausgestiegen? Die Frage
müssen Sie mir noch beantworten.
({1})
Ich komme zum Antrag Ihrer Fraktion. Sehr oft
kommt das Thema Kostenerstattung von der FDP auf
den Tisch. Die FDP will mit dem Traum von der Kostenerstattung das deutsche Gesundheitswesen genesen lassen.
({2})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass das nur ein
Traum ist, werde ich Ihnen jetzt belegen. Ich will Ihnen
vorstellen, warum die Kostenerstattung ohne vorhergehende Beratung - darauf haben Sie ja eben abgestellt nicht sinnvoll ist. Ich befürchte natürlich, dass Sie, wenn
ich es Ihnen klar mache, auf diesem Ohr taub sind.
({3})
- Jawohl, Herr Parr; ich weiß es auch.
Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann stelle ich
fest: Eine Fülle von wohlklingenden Fragen im Antrag
verstellt den Blick auf das Wesentliche. Sie wollen die
im Gesetz verankerte Beratung der Versicherten vor
dem Wechsel von der Sachleistung auf die Kostenerstattung abschaffen. Diese Beratung ist aber als Informationsquelle und als Hilfe für die Patientinnen und Patienten zu sehen.
({4})
- Das ist so. Das erkläre ich Ihnen gleich noch. - Sie
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie mit Ihrem Antrag reine Klientelpolitik betreiben. Im Sinne der
Versicherten ist dieser Vorschlag nicht.
({5})
Die weihevollen Worte zu Beginn können nicht davon
ablenken, dass Sie die Patientinnen und Patienten einer
notwendigen Informationsquelle berauben wollen, denn
der Versicherte muss wissen, worauf er sich bei seiner
Entscheidung für die Kostenerstattung einlässt.
({6})
Die Beratung soll diese Information vermitteln. Dies gilt
umso mehr, wenn einzelne Leistungserbringer, wie wir
erfahren mussten, Patienten massiv bedrängt haben, da
ihnen die Kostenerstattung mehr Geld bringt. Wir alle
haben noch das schamlose Verhalten einiger niedersächsischer Kieferorthopäden in Erinnerung, die die Patientinnen und Patienten schlichtweg mit der Forderung erpressen wollten: entweder Kostenerstattung oder keine
Behandlung; ich erinnere mich auch an Fälle dieser Art
in Bayern. Die niedersächsische Gesundheitsministerin
hat damals eingegriffen und richtigerweise mit aller
Härte diesem Verhalten den Garaus gemacht.
({7})
Wegen der Asymmetrie der Information zwischen
Leistungserbringern und Patienten ist die vorherige Beratung durch die Krankenkassen ein sinnvolles, ja notwendiges Angebot. Ihre Auffassung, Herr Parr, kann ich
vor diesem Hintergrund natürlich nicht teilen. Von einer
Zwangsberatung der Versicherten, wie Sie es in Ihrem
Antrag nennen, kann keine Rede sein. Kein Versicherter
ist gezwungen, sich beraten zu lassen. Die Patienten haben als mündige Bürger lediglich einen Anspruch auf
Beratung. Sie können sich beraten lassen, sie müssen
nicht. Das ist sinnvoll. Die Beratung soll sie in den Stand
versetzen, eine unvoreingenommene Wahl zwischen
Sachleistung und Kostenerstattung zu treffen, sie soll
also eine neutrale Information vermitteln. Mit Ihrem Antrag wollen Sie diese Orientierungshilfe zunichte machen. Das ist nicht in Ordnung.
({8})
- Mündigkeit gestehen wir alle den Patientinnen und Patienten zu. - Nach meiner Überzeugung ist es sinnvoll,
die Kostenerstattung mit den Krankenkassen und nicht
mit den Leistungserbringern zu vereinbaren. Eine Beratung bei den Krankenkassen stärkt nämlich die Unabhängigkeit der Patienten. Eigentlich wollen Sie von der
FDP doch genau das: Sie wollen unabhängige Versicherte.
Nahezu jeder Patient und jede Patientin sitzt im
Krankheitsfall mit einem Gefühl von Unsicherheit vor
dem behandelnden Arzt. Ich denke, jeder kennt von einem Arztbesuch dieses Gefühl der Unsicherheit und Abhängigkeit.
({9})
- Beim Zahnarzt, Herr Zöller, sagt man aber nicht so
viel. - Eine sachliche Entscheidung über das Pro und
Kontra der Kostenerstattung ist in einer solchen Situation
schwierig. Vor die Wahl gestellt, wollen die Patienten
natürlich immer die bestmögliche Behandlung. Das ist
auch in Ordnung. Die Kosten einer Behandlung sind im
direkten Gespräch mit dem Arzt nicht immer abschätzbar, denn der Arzt kennt sie auch nicht immer. Wer sich
schon einmal in einer solchen Situation befunden hat,
weiß um diese Abhängigkeit. Ich unterstelle den Ärztinnen und Ärzten natürlich keine unsachgemäße Beratung,
auch wenn wir Beispiele kennen, wie das schon einmal
lief. Die Beratung pro oder kontra Kostenerstattung gehört nämlich nicht zu ihrem eigentlichen Betätigungsfeld.
Das wollen Sie auch gar nicht. Meiner Meinung nach gehört also diese Beratung nicht in das Sprechzimmer.
({10})
Ich teile auch nicht die Meinung, dass mit Einführung
der Kostenerstattung im Gesundheitsmodernisierungsgesetz - diese Regelung wurde ja auf ein Jahr begrenzt
eingeführt - die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Ich
begrüße es sogar ausdrücklich, dass dem Patienten die
Wahl zwischen Sachleistung und Kostenerstattung eröffnet wird. Im System der gesetzlichen Krankenversicherung dominiert jedoch weiter das Sachleistungsprinzip. Es ist daher konsequent, wenn nur zugelassene oder
so genannte ermächtigte Leistungserbringer die Behandlung der Kassenpatienten vornehmen. Die Forderung,
die Kostenerstattung auf Nichtvertragsärzte auszudehnen, widerspricht diesem Grundgedanken.
({11})
- Ich erkläre Ihnen gleich, warum das sinnvoll ist. - Mit
der Zulassung unterwirft sich der Leistungserbringer den
in SGB V festgelegten Anforderungen, wie zum Beispiel
an die Qualität und die Wirtschaftlichkeit. Das ist im
Sinne aller Versicherten. Dieses Prinzip entspricht auch
ständiger Rechtsprechung. Es besteht in meinen Augen
kein Anlass, an diesem vernünftigen Prinzip zu rütteln.
Nun ein Wort zu der Gruppe von Versicherten, die
laut Ihres Antrags durch das GMG angeblich schlechter
gestellt sein soll. Die Kostenerstattung war nämlich
schon vor dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz für
gesetzlich Versicherte möglich, allerdings nur in Ausnahmefällen.
Verglichen mit der Gesamtheit der in der gesetzlichen
Krankenversicherung Versicherten bewegt sich die
Größe der von Ihnen angesprochenen Gruppe im Promillebereich.
Kostenerstattung kennen wir auch von gesetzlich versicherten Patienten, die zum Beispiel im Urlaub im Ausland behandelt werden. Sie werden dort von bei uns
nicht zugelassenen, nicht ermächtigten Ärzten und Leistungserbringern behandelt. Wir kennen die Problematik,
dass Qualität und Wirtschaftlichkeit in solchen Fällen
nicht immer nachzuvollziehen sind. Ich möchte nichts
Böses unterstellen, aber das ist eine Tatsache. Diesen
Zustand wollen wir nicht übertragen. Das gleiche Problem hätten wir nämlich, wenn wir, wie in Ihrem Antrag
gefordert, die nicht ermächtigten Leistungserbringer hier
zuließen. Wir hätten dann keine Kontrolle über Qualität
und Wirtschaftlichkeit.
Oft wird behauptet, der erhöhten Kostentransparenz
in der Kostenerstattung folge auch eine Verhaltensänderung der Patientinnen und Patienten. Hierzu gibt es
keinen empirisch gesicherten Nachweis.
({12})
- Das wird aber immer behauptet, Herr Parr.
Auch unser Ziel ist, Kostentransparenz zu erreichen,
wenn auch nicht mit Ihren Instrumenten. Wir befürworten ein anderes System als das, das Sie vorschlagen. Wir
sehen in der Kostenerstattung kein geeignetes Instrument, die Transparenz, die wir alle wollen und auch
brauchen, zu erreichen, nicht nur weil die Gruppe so
klein ist, wie wir schon eben festgestellt haben. Was das
Gesundheitssystem braucht, ist Kostentransparenz für
alle Versicherten, nicht nur für diese kleine Gruppe. Da
sind wir uns durchaus einig, Herr Parr.
Mit der Patientenquittung haben wir bereits einen
Schritt in diese Richtung unternommen. Ich gebe zu,
dass es mit der Umsetzung und Akzeptanz der Patientenquittung besser laufen könnte. Die elektronische Gesundheitskarte wird - da bin ich überzeugt - diesen Prozess ab 2006 verstärken und verbessern.
({13})
- Sie kommt. Sie wird nicht flächendeckend kommen,
aber wir werden ab 2006 starten. Wenn Sie heute die
Presse gelesen haben, konnten Sie sehen, dass das auch
dort steht.
({14})
Dann werden wir uns noch einmal unterhalten können,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir werden dem Antrag der FDP-Fraktion, Herr Parr,
natürlich nicht zustimmen.
({15})
Die Kostenerstattung ist für die FDP doch nur der Aufhänger, ihre Vorstellungen von einer Liberalisierung des
Gesundheitswesens zugunsten einer bestimmten Klientel
({16})
und zulasten der Versichertengemeinschaft durchzusetzen. Die Interessen der Versichertengemeinschaft vertreten Sie mit diesem Antrag nicht.
({17})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Ober: Wenn die Zahl der in Anspruch genommenen Kostenerstattungen wirklich nur im Promillebereich läge, dann brauchte man auch nicht so viel
Angst davor zu haben, wie Sie es hier dargestellt haben.
({0})
Wir beraten heute den Antrag der FDP mit dem Titel
„Freie Wahl der Kostenerstattung in der gesetzlichen
Krankenversicherung“. Für diese Überschrift haben Sie
die volle Unterstützung der CDU/CSU. Auch inhaltlich
stimmen wir weitgehend mit dem Antrag überein.
Der FDP-Antrag hat aber einen kleinen Schönheitsfehler, der zum jetzigen Zeitpunkt gravierende Nachteile
im Hinblick auf eine flächendeckende ärztliche Versorgung mit sich brächte.
({1})
Sie fordern nämlich die Wahlmöglichkeit in Bezug auf
jeden Arzt mit Approbation. Wie wollen Sie dann die Sicherstellung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung gewährleisten? Nicht zugelassene Ärzte könnten sich die Behandlungsrosinen herauspicken; auf der
Strecke blieben weniger attraktive Tätigkeiten wie etwa
die Notversorgung an Wochenenden oder in den so genannten dienstfreien Zeiten.
Aufgrund der vielen Vorteile, die das System der Kostenerstattung aber bietet, unterstützen wir die Kostenerstattungsmöglichkeit generell. Ich will einige Vorteile
ansprechen.
Zunächst einmal wird damit dem Grundsatz der
Transparenz nachgekommen. Das Erstattungsverfahren
ermöglicht dem Patienten, selbst unmittelbar und konkret nachzuvollziehen, was der Arzt abgerechnet hat.
Dies schränkt auch Missbrauchsmöglichkeiten wesentlich ein. Außerdem wird dadurch, dass die Versicherten
selber anhand von Rechnungen die eigenen Behandlungskosten nachvollziehen können, ihr Kostenbewusstsein deutlich geschärft. Bonussysteme könnten weitere
Anreize dafür bieten.
Die Vorteile eines kostenbewusst handelnden Patienten sind inzwischen allgemein bekannt und unbestritten:
Noch vor kurzem hatten sich die gesetzlichen Krankenversicherungen vehement gegen Selbstbehalte im Rahmen von Krankenkassenbeiträgen ausgesprochen. Seitdem nun aber durch das GMG diese Möglichkeit
gegeben ist, entwerfen sie interessanterweise von sich
aus Selbstbehalt-Bonusmodelle; denn sie wissen, dass
dann etwas eigenverantwortlicher bei der Inanspruchnahme von Leistungen vorgegangen wird.
({2})
Ein weiterer positiver Effekt eines Erstattungssystems
sind die geringeren Verwaltungskosten.
({3})
Ein Kostenerstattungsverfahren hätte nämlich zur Folge,
dass der gesamte bürokratische Verwaltungsaufwand
zwischen Arzt, Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkasse - und dann zurück zur Kassenärztlichen Vereinigung und zum Arzt - wesentlich vereinfacht werden
könnte.
({4})
Auch dürfte ein Kostenerstattungsprinzip das Verhältnis zwischen Arzt und Patient enger, intensiver
und vielleicht auch qualitativ besser werden lassen; denn
mehr Mitbestimmungs- und Vergleichsmöglichkeiten
des Patienten korrespondieren hier mit intensiveren Beratungen über Behandlungsmöglichkeiten und Kosten
durch den Arzt.
Schließlich spricht für ein Kostenerstattungsverfahren
auch, dass wir uns im Laufe der nächsten Jahre im Hinblick auf die europäischen Rahmenbedingungen weiter
in Richtung Kostenerstattung bewegen werden müssen,
ob wir wollen oder nicht.
Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung ermöglicht seit Anfang dieses Jahres die Wahl des Kostenerstattungsverfahrens. In der
Praxis ist dies bisher allerdings kaum vorzufinden, was
vor allem daran liegt, dass zu hohe Hürden für diese Option aufgebaut wurden. So muss man sich vorher von
seiner Kasse beraten lassen - ({5})
- Frau Kollegin Ober, ich möchte einmal Ihre Argumentation hören, wenn wir gesagt hätten, dass wir eine Beratung durch die privaten Kassen wünschen, bevor sich jemand entscheidet, ob er in der GKV bleibt oder in eine
private Kasse geht. Wir müssen in unserer Argumentation schon ehrlich bleiben.
({6})
Man muss sich also vorher von einer Kasse beraten
lassen und bekommt dafür von seinem Erstattungsbetrag
einen hohen Prozentsatz als Verwaltungskostenanteil abgezogen.
Hinzu kommt, dass das Kostenerstattungsverfahren
nur für ganze Bereiche und nicht für einzelne Sektoren,
zum Beispiel Zahnersatz oder ambulante hausärztliche
Versorgung, gewählt werden kann. Da waren wir vorher
weiter: Man konnte dieses System sektorenweise wählen. Jetzt geht es um ganze Bereiche. Die Union hat in
den Konsensgesprächen insoweit stets weiter gehende
Wahlmöglichkeiten zugunsten der Patienten angestrebt.
Das war leider nicht durchsetzbar.
Liebe Freunde von der FDP, man kann im Nachhinein
leicht die vollständige Verwirklichung der freien Wahl
der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung fordern. Wir wären unserem gemeinsamen
Ziel heute schon wesentlich näher, wenn Sie uns damals
im Rahmen der Verhandlungen geholfen hätten, die
sinnvollen Wahlmöglichkeiten für Patienten weitestgehend auszuschöpfen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({7})
Ich gratuliere dem Kollegen Zöller zu seiner Punktlandung, was die Redezeit betrifft, und weise darauf hin,
dass die Rede der Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die
Grünen, zu Protokoll gegeben worden ist.
Mit dem Kollegen Michael Hennrich für die CDU/
CSU-Fraktion als letztem Redner erreichen wir dann bereits das Ende dieses Tagesordnungspunkts.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die CDU/CSU hat im letzten Jahr den Gesundheitskompromiss schweren Herzens mitgetragen.
Lieber Herr Kollege Parr, auch wir waren über bestimmte Einzelregelungen nicht glücklich. Aber anders
als Sie haben wir Verantwortung übernommen und uns
nicht in die Büsche geschlagen.
({0})
Deswegen kann ich dem Herrn Kollegen Zöller nur beipflichten, der ganz deutlich betont hat, dass wir im Hinblick auf das Kostenerstattungsprinzip ein ganzes Stück
weiter wären, wenn Sie sich an den Verhandlungen beteiligt hätten.
Wir haben über die Vorteile des Kostenerstattungsprinzips, über die Aspekte Transparenz, Kostenbewusstsein und Verwaltungskosten, schon ein Stück weit gesprochen. Frau Kollegin Ober, Sie haben vorhin gemurrt,
als gesagt wurde, dass das Kostenerstattungsprinzip
letztendlich zu Kosteneinsparungen führen kann. Sie
sehen im Grunde genommen nur das Verhältnis zwischen dem Patienten und der Krankenkasse.
({1})
Aber es gibt noch das Verhältnis zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkasse
({2})
und das Verhältnis zwischen Arzt und Krankenkasse. Es
gibt also auch noch andere Aspekte.
({3})
Zudem denke ich, dass bei einer Kostenerstattung die
Patientenrechte gestärkt werden können, weil sich der
Versicherte im Gespräch mit seinem Arzt berät und sich
über die Vor- und Nachteile einer Behandlung aufklären
lässt.
({4})
- Wenn Sie sich von einem Arzt beraten lassen, dann
geht es nicht nur um die Kosten. Da werden Sie vielmehr
umfassend beraten. Schauen Sie einmal, welche Beratung zwischen Privatversicherten und Ärzten erfolgt! Da
funktioniert dieses Prinzip auch. Ich denke mir, dass eine
Kostenerstattung bei der GKV ebenso funktionieren
würde.
({5})
Frau Ober, Ihr Bild von dem Versicherten ist das eines
unmündigen Bürgers.
({6})
Sie haben vorhin einen kleinen Fehler gemacht, als
Sie gesagt haben, es bestehe keine Pflicht zur Beratung.
({7})
- Es besteht eine Pflicht. Ich habe mich noch einmal vergewissert: In § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V steht wortwörtlich: „Sie sind … zu beraten.“
({8})
- Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist: Sie sind
Ärztin und ich bin Jurist. Ich weiß, wie das zu verstehen
ist.
({9})
Wenn Sie die Krankenkassen ermächtigen, den Versicherten zu beraten - Sie wissen, welche Skepsis es
hierbei bei den Krankenkassen gibt; sie scheuen vielleicht ein Stück weit den Verwaltungsaufwand, der dann
bei ihnen entsteht -, ist doch das Ergebnis von vornherein klar: Die Krankenkassen sagen dem Versicherten:
Nehmen Sie von der Behandlung Abstand! Deswegen
halte ich fest: Wir hätten unseren Bürgern etwas mehr
Mündigkeit zutrauen können. Das haben Sie uns versagt.
Ich möchte noch ein Vorurteil ausräumen, das in der
Diskussion über das Kostenerstattungsprinzip immer
wieder vorgebracht wird, das Vorurteil, dass die so genannte Verkäuferin nicht in Vorleistungen treten kann.
Dies wird immer wieder von Ihren Kolleginnen und Kollegen in Anwendung gebracht, indem gesagt wird, Geringverdiener könnten die Kosten im Grunde genommen gar nicht vorstrecken. Wie sieht es denn in der
Praxis aus? Wenn ein Arzt eine höhere Rechnung, zum
Beispiel eine Rechnung über 2 000 oder 3 000 Euro,
stellt, dann gewährt er doch ein Zahlungsziel von
30 Tagen. Sie können diese 30 Tage ausschöpfen und die
Rechnung bei der Krankenkasse einreichen. Dann dauert
es vielleicht zehn bis 14 Tage und dann haben Sie das
Geld auf dem Konto.
({10})
Wenn dann jemand ganz clever ist, legt er das Geld noch
14 Tage an, bekommt dafür Zinsen und bezahlt dann die
Rechnung des Arztes. Ihre Aussage stimmt also nicht.
({11})
Zum Schluss möchte ich noch auf einen Aspekt eingehen, den wir schon angerissen haben, der aber in diesem Zusammenhang noch nicht vertieft diskutiert
wurde: das Thema Europa. Wenn sich ein Versicherter
in der Europäischen Union, zum Beispiel in Frankreich
oder Italien, behandeln lässt, braucht er vorher keine Genehmigung. Er lässt sich also behandeln, fährt zurück,
reicht die Rechnung bei seiner Kasse ein und dann wird
sie bezahlt. Wenn Sie sich im Inland behandeln lassen
müssen und Sie das Kostenerstattungsprinzip wählen,
brauchen Sie vorher eine Genehmigung, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung und all das, was vorhin aufgeführt
wurde.
({12})
- Dann frage ich mich aber, mit welcher Begründung Sie
jemanden, der sich im EU-Ausland behandeln lässt,
privilegieren, während Sie dann, wenn sich jemand im
Inland behandeln lässt, einen riesengroßen bürokratischen Wahn aufbauen.
({13})
- Es ist so.
Ich sage Ihnen eines: Wir brauchen nur darauf zu warten, dass der Erste klagt und sagt: Ich möchte im Inland
genauso behandelt werden wie im Ausland.
({14})
Ich möchte nicht die Beratungspflicht in Anspruch nehmen. - Er wird vom EuGH Recht bekommen und dann
sind wir als Gesetzgeber wieder die Gehetzten, die einer
europäischen Rechtsprechung hinterherlaufen. Stattdessen könnten wir auch bewusst im Vorfeld agieren und
das Kostenerstattungsprinzip schon jetzt einführen.
Herr Kollege Zöller hat das Thema der approbierten
Ärzte schon angesprochen. Das ist sicherlich ein Problem. Ich möchte einen zusätzlichen Aspekt erwähnen:
Wenn Sie jeden approbierten Arzt im Rahmen des Kostenerstattungsprinzips zur Behandlung zulassen, haben
Sie das Problem, dass die Krankenkasse nicht mehr Vertragspartner der Ärzte ist. Wenn wir von Eigenverantwortung sprechen, dann darf das nicht heißen, dass wir
die Krankenkassen aus der Verantwortung entlassen.
Deswegen stehen wir Ihrem Antrag noch ein Stück weit
offen gegenüber. Wir warten ab, was die Anhörung bringen wird. Aber ich denke, er geht im Prinzip in die richtige Richtung.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3511 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich vermute, dazu besteht Einverständnis. Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Postpersonalrechtsgesetzes
- Drucksachen 15/3404, 15/3591 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({1})
- Drucksache 15/3732 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel ({2})
Auch hierzu soll, interfraktionell vereinbart, eine
halbstündige Debatte stattfinden. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zehn Jahren haben Bundestag und Bundesrat mit verfassungsändernder Mehrheit die Postreform II verabschiedet. Wie immer man
dazu steht, wir halten heute fest: Die SPD hat es damals
zur Bedingung gemacht und auch durchgesetzt, dass neben anderen Gemeinwohlverpflichtungen die Rechte
und Interessen der Beschäftigen gewahrt werden, und
zwar aller Beschäftigten, egal ob sie Beamtinnen oder
Beamte, Arbeiterinnen oder Arbeiter oder Angestellte
sind. Wir sehen uns hier im Wort.
Wir alle wissen: Die Beschäftigten der Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost haben in den letzten zehn Jahren viel mitgemacht; sie haben aber auch
viel gearbeitet und konstruktiv mitgestaltet. Sie haben
den Abbau Zigtausender Arbeitsplätze, permanente Umstrukturierungen und steigenden Leistungsdruck erlebt.
Ohne sie würden heute weder die Post AG noch die
Telekom AG als erfolgreiche Global Player dastehen.
({0})
- Ich bedanke mich für den Beifall.
Trotzdem reden manche Leute so, als wären diese Beschäftigten, insbesondere die Beamtinnen und Beamten
unter ihnen, vor allem als Ballast zu sehen, als träge
Masse, der man Beine machen muss und der man sich
möglichst schnell entledigt.
({1})
Wenn ein solcher Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt,
dann löst er natürlich erst einmal Ängste aus,
({2})
wenn in ihm von Flexibilisierung und dem Wegfall von
Zahlungen die Rede ist.
({3})
Deswegen hat die Mobilisierung der Betroffenen bis in
die letzten Tage angehalten. Dabei gab es auch Übertreibungen und falsche Ängste. Für wichtig halte ich, dass
hierbei auch ein dauerhaftes Engagement zum Ausdruck
gebracht wurde. Es ist keine Resignation und kein Abwenden von der Politik, wie wir das von anderen Bereichen kennen. Vielmehr handelte es sich um eine sachliche Diskussion, die dann auch zu einem Ergebnis
geführt hat.
({4})
Zum Schluss war aber allen gemeinsam alles klar:
Wir mussten handeln, weil wir den Beschäftigungspakt
Klaus Barthel ({5})
bei der Deutschen Telekom ermöglichen müssen. Wir
mussten handeln, weil wir praktikable Regelungen zum
Einsatz von Beamten bei Tochterunternehmen von Post
AG und Telekom AG schaffen müssen. Und wir mussten
handeln, weil wir es dem Bundesfinanzministerium ermöglichen müssen, auf dem Verordnungsweg Regelungen der Sozialpartner abzubilden, die auch den immer
unterschiedlicher werdenden Anforderungen der beiden
Betriebe gerecht werden. Das alles war mit dem alten
Recht eben nicht mehr möglich.
Neue Handlungsspielräume für die Unternehmen
müssen aber mit den entsprechenden Sicherungen,
Schutzmechanismen und Mitbestimmungsregelungen
ausbalanciert werden.
Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir die Arbeitsbedingungen und die Rechte aller Beschäftigten sichern, aber auch harmonisieren wollen. Es kann nämlich
nicht sein, dass es vom Status eines Beschäftigten und
von der Unternehmenskonstruktion abhängt, ob ein Beschäftigter an derselben Stelle mit demselben Geld in
derselben Tätigkeit arbeitet oder nicht arbeitet.
({6})
Gleichzeitig haben wir aber auch die beamtenrechtlichen Grundsätze beachtet. Ich will kurz auf die Hauptprobleme eingehen und sie benennen.
Der erste Problembereich ist die Zuweisung. Künftig
können die Unternehmen Beamtinnen und Beamte auch
ohne Zustimmung zu Töchtern versetzen, also „zuweisen“, wie dieser schreckliche obrigkeitsstaatliche Begriff
heißt. Aber wir nehmen die Befürchtungen und die Realität der Beschäftigten ernst und machen deutlich: Es
darf dabei keine Willkür geben. Der Rahmen ist die betriebliche Mitbestimmung und sind die Zumutbarkeitskriterien, wie sie sonst im jeweiligen Unternehmen auch
gelten.
({7})
Der zweite Bereich betrifft die Sonderzahlungen.
Auch das steht in der Begründung; das können Sie nachlesen
({8})
und das ist verbindlich. Durch die Regelung hinsichtlich
der Sonderzahlungen machen wir den Beschäftigungspakt bei der Telekom möglich, denn es darf nicht sein,
dass an der Form der Sonderzahlung so etwas wie die Sicherung von 10 000 Arbeitsplätzen scheitert. Das kann
doch nicht wahr sein!
({9})
Wenn sich die Sozialpartner zum Erhalt von Tausenden von Stellen auf Arbeitszeitverkürzung bei teilweisem Einkommensausgleich einigen, dann müssen wir
den rein formalen Weg dafür frei machen. Wir haben dafür gesorgt, dass genauso wie bei der Telekom auch bei
der Post und bei der Postbank künftig die Sonderzahlungen in ihrem Gesamtvolumen allen Beschäftigtengruppen zugute kommen. Wir haben die Befürchtung gehört,
die Sonderzahlung werde ersatzlos wegfallen; durch das
Gesetz, das wir heute verabschieden werden, haben wir
sie gegenstandslos gemacht.
({10})
Drittens. Mehrarbeit muss weiterhin in erster Linie
durch Freizeit ausgeglichen werden. Das passt in die Logik des Gesetzes.
Viertens. Bei der In-sich-Beurlaubung bleibt es bei
der Freiwilligkeit. Sie kann über zehn Jahre hinaus verlängert werden, aber nur im gegenseitigen Einvernehmen.
Sie sehen: Bei allen notwendigen Anpassungen an
Veränderungen haben wir Wort gehalten. Die Interessen
der Beamtinnen und Beamten sind gewahrt, die verfassungsrechtlichen Bedenken berücksichtigt, negative
Auswirkungen für Arbeiter und Angestellte ausgeschlossen sowie die Verhandlungsrechte von Betriebsräten und
Gewerkschaften gesichert.
Jetzt kommen wir zu Ihnen: Das hat die Koalition
wieder einmal alleine machen müssen. Abgeordnete von
Union und FDP haben zwar keine Gelegenheit verstreichen lassen, in Verbandspostillen und auf Veranstaltungen zu posieren
({11})
und sich mit starken Worten für das Berufsbeamtentum
aufzuplustern. Ich brauche hier nicht alle Namen und
Aussagen dazu zu nennen, die Bosbachs und wie sie alle
heißen. Aber eine besondere Reformerin soll heute erwähnt werden. Ich zitiere aus einer Verbandszeitschrift:
„Angela Merkel sagte den Beschäftigten ihre Unterstützung zu.“ Sie wird dann wörtlich zitiert: „Sie können gewiss sein, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiter
ein offenes Ohr für die besonderen Anliegen usw.
hat …“
({12})
Angesichts dieser Worte und dieses Beifalls von Ihnen hätten wir uns gefreut, von Ihnen dazu irgendetwas
zu hören oder zu lesen. Wir hatten Sie gebeten, uns Ihre
Änderungsvorschläge mitzuteilen, aber bis zum heutigen Tag haben Sie es nicht geschafft - weder Union
noch FDP -, auch nur eine Zeile zu verfassen. Wir hätten
mit Ihnen über alles gesprochen.
Das muss man sich sowieso einmal auf der Zunge
zergehen lassen: Ausgerechnet die Radikalreformer des
Arbeitsmarktes von Merkel über Singhammer bis zur
FDP, die den Kündigungsschutz abschaffen und Arbeitslose zur Manövriermasse machen wollen, ausgerechnet
Sie schwingen sich hier zu den Rettern des Berufsbeamtentums nach dem Modell des 19. Jahrhunderts auf! Das
ist doch absurd hoch drei.
({13})
Herr Kollege, Sie bedenken bitte, dass für weitere
nahe liegende Attacken leider keine Zeit mehr ist.
Ich bedenke die Zeit. - Wenn Sie also heute hier die
Gesetzesnovelle ablehnen, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, dass es Beamtinnen und Beamte ohne
Beschäftigung hier und verschärften Druck dort gibt.
({0})
Sie tragen die Verantwortung dafür, dass es eine Verdrängung von Arbeitern und Angestellten bei Post und
Telekom im Osten durch Beamte aus dem Westen geben
wird. Sie verantworten den Abbau von 10 000 Arbeitsplätzen bei der Deutschen Telekom. Sie verhindern
einen vernünftigen Personaleinsatz in den Unternehmen.
Also geben Sie sich bitte einen Ruck und stimmen Sie
der geänderten Fassung des Gesetzes zu.
Als Berichterstatter darf ich mich noch bei allen bedanken, die an diesem erfolgreichen Gesetz, wie es uns
heute vorliegt, mitgewirkt haben. Ich glaube, damit können wir uns gut sehen lassen.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Johannes Singhammer
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei diesem Gesetz mit dem langen Namen - Postpersonalrechtsänderungsgesetz - geht es um rund
160 000 Beamtinnen und Beamte und deren Familienangehörige, die sich vor zum Teil vielen Jahren für eine
Beamtenlaufbahn beworben haben und auch genommen
worden sind. Damit haben sie eine Reihe von Rechten,
aber auch Pflichten übernommen.
Wir wollen eines nicht, nämlich dass diese Beamtinnen und Beamten als Ballast empfunden werden. Wir
wollen, dass sie als Kapital für die beiden Unternehmen
Post und Telekom angesehen werden und dass sie bei allen Veränderungen auf einer festen Grundlage stehen
bleiben, auf die sie sich verlassen können.
({0})
Wir wissen, dass sich Post und Telekom in einem
Umstrukturierungsprozess befinden. Das möchte ich
vorausschicken. Beide befinden sich in einem Regulierungsprozess. Regulierung bedeutet im Klartext die Abgabe von Marktanteilen. Das ist der Sinn der Regulierung. Die großen ehemaligen Monopolisten sollen
Marktanteile abgeben. Das hat natürlich Auswirkungen
auf den Personalkörper, es sei denn, das Wirtschaftwachstum wäre so groß, dass es diese Veränderungen
absorbieren könnte. Leider ist das bei diesem Umfeld
und den Bedingungen, die Rot-Grün zu verantworten
hat, nicht zu erwarten.
Wir sehen aber ganz klar die Notwendigkeit von Veränderungen. Wir stimmen diesem Gesetz dennoch nicht
zu. Lassen Sie mich dazu drei Gründe in aller Kürze anführen.
Zunächst zum Verfahren: Dieses Gesetz liegt seit
fast zwei Jahren in den Schubladen der Bundesregierung. Es hätte in aller Ruhe beraten werden können.
Jetzt, nachdem die Unternehmen Tarifverträge abgeschlossen haben, ist Eilbedürftigkeit gegeben, weil damit
spätestens im Oktober eine Ungleichbehandlung zwischen Beamten und Angestellten gedroht hätte. Dadurch
wurde eine Beratung so, wie wir sie uns gewünscht und
vorgestellt haben, unmöglich. Diese Fehler im Verfahren
fallen allein auf Sie zurück.
({1})
Es gibt aber auch inhaltliche Gründe, von denen Sie
selbst wissen, wie problematisch sie sind. Ich will mich
auf zwei beschränken. Der eine Punkt betrifft die Frage
der Zuweisung auch gegen den Willen der Betroffenen.
Die Anhörung hat ergeben, dass es eine Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Zuweisung
auch gegen den Willen der Betroffenen gibt. Ich meine,
dass mit einigem guten Willen durchaus ein Weg hätte
gefunden werden können,
({2})
um diese Bedenken auszuräumen. Bei der Regelung, die
Sie jetzt in den Gesetzentwurf aufgenommen haben, bestehen diese Bedenken allerdings weiterhin.
In diesem Zusammenhang bleibt eine Reihe von Fragen unklar. Was geschieht beispielsweise, wenn diese
Zuweisung, also die Abordnung an ein Tochter- oder Enkelunternehmen der beiden Großunternehmen, die privatisiert sind, gegen den Willen der Beamten erfolgt, diese
Unternehmen sich jedoch später in ihrem Status verändern, also beispielsweise nicht mehr zu Post oder Telekom gehören, wenn sich auch die Eigentumsverhältnisse
ändern? Wer informiert dann die betroffenen Beamten
rechtzeitig?
Diese Fragen sind nicht rein akademischer Natur. Sie
sind sehr wichtig für die rechtliche Einordnung und den
Betriebsfrieden. Wir hätten uns hier eine entsprechende
Regelung gewünscht und ich denke, sie wäre auch erreichbar gewesen.
({3})
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren strittigen
Punkt eingehen, nämlich den Wegfall der SonderzahJohannes Singhammer
lungen. Die Regelung, die Sie jetzt vorschlagen, führt
allein schon zu einer schwer verständlichen Ungleichbehandlung der beiden Unternehmen.
({4})
Bei dem Postunternehmen werden die Sonderzahlungen - im Klartext heißt das Weihnachtsgeld - dazu benutzt, eine neue Form der Entlohnung in Form von Leistungsprämien zu erstellen. So weit, so gut.
({5})
- Ich bin natürlich für Leistung.
({6})
Aber, Herr Brandner, Sie wissen doch genau, wo das
Problem liegt: In dem einen Bereich wird ein neues System der Leistungsprämie installiert, in dem anderen Bereich, bei der Telekom, wird ein anderes Verfahren angewendet, bei dem es im Klartext um Kürzungen geht.
({7})
Im Gegenzug sollen auf eine bestimmte Weise Arbeitsplätze gesichert werden.
({8})
Allein daran sehen Sie, dass es hier eine Vielzahl von
Problemen gibt.
Ich sage Ihnen aber auch, wie der Lösungsweg hätte
aussehen können: Man hätte die Regelungen, die für
Bundesbeamte gelten, auf angemessene und synchrone
Weise auf die in privatisierten Unternehmen tätigen Beamten übertragen können.
({9})
- Natürlich gibt es den.
({10})
Das wäre der richtige Weg gewesen; denn die Übertragung dieser Regelungen wäre systematisch sauber gewesen.
({11})
Aus diesen Gründen tragen wir diesen Gesetzentwurf
nicht mit. Sie werden sehen, dass Sie durch die Eilbedürftigkeit noch weitere Probleme schaffen. Ich fürchte
daher, heute wird nicht das letzte Mal sein, dass sich der
Deutsche Bundestag mit diesen Fragen beschäftigt.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorwürfe der Opposition kann ich wirklich nicht nachvollziehen.
({0})
Denn die komplizierte Situation im Bereich des Postpersonalrechtsänderungsgesetzes, die wir übernommen haben, ist durch die Postreform II in den 90er-Jahren von
Ihnen initiiert worden.
Zur Wahrheit und Klarheit dieser Problematik gehört,
auch zur Kenntnis zu nehmen, dass damals ein ungewöhnlicher Weg beschritten worden ist. Wir haben
Staatsunternehmen privatisiert und gleichzeitig eine
große Zahl von Beamten in ein Beleihungsverhältnis mit
diesen privatisierten Unternehmen geschickt. Daraus hat
sich im Laufe der Jahre ein Spannungsverhältnis entwickelt: zwischen wirtschaftlichen Interessen, die von
der CDU/CSU auch im Innenausschuss anscheinend in
keiner Weise berücksichtigt werden, und den Zusagen
gegenüber den Beamtinnen und Beamten, dem Vertrauensschutz.
Wir haben diesen Gesetzentwurf auch nicht etwa
hopplahopp beraten. Ich persönlich bin seit anderthalb
Jahren mit dieser Problematik befasst. Gemeinsam mit
den Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben wir
sehr intensive Gespräche mit den Gewerkschaften, mit
Verdi und dem Deutschen Beamtenbund, aber selbstverständlich auch mit den Post AGs, also mit den betroffenen Unternehmen, geführt.
Dann haben wir eine Anhörung durchgeführt, die
meiner Meinung nach sehr interessant war. Im Anschluss an diese Anhörung hätten Sie, die Opposition
von CDU und CSU - so handlungsunfähig sind Sie doch
gar nicht -, wenn Sie es gewollt und den Mut dazu gehabt hätten, den Konflikt zwischen Beamtenrecht und
Wirtschaftsinteressen in Ihrer eigenen Fraktion thematisieren können.
({1})
Aber Ihre Fraktion war nicht in der Lage, Änderungsanträge zu formulieren, weil Sie diesen Konflikt in Ihrer eigenen Fraktion nicht auflösen konnten.
({2})
Rot-Grün hat diesen Konflikt aufgelöst. Wir haben einige zentrale Forderungen, die in der Anhörung, die Sie
auch angesprochen haben, erhoben worden waren, aufgegriffen. Das finde ich auch gut. Ich möchte mich bei
allen Beteiligten dafür bedanken, dass der Gesetzentwurf
der Bundesregierung aus den Fraktionen heraus in sehr
verantwortlicher Weise abgeändert worden ist. So haben
wir zum Beispiel sichergestellt, dass der Wegfall der Sonderzahlungen erst dann in Kraft tritt, wenn mit Blick auf
die betroffenen Unternehmen eine Verordnung über ein
leistungsbezogenes Entgelt bzw. über Sonderzahlungen
zustande gekommen ist. Wir haben Rücksicht genommen - ich finde es auch richtig - und als Staat, als parlamentarischer Gesetzgeber abgewartet und nicht in die
Tarifautonomie eingegriffen. Wir haben erst einmal geschaut, was Unternehmen und Gewerkschaften im Rahmen eines Beschäftigungspaktes untereinander regeln
können; das hat für uns Vorrang. Wir haben sichergestellt, dass Überstunden auch weiterhin vorrangig durch
Freizeit und nicht durch Geld ausgeglichen werden; auch
dies ist eine Forderung der Gewerkschaften.
Hinsichtlich der Zuweisungen möchte ich hier fragen
- das müssten Sie dann auch einmal beantworten -: Über
welche Zuweisungen haben wir denn im Zusammenhang
mit Hartz IV geredet? Was sind das für Zuweisungen gewesen, die Sie aus den Reihen der Union ja noch erheblich verschärfen wollten? Ich bin zur Veranstaltung von
Verdi gegangen und habe den Beamtinnen und Beamten
gesagt: Jawohl, diese Flexibilisierung, auch woanders
als beim Mutterunternehmen beschäftigt werden zu können, muss sein. Wer eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie mit Pensionsanspruch hat, dem muss es doch bitte
schön möglich sein, ein bisschen Flexibilität zu zeigen.
Wenn 20 000 Beamte beschäftigungslos in diesen Unternehmen sitzen, muss man doch etwas mehr Flexibilität
fordern können. Deshalb müssen in dem Rahmen, den
wir geschaffen haben, Zuweisungen doch möglich sein.
({3})
Zum Schluss will ich Ihnen sagen: Bei Zuweisungen
ohne Zustimmung muss weiterhin geprüft werden, ob
die Zuweisung zumutbar ist. Der Betriebsrat wird im
strittigen Fall einbezogen. Die letzte Entscheidung hat
das BMF. Es wird doch niemand - das ist Propaganda
gewesen - willkürlich versetzt. Es werden doch nicht
willkürlich Familien auseinander gerissen. Es gibt ein
Verfahren der Abwägung, was zumutbar ist und was
nicht.
Ich denke, dass Rot-Grün hier gute Arbeit geleistet
hat. Wir haben Verantwortung übernommen und einen
Interessenausgleich geschaffen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, wieso Sie das Verfahren nicht mitgestaltet
haben und unsere Ergebnisse einfach nur ablehnen.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Funke, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundlage
der Privatisierung der Postunternehmen im
Jahre 1994 ist das Gesetzespaket zur Postreform II.
Dieses Gesetzespaket wurde vom Deutschen Bundestag
mit großer Mehrheit - im Übrigen, Herr Brandner, auch
mit den Stimmen der SPD - beschlossen. Verhandlungsführer waren damals Herr Clement auf der SPD-Seite,
Herr Bötsch von der Union und ich auf der FDP-Seite.
Ich kann mich noch ganz genau an dieses Gesetzespaket
erinnern: Es ist ein Kompromiss gewesen.
({0})
Wie immer bei Kompromissen hat es gute und böse
Tropfen gegeben und auch in letzter Minute haben wir
noch das eine oder andere verändern müssen. Unter anderem wurde festgelegt, dass die Rechtsstellung der betroffenen Beamten durch die Privatisierung unberührt
bleibt. Zu Art. 143 b Abs. 3 Grundgesetz heißt es:
Die bei der Deutschen Bundespost tätigen Bundesbeamten werden unter Wahrung ihrer Rechtsstellung und der Verantwortung des Dienstherrn bei
den privaten Unternehmen beschäftigt.
({1})
- „Beschäftigt“, jawohl; auch das ist die Verantwortung
der Unternehmen. Und sie sollten nicht anders behandelt
werden als beispielsweise die Bundesbeamten im verantwortlichen Bundesfinanzministerium.
An diese Zusage fühlt sich die FDP, fühle ich mich als
Verhandlungsführer der FDP in diesem kleinen Zirkel
nach wie vor gebunden. Deswegen stimmen wir diesem
verfassungswidrigen Gesetz nicht zu.
({2})
Es war das Leitbild der Postreform II, die Postbeamten hinsichtlich ihres beruflichen Fortkommens den anderen Bundesbeamten gleichzustellen. Herr Brandner,
Sie sind damals vonseiten der SPD zu den Beamten gegangen und haben entsprechende Zusagen gemacht.
({3})
Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Sie halten hier nicht Wort. Das muss man leider sagen.
({4})
Sie von der SPD sagen, wir hätten nicht mitgewirkt.
Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Barthel, dass das
eine schlichte Lüge ist. Wir haben uns immer wieder für
Berichterstattergespräche angeboten. Sie haben uns stattdessen Ihre Änderungswünsche am Montagabend zu
nachtschlafener Zeit gegeben.
({5})
Am Mittwoch sollten wir sie im Ausschuss abnicken. Es
gab kein Berichterstattergespräch, obwohl wir mehrfach
darum gebeten haben.
({6})
Das ist eine schlechte parlamentarische Übung. Sie sollten sie nicht fortsetzen.
Solch wichtige Gesetze sollten wir parlamentarisch
sauber miteinander beraten und nicht erst in letzter Minute mit Änderungen versehen in die Ausschüsse geben.
Solch schwierige Gesetze sollten wir gemeinsam erarbeiten. Zum Beispiel bezüglich der Zuweisung an Tochter- und Enkelgesellschaften wären wir zu Kompromissen bereit gewesen.
({7})
- Wir haben Ihnen das mehrfach gesagt und wir haben
Anhörungen in der eigenen Fraktion dazu durchgeführt.
Das war auch notwendig. Sie haben sich verweigert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Kemper, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin froh, dass wir heute mit der Verabschiedung des
Postpersonalrechtsgesetzes ein Gesetzesvorhaben zu
Ende bringen, das im Vorfeld für starke Unruhe gesorgt
hat und das im Prinzip auch starke Ängste ausgelöst hat.
Es handelt sich hier um die Beseitigung der Spätfolgen der Privatisierung von Bundesbehörden unter
Beibehaltung des Beamtenverhältnisses für circa
160 000 Beamte. Das ist eine völlig atypische Konstellation, die aber damals von der Opposition und der Regierung gemeinsam beschlossen worden ist. Wir stehen
heute dazu. Diejenigen jedoch, die damals die Verantwortung hatten, versuchen sich heute aus der Verantwortung zu stehlen.
({0})
Nun hat sich die Situation ergeben, dass in vielen
Mutterunternehmen Beamte beschäftigt sind, die nicht
beschäftigt sind. Für sie ist keine Arbeit da. Wir wollen
aber keine arbeitslosen Beamten, wir wollen, dass die
Beamten ihrer Ausbildung und ihrer Besoldung entsprechend adäquat beschäftigt werden. Die Beamten wollen
das im Übrigen auch.
({1})
Um dies zu gewährleisten, bedurfte es des Instruments
der Zuweisung. Dieses Instrument bedeutet, dass Beamte nicht nur in den Mutterunternehmen, sondern auch
in den Tochter- und Enkelunternehmen beschäftigt werden können, soweit es sich um Unternehmen handelt, die
sich mehrheitlich im Bundesbesitz befinden. Hierdurch
ist gewährleistet, dass die Beamten zwar umgesetzt werden können, nicht aber in ihren angestammten Rechten
beschnitten werden.
Ich denke, diese Regelung ist insbesondere unter dem
Aspekt zumutbar, dass es sich bei den Betroffenen um
Bundesbeamte handelt, die wie alle anderen Bundesbeamten auch bundesweit einsetzbar sein müssen. Herr
Funke, die Bundesbeamten unterschreiben das, wenn sie
ins Beamtenverhältnis eintreten.
({2})
Ich beziehe mich jetzt einmal ausschließlich auf die
Post AG. Ich weiß, dass dieses Thema im Vorfeld angstbesetzt war. Wir wissen natürlich auch, dass wir es bei
den Postbediensteten nicht nur mit A-15-, A-16- oder
B-Besoldeten, sondern auch mit vielen Beamten des einfachen und des mittleren Dienstes zu tun haben. Dem haben wir Rechnung getragen. Unter besonderer Beachtung der Zumutbarkeitskriterien, wie es sie bei den
Tarifbeschäftigten gibt, haben wir eine Rationalisierungsschutzklausel mit aufgenommen. Das schützt die
Beamten. So ist ausgeschlossen, dass die Beamten unzumutbar versetzt und belastet werden können. Ich glaube,
wir haben in diesem Punkt den berechtigten Anliegen
der Beamten Rechnung getragen. Nach unserem Dafürhalten sind Ängste in diesem Punkt völlig unbegründet.
({3})
In einem zweiten Schritt ging es um die Jahressonderzahlungen. Das ist so geregelt worden, dass bei der
Telekom die Jahressonderzahlungen mit der Arbeitszeitverkürzung zur Rettung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen verrechnet worden sind.
Bei der Post sollten die Sonderzahlungen in eine
Leistungsprämie umgewandelt werden. Wir haben für
die Beamten im öffentlichen Dienst immer die Einführung von Leistungselementen gefordert. Sie haben eifrig
genickt und so getan, als ob Sie dabei mitmachen wollten. Bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestand jedoch die Sorge, dass die Post die Leistungsprämien verändern oder streichen könnte, weil diese
zunächst formaljuristisch abgeschafft werden müssen,
um dann auf eine neue Basis gestellt werden zu können.
Hier haben wir festgelegt, dass erst mit In-Kraft-Treten
einer neuen Rechtsverordnung die alte Leistungsprämienregelung verändert werden kann. Das heißt, in diesem Jahr bleiben die Sonderzahlungen völlig unverändert. Veränderungen werden sich erst mit In-KraftTreten einer neuen Rechtsverordnung ergeben.
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen: Freizeitausgleich. Die Post wollte Überstunden vorrangig
auszahlen. Dazu haben uns die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erklärt, das führt möglicherweise zu Arbeitsplatzabbau und eben nicht zur Sicherung bestehender Arbeitsplätze. Wir sind dieser Argumentation gefolgt
und haben vereinbart: Es bleibt bei der jetzigen Regelung, dass Überstunden zunächst durch Freizeit abgebaut
werden und erst dann, wenn das nicht möglich ist, vergütet werden. Damit haben wir die Sorgen der Beschäftigten aufgenommen.
({4})
Ich bin der Meinung, dass wir in zähen und schwierigen Verhandlungen mit den Arbeitnehmern, den Gewerkschaften und den Betriebsräten ein Höchstmaß an
sozialer Sicherheit erzielt haben, gleichzeitig aber auch
den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Zwängen
bei der Privatisierung von Bundesunternehmen Rechnung getragen haben.
Noch ein Wort an die Opposition. Ich kann Ihnen nur
raten, Dingen, die Sie im Prinzip längst als richtig erkannt und im Vorfeld immer wieder gefordert haben, zuzustimmen, wenn es darauf ankommt. Ich war über Ihre
Argumente, Ihre ablehnende Haltung im Innenausschuss
und ebenso über Ihre heutige Ankündigung der Ablehnung erstaunt, überrascht und auch verärgert. Sie reden
stets einer leistungsbezogenen Beamtenbesoldung das
Wort. Wenn es aber Ernst wird, dann kneifen Sie. Das ist
Populismus pur.
({5})
Die Handlungsweise, die Sie hier an den Tag legen,
erinnert mich ganz fatal an Ihre Verhaltensweise bei der
Agenda 2010. Sie haben über den Bundesrat Verschärfungen herbeigeführt und überall zugestimmt. Als es
dann jedoch Ernst wurde, haben Sie sich in die Büsche
geschlagen. Das ist keine seriöse Politik. Die Wähler
werden Ihnen auf die Schliche kommen; da bin ich ganz
sicher.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn wir
heute über das Postpersonalrechtsgesetz und die vorgesehenen Änderungen debattieren, geht es um Begriffe
wie Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit, aber auch
um Begriffe wie Verlässlichkeit und Vertrauen.
160 000 ehemalige Bundesbeamte arbeiten noch
heute bei den börsennotierten Unternehmen Post AG,
Postbank AG und Telekom AG. Diese 160 000 Beschäftigten haben schon 20 oder 30 Berufsjahre hinter sich.
Sie haben vor vielleicht 30 Jahren ihre Berufswahl getroffen, sich qualifiziert und diese Unternehmen zu dem
gemacht, was sie heute sind: erfolgreiche Global Player
im Bereich der Telekommunikation oder der Postdienstleistungen.
Ich muss schon sagen, Frau Kollegin Stokar: Kühler
und abweisender, als Sie ihn formuliert haben, kann man
einen Beitrag nicht vortragen.
({0})
Die Beschäftigten kamen in Ihrer Rede wie auch in der
Argumentation im Innenausschuss nicht ein einziges
Mal vor. Das zeigt Ihre wahre Haltung. Es geht hier aber
auch um die Beschäftigten.
({1})
Dass sich diese Unternehmen einem stärkeren Konkurrenzdruck stellen müssen, ist unbestritten. Dass diese
Unternehmen dazu Instrumente brauchen, um ihr Personal flexibel einzusetzen, bestreiten wir auch nicht.
({2})
Wenn jetzt aber als Einschnitte die Streichung der Sonderzahlung und die Zuweisung auch gegen den Willen
des Beschäftigten vorgeschlagen werden,
({3})
muss man zumindest die Frage stellen, ob diese beiden
Maßnahmen auch mehr Beschäftigung bringen. Das war
doch das Argument. Sie müssen sich schon vorhalten
lassen, dass die Skepsis der Beschäftigten ihre Gründe
hat.
({4})
- Zuhören wäre auch eine Sternstunde, Frau Kollegin. Herr Funke hat es angesprochen: Vor mehr als zehn Jahren hat man den Beschäftigten etwas zugesichert und
den Art. 143 b ins Grundgesetz geschrieben. Die Realität
heute sieht in Teilen anders aus. Ich sage bewusst: in Teilen. Man muss die Sorgen der Beschäftigten ernst nehmen, dass die Zuweisung so angewandt wird, dass sie
weit unter Wert beschäftigt werden. Wir alle, auch Sie,
haben Briefe bekommen, in denen sich Beschäftigte beklagen und sagen, dass sie gerne das arbeiten wollen,
was sie können und was sie gelernt haben, sie aber unter
Wert eingesetzt werden. Das sollte man wenigstens ernst
nehmen.
({5})
Man kann darüber diskutieren, aber Sie blenden das
komplett aus. Sie machen bei dieser Reform die gleichen
Fehler wie bei Hartz IV.
({6})
Die Reform ist technokratisch und Sie haben nur das
Fordern im Blick. Das Fördern kommt bei Ihnen nicht
vor. Schauen Sie sich beispielsweise die Realität bei
Vivento an. Es sitzen hoch qualifizierte Mitarbeiter, auch
Fernmeldeingenieure, zu Hause und warten jeden Tag
auf den Anruf. Wenn der bis 9 Uhr nicht kommt, ist der
Rest des Tages frei. Der Anruf kommt so gut wie nie.
Das ist nicht zufriedenstellend.
({7})
Die Beschäftigten zermürbt das, sie gehen seelisch kaputt.
({8})
Das ist die Vorstufe zur Frühpensionierung. Das wollen
wir nicht.
({9})
Sie brauchen mir nicht zu sagen, dass mit den Maßnahmen, die Sie heute auf den Weg bringen, dieser Mangel
bei Vivento beseitigt werden könnte. Mit der Streichung
des Weihnachtsgeldes wird doch nicht der Mangel beseitigt, er wird noch schlimmer.
({10})
Um einer Mär entgegenzutreten: Wir hätten schon
mitgemacht und Veränderungen mitgetragen. Aber tun
Sie nicht so, meine Damen und Herren von der Regierung, als ob unsere Anträge Sie in Ihrer festgelegten und
vorgefassten Meinung jemals beeindruckt hätten. Sie beeindruckt doch nur unsere Mehrheit im Bundesrat. Argumente hier haben Sie doch noch nie beeindruckt. Also
lassen Sie die Bemerkung, dass wir keine Anträge geschrieben haben.
({11})
Wir wären einen Weg mitgegangen, den ich nennen
möchte, damit er im Protokoll steht. Kollege Kemper hat
immer wieder darauf hingewiesen, dass man die gleichen Regelungen wie bei Bundesbeamten - ich nenne
zum Beispiel die bundesweite Versetzung - anwenden
soll. Man kann dafür sein, sollte dann aber auch die
Rechte beachten. Wir hätten dann gefragt, warum es
nicht analog zu den Bundesbeamten eine Öffnungsklausel zur Sonderzahlung gibt.
({12})
Bei der Zuweisung verschließen wir uns auch nicht.
Wenn Arbeit da ist und sie zumutbar ist, muss eine Zuweisung möglich sein.
({13})
- Nein, Herr Stiegler, ein Blick ins Gesetz wird Sie eines
Besseren belehren. Im Gesetz steht nämlich nichts von
den Rationalisierungsschutzvorschriften. Das wäre unser
Wunsch gewesen. Sie haben das nur in die Begründung
geschrieben. Das sind die Mängel, die heute wieder zutage gekommen sind.
({14})
Sie müssen der Bevölkerung in diesem Land auch
klar machen - das nur am Rande -, warum sich die Post
auf der einen Seite aus der Fläche immer mehr zurückzieht - das ist rechtlich nicht zu beanstanden, für die Bevölkerung aber sehr schmerzhaft -, auf der anderen Seite
aber für das Personal keine Arbeit da ist. Auch mit dieser
Frage müssen wir uns auseinander setzen.
Wir haben Ihnen nicht zugestimmt und werden Ihnen
nicht zustimmen, weil Sie von den vier Begriffen, die ich
eingangs genannt habe, die Begriffe Verlässlichkeit und
Vertrauen mit Füßen treten. Bei Ihnen sind die Beschäftigten nicht gut aufgehoben. Deshalb stimmen wir mit
Nein.
({15})
Es gibt nun noch eine Rede, die die Kollegin Petra
Pau allerdings zu Protokoll gegeben hat.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postpersonalrechtsgesetzes auf
den Drucksachen 15/3404 und 15/3591. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3732, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Damit
ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. September 2004, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.