Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/10/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Heute vor 15 Jahren, am 10. September 1989, gab der ungarische Außenminister den Beschluss seiner Regierung bekannt, dass ab Mitternacht DDR-Bürger mit ihren Pässen, Personalausweisen oder Rot-Kreuz-Papieren die Volksrepublik Ungarn in ein Drittland verlassen können, das bereit ist, sie aufzunehmen. Diese Entscheidung der ungarischen Regierung öffnete den Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die in den vorangegangenen Wochen in Ungarn Zuflucht gesucht hatten, den Weg in die Freiheit. Bis Ende September hatten bereits über 32 000 Personen die Grenze überschritten. Der mutige Schritt der ungarischen Regierung stellte den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die sich immer schneller vollzog und die uns alle den geschichtlichen Wandel förmlich spüren ließ. Ob der Beginn des Abbaus des Eisernen Vorhangs an der österreichisch-ungarischen Grenze am 2. Mai 1989, das Durchschneiden der Grenzanlagen durch Außenminister Gyula Horn und seinen österreichischen Kollegen Alois Mock am 27. Juni 1989, das Paneuropäische Picknick in Sopron am 19. August 1989 - all diese Ereignisse markierten den unfassbaren Aufbruch, der Europa ergriff und der am Ende des Jahres 1989 der Teilung unseres Landes durch Beton, Stacheldraht und Todesstreifen ein Ende bereitet hatte. In der Folge dieser Ereignisse, die das ungarische Volk und seine Regierung durch ihren Mut und ihre Entschlossenheit ermöglicht und beschleunigt haben, ist auch Europa zusammengewachsen. Seit dem 1. Mai 2004 ist Ungarn selbst Mitglied der Europäischen Union und wir gestalten gemeinsam ein demokratisches Europa. Ungarn hat eine Werbekampagne aus Anlass des 15. Jahrestages der Öffnung des Eisernen Vorhangs unter das Motto gestellt: Heute so wie damals - eine grenzenlose Freundschaft. Diesem Motto schließen wir uns gerne an. ({0}) Aufgrund des Mandatsverzichts der Kollegin Tanja Gönner sind in einigen Gremien Nachbesetzungen vorzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für die Nachfolge im Parlamentarischen Beirat für nach- haltige Entwicklung den Kollegen Helge Braun als ordentliches Mitglied vor, im Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes den Kollegen Clemens Binninger als stellvertretendes Mitglied, im Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bun- desrepublik Deutschland“ den Kollegen Ralf Göbel als stellvertretendes Mitglied und in der Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Moder- nisierung der bundesstaatlichen Ordnung den Kollegen Michael Grosse-Brömer als stellvertretendes Mitglied. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die genannten Kollegen wie vor- gesehen in die jeweiligen Gremien gewählt bzw. ent- sandt. Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 ({1}) - Drucksache 15/3660 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 - Drucksache 15/3661 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache zum Bundeshaushalt dreieinhalb Stunden beschlossen haben. Redetext Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Die Natur macht es uns vor: Der Wandel und die Fähigkeit, sich zu verändern, sind die Grundbedingungen aller Existenz. Deshalb sind Fortschritt und Innovation die Garanten für eine lebenswerte Zukunft. Für unser Land und unsere Gesellschaft darf nichts anderes gelten. Der veränderte Altersaufbau unserer Gesellschaft und der sich verschärfende internationale Wettbewerb stellen uns vor grundlegend neue Herausforderungen. ({0}) Die wirksamste Antwort, die wir darauf geben können, sind Investitionen in Bildung und Forschung. Das, Herr Kampeter, wird sicherlich auch der Opposition nützen. Bildung ist der Schlüssel zu Teilhabe und Beschäftigung, ({1}) zu wirtschaftlichem Wachstum und Spitzenforschung. Durch Forschung entstehen Ideen für neue Produkte, Konzepte für bessere Verfahren und innovative Dienstleistungen. Beides zusammen schafft die Grundlage für Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und die Arbeitsplätze von morgen und damit auch die Sicherheit und die Zukunftschancen, die die Menschen benötigen. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung mit der Agenda 2010 längst fällige Reformen in Angriff genommen, Reformen, die spätestens in den 80er-Jahren hätten in Angriff genommen werden müssen, vor denen Sie sich aber gescheut haben. ({2}) Wir haben sie in Angriff genommen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir jetzt handeln müssen, um innovativer und international wettbewerbsfähiger zu werden. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, setzt aber voraus, dass es uns allen ernst ist mit der Kürzung von Subventionen der Vergangenheit ({3}) und neuen Weichenstellungen hin zu Investitionen in die Zukunft. Wenn am Sonntag die Bedeutung von Investitionen in die Köpfe betont und gefordert wird, am Montag aber gesagt wird, nein, wir investieren in Beton, dann ist das nicht glaubwürdig. So können wir die Menschen nicht für die Zukunft gewinnen. ({4}) Unser Vorschlag, woher zusätzliches Geld, auch für die Länder und Kommunen, kommen soll, liegt auf dem Tisch. Wir wollen die Eigenheimzulage abschaffen und die frei werdenden Mittel - das sind immerhin 6 bis 7 Milliarden Euro - in Bildung und Forschung, in Innovation, also in unsere Zukunft, investieren. ({5}) Die Länder können mit diesem Geld endlich die Lehrer und Hochschullehrer einstellen, die wir an unseren Schulen und Hochschulen so dringend brauchen. ({6}) Deshalb, meine Herren und Damen von der Union, denken Sie um! Geben Sie Ihre bisherige Blockadehaltung auf und sagen Sie Ja zu Investitionen in die Zukunft! ({7}) Unser Kopf ist rund, damit unser Denken die Richtung wechseln kann. Nutzen Sie diese Chance! ({8}) Für Bildung und Forschung werden im BMBF im kommenden Jahr insgesamt 10 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Im Einzelnen sind das: 8,464 Milliarden Euro im Etat des BMBF, im Einzelplan 30, 1 Milliarde Euro für das Ganztagsschulprogramm der Bundesregierung und 445 Millionen Euro für BAföG-Darlehen, also für die Studienfinanzierung. Wir werden damit im Haushalt 2005 die Ausgaben für Bildung und Forschung gegenüber 1998 um rund 36,4 Prozent erhöhen. Das ist eine klare Trendumkehr gegenüber den Jahren der Kürzungen unter der Kohl-Regierung. ({9}) Zwischen 1992 und 1998 wurden rund 670 Millionen Euro aus diesem Zukunftsbereich herausgestrichen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben damals durch diese massiven Mittelkürzungen und auch durch den absoluten Stillstand bei notwenigen ReforBundesministerin Edelgard Bulmahn men, zum Beispiel im Bildungsbereich, einen gewaltigen Rückstand verursacht, den wir heute teilweise noch immer spüren. ({10}) Wir bekennen uns klar zu mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Wir werden dabei auch neue Wege einschlagen. Zu einer guten Innovationspolitik gehören auf der einen Seite die finanziellen Investitionen. Dazu haben wir einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Auf der anderen Seite gehört dazu auch die Schaffung neuer, zeitgerechter Strukturen. Die Innovationsinitiative, die wir Anfang des Jahres gestartet haben, beinhaltet drei Kernpunkte. Ich will sie hier nennen. Erster Punkt. Ich bin davon überzeugt, dass die Hochschulen unseres Landes, die eine so wichtige Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes spielen, weiter gestärkt werden müssen, ({11}) wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe sowie um exzellente Forschungsergebnisse und innovative Produkte international konkurrenzfähig bleiben wollen. Dafür ist in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Menge geschehen und in Bewegung gesetzt worden. Stichworte sind beispielsweise: das neue Besoldungsgesetz - es sieht eine leistungsgerechte Bezahlung von Professoren vor; endlich gehen die Länder daran, dieses Gesetz umzusetzen -, die Bachelor- und Masterstudiengänge, die Einführung der Juniorprofessur wie auch die Programme zur Nachwuchsförderung, die wir gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den Weg gebracht haben. ({12}) Die Juniorprofessur ist ein international akzeptierter Karriereweg. Frau Reiche, im Übrigen haben die Wissenschaftsminister aller Länder gesagt, dass sie diesen Karriereweg für wichtig und notwendig erachten. ({13}) Nach diesen wichtigen Strukturveränderungen und Erneuerungen, die wir im Hochschulbereich umgesetzt haben, muss es jetzt auch darum gehen, das Profil unserer Hochschulen so zu schärfen, dass sie weltweit erkennbar sind und als Spitzenhochschulen eine wichtige Rolle spielen. Gerade weil wir unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen brauchen, gerade weil wir ein sehr leistungsfähiges Wissenschaftssystem haben, müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen. Denn auch unsere Nachbarn tun dies. Daher brauchen wir in unserem Land forschungsstarke Spitzenuniversitäten. Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Chancen haben, unsere Universitäten durch diesen Wettbewerb so zu stärken und zu positionieren, dass sie weltweites Renommee besitzen und als Orte gelten, an denen hervorragend gelehrt und hervorragend geforscht wird. ({14}) Von uns aus kann es losgehen. ({15}) Ich frage Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der CDU - ich sage ganz bewusst: von der CDU -: Wollen Sie den Hochschulen tatsächlich diese Chance rauben, nur weil einige Ihrer Ministerpräsidenten Parteitaktik an die erste Stelle setzen? ({16}) Die Mittel für den Wettbewerb - das will ich hier noch einmal ausdrücklich betonen - werden den Hochschulen zusätzlich zur Verfügung gestellt. ({17}) Das heißt zugleich, dass wir die Breitenförderung der Hochschulen so fortsetzen wie in den vergangenen Jahren und in diesem Jahr. Wir fördern den Hochschulbau weiterhin jährlich mit 925 Millionen Euro. Das ist im Übrigen immer noch deutlich mehr als das, was Sie in den 90er-Jahren in den Hochschulbau investiert haben. ({18}) Um es ganz klar zu sagen: Sie haben damals wirklich massiv gekürzt. Wir investieren mehr. Wir werden das auch fortsetzen. ({19}) Insgesamt stehen im kommenden Jahr rund 3,27 Milliarden Euro für den Hochschulbereich zur Verfügung. Das sind 23 Prozent mehr als noch 1998. Ich sage ausdrücklich: Wenn in den Jahren vorher eine vergleichbare Steigerungsrate erreicht worden wäre, wenn alle Länder im gleichen Umfang ihre Investitionen für die Hochschulen erhöht hätten, dann stünden wir deutlich besser da. Die Bundesregierung hat hier ein klares Signal gesetzt und die Hochschulen gestärkt. Aber auch von anderer Seite muss es entsprechende Aktivitäten geben. ({20}) Die Wissenschaft - damit komme ich zu meinem zweiten Punkt - bewegt sich in mehrjährigen Zyklen und braucht langfristige Perspektiven. Wir haben deshalb den großen außeruniversitären Forschungs- und Förderorganisationen einen Pakt für Forschung und Innovationen angeboten. Sie erhalten Planungssicherheit und bis 2010 von Bund und Ländern einen jährlichen Mittelzuwachs von mindestens 3 Prozent. Das entspricht einem Plus von rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine Stärkung des Wettbewerbs innerhalb der Forschungsorganisationen und auch untereinander sowie eine stärkere Vernetzung zwischen Universitäten, Hochschulen und außeruniversitärer Forschung. Wir brauchen eine noch bessere Nachwuchsförderung und mehr Mut, auch risikoreiche Forschungsansätze gezielt zu verfolgen. Denn wir brauchen nicht nur mehr Geld für Forschung, sondern auch mehr Forschung und Qualität für das Geld. ({21}) Deshalb - das ist der dritte Punkt - setzen wir klare Schwerpunkte in der Projektförderung, zum Beispiel in der Gesundheitsforschung, bei der Nanotechnologie oder bei den Kommunikations- und Informationstechnologien. Unser Grundsatz heißt: Weg vom Prinzip Gießkanne! Gefördert wird, was Exzellenz und Arbeit schafft. Wir wollen die Technologieführerschaften ausbauen und neue Wachstumsfelder erschließen, die wir in unserer Wirtschaft brauchen, und dabei den Hebel ganz gezielt bei den kleinen und mittleren Unternehmen ansetzen. Die Basis dafür haben wir im Übrigen in den vergangenen Jahren gelegt. Wir haben seit 1998 die Projektförderung um 35 Prozent gesteigert. Das lässt sich sehen. Diese offensive Politik, diese Politik für Bildung und Forschung zeigt Wirkung. Unser Land ist leistungsfähig. ({22}) Wir können in unserem Land eine ganze Menge. Wir sollten das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit nicht schlechtreden und nicht zerstören lassen. ({23}) Ganz im Gegenteil: Wir setzen an den Stärken an, die wir haben. Wir fördern unsere Stärken und werden dadurch immer besser. Ich will ein Beispiel nennen: den Automobilbau. ({24}) Die deutschen Automobilunternehmen sind nach wie vor die Besten in der Welt. Wer hier nur von einer traditionellen Branche spricht, vergisst, dass die Autos von heute technologische Spitzenprodukte sind. Auf dieser Erfolgsspur bleiben unsere Unternehmen nur, wenn es ihnen auch weiterhin gelingt, die neuesten Hightechentwicklungen zum Beispiel in der Nanotechnologie oder in der Mikroelektronik förmlich aufzusaugen und für die eigenen Produkte nutzbar zu machen. Deshalb ist Forschung so wichtig. ({25}) Ich will ein zweites Beispiel nennen: die Nanotechnologie. Das Ministerium für Bildung und Forschung hat die Mittel für die Projektförderung in diesem Bereich seit 2002 auf rund 123 Millionen Euro im Jahre 2005 fast verdoppelt. Unsere Förderung hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass wir in den volkswirtschaftlich wichtigen Branchen nach wie vor sehr gut sind. Ganz konkret hat sie dazu beigetragen, dass sich der Raum Dresden inzwischen zu dem europäischen Elektronikstandort entwickelt hat. Durch unsere offensive, massive Forschungsförderung sind dort in den letzten Jahren direkt und indirekt rund 20 000 Arbeitsplätze entstanden. ({26}) Es geht uns bei der Forschungsförderung aber auch darum, unsere Zukunft lebenswert zu gestalten; ich habe am Anfang meiner Rede darauf hingewiesen. Deshalb haben wir zum Beispiel das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ auf den Weg gebracht. Wir werden dort in den nächsten fünf Jahren rund 800 Millionen Euro in Konzepte und Technologien investieren, die wirtschaftlich und sozial verträglich sind und die die Umwelt schonen. Wir sind schon heute weltweit mit einem Anteil von 16 Prozent der zweitgrößte Exporteur auf dem internationalen Umweltschutzmarkt. Diese Position wollen wir stärken und ausbauen. ({27}) Innovationen sind das A und O des Aufbaus Ost. Wir haben mit dem Programm „Unternehmen Region“ eine eigene Förderstrategie für Ostdeutschland entwickelt, die von den Wirtschaftsweisen, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und sogar von einigen Kollegen aus der Opposition für richtig und erfolgreich befunden wird. Wachstumskerne stärken, diesen Weg verfolgen wir seit fünf Jahren mit zunehmendem Erfolg. Für diese Förderung stellt das Bundesministerium pro Jahr rund 98 Millionen Euro zur Verfügung. Über den Zeitraum von 1999 bis 2007 sind das insgesamt mehr als 550 Millionen Euro. Das bedeutet also eine Verdoppelung im Vergleich zum ursprünglich geplanten Ansatz. ({28}) Ostdeutschland ist uns eine ganze Menge wert. Wir erreichen mit diesen Investitionen auch etwas, wie sich immer wieder zeigt. Deutschlands Reichtum sind seine Menschen. Ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihr Einsatz sind unser Kapital. Innovation und Fortschritt sind nur mit gut ausgebildeten Menschen möglich. Wir müssen also unser Bildungsniveau insgesamt, in der Breite wie in der Spitze, erhöhen. Ich erinnere nur daran, dass der Bund hier in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe entscheidender Fortschritte angestoßen hat. Es ist uns mit diesen Anstößen auch gelungen, ideologische Blockaden zu durchbrechen und zu überwinden, die Kindern und Jugendlichen über viele Jahre Bildungschancen genommen haben. Als Beispiel nenne ich die Ganztagsschulen. Hier haben wir es durch die Initiative der Bundesregierung und mit unserem Schulentwicklungsprogramm, für das wir insgesamt 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, geschafft, ({29}) den Kindern und Jugendlichen endlich auch die Bildungschancen zu eröffnen, die sie so dringend brauchen. ({30}) Es ist toll, mit welchem Engagement und mit welcher Begeisterung die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Eltern vor Ort diese Chance nutzen. Als ein weiteres Beispiel nenne ich die berufliche Bildung. Auch hier ist es uns gelungen, eine ideologische Barriere zu durchbrechen. Der Ausbildungspakt zeigt Wirkung. Mit diesem Ausbildungspakt haben wir in den Kammern, den Unternehmen und Regionen ein ungeheures Engagement ausgelöst. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich zu erhöhen. Ich weiß, dass wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber mit dem Engagement, das hier gezeigt wird, wird uns dies gelingen; das scheint mir ganz offensichtlich zu sein. An dieser Stelle danke ich den beiden Präsidenten Phillip und Braun ganz ausdrücklich für ihren persönlichen Einsatz. Ich wünsche mir, dass dieses Engagement auch in den kommenden Wochen und Monaten an jedem Ort von allen Abgeordneten, vor allen Dingen aber auch von allen Unternehmen gezeigt wird. ({31}) Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir werden in den kommenden Wochen über das Berufsbildungsgesetz noch einmal miteinander diskutieren, weil es ja nicht nur um quantitative Fragen, also um mehr Ausbildungsplätze, sondern auch um Qualität geht. Die Modernisierung der beruflichen Bildung ist auf einem guten Weg. Bereits heute wird jeder zweite Jugendliche in einem modernisierten Beruf ausgebildet. Ich hoffe sehr und wünsche mir, dass wir kreativ und engagiert zusammenarbeiten. Dies ist eine der wichtigen Voraussetzungen dafür, dass das innovative Deutschland von morgen entsteht. Überall dort, wo Menschen dazu bereit sind, wird es auch entstehen. Dafür wünsche ich mir viele Verbündete. Vielen Dank. ({32})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt Kollegin Katherina Reiche von der CDU/CSU-Fraktion.

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft. ({0}) Doch das, was die Ministerin gerade vorgetragen hat, war eine Bilanzfälschung. Zudem strahlte sie bei ihrer Rede den Charme einer Büroklammer aus. ({1}) So, wie Sie Ihr Amt verwalten, haben Sie auch Ihre Rede vorgetragen: technokratisch, ohne Herz und Verständnis für Wissenschaft und Forschung ({2}) und vor allem ohne Leitbild. Es wurde nicht deutlich, wo die Wissenschaftsnation Deutschland in zehn oder 15 Jahren stehen soll. ({3}) Sie können offenkundig nicht mit Begeisterung über Wissenschaft und Forschung sprechen, über die Universität der Zukunft, über Bildung im ganzheitlichen Sinne. Forschung ist für Sie nur dann gut, wenn sie ökonomisiert ist. Freie Forschung um des Erkenntnisgewinns willen scheint Ihnen völlig fremd zu sein. ({4}) Der Sinn höherer Bildung ist für Sie nicht, was oder wie gelehrt wird; für Sie ist die Hauptsache, dass alle hin können. Duale Ausbildung funktioniert zumeist dann gut, wenn der Staat noch ein bisschen mitmischt, zum Beispiel in Form einer Zwangsabgabe. Den Leertitel haben Sie vorsichtshalber im Haushalt belassen. ({5}) Die Gleichheit ist Ihr politisches Ziel. Das tropfte förmlich aus allen Sätzen, die Sie uns hier vorgetragen haben. Sie stolpern von Missgriff zu Missgriff: ({6}) eine misslungene Dienstrechtsreform, eine mangelhafte BAföG-Reform, der verkorkste Versuch, Eliteunis per Dekret zu verordnen, gescheiterte Hochschulrahmenrechtsnovellen. Die Juniorprofessur ist Ihnen, Frau Bulmahn, vom Bundesverfassungsgericht um die Ohren gehauen worden. ({7}) Sie haben nicht einen Satz dazu gesagt. Auch das Studiengebührenverbot wird Ihnen um die Ohren fliegen. ({8}) Es kam der Aufruf an die Länder, die Forschungsorganisationen möglichst gleich an den Bund abzutreten und die Leibniz-Institute am besten zu zerschlagen. Sie gängeln die geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute und versuchen, den Ländern Bildungsstandards zu oktroyieren. ({9}) Frau Bulmahn, ich frage mich, wie weit man eigentlich von der Realität entfernt sein muss, um eine solche Liste von Niederlagen in nicht einmal sechs Jahren zu produzieren. ({10}) Ihnen muss eigentlich ganz schwindelig werden. Dabei steht uns das Wasser bis zum Hals. Immer mehr innovative Industriebranchen sagen dem Standort Deutschland leise Adieu. Sie verlagern nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Forschung ins Ausland, und zwar keineswegs nur nach Osteuropa, sondern auch in die Schweiz und nach Österreich. Sie haben die Innovationsbremse noch fester gezogen, zum Beispiel in der Gentechnik, wo der DFG-Präsident Winnacker mit Blick auf Sie resümierte, das neue Gentechnikgesetz sei enorm forschungsfeindlich. ({11}) - Frau Kressl, wenn Sie ein bisschen aufgepasst hätten, wüssten Sie, dass das Gentechnikgesetz etwas mit der Grünen Gentechnik zu tun hat. Ich kann aber bei Ihnen wahrscheinlich nicht annehmen, dass Sie das durchblicken. ({12}) Nach den Berechnungen des ZEW müssten in Deutschland fünf Jahre lang die Forschungsausgaben um mindestens 5 bis 6 Prozent steigen, um dorthin zu kommen, wo Japan jetzt ist. Bislang gab es eine Steigerung des BMBF-Haushaltes um nominal 2,45 Prozent; real ist es deutlich weniger. Es ist anzunehmen, dass sich das, was wir 2004 erlebt haben, nämlich das Plündern des Forschungshaushaltes für die Rentenkasse, 2005 durchaus wiederholen kann. Vielleicht müssen Sie dann Löcher, die durch Hartz IV entstehen, damit stopfen. Das sind die neuen Wege, von denen Sie reden. Das Jahr der Innovation besitzt keine Schubkraft. Es wird geredet, es wird diskutiert, ein Innovationskongress jagt den nächsten. Wo ist aber der Innovationsschub? Wo ist das Wachstum? ({13}) Sie haben bislang Innovationslyrik produziert. Frau Bulmahn, Sie haben nicht einmal versucht, für einen höheren Haushalt zu kämpfen. Sie bräuchten jährlich mindestens 400 Millionen Euro mehr, um das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu erreichen. Sie haben schlappe 250 Millionen Euro gefordert, mit dem Hinweis, Sie verfolgten eine Politik der kleinen Schritte. In Wahrheit haben Sie so gut wie nichts bekommen. ({14}) Ihr Haushalt ist das Ergebnis vieler Operationen. Operation Nummer eins ist Trickserei. Sie rechnen uns eine Steigerung von 300 Millionen Euro vor und vergleichen Äpfel mit Birnen. Sie vergleichen nämlich den Haushalt 2004, der um den Rentenbeitrag und andere Dinge gekürzt wurde, mit dem Ziel, was Sie 2005 erreichen wollen. Das ist unseriös. Operation Nummer zwei ist Luftbuchung. 63 Millionen Euro des Zuwachses sind bereits von vornherein bis zum Wegfall der Eigenheimzulage gesperrt. Nur ist es so, dass 93 Prozent der Menschen die Eigenheimzulage für ein wichtiges Instrument der Familienförderung und der Altersvorsorge halten. Ihre Beamten rechnen schon hektisch nach, wie die Löcher für den Fall, dass die Operation Eigenheimzulage misslingt, mit neuen Kürzungen gestopft werden können. ({15}) Operation Nummer drei sind Umbuchungen. 47 Millionen Euro fließen Ihnen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zu, nämlich für die komplette Übernahme des Meister-BAföGs. Das ist aber nicht, wie Sie, Frau Bulmahn, uns das vorrechnen, neues Geld; es ist schlichtweg ein Übertrag. Zufällig sind auf dem Weg vom BMWA zum BMBF auch noch 10 Millionen Euro verloren gegangen. Das ist wahrlich kein Meisterstück. Operation Nummer vier sind falsch kalkulierte Ansätze. Ihr Ansatz für das Studenten-BAföG ist nach wie vor zu niedrig. Mir bleibt es zumindest ein Rätsel - ich hoffe, Sie können es lösen -, wie Sie mit weniger Geld immer mehr Studenten fördern wollen. Die Wahrheit ist auch, dass sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland so darstellt, dass immer mehr junge Leute bedürftig werden und BAföG beantragen werden, weil es ihren Eltern schlechter geht. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer Politik. ({16}) Im Ergebnis heißt das aber, dass bei der Projektförderung gekürzt werden muss, weil die Ansätze bedient werden müssen. Sie setzen zudem falsche Prioritäten. Sie sparen nicht an der Werbung. Sie sparen nicht an Beraterverträgen. Sie sparen nicht an Programmen, mit denen Sie die Gewerkschaftsklientel bedienen können. Nein, Sie sparen an Biotechnologie, Sie sparen an der Grünen Gentechnik, Sie sparen am nationalen Raumfahrtprogramm. Sie haben die Rücknahme der Mittel im Hochschulbau nicht ausgeglichen. Sie kürzen zudem an der Forschung an Fachhochschulen, die Sie angeblich für so wichtig halten. ({17}) Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend eine Wende in der Bildungs- und Forschungspolitik. Bildung und Forschung brauchen zunächst Verlässlichkeit und Konstanz. Sie machen seit Jahren das Gegenteil. Zugesagte Mittel können nicht abgerufen werden. Die Forschungsorganisationen können sich nicht auf das verlassen, was ihnen zugesagt wird. Sie erleben haushälterische Achterbahnfahrten. Der Projektförderung geht es ebenso. UMTS brachte durchaus einen kurzzeitigen Segen. Aber danach kam der große Kater. So kann man mit der Forschung nicht umgehen. ({18}) Bildung und Wissenschaft brauchen Freiheit. Aber Ihnen erscheint der Wert der Freiheit suspekt. Sie wollen reglementieren. Sie wollen kontrollieren. Sie wollen dekretieren. ({19}) Sie misstrauen dem Wettbewerb. Sie misstrauen den Menschen aus Angst vor der Freiheit. Das unterscheidet Ihre Politik ganz deutlich von der unseren. ({20}) Das zeigt sich ganz deutlich an Ihrer Hochschulpolitik. Sie haben den Hochschulen ein zum Teil verfassungswidriges Hochschulrahmenrecht übergestülpt. ({21}) Die Habilitation sollte mit der Brechstange weg. Die Juniorprofessur sollte sie vollständig ersetzen. Frau Bulmahn, das ist genau das Gegenteil von Freiheit. Die Juniorprofessur ist im Ansatz richtig. Das haben wir nie bestritten. ({22}) Aber der Starrsinn hat sie ins Desaster geführt, das nicht nur Sie beschädigt hat, sondern vor allem auch diejenigen, die sich darauf verlassen haben, dass das Gesetz verfassungskonform ist. Sie sind die Leidtragenden. ({23}) Frau Bulmahn, das Verfassungsgerichtsurteil vom 27. Juli ist Ihr bildungspolitisches Waterloo. Das Urteil weist den Bund nämlich ganz klar in seine Grenzen. Sie hatten sie trotz aller Warnungen ignoriert. Unsere Hochschulen brauchen zudem dringend mehr Geld für mehr Qualität. Doch wer das Verbot von Studiengebühren für eine „kulturelle Errungenschaft“ hält, wie Sie es sagen, ({24}) der ist offensichtlich nicht zu einer Antwort auf die Herausforderungen befähigt. Frau Bulmahn, auch Ihr Forschungsverständnis ist falsch. Forschung kann man nicht nur auf Missionen orientieren. Forschung ist die Gesamtheit von geisteswissenschaftlicher Forschung, Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Ihr Wunsch, Forschung ausschließlich auf den Nutzen auszurichten und nur noch das zu fördern, was nach Ihrer Auffassung schnell Arbeitsplätze schafft, ist verhängnisvoll. ({25}) Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass Basisinnovationen vor allem aus der freien Grundlagenforschung heraus entwickelt wurden. Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass es im Kabinett Schröder keine einheitliche Innovationsstrategie gibt, dass Forschung in Gut und Böse eingeteilt wird. ({26}) Kerntechnik, Fusionsforschung, Grüne Gentechnik und Chemie werden insbesondere von den Grünen erbittert bekämpft. ({27}) Das Gentechnikgesetz macht Ihren vernünftigen Ansätzen in der Grünen Gentechnik den Garaus. ({28}) Frau Bulmahn, Sie konnten sich gegen Frau Künasts ideologischen Feldzug nicht zur Wehr setzen. ({29}) Der faktische Ausstieg aus der Grünen Gentechnik, den wir jetzt haben, wird genauso verheerende Folgen wie der Ausstieg aus der Kerntechnik haben. Denn nicht einmal mehr Sicherheitsforschung ist möglich. ({30}) Bildungs- und Forschungspolitik muss vor allem Orientierung haben und neue Anstöße liefern. Der Grundfehler im Bildungs- und Forschungsministerium liegt neben seiner schlechten Führung vor allem in seiner Struktur. Nach 1998 wanderten die Luftfahrt und die Mittelstandsförderung ins Wirtschaftsministerium. Die Energieforschung wurde aufgeteilt, zerschlagen; große Teile gingen zu Herrn Trittin. Frau Künast ist für die Vorgaben in der Gentechnik zuständig. Sie haben diesen Aderlass klag- und widerspruchslos hingenommen. Das rächt sich. Wir brauchen ein strategisches Innovationsministerium, das alle Forschungsaktivitäten bündelt. Sie haben ein Schulministerium daraus gemacht und wundern sich, dass aus den Innovationen nichts wird. ({31}) Bei den vor uns liegenden Haushaltsberatungen werden wir auf Korrekturen drängen. Wir werden Ihnen konkrete Vorschläge für Änderungen im Haushalt machen. ({32}) Bei Beraterverträgen, bei Werbung und bei Steinkohle kann gespart werden. Wir bieten Ihnen an, tatsächlich 300 Millionen Euro mehr für Bildung und Forschung in den Haushalt einzustellen. Wir wollen Ihnen auf die Sprünge helfen, damit das Jahr der Innovationen wenigstens irgendwie seinen Namen verdient. Ich fordere Sie im Interesse des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Deutschland auf: Nehmen Sie unser Angebot an! Vielen Dank. ({33})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums für das Jahr 2005 liegt um 202 Millionen Euro, das heißt um 2,45 Prozent, über dem für das Jahr 2004. ({0}) Das ist nicht überragend, aber gut. Wie als Teil der Agenda 2010 versprochen, werden die institutionellen Forschungsmittel um 3 Prozent erhöht. Das ist ein starkes Signal von Rot-Grün, dass Bildung und Forschung auch weiterhin gestärkt werden. ({1}) Auch die Projektforschungsmittel steigen um 61 Millionen Euro. Das ist ein Plus von fast 2,8 Prozent. Leichte Zuwächse gibt es bei der Nanotechnologie, der Mikrosystemtechnik und der Gesundheitsforschung. Allerdings - das will ich zugestehen - sehen wir bei den Projektforschungsmitteln insgesamt eine zu große Enge. ({2}) Sie bereiten uns tatsächlich Sorge. So bedauern wir Grüne die im Regierungsentwurf vorgenommenen Kürzungen bei der Bauforschung sehr. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Mobilitäts- und Bauforschung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit weiterhin gefördert wird. Meine Damen und Herren von der Union, Sie fordern mehr Geld für die Forschung. ({3}) - Darauf komme ich noch zu sprechen. - Dann schauen wir uns doch jetzt einmal die von Ihnen hinterlassenen Altlasten an. Anstatt Geld in die Hybridtechnologie zur Entwicklung sparsamer Autos zu investieren, müssen wir es in den Abriss von alten Atomreaktoren und in die Lagerung des gefährlichen Atommülls stecken. ({4}) Wegen der von Ihnen, von Union und FDP, betriebenen falschen Energiepolitik und der falschen Verpflichtungen, die Sie eingegangen sind, müssen die entsprechenden Ausgaben in diesem Haushalt von 80 auf 160 Millionen Euro ansteigen. ({5}) Noch einmal: In diesem Haushalt werden 160 Millionen Euro für Vergangenheitsbewältigung aus dem Fenster geworfen. Die Staaten, die sich den Irrweg der Atomforschung erspart haben, können ihr Geld nun in Nanotechnologie, Hybridtechnologie und erneuerbare Energien investieren, während wir für den Abriss von Forschungsreaktoren zahlen, ({6}) und dies aus Steuergeldern statt aus den satten Gewinnen der Atomkonzerne. Das war eine grandiose Fehlleistung der Regierung Kohl. ({7}) Nun zu einem anderen großen Thema: der dramatischen Entwicklung auf dem Weltrohölmarkt. Dieses Jahr wird der globale Nachfragezuwachs höher ausfallen als der Verbrauch in Deutschland. Gleichzeitig geht die Ölproduktion in der Nordsee zurück und Indonesien wandelt sich vom Erdölexporteur zum -importland. Die Weltwirtschaft läuft auf eine dramatische Situation zu, die weitaus schlimmer sein dürfte als die der vergangenen Ölkrisen von 1973 und 1980. Währungs- und inflationsbereinigt stand der Ölpreis 1980 bei 101 US-Dollar. Da wir den Chinesen aber nicht das Autofahren verbieten können, müssen wir uns bald auf noch deutlich höhere Rohölpreise einstellen. ({8}) Unsere Devise, auch für die Forschung, kann daher nur heißen: Weg vom Öl! Deswegen werden wir im Haushalt von Renate Künast ({9}) für die Forschung und Markteinführung in den Bereichen Bioenergie und Biochemie mehr Geld ausgeben und im Haushalt von Jürgen Trittin werden wir für Solarenergie, Windenergie und Erdwärme mehr Geld ausgeben. Rot-Grün unternimmt ernste Anstrengungen hinsichtlich Forschung und Entwicklung also nicht nur im Einzelplan 30, sondern im gesamten Bundeshaushalt. ({10}) Wenn Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, jetzt einwenden, das alles sei zu wenig, dann sollten Sie sich klar machen, dass Sie gar keinen Aufwuchs, sondern eine reale Senkung fordern, wenn die Eigenheimzulage für Sie zukunftsweisender als die Forschungsförderung ist. ({11}) Ich fordere Sie von der Union auf, uns im Bundesrat endlich zuzustimmen, damit die Mittel für die Eigenheimzulage zugunsten von Bildung und Forschung umgeschichtet werden können. ({12}) Ganz nebenbei bemerkt: Durch eine pauschale 5-prozentige Kürzung des Bundeshaushalts, wie sie Ministerpräsident Stoiber vorschlägt, würden die Mittel für Bildung und Forschung um 423 Millionen Euro verringert. Da bliebe nichts mehr für all die Wünsche übrig, die Sie geäußert haben, zum Beispiel für Investitionen in Forschungseinrichtungen, Nanotechnologie oder Bildung. Wir landeten im wahrsten Sinne des Wortes wieder im letzten Jahrtausend, in dem Sie während der Ära Kohl laufend die Forschungsausgaben senkten. ({13}) Wir investieren aber nicht nur in Forschung, nein, auch in Köpfe. So haben wir das BAföG für Studierende und Schülerinnen und Schüler weiter gesteigert. Auch die Förderung derjenigen, die sich im Beruf weiterbilden, unterstützen wir durch die Steigerung des MeisterBAföGs. Nicht zu vergessen, es läuft so ganz im Hintergrund auch noch das Ganztagsschulprogramm der Koalition. Binnen vier Jahren fließen 4 Milliarden Euro in die Bundesländer, um Ganztagsschulen aufzubauen, die Sie immer bekämpft haben. Ich muss Ihnen da, meine werten Kolleginnen und Kollegen vor allem von der CSU, eine Geschichte über ein Gymnasium in Münnerstadt in Unterfranken erzählen, wo ich selbst einstmals unterrichtete. ({14}) Dieses Gymnasium wurde mit Mitteln aus dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ zur Ganztagsschule ausgebaut. ({15}) Edmund Stoiber wird demnächst zur feierlichen Eröffnung anreisen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die bayerische Debatte über das Ganztagsschulprogramm. Frau Hohlmeier und Herr Stoiber schimpften gemeinsam, dass die Eltern doch selbst entscheiden sollten, wie ihre Kinder nachmittags betreut würden. Sie meinten damit, die CSU will keine Ganztagsschulen. Aber erst jetzt, da dank der Anschubmittel dieser Bundesregierung auch in Bayern das Ganztagsschulangebot gestiegen ist, haben die Eltern und Kinder diese Wahl. Ich finde es wunderbar, dass sich Herr Stoiber jetzt freut, dass seine Enkelkinder bald in solch schöne Schulen gehen können. Ich hoffe nur, dass er bei der Einweihungsfeier in Münnerstadt auch sagt, dass Rot-Grün dieses Ganztagsschulprogramm durchgesetzt hat - gegen seinen Willen. ({16}) Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie haben sich Anfang des Jahres auch furchtbar dagegen gewehrt, dass die deutschen Hochschulen in einen Wettbewerb eintreten sollten, der ihnen dringend benötigte zusätzliche Mittel bringen kann. Glücklicherweise haben sich Ihre Fachministerinnen und Fachminister aus den Ländern nicht abhalten lassen, dies mitzutragen. Im Frühsommer stand ein Konzept, das vier wichtige Elemente vereint: zur Nachwuchsförderung einen Wettbewerb, in dem circa 40 Graduiertenschulen ausgeschrieben werden; zur Forschungsförderung einen Wettbewerb um die Förderung von 30 Exzellenzclustern, in denen Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Unternehmen kooperieren; zur Signalwirkung nach innen und außen einen Wettbewerb der Spitzenuniversitäten; als vierter Punkt die Exzellenzförderung in der Lehre durch die Länder. Dieses Konzept schien Anfang Juni zu stehen, Anfang Juli wurde es dann aber nicht beschlossen. Jetzt wird es frühestens Anfang November beschlossen - vier Monate, in denen nicht nur die Hochschulen nicht wissen, ob sich diese große Entwicklungschance wirklich für sie auftun wird. Nein, auch die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, um die Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, doch immer so lautstark sorgen, fragen sich ratlos, ob ihre Zukunft in Deutschland liegt oder doch anderswo in Europa oder in den USA. Die notwendige Reform des Föderalismus ist gut und schön, aber hier trifft sie möglicherweise die Falschen. Hören Sie auf zu blockieren! Machen Sie mit bei den notwendigen Reformen wie bei der Juniorprofessur, damit auch die Jungen eine Chance in der Wissenschaft bekommen. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fell, es ist schon bemerkenswert, wie Sie uns nach dem Ausstieg aus der Kernenergie, bei dem Sie ja einen Kapitalvernichtungsakt sondergleichen durchgezogen haben, ({0}) jetzt vorwerfen, dass wir Ihren Haushalt belasten. ({1}) So etwas geradezu Bizarres habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. ({2}) Aber wir sind ja heute zum Haushaltsentwurf 2005 hier und sollen darüber diskutieren, Frau Bulmahn. Sie haben uns eben erzählt, dass der Haushalt um 3,6 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro steigt. Wie immer haben Sie in diesem Zusammenhang natürlich die Mittel für die Ganztagsschulen und auch die BAföG-Mittel, die ja eigentlich nicht zu Ihrem Haushalt gehören, sondern aus anderen Haushalten kommen, dazugezählt. Darüber wollen wir schon gar kein Wort mehr verlieren. Aber Sie haben auch etwas anderes getan: Sie haben hier mit Zahlen hantiert und versucht, den großen Popanz der Eigenheimzulage wieder hochzuziehen, ({3}) hinter dem Sie sich ein bisschen verstecken, um in Zukunft, in den nächsten Monaten, den Gegner auf der anderen Seite entsprechend beschimpfen zu können. Ich muss Ihnen sagen: Sie arbeiten hier mit Zahlen, die alles andere als seriös sind. Sie haben die berühmte Eigenheimzulage, über alle Haushaltsetats verteilt, mit rund 150 Millionen Euro angesetzt. Es sind aber nur exakt 95 Millionen Euro. Das heißt, erstens hantieren Sie hier mit einer Eigenheimzulage, die es in dieser Höhe nie geben wird, weil die CDU/CSU nicht zustimmen wird, und zweitens arbeiten Sie mit Zahlen, die vorne und hinten nicht stimmen. ({4}) - Herr Tauss, Sie haben Frau Reiche vorhin doch gehört. Ohne diese Mittel ergibt sich im Endeffekt nur eine minimale Steigerung des Haushalts. Wenn wir die Unwägbarkeiten des BAföGs und die globale Minderausgabe von 145 Millionen Euro, die Sie schließlich erwirtschaften müssen, hinzuziehen, dann gibt es im nächsten Jahr real nicht mehr Geld für diesen Haushalt. ({5}) Frau Bulmahn, das Ganze ist heiße Luft. Sie bauen auf Sand. Das Schlimmste für uns Liberale ist, dass Sie dabei die großen Linien Ihrer Politik verloren haben. ({6}) Sehen Sie sich doch die einzelnen Haushaltsposten an! Dieser Haushalt hat keinen Schwerpunkt, ({7}) keine erkennbare Richtung und vor allem keine große Vision. ({8}) Sie setzen Ihre Taktik fort, dort zu erhöhen, wo Sie in den letzten Jahren gekürzt haben. Sie erhöhen jetzt bei der Mikrosystemtechnik, bei der Softwaretechnik und bei der Nanoelektronik. Frau Bulmahn, das sind Pflästerchen auf die Wunden des letzten Jahres. ({9}) Dafür werden andere Positionen, wie zum Beispiel Verkehr und Mobilität - das finde ich sehr erstaunlich - und das System Erde, gekürzt. Herr Fell, ich weiß gar nicht, wie Sie damit leben können. Sie verhalten sich wie eine Gärtnerin, die ein großes Feld voller Unkraut liebevoll begießt, aber nun wirklich nicht weiß, wo sie etwas Neues anpflanzen soll. So gießen Sie überall mit Ihrer 3-Prozent-Gießkanne, wobei ich es schon ganz witzig finde, dass Sie die 3 Prozent überall durchhalten, ohne, wie die internationale Konkurrenz, große, milliardenschwere Schlüsseltechnologiezentren hochzuziehen. Frau Bulmahn, Sie kleckern auf mittlerem Niveau. ({10}) Für die FDP-Fraktion sage ich, dass das besser ist, als Kürzungen vorzunehmen; das erkennen wir auch an. Das ist aber eben nicht der große Wurf, auf den wir in diesen Zeiten alle warten. Was ist der Grund dafür? Aus unserer Sicht liegt der Grund dafür viel tiefer als nur bei Hans Eichel und seinen Sparverpflichtungen. Sie haben sich nämlich im Gewirr der föderalen Zuständigkeiten und der koalitionsinternen Ansprüche verfangen. ({11}) Ihre Visionen sind an den Betonmauern der Länder und nicht zuletzt an denen Ihres grünen Koalitionspartners zerplatzt. ({12}) Sie sind praktisch mit allen Reformvorhaben der letzten Zeit gescheitert bzw. ins Stocken geraten oder Sie haben sich ganz einfach nicht durchsetzen können Frau Reiche hat vorhin schon darauf verwiesen: Das Bundesverfassungsgericht hat Ihre 5. HRG-Novelle gekippt und das aus unserer Sicht richtige Juniorprofessorenprogramm für verfassungswidrig erklärt. ({13}) Frau Bulmahn, Sie haben das größte Projekt Ihrer Hochschulpolitik sehenden Auges glatt gegen die Wand gefahren. ({14}) Ich erinnere mich: Wir alle haben hier gestanden und Sie vor diesen Risiken gewarnt. Sie sind ohne Rücksicht auf Verluste durchgefahren. Am Schlimmsten finde ich es, dass Sie dies ohne Rücksicht auf diejenigen getan haben, die an den Hochschulen lehren und arbeiten müssen. Für diese Leute gibt es jetzt einen rechtsfreien Raum. ({15}) Das wird dazu führen, dass sich manche von ihnen einklagen werden. Gehen Sie jetzt einmal an die Hochschulen! Gehen Sie zum Beispiel an eine Hochschule im Ruhrgebiet wie die in Bochum! Dort sind 200 Leute betroffen. Diese Hochschule hat einen verzweifelten Kanzler und einen verzweifelten Rektor, die nicht wissen, wie es weitergeht. Das ist das Produkt Ihrer größten Aktion in dieser Legislaturperiode. ({16}) Das Schauspiel wird sich im Herbst aufgrund des Verbots von Studiengebühren grausam wiederholen, in diesem Falle aber mehr für Sie als für die Hochschulen. Die Folgen Ihrer Blindflugaktionen sind Verunsicherung und Irritationen in der deutschen Hochschullandschaft. ({17}) Mit dem Programm zur Förderung von Spitzenforschung an Hochschulen sind Sie genauso stecken geblieben. Ich halte Ihr Vorgehen einfach für einen schlichten taktischen Fehler. Man geht einfach nicht auf eine Pressekonferenz und erzählt, dass es seine Aktion gewesen ist, wenn man vorher mit anderen Leuten darüber verhandelt hat. Das kann nicht gut gehen. Auch die Politiker in den Ländern haben ihre Eitelkeiten. Das müssen auch wir Bundespolitiker manchmal erkennen. ({18}) - Herr Tauss, auch das ist doch ein Grund dafür, weshalb wir eine seriöse Politik machen müssen. Erst wollen Sie Spitzenhochschulen einrichten, dann werden die Leute vorgeführt und am Ende liegt alles auf Eis. Im Herbst kommen wir mit viel Glück vielleicht so weit, endlich Spitzenhochschulen zu installieren, die wir schließlich alle wollen. Es gibt doch hier im Raum keinen, der sie nicht haben will. ({19}) Ähnliches kann man auch über Ihren Pakt für die Hochschulen sagen; davon habe ich schon lange nichts mehr gehört. Kurzum: Sie haben sich im Klein-Klein des Föderalismus verfangen, statt sich auf das zu konzentrieren, Frau Bulmahn, was Sie wirklich können - das will ich Ihnen gar nicht absprechen - und auch dürfen, nämlich auf das große innovative Feld der Forschung, auf die Struktur und auf Verbesserungen der Forschung in diesem Land. Schauen Sie sich doch die Bio- und Nanotechnologie an! Nach wie vor fehlt eine konsequente Strategie. Dazu will ich niemanden aus unseren Reihen zitieren. Ihr eigener Kanzlerberater, Herr Professor Wahlster - er ist nicht ganz unbekannt -, aus dem Saarland ({20}) erklärt dazu in der „Wirtschaftswoche“: Dieses Gießkannenprinzip ist Verschwendung. Es bringt nichts, in jedem Bundesland ein Bio- und ein Nanotechnologiezentrum zu etablieren. ({21}) Bei einem neuen Innovationsfeld müssen die Mittel nach einem Wettbewerb auf zwei, drei Zentren, die absolute Spitze sind, konzentriert werden. ({22}) Frau Bulmahn, Ihr eigener Berater erkennt sehr klar, dass Sie am Föderalismus und am Kirchturmsdenken scheitern und offensichtlich nicht in der Lage sind, das zu tun, was in allen Ländern der Welt umgesetzt wird, nämlich Konzentration auf das Wichtigste in der Forschungslandschaft. Sie zersplittern sich und kleckern statt zu klotzen. ({23}) Lassen Sie mich noch zu einigen anderen Themen Stellung nehmen. Nicht nur bei der Forschung sind wir nicht dort, wo wir eigentlich sein müssten. Sie sind bei den Bildungsstandards ausgebremst worden. Sie haben uns eben erzählt, Sie würden im Hochschulbau Gewaltiges leisten. Frau Bulmahn, noch immer steht in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, dass Sie die Mittel hierfür auf 750 Millionen Euro senken wollen. Dazu habe ich von Ihnen nichts Gegenteiliges gehört. Dazu müssen Sie sich äußern. ({24}) Lassen Sie mich also zusammenfassen: Ihr Haushalt steht auf tönernen Füßen. Ihre Mittelverteilung lässt keine Vision erkennen. Ihre Reformvorhaben stagnieren, sind blockiert oder kränkeln. Obwohl Sie es nicht mehr hören können, Frau Bulmahn, will ich von Ihnen endlich einen Wissenschaftstarifvertrag. Ich will die wettbewerbliche Orientierung der Forschungsförderung. Ich will eine Patentverwertung, die wirklich funktioniert. Ich will die Umsetzung der Biopatentrichtlinie. Sie können sicher sein, dass daran, ob wir das schaffen, unser Forschungsstandort gemessen wird. Sie aber schaffen es nicht. ({25}) Frau Bulmahn, Sie kämpfen sehr oft einsam und zu leise. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich der Kollegin Reiche anschließen, die gefragt hat: Wo war denn die Forschungsministerin, als es um das Gentechnikgesetz ging? Wo waren Sie denn, als die Wissenschaftler in Deutschland - noch vor wenigen Tagen - erklärt haben, dieser Forschungsstandort ist dank Herrn Fell und seinen Kollegen tot? Forschung in der grünen Gentechnik wird nicht mehr stattfinden. Wo waren Sie denn, als Herr Clement gestern an dieser Stelle erklärt hat, er wolle die Stammzellforschung wieder aktivieren? So etwas erwarte ich nicht vom Wirtschaftsminister, sondern von Ihnen, Frau Bulmahn. ({26}) Wir befinden uns inzwischen in der Situation, dass jeder zweite Stammzellforscher dieses Land zu verlassen beabsichtigt. Ein Forscher in Köln hat gesagt: Ich will gerne weiterforschen, aber die Gesetzgebung hindert mich daran. ({27}) Diese Beispielliste ließe sich unbegrenzt fortsetzen, Frau Bulmahn. Bei Ihnen läuft es immer folgendermaßen ab: ein großer medialer Auftakt, gefolgt von Unentschlossenheit und Blockade aus den eigenen Reihen. Auf diese Weise kommen wir einfach nicht weiter und wissen nicht mehr, wie es vorwärts gehen soll. Gleichzeitig leben wir in einer Welt - mehrere Kollegen waren mit mir vor einigen Wochen in China - mit Regionen, in denen es steil nach oben geht. Schauen Sie sich zum Beispiel in Singapur das Stammzellzentrum an! Schauen Sie sich die Technologiezentren in den chinesischen Vorstädten an! Diese 40 riesigen Technologiezentren sind so groß wie bei uns ganze Städte. Das ist unsere Konkurrenz, Frau Bulmahn, nicht der Kleckerkram, den Sie uns hier vorgetragen haben. In diesem Zusammenhang - daran setzen wir als Liberale an; das möchte ich betonen - kann man nicht nur von diesem Haushalt sprechen. Wenn wir von Innovationspolitik reden, müssen wir die Politik aller Ressorts im Blick haben. Frau Bulmahn, wir haben uns sehr kritisch Ihre Kollegen angeschaut. Was sehen wir da? Große Ankündigungen von Ihrer Seite, gleichzeitig verzeichnet die Leibniz-Gemeinschaft bei den Mitteln vom Bundeskanzleramt, vom Außenminister und von Frau Künast ein Minus von über 1 Million Euro. Der DAAD, die Nachwuchswissenschaftlerförderung, die Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Wissenschaftlern und die Goethe-Institute haben ein Minus von 5 Millionen Euro bei den Geldern aus dem Hause von Herrn Fischer zu verkraften. Frau Künast hat offensichtlich völlig die Lust an der Forschung verloren. Sie spart bei Forschungsinstituten 12 Millionen Euro. Herr Clement, der Oberinnovator, haut der Mittelstandsforschung die Beine weg. Dort gibt es ein Minus von 47 Millionen Euro. ({28}) Das Ganze wird von Herrn Struck gekrönt, der in Zeiten höchster Unsicherheit und Befürchtungen in der Bevölkerung 50 Millionen Euro im Forschungshaushalt spart. Erstaunlich! Das ist keine Innovationspolitik. Das ist nicht das Jahr der Innovation. Das ist ein Gekleckere, wie wir es seit vielen Jahren haben. Sie, Frau Bulmahn, spielen dabei leider nicht die tragende Rolle, die wir uns gewünscht hätten. Ihre Rolle ist in den letzten Monaten zunehmend tragisch geworden. An uns soll es nicht liegen. Wir würden Ihnen, Frau Bulmahn, gerne helfen und wir werden uns bei den Haushaltsberatungen weiter darauf konzentrieren. Ich befürchte allerdings das Schlimmste, nämlich dass wir bis zum Jahr 2006 keine Wende erleben werden. Herzlichen Dank. ({29})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Andrea Wicklein von der SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Reiche, ({0}) ich muss mich zu Ihrem Ton und der Art und Weise Ihres Vortrages äußern. ({1}) Ich wurde durch Ihren Tonfall ein bisschen an die DDRFahnenappelle erinnert. ({2}) Dieser Ton in diesem Haus bringt uns und Deutschland nicht weiter. Dieses Schlechtreden ist destruktiv. ({3}) Wir sollten gemeinsam handeln, um die Probleme im Land zu lösen. ({4}) Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten notwendige und gewiss auch schwierige Reformen der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes auf den Weg gebracht. Doch auch beim Ausbau von Wissenschaft und Forschung werden wichtige Weichen gestellt, die über die Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und des Arbeitsmarktes mit entscheiden werden. Verstärkt in Bildung, Wissenschaft und Forschung zu investieren ist die andere Seite der Agenda 2010. Damit bestimmen wir die Zukunft unseres Landes. Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik gehören zusammen. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wird zukünftig nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich auf leistungsfähige Hochschulen und Forschungsinstitute stützt und auf Innovationen setzt. ({5}) Gerade in Ostdeutschland haben Wissenschaftseinrichtungen einen entscheidenden Anteil an der Infrastruktur und auch am Wirtschaftsaufbau, wie man es zum Beispiel in Sachsen, aber auch in den Regionen Berlin und Brandenburg sehen kann. Sie sind und bleiben aus meiner Sicht ein wichtiges oder vielleicht sogar das wichtigste Instrument, um Strukturdefizite in Ostdeutschland auszugleichen. ({6}) Doch ohne Bildung keine Forschung. Deshalb müssen wir verstärkt in die Köpfe der Menschen investieren. Dabei sind vor allem die Länder gefragt, aber auch die Unternehmen; denn zum Weg in die moderne Wissensgesellschaft gibt es für unser Land keine Alternative. Das findet seinen Ausdruck auch im Haushalt für Bildung und Forschung. Trotz der außerordentlich schwierigen Haushaltssituation haben wir den Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nochmals um 202 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu kommen noch BAföG mit etwa 445 Millionen Euro sowie das Ganztagsschulprogramm mit 1 Milliarde Euro. ({7}) Natürlich sind noch enorme Kraftanstrengungen erforderlich, damit wir das ehrgeizige Ziel erreichen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. ({8}) 10 Milliarden Euro mehr als bisher müssten Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufbringen. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem wichtigen Ziel arbeiten! Für uns ist der Weg klar abgesteckt. Leider sehe ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, weit davon entfernt und das will ich an einigen Beispielen deutlich machen: Mein erstes Beispiel ist Ihr Existenzgrundlagengesetz. Darin schlagen Sie die Förderung und die Einführung eines Niedriglohnsektors vor und wollen - ich zitiere - „Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor nach Deutschland zurückholen“. Unabhängig davon, dass diese Pläne schlichtweg wirtschafts- und sozialpolitischer Unfug sind, ({9}) unabhängig davon, dass Sie damit ein Lohnsenkungsprogramm für ganz Deutschland anstreben, haben Sie auf jeden Fall eines nicht verstanden und das sollten die Menschen in unserem Land wissen: Unser Land wird im weltweiten Wettbewerb nicht als Niedriglohnland bestehen können, ({10}), sondern nur als Standort für Wissenschaft, Forschung und innovative Technologien. ({11}) Unser Plus sind die Ideen und die kreativen Köpfe. ({12}) Wir brauchen ein Klima, in dem Ideen befördert werden und die Experimentierfreude des Einzelnen von Kindheit an unterstützt wird. Daran müssen wir arbeiten und darin werden wir investieren. Ich muss in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Sparpläne von Edmund Stoiber zurückkommen, der die Ausgaben im Bundeshaushalt durchweg um 5 Prozent kürzen will. Ich frage Sie, ob Sie zu den Folgen dieser Vorschläge stehen, gerade im Bereich von Bildung und Forschung? Ich habe Ihre Rotstiftpolitik auf diesen Haushalt umgerechnet: Über 420 Millionen Euro Einsparungen bedeuten 20 Prozent weniger für Hochschulen, Wissenschaft und Ausbildungsförderung. Wie wollen Sie das den Studierenden und den Wissenschaftlern erklären? Wollen Sie künftig nicht nur die Studiengebühren erheben, sondern bei den bedürftigen Studierenden auch noch das BAföG kürzen? Sagen Sie den Menschen in unserem Land, was diese Kürzungsvorschläge konkret bedeuten würden. ({13}) Wir brauchen das Gegenteil. Wir brauchen Investitionen in diesen Bereichen. Dass notwendiges Sparen nicht zulasten von Bildung und Forschung gehen muss, haben wir mit unseren Vorschlägen im Haushaltssicherungsgesetz und im Steuervergünstigungsabbaugesetz bewiesen. Wenn Sie diese Gesetze im Bundesrat nicht blockiert hätten, wäre ein Sparvolumen von 17,5 Milliarden Euro zusammengekommen; so waren mit der Union nur 2,5 Milliarden Euro möglich. Damit bin ich schon bei meinem dritten Beispiel, der Eigenheimzulage. Es ist paradox, dass wir sowohl den Bau von neuem Wohnraum als auch den Rückbau von zu viel Wohnraum fördern. Wir müssen uns doch ernsthaft die Frage stellen: Ist es nicht sinnvoller, in Bildung und Innovation zu investieren als in Beton? ({14}) Wir haben diese Frage ganz klar mit Ja beantwortet. Wir wollen allein im Jahr 2005 63 Millionen Euro aus der Eigenheimzulage für dringend erforderliche Investitionen bei Bildung und Forschung verwenden. ({15}) Doch dazu brauchen wir die Zustimmung der Union. Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Lenken Sie ein! Unterstützen Sie die Investitionen und Innovationen, die Arbeitsplätze für unser Land schaffen! ({16}) Liegt unsere Zukunft nicht eher in der engen Kooperation zwischen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wo neue und innovative Verfahren, Produkte und Dienstleistungen entwickelt und umgesetzt werden? Auch im nächsten Jahr werden wir mit 90 Millionen Euro diese regionalen Netzwerke fördern. Das sind die Keimzellen für Unternehmensansiedlungen und Unternehmensgründungen. ({17}) Jedes Jahr machen sich allein aus den Fraunhofer-Instituten mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstständig. Wir Politikerinnen und Politiker haben die Aufgabe und die Verantwortung, dafür entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. ({18}) Erst kürzlich war ich im Wissenschaftspark Golm in Potsdam, nur zehn Minuten von Sanssouci entfernt. Mit der Universität Potsdam, den Max-Planck- und den Fraunhofer-Instituten entwickelt sich dort einer der modernsten Wissenschafts- und Forschungsstandorte der Region. Golm steht heute für Studieren und Forschen sowie zukünftig auch für Gründen. Der Spatenstich für ein neues Technologiezentrum ist vor einigen Tagen erfolgt. Diese Beispiele zeigen: Nicht 5-prozentige Kürzungen - so der Vorschlag aus Bayern - oder das sture Festhalten an der Eigenheimzulage, sondern die aktive Unterstützung von wissenschaftlichen Netzwerken schafft Arbeitsplätze und damit Perspektiven. ({19}) Dafür lohnt es sich, Starthilfe zu geben. Die Initiative „Unternehmen Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verfolgt genau dieses Ziel und unterstützt damit insbesondere die Entwicklung in Ostdeutschland. Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen. Derzeit steht im Rahmen der Debatte über eine Föderalismusreform auch die Mischfinanzierung von Bund und Ländern auf der Tagesordnung. ({20}) Wir, die Bildungs- und Forschungspolitiker der SPD, halten an der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern bei der Finanzierung der Forschung und des Hochschulbaus fest. Wir sagen Nein zur Kleinstaaterei im Hochschulwesen. ({21}) Alle Bundesländer, auch die unionsgeführten, müssten ein vitales Interesse daran haben, dass wir bundesweit international wettbewerbsfähige Bedingungen an unseren Hochschulen haben. Wir brauchen auch zukünftig für die Hochschulen eine Mitverantwortung des Bundes. Wie schon im vergangenen Jahr werden wir auch 2005 insgesamt 925 Millionen Euro allein für den Hochschulbau zur Verfügung stellen. ({22}) Wenn es darum geht, diesen Bereich in die Hände der Bundesländer zu geben, dann sollte auch auf die Folgen für die finanzschwachen Bundesländer hingewiesen werden, für die die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ unverzichtbar ist. ({23}) Es ist doch klar: ({24}) Die Forderung - überwiegend aus der Union - nach Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben und der Mitwirkung des Bundes im Hochschulwesen schadet vor allem den strukturschwachen Ländern und damit dem Osten. Wissenschaft und Forschung sind in wesentlichen Teilen nationale Aufgaben und kein Spielfeld für Kirchturmspolitik. ({25}) Das gilt vor allem für die Integrationsaufgaben nach 1990. Mit dem Haushalt 2005 setzen wir auf verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wie von Gerhard Schröder zugesagt, erhalten die Forschungsorganisationen 3 Prozent bzw. fast 100 Millionen Euro mehr.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies bedeutet eine enorme finanzielle Kraftanstrengung. An die Adresse der Union richte ich abschließend noch einmal den Appell: Blockieren Sie nicht länger die Abschaffung der Eigenheimzulage! Investieren Sie lieber in Ideen statt in Beton und Niedriglöhne! Fordern Sie keinen Ausstieg aus der bundesstaatlichen Solidarität, der ausschließlich auf Kosten der finanzschwachen Länder geht! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wicklein, es ist schwer zu ertragen, wie Sie hier mit tränenerstickter Stimme vortragen, ({0}) wie schlimm es sei, dass wir deutlich machten, wie es in diesem Lande sei. Es kann doch nicht sein, dass Sie dieses Land in sechs Jahren Regierungsarbeit zugrunde richten und dass wir nicht einmal beklagen dürfen, was dabei herauskommt. ({1}) Frau Ministerin, auch Sie haben gesagt, dass unser Land leistungsfähig ist. ({2}) Jawohl, die Menschen in unserem Land sind leistungsfähig, aber nicht wegen Ihrer Leistung, sondern trotz der Tatsache, dass Sie sie seit sechs Jahren mit Ihrer missratenen Politik, die für unser Land völlig ungeeignet ist, kujonieren und traktieren. ({3}) - Das ist ja eine Unruhe hier! Sie werden noch mehr Anlass zur Unruhe haben. Ich freue mich schon auf die Zurufe von Herrn Tauss, die an Lautstärke kaum zu übertreffen sind, zumeist aber an Inhaltsschwere. Ich möchte mit einer Bemerkung zu Ihnen, Frau Ministerin, fortfahren. Es fehlt wirklich an Visionen und Leitbildern. Man hat den Eindruck, dass Lissabon und Bologna genau wie Maastricht für Sie zwar wohlklingende Namen europäischer Städte sind, aber sonst keine Bedeutung haben. Sie kümmern sich nicht um das, was Ihres Amtes wäre. Wir werden auch in diesem Jahr bei den Beratungen des Haushaltsplanes in Bezug auf den Einzelplan 30 feststellen müssen, dass wir die Chance gehabt hätten, Zeichen für eine wirkliche Innovationsoffensive im Bereich Forschung und Bildung und für die Förderung von Schlüsseltechnologien zu setzen. Zusammengefasst: Wir hätten die Chance gehabt, Zeichen für einen Forschungsstandort Deutschland, für einen Wissenschaftsstandort Deutschland und für einen Wirtschaftsstandort Deutschland zu setzen. Aber wie nach den Erfahrungen der Vorjahre nicht anders zu erwarten war, beinhaltet dieser Haushaltsplanentwurf wiederum Luftbuchungen, Wunschvorstellungen, das Setzen von ideologischen Schwerpunkten, aber nicht das, was man von einem seriösen Haushaltsplanentwurf erwartet. ({4}) Das geht - es ist vorhin angesprochen worden; deshalb fokussieren Sie so darauf, Frau Wicklein - in den Vorbemerkungen auf Seite 3 los. Da steht nämlich der Haushaltsvermerk - das ist eine der größten Rosstäuschungen in diesem Haushalt -, dass Ausgaben in Höhe von 63 Millionen Euro gesperrt sind. Sie sind gesperrt, weil sie durch die Abschaffung der Eigenheimzulage erst erwirtschaftet werden sollen. Sie machen einen solchen Haushaltsvermerk, obwohl Sie die Auseinandersetzungen des letzten Jahres erlebt haben und obwohl Sie genau wissen, dass wir dem weder im Bundestag noch im Bundesrat zustimmen werden. Sie täuschen also bewusst vor, 63 Millionen Euro zu haben. Diese 63 Millionen Euro stehen von vornherein nicht zur Verfügung. ({5}) Sie spielen hier ein unwürdiges Schwarzer-Peter-Spiel und täuschen der Öffentlichkeit Mittel vor, die Sie in Wirklichkeit nicht haben. Hinzu kommt - um beim Haushaltstechnischen zu bleiben -, dass Sie nach wie vor, also auch in diesem Jahr wieder, die globale Minderausgabe mit 145 Millionen Euro viel zu hoch ansetzen. Sie wissen, dass diese um mindestens 45 Millionen Euro zu hoch ausfällt. Das lässt sich leicht ausrechnen. - Wenn man die 63 Millionen Euro und die 45 Millionen Euro zusammenrechnet, dann sind wir schon bei 108 Millionen Euro, die fehlen. Zu dem Fehlen von 108 Millionen Euro in nur zwei Positionen des Einzelplans 30 sage ich noch einmal bewusst: Das ist eine Täuschung. Außerdem lässt der Bundesfinanzminister noch nicht die Katze aus dem Sack, was die Frage angeht, welche weitere globale Minderausgabe er den einzelnen Ressorts wegen der nicht gedeckten Finanzmittel zur Umsetzung von Hartz IV verordnen wird. ({6}) Nimmt man die globale Minderausgabe Rente vom letzten Jahr als Maßstab, so dürfte man bei mindestens 50 Millionen Euro, vielleicht aber auch beim Doppelten landen. Rechnen wir einmal mit 50 Millionen Euro, damit es nicht ganz so schlimm wird für Sie, Frau Ministerin. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie haben sich schon bei meinen ersten Einlassungen, als ich von Täuschung sprach, so aufgeplustert. Wie soll man es denn anders nennen, wenn bei einem realen Aufwuchs des Plafonds um 200 Millionen Euro im Einzelplan 30 schon 150 Millionen Euro in der Wirklichkeit dieses Landes gar nicht vorhanden sind? ({7}) Ich wiederhole: Die globale Minderausgabe fällt um 45 Millionen Euro zu hoch aus. 63 Millionen Euro sollen aufgrund des Wegfalls der Eigenheimzulage mehr zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die globale Minderausgabe Hartz IV mit 50 Millionen Euro. Dabei bleiben wir aber nicht stehen; denn es geht noch weiter. Das Meister-BAföG wurde - Frau Flach hat es angesprochen - mit einem Volumen von 47 Millionen Euro vom Wirtschaftsministerium auf den Einzelplan 30 übertragen, damit aber natürlich auch die Auszahlungsverpflichtungen. - Wer in der Grundschule ordentlich aufgepasst hat und die richtige Summe zu bilden weiß, der erkennt: Damit sind wir bei 200 Millionen Euro und damit ist der ganze Aufwuchs verfrühstückt. Was legen Sie uns hier eigentlich vor, Frau Ministerin, Herr Finanzminister? Das ist nun wirklich eine Täuschung der Öffentlichkeit. Sie tun so als ob; aber in Wirklichkeit spielt sich in diesem Einzelplan nichts ab. Wir können noch ein bisschen weitergehen. Dabei sind noch nicht so zukunftsträchtige Ausgaben wie 17,7 Millionen Euro Aufwuchs für die Sanierung der Kreuzbauten in Bonn berücksichtigt. ({8}) Sie können nichts dafür. Dennoch berechnen Sie das mit. Für alte Bürogebäude müssen Mittel aufgewendet werden. Gleichzeitig müssen wir uns sagen lassen, dass damit die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht werden. Das darf ja wohl nicht wahr sein. ({9}) Frau Ministerin, zu dem, was Sie uns hier vorlegen, sage ich: Kosmetik, Perspektivlosigkeit und Rosstäuscherei. Sie sind gescheitert. Frau Ministerin, Sie bringen es nicht fertig, Forschung und Wissenschaft auch im Haushalt in den Vordergrund zu rücken, obwohl der Kanzler jeden zweiten Satz mit diesem Thema beginnt. ({10}) Auch diese stolz angekündigte Erhöhung um 2,8 Prozent bei der Projektförderung sollten wir einmal etwas näher unter die Lupe nehmen, weil auch sie schlichtweg schöngerechnet ist. Bei einer Erhöhung um 2,8 Prozent reden wir von ungefähr 61 Millionen Euro Aufwuchs. Sie müssen sich im Vergleich dazu noch einmal das Volumen der globalen Minderausgaben vor Augen führen und einräumen, was wir alle miteinander wissen, nämlich dass vor allem in dem Bereich die globale Minderausgabe erwirtschaftet werden muss. ({11}) Damit relativiert sich diese Zahl schon sehr. Sie müssen darüber hinaus einrechnen - Herr Fell, damit komme ich auf das Thema zurück, das Sie schon angesprochen haben, sogar zu Recht -, dass für Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen 77 Millionen Euro ausgegeben werden sollen. Das ist zwar ein 3006er-Titel, aber das ist nun nichts, was wir besonders zukunftsträchtig und innovativ finden. ({12}) - Herr Fell, für Sie noch ein Hinweis: Sie fahren doch wegen der Ergebnisse der PISA-Studie so gern nach Finnland. Hat es vielleicht etwas mit dem Abschneiden der Finnen in der PISA-Studie zu tun, dass sie jetzt neue Kernkraftwerke bauen? Denken Sie einmal darüber nach! ({13}) Ich war beim Thema Projektfördermittel. Auch hier gilt, Herr Fell: Wenn Sie nicht blockieren würden, wenn die Bundesregierung endlich ein Endlagerkonzept vorstellen würde, dann brauchten wir zumindest die 25 Millionen Euro für die Endlagerung nicht im Forschungshaushalt bereitzustellen; dann würde das aus einem anderen Haushalt finanziert. Aber das nur am Rande, weil wir hier in der Fachdebatte über den Einzelplan sind. Ich weiß, dass das im Ganzen nichts ändern würde. Sie sehen also, meine Damen und Herren: Nicht nur die 200 Millionen Gesamtaufwuchs des Plafonds, sondern auch die 61 Millionen vermeintlicher Aufwuchs in der Projektförderung sind schlichtweg Luftbuchungen, Täuschungen, Verschleierungen, Schönrechnereien und kommen in der Wirklichkeit unseres Landes nicht an. Frau Ministerin, ich möchte mich abwenden von - ({14}) - Ach, Herr Tauss. Was das Schaudern anbelangt, will ich Ihnen eines sagen: Ich habe mir vorhin die Rednerliste angeguckt und mit Freude festgestellt, dass Sie ganz zum Schluss 15 Minuten haben. Da kann man eine Viertelstunde früher gehen, ohne in dieser Debatte etwas zu verpassen. ({15}) Ich will Ihnen sagen, was wir als Union dagegenstellen. Wir in der Union stehen eindeutig für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. ({16}) Deswegen wird es mit uns diese Fantasiezahl von 63 Millionen Euro nicht geben. Wir werden beantragen, die globale Minderausgabe auf ein realistisches Niveau zu senken. Wir werden mit unseren Anträgen eine Schwerpunktsetzung anstreben, die den Namen Innovationsoffensive, also Voranbringen des Bereichs Forschung und Bildung sowie Steigerung der Investitionen, tatsächlich verdient hat. Mit der Union wird nicht in den neuen Bundesländern gestrichen. Die Union wird streichen, aber in Ihren Ideologietiteln, in den Titeln für Öffentlichkeitsarbeit, Selbstdarstellung, Selbstbeweihräucherung und in den Titeln, mit denen Sie Projekte fördern, um Ihre gewerkschaftsnahen Institute sponsern und Ihre emanzipatorischen Phantasien ausleben zu können. ({17}) Wir werden uns alle Projektlisten anschauen und kürzen, was das Zeug hält, soweit das notwendig ist. ({18}) Das Geld muss in unserem Land zielgerichtet ausgegeben werden und darf nicht für irgendeine Form von Forschung verwendet werden, die wir für nicht zukunftsträchtig halten. Die Union wird einen Aufwuchs der Ausgaben um insgesamt 400 Millionen Euro vorschlagen. Wir werden beantragen, den Plafond um 300 Millionen Euro aufzustocken und 100 Millionen Euro an Einsparungen durch Streichungen zu erzielen. ({19}) Wir werden vorschlagen, dieses tatsächlich vorhandene Geld im Einzelplan 30 richtungsweisend für die Zukunft Deutschlands einzusetzen. Dies wird über den Gesamthaushalt eingespart werden; denn auch da wird eine Schwerpunktsetzung stattfinden. CDU und CSU werden die Bereiche Forschung und Bildung sowie Verkehr besser dotieren. Das bedeutet eine tatsächliche Stärkung des Standorts Deutschland. Die Union wird tatsächlich etwas für die Hochschulen tun. Sie redet nicht nur von Spitzenuniversitäten, ({20}) sondern sie wird den Ansatz für den Hochschulbau wieder auf die Höhe des Jahres 2003 bringen, um den Hochschulen die Möglichkeit zu geben, tatsächlich leistungsfähig zu sein. Sie sollen nicht gezwungen sein, sich am Rande des Existenzminimums, des gerade noch Machbaren zu bewegen. ({21}) - Herr Tauss, Sie rufen dazwischen: Warum nicht 1998? Soll ich jetzt entgegnen: Warum nicht 1948? ({22}) Sie regieren seit sechs Jahren in diesem Land. Gewöhnen Sie sich langsam einmal daran, dass man nicht gleichzeitig regieren und immer auf die Opposition zeigen kann. Sie sind sechs Jahre dran. Sie werden keine 16 Jahre erleben, weil in zwei Jahren Schluss ist mit dem Zauber. Trotzdem können Sie nicht ständig mit den Fingern in die Vergangenheit zeigen und sagen: Ihr habt da das und das gemacht. Das ist unseriös. ({23}) Wir werden im Kapitel 3006 circa 100 Millionen in die entsprechenden Titel für Projektförderung geben, um Schlüsseltechnologien wie Biotechnologie, Nanotechnologie und nationale Raumfahrt zu fördern. Damit werden wir Chancen für die Zukunft ergreifen. Hier können Arbeitsplätze entstehen. Hier können grundlegende Innovationen durch Forschungen erzielt werden, die neue Märkte eröffnen und unserem Land neue Zukunftschancen geben. Denn wenn wir es nicht schaffen, überall wieder Spitze zu sein, werden wir es als Hochlohnland, als Hochkostenland und als Land mit kurzer Arbeitszeit nicht schaffen, den Standard, den wir heute haben, für unsere Kinder und Kindeskinder zu sichern. Frau Ministerin, an Ihre Adresse möchte ich noch einmal sagen: Die Steigerung der Ansätze einiger Titel um 3 Prozent ist weiß Gott nicht die großmütig angekündigte Innovationsoffensive des Herrn Bundeskanzlers. Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie müssten Ihren Kanzler beim Wort nehmen und eine solide Umsetzung seiner Ankündigungen in harte Budgetzahlen einfordern. Stattdessen schauen Sie den Luftballons Ihres Kanzlers, die er ein ums andere Mal aufbläst, sehnsüchtig hinterher, wenn er sie aufsteigen lässt und sie sich dann im Nichts verflüchtigen. ({24}) Interessant ist, was zur Qualifizierung Ihrer Leistungen in diesem Kabinett seit sechs Jahren die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am 1. August dieses Jahres geschrieben hat. ({25}) Dort steht: Edelgard Bulmahns politischer Erfolg besteht darin, sich als wenig bekannte, wenig erfolgreiche Ministerin gleichwohl in Regierung und Partei zu behaupten. Das mag Ihnen genügen, uns ist es zu wenig, Frau Ministerin. ({26}) Ich komme zum Schluss. ({27}) Die Union ist es, die für den Einzelplan 30 und damit für die Entwicklung der ganzen Bundesrepublik Deutschland Perspektiven aufweist, die die richtigen Schwerpunkte setzt und somit unser Land aus der von Rot-Grün verschuldeten Depression hinausführt. ({28}) Ich möchte meine Rede ähnlich wie meine letztjährige Haushaltsrede schließen: ({29}) Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister, Frau Ressortministerin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, Sie können es nicht. Machen Sie Platz für einen neuen Anfang für unser Vaterland! Danke sehr. ({30})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir erst überlegt, ob ich ebenso wie der Kollege Fell die Rede von Frau Reiche ignorieren soll oder ob ich auf sie eingehen soll. Ich habe mich jetzt für Letzteres entschieden, um an einigen Beispielen wirklich einmal zu prüfen, ob Ihr Reden mit dem Handeln Ihrer Partei in Deckung zu bringen ist. Ich will das an vier Beispielen tun. Zunächst einmal haben Sie gefordert, diese Bundesregierung müsse mehr Geld für BAföG ausgeben, sie tue in diesem Bereich zu wenig. Ich habe mir noch einmal kurz die Zahlen herausgesucht. Es sieht so aus, dass im Jahre 1998 für BAföG 780 Millionen Euro geflossen sind. Im Jahr 2005 werden 951 Millionen Euro für BAföG fließen ({0}) und 445 Millionen für Bildungskredite bei der KfW. Das macht zusammen ungefähr 1,4 Milliarden. ({1}) Ich habe gelesen, dass Sie mathematisch-naturwissenschaftlich gebildet sind. Dann müssten Sie doch eigentlich wissen, dass 1,4 Milliarden doppelt so viel sind wie 700 Millionen. ({2}) Das hat auch nichts mit einem Blick zurück zu tun. Ich richte damit den Blick nach vorne. Der zweite Punkt: Sie sagen, man müsse mehr in Zukunft investieren und dürfe nicht mehr Geld in alte Strukturen stecken. Fakt ist, dass Sie bei den Haushaltsberatungen 2004 eine Verweigerungshaltung an den Tag gelegt haben. Wir wollten die Eigenheimzulage abschaffen, Sie haben gesagt: Nein, sie muss bleiben. Wir wollten die Pendlerpauschale kürzen, Sie haben gesagt: Nein, sie muss bleiben. Den Agrardiesel hatte die Koalition bereits herausgenommen, aber Sie haben gesagt, er müsse drinbleiben. Das heißt, Sie reden von Zukunftsinvestitionen, sperren sich aber gegen Subventionsabbau und betreiben Lobbyismus. Das ist vorne und hinten unglaubwürdig. ({3}) Dritter Punkt. Sie sprechen - das habe ich in Ihrem „FAZ“-Beitrag gelesen - von der Autonomie der Hochschule und sagen, dass man die Universitäten nicht in ökonomischer Hinsicht verzwecken solle. In der Sache stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Aber schauen wir einmal, wie es da aussieht, wo Ihre Partei Verantwortung hat, zum Beispiel in Hamburg. In Hamburg wird gerade vom zuständigen Wissenschaftssenator - es ist ja ein CDU-geführter Senat - vorgeschlagen, die Geisteswissenschaften zu halbieren. ({4}) Ich habe hier einen wunderbaren Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die eben schon einmal zitiert wurde, vom 31. August. Dort schreibt Richard Rorty, ein bekannter Kulturwissenschaftler, der in Hamburg einige Zeit als Gastwissenschaftler war, in einem Essay - ich nehme an, viele von Ihnen haben ihn gelesen -: Den Bericht über die geplante Halbierung der Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg … lese ich mit Verwunderung und Entsetzen. Es ist kaum zu fassen, daß derart weitreichende Entscheidungen, durch die Wesen und Funktion einer bedeutenden Universität substantiell geändert werden, den betroffenen Fakultäten einfach von oben in Form einer politischen Direktive durchgestellt werden. Das ist Ihre Form von Autonomie! ({5}) Das ist verlogen wie sonst was; das muss man ganz klar sagen. Viertes und letztes Beispiel - dann komme ich zu meiner eigentlichen Rede -: Stammzellforschung. Sie stellen sich hier hin und tun so, als seien die Beschlüsse des Bundestages bzw. die Regierung das zentrale Hemmnis für das Vorankommen Deutschlands im Bereich der Bioforschung. ({6}) Das passt vorne und hinten nicht zusammen. Einige unter Ihnen, wie Sie, wollen bei der embryonalen Stammzellforschung den Weg sozusagen komplett freimachen, andere sind der Meinung, man brauche hohe moralische, restriktive Standards. Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, dass Sie sozusagen mit Reiche und Böhmer für und gegen embryonale Stammzellforschung plädieren. Sie müssen sich schon entscheiden. ({7}) Vor allem lassen wir Ihnen nicht durchgehen, dass Sie hier mit einer besserwisserischen Attitüde auftreten und mit einer unglaublichen Arroganz den Finger in jede Wunde legen, aber die eigenen Defizite nicht beim Namen nennen. ({8}) Jetzt zum Haushalt. Schön, dass Herr Eichel da ist. Für uns lautet die Devise: Wir müssen die Subventionen weiter senken, um Mittel in Bildung, Forschung, Innovationen und Familie umschichten zu können. ({9}) Das ist unser Ansatz; es wurde bereits mehrfach gesagt. Wir hoffen, dass die Union da mitmacht. Ich bin nicht so pessimistisch, Frau Flach, zu sagen, dass die Union die Streichung der Eigenheimzulage ganz sicher nicht mitträgt; denn Gott sei Dank haben ja auch die Ministerpräsidenten bestimmte Interessen. Wir werden sehen. ({10}) Was den Haushalt selber anbetrifft, ist schon einiges gesagt worden. In vielen Zukunftsbereichen - Softwaretechnik, Mikrosystemtechnik, Nanoelektronik, Nanomaterialien, Produktionssysteme, optische Technologien, auch im Bereich Energieforschung und nachwachsende Rohstoffe - ist ein Aufwuchs zu verzeichnen, was sicherlich sehr positiv ist. Wir müssen allerdings kritisch sehen und im Verfahren prüfen, ob es wirklich vernünftig ist, im Bereich der Mobilitäts- und Bauforschung so stark zu kürzen; denn das sind genau die beiden Bereiche, in denen die größten CO2-Minderungspotenziale liegen - Stichwort: Klimaschutz ({11}) und in denen aufgrund der demographischen Entwicklung große Veränderungen anstehen. Da besteht Forschungsbedarf. Das müssen wir im Laufe des Verfahrens prüfen und deshalb möchte ich die Kürzungen mit einem Fragezeichen versehen. Im Zusammenhang mit der Biotechnologie möchte ich zwei Punkte ansprechen. Ich glaube, dass es falsch ist, bei der Bionik, also bei der Frage, was wir von der Natur lernen können, beispielsweise für den Flugzeugbau, für Oberflächenbeschichtung usw., so stark zu kürzen, wie es hier vorgesehen ist. Dieses zarte Pflänzchen sollten wir eher gießen, als es herauszurupfen. ({12}) Deshalb glaube ich, da müssen wir noch nachlegen. Für die bioethische Begleitforschung sind jetzt die 5 Prozent der Mittel für die gesamte Biotechnologieforschung vorgesehen, von denen wir meinen, dass sie für diesen Bereich reserviert werden müssen. Aber ich sehe mit einer gewissen Skepsis, dass daraus voll der Nationale Ethikrat finanziert werden soll. Den Nationalen Ethikrat kann man so oder so sehen, Frau Flach; wir sehen ihn vielleicht nicht beide gleich. Aber die Frage ist, ob er unter die bioethische Begleitforschung fällt. Wenn 2,14 Millionen Euro aus diesem Topf an den Nationalen Ethikrat gehen, ({13}) dann muss man auch sehen, dass die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages nur 153 000 Euro zur Verfügung gestellt bekommt. Ich glaube, das ist ein Missverhältnis; darüber müssen wir noch einmal reden. ({14}) Was die Nanotechnologie betrifft, muss man sagen, dass es sich um eine vielversprechende Technologie in der Zukunft handelt. Das ist keine Frage. Aber wir müssen bei dieser Nanotechnologie auch eine Begleitforschung durchführen. Diesbezüglich stehen wir noch sehr am Anfang. Wir müssen vor allen Dingen sicherstellen, dass bei dieser Technologie die Vorsorge beachtet und das Verursacherprinzip berücksichtigt wird. Es macht keinen Sinn, denjenigen Glauben zu schenken, die meinen, demnächst würden Nanoroboter die Weltherrschaft übernehmen. Aber es gibt viele offene Fragen bei der Nanotechnologie hinsichtlich der Gesundheit und der Bioethik. Deswegen brauchen wir auch im Bereich der Nanotechnologie, wie gesagt, eine entsprechende Begleitforschung. Das ist ganz wichtig. ({15}) Was die strukturellen Rahmenbedingungen betrifft, möchte ich Folgendes sagen. Über die Juniorprofessur wurde nur kurz gesprochen. Wir alle fragen uns, ob die Ausstattung ausreicht, ob das Lehrdeputat nicht zu hoch ist und ob sich der Doppelcharakter Qualifizierung und gleichzeitig Vollprofessur durchsetzt. Ich habe mit großem Interesse in der „Zeit“ gelesen, dass diejenigen, die Juniorprofessorinnen oder Juniorprofessoren geworden sind, Spaß daran haben und zufrieden sind. ({16}) Ihre Miesmacherei liegt also völlig daneben. Wir müssen diesen Leuten sehr schnell eine klare Perspektive geben. Das heißt, die Länder - das gilt im Wesentlichen für die CDU-regierten Länder - müssen die entsprechenden Regelungen sehr schnell in Landesrecht umsetzen. Auch bei den befristeten Beschäftigungsverhältnissen müssen wir die Hängepartie beenden. Es ist klar - das haben wir hier schon gemeinsam mehrfach festgestellt -, dass das Wissenschaftssystem eigene Gesetzmäßigkeiten hat. Es braucht ein höheres Maß an Flexibilität. Deswegen ist das öffentliche Dienstrecht für den Wissenschaftsbereich auf Dauer ohnehin nicht anwendbar. Wir brauchen einen Wissenschaftstarifvertrag. Ich möchte die Bundesregierung, vor allem den Bundesinnenminister, noch einmal auffordern, hier endlich aktiv zu werden, dass die Sache nicht länger unerledigt bleibt. ({17}) Ich könnte noch viel zur Grünen Gentechnik sagen. Ich bin mit meiner Redezeit aber fast am Ende. Frau Flach, zur Stellungnahme der DFG kann ich nur sagen, dass Klappern zum Handwerk gehört. ({18}) Wenn mit der Grünen Gentechnik wirklich die gemachten Versprechungen eingelöst werden können - Entwicklung von schädlingsresistenten und hitzetoleranten Arten, was bei einem Klimawandel wichtig ist; bessere Lagerfähigkeit und bessere ernährungsphysiologische Eigenschaften -, dann würde die Akzeptanz vielleicht steigen. ({19}) Die Politik aber muss Rahmenbedingungen setzen, bei denen das Verursacherprinzip gilt. Es kann da nur eine vernünftige Haftungsregelung infrage kommen. Wir müssen die Balance finden zwischen Chancen und Risiken. Für einen Forscher ist die Strategie „No risk, no fun“ - kein Risiko, keine Freude - die richtige Strategie. Aber für die Politik ist es wichtig, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Freiheit des einzelnen Forschers nicht zulasten der Gesellschaft oder der Umwelt geht. Diese Balance müssen wir aushalten. Das schaffen wir auch. Danke schön. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marion Seib von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen schnellstens echte Innovationen in der Wirtschaft und keine schrägen Innovationen bei der Haushaltsaufstellung. Der Einzelplan 30 des Haushalts hätte die Aufgabe, ein Transmissionsriemen zu sein. Sie aber haben ihn zur Handbremse für Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer gemacht. ({0}) Weil Innovationen eben nicht kommen, wenn man nur nach ihnen ruft, gibt es viel dafür zu tun, dass sie eine Chance erhalten. Ihnen aber reicht es offensichtlich aus, ein „Jahr der Innovation“, ein „Jahr der Technik“ auszurufen. Ihre Haushaltsvorlage ist Pfusch durch Unvermögen. Ich möchte an dieser Stelle einmal klarstellen: Die von der rot-grünen Bundesregierung so oft entschuldigend vorgetragenen „handwerklichen Fehler“ als Bezeichnung für Unvermögen sind eine Beleidigung für unsere tüchtigen Handwerker. ({1}) Ihr Haus, Frau Ministerin, hat einen Haushalt ohne jede Rücksicht auf Strategien und unüberlegte Streichorgien anderer Häuser aufgestellt. ({2}) Einmal die Priorität falsch gesetzt ist schon schlimm genug. Aber zeitgleich in vielen Häusern die Priorität falsch zu setzen ist eine Katastrophe. Bildung und Forschung als Steinbruch für die Steinkohle herzunehmen scheint in dieser rot-grünen Haushaltspolitik der einzig rote Faden zu sein. Werden doch ausgerechnet im Etat des Kanzleramtes Zuschüsse an die Länder für die forschenden Museen mit nationaler Bedeutung wie das Deutsche Museum in München oder das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg gekürzt, obwohl sie zur Leibniz-Gemeinschaft gehören und anerkannte Forschungsinstitute sind. Das Wirtschaftsministerium - Herr Finanzminister, hören Sie zu! - legt Mittel im Rahmen des Programms „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ auf Eis. Bereits getätigte unternehmerische Vorleistungen für neue innovative Produkte können nicht in die Wertschöpfungskette aufgenommen werden. Was heute nicht in den industriellen Vorlauf kommt, kann in zwei Jahren auf dem Markt schlicht und einfach nicht erscheinen. Allein aus einem einzigen Bereich, dem der Fügetechnik, sind 14 Vorhaben blockiert: die Plasma-MIG-Technologie für beschichtete Stähle, das Laserstrahlschweißen für Polymere, das Hochleistungsschweißen von hochfesten Aluminiumlegierungen; diese Liste ist fortsetzbar. Durch die Blockade der Vorhaben bei der Klebstofftechnik wird die bisherige Erfolgsgeschichte der Klebetechnik beendet. Wegweisende Forschungsvorhaben werden behindert oder sogar ganz verhindert, weil betroffene Firmen den für Forschung und Entwicklung fehlenden Finanzierungsanteil des Bundes einfach nicht überbrücken können. Der Einzelplan 12, der Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, ist eine Katastrophe. Zusätzlich kürzen Sie, Frau Ministerin, beim Titel „Verkehr und Mobilität“ gut 12 Prozent der Mittel. Dabei wäre die Bundesregierung aufgefordert, die Bereiche Verkehr, Mobilität und moderne Infrastruktur zu fördern. Andernfalls erweist sich die Forderung nach einem größeren Anteil an moderner Infrastruktur dauerhaft als Illusion. Genauso kurzsichtig wie bei den Verkehrstechnologien agieren Sie beim Titel „Bauen und Wohnen“ mit einer Etatsenkung von sage und schreibe 42 Prozent. Aufgrund der drohenden demographischen Entwicklung sind besonders in diesem Bereich verstärkt wissenschaftliche Anstrengungen erforderlich, um in einer älter werdenden Gesellschaft adäquate Wohnbedingungen für alle Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Wenn man sich dann noch bewusst macht, wie eng die Forschungseinrichtungen mit den Hochschulen zusammenarbeiten, wird deutlich, welcher Schaden für die deutsche Wissenschaftslandschaft entsteht. Kluge und gut eingearbeitete Köpfe aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Firmen und aus den universitären und außeruniversitären Instituten müssen entlassen werden. Sie werden aber keine weitere Verwendung finden, weil alle Häuser zeitgleich und unabgestimmt kürzen. Allein mir liegen fünf Schreiben von betroffenen Instituten vor. Ich denke, Sie machen mit diesem Programm den Weg für den weiteren Braindrain frei. Dies ist nichts anderes als ein grandioses Programm zur Know-how-Vernichtung in Deutschland - und dies vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe. In dieser Situation kürzen Sie, Frau Ministerin, die Mittel zur Steigerung der Attraktivität des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland im Ausland um 3,5 Millionen Euro. Auch bei der Durchsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses wurden die Prioritäten nicht richtig gesetzt. Zwar räumte die Bundesregierung auf der Bologna-Nachfolgekonferenz 2003 hier in Berlin den Hochschulen bei der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschul- und Wissenschaftsraums eine Schlüsselrolle ein; doch der vorliegende Haushaltsentwurf spiegelt diese Schlüsselfunktion der deutschen Hochschulen in keiner Weise wider. Für die nationale Umsetzung des Bologna-Prozesses stehen im Vergleich zum letzten Jahr 37 Prozent weniger Mittel zur Verfügung. ({3}) Eine Sparrunde in dieser Größenordnung ist hier völlig falsch am Platz. Spätestens auf der nächsten Bologna-Nachfolgekonferenz in Bergen in Norwegen wird sich dies zeigen. Hier müssen die Teilnehmerstaaten Rechenschaft über ihre Fortschritte im Bologna-Prozess ablegen. Der vereinbarte Schwerpunkt wird dabei in der Fortentwicklung der Qualitätsabsicherung liegen. Auf diesem Feld muss in Deutschland noch einiges getan werden, Frau Ministerin. Mit Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen steht zwar die Struktur für die Qualitätsabsicherung zur Verfügung; das allein reicht aber nicht. Es sind erst 670 von 2 500 Bachelor- und Masterabschlüssen akkreditiert. Für eine dauerhafte Akzeptanz der neuen Abschlüsse bei Studierenden und Lehrenden sowie vor allem in der Wirtschaft ist eine durchgehende Qualitätsabsicherung unerlässlich. Hier dürfen die Betroffenen nicht allein gelassen werden. Die Umstellung auf die neuen Studiengänge darf nicht zum Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten der Absolventen führen. Der Bologna-Prozess stellt für die deutschen Hochschulen eine enorme Chance dar, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die zeitlichen und materiellen Anforderungen an die Hochschulen sind sehr hoch. Dabei sind sie auf ein Mehr und nicht auf ein Weniger an Unterstützung angewiesen. Gleiches gilt für die viel beschworene Elitebildung. Elitebildung kann nicht staatlich verordnet werden und bei der Auswahl einiger weniger Elitehochschulen beginnen. ({4}) Zunächst muss der wissenschaftliche Nachwuchs besser gefördert werden. Im Einzelplan 30 geschieht genau das Gegenteil. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Die Gelder zur Entwicklung neuer Graduiertenstudiengänge werden gekürzt. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite wollen Sie die Graduiertenkollegs durch das Eliteprogramm fördern; auf der anderen Seite kürzen Sie still und heimlich die Gelder für die Graduiertenstudiengänge. ({5}) Das Programm „Jugend forscht“ wird gekürzt, obgleich sich die Notwendigkeit einer möglichst frühzeitigen Förderung bis zur Bundesregierung herumgesprochen haben sollte. ({6}) - Wenn es sich nicht herumgesprochen hat, dann ist es schlecht, Herr Tauss. ({7}) Meine Damen und Herren, bekanntlich entsteht Exzellenz nur, wenn Forscher die Möglichkeit haben, ihre Ideen frei und ohne Vorgaben zu entwickeln. ({8}) In der Kernenergieforschung und in der Gentechnik ist dies in Deutschland momentan nicht möglich. Beide Bereiche werden seit Jahren von der rot-grünen Bundesregierung mit List und Tücke ausgebremst. Wir bräuchten aber die Atomkraft und die Gentechnik als technologische Optionen für zukünftige Generationen. Auf dem Weltenergiekongress in Sydney wurde gerade in dieser Woche festgestellt, dass sich die Kernenergie als Energieträger weltweit wieder auf dem Vormarsch befinde. Es besteht die Gefahr, dass Deutschland bei der derzeitigen hiesigen Entwicklung den Anschluss verpasst, wie dies bereits in anderen Bereichen geschehen ist. ({9}) Mittlerweile ist es in Deutschland für junge Menschen unattraktiv geworden, sich mit der Atomphysik zu beschäftigen. Gerade in diesem Bereich fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs, was dazu führt - jetzt hören Sie bitte gut zu -, dass Atomphysiker im Rentenalter für Beratungstätigkeiten herangezogen werden müssen. So weit wird es in der Gentechnik natürlich gar nicht erst kommen. Mit Ihrem Gentechnikgesetz machen Sie innovative Forschungsvorhaben schon von Anfang an unmöglich. Meine Damen und Herren, es stimmt verdrießlich, wenn man merkt, dass einerseits etablierte und von allen Seiten als notwendig anerkannte Programme weniger Mittel erhalten, andererseits die pure Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums keinerlei Kürzungen unterliegt. ({10}) Ich hoffe nicht, dass dies der Nachweis für das Regierungsmotto „The show must go on“ ist. In diesem Falle gingen im Wissensstandort Deutschland definitiv die Lichter aus. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat in diesen Haushaltsberatungen schon viele rhetorische Höhepunkte gegeben. Aus der Debatte vom heutigen Morgen suche ich mir als einen Höhepunkt die Rede von Frau Flach heraus, als sie mehrfach ganz fröhlich und unbeschwert sagte: Ich will, ich will, ich will. - Ist es demgegenüber nicht gut, dass wir eine Regierung haben, die vom „wir“ redet? Bei uns heißt es: Wir machen etwas zusammen. ({0}) Dieses Wir wird in Bezug auf Bildung, Betreuung, Erziehung, Forschung und Entwicklung ganz massiv in den Vordergrund gerückt. Wenn wir nicht nur auf diesen Einzelplan gucken, sondern die Gesamtheit dessen nehmen, was sich bei diesen Haushaltsberatungen in Bezug auf Innovation widergespiegelt hat, dann können wir auch andere Ressorts heranziehen. Wir von der sozialdemokratischen Seite - ich glaube, dies gilt auch für die Grünen - halten es für ausgesprochen gut, dass Innovation ein ressortübergreifendes Anliegen dieser Regierung ist. ({1}) Dies beginnt in der Bildungspolitik da, wo es um Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit geht. Gestern hatten wir eine Diskussion über das Tagesbetreuungsausbaugesetz. Dies bedeutet Förderung zu Beginn der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. ({2}) Beim Finanzminister sind 1 Milliarde Euro für Ganztagsschulen in besten Händen. Dieses Geld wird auch tatsächlich ausgeschüttet. Damit kommt Schule für alle in Bewegung. Auch der Wirtschafts- und Arbeitsminister macht hier mit; in seinem Haushaltsplan sind die Mittel für 25 000 zusätzliche Einstiegsqualifikationen veranschlagt, für die der Bund, der Steuerzahler, fast 100 Millionen Euro bereitstellt. Uns ist wichtig, dass eines deutlich wird: Wenn wir in Deutschland Bildung und Innovation entwickeln wollen, geht es nicht um das Ich, um das einzelne Ressort, sondern um die Gesamtheit. Dies wird von allen Mitgliedern der Regierung gemeinsam getraDr. Ernst Dieter Rossmann gen. Deswegen spreche ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank an die gesamte Regierung aus. ({3}) Sie meinten, diese Ministerin könnte mehr und anderes machen. Zwar gebe ich Ihnen zu, dass Sie es richtig beschrieben haben, dass der Föderalismus in Deutschland manchmal ein Gestrüpp ist, wenn es um Innovation geht. Wer dieses Gestrüpp nur von außen betrachtet, kann nichts verändern. Wer aber mit Initiativen an das Gestrüpp herangeht und nicht nach Zuständigkeit, sondern nach dem Notwendigen fragt, der wird etwas bewegen. ({4}) Hier haben wir mit Frau Ministerin Bulmahn eine Ministerin, die in diesem Bereich ungemein viel bewegt hat. Ich will mich nicht noch einmal auf die Bereiche der Primarförderung, der schulischen und der beruflichen Förderung beziehen. ({5}) Ich will mich stattdessen auf den Hochschulbereich konzentrieren. ({6}) Es ist nicht fair, zu ignorieren, dass das BAföG erst wieder zu einer wirklichen Chance für viele junge Leute geworden ist, nachdem diese Regierung es reformiert hat. ({7}) Wir haben hier einen massiven Erfolg erzielt, der sich in steigenden Studierendenzahlen und steigenden Gefördertenzahlen widerspiegelt. Die Chancen für die jungen Leute, die es bisher materiell nicht so gut hatten, sind dadurch gestiegen. Ich komme zum Hochschulbau. Hier gab es die kleine Arabeske, als gefragt wurde: Warum fangen wir nicht 1948 an? Wir fangen deshalb 1998 an, weil es 1998 den Offenbarungseid eines vermeintlichen Zukunftsministers gab. ({8}) Dass in dieser Legislaturperiode die Mittel für den Hochschulbau verstetigt wurden und die Vorauszahlungen abgetragen worden sind, ist eine Leistung dieser Regierung. ({9}) Es ist eine Leistung dieser Ministerin, das vorangebracht zu haben. ({10}) Wir können die inneren Reformen im Hochschulbereich anführen. Sie wissen doch genau, welche Auseinandersetzungen wir miteinander hatten, als wir zum ersten Mal über Leistungskomponenten bei der Hochschullehrerbezahlung diskutiert haben. ({11}) - Sie waren dabei, die anderen waren im Busch und die Ministerin hat es gemacht. ({12}) Das ist doch die Wirklichkeit in der Bildungs- und Forschungspolitik: Wir haben jungen Leuten eine erste, zweite und auch dritte Chance eröffnet. ({13}) Hätten wir die Juniorprofessur bekommen, wenn die Kleinmütigen das Wort geführt hätten? Wir haben jetzt die Juniorprofessur, weil unsere Ministerin den Mut dazu hatte. ({14}) Diese Entscheidung hatte Auswirkungen auf die Nachwuchsförderung und die Konkurrenzsituation an den Hochschulen und eröffnet neue Entwicklungsmöglichkeiten. Wir haben Vertrauen in die jungen Wissenschaftler und fähigen Nachwuchskräfte gesetzt und das entwickelt sich positiv. Das ist eine Leistung. Sie mögen sich noch dreimal darüber freuen, dass im Bundesverfassungsgericht die Kleinmütigen die Mehrheit hatten, ({15}) aber das ist nicht das Entscheidende. ({16}) Das Entscheidende ist, dass Sie jetzt dort, wo Sie können, mitmachen, ({17}) um Juniorprofessuren im Hochschulrecht der Länder als selbstverständlich zu verankern. Es bleibt dabei, dass einige in der Verantwortung stehen. Sie tragen Verantwortung, die Veränderungen im Hochschulrecht - um es knapp zu formulieren - in den Ländern ernst zu nehmen, statt es, wie Sie es vorher gemacht haben, auf die lange Bank zu schieben. ({18}) Ich komme zu einem weiteren Vorhaben, das von uns - ich will es selbstkritisch ausführen, weil man sich an einem solchen Podium nicht an seiner Rhetorik berauschen soll - etwas verkantet eingeleitet worden ist. Es war kein Ruhmesblatt, dass am Anfang von Harvard und Stanford und anderen Eliteuniversitäten die Rede war. Aber was ist daraus geworden? Daraus ist ein exzellentes Programm - von Bund und Ländern verabredet - in Bezug auf die Entwicklung von Spitzenqualitäten, von Zusammenarbeit auf höchstem Niveau und von Nachwuchsförderung an deutschen Hochschulen geworden. Die finanzielle Ausstattung war schon bis zum letzten Punkt über mehrere Jahre hinweg ausgehandelt worden. ({19}) Der Kollege Loske hat bereits darauf hingewiesen, dass hier Chancen blockiert werden. Wir können uns nicht vorstellen, aus welchem Grund Sie es blockieren, außer aus einem rein parteipolitischen Grund oder aus dem Gefühl der Missgunst gegenüber der Ministerin und einer Regierung, die mit Ihren Kultus-, Bildungs- und Forschungsministern zusammen etwas entwickelt hat. Das ist eine sehr herbe Entwicklung. ({20}) - Sie fühlen sich verleumdet? Ich mache einen Schnitt. Ich darf eine Presseerklärung der Deutschen Forschungsgemeinschaft anführen. Sie ist eine der angesehensten Forschungsorganisationen - sie ist sehr politikfern -, weil sie aus dem Sachverstand der Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen gespeist ist. Sie und wir haben uns immer für diese Forschungsgemeinschaft eingesetzt. Die DFG hat am 7. Juli erklärt: Eine solche öffentliche Äußerung der Mitgliederversammlung der DFG geschieht erstmalig. Weshalb hat sie sich erstmalig geäußert? - Sie nimmt sich sonst sehr zurück, aber sie äußert sich diesmal, weil sie so tief enttäuscht darüber war, dass das Exzellenzprogramm, das von der Ministerin zusammen mit den Ländern ausgehandelt worden ist, blockiert worden ist. Die Blockade ist doch nicht von der Ministerin ausgegangen; die Blockade geht doch von Ihrer Seite aus. ({21}) Die DFG bittet Sie förmlich, die Blockade aufzugeben, damit es baldmöglichst zur Umsetzung dieser neuen Initiative kommen kann, die auch die Basis für Spitzenleistungen an unseren Hochschulen verbreitert, die die Lehre verbessert, die jungen Leuten eine Chance gibt und die Leuchttürme in unserer differenzierten Hochschullandschaft entstehen lässt. Ich will noch eine Bemerkung zu dem Zusammenhang zwischen Natur-, Ingenieur-, Geistes- und Sozialwissenschaften machen, den auch der Kollege Loske angesprochen hat. Es ist doch richtig, dass dieser Haushaltsplan einen Mittelzuwachs für Sozial- und Geisteswissenschaften enthält. ({22}) Genauso richtig ist es, dass wir uns darüber freuen, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit den über 30 Millionen Euro, die sie mehr bekommt, auch in diesem Bereich zusätzliche Akzente setzen will. Das ist deshalb so wichtig, weil dadurch die Ganzheitlichkeit nicht nur von Forschung und Lehre, sondern auch der Wissenschaften überhaupt, des Studiums wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt wird. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unter anderem von der Wirtschaft die Leitidee des kontextbezogenen Studiums wieder stärker betont wird, eines Studium also, das nicht nur Schmalspurstudium ist, sondern eines, das auf Implikation zielt, das also auch das Umfeld, die Vermittlungsfähigkeit, den kulturellen, sozialen und historischen Hintergrund der Wissenschaften mit beleuchtet. Früher nannte sich dieses Studium generale; neuerdings nennt es sich kontextbezogenes Studium. Das Wichtige ist, dass diese Regierung alles ihr Mögliche tut, um dies den Hochschulen der Forschungsgemeinschaft zu ermöglichen. Wir finden dies gut und wollen und werden die Regierung darin unterstützen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Rossmann, Ihre Redezeit ist wirklich lange abgelaufen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, mein letzter Punkt: Ob es uns gelingt, liegt auch an Ihnen, an CDU/CSU und FDP. Sie mögen diese Chance nutzen oder nicht. Den Nutzen haben am Ende nicht wir auf politischer Ebene, sondern den haben die jungen Menschen, die Hochschulen in Deutschland. Diese bekommen Zukunftschancen. Deshalb tragen Sie Mitverantwortung. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vollmundig hat Bundeskanzler Schröder dieses Jahr zum „Jahr der Innovation“ erklärt. Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Bundeskanzler, wenn über den Haushalt für Forschung und Innovationen beraten wird? Er fehlt und das ist symptomatisch dafür, was er von diesem Thema in Wirklichkeit hält. ({0}) Gespannt warten Hochschulen und Wissenschaft auf neue Impulse und neue Finanzmittel, damit aus der angekündigten Innovationsoffensive etwas Konkretes wird. Heute stellen wir aber fest: Die Innovationsoffensive findet im Bundeshaushalt keinen Niederschlag. Die Orientierung auf Innovationen, die Schröder angekündigt hat, gibt es eindeutig nicht. Für diesen Einzelplan ist gerade einmal eine Steigerung um 2,45 Prozent vorgesehen. Damit ist es einer von 18 Einzelplänen, die ein wenig Aufwuchs erfahren. Eine Konzentration auf Bildung und Forschung hat jedoch nicht stattgefunden. Deshalb spricht der „Spiegel“ von einem „Flop“. Erfolge sind nicht in Sicht. Keines der von Ihnen angekündigten Ziele ist bislang umgesetzt worden. Dieses Scheitern hat ein Gesicht: Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Sie stolpert von einer Niederlage zur nächsten. ({1}) Auch in der SPD nimmt die Unruhe zu. Der „Berliner Zeitung“ sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz: „Wir sagen überall: Innovationen, Investitionen in die Zukunft. Aber diesem Anspruch werden wir nicht gerecht.“ - Wo er Recht hat, hat er Recht. ({2}) Im März hat Schröder angekündigt, er habe kein Geld mehr, deshalb müsse man Subventionen aus der Vergangenheit in zukünftige Investitionen umschichten. Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir unterbreiten Ihnen heute hier ein ganz konkretes, belastbares Angebot. Wir sind bereit, von den Kohlesubventionen, also Subventionen aus der Vergangenheit, einen dreistelligen Millionenbeitrag, genauer gesagt: 300 Millionen Euro, für Investitionen in Bildung und Forschung umzuschichten. ({3}) Die Alternative ist klar: Vergangenheit oder Zukunft. Wir sind für die Zukunft und wollen hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. ({4}) Lauthals hat Gerhard Schröder sein Ziel verkündet, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. So weit seine Ankündigung. Die Realität sieht aber vollkommen anders aus; denn mit dem Aufwuchs in Ihrem Haushalt lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Für wie dumm meinen Sie uns eigentlich verkaufen zu können? In Ihrem eigenen Bundesforschungsbericht rechnen Sie vor, dass selbst bei einem Nullwachstum ein Zuwachs in Ihrem Haushalt von 4,3 Prozent nötig wäre. Bei einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent wäre im Haushalt des BMBF ein Zuwachs von 6,4 Prozent notwendig. Davon ist Rot-Grün himmelweit entfernt. ({5}) Mittlerweile attestieren sogar ihre Kabinettskollegen Frau Bulmahn ein mangelndes Profil. In einer Sitzung des Parteirats der Grünen sagte Bundesumweltminister Trittin: ({6}) Eigentlich sei es egal, ob man - ich zitiere - „der guten Edelgard“ ein paar Millionen oder Milliarden Euro mehr gebe; in der Bevölkerung erfahre davon ohnehin niemand etwas. ({7}) Niemand kenne die für das Zukunftsressort zuständige Politikerin. ({8}) So äußerte sich Ihr Kabinettskollege Trittin. Da müssten Ihnen eigentlich die Ohren scheppern. ({9}) All das zeigt die Ohnmacht der Ministerin. Frau Bulmahn hat im Bundeskabinett kein politisches Gewicht. In den sechs Jahren ihrer Ministertätigkeit hat sie kein inhaltliches Profil entwickelt und keine Forschungsdebatte durch eigene, kluge Gedanken prägen können. Das ist die bittere Bilanz, die wir ziehen müssen. ({10}) Auch im vorliegenden Haushalt werden die Weichen falsch gestellt. Die globale Minderausgabe, die im Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden soll, ist mit 145 Millionen Euro viel zu hoch angesetzt. Das wird sich zulasten der Projektförderung in den Bereichen Gen-, Nano- und Informationstechnologie auswirken. Die Mittel für die Förderung des Mittelstandes, insbesondere der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, wurden nicht um 3 Prozent erhöht. Dadurch ist der Mittelstand in eine Innovationsdefensive geraten. Das ist ein Riesenfehler; denn gerade der forschungsnahe Mittelstand ist der entscheidende Wachstumstreiber unserer Volkswirtschaft. Die diesjährigen Kürzungen des Bundes beim Hochschulbau in Höhe von 135 Millionen Euro werden auch im nächsten Jahr nicht zurückgenommen. So sieht die Realität des Jahres 2005 aus; sie hat nichts mit der in den Glanzbroschüren Ihres Ministeriums beschriebenen Unterstützung von Spitzenuniversitäten zu tun. ({11}) Ich will Ihnen nur eine Zahl nennen: Allein in den neuen Bundesländern besteht ein Bedarf an Neu- und Ausbauten von Hochschulen in einer Größenordnung von 5,74 Milliarden Euro. Davon muss der Bund bis zu 50 Prozent mitfinanzieren. Dieser gesamtdeutschen Unterstützung aller neuen Länder müssen wir uns stellen. Aber was macht die Bundesregierung? Sie stiehlt sich davon und nimmt weitere Kürzungen beim Hochschulbau vor. Die Mittel für den DAAD und die Alexander-vonHumboldt-Stiftung zur Steigerung der Attraktivität unseres Wissenschafts- und Hochschulstandortes im Ausland werden um 3,5 Millionen Euro gekürzt, und dies vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe in einer globalisierten Wissenschafts- und Forschungsgesellschaft. ({12}) Wie ich von Vertretern der Humboldt-Stiftung höre, ist die Qualität der chinesischen Bewerber im Moment so hoch wie nie zuvor in der Geschichte. Der Hintergrund sind die Restriktionen in den USA - Stichwort: Homeland Security -, die zu einem Ausweichen der wirklichen Topleute in andere Länder führen. Meine Damen und Herren, es wäre eine Riesenchance für Deutschland, wenn wir uns beispielsweise mit einem Sonderprogramm um China kümmern würden. Aber wo sind die Ideen der Regierung? Es gibt keine. Der nach dem früheren Nobelpreisträger Wolfgang Paul benannte Forschungspreis für international herausragende Spitzenwissenschaftler, die Trendsetter für innovative Forschungsrichtungen sind, musste mangels Finanzmasse auf Eis gelegt werden. Statt neue Impulse zu setzen, betreibt das BMBF hier Abbau - schade, schade, schade. Nicht nur bei den Finanzen sind die Weichen falsch gestellt, sondern auch bei den Inhalten Ihrer Bildungsund Forschungspolitik. Zu einem völligen Desaster für diese Regierung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur geführt. Zutreffend hat das Gericht festgestellt, dass Ministerin Bulmahn durch die Überreglementierung der Juniorprofessur und - das war der entscheidende Punkt - durch die faktische Abschaffung der Habilitation weit in den Zuständigkeitsbereich der Länder hineinregiert und die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes missachtet hat. Darum ging es, meine Damen und Herren! ({13}) Dabei ist die Juniorprofessur durchaus geeignet, zu einer Verjüngung des wissenschaftlichen Nachwuchses und dessen früherer selbstständiger Tätigkeit beizutragen. Aber, Frau Bulmahn, es ist alles eine Frage der Ausgestaltung, ob eine Reform Bestand hat oder nicht. Ihr Beharren auf dem Verdrängen der Habilitation und Ihre nicht zu bändigende zentralistische Grundhaltung ({14}) haben aus einer guten Reformidee einen Scherbenhaufen gemacht; das ist Ihr politisches Versagen. ({15}) Die Bundesländer kommen jetzt in die Situation, dass sie den Schaden und die Unsicherheit, die Sie bei Hunderten Juniorprofessuren verursacht haben, beheben müssen. Dieser Schaden wäre vermeidbar gewesen und ich sage Ihnen, Frau Bulmahn: Dieses Scheitern Ihrer Bildungspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht wird immer mit Ihrem Namen verbunden bleiben. ({16}) Die Debatte um die Juniorprofessur ist ohnehin typisch für die Handlungsweise der Bildungsministerin: eine an sich sinnvolle Grundidee zu einer Glaubensfrage zu machen und sie damit zuschanden zu reiten. So hat auch die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben: „Ihre Absicht war richtig, ihr Eigensinn falsch.“ So geschieht es auch mit den Studiengebühren, aus deren Verbot Frau Bulmahn eine heilige Kuh macht. Ohnehin ist zu erwarten, dass das Verfassungsgericht dieses Verbot aufheben wird. Ein anderes Beispiel für falsche Weichenstellungen ist das neue, restriktive Gentechnikgesetz. Die Biotechnologieunternehmen in Deutschland sind fassungslos. Mit dem neuen Gesetz, Ihrem Gesetz, steht die agrarische Gentechnik in Deutschland vor dem Aus. Ein kommerzieller Anbau wird hier nicht mehr stattfinden können. Versuchsfelder in Baden-Württemberg, SachsenAnhalt und hier in der Region sind zerstört worden. Das mittelständische Unternehmen „Kleinwanzlebener Saatzucht“ hat angekündigt, keine Freilandversuche mehr durchzuführen: Die Aktivitäten sollen aus Europa nach Amerika verlagert werden, wo keine Feindseligkeit herrscht - wörtliches Zitat. Die „Union der deutschen Akademien der Wissenschaften“, so berichtet heute die „Welt“, hat in einem Memorandum an alle Abgeordneten dieses Parlamentes appelliert, dieses Gesetz nicht wirksam werden zu lassen. Zitat des Präsidenten der „Union der deutschen Akademien der Wissenschaften“: „Das geplante Gesetz“ - Ihr Gesetz - „ist ein Innovationskiller und Arbeitsplatzvernichter.“ Das ist die Realität Ihrer falschen Politik. ({17}) Meine Damen und Herren, Ihre reaktionäre und forschungsfeindliche Politik vertreibt Know-how und vertreibt gute Wissenschaftler auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik aus diesem Land. Das ist politisch verursachter Braindrain. Die Politik dieser Bundesregierung schwächt den Forschungsstandort. Die Halbzeitbilanz Ihres „Jahres der Innovationen“, sie besteht aus Tausenden Seiten Papier, Innovationsräten, Beiräten, einigen Abendessen beim Kanzler und falschen politischen Weichenstellungen. Sie bieten der Bildung und Forschung Abbau, Lustlosigkeit - man sieht es ja geradezu da vorne - und Ideenarmut. ({18}) Das Stop-and-Go in der Bildungs- und Forschungsfinanzierung zerstört Vertrauen. Bildung und Forschung brauchen aber Verlässlichkeit und Kontinuität. Reglementierungen bei Studiengebühren und Juniorprofessuren ersticken jede Initiative in diesem Land. Wir brauchen aber Luft zum Atmen und die Übergabe von Verantwortung an die Hochschulen. Ihre ideologischen Vorgaben bei Gentechnik und Energieforschung verbauen uns wichtige Marktchancen. Wissenschaft und Forschung brauchen aber Freiheit, Freiheit, Freiheit. ({19}) Deswegen sage ich Ihnen: Freiheit, Kontinuität und Verlässlichkeit - das sind unsere Bausteine für eine lebendige und offensive Bildungs- und Forschungspolitik für unser Land in einer guten Zukunft. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Themen „Freiheit der Universität“ und „Geisteswissenschaften“ hat der Kollege Loske ja schon das Notwendige gesagt. Herr Rachel, auch die Rede, die Sie gehalten haben, ist so wie auf Ihrer Seite die gesamte Debatte in diesen Tagen: Schlagworte ohne jegliche Substanz, in der Sache an einigen Stellen richtig, aber ansonsten kaum auszuhalten, wenn man die Widersprüche zu Ihrer sonstigen Politik in Betracht zieht. ({0}) Besonders ärgerlich ist dabei natürlich, dass Sie nicht nur mit Schlagworten arbeiten, sondern zum Teil auch mit Unwahrheiten. Frau Kollegin Seib, ich schätze Sie sehr, aber es geht nicht an, sich hier hinzustellen und zu sagen „‚Jugend forscht‘ wird gekürzt“. Das ist einfach nicht wahr. Die Mittel für den Wettbewerb werden nicht gekürzt, sondern erhöht; das ist Fakt. ({1}) Aus diesem Grund habe ich die herzliche Bitte, es mit solchen Aussagen hier nicht zu übertreiben. Wir wissen, wie wichtig es ist, junge Menschen für Naturwissenschaften zu interessieren und zu begeistern. Dazu gehören übrigens sowohl „Jugend forscht“ als auch ein Teil der Aufwendungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, die Sie kritisieren. Es geht dort nicht darum, die guten Leistungen der Regierung zu verkaufen, sondern darum, deutlich zu machen, welchen Stellenwert die Naturwissenschaften im Einstein-Jahr haben, um junge Menschen dazu zu gewinnen, in diesen Bereich zu gehen, in ihm zu lernen und später hoffentlich auch ohne Studiengebühren zu studieren. ({2}) Es kamen auch noch Aussagen wie „Die Bundesregierung fördert gewerkschaftsnahe Institute“. Wenn dort gute Arbeit geleistet wird, dann habe ich genauso wenig gegen eine solche Förderung, wie wenn im Bereich der Arbeitgeber gute Leistungen in wissenschaftlichen und organisatorischen Instituten erbracht werden. Sie haben beispielsweise ganz konkret vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation als einem gewerkschaftsnahen Institut gesprochen; das ist hoch interessant. Dieses Institut kümmert sich darum, innovative Dienstleistungen in diesem Land auf den Weg zu bringen. Chef dieses Fraunhofer-Instituts war Professor Bullinger, der zwischenzeitlich Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft geworden ist. Gewerkschaftsnahe Institute? Die Mitarbeiter in diesem Institut werden das mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. ({3}) Ich komme zur Grünen Gentechnik. Sicherlich, Gesetze enthalten Kompromisse. Im Forschungsbereich hätte ich mir das eine oder andere anders vorstellen können. Ich bin aber gespannt, was im Vermittlungsausschuss herauskommt. Vor allem bin ich auf die Abwägung von Bayern gespannt, das in seiner klassischen Manier ja auch die Interessen der Landwirtschaft, die sich für dieses Gesetz ausgesprochen hat, vertritt. Die Haftungsregelungen im Verhältnis der Bauern, die gentechnisch verändertes Material einsetzen wollen, zu den Bauern, die kein gentechnisch verändertes Material einsetzen wollen, müssen klar gemacht werden. Die Bauernverbände standen doch bei uns auf der Matte. Ich bin gespannt, wie sich Bayern im Vermittlungsausschuss verhalten wird und ob die großen forschungsfreundlichen Töne, die Sie hier spucken, dann noch der Realität entsprechen werden. Wir werden den Herrn Stoiber daran messen. ({4}) Wir werden ihn - und auch Sie - aber auch noch an ein paar anderen Dingen messen. Schade, dass Herr Stoiber heute nicht da ist. Dafür, dass hier ein Thema behandelt wird, für das sich die Länder angeblich unglaublich interessieren - sie geben das jedenfalls in ihrer Mehrheit vor -, ist die Bundesratsbank bemerkenswert leer. Ich frage mich natürlich, wo sie alle heute sind, da es doch um den Etat für Bildung und Forschung geht. ({5}) Wo ist denn der Herr Stoiber, der uns vorgeschlagen hat, wir sollten bitte alle Haushaltstitel konsequent und pauschal um 5 Prozent kürzen, wodurch es den geringsten Ärger gebe?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bergner?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Bergner, selbstverständlich lasse ich eine Zwischenfrage von Ihnen zu, zumal mein Vorredner mir einiges an Redezeit weggenommen hat. ({0})

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Tauss, auch wenn Sie in Ihrem Redefluss schon ein ganzes Stück weiter sind, möchte ich folgende Frage stellen. Sie haben vorhin die, wie ich finde, etwas merkwürdige Behauptung aufgestellt, Sie hätten diesem Gentechnikgesetz unter dem Druck der Bauernverbände zustimmen müssen. ({0}) - Sie haben gesagt, die Bauernverbände standen auf der Matte und haben uns gewissermaßen gezwungen, diese Regelung zu treffen. ({1}) Wenn Sie bereit sind, diesen Quatsch zurückzunehmen, setze ich mich sofort wieder hin.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, bleiben Sie ruhig stehen, obwohl ich einen solchen Quatsch nicht gesagt habe. Die Bauernverbände hatten mich vor geraumer Zeit einmal eingeladen, bei ihnen eine Rede zu diesem Thema zu halten. Herr Sonnleitner hat gemeint, ich sei ein Sozialdemokrat, mit dem man reden könne. Ich weiß nicht so recht, ob das nun ein Kompliment war oder nicht, aber immerhin. Lieber Kollege Bergner, ich komme aus einem ländlich geprägten Wahlkreis. Wir sind aber weiß Gott nicht diejenigen, die vor jedem Lobbyisten einknicken. Das kennzeichnet Sie. ({0}) Wir haben mit den Bauern selbstverständlich über diese Frage diskutiert. Die Bauern haben in der Tat eine große Sorge. Es geht um die Haftungsregelungen. Das ist auch der eigentlich kritische Teil des Gesetzes. Ich kann es nur wiederholen: Sie haben die große Sorge, dass ein Nachbar gentechnisch verändertes Saatgut einsetzt, das auf ihre Wiese herübergeweht wird, wo dann Mutationen entstehen. Das kann beispielsweise dazu führen, dass ein Ökobauernhof das Label nicht mehr erhält, weil plötzlich auch gentechnisch verändertes Material auf seinen Feldern auftaucht. Ich denke, es ist nachvollziehbar und man kann begreifen, dass diese Bauern entsprechende Haftungsregelungen gefordert haben. Diese Haftungsregelungen gehen der Forschung aber zu weit. Die Betreffenden sagen, dass sie aufgrund dessen nicht mehr richtig forschen können. Lieber Herr Kollege Bergner, deswegen stehen nicht nur die Bauern, sondern auch die Forschungsorganisationen bei uns auf der Matte. In dieser Gemengelage müssen wir Politik machen. Dass wir einen grünen Koalitionspartner haben, der sich mit der Grünen Gentechnik trotz des Namens ein wenig schwerer tut als wir, ist noch eine andere Frage. Ich teile die Auffassung der Grünen - bleiben Sie ruhig stehen, Herr Bergner - von gentechnikfreien Zonen nicht ganz. Wir brauchen keine gentechnikfreien Zonen, sondern Zonen, die frei von Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gentechnik sind. Das wäre die richtige Antwort auf diese Frage. ({1}) Jetzt kommen wir zu den Hochschulen. Unserem lieben und verehrten Kollegen Konditormeister aus Bayern, der so sehr geklatscht hat, als die Zahlen für die Hochschulen erläutert wurden, möchte ich Folgendes sagen. Der Bund hat, ausgehend von 1998 - deshalb frage ich immer nach den Zahlen von 1998 und nehme sie als 100 Prozent -, die Ausgaben für die Hochschulen auf 123 Prozent erhöht. Merken Sie als bildungspolitische Sprecherin Ihrer Fraktion bitte auf: Das ist eine Differenz in Form eines Plus von 23 Prozent. ({2}) Schauen wir uns die Zahlen für Bayern an, bei denen wir gar nicht so viel rechnen müssen. In Bayern sind die Zahlen, ausgehend von 1998 - in diesem vermeintlich reichen Land finden im Moment Kürzungsorgien bei den Ausgaben für Hochschulen und Universitäten statt, wie man in den Zeitungen nachlesen kann -, in diesem Zeitraum von 100 auf knapp 103 Prozent gestiegen, genauer gesagt auf 102,9 Prozent. Nochmals: Im Bund war es ein Plus von 23, in Bayern eines von 2,93 Prozent. Mit welcher Chuzpe Sie sich hier hinstellen und uns erzählen, was sich alles in den von Ihnen regierten Ländern tue, ist erstaunlich. Wenn man sich die von mir genannten Zahlen ansieht, stellt man fest, dass Bayern sogar noch unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Liebe Kollegin Seib, vor Ihrer nächsten Rede schauen Sie sich bitte einmal die Zahlen an. ({3}) Weil wir uns heute so schön mit Bayern beschäftigen, komme ich jetzt zum Stoiber-Edmund. Er hat - das habe ich schon einmal gesagt - eine allgemeine Kürzung um 5 Prozent vorgeschlagen. Das hört sich erst einmal nach nicht so viel an. Das Volumen des Etats beträgt etwas über 8 Milliarden Euro. Rechnen wir einmal aus, was eine Kürzung um 5 Prozent bedeuten würde. Das sind, bezogen auf diesen Betrag, etwa 423 Millionen Euro. Ich sehe gerade, dass Herr Rachel aufsteht. Herr Rachel, wohin gehen Sie denn? Ich komme gleich noch zu Zahlen, die Sie betreffen. Zurück zu den 423 Millionen Euro! Das sind 45 Prozent der Ausgaben für den Hochschulbau, liebe Kollegin Reiche, die wir vom Bund eingestellt haben. Das ist trotz der Kürzung, die ich sehr bedauere, mehr, als Sie uns 1998 hinterlassen haben. Liebe Kollegin Reiche, liebe Kollegin Flach, wer hat eigentlich die Vereinbarung über die Hochschulbaufinanzierung gekündigt? ({4}) Welche Ministerpräsidenten haben sich denn dafür zusammengefunden? Das waren alle 16 Ministerpräsidenten. Sie alle haben erklärt: Wir wollen nicht länger die Hochschulbaufinanzierung durch den Bund. Danach wundern Sie sich, dass Hans Eichel - er hört gerade wieder zu; mir wäre es lieber, er würde solche Dinge gar nicht hören - bei der Aufstellung seines Haushalts dieses Geld, das die Länder nicht mehr wollen, einspart. Das finde ich zwar schade, aber mit Wahrhaftigkeit hat das Verhalten der Länder leider nichts mehr zu tun. ({5}) 45 Prozent Kürzungen allein beim Hochschulbau hat der Stoiber-Edi also vorgeschlagen. ({6}) - Selbstverständlich ist es der Herr bayerische Ministerpräsident. Aber ich kenne ihn auch aus den Bierzelten gut. Für mich ist das der Stoiber-Edi. Seine Forderung nach einer Kürzung um 5 Prozent lässt sich auch auf das BAföG beziehen. Es geht um 423 Millionen Euro. Das ist ein Drittel der BAföG-Förderung des Bundes. Wollen Sie das? Eine andere Forderung von Ihnen ist die nach Studiengebühren. Diese sind im Übrigen - das haben wir überprüft - mittelstandsfeindlich. Die Kürzung des BAföGs wäre nicht einmal ein zentrales soziales Problem - das könnte man noch verkraften -, aber mit Gebühren würden Sie die Kinder aus dem Mittelstand, die heute noch studieren können, von den Hochschulen vertreiben. Das zeigt sich in allen Ländern mit Studiengebührenmodellen. ({7}) Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Aber hier können Sie weder uns noch der Ministerin einen Vorwurf machen. Eine Kürzung um 423 Millionen Euro - so wie sie Herr Stoiber vorschlägt - hieße, Frau Reiche, eine Kürzung um 10 Prozent bei den Forschungsorganisationen. Das bedeutete keinen Aufwuchs von 3 Prozent, wie wir es Jahr für Jahr machen, sondern eine Kürzung um 10 Prozent bei allen Forschungsorganisationen inklusive dem Max-Planck-Institut in Bayern. Wenn Sie diese Kürzung wollen, dann müssen Sie auch den Mut haben, dem Max-Planck-Institut in Bayern mitzuteilen: Wir kürzen euch aufgrund eines Vorschlages von Herrn Stoiber die Mittel um 10 Prozent. ({8}) Wir könnten auch die Projektförderung des Bundes um 20 Prozent kürzen. Aber Sie haben hier eine Forderung nach der anderen aufgereiht, um uns zu beweisen, wie notwendig eine Ausweitung der Projektförderung sei. Ein Minus von 5 Prozent in diesem Bereich hieße, dass 20 Prozent aller Projekte nicht mehr möglich wären und auch laufende Projekte abgebrochen werden müssten. Was immer Sie auch aus diesem Katalog herausgreifen: Dieser Vorschlag bedeutet in jedem Fall die Ankündigung eines Kahlschlags, der eine Katastrophe für den Forschungsstandort Deutschland nach sich zieht. Das muss man dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten ins Stammbuch schreiben. Aber er ist im Gegensatz zu Ihnen wenigstens ehrlich. Sie behaupten ja noch, es seien Aufwüchse in beliebiger Höhe möglich. Er sagt wenigstens das Gegenteil. Aber das, was er sagt, machen wir nicht, und das, was Sie sagen, können wir leider nicht. Zur Eigenheimzulage kommen wir noch. Jetzt kommen wir zur Juniorprofessur. Frau Reiche, dass Sie sich hier hinstellen und sich freuen, dass das Bundesverfassungsgericht mit knapper Mehrheit so entschieden hat, hat mich nicht gewundert. Ich muss ehrlich sagen: Mir wurde es als Kind auch immer schlecht, wenn ich im Auto sitzen musste. Es gibt nun einmal Leute, die keine Bewegung aushalten. Sobald sich etwas bewegt, wird ihnen schlecht. ({9}) Das ist nicht nur das Problem von Frau Reiche, sondern von allen, wie sie hier sitzen. Sobald sich im Land etwas tut, sobald sich etwas bewegt, bekommen sie einen Reflex, weil es keine Tabletten dagegen gibt. Sie überlegen dann, wie sie blockieren können, wie sie vor Gerichte ziehen, wie sie verhindern, wie sie zerstören und wie sie kaputtmachen können. Das ist Ihre Politik und das machen Sie auch in der Forschungs- und Bildungspolitik. Das ist unverantwortlich und nicht mehr akzeptabel. ({10}) Hat denn die Wissenschaftsministerin geklagt? Es waren doch Ihre Länder, die vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind und dieses Ergebnis erzielt haben. Es sind Ihre Länder gewesen, die den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern dadurch die Perspektive in diesem Land verbaut haben. Wir und diese Ministerin sind es gewesen, die alle Tausend Juniorprofessoren, die wir zwischenzeitlich haben, angeschrieben und gesagt haben: Verlasst bitte nicht Deutschland! Verlasst euch auf uns, auf die Bundesregierung! ({11}) Schimpft nicht allzu sehr auf die CDU! Geht nicht ins Ausland! Bleibt hier! Wir versuchen jetzt, eine Lösung mit den Bundesländern herbeizuführen. Dann haben wir mit den Bundesländern verhandelt. Das hat diese Ministerin getan. Man höre und staune, sie hat eine Einigung mit den Ländern erzielt. Aber dann kamen Ihre Ministerpräsidenten und haben gesagt: Was nicht sein kann, darf nicht sein. Sie haben diese Vereinbarung gekippt und gesagt, sie müssten erst einmal gründlich bedenken, wie sie in dieser Frage weiter vorangehen könnten. Der Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, Frankenberg, hat für die Unionsländer gesagt, er brauche noch bis zum 30. September Zeit, um darüber nachzudenken, was die Folgen des Urteils seien. Das muss man sich einmal vorstellen! ({12}) Diese Leute behaupten, sie wollten die alleinige Verantwortung für die Hochschulen in diesem Lande haben. Es geht noch nicht einmal um Inhalte, sondern es geht darum, ihre Eitelkeiten zu befriedigen. Das ist es. ({13}) Sie haben dankenswerterweise gesagt, dass es nur um die Eitelkeit geht, weil sie auf irgendeiner Pressemitteilung nicht aufgeführt waren. Das ist unerträglich. Frau Pieper brauche ich mich nicht zuzuwenden, da sie leider nicht mehr da ist. Sie wollte die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bei dieser Gelegenheit kippen. Das will ausgerechnet jemand aus Sachsen-Anhalt. Ich will die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Land nicht kippen. Das sage ich Ihnen deutlich. Wenn ein Kind das Pech hat, in Sachsen-Anhalt unter einer CDU-FDP-Regierung auf die Welt zu kommen, dann will ich nicht, dass es schlechtere Lebensverhältnisse hat als irgendwo anders in der Republik. Das ist ganz klar. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich weiß, dass Sie für Bewegung sind. Ich muss Sie trotzdem in Ihrem Temperament zügeln. Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin, ich habe ungefähr noch fünf Seiten. ({0}) Deshalb lassen wir die Eigenheimzulage. Hören Sie auf, ({1}) uns zu sagen: Mehr Geld! - Machen Sie mit, wenn es darum geht, mehr Geld für Bildung und Forschung zu akquirieren. ({2}) Dann haben Sie uns und den Finanzminister an Ihrer Seite. Sie wollen in Wirklichkeit nur Investitionen in die Vergangenheit, Gartenzwerge statt Innovation, aber das ist nicht unsere Politik. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen damit zur Schlussrunde. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister, Hans Eichel. ({0})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich Sie um Verständnis - und ich bedanke mich dafür, dass beide Oppositionsfraktionen dieses Verständnis bekundet haben -, dass ich um 12 Uhr die Debatte verlassen muss, sie also nicht bis zum Ende verfolgen kann, weil heute und morgen der informelle Ecofin in Scheveningen tagt und vorher die Eurogroup zusammenkommt. Dort wird die erste Orientierungsaussprache über die Vorschläge der Kommission zur Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts stattfinden. Sie werden verstehen, dass es nicht sein kann, dass der deutsche Finanzminister nicht dabei ist. Deswegen herzlichen Dank für Ihr Verständnis. ({0}) Ich will die Gelegenheit nutzen, zu diesem Thema einige Bemerkungen zu machen, damit die Position, die ich dort vertrete, klar ist. Erstens. Worum geht es nicht? Es geht nicht darum, den Maastricht-Vertrag zu ändern. Es geht aus meiner Sicht auch nicht darum, die Verordnungen zu ändern, die auf ihm aufbauen und die den eigentlichen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausmachen. Es geht auch nicht darum - darüber besteht ebenso Einvernehmen wie darüber, dass der Vertrag nicht geändert wird -, dass das 3-Prozent-Kriterium oder das 60-Prozent-Kriterium geändert würden. Um all das geht es nicht. Es geht vielmehr darum, sich eine Antwort auf die Frage zu geben, die der jetzige Bundespräsident, Horst Köhler, einer der Väter des Maastricht-Vertrages, gestellt hat, als er Chef des Internationalen Währungsfonds war: Haben wir eigentlich, als wir die Vertragswerke abgeschlossen haben, vorausgesehen - wir haben es nicht, hat er gesagt -, dass es auch einmal eine dreijährige Stagnationsphase geben könnte, und wie geht man damit um? Welche Prioritäten muss man setzen, um aus der Situation wieder herauszukommen? Eines ist klar, meine Damen und Herren: Der Pakt heißt „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ und darin steckt Einsicht. Wir haben in den letzten drei Jahren folgende Erfahrung gemacht: Wir sind mit einem wunderschönen, für deutsche Verhältnisse niedrigen Defizit von 1,2 Prozent gestartet und im vergangenen Jahr bei 3,8 Prozent gelandet. Mit anderen Worten: Ohne Wachstum gibt es keine Konsolidierung der Staatshaushalte, auf der anderen Seite ist aber eine nachhaltige Konsolidierung der Staatshaushalte Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die Frage, um die es geht, lautet: Wie machen wir das? Ich glaube, dass die Kommission in ihren Vorschlägen die grundlegende Antwort richtig formuliert. Wir müssen über eine symmetrische Anwendung des Paktes reden, eine Anwendung nicht nur dann, wenn die Wirtschaft stagniert und wir uns noch selber kujonieren. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir dann, wenn die Wirtschaft gut läuft, nicht mehr tun können, um einen Sicherheitsabstand zu schaffen. Dazu hat der Rat im Sommer, als er die europäische Verfassung verabschiedet hat, auf einen deutsch-niederländischen Vorschlag hin empfohlen, in solchen Zeiten schrittweise Überschüsse zu erwirtschaften. ({1}) Dahinter steht die Vorstellung, einen über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. In Wahrheit bedeutet das eine Verschärfung des Paktes. Es geht nicht um ein Aufweichen des Paktes, sondern darum, wie Kommissar Almunia gesagt hat, mehr ökonomische Logik in die Anwendung des Paktes zu bringen. Das wird auch meine Position sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Weil viele sich zu diesem Thema äußern, will ich der Bundesbank, von der ich lese, sie habe gesagt, die Politik könne den Vertrag nicht einseitig zulasten der Bürger ändern, dringend empfehlen, sich vor öffentlichen Äußerungen darüber zu informieren, was beabsichtigt ist. Wie bereits gesagt, ist eine Änderung des Paktes und der Verordnungen, die darauf aufbauen, ausdrücklich nicht beabsichtigt. Es haben sich eine Reihe nationaler Notenbanken geäußert. Dazu will ich sagen: Wir sind jetzt in Europa. Wir sind im System der Europäischen Zentralbank und ich erwarte dieselbe Disziplin, die früher die Bundesbank, als sie geldpolitische Zuständigkeit hatte, auch besessen hat. Ich erwarte, dass im System der Europäischen Zentralbank - das heißt: im Zentralbankrat der EZB - die Diskussionen geführt werden und dass man sich dort eine Meinung bildet, die der Präsident der EZB auch einvernehmlich vertritt. Es darf nicht sein, dass nach außen die verschiedensten Positionen vertreten werden. Das wird der Situation nicht gerecht. ({3}) Es muss an der Sache entlang diskutiert werden und die zugrunde liegenden Behauptungen müssen ganz schlicht auch stimmen. Meine Damen und Herren, ich habe am Dienstag unsere Konzeption vorgelegt. In der Tat geht es ja um mehr als um den Haushalt. Im Haushalt landet vieles, dessen Ursachen an anderen Stellen entstehen, zum Beispiel ein großer Teil der Defizite in den Sozialsystemen. Alles, was die Kommunen, die Länder, der Bund und die sozialen Sicherungssysteme tun, hat Einfluss auf die Maastricht-Kriterien, auf die gesamtstaatliche Verschuldung. Deshalb habe ich über den Gesamtzusammenhang geredet. Sie fordern mich immer wieder auf, die MaastrichtKriterien einzuhalten. Dazu sage ich ausdrücklich Ja. Beim Thema Zahnersatz haben Sie es übrigens in der Hand, das Problem zu entschärfen oder es wenigstens nicht weiter zu verschärfen. Die vorgesehene Entlastung beim Zahnersatz kann nicht ersatzlos gestrichen werden, meine Damen und Herren. Da geht es um 3 bis 4 Milliarden Euro oder um 0,1 bis 0,2 Prozent beim Maastricht-Defizit. ({4}) - Nein, Frau Kollegin Schmidt hat einen Vorschlag gemacht, wonach uns im nächsten Jahr keine zusätzlichen Probleme entstehen, um wieder unter die 3-ProzentGrenze zu kommen. Diese Grenze müssen und wollen wir einhalten. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es keine Frage, dass wir ein solches Regelwerk wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt brauchen, und das wird sich auch an anderen Stellen noch ganz deutlich zeigen. Aber es ist mehr als Juristerei. Es geht zuallererst um Ökonomie und nur im Zusammenhang - ich wiederhole das von Wachstum und strikter Ausgabendisziplin können wir die Probleme lösen. ({5}) Ich habe am Dienstag unser Konzept auf den Tisch gelegt. Was waren Ihre Antworten? Ein paar Bemerkungen muss ich dazu schon machen, denn ich kann nicht alles, was Sie gesagt haben, einfach so stehen lassen. Da war nämlich eine Menge Schwarzmalerei dabei. Herr Glos hat es wirklich fertig gebracht - ansonsten muss man dazu nicht mehr sagen -, vom Ausverkauf der deutschen Wirtschaft zu reden. Das ist Ihre Interpretation des Sachverhalts, dass 80 Millionen Deutsche mit ihrer Wirtschaft auf dem Weltmarkt eine größere Rolle spielen als 280 Millionen Amerikaner und 120 Millionen Japaner. Von anderen Volkswirtschaften rede ich erst gar nicht, weil sie sich in einem ganz anderen Entwicklungsstadium befinden und ein ganzes Stück hinter uns sind. Das ist also Ihre Interpretation der Tatsache, dass Deutschland mit seinem Anteil am Welthandel Nummer eins in der Welt ist. Das ist schlicht unerträglich. Über diesen Punkt sollten Sie selber einmal gründlich nachdenken. Das muss endlich aufhören. ({6}) Zweiter Punkt. Sie haben behauptet - das fand ich ziemlich dreist; das hätte ich als Bayer niemals gesagt -, wir seien daran schuld, dass Gräben zwischen Ost- und Westdeutschland wieder aufgerissen würden. Ich möchte Ihnen einmal erklären, warum Herr Stoiber als Kanzlerkandidat keine Chance in Ostdeutschland hatte. Niemand hatte vergessen, dass es seine Zielsetzung war, den Risikostrukturausgleich, das heißt die Solidarität mit den ostdeutschen Ländern in der Krankenversicherung, aufzukündigen. Sie wissen ganz genau, welch eine enorme Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge in Ostdeutschland - natürlich bei gleichzeitiger Senkung der Beiträge in Westdeutschland und insbesondere in Bayern - dies zur Folge gehabt hätte. Wir bräuchten über den Aufbau Ost nicht einmal mehr zu reden, wenn wir eine solche Preistreiberei bei den Lohnnebenkosten in Ostdeutschland betrieben hätten. ({7}) Das war aber noch nicht alles. Bereits damals, als noch nicht klar war, ob Herr Stoiber Kanzlerkandidat wird, hat der bayerische Landtag die Regionalisierung der Arbeitslosenversicherung beschlossen. Das hätte genau den gleichen Effekt gehabt. Dort, wo die Arbeitslosenquote beispielsweise bei 20 Prozent liegt, hätten diejenigen, die noch Arbeit haben - übrigens in Ostdeutschland bei niedrigeren Einkommen -, dann weitaus höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen. Davon wären nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Betriebe betroffen gewesen. Das ist ein unerträglicher Vorgang. An der Stelle von Herrn Glos hätte ich zumindest nicht behauptet, wir seien dabei, wieder Gräben zwischen Ost und West aufzureißen. ({8}) Wir haben immer zur Solidarität zwischen Ost und West gestanden. Das tun wir weiterhin, auch wenn das schwierig ist, um das ganz klar zu sagen. ({9}) Sie haben sich offensichtlich verabredet - das ist eine ausgesuchte Unwahrheit; das ist noch eine freundliche Formulierung -, mich jetzt zum Weltmeister im Schuldenmachen zu erklären. Ich habe mir einmal die Daten angesehen. Als Sie Ende 1982 in die Regierung kamen, haben Sie 160 Milliarden Euro Schulden übernommen. Als Sie 1998 aus der Regierung herausgewählt worden sind, gab es einen Schuldenstand von 743 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von über 580 Milliarden Euro. ({10}) Ende dieses Jahres werden wir 860 Milliarden Euro Schulden haben. Das ist ein Plus von knapp 120 Milliarden Euro. Wir werden sicherlich noch eine ganze Weile regieren. Ich hoffe, dass wir niemals so viele Schulden machen werden wie Sie. Wenn doch, dann wird es jedenfalls noch eine ganze Weile dauern, bis ich Sie überholt habe. ({11}) Es bleibt jedenfalls festzuhalten: Sie haben es in Ihrer Regierungszeit im Vergleich zu dem, was wir von 1998 bis jetzt zu verantworten haben, auf die fünffache Schuldensumme gebracht. Erzählen Sie mir also nicht, dass ich Weltmeister im Schuldenmachen sei. Seien Sie wenigstens an diesem Punkt ganz still, so unerfreulich die Haushaltsentwicklung auch ist und so sehr sie auch mir zu schaffen macht! ({12}) Zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit gehört auch Folgendes: In Ihrem Haushalt 1998 und in Ihrem Haushaltsentwurf 1999 waren die Ausgaben für die Postunterstützungskassen, die Unterstützung für das Saarland und Bremen sowie einige andere Dinge nicht berücksichtigt. Auch Sie wissen ganz genau, dass dort ganz einfach einiges außen vor gelassen worden war, dass einiges überhaupt nicht etatisiert worden war, was hätte etatisiert werden müssen. Das haben erst wir getan. Dritter Punkt. Ich verstehe nicht - das ist bedauerlich, aber das lief nach demselben Motto -, warum sich Ihre Generalrednerin, Ihre Fraktionsvorsitzende, und Ihre Redner, die zu den Einzelhaushalten gesprochen haben, nicht koordiniert haben. ({13}) Ihre Generalrednerin, Frau Merkel, hat erklärt, wir sollten gefälligst weniger ausgeben und weniger Schulden machen. Prima! Aber alle anderen CDU/CSU-Redner, die danach zu den Einzelhaushalten gesprochen haben - das war auch so in der eben zu Ende gegangenen Debatte über den Bildungs- und Forschungshaushalt, die ich aufmerksam verfolgt habe -, haben ständig erklärt, es fließe zu wenig Geld in die einzelnen Bereiche. Was gilt denn nun? Das ist doch das grundlegende Problem, mit dem wir es bei Ihnen jedes Mal zu tun haben. ({14}) Ich möchte Ihnen Ihre Widersprüchlichkeit am Beispiel des Bildungs- und Forschungshaushalts noch einmal deutlich machen. Auch hier sind Sie der ungeeignetste Ankläger. Sie hatten damals 7,263 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Unser Haushaltsentwurf, über den gerade diskutiert worden ist, sieht 8,464 Milliarden Euro vor. Mit anderen Worten: Seit 1998 gab es allein dort eine Steigerung um 17 Prozent. Das ist übrigens nicht einmal die ganze Wahrheit. Hinzu kommt nämlich noch, dass ein Drittel der BAföGAusgaben die Kreditanstalt für Wiederaufbau trägt. Sie müssten hinzugerechnet werden. Das gäbe eine weitere Steigerung. Dazu kommt 1 Milliarde Euro für das Ganztagsschulprogramm. Wenn jemand das als Steinbruch benutzt hat - das können Sie ja an Ihren Zahlen sehen -, dann waren Sie das gegen Ende Ihrer Regierungszeit. ({15}) Wenn jemand das aufgestockt hat, dann waren wir das. Sie mögen sagen: Das reicht nicht. Da würden Sie bei mir sogar relativ offene Türen einrennen. Als Finanzminister sage ich allerdings: Allein mit großen Ausgabesteigerungen ist die Sache nicht gemacht. Man muss auch darauf achten, dass man für das Geld, das man einsetzt, eine Gegenleistung bekommt. Es geht nie nur ums Geld, sondern auch um die Bedingungen, unter denen es ausgegeben wird. Es geht dann um so etwas wie die Juniorprofessuren an den Hochschulen und um vieles andere mehr - Stichwort öffentliches Dienstrecht -, was dazu geeignet ist, unsere Hochschulen wettbewerbsfähiger zu machen. Wenn man so vorgeht, dann werden die Prioritäten richtig gesetzt. Also war auch das, was Sie dazu gesagt haben, falsch. Bis jetzt habe ich darüber gesprochen, was Sie gesagt haben. Jetzt rede ich einmal darüber, was Sie nicht gesagt haben und was in der Tat nur wir erwähnt haben: die Sparvorschläge von Herrn Stoiber. Sie sind in keiner einzigen Rede von Ihnen erwähnt worden. Das spricht Bände. ({16}) Ich bin einmal gespannt, was daraus wird: Wird der Bundesrat diese Sparvorschläge einbringen? Oder wird die CSU-Landesgruppe diese Sparvorschläge einbringen? Oder werden Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber überhaupt nicht einbringen? Ich wiederhole: Ich bin außerordentlich gespannt. ({17}) - Entschuldigung, Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt, ob Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber hier einbringen. Das ist ja Ihr Kanzlerkandidat der letzten Wahl. Wir wüssten wirklich gern, ob hinter diesen Vorschlägen etwas steckt oder nicht. ({18}) Wir sind gespannt, ob es zu einer Bereinigungssitzung kommt. Wenn Sie mir noch Bereiche aufzeigen, wo man vernünftigerweise sparen kann: Einverstanden! Auch wenn Herr Stoiber das anders sieht, gilt für die Lage des Bundeshaushalts: Wir haben den Konsolidierungskurs in 1999 eingeleitet. Mittlerweile stellen wir den sechsten Konsolidierungshaushalt in Folge auf. ({19}) - Sie sind nicht in der Lage, Zahlen zu lesen. Das ist ja Ihr Problem. ({20}) An Ihrer Stelle hätte ich gar nicht gelacht. Dass alle Ihre Redner in jeder Einzeldebatte sagen: „Hier ist zu wenig Geld, da ist zu wenig Geld, dort ist zu wenig Geld“, ist doch wohl eher ein Beleg für die Wahrheit der These, dass wir den Haushalt ordentlich zurückgefahren haben, als für das Gegenteil. Das ist doch logisch. Aber mit Logik haben Sie es auch nicht. Man überlege sich einmal, wie Sie sich dort verhalten, wo die notwendigen Einschnitte gemacht werden. Beim Steuersubventionsabbau beklagen Sie sich nicht - ich schon -, dass die Lücke kleiner ist. Sie hätten meinen Vorschlägen folgen oder wenigstens eigene machen sollen. Ich wiederhole: Als es um das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen ging, das für den Gesamtstaat im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit Einsparungen in Höhe von 17 Milliarden Euro vorsah, hat der Bundesrat Einsparungen in Höhe von gerade einmal 2,4 Milliarden Euro zugestimmt. Das ist eine Differenz von gut 14,5 Milliarden Euro. Das ist Ihr Loch und ich muss es durch Privatisierungserlöse schließen. Das ist die Wahrheit. ({21}) Aus Ihrer Verantwortung dafür werden wir Sie nie entlassen. Im Übrigen hat das mit den Löchern bei Ihnen System. Herr Seehofer war es doch, der Ihnen vorgerechnet hat, was in Ihren Konzepten - Steuerreform, HerzogKommission, Kopfpauschale, Kindererziehungszeiten, Kindergeld usw. - insgesamt fehlt; er stellte ein Loch von 100 Milliarden Euro fest. Auch deswegen sind Sie nicht regierungsfähig. Man hat von Ihnen nichts Konkretes gehört. ({22}) - Ja, ja, Herr Merz. Ich wünschte mir eine geringere Deckungslücke. Aber dazu brauchen wir einen Bundesrat, der seine gesamtstaatliche Verantwortung genauso wahrnimmt, wie es diese Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit tun. ({23}) Dafür sind Sie verantwortlich. Wenn die Länder so handeln könnten, wie es ihrer Interessenlage entspricht, dann würden sie sich anders verhalten. Sie dürfen sich aber nicht so verhalten, weil es nicht zu Ihrer Oppositionsstrategie passt. Das ist die Wahrheit. Es bleibt bei unserem Konzept und es bleibt bei unseren Schwerpunkten: Erstens. Wir müssen - das ist wie im vorigen Jahr - aus der Stagnation heraus. Das haben wir geschafft. Zweitens. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass der Aufschwung nicht nur vom Export getragen ist, sondern auf beiden Beinen steht, dass also auch die Binnenkonjunktur in Gang kommt. Es gibt übrigens erste vorsichtige Hinweise - deswegen bin ich damit auch noch sehr zurückhaltend - darauf, dass sowohl die Ausrüstungsinvestitionen als auch der private Verbrauch langsam ein bisschen anziehen. Hoffen wir, dass sich das ordentlich verstärkt! Denn dann sieht selbstverständlich auch die Haushaltslage ein ganzes Stück anders aus. Wir haben sehr anstrengende Reformen durchgeführt. Ich verstehe, dass sich Menschen dabei auch bedroht fühlen. Aber wenn ich ein Loch von 82 Milliarden Euro beim Gesamtstaat - Bund, Länder, Gemeinden und soziale Sicherungssysteme - schließen muss, dann heißt das nichts anderes, als dass ich den Leuten auch Geld wegnehmen muss. Ich kann das Loch nicht beseitigen, ohne dass das jemand merkt. Das ist die schlichte Wahrheit. Dazu muss man sich dann auch stellen. Die Menschen - so hart das für viele ist; das ist unstreitig - begreifen aber, glaube ich, dass allein das der Weg in die Zukunft ist. Daraus entsteht wieder Vertrauen, weil sichtbar wird: Die packen die Probleme an. - Dann schlagen Sie sich nicht in die Büsche und diffamieren Sie nicht, was Sie selber gefordert haben, sondern machen Sie ein Stück mit! Im Bundesrat sind Sie nach unserer Verfassung dazu verpflichtet. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Ihre Abschlussrede war vergleichbar mit Ihrer Einführungsrede. Sie haben wenig zum Haushalt gesagt ({0}) und viel die Opposition beschimpft. Aber eines war schon interessant. Sie haben in Ihren Haushaltsreden in diesem Jahr betont: Wir bekommen die Dinge nur in den Griff, wenn wir die Stagnation überwinden und zu Wachstum kommen. ({1}) Ihr Wirtschaftsminister dagegen sagte gestern Morgen in der Debatte: Wir haben das Wachstum schon. ({2}) - Was denn nun? Der entscheidende Punkt ist - er ist für uns in dieser Woche deutlich geworden -: Dieser Haushalt wird wie die Haushalte, die Sie in den letzten Jahren eingebracht haben, Makulatur bleiben, wenn wir nicht zu mehr Wachstum kommen. Auch in diesem Haushalt unterstellen Sie wieder ein Wachstum, das Ihnen von keinem Wirtschaftsforschungsinstitut bestätigt wird. ({3}) Der Haushalt, den wir in dieser Woche debattieren, ist natürlich ein Spiegelbild der Lage in unserem Land. Die Haushaltslage des Bundes ist schlecht, genauso schlecht wie die Lage in vielen Bereichen in unserem Land. Das ist der sechste Haushalt, den Sie vorlegen. Die Arbeitslosigkeit ist in den Jahren von Rot-Grün in Deutschland gestiegen. ({4}) 1998 hatten wir 4,3 Millionen Arbeitslose, heute haben wir 4,5 Millionen Arbeitslose, damals mit abnehmender Tendenz, heute mit steigender Tendenz. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eichel?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt noch nicht. Die Situation ist die, Herr Eichel, dass seit dem Amtsantritt des jetzigen Bundeskanzlers, also in den vergangenen sechs Jahren, im industriellen Bereich - das macht uns besorgt - 170 000 Arbeitsplätze weggefallen sind. Im letzten Jahr der Kohl-Regierung haben wir im industriellen Bereich noch 100 000 dazugewonnen. Es ist unbestreitbar, dass durch viele Entscheidungen, die diese Regierung getroffen hat, und auch durch Entwicklungen auf den Energiemärkten die verfügbaren Einkommen breiter Schichten der Bevölkerung in den letzten Jahren eher abgenommen als zugenommen haben. Als 1998 über den Haushalt debattiert wurde, waren 35 000 junge Leute auf der Suche nach einer Lehrstelle, weil sie noch keine hatten. Schon damals war die Situation nicht befriedigend. Aber nach sechs Jahren RotGrün sind es 180 000 junge Leute, ({0}) die im Sommer die Schule verlassen haben und zu diesem Zeitpunkt, wo wir über den Haushalt diskutieren, keine Lehrstelle haben. Nach sechs Jahren Rot-Grün haben wir also eine Situation im Land, in der eine derartig große Menge junger Leute keine Lehrstelle findet. Sie müssen doch zugeben, dass das eine Katastrophe ist. ({1}) - Dazu komme ich jetzt. - Ich glaube schon, dass deswegen die Frage, wie wir zu Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen kommen, ein ganz entscheidender Punkt bei unserem Bemühen ist, den Bundeshaushalt und damit auch die Staatsfinanzen auf Dauer zu konsolidieren. ({2}) Zu Beginn des Haushaltsjahres 1998 war durch unverrückbare Positionen des Bundeshaushaltes - Zuschuss zur Rentenkasse, Personalkosten, Pensionslasten, Zinslasten - knapp die Hälfte der Ausgaben gebunden. Im Haushalt, den wir diese Woche diskutieren, sind nach sechs Jahren zwei Drittel des Haushaltsvolumens durch Ausgaben gebunden, die auch durch einen Regierungswechsel auf die Schnelle nicht verändert werden könnten. Das macht doch deutlich, dass die Haushaltskrise der Bundesrepublik Deutschland, so wichtig sparen auch immer sein mag, nur über die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und durch ein größeres Wirtschaftswachstum überwunden werden kann. Durch Sparen alleine jedenfalls geht es nicht mehr. In diesem Punkt sind wir doch gar nicht auseinander. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Eichel.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laumann, nachdem Sie gerade einen Satz gesagt haben, den ich so unterschreiben könnte - ich erinnere mich daran, dass ich das Gleiche mehrfach hier gesagt habe, auch heute und am Dienstag -, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir auch in einem anderen Punkt zustimmen können. Sie haben eben behauptet, wir hätten dem Haushaltsplan 2005 eine Wachstumsannahme zugrunde gelegt - zu diesem Punkt hatte ich mich gemeldet -, die von keinem hiesigen Institut bestätigt worden sei. Ich möchte Ihnen deshalb jetzt sagen, wie es sich wirklich verhält: Es gibt in der Tat ein Institut ({0}) - die Frage kommt gleich, keine Angst - , nämlich das Institut für Weltwirtschaft, das von einem Wachstum von 1,2 Prozent ausgeht, obwohl es für dieses Jahr von 2,1 Prozent ausgegangen ist. Nun lese ich Ihnen Prognosen der anderen Institute für das nächste Jahr vor - die Zahlen stammen ausschließlich aus den Monaten Juli und August -: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: 2,1 Prozent; Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung: 1,8 Prozent; OECD: 2,1 Prozent; Internationaler Währungsfonds: 2,0 Prozent. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Prognosen von weltweit führenden Instituten und auch von deutschen Instituten mit Ausnahme des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel alle über der Prognose liegen, die die Bundesregierung dem Haushaltsplan zugrunde gelegt hat? ({1})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass Sie Prognosen von Instituten haben, auf die Sie sich stützen, nehme ich zur Kenntnis. Aber wenn Sie den Schnitt der Prognosen aller Institute bilden, kommen Sie bestenfalls auf ein Wachstum von 1,6 oder 1,7 Prozent. ({0}) Etwas ganz anderes stimmt mich jedoch skeptisch, Herr Bundesfinanzminister: Bei fast allen Haushalten, die Sie hier eingebracht haben, haben Sie für den Haushaltsplan eine Wachstumsprognose zugrunde gelegt, ({1}) die Sie bis zur dritten Lesung wieder korrigieren mussten. Das war die Praxis der letzten Jahre. ({2}) Jetzt stelle ich noch etwas Weiteres fest: Der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung sind noch nicht einmal in der Lage, die Zahl derjenigen, die von Hartz IV betroffen sind, richtig zu schätzen. So haben wir heute Morgen eine Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit auf den Tisch bekommen, in der man nicht von 3,2 Millionen, sondern von nahezu 3,5 Millionen Arbeitsfähigen ausgeht. Deswegen stimmen in diesem Bereich schon Ihre Zahlen nicht. Einigen wir uns doch einmal auf Folgendes; das ist doch der entscheidende Punkt: Wir alle wissen - ich versuche jetzt einmal Gemeinsamkeiten am Ende der Schlussrunde herauszuarbeiten -, dass wir ohne Wachstum und ohne die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen aus dieser Situation nicht wieder herauskommen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Eichel?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Morgen ist der furchtbare Anschlag auf das World Trade Center in Amerika drei Jahre her. Zwischenzeitlich war es zunächst so, dass alle unsere Probleme mit der schlechten weltwirtschaftlichen Stimmung wegen des Terrorismus erklärt wurden. Da war ja vielleicht auch etwas dran. Aber jetzt haben wir die Situation, dass das Wachstum der Industriestaaten des europäischen und des amerikanischen Raumes deutlich über dem Wachstum der Bundesrepublik Deutschland liegt. Daraus muss man als vernünftiger Mensch doch schließen, dass wir hausgemachte Probleme haben, die der Grund dafür sind, dass der Arbeitsmarkt bei uns nicht so funktioniert, wie er woanders funktioniert. Herr Müntefering, Sie fahren zurzeit durchs Land und besuchen Veranstaltungen - ich sehe ein, dass Sie es im Moment nicht leicht haben -, bei denen Sie sagen: Seid froh, dass die SPD an der Regierung ist; das, was wir machen, ist schon schlimm, aber wenn die CDU dran wäre, wäre es noch schlimmer. ({1}) Wenn wir Reformen im Land einleiten wollen, die auch wir teilweise für richtig halten, müssen wir uns darüber verständigen, ob es sinnvoll ist, zu sagen, wir würden etwas Schlimmes tun. Wenn wir etwas Schlimmes tun, dann sollten wir es lieber sein lassen. Wir müssen darüber reden, dass wir das Richtige tun und dass dadurch auch Perspektiven eröffnet werden. Ich nenne ein Beispiel, bei dem deutlich wird, wie zurzeit argumentiert wird. ({2}) - Man kann viele Fernsehkommentare sehen, in denen Sie sich so darstellen. Das ist die Wahrheit. ({3}) Wenn Sie die Grenze für den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben von fünf auf zehn Mitarbeiter erhöhen, ({4}) dann mag es Leute geben - in Ihrer Partei, in unserer Partei, in der Gesellschaft -, die sagen, das sei schlimm. Sie und Ihre Leute sagen, wenn jetzt die CDU/CSU an der Regierung wäre, läge die Grenze nicht bei zehn, sondern bei 20 Beschäftigen; deshalb wäre das schlimmer. ({5}) - Jetzt geben Sie mir ja selber Recht! - Wenn wir so argumentieren, dann stellt sich die Frage: Ist es in der jetzigen Situation nicht richtig, darüber zu diskutieren, zwar niemandem, der bereits in einem kleinen Betrieb beschäftigt ist, den Kündigungsschutz wegzunehmen, aber für neu Eingestellte den Kündigungsschutz zu lockern, um dafür zu sorgen, dass mehr eingestellt werden? Ich glaube, wir müssen über die Chancen reden. Das heute geltende Arbeitsrecht ist doch etwas kompliziert. Es gibt zwar bereits das Recht, befristet auf zwei Jahre ohne weiter gehenden Kündigungsschutz einzustellen; man unterscheidet aber zwischen sachlichem und nicht sachlichem Grund, was zu besonderen Situationen führen kann wie der, dass jemand, der als Student einmal in einem Unternehmen gearbeitet hat, nach heutiger Rechtslage nicht mehr befristet eingestellt werden kann. Wir sagen nun: Kann man nicht vielleicht eine Lösung finden, sodass der soziale Kündigungsschutz - also das, was über die Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch hinausgeht - erst nach drei Jahren gilt? Was ist schlimm daran, wenn, wie es in meiner Partei geschieht, eine solche Debatte geführt wird? Wir müssen sie führen, wenn wir uns alle einig sind, dass wir nur über mehr Arbeitsplätze wieder zu besseren Haushalten kommen und im Übrigen nur auf diesem Weg auch die Situation in den Sozialversicherungen verbessern können. Die Debatte sollte geführt werden, ohne dass gesagt wird, das sei schlimm, das bedeute die Aufgabe von Sozialstaatsprinzipien, wir wollten die Leute schutzlos stellen. ({6}) Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Frage der betrieblichen Bündnisse für Arbeit politisch gelöst werden muss. Das ist nicht schlimm. Die IGBCE mit ihrem Vorsitzenden, Herrn Schmoldt, ist eine Gewerkschaft, die die Tarifbindung voll im Griff hat. In diesem Bereich treten die Unternehmen kaum aus dem Arbeitgeberverband aus und die Arbeitnehmer in diesem Industriezweig haben eine sehr starke Bindung an ihre Gewerkschaft. Das liegt daran, dass die Tarifverträge in dieser Branche erhebliche Spielräume für betriebliche Bündnisse und Entscheidungen lassen, bis hin zu der Regelung, dass die Arbeitnehmer in besseren Zeiten an den besseren Ergebnissen beteiligt werden müssen, wenn man das vorher, in schlechteren Zeiten, zurückgeschraubt hat. ({7}) Wir wissen auch, dass wir diese Regelungen in den Tarifverträgen mancher anderer großer Wirtschaftsbereiche nicht haben. Das sind genau die Wirtschaftsbereiche, in denen es eine Tarifflucht auf beiden Seiten gibt. Deswegen sage ich Folgendes - das ist wichtig, um auf Dauer einen besseren Haushalt hinzukriegen -: Wenn sich die betreffenden Gewerkschaften nicht in Richtung Schmoldt bewegen, dann müssen wir die Spielräume auf gesetzlichem Wege schaffen. ({8}) Denn bei Mercedes und Siemens läuft es; das war auch für die Gewerkschaften nicht einfach. Aber beim Mittelstand - darüber können die Zeitungen nicht schreiben Karl-Josef Laumann läuft es eben nicht. Da verlieren wir Arbeitsplätze bzw. es gibt eine Abwanderung ins Ausland. Allein im letzten Jahr sind 50 000 Arbeitsplätze davon betroffen gewesen. Wir müssen die Reformdiskussion gemeinsam angehen. ({9}) - Herr Müntefering, bevor ich Ihre Zwischenfrage zulasse, noch Folgendes: Die beiden großen Volksparteien - ein Teil unserer Wähler hat in etwa die gleichen Interessen - müssen eine gemeinsame Sprache finden und deutlich sagen, worin die Chancen einer solchen Entwicklung liegen. Ansonsten gewinnen nur diejenigen, die uns beiden nicht lieb sein können: ({10}) Das sind nämlich die einen auf der ganz linken Seite und die anderen auf der ganz rechten Seite. Deswegen halte ich sehr viel davon, dass man diese Debatte erklärend und nicht ideologisierend in den nächsten Wochen weiterführt. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müntefering? - Bitte.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laumann, habe ich diese Passage Ihrer Rede richtig verstanden: Sie sind erstens dafür, dass der Kündigungsschutz deutlich reduziert wird, zweitens sind Sie dafür, dass die Grundlagen der Tarifautonomie ausgehebelt werden, und drittens sagen Sie uns, dass das alles nicht schlimm ist? ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Müntefering, ich glaube, dass Sie sich jetzt auf dem Weg zu den politischen Ritualen befinden, ({0}) die weder Ihrer noch meiner Partei angesichts der schwerwiegenden Veränderung der politischen Lage in Ostdeutschland helfen. Lasst uns nur so weitermachen! ({1}) Sie sind doch schon so lange im Deutschen Bundestag und haben einen gesunden Menschenverstand. Sie hätten sich diese Frage wirklich sparen können; ({2}) denn Sie haben sehr wohl genau verstanden, was ich gemeint habe. ({3}) Sie haben genickt, als ich die Tarifpolitik von Herrn Schmoldt dargestellt habe. Ich habe gesagt, dass wir diese in anderen Bereichen nicht haben, was heute zu einer Tarifflucht führt. Gucken Sie sich doch einmal die Entwicklung bei den Arbeitgeberverbänden an! Es gibt Unterabteilungen, die keine tarifliche Bindung haben. ({4}) Ich glaube, dass ich mit meinen Feststellungen nicht Unrecht habe. Das hat mit der Aushebelung von Tarifverträgen - um Ihre Frage zu beantworten - überhaupt nichts zu tun. Wenn wir nämlich die Flexibilität nicht hinkriegen, wird die Tarifautonomie dadurch ausgehebelt, dass Arbeitgeber aus den Arbeitgeberverbänden, die die Tarifverträge abschließen, austreten. Das ist doch die Wahrheit. ({5}) Ich glaube, dass wir durch die Flexibilisierung, von der ich gesprochen habe, eher zu einer stärkeren Tarifbindung in Deutschland kommen - das wollen auch die Union und ich -, als wenn wir so wie in den letzten Jahren weitermachen und die Leute nur noch die Möglichkeit in der Tarifflucht oder in der Verlagerung von Firmen und Arbeitsplätzen ins Ausland sehen. ({6}) Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der für die Debatte in den nächsten Monaten wichtig ist. Wir alle in diesem Hause wissen doch, dass wir unseren Arbeitsmarkt nicht in Ordnung bekommen, wenn wir noch lange dabei bleiben, die Kosten für den sozialen Bereich fast ausschließlich über die Arbeit zu finanzieren. Sie tun sich schwer mit der Debatte über die Bürgerversicherung. Ich gebe zu, wir tun uns mit der Debatte über die Gesundheitsprämie ebenfalls schwer, vor allem was die Frage der Kompensierung der Kosten angeht. Aber wir müssen eine Lösung finden. Dass 26,4 Millionen Beschäftigte in dem Vehikel „sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz“ die Kosten für 20 Millionen Rentner und 4,5 Millionen Arbeitslose - das ist fast ein Verhältnis von eins zu eins - nicht aufbringen können, das ist doch jedem klar. Ich denke, wir sollten diese Debatte unideologisch führen: Krankenversicherung und Pflegeversicherung sind nun einmal die einzigen Bereiche - das ist das Ergebnis sowohl der Rürup- wie auch der Herzog-Kommission -, in denen man diese Trennung von den Arbeitskosten hinbekommen kann. Es ist nicht gut, zu sagen: Das machen wir in der nächsten Wahlperiode. Dann sind längst wieder Hunderttausende von Arbeitsplätzen weg. Dies wird besonders die kleinen Leute treffen, die die nicht so profitablen Arbeitsplätze besetzen. Das sind nämlich diejenigen Arbeitsplätze, die zuerst wegfallen. Deswegen würde ich mir sehr wünschen, dass wir uns hier nicht gegenseitig den Vorwurf des Sozialabbaus machen, sondern folgende Debatte führen: Wie kann man überhaupt zu mehr Arbeit kommen? Wenn wir hierfür eine Lösung finden, wird die Veränderung der Arbeitswelt, die ja schon in vollem Gange ist, von der Reform der Sozialsysteme so begleitet werden können, dass sie den Menschen nicht ganz so viel Angst macht, wie es zurzeit leider der Fall ist. Ich sage noch einmal: Wenn wir die beiden großen Volksparteien erhalten wollen, dann sollten wir die Montagsdemonstrationen und die Ängste der Menschen ernst nehmen und nichts selber unternehmen, um Ängste zu schüren, nur um dem politischen Gegner kurzfristig zu schaden. ({7}) Wir sollten zu Lösungen kommen, die das Land nach vorne bringen. Schönen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Franziska EichstädtBohlig, Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Laumann, bei allem Verständnis für Ihre Leidenschaft in dem Streit um den Kündigungsschutz: Ich glaube, es ist überzogen, zu meinen, dass aus Eingriffen in den Kündigungsschutz so viel Wachstum entsteht, dass wir unsere Haushaltskonsolidierungsprobleme lösen können. ({0}) Von daher sollten wir diesen Streit an einer anderen Stelle führen. Ich möchte jetzt zum heutigen Tagesordnungspunkt zurückkommen und als Erstes darauf hinweisen, dass ich ein Stück weit enttäuscht bin, in welch hohem Maße die Reden hier streitbefangen sind, obwohl wir alle im Hause wissen, dass wir bei der Lösung der brennendsten Probleme aufeinander angewiesen sind. Dies betrifft insbesondere die Sozialreformen, die weiter vor uns stehen - von der Regelung zum Zahnersatz bis hin zur Bürgerversicherung -, und vor allem die Haushaltskonsolidierung. Insofern möchte ich in starkem Maße dafür werben, nicht mehr zu polarisieren und uns zu fragen: Was können wir tun, um bei der Haushaltskonsolidierung voranzukommen? Als Zweites muss ich sagen, dass es mich schon irritiert hat, dass sich die Redner in dieser Woche relativ wenig mit den Sorgen der Demonstranten und der von Hartz IV Betroffenen ernsthaft auseinander gesetzt haben. Das heißt nicht, dass ich der Meinung bin, wir sollten Hartz IV aufgeben oder ändern. Ich war aber erstaunt, dass nur der Kanzler mit großer Klarheit und Deutlichkeit gesagt hat, wie wichtig es ist, zu den Reformen der Agenda 2010 zu stehen und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als zwingend erforderlichen Schritt anzuerkennen. Das sollte in der Gesellschaft vermittelt werden, anstatt sich zu drücken und immer wieder so zu tun, als könne man sich vor der Vermittlung dieser Aufgabe davonschleichen. ({1}) Insofern: Hut ab vor der Art und Weise, wie Gerhard Schröder in der Gesellschaft zu diesen Reformen steht! Ich denke, wir alle sind in der Pflicht, dies zu unterstützen. ({2}) Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Laumann, Sie haben eben dargestellt, ohne Wachstum kämen wir aus der jetzigen Situation - das war auf das Thema Haushaltskonsolidierung bezogen - nicht heraus. Ich möchte umgekehrt mit großer Klarheit sagen - darauf hat auch Minister Eichel hingewiesen -: Die Haushaltskonsolidierung ist die Voraussetzung für mehr Wachstum. Wir brauchen wieder Handlungsfähigkeit auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene; das ist sehr wichtig. Ich war erschrocken, wie wenig die Opposition auf dieses Thema eingegangen ist. Ein bisschen muss ich das korrigieren, was Minister Eichel vorhin ausgeführt hat. Frau Merkel hat - ich bin ihre Rede noch einmal durchgegangen - nichts, aber auch gar nichts zum Schuldenabbau gesagt. Sie hat aber an sehr vielen Stellen mehr Geld für den Haushalt gefordert, also nicht nur das berühmte 100-Millionen-Paket, von dem keiner weiß, von welchem Himmel es fallen soll. ({3}) - Richtig, es waren Milliarden. Ich kann mich einfach nicht in die Geldwünsche der CDU/CSU hineinversetzen. ({4}) Aber sie hat eben auch mehr Geld für Verteidigung und für Verkehr sowie für Lohnkostenzuschüsse, von denen niemand weiß, wie sie finanziert werden sollen, und für eine Reihe weiterer Punkte gefordert. Herr Westerwelle hat keinen Satz zur Haushaltskonsolidierung gesagt; das fand ich erstaunlich. Stattdessen will er die Mittel aus dem Subventionsabbau für neue Steuergeschenke verwenden. Frau Lötzsch, von der PDS erwarten wir es gar nicht anders. Bei Ihnen macht man sich ja überhaupt keine Gedanken darüber, wie die deutschen Haushaltsnöte in den Griff bekommen werden sollen. Vielmehr machen Sie in der Gesellschaft Versprechungen, von denen Sie wissen, dass niemand sie halten kann. Auch die PDS könnte sie nicht halten und kann sie heute in den Ländern schon nicht halten, wo sie mit in der Regierungsverantwortung steht. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Nachdem Sie so viele Politiker der Opposition aufgezählt und dargestellt haben, was sie angeblich alles gesagt haben, frage ich Sie, ob ich noch erwarten kann, dass Sie in Ihrer Rede auf den bekannten Nationalökonomen Joschka Fischer, der im Nebenberuf Außenminister ist, zurückkommen? Er hat ja in einem Interview des „Spiegel“ Bedeutendes zu diesem Bundeshaushalt gesagt, als er darauf hinwies, das Sparen müsse nun ein Ende haben. ({0})

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist zu kurz gegriffen. Ich weiß, dass der Kollege Joschka Fischer für sein Ressort und für bestimmte außenpolitische Aufgaben mehr Geld braucht. Umso wichtiger ist es aber - in diesem Punkt bin ich mir mit dem Kollegen Joschka Fischer einig -, dass wir in diesen Haushaltsberatungen Schritte verabreden, die geeignet sind, die Handlungsfähigkeit unseres Bundesetats wieder herzustellen, damit wir unter anderem für außenpolitische Verpflichtungen, beispielsweise für die auswärtige Kulturpolitik, Geld haben. Insofern, Herr Koppelin, befinde ich mich mit Joschka Fischer absolut auf einer Linie. ({0}) Ich muss gestehen, dass ich nach den Streitereien dieser Woche den Wunsch habe, dass wir die Schuldenstandsuhr des Bundes der Steuerzahler, die man im Internet aufrufen kann, auch hier in diesem Saal aufstellen, damit wir sie regelmäßig sehen. Zu Beginn dieser Debatte betrug unser Schuldenstand 1,385 Billionen Euro, worin noch nicht einmal die Verpflichtungen aller Ebenen, also von Bund, Ländern und Gemeinden, in Bezug auf die Beamtenversorgung eingerechnet sind. Der Schuldenzuwachs betrug in der Zeit, in der wir hier debattieren, 2 534 Euro pro Sekunde. Von daher ist es höchste Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen, wie wir von diesen Schulden herunterkommen. Ich möchte einen Vorschlag, der von Ihrer Seite gemacht wurde, aber überhaupt nicht weiter verfolgt wurde, aufgreifen. Herr Wulff, der Ministerpräsident von Niedersachsen, ({1}) hat sich am 26. Juli in einem Interview der „Berliner Zeitung“ nicht nur zum Thema Kündigungsschutz geäußert, sondern auch vorgeschlagen, dass sich Bund und Länder gemeinsam um einen Entschuldungsplan kümmern sollten. Ich bedaure sehr, dass dieser Vorschlag weder von ihm selbst noch von irgendjemandem aus Ihren Reihen aufgegriffen worden ist. Stattdessen arbeitet Ministerpräsident Wulff ganz lässig bis 2007 mit verfassungswidrigen Haushalten. Insofern spielt er hier ein bisschen mit gezinkten Karten. Ich greife aber seine Idee auf, einen nationalen Entschuldungsplan zu vereinbaren und umzusetzen, weil wir in diesen Zeiten so sehr aufeinander angewiesen sind, und werbe hier aktiv dafür, dass wir uns im Rahmen dieser Haushaltsberatungen diesem Thema ernsthaft widmen. ({2}) - Ich danke, dass es immerhin einen gibt, der vonseiten der CDU/CSU an dieser Stelle klatscht. ({3}) - Danke, dass Sie für den Applaus meiner Fraktion gesorgt haben. Herr Minister Eichel hat vorhin ganz klar gesagt, dass es von unserer Seite dazu Vorschläge gibt. Er hat erneut vorgetragen, dass wir Vorschläge zum Subventionsabbau in einer Größenordnung von 17 Milliarden Euro gemacht haben, von denen Sie im letzten Vermittlungsverfahren nur 2,4 Milliarden Euro mitgetragen haben. Mehr als 14 Milliarden Euro sind also noch auf der Pflichtliste. Dies ist aber - daran möchte ich alle erinnern - nicht nur ein Thema der Haushaltskonsolidierung, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den von Hartz IV Betroffenen. Das eigentliche Problem von Hartz IV ist gar nicht Hartz IV, sondern die Frage der Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung. Das Problem der Schieflage zwischen dem Sparbeitrag, den wir den Arbeitslosen abverlangen, und den Beiträgen, die wir zurzeit noch nicht anderen Kreisen der Gesellschaft, insbesondere denen, die Einkommen, Arbeit und Besitz haben, abverlangen, müssen wir gemeinsam lösen. Ich sage ganz klar: Es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite Kürzungen durch Hartz IV vornehmen, auf der anderen Seite aber Haushalten, die über ein Jahreseinkommen in Höhe von 80 000 Euro verfügen, die Eigenheimzulage belassen. Es kann nicht sein, dass wir das Dienstwagenprivileg beibehalten, während wir den anderen Hartz IV zumuten. Es gibt eine Reihe von Themen - Flugbenzinsubventionen, Entfernungspauschale, Pensionsansprüche von Beamten und Politikern und vieles mehr -, die nicht nur mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung, sondern auch unter dem Aspekt der Gerechtigkeit gegenüber den Kürzungen, die wir mit Hartz IV vollzogen haben, hier im Haus auf der Tagesordnung stehen. Ich bin daher der Meinung, dass wir dieses Thema noch in diesem Herbst angehen und endlich Nägel mit Köpfen machen sollten. Ich fordere Sie alle hier in diesem Haus auf, aktiv mitzumachen. ({4}) Einen Punkt möchte ich dazu ansprechen: Von zwei Seiten dieses Hauses, von der FDP und von der CDU/ CSU - hier besonders vom Kollegen Merz, während die Kollegin Merkel erstaunlicherweise dazu in ihrer diesjährigen Rede anlässlich des Haushalts geschwiegen hat -, wird eine Illusion aufrecht erhalten. Es handelt sich dabei um die These, dass ab 2006 weitere nennenswerte Steuersenkungen möglich sind, für deren Gegenrechnung man das ganze Paket der Subventionen heranziehen müsste. Sie machen damit der Bevölkerung unrealistische Versprechungen, die niemand, auch Sie nicht, in Zukunft halten kann. ({5}) Wir haben Steuersenkungen vorgenommen und werden die letzte Stufe 2005 durchführen. Ich stehe zu dieser Stufe, weil ich es für richtig halte, die Faktoren Wirtschaft und Arbeit von Steuern zu entlasten. Die von uns vorgenommenen Entlastungen können wir gegenüber jedem Arbeitslosen und jedem Demonstranten vertreten. Wir können aber keine weiteren Steuersenkungsversprechungen machen. Die frei werdenden Mittel aus dem Subventionsabbau, den wir leisten müssen, brauchen wir zur Haushaltskonsolidierung und können wir nicht mit weiteren Steuersenkungen verrechnen. ({6}) Das muss der Gesellschaft vermittelt werden. Von daher möchte ich die Opposition eindringlich auffordern, mit diesen falschen Versprechungen, die niemand halten kann, Schluss zu machen. ({7}) Wir sind ein Land mit einer sehr anspruchsvollen Infrastruktur und hohen Sozialleistungen. Wir wollen die Infrastruktur erhalten, pflegen und weiterentwickeln und wir wollen die sozialen Leistungen auch unter den Bedingungen einer globalen Wirtschaftskonkurrenz, die sehr hart ist und viele Maßnahmen fordert, aufrechterhalten. Wir wollen - ob es alle wollen, ist eine Frage des politischen Streits - den sozialen Aspekt der sozialen Marktwirtschaft erhalten. Wir können daher nicht versprechen, ein Niedrigsteuerland wie manch anderes Land zu werden. Sie sollten solche Versprechungen nicht mehr machen und stattdessen zur Tagesordnung, zur Konsolidierung des Haushalts, die wir hier und heute zu leisten haben, zurückkommen. Ich komme zum Schluss. Zunächst meine Aufforderung an alle Seiten, die dabei mitgemacht haben: Hartz IV muss offensiv verteidigt werden, niemand darf sich davonstehlen. Darüber hinaus müssen wir die Haushalte mutig sanieren; denn dann werden die öffentlichen Hände - nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und Kommunen - wieder handlungsfähig und können ihrerseits investieren. Das ist ein wesentlicher Faktor, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Man kann nicht nur auf das Wachstum warten, sondern muss durch Subventionsabbau selber aktiv dazu beitragen. Das halte ich für nötig. In diesem Sinne werbe ich dafür, allmählich mit dem Streiten aufzuhören und endlich gemeinsam an dieser nicht ganz einfachen Aufgabe zu arbeiten. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, zu Ihrem heutigen Geburtstag wünsche ich Ihnen persönlich und im Namen des ganzen Hauses alles Gute. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion. ({1})

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn seiner Amtszeit hat Herr Eichel, der uns aus gutem Grund schon hat verlassen müssen - er hat das dargelegt -, seinen Kurs wie folgt bestimmt - ich zitiere -: Sparen ist … kein Selbstzweck, Sparen ist Mittel zum Zweck, nämlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen für nachhaltiges Wachstum. Diese Aussage ist nach wie vor richtig und die FDPFraktion teilt diese Auffassung auch nach wie vor. In Wahrheit ist es aber doch so, dass sich Rot-Grün und auch der Bundesfinanzminister - das hat die Debatte in dieser Woche wieder gezeigt - von diesem Kurs längst verabschiedet haben. ({0}) Statt die Neuverschuldung des Bundes „close to balance“, also gegen null, zu fahren, steuern Sie in diesem Jahr trotz eines Wachstums von fast 2 Prozent, auf das der Bundeswirtschaftsminister so stolz ist, auf eine Rekordneuverschuldung von über 40 Milliarden Euro zu. Das ist in Wahrheit die finanzielle Bilanz Ihrer sechsjährigen Regierungsarbeit. ({1}) Nachdem Herr Eichel die Kasse nicht mehr gestaltet, sondern nur noch verwaltet, sind seine Haushaltspläne reinste Makulatur. In den letzten drei Jahren lag die tatsächliche Neuverschuldung im Mittel um 70 Prozent höher als im jeweiligen Haushaltsentwurf. Damit waren die letzten beiden Haushalte im Vollzug verfassungswidrig, und nach allem, was wir wissen, trifft das auch auf den aktuellen Haushalt zu. ({2}) Rechnet man allein die mit über 15 Milliarden Euro nicht realisierten und völlig überzogenen Privatisierungserlöse hinzu, so klafft im Haushalt 2005 bereits eine Lücke von über 37 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen voraus: Im Ergebnis wird auch der Haushalt 2005, den wir hier zu beraten haben, eine um 70 Prozent höhere Neuverschuldung aufweisen. ({3}) Damit ist der Bundesfinanzminister in einem Punkt berechenbar geworden: Wer auf die in seinem Haushaltsentwurf prognostizierte Neuverschuldung 70 Prozent draufrechnet, der liegt richtig. ({4}) Das tun Sie doch nur - das sollten Sie aber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich sagen -, damit Sie sich bei der Einbringung des Haushaltes an den Vorgaben des Grundgesetzes vorbeimogeln können. Das ist der eigentliche Grund. Sie wollen davon ablenken, dass sich Deutschland unter Ihrer Verantwortung Schritt für Schritt in die Schuldenfalle begibt. Dieser Einschätzung wird von Herrn Eichel in Interviews auch noch nicht einmal ernsthaft widersprochen. Im „Focus“ vom Montag sagte er - ich zitiere -: Die Schulden wachsen schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Das kann doch so nicht weitergehen. Das ist richtig. Das kann so nicht weitergehen. Aber mit dem vorgelegten Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung setzen Sie diesen unverantwortlichen Kurs fort. ({5}) Für die FDP-Fraktion erkläre ich deshalb hier, welchen Weg wir uns vorstellen, um aus dieser Misere herauszufinden. Wir wollen dazu in den weiteren Beratungen - wir haben das auch in den letzten Tagen durch unsere Redner zum Ausdruck gebracht - konkrete und seriöse Einsparvorschläge für die einzelnen Etats vorlegen. Wir werden erneut ein Volumen in einer Größenordnung von 2 bis 2,5 Milliarden Euro anstreben. Wir werden zudem erneut für den von Günter Rexrodt und mir vor einigen Monaten eingebrachten Vorschlag werben, durch eine Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes Subventionen zu begrenzen, degressiv zu gestalten und zukünftig wenn überhaupt, dann nur als Finanzhilfen zu gewähren. Damit könnten wir das strukturelle Haushaltsdefizit an einer zentralen Wurzel packen und einen nachhaltigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Das Fummeln am Gürtel des jeweils anderen, wie Sie es jetzt erneut mit der Eigenheimzulage versuchen, führt uns hier nicht weiter. Das löst keine Probleme, es vertagt sie nur. ({6}) Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte bekommen wir aber nur in den Griff, wenn wir die strukturellen Probleme unseres Landes lösen. Zentrales Ziel muss es sein, die wirtschaftliche Dynamik unseres Landes nachhaltig zu erhöhen. Dies wird aber nur gelingen, wenn die Politik zu ihrer Grundsatztreue zu den vier von Ludwig Erhard verfolgten konstituierenden Grundprinzipien sozialer Marktwirtschaft zurückfindet. Das erste Prinzip lautet: Vorrang für die Stabilität der Währung. Das gilt heute auch für den Euro. ({7}) Herr Eichel hat heute Morgen hier gesagt, dass man in diesem Jahr Flexibilisierungen vornehmen müsse, um die Schulden, wenn die Stagnationsphase überwunden ist - eigentlich wähnt sich die Regierung ja schon heute in der Wachstumsphase - , in Zukunft durch Haushaltsüberschüsse zurückführen zu können. Aber man muss doch nur einmal einen Blick in Ihre mittelfristige Finanzplanung werfen, die Sie uns hier auf den Tisch gelegt haben. Darin erkennen wir, dass bei einer Wachstumsannahme von jeweils 2 Prozent pro Jahr bis 2008 in den nächsten Jahren keine Haushaltsüberschüsse von Ihnen geplant werden, sondern dass Sie eine weitere Neuverschuldung von insgesamt annähernd 100 Milliarden Euro planen. Das ist die Wahrheit, die wir festhalten müssen. Insofern hat der Finanzminister am Thema vorbeigesprochen. ({8}) Der zweite Punkt ist das entschlossene Eintreten für Privateigentum, für weniger Staat und mehr Eigenverantwortung, damit den Bürgern mehr von den Früchten ihrer Arbeit bleibt. Darum geht es, wenn wir hier Vorschläge machen, wie die Lohnnebenkosten und die Steuern gesenkt werden können. Wir können es den jungen Leuten nicht zumuten, dass ihnen, wenn sie nach ihrer Ausbildung arbeiten gehen, über 60 Prozent des Verdienten abgezogen werden. Dadurch schaffen Sie keine Anreize für Arbeit und Investitionen. Damit frustrieren Sie die Menschen und treiben sie in die Schwarzarbeit oder ins Ausland. Das dritte Grundprinzip ist die Sicherstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs, und zwar in allen Bereichen, auch auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Bereich müssen wir, was zum Beispiel das Tarif- und das Arbeitsrecht betrifft, ebenfalls die Voraussetzungen für Wettbewerb schaffen. Das vierte Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft - genau dies ist das Prinzip, gegen das Sie so nachhaltig verstoßen - ist die Rückkehr zur Langfristorientierung und zur Verlässlichkeit der Politik. Denn nur dadurch wird das Vertrauen geschaffen, das notwendig ist, damit die Menschen Arbeit aufnehmen und damit Investitionen getätigt werden. ({9}) Um mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, ist es die Aufgabe der Politik, auf der Grundlage dieser Prinzipien Ludwig Erhards die notwendigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die drei Wachstumsfaktoren Arbeit, Investitionen und technischer Fortschritt zu schaffen. Die gegenwärtigen Demonstrationen und die Diskussionen in der Öffentlichkeit zeigen: Wir müssen nicht nur die Transfers zielgenauer durchführen und mehr Anreize zur Aufnahme von Arbeit schaffen, sondern wir müssen in diesem Land auch wieder mehr wettbewerbsfähige, legale Arbeitsplätze schaffen. Das ist der Schlüssel zum Wachstum von morgen. ({10}) Wer Arbeit schaffen will, braucht bessere Voraussetzungen für Investitionen. Hierzu muss man der Bundesregierung, wenn sie mehr Wachstum befördern will, doch einmal Folgendes sagen: Wer Investoren, wie es Herr Bütikofer in den letzten Tagen wieder getan hat, statt ihnen Mut zu machen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie an diesem Standort eine positive Entwicklung nehmen können, sofort mit der Androhung neuer Steuererhöhungen entgegentritt, der hilft nicht dabei, dass Wachstum entsteht, sondern er zerstört die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung in diesem Land. ({11}) Es muss uns gelingen, die steuerlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Investitionen in diesem Land wieder nachhaltig an Fahrt aufnehmen. Dafür brauchen wir in Deutschland ein Steuerrecht, wie es Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht hat: ein einfaches Steuerrecht mit niedrigen Steuersätzen, das im Ergebnis gerecht ist. Es ist doch interessant: Alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, alle Wirtschaftswissenschaftler, auch alle, die im Ausland mit solchen Konzepten gearbeitet haben, sagen: Das ist der Schlüssel, um in Deutschland aus der schwierigen Situation herauszukommen. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im Deutschen Bundestag vor. Meine Damen und Herren, wenn Sie es ernst meinten mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, wenn Sie es ernst meinten mit der Konsolidierung Ihres Haushaltes, müssten Sie diesen Gesetzentwurf schnell auf die Tagesordnung setzen und mitarbeiten, dass er noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann. Das wäre ein Impuls für dieses Land, nicht diese Rumeierei, die Sie die ganze Zeit über zelebrieren. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte in den letzten Tagen hat deutlich gezeigt: Der Zustand des Landes wird immer kritischer. ({0}) Die Sorgen der Menschen um ihren Arbeitsplatz, um ihre Existenz, um ihre soziale Sicherung nehmen zu. Zu Recht erwarten die Menschen von denen, die in der Politik Verantwortung tragen, sichtbare und spürbare Signale zur Verbesserung der Situation. ({1}) Genau diesen Erwartungen wird weder der vorliegende Haushaltsentwurf noch das, was die Regierung und die Koalitionsfraktionskollegen in dieser Woche gesagt haben, gerecht. Nichts ist erkennbar an spürbaren, an sichtbaren Signalen, dass sich die Situation für die Menschen im Land tatsächlich verbessert. ({2}) Im Gegenteil: Wenn man es sich genau anschaut, ist der vorliegende Haushaltsentwurf wie in den vergangenen Jahren auch in diesem Jahr ein Flickwerk. Immer wieder wird an verschiedenen Stellen versucht, selbst gemachte Haushaltslöcher zu stopfen, und auch in diesem Jahr wieder ist der Haushaltsentwurf mit einer Menge von Risiken verbunden. Eigentlich müsste man sich als Finanzminister genieren, so etwas vorzulegen. ({3}) Ich nenne Ihnen einige Beispiele, um dies zu begründen: Es sind Privatisierungserlöse von etwa 15 Milliarden Euro enthalten - jeder weiß, dass das so nicht zu erreichen ist. Da ist ein Bundesbankgewinn von etwa 3,5 Milliarden Euro eingestellt - im vergangenen Jahr sind 248 Millionen Euro erzielt worden. Nun soll die Eigenheimzulage abgeschafft werden, eine Maßnahme, die überhaupt noch nicht beschlossen ist und aller Voraussicht nach auch nicht beschlossen werden wird. ({4}) Die Einsparungen daraus sind aber schon im Haushalt berücksichtigt. Andererseits sind Ausgaben, die schon beschlossen sind, nämlich für Hartz IV, nicht enthalten. Meine Damen und Herren, ein Haushalt mit solch großen Risiken und bewusst falschen Angaben ist so etwas von unseriös, dass man ihn den Leuten in diesem Land einfach nicht zumuten kann. ({5}) Dazu kommt, dass die Wachstumserwartungen, die zugrunde gelegt sind, auch in diesem Jahr wieder aus der Luft gegriffen sind. Erst gestern hat das Institut für Weltwirtschaft in Kiel die Wachstumserwartungen reduziert: auf 1,2 Prozent. Auch dies gehört zur Wahrheit, die man den Menschen nicht vorenthalten darf. Aus all diesen Gründen ist dieser Entwurf nur auf dem Papier verfassungsgemäß. Trotz dieser Luftbuchungen werden die Maastricht-Kriterien wieder nicht erfüllt, trotz dieser Schönfärberei haben wir eine ÜberschulGerda Hasselfeldt dung, die die Stabilität der Währung gefährdet. Meine Damen und Herren, und dann spricht der Finanzminister von dem „sechsten Konsolidierungshaushalt in Folge“, den er vorlegt! ({6}) Von Konsolidierung kann da wirklich überhaupt nicht die Rede sein, schon mit der Überschrift wird die Bevölkerung angelogen. Dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik schwindet. Sie merken nämlich, dass sie von denen, die hier politische Verantwortung tragen, wieder einmal angelogen werden. Wenn der Bundeskanzler in einem Meister ist, dann ist er es im Formulieren. Ich zitiere einen Satz aus seiner Regierungserklärung vom November 1998: Das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger von uns verlangen können, ist der Wille zur Aufrichtigkeit, zur Beschreibung der Wirklichkeit. ({7}) Wenn er sich doch wenigstens an diesem ihm selbst gesetzten Mindestanspruch messen lassen würde, ({8}) dann müsste er sich heute hier hinstellen und sagen: Leute, ich habe sechs Jahre lang Verantwortung in diesem Land gehabt. Der Zustand des Landes ist nach sechs Jahren schlechter als vorher, den Menschen geht es schlechter also vorher, und die Arbeitslosigkeit ist nicht gesunken, wie ich es versprochen habe, sondern gestiegen. ({9}) Deshalb gestehe ich meine Schuld ein und gebe die Verantwortung an andere. - Das würde er tun, wenn er aufrichtig und ehrlich wäre. ({10}) Nun will ich nicht bestreiten, dass die Situation schwierig ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es die demographische Entwicklung und die Globalisierung mit den sich daraus ergebenen Problemen nicht erst seit gestern gibt; sie gibt es schon länger. Zur Wahrheit gehört auch, dass in diesen sechs Jahren der Verantwortung von Rot-Grün nichts getan wurde, um die Situation zu verbessern. Es wurde aber vieles getan, um die Situation zu verschärfen und zu verschlechtern. Ich nenne nur einige Beispiele: 1997 haben Sie unsere Steuerreform, die schon beschlossen war, im Bundesrat blockiert. Heute wird ja auch zugegeben, dass dies nur aus wahltaktischen Gründen geschehen ist. 1998/ 1999 haben Sie die von uns vorgenommenen Sozial- und Arbeitsrechtsreformen zurückgenommen. Im Laufe der letzten sechs Jahre haben Sie das Steuersystem nicht einfacher, sondern komplizierter gemacht. Sie haben die Sozialversicherung nicht grundlegend und wegweisend reformiert, sondern nur entsprechende Überschriften veröffentlicht. Denken Sie an die Riester-Rente, die Sie „Jahrhundertreform“ genannt haben, um ein halbes Jahr später zugeben zu müssen, dass dies keine Jahrhundertreform war. Schließlich haben Sie die Kommunen nicht zuletzt dadurch ausbluten lassen, dass Sie die Gewerbesteuerumlage erhöht haben. Dadurch haben Sie den Kommunen jahrelang mehr Geld abgenommen, als es eigentlich notwendig und als es gerechtfertigt gewesen wäre. ({11}) Bei einer solchen Politik brauchen Sie sich nicht darüber zu wundern, dass die Einnahmen zurückgehen, die Ausgaben steigen und dadurch die Haushaltsdefizite immer größer werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das ist nicht gottgegeben, sondern das haben Sie zu verantworten. ({12}) Das Schlimme daran ist, dass die Folgen nicht nur auf dem Papier stehen, dass es also nicht nur Auswirkungen auf die Zahlen des Haushaltes gibt. Das Schlimme daran ist, dass die Menschen betroffen sind. Den jungen Menschen werden durch die hohe Verschuldung die Perspektiven für die Zukunft kaputtgemacht, den Älteren wird ein Teil des Lohnes ihrer Arbeit genommen ({13}) und viele - auch qualifizierte und leistungsbereite Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht. Das ist das Schlimme an dieser Politik. ({14}) Es ist mit Sicherheit der falsche Weg, zu glauben, dies bei Haushaltsberatungen durch einseitige Kürzungen unter dem Stichwort „Konsolidierung“ oder durch das Stopfen des einen Lochs heute und des anderen Lochs morgen ändern zu können. Wir haben das bei der Tabaksteuer erlebt. Durch die massive Erhöhung dieser Steuer haben Sie versucht, ein Loch zu stopfen. Das Ergebnis war, dass sich die Menschen so verhalten haben, wie sie es getan haben, nämlich ganz normal. Wir hatten Ihnen das vorher auch gesagt. ({15}) Das Volumen des Steueraufkommens reicht also nicht, sodass Sie sich etwas anderes suchen müssen, um das Loch zu stopfen. Sie sind eben nicht bereit, grundlegende Entscheidungen zu treffen, grundlegende Strukturreformen durchzuführen und eine grundlegende Politik für Wachstum und Beschäftigung zu gestalten. Das ist der wesentliche Punkt, den wir kritisieren. ({16}) - Darauf komme ich noch zurück. Es ist in dieser Zeit auch falsch, die Menschen durch ständige Diskussionen über die Erbschaftsteuer, die Vermögensteuer und anderes weiter zu verunsichern. Das, was die Menschen brauchen, ist - Herr Professor Pinkwart hat es angesprochen - Verlässlichkeit. Sie hingegen machen es einmal so und einmal so. Man darf die Menschen auch nicht bei der Höhe von Einnahmen belügen. Ich kann mich noch sehr gut an ein Beispiel erinnern - das ist noch gar nicht so lange her - : Es geht um die so genannte Brücke zur Steuerehrlichkeit. Sie haben vorausgesagt, dass mit dieser Maßnahme 5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen erreicht werden. Die Finanzminister der Länder haben schon große Augen bekommen und sich auf diese Einnahmen gefreut. Wir haben schon damals gesagt: Macht euch nichts vor, so viel wird es nicht. Diese Einnahmeprognose ist von den Steuerschätzern auf 1,5 Milliarden Euro korrigiert worden. Nach In-Kraft-Treten sind im ersten Halbjahr dieses Jahres etwa 220 Millionen Euro eingegangen. Daran sieht man wieder, dass die Leute belogen werden. Voraussagen, die einfach nicht stimmen, werden in die Welt gesetzt. ({17}) Falsch ist auch, bei den Investitionen und den Maßnahmen, die Wachstum stimulierend sind, zu kürzen, aber ökologische Spielwiesen beizubehalten. Vollkommen unsinnig und unnütz war auch der BND-Umzug von München nach Berlin. Ein anderes Beispiel sind die Unsummen von Geldern, die für Ich-AGs, Jobfloater und Ähnliches ausgegeben wurden. Notwendig wäre eine Politik, die bei wirklich jeder Entscheidung prüft: Bringt sie uns Arbeitsplätze? Bringt sie uns Zukunftschancen? Belässt sie die Arbeitsplätze im Land? Ich will einige Punkte ansprechen, die hier eine Rolle spielen. Wie verhalten wir uns zu Innovation und Forschung? Es reicht eben nicht, wenn der Bundeskanzler das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation erklärt. Es reicht auch nicht, wenn der Wirtschaftsminister die Gentechnik insgesamt fördern will. Ausschlaggebend ist das, was tatsächlich an Politik gemacht wird. Gemacht wird unter der Federführung der Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin ein Gesetz zur Gentechnik, das die Gentechnik, die Forschung und den Anbau in diesem Bereich aus dem Lande verdrängt. Forschung findet in diesem Bereich nicht mehr in Deutschland, sondern in anderen Ländern statt und hoch qualifiziertes Personal in diesem Bereich geht aus Deutschland weg. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({18}) Eine Binsenweisheit ist auch, dass Investitionen gestärkt werden müssen. Der Investitionsanteil im Bundeshaushalt geht Jahr für Jahr zurück und liegt mittlerweile bei 8,8 Prozent. Sie haben gesagt, dass die Kommunen investieren sollen, weil Sie nicht investieren können. Sie schreiben den Kommunen nun auch noch vor, was sie zusätzlich machen sollen, beispielsweise bei der Kindertagesbetreuung. Lassen Sie ihnen doch die Freiheit, mit dem Geld, das sie einnehmen, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Machen Sie das, was notwendig ist, nämlich bei den Kommunen die Dynamik der Sozialausgaben zu begrenzen. Es reicht nicht, das in Sonntagsreden zu beschwören, wie es beispielsweise die SPD in Nordrhein-Westfalen tut, sondern es ist notwendig, dies hier in diesem Haus zu beschließen. Anträge dazu liegen vor. Mein letzter Punkt betrifft die Eigenheimzulage, weil auch sie im Zusammenhang mit Investitionen steht. Die Einnahmen durch Kürzung der Eigenheimzulage sind ähnlich wie früher beim Jäger 90 schon mehrfach eingeplant. Gestern Abend habe ich gehört, dass die Mittel aus diesen Einnahmen auch in die Landwirtschaft fließen sollen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Abschaffung der Eigenheimzulage pro Jahr ein Minus an Investitionen im Wohnungsbau von etwa 28 Milliarden Euro bedeutet. Diese Berechnung stammt nicht von mir, sondern von Experten. In einer Zeit, in der es darum geht, wirtschaftspolitische Signale in Richtung Investitionen und Arbeitsplätze zu setzen, kann man doch nicht ein solches Instrument, das sich im Übrigen auch familienpolitisch bewährt hat, zur Seite legen. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Es ist wichtig, nicht irgendwelche kurzsichtigen Haushaltslöcher zu stopfen, ({0}) sondern die Inhalte der Politik sind ausschlaggebend. Mit dem, was Sie in den letzten sechs Jahren gemacht haben, haben Sie einen wesentlichen Beitrag zu dieser schlechten Situation unseres Landes geleistet. Deshalb ist ein Umkehren notwendig, und zwar nicht in Form von kurzfristigem Stopfen von Löchern, sondern in Richtung einer anderen Politik, die die Menschen und die Arbeitsplätze in den Vordergrund stellt. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich gestern beim Hörtest gewesen bin, glaube ich nicht, dass ich eben etwas überhört habe. ({0}) Frau Kollegin Hasselfeldt hat gesagt, sie wolle eigene Vorschläge machen. Ich habe keine gehört, genauso wie ich in der ganzen Woche keine eigenen Vorschläge der Union zur Lösung der Haushaltsprobleme gehört habe. ({1}) Ich glaube, Sie von der Union sollten sich auf eine gemeinsame Linie innerhalb Ihrer Partei verständigen; denn das, was Sie in dieser Woche geboten haben, hat gezeigt, dass Sie nicht in der Lage sind, Verantwortung für dieses Land zu tragen. ({2}) Sie haben außer unseriöser Kritik und noch unseriöseren Vorschlägen nichts zu bieten. Die meisten von Ihnen stehen weder zu ihren eigenen Vorschlägen, noch zu den Gesetzen, denen sie im Bundestag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss zugestimmt haben. Ich will Ihnen das am Beispiel des saarländischen Ministerpräsidenten deutlich machen. Er hat den Verschärfungen zu Hartz IV, die von Ihrer Seite im Vermittlungsausschuss gefordert wurden, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss zugestimmt. Zwei Tage vor der Landtagswahl aber stellt er sich hin und verlangt Nachbesserungen und weint Krokodilstränen. Das ist Ehrlichkeit nach Art der CDU/CSU. ({3}) Sie haben die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose genauso zu verantworten wie die Praxisgebühr und die Kopfprämie für den Zahnersatz. Sie sollten endlich zu dem stehen, was Sie mit zu verantworten haben, und sich nicht ständig wegducken. Der einzige, der heute bzw. in dieser Woche eine für meine Begriffe etwas nachdenklichere Rede gehalten hat, war der Kollege Laumann. Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Union, sollten den Leuten sagen, dass Sie mit Ihrem Existenzsicherungsgesetz den Arbeitslosen im ersten Monat das Arbeitslosengeld kürzen wollen. Ich habe noch nicht gehört, dass Sie das offensiv vertreten. Sie sollten ihnen auch sagen, dass Sie diejenigen waren, die den Empfängern von Arbeitslosengeld II überhaupt keine Zuverdienstmöglichkeiten erlauben wollten. ({4}) Sie sollten auch zugeben, dass Sie das Optionsmodell eigentlich gar nicht ernsthaft gewollt haben, sondern nur Chaos produzieren wollten. ({5}) - Das scheint Sie sehr zu treffen. Das kann ich an einem konkreten Beispiel deutlich machen. Im Saarland gibt es sechs Landkreise. In jedem Landkreis gibt es entweder eine CDU-Mehrheit oder eine CDU/FDP-Mehrheit. Fünf von diesen Landkreisen haben sich für das Arbeitsgemeinschaftsmodell entschieden, ein Landkreis ist für das Optionsmodell. Raten Sie einmal, was das Land tut! Das Land weiß noch gar nicht, ob es zustimmen will, weil es eine Kreisreform im Hinterkopf hat, was vor der Landtagswahl auch nicht zugegeben wurde. Das ist die Politik, um die es Ihnen geht. Der einzige, der vielleicht wirklich das Optionsmodell wollte, war der hessische Ministerpräsident. Alle anderen wollten das aber im Prinzip nicht. ({6}) Sie haben es zu verantworten, wenn es in einzelnen Bereichen kritisch wird, weil Sie vorgegaukelt haben, mit dem Optionsmodell könne man etwas machen. ({7}) Es gibt darüber hinaus auch keine uneingeschränkte Zusage des Landes gegenüber den Gemeinden, ob denn die Entlastung, die vereinbart worden ist, wirklich an die kommunale Ebene weitergegeben wird. Ich höre aus Nordrhein-Westfalen, dass das Land genau das zugesagt hat. Man muss sich überlegen, was dann werden soll. Die Gemeinden beklagen sich, dass sie das Geld nicht bekommen. Wir haben uns verpflichtet, später genau abzurechnen, und gehen davon aus, dass die Gemeinden das Geld bekommen. Das wird wahrscheinlich wieder an den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister hängen bleiben, sodass die Gemeinden die Entlastungen nicht bekommen werden, die zwischen uns vereinbart worden sind. Eines ist während der Debattenbeiträge deutlich geworden. Die Kollegen und Kolleginnen aus dem Haushaltsausschuss haben die Höhe der Ausgaben kritisiert und mehr Einsparungen gefordert und die Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen haben die Einsparungen kritisiert und mehr Ausgaben gefordert. Das ist das, was Sie in dieser Woche geboten haben. ({8}) Sie sollten sich untereinander verständigen, was Sie eigentlich wollen: Sparen oder mehr ausgeben, beides geht nicht. ({9}) - Nein, das habe ich von unseren nicht gehört. Ich habe eben gehört, dass der Kollege Pinkwart 2 Milliarden bis 2,5 Milliarden Euro einsparen will, der Kollege Austermann - so habe ich gelesen - will 7,5 Milliarden Euro einsparen, ({10}) der bayerische Ministerpräsident will sogar 5 Prozent des Haushaltsvolumens, also 12,5 Milliarden Euro, einsparen. ({11}) Wie das geschehen soll, haben Sie nicht gesagt. Wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, Haushaltsrisiken bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen hochrechnen, weshalb schlagen Sie dann nur so geringe Einsparungen vor? Das passt doch nicht zusammen. Was Sie hier geboten haben, ist pure Polemik. ({12}) Die Auswirkung der Stoiber-Vorschläge könnte ich Ihnen jetzt noch an einzelnen Beispielen deutlich machen. Im Bereich Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wären Einsparungen nur durch Investitionskürzungen möglich, im Bereich Wirtschaft und Arbeit müssten 1,7 Milliarden Euro eingespart werden. Woher wollen Sie die nehmen? Wollen Sie beim Arbeitslosengeld oder bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik sparen? Ihre ostdeutschen Ministerpräsidenten werden sich wirklich in Freudentänzen ergehen, wenn Sie dort bei den aktiven Maßnahmen für die Arbeitsmarktpolitik noch kürzen wollen. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Ferner, man mag ja manche Vorschläge aus dem tiefen Süden durchaus infrage stellen, aber habe ich Ihren Beitrag so zu verstehen, dass seitens der Haushälter der Koalition in den weiteren Beratungen keinerlei Einsparvorschläge kommen, oder können wir erwarten, dass auch von Ihnen - so wie es die FDP bei den letzten Beratungen gemacht hat - vielleicht noch vernünftige Vorschläge im Volumen von ein paar Milliarden kommen?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde nachher noch auf unsere Einsparvorschläge eingehen. Nach der Aufstellung des Haushalts sind übrigens bereits einige Beschlüsse gefasst worden, die bei der Haushaltsaufstellung nicht berücksichtigt werden konnten. Wir werden unsere Vorschläge in altbewährter Manier während der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss machen. Ich gestehe Ihnen gern zu, Herr Fricke, dass Ihre Vorschläge bei den Haushaltsberatungen in den letzten zwei Jahren, in denen ich die Beratungen im Haushaltsausschuss beobachte, deutlich seriöser - wenn auch noch lange nicht seriös genug - waren als die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion. ({0}) Sie haben - das ist während der Debatte schon mehrfach erwähnt worden - Ausgabenprogramme beschlossen, zwar noch nicht unbedingt in Form von Gesetzentwürfen, aber zumindest auf Ihren Parteitagen und in Ihren Gremien und Kommissionen, die für die öffentlichen Haushalte zusätzliche Belastungen von deutlich über 100 Milliarden Euro bringen würden. Ich will die Bierdeckelreform von Herrn Merz und die Vorschläge der FDP zur Steuerreform gar nicht dazu addieren; dann kämen zweistellige Milliardenbeträge an Steuerausfällen hinzu. Ich glaube, das, was Sie in dieser Woche hier geboten haben, ist ein gutes Stück unehrlich. ({1}) Sie beklagen die Kürzungen bei den Ausgaben, thematisieren aber Ihre eigenen ausgabewirksamen Vorschläge nicht. Das heben Sie sich wieder für Wahlkämpfe auf. Sie benennen auch nicht, was die Umsetzung Ihrer Vorschläge kosten würde, und Sie benennen vor allen Dingen nicht, wie Sie sie finanzieren wollen. Ich habe eben mit Verwunderung gehört, dass Frau Kollegin Hasselfeldt sich über die wegbrechenden Einnahmen beklagt hat, und frage Sie: Warum haben Sie denn Einnahmeverbesserungen blockiert? Wir haben Ihnen doch genügend Gelegenheit geboten, die Einnahmen zu verbessern. ({2}) Sie haben im Bundestag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss deutliche Einnahmeverbesserungen blockiert. Ich komme nachher noch darauf zurück. ({3}) Man sollte sich auch einmal anschauen, wie die Presse das, was in dieser Woche hier gelaufen ist, kommentiert. Vielleicht ist Ihre Fraktionsvorsitzende heute nicht da, weil sie sich die Zitate nicht anhören will. Ich zitiere: Die Union stellt den Finanzminister genüsslich an den Pranger - zu Unrecht. … Ein gehöriges Maß Mitschuld hat die Union. Eichel bietet … in der labilen konjunkturellen Gegenwart das bessere und glaubhaftere finanzpolitische Konzept. Das schrieb die „Financial Times Deutschland“ in ihrem Leitartikel vom Mittwoch. ({4}) Dort steht weiter zu lesen: Man kann, wie die Union es tut, das Zahlenwerk aus dem Hause Eichel schon heute als Makulatur verdammen. Die Frage ist nur, wie ein besseres Konzept aussähe. An dieser Stelle zeigt sich die Union blank; sie verlegt sich lieber darauf, dem Finanzminister Versagen vorzuwerfen, während sie auf der anderen Seite dessen Pläne zum Abbau steuerlicher Vergünstigungen wie der Eigenheimzulage im Bundesrat blokkiert. Pauschale Ausgabenkürzungen von fünf Prozent, wie sie etwa CSUChef Edmund Stoiber zum Haushaltsausgleich vorgeschlagen hat, wären in der Union niemals durchsetzbar, weil sie auch die Renten, die Landwirtschaft und die Bundeswehr stark beschneiden würden. Das sagt doch wohl alles. Ich könnte Ihnen weitere Zitate aus dem „Handelsblatt“ und der „Süddeutschen Zeitung“ vorlesen. ({5}) Alle haben den gleichen Tenor: Sie haben überhaupt kein Konzept. Sie sind nur in der Lage zu kritisieren, aber Sie sind nicht in der Lage, eigene konstruktive Vorschläge zu machen. ({6}) Die Wirtschafts- und Finanzpolitik steht vor einer dreifachen Aufgabe. Sie muss zuerst alles unternehmen, um den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. Gleichzeitig gilt es aber im Sinne einer nachhaltigen Politik, den Konsolidierungskurs nicht zu verlassen. Zudem müssen die eingeleiteten Strukturreformen umgesetzt werden. Es geht also um die Verbindung von Wachstumsförderung, Konsolidierung und Strukturreformen. Der Konsolidierungskurs wurde auch mit Ausgabenbegrenzung und Subventionsabbau fortgesetzt. Beim Subventionsabbau stehen Sie von Union und FDP - ich habe das schon gesagt - ständig auf der Bremse. Wir haben mehrfach Initiativen vorgeschlagen. Sie haben beim Steuervergünstigungsabbaugesetz und beim Haushaltsbegleitgesetz des letzten Jahres Einnahmeverbesserungen für die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro - 25 Milliarden Euro! blockiert. Der Bund stünde anderenfalls in diesem Zeitraum mit 10,6 Milliarden Euro besser da, die Länder mit knapp 10 Milliarden Euro und die Gemeinden immerhin mit 4,4 Milliarden Euro. Herr Pinkwart, Sie haben uns im Zusammenhang mit dem Subventionsabbau Steuererhöhungen vorgeworfen. Sie haben wirklich einen merkwürdigen Subventionsbegriff. Es ist doch kein Unterschied, ob man nun Geld aus dem Haushalt nimmt, um es einem Subventionsempfänger zu geben, oder ob man darauf verzichtet, Dinge zu besteuern, die sinnvollerweise besteuert werden müssten. Ihr Subventionsbegriff führt den Staat in den Bankrott und dazu, dass die öffentliche Hand gar nicht mehr handlungsfähig ist und dass die von Ihnen geforderten Investitionen in Bildung und Forschung zurückgehen. ({7}) Wir reduzieren die Nettokreditaufnahme für das nächste Jahr auf 22 Milliarden Euro. Sie haben Recht: Wir haben Privatisierungserlöse in Höhe von 15,45 Milliarden Euro eingeplant. Das ist aber notwendig, damit der selbsttragende Aufschwung nicht kaputtgemacht wird. Ausgabenkürzungen in den Dimensionen, die Sie vorgeschlagen haben, würden mit Sicherheit nicht zu einem Anspringen der Konjunktur, sondern zum Gegenteil führen. Dazu könnte ich Ihnen noch einiges zitieren. Ich möchte noch etwas zum Thema Schulden sagen. Der Kollege Austermann hat am Dienstag ausgerechnet das Saarland als positives Beispiel in Sachen Schuldenentwicklung angeführt. Ich weiß nicht, woher er seine Zahlen hat, aber er hat behauptet - das ist schon beeindruckend -, nicht das Saarland, sondern das Land Schleswig-Holstein habe die rote Laterne. Ich habe das überprüft und festgestellt: Es ist genau umgekehrt. Ausweislich des Berichts der Bundesregierung über den Schuldenstand der Länder vom Ende des Monats Juni ergibt sich folgendes Bild: Die Pro-Kopf-Verschuldung beträgt im Saarland 7 070 Euro ({8}) - dazu kann ich gleich noch etwas sagen - und in Schleswig-Holstein 6 811 Euro. Ich habe in der Schule gelernt, dass 6 811 Euro weniger als 7 070 Euro sind. Herr Austermann sollte sich einmal um die Quelle für seine Zahlen kümmern. ({9}) Es ist aber noch schlimmer. Die konservative saarländische Landesregierung hat es mit ihrem Musterknaben Müller geschafft, innerhalb von fünf Jahren den Schuldenstand um 1 Milliarde Euro zu erhöhen, ({10}) obwohl im gleichen Zeitraum zusätzlich fast 2 Milliarden Euro Teilentschuldungsmittel vom Bund an das Land geflossen sind. Wir reden also über die „Lappalie“ von 3 Milliarden Euro, die dort von Ihrer Regierung verfrühstückt worden sind. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauber?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte, Herr Rauber.

Helmut Rauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002755, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Ferner, stimmen Sie mir zu, dass das Saarland den geringsten Anstieg beim Haushaltsvolumen insgesamt hat und dass die Steuermindereinnahmen letzten Endes nur deshalb entstanden sind, weil es in Deutschland an Wirtschaftsdynamik fehlt? Meiner Meinung nach liegt dort der Grund und nicht in einer verfehlten Haushaltspolitik der Landesregierung, wie Sie fälschlicherweise behaupten. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege Rauber. Denn nur wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht, kann man einen geringeren Anstieg des Haushaltsvolumens darstellen. Eine ganze Reihe von Dingen, die vorher im Landeshaushalt berücksichtigt waren, ist nämlich ausgegliedert worden, wie beispielsweise der Landesbetrieb für Straßenwesen. Das sollten Sie als ehemaliger saarländischer Landtagsabgeordneter eigentlich wissen. ({0}) - Ihr Kollege hat doch gefragt. Ich antworte nur auf die Fragen, die mir hier gestellt werden. ({1}) - Herr Laumann, melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage, wenn Sie das wissen wollen. Jetzt beantworte ich erst einmal die Frage des Kollegen Rauber. Wenn man das fairerweise addiert, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Ausgabensteigerung deutlich höher als in den Vorjahren ist. Ausweislich eines Berichtes des Landesrechnungshofes ({2}) sind die Kosten für das Personal der politischen Führung gestiegen. Aber beim Steuervollzug sind - darüber sollten Sie sich einmal wundern; damit hängen vielleicht die fehlenden Einnahmen zusammen - Personalstellen gestrichen worden. Wie kann es überhaupt sein - das muss ich doch einmal fragen dürfen -, dass es einem Land, das vom Bund Geld bekommt, weil es in einer Haushaltsnotlage ist, einfällt, die Anzahl seiner für den Steuervollzug zuständigen Beamten zu reduzieren? Schließlich werden so weniger Steuern eingetrieben. ({3}) Diese Politik haben Sie gemacht. Ein weiterer Grund für die fehlenden Einnahmen ist, dass dieses Land ständig seine Hände Richtung Berlin streckt und sagt: Ich will Geld haben. Wenn der Bundesrat aber beispielsweise Einnahmeverbesserungen beschließen kann, dann lehnt es sie ab. ({4}) Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Lieber Kollege Rauber, insofern kann ich Ihnen in keinem Punkt zustimmen. ({5}) Die letzte Stufe der Steuerreform tritt nächstes Jahr in Kraft. Ich möchte hier noch einmal erwähnen, dass eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 37 540 Euro unter Berücksichtigung des Kindergeldes dann keine Steuern mehr zahlen wird. Das ist im Vergleich zu 1998 eine Entlastung um 2 924 Euro im Jahr. Frau Hasselfeldt, ich kann nicht verstehen, dass Sie diese Entlastung als Nichts darstellen. Was haben Sie denn in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gemacht? In Ihrer Regierungszeit lag der Eingangssteuersatz bei knapp 26 Prozent. Das war das Ergebnis Ihrer Regierungszeit. ({6}) Sehr geehrte Frau Kollegin Hasselfeldt, der Eingangssteuersatz liegt nächstes Jahr bei 15 Prozent. Wir müssen bei der Frage, wofür wir das Geld ausgeben, deutlich machen, dass wir den Zukunftsausgaben Vorrang geben. Die aus dem Wegfall der Eigenheimzulage frei werdenden Mittel können wir für eine Innovationsinitiative zur Stärkung von Forschung und Bildung ausgeben. Es liegt an Ihnen, ob es für diese Bereiche mehr Geld geben wird oder nicht. ({7}) Sie haben in Ihrer Rede eben die demographische Entwicklung angesprochen. Sie haben gesagt: Darauf muss man sich einstellen. Im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie gesagt: Die Eigenheimzulage muss aber für alle Zeit gezahlt werden. Ich frage mich, was es bringt, bei einer schrumpfenden Bevölkerung noch mehr in den Neubau zu investieren. ({8}) Nötig sind die Sanierung und die Veränderung des Bestandes und keine zusätzlichen Wohnungen und Häuser, was möglicherweise mit einer Zersiedelung der Landschaft einhergeht. Wir haben die Gemeinden - auch gegen Ihren Widerstand - deutlich entlastet, insgesamt um 6,5 Milliarden Euro. Ich will etwas zum Thema „Betreuung von Kindern unter drei Jahren“ - Stichwort 1,5 Milliarden Euro - sagen: Genauso wie wir von den Ländern erwarten, dass das Geld, dessen Zahlung vereinbart worden ist, bei den Gemeinden wirklich ankommt, so sehr erwarten wir auch von den Gemeinden, dass sie in die Zukunft unserer Kinder investieren, dass sie die Schaffung und den Ausbau von Ganztagseinrichtungen für unter Dreijährige forcieren, damit auch die jungen Frauen und vielleicht der eine oder andere junge Mann die Möglichkeit haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wenn man sich anschaut, wie es insgesamt aussieht, dann erkennt man: In der Vergangenheit haben nicht unbedingt die schwarzen Gemeinden in Ganztagsschulen, in Ganztagsbetreuungseinrichtungen für die Kleinen, in Ganztagskindergärten, in Krippen und in Horte investiert, wenn sie kein zusätzliches Geld vom Bund erhalten haben, sondern eher die sozialdemokratisch geführten Gemeinden. ({9}) In den nächsten Jahren wird deutlich werden, wer Geld für vernünftige Zukunftsinvestitionen ausgibt. Sie haben in dieser Haushaltswoche überhaupt keine Alternativen geboten. ({10}) Ich bin darauf gespannt, ob Sie es schaffen, im Haushaltsausschuss ein paar ordentliche Vorschläge zu machen. Wir werden in den nächsten Wochen noch lange genug Zeit haben, darüber zu debattieren. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch aus der „Financial Times Deutschland“ zitieren: Und selbst wenn die Union weniger heuchlerisch agieren würde: Ihr Rezept der drastischen Ausgabenstreichungen ist in konjunkturell labilen Zeiten höchst gefährlich. Eichel ist gut beraten, vorerst keine weiteren Sparpakete anzukündigen. Ich kann dem nur zustimmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und freue mich auf die Diskussion mit Ihnen im Haushaltsausschuss. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ CSU-Fraktion.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die letzten Diskussionen zieht sich wie ein roter Faden die Frage: Wird es eigentlich immer so weitergehen, dass wir mit unserem Haushalt das Maastricht-Kriterium verletzen? Herr Eichel hat vorhin gesagt, es gehe nicht darum, den Maastricht-Vertrag zu ändern, und er hat angekündigt, dass er das nächste Jahr unter der 3-ProzentGrenze bleiben will. Nun ist die Frage, woraus wir schließen sollen, dass seine heutige Aussage, im nächsten Jahr wolle er das Kriterium nicht mehr reißen, ernster gemeint ist als seine Aussage im letzten Jahr, in diesem Jahr wolle er es nicht reißen. Es gibt meines Erachtens keine schlüssige Begründung dafür, dass wir ihm diesmal glauben müssen. Von mehreren Rednern wurde die Frage gestellt: Was sollen wir tun, an welcher Stelle soll gespart werden, wer hat Sparvorschläge usw. usf.? Ich möchte jetzt nicht den Haushaltsdiskussionen in den Ausschüssen vorgreifen, aber doch sagen: Wenn man schon nicht weiß, wie man sparen soll, dann sollte man sich wenigstens einmal danach umgucken, ob es Beispiele aus Deutschland dafür gibt, dass Haushaltskonsolidierung gelungen ist und dass das Sparen tatsächlich Erfolg gehabt hat. Solche Beispiele gibt es. Sie werden jetzt denken: Gerade dieser Ossi muss uns zum Sparen auffordern - bei den riesigen Transferleistungen, die unseren Haushalt natürlich erheblich belasten. Aber ich sage Ihnen: Gerade in Ostdeutschland gibt es solche Beispiele dafür, dass man mit Erfolg gespart hat. Weil die Kollegin Ferner eben das Saarland als Beispiel angeführt hat, erlaube auch ich mir, ein Beispiel zu bringen. Dazu muss ich übrigens sagen: Die rigidesten Angriffe auf jedwede Konsolidierungspolitik, so sie aus dem Saarland gekommen sind, sind nicht von Herrn Müller gekommen, sondern von jemandem aus Ihrer Partei, von einem nicht unbedeutendem Mitglied Ihrer Partei. So ist das nämlich. ({0}) - Ja. ({1}) Zurück zu einem Beispiel aus Ostdeutschland. In Ostdeutschland gibt es gute Beispiele solider Haushaltspolitik. Eines will ich Ihnen nennen: Sachsen. Sachsen hat mit allen anderen ostdeutschen Flächenländern eines gemeinsam: Die Ausgangslage im Jahr 1990 war gleich schlecht wie überall. Es gab genauso marode Wasserleitungsnetze und genauso funktionsuntüchtige Kläranlagen wie überall, es gab denselben Erneuerungsbedarf in Infrastruktur und Bausubstanz und es gab dieselben Sozialstrukturen wie in den anderen ostdeutschen Ländern auch. Heute, im Jahr 2004, weist Sachsen drei wesentliche Unterschiede zu den anderen ostdeutschen Ländern auf: Erstens. Seit 1990 wurde Sachsen niemals von einer der rot-grünen Parteien oder der PDS regiert oder mitregiert. Zweitens. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist in Sachsen nicht nur ein bisschen geringer als im Durchschnitt der ostdeutschen Länder ohne Sachsen, sondern sie ist weniger als halb so groß. ({2}) Drittens. Diese Sparpolitik hat Sachsen überhaupt nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil. Sachsen steht im Augenblick an der Spitze des Länderratings. Die gestrige Auszeichnung für den sächsischen Ministerpräsidenten als Ministerpräsident des Jahres hat das eindrucksvoll bestätigt. ({3}) Das Beispiel Sachsen zeigt Folgendes: Es ist nicht nur möglich, die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten, sondern es ist sogar so, dass niedrige Verschuldung sowie wirtschaftlicher und sozialer Erfolg zwei Seiten derselben Medaille sind. Ich will Ihnen auch sagen, was Sachsen getan hat und was der Bund hätte tun sollen, um sparsamer zu wirtschaften. Man kann das eigentlich in einem Satz ausdrücken: Sachsen hat im Wesentlichen deshalb bessere Haushaltszahlen als andere, weil man sich in Sachsen darum bemüht hat, sich auf das Notwendige zu konzentrieren, und die Hände von teuren und unsinnigen Projekten gelassen hat. Genau das vergisst die Bundesregierung bei ihrer Haushaltspolitik jedoch seit sechs Jahren. ({4}) Ich will es Ihnen an einigen Beispielen erläutern: All Ihre Luftschlösser in der Arbeitsmarktpolitik in den vergangenen Jahren hätten Sie sich sparen sollen: Ich denke erstens an das berühmte Job-AQTIV-Gesetz - ich weiß nicht, ob sich noch jemand hier daran erinnert; das war eine völlige Luftnummer -, zweitens an den Jobfloater, drittens - ({5}) - Die Argumente laufen überhaupt nicht ins Leere. Es ist eine ausgesprochene Dreistigkeit, zu sagen, diese Argumente gingen ins Leere, wenn man sich einer solchen Verschleuderung von Steuergeldern schuldig gemacht hat. ({6}) - Wenn Sie nicht zuhören, wäre es gut, wenn Sie sich draußen unterhalten würden, ({7}) denn ich habe das als Zwischenruf interpretiert, Frau Leonhard bzw. Frau Professor Leonhard; entschuldigen Sie bitte. Der Jobfloater, das JUMP-Programm, die Ich-AGs, die Personal-Service-Agenturen - alle diese Maßnahmen waren für die Arbeitsmarktpolitik im Wesentlichen wirkungs- und wertlos. Es handelte sich um eine riesige Verschleuderung und die Menschen wurden entmutigt, weil man ihnen Luftschlösser vorgesetzt hat und sie auf diese Weise um ihre Hoffnungen betrogen hat. Damit hat man das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der großen Parteien in Deutschland nachhaltig beschädigt. Das ist die Realität. Eines - das muss ich allerdings sagen - ist Ihnen immer ganz gut gelungen: Immer wenn eines Ihrer Projekte jämmerlich abgesoffen ist, haben Sie noch den Absprung auf das nächste geschafft und vermocht, den Blick der Öffentlichkeit wieder auf ein neues Projekt zu lenken. ({8}) Jetzt im Moment befinden wir uns beim Jump zu Hartz IV. ({9}) Sie wissen, dass Sie sich prinzipiell auf die Unterstützung der Union verlassen können, ({10}) weil auch wir schon seit vielen Jahren gefordert haben, die steuerfinanzierten Lohnersatzleistungen zu einer einheitlichen Leistung zusammenzuführen, ({11}) und weil wir alle wissen, dass durchgreifende Reformen des Arbeitsmarktes dringend notwendig sind. ({12}) Wenn es nötig ist, einen Patienten am offenen Herzen zu operieren, um sein Leben zu retten, dann handelt man richtig, wenn man eine solche Operation vornimmt. Wenn sich aber zeigt, dass - wie eine große deutsche Zeitung titelte - beabsichtigt ist, diese Operation am offenen Herzen statt mit dem Skalpell mit dem Brotmesser vorzunehmen, ({13}) dann ist es ebenfalls richtig, um das Leben des Patienten zu schützen, einem solchen Ansinnen entgegenzutreten. Nichts anderes ist geschehen. ({14}) Als die ostdeutschen Ministerpräsidenten nämlich Ende vorigen Jahres dem im Vermittlungsausschuss erzielten Ergebnis zugestimmt haben, haben sie richtig gehandelt. Als aber klar wurde, dass das mühsam erstrittene Optionsrecht der Kommunen nur noch als Makulatur überleben würde ({15}) und stattdessen mit einer so genannten Buschzulage ausgestattete abgewickelte Telekom-Formationen in Ostdeutschland einrücken würden, um die Hartz-Gesetze zu vollziehen, haben die ostdeutschen Ministerpräsidenten wiederum richtig gehandelt, indem sie sich im Bundesrat einem solchen Ansinnen verweigert haben. Warum ist das so? Sehen wir einmal von dem Mangel an Sensibilität ab, der an dem geplanten Einsatz von westdeutschen Beamten und der Zahlung einer so genannten Buschzulage deutlich wird. Wenn aber keine Aussicht auf neue Arbeitsplätze besteht, weil die Kommunen in Ostdeutschland nicht in die Lage versetzt werden, das Potenzial an Arbeitsplätzen zu erschließen - dazu sind nämlich nur sie in der Lage -, dann wird aus dem Skalpell das Brotmesser. Dann ist nämlich keine Perspektive mehr da, die man mit Hartz verbinden könnte. Dann hat man als verantwortlicher Politiker seine Stimme dagegen zu erheben. Nun sagen Sie vielleicht, die westdeutschen Ministerpräsidenten hätten Hartz IV aber doch zugestimmt. Freilich haben sie zugestimmt, und zwar deshalb, weil in ihren Ländern nur ein Viertel der Anspruchsberechtigten aus der Arbeitslosenhilfe kommen; im Osten hingegen sind es drei Viertel. Wir reden demzufolge von völlig unterschiedlichen Problemlagen, weil die Herausforderungen eine ganz unterschiedliche Dimension haben. Wir akzeptieren Einschränkungen, wenn sie dazu dienen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber wir akzeptieren Einschränkungen nicht, wenn sie wider besseres Wissen mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze begründet werden, in Wirklichkeit jedoch nur dazu dienen, das durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik verlorene Geld bei den Geschädigten wieder einzutreiben. Wenn Sie diesen letzten Vorwurf als ungerechtfertigt ansehen sollten, dann können Sie ihn sofort widerlegen. Sie wissen, dass uns im Osten durch die Absenkung der Arbeitslosenhilfe 1 Milliarde Euro pro Jahr an Kaufkraft verloren gehen wird. Wenn das Motiv der Arbeitsmarktreform nicht die Entlastung der Kassen des Bundes war, dann bitte ich Sie, der Region Ostdeutschland die eingesparten Mittel in Form von zusätzlichen investiven Mitteln wieder zuzuweisen, damit die öffentlichen Hände durch öffentliche Aufträge Arbeit generieren können und diese Mittel nicht etwa mit der Buschzulage für die Telekom-Beamten verrechnet werden. ({16}) Wenn Sie das nicht tun, dann ist der Vorwurf, Sie wollten in erster Linie abkassieren, leider berechtigt. Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Ich hätte dem Herrn Bundeskanzler gewünscht, dass ihm die Bruchlandung mit Hartz IV in Ostdeutschland erspart geblieben wäre; denn das wäre besser für die Menschen in Ostdeutschland gewesen. Aber das wäre nur möglich gewesen, wenn in seinem Kabinett jemand gesessen hätte, der andeutungsweise mit der Lage in Ostdeutschland vertraut gewesen wäre. Allmählich kann ich nur hoffen, dass der Herr Bundeskanzler weiß, was er getan hat, indem er mit Manfred Stolpe jemanden in die Verantwortung für Ostdeutschland geholt hat, der nicht nur zu jenen Politikern gehörte, die in der Zeit vor 1990 - ({17}) - Er hat expressis verbis auch die Verantwortung für Ostdeutschland, das werden Sie nicht bestreiten können. ({18}) - Nein, Herr Stolpe hat eine besondere Verantwortung für Ostdeutschland. Aber er ist ausgerechnet einer von den Politikern, die nach meiner Auffassung - und nach einer in Ostdeutschland verbreiteten Auffassung - sowohl vor wie auch nach 1990 den nachhaltigsten politischen Schaden angerichtet haben, ({19}) und er ist ganz offenbar unfähig, seine eigenen Fehlleistungen zu begreifen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege!

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich schließe gleich, Frau Präsidentin. - Wenn der Herr Bundeskanzler möchte, dass ihm ähnlich lächerliche und peinliche Situationen, wie sie ihm zuletzt in Serie in Ostdeutschland widerfahren sind, künftig erspart bleiben, dann kann ich ihm nur sagen: Tauschen Sie das funktionsuntüchtige Vorwarnsystem Manfred Stolpe aus!

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege!

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von alleine geht er nicht; dazu braucht man Charakter. Aber wenn Sie ihn austauschen, dann gelingt uns in Ostdeutschland vielleicht eine bessere Politik. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3660 und 15/3661 an den Haus- haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- standen? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun- gen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 15/3640 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine Wiederherstellung der Wettbewerbsordnung in Teilen der deutschen Volkswirtschaft - Drucksache 15/3118 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich grüße Sie ganz herzlich. Wir wollen über das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sprechen, das für die Wirtschaftsordnung in Deutschland von außerordentlicher Bedeutung ist. Sie haben bei diesem Thema Gelegenheit, sich ein wenig von den Ausführungen des Herrn Kollegen Vaatz zu erholen, ({0}) der in seiner Rede nur relativ wenige marktwirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Ich würde Herrn Vaatz ganz gerne nach Sachsen einladen, um ihm einmal Unternehmen zu zeigen, die nicht durch die Kommunen entstanden sind, sondern durch unternehmerisches Tun und Handeln. ({1}) Ich habe dort viele Unternehmen angetroffen, die außerordentlich erfolgreich arbeiten. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird auch als „Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft verstanden. Der Preis- und der Qualitätswettbewerb sind entscheidende Voraussetzungen für wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt und dienen dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei dem, was wir Ihnen vorlegen, geht es um eine Anpassung unseres Wettbewerbsrechts an das europäische Wettbewerbsrecht. Das ist sehr wichtig. Hier wird ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Zeit drängt, diesen Wechsel zu vollziehen. Deshalb soll diese Novelle möglichst zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. Dann ist unser Wettbewerbsrecht auch europatauglich. ({2}) Es gibt eine Reihe von gewichtigen Diskussionspunkten zum Wettbewerbsrecht generell. Beispielsweise stellt sich bei der Zusammenschlusskontrolle die Frage des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Freigabeentscheidungen entweder des Bundeskartellamtes oder des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit. Das sind die berühmten Ministerentscheidungen. Eine solche Ministerentscheidung hat gestern in Bezug auf eine Personalie eine Rolle gespielt. Das Thema ist befriedigend abgeschlossen worden. Wir wollen eine Reduktion des vorläufigen Rechtschutzes gegen solche Entscheidungen. Es soll künftig auf die Verletzung eigener Rechte ankommen. Wir wissen, dass der vorläufige Rechtschutz gelegentlich zur Blockade von wichtigen Investitionsentscheidungen genutzt wurde. Einen solchen Missbrauch wollen wir zukünftig verhindern. Deshalb wollen wir diese Regelung etwas verändern. Der Rechtschutz bleibt aber in der Hauptsache unberührt. Das ist eines der Diskussionsthemen neben anderen, sehr spezifischen Themen - wie beispielsweise dem berühmten Ross-und-Reiter-Thema -, die noch in den Fachdiskussionen erörtert werden müssen. Erlauben Sie mir, dass ich in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, besonders auf die Pressefusionskontrolle eingehe, die wir vorschlagen. Dabei geht es um Änderungen von pressespezifischen Regelungen. Unser Ziel ist es, die Regelungen, die 1976 in Deutschland für die Presse eingeführt worden sind, den Bedingungen des 21. Jahrhunderts, also einer veränderten Medienlandschaft und einem veränderten - wie es so schön heißt - Mediennutzungsverhalten, anzupassen. Es geht um die Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen zur Sicherung der Anbietervielfalt und zugleich der Meinungsvielfalt. Ich betone das, weil mir dieses Thema - offen gesagt - persönlich am Herzen liegt; ich komme bekanntlich aus diesem Bereich. Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle etwas mehr Herzblut einzubringen, als es üblicherweise der Fall ist. Außerdem ist dieses Thema für die Entwicklung unserer Demokratie von überragender Bedeutung. Es ist klar, dass es sich um sehr sensible Fragen handelt, die zu vielen Diskussionen führen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir die Grundlagen der Pressevielfalt und der Pressefreiheit sichern müssen, soweit es geht. Bei solch sensiblen Themen kommt es - auch das ist klar - auf möglichst breite Mehrheiten an, um die wir ringen sollten und um die ich mich bemühe. Es geht um alle Elemente unserer Vorschläge zum Pressekartellrecht. Wenn es bessere Vorschläge gibt, sind wir selbstverständlich offen dafür. Ich bin davon überzeugt, dass wir handeln müssen. Wenn wir auf diesem Feld untätig blieben, würden wir ein weiteres Aushöhlen und Austrocknen der Pressefreiheit in den Zeitungshäusern erleben. Dieser Prozess ist europaweit zu beobachten. Am krassesten findet er zurzeit vielleicht in Frankreich statt, wo die Printmedien zu einem ganz überwiegenden Teil inzwischen im Besitz von zwei ehemaligen großen Rüstungsunternehmen sind. Ich will auf eine Studie des Landtags NordrheinWestfalen hinweisen. Daran erkennt man langfristige Trends. Die Zahl der Zeitungstitel in Nordrhein-Westfalen ist von 1993 bis 2002 von 50 auf 44 und die Zahl der Hauptredaktionen von 22 auf 21 zurückgegangen. Die verkaufte Auflage ist von 4,33 Millionen auf 3,88 Millionen gesunken. Das sind die Trends, die ununterbrochen weitergehen. Dieser Konzentrationsprozess verläuft nicht mit rasendem Tempo. Er wird vielmehr von einer Aushöhlung der publizistischen Kraft in den Zeitungshäusern und in den Zeitungsredaktionen begleitet. Das kann jeder an dem vermehrten Einsatz der Meldungen der Nachrichtenredaktionen und dem Rückzug der eigenen publizistischen und redaktionellen Tätigkeiten ablesen. Einer solchen Verarmung der Zeitungslandschaft sollten wir entgegentreten, bevor es zu spät ist. Wenn es einmal zu spät ist, ist keine Korrektur mehr möglich. Das zeigen alle Erfahrungen. ({3}) Die Printmedien stehen zunehmend nicht mehr nur untereinander im Wettbewerb. Die härtesten Konkurrenten der Zeitungen sind vielmehr das Fernsehen, das Radio und das Internet. Das Nutzungsverhalten vor allen Dingen der jungen Generation verändert sich im Vergleich zu dem meiner bzw. der älteren Generation. Das gilt erst recht für den Werbemarkt und genauso für den Markt der Nachrichtenvermittlung. Es zeigt sich, dass die Tageszeitungen, insbesondere die Abonnementzeitungen, überall in Europa - nicht nur in Deutschland auf dem Rückzug sind. Es gibt dazu eine Studie der Europäischen Kommission. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaftskraft der Zeitungen in allen europäischen Mitgliedstaaten sowohl unter rückläufigen Auflagen als auch unter sinkenden Werbeeinnahmen leidet. Die Hauptursache dafür ist die zunehmende Bedeutung anderer Medien. Das sind langfristig wirkende Verschiebungen, die durch die konjunkturelle Lage noch verschärft werden. In Deutschland schrumpfen die Lesermärkte der Zeitungen seit langem. Die Tageszeitungen erreichen jetzt noch drei Viertel der Bevölkerung. Vor zehn Jahren waren es mehr als 80 Prozent. Insbesondere junge Leute - ich kann das ziemlich genau beurteilen, weil ich einige junge Leute begleite - haben eine Vorliebe für den Rundfunk und das Internet, wenn es um Informationen geht und zunehmend auch wenn es um Handel und Einkauf geht. Das wird sich im Laufe des Lebens - dies zeigen die Erfahrungen - nicht mehr wesentlich ändern. Somit trägt die demographische Entwicklung dazu bei, dass die Nachfrage nach Zeitungen weiter sinkt. Im Anzeigenbereich, im Bereich der Werbeerlöse, ist es noch krasser. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist der Anteil der Tageszeitungen am gesamten Werbeaufkommen in Deutschland von einem Drittel auf ein Viertel zurückgegangen. Dabei brauche ich nicht auf meine fußballerische Erfahrung hinzuweisen: Ein Viertel ist nicht mehr als ein Drittel; es ist vielmehr umgekehrt. ({4}) Die Zeitungen finanzieren sich derzeit nur noch zur Hälfte über Werbeeinnahmen. Das waren zu meiner Zeit im Zeitungsbereich traditionell noch zwei Drittel. Der BDZV, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, bestätigt dies: Auch in den ersten Quartalen des Jahres 2004 sind Auflagen- und Anzeigenerlöse rückläufig. Noch haben wir eine vielfältige Zeitungslandschaft: 349 Tageszeitungen, zehn überregionale und acht so genannte Straßenverkaufszeitungen, also die berühmten Boulevardzeitungen, von denen mir eine schon einmal viel Spaß gemacht hat. Diese Vielfalt müssen wir meines Erachtens schützen. Dabei darf die Politik keine interventionistischen Mittel anwenden. Der Einsatz des Kartellrechts ist aber aus unserer Überzeugung ein probates Mittel und der richtige Ansatz. Deshalb unser Vorschlag. Er enthält drei Elemente. Erstens sind sehr moderate Schwellenanhebungen vorgesehen, bevor vonseiten des Kartellrechts eingegriffen wird. Das ist mittelstandsfreundlich. Dies erlaubt es vor allen Dingen kleinen Verlegern, bei der Suche nach Nachfolgern den Marktwert ihrer Zeitungen zu realisieren. Der Schutz kleiner Verlage, der mit dieser Aufgreifschwelle verbunden ist, bleibt in der Substanz erhalten. Auch die kleinen Verleger stimmen diesem Vorschlag zu. Zweitens sollen Kooperationsmöglichkeiten erweitert werden. Das ist außerordentlich vernünftig. Das wird von den Ordnungspolitikern zwar immer wieder infrage gestellt. Aber die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten ist sicher sinnvoll, wenn es darum geht, die heutige Vielfalt an Zeitungen und Redaktionen zu erhalten. Ich will das aus Zeitgründen nicht im Einzelnen durchspielen; aber ich glaube, das liegt sehr nahe. Der dritte Punkt betrifft die so genannte Altverlegerregelung. Dagegen gibt es bekanntlich viele Einwände und Bedenken. Ich kann diese, ehrlich gesagt, nicht teilen. In meiner ziemlich bunten Vergangenheit war ich einige Jahre in einem Zeitungshaus beschäftigt und habe die Praxis erlebt. Das Modell der Vielfalt an Zeitungen, Zeitungstiteln und Zeitungsredaktionen in einem Verlagshaus ist inzwischen an vielen Standorten in Deutschland Praxis, zum Beispiel in Dortmund, Köln, Hannover, Stuttgart und, so glaube ich, auch in Frankfurt. Dies gesetzlich abzusichern ist natürlich überaus vernünftig; denn dies ist das Einzige, was heute fehlt. Die Zeitungshäuser haben dieses Modell bisher nur vertraglich abgesichert und teilweise - wie auch in meinem Fall damals - befristet geregelt. Unser Vorschlag ist, das auf Dauer abzusichern. Dies wird oder kann Vielfalt erhalten - letztlich hängt dies ja immer von den Entscheidungen der Beteiligten ab -, jedenfalls schafft dies dafür die Voraussetzungen. Lassen Sie mich noch einen Punkt darstellen, der in vielen Diskussionen in Ihren Reihen eine Rolle gespielt hat und den wir aufgenommen haben: den Schutz des Presse-Grosso als eine Voraussetzung, um die Vielfalt im Vertriebsbereich zu sichern. Die Unabhängigkeit im Vertriebsbereich soll gewahrt bleiben; dies ist erreicht worden. Wir haben auf Ihr Drängen hin die Zeitungsverlage und Grossisten aufgefordert, sich zusammenzutun und Sicherheit durch eine freiwillige Vereinbarung zu schaffen. Oh Wunder, es ist gelungen! Sie haben sich zusammengetan und eine Vereinbarung getroffen, die das Presse-Grosso-System erhält. Dies ist nach unser aller Verständnis, wie ich denke, das Beste; wenn so etwas freiwillig geschieht, braucht man dafür kein Gesetz. ({5}) Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung; erlauben Sie mir noch wenige Sätze. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen abschließend ans Herz legen, dass wir angesichts dieses überaus wichtigen Themas die Diskussion, die meines Erachtens noch nicht ausreichend vertieft ist, fortsetzen. Wir dürfen nicht in eine Situation geraten, wie wir sie etwa von der französischen Zeitungslandschaft kennen. Wir haben bei uns noch Vielfalt. Es geht jetzt nicht nur um den konkreten Vorschlag hinsichtlich der Altverleger. Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir haben unseren Vorschlag vorgelegt. Meine Bitte ist, dass wir die Entwicklung im Printbereich nicht so laufen lassen. Wir haben eine Gestaltungsmöglichkeit. Es gibt aus meiner Sicht keine Alternative dazu; denn alle anderen Möglichkeiten hätten interventionistischen Charakter und gingen an den Nerv der Pressefreiheit. Daher sollten wir die Chance des Kartellrechtes hier nutzen. Dazu ist von unserer Seite und von mir persönlich jedes Gespräch erwünscht. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Clement, Sie haben Recht, es ist bedauerlich, dass ein so zentrales Thema wie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen an einem Freitag als letzter Punkt, der mit wenig Redezeit ausgestattet ist, quasi im Schweinsgalopp behandelt wird. Hier geht es schließlich um die Magna Charta der Wettbewerbspolitik. ({0}) Leider gibt es eine Fülle von Schieflagen. In unserem Antrag haben wir aufgezeigt, dass es nahezu einen Verfall des ordnungspolitischen Denkens und eine Fehlsteuerung in vielen Bereichen gibt, die tiefe Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum haben, weil sie die Dynamik bremsen. Der Grund liegt darin, dass man die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht beachtet. Es waren zwei Kernpunkte, die Eucken und andere Väter und Vordenker der sozialen Marktwirtschaft bei ihrer Konzeptionierung als Reflex auf die Nazizeit in den Vordergrund gestellt haben: die Warnung vor der Kartellierung und die Warnung vor dem Punktualismus. Gegen beides verstößt die Regierung in einer riesigen Zahl von Fällen. Aber die Zeit erlaubt es leider nicht, breit darauf einzugehen. Ich mache einige Bemerkungen zu der von Ihnen vorgelegten Novelle. Es handelt sich in der Tat um eine Anpassung an europäisches Wettbewerbsrecht. Letztlich bedeutet dies leider eine Aushöhlung des Kartellverbots, wie es für das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen prägend war. Ihr Vorgänger, Herr Müller, der Wettbewerbsfragen relativ lustlos behandelte, hatte in Brüssel nicht insistiert und nicht für das deutsche Gesetz gekämpft. Er kam eben aus Monopolstrukturen und ist wieder in Monopolstrukturen zurückgegangen; ihm war das Denken in Wettbewerbsstrukturen fremd. ({1}) Wir werden bei dieser siebten GWB-Novelle konstruktiv mitarbeiten. Wir müssen über eine Reihe von Fragen - Einbindung von Verbänden, Ausgestaltung der Vorteilsabschöpfung, Bußgelder, Einschränkung von Klagerechten - noch intensiv miteinander reden. Aber ich sehe gute Chancen, dass wir uns, der Tradition folgend, gemeinsame Lösungen erschließen können. ({2}) Nicht mitmachen werden wir - das sage ich gleich, Herr Clement - bei einem Sonderrecht für die Zeitungsbranche. Wir können nicht für eine Branche das allgemeine Wettbewerbsrecht aufheben und ein Sonderrecht schaffen. Hier geht es auch bei uns und nicht nur bei Ihnen als früherem Journalisten um Herzblut. Wir als aktive Freiheitskämpfer, als Liberale, gehen diesen Weg einfach nicht mit. ({3}) Im Klartext gesprochen: Mit den vorgeschlagenen Regelungen zum Pressefusionsrecht soll die Fusionskontrolle ausgehebelt, das Kriterium der Marktbeherrschung über Bord geworfen und letztlich das Wettbewerbsprinzip für den Zeitungsmarkt ausgeschaltet werden. Für Ihr Vorgehen gibt es im Übrigen weder eine konjunkturnoch eine strukturpolitische Begründung. Es darf eine solche Begründung auch nicht geben. Was sagen Sie denn der Bauindustrie oder der Werftindustrie, wenn sie aufgrund ihrer strukturellen Probleme ebenfalls ein Sonderrecht in Sachen Wettbewerb fordern? Das kann nicht der richtige Weg sein. Eines ist klar, Herr Clement: Sie sichern durch die Fusion keine Meinungsvielfalt. Meinungsvielfalt sichern Sie nur über einen funktionierenden Wettbewerb, über Wettbewerbsmärkte. Auch Ihre Behauptung, man könne zwischen wirtschaftlichen und publizistischen Interessen von Zeitungen trennen, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Wir alle wissen: Publizistische Selbstständigkeit kann kaum gewahrt werden, wenn sie nicht mit wirtschaftlichen Zielvorstellungen des Unternehmens gepaart ist und diesen entspricht. Treffende Beispiele sind die Zeitungsrubriken Technik, Motor, Reise, Touristik und Immobilien. Keiner kann hier abstreiten, dass die Attraktivität von Inhalten für Leser die Attraktivität für Werbekunden bedingt. Hier besteht ein innerer Zusammenhang. Ich möchte Sie herzlich bitten, Herr Clement: Hören Sie auf Ihren eigenen wissenschaftlichen Beirat! Hören Sie auf die Monopolkommission und hören Sie auf das Bundeskartellamt! Dort arbeiten Leute, die etwas von Wettbewerbspolitik verstehen. Ignorieren Sie nicht einfach den Fachverstand der drei Institutionen! Ihr Beirat, die Monopolkommission - sie wurde von der Regierung berufen - und das Bundeskartellamt warnen eindrücklich vor genau dem Ansatz, den Sie wählen. Er scheint der leichtere Weg zu sein; aber er ist der falsche. ({4}) Wir müssen zu Wettbewerbsvorstellungen zurück. Nehmen Sie Abschied von Ihren wettbewerbsfeindlichen Pressefusionsplänen. Sie sind auf dem falschen Dampfer! Lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen - mehr erlaubt meine Redezeit nicht - zu unserem Antrag machen. Wir haben eine Fülle von Beispielen aufgeführt, weshalb die soziale Marktwirtschaft nicht das leisten kann, was sie leisten sollte. Sie kann die Arbeitsmarktprobleme nicht lösen und Wachstum und technischen Fortschritt über Wettbewerb nicht durchsetzen, weil die Mechanismen wegen des Staatsanteils von fast 50 Prozent, genau 48,5 Prozent, und wegen der starren Regelungen am Arbeitsmarkt - das ist in weiten Teilen kein Markt - nicht wirken können und es in Teilen des Energiemarktes zu Monopolbildungen kommt. Das ist ein Sündenfall; Eon Ruhrgas hat einen Marktanteil von 85 Prozent. Das schlägt der sozialen Marktwirtschaft ins Gesicht. ({5}) Sie haben das kurz vor der Bundestagswahl mit einer hingemuschelten Ministererlaubnis möglich gemacht. Sie bringen das an sich interessante und richtige Instrument der Ministererlaubnis durch dieses Vorgehen in Misskredit, sodass man heute wirklich offen darüber nachdenken muss, ob man dieses Instrument nicht abschaffen muss. Wenn es missbräuchlich eingesetzt wird, ({6}) hat es keine innere Begründung mehr. Es ist eine schiefe Ebene. Sie haben das beim Telekommunikationsgesetz fortgesetzt, dort gibt es das Einzelweisungsrecht des Ministers. Einen solchen Eingriff in das Wettbewerbsrecht hat noch keine Regierung, egal welcher Couleur, auch keine sozialdemokratisch geführte Regierung, gewagt. Dass Sie in die Wettbewerbsmärkte hinein Anweisungen geben wollen, zeigt, dass Ihr Denken falsch ist. Das ist wieder Punktualismus; ihn gab es nicht nur bei Holzmann. Damit hat sich der Kanzler vor dem SPDParteitag profiliert und anschließend hat er die Arbeiter verraten, weil keine Arbeitsplätze erhalten wurden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Brüderle, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Einzelweisungsrecht ist ein fundamentales Abweichen von den Wettbewerbsprinzipien. ({0}) Diese schiefe Ebene werden Sie nicht mehr korrigieren können. Sie haben das auch in anderen Bereichen - ich habe die Energiemärkte angesprochen - getan.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Brüderle, Sie haben keine Zeit mehr, das noch auszuführen.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Einen letzten Satz noch, Frau Präsidentin. Auch der Minister hat seinen letzten Satz zu Ende sprechen dürfen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überzogen.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich schließe. - Die Abkehr von Marktprinzipien, die Sie in vielen Bereichen vorgenommen haben, verhindert, dass das, was Marktwirtschaft leisten könnte, von der Marktwirtschaft geleistet wird. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die siebte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bringt etliche Verbesserungen. Insbesondere begrüßen wir die Stärkung der Verbraucherinteressen, beispielsweise die Verbesserung der Anhörungsrechte von Verbraucherverbänden und ihre Möglichkeiten, gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen vorzugehen. Für uns gehören fairer Wettbewerb, große Wettbewerbsintensität und ein hoher Verbraucherschutz einfach zusammen. Neben den vielen sinnvollen Regelungen dieser Novelle gibt es jedoch einige Aspekte, bei denen wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch erheblichen Diskussions- und Verbesserungsbedarf sehen. Das betrifft die vorgesehene Einschränkung von Klagemöglichkeiten gegen Fusionsgenehmigungen sowie die Regelungen für Zusammenschlüsse im Pressebereich. Die Einschränkungen beim vorläufigen Rechtsschutz bei Fusionsgenehmigungen durch Kartellbehörden bzw. bei der Ministererlaubnis sind aus unserer Sicht so nicht akzeptabel. Bisher entscheiden die Kartellgerichte, ob die Klage gegen eine Fusionsgenehmigung aufschiebende Wirkung hat. Die Einschränkung dieser Möglichkeit würde Fakten schaffen, die dann trotz berechtigter Klagen kaum noch revidierbar sein könnten. Das Argument, durch die ständige Praxis der Kartellgerichte, Fusionen auszusetzen, käme es zu Nachteilen im internationalen Wettbewerb für den Standort Deutschland, überzeugt nicht. Bisher gab es drei Fälle mit aufschiebender Wirkung. Jeder Fall war hoch umstritten. Einer davon war die Fusion von Eon und Ruhrgas. Bei aller persönlicher Wertschätzung für Ex-Minister Müller und Staatssekretär Alfred Tacke: Deren Wechsel in diesen Konzern haben wahrlich nicht dazu Werner Schulz ({0}) beigetragen, den Argwohn gegen eine höchst umstrittene Entscheidung abzubauen. ({1}) Wenn die Administration die Möglichkeit hat, unter bestimmten Bedingungen Gesetze zu umgehen, sollte es dem Gesetzgeber vorbehalten sein, den Ausnahmefall zu bestätigen. Das heißt, die Kombination aus Ministererlaubnis und Parlamentsvorbehalt verschafft die nötige Legitimation und sorgt für den Ausschluss von Zweifeln. Auch die vorgeschlagenen Erleichterungen von Fusionen im Pressebereich können nach unserer Auffassung so nicht Gesetz werden. Der Pressebereich in Deutschland ist sehr vielfältig. Im Kern hat sich das 1976 aus guten Gründen geschaffene Pressefusionsrecht bewährt. ({2}) Natürlich erleben wir im Moment einen Strukturwandel bei den Zeitungen, ausgelöst durch veränderte Lesegewohnheiten. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum auf die konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen einer Branche mit einer so umfassenden Gesetzesänderung reagiert werden sollte. ({3}) Es gibt Verlage, die durch innovative Strategien und das Anbieten hochwertiger Produkte am Markt bestehen. Es gibt Verlage, denen es wirtschaftlich schlecht geht, und es gibt Verlage, die gutes Geld verdienen und Anlagemöglichkeiten dafür suchen. Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von Kooperationen genehmigt, wodurch die Verlage ihre Kosten verringern und ihre Marktaufstellung verbessern konnten. Allerdings gehen die Vorschläge zur Anzeigenkooperation zu weit. Sie sind nur in bestimmten Grenzen vorstellbar und sinnvoll. Wenig halten wir von dem so genannten Redaktionsoder Altverlegermodell. Es ist nicht realistisch, zu glauben, die Unabhängigkeit der Redaktion der übernommenen Zeitung könnte dadurch erhalten werden, dass der Altverleger mindestens 25 Prozent der Zeitung und die Titelrechte behält. Über kurz oder lang wird sich die ökonomische Macht des Mehrheitsgesellschafters auch auf die Redaktion erstrecken, spätestens dann, wenn die Zeitung in eine Krise kommt. ({4}) Auf unsere Ablehnung stößt auch die Einführung einer Bagatellklausel, nach der Verlage mit Umsatzerlösen von bis zu 2 Millionen Euro ohne jede Fusionskontrolle mit anderen Verlagen fusionieren dürfen. Das wären möglicherweise Schnäppchen für die Großen. Problematisch und skeptisch sehen wir die Verdoppelung des gemeinsamen Umsatzes zweier Betriebe, die Erhöhung der so genannten Aufgreifschwelle, von 25 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro. ({5}) Nach Berechnungen der Monopolkommission würden dadurch künftig allein in Westdeutschland zusätzlich 39 von 245 erscheinenden Zeitungstiteln von jeder Fusionskontrolle freigestellt. Derzeit fallen bereits 140 Titel oder 11 Prozent der Auflage nicht unter die Fusionskontrolle. ({6}) Wir sind der Auffassung, all diese Regelungen würden zu weniger und nicht zu mehr Vielfalt auf dem Pressemarkt führen. Zugleich sind wir allerdings zuversichtlich, dass wir bei den weiteren Beratungen in den Ausschüssen zu einer einvernehmlichen und letztlich praktikablen Lösung kommen werden. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Hinsken. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist fast unvorstellbar - da werden Sie mir sicherlich zustimmen -, dass ich das, was soeben mein Vorredner, also Sie, Herr Abgeordneter Schulz von den Grünen, hierzu gesagt hat, voll und ganz teile. Ich habe die Hoffnung und den Wunsch, dass Sie von Ihrer Meinung nicht abkehren und das zunichte machen, was Herr Clement zu tun beabsichtigt. ({0}) Dies wäre nämlich der Vielfalt der Presselandschaft, mit der wir in der Bundesrepublik Deutschland bisher gut gefahren sind, nicht dienlich. ({1}) Herr Minister Clement, Sie haben vorhin gesagt: Wenn es bessere Vorschläge gibt, seien Sie gerne bereit, auf sie einzugehen. ({2}) Wir haben in diesem Zusammenhang jede Menge gute Vorschläge. ({3}) Ich hoffe, dass Sie bereit sind, auf sie einzugehen. Durch diesen Gesetzentwurf soll unser nationales Wettbewerbsrecht an das neue europäische Kartellverfahrensrecht angepasst werden, das seit dem 1. Mai 2004 in Kraft ist. Das GWB gilt zu Recht als das Grundgesetz der Wirtschaft. Durch dieses Gesetz soll sichergestellt werden, dass der Wettbewerb nicht behindert wird. Nur so herrscht Marktwirtschaft und nicht Machtwirtschaft. Wettbewerb muss reguliert werden, da große Unternehmen ihre Macht am Markt sonst schrankenlos gegenüber kleineren Mitbewerbern ausspielen könnten. Wegen dieser grundlegenden Bedeutung des GWB darf bei seiner jetzt anstehenden siebten Novellierung nicht leichtfertig mit diesem Gesetz umgegangen werden. ({4}) In der Vergangenheit hat es sich bewährt. Weltweit versucht man, unser GWB nachzumachen. Das gilt umso mehr, als auch hier weit reichende Veränderungen im demokratisch wichtigen Bereich der Presse geplant sind. Deshalb legen wir, die Unionsparteien, besonderen Wert auf eine ausführliche Sachverständigenanhörung und ein geordnetes Verfahren ohne Zeitdruck. Das sollte über alle Fraktionen hinweg Konsens sein. Denn die Neuregelung auf EU-Ebene hat erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Wettbewerbsrecht. Zahlreiche deutsche Unternehmensabsprachen haben Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel und besitzen Relevanz für den EU-Binnenmarkt. Eine eigenständige Bedeutung wird dem deutschen Wettbewerbsrecht künftig nur noch in solchen Fällen zukommen, die rein lokale oder regionale Auswirkungen haben und keine zwischenstaatliche Relevanz aufweisen. In diese Neuregelungen werden auch horizontale und vertikale Vereinbarungen einbezogen, die keine zwischenstaatlichen Auswirkungen haben und deshalb allein dem deutschen Recht unterliegen. Die Vorschriften über das Verbot missbräuchlichen Verhaltens gegenüber wirtschaftlich abhängigen kleinen und mittleren Unternehmen - § 20 des GWB - erfüllen eine wichtige wettbewerbs- und mittelstandspolitische Funktion. Das gilt insbesondere für das Verbot des Angebots unter Einstandspreis. Diese Regelungen werden daher aufrechterhalten; das finde ich auch gut. Die durch die Änderungen des europäischen Kartellrechts mit dem Wechsel vom Anmeldesystem zur Legalausnahme notwendig gewordenen Änderungen im deutschen Kartellrecht sind erforderlich und sinnvoll. Herr Minister, darauf haben Sie bereits hingewiesen. Sie erleichtern vor allem größeren und grenzüberschreitend tätigen Unternehmen das Leben. Zudem sind die Unternehmen der schwierigen Prüfung enthoben, ihre innerstaatlichen Vereinbarungen von solchen mit zwischenstaatlichen Auswirkungen abzugrenzen. Deswegen muss ich sagen, Herr Bundesminister Clement: Die Bundesregierung wäre gut beraten, darüber nachzudenken, wie es ermöglicht werden kann, dass der Mittelstand in klar definierten Ausnahmefällen einen Anspruch auf förmliche Entscheidung durch das Kartellamt erhält. Denn mehr Freiheit heißt auch mehr Verantwortung. Bessere Sanktionsmöglichkeiten sind in einem System der Legalausnahme durchaus sinnvoll, damit es zu einer wirkungsvollen Abschreckung bei wettbewerbswidrigem Verhalten kommt. Im Einzelfall müssten die vorgesehenen Verschärfungen des Sanktionskatalogs aber kritisch überprüft werden. Dies gilt insbesondere für die Vorteilsabschöpfung durch Verbände. Kritisch sehen wir vor allem die Beschränkung der Rechte möglicherweise betroffener Dritter bei einem Ministererlaubnisverfahren. Die Ministererlaubnis muss der absolute Ausnahmefall bleiben. Schon allein deshalb sollten die Rechte betroffener Dritter nicht leichtfertig beschränkt werden. Herr Brüderle, ich bedanke mich dafür, dass Sie in die gleiche Kerbe geschlagen haben. In diesem Punkt trennt uns nichts; wir wollen so vorgehen, wie ich soeben ausgeführt habe. Ob das neue Enquete-Recht der Kartellbehörden eine Lösung des bekannten Ross-und-Reiter-Problems darstellt, ist meines Erachtens fraglich. Hier ist nach weiter gehenden oder alternativen Lösungen zu suchen, weil die Problematik als solche nicht entschärft wird, Herr Heil. ({5}) Ursprünglich sollte die siebente GWB-Novelle zeitgleich mit dem neuen europäischen Recht in Kraft treten. Das wäre auch ohne weiteres möglich gewesen. Jetzt gelten zwei unvereinbare Rechtssysteme nebeneinander, und das bereits seit 1. Mai dieses Jahres. Das führt bei vielen Unternehmen und Kartellbehörden zu Schwierigkeiten, die zu vermeiden möglich gewesen wäre. ({6}) Herr Minister Clement, dafür zeichnen Sie verantwortlich. Sie haben das Thema Pressefusion ohne Not mit der siebenten GWB-Novelle verknüpft. Es ist doch ein Widerspruch, wenn Sie sich auf der einen Seite hierher stellen und ausführen, dass die Vielzahl der einzelnen Blätter gut ist, und auf der anderen Seite die Voraussetzung dafür schaffen wollen, dass das künftig nicht mehr so ist. Das ist nicht nachvollziehbar, das ist ein Widerspruch in sich! ({7}) Alle Bitten, vor Vorschlägen zur Pressefusionskontrolle erst deren Auswirkungen wissenschaftlich zu untersuchen und das Thema bis zu der sich bereits abzeichnenden nächsten GWB-Novelle zurückzustellen, haben Sie, Herr Clement, in den Wind geschlagen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Neumann. Wir waren oftmals zusammen, wir haben intensiv beraten, was wir wollen. Deshalb haben wir auch klare Vorstellungen, Wünsche und Forderungen nach Weichenstellungen, die dazu dienen, dass Ihr Gesetzentwurf so, wie er eingebracht worden ist, eben nicht Gesetzeskraft erlangt. Nach dem Europarecht ist keine Änderung des Pressekartellrechts erforderlich; dies muss hier festgestellt werden. Herr Clement, Sie weichen sogar von den europäischen Vorgaben ab. Denn das europäische Wettbewerbsrecht kennt keine materiellen Ausnahmeregelungen für einzelne Wirtschaftsbereiche. Deshalb ist nachdrücklich zu fragen, ob eine nationale Regelung hier überhaupt wirkungsvoll ist. ({8}) Denn wir haben zwar nationale Lesermärkte, aber die Anzeigenmärkte sind häufig international organisiert. ({9}) Deshalb ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene Änderung des Pressekartellrechts erstens ordnungspolitisch falsch, zweitens untergräbt sie die Presse- und Meinungsvielfalt in Deutschland, drittens löst sie die strukturellen und konjunkturellen Probleme der Presse nicht und viertens fördert sie die Konzentration und gefährdet die Eigenständigkeit der mittelständischen Verlage. Ihnen, Herr Bundesminister Clement, weht doch selbst aus den Beratergremien Ihres Ministeriums eisiger Wind ins Gesicht. Eine Auflistung der Institutionen, die kritische Stellungnahmen abgegeben haben, liest sich wie das „Who is who?“ der deutschen Wirtschaftspolitik - passen Sie auf, wer sich alles dagegen geäußert hat, ({10}) weil man erkannt hat, dass Sie, Herr Clement, hier eine falsche Richtung einschlagen wollen -: die Monopolkommission, der Wissenschaftliche Beirat, die Kartellrechtsprofessoren, das Bundeskartellamt, die Landeskartellämter sowie zahlreiche Verbände. Sie alle sind dagegen, ({11}) doch Sie nehmen das gar nicht richtig zur Kenntnis. Sie tun es ab. Ich fordere Sie auf, Herr Minister Clement: Lassen Sie die Hände vom Pressekartellrecht! Ändern Sie es, wenn überhaupt, nur marginal! Das kartellrechtliche Schutzniveau darf nicht immer weiter abgeschwächt werden. Eine Lockerung der Pressefusionkontrolle, wie Sie, Herr Minister, diese beabsichtigen, dürfte zu mehr Konzentration im Zeitungsverlagswesen führen. Das wollen wir einfach nicht. ({12}) Wie Recht hat doch die Monopolkommission, die darauf hingewiesen hat, dass nur die wirtschaftliche Selbstständigkeit der im Wettbewerb miteinander stehenden unabhängigen Zeitungen für die ungewöhnlich große Titelvielfalt in Deutschland sorgt. ({13}) - Passen Sie auf, Herr Heil! Sie kommen ja nach mir noch dran und können darauf gerne antworten, dann brauchen Sie hier nicht immer Zwischenrufe tätigen. Die Monopolkommission sagt weiter: Dies ist auch eine wirkungsvolle Vorkehrung gegen die Konzentration von Meinungsmacht. Im Bereich des pressespezifischen Kartellrechts können wir von der CDU/CSU es nicht akzeptieren, dass das GWB durch die Altverlegerklausel, die hier mehrfach angesprochen wurde, und die Regelung zur Anzeigenkooperation völlig auf den Kopf gestellt wird. ({14}) Auch so genannten Pressehilfsunternehmen stehe ich persönlich kritisch gegenüber. Für andere Kollegen, wie dem Kollegen Neumann, gilt das auch. ({15}) Die Altverlegerklausel ist am stärksten zu kritisieren. Hier geht es um ein Herzstück unserer Pressefreiheit, nämlich um die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitungen. ({16}) Es ist doch einfach nicht nachvollziehbar, dass die Marktbeherrschung kein Untersagungskriterium bei der Fusionskontrolle mehr sein soll, was bedeuten würde, dass im Extremfall ein einziger Verlag alle Zeitungen in Deutschland aufkaufen könnte oder dass es nur noch einige wenige große Zeitungen gibt. ({17}) Nur die Redaktionen müssten dann noch unabhängig sein. Das ist nicht unser Bild der künftigen Zeitungslandschaft in Deutschland. Deshalb wehren wir uns dagegen, dass hier so vorgegangen wird, wie Herr Clement das beabsichtigt. Herr Minister Clement, Sie haben hier eine ausgesprochen mittelstandsfeindliche Lösung vorgeschlagen. Bei Fusionen im großen Stil werden viele kleine und mittlere Verlage auf der Strecke bleiben. Das kann es doch nicht sein. Ludwig Erhard würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wie hier mit seinem Grundgesetz der Wirtschaft umgegangen wird. ({18}) Wir von der CDU/CSU sind offen, über eine vernünftige und verhältnismäßige Anhebung der Schwellenwerte bei der Fusionskontrolle zu diskutieren. Hier gibt es einen Konsens. Der Einführung einer echten DeMinimis-Regelung stehen wir allerdings kritisch gegenüber. Die Ermöglichung von Kooperationen und Fusionen ohne jede Kontrolle und unabhängig von jeder Unternehmensgröße ist für uns nicht akzeptabel. Die Unionsparteien sind bereit, über sinnvolle Konkretisierungen und Verbesserungen bei allgemeinen und schon jetzt möglichen Gesamtkooperationen sowie bei speziellen Kooperationen im Anzeigenbereich zu reden, allerdings nur dann, wenn sie sinnvoll begrenzt oder als Mittelstandskooperationen formuliert werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das, was ich vorhin eingefordert habe, sage ich nochmals: Wir, die Union, wollen einen bunten, vielfältigen Blätterwald, in dem große und mittelständische Verlage mit ihren Zeitungen fair um die Aufmerksamkeit der Leser miteinander konkurrieren können. ({19}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen: Wenn wir schon beim Thema einer unabhängigen, vielfältigen Presselandschaft sind, dann dürfen wir auch die Frage nicht ausblenden, ob es demokratisch sinnvoll ist, dass sich eine große Volkspartei wie die SPD klammheimlich ein eigenes Medienimperium aufbaut. ({20}) Auch diese Frage gehört in diesem Zusammenhang auf den Tisch. ({21}) Herr Clement, Sie als ehemaliger Journalist sollten eigentlich wissen, ({22}) wie wichtig die Unabhängigkeit von Verlagen und Redaktionen ist. ({23}) Seien Sie bitte bereit, all das zu berücksichtigen, was ich jetzt versucht habe, Ihnen zu verdeutlichen. ({24}) Seien Sie bereit, auf einige Vorschläge, die wir gemacht haben, einzugehen, ({25}) damit etwas Vernünftiges dabei herauskommt, und berücksichtigen Sie eines, Herr Minister Clement: Das ist nicht die Meinung eines einzelnen CDU/CSU-Abgeordneten, sondern ich habe vorhin aufgelistet, wer sich alles dagegen ausgesprochen hat. Das sind wahrlich ernst zu nehmende Institutionen und Organisationen. Auf deren Worte sollte man hören; man darf sie nicht einfach in den Wind schlagen. In diesem Sinne hoffe ich auf die Einsicht, die Sie uns eingangs Ihrer Rede angekündigt haben, als Sie gesagt haben, Sie würden auf gute Vorschläge warten und Sie seien gerne bereit, diese zu berücksichtigen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({26})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In den mir zur Verfügung stehenden sechs Minuten Redezeit wird mir das leider nicht gelingen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich glaube, Gustav Stresemann hat einmal gesagt, liberal zu sein heiße auf der Höhe der Zeit zu sein und danach zu handeln. Nach Ihrer Rede muss man sich ernsthaft fragen, ob Sie wirklich noch eine liberale Partei vertreten. ({0}) Tatsache ist, dass wir die Aufgabe der Wettbewerbspolitik darin sehen, im Interesse der Verbraucher sowie aller Unternehmen, unabhängig von Größe und Rechtsform, Märkte offen zu halten bzw. zu öffnen, wo dies erforderlich ist. Funktionierender Wettbewerb ist eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung unserer Volkswirtschaft. Der Schutz des Wettbewerbs ist eine zentrale ordnungspolitische Aufgabe unserer Marktwirtschaft. Das 1958 in Kraft getretene Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen weist diese Aufgabe dem Bundeskartellamt und den Landeskartellbehörden zu. Sie haben in der Debatte ein bisschen unterschlagen, dass wir heute trotz mancher Defizite alle miteinander feststellen können: Deutschland hat eine funktionierende Wettbewerbsordnung und eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht. Das Bundeskartellamt in Deutschland leistet gute Arbeit. Ich nutze diese Gelegenheit, um an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeskartellamts dafür Danke zu sagen. ({1}) Aufgrund meiner beschränkten Redezeit will ich mich kurz auf den Bereich konzentrieren, der nicht mit Pressefusion zu tun hat, um danach die Zeit dafür zu nutzen, einiges von dem, was hier angesprochen wurde, aufzugreifen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir mit der siebten GWB-Novelle unser deutsches Wettbewerbsrecht an das europäische Recht anpassen. Es geht beispielsweise darum, dass wir zukünftig Unternehmen durch weniger Bürokratie entlasten, aber auch deren Eigenverantwortung stärken. In Zukunft müssen Unternehmen grundsätzlich selbst einschätzen, ob ihr Verhalten am Markt rechtskonform ist. Auf der anderen Seite werden die Ermittlungs- und Sanktionsmöglichkeiten der Kartellbehörde gestärkt. Auch die Rechtsschutzmöglichkeiten Privater, also der Verbraucher, werden verbessert. Deshalb sieht der Entwurf eine stärkere Rolle der Verbraucherverbände vor. Dazu gehört auch, dass wir zukünftig „Kartellrenditen“ zugunsten des Bundeshaushaltes abschöpfen können. Dies gibt es beim UWG und ist mittlerweile auch im Telekommunikationsgesetz verankert. Dies wollen wir, wie gesagt, auch ins Kartellrecht aufnehmen. Auf den einstweiligen Rechtsschutz - das hat der Minister bereits erläutert - werden wir in den Beratungen im Ausschuss und auch in der Anhörung eingehen. Ich will dazu nur so viel sagen: In der Hauptsache sind keine Rechte beschnitten. Diejenigen, die in ihren Rechten betroffen sind, haben weiterhin die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Aber wir wollen nicht, dass Unbeteiligte in diesem Bereich versuchen, sich ihr Klagerecht abkaufen zu lassen. Das ist in der Vergangenheit gang und gäbe gewesen, wenn Sie sich an die Entscheidung von vor zwei Jahren erinnern. Jetzt zum Thema Pressefusionskontrolle. Wir wissen, dass dieser Bereich hochgradig sensibel ist. Keiner hier im Haus sollte dem anderen absprechen, dass es uns um ein gemeinsames Ziel geht, nämlich um Vielfalt bei der Presse. Herr Hinsken, auch Ihr Verweis auf die Pressebeteiligung der SPD ist nicht sachgerecht. ({2}) Immerhin haben wir uns diese Beteiligung in der Geschichte unserer Partei, die auch die Geschichte der Arbeiterbewegung ist, ehrlich erworben. Nazis und Kommunisten haben uns enteignet. Dies wurde zu Recht rückgängig gemacht. Im Gegensatz zu dem, was Sie immer behaupten, nehmen wir keinen redaktionellen Einfluss auf die Presseorgane. ({3}) - Dafür gibt es zig Beispiele. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ gehört über den Madsack-Verlag teilweise der DDVG. Ich lese diese Zeitung jeden Tag, weil es meine Heimatzeitung ist. Sie können davon ausgehen, dass man sie weder als links noch als sozialdemokratisch bezeichnen kann. Das ärgert mich zwar hin und wieder, aber das ist vernünftig. Wir nehmen keinen inhaltlichen Einfluss. Sie sollten aufhören, das zu behaupten, sonst reden wir über Ihre schwarzen Koffer. Das ist nämlich Ihre Art der Parteienfinanzierung. ({4}) - Wenn Sie mit solchen Geschützen aufwarten, müssen Sie damit rechnen, dass entsprechend zurückgeschossen wird. Jetzt zur Sache. Ich will klar sagen: Wir sollten uns nicht gegenseitig absprechen, dass es uns allen um Pressevielfalt geht. Aber, Herr Hinsken, Herr Brüderle, es ist nicht so, dass die Pressefusionskontrolle nicht im Gesetz stehen würde, das heißt, dass es für diesen Bereich keine speziellen Regelungen im GWB gäbe. Diese gibt es seit 1976; davor gab es sie nicht. Herr Brüderle, Sie haben verlangt, dass diese Branche wie jede andere behandelt werden müsse. ({5}) Es gibt aus gutem Grund Spezialregelungen. Wir bekennen uns weiterhin zur Pressefusionskontrolle. Aber wir müssen fragen, ob sich seit 1976 am Pressemarkt nicht strukturell etwas geändert hat. Das veränderte Leserverhalten ist angesprochen worden. Die Tatsache, dass wir bei den Anzeigenmärkten eine härtere Konkurrenz gegenüber den elektronischen Medien haben, ist beschrieben worden. Die Stellenmärkte, die Rubriken der KfzAnzeigen oder auch der Immobilienanzeigen sind zum großen Teil in das Internet abgewandert. Das liegt auch daran, dass es dort Funktionen gibt, die man in der Zeitung nicht nutzen kann. Das führt dazu, dass Verlagshäuser und Zeitungen in Deutschland zunehmend unter Druck geraten. Darauf ist zu reagieren. Wenn man nicht will, dass immer mehr in Redaktionen gespart wird, wie das heute der Fall ist, dass Redakteure entlassen werden und nur noch Halbtagskräfte oder Leute mit geringfügiger Beschäftigung eingestellt werden, dann muss man darüber reden, was man tun kann. ({6}) - Nein, darum geht es doch gar nicht. Versuchen Sie doch nicht, mir das weiszumachen! Hören Sie einfach zu! Ich habe Ihnen auch zuhören müssen. Es ist so in diesem Parlament, dass man das manchmal muss. Herr Hinsken, ich will Ihnen das erklären. Es geht uns um Folgendes: ({7}) Nach Ihrem Modell bestünde Wettbewerb in Deutschland darin, die Anzahl der Titel zu erhalten, aber in Kauf zu nehmen, dass im schlimmsten Falle jede dieser Redaktionen nur noch drei bis fünf Mitarbeiter hat, ({8}) die nichts anderes tun, als Agenturmeldungen zusammenzuschnipseln. Dann steht in allen Zeitungen dasselbe. Diese Art von „Meinungsvielfalt“ bzw. Plattheit wollen wir nicht. ({9}) Wir wollen wirkliche Freiheit. Das heißt, etwas für die redaktionelle Stärke der Zeitungen in Deutschland zu tun. ({10}) Ich biete Ihnen an, über die Instrumente, die dort im Einzelnen vorgeschlagen worden sind, zu diskutieren. Ich sage Ihnen aber auch: Wer glaubt, das Pressefusionsrecht so lassen zu können und damit Vielfalt zu erhalten, wird das Gegenteil erreichen. Sie werden erleben, dass das Zeitungssterben in Deutschland wieder losgeht. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen redaktionelle Unabhängigkeit sichern, wir wollen Kooperationsmodelle schaffen, in deren Rahmen man beispielsweise bei Anzeigen, vielleicht auch in anderen Bereichen stärker zusammenarbeiten kann. Das ist in vielen Bereichen schon heute so. Wir wollen das rechtlich klar und verbindlich im Sinne von Rechtssicherheit im Gesetz festlegen. Es geht darum, in diesem Bereich Luft zu schaffen. ({11}) Es geht darum, die wirtschaftliche Basis der Zeitungen in Deutschland zu stärken, um Vielfalt in diesem Bereich erhalten zu können. Aufgrund der Kürze der Zeit zum Schluss noch so viel: ({12}) Es ist gesagt worden, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sei so etwas wie das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft. Ich möchte deshalb der Opposition in unserem Hause anbieten - so wie es gute Übung ist -, am Ende zu einem parteiübergreifenden Konsens zu kommen. ({13}) Dann werden alle etwas nachgeben müssen. Ludwig Erhard hat einmal gesagt: Ein Kompromiss ist, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, dass er das größte Stück abbekommen hat. Wir sollten gemeinsam nach Wegen suchen, die helfen, die Wettbewerbsordnung im Interesse unseres Landes zu stärken, für das wir alle gemeinsam Verantwortung tragen. ({14}) Dazu gehört auch eine lebendige Presselandschaft. Die Unterstellung, dass wir Konzentrationen fördern wollen, ist falsch. Das Gegenteil ist richtig. Wir wollen auf Veränderungen reagieren, damit Vielfalt in Deutschland erhalten werden kann. Lassen Sie uns in diesem Sinne an die parlamentarische Arbeit gehen! Ich weiß, Herr Hinsken, dass es in Ihrer Fraktion auch andere Stimmen gibt. Mit denen wollen wir genauso reden wie mit Ihnen. Sie werden wir auch noch überzeugen. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3640 und 15/3118 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. September 2004, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.