Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Heute vor 15 Jahren, am 10. September 1989, gab der
ungarische Außenminister den Beschluss seiner Regierung bekannt, dass ab Mitternacht DDR-Bürger mit ihren Pässen, Personalausweisen oder Rot-Kreuz-Papieren
die Volksrepublik Ungarn in ein Drittland verlassen können, das bereit ist, sie aufzunehmen. Diese Entscheidung
der ungarischen Regierung öffnete den Tausenden von
Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die in den vorangegangenen Wochen in Ungarn Zuflucht gesucht hatten,
den Weg in die Freiheit. Bis Ende September hatten bereits über 32 000 Personen die Grenze überschritten.
Der mutige Schritt der ungarischen Regierung stellte
den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die
sich immer schneller vollzog und die uns alle den geschichtlichen Wandel förmlich spüren ließ. Ob der Beginn des Abbaus des Eisernen Vorhangs an der österreichisch-ungarischen Grenze am 2. Mai 1989, das
Durchschneiden der Grenzanlagen durch Außenminister
Gyula Horn und seinen österreichischen Kollegen Alois
Mock am 27. Juni 1989, das Paneuropäische Picknick in
Sopron am 19. August 1989 - all diese Ereignisse markierten den unfassbaren Aufbruch, der Europa ergriff
und der am Ende des Jahres 1989 der Teilung unseres
Landes durch Beton, Stacheldraht und Todesstreifen ein
Ende bereitet hatte.
In der Folge dieser Ereignisse, die das ungarische
Volk und seine Regierung durch ihren Mut und ihre Entschlossenheit ermöglicht und beschleunigt haben, ist
auch Europa zusammengewachsen. Seit dem 1. Mai
2004 ist Ungarn selbst Mitglied der Europäischen Union
und wir gestalten gemeinsam ein demokratisches
Europa.
Ungarn hat eine Werbekampagne aus Anlass des
15. Jahrestages der Öffnung des Eisernen Vorhangs unter
das Motto gestellt: Heute so wie damals - eine grenzenlose Freundschaft. Diesem Motto schließen wir uns
gerne an.
({0})
Aufgrund des Mandatsverzichts der Kollegin Tanja
Gönner sind in einigen Gremien Nachbesetzungen
vorzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für
die Nachfolge im Parlamentarischen Beirat für nach-
haltige Entwicklung den Kollegen Helge Braun als
ordentliches Mitglied vor, im Gemeinsamen Ausschuss
gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes den Kollegen
Clemens Binninger als stellvertretendes Mitglied, im
Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland“ den Kollegen Ralf Göbel als
stellvertretendes Mitglied und in der Gemeinsamen
Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Moder-
nisierung der bundesstaatlichen Ordnung den Kollegen
Michael Grosse-Brömer als stellvertretendes Mitglied.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann sind die genannten Kollegen wie vor-
gesehen in die jeweiligen Gremien gewählt bzw. ent-
sandt.
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005
({1})
- Drucksache 15/3660 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
- Drucksache 15/3661 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache zum Bundeshaushalt dreieinhalb Stunden beschlossen haben.
Redetext
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Edelgard
Bulmahn das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Die Natur macht es uns vor: Der
Wandel und die Fähigkeit, sich zu verändern, sind die
Grundbedingungen aller Existenz. Deshalb sind Fortschritt und Innovation die Garanten für eine lebenswerte
Zukunft. Für unser Land und unsere Gesellschaft darf
nichts anderes gelten. Der veränderte Altersaufbau unserer Gesellschaft und der sich verschärfende internationale Wettbewerb stellen uns vor grundlegend neue Herausforderungen.
({0})
Die wirksamste Antwort, die wir darauf geben können, sind Investitionen in Bildung und Forschung. Das,
Herr Kampeter, wird sicherlich auch der Opposition nützen. Bildung ist der Schlüssel zu Teilhabe und Beschäftigung,
({1})
zu wirtschaftlichem Wachstum und Spitzenforschung.
Durch Forschung entstehen Ideen für neue Produkte,
Konzepte für bessere Verfahren und innovative Dienstleistungen. Beides zusammen schafft die Grundlage für
Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und die Arbeitsplätze von morgen und damit auch die Sicherheit und die
Zukunftschancen, die die Menschen benötigen.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung mit der
Agenda 2010 längst fällige Reformen in Angriff genommen, Reformen, die spätestens in den 80er-Jahren hätten
in Angriff genommen werden müssen, vor denen Sie
sich aber gescheut haben.
({2})
Wir haben sie in Angriff genommen, weil wir davon
überzeugt sind, dass wir jetzt handeln müssen, um innovativer und international wettbewerbsfähiger zu werden.
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, setzt
aber voraus, dass es uns allen ernst ist mit der Kürzung
von Subventionen der Vergangenheit
({3})
und neuen Weichenstellungen hin zu Investitionen in die
Zukunft. Wenn am Sonntag die Bedeutung von Investitionen in die Köpfe betont und gefordert wird, am
Montag aber gesagt wird, nein, wir investieren in Beton,
dann ist das nicht glaubwürdig. So können wir die Menschen nicht für die Zukunft gewinnen.
({4})
Unser Vorschlag, woher zusätzliches Geld, auch für
die Länder und Kommunen, kommen soll, liegt auf dem
Tisch. Wir wollen die Eigenheimzulage abschaffen und
die frei werdenden Mittel - das sind immerhin 6 bis
7 Milliarden Euro - in Bildung und Forschung, in Innovation, also in unsere Zukunft, investieren.
({5})
Die Länder können mit diesem Geld endlich die Lehrer
und Hochschullehrer einstellen, die wir an unseren
Schulen und Hochschulen so dringend brauchen.
({6})
Deshalb, meine Herren und Damen von der Union,
denken Sie um! Geben Sie Ihre bisherige Blockadehaltung auf und sagen Sie Ja zu Investitionen in die Zukunft!
({7})
Unser Kopf ist rund, damit unser Denken die Richtung
wechseln kann. Nutzen Sie diese Chance!
({8})
Für Bildung und Forschung werden im BMBF im
kommenden Jahr insgesamt 10 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Im Einzelnen sind das:
8,464 Milliarden Euro im Etat des BMBF, im Einzelplan 30, 1 Milliarde Euro für das Ganztagsschulprogramm der Bundesregierung und 445 Millionen Euro
für BAföG-Darlehen, also für die Studienfinanzierung.
Wir werden damit im Haushalt 2005 die Ausgaben für
Bildung und Forschung gegenüber 1998 um rund
36,4 Prozent erhöhen. Das ist eine klare Trendumkehr
gegenüber den Jahren der Kürzungen unter der Kohl-Regierung.
({9})
Zwischen 1992 und 1998 wurden rund 670 Millionen
Euro aus diesem Zukunftsbereich herausgestrichen. Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, haben damals durch diese massiven Mittelkürzungen und auch
durch den absoluten Stillstand bei notwenigen ReforBundesministerin Edelgard Bulmahn
men, zum Beispiel im Bildungsbereich, einen gewaltigen Rückstand verursacht, den wir heute teilweise noch
immer spüren.
({10})
Wir bekennen uns klar zu mehr Investitionen in Bildung
und Forschung. Wir werden dabei auch neue Wege einschlagen.
Zu einer guten Innovationspolitik gehören auf der einen Seite die finanziellen Investitionen. Dazu haben wir
einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Auf der anderen
Seite gehört dazu auch die Schaffung neuer, zeitgerechter Strukturen. Die Innovationsinitiative, die wir Anfang des Jahres gestartet haben, beinhaltet drei Kernpunkte. Ich will sie hier nennen.
Erster Punkt. Ich bin davon überzeugt, dass die Hochschulen unseres Landes, die eine so wichtige Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes spielen,
weiter gestärkt werden müssen,
({11})
wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe sowie um
exzellente Forschungsergebnisse und innovative Produkte international konkurrenzfähig bleiben wollen. Dafür ist in den vergangenen Jahren bereits eine ganze
Menge geschehen und in Bewegung gesetzt worden.
Stichworte sind beispielsweise: das neue Besoldungsgesetz - es sieht eine leistungsgerechte Bezahlung von Professoren vor; endlich gehen die Länder daran, dieses
Gesetz umzusetzen -, die Bachelor- und Masterstudiengänge, die Einführung der Juniorprofessur wie auch die
Programme zur Nachwuchsförderung, die wir gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den
Weg gebracht haben.
({12})
Die Juniorprofessur ist ein international akzeptierter
Karriereweg. Frau Reiche, im Übrigen haben die Wissenschaftsminister aller Länder gesagt, dass sie diesen
Karriereweg für wichtig und notwendig erachten.
({13})
Nach diesen wichtigen Strukturveränderungen und
Erneuerungen, die wir im Hochschulbereich umgesetzt
haben, muss es jetzt auch darum gehen, das Profil unserer Hochschulen so zu schärfen, dass sie weltweit erkennbar sind und als Spitzenhochschulen eine wichtige
Rolle spielen. Gerade weil wir unser Licht nicht unter
den Scheffel zu stellen brauchen, gerade weil wir ein
sehr leistungsfähiges Wissenschaftssystem haben, müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen. Denn auch unsere Nachbarn tun dies. Daher brauchen wir in unserem
Land forschungsstarke Spitzenuniversitäten.
Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Chancen haben, unsere Universitäten durch diesen Wettbewerb so
zu stärken und zu positionieren, dass sie weltweites Renommee besitzen und als Orte gelten, an denen hervorragend gelehrt und hervorragend geforscht wird.
({14})
Von uns aus kann es losgehen.
({15})
Ich frage Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen
von der CDU - ich sage ganz bewusst: von der CDU -:
Wollen Sie den Hochschulen tatsächlich diese Chance
rauben, nur weil einige Ihrer Ministerpräsidenten Parteitaktik an die erste Stelle setzen?
({16})
Die Mittel für den Wettbewerb - das will ich hier
noch einmal ausdrücklich betonen - werden den Hochschulen zusätzlich zur Verfügung gestellt.
({17})
Das heißt zugleich, dass wir die Breitenförderung der
Hochschulen so fortsetzen wie in den vergangenen Jahren und in diesem Jahr. Wir fördern den Hochschulbau
weiterhin jährlich mit 925 Millionen Euro. Das ist im
Übrigen immer noch deutlich mehr als das, was Sie in
den 90er-Jahren in den Hochschulbau investiert haben.
({18})
Um es ganz klar zu sagen: Sie haben damals wirklich
massiv gekürzt. Wir investieren mehr. Wir werden das
auch fortsetzen.
({19})
Insgesamt stehen im kommenden Jahr rund
3,27 Milliarden Euro für den Hochschulbereich zur Verfügung. Das sind 23 Prozent mehr als noch 1998. Ich
sage ausdrücklich: Wenn in den Jahren vorher eine vergleichbare Steigerungsrate erreicht worden wäre, wenn
alle Länder im gleichen Umfang ihre Investitionen für
die Hochschulen erhöht hätten, dann stünden wir deutlich
besser da. Die Bundesregierung hat hier ein klares Signal
gesetzt und die Hochschulen gestärkt. Aber auch von anderer Seite muss es entsprechende Aktivitäten geben.
({20})
Die Wissenschaft - damit komme ich zu meinem
zweiten Punkt - bewegt sich in mehrjährigen Zyklen und
braucht langfristige Perspektiven. Wir haben deshalb
den großen außeruniversitären Forschungs- und Förderorganisationen einen Pakt für Forschung und Innovationen angeboten. Sie erhalten Planungssicherheit und
bis 2010 von Bund und Ländern einen jährlichen Mittelzuwachs von mindestens 3 Prozent. Das entspricht einem Plus von rund 100 Millionen Euro pro Jahr.
Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine Stärkung
des Wettbewerbs innerhalb der Forschungsorganisationen und auch untereinander sowie eine stärkere Vernetzung zwischen Universitäten, Hochschulen und außeruniversitärer Forschung. Wir brauchen eine noch bessere
Nachwuchsförderung und mehr Mut, auch risikoreiche
Forschungsansätze gezielt zu verfolgen. Denn wir brauchen nicht nur mehr Geld für Forschung, sondern auch
mehr Forschung und Qualität für das Geld.
({21})
Deshalb - das ist der dritte Punkt - setzen wir klare
Schwerpunkte in der Projektförderung, zum Beispiel in
der Gesundheitsforschung, bei der Nanotechnologie oder
bei den Kommunikations- und Informationstechnologien. Unser Grundsatz heißt: Weg vom Prinzip Gießkanne! Gefördert wird, was Exzellenz und Arbeit
schafft. Wir wollen die Technologieführerschaften ausbauen und neue Wachstumsfelder erschließen, die wir in
unserer Wirtschaft brauchen, und dabei den Hebel ganz
gezielt bei den kleinen und mittleren Unternehmen ansetzen. Die Basis dafür haben wir im Übrigen in den vergangenen Jahren gelegt. Wir haben seit 1998 die Projektförderung um 35 Prozent gesteigert. Das lässt sich
sehen.
Diese offensive Politik, diese Politik für Bildung und
Forschung zeigt Wirkung. Unser Land ist leistungsfähig.
({22})
Wir können in unserem Land eine ganze Menge. Wir
sollten das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit
nicht schlechtreden und nicht zerstören lassen.
({23})
Ganz im Gegenteil: Wir setzen an den Stärken an, die
wir haben. Wir fördern unsere Stärken und werden dadurch immer besser.
Ich will ein Beispiel nennen: den Automobilbau.
({24})
Die deutschen Automobilunternehmen sind nach wie vor
die Besten in der Welt. Wer hier nur von einer traditionellen Branche spricht, vergisst, dass die Autos von
heute technologische Spitzenprodukte sind. Auf dieser
Erfolgsspur bleiben unsere Unternehmen nur, wenn es
ihnen auch weiterhin gelingt, die neuesten Hightechentwicklungen zum Beispiel in der Nanotechnologie oder in
der Mikroelektronik förmlich aufzusaugen und für die
eigenen Produkte nutzbar zu machen. Deshalb ist Forschung so wichtig.
({25})
Ich will ein zweites Beispiel nennen: die Nanotechnologie. Das Ministerium für Bildung und Forschung hat die Mittel für die Projektförderung in diesem
Bereich seit 2002 auf rund 123 Millionen Euro im Jahre
2005 fast verdoppelt. Unsere Förderung hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass wir in den volkswirtschaftlich wichtigen Branchen nach wie vor sehr gut
sind. Ganz konkret hat sie dazu beigetragen, dass sich
der Raum Dresden inzwischen zu dem europäischen
Elektronikstandort entwickelt hat. Durch unsere offensive, massive Forschungsförderung sind dort in den letzten Jahren direkt und indirekt rund 20 000 Arbeitsplätze
entstanden.
({26})
Es geht uns bei der Forschungsförderung aber auch
darum, unsere Zukunft lebenswert zu gestalten; ich habe
am Anfang meiner Rede darauf hingewiesen. Deshalb
haben wir zum Beispiel das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ auf den Weg gebracht. Wir
werden dort in den nächsten fünf Jahren rund
800 Millionen Euro in Konzepte und Technologien investieren, die wirtschaftlich und sozial verträglich sind
und die die Umwelt schonen. Wir sind schon heute weltweit mit einem Anteil von 16 Prozent der zweitgrößte
Exporteur auf dem internationalen Umweltschutzmarkt.
Diese Position wollen wir stärken und ausbauen.
({27})
Innovationen sind das A und O des Aufbaus Ost. Wir
haben mit dem Programm „Unternehmen Region“ eine
eigene Förderstrategie für Ostdeutschland entwickelt,
die von den Wirtschaftsweisen, dem Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung und sogar von einigen Kollegen aus der Opposition für richtig und erfolgreich befunden wird. Wachstumskerne stärken, diesen Weg verfolgen wir seit fünf Jahren mit zunehmendem Erfolg. Für
diese Förderung stellt das Bundesministerium pro Jahr
rund 98 Millionen Euro zur Verfügung. Über den Zeitraum von 1999 bis 2007 sind das insgesamt mehr als
550 Millionen Euro. Das bedeutet also eine Verdoppelung im Vergleich zum ursprünglich geplanten Ansatz.
({28})
Ostdeutschland ist uns eine ganze Menge wert. Wir erreichen mit diesen Investitionen auch etwas, wie sich immer wieder zeigt.
Deutschlands Reichtum sind seine Menschen. Ihre
Kompetenz, ihr Wissen und ihr Einsatz sind unser Kapital. Innovation und Fortschritt sind nur mit gut ausgebildeten Menschen möglich. Wir müssen also unser Bildungsniveau insgesamt, in der Breite wie in der Spitze,
erhöhen.
Ich erinnere nur daran, dass der Bund hier in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe entscheidender Fortschritte angestoßen hat. Es ist uns mit diesen Anstößen
auch gelungen, ideologische Blockaden zu durchbrechen
und zu überwinden, die Kindern und Jugendlichen über
viele Jahre Bildungschancen genommen haben. Als Beispiel nenne ich die Ganztagsschulen. Hier haben wir es
durch die Initiative der Bundesregierung und mit unserem Schulentwicklungsprogramm, für das wir insgesamt
4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, geschafft,
({29})
den Kindern und Jugendlichen endlich auch die Bildungschancen zu eröffnen, die sie so dringend brauchen.
({30})
Es ist toll, mit welchem Engagement und mit welcher
Begeisterung die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Eltern vor Ort diese Chance nutzen.
Als ein weiteres Beispiel nenne ich die berufliche
Bildung. Auch hier ist es uns gelungen, eine ideologische Barriere zu durchbrechen. Der Ausbildungspakt
zeigt Wirkung. Mit diesem Ausbildungspakt haben wir
in den Kammern, den Unternehmen und Regionen ein
ungeheures Engagement ausgelöst. Ich bin sehr froh,
dass es uns gelungen ist, die Zahl der abgeschlossenen
Ausbildungsverträge deutlich zu erhöhen. Ich weiß, dass
wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber mit dem Engagement, das hier gezeigt wird, wird uns dies gelingen;
das scheint mir ganz offensichtlich zu sein.
An dieser Stelle danke ich den beiden Präsidenten
Phillip und Braun ganz ausdrücklich für ihren persönlichen Einsatz. Ich wünsche mir, dass dieses Engagement
auch in den kommenden Wochen und Monaten an jedem
Ort von allen Abgeordneten, vor allen Dingen aber auch
von allen Unternehmen gezeigt wird.
({31})
Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir werden
in den kommenden Wochen über das Berufsbildungsgesetz noch einmal miteinander diskutieren, weil es ja
nicht nur um quantitative Fragen, also um mehr Ausbildungsplätze, sondern auch um Qualität geht. Die Modernisierung der beruflichen Bildung ist auf einem guten
Weg. Bereits heute wird jeder zweite Jugendliche in einem modernisierten Beruf ausgebildet. Ich hoffe sehr
und wünsche mir, dass wir kreativ und engagiert zusammenarbeiten. Dies ist eine der wichtigen Voraussetzungen dafür, dass das innovative Deutschland von morgen
entsteht. Überall dort, wo Menschen dazu bereit sind,
wird es auch entstehen. Dafür wünsche ich mir viele
Verbündete.
Vielen Dank.
({32})
Das Wort hat jetzt Kollegin Katherina Reiche von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte geht es um nicht mehr und nicht
weniger als um die Zukunft.
({0})
Doch das, was die Ministerin gerade vorgetragen hat,
war eine Bilanzfälschung. Zudem strahlte sie bei ihrer
Rede den Charme einer Büroklammer aus.
({1})
So, wie Sie Ihr Amt verwalten, haben Sie auch Ihre Rede
vorgetragen: technokratisch, ohne Herz und Verständnis
für Wissenschaft und Forschung
({2})
und vor allem ohne Leitbild. Es wurde nicht deutlich, wo
die Wissenschaftsnation Deutschland in zehn oder
15 Jahren stehen soll.
({3})
Sie können offenkundig nicht mit Begeisterung über
Wissenschaft und Forschung sprechen, über die Universität der Zukunft, über Bildung im ganzheitlichen Sinne.
Forschung ist für Sie nur dann gut, wenn sie ökonomisiert ist. Freie Forschung um des Erkenntnisgewinns willen scheint Ihnen völlig fremd zu sein.
({4})
Der Sinn höherer Bildung ist für Sie nicht, was oder wie
gelehrt wird; für Sie ist die Hauptsache, dass alle hin
können. Duale Ausbildung funktioniert zumeist dann
gut, wenn der Staat noch ein bisschen mitmischt, zum
Beispiel in Form einer Zwangsabgabe. Den Leertitel haben Sie vorsichtshalber im Haushalt belassen.
({5})
Die Gleichheit ist Ihr politisches Ziel. Das tropfte
förmlich aus allen Sätzen, die Sie uns hier vorgetragen
haben.
Sie stolpern von Missgriff zu Missgriff:
({6})
eine misslungene Dienstrechtsreform, eine mangelhafte
BAföG-Reform, der verkorkste Versuch, Eliteunis per
Dekret zu verordnen, gescheiterte Hochschulrahmenrechtsnovellen. Die Juniorprofessur ist Ihnen, Frau
Bulmahn, vom Bundesverfassungsgericht um die Ohren
gehauen worden.
({7})
Sie haben nicht einen Satz dazu gesagt. Auch das Studiengebührenverbot wird Ihnen um die Ohren fliegen.
({8})
Es kam der Aufruf an die Länder, die Forschungsorganisationen möglichst gleich an den Bund abzutreten
und die Leibniz-Institute am besten zu zerschlagen. Sie
gängeln die geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute
und versuchen, den Ländern Bildungsstandards zu oktroyieren.
({9})
Frau Bulmahn, ich frage mich, wie weit man eigentlich
von der Realität entfernt sein muss, um eine solche Liste
von Niederlagen in nicht einmal sechs Jahren zu produzieren.
({10})
Ihnen muss eigentlich ganz schwindelig werden.
Dabei steht uns das Wasser bis zum Hals. Immer
mehr innovative Industriebranchen sagen dem Standort
Deutschland leise Adieu. Sie verlagern nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Forschung ins Ausland,
und zwar keineswegs nur nach Osteuropa, sondern auch
in die Schweiz und nach Österreich.
Sie haben die Innovationsbremse noch fester gezogen, zum Beispiel in der Gentechnik, wo der DFG-Präsident Winnacker mit Blick auf Sie resümierte, das neue
Gentechnikgesetz sei enorm forschungsfeindlich.
({11})
- Frau Kressl, wenn Sie ein bisschen aufgepasst hätten,
wüssten Sie, dass das Gentechnikgesetz etwas mit der
Grünen Gentechnik zu tun hat. Ich kann aber bei Ihnen
wahrscheinlich nicht annehmen, dass Sie das durchblicken.
({12})
Nach den Berechnungen des ZEW müssten in
Deutschland fünf Jahre lang die Forschungsausgaben um
mindestens 5 bis 6 Prozent steigen, um dorthin zu kommen, wo Japan jetzt ist. Bislang gab es eine Steigerung
des BMBF-Haushaltes um nominal 2,45 Prozent; real ist
es deutlich weniger. Es ist anzunehmen, dass sich das,
was wir 2004 erlebt haben, nämlich das Plündern des
Forschungshaushaltes für die Rentenkasse, 2005 durchaus wiederholen kann. Vielleicht müssen Sie dann Löcher, die durch Hartz IV entstehen, damit stopfen. Das
sind die neuen Wege, von denen Sie reden.
Das Jahr der Innovation besitzt keine Schubkraft.
Es wird geredet, es wird diskutiert, ein Innovationskongress jagt den nächsten. Wo ist aber der Innovationsschub? Wo ist das Wachstum?
({13})
Sie haben bislang Innovationslyrik produziert. Frau
Bulmahn, Sie haben nicht einmal versucht, für einen höheren Haushalt zu kämpfen. Sie bräuchten jährlich mindestens 400 Millionen Euro mehr, um das 3-Prozent-Ziel
von Lissabon zu erreichen. Sie haben schlappe
250 Millionen Euro gefordert, mit dem Hinweis, Sie verfolgten eine Politik der kleinen Schritte. In Wahrheit haben Sie so gut wie nichts bekommen.
({14})
Ihr Haushalt ist das Ergebnis vieler Operationen.
Operation Nummer eins ist Trickserei. Sie rechnen uns
eine Steigerung von 300 Millionen Euro vor und vergleichen Äpfel mit Birnen. Sie vergleichen nämlich den
Haushalt 2004, der um den Rentenbeitrag und andere
Dinge gekürzt wurde, mit dem Ziel, was Sie 2005 erreichen wollen. Das ist unseriös.
Operation Nummer zwei ist Luftbuchung. 63 Millionen Euro des Zuwachses sind bereits von vornherein bis
zum Wegfall der Eigenheimzulage gesperrt. Nur ist es
so, dass 93 Prozent der Menschen die Eigenheimzulage
für ein wichtiges Instrument der Familienförderung und
der Altersvorsorge halten. Ihre Beamten rechnen schon
hektisch nach, wie die Löcher für den Fall, dass die Operation Eigenheimzulage misslingt, mit neuen Kürzungen
gestopft werden können.
({15})
Operation Nummer drei sind Umbuchungen. 47 Millionen Euro fließen Ihnen aus dem Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit zu, nämlich für die komplette
Übernahme des Meister-BAföGs. Das ist aber nicht, wie
Sie, Frau Bulmahn, uns das vorrechnen, neues Geld; es
ist schlichtweg ein Übertrag. Zufällig sind auf dem Weg
vom BMWA zum BMBF auch noch 10 Millionen Euro
verloren gegangen. Das ist wahrlich kein Meisterstück.
Operation Nummer vier sind falsch kalkulierte Ansätze. Ihr Ansatz für das Studenten-BAföG ist nach wie
vor zu niedrig. Mir bleibt es zumindest ein Rätsel - ich
hoffe, Sie können es lösen -, wie Sie mit weniger Geld
immer mehr Studenten fördern wollen. Die Wahrheit ist
auch, dass sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland so darstellt, dass immer mehr junge Leute bedürftig
werden und BAföG beantragen werden, weil es ihren Eltern schlechter geht. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer
Politik.
({16})
Im Ergebnis heißt das aber, dass bei der Projektförderung gekürzt werden muss, weil die Ansätze bedient
werden müssen.
Sie setzen zudem falsche Prioritäten. Sie sparen nicht
an der Werbung. Sie sparen nicht an Beraterverträgen.
Sie sparen nicht an Programmen, mit denen Sie die Gewerkschaftsklientel bedienen können. Nein, Sie sparen
an Biotechnologie, Sie sparen an der Grünen Gentechnik, Sie sparen am nationalen Raumfahrtprogramm. Sie
haben die Rücknahme der Mittel im Hochschulbau nicht
ausgeglichen. Sie kürzen zudem an der Forschung an
Fachhochschulen, die Sie angeblich für so wichtig halten.
({17})
Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend
eine Wende in der Bildungs- und Forschungspolitik. Bildung und Forschung brauchen zunächst Verlässlichkeit
und Konstanz. Sie machen seit Jahren das Gegenteil. Zugesagte Mittel können nicht abgerufen werden. Die Forschungsorganisationen können sich nicht auf das verlassen, was ihnen zugesagt wird. Sie erleben
haushälterische Achterbahnfahrten. Der Projektförderung geht es ebenso. UMTS brachte durchaus einen
kurzzeitigen Segen. Aber danach kam der große Kater.
So kann man mit der Forschung nicht umgehen.
({18})
Bildung und Wissenschaft brauchen Freiheit. Aber Ihnen erscheint der Wert der Freiheit suspekt. Sie wollen
reglementieren. Sie wollen kontrollieren. Sie wollen dekretieren.
({19})
Sie misstrauen dem Wettbewerb. Sie misstrauen den
Menschen aus Angst vor der Freiheit. Das unterscheidet
Ihre Politik ganz deutlich von der unseren.
({20})
Das zeigt sich ganz deutlich an Ihrer Hochschulpolitik. Sie haben den Hochschulen ein zum Teil verfassungswidriges Hochschulrahmenrecht übergestülpt.
({21})
Die Habilitation sollte mit der Brechstange weg. Die
Juniorprofessur sollte sie vollständig ersetzen. Frau
Bulmahn, das ist genau das Gegenteil von Freiheit. Die
Juniorprofessur ist im Ansatz richtig. Das haben wir nie
bestritten.
({22})
Aber der Starrsinn hat sie ins Desaster geführt, das nicht
nur Sie beschädigt hat, sondern vor allem auch diejenigen, die sich darauf verlassen haben, dass das Gesetz
verfassungskonform ist. Sie sind die Leidtragenden.
({23})
Frau Bulmahn, das Verfassungsgerichtsurteil vom
27. Juli ist Ihr bildungspolitisches Waterloo. Das Urteil
weist den Bund nämlich ganz klar in seine Grenzen. Sie
hatten sie trotz aller Warnungen ignoriert.
Unsere Hochschulen brauchen zudem dringend mehr
Geld für mehr Qualität. Doch wer das Verbot von Studiengebühren für eine „kulturelle Errungenschaft“ hält,
wie Sie es sagen,
({24})
der ist offensichtlich nicht zu einer Antwort auf die Herausforderungen befähigt.
Frau Bulmahn, auch Ihr Forschungsverständnis ist
falsch. Forschung kann man nicht nur auf Missionen
orientieren. Forschung ist die Gesamtheit von geisteswissenschaftlicher Forschung, Grundlagenforschung
und angewandter Forschung. Ihr Wunsch, Forschung
ausschließlich auf den Nutzen auszurichten und nur noch
das zu fördern, was nach Ihrer Auffassung schnell Arbeitsplätze schafft, ist verhängnisvoll.
({25})
Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass Basisinnovationen vor allem aus der freien Grundlagenforschung heraus entwickelt wurden.
Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass es im Kabinett Schröder keine einheitliche Innovationsstrategie
gibt, dass Forschung in Gut und Böse eingeteilt wird.
({26})
Kerntechnik, Fusionsforschung, Grüne Gentechnik und
Chemie werden insbesondere von den Grünen erbittert
bekämpft.
({27})
Das Gentechnikgesetz macht Ihren vernünftigen Ansätzen in der Grünen Gentechnik den Garaus.
({28})
Frau Bulmahn, Sie konnten sich gegen Frau Künasts
ideologischen Feldzug nicht zur Wehr setzen.
({29})
Der faktische Ausstieg aus der Grünen Gentechnik, den
wir jetzt haben, wird genauso verheerende Folgen wie
der Ausstieg aus der Kerntechnik haben. Denn nicht einmal mehr Sicherheitsforschung ist möglich.
({30})
Bildungs- und Forschungspolitik muss vor allem
Orientierung haben und neue Anstöße liefern. Der
Grundfehler im Bildungs- und Forschungsministerium
liegt neben seiner schlechten Führung vor allem in seiner
Struktur. Nach 1998 wanderten die Luftfahrt und die
Mittelstandsförderung ins Wirtschaftsministerium. Die
Energieforschung wurde aufgeteilt, zerschlagen; große
Teile gingen zu Herrn Trittin. Frau Künast ist für die
Vorgaben in der Gentechnik zuständig. Sie haben diesen
Aderlass klag- und widerspruchslos hingenommen. Das
rächt sich.
Wir brauchen ein strategisches Innovationsministerium, das alle Forschungsaktivitäten bündelt. Sie haben
ein Schulministerium daraus gemacht und wundern sich,
dass aus den Innovationen nichts wird.
({31})
Bei den vor uns liegenden Haushaltsberatungen werden wir auf Korrekturen drängen. Wir werden Ihnen
konkrete Vorschläge für Änderungen im Haushalt machen.
({32})
Bei Beraterverträgen, bei Werbung und bei Steinkohle
kann gespart werden. Wir bieten Ihnen an, tatsächlich
300 Millionen Euro mehr für Bildung und Forschung in
den Haushalt einzustellen. Wir wollen Ihnen auf die
Sprünge helfen, damit das Jahr der Innovationen wenigstens irgendwie seinen Namen verdient. Ich fordere Sie
im Interesse des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Deutschland auf: Nehmen Sie unser Angebot an!
Vielen Dank.
({33})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums für das Jahr 2005 liegt um 202 Millionen
Euro, das heißt um 2,45 Prozent, über dem für das
Jahr 2004.
({0})
Das ist nicht überragend, aber gut. Wie als Teil der
Agenda 2010 versprochen, werden die institutionellen
Forschungsmittel um 3 Prozent erhöht. Das ist ein starkes Signal von Rot-Grün, dass Bildung und Forschung
auch weiterhin gestärkt werden.
({1})
Auch die Projektforschungsmittel steigen um
61 Millionen Euro. Das ist ein Plus von fast 2,8 Prozent.
Leichte Zuwächse gibt es bei der Nanotechnologie, der
Mikrosystemtechnik und der Gesundheitsforschung. Allerdings - das will ich zugestehen - sehen wir bei den
Projektforschungsmitteln insgesamt eine zu große Enge.
({2})
Sie bereiten uns tatsächlich Sorge. So bedauern wir
Grüne die im Regierungsentwurf vorgenommenen Kürzungen bei der Bauforschung sehr. Wir werden uns dafür
einsetzen, dass die Mobilitäts- und Bauforschung unter
dem Aspekt der Nachhaltigkeit weiterhin gefördert wird.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie fordern
mehr Geld für die Forschung.
({3})
- Darauf komme ich noch zu sprechen. - Dann schauen
wir uns doch jetzt einmal die von Ihnen hinterlassenen
Altlasten an. Anstatt Geld in die Hybridtechnologie zur
Entwicklung sparsamer Autos zu investieren, müssen
wir es in den Abriss von alten Atomreaktoren und in
die Lagerung des gefährlichen Atommülls stecken.
({4})
Wegen der von Ihnen, von Union und FDP, betriebenen
falschen Energiepolitik und der falschen Verpflichtungen, die Sie eingegangen sind, müssen die entsprechenden Ausgaben in diesem Haushalt von 80 auf
160 Millionen Euro ansteigen.
({5})
Noch einmal: In diesem Haushalt werden 160 Millionen Euro für Vergangenheitsbewältigung aus dem Fenster geworfen. Die Staaten, die sich den Irrweg der Atomforschung erspart haben, können ihr Geld nun in
Nanotechnologie, Hybridtechnologie und erneuerbare
Energien investieren, während wir für den Abriss von
Forschungsreaktoren zahlen,
({6})
und dies aus Steuergeldern statt aus den satten Gewinnen
der Atomkonzerne. Das war eine grandiose Fehlleistung
der Regierung Kohl.
({7})
Nun zu einem anderen großen Thema: der dramatischen Entwicklung auf dem Weltrohölmarkt. Dieses
Jahr wird der globale Nachfragezuwachs höher ausfallen
als der Verbrauch in Deutschland. Gleichzeitig geht die
Ölproduktion in der Nordsee zurück und Indonesien
wandelt sich vom Erdölexporteur zum -importland. Die
Weltwirtschaft läuft auf eine dramatische Situation zu,
die weitaus schlimmer sein dürfte als die der vergangenen Ölkrisen von 1973 und 1980. Währungs- und inflationsbereinigt stand der Ölpreis 1980 bei 101 US-Dollar.
Da wir den Chinesen aber nicht das Autofahren verbieten können, müssen wir uns bald auf noch deutlich höhere Rohölpreise einstellen.
({8})
Unsere Devise, auch für die Forschung, kann daher nur
heißen: Weg vom Öl!
Deswegen werden wir im Haushalt von Renate
Künast
({9})
für die Forschung und Markteinführung in den Bereichen Bioenergie und Biochemie mehr Geld ausgeben
und im Haushalt von Jürgen Trittin werden wir für Solarenergie, Windenergie und Erdwärme mehr Geld ausgeben. Rot-Grün unternimmt ernste Anstrengungen hinsichtlich Forschung und Entwicklung also nicht nur im
Einzelplan 30, sondern im gesamten Bundeshaushalt.
({10})
Wenn Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der
Union, jetzt einwenden, das alles sei zu wenig, dann
sollten Sie sich klar machen, dass Sie gar keinen Aufwuchs, sondern eine reale Senkung fordern, wenn die
Eigenheimzulage für Sie zukunftsweisender als die Forschungsförderung ist.
({11})
Ich fordere Sie von der Union auf, uns im Bundesrat
endlich zuzustimmen, damit die Mittel für die Eigenheimzulage zugunsten von Bildung und Forschung umgeschichtet werden können.
({12})
Ganz nebenbei bemerkt: Durch eine pauschale 5-prozentige Kürzung des Bundeshaushalts, wie sie Ministerpräsident Stoiber vorschlägt, würden die Mittel für Bildung und Forschung um 423 Millionen Euro verringert.
Da bliebe nichts mehr für all die Wünsche übrig, die Sie
geäußert haben, zum Beispiel für Investitionen in Forschungseinrichtungen, Nanotechnologie oder Bildung.
Wir landeten im wahrsten Sinne des Wortes wieder im
letzten Jahrtausend, in dem Sie während der Ära Kohl
laufend die Forschungsausgaben senkten.
({13})
Wir investieren aber nicht nur in Forschung, nein,
auch in Köpfe. So haben wir das BAföG für Studierende
und Schülerinnen und Schüler weiter gesteigert. Auch
die Förderung derjenigen, die sich im Beruf weiterbilden, unterstützen wir durch die Steigerung des MeisterBAföGs. Nicht zu vergessen, es läuft so ganz im Hintergrund auch noch das Ganztagsschulprogramm der Koalition. Binnen vier Jahren fließen 4 Milliarden Euro in die
Bundesländer, um Ganztagsschulen aufzubauen, die Sie
immer bekämpft haben.
Ich muss Ihnen da, meine werten Kolleginnen und
Kollegen vor allem von der CSU, eine Geschichte über
ein Gymnasium in Münnerstadt in Unterfranken erzählen, wo ich selbst einstmals unterrichtete.
({14})
Dieses Gymnasium wurde mit Mitteln aus dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ zur
Ganztagsschule ausgebaut.
({15})
Edmund Stoiber wird demnächst zur feierlichen Eröffnung anreisen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die
bayerische Debatte über das Ganztagsschulprogramm.
Frau Hohlmeier und Herr Stoiber schimpften gemeinsam, dass die Eltern doch selbst entscheiden sollten, wie
ihre Kinder nachmittags betreut würden. Sie meinten damit, die CSU will keine Ganztagsschulen.
Aber erst jetzt, da dank der Anschubmittel dieser
Bundesregierung auch in Bayern das Ganztagsschulangebot gestiegen ist, haben die Eltern und Kinder diese
Wahl. Ich finde es wunderbar, dass sich Herr Stoiber
jetzt freut, dass seine Enkelkinder bald in solch schöne
Schulen gehen können. Ich hoffe nur, dass er bei der Einweihungsfeier in Münnerstadt auch sagt, dass Rot-Grün
dieses Ganztagsschulprogramm durchgesetzt hat - gegen seinen Willen.
({16})
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
haben sich Anfang des Jahres auch furchtbar dagegen
gewehrt, dass die deutschen Hochschulen in einen
Wettbewerb eintreten sollten, der ihnen dringend benötigte zusätzliche Mittel bringen kann. Glücklicherweise
haben sich Ihre Fachministerinnen und Fachminister aus
den Ländern nicht abhalten lassen, dies mitzutragen. Im
Frühsommer stand ein Konzept, das vier wichtige Elemente vereint: zur Nachwuchsförderung einen Wettbewerb, in dem circa 40 Graduiertenschulen ausgeschrieben werden; zur Forschungsförderung einen Wettbewerb
um die Förderung von 30 Exzellenzclustern, in denen
Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Unternehmen kooperieren; zur Signalwirkung
nach innen und außen einen Wettbewerb der Spitzenuniversitäten; als vierter Punkt die Exzellenzförderung in
der Lehre durch die Länder.
Dieses Konzept schien Anfang Juni zu stehen, Anfang Juli wurde es dann aber nicht beschlossen. Jetzt
wird es frühestens Anfang November beschlossen - vier
Monate, in denen nicht nur die Hochschulen nicht wissen, ob sich diese große Entwicklungschance wirklich
für sie auftun wird. Nein, auch die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, um die
Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen von Union
und FDP, doch immer so lautstark sorgen, fragen sich
ratlos, ob ihre Zukunft in Deutschland liegt oder doch
anderswo in Europa oder in den USA. Die notwendige
Reform des Föderalismus ist gut und schön, aber hier
trifft sie möglicherweise die Falschen. Hören Sie auf zu
blockieren! Machen Sie mit bei den notwendigen Reformen wie bei der Juniorprofessur, damit auch die Jungen
eine Chance in der Wissenschaft bekommen.
({17})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fell,
es ist schon bemerkenswert, wie Sie uns nach dem Ausstieg aus der Kernenergie, bei dem Sie ja einen Kapitalvernichtungsakt sondergleichen durchgezogen haben,
({0})
jetzt vorwerfen, dass wir Ihren Haushalt belasten.
({1})
So etwas geradezu Bizarres habe ich mein Lebtag noch
nicht gehört.
({2})
Aber wir sind ja heute zum Haushaltsentwurf 2005
hier und sollen darüber diskutieren, Frau Bulmahn. Sie
haben uns eben erzählt, dass der Haushalt um
3,6 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro steigt. Wie immer
haben Sie in diesem Zusammenhang natürlich die Mittel
für die Ganztagsschulen und auch die BAföG-Mittel, die
ja eigentlich nicht zu Ihrem Haushalt gehören, sondern
aus anderen Haushalten kommen, dazugezählt. Darüber
wollen wir schon gar kein Wort mehr verlieren.
Aber Sie haben auch etwas anderes getan: Sie haben
hier mit Zahlen hantiert und versucht, den großen Popanz der Eigenheimzulage wieder hochzuziehen,
({3})
hinter dem Sie sich ein bisschen verstecken, um in Zukunft, in den nächsten Monaten, den Gegner auf der anderen Seite entsprechend beschimpfen zu können. Ich
muss Ihnen sagen: Sie arbeiten hier mit Zahlen, die alles
andere als seriös sind.
Sie haben die berühmte Eigenheimzulage, über alle
Haushaltsetats verteilt, mit rund 150 Millionen Euro angesetzt. Es sind aber nur exakt 95 Millionen Euro. Das
heißt, erstens hantieren Sie hier mit einer Eigenheimzulage, die es in dieser Höhe nie geben wird, weil die
CDU/CSU nicht zustimmen wird, und zweitens arbeiten
Sie mit Zahlen, die vorne und hinten nicht stimmen.
({4})
- Herr Tauss, Sie haben Frau Reiche vorhin doch gehört.
Ohne diese Mittel ergibt sich im Endeffekt nur eine
minimale Steigerung des Haushalts. Wenn wir die Unwägbarkeiten des BAföGs und die globale Minderausgabe von 145 Millionen Euro, die Sie schließlich erwirtschaften müssen, hinzuziehen, dann gibt es im nächsten
Jahr real nicht mehr Geld für diesen Haushalt.
({5})
Frau Bulmahn, das Ganze ist heiße Luft. Sie bauen auf
Sand. Das Schlimmste für uns Liberale ist, dass Sie dabei die großen Linien Ihrer Politik verloren haben.
({6})
Sehen Sie sich doch die einzelnen Haushaltsposten
an! Dieser Haushalt hat keinen Schwerpunkt,
({7})
keine erkennbare Richtung und vor allem keine große
Vision.
({8})
Sie setzen Ihre Taktik fort, dort zu erhöhen, wo Sie in
den letzten Jahren gekürzt haben. Sie erhöhen jetzt bei
der Mikrosystemtechnik, bei der Softwaretechnik und
bei der Nanoelektronik. Frau Bulmahn, das sind Pflästerchen auf die Wunden des letzten Jahres.
({9})
Dafür werden andere Positionen, wie zum Beispiel Verkehr und Mobilität - das finde ich sehr erstaunlich - und
das System Erde, gekürzt. Herr Fell, ich weiß gar nicht,
wie Sie damit leben können.
Sie verhalten sich wie eine Gärtnerin, die ein großes
Feld voller Unkraut liebevoll begießt, aber nun wirklich
nicht weiß, wo sie etwas Neues anpflanzen soll. So gießen Sie überall mit Ihrer 3-Prozent-Gießkanne, wobei
ich es schon ganz witzig finde, dass Sie die 3 Prozent
überall durchhalten, ohne, wie die internationale Konkurrenz, große, milliardenschwere Schlüsseltechnologiezentren hochzuziehen. Frau Bulmahn, Sie kleckern auf
mittlerem Niveau.
({10})
Für die FDP-Fraktion sage ich, dass das besser ist, als
Kürzungen vorzunehmen; das erkennen wir auch an.
Das ist aber eben nicht der große Wurf, auf den wir in
diesen Zeiten alle warten.
Was ist der Grund dafür? Aus unserer Sicht liegt der
Grund dafür viel tiefer als nur bei Hans Eichel und seinen Sparverpflichtungen. Sie haben sich nämlich im Gewirr der föderalen Zuständigkeiten und der koalitionsinternen Ansprüche verfangen.
({11})
Ihre Visionen sind an den Betonmauern der Länder und
nicht zuletzt an denen Ihres grünen Koalitionspartners
zerplatzt.
({12})
Sie sind praktisch mit allen Reformvorhaben der letzten
Zeit gescheitert bzw. ins Stocken geraten oder Sie haben
sich ganz einfach nicht durchsetzen können
Frau Reiche hat vorhin schon darauf verwiesen: Das
Bundesverfassungsgericht hat Ihre 5. HRG-Novelle gekippt und das aus unserer Sicht richtige Juniorprofessorenprogramm für verfassungswidrig erklärt.
({13})
Frau Bulmahn, Sie haben das größte Projekt Ihrer Hochschulpolitik sehenden Auges glatt gegen die Wand gefahren.
({14})
Ich erinnere mich: Wir alle haben hier gestanden und Sie
vor diesen Risiken gewarnt. Sie sind ohne Rücksicht auf
Verluste durchgefahren. Am Schlimmsten finde ich es,
dass Sie dies ohne Rücksicht auf diejenigen getan haben,
die an den Hochschulen lehren und arbeiten müssen. Für
diese Leute gibt es jetzt einen rechtsfreien Raum.
({15})
Das wird dazu führen, dass sich manche von ihnen einklagen werden.
Gehen Sie jetzt einmal an die Hochschulen! Gehen
Sie zum Beispiel an eine Hochschule im Ruhrgebiet wie
die in Bochum! Dort sind 200 Leute betroffen. Diese
Hochschule hat einen verzweifelten Kanzler und einen
verzweifelten Rektor, die nicht wissen, wie es weitergeht. Das ist das Produkt Ihrer größten Aktion in dieser
Legislaturperiode.
({16})
Das Schauspiel wird sich im Herbst aufgrund des Verbots von Studiengebühren grausam wiederholen, in diesem Falle aber mehr für Sie als für die Hochschulen. Die
Folgen Ihrer Blindflugaktionen sind Verunsicherung und
Irritationen in der deutschen Hochschullandschaft.
({17})
Mit dem Programm zur Förderung von Spitzenforschung an Hochschulen sind Sie genauso stecken geblieben. Ich halte Ihr Vorgehen einfach für einen schlichten taktischen Fehler. Man geht einfach nicht auf eine
Pressekonferenz und erzählt, dass es seine Aktion gewesen ist, wenn man vorher mit anderen Leuten darüber
verhandelt hat. Das kann nicht gut gehen. Auch die Politiker in den Ländern haben ihre Eitelkeiten. Das müssen
auch wir Bundespolitiker manchmal erkennen.
({18})
- Herr Tauss, auch das ist doch ein Grund dafür, weshalb
wir eine seriöse Politik machen müssen.
Erst wollen Sie Spitzenhochschulen einrichten, dann
werden die Leute vorgeführt und am Ende liegt alles auf
Eis. Im Herbst kommen wir mit viel Glück vielleicht so
weit, endlich Spitzenhochschulen zu installieren, die wir
schließlich alle wollen. Es gibt doch hier im Raum keinen, der sie nicht haben will.
({19})
Ähnliches kann man auch über Ihren Pakt für die
Hochschulen sagen; davon habe ich schon lange nichts
mehr gehört. Kurzum: Sie haben sich im Klein-Klein des
Föderalismus verfangen, statt sich auf das zu konzentrieren, Frau Bulmahn, was Sie wirklich können - das will
ich Ihnen gar nicht absprechen - und auch dürfen, nämlich auf das große innovative Feld der Forschung, auf die
Struktur und auf Verbesserungen der Forschung in diesem Land. Schauen Sie sich doch die Bio- und Nanotechnologie an! Nach wie vor fehlt eine konsequente
Strategie.
Dazu will ich niemanden aus unseren Reihen zitieren.
Ihr eigener Kanzlerberater, Herr Professor Wahlster - er
ist nicht ganz unbekannt -, aus dem Saarland
({20})
erklärt dazu in der „Wirtschaftswoche“:
Dieses Gießkannenprinzip ist Verschwendung. Es
bringt nichts, in jedem Bundesland ein Bio- und ein
Nanotechnologiezentrum zu etablieren.
({21})
Bei einem neuen Innovationsfeld müssen die Mittel
nach einem Wettbewerb auf zwei, drei Zentren, die
absolute Spitze sind, konzentriert werden.
({22})
Frau Bulmahn, Ihr eigener Berater erkennt sehr klar,
dass Sie am Föderalismus und am Kirchturmsdenken
scheitern und offensichtlich nicht in der Lage sind, das
zu tun, was in allen Ländern der Welt umgesetzt wird,
nämlich Konzentration auf das Wichtigste in der Forschungslandschaft. Sie zersplittern sich und kleckern
statt zu klotzen.
({23})
Lassen Sie mich noch zu einigen anderen Themen
Stellung nehmen. Nicht nur bei der Forschung sind wir
nicht dort, wo wir eigentlich sein müssten. Sie sind bei
den Bildungsstandards ausgebremst worden. Sie haben
uns eben erzählt, Sie würden im Hochschulbau Gewaltiges leisten. Frau Bulmahn, noch immer steht in Ihrer
mittelfristigen Finanzplanung, dass Sie die Mittel hierfür
auf 750 Millionen Euro senken wollen. Dazu habe ich
von Ihnen nichts Gegenteiliges gehört. Dazu müssen Sie
sich äußern.
({24})
Lassen Sie mich also zusammenfassen: Ihr Haushalt
steht auf tönernen Füßen. Ihre Mittelverteilung lässt
keine Vision erkennen. Ihre Reformvorhaben stagnieren,
sind blockiert oder kränkeln.
Obwohl Sie es nicht mehr hören können, Frau
Bulmahn, will ich von Ihnen endlich einen Wissenschaftstarifvertrag. Ich will die wettbewerbliche Orientierung der Forschungsförderung. Ich will eine Patentverwertung, die wirklich funktioniert. Ich will die
Umsetzung der Biopatentrichtlinie. Sie können sicher
sein, dass daran, ob wir das schaffen, unser Forschungsstandort gemessen wird. Sie aber schaffen es nicht.
({25})
Frau Bulmahn, Sie kämpfen sehr oft einsam und zu
leise. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich der
Kollegin Reiche anschließen, die gefragt hat: Wo war
denn die Forschungsministerin, als es um das Gentechnikgesetz ging? Wo waren Sie denn, als die Wissenschaftler in Deutschland - noch vor wenigen Tagen - erklärt haben, dieser Forschungsstandort ist dank Herrn
Fell und seinen Kollegen tot? Forschung in der grünen
Gentechnik wird nicht mehr stattfinden.
Wo waren Sie denn, als Herr Clement gestern an dieser Stelle erklärt hat, er wolle die Stammzellforschung
wieder aktivieren? So etwas erwarte ich nicht vom Wirtschaftsminister, sondern von Ihnen, Frau Bulmahn.
({26})
Wir befinden uns inzwischen in der Situation, dass jeder
zweite Stammzellforscher dieses Land zu verlassen beabsichtigt. Ein Forscher in Köln hat gesagt: Ich will
gerne weiterforschen, aber die Gesetzgebung hindert
mich daran.
({27})
Diese Beispielliste ließe sich unbegrenzt fortsetzen,
Frau Bulmahn. Bei Ihnen läuft es immer folgendermaßen ab: ein großer medialer Auftakt, gefolgt von Unentschlossenheit und Blockade aus den eigenen Reihen. Auf
diese Weise kommen wir einfach nicht weiter und wissen nicht mehr, wie es vorwärts gehen soll. Gleichzeitig
leben wir in einer Welt - mehrere Kollegen waren mit
mir vor einigen Wochen in China - mit Regionen, in denen es steil nach oben geht. Schauen Sie sich zum Beispiel in Singapur das Stammzellzentrum an! Schauen Sie
sich die Technologiezentren in den chinesischen Vorstädten an! Diese 40 riesigen Technologiezentren sind so
groß wie bei uns ganze Städte. Das ist unsere Konkurrenz, Frau Bulmahn, nicht der Kleckerkram, den Sie uns
hier vorgetragen haben.
In diesem Zusammenhang - daran setzen wir als Liberale an; das möchte ich betonen - kann man nicht nur
von diesem Haushalt sprechen. Wenn wir von Innovationspolitik reden, müssen wir die Politik aller Ressorts
im Blick haben. Frau Bulmahn, wir haben uns sehr kritisch Ihre Kollegen angeschaut. Was sehen wir da?
Große Ankündigungen von Ihrer Seite, gleichzeitig verzeichnet die Leibniz-Gemeinschaft bei den Mitteln vom
Bundeskanzleramt, vom Außenminister und von Frau
Künast ein Minus von über 1 Million Euro.
Der DAAD, die Nachwuchswissenschaftlerförderung,
die Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen
Wissenschaftlern und die Goethe-Institute haben ein Minus von 5 Millionen Euro bei den Geldern aus dem
Hause von Herrn Fischer zu verkraften. Frau Künast hat
offensichtlich völlig die Lust an der Forschung verloren.
Sie spart bei Forschungsinstituten 12 Millionen Euro.
Herr Clement, der Oberinnovator, haut der Mittelstandsforschung die Beine weg. Dort gibt es ein Minus von
47 Millionen Euro.
({28})
Das Ganze wird von Herrn Struck gekrönt, der in Zeiten
höchster Unsicherheit und Befürchtungen in der Bevölkerung 50 Millionen Euro im Forschungshaushalt spart.
Erstaunlich!
Das ist keine Innovationspolitik. Das ist nicht das Jahr
der Innovation. Das ist ein Gekleckere, wie wir es seit
vielen Jahren haben. Sie, Frau Bulmahn, spielen dabei
leider nicht die tragende Rolle, die wir uns gewünscht
hätten. Ihre Rolle ist in den letzten Monaten zunehmend
tragisch geworden. An uns soll es nicht liegen. Wir würden Ihnen, Frau Bulmahn, gerne helfen und wir werden
uns bei den Haushaltsberatungen weiter darauf konzentrieren. Ich befürchte allerdings das Schlimmste, nämlich dass wir bis zum Jahr 2006 keine Wende erleben
werden.
Herzlichen Dank.
({29})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Wicklein von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Reiche,
({0})
ich muss mich zu Ihrem Ton und der Art und Weise Ihres
Vortrages äußern.
({1})
Ich wurde durch Ihren Tonfall ein bisschen an die DDRFahnenappelle erinnert.
({2})
Dieser Ton in diesem Haus bringt uns und Deutschland
nicht weiter. Dieses Schlechtreden ist destruktiv.
({3})
Wir sollten gemeinsam handeln, um die Probleme im
Land zu lösen.
({4})
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten
notwendige und gewiss auch schwierige Reformen der
sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes auf
den Weg gebracht. Doch auch beim Ausbau von Wissenschaft und Forschung werden wichtige Weichen gestellt,
die über die Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und des
Arbeitsmarktes mit entscheiden werden. Verstärkt in Bildung, Wissenschaft und Forschung zu investieren ist die
andere Seite der Agenda 2010. Damit bestimmen wir die
Zukunft unseres Landes.
Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik gehören zusammen. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands
wird zukünftig nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich
auf leistungsfähige Hochschulen und Forschungsinstitute stützt und auf Innovationen setzt.
({5})
Gerade in Ostdeutschland haben Wissenschaftseinrichtungen einen entscheidenden Anteil an der Infrastruktur
und auch am Wirtschaftsaufbau, wie man es zum Beispiel in Sachsen, aber auch in den Regionen Berlin und
Brandenburg sehen kann. Sie sind und bleiben aus meiner Sicht ein wichtiges oder vielleicht sogar das wichtigste Instrument, um Strukturdefizite in Ostdeutschland
auszugleichen.
({6})
Doch ohne Bildung keine Forschung. Deshalb müssen
wir verstärkt in die Köpfe der Menschen investieren. Dabei sind vor allem die Länder gefragt, aber auch die Unternehmen; denn zum Weg in die moderne Wissensgesellschaft gibt es für unser Land keine Alternative. Das
findet seinen Ausdruck auch im Haushalt für Bildung
und Forschung. Trotz der außerordentlich schwierigen
Haushaltssituation haben wir den Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nochmals um
202 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu kommen noch
BAföG mit etwa 445 Millionen Euro sowie das Ganztagsschulprogramm mit 1 Milliarde Euro.
({7})
Natürlich sind noch enorme Kraftanstrengungen erforderlich, damit wir das ehrgeizige Ziel erreichen, die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf
3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen.
({8})
10 Milliarden Euro mehr als bisher müssten Staat und
Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufbringen.
Lassen Sie uns gemeinsam an diesem wichtigen Ziel arbeiten!
Für uns ist der Weg klar abgesteckt.
Leider sehe ich Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, weit davon entfernt und das will ich an einigen Beispielen deutlich machen:
Mein erstes Beispiel ist Ihr Existenzgrundlagengesetz. Darin schlagen Sie die Förderung und die Einführung eines Niedriglohnsektors vor und wollen - ich
zitiere - „Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor nach
Deutschland zurückholen“. Unabhängig davon, dass
diese Pläne schlichtweg wirtschafts- und sozialpolitischer Unfug sind,
({9})
unabhängig davon, dass Sie damit ein Lohnsenkungsprogramm für ganz Deutschland anstreben, haben Sie
auf jeden Fall eines nicht verstanden und das sollten die
Menschen in unserem Land wissen: Unser Land wird im
weltweiten Wettbewerb nicht als Niedriglohnland bestehen können,
({10}),
sondern nur als Standort für Wissenschaft, Forschung
und innovative Technologien.
({11})
Unser Plus sind die Ideen und die kreativen Köpfe.
({12})
Wir brauchen ein Klima, in dem Ideen befördert werden
und die Experimentierfreude des Einzelnen von Kindheit
an unterstützt wird. Daran müssen wir arbeiten und darin
werden wir investieren.
Ich muss in diesem Zusammenhang noch einmal auf
die Sparpläne von Edmund Stoiber zurückkommen,
der die Ausgaben im Bundeshaushalt durchweg um
5 Prozent kürzen will. Ich frage Sie, ob Sie zu den Folgen dieser Vorschläge stehen, gerade im Bereich von
Bildung und Forschung? Ich habe Ihre Rotstiftpolitik auf
diesen Haushalt umgerechnet: Über 420 Millionen Euro
Einsparungen bedeuten 20 Prozent weniger für Hochschulen, Wissenschaft und Ausbildungsförderung. Wie
wollen Sie das den Studierenden und den Wissenschaftlern erklären? Wollen Sie künftig nicht nur die Studiengebühren erheben, sondern bei den bedürftigen Studierenden auch noch das BAföG kürzen? Sagen Sie den
Menschen in unserem Land, was diese Kürzungsvorschläge konkret bedeuten würden.
({13})
Wir brauchen das Gegenteil. Wir brauchen Investitionen
in diesen Bereichen.
Dass notwendiges Sparen nicht zulasten von Bildung
und Forschung gehen muss, haben wir mit unseren Vorschlägen im Haushaltssicherungsgesetz und im Steuervergünstigungsabbaugesetz bewiesen. Wenn Sie diese
Gesetze im Bundesrat nicht blockiert hätten, wäre ein
Sparvolumen von 17,5 Milliarden Euro zusammengekommen; so waren mit der Union nur 2,5 Milliarden
Euro möglich.
Damit bin ich schon bei meinem dritten Beispiel, der
Eigenheimzulage. Es ist paradox, dass wir sowohl den
Bau von neuem Wohnraum als auch den Rückbau von zu
viel Wohnraum fördern. Wir müssen uns doch ernsthaft
die Frage stellen: Ist es nicht sinnvoller, in Bildung und
Innovation zu investieren als in Beton?
({14})
Wir haben diese Frage ganz klar mit Ja beantwortet. Wir
wollen allein im Jahr 2005 63 Millionen Euro aus der Eigenheimzulage für dringend erforderliche Investitionen
bei Bildung und Forschung verwenden.
({15})
Doch dazu brauchen wir die Zustimmung der Union. Ich
fordere Sie an dieser Stelle auf: Lenken Sie ein! Unterstützen Sie die Investitionen und Innovationen, die Arbeitsplätze für unser Land schaffen!
({16})
Liegt unsere Zukunft nicht eher in der engen Kooperation zwischen Unternehmen, Hochschulen und
Forschungseinrichtungen, wo neue und innovative
Verfahren, Produkte und Dienstleistungen entwickelt
und umgesetzt werden? Auch im nächsten Jahr werden
wir mit 90 Millionen Euro diese regionalen Netzwerke
fördern. Das sind die Keimzellen für Unternehmensansiedlungen und Unternehmensgründungen.
({17})
Jedes Jahr machen sich allein aus den Fraunhofer-Instituten mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
selbstständig. Wir Politikerinnen und Politiker haben die
Aufgabe und die Verantwortung, dafür entsprechende
Rahmenbedingungen zu setzen.
({18})
Erst kürzlich war ich im Wissenschaftspark Golm in
Potsdam, nur zehn Minuten von Sanssouci entfernt. Mit
der Universität Potsdam, den Max-Planck- und den
Fraunhofer-Instituten entwickelt sich dort einer der modernsten Wissenschafts- und Forschungsstandorte der
Region. Golm steht heute für Studieren und Forschen sowie zukünftig auch für Gründen. Der Spatenstich für ein
neues Technologiezentrum ist vor einigen Tagen erfolgt.
Diese Beispiele zeigen: Nicht 5-prozentige Kürzungen - so der Vorschlag aus Bayern - oder das sture Festhalten an der Eigenheimzulage, sondern die aktive Unterstützung von wissenschaftlichen Netzwerken schafft
Arbeitsplätze und damit Perspektiven.
({19})
Dafür lohnt es sich, Starthilfe zu geben. Die Initiative
„Unternehmen Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verfolgt genau dieses Ziel und unterstützt damit insbesondere die Entwicklung in Ostdeutschland.
Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen. Derzeit
steht im Rahmen der Debatte über eine Föderalismusreform auch die Mischfinanzierung von Bund und Ländern auf der Tagesordnung.
({20})
Wir, die Bildungs- und Forschungspolitiker der SPD,
halten an der gemeinsamen Verantwortung von Bund
und Ländern bei der Finanzierung der Forschung und
des Hochschulbaus fest. Wir sagen Nein zur Kleinstaaterei im Hochschulwesen.
({21})
Alle Bundesländer, auch die unionsgeführten, müssten
ein vitales Interesse daran haben, dass wir bundesweit
international wettbewerbsfähige Bedingungen an unseren Hochschulen haben. Wir brauchen auch zukünftig
für die Hochschulen eine Mitverantwortung des Bundes.
Wie schon im vergangenen Jahr werden wir auch
2005 insgesamt 925 Millionen Euro allein für den Hochschulbau zur Verfügung stellen.
({22})
Wenn es darum geht, diesen Bereich in die Hände der
Bundesländer zu geben, dann sollte auch auf die Folgen
für die finanzschwachen Bundesländer hingewiesen
werden, für die die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ unverzichtbar ist.
({23})
Es ist doch klar:
({24})
Die Forderung - überwiegend aus der Union - nach Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben und der Mitwirkung des Bundes im Hochschulwesen schadet vor allem
den strukturschwachen Ländern und damit dem Osten.
Wissenschaft und Forschung sind in wesentlichen Teilen
nationale Aufgaben und kein Spielfeld für Kirchturmspolitik.
({25})
Das gilt vor allem für die Integrationsaufgaben nach
1990.
Mit dem Haushalt 2005 setzen wir auf verlässliche
Rahmenbedingungen und Planungssicherheit für die
Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wie von
Gerhard Schröder zugesagt, erhalten die Forschungsorganisationen 3 Prozent bzw. fast 100 Millionen Euro
mehr.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Dies bedeutet eine enorme finanzielle Kraftanstrengung.
An die Adresse der Union richte ich abschließend
noch einmal den Appell: Blockieren Sie nicht länger die
Abschaffung der Eigenheimzulage! Investieren Sie lieber in Ideen statt in Beton und Niedriglöhne! Fordern Sie
keinen Ausstieg aus der bundesstaatlichen Solidarität,
der ausschließlich auf Kosten der finanzschwachen Länder geht!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Wicklein, es ist schwer zu ertragen, wie Sie hier mit
tränenerstickter Stimme vortragen,
({0})
wie schlimm es sei, dass wir deutlich machten, wie es in
diesem Lande sei. Es kann doch nicht sein, dass Sie dieses Land in sechs Jahren Regierungsarbeit zugrunde
richten und dass wir nicht einmal beklagen dürfen, was
dabei herauskommt.
({1})
Frau Ministerin, auch Sie haben gesagt, dass unser
Land leistungsfähig ist.
({2})
Jawohl, die Menschen in unserem Land sind leistungsfähig, aber nicht wegen Ihrer Leistung, sondern trotz der
Tatsache, dass Sie sie seit sechs Jahren mit Ihrer missratenen Politik, die für unser Land völlig ungeeignet ist,
kujonieren und traktieren.
({3})
- Das ist ja eine Unruhe hier! Sie werden noch mehr Anlass zur Unruhe haben. Ich freue mich schon auf die Zurufe von Herrn Tauss, die an Lautstärke kaum zu übertreffen sind, zumeist aber an Inhaltsschwere.
Ich möchte mit einer Bemerkung zu Ihnen, Frau Ministerin, fortfahren. Es fehlt wirklich an Visionen und
Leitbildern. Man hat den Eindruck, dass Lissabon und
Bologna genau wie Maastricht für Sie zwar wohlklingende Namen europäischer Städte sind, aber sonst keine
Bedeutung haben. Sie kümmern sich nicht um das, was
Ihres Amtes wäre. Wir werden auch in diesem Jahr bei
den Beratungen des Haushaltsplanes in Bezug auf den
Einzelplan 30 feststellen müssen, dass wir die Chance
gehabt hätten, Zeichen für eine wirkliche Innovationsoffensive im Bereich Forschung und Bildung und für die
Förderung von Schlüsseltechnologien zu setzen. Zusammengefasst: Wir hätten die Chance gehabt, Zeichen für
einen Forschungsstandort Deutschland, für einen Wissenschaftsstandort Deutschland und für einen Wirtschaftsstandort Deutschland zu setzen. Aber wie nach
den Erfahrungen der Vorjahre nicht anders zu erwarten
war, beinhaltet dieser Haushaltsplanentwurf wiederum
Luftbuchungen, Wunschvorstellungen, das Setzen von
ideologischen Schwerpunkten, aber nicht das, was man
von einem seriösen Haushaltsplanentwurf erwartet.
({4})
Das geht - es ist vorhin angesprochen worden; deshalb fokussieren Sie so darauf, Frau Wicklein - in den
Vorbemerkungen auf Seite 3 los. Da steht nämlich der
Haushaltsvermerk - das ist eine der größten Rosstäuschungen in diesem Haushalt -, dass Ausgaben in Höhe
von 63 Millionen Euro gesperrt sind. Sie sind gesperrt,
weil sie durch die Abschaffung der Eigenheimzulage
erst erwirtschaftet werden sollen. Sie machen einen solchen Haushaltsvermerk, obwohl Sie die Auseinandersetzungen des letzten Jahres erlebt haben und obwohl Sie
genau wissen, dass wir dem weder im Bundestag noch
im Bundesrat zustimmen werden. Sie täuschen also bewusst vor, 63 Millionen Euro zu haben. Diese
63 Millionen Euro stehen von vornherein nicht zur Verfügung.
({5})
Sie spielen hier ein unwürdiges Schwarzer-Peter-Spiel
und täuschen der Öffentlichkeit Mittel vor, die Sie in
Wirklichkeit nicht haben.
Hinzu kommt - um beim Haushaltstechnischen zu
bleiben -, dass Sie nach wie vor, also auch in diesem
Jahr wieder, die globale Minderausgabe mit
145 Millionen Euro viel zu hoch ansetzen. Sie wissen,
dass diese um mindestens 45 Millionen Euro zu hoch
ausfällt. Das lässt sich leicht ausrechnen. - Wenn man
die 63 Millionen Euro und die 45 Millionen Euro zusammenrechnet, dann sind wir schon bei 108 Millionen
Euro, die fehlen. Zu dem Fehlen von 108 Millionen Euro
in nur zwei Positionen des Einzelplans 30 sage ich noch
einmal bewusst: Das ist eine Täuschung.
Außerdem lässt der Bundesfinanzminister noch nicht
die Katze aus dem Sack, was die Frage angeht, welche
weitere globale Minderausgabe er den einzelnen Ressorts wegen der nicht gedeckten Finanzmittel zur Umsetzung von Hartz IV verordnen wird.
({6})
Nimmt man die globale Minderausgabe Rente vom
letzten Jahr als Maßstab, so dürfte man bei mindestens
50 Millionen Euro, vielleicht aber auch beim Doppelten
landen. Rechnen wir einmal mit 50 Millionen Euro, damit es nicht ganz so schlimm wird für Sie, Frau Ministerin.
Meine Damen und Herren der Regierungskoalition,
Sie haben sich schon bei meinen ersten Einlassungen, als
ich von Täuschung sprach, so aufgeplustert. Wie soll
man es denn anders nennen, wenn bei einem realen Aufwuchs des Plafonds um 200 Millionen Euro im
Einzelplan 30 schon 150 Millionen Euro in der Wirklichkeit dieses Landes gar nicht vorhanden sind?
({7})
Ich wiederhole: Die globale Minderausgabe fällt um
45 Millionen Euro zu hoch aus. 63 Millionen Euro sollen aufgrund des Wegfalls der Eigenheimzulage mehr
zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die globale Minderausgabe Hartz IV mit 50 Millionen Euro.
Dabei bleiben wir aber nicht stehen; denn es geht
noch weiter. Das Meister-BAföG wurde - Frau Flach
hat es angesprochen - mit einem Volumen von 47 Millionen Euro vom Wirtschaftsministerium auf den Einzelplan 30 übertragen, damit aber natürlich auch die Auszahlungsverpflichtungen. - Wer in der Grundschule
ordentlich aufgepasst hat und die richtige Summe zu bilden weiß, der erkennt: Damit sind wir bei 200 Millionen
Euro und damit ist der ganze Aufwuchs verfrühstückt.
Was legen Sie uns hier eigentlich vor, Frau Ministerin,
Herr Finanzminister? Das ist nun wirklich eine Täuschung der Öffentlichkeit. Sie tun so als ob; aber in
Wirklichkeit spielt sich in diesem Einzelplan nichts ab.
Wir können noch ein bisschen weitergehen. Dabei
sind noch nicht so zukunftsträchtige Ausgaben wie
17,7 Millionen Euro Aufwuchs für die Sanierung der
Kreuzbauten in Bonn berücksichtigt.
({8})
Sie können nichts dafür. Dennoch berechnen Sie das mit.
Für alte Bürogebäude müssen Mittel aufgewendet werden. Gleichzeitig müssen wir uns sagen lassen, dass damit die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht
werden. Das darf ja wohl nicht wahr sein.
({9})
Frau Ministerin, zu dem, was Sie uns hier vorlegen,
sage ich: Kosmetik, Perspektivlosigkeit und Rosstäuscherei. Sie sind gescheitert. Frau Ministerin, Sie bringen es nicht fertig, Forschung und Wissenschaft auch im
Haushalt in den Vordergrund zu rücken, obwohl der
Kanzler jeden zweiten Satz mit diesem Thema beginnt.
({10})
Auch diese stolz angekündigte Erhöhung um
2,8 Prozent bei der Projektförderung sollten wir einmal
etwas näher unter die Lupe nehmen, weil auch sie
schlichtweg schöngerechnet ist. Bei einer Erhöhung um
2,8 Prozent reden wir von ungefähr 61 Millionen Euro
Aufwuchs. Sie müssen sich im Vergleich dazu noch einmal das Volumen der globalen Minderausgaben vor Augen führen und einräumen, was wir alle miteinander wissen, nämlich dass vor allem in dem Bereich die globale
Minderausgabe erwirtschaftet werden muss.
({11})
Damit relativiert sich diese Zahl schon sehr.
Sie müssen darüber hinaus einrechnen - Herr Fell, damit komme ich auf das Thema zurück, das Sie schon angesprochen haben, sogar zu Recht -, dass für Stilllegung
und Rückbau kerntechnischer Anlagen 77 Millionen
Euro ausgegeben werden sollen. Das ist zwar ein
3006er-Titel, aber das ist nun nichts, was wir besonders
zukunftsträchtig und innovativ finden.
({12})
- Herr Fell, für Sie noch ein Hinweis: Sie fahren doch
wegen der Ergebnisse der PISA-Studie so gern nach
Finnland. Hat es vielleicht etwas mit dem Abschneiden
der Finnen in der PISA-Studie zu tun, dass sie jetzt neue
Kernkraftwerke bauen? Denken Sie einmal darüber
nach!
({13})
Ich war beim Thema Projektfördermittel. Auch hier
gilt, Herr Fell: Wenn Sie nicht blockieren würden, wenn
die Bundesregierung endlich ein Endlagerkonzept vorstellen würde, dann brauchten wir zumindest die
25 Millionen Euro für die Endlagerung nicht im Forschungshaushalt bereitzustellen; dann würde das aus einem anderen Haushalt finanziert. Aber das nur am
Rande, weil wir hier in der Fachdebatte über den Einzelplan sind. Ich weiß, dass das im Ganzen nichts ändern
würde.
Sie sehen also, meine Damen und Herren: Nicht nur
die 200 Millionen Gesamtaufwuchs des Plafonds, sondern auch die 61 Millionen vermeintlicher Aufwuchs in
der Projektförderung sind schlichtweg Luftbuchungen,
Täuschungen, Verschleierungen, Schönrechnereien und
kommen in der Wirklichkeit unseres Landes nicht an.
Frau Ministerin, ich möchte mich abwenden von - ({14})
- Ach, Herr Tauss. Was das Schaudern anbelangt, will
ich Ihnen eines sagen: Ich habe mir vorhin die Rednerliste angeguckt und mit Freude festgestellt, dass Sie ganz
zum Schluss 15 Minuten haben. Da kann man eine Viertelstunde früher gehen, ohne in dieser Debatte etwas zu
verpassen.
({15})
Ich will Ihnen sagen, was wir als Union dagegenstellen. Wir in der Union stehen eindeutig für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.
({16})
Deswegen wird es mit uns diese Fantasiezahl von
63 Millionen Euro nicht geben. Wir werden beantragen,
die globale Minderausgabe auf ein realistisches Niveau
zu senken. Wir werden mit unseren Anträgen eine
Schwerpunktsetzung anstreben, die den Namen Innovationsoffensive, also Voranbringen des Bereichs Forschung und Bildung sowie Steigerung der Investitionen,
tatsächlich verdient hat.
Mit der Union wird nicht in den neuen Bundesländern
gestrichen. Die Union wird streichen, aber in Ihren Ideologietiteln, in den Titeln für Öffentlichkeitsarbeit, Selbstdarstellung, Selbstbeweihräucherung und in den Titeln,
mit denen Sie Projekte fördern, um Ihre gewerkschaftsnahen Institute sponsern und Ihre emanzipatorischen
Phantasien ausleben zu können.
({17})
Wir werden uns alle Projektlisten anschauen und kürzen,
was das Zeug hält, soweit das notwendig ist.
({18})
Das Geld muss in unserem Land zielgerichtet ausgegeben werden und darf nicht für irgendeine Form von Forschung verwendet werden, die wir für nicht zukunftsträchtig halten.
Die Union wird einen Aufwuchs der Ausgaben um
insgesamt 400 Millionen Euro vorschlagen. Wir werden
beantragen, den Plafond um 300 Millionen Euro aufzustocken und 100 Millionen Euro an Einsparungen durch
Streichungen zu erzielen.
({19})
Wir werden vorschlagen, dieses tatsächlich vorhandene
Geld im Einzelplan 30 richtungsweisend für die Zukunft
Deutschlands einzusetzen. Dies wird über den Gesamthaushalt eingespart werden; denn auch da wird eine
Schwerpunktsetzung stattfinden. CDU und CSU werden
die Bereiche Forschung und Bildung sowie Verkehr besser dotieren. Das bedeutet eine tatsächliche Stärkung
des Standorts Deutschland. Die Union wird tatsächlich
etwas für die Hochschulen tun. Sie redet nicht nur von
Spitzenuniversitäten,
({20})
sondern sie wird den Ansatz für den Hochschulbau wieder auf die Höhe des Jahres 2003 bringen, um den Hochschulen die Möglichkeit zu geben, tatsächlich leistungsfähig zu sein. Sie sollen nicht gezwungen sein, sich am
Rande des Existenzminimums, des gerade noch Machbaren zu bewegen.
({21})
- Herr Tauss, Sie rufen dazwischen: Warum nicht 1998?
Soll ich jetzt entgegnen: Warum nicht 1948?
({22})
Sie regieren seit sechs Jahren in diesem Land. Gewöhnen Sie sich langsam einmal daran, dass man nicht
gleichzeitig regieren und immer auf die Opposition zeigen kann. Sie sind sechs Jahre dran. Sie werden keine
16 Jahre erleben, weil in zwei Jahren Schluss ist mit dem
Zauber. Trotzdem können Sie nicht ständig mit den Fingern in die Vergangenheit zeigen und sagen: Ihr habt da
das und das gemacht. Das ist unseriös.
({23})
Wir werden im Kapitel 3006 circa 100 Millionen in
die entsprechenden Titel für Projektförderung geben, um
Schlüsseltechnologien wie Biotechnologie, Nanotechnologie und nationale Raumfahrt zu fördern. Damit werden wir Chancen für die Zukunft ergreifen. Hier können
Arbeitsplätze entstehen. Hier können grundlegende Innovationen durch Forschungen erzielt werden, die neue
Märkte eröffnen und unserem Land neue Zukunftschancen geben. Denn wenn wir es nicht schaffen, überall
wieder Spitze zu sein, werden wir es als Hochlohnland,
als Hochkostenland und als Land mit kurzer Arbeitszeit
nicht schaffen, den Standard, den wir heute haben, für
unsere Kinder und Kindeskinder zu sichern.
Frau Ministerin, an Ihre Adresse möchte ich noch einmal sagen: Die Steigerung der Ansätze einiger Titel um
3 Prozent ist weiß Gott nicht die großmütig angekündigte Innovationsoffensive des Herrn Bundeskanzlers.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie müssten Ihren Kanzler
beim Wort nehmen und eine solide Umsetzung seiner
Ankündigungen in harte Budgetzahlen einfordern. Stattdessen schauen Sie den Luftballons Ihres Kanzlers, die
er ein ums andere Mal aufbläst, sehnsüchtig hinterher,
wenn er sie aufsteigen lässt und sie sich dann im Nichts
verflüchtigen.
({24})
Interessant ist, was zur Qualifizierung Ihrer Leistungen in diesem Kabinett seit sechs Jahren die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am 1. August dieses
Jahres geschrieben hat.
({25})
Dort steht:
Edelgard Bulmahns politischer Erfolg besteht darin,
sich als wenig bekannte, wenig erfolgreiche Ministerin gleichwohl in Regierung und Partei zu behaupten.
Das mag Ihnen genügen, uns ist es zu wenig, Frau Ministerin.
({26})
Ich komme zum Schluss.
({27})
Die Union ist es, die für den Einzelplan 30 und damit für
die Entwicklung der ganzen Bundesrepublik Deutschland Perspektiven aufweist, die die richtigen Schwerpunkte setzt und somit unser Land aus der von Rot-Grün
verschuldeten Depression hinausführt.
({28})
Ich möchte meine Rede ähnlich wie meine letztjährige
Haushaltsrede schließen:
({29})
Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister, Frau
Ressortministerin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, Sie können es nicht. Machen Sie Platz für einen neuen Anfang für unser Vaterland!
Danke sehr.
({30})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske
vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mir erst überlegt, ob ich ebenso wie der Kollege
Fell die Rede von Frau Reiche ignorieren soll oder ob
ich auf sie eingehen soll. Ich habe mich jetzt für Letzteres entschieden, um an einigen Beispielen wirklich einmal zu prüfen, ob Ihr Reden mit dem Handeln Ihrer Partei in Deckung zu bringen ist. Ich will das an vier
Beispielen tun.
Zunächst einmal haben Sie gefordert, diese Bundesregierung müsse mehr Geld für BAföG ausgeben, sie tue
in diesem Bereich zu wenig. Ich habe mir noch einmal
kurz die Zahlen herausgesucht. Es sieht so aus, dass im
Jahre 1998 für BAföG 780 Millionen Euro geflossen
sind. Im Jahr 2005 werden 951 Millionen Euro für
BAföG fließen
({0})
und 445 Millionen für Bildungskredite bei der KfW. Das
macht zusammen ungefähr 1,4 Milliarden.
({1})
Ich habe gelesen, dass Sie mathematisch-naturwissenschaftlich gebildet sind. Dann müssten Sie doch eigentlich wissen, dass 1,4 Milliarden doppelt so viel sind wie
700 Millionen.
({2})
Das hat auch nichts mit einem Blick zurück zu tun. Ich
richte damit den Blick nach vorne.
Der zweite Punkt: Sie sagen, man müsse mehr in Zukunft investieren und dürfe nicht mehr Geld in alte
Strukturen stecken. Fakt ist, dass Sie bei den Haushaltsberatungen 2004 eine Verweigerungshaltung an den Tag
gelegt haben. Wir wollten die Eigenheimzulage abschaffen, Sie haben gesagt: Nein, sie muss bleiben. Wir wollten die Pendlerpauschale kürzen, Sie haben gesagt: Nein,
sie muss bleiben. Den Agrardiesel hatte die Koalition bereits herausgenommen, aber Sie haben gesagt, er müsse
drinbleiben. Das heißt, Sie reden von Zukunftsinvestitionen, sperren sich aber gegen Subventionsabbau und betreiben Lobbyismus. Das ist vorne und hinten unglaubwürdig.
({3})
Dritter Punkt. Sie sprechen - das habe ich in Ihrem
„FAZ“-Beitrag gelesen - von der Autonomie der Hochschule und sagen, dass man die Universitäten nicht in
ökonomischer Hinsicht verzwecken solle. In der Sache
stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Aber schauen wir
einmal, wie es da aussieht, wo Ihre Partei Verantwortung
hat, zum Beispiel in Hamburg. In Hamburg wird gerade
vom zuständigen Wissenschaftssenator - es ist ja ein
CDU-geführter Senat - vorgeschlagen, die Geisteswissenschaften zu halbieren.
({4})
Ich habe hier einen wunderbaren Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die eben schon einmal zitiert wurde, vom 31. August. Dort schreibt Richard
Rorty, ein bekannter Kulturwissenschaftler, der in Hamburg einige Zeit als Gastwissenschaftler war, in einem
Essay - ich nehme an, viele von Ihnen haben ihn gelesen -:
Den Bericht über die geplante Halbierung der Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg …
lese ich mit Verwunderung und Entsetzen. Es ist
kaum zu fassen, daß derart weitreichende Entscheidungen, durch die Wesen und Funktion einer bedeutenden Universität substantiell geändert werden,
den betroffenen Fakultäten einfach von oben in
Form einer politischen Direktive durchgestellt werden.
Das ist Ihre Form von Autonomie!
({5})
Das ist verlogen wie sonst was; das muss man ganz klar
sagen.
Viertes und letztes Beispiel - dann komme ich zu
meiner eigentlichen Rede -: Stammzellforschung. Sie
stellen sich hier hin und tun so, als seien die Beschlüsse
des Bundestages bzw. die Regierung das zentrale
Hemmnis für das Vorankommen Deutschlands im Bereich der Bioforschung.
({6})
Das passt vorne und hinten nicht zusammen. Einige unter Ihnen, wie Sie, wollen bei der embryonalen Stammzellforschung den Weg sozusagen komplett freimachen,
andere sind der Meinung, man brauche hohe moralische,
restriktive Standards. Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, dass Sie sozusagen mit Reiche und Böhmer für und
gegen embryonale Stammzellforschung plädieren. Sie
müssen sich schon entscheiden.
({7})
Vor allem lassen wir Ihnen nicht durchgehen, dass Sie
hier mit einer besserwisserischen Attitüde auftreten und
mit einer unglaublichen Arroganz den Finger in jede
Wunde legen, aber die eigenen Defizite nicht beim Namen nennen.
({8})
Jetzt zum Haushalt. Schön, dass Herr Eichel da ist.
Für uns lautet die Devise: Wir müssen die Subventionen
weiter senken, um Mittel in Bildung, Forschung, Innovationen und Familie umschichten zu können.
({9})
Das ist unser Ansatz; es wurde bereits mehrfach gesagt.
Wir hoffen, dass die Union da mitmacht. Ich bin nicht so
pessimistisch, Frau Flach, zu sagen, dass die Union die
Streichung der Eigenheimzulage ganz sicher nicht mitträgt; denn Gott sei Dank haben ja auch die Ministerpräsidenten bestimmte Interessen. Wir werden sehen.
({10})
Was den Haushalt selber anbetrifft, ist schon einiges
gesagt worden. In vielen Zukunftsbereichen - Softwaretechnik, Mikrosystemtechnik, Nanoelektronik, Nanomaterialien, Produktionssysteme, optische Technologien,
auch im Bereich Energieforschung und nachwachsende
Rohstoffe - ist ein Aufwuchs zu verzeichnen, was sicherlich sehr positiv ist. Wir müssen allerdings kritisch
sehen und im Verfahren prüfen, ob es wirklich vernünftig ist, im Bereich der Mobilitäts- und Bauforschung
so stark zu kürzen; denn das sind genau die beiden Bereiche, in denen die größten CO2-Minderungspotenziale
liegen - Stichwort: Klimaschutz ({11})
und in denen aufgrund der demographischen Entwicklung große Veränderungen anstehen. Da besteht Forschungsbedarf. Das müssen wir im Laufe des Verfahrens
prüfen und deshalb möchte ich die Kürzungen mit einem
Fragezeichen versehen.
Im Zusammenhang mit der Biotechnologie möchte
ich zwei Punkte ansprechen. Ich glaube, dass es falsch
ist, bei der Bionik, also bei der Frage, was wir von der
Natur lernen können, beispielsweise für den Flugzeugbau, für Oberflächenbeschichtung usw., so stark zu kürzen, wie es hier vorgesehen ist. Dieses zarte Pflänzchen
sollten wir eher gießen, als es herauszurupfen.
({12})
Deshalb glaube ich, da müssen wir noch nachlegen.
Für die bioethische Begleitforschung sind jetzt die
5 Prozent der Mittel für die gesamte Biotechnologieforschung vorgesehen, von denen wir meinen, dass sie für
diesen Bereich reserviert werden müssen. Aber ich sehe
mit einer gewissen Skepsis, dass daraus voll der Nationale Ethikrat finanziert werden soll. Den Nationalen
Ethikrat kann man so oder so sehen, Frau Flach; wir sehen ihn vielleicht nicht beide gleich. Aber die Frage ist,
ob er unter die bioethische Begleitforschung fällt. Wenn
2,14 Millionen Euro aus diesem Topf an den Nationalen
Ethikrat gehen,
({13})
dann muss man auch sehen, dass die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages nur 153 000 Euro zur
Verfügung gestellt bekommt. Ich glaube, das ist ein
Missverhältnis; darüber müssen wir noch einmal reden.
({14})
Was die Nanotechnologie betrifft, muss man sagen,
dass es sich um eine vielversprechende Technologie in
der Zukunft handelt. Das ist keine Frage. Aber wir müssen bei dieser Nanotechnologie auch eine Begleitforschung durchführen. Diesbezüglich stehen wir noch sehr
am Anfang. Wir müssen vor allen Dingen sicherstellen,
dass bei dieser Technologie die Vorsorge beachtet und
das Verursacherprinzip berücksichtigt wird. Es macht
keinen Sinn, denjenigen Glauben zu schenken, die meinen, demnächst würden Nanoroboter die Weltherrschaft
übernehmen. Aber es gibt viele offene Fragen bei der
Nanotechnologie hinsichtlich der Gesundheit und der
Bioethik. Deswegen brauchen wir auch im Bereich der
Nanotechnologie, wie gesagt, eine entsprechende Begleitforschung. Das ist ganz wichtig.
({15})
Was die strukturellen Rahmenbedingungen betrifft,
möchte ich Folgendes sagen. Über die Juniorprofessur
wurde nur kurz gesprochen. Wir alle fragen uns, ob die
Ausstattung ausreicht, ob das Lehrdeputat nicht zu hoch
ist und ob sich der Doppelcharakter Qualifizierung und
gleichzeitig Vollprofessur durchsetzt. Ich habe mit großem Interesse in der „Zeit“ gelesen, dass diejenigen, die
Juniorprofessorinnen oder Juniorprofessoren geworden
sind, Spaß daran haben und zufrieden sind.
({16})
Ihre Miesmacherei liegt also völlig daneben. Wir müssen
diesen Leuten sehr schnell eine klare Perspektive geben.
Das heißt, die Länder - das gilt im Wesentlichen für die
CDU-regierten Länder - müssen die entsprechenden Regelungen sehr schnell in Landesrecht umsetzen.
Auch bei den befristeten Beschäftigungsverhältnissen
müssen wir die Hängepartie beenden. Es ist klar - das
haben wir hier schon gemeinsam mehrfach festgestellt -,
dass das Wissenschaftssystem eigene Gesetzmäßigkeiten
hat. Es braucht ein höheres Maß an Flexibilität. Deswegen ist das öffentliche Dienstrecht für den Wissenschaftsbereich auf Dauer ohnehin nicht anwendbar. Wir
brauchen einen Wissenschaftstarifvertrag. Ich möchte
die Bundesregierung, vor allem den Bundesinnenminister, noch einmal auffordern, hier endlich aktiv zu werden, dass die Sache nicht länger unerledigt bleibt.
({17})
Ich könnte noch viel zur Grünen Gentechnik sagen.
Ich bin mit meiner Redezeit aber fast am Ende. Frau
Flach, zur Stellungnahme der DFG kann ich nur sagen,
dass Klappern zum Handwerk gehört.
({18})
Wenn mit der Grünen Gentechnik wirklich die gemachten Versprechungen eingelöst werden können - Entwicklung von schädlingsresistenten und hitzetoleranten Arten, was bei einem Klimawandel wichtig ist; bessere
Lagerfähigkeit und bessere ernährungsphysiologische
Eigenschaften -, dann würde die Akzeptanz vielleicht
steigen.
({19})
Die Politik aber muss Rahmenbedingungen setzen, bei
denen das Verursacherprinzip gilt. Es kann da nur eine
vernünftige Haftungsregelung infrage kommen.
Wir müssen die Balance finden zwischen Chancen
und Risiken. Für einen Forscher ist die Strategie „No
risk, no fun“ - kein Risiko, keine Freude - die richtige
Strategie. Aber für die Politik ist es wichtig, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Freiheit des einzelnen Forschers nicht zulasten der Gesellschaft oder der
Umwelt geht. Diese Balance müssen wir aushalten. Das
schaffen wir auch.
Danke schön.
({20})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marion Seib von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir brauchen schnellstens echte Innovationen in der Wirtschaft und keine schrägen Innovationen bei der Haushaltsaufstellung. Der Einzelplan 30 des
Haushalts hätte die Aufgabe, ein Transmissionsriemen
zu sein. Sie aber haben ihn zur Handbremse für Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer gemacht.
({0})
Weil Innovationen eben nicht kommen, wenn man
nur nach ihnen ruft, gibt es viel dafür zu tun, dass sie
eine Chance erhalten. Ihnen aber reicht es offensichtlich
aus, ein „Jahr der Innovation“, ein „Jahr der Technik“
auszurufen. Ihre Haushaltsvorlage ist Pfusch durch Unvermögen.
Ich möchte an dieser Stelle einmal klarstellen: Die
von der rot-grünen Bundesregierung so oft entschuldigend vorgetragenen „handwerklichen Fehler“ als Bezeichnung für Unvermögen sind eine Beleidigung für
unsere tüchtigen Handwerker.
({1})
Ihr Haus, Frau Ministerin, hat einen Haushalt ohne
jede Rücksicht auf Strategien und unüberlegte Streichorgien anderer Häuser aufgestellt.
({2})
Einmal die Priorität falsch gesetzt ist schon schlimm genug. Aber zeitgleich in vielen Häusern die Priorität
falsch zu setzen ist eine Katastrophe.
Bildung und Forschung als Steinbruch für die Steinkohle herzunehmen scheint in dieser rot-grünen Haushaltspolitik der einzig rote Faden zu sein. Werden doch
ausgerechnet im Etat des Kanzleramtes Zuschüsse an die
Länder für die forschenden Museen mit nationaler Bedeutung wie das Deutsche Museum in München oder das
Germanische Nationalmuseum in Nürnberg gekürzt, obwohl sie zur Leibniz-Gemeinschaft gehören und anerkannte Forschungsinstitute sind.
Das Wirtschaftsministerium - Herr Finanzminister,
hören Sie zu! - legt Mittel im Rahmen des Programms
„Industrielle Gemeinschaftsforschung“ auf Eis. Bereits
getätigte unternehmerische Vorleistungen für neue innovative Produkte können nicht in die Wertschöpfungskette aufgenommen werden. Was heute nicht in den industriellen Vorlauf kommt, kann in zwei Jahren auf dem
Markt schlicht und einfach nicht erscheinen. Allein aus
einem einzigen Bereich, dem der Fügetechnik, sind
14 Vorhaben blockiert: die Plasma-MIG-Technologie für
beschichtete Stähle, das Laserstrahlschweißen für Polymere, das Hochleistungsschweißen von hochfesten Aluminiumlegierungen; diese Liste ist fortsetzbar. Durch die
Blockade der Vorhaben bei der Klebstofftechnik wird die
bisherige Erfolgsgeschichte der Klebetechnik beendet.
Wegweisende Forschungsvorhaben werden behindert
oder sogar ganz verhindert, weil betroffene Firmen den
für Forschung und Entwicklung fehlenden Finanzierungsanteil des Bundes einfach nicht überbrücken können.
Der Einzelplan 12, der Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, ist eine
Katastrophe. Zusätzlich kürzen Sie, Frau Ministerin,
beim Titel „Verkehr und Mobilität“ gut 12 Prozent der
Mittel. Dabei wäre die Bundesregierung aufgefordert,
die Bereiche Verkehr, Mobilität und moderne Infrastruktur zu fördern. Andernfalls erweist sich die Forderung
nach einem größeren Anteil an moderner Infrastruktur
dauerhaft als Illusion.
Genauso kurzsichtig wie bei den Verkehrstechnologien agieren Sie beim Titel „Bauen und Wohnen“ mit einer Etatsenkung von sage und schreibe 42 Prozent. Aufgrund der drohenden demographischen Entwicklung
sind besonders in diesem Bereich verstärkt wissenschaftliche Anstrengungen erforderlich, um in einer älter werdenden Gesellschaft adäquate Wohnbedingungen für alle
Bevölkerungsgruppen zu entwickeln.
Wenn man sich dann noch bewusst macht, wie eng
die Forschungseinrichtungen mit den Hochschulen zusammenarbeiten, wird deutlich, welcher Schaden für die
deutsche Wissenschaftslandschaft entsteht. Kluge und
gut eingearbeitete Köpfe aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Firmen und aus den universitären und außeruniversitären Instituten müssen entlassen
werden. Sie werden aber keine weitere Verwendung finden, weil alle Häuser zeitgleich und unabgestimmt kürzen. Allein mir liegen fünf Schreiben von betroffenen Instituten vor. Ich denke, Sie machen mit diesem
Programm den Weg für den weiteren Braindrain frei.
Dies ist nichts anderes als ein grandioses Programm zur
Know-how-Vernichtung in Deutschland - und dies vor
dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs um
die besten Köpfe.
In dieser Situation kürzen Sie, Frau Ministerin, die
Mittel zur Steigerung der Attraktivität des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland im Ausland um 3,5 Millionen Euro. Auch bei der Durchsetzung
der Ziele des Bologna-Prozesses wurden die Prioritäten
nicht richtig gesetzt. Zwar räumte die Bundesregierung
auf der Bologna-Nachfolgekonferenz 2003 hier in Berlin
den Hochschulen bei der Schaffung eines gemeinsamen
europäischen Hochschul- und Wissenschaftsraums eine
Schlüsselrolle ein; doch der vorliegende Haushaltsentwurf spiegelt diese Schlüsselfunktion der deutschen
Hochschulen in keiner Weise wider. Für die nationale
Umsetzung des Bologna-Prozesses stehen im Vergleich
zum letzten Jahr 37 Prozent weniger Mittel zur Verfügung.
({3})
Eine Sparrunde in dieser Größenordnung ist hier völlig
falsch am Platz.
Spätestens auf der nächsten Bologna-Nachfolgekonferenz in Bergen in Norwegen wird sich dies zeigen.
Hier müssen die Teilnehmerstaaten Rechenschaft über
ihre Fortschritte im Bologna-Prozess ablegen. Der vereinbarte Schwerpunkt wird dabei in der Fortentwicklung
der Qualitätsabsicherung liegen. Auf diesem Feld
muss in Deutschland noch einiges getan werden, Frau
Ministerin. Mit Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen steht zwar die Struktur für die Qualitätsabsicherung zur Verfügung; das allein reicht aber nicht. Es
sind erst 670 von 2 500 Bachelor- und Masterabschlüssen akkreditiert. Für eine dauerhafte Akzeptanz der
neuen Abschlüsse bei Studierenden und Lehrenden sowie vor allem in der Wirtschaft ist eine durchgehende
Qualitätsabsicherung unerlässlich. Hier dürfen die Betroffenen nicht allein gelassen werden. Die Umstellung
auf die neuen Studiengänge darf nicht zum Misstrauen
gegenüber den Fähigkeiten der Absolventen führen.
Der Bologna-Prozess stellt für die deutschen Hochschulen eine enorme Chance dar, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die zeitlichen und materiellen Anforderungen an die Hochschulen sind sehr hoch. Dabei sind
sie auf ein Mehr und nicht auf ein Weniger an Unterstützung angewiesen.
Gleiches gilt für die viel beschworene Elitebildung.
Elitebildung kann nicht staatlich verordnet werden und
bei der Auswahl einiger weniger Elitehochschulen beginnen.
({4})
Zunächst muss der wissenschaftliche Nachwuchs besser
gefördert werden. Im Einzelplan 30 geschieht genau das
Gegenteil. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Die
Gelder zur Entwicklung neuer Graduiertenstudiengänge
werden gekürzt. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite wollen Sie die Graduiertenkollegs durch das Eliteprogramm fördern; auf der anderen
Seite kürzen Sie still und heimlich die Gelder für die
Graduiertenstudiengänge.
({5})
Das Programm „Jugend forscht“ wird gekürzt, obgleich sich die Notwendigkeit einer möglichst frühzeitigen Förderung bis zur Bundesregierung herumgesprochen haben sollte.
({6})
- Wenn es sich nicht herumgesprochen hat, dann ist es
schlecht, Herr Tauss.
({7})
Meine Damen und Herren, bekanntlich entsteht Exzellenz nur, wenn Forscher die Möglichkeit haben, ihre
Ideen frei und ohne Vorgaben zu entwickeln.
({8})
In der Kernenergieforschung und in der Gentechnik ist
dies in Deutschland momentan nicht möglich. Beide Bereiche werden seit Jahren von der rot-grünen Bundesregierung mit List und Tücke ausgebremst. Wir bräuchten
aber die Atomkraft und die Gentechnik als technologische Optionen für zukünftige Generationen.
Auf dem Weltenergiekongress in Sydney wurde gerade in dieser Woche festgestellt, dass sich die Kernenergie als Energieträger weltweit wieder auf dem Vormarsch befinde. Es besteht die Gefahr, dass Deutschland
bei der derzeitigen hiesigen Entwicklung den Anschluss
verpasst, wie dies bereits in anderen Bereichen geschehen ist.
({9})
Mittlerweile ist es in Deutschland für junge Menschen
unattraktiv geworden, sich mit der Atomphysik zu beschäftigen. Gerade in diesem Bereich fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs, was dazu führt - jetzt hören Sie
bitte gut zu -, dass Atomphysiker im Rentenalter für Beratungstätigkeiten herangezogen werden müssen. So
weit wird es in der Gentechnik natürlich gar nicht erst
kommen. Mit Ihrem Gentechnikgesetz machen Sie innovative Forschungsvorhaben schon von Anfang an unmöglich.
Meine Damen und Herren, es stimmt verdrießlich,
wenn man merkt, dass einerseits etablierte und von allen
Seiten als notwendig anerkannte Programme weniger
Mittel erhalten, andererseits die pure Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums keinerlei Kürzungen unterliegt.
({10})
Ich hoffe nicht, dass dies der Nachweis für das Regierungsmotto „The show must go on“ ist. In diesem Falle
gingen im Wissensstandort Deutschland definitiv die
Lichter aus.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es hat in diesen Haushaltsberatungen schon
viele rhetorische Höhepunkte gegeben. Aus der Debatte
vom heutigen Morgen suche ich mir als einen Höhepunkt die Rede von Frau Flach heraus, als sie mehrfach
ganz fröhlich und unbeschwert sagte: Ich will, ich will,
ich will. - Ist es demgegenüber nicht gut, dass wir eine
Regierung haben, die vom „wir“ redet? Bei uns heißt es:
Wir machen etwas zusammen.
({0})
Dieses Wir wird in Bezug auf Bildung, Betreuung, Erziehung, Forschung und Entwicklung ganz massiv in
den Vordergrund gerückt. Wenn wir nicht nur auf diesen
Einzelplan gucken, sondern die Gesamtheit dessen nehmen, was sich bei diesen Haushaltsberatungen in Bezug
auf Innovation widergespiegelt hat, dann können wir
auch andere Ressorts heranziehen. Wir von der sozialdemokratischen Seite - ich glaube, dies gilt auch für die
Grünen - halten es für ausgesprochen gut, dass Innovation ein ressortübergreifendes Anliegen dieser Regierung ist.
({1})
Dies beginnt in der Bildungspolitik da, wo es um
Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit geht. Gestern hatten wir eine Diskussion über das Tagesbetreuungsausbaugesetz. Dies bedeutet Förderung zu Beginn der Erziehung von Kindern und Jugendlichen.
({2})
Beim Finanzminister sind 1 Milliarde Euro für Ganztagsschulen in besten Händen. Dieses Geld wird auch
tatsächlich ausgeschüttet. Damit kommt Schule für alle
in Bewegung.
Auch der Wirtschafts- und Arbeitsminister macht hier
mit; in seinem Haushaltsplan sind die Mittel für
25 000 zusätzliche Einstiegsqualifikationen veranschlagt,
für die der Bund, der Steuerzahler, fast 100 Millionen
Euro bereitstellt. Uns ist wichtig, dass eines deutlich
wird: Wenn wir in Deutschland Bildung und Innovation
entwickeln wollen, geht es nicht um das Ich, um das einzelne Ressort, sondern um die Gesamtheit. Dies wird
von allen Mitgliedern der Regierung gemeinsam getraDr. Ernst Dieter Rossmann
gen. Deswegen spreche ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank an die gesamte Regierung aus.
({3})
Sie meinten, diese Ministerin könnte mehr und anderes machen. Zwar gebe ich Ihnen zu, dass Sie es richtig
beschrieben haben, dass der Föderalismus in Deutschland manchmal ein Gestrüpp ist, wenn es um Innovation
geht. Wer dieses Gestrüpp nur von außen betrachtet,
kann nichts verändern. Wer aber mit Initiativen an das
Gestrüpp herangeht und nicht nach Zuständigkeit, sondern nach dem Notwendigen fragt, der wird etwas bewegen.
({4})
Hier haben wir mit Frau Ministerin Bulmahn eine Ministerin, die in diesem Bereich ungemein viel bewegt hat.
Ich will mich nicht noch einmal auf die Bereiche der
Primarförderung, der schulischen und der beruflichen
Förderung beziehen.
({5})
Ich will mich stattdessen auf den Hochschulbereich
konzentrieren.
({6})
Es ist nicht fair, zu ignorieren, dass das BAföG erst wieder zu einer wirklichen Chance für viele junge Leute geworden ist, nachdem diese Regierung es reformiert hat.
({7})
Wir haben hier einen massiven Erfolg erzielt, der sich in
steigenden Studierendenzahlen und steigenden Gefördertenzahlen widerspiegelt. Die Chancen für die jungen
Leute, die es bisher materiell nicht so gut hatten, sind dadurch gestiegen.
Ich komme zum Hochschulbau. Hier gab es die kleine
Arabeske, als gefragt wurde: Warum fangen wir nicht
1948 an? Wir fangen deshalb 1998 an, weil es 1998 den
Offenbarungseid eines vermeintlichen Zukunftsministers
gab.
({8})
Dass in dieser Legislaturperiode die Mittel für den
Hochschulbau verstetigt wurden und die Vorauszahlungen abgetragen worden sind, ist eine Leistung dieser Regierung.
({9})
Es ist eine Leistung dieser Ministerin, das vorangebracht
zu haben.
({10})
Wir können die inneren Reformen im Hochschulbereich anführen. Sie wissen doch genau, welche Auseinandersetzungen wir miteinander hatten, als wir zum
ersten Mal über Leistungskomponenten bei der Hochschullehrerbezahlung diskutiert haben.
({11})
- Sie waren dabei, die anderen waren im Busch und die
Ministerin hat es gemacht.
({12})
Das ist doch die Wirklichkeit in der Bildungs- und Forschungspolitik: Wir haben jungen Leuten eine erste,
zweite und auch dritte Chance eröffnet.
({13})
Hätten wir die Juniorprofessur bekommen, wenn die
Kleinmütigen das Wort geführt hätten? Wir haben jetzt
die Juniorprofessur, weil unsere Ministerin den Mut
dazu hatte.
({14})
Diese Entscheidung hatte Auswirkungen auf die Nachwuchsförderung und die Konkurrenzsituation an den
Hochschulen und eröffnet neue Entwicklungsmöglichkeiten. Wir haben Vertrauen in die jungen Wissenschaftler und fähigen Nachwuchskräfte gesetzt und das entwickelt sich positiv. Das ist eine Leistung.
Sie mögen sich noch dreimal darüber freuen, dass im
Bundesverfassungsgericht die Kleinmütigen die Mehrheit hatten,
({15})
aber das ist nicht das Entscheidende.
({16})
Das Entscheidende ist, dass Sie jetzt dort, wo Sie können, mitmachen,
({17})
um Juniorprofessuren im Hochschulrecht der Länder als
selbstverständlich zu verankern. Es bleibt dabei, dass einige in der Verantwortung stehen. Sie tragen Verantwortung, die Veränderungen im Hochschulrecht - um es
knapp zu formulieren - in den Ländern ernst zu nehmen,
statt es, wie Sie es vorher gemacht haben, auf die lange
Bank zu schieben.
({18})
Ich komme zu einem weiteren Vorhaben, das von uns
- ich will es selbstkritisch ausführen, weil man sich an
einem solchen Podium nicht an seiner Rhetorik berauschen soll - etwas verkantet eingeleitet worden ist. Es
war kein Ruhmesblatt, dass am Anfang von Harvard und
Stanford und anderen Eliteuniversitäten die Rede war.
Aber was ist daraus geworden? Daraus ist ein exzellentes Programm - von Bund und Ländern verabredet - in
Bezug auf die Entwicklung von Spitzenqualitäten, von
Zusammenarbeit auf höchstem Niveau und von Nachwuchsförderung an deutschen Hochschulen geworden.
Die finanzielle Ausstattung war schon bis zum letzten
Punkt über mehrere Jahre hinweg ausgehandelt worden.
({19})
Der Kollege Loske hat bereits darauf hingewiesen,
dass hier Chancen blockiert werden. Wir können uns
nicht vorstellen, aus welchem Grund Sie es blockieren,
außer aus einem rein parteipolitischen Grund oder aus
dem Gefühl der Missgunst gegenüber der Ministerin und
einer Regierung, die mit Ihren Kultus-, Bildungs- und
Forschungsministern zusammen etwas entwickelt hat.
Das ist eine sehr herbe Entwicklung.
({20})
- Sie fühlen sich verleumdet?
Ich mache einen Schnitt. Ich darf eine Presseerklärung der Deutschen Forschungsgemeinschaft anführen.
Sie ist eine der angesehensten Forschungsorganisationen
- sie ist sehr politikfern -, weil sie aus dem Sachverstand
der Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen
gespeist ist. Sie und wir haben uns immer für diese Forschungsgemeinschaft eingesetzt. Die DFG hat am 7. Juli
erklärt: Eine solche öffentliche Äußerung der Mitgliederversammlung der DFG geschieht erstmalig.
Weshalb hat sie sich erstmalig geäußert? - Sie nimmt
sich sonst sehr zurück, aber sie äußert sich diesmal, weil
sie so tief enttäuscht darüber war, dass das Exzellenzprogramm, das von der Ministerin zusammen mit den Ländern ausgehandelt worden ist, blockiert worden ist. Die
Blockade ist doch nicht von der Ministerin ausgegangen;
die Blockade geht doch von Ihrer Seite aus.
({21})
Die DFG bittet Sie förmlich, die Blockade aufzugeben, damit es baldmöglichst zur Umsetzung dieser neuen
Initiative kommen kann, die auch die Basis für Spitzenleistungen an unseren Hochschulen verbreitert, die die
Lehre verbessert, die jungen Leuten eine Chance gibt
und die Leuchttürme in unserer differenzierten Hochschullandschaft entstehen lässt.
Ich will noch eine Bemerkung zu dem Zusammenhang zwischen Natur-, Ingenieur-, Geistes- und Sozialwissenschaften machen, den auch der Kollege Loske angesprochen hat. Es ist doch richtig, dass dieser
Haushaltsplan einen Mittelzuwachs für Sozial- und
Geisteswissenschaften enthält.
({22})
Genauso richtig ist es, dass wir uns darüber freuen, dass
die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit den über
30 Millionen Euro, die sie mehr bekommt, auch in diesem Bereich zusätzliche Akzente setzen will. Das ist
deshalb so wichtig, weil dadurch die Ganzheitlichkeit
nicht nur von Forschung und Lehre, sondern auch der
Wissenschaften überhaupt, des Studiums wieder stärker
in den Mittelpunkt gerückt wird.
Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unter anderem von der Wirtschaft die Leitidee des kontextbezogenen Studiums wieder stärker betont wird, eines Studium
also, das nicht nur Schmalspurstudium ist, sondern eines, das auf Implikation zielt, das also auch das Umfeld,
die Vermittlungsfähigkeit, den kulturellen, sozialen und
historischen Hintergrund der Wissenschaften mit beleuchtet. Früher nannte sich dieses Studium generale;
neuerdings nennt es sich kontextbezogenes Studium.
Das Wichtige ist, dass diese Regierung alles ihr Mögliche tut, um dies den Hochschulen der Forschungsgemeinschaft zu ermöglichen. Wir finden dies gut und wollen und werden die Regierung darin unterstützen.
Herr Rossmann, Ihre Redezeit ist wirklich lange abgelaufen.
Herr Präsident, mein letzter Punkt: Ob es uns gelingt,
liegt auch an Ihnen, an CDU/CSU und FDP. Sie mögen
diese Chance nutzen oder nicht. Den Nutzen haben am
Ende nicht wir auf politischer Ebene, sondern den haben
die jungen Menschen, die Hochschulen in Deutschland.
Diese bekommen Zukunftschancen. Deshalb tragen Sie
Mitverantwortung. Nehmen Sie diese Verantwortung
wahr!
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vollmundig hat Bundeskanzler Schröder dieses Jahr zum „Jahr der Innovation“ erklärt. Ich frage
mich: Wo ist eigentlich der Bundeskanzler, wenn über
den Haushalt für Forschung und Innovationen beraten
wird? Er fehlt und das ist symptomatisch dafür, was er
von diesem Thema in Wirklichkeit hält.
({0})
Gespannt warten Hochschulen und Wissenschaft auf
neue Impulse und neue Finanzmittel, damit aus der angekündigten Innovationsoffensive etwas Konkretes wird.
Heute stellen wir aber fest: Die Innovationsoffensive
findet im Bundeshaushalt keinen Niederschlag. Die
Orientierung auf Innovationen, die Schröder angekündigt hat, gibt es eindeutig nicht. Für diesen Einzelplan ist
gerade einmal eine Steigerung um 2,45 Prozent vorgesehen. Damit ist es einer von 18 Einzelplänen, die ein wenig Aufwuchs erfahren. Eine Konzentration auf Bildung
und Forschung hat jedoch nicht stattgefunden. Deshalb
spricht der „Spiegel“ von einem „Flop“. Erfolge sind
nicht in Sicht. Keines der von Ihnen angekündigten Ziele
ist bislang umgesetzt worden. Dieses Scheitern hat ein
Gesicht: Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn.
Sie stolpert von einer Niederlage zur nächsten.
({1})
Auch in der SPD nimmt die Unruhe zu. Der „Berliner
Zeitung“ sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Swen
Schulz: „Wir sagen überall: Innovationen, Investitionen
in die Zukunft. Aber diesem Anspruch werden wir nicht
gerecht.“ - Wo er Recht hat, hat er Recht.
({2})
Im März hat Schröder angekündigt, er habe kein Geld
mehr, deshalb müsse man Subventionen aus der Vergangenheit in zukünftige Investitionen umschichten.
Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir unterbreiten Ihnen heute hier ein ganz konkretes, belastbares
Angebot. Wir sind bereit, von den Kohlesubventionen,
also Subventionen aus der Vergangenheit, einen
dreistelligen Millionenbeitrag, genauer gesagt:
300 Millionen Euro, für Investitionen in Bildung und
Forschung umzuschichten.
({3})
Die Alternative ist klar: Vergangenheit oder Zukunft.
Wir sind für die Zukunft und wollen hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
({4})
Lauthals hat Gerhard Schröder sein Ziel verkündet,
die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bis
2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. So weit seine Ankündigung. Die Realität sieht aber
vollkommen anders aus; denn mit dem Aufwuchs in Ihrem Haushalt lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Für
wie dumm meinen Sie uns eigentlich verkaufen zu können? In Ihrem eigenen Bundesforschungsbericht rechnen
Sie vor, dass selbst bei einem Nullwachstum ein Zuwachs in Ihrem Haushalt von 4,3 Prozent nötig wäre.
Bei einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent wäre im
Haushalt des BMBF ein Zuwachs von 6,4 Prozent notwendig. Davon ist Rot-Grün himmelweit entfernt.
({5})
Mittlerweile attestieren sogar ihre Kabinettskollegen
Frau Bulmahn ein mangelndes Profil. In einer Sitzung
des Parteirats der Grünen sagte Bundesumweltminister
Trittin:
({6})
Eigentlich sei es egal, ob man - ich zitiere - „der guten
Edelgard“ ein paar Millionen oder Milliarden Euro mehr
gebe; in der Bevölkerung erfahre davon ohnehin niemand etwas.
({7})
Niemand kenne die für das Zukunftsressort zuständige
Politikerin.
({8})
So äußerte sich Ihr Kabinettskollege Trittin. Da müssten
Ihnen eigentlich die Ohren scheppern.
({9})
All das zeigt die Ohnmacht der Ministerin. Frau
Bulmahn hat im Bundeskabinett kein politisches Gewicht. In den sechs Jahren ihrer Ministertätigkeit hat sie
kein inhaltliches Profil entwickelt und keine Forschungsdebatte durch eigene, kluge Gedanken prägen
können. Das ist die bittere Bilanz, die wir ziehen müssen.
({10})
Auch im vorliegenden Haushalt werden die Weichen
falsch gestellt. Die globale Minderausgabe, die im
Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden soll, ist mit
145 Millionen Euro viel zu hoch angesetzt. Das wird
sich zulasten der Projektförderung in den Bereichen
Gen-, Nano- und Informationstechnologie auswirken.
Die Mittel für die Förderung des Mittelstandes, insbesondere der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, wurden nicht um 3 Prozent erhöht. Dadurch ist der Mittelstand in eine
Innovationsdefensive geraten. Das ist ein Riesenfehler;
denn gerade der forschungsnahe Mittelstand ist der entscheidende Wachstumstreiber unserer Volkswirtschaft.
Die diesjährigen Kürzungen des Bundes beim Hochschulbau in Höhe von 135 Millionen Euro werden auch
im nächsten Jahr nicht zurückgenommen. So sieht die
Realität des Jahres 2005 aus; sie hat nichts mit der in den
Glanzbroschüren Ihres Ministeriums beschriebenen Unterstützung von Spitzenuniversitäten zu tun.
({11})
Ich will Ihnen nur eine Zahl nennen: Allein in den
neuen Bundesländern besteht ein Bedarf an Neu- und
Ausbauten von Hochschulen in einer Größenordnung
von 5,74 Milliarden Euro. Davon muss der Bund bis zu
50 Prozent mitfinanzieren. Dieser gesamtdeutschen Unterstützung aller neuen Länder müssen wir uns stellen.
Aber was macht die Bundesregierung? Sie stiehlt sich
davon und nimmt weitere Kürzungen beim Hochschulbau vor.
Die Mittel für den DAAD und die Alexander-vonHumboldt-Stiftung zur Steigerung der Attraktivität unseres Wissenschafts- und Hochschulstandortes im Ausland werden um 3,5 Millionen Euro gekürzt, und dies
vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs
um die besten Köpfe in einer globalisierten Wissenschafts- und Forschungsgesellschaft.
({12})
Wie ich von Vertretern der Humboldt-Stiftung höre,
ist die Qualität der chinesischen Bewerber im Moment
so hoch wie nie zuvor in der Geschichte. Der Hintergrund sind die Restriktionen in den USA - Stichwort:
Homeland Security -, die zu einem Ausweichen der
wirklichen Topleute in andere Länder führen. Meine Damen und Herren, es wäre eine Riesenchance für
Deutschland, wenn wir uns beispielsweise mit einem
Sonderprogramm um China kümmern würden. Aber wo
sind die Ideen der Regierung? Es gibt keine.
Der nach dem früheren Nobelpreisträger Wolfgang
Paul benannte Forschungspreis für international herausragende Spitzenwissenschaftler, die Trendsetter für innovative Forschungsrichtungen sind, musste mangels Finanzmasse auf Eis gelegt werden. Statt neue Impulse zu
setzen, betreibt das BMBF hier Abbau - schade, schade,
schade.
Nicht nur bei den Finanzen sind die Weichen falsch
gestellt, sondern auch bei den Inhalten Ihrer Bildungsund Forschungspolitik. Zu einem völligen Desaster für
diese Regierung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur geführt. Zutreffend
hat das Gericht festgestellt, dass Ministerin Bulmahn
durch die Überreglementierung der Juniorprofessur und
- das war der entscheidende Punkt - durch die faktische
Abschaffung der Habilitation weit in den Zuständigkeitsbereich der Länder hineinregiert und die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes missachtet hat. Darum
ging es, meine Damen und Herren!
({13})
Dabei ist die Juniorprofessur durchaus geeignet, zu einer
Verjüngung des wissenschaftlichen Nachwuchses und
dessen früherer selbstständiger Tätigkeit beizutragen.
Aber, Frau Bulmahn, es ist alles eine Frage der Ausgestaltung, ob eine Reform Bestand hat oder nicht. Ihr Beharren auf dem Verdrängen der Habilitation und Ihre
nicht zu bändigende zentralistische Grundhaltung
({14})
haben aus einer guten Reformidee einen Scherbenhaufen
gemacht; das ist Ihr politisches Versagen.
({15})
Die Bundesländer kommen jetzt in die Situation, dass sie
den Schaden und die Unsicherheit, die Sie bei Hunderten
Juniorprofessuren verursacht haben, beheben müssen.
Dieser Schaden wäre vermeidbar gewesen und ich sage
Ihnen, Frau Bulmahn: Dieses Scheitern Ihrer Bildungspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht wird immer
mit Ihrem Namen verbunden bleiben.
({16})
Die Debatte um die Juniorprofessur ist ohnehin
typisch für die Handlungsweise der Bildungsministerin:
eine an sich sinnvolle Grundidee zu einer Glaubensfrage
zu machen und sie damit zuschanden zu reiten. So hat
auch die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben: „Ihre Absicht war richtig, ihr Eigensinn falsch.“ So geschieht es
auch mit den Studiengebühren, aus deren Verbot Frau
Bulmahn eine heilige Kuh macht. Ohnehin ist zu erwarten, dass das Verfassungsgericht dieses Verbot aufheben
wird.
Ein anderes Beispiel für falsche Weichenstellungen
ist das neue, restriktive Gentechnikgesetz. Die Biotechnologieunternehmen in Deutschland sind fassungslos.
Mit dem neuen Gesetz, Ihrem Gesetz, steht die agrarische Gentechnik in Deutschland vor dem Aus. Ein kommerzieller Anbau wird hier nicht mehr stattfinden können. Versuchsfelder in Baden-Württemberg, SachsenAnhalt und hier in der Region sind zerstört worden. Das
mittelständische Unternehmen „Kleinwanzlebener Saatzucht“ hat angekündigt, keine Freilandversuche mehr
durchzuführen: Die Aktivitäten sollen aus Europa nach
Amerika verlagert werden, wo keine Feindseligkeit
herrscht - wörtliches Zitat. Die „Union der deutschen
Akademien der Wissenschaften“, so berichtet heute die
„Welt“, hat in einem Memorandum an alle Abgeordneten dieses Parlamentes appelliert, dieses Gesetz nicht
wirksam werden zu lassen. Zitat des Präsidenten der
„Union der deutschen Akademien der Wissenschaften“:
„Das geplante Gesetz“ - Ihr Gesetz - „ist ein Innovationskiller und Arbeitsplatzvernichter.“ Das ist die Realität Ihrer falschen Politik.
({17})
Meine Damen und Herren, Ihre reaktionäre und forschungsfeindliche Politik vertreibt Know-how und vertreibt gute Wissenschaftler auf dem Gebiet der Grünen
Gentechnik aus diesem Land. Das ist politisch verursachter Braindrain.
Die Politik dieser Bundesregierung schwächt den
Forschungsstandort. Die Halbzeitbilanz Ihres „Jahres
der Innovationen“, sie besteht aus Tausenden Seiten Papier, Innovationsräten, Beiräten, einigen Abendessen
beim Kanzler und falschen politischen Weichenstellungen. Sie bieten der Bildung und Forschung Abbau, Lustlosigkeit - man sieht es ja geradezu da vorne - und Ideenarmut.
({18})
Das Stop-and-Go in der Bildungs- und Forschungsfinanzierung zerstört Vertrauen. Bildung und Forschung
brauchen aber Verlässlichkeit und Kontinuität. Reglementierungen bei Studiengebühren und Juniorprofessuren ersticken jede Initiative in diesem Land. Wir brauchen aber Luft zum Atmen und die Übergabe von
Verantwortung an die Hochschulen. Ihre ideologischen
Vorgaben bei Gentechnik und Energieforschung verbauen uns wichtige Marktchancen. Wissenschaft und
Forschung brauchen aber Freiheit, Freiheit, Freiheit.
({19})
Deswegen sage ich Ihnen: Freiheit, Kontinuität und Verlässlichkeit - das sind unsere Bausteine für eine lebendige und offensive Bildungs- und Forschungspolitik für
unser Land in einer guten Zukunft.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu den Themen „Freiheit der Universität“ und
„Geisteswissenschaften“ hat der Kollege Loske ja schon
das Notwendige gesagt. Herr Rachel, auch die Rede, die
Sie gehalten haben, ist so wie auf Ihrer Seite die gesamte
Debatte in diesen Tagen: Schlagworte ohne jegliche
Substanz, in der Sache an einigen Stellen richtig, aber
ansonsten kaum auszuhalten, wenn man die Widersprüche zu Ihrer sonstigen Politik in Betracht zieht.
({0})
Besonders ärgerlich ist dabei natürlich, dass Sie nicht
nur mit Schlagworten arbeiten, sondern zum Teil auch
mit Unwahrheiten. Frau Kollegin Seib, ich schätze Sie
sehr, aber es geht nicht an, sich hier hinzustellen und zu
sagen „‚Jugend forscht‘ wird gekürzt“. Das ist einfach
nicht wahr. Die Mittel für den Wettbewerb werden nicht
gekürzt, sondern erhöht; das ist Fakt.
({1})
Aus diesem Grund habe ich die herzliche Bitte, es mit
solchen Aussagen hier nicht zu übertreiben. Wir wissen,
wie wichtig es ist, junge Menschen für Naturwissenschaften zu interessieren und zu begeistern. Dazu gehören übrigens sowohl „Jugend forscht“ als auch ein Teil
der Aufwendungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit,
die Sie kritisieren. Es geht dort nicht darum, die guten
Leistungen der Regierung zu verkaufen, sondern darum,
deutlich zu machen, welchen Stellenwert die Naturwissenschaften im Einstein-Jahr haben, um junge Menschen
dazu zu gewinnen, in diesen Bereich zu gehen, in ihm zu
lernen und später hoffentlich auch ohne Studiengebühren zu studieren.
({2})
Es kamen auch noch Aussagen wie „Die Bundesregierung fördert gewerkschaftsnahe Institute“. Wenn dort
gute Arbeit geleistet wird, dann habe ich genauso wenig
gegen eine solche Förderung, wie wenn im Bereich der
Arbeitgeber gute Leistungen in wissenschaftlichen und
organisatorischen Instituten erbracht werden. Sie haben
beispielsweise ganz konkret vom Fraunhofer-Institut für
Arbeitswirtschaft und Organisation als einem gewerkschaftsnahen Institut gesprochen; das ist hoch interessant. Dieses Institut kümmert sich darum, innovative
Dienstleistungen in diesem Land auf den Weg zu bringen. Chef dieses Fraunhofer-Instituts war Professor
Bullinger, der zwischenzeitlich Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft geworden ist. Gewerkschaftsnahe
Institute? Die Mitarbeiter in diesem Institut werden das
mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen.
({3})
Ich komme zur Grünen Gentechnik. Sicherlich, Gesetze enthalten Kompromisse. Im Forschungsbereich
hätte ich mir das eine oder andere anders vorstellen können. Ich bin aber gespannt, was im Vermittlungsausschuss herauskommt. Vor allem bin ich auf die Abwägung von Bayern gespannt, das in seiner klassischen
Manier ja auch die Interessen der Landwirtschaft, die
sich für dieses Gesetz ausgesprochen hat, vertritt. Die
Haftungsregelungen im Verhältnis der Bauern, die gentechnisch verändertes Material einsetzen wollen, zu den
Bauern, die kein gentechnisch verändertes Material einsetzen wollen, müssen klar gemacht werden. Die Bauernverbände standen doch bei uns auf der Matte. Ich bin
gespannt, wie sich Bayern im Vermittlungsausschuss
verhalten wird und ob die großen forschungsfreundlichen Töne, die Sie hier spucken, dann noch der Realität
entsprechen werden. Wir werden den Herrn Stoiber daran messen.
({4})
Wir werden ihn - und auch Sie - aber auch noch an
ein paar anderen Dingen messen. Schade, dass Herr
Stoiber heute nicht da ist. Dafür, dass hier ein Thema behandelt wird, für das sich die Länder angeblich unglaublich interessieren - sie geben das jedenfalls in ihrer
Mehrheit vor -, ist die Bundesratsbank bemerkenswert
leer. Ich frage mich natürlich, wo sie alle heute sind, da
es doch um den Etat für Bildung und Forschung geht.
({5})
Wo ist denn der Herr Stoiber, der uns vorgeschlagen hat,
wir sollten bitte alle Haushaltstitel konsequent und pauschal um 5 Prozent kürzen, wodurch es den geringsten
Ärger gebe?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bergner?
Lieber Kollege Bergner, selbstverständlich lasse ich
eine Zwischenfrage von Ihnen zu, zumal mein Vorredner
mir einiges an Redezeit weggenommen hat.
({0})
Herr Kollege Tauss, auch wenn Sie in Ihrem Redefluss schon ein ganzes Stück weiter sind, möchte ich folgende Frage stellen.
Sie haben vorhin die, wie ich finde, etwas merkwürdige Behauptung aufgestellt, Sie hätten diesem Gentechnikgesetz unter dem Druck der Bauernverbände zustimmen müssen.
({0})
- Sie haben gesagt, die Bauernverbände standen auf der
Matte und haben uns gewissermaßen gezwungen, diese
Regelung zu treffen.
({1})
Wenn Sie bereit sind, diesen Quatsch zurückzunehmen, setze ich mich sofort wieder hin.
Nein, bleiben Sie ruhig stehen, obwohl ich einen solchen Quatsch nicht gesagt habe.
Die Bauernverbände hatten mich vor geraumer Zeit
einmal eingeladen, bei ihnen eine Rede zu diesem
Thema zu halten. Herr Sonnleitner hat gemeint, ich sei
ein Sozialdemokrat, mit dem man reden könne. Ich weiß
nicht so recht, ob das nun ein Kompliment war oder
nicht, aber immerhin.
Lieber Kollege Bergner, ich komme aus einem ländlich geprägten Wahlkreis. Wir sind aber weiß Gott nicht
diejenigen, die vor jedem Lobbyisten einknicken. Das
kennzeichnet Sie.
({0})
Wir haben mit den Bauern selbstverständlich über diese
Frage diskutiert. Die Bauern haben in der Tat eine große
Sorge. Es geht um die Haftungsregelungen. Das ist
auch der eigentlich kritische Teil des Gesetzes.
Ich kann es nur wiederholen: Sie haben die große
Sorge, dass ein Nachbar gentechnisch verändertes Saatgut einsetzt, das auf ihre Wiese herübergeweht wird, wo
dann Mutationen entstehen. Das kann beispielsweise
dazu führen, dass ein Ökobauernhof das Label nicht
mehr erhält, weil plötzlich auch gentechnisch verändertes Material auf seinen Feldern auftaucht. Ich denke, es
ist nachvollziehbar und man kann begreifen, dass diese
Bauern entsprechende Haftungsregelungen gefordert haben. Diese Haftungsregelungen gehen der Forschung
aber zu weit. Die Betreffenden sagen, dass sie aufgrund
dessen nicht mehr richtig forschen können.
Lieber Herr Kollege Bergner, deswegen stehen nicht
nur die Bauern, sondern auch die Forschungsorganisationen bei uns auf der Matte. In dieser Gemengelage müssen wir Politik machen.
Dass wir einen grünen Koalitionspartner haben, der
sich mit der Grünen Gentechnik trotz des Namens ein
wenig schwerer tut als wir, ist noch eine andere Frage.
Ich teile die Auffassung der Grünen - bleiben Sie ruhig
stehen, Herr Bergner - von gentechnikfreien Zonen nicht
ganz. Wir brauchen keine gentechnikfreien Zonen, sondern Zonen, die frei von Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gentechnik sind. Das wäre die richtige Antwort
auf diese Frage.
({1})
Jetzt kommen wir zu den Hochschulen. Unserem lieben und verehrten Kollegen Konditormeister aus Bayern, der so sehr geklatscht hat, als die Zahlen für die
Hochschulen erläutert wurden, möchte ich Folgendes sagen. Der Bund hat, ausgehend von 1998 - deshalb frage
ich immer nach den Zahlen von 1998 und nehme sie als
100 Prozent -, die Ausgaben für die Hochschulen auf
123 Prozent erhöht. Merken Sie als bildungspolitische
Sprecherin Ihrer Fraktion bitte auf: Das ist eine Differenz in Form eines Plus von 23 Prozent.
({2})
Schauen wir uns die Zahlen für Bayern an, bei denen
wir gar nicht so viel rechnen müssen. In Bayern sind die
Zahlen, ausgehend von 1998 - in diesem vermeintlich
reichen Land finden im Moment Kürzungsorgien bei den
Ausgaben für Hochschulen und Universitäten statt, wie
man in den Zeitungen nachlesen kann -, in diesem Zeitraum von 100 auf knapp 103 Prozent gestiegen, genauer
gesagt auf 102,9 Prozent. Nochmals: Im Bund war es ein
Plus von 23, in Bayern eines von 2,93 Prozent. Mit welcher Chuzpe Sie sich hier hinstellen und uns erzählen,
was sich alles in den von Ihnen regierten Ländern tue, ist
erstaunlich. Wenn man sich die von mir genannten Zahlen ansieht, stellt man fest, dass Bayern sogar noch unter
dem Bundesdurchschnitt liegt. Liebe Kollegin Seib, vor
Ihrer nächsten Rede schauen Sie sich bitte einmal die
Zahlen an.
({3})
Weil wir uns heute so schön mit Bayern beschäftigen,
komme ich jetzt zum Stoiber-Edmund. Er hat - das habe
ich schon einmal gesagt - eine allgemeine Kürzung um
5 Prozent vorgeschlagen. Das hört sich erst einmal nach
nicht so viel an. Das Volumen des Etats beträgt etwas
über 8 Milliarden Euro. Rechnen wir einmal aus, was
eine Kürzung um 5 Prozent bedeuten würde. Das sind,
bezogen auf diesen Betrag, etwa 423 Millionen Euro. Ich sehe gerade, dass Herr Rachel aufsteht. Herr Rachel,
wohin gehen Sie denn? Ich komme gleich noch zu Zahlen, die Sie betreffen.
Zurück zu den 423 Millionen Euro! Das sind
45 Prozent der Ausgaben für den Hochschulbau, liebe
Kollegin Reiche, die wir vom Bund eingestellt haben.
Das ist trotz der Kürzung, die ich sehr bedauere, mehr,
als Sie uns 1998 hinterlassen haben. Liebe Kollegin
Reiche, liebe Kollegin Flach, wer hat eigentlich die Vereinbarung über die Hochschulbaufinanzierung gekündigt?
({4})
Welche Ministerpräsidenten haben sich denn dafür zusammengefunden? Das waren alle 16 Ministerpräsidenten. Sie alle haben erklärt: Wir wollen nicht länger die
Hochschulbaufinanzierung durch den Bund. Danach
wundern Sie sich, dass Hans Eichel - er hört gerade wieder zu; mir wäre es lieber, er würde solche Dinge gar
nicht hören - bei der Aufstellung seines Haushalts dieses
Geld, das die Länder nicht mehr wollen, einspart. Das
finde ich zwar schade, aber mit Wahrhaftigkeit hat das
Verhalten der Länder leider nichts mehr zu tun.
({5})
45 Prozent Kürzungen allein beim Hochschulbau hat der
Stoiber-Edi also vorgeschlagen.
({6})
- Selbstverständlich ist es der Herr bayerische Ministerpräsident. Aber ich kenne ihn auch aus den Bierzelten
gut. Für mich ist das der Stoiber-Edi.
Seine Forderung nach einer Kürzung um 5 Prozent
lässt sich auch auf das BAföG beziehen. Es geht um
423 Millionen Euro. Das ist ein Drittel der BAföG-Förderung des Bundes. Wollen Sie das?
Eine andere Forderung von Ihnen ist die nach Studiengebühren. Diese sind im Übrigen - das haben wir
überprüft - mittelstandsfeindlich. Die Kürzung des
BAföGs wäre nicht einmal ein zentrales soziales Problem - das könnte man noch verkraften -, aber mit Gebühren würden Sie die Kinder aus dem Mittelstand, die
heute noch studieren können, von den Hochschulen vertreiben. Das zeigt sich in allen Ländern mit Studiengebührenmodellen.
({7})
Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Aber hier können Sie weder uns noch der Ministerin einen Vorwurf
machen.
Eine Kürzung um 423 Millionen Euro - so wie sie
Herr Stoiber vorschlägt - hieße, Frau Reiche, eine Kürzung um 10 Prozent bei den Forschungsorganisationen. Das bedeutete keinen Aufwuchs von 3 Prozent, wie
wir es Jahr für Jahr machen, sondern eine Kürzung um
10 Prozent bei allen Forschungsorganisationen inklusive
dem Max-Planck-Institut in Bayern. Wenn Sie diese
Kürzung wollen, dann müssen Sie auch den Mut haben,
dem Max-Planck-Institut in Bayern mitzuteilen: Wir
kürzen euch aufgrund eines Vorschlages von Herrn
Stoiber die Mittel um 10 Prozent.
({8})
Wir könnten auch die Projektförderung des Bundes
um 20 Prozent kürzen. Aber Sie haben hier eine Forderung nach der anderen aufgereiht, um uns zu beweisen,
wie notwendig eine Ausweitung der Projektförderung
sei. Ein Minus von 5 Prozent in diesem Bereich hieße,
dass 20 Prozent aller Projekte nicht mehr möglich wären
und auch laufende Projekte abgebrochen werden müssten.
Was immer Sie auch aus diesem Katalog herausgreifen: Dieser Vorschlag bedeutet in jedem Fall die Ankündigung eines Kahlschlags, der eine Katastrophe für den
Forschungsstandort Deutschland nach sich zieht. Das
muss man dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten
ins Stammbuch schreiben. Aber er ist im Gegensatz zu
Ihnen wenigstens ehrlich. Sie behaupten ja noch, es
seien Aufwüchse in beliebiger Höhe möglich. Er sagt
wenigstens das Gegenteil. Aber das, was er sagt, machen
wir nicht, und das, was Sie sagen, können wir leider
nicht. Zur Eigenheimzulage kommen wir noch.
Jetzt kommen wir zur Juniorprofessur. Frau Reiche,
dass Sie sich hier hinstellen und sich freuen, dass das
Bundesverfassungsgericht mit knapper Mehrheit so entschieden hat, hat mich nicht gewundert. Ich muss ehrlich
sagen: Mir wurde es als Kind auch immer schlecht,
wenn ich im Auto sitzen musste. Es gibt nun einmal
Leute, die keine Bewegung aushalten. Sobald sich etwas
bewegt, wird ihnen schlecht.
({9})
Das ist nicht nur das Problem von Frau Reiche, sondern
von allen, wie sie hier sitzen. Sobald sich im Land etwas
tut, sobald sich etwas bewegt, bekommen sie einen Reflex, weil es keine Tabletten dagegen gibt. Sie überlegen
dann, wie sie blockieren können, wie sie vor Gerichte
ziehen, wie sie verhindern, wie sie zerstören und wie sie
kaputtmachen können. Das ist Ihre Politik und das machen Sie auch in der Forschungs- und Bildungspolitik.
Das ist unverantwortlich und nicht mehr akzeptabel.
({10})
Hat denn die Wissenschaftsministerin geklagt? Es
waren doch Ihre Länder, die vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind und dieses Ergebnis erzielt haben.
Es sind Ihre Länder gewesen, die den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern dadurch die Perspektive in diesem Land verbaut haben.
Wir und diese Ministerin sind es gewesen, die alle Tausend Juniorprofessoren, die wir zwischenzeitlich haben,
angeschrieben und gesagt haben: Verlasst bitte nicht
Deutschland! Verlasst euch auf uns, auf die Bundesregierung!
({11})
Schimpft nicht allzu sehr auf die CDU! Geht nicht ins
Ausland! Bleibt hier! Wir versuchen jetzt, eine Lösung
mit den Bundesländern herbeizuführen.
Dann haben wir mit den Bundesländern verhandelt.
Das hat diese Ministerin getan. Man höre und staune, sie
hat eine Einigung mit den Ländern erzielt. Aber dann kamen Ihre Ministerpräsidenten und haben gesagt: Was
nicht sein kann, darf nicht sein. Sie haben diese Vereinbarung gekippt und gesagt, sie müssten erst einmal
gründlich bedenken, wie sie in dieser Frage weiter vorangehen könnten. Der Wissenschaftsminister von
Baden-Württemberg, Frankenberg, hat für die Unionsländer gesagt, er brauche noch bis zum 30. September
Zeit, um darüber nachzudenken, was die Folgen des Urteils seien. Das muss man sich einmal vorstellen!
({12})
Diese Leute behaupten, sie wollten die alleinige Verantwortung für die Hochschulen in diesem Lande haben. Es
geht noch nicht einmal um Inhalte, sondern es geht darum, ihre Eitelkeiten zu befriedigen. Das ist es.
({13})
Sie haben dankenswerterweise gesagt, dass es nur um
die Eitelkeit geht, weil sie auf irgendeiner Pressemitteilung nicht aufgeführt waren. Das ist unerträglich.
Frau Pieper brauche ich mich nicht zuzuwenden, da
sie leider nicht mehr da ist. Sie wollte die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bei dieser Gelegenheit kippen. Das will ausgerechnet jemand aus Sachsen-Anhalt.
Ich will die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im
Land nicht kippen. Das sage ich Ihnen deutlich. Wenn
ein Kind das Pech hat, in Sachsen-Anhalt unter einer
CDU-FDP-Regierung auf die Welt zu kommen, dann
will ich nicht, dass es schlechtere Lebensverhältnisse hat
als irgendwo anders in der Republik. Das ist ganz klar.
({14})
Herr Kollege, ich weiß, dass Sie für Bewegung sind.
Ich muss Sie trotzdem in Ihrem Temperament zügeln.
Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Liebe Frau Präsidentin, ich habe ungefähr noch fünf
Seiten.
({0})
Deshalb lassen wir die Eigenheimzulage.
Hören Sie auf,
({1})
uns zu sagen: Mehr Geld! - Machen Sie mit, wenn es
darum geht, mehr Geld für Bildung und Forschung zu
akquirieren.
({2})
Dann haben Sie uns und den Finanzminister an Ihrer
Seite. Sie wollen in Wirklichkeit nur Investitionen in die
Vergangenheit, Gartenzwerge statt Innovation, aber das
ist nicht unsere Politik.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen damit zur Schlussrunde. Als erstem
Redner erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister,
Hans Eichel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst bitte ich Sie um Verständnis - und ich
bedanke mich dafür, dass beide Oppositionsfraktionen
dieses Verständnis bekundet haben -, dass ich um
12 Uhr die Debatte verlassen muss, sie also nicht bis
zum Ende verfolgen kann, weil heute und morgen der
informelle Ecofin in Scheveningen tagt und vorher die
Eurogroup zusammenkommt. Dort wird die erste Orientierungsaussprache über die Vorschläge der Kommission zur Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts stattfinden. Sie werden verstehen, dass es nicht
sein kann, dass der deutsche Finanzminister nicht dabei
ist. Deswegen herzlichen Dank für Ihr Verständnis.
({0})
Ich will die Gelegenheit nutzen, zu diesem Thema einige Bemerkungen zu machen, damit die Position, die
ich dort vertrete, klar ist. Erstens. Worum geht es nicht?
Es geht nicht darum, den Maastricht-Vertrag zu ändern. Es geht aus meiner Sicht auch nicht darum, die
Verordnungen zu ändern, die auf ihm aufbauen und die
den eigentlichen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausmachen. Es geht auch nicht darum - darüber besteht
ebenso Einvernehmen wie darüber, dass der Vertrag
nicht geändert wird -, dass das 3-Prozent-Kriterium oder
das 60-Prozent-Kriterium geändert würden. Um all das
geht es nicht.
Es geht vielmehr darum, sich eine Antwort auf die
Frage zu geben, die der jetzige Bundespräsident, Horst
Köhler, einer der Väter des Maastricht-Vertrages, gestellt
hat, als er Chef des Internationalen Währungsfonds war:
Haben wir eigentlich, als wir die Vertragswerke abgeschlossen haben, vorausgesehen - wir haben es nicht, hat
er gesagt -, dass es auch einmal eine dreijährige Stagnationsphase geben könnte, und wie geht man damit um?
Welche Prioritäten muss man setzen, um aus der Situation wieder herauszukommen?
Eines ist klar, meine Damen und Herren: Der Pakt
heißt „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ und darin steckt
Einsicht. Wir haben in den letzten drei Jahren folgende
Erfahrung gemacht: Wir sind mit einem wunderschönen,
für deutsche Verhältnisse niedrigen Defizit von 1,2 Prozent gestartet und im vergangenen Jahr bei 3,8 Prozent
gelandet. Mit anderen Worten: Ohne Wachstum gibt es
keine Konsolidierung der Staatshaushalte, auf der anderen Seite ist aber eine nachhaltige Konsolidierung der
Staatshaushalte Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die
Frage, um die es geht, lautet: Wie machen wir das?
Ich glaube, dass die Kommission in ihren Vorschlägen die grundlegende Antwort richtig formuliert. Wir
müssen über eine symmetrische Anwendung des Paktes
reden, eine Anwendung nicht nur dann, wenn die Wirtschaft stagniert und wir uns noch selber kujonieren. Wir
müssen uns die Frage stellen, ob wir dann, wenn die
Wirtschaft gut läuft, nicht mehr tun können, um einen Sicherheitsabstand zu schaffen. Dazu hat der Rat im Sommer, als er die europäische Verfassung verabschiedet hat,
auf einen deutsch-niederländischen Vorschlag hin empfohlen, in solchen Zeiten schrittweise Überschüsse zu erwirtschaften.
({1})
Dahinter steht die Vorstellung, einen über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. In
Wahrheit bedeutet das eine Verschärfung des Paktes. Es
geht nicht um ein Aufweichen des Paktes, sondern darum, wie Kommissar Almunia gesagt hat, mehr ökonomische Logik in die Anwendung des Paktes zu bringen.
Das wird auch meine Position sein, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({2})
Weil viele sich zu diesem Thema äußern, will ich der
Bundesbank, von der ich lese, sie habe gesagt, die Politik könne den Vertrag nicht einseitig zulasten der Bürger
ändern, dringend empfehlen, sich vor öffentlichen Äußerungen darüber zu informieren, was beabsichtigt ist. Wie
bereits gesagt, ist eine Änderung des Paktes und der Verordnungen, die darauf aufbauen, ausdrücklich nicht beabsichtigt.
Es haben sich eine Reihe nationaler Notenbanken geäußert. Dazu will ich sagen: Wir sind jetzt in Europa.
Wir sind im System der Europäischen Zentralbank und
ich erwarte dieselbe Disziplin, die früher die Bundesbank, als sie geldpolitische Zuständigkeit hatte, auch besessen hat. Ich erwarte, dass im System der Europäischen Zentralbank - das heißt: im Zentralbankrat der
EZB - die Diskussionen geführt werden und dass man
sich dort eine Meinung bildet, die der Präsident der EZB
auch einvernehmlich vertritt. Es darf nicht sein, dass
nach außen die verschiedensten Positionen vertreten
werden. Das wird der Situation nicht gerecht.
({3})
Es muss an der Sache entlang diskutiert werden und die
zugrunde liegenden Behauptungen müssen ganz schlicht
auch stimmen.
Meine Damen und Herren, ich habe am Dienstag unsere Konzeption vorgelegt. In der Tat geht es ja um mehr
als um den Haushalt. Im Haushalt landet vieles, dessen
Ursachen an anderen Stellen entstehen, zum Beispiel ein
großer Teil der Defizite in den Sozialsystemen. Alles,
was die Kommunen, die Länder, der Bund und die sozialen Sicherungssysteme tun, hat Einfluss auf die
Maastricht-Kriterien, auf die gesamtstaatliche Verschuldung. Deshalb habe ich über den Gesamtzusammenhang
geredet.
Sie fordern mich immer wieder auf, die MaastrichtKriterien einzuhalten. Dazu sage ich ausdrücklich Ja.
Beim Thema Zahnersatz haben Sie es übrigens in der
Hand, das Problem zu entschärfen oder es wenigstens
nicht weiter zu verschärfen. Die vorgesehene Entlastung
beim Zahnersatz kann nicht ersatzlos gestrichen werden,
meine Damen und Herren. Da geht es um 3 bis 4 Milliarden Euro oder um 0,1 bis 0,2 Prozent beim
Maastricht-Defizit.
({4})
- Nein, Frau Kollegin Schmidt hat einen Vorschlag gemacht, wonach uns im nächsten Jahr keine zusätzlichen
Probleme entstehen, um wieder unter die 3-ProzentGrenze zu kommen. Diese Grenze müssen und wollen
wir einhalten.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es keine
Frage, dass wir ein solches Regelwerk wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt brauchen, und das wird sich
auch an anderen Stellen noch ganz deutlich zeigen. Aber
es ist mehr als Juristerei. Es geht zuallererst um Ökonomie und nur im Zusammenhang - ich wiederhole das von Wachstum und strikter Ausgabendisziplin können
wir die Probleme lösen.
({5})
Ich habe am Dienstag unser Konzept auf den Tisch
gelegt. Was waren Ihre Antworten? Ein paar Bemerkungen muss ich dazu schon machen, denn ich kann nicht
alles, was Sie gesagt haben, einfach so stehen lassen. Da
war nämlich eine Menge Schwarzmalerei dabei.
Herr Glos hat es wirklich fertig gebracht - ansonsten
muss man dazu nicht mehr sagen -, vom Ausverkauf der
deutschen Wirtschaft zu reden. Das ist Ihre Interpretation des Sachverhalts, dass 80 Millionen Deutsche mit
ihrer Wirtschaft auf dem Weltmarkt eine größere Rolle
spielen als 280 Millionen Amerikaner und 120 Millionen
Japaner. Von anderen Volkswirtschaften rede ich erst gar
nicht, weil sie sich in einem ganz anderen Entwicklungsstadium befinden und ein ganzes Stück hinter uns sind.
Das ist also Ihre Interpretation der Tatsache, dass
Deutschland mit seinem Anteil am Welthandel Nummer
eins in der Welt ist. Das ist schlicht unerträglich. Über
diesen Punkt sollten Sie selber einmal gründlich nachdenken. Das muss endlich aufhören.
({6})
Zweiter Punkt. Sie haben behauptet - das fand ich
ziemlich dreist; das hätte ich als Bayer niemals gesagt -,
wir seien daran schuld, dass Gräben zwischen Ost- und
Westdeutschland wieder aufgerissen würden. Ich
möchte Ihnen einmal erklären, warum Herr Stoiber als
Kanzlerkandidat keine Chance in Ostdeutschland hatte.
Niemand hatte vergessen, dass es seine Zielsetzung war,
den Risikostrukturausgleich, das heißt die Solidarität mit
den ostdeutschen Ländern in der Krankenversicherung,
aufzukündigen. Sie wissen ganz genau, welch eine
enorme Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge in
Ostdeutschland - natürlich bei gleichzeitiger Senkung
der Beiträge in Westdeutschland und insbesondere in
Bayern - dies zur Folge gehabt hätte. Wir bräuchten über
den Aufbau Ost nicht einmal mehr zu reden, wenn wir
eine solche Preistreiberei bei den Lohnnebenkosten in
Ostdeutschland betrieben hätten.
({7})
Das war aber noch nicht alles. Bereits damals, als
noch nicht klar war, ob Herr Stoiber Kanzlerkandidat
wird, hat der bayerische Landtag die Regionalisierung
der Arbeitslosenversicherung beschlossen. Das hätte genau den gleichen Effekt gehabt. Dort, wo die Arbeitslosenquote beispielsweise bei 20 Prozent liegt, hätten
diejenigen, die noch Arbeit haben - übrigens in Ostdeutschland bei niedrigeren Einkommen -, dann weitaus
höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen. Davon wären nicht nur die Arbeitnehmer, sondern
auch die Betriebe betroffen gewesen. Das ist ein unerträglicher Vorgang. An der Stelle von Herrn Glos hätte
ich zumindest nicht behauptet, wir seien dabei, wieder
Gräben zwischen Ost und West aufzureißen.
({8})
Wir haben immer zur Solidarität zwischen Ost und
West gestanden. Das tun wir weiterhin, auch wenn das
schwierig ist, um das ganz klar zu sagen.
({9})
Sie haben sich offensichtlich verabredet - das ist eine
ausgesuchte Unwahrheit; das ist noch eine freundliche
Formulierung -, mich jetzt zum Weltmeister im Schuldenmachen zu erklären. Ich habe mir einmal die Daten
angesehen. Als Sie Ende 1982 in die Regierung kamen,
haben Sie 160 Milliarden Euro Schulden übernommen.
Als Sie 1998 aus der Regierung herausgewählt worden
sind, gab es einen Schuldenstand von 743 Milliarden
Euro. Das ist ein Plus von über 580 Milliarden Euro.
({10})
Ende dieses Jahres werden wir 860 Milliarden Euro
Schulden haben. Das ist ein Plus von knapp 120 Milliarden Euro. Wir werden sicherlich noch eine ganze Weile
regieren. Ich hoffe, dass wir niemals so viele Schulden
machen werden wie Sie. Wenn doch, dann wird es jedenfalls noch eine ganze Weile dauern, bis ich Sie überholt
habe.
({11})
Es bleibt jedenfalls festzuhalten: Sie haben es in Ihrer
Regierungszeit im Vergleich zu dem, was wir von 1998
bis jetzt zu verantworten haben, auf die fünffache Schuldensumme gebracht. Erzählen Sie mir also nicht, dass
ich Weltmeister im Schuldenmachen sei. Seien Sie wenigstens an diesem Punkt ganz still, so unerfreulich die
Haushaltsentwicklung auch ist und so sehr sie auch mir
zu schaffen macht!
({12})
Zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit gehört
auch Folgendes: In Ihrem Haushalt 1998 und in Ihrem
Haushaltsentwurf 1999 waren die Ausgaben für die
Postunterstützungskassen, die Unterstützung für das
Saarland und Bremen sowie einige andere Dinge nicht
berücksichtigt. Auch Sie wissen ganz genau, dass dort
ganz einfach einiges außen vor gelassen worden war,
dass einiges überhaupt nicht etatisiert worden war, was
hätte etatisiert werden müssen. Das haben erst wir getan.
Dritter Punkt. Ich verstehe nicht - das ist bedauerlich,
aber das lief nach demselben Motto -, warum sich Ihre
Generalrednerin, Ihre Fraktionsvorsitzende, und Ihre
Redner, die zu den Einzelhaushalten gesprochen haben,
nicht koordiniert haben.
({13})
Ihre Generalrednerin, Frau Merkel, hat erklärt, wir sollten gefälligst weniger ausgeben und weniger Schulden
machen. Prima! Aber alle anderen CDU/CSU-Redner,
die danach zu den Einzelhaushalten gesprochen haben
- das war auch so in der eben zu Ende gegangenen Debatte über den Bildungs- und Forschungshaushalt, die
ich aufmerksam verfolgt habe -, haben ständig erklärt,
es fließe zu wenig Geld in die einzelnen Bereiche. Was
gilt denn nun? Das ist doch das grundlegende Problem,
mit dem wir es bei Ihnen jedes Mal zu tun haben.
({14})
Ich möchte Ihnen Ihre Widersprüchlichkeit am Beispiel des Bildungs- und Forschungshaushalts noch
einmal deutlich machen. Auch hier sind Sie der ungeeignetste Ankläger. Sie hatten damals 7,263 Milliarden
Euro in den Haushalt eingestellt. Unser Haushaltsentwurf, über den gerade diskutiert worden ist, sieht
8,464 Milliarden Euro vor. Mit anderen Worten: Seit
1998 gab es allein dort eine Steigerung um 17 Prozent.
Das ist übrigens nicht einmal die ganze Wahrheit.
Hinzu kommt nämlich noch, dass ein Drittel der BAföGAusgaben die Kreditanstalt für Wiederaufbau trägt. Sie
müssten hinzugerechnet werden. Das gäbe eine weitere
Steigerung. Dazu kommt 1 Milliarde Euro für das Ganztagsschulprogramm. Wenn jemand das als Steinbruch
benutzt hat - das können Sie ja an Ihren Zahlen sehen -,
dann waren Sie das gegen Ende Ihrer Regierungszeit.
({15})
Wenn jemand das aufgestockt hat, dann waren wir das.
Sie mögen sagen: Das reicht nicht. Da würden Sie bei
mir sogar relativ offene Türen einrennen. Als Finanzminister sage ich allerdings: Allein mit großen Ausgabesteigerungen ist die Sache nicht gemacht. Man muss
auch darauf achten, dass man für das Geld, das man einsetzt, eine Gegenleistung bekommt. Es geht nie nur ums
Geld, sondern auch um die Bedingungen, unter denen es
ausgegeben wird. Es geht dann um so etwas wie die Juniorprofessuren an den Hochschulen und um vieles andere mehr - Stichwort öffentliches Dienstrecht -, was
dazu geeignet ist, unsere Hochschulen wettbewerbsfähiger zu machen. Wenn man so vorgeht, dann werden die
Prioritäten richtig gesetzt. Also war auch das, was Sie
dazu gesagt haben, falsch.
Bis jetzt habe ich darüber gesprochen, was Sie gesagt
haben. Jetzt rede ich einmal darüber, was Sie nicht gesagt haben und was in der Tat nur wir erwähnt haben: die
Sparvorschläge von Herrn Stoiber. Sie sind in keiner
einzigen Rede von Ihnen erwähnt worden. Das spricht
Bände.
({16})
Ich bin einmal gespannt, was daraus wird: Wird der Bundesrat diese Sparvorschläge einbringen? Oder wird die
CSU-Landesgruppe diese Sparvorschläge einbringen?
Oder werden Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber
überhaupt nicht einbringen? Ich wiederhole: Ich bin
außerordentlich gespannt.
({17})
- Entschuldigung, Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt,
ob Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber hier einbringen. Das ist ja Ihr Kanzlerkandidat der letzten Wahl.
Wir wüssten wirklich gern, ob hinter diesen Vorschlägen
etwas steckt oder nicht.
({18})
Wir sind gespannt, ob es zu einer Bereinigungssitzung
kommt. Wenn Sie mir noch Bereiche aufzeigen, wo man
vernünftigerweise sparen kann: Einverstanden! Auch
wenn Herr Stoiber das anders sieht, gilt für die Lage des
Bundeshaushalts: Wir haben den Konsolidierungskurs
in 1999 eingeleitet. Mittlerweile stellen wir den sechsten
Konsolidierungshaushalt in Folge auf.
({19})
- Sie sind nicht in der Lage, Zahlen zu lesen. Das ist ja
Ihr Problem.
({20})
An Ihrer Stelle hätte ich gar nicht gelacht. Dass alle Ihre
Redner in jeder Einzeldebatte sagen: „Hier ist zu wenig
Geld, da ist zu wenig Geld, dort ist zu wenig Geld“, ist
doch wohl eher ein Beleg für die Wahrheit der These,
dass wir den Haushalt ordentlich zurückgefahren haben,
als für das Gegenteil. Das ist doch logisch. Aber mit Logik haben Sie es auch nicht.
Man überlege sich einmal, wie Sie sich dort verhalten,
wo die notwendigen Einschnitte gemacht werden. Beim
Steuersubventionsabbau beklagen Sie sich nicht - ich
schon -, dass die Lücke kleiner ist. Sie hätten meinen
Vorschlägen folgen oder wenigstens eigene machen sollen. Ich wiederhole: Als es um das Gesetz zum Abbau
von Steuervergünstigungen ging, das für den Gesamtstaat im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit Einsparungen in Höhe von 17 Milliarden Euro vorsah, hat der
Bundesrat Einsparungen in Höhe von gerade einmal
2,4 Milliarden Euro zugestimmt. Das ist eine Differenz
von gut 14,5 Milliarden Euro. Das ist Ihr Loch und ich
muss es durch Privatisierungserlöse schließen. Das ist
die Wahrheit.
({21})
Aus Ihrer Verantwortung dafür werden wir Sie nie entlassen.
Im Übrigen hat das mit den Löchern bei Ihnen System. Herr Seehofer war es doch, der Ihnen vorgerechnet
hat, was in Ihren Konzepten - Steuerreform, HerzogKommission, Kopfpauschale, Kindererziehungszeiten,
Kindergeld usw. - insgesamt fehlt; er stellte ein Loch
von 100 Milliarden Euro fest. Auch deswegen sind Sie
nicht regierungsfähig. Man hat von Ihnen nichts Konkretes gehört.
({22})
- Ja, ja, Herr Merz.
Ich wünschte mir eine geringere Deckungslücke.
Aber dazu brauchen wir einen Bundesrat, der seine gesamtstaatliche Verantwortung genauso wahrnimmt, wie
es diese Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit
tun.
({23})
Dafür sind Sie verantwortlich. Wenn die Länder so handeln könnten, wie es ihrer Interessenlage entspricht,
dann würden sie sich anders verhalten. Sie dürfen sich
aber nicht so verhalten, weil es nicht zu Ihrer Oppositionsstrategie passt. Das ist die Wahrheit.
Es bleibt bei unserem Konzept und es bleibt bei unseren Schwerpunkten: Erstens. Wir müssen - das ist wie
im vorigen Jahr - aus der Stagnation heraus. Das haben
wir geschafft. Zweitens. Wir müssen jetzt dafür sorgen,
dass der Aufschwung nicht nur vom Export getragen ist,
sondern auf beiden Beinen steht, dass also auch die Binnenkonjunktur in Gang kommt. Es gibt übrigens erste
vorsichtige Hinweise - deswegen bin ich damit auch
noch sehr zurückhaltend - darauf, dass sowohl die Ausrüstungsinvestitionen als auch der private Verbrauch
langsam ein bisschen anziehen. Hoffen wir, dass sich das
ordentlich verstärkt! Denn dann sieht selbstverständlich
auch die Haushaltslage ein ganzes Stück anders aus.
Wir haben sehr anstrengende Reformen durchgeführt.
Ich verstehe, dass sich Menschen dabei auch bedroht
fühlen. Aber wenn ich ein Loch von 82 Milliarden Euro
beim Gesamtstaat - Bund, Länder, Gemeinden und soziale Sicherungssysteme - schließen muss, dann heißt
das nichts anderes, als dass ich den Leuten auch Geld
wegnehmen muss. Ich kann das Loch nicht beseitigen,
ohne dass das jemand merkt. Das ist die schlichte Wahrheit. Dazu muss man sich dann auch stellen.
Die Menschen - so hart das für viele ist; das ist unstreitig - begreifen aber, glaube ich, dass allein das der
Weg in die Zukunft ist. Daraus entsteht wieder Vertrauen, weil sichtbar wird: Die packen die Probleme
an. - Dann schlagen Sie sich nicht in die Büsche und
diffamieren Sie nicht, was Sie selber gefordert haben,
sondern machen Sie ein Stück mit! Im Bundesrat sind
Sie nach unserer Verfassung dazu verpflichtet.
Herzlichen Dank.
({24})
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Ihre
Abschlussrede war vergleichbar mit Ihrer Einführungsrede. Sie haben wenig zum Haushalt gesagt
({0})
und viel die Opposition beschimpft. Aber eines war
schon interessant. Sie haben in Ihren Haushaltsreden in
diesem Jahr betont: Wir bekommen die Dinge nur in den
Griff, wenn wir die Stagnation überwinden und zu
Wachstum kommen.
({1})
Ihr Wirtschaftsminister dagegen sagte gestern Morgen in
der Debatte: Wir haben das Wachstum schon.
({2})
- Was denn nun?
Der entscheidende Punkt ist - er ist für uns in dieser
Woche deutlich geworden -: Dieser Haushalt wird wie
die Haushalte, die Sie in den letzten Jahren eingebracht
haben, Makulatur bleiben, wenn wir nicht zu mehr
Wachstum kommen. Auch in diesem Haushalt unterstellen Sie wieder ein Wachstum, das Ihnen von keinem
Wirtschaftsforschungsinstitut bestätigt wird.
({3})
Der Haushalt, den wir in dieser Woche debattieren, ist
natürlich ein Spiegelbild der Lage in unserem Land. Die
Haushaltslage des Bundes ist schlecht, genauso schlecht
wie die Lage in vielen Bereichen in unserem Land. Das
ist der sechste Haushalt, den Sie vorlegen. Die Arbeitslosigkeit ist in den Jahren von Rot-Grün in Deutschland
gestiegen.
({4})
1998 hatten wir 4,3 Millionen Arbeitslose, heute haben
wir 4,5 Millionen Arbeitslose, damals mit abnehmender
Tendenz, heute mit steigender Tendenz.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Eichel?
Nein, jetzt noch nicht.
Die Situation ist die, Herr Eichel, dass seit dem Amtsantritt des jetzigen Bundeskanzlers, also in den vergangenen sechs Jahren, im industriellen Bereich - das macht
uns besorgt - 170 000 Arbeitsplätze weggefallen sind.
Im letzten Jahr der Kohl-Regierung haben wir im industriellen Bereich noch 100 000 dazugewonnen.
Es ist unbestreitbar, dass durch viele Entscheidungen,
die diese Regierung getroffen hat, und auch durch Entwicklungen auf den Energiemärkten die verfügbaren
Einkommen breiter Schichten der Bevölkerung in den
letzten Jahren eher abgenommen als zugenommen haben.
Als 1998 über den Haushalt debattiert wurde, waren
35 000 junge Leute auf der Suche nach einer Lehrstelle,
weil sie noch keine hatten. Schon damals war die Situation nicht befriedigend. Aber nach sechs Jahren RotGrün sind es 180 000 junge Leute,
({0})
die im Sommer die Schule verlassen haben und zu diesem Zeitpunkt, wo wir über den Haushalt diskutieren,
keine Lehrstelle haben. Nach sechs Jahren Rot-Grün haben wir also eine Situation im Land, in der eine derartig
große Menge junger Leute keine Lehrstelle findet. Sie
müssen doch zugeben, dass das eine Katastrophe ist.
({1})
- Dazu komme ich jetzt. - Ich glaube schon, dass deswegen die Frage, wie wir zu Wachstum und damit zu mehr
Arbeitsplätzen kommen, ein ganz entscheidender Punkt
bei unserem Bemühen ist, den Bundeshaushalt und damit auch die Staatsfinanzen auf Dauer zu konsolidieren.
({2})
Zu Beginn des Haushaltsjahres 1998 war durch unverrückbare Positionen des Bundeshaushaltes - Zuschuss
zur Rentenkasse, Personalkosten, Pensionslasten, Zinslasten - knapp die Hälfte der Ausgaben gebunden. Im
Haushalt, den wir diese Woche diskutieren, sind nach
sechs Jahren zwei Drittel des Haushaltsvolumens durch
Ausgaben gebunden, die auch durch einen Regierungswechsel auf die Schnelle nicht verändert werden könnten. Das macht doch deutlich, dass die Haushaltskrise
der Bundesrepublik Deutschland, so wichtig sparen auch
immer sein mag, nur über die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und durch ein größeres Wirtschaftswachstum überwunden werden kann. Durch Sparen alleine jedenfalls geht es nicht mehr. In diesem Punkt sind wir
doch gar nicht auseinander.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage
des Kollegen Eichel.
Ja, bitte.
Herr Kollege Laumann, nachdem Sie gerade einen
Satz gesagt haben, den ich so unterschreiben könnte
- ich erinnere mich daran, dass ich das Gleiche mehrfach
hier gesagt habe, auch heute und am Dienstag -, möchte
ich Sie fragen, ob Sie mir auch in einem anderen Punkt
zustimmen können. Sie haben eben behauptet, wir hätten
dem Haushaltsplan 2005 eine Wachstumsannahme zugrunde gelegt - zu diesem Punkt hatte ich mich gemeldet -, die von keinem hiesigen Institut bestätigt worden
sei.
Ich möchte Ihnen deshalb jetzt sagen, wie es sich
wirklich verhält: Es gibt in der Tat ein Institut
({0})
- die Frage kommt gleich, keine Angst - , nämlich das
Institut für Weltwirtschaft, das von einem Wachstum von
1,2 Prozent ausgeht, obwohl es für dieses Jahr von
2,1 Prozent ausgegangen ist. Nun lese ich Ihnen Prognosen der anderen Institute für das nächste Jahr vor - die
Zahlen stammen ausschließlich aus den Monaten Juli
und August -: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: 2,1 Prozent; Rheinisch-Westfälisches Institut für
Wirtschaftsforschung: 1,8 Prozent; OECD: 2,1 Prozent;
Internationaler Währungsfonds: 2,0 Prozent.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Prognosen von weltweit führenden Instituten und auch
von deutschen Instituten mit Ausnahme des Instituts für
Weltwirtschaft in Kiel alle über der Prognose liegen, die
die Bundesregierung dem Haushaltsplan zugrunde gelegt hat?
({1})
Dass Sie Prognosen von Instituten haben, auf die Sie
sich stützen, nehme ich zur Kenntnis. Aber wenn Sie den
Schnitt der Prognosen aller Institute bilden, kommen Sie
bestenfalls auf ein Wachstum von 1,6 oder 1,7 Prozent.
({0})
Etwas ganz anderes stimmt mich jedoch skeptisch,
Herr Bundesfinanzminister: Bei fast allen Haushalten,
die Sie hier eingebracht haben, haben Sie für den Haushaltsplan eine Wachstumsprognose zugrunde gelegt,
({1})
die Sie bis zur dritten Lesung wieder korrigieren mussten. Das war die Praxis der letzten Jahre.
({2})
Jetzt stelle ich noch etwas Weiteres fest: Der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung sind noch nicht
einmal in der Lage, die Zahl derjenigen, die von
Hartz IV betroffen sind, richtig zu schätzen. So haben
wir heute Morgen eine Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für
Arbeit auf den Tisch bekommen, in der man nicht von
3,2 Millionen, sondern von nahezu 3,5 Millionen Arbeitsfähigen ausgeht. Deswegen stimmen in diesem
Bereich schon Ihre Zahlen nicht.
Einigen wir uns doch einmal auf Folgendes; das ist
doch der entscheidende Punkt: Wir alle wissen - ich versuche jetzt einmal Gemeinsamkeiten am Ende der
Schlussrunde herauszuarbeiten -, dass wir ohne Wachstum und ohne die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen
aus dieser Situation nicht wieder herauskommen.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Eichel?
Nein.
({0})
Morgen ist der furchtbare Anschlag auf das World
Trade Center in Amerika drei Jahre her. Zwischenzeitlich war es zunächst so, dass alle unsere Probleme mit
der schlechten weltwirtschaftlichen Stimmung wegen
des Terrorismus erklärt wurden. Da war ja vielleicht
auch etwas dran. Aber jetzt haben wir die Situation, dass
das Wachstum der Industriestaaten des europäischen und
des amerikanischen Raumes deutlich über dem Wachstum der Bundesrepublik Deutschland liegt. Daraus muss
man als vernünftiger Mensch doch schließen, dass wir
hausgemachte Probleme haben, die der Grund dafür
sind, dass der Arbeitsmarkt bei uns nicht so funktioniert,
wie er woanders funktioniert.
Herr Müntefering, Sie fahren zurzeit durchs Land und
besuchen Veranstaltungen - ich sehe ein, dass Sie es im
Moment nicht leicht haben -, bei denen Sie sagen: Seid
froh, dass die SPD an der Regierung ist; das, was wir
machen, ist schon schlimm, aber wenn die CDU dran
wäre, wäre es noch schlimmer.
({1})
Wenn wir Reformen im Land einleiten wollen, die auch
wir teilweise für richtig halten, müssen wir uns darüber
verständigen, ob es sinnvoll ist, zu sagen, wir würden etwas Schlimmes tun. Wenn wir etwas Schlimmes tun,
dann sollten wir es lieber sein lassen. Wir müssen darüber reden, dass wir das Richtige tun und dass dadurch
auch Perspektiven eröffnet werden.
Ich nenne ein Beispiel, bei dem deutlich wird, wie
zurzeit argumentiert wird.
({2})
- Man kann viele Fernsehkommentare sehen, in denen
Sie sich so darstellen. Das ist die Wahrheit.
({3})
Wenn Sie die Grenze für den Kündigungsschutz in
Kleinbetrieben von fünf auf zehn Mitarbeiter erhöhen,
({4})
dann mag es Leute geben - in Ihrer Partei, in unserer
Partei, in der Gesellschaft -, die sagen, das sei schlimm.
Sie und Ihre Leute sagen, wenn jetzt die CDU/CSU an
der Regierung wäre, läge die Grenze nicht bei zehn, sondern bei 20 Beschäftigen; deshalb wäre das schlimmer.
({5})
- Jetzt geben Sie mir ja selber Recht! - Wenn wir so argumentieren, dann stellt sich die Frage: Ist es in der jetzigen Situation nicht richtig, darüber zu diskutieren,
zwar niemandem, der bereits in einem kleinen Betrieb
beschäftigt ist, den Kündigungsschutz wegzunehmen,
aber für neu Eingestellte den Kündigungsschutz zu
lockern, um dafür zu sorgen, dass mehr eingestellt werden?
Ich glaube, wir müssen über die Chancen reden. Das
heute geltende Arbeitsrecht ist doch etwas kompliziert.
Es gibt zwar bereits das Recht, befristet auf zwei Jahre
ohne weiter gehenden Kündigungsschutz einzustellen;
man unterscheidet aber zwischen sachlichem und nicht
sachlichem Grund, was zu besonderen Situationen führen kann wie der, dass jemand, der als Student einmal in
einem Unternehmen gearbeitet hat, nach heutiger
Rechtslage nicht mehr befristet eingestellt werden kann.
Wir sagen nun: Kann man nicht vielleicht eine Lösung
finden, sodass der soziale Kündigungsschutz - also das,
was über die Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch hinausgeht - erst nach drei Jahren gilt? Was ist
schlimm daran, wenn, wie es in meiner Partei geschieht,
eine solche Debatte geführt wird? Wir müssen sie führen, wenn wir uns alle einig sind, dass wir nur über mehr
Arbeitsplätze wieder zu besseren Haushalten kommen
und im Übrigen nur auf diesem Weg auch die Situation
in den Sozialversicherungen verbessern können. Die Debatte sollte geführt werden, ohne dass gesagt wird, das
sei schlimm, das bedeute die Aufgabe von Sozialstaatsprinzipien, wir wollten die Leute schutzlos stellen.
({6})
Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Frage der
betrieblichen Bündnisse für Arbeit politisch gelöst
werden muss. Das ist nicht schlimm. Die IGBCE mit ihrem Vorsitzenden, Herrn Schmoldt, ist eine Gewerkschaft, die die Tarifbindung voll im Griff hat. In diesem
Bereich treten die Unternehmen kaum aus dem Arbeitgeberverband aus und die Arbeitnehmer in diesem Industriezweig haben eine sehr starke Bindung an ihre Gewerkschaft. Das liegt daran, dass die Tarifverträge in
dieser Branche erhebliche Spielräume für betriebliche
Bündnisse und Entscheidungen lassen, bis hin zu der Regelung, dass die Arbeitnehmer in besseren Zeiten an den
besseren Ergebnissen beteiligt werden müssen, wenn
man das vorher, in schlechteren Zeiten, zurückgeschraubt hat.
({7})
Wir wissen auch, dass wir diese Regelungen in den Tarifverträgen mancher anderer großer Wirtschaftsbereiche
nicht haben. Das sind genau die Wirtschaftsbereiche, in
denen es eine Tarifflucht auf beiden Seiten gibt.
Deswegen sage ich Folgendes - das ist wichtig, um
auf Dauer einen besseren Haushalt hinzukriegen -:
Wenn sich die betreffenden Gewerkschaften nicht in
Richtung Schmoldt bewegen, dann müssen wir die
Spielräume auf gesetzlichem Wege schaffen.
({8})
Denn bei Mercedes und Siemens läuft es; das war auch
für die Gewerkschaften nicht einfach. Aber beim Mittelstand - darüber können die Zeitungen nicht schreiben Karl-Josef Laumann
läuft es eben nicht. Da verlieren wir Arbeitsplätze bzw.
es gibt eine Abwanderung ins Ausland. Allein im letzten
Jahr sind 50 000 Arbeitsplätze davon betroffen gewesen.
Wir müssen die Reformdiskussion gemeinsam angehen.
({9})
- Herr Müntefering, bevor ich Ihre Zwischenfrage zulasse, noch Folgendes: Die beiden großen Volksparteien
- ein Teil unserer Wähler hat in etwa die gleichen Interessen - müssen eine gemeinsame Sprache finden und
deutlich sagen, worin die Chancen einer solchen Entwicklung liegen. Ansonsten gewinnen nur diejenigen,
die uns beiden nicht lieb sein können:
({10})
Das sind nämlich die einen auf der ganz linken Seite und
die anderen auf der ganz rechten Seite. Deswegen halte
ich sehr viel davon, dass man diese Debatte erklärend
und nicht ideologisierend in den nächsten Wochen weiterführt.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Müntefering? - Bitte.
Herr Kollege Laumann, habe ich diese Passage Ihrer
Rede richtig verstanden: Sie sind erstens dafür, dass der
Kündigungsschutz deutlich reduziert wird, zweitens sind
Sie dafür, dass die Grundlagen der Tarifautonomie ausgehebelt werden, und drittens sagen Sie uns, dass das alles nicht schlimm ist?
({0})
Verehrter Herr Kollege Müntefering, ich glaube, dass
Sie sich jetzt auf dem Weg zu den politischen Ritualen
befinden,
({0})
die weder Ihrer noch meiner Partei angesichts der
schwerwiegenden Veränderung der politischen Lage in
Ostdeutschland helfen. Lasst uns nur so weitermachen!
({1})
Sie sind doch schon so lange im Deutschen Bundestag
und haben einen gesunden Menschenverstand. Sie hätten
sich diese Frage wirklich sparen können;
({2})
denn Sie haben sehr wohl genau verstanden, was ich gemeint habe.
({3})
Sie haben genickt, als ich die Tarifpolitik von Herrn
Schmoldt dargestellt habe. Ich habe gesagt, dass wir
diese in anderen Bereichen nicht haben, was heute zu
einer Tarifflucht führt. Gucken Sie sich doch einmal die
Entwicklung bei den Arbeitgeberverbänden an! Es gibt
Unterabteilungen, die keine tarifliche Bindung haben.
({4})
Ich glaube, dass ich mit meinen Feststellungen nicht
Unrecht habe. Das hat mit der Aushebelung von Tarifverträgen - um Ihre Frage zu beantworten - überhaupt
nichts zu tun. Wenn wir nämlich die Flexibilität nicht
hinkriegen, wird die Tarifautonomie dadurch ausgehebelt, dass Arbeitgeber aus den Arbeitgeberverbänden,
die die Tarifverträge abschließen, austreten. Das ist doch
die Wahrheit.
({5})
Ich glaube, dass wir durch die Flexibilisierung, von
der ich gesprochen habe, eher zu einer stärkeren Tarifbindung in Deutschland kommen - das wollen auch die
Union und ich -, als wenn wir so wie in den letzten Jahren weitermachen und die Leute nur noch die Möglichkeit in der Tarifflucht oder in der Verlagerung von Firmen und Arbeitsplätzen ins Ausland sehen.
({6})
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der für
die Debatte in den nächsten Monaten wichtig ist. Wir
alle in diesem Hause wissen doch, dass wir unseren Arbeitsmarkt nicht in Ordnung bekommen, wenn wir noch
lange dabei bleiben, die Kosten für den sozialen Bereich
fast ausschließlich über die Arbeit zu finanzieren. Sie tun
sich schwer mit der Debatte über die Bürgerversicherung. Ich gebe zu, wir tun uns mit der Debatte über die
Gesundheitsprämie ebenfalls schwer, vor allem was die
Frage der Kompensierung der Kosten angeht. Aber wir
müssen eine Lösung finden. Dass 26,4 Millionen Beschäftigte in dem Vehikel „sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz“ die Kosten für 20 Millionen Rentner
und 4,5 Millionen Arbeitslose - das ist fast ein Verhältnis von eins zu eins - nicht aufbringen können, das ist
doch jedem klar. Ich denke, wir sollten diese Debatte unideologisch führen: Krankenversicherung und Pflegeversicherung sind nun einmal die einzigen Bereiche - das
ist das Ergebnis sowohl der Rürup- wie auch der
Herzog-Kommission -, in denen man diese Trennung
von den Arbeitskosten hinbekommen kann. Es ist nicht
gut, zu sagen: Das machen wir in der nächsten Wahlperiode. Dann sind längst wieder Hunderttausende von Arbeitsplätzen weg. Dies wird besonders die kleinen Leute
treffen, die die nicht so profitablen Arbeitsplätze besetzen. Das sind nämlich diejenigen Arbeitsplätze, die zuerst wegfallen.
Deswegen würde ich mir sehr wünschen, dass wir uns
hier nicht gegenseitig den Vorwurf des Sozialabbaus machen, sondern folgende Debatte führen: Wie kann man
überhaupt zu mehr Arbeit kommen? Wenn wir hierfür
eine Lösung finden, wird die Veränderung der Arbeitswelt, die ja schon in vollem Gange ist, von der Reform
der Sozialsysteme so begleitet werden können, dass sie
den Menschen nicht ganz so viel Angst macht, wie es
zurzeit leider der Fall ist.
Ich sage noch einmal: Wenn wir die beiden großen
Volksparteien erhalten wollen, dann sollten wir die Montagsdemonstrationen und die Ängste der Menschen ernst
nehmen und nichts selber unternehmen, um Ängste zu
schüren, nur um dem politischen Gegner kurzfristig zu
schaden.
({7})
Wir sollten zu Lösungen kommen, die das Land nach
vorne bringen.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Franziska EichstädtBohlig, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Kollege Laumann, bei allem Verständnis
für Ihre Leidenschaft in dem Streit um den Kündigungsschutz: Ich glaube, es ist überzogen, zu meinen, dass aus
Eingriffen in den Kündigungsschutz so viel Wachstum
entsteht, dass wir unsere Haushaltskonsolidierungsprobleme lösen können.
({0})
Von daher sollten wir diesen Streit an einer anderen
Stelle führen.
Ich möchte jetzt zum heutigen Tagesordnungspunkt
zurückkommen und als Erstes darauf hinweisen, dass ich
ein Stück weit enttäuscht bin, in welch hohem Maße die
Reden hier streitbefangen sind, obwohl wir alle im
Hause wissen, dass wir bei der Lösung der brennendsten
Probleme aufeinander angewiesen sind. Dies betrifft insbesondere die Sozialreformen, die weiter vor uns stehen
- von der Regelung zum Zahnersatz bis hin zur Bürgerversicherung -, und vor allem die Haushaltskonsolidierung. Insofern möchte ich in starkem Maße dafür werben, nicht mehr zu polarisieren und uns zu fragen: Was
können wir tun, um bei der Haushaltskonsolidierung voranzukommen?
Als Zweites muss ich sagen, dass es mich schon irritiert hat, dass sich die Redner in dieser Woche relativ
wenig mit den Sorgen der Demonstranten und der von
Hartz IV Betroffenen ernsthaft auseinander gesetzt haben. Das heißt nicht, dass ich der Meinung bin, wir sollten Hartz IV aufgeben oder ändern. Ich war aber erstaunt, dass nur der Kanzler mit großer Klarheit und
Deutlichkeit gesagt hat, wie wichtig es ist, zu den Reformen der Agenda 2010 zu stehen und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als zwingend
erforderlichen Schritt anzuerkennen. Das sollte in der
Gesellschaft vermittelt werden, anstatt sich zu drücken
und immer wieder so zu tun, als könne man sich vor der
Vermittlung dieser Aufgabe davonschleichen.
({1})
Insofern: Hut ab vor der Art und Weise, wie Gerhard
Schröder in der Gesellschaft zu diesen Reformen steht!
Ich denke, wir alle sind in der Pflicht, dies zu unterstützen.
({2})
Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Laumann, Sie
haben eben dargestellt, ohne Wachstum kämen wir aus
der jetzigen Situation - das war auf das Thema Haushaltskonsolidierung bezogen - nicht heraus. Ich möchte
umgekehrt mit großer Klarheit sagen - darauf hat auch
Minister Eichel hingewiesen -: Die Haushaltskonsolidierung ist die Voraussetzung für mehr Wachstum. Wir
brauchen wieder Handlungsfähigkeit auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene; das ist sehr wichtig.
Ich war erschrocken, wie wenig die Opposition auf
dieses Thema eingegangen ist. Ein bisschen muss ich
das korrigieren, was Minister Eichel vorhin ausgeführt
hat. Frau Merkel hat - ich bin ihre Rede noch einmal
durchgegangen - nichts, aber auch gar nichts zum Schuldenabbau gesagt. Sie hat aber an sehr vielen Stellen
mehr Geld für den Haushalt gefordert, also nicht nur das
berühmte 100-Millionen-Paket, von dem keiner weiß,
von welchem Himmel es fallen soll.
({3})
- Richtig, es waren Milliarden. Ich kann mich einfach
nicht in die Geldwünsche der CDU/CSU hineinversetzen.
({4})
Aber sie hat eben auch mehr Geld für Verteidigung und
für Verkehr sowie für Lohnkostenzuschüsse, von denen
niemand weiß, wie sie finanziert werden sollen, und für
eine Reihe weiterer Punkte gefordert.
Herr Westerwelle hat keinen Satz zur Haushaltskonsolidierung gesagt; das fand ich erstaunlich. Stattdessen will er die Mittel aus dem Subventionsabbau für
neue Steuergeschenke verwenden.
Frau Lötzsch, von der PDS erwarten wir es gar nicht
anders. Bei Ihnen macht man sich ja überhaupt keine
Gedanken darüber, wie die deutschen Haushaltsnöte in
den Griff bekommen werden sollen. Vielmehr machen
Sie in der Gesellschaft Versprechungen, von denen Sie
wissen, dass niemand sie halten kann. Auch die PDS
könnte sie nicht halten und kann sie heute in den Ländern schon nicht halten, wo sie mit in der Regierungsverantwortung steht.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen
Koppelin.
Vielen Dank. - Nachdem Sie so viele Politiker der
Opposition aufgezählt und dargestellt haben, was sie angeblich alles gesagt haben, frage ich Sie, ob ich noch erwarten kann, dass Sie in Ihrer Rede auf den bekannten
Nationalökonomen Joschka Fischer, der im Nebenberuf
Außenminister ist, zurückkommen? Er hat ja in einem
Interview des „Spiegel“ Bedeutendes zu diesem Bundeshaushalt gesagt, als er darauf hinwies, das Sparen müsse
nun ein Ende haben.
({0})
Das ist zu kurz gegriffen. Ich weiß, dass der Kollege
Joschka Fischer für sein Ressort und für bestimmte außenpolitische Aufgaben mehr Geld braucht. Umso wichtiger ist es aber - in diesem Punkt bin ich mir mit dem
Kollegen Joschka Fischer einig -, dass wir in diesen
Haushaltsberatungen Schritte verabreden, die geeignet
sind, die Handlungsfähigkeit unseres Bundesetats wieder
herzustellen, damit wir unter anderem für außenpolitische Verpflichtungen, beispielsweise für die auswärtige
Kulturpolitik, Geld haben. Insofern, Herr Koppelin, befinde ich mich mit Joschka Fischer absolut auf einer
Linie.
({0})
Ich muss gestehen, dass ich nach den Streitereien dieser Woche den Wunsch habe, dass wir die Schuldenstandsuhr des Bundes der Steuerzahler, die man im Internet aufrufen kann, auch hier in diesem Saal aufstellen,
damit wir sie regelmäßig sehen. Zu Beginn dieser Debatte betrug unser Schuldenstand 1,385 Billionen Euro,
worin noch nicht einmal die Verpflichtungen aller
Ebenen, also von Bund, Ländern und Gemeinden, in Bezug auf die Beamtenversorgung eingerechnet sind. Der
Schuldenzuwachs betrug in der Zeit, in der wir hier debattieren, 2 534 Euro pro Sekunde. Von daher ist es
höchste Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen,
wie wir von diesen Schulden herunterkommen.
Ich möchte einen Vorschlag, der von Ihrer Seite gemacht wurde, aber überhaupt nicht weiter verfolgt
wurde, aufgreifen. Herr Wulff, der Ministerpräsident von
Niedersachsen,
({1})
hat sich am 26. Juli in einem Interview der „Berliner
Zeitung“ nicht nur zum Thema Kündigungsschutz geäußert, sondern auch vorgeschlagen, dass sich Bund und
Länder gemeinsam um einen Entschuldungsplan kümmern sollten. Ich bedaure sehr, dass dieser Vorschlag weder von ihm selbst noch von irgendjemandem aus Ihren
Reihen aufgegriffen worden ist. Stattdessen arbeitet
Ministerpräsident Wulff ganz lässig bis 2007 mit verfassungswidrigen Haushalten. Insofern spielt er hier ein
bisschen mit gezinkten Karten.
Ich greife aber seine Idee auf, einen nationalen Entschuldungsplan zu vereinbaren und umzusetzen, weil
wir in diesen Zeiten so sehr aufeinander angewiesen
sind, und werbe hier aktiv dafür, dass wir uns im Rahmen dieser Haushaltsberatungen diesem Thema ernsthaft widmen.
({2})
- Ich danke, dass es immerhin einen gibt, der vonseiten
der CDU/CSU an dieser Stelle klatscht.
({3})
- Danke, dass Sie für den Applaus meiner Fraktion gesorgt haben.
Herr Minister Eichel hat vorhin ganz klar gesagt, dass
es von unserer Seite dazu Vorschläge gibt. Er hat erneut
vorgetragen, dass wir Vorschläge zum Subventionsabbau in einer Größenordnung von 17 Milliarden Euro gemacht haben, von denen Sie im letzten Vermittlungsverfahren nur 2,4 Milliarden Euro mitgetragen haben. Mehr
als 14 Milliarden Euro sind also noch auf der Pflichtliste.
Dies ist aber - daran möchte ich alle erinnern - nicht nur
ein Thema der Haushaltskonsolidierung, sondern auch
eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den von
Hartz IV Betroffenen.
Das eigentliche Problem von Hartz IV ist gar nicht
Hartz IV, sondern die Frage der Gerechtigkeit bei der
Lastenverteilung. Das Problem der Schieflage zwischen
dem Sparbeitrag, den wir den Arbeitslosen abverlangen,
und den Beiträgen, die wir zurzeit noch nicht anderen
Kreisen der Gesellschaft, insbesondere denen, die Einkommen, Arbeit und Besitz haben, abverlangen, müssen
wir gemeinsam lösen. Ich sage ganz klar: Es kann nicht
sein, dass wir auf der einen Seite Kürzungen durch
Hartz IV vornehmen, auf der anderen Seite aber Haushalten, die über ein Jahreseinkommen in Höhe von
80 000 Euro verfügen, die Eigenheimzulage belassen. Es
kann nicht sein, dass wir das Dienstwagenprivileg beibehalten, während wir den anderen Hartz IV zumuten.
Es gibt eine Reihe von Themen - Flugbenzinsubventionen, Entfernungspauschale, Pensionsansprüche von
Beamten und Politikern und vieles mehr -, die nicht nur
mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung, sondern auch
unter dem Aspekt der Gerechtigkeit gegenüber den Kürzungen, die wir mit Hartz IV vollzogen haben, hier im
Haus auf der Tagesordnung stehen. Ich bin daher der
Meinung, dass wir dieses Thema noch in diesem Herbst
angehen und endlich Nägel mit Köpfen machen sollten.
Ich fordere Sie alle hier in diesem Haus auf, aktiv mitzumachen.
({4})
Einen Punkt möchte ich dazu ansprechen: Von zwei
Seiten dieses Hauses, von der FDP und von der CDU/
CSU - hier besonders vom Kollegen Merz, während die
Kollegin Merkel erstaunlicherweise dazu in ihrer diesjährigen Rede anlässlich des Haushalts geschwiegen
hat -, wird eine Illusion aufrecht erhalten. Es handelt
sich dabei um die These, dass ab 2006 weitere nennenswerte Steuersenkungen möglich sind, für deren Gegenrechnung man das ganze Paket der Subventionen heranziehen müsste. Sie machen damit der Bevölkerung
unrealistische Versprechungen, die niemand, auch Sie
nicht, in Zukunft halten kann.
({5})
Wir haben Steuersenkungen vorgenommen und werden die letzte Stufe 2005 durchführen. Ich stehe zu dieser Stufe, weil ich es für richtig halte, die Faktoren Wirtschaft und Arbeit von Steuern zu entlasten. Die von uns
vorgenommenen Entlastungen können wir gegenüber jedem Arbeitslosen und jedem Demonstranten vertreten.
Wir können aber keine weiteren Steuersenkungsversprechungen machen. Die frei werdenden Mittel aus dem
Subventionsabbau, den wir leisten müssen, brauchen wir
zur Haushaltskonsolidierung und können wir nicht mit
weiteren Steuersenkungen verrechnen.
({6})
Das muss der Gesellschaft vermittelt werden. Von daher
möchte ich die Opposition eindringlich auffordern, mit
diesen falschen Versprechungen, die niemand halten
kann, Schluss zu machen.
({7})
Wir sind ein Land mit einer sehr anspruchsvollen Infrastruktur und hohen Sozialleistungen. Wir wollen die
Infrastruktur erhalten, pflegen und weiterentwickeln und
wir wollen die sozialen Leistungen auch unter den Bedingungen einer globalen Wirtschaftskonkurrenz, die
sehr hart ist und viele Maßnahmen fordert, aufrechterhalten. Wir wollen - ob es alle wollen, ist eine Frage des
politischen Streits - den sozialen Aspekt der sozialen
Marktwirtschaft erhalten. Wir können daher nicht versprechen, ein Niedrigsteuerland wie manch anderes
Land zu werden. Sie sollten solche Versprechungen nicht
mehr machen und stattdessen zur Tagesordnung, zur
Konsolidierung des Haushalts, die wir hier und heute zu
leisten haben, zurückkommen.
Ich komme zum Schluss. Zunächst meine Aufforderung an alle Seiten, die dabei mitgemacht haben:
Hartz IV muss offensiv verteidigt werden, niemand darf
sich davonstehlen. Darüber hinaus müssen wir die Haushalte mutig sanieren; denn dann werden die öffentlichen
Hände - nicht nur der Bund, sondern auch die Länder
und Kommunen - wieder handlungsfähig und können
ihrerseits investieren. Das ist ein wesentlicher Faktor,
um die Wirtschaft zu stabilisieren. Man kann nicht nur
auf das Wachstum warten, sondern muss durch Subventionsabbau selber aktiv dazu beitragen. Das halte ich für
nötig. In diesem Sinne werbe ich dafür, allmählich mit
dem Streiten aufzuhören und endlich gemeinsam an dieser nicht ganz einfachen Aufgabe zu arbeiten.
({8})
Frau Kollegin, zu Ihrem heutigen Geburtstag wünsche ich Ihnen persönlich und im Namen des ganzen
Hauses alles Gute. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas
Pinkwart, FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu Beginn seiner Amtszeit hat Herr Eichel, der
uns aus gutem Grund schon hat verlassen müssen - er
hat das dargelegt -, seinen Kurs wie folgt bestimmt - ich
zitiere -:
Sparen ist … kein Selbstzweck, Sparen ist Mittel
zum Zweck, nämlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen für nachhaltiges Wachstum.
Diese Aussage ist nach wie vor richtig und die FDPFraktion teilt diese Auffassung auch nach wie vor. In
Wahrheit ist es aber doch so, dass sich Rot-Grün und
auch der Bundesfinanzminister - das hat die Debatte in
dieser Woche wieder gezeigt - von diesem Kurs längst
verabschiedet haben.
({0})
Statt die Neuverschuldung des Bundes „close to balance“, also gegen null, zu fahren, steuern Sie in diesem
Jahr trotz eines Wachstums von fast 2 Prozent, auf das
der Bundeswirtschaftsminister so stolz ist, auf eine Rekordneuverschuldung von über 40 Milliarden Euro zu.
Das ist in Wahrheit die finanzielle Bilanz Ihrer sechsjährigen Regierungsarbeit.
({1})
Nachdem Herr Eichel die Kasse nicht mehr gestaltet,
sondern nur noch verwaltet, sind seine Haushaltspläne
reinste Makulatur. In den letzten drei Jahren lag die tatsächliche Neuverschuldung im Mittel um 70 Prozent höher als im jeweiligen Haushaltsentwurf. Damit waren die
letzten beiden Haushalte im Vollzug verfassungswidrig,
und nach allem, was wir wissen, trifft das auch auf den
aktuellen Haushalt zu.
({2})
Rechnet man allein die mit über 15 Milliarden Euro
nicht realisierten und völlig überzogenen Privatisierungserlöse hinzu, so klafft im Haushalt 2005 bereits
eine Lücke von über 37 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen
voraus: Im Ergebnis wird auch der Haushalt 2005, den
wir hier zu beraten haben, eine um 70 Prozent höhere
Neuverschuldung aufweisen.
({3})
Damit ist der Bundesfinanzminister in einem Punkt
berechenbar geworden: Wer auf die in seinem Haushaltsentwurf prognostizierte Neuverschuldung 70 Prozent
draufrechnet, der liegt richtig.
({4})
Das tun Sie doch nur - das sollten Sie aber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich sagen -, damit Sie sich bei
der Einbringung des Haushaltes an den Vorgaben des
Grundgesetzes vorbeimogeln können. Das ist der eigentliche Grund. Sie wollen davon ablenken, dass sich
Deutschland unter Ihrer Verantwortung Schritt für
Schritt in die Schuldenfalle begibt.
Dieser Einschätzung wird von Herrn Eichel in Interviews auch noch nicht einmal ernsthaft widersprochen.
Im „Focus“ vom Montag sagte er - ich zitiere -:
Die Schulden wachsen schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Das kann doch so nicht weitergehen.
Das ist richtig. Das kann so nicht weitergehen. Aber mit
dem vorgelegten Haushalt und der mittelfristigen
Finanzplanung setzen Sie diesen unverantwortlichen
Kurs fort.
({5})
Für die FDP-Fraktion erkläre ich deshalb hier, welchen Weg wir uns vorstellen, um aus dieser Misere herauszufinden. Wir wollen dazu in den weiteren Beratungen - wir haben das auch in den letzten Tagen durch
unsere Redner zum Ausdruck gebracht - konkrete und
seriöse Einsparvorschläge für die einzelnen Etats vorlegen. Wir werden erneut ein Volumen in einer Größenordnung von 2 bis 2,5 Milliarden Euro anstreben. Wir
werden zudem erneut für den von Günter Rexrodt und
mir vor einigen Monaten eingebrachten Vorschlag werben, durch eine Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes Subventionen zu begrenzen, degressiv zu gestalten und zukünftig wenn überhaupt, dann nur als
Finanzhilfen zu gewähren. Damit könnten wir das strukturelle Haushaltsdefizit an einer zentralen Wurzel packen und einen nachhaltigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten.
Das Fummeln am Gürtel des jeweils anderen, wie Sie
es jetzt erneut mit der Eigenheimzulage versuchen, führt
uns hier nicht weiter. Das löst keine Probleme, es vertagt
sie nur.
({6})
Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte
bekommen wir aber nur in den Griff, wenn wir die strukturellen Probleme unseres Landes lösen. Zentrales Ziel
muss es sein, die wirtschaftliche Dynamik unseres Landes nachhaltig zu erhöhen.
Dies wird aber nur gelingen, wenn die Politik zu ihrer
Grundsatztreue zu den vier von Ludwig Erhard verfolgten konstituierenden Grundprinzipien sozialer Marktwirtschaft zurückfindet.
Das erste Prinzip lautet: Vorrang für die Stabilität der
Währung. Das gilt heute auch für den Euro.
({7})
Herr Eichel hat heute Morgen hier gesagt, dass man in
diesem Jahr Flexibilisierungen vornehmen müsse, um
die Schulden, wenn die Stagnationsphase überwunden
ist - eigentlich wähnt sich die Regierung ja schon heute
in der Wachstumsphase - , in Zukunft durch Haushaltsüberschüsse zurückführen zu können. Aber man muss
doch nur einmal einen Blick in Ihre mittelfristige
Finanzplanung werfen, die Sie uns hier auf den Tisch gelegt haben. Darin erkennen wir, dass bei einer Wachstumsannahme von jeweils 2 Prozent pro Jahr bis 2008 in
den nächsten Jahren keine Haushaltsüberschüsse von Ihnen geplant werden, sondern dass Sie eine weitere Neuverschuldung von insgesamt annähernd 100 Milliarden
Euro planen. Das ist die Wahrheit, die wir festhalten
müssen. Insofern hat der Finanzminister am Thema vorbeigesprochen.
({8})
Der zweite Punkt ist das entschlossene Eintreten für
Privateigentum, für weniger Staat und mehr Eigenverantwortung, damit den Bürgern mehr von den Früchten
ihrer Arbeit bleibt. Darum geht es, wenn wir hier Vorschläge machen, wie die Lohnnebenkosten und die Steuern gesenkt werden können. Wir können es den jungen
Leuten nicht zumuten, dass ihnen, wenn sie nach ihrer
Ausbildung arbeiten gehen, über 60 Prozent des Verdienten abgezogen werden. Dadurch schaffen Sie keine
Anreize für Arbeit und Investitionen. Damit frustrieren
Sie die Menschen und treiben sie in die Schwarzarbeit
oder ins Ausland.
Das dritte Grundprinzip ist die Sicherstellung eines
funktionsfähigen Wettbewerbs, und zwar in allen Bereichen, auch auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Bereich
müssen wir, was zum Beispiel das Tarif- und das Arbeitsrecht betrifft, ebenfalls die Voraussetzungen für
Wettbewerb schaffen.
Das vierte Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft
- genau dies ist das Prinzip, gegen das Sie so nachhaltig
verstoßen - ist die Rückkehr zur Langfristorientierung
und zur Verlässlichkeit der Politik. Denn nur dadurch
wird das Vertrauen geschaffen, das notwendig ist, damit
die Menschen Arbeit aufnehmen und damit Investitionen
getätigt werden.
({9})
Um mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen,
ist es die Aufgabe der Politik, auf der Grundlage dieser
Prinzipien Ludwig Erhards die notwendigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die drei
Wachstumsfaktoren Arbeit, Investitionen und technischer Fortschritt zu schaffen.
Die gegenwärtigen Demonstrationen und die Diskussionen in der Öffentlichkeit zeigen: Wir müssen nicht
nur die Transfers zielgenauer durchführen und mehr Anreize zur Aufnahme von Arbeit schaffen, sondern wir
müssen in diesem Land auch wieder mehr wettbewerbsfähige, legale Arbeitsplätze schaffen. Das ist der Schlüssel zum Wachstum von morgen.
({10})
Wer Arbeit schaffen will, braucht bessere Voraussetzungen für Investitionen. Hierzu muss man der Bundesregierung, wenn sie mehr Wachstum befördern will,
doch einmal Folgendes sagen: Wer Investoren, wie es
Herr Bütikofer in den letzten Tagen wieder getan hat,
statt ihnen Mut zu machen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie an diesem Standort eine positive Entwicklung nehmen können, sofort mit der Androhung neuer
Steuererhöhungen entgegentritt, der hilft nicht dabei,
dass Wachstum entsteht, sondern er zerstört die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung in diesem Land.
({11})
Es muss uns gelingen, die steuerlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Investitionen in diesem Land
wieder nachhaltig an Fahrt aufnehmen. Dafür brauchen
wir in Deutschland ein Steuerrecht, wie es Hermann
Otto Solms für die FDP-Fraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht hat: ein einfaches Steuerrecht mit
niedrigen Steuersätzen, das im Ergebnis gerecht ist. Es
ist doch interessant: Alle wirtschaftswissenschaftlichen
Forschungsinstitute, alle Wirtschaftswissenschaftler,
auch alle, die im Ausland mit solchen Konzepten gearbeitet haben, sagen: Das ist der Schlüssel, um in
Deutschland aus der schwierigen Situation herauszukommen. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im
Deutschen Bundestag vor. Meine Damen und Herren,
wenn Sie es ernst meinten mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, wenn Sie es ernst meinten mit der Konsolidierung Ihres Haushaltes, müssten Sie diesen Gesetzentwurf schnell auf die Tagesordnung setzen und
mitarbeiten, dass er noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann. Das wäre ein Impuls für dieses
Land, nicht diese Rumeierei, die Sie die ganze Zeit über
zelebrieren.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte in den letzten Tagen hat deutlich gezeigt: Der Zustand des Landes wird immer kritischer.
({0})
Die Sorgen der Menschen um ihren Arbeitsplatz, um
ihre Existenz, um ihre soziale Sicherung nehmen zu. Zu
Recht erwarten die Menschen von denen, die in der Politik Verantwortung tragen, sichtbare und spürbare Signale
zur Verbesserung der Situation.
({1})
Genau diesen Erwartungen wird weder der vorliegende
Haushaltsentwurf noch das, was die Regierung und die
Koalitionsfraktionskollegen in dieser Woche gesagt haben, gerecht. Nichts ist erkennbar an spürbaren, an sichtbaren Signalen, dass sich die Situation für die Menschen
im Land tatsächlich verbessert.
({2})
Im Gegenteil: Wenn man es sich genau anschaut, ist
der vorliegende Haushaltsentwurf wie in den vergangenen Jahren auch in diesem Jahr ein Flickwerk. Immer
wieder wird an verschiedenen Stellen versucht, selbst
gemachte Haushaltslöcher zu stopfen, und auch in diesem Jahr wieder ist der Haushaltsentwurf mit einer
Menge von Risiken verbunden. Eigentlich müsste man
sich als Finanzminister genieren, so etwas vorzulegen.
({3})
Ich nenne Ihnen einige Beispiele, um dies zu begründen: Es sind Privatisierungserlöse von etwa
15 Milliarden Euro enthalten - jeder weiß, dass das so
nicht zu erreichen ist. Da ist ein Bundesbankgewinn von
etwa 3,5 Milliarden Euro eingestellt - im vergangenen
Jahr sind 248 Millionen Euro erzielt worden. Nun soll
die Eigenheimzulage abgeschafft werden, eine Maßnahme, die überhaupt noch nicht beschlossen ist und aller Voraussicht nach auch nicht beschlossen werden
wird.
({4})
Die Einsparungen daraus sind aber schon im Haushalt
berücksichtigt. Andererseits sind Ausgaben, die schon
beschlossen sind, nämlich für Hartz IV, nicht enthalten.
Meine Damen und Herren, ein Haushalt mit solch
großen Risiken und bewusst falschen Angaben ist so etwas von unseriös, dass man ihn den Leuten in diesem
Land einfach nicht zumuten kann.
({5})
Dazu kommt, dass die Wachstumserwartungen, die zugrunde gelegt sind, auch in diesem Jahr wieder aus der
Luft gegriffen sind. Erst gestern hat das Institut für Weltwirtschaft in Kiel die Wachstumserwartungen reduziert:
auf 1,2 Prozent. Auch dies gehört zur Wahrheit, die man
den Menschen nicht vorenthalten darf.
Aus all diesen Gründen ist dieser Entwurf nur auf
dem Papier verfassungsgemäß. Trotz dieser Luftbuchungen werden die Maastricht-Kriterien wieder nicht erfüllt,
trotz dieser Schönfärberei haben wir eine ÜberschulGerda Hasselfeldt
dung, die die Stabilität der Währung gefährdet. Meine
Damen und Herren, und dann spricht der Finanzminister
von dem „sechsten Konsolidierungshaushalt in Folge“,
den er vorlegt!
({6})
Von Konsolidierung kann da wirklich überhaupt nicht
die Rede sein, schon mit der Überschrift wird die Bevölkerung angelogen. Dann braucht man sich auch nicht zu
wundern, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik schwindet. Sie merken nämlich, dass
sie von denen, die hier politische Verantwortung tragen,
wieder einmal angelogen werden.
Wenn der Bundeskanzler in einem Meister ist, dann
ist er es im Formulieren. Ich zitiere einen Satz aus seiner
Regierungserklärung vom November 1998:
Das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger von
uns verlangen können, ist der Wille zur Aufrichtigkeit, zur Beschreibung der Wirklichkeit.
({7})
Wenn er sich doch wenigstens an diesem ihm selbst gesetzten Mindestanspruch messen lassen würde,
({8})
dann müsste er sich heute hier hinstellen und sagen:
Leute, ich habe sechs Jahre lang Verantwortung in diesem Land gehabt. Der Zustand des Landes ist nach sechs
Jahren schlechter als vorher, den Menschen geht es
schlechter also vorher, und die Arbeitslosigkeit ist nicht
gesunken, wie ich es versprochen habe, sondern gestiegen.
({9})
Deshalb gestehe ich meine Schuld ein und gebe die Verantwortung an andere. - Das würde er tun, wenn er aufrichtig und ehrlich wäre.
({10})
Nun will ich nicht bestreiten, dass die Situation
schwierig ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es die
demographische Entwicklung und die Globalisierung
mit den sich daraus ergebenen Problemen nicht erst seit
gestern gibt; sie gibt es schon länger. Zur Wahrheit gehört auch, dass in diesen sechs Jahren der Verantwortung
von Rot-Grün nichts getan wurde, um die Situation zu
verbessern. Es wurde aber vieles getan, um die Situation
zu verschärfen und zu verschlechtern.
Ich nenne nur einige Beispiele: 1997 haben Sie unsere Steuerreform, die schon beschlossen war, im Bundesrat blockiert. Heute wird ja auch zugegeben, dass dies
nur aus wahltaktischen Gründen geschehen ist. 1998/
1999 haben Sie die von uns vorgenommenen Sozial- und
Arbeitsrechtsreformen zurückgenommen. Im Laufe der
letzten sechs Jahre haben Sie das Steuersystem nicht einfacher, sondern komplizierter gemacht. Sie haben die
Sozialversicherung nicht grundlegend und wegweisend
reformiert, sondern nur entsprechende Überschriften
veröffentlicht. Denken Sie an die Riester-Rente, die Sie
„Jahrhundertreform“ genannt haben, um ein halbes Jahr
später zugeben zu müssen, dass dies keine Jahrhundertreform war. Schließlich haben Sie die Kommunen nicht
zuletzt dadurch ausbluten lassen, dass Sie die Gewerbesteuerumlage erhöht haben. Dadurch haben Sie den
Kommunen jahrelang mehr Geld abgenommen, als es eigentlich notwendig und als es gerechtfertigt gewesen
wäre.
({11})
Bei einer solchen Politik brauchen Sie sich nicht darüber zu wundern, dass die Einnahmen zurückgehen, die
Ausgaben steigen und dadurch die Haushaltsdefizite immer größer werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Das ist nicht gottgegeben, sondern das haben Sie zu verantworten.
({12})
Das Schlimme daran ist, dass die Folgen nicht nur auf
dem Papier stehen, dass es also nicht nur Auswirkungen
auf die Zahlen des Haushaltes gibt. Das Schlimme daran
ist, dass die Menschen betroffen sind. Den jungen Menschen werden durch die hohe Verschuldung die Perspektiven für die Zukunft kaputtgemacht, den Älteren wird
ein Teil des Lohnes ihrer Arbeit genommen
({13})
und viele - auch qualifizierte und leistungsbereite Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht. Das ist das Schlimme an dieser Politik.
({14})
Es ist mit Sicherheit der falsche Weg, zu glauben, dies
bei Haushaltsberatungen durch einseitige Kürzungen unter dem Stichwort „Konsolidierung“ oder durch das
Stopfen des einen Lochs heute und des anderen Lochs
morgen ändern zu können. Wir haben das bei der Tabaksteuer erlebt. Durch die massive Erhöhung dieser Steuer
haben Sie versucht, ein Loch zu stopfen. Das Ergebnis
war, dass sich die Menschen so verhalten haben, wie sie
es getan haben, nämlich ganz normal. Wir hatten Ihnen
das vorher auch gesagt.
({15})
Das Volumen des Steueraufkommens reicht also nicht,
sodass Sie sich etwas anderes suchen müssen, um das
Loch zu stopfen. Sie sind eben nicht bereit, grundlegende Entscheidungen zu treffen, grundlegende Strukturreformen durchzuführen und eine grundlegende Politik für Wachstum und Beschäftigung zu gestalten. Das
ist der wesentliche Punkt, den wir kritisieren.
({16})
- Darauf komme ich noch zurück.
Es ist in dieser Zeit auch falsch, die Menschen durch
ständige Diskussionen über die Erbschaftsteuer, die Vermögensteuer und anderes weiter zu verunsichern. Das,
was die Menschen brauchen, ist - Herr Professor
Pinkwart hat es angesprochen - Verlässlichkeit. Sie hingegen machen es einmal so und einmal so. Man darf die
Menschen auch nicht bei der Höhe von Einnahmen belügen.
Ich kann mich noch sehr gut an ein Beispiel erinnern
- das ist noch gar nicht so lange her - : Es geht um die so
genannte Brücke zur Steuerehrlichkeit. Sie haben vorausgesagt, dass mit dieser Maßnahme 5 Milliarden Euro
mehr Steuereinnahmen erreicht werden. Die Finanzminister der Länder haben schon große Augen bekommen und sich auf diese Einnahmen gefreut. Wir haben
schon damals gesagt: Macht euch nichts vor, so viel wird
es nicht. Diese Einnahmeprognose ist von den Steuerschätzern auf 1,5 Milliarden Euro korrigiert worden.
Nach In-Kraft-Treten sind im ersten Halbjahr dieses Jahres etwa 220 Millionen Euro eingegangen. Daran sieht
man wieder, dass die Leute belogen werden. Voraussagen, die einfach nicht stimmen, werden in die Welt gesetzt.
({17})
Falsch ist auch, bei den Investitionen und den Maßnahmen, die Wachstum stimulierend sind, zu kürzen,
aber ökologische Spielwiesen beizubehalten. Vollkommen unsinnig und unnütz war auch der BND-Umzug
von München nach Berlin. Ein anderes Beispiel sind die
Unsummen von Geldern, die für Ich-AGs, Jobfloater
und Ähnliches ausgegeben wurden. Notwendig wäre
eine Politik, die bei wirklich jeder Entscheidung prüft:
Bringt sie uns Arbeitsplätze? Bringt sie uns Zukunftschancen? Belässt sie die Arbeitsplätze im Land?
Ich will einige Punkte ansprechen, die hier eine Rolle
spielen. Wie verhalten wir uns zu Innovation und Forschung? Es reicht eben nicht, wenn der Bundeskanzler
das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation erklärt. Es reicht
auch nicht, wenn der Wirtschaftsminister die Gentechnik insgesamt fördern will. Ausschlaggebend ist
das, was tatsächlich an Politik gemacht wird. Gemacht
wird unter der Federführung der Landwirtschafts- und
Verbraucherschutzministerin ein Gesetz zur Gentechnik,
das die Gentechnik, die Forschung und den Anbau in
diesem Bereich aus dem Lande verdrängt. Forschung
findet in diesem Bereich nicht mehr in Deutschland, sondern in anderen Ländern statt und hoch qualifiziertes
Personal in diesem Bereich geht aus Deutschland weg.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({18})
Eine Binsenweisheit ist auch, dass Investitionen gestärkt werden müssen. Der Investitionsanteil im Bundeshaushalt geht Jahr für Jahr zurück und liegt mittlerweile bei 8,8 Prozent. Sie haben gesagt, dass die
Kommunen investieren sollen, weil Sie nicht investieren
können. Sie schreiben den Kommunen nun auch noch
vor, was sie zusätzlich machen sollen, beispielsweise bei
der Kindertagesbetreuung. Lassen Sie ihnen doch die
Freiheit, mit dem Geld, das sie einnehmen, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Machen
Sie das, was notwendig ist, nämlich bei den Kommunen
die Dynamik der Sozialausgaben zu begrenzen. Es reicht
nicht, das in Sonntagsreden zu beschwören, wie es beispielsweise die SPD in Nordrhein-Westfalen tut, sondern
es ist notwendig, dies hier in diesem Haus zu beschließen. Anträge dazu liegen vor.
Mein letzter Punkt betrifft die Eigenheimzulage, weil
auch sie im Zusammenhang mit Investitionen steht. Die
Einnahmen durch Kürzung der Eigenheimzulage sind
ähnlich wie früher beim Jäger 90 schon mehrfach eingeplant. Gestern Abend habe ich gehört, dass die Mittel aus
diesen Einnahmen auch in die Landwirtschaft fließen
sollen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Abschaffung der Eigenheimzulage pro Jahr ein Minus an
Investitionen im Wohnungsbau von etwa 28 Milliarden
Euro bedeutet. Diese Berechnung stammt nicht von mir,
sondern von Experten. In einer Zeit, in der es darum
geht, wirtschaftspolitische Signale in Richtung Investitionen und Arbeitsplätze zu setzen, kann man doch nicht
ein solches Instrument, das sich im Übrigen auch familienpolitisch bewährt hat, zur Seite legen.
({19})
Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
Es ist wichtig, nicht irgendwelche kurzsichtigen
Haushaltslöcher zu stopfen,
({0})
sondern die Inhalte der Politik sind ausschlaggebend.
Mit dem, was Sie in den letzten sechs Jahren gemacht
haben, haben Sie einen wesentlichen Beitrag zu dieser
schlechten Situation unseres Landes geleistet. Deshalb
ist ein Umkehren notwendig, und zwar nicht in Form
von kurzfristigem Stopfen von Löchern, sondern in
Richtung einer anderen Politik, die die Menschen und
die Arbeitsplätze in den Vordergrund stellt.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Da ich gestern beim Hörtest gewesen bin,
glaube ich nicht, dass ich eben etwas überhört habe.
({0})
Frau Kollegin Hasselfeldt hat gesagt, sie wolle eigene
Vorschläge machen. Ich habe keine gehört, genauso wie
ich in der ganzen Woche keine eigenen Vorschläge der
Union zur Lösung der Haushaltsprobleme gehört habe.
({1})
Ich glaube, Sie von der Union sollten sich auf eine gemeinsame Linie innerhalb Ihrer Partei verständigen;
denn das, was Sie in dieser Woche geboten haben, hat
gezeigt, dass Sie nicht in der Lage sind, Verantwortung
für dieses Land zu tragen.
({2})
Sie haben außer unseriöser Kritik und noch unseriöseren
Vorschlägen nichts zu bieten. Die meisten von Ihnen stehen weder zu ihren eigenen Vorschlägen, noch zu den
Gesetzen, denen sie im Bundestag, im Bundesrat und im
Vermittlungsausschuss zugestimmt haben.
Ich will Ihnen das am Beispiel des saarländischen
Ministerpräsidenten deutlich machen. Er hat den Verschärfungen zu Hartz IV, die von Ihrer Seite im Vermittlungsausschuss gefordert wurden, im Bundesrat und im
Vermittlungsausschuss zugestimmt. Zwei Tage vor der
Landtagswahl aber stellt er sich hin und verlangt Nachbesserungen und weint Krokodilstränen. Das ist Ehrlichkeit nach Art der CDU/CSU.
({3})
Sie haben die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose genauso zu verantworten wie die
Praxisgebühr und die Kopfprämie für den Zahnersatz.
Sie sollten endlich zu dem stehen, was Sie mit zu verantworten haben, und sich nicht ständig wegducken. Der
einzige, der heute bzw. in dieser Woche eine für meine
Begriffe etwas nachdenklichere Rede gehalten hat, war
der Kollege Laumann. Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Union, sollten den Leuten sagen, dass Sie
mit Ihrem Existenzsicherungsgesetz den Arbeitslosen
im ersten Monat das Arbeitslosengeld kürzen wollen. Ich
habe noch nicht gehört, dass Sie das offensiv vertreten.
Sie sollten ihnen auch sagen, dass Sie diejenigen waren,
die den Empfängern von Arbeitslosengeld II überhaupt
keine Zuverdienstmöglichkeiten erlauben wollten.
({4})
Sie sollten auch zugeben, dass Sie das Optionsmodell
eigentlich gar nicht ernsthaft gewollt haben, sondern nur
Chaos produzieren wollten.
({5})
- Das scheint Sie sehr zu treffen. Das kann ich an einem
konkreten Beispiel deutlich machen.
Im Saarland gibt es sechs Landkreise. In jedem Landkreis gibt es entweder eine CDU-Mehrheit oder eine
CDU/FDP-Mehrheit. Fünf von diesen Landkreisen haben sich für das Arbeitsgemeinschaftsmodell entschieden, ein Landkreis ist für das Optionsmodell. Raten Sie
einmal, was das Land tut! Das Land weiß noch gar nicht,
ob es zustimmen will, weil es eine Kreisreform im Hinterkopf hat, was vor der Landtagswahl auch nicht zugegeben wurde. Das ist die Politik, um die es Ihnen geht.
Der einzige, der vielleicht wirklich das Optionsmodell
wollte, war der hessische Ministerpräsident. Alle anderen wollten das aber im Prinzip nicht.
({6})
Sie haben es zu verantworten, wenn es in einzelnen Bereichen kritisch wird, weil Sie vorgegaukelt haben, mit
dem Optionsmodell könne man etwas machen.
({7})
Es gibt darüber hinaus auch keine uneingeschränkte
Zusage des Landes gegenüber den Gemeinden, ob denn
die Entlastung, die vereinbart worden ist, wirklich an
die kommunale Ebene weitergegeben wird. Ich höre aus
Nordrhein-Westfalen, dass das Land genau das zugesagt
hat. Man muss sich überlegen, was dann werden soll.
Die Gemeinden beklagen sich, dass sie das Geld nicht
bekommen. Wir haben uns verpflichtet, später genau abzurechnen, und gehen davon aus, dass die Gemeinden
das Geld bekommen. Das wird wahrscheinlich wieder an
den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister hängen
bleiben, sodass die Gemeinden die Entlastungen nicht
bekommen werden, die zwischen uns vereinbart worden
sind.
Eines ist während der Debattenbeiträge deutlich geworden. Die Kollegen und Kolleginnen aus dem Haushaltsausschuss haben die Höhe der Ausgaben kritisiert
und mehr Einsparungen gefordert und die Fachpolitiker
und Fachpolitikerinnen haben die Einsparungen kritisiert
und mehr Ausgaben gefordert. Das ist das, was Sie in
dieser Woche geboten haben.
({8})
Sie sollten sich untereinander verständigen, was Sie
eigentlich wollen: Sparen oder mehr ausgeben, beides
geht nicht.
({9})
- Nein, das habe ich von unseren nicht gehört.
Ich habe eben gehört, dass der Kollege Pinkwart
2 Milliarden bis 2,5 Milliarden Euro einsparen will, der
Kollege Austermann - so habe ich gelesen - will
7,5 Milliarden Euro einsparen,
({10})
der bayerische Ministerpräsident will sogar 5 Prozent
des Haushaltsvolumens, also 12,5 Milliarden Euro, einsparen.
({11})
Wie das geschehen soll, haben Sie nicht gesagt.
Wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, Haushaltsrisiken bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen
hochrechnen, weshalb schlagen Sie dann nur so geringe
Einsparungen vor? Das passt doch nicht zusammen. Was
Sie hier geboten haben, ist pure Polemik.
({12})
Die Auswirkung der Stoiber-Vorschläge könnte ich
Ihnen jetzt noch an einzelnen Beispielen deutlich machen. Im Bereich Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
wären Einsparungen nur durch Investitionskürzungen
möglich, im Bereich Wirtschaft und Arbeit müssten
1,7 Milliarden Euro eingespart werden. Woher wollen
Sie die nehmen? Wollen Sie beim Arbeitslosengeld oder
bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik sparen? Ihre ostdeutschen Ministerpräsidenten werden sich wirklich in Freudentänzen ergehen, wenn Sie dort bei den aktiven Maßnahmen für die Arbeitsmarktpolitik noch kürzen wollen.
({13})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Ferner, man mag ja manche Vorschläge
aus dem tiefen Süden durchaus infrage stellen, aber habe
ich Ihren Beitrag so zu verstehen, dass seitens der Haushälter der Koalition in den weiteren Beratungen keinerlei
Einsparvorschläge kommen, oder können wir erwarten,
dass auch von Ihnen - so wie es die FDP bei den letzten
Beratungen gemacht hat - vielleicht noch vernünftige
Vorschläge im Volumen von ein paar Milliarden kommen?
Ich werde nachher noch auf unsere Einsparvorschläge
eingehen. Nach der Aufstellung des Haushalts sind übrigens bereits einige Beschlüsse gefasst worden, die bei
der Haushaltsaufstellung nicht berücksichtigt werden
konnten. Wir werden unsere Vorschläge in altbewährter
Manier während der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss machen.
Ich gestehe Ihnen gern zu, Herr Fricke, dass Ihre Vorschläge bei den Haushaltsberatungen in den letzten zwei
Jahren, in denen ich die Beratungen im Haushaltsausschuss beobachte, deutlich seriöser - wenn auch noch
lange nicht seriös genug - waren als die Vorschläge der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sie haben - das ist während der Debatte schon mehrfach erwähnt worden - Ausgabenprogramme beschlossen, zwar noch nicht unbedingt in Form von Gesetzentwürfen, aber zumindest auf Ihren Parteitagen und in
Ihren Gremien und Kommissionen, die für die öffentlichen Haushalte zusätzliche Belastungen von deutlich
über 100 Milliarden Euro bringen würden. Ich will die
Bierdeckelreform von Herrn Merz und die Vorschläge
der FDP zur Steuerreform gar nicht dazu addieren; dann
kämen zweistellige Milliardenbeträge an Steuerausfällen
hinzu. Ich glaube, das, was Sie in dieser Woche hier geboten haben, ist ein gutes Stück unehrlich.
({1})
Sie beklagen die Kürzungen bei den Ausgaben, thematisieren aber Ihre eigenen ausgabewirksamen Vorschläge nicht. Das heben Sie sich wieder für Wahlkämpfe auf. Sie benennen auch nicht, was die
Umsetzung Ihrer Vorschläge kosten würde, und Sie benennen vor allen Dingen nicht, wie Sie sie finanzieren
wollen.
Ich habe eben mit Verwunderung gehört, dass Frau
Kollegin Hasselfeldt sich über die wegbrechenden Einnahmen beklagt hat, und frage Sie: Warum haben Sie
denn Einnahmeverbesserungen blockiert? Wir haben
Ihnen doch genügend Gelegenheit geboten, die Einnahmen zu verbessern.
({2})
Sie haben im Bundestag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss deutliche Einnahmeverbesserungen blockiert. Ich komme nachher noch darauf zurück.
({3})
Man sollte sich auch einmal anschauen, wie die
Presse das, was in dieser Woche hier gelaufen ist, kommentiert. Vielleicht ist Ihre Fraktionsvorsitzende heute
nicht da, weil sie sich die Zitate nicht anhören will. Ich
zitiere:
Die Union stellt den Finanzminister genüsslich an
den Pranger - zu Unrecht. … Ein gehöriges Maß
Mitschuld hat die Union. Eichel bietet … in der labilen konjunkturellen Gegenwart das bessere und
glaubhaftere finanzpolitische Konzept.
Das schrieb die „Financial Times Deutschland“ in ihrem
Leitartikel vom Mittwoch.
({4})
Dort steht weiter zu lesen:
Man kann, wie die Union es tut, das Zahlenwerk
aus dem Hause Eichel schon heute als Makulatur
verdammen. Die Frage ist nur, wie ein besseres
Konzept aussähe. An dieser Stelle zeigt sich die
Union blank; sie verlegt sich lieber darauf, dem
Finanzminister Versagen vorzuwerfen, während sie
auf der anderen Seite dessen Pläne zum Abbau
steuerlicher Vergünstigungen wie der Eigenheimzulage im Bundesrat blokkiert. Pauschale Ausgabenkürzungen von fünf Prozent, wie sie etwa CSUChef Edmund Stoiber zum Haushaltsausgleich vorgeschlagen hat, wären in der Union niemals durchsetzbar, weil sie auch die Renten, die Landwirtschaft und die Bundeswehr stark beschneiden
würden.
Das sagt doch wohl alles. Ich könnte Ihnen weitere
Zitate aus dem „Handelsblatt“ und der „Süddeutschen
Zeitung“ vorlesen.
({5})
Alle haben den gleichen Tenor: Sie haben überhaupt
kein Konzept. Sie sind nur in der Lage zu kritisieren,
aber Sie sind nicht in der Lage, eigene konstruktive Vorschläge zu machen.
({6})
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik steht vor einer
dreifachen Aufgabe. Sie muss zuerst alles unternehmen,
um den beginnenden Aufschwung zu unterstützen.
Gleichzeitig gilt es aber im Sinne einer nachhaltigen
Politik, den Konsolidierungskurs nicht zu verlassen. Zudem müssen die eingeleiteten Strukturreformen umgesetzt werden. Es geht also um die Verbindung von
Wachstumsförderung, Konsolidierung und Strukturreformen. Der Konsolidierungskurs wurde auch mit
Ausgabenbegrenzung und Subventionsabbau fortgesetzt.
Beim Subventionsabbau stehen Sie von Union und
FDP - ich habe das schon gesagt - ständig auf der
Bremse. Wir haben mehrfach Initiativen vorgeschlagen.
Sie haben beim Steuervergünstigungsabbaugesetz und
beim Haushaltsbegleitgesetz des letzten Jahres Einnahmeverbesserungen für die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe
von insgesamt 25 Milliarden Euro - 25 Milliarden Euro! blockiert. Der Bund stünde anderenfalls in diesem Zeitraum mit 10,6 Milliarden Euro besser da, die Länder mit
knapp 10 Milliarden Euro und die Gemeinden immerhin
mit 4,4 Milliarden Euro.
Herr Pinkwart, Sie haben uns im Zusammenhang mit
dem Subventionsabbau Steuererhöhungen vorgeworfen.
Sie haben wirklich einen merkwürdigen Subventionsbegriff. Es ist doch kein Unterschied, ob man nun Geld aus
dem Haushalt nimmt, um es einem Subventionsempfänger zu geben, oder ob man darauf verzichtet, Dinge zu
besteuern, die sinnvollerweise besteuert werden müssten. Ihr Subventionsbegriff führt den Staat in den Bankrott und dazu, dass die öffentliche Hand gar nicht mehr
handlungsfähig ist und dass die von Ihnen geforderten
Investitionen in Bildung und Forschung zurückgehen.
({7})
Wir reduzieren die Nettokreditaufnahme für das
nächste Jahr auf 22 Milliarden Euro. Sie haben Recht:
Wir haben Privatisierungserlöse in Höhe von 15,45 Milliarden Euro eingeplant. Das ist aber notwendig, damit
der selbsttragende Aufschwung nicht kaputtgemacht
wird. Ausgabenkürzungen in den Dimensionen, die Sie
vorgeschlagen haben, würden mit Sicherheit nicht zu einem Anspringen der Konjunktur, sondern zum Gegenteil
führen. Dazu könnte ich Ihnen noch einiges zitieren.
Ich möchte noch etwas zum Thema Schulden sagen.
Der Kollege Austermann hat am Dienstag ausgerechnet
das Saarland als positives Beispiel in Sachen Schuldenentwicklung angeführt. Ich weiß nicht, woher er seine
Zahlen hat, aber er hat behauptet - das ist schon beeindruckend -, nicht das Saarland, sondern das Land
Schleswig-Holstein habe die rote Laterne. Ich habe das
überprüft und festgestellt: Es ist genau umgekehrt. Ausweislich des Berichts der Bundesregierung über den
Schuldenstand der Länder vom Ende des Monats Juni ergibt sich folgendes Bild: Die Pro-Kopf-Verschuldung
beträgt im Saarland 7 070 Euro
({8})
- dazu kann ich gleich noch etwas sagen - und in Schleswig-Holstein 6 811 Euro. Ich habe in der Schule gelernt,
dass 6 811 Euro weniger als 7 070 Euro sind. Herr
Austermann sollte sich einmal um die Quelle für seine
Zahlen kümmern.
({9})
Es ist aber noch schlimmer. Die konservative saarländische Landesregierung hat es mit ihrem Musterknaben
Müller geschafft, innerhalb von fünf Jahren den Schuldenstand um 1 Milliarde Euro zu erhöhen,
({10})
obwohl im gleichen Zeitraum zusätzlich fast
2 Milliarden Euro Teilentschuldungsmittel vom Bund an
das Land geflossen sind. Wir reden also über die „Lappalie“ von 3 Milliarden Euro, die dort von Ihrer Regierung verfrühstückt worden sind.
({11})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rauber?
Gerne.
Bitte, Herr Rauber.
Frau Kollegin Ferner, stimmen Sie mir zu, dass das
Saarland den geringsten Anstieg beim Haushaltsvolumen insgesamt hat und dass die Steuermindereinnahmen
letzten Endes nur deshalb entstanden sind, weil es in
Deutschland an Wirtschaftsdynamik fehlt? Meiner Meinung nach liegt dort der Grund und nicht in einer verfehlten Haushaltspolitik der Landesregierung, wie Sie
fälschlicherweise behaupten.
({0})
Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege
Rauber. Denn nur wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht, kann man einen geringeren Anstieg des Haushaltsvolumens darstellen. Eine ganze Reihe von Dingen,
die vorher im Landeshaushalt berücksichtigt waren, ist
nämlich ausgegliedert worden, wie beispielsweise der
Landesbetrieb für Straßenwesen. Das sollten Sie als ehemaliger saarländischer Landtagsabgeordneter eigentlich
wissen.
({0})
- Ihr Kollege hat doch gefragt. Ich antworte nur auf die
Fragen, die mir hier gestellt werden.
({1})
- Herr Laumann, melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage, wenn Sie das wissen wollen. Jetzt beantworte ich erst einmal die Frage des Kollegen Rauber.
Wenn man das fairerweise addiert, dann kommt man
zu dem Ergebnis, dass die Ausgabensteigerung deutlich
höher als in den Vorjahren ist.
Ausweislich eines Berichtes des Landesrechnungshofes
({2})
sind die Kosten für das Personal der politischen Führung
gestiegen. Aber beim Steuervollzug sind - darüber sollten Sie sich einmal wundern; damit hängen vielleicht die
fehlenden Einnahmen zusammen - Personalstellen gestrichen worden. Wie kann es überhaupt sein - das muss
ich doch einmal fragen dürfen -, dass es einem Land,
das vom Bund Geld bekommt, weil es in einer Haushaltsnotlage ist, einfällt, die Anzahl seiner für den Steuervollzug zuständigen Beamten zu reduzieren? Schließlich werden so weniger Steuern eingetrieben.
({3})
Diese Politik haben Sie gemacht.
Ein weiterer Grund für die fehlenden Einnahmen ist,
dass dieses Land ständig seine Hände Richtung Berlin
streckt und sagt: Ich will Geld haben. Wenn der Bundesrat aber beispielsweise Einnahmeverbesserungen beschließen kann, dann lehnt es sie ab.
({4})
Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Lieber Kollege
Rauber, insofern kann ich Ihnen in keinem Punkt zustimmen.
({5})
Die letzte Stufe der Steuerreform tritt nächstes Jahr
in Kraft. Ich möchte hier noch einmal erwähnen, dass
eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 37 540 Euro unter Berücksichtigung des Kindergeldes dann keine Steuern mehr zahlen wird. Das ist
im Vergleich zu 1998 eine Entlastung um 2 924 Euro im
Jahr. Frau Hasselfeldt, ich kann nicht verstehen, dass Sie
diese Entlastung als Nichts darstellen. Was haben Sie
denn in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gemacht? In
Ihrer Regierungszeit lag der Eingangssteuersatz bei
knapp 26 Prozent. Das war das Ergebnis Ihrer Regierungszeit.
({6})
Sehr geehrte Frau Kollegin Hasselfeldt, der Eingangssteuersatz liegt nächstes Jahr bei 15 Prozent.
Wir müssen bei der Frage, wofür wir das Geld ausgeben, deutlich machen, dass wir den Zukunftsausgaben
Vorrang geben. Die aus dem Wegfall der Eigenheimzulage frei werdenden Mittel können wir für eine Innovationsinitiative zur Stärkung von Forschung und Bildung
ausgeben. Es liegt an Ihnen, ob es für diese Bereiche
mehr Geld geben wird oder nicht.
({7})
Sie haben in Ihrer Rede eben die demographische
Entwicklung angesprochen. Sie haben gesagt: Darauf
muss man sich einstellen. Im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie gesagt: Die Eigenheimzulage muss aber für alle
Zeit gezahlt werden. Ich frage mich, was es bringt, bei
einer schrumpfenden Bevölkerung noch mehr in den
Neubau zu investieren.
({8})
Nötig sind die Sanierung und die Veränderung des Bestandes und keine zusätzlichen Wohnungen und Häuser,
was möglicherweise mit einer Zersiedelung der Landschaft einhergeht.
Wir haben die Gemeinden - auch gegen Ihren Widerstand - deutlich entlastet, insgesamt um 6,5 Milliarden
Euro. Ich will etwas zum Thema „Betreuung von Kindern unter drei Jahren“ - Stichwort 1,5 Milliarden
Euro - sagen: Genauso wie wir von den Ländern erwarten, dass das Geld, dessen Zahlung vereinbart worden
ist, bei den Gemeinden wirklich ankommt, so sehr erwarten wir auch von den Gemeinden, dass sie in die Zukunft unserer Kinder investieren, dass sie die Schaffung
und den Ausbau von Ganztagseinrichtungen für unter
Dreijährige forcieren, damit auch die jungen Frauen und
vielleicht der eine oder andere junge Mann die Möglichkeit haben, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Wenn man sich anschaut, wie es insgesamt aussieht,
dann erkennt man: In der Vergangenheit haben nicht unbedingt die schwarzen Gemeinden in Ganztagsschulen,
in Ganztagsbetreuungseinrichtungen für die Kleinen, in
Ganztagskindergärten, in Krippen und in Horte investiert, wenn sie kein zusätzliches Geld vom Bund erhalten
haben, sondern eher die sozialdemokratisch geführten
Gemeinden.
({9})
In den nächsten Jahren wird deutlich werden, wer
Geld für vernünftige Zukunftsinvestitionen ausgibt. Sie
haben in dieser Haushaltswoche überhaupt keine Alternativen geboten.
({10})
Ich bin darauf gespannt, ob Sie es schaffen, im Haushaltsausschuss ein paar ordentliche Vorschläge zu machen. Wir werden in den nächsten Wochen noch lange
genug Zeit haben, darüber zu debattieren.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch aus
der „Financial Times Deutschland“ zitieren:
Und selbst wenn die Union weniger heuchlerisch
agieren würde: Ihr Rezept der drastischen Ausgabenstreichungen ist in konjunkturell labilen Zeiten
höchst gefährlich. Eichel ist gut beraten, vorerst
keine weiteren Sparpakete anzukündigen.
Ich kann dem nur zustimmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und freue mich auf die Diskussion mit
Ihnen im Haushaltsausschuss.
({11})
Letzter Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch
die letzten Diskussionen zieht sich wie ein roter Faden
die Frage: Wird es eigentlich immer so weitergehen, dass
wir mit unserem Haushalt das Maastricht-Kriterium verletzen? Herr Eichel hat vorhin gesagt, es gehe nicht darum, den Maastricht-Vertrag zu ändern, und er hat angekündigt, dass er das nächste Jahr unter der 3-ProzentGrenze bleiben will. Nun ist die Frage, woraus wir
schließen sollen, dass seine heutige Aussage, im nächsten Jahr wolle er das Kriterium nicht mehr reißen, ernster gemeint ist als seine Aussage im letzten Jahr, in diesem Jahr wolle er es nicht reißen. Es gibt meines
Erachtens keine schlüssige Begründung dafür, dass wir
ihm diesmal glauben müssen.
Von mehreren Rednern wurde die Frage gestellt: Was
sollen wir tun, an welcher Stelle soll gespart werden, wer
hat Sparvorschläge usw. usf.? Ich möchte jetzt nicht den
Haushaltsdiskussionen in den Ausschüssen vorgreifen,
aber doch sagen: Wenn man schon nicht weiß, wie man
sparen soll, dann sollte man sich wenigstens einmal danach umgucken, ob es Beispiele aus Deutschland dafür
gibt, dass Haushaltskonsolidierung gelungen ist und
dass das Sparen tatsächlich Erfolg gehabt hat.
Solche Beispiele gibt es. Sie werden jetzt denken: Gerade dieser Ossi muss uns zum Sparen auffordern - bei
den riesigen Transferleistungen, die unseren Haushalt
natürlich erheblich belasten. Aber ich sage Ihnen: Gerade in Ostdeutschland gibt es solche Beispiele dafür,
dass man mit Erfolg gespart hat. Weil die Kollegin
Ferner eben das Saarland als Beispiel angeführt hat, erlaube auch ich mir, ein Beispiel zu bringen. Dazu muss
ich übrigens sagen: Die rigidesten Angriffe auf jedwede
Konsolidierungspolitik, so sie aus dem Saarland gekommen sind, sind nicht von Herrn Müller gekommen, sondern von jemandem aus Ihrer Partei, von einem nicht unbedeutendem Mitglied Ihrer Partei. So ist das nämlich.
({0})
- Ja.
({1})
Zurück zu einem Beispiel aus Ostdeutschland. In Ostdeutschland gibt es gute Beispiele solider Haushaltspolitik. Eines will ich Ihnen nennen: Sachsen. Sachsen hat
mit allen anderen ostdeutschen Flächenländern eines gemeinsam: Die Ausgangslage im Jahr 1990 war gleich
schlecht wie überall. Es gab genauso marode Wasserleitungsnetze und genauso funktionsuntüchtige Kläranlagen wie überall, es gab denselben Erneuerungsbedarf in
Infrastruktur und Bausubstanz und es gab dieselben Sozialstrukturen wie in den anderen ostdeutschen Ländern
auch. Heute, im Jahr 2004, weist Sachsen drei wesentliche Unterschiede zu den anderen ostdeutschen Ländern
auf:
Erstens. Seit 1990 wurde Sachsen niemals von einer
der rot-grünen Parteien oder der PDS regiert oder mitregiert.
Zweitens. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist in Sachsen
nicht nur ein bisschen geringer als im Durchschnitt der
ostdeutschen Länder ohne Sachsen, sondern sie ist weniger als halb so groß.
({2})
Drittens. Diese Sparpolitik hat Sachsen überhaupt
nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil. Sachsen
steht im Augenblick an der Spitze des Länderratings. Die
gestrige Auszeichnung für den sächsischen Ministerpräsidenten als Ministerpräsident des Jahres hat das eindrucksvoll bestätigt.
({3})
Das Beispiel Sachsen zeigt Folgendes: Es ist nicht nur
möglich, die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten,
sondern es ist sogar so, dass niedrige Verschuldung sowie wirtschaftlicher und sozialer Erfolg zwei Seiten derselben Medaille sind.
Ich will Ihnen auch sagen, was Sachsen getan hat und
was der Bund hätte tun sollen, um sparsamer zu wirtschaften. Man kann das eigentlich in einem Satz ausdrücken: Sachsen hat im Wesentlichen deshalb bessere
Haushaltszahlen als andere, weil man sich in Sachsen
darum bemüht hat, sich auf das Notwendige zu konzentrieren, und die Hände von teuren und unsinnigen Projekten gelassen hat. Genau das vergisst die Bundesregierung bei ihrer Haushaltspolitik jedoch seit sechs Jahren.
({4})
Ich will es Ihnen an einigen Beispielen erläutern: All
Ihre Luftschlösser in der Arbeitsmarktpolitik in den vergangenen Jahren hätten Sie sich sparen sollen: Ich denke
erstens an das berühmte Job-AQTIV-Gesetz - ich weiß
nicht, ob sich noch jemand hier daran erinnert; das war
eine völlige Luftnummer -, zweitens an den Jobfloater,
drittens - ({5})
- Die Argumente laufen überhaupt nicht ins Leere. Es ist
eine ausgesprochene Dreistigkeit, zu sagen, diese Argumente gingen ins Leere, wenn man sich einer solchen
Verschleuderung von Steuergeldern schuldig gemacht
hat.
({6})
- Wenn Sie nicht zuhören, wäre es gut, wenn Sie sich
draußen unterhalten würden,
({7})
denn ich habe das als Zwischenruf interpretiert, Frau
Leonhard bzw. Frau Professor Leonhard; entschuldigen
Sie bitte.
Der Jobfloater, das JUMP-Programm, die Ich-AGs,
die Personal-Service-Agenturen - alle diese Maßnahmen
waren für die Arbeitsmarktpolitik im Wesentlichen wirkungs- und wertlos. Es handelte sich um eine riesige
Verschleuderung und die Menschen wurden entmutigt,
weil man ihnen Luftschlösser vorgesetzt hat und sie auf
diese Weise um ihre Hoffnungen betrogen hat. Damit hat
man das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der großen Parteien in Deutschland nachhaltig beschädigt. Das
ist die Realität.
Eines - das muss ich allerdings sagen - ist Ihnen immer ganz gut gelungen: Immer wenn eines Ihrer Projekte
jämmerlich abgesoffen ist, haben Sie noch den Absprung
auf das nächste geschafft und vermocht, den Blick der
Öffentlichkeit wieder auf ein neues Projekt zu lenken.
({8})
Jetzt im Moment befinden wir uns beim Jump zu
Hartz IV.
({9})
Sie wissen, dass Sie sich prinzipiell auf die Unterstützung der Union verlassen können,
({10})
weil auch wir schon seit vielen Jahren gefordert haben,
die steuerfinanzierten Lohnersatzleistungen zu einer einheitlichen Leistung zusammenzuführen,
({11})
und weil wir alle wissen, dass durchgreifende Reformen
des Arbeitsmarktes dringend notwendig sind.
({12})
Wenn es nötig ist, einen Patienten am offenen Herzen
zu operieren, um sein Leben zu retten, dann handelt man
richtig, wenn man eine solche Operation vornimmt.
Wenn sich aber zeigt, dass - wie eine große deutsche
Zeitung titelte - beabsichtigt ist, diese Operation am
offenen Herzen statt mit dem Skalpell mit dem Brotmesser vorzunehmen,
({13})
dann ist es ebenfalls richtig, um das Leben des Patienten
zu schützen, einem solchen Ansinnen entgegenzutreten.
Nichts anderes ist geschehen.
({14})
Als die ostdeutschen Ministerpräsidenten nämlich
Ende vorigen Jahres dem im Vermittlungsausschuss erzielten Ergebnis zugestimmt haben, haben sie richtig gehandelt. Als aber klar wurde, dass das mühsam erstrittene Optionsrecht der Kommunen nur noch als
Makulatur überleben würde
({15})
und stattdessen mit einer so genannten Buschzulage ausgestattete abgewickelte Telekom-Formationen in Ostdeutschland einrücken würden, um die Hartz-Gesetze zu
vollziehen, haben die ostdeutschen Ministerpräsidenten
wiederum richtig gehandelt, indem sie sich im Bundesrat
einem solchen Ansinnen verweigert haben. Warum ist
das so? Sehen wir einmal von dem Mangel an Sensibilität ab, der an dem geplanten Einsatz von westdeutschen
Beamten und der Zahlung einer so genannten Buschzulage deutlich wird. Wenn aber keine Aussicht auf neue
Arbeitsplätze besteht, weil die Kommunen in Ostdeutschland nicht in die Lage versetzt werden, das
Potenzial an Arbeitsplätzen zu erschließen - dazu sind
nämlich nur sie in der Lage -, dann wird aus dem Skalpell das Brotmesser. Dann ist nämlich keine Perspektive
mehr da, die man mit Hartz verbinden könnte. Dann hat
man als verantwortlicher Politiker seine Stimme dagegen zu erheben.
Nun sagen Sie vielleicht, die westdeutschen Ministerpräsidenten hätten Hartz IV aber doch zugestimmt. Freilich haben sie zugestimmt, und zwar deshalb, weil in ihren Ländern nur ein Viertel der Anspruchsberechtigten
aus der Arbeitslosenhilfe kommen; im Osten hingegen
sind es drei Viertel. Wir reden demzufolge von völlig unterschiedlichen Problemlagen, weil die Herausforderungen eine ganz unterschiedliche Dimension haben.
Wir akzeptieren Einschränkungen, wenn sie dazu dienen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber wir akzeptieren Einschränkungen nicht, wenn sie wider besseres
Wissen mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze begründet werden, in Wirklichkeit jedoch nur dazu dienen, das
durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik verlorene Geld
bei den Geschädigten wieder einzutreiben.
Wenn Sie diesen letzten Vorwurf als ungerechtfertigt
ansehen sollten, dann können Sie ihn sofort widerlegen.
Sie wissen, dass uns im Osten durch die Absenkung der
Arbeitslosenhilfe 1 Milliarde Euro pro Jahr an Kaufkraft verloren gehen wird. Wenn das Motiv der Arbeitsmarktreform nicht die Entlastung der Kassen des Bundes
war, dann bitte ich Sie, der Region Ostdeutschland die
eingesparten Mittel in Form von zusätzlichen investiven
Mitteln wieder zuzuweisen, damit die öffentlichen
Hände durch öffentliche Aufträge Arbeit generieren
können und diese Mittel nicht etwa mit der Buschzulage
für die Telekom-Beamten verrechnet werden.
({16})
Wenn Sie das nicht tun, dann ist der Vorwurf, Sie wollten
in erster Linie abkassieren, leider berechtigt.
Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Ich
hätte dem Herrn Bundeskanzler gewünscht, dass ihm die
Bruchlandung mit Hartz IV in Ostdeutschland erspart
geblieben wäre; denn das wäre besser für die Menschen
in Ostdeutschland gewesen. Aber das wäre nur möglich
gewesen, wenn in seinem Kabinett jemand gesessen
hätte, der andeutungsweise mit der Lage in Ostdeutschland vertraut gewesen wäre. Allmählich kann ich nur
hoffen, dass der Herr Bundeskanzler weiß, was er getan
hat, indem er mit Manfred Stolpe jemanden in die Verantwortung für Ostdeutschland geholt hat, der nicht nur
zu jenen Politikern gehörte, die in der Zeit vor 1990 - ({17})
- Er hat expressis verbis auch die Verantwortung für
Ostdeutschland, das werden Sie nicht bestreiten können.
({18})
- Nein, Herr Stolpe hat eine besondere Verantwortung
für Ostdeutschland. Aber er ist ausgerechnet einer von
den Politikern, die nach meiner Auffassung - und nach
einer in Ostdeutschland verbreiteten Auffassung - sowohl vor wie auch nach 1990 den nachhaltigsten politischen Schaden angerichtet haben,
({19})
und er ist ganz offenbar unfähig, seine eigenen Fehlleistungen zu begreifen.
Herr Kollege!
Ich schließe gleich, Frau Präsidentin. - Wenn der Herr
Bundeskanzler möchte, dass ihm ähnlich lächerliche und
peinliche Situationen, wie sie ihm zuletzt in Serie in Ostdeutschland widerfahren sind, künftig erspart bleiben,
dann kann ich ihm nur sagen: Tauschen Sie das funktionsuntüchtige Vorwarnsystem Manfred Stolpe aus!
Herr Kollege!
Von alleine geht er nicht; dazu braucht man Charakter. Aber wenn Sie ihn austauschen, dann gelingt uns in
Ostdeutschland vielleicht eine bessere Politik.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3660 und 15/3661 an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 15/3640 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Wiederherstellung der Wettbewerbsordnung in Teilen der deutschen Volkswirtschaft
- Drucksache 15/3118 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Herr Bundesminister Wolfgang Clement.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich grüße Sie ganz herzlich. Wir wollen über das
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sprechen,
das für die Wirtschaftsordnung in Deutschland von außerordentlicher Bedeutung ist. Sie haben bei diesem
Thema Gelegenheit, sich ein wenig von den Ausführungen des Herrn Kollegen Vaatz zu erholen,
({0})
der in seiner Rede nur relativ wenige marktwirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Ich würde Herrn
Vaatz ganz gerne nach Sachsen einladen, um ihm einmal
Unternehmen zu zeigen, die nicht durch die Kommunen
entstanden sind, sondern durch unternehmerisches Tun
und Handeln.
({1})
Ich habe dort viele Unternehmen angetroffen, die außerordentlich erfolgreich arbeiten.
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird
auch als „Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft
verstanden. Der Preis- und der Qualitätswettbewerb sind
entscheidende Voraussetzungen für wirtschaftlichen und
technologischen Fortschritt und dienen dem Schutz der
Verbraucherinnen und Verbraucher.
Bei dem, was wir Ihnen vorlegen, geht es um eine
Anpassung unseres Wettbewerbsrechts an das europäische Wettbewerbsrecht. Das ist sehr wichtig. Hier wird
ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Zeit drängt, diesen Wechsel zu vollziehen. Deshalb soll diese Novelle
möglichst zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. Dann ist
unser Wettbewerbsrecht auch europatauglich.
({2})
Es gibt eine Reihe von gewichtigen Diskussionspunkten zum Wettbewerbsrecht generell. Beispielsweise stellt
sich bei der Zusammenschlusskontrolle die Frage des
vorläufigen Rechtsschutzes gegen Freigabeentscheidungen entweder des Bundeskartellamtes oder des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit. Das sind die
berühmten Ministerentscheidungen. Eine solche Ministerentscheidung hat gestern in Bezug auf eine Personalie eine Rolle gespielt. Das Thema ist befriedigend abgeschlossen worden.
Wir wollen eine Reduktion des vorläufigen Rechtschutzes gegen solche Entscheidungen. Es soll künftig
auf die Verletzung eigener Rechte ankommen. Wir wissen, dass der vorläufige Rechtschutz gelegentlich zur
Blockade von wichtigen Investitionsentscheidungen genutzt wurde. Einen solchen Missbrauch wollen wir zukünftig verhindern. Deshalb wollen wir diese Regelung
etwas verändern. Der Rechtschutz bleibt aber in der
Hauptsache unberührt. Das ist eines der Diskussionsthemen neben anderen, sehr spezifischen Themen - wie
beispielsweise dem berühmten Ross-und-Reiter-Thema -,
die noch in den Fachdiskussionen erörtert werden müssen.
Erlauben Sie mir, dass ich in den wenigen Minuten,
die mir zur Verfügung stehen, besonders auf die Pressefusionskontrolle eingehe, die wir vorschlagen. Dabei
geht es um Änderungen von pressespezifischen Regelungen. Unser Ziel ist es, die Regelungen, die 1976 in
Deutschland für die Presse eingeführt worden sind, den
Bedingungen des 21. Jahrhunderts, also einer veränderten Medienlandschaft und einem veränderten - wie es so
schön heißt - Mediennutzungsverhalten, anzupassen. Es
geht um die Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen zur Sicherung der Anbietervielfalt und zugleich der Meinungsvielfalt. Ich betone das, weil mir
dieses Thema - offen gesagt - persönlich am Herzen
liegt; ich komme bekanntlich aus diesem Bereich. Es sei
mir erlaubt, an dieser Stelle etwas mehr Herzblut einzubringen, als es üblicherweise der Fall ist. Außerdem ist
dieses Thema für die Entwicklung unserer Demokratie
von überragender Bedeutung.
Es ist klar, dass es sich um sehr sensible Fragen handelt, die zu vielen Diskussionen führen. Es führt kein
Weg daran vorbei, dass wir die Grundlagen der Pressevielfalt und der Pressefreiheit sichern müssen, soweit es
geht. Bei solch sensiblen Themen kommt es - auch das
ist klar - auf möglichst breite Mehrheiten an, um die wir
ringen sollten und um die ich mich bemühe.
Es geht um alle Elemente unserer Vorschläge zum
Pressekartellrecht. Wenn es bessere Vorschläge gibt, sind
wir selbstverständlich offen dafür. Ich bin davon überzeugt, dass wir handeln müssen. Wenn wir auf diesem
Feld untätig blieben, würden wir ein weiteres Aushöhlen
und Austrocknen der Pressefreiheit in den Zeitungshäusern erleben. Dieser Prozess ist europaweit zu beobachten. Am krassesten findet er zurzeit vielleicht in Frankreich statt, wo die Printmedien zu einem ganz
überwiegenden Teil inzwischen im Besitz von zwei ehemaligen großen Rüstungsunternehmen sind.
Ich will auf eine Studie des Landtags NordrheinWestfalen hinweisen. Daran erkennt man langfristige
Trends. Die Zahl der Zeitungstitel in Nordrhein-Westfalen ist von 1993 bis 2002 von 50 auf 44 und die Zahl der
Hauptredaktionen von 22 auf 21 zurückgegangen. Die
verkaufte Auflage ist von 4,33 Millionen auf 3,88 Millionen gesunken. Das sind die Trends, die ununterbrochen weitergehen. Dieser Konzentrationsprozess verläuft nicht mit rasendem Tempo. Er wird vielmehr von
einer Aushöhlung der publizistischen Kraft in den Zeitungshäusern und in den Zeitungsredaktionen begleitet.
Das kann jeder an dem vermehrten Einsatz der Meldungen der Nachrichtenredaktionen und dem Rückzug der
eigenen publizistischen und redaktionellen Tätigkeiten
ablesen. Einer solchen Verarmung der Zeitungslandschaft sollten wir entgegentreten, bevor es zu spät ist.
Wenn es einmal zu spät ist, ist keine Korrektur mehr
möglich. Das zeigen alle Erfahrungen.
({3})
Die Printmedien stehen zunehmend nicht mehr nur
untereinander im Wettbewerb. Die härtesten Konkurrenten der Zeitungen sind vielmehr das Fernsehen, das Radio und das Internet. Das Nutzungsverhalten vor allen
Dingen der jungen Generation verändert sich im Vergleich zu dem meiner bzw. der älteren Generation. Das
gilt erst recht für den Werbemarkt und genauso für den
Markt der Nachrichtenvermittlung. Es zeigt sich, dass
die Tageszeitungen, insbesondere die Abonnementzeitungen, überall in Europa - nicht nur in Deutschland auf dem Rückzug sind.
Es gibt dazu eine Studie der Europäischen Kommission. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaftskraft der Zeitungen in allen europäischen Mitgliedstaaten sowohl unter rückläufigen Auflagen als auch unter
sinkenden Werbeeinnahmen leidet. Die Hauptursache
dafür ist die zunehmende Bedeutung anderer Medien.
Das sind langfristig wirkende Verschiebungen, die durch
die konjunkturelle Lage noch verschärft werden.
In Deutschland schrumpfen die Lesermärkte der Zeitungen seit langem. Die Tageszeitungen erreichen jetzt
noch drei Viertel der Bevölkerung. Vor zehn Jahren waren es mehr als 80 Prozent. Insbesondere junge Leute
- ich kann das ziemlich genau beurteilen, weil ich einige
junge Leute begleite - haben eine Vorliebe für den
Rundfunk und das Internet, wenn es um Informationen
geht und zunehmend auch wenn es um Handel und Einkauf geht. Das wird sich im Laufe des Lebens - dies zeigen die Erfahrungen - nicht mehr wesentlich ändern. Somit trägt die demographische Entwicklung dazu bei, dass
die Nachfrage nach Zeitungen weiter sinkt.
Im Anzeigenbereich, im Bereich der Werbeerlöse, ist
es noch krasser. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist der
Anteil der Tageszeitungen am gesamten Werbeaufkommen in Deutschland von einem Drittel auf ein Viertel zurückgegangen. Dabei brauche ich nicht auf meine fußballerische Erfahrung hinzuweisen: Ein Viertel ist nicht
mehr als ein Drittel; es ist vielmehr umgekehrt.
({4})
Die Zeitungen finanzieren sich derzeit nur noch zur
Hälfte über Werbeeinnahmen. Das waren zu meiner Zeit
im Zeitungsbereich traditionell noch zwei Drittel. Der
BDZV, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger,
bestätigt dies: Auch in den ersten Quartalen des Jahres
2004 sind Auflagen- und Anzeigenerlöse rückläufig.
Noch haben wir eine vielfältige Zeitungslandschaft:
349 Tageszeitungen, zehn überregionale und acht so genannte Straßenverkaufszeitungen, also die berühmten
Boulevardzeitungen, von denen mir eine schon einmal
viel Spaß gemacht hat. Diese Vielfalt müssen wir meines
Erachtens schützen. Dabei darf die Politik keine interventionistischen Mittel anwenden. Der Einsatz des Kartellrechts ist aber aus unserer Überzeugung ein probates
Mittel und der richtige Ansatz.
Deshalb unser Vorschlag. Er enthält drei Elemente.
Erstens sind sehr moderate Schwellenanhebungen
vorgesehen, bevor vonseiten des Kartellrechts eingegriffen wird. Das ist mittelstandsfreundlich. Dies erlaubt es
vor allen Dingen kleinen Verlegern, bei der Suche nach
Nachfolgern den Marktwert ihrer Zeitungen zu realisieren. Der Schutz kleiner Verlage, der mit dieser Aufgreifschwelle verbunden ist, bleibt in der Substanz erhalten.
Auch die kleinen Verleger stimmen diesem Vorschlag
zu.
Zweitens sollen Kooperationsmöglichkeiten erweitert werden. Das ist außerordentlich vernünftig. Das wird
von den Ordnungspolitikern zwar immer wieder infrage
gestellt. Aber die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten ist sicher sinnvoll, wenn es darum geht, die
heutige Vielfalt an Zeitungen und Redaktionen zu erhalten. Ich will das aus Zeitgründen nicht im Einzelnen
durchspielen; aber ich glaube, das liegt sehr nahe.
Der dritte Punkt betrifft die so genannte Altverlegerregelung. Dagegen gibt es bekanntlich viele Einwände
und Bedenken. Ich kann diese, ehrlich gesagt, nicht teilen. In meiner ziemlich bunten Vergangenheit war ich einige Jahre in einem Zeitungshaus beschäftigt und habe
die Praxis erlebt. Das Modell der Vielfalt an Zeitungen,
Zeitungstiteln und Zeitungsredaktionen in einem Verlagshaus ist inzwischen an vielen Standorten in Deutschland Praxis, zum Beispiel in Dortmund, Köln, Hannover,
Stuttgart und, so glaube ich, auch in Frankfurt.
Dies gesetzlich abzusichern ist natürlich überaus vernünftig; denn dies ist das Einzige, was heute fehlt. Die
Zeitungshäuser haben dieses Modell bisher nur vertraglich abgesichert und teilweise - wie auch in meinem Fall
damals - befristet geregelt. Unser Vorschlag ist, das auf
Dauer abzusichern. Dies wird oder kann Vielfalt erhalten
- letztlich hängt dies ja immer von den Entscheidungen
der Beteiligten ab -, jedenfalls schafft dies dafür die
Voraussetzungen.
Lassen Sie mich noch einen Punkt darstellen, der in
vielen Diskussionen in Ihren Reihen eine Rolle gespielt
hat und den wir aufgenommen haben: den Schutz des
Presse-Grosso als eine Voraussetzung, um die Vielfalt im
Vertriebsbereich zu sichern. Die Unabhängigkeit im
Vertriebsbereich soll gewahrt bleiben; dies ist erreicht
worden. Wir haben auf Ihr Drängen hin die Zeitungsverlage und Grossisten aufgefordert, sich zusammenzutun
und Sicherheit durch eine freiwillige Vereinbarung zu
schaffen. Oh Wunder, es ist gelungen! Sie haben sich zusammengetan und eine Vereinbarung getroffen, die das
Presse-Grosso-System erhält. Dies ist nach unser aller
Verständnis, wie ich denke, das Beste; wenn so etwas
freiwillig geschieht, braucht man dafür kein Gesetz.
({5})
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung; erlauben Sie mir noch wenige Sätze.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen abschließend ans Herz legen, dass wir angesichts dieses
überaus wichtigen Themas die Diskussion, die meines
Erachtens noch nicht ausreichend vertieft ist, fortsetzen.
Wir dürfen nicht in eine Situation geraten, wie wir sie
etwa von der französischen Zeitungslandschaft kennen.
Wir haben bei uns noch Vielfalt. Es geht jetzt nicht nur
um den konkreten Vorschlag hinsichtlich der Altverleger. Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir haben unseren Vorschlag vorgelegt. Meine Bitte ist, dass wir die
Entwicklung im Printbereich nicht so laufen lassen. Wir
haben eine Gestaltungsmöglichkeit. Es gibt aus meiner
Sicht keine Alternative dazu; denn alle anderen Möglichkeiten hätten interventionistischen Charakter und
gingen an den Nerv der Pressefreiheit. Daher sollten wir
die Chance des Kartellrechtes hier nutzen. Dazu ist von
unserer Seite und von mir persönlich jedes Gespräch erwünscht.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister Clement, Sie haben Recht, es ist bedauerlich,
dass ein so zentrales Thema wie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen an einem Freitag als letzter
Punkt, der mit wenig Redezeit ausgestattet ist, quasi im
Schweinsgalopp behandelt wird. Hier geht es schließlich
um die Magna Charta der Wettbewerbspolitik.
({0})
Leider gibt es eine Fülle von Schieflagen. In unserem
Antrag haben wir aufgezeigt, dass es nahezu einen Verfall des ordnungspolitischen Denkens und eine Fehlsteuerung in vielen Bereichen gibt, die tiefe Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum haben, weil sie die Dynamik bremsen. Der Grund liegt darin, dass man die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht beachtet. Es waren zwei Kernpunkte, die
Eucken und andere Väter und Vordenker der sozialen
Marktwirtschaft bei ihrer Konzeptionierung als Reflex
auf die Nazizeit in den Vordergrund gestellt haben: die
Warnung vor der Kartellierung und die Warnung vor
dem Punktualismus. Gegen beides verstößt die Regierung in einer riesigen Zahl von Fällen. Aber die Zeit erlaubt es leider nicht, breit darauf einzugehen.
Ich mache einige Bemerkungen zu der von Ihnen vorgelegten Novelle. Es handelt sich in der Tat um eine Anpassung an europäisches Wettbewerbsrecht. Letztlich
bedeutet dies leider eine Aushöhlung des Kartellverbots,
wie es für das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen prägend war. Ihr Vorgänger, Herr Müller,
der Wettbewerbsfragen relativ lustlos behandelte, hatte
in Brüssel nicht insistiert und nicht für das deutsche Gesetz gekämpft. Er kam eben aus Monopolstrukturen und
ist wieder in Monopolstrukturen zurückgegangen; ihm
war das Denken in Wettbewerbsstrukturen fremd.
({1})
Wir werden bei dieser siebten GWB-Novelle konstruktiv mitarbeiten. Wir müssen über eine Reihe von
Fragen - Einbindung von Verbänden, Ausgestaltung der
Vorteilsabschöpfung, Bußgelder, Einschränkung von
Klagerechten - noch intensiv miteinander reden. Aber
ich sehe gute Chancen, dass wir uns, der Tradition folgend, gemeinsame Lösungen erschließen können.
({2})
Nicht mitmachen werden wir - das sage ich gleich,
Herr Clement - bei einem Sonderrecht für die Zeitungsbranche. Wir können nicht für eine Branche das allgemeine Wettbewerbsrecht aufheben und ein Sonderrecht
schaffen. Hier geht es auch bei uns und nicht nur bei Ihnen als früherem Journalisten um Herzblut. Wir als aktive Freiheitskämpfer, als Liberale, gehen diesen Weg
einfach nicht mit.
({3})
Im Klartext gesprochen: Mit den vorgeschlagenen
Regelungen zum Pressefusionsrecht soll die Fusionskontrolle ausgehebelt, das Kriterium der Marktbeherrschung
über Bord geworfen und letztlich das Wettbewerbsprinzip für den Zeitungsmarkt ausgeschaltet werden. Für Ihr
Vorgehen gibt es im Übrigen weder eine konjunkturnoch eine strukturpolitische Begründung. Es darf eine
solche Begründung auch nicht geben. Was sagen Sie
denn der Bauindustrie oder der Werftindustrie, wenn sie
aufgrund ihrer strukturellen Probleme ebenfalls ein Sonderrecht in Sachen Wettbewerb fordern? Das kann nicht
der richtige Weg sein.
Eines ist klar, Herr Clement: Sie sichern durch die Fusion keine Meinungsvielfalt. Meinungsvielfalt sichern
Sie nur über einen funktionierenden Wettbewerb, über
Wettbewerbsmärkte. Auch Ihre Behauptung, man könne
zwischen wirtschaftlichen und publizistischen Interessen
von Zeitungen trennen, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Wir alle wissen: Publizistische Selbstständigkeit
kann kaum gewahrt werden, wenn sie nicht mit wirtschaftlichen Zielvorstellungen des Unternehmens gepaart ist und diesen entspricht. Treffende Beispiele sind
die Zeitungsrubriken Technik, Motor, Reise, Touristik
und Immobilien. Keiner kann hier abstreiten, dass die
Attraktivität von Inhalten für Leser die Attraktivität für
Werbekunden bedingt. Hier besteht ein innerer Zusammenhang.
Ich möchte Sie herzlich bitten, Herr Clement: Hören
Sie auf Ihren eigenen wissenschaftlichen Beirat! Hören
Sie auf die Monopolkommission und hören Sie auf das
Bundeskartellamt! Dort arbeiten Leute, die etwas von
Wettbewerbspolitik verstehen. Ignorieren Sie nicht einfach den Fachverstand der drei Institutionen! Ihr Beirat,
die Monopolkommission - sie wurde von der Regierung
berufen - und das Bundeskartellamt warnen eindrücklich vor genau dem Ansatz, den Sie wählen. Er scheint
der leichtere Weg zu sein; aber er ist der falsche.
({4})
Wir müssen zu Wettbewerbsvorstellungen zurück. Nehmen Sie Abschied von Ihren wettbewerbsfeindlichen
Pressefusionsplänen. Sie sind auf dem falschen Dampfer!
Lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen - mehr
erlaubt meine Redezeit nicht - zu unserem Antrag machen. Wir haben eine Fülle von Beispielen aufgeführt,
weshalb die soziale Marktwirtschaft nicht das leisten
kann, was sie leisten sollte. Sie kann die Arbeitsmarktprobleme nicht lösen und Wachstum und technischen
Fortschritt über Wettbewerb nicht durchsetzen, weil die
Mechanismen wegen des Staatsanteils von fast 50 Prozent, genau 48,5 Prozent, und wegen der starren Regelungen am Arbeitsmarkt - das ist in weiten Teilen kein
Markt - nicht wirken können und es in Teilen des Energiemarktes zu Monopolbildungen kommt. Das ist ein
Sündenfall; Eon Ruhrgas hat einen Marktanteil von
85 Prozent. Das schlägt der sozialen Marktwirtschaft ins
Gesicht.
({5})
Sie haben das kurz vor der Bundestagswahl mit einer
hingemuschelten Ministererlaubnis möglich gemacht.
Sie bringen das an sich interessante und richtige Instrument der Ministererlaubnis durch dieses Vorgehen in
Misskredit, sodass man heute wirklich offen darüber
nachdenken muss, ob man dieses Instrument nicht abschaffen muss. Wenn es missbräuchlich eingesetzt wird,
({6})
hat es keine innere Begründung mehr. Es ist eine schiefe
Ebene.
Sie haben das beim Telekommunikationsgesetz fortgesetzt, dort gibt es das Einzelweisungsrecht des Ministers. Einen solchen Eingriff in das Wettbewerbsrecht hat
noch keine Regierung, egal welcher Couleur, auch keine
sozialdemokratisch geführte Regierung, gewagt. Dass
Sie in die Wettbewerbsmärkte hinein Anweisungen
geben wollen, zeigt, dass Ihr Denken falsch ist. Das ist
wieder Punktualismus; ihn gab es nicht nur bei
Holzmann. Damit hat sich der Kanzler vor dem SPDParteitag profiliert und anschließend hat er die Arbeiter
verraten, weil keine Arbeitsplätze erhalten wurden.
Herr Kollege Brüderle, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Das Einzelweisungsrecht ist ein fundamentales Abweichen von den Wettbewerbsprinzipien.
({0})
Diese schiefe Ebene werden Sie nicht mehr korrigieren
können.
Sie haben das auch in anderen Bereichen - ich habe
die Energiemärkte angesprochen - getan.
Herr Kollege Brüderle, Sie haben keine Zeit mehr,
das noch auszuführen.
Einen letzten Satz noch, Frau Präsidentin. Auch der
Minister hat seinen letzten Satz zu Ende sprechen dürfen.
({0})
Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überzogen.
Ich schließe. - Die Abkehr von Marktprinzipien, die
Sie in vielen Bereichen vorgenommen haben, verhindert,
dass das, was Marktwirtschaft leisten könnte, von der
Marktwirtschaft geleistet wird.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
siebte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bringt etliche Verbesserungen. Insbesondere begrüßen wir die Stärkung der Verbraucherinteressen, beispielsweise die Verbesserung der
Anhörungsrechte von Verbraucherverbänden und ihre
Möglichkeiten, gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen vorzugehen. Für uns gehören fairer
Wettbewerb, große Wettbewerbsintensität und ein hoher
Verbraucherschutz einfach zusammen.
Neben den vielen sinnvollen Regelungen dieser Novelle gibt es jedoch einige Aspekte, bei denen wir im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch erheblichen
Diskussions- und Verbesserungsbedarf sehen. Das betrifft die vorgesehene Einschränkung von Klagemöglichkeiten gegen Fusionsgenehmigungen sowie die Regelungen für Zusammenschlüsse im Pressebereich.
Die Einschränkungen beim vorläufigen Rechtsschutz
bei Fusionsgenehmigungen durch Kartellbehörden bzw.
bei der Ministererlaubnis sind aus unserer Sicht so nicht
akzeptabel.
Bisher entscheiden die Kartellgerichte, ob die Klage
gegen eine Fusionsgenehmigung aufschiebende Wirkung hat. Die Einschränkung dieser Möglichkeit würde
Fakten schaffen, die dann trotz berechtigter Klagen
kaum noch revidierbar sein könnten.
Das Argument, durch die ständige Praxis der Kartellgerichte, Fusionen auszusetzen, käme es zu Nachteilen
im internationalen Wettbewerb für den Standort
Deutschland, überzeugt nicht. Bisher gab es drei Fälle
mit aufschiebender Wirkung. Jeder Fall war hoch umstritten. Einer davon war die Fusion von Eon und Ruhrgas. Bei aller persönlicher Wertschätzung für Ex-Minister Müller und Staatssekretär Alfred Tacke: Deren
Wechsel in diesen Konzern haben wahrlich nicht dazu
Werner Schulz ({0})
beigetragen, den Argwohn gegen eine höchst umstrittene
Entscheidung abzubauen.
({1})
Wenn die Administration die Möglichkeit hat, unter
bestimmten Bedingungen Gesetze zu umgehen, sollte es
dem Gesetzgeber vorbehalten sein, den Ausnahmefall zu
bestätigen. Das heißt, die Kombination aus Ministererlaubnis und Parlamentsvorbehalt verschafft die nötige
Legitimation und sorgt für den Ausschluss von Zweifeln.
Auch die vorgeschlagenen Erleichterungen von
Fusionen im Pressebereich können nach unserer Auffassung so nicht Gesetz werden. Der Pressebereich in
Deutschland ist sehr vielfältig. Im Kern hat sich das
1976 aus guten Gründen geschaffene Pressefusionsrecht
bewährt.
({2})
Natürlich erleben wir im Moment einen Strukturwandel
bei den Zeitungen, ausgelöst durch veränderte Lesegewohnheiten. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum
auf die konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen einer Branche mit einer so umfassenden Gesetzesänderung reagiert werden sollte.
({3})
Es gibt Verlage, die durch innovative Strategien und das
Anbieten hochwertiger Produkte am Markt bestehen. Es
gibt Verlage, denen es wirtschaftlich schlecht geht, und
es gibt Verlage, die gutes Geld verdienen und Anlagemöglichkeiten dafür suchen.
Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit eine
Vielzahl von Kooperationen genehmigt, wodurch die
Verlage ihre Kosten verringern und ihre Marktaufstellung verbessern konnten. Allerdings gehen die Vorschläge zur Anzeigenkooperation zu weit. Sie sind nur in
bestimmten Grenzen vorstellbar und sinnvoll.
Wenig halten wir von dem so genannten Redaktionsoder Altverlegermodell. Es ist nicht realistisch, zu glauben, die Unabhängigkeit der Redaktion der übernommenen Zeitung könnte dadurch erhalten werden, dass der
Altverleger mindestens 25 Prozent der Zeitung und die
Titelrechte behält. Über kurz oder lang wird sich die
ökonomische Macht des Mehrheitsgesellschafters auch
auf die Redaktion erstrecken, spätestens dann, wenn die
Zeitung in eine Krise kommt.
({4})
Auf unsere Ablehnung stößt auch die Einführung einer Bagatellklausel, nach der Verlage mit Umsatzerlösen von bis zu 2 Millionen Euro ohne jede Fusionskontrolle mit anderen Verlagen fusionieren dürfen. Das
wären möglicherweise Schnäppchen für die Großen.
Problematisch und skeptisch sehen wir die Verdoppelung des gemeinsamen Umsatzes zweier Betriebe, die
Erhöhung der so genannten Aufgreifschwelle, von
25 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro.
({5})
Nach Berechnungen der Monopolkommission würden
dadurch künftig allein in Westdeutschland zusätzlich
39 von 245 erscheinenden Zeitungstiteln von jeder Fusionskontrolle freigestellt. Derzeit fallen bereits 140 Titel oder 11 Prozent der Auflage nicht unter die Fusionskontrolle.
({6})
Wir sind der Auffassung, all diese Regelungen würden zu weniger und nicht zu mehr Vielfalt auf dem Pressemarkt führen. Zugleich sind wir allerdings zuversichtlich, dass wir bei den weiteren Beratungen in den
Ausschüssen zu einer einvernehmlichen und letztlich
praktikablen Lösung kommen werden.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Hinsken.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Es ist fast unvorstellbar - da werden Sie
mir sicherlich zustimmen -, dass ich das, was soeben
mein Vorredner, also Sie, Herr Abgeordneter Schulz von
den Grünen, hierzu gesagt hat, voll und ganz teile. Ich
habe die Hoffnung und den Wunsch, dass Sie von Ihrer
Meinung nicht abkehren und das zunichte machen, was
Herr Clement zu tun beabsichtigt.
({0})
Dies wäre nämlich der Vielfalt der Presselandschaft, mit
der wir in der Bundesrepublik Deutschland bisher gut
gefahren sind, nicht dienlich.
({1})
Herr Minister Clement, Sie haben vorhin gesagt:
Wenn es bessere Vorschläge gibt, seien Sie gerne bereit,
auf sie einzugehen.
({2})
Wir haben in diesem Zusammenhang jede Menge gute
Vorschläge.
({3})
Ich hoffe, dass Sie bereit sind, auf sie einzugehen.
Durch diesen Gesetzentwurf soll unser nationales
Wettbewerbsrecht an das neue europäische Kartellverfahrensrecht angepasst werden, das seit dem 1. Mai 2004
in Kraft ist. Das GWB gilt zu Recht als das Grundgesetz
der Wirtschaft. Durch dieses Gesetz soll sichergestellt
werden, dass der Wettbewerb nicht behindert wird. Nur
so herrscht Marktwirtschaft und nicht Machtwirtschaft.
Wettbewerb muss reguliert werden, da große Unternehmen ihre Macht am Markt sonst schrankenlos gegenüber
kleineren Mitbewerbern ausspielen könnten. Wegen dieser grundlegenden Bedeutung des GWB darf bei seiner
jetzt anstehenden siebten Novellierung nicht leichtfertig
mit diesem Gesetz umgegangen werden.
({4})
In der Vergangenheit hat es sich bewährt. Weltweit
versucht man, unser GWB nachzumachen. Das gilt umso
mehr, als auch hier weit reichende Veränderungen im demokratisch wichtigen Bereich der Presse geplant sind.
Deshalb legen wir, die Unionsparteien, besonderen Wert
auf eine ausführliche Sachverständigenanhörung und ein
geordnetes Verfahren ohne Zeitdruck. Das sollte über
alle Fraktionen hinweg Konsens sein. Denn die Neuregelung auf EU-Ebene hat erhebliche Auswirkungen auf
das deutsche Wettbewerbsrecht. Zahlreiche deutsche
Unternehmensabsprachen haben Auswirkungen auf den
zwischenstaatlichen Handel und besitzen Relevanz für
den EU-Binnenmarkt. Eine eigenständige Bedeutung
wird dem deutschen Wettbewerbsrecht künftig nur noch
in solchen Fällen zukommen, die rein lokale oder regionale Auswirkungen haben und keine zwischenstaatliche
Relevanz aufweisen.
In diese Neuregelungen werden auch horizontale und
vertikale Vereinbarungen einbezogen, die keine zwischenstaatlichen Auswirkungen haben und deshalb allein dem deutschen Recht unterliegen. Die Vorschriften
über das Verbot missbräuchlichen Verhaltens gegenüber
wirtschaftlich abhängigen kleinen und mittleren Unternehmen - § 20 des GWB - erfüllen eine wichtige wettbewerbs- und mittelstandspolitische Funktion. Das gilt
insbesondere für das Verbot des Angebots unter Einstandspreis. Diese Regelungen werden daher aufrechterhalten; das finde ich auch gut.
Die durch die Änderungen des europäischen Kartellrechts mit dem Wechsel vom Anmeldesystem zur Legalausnahme notwendig gewordenen Änderungen im deutschen Kartellrecht sind erforderlich und sinnvoll. Herr
Minister, darauf haben Sie bereits hingewiesen. Sie erleichtern vor allem größeren und grenzüberschreitend tätigen Unternehmen das Leben. Zudem sind die Unternehmen der schwierigen Prüfung enthoben, ihre
innerstaatlichen Vereinbarungen von solchen mit zwischenstaatlichen Auswirkungen abzugrenzen.
Deswegen muss ich sagen, Herr Bundesminister
Clement: Die Bundesregierung wäre gut beraten, darüber
nachzudenken, wie es ermöglicht werden kann, dass der
Mittelstand in klar definierten Ausnahmefällen einen
Anspruch auf förmliche Entscheidung durch das Kartellamt erhält. Denn mehr Freiheit heißt auch mehr Verantwortung. Bessere Sanktionsmöglichkeiten sind in einem
System der Legalausnahme durchaus sinnvoll, damit es
zu einer wirkungsvollen Abschreckung bei wettbewerbswidrigem Verhalten kommt. Im Einzelfall müssten die
vorgesehenen Verschärfungen des Sanktionskatalogs
aber kritisch überprüft werden. Dies gilt insbesondere
für die Vorteilsabschöpfung durch Verbände.
Kritisch sehen wir vor allem die Beschränkung der
Rechte möglicherweise betroffener Dritter bei einem Ministererlaubnisverfahren. Die Ministererlaubnis muss
der absolute Ausnahmefall bleiben. Schon allein deshalb
sollten die Rechte betroffener Dritter nicht leichtfertig
beschränkt werden. Herr Brüderle, ich bedanke mich dafür, dass Sie in die gleiche Kerbe geschlagen haben. In
diesem Punkt trennt uns nichts; wir wollen so vorgehen,
wie ich soeben ausgeführt habe.
Ob das neue Enquete-Recht der Kartellbehörden eine
Lösung des bekannten Ross-und-Reiter-Problems darstellt, ist meines Erachtens fraglich. Hier ist nach weiter
gehenden oder alternativen Lösungen zu suchen, weil
die Problematik als solche nicht entschärft wird, Herr
Heil.
({5})
Ursprünglich sollte die siebente GWB-Novelle zeitgleich mit dem neuen europäischen Recht in Kraft treten.
Das wäre auch ohne weiteres möglich gewesen. Jetzt
gelten zwei unvereinbare Rechtssysteme nebeneinander,
und das bereits seit 1. Mai dieses Jahres. Das führt bei
vielen Unternehmen und Kartellbehörden zu Schwierigkeiten, die zu vermeiden möglich gewesen wäre.
({6})
Herr Minister Clement, dafür zeichnen Sie verantwortlich. Sie haben das Thema Pressefusion ohne Not mit der
siebenten GWB-Novelle verknüpft. Es ist doch ein Widerspruch, wenn Sie sich auf der einen Seite hierher stellen und ausführen, dass die Vielzahl der einzelnen Blätter gut ist, und auf der anderen Seite die Voraussetzung
dafür schaffen wollen, dass das künftig nicht mehr so ist.
Das ist nicht nachvollziehbar, das ist ein Widerspruch in
sich!
({7})
Alle Bitten, vor Vorschlägen zur Pressefusionskontrolle erst deren Auswirkungen wissenschaftlich zu untersuchen und das Thema bis zu der sich bereits abzeichnenden nächsten GWB-Novelle zurückzustellen, haben
Sie, Herr Clement, in den Wind geschlagen.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Neumann.
Wir waren oftmals zusammen, wir haben intensiv beraten, was wir wollen. Deshalb haben wir auch klare Vorstellungen, Wünsche und Forderungen nach Weichenstellungen, die dazu dienen, dass Ihr Gesetzentwurf so,
wie er eingebracht worden ist, eben nicht Gesetzeskraft
erlangt.
Nach dem Europarecht ist keine Änderung des Pressekartellrechts erforderlich; dies muss hier festgestellt
werden. Herr Clement, Sie weichen sogar von den europäischen Vorgaben ab. Denn das europäische Wettbewerbsrecht kennt keine materiellen Ausnahmeregelungen für einzelne Wirtschaftsbereiche. Deshalb ist
nachdrücklich zu fragen, ob eine nationale Regelung hier
überhaupt wirkungsvoll ist.
({8})
Denn wir haben zwar nationale Lesermärkte, aber die
Anzeigenmärkte sind häufig international organisiert.
({9})
Deshalb ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene
Änderung des Pressekartellrechts erstens ordnungspolitisch falsch, zweitens untergräbt sie die Presse- und Meinungsvielfalt in Deutschland, drittens löst sie die strukturellen und konjunkturellen Probleme der Presse nicht
und viertens fördert sie die Konzentration und gefährdet
die Eigenständigkeit der mittelständischen Verlage.
Ihnen, Herr Bundesminister Clement, weht doch
selbst aus den Beratergremien Ihres Ministeriums eisiger Wind ins Gesicht. Eine Auflistung der Institutionen,
die kritische Stellungnahmen abgegeben haben, liest
sich wie das „Who is who?“ der deutschen Wirtschaftspolitik - passen Sie auf, wer sich alles dagegen geäußert
hat,
({10})
weil man erkannt hat, dass Sie, Herr Clement, hier eine
falsche Richtung einschlagen wollen -: die Monopolkommission, der Wissenschaftliche Beirat, die Kartellrechtsprofessoren, das Bundeskartellamt, die Landeskartellämter sowie zahlreiche Verbände. Sie alle sind
dagegen,
({11})
doch Sie nehmen das gar nicht richtig zur Kenntnis. Sie
tun es ab. Ich fordere Sie auf, Herr Minister Clement:
Lassen Sie die Hände vom Pressekartellrecht! Ändern
Sie es, wenn überhaupt, nur marginal! Das kartellrechtliche Schutzniveau darf nicht immer weiter abgeschwächt
werden.
Eine Lockerung der Pressefusionkontrolle, wie Sie,
Herr Minister, diese beabsichtigen, dürfte zu mehr Konzentration im Zeitungsverlagswesen führen. Das wollen
wir einfach nicht.
({12})
Wie Recht hat doch die Monopolkommission, die darauf
hingewiesen hat, dass nur die wirtschaftliche Selbstständigkeit der im Wettbewerb miteinander stehenden unabhängigen Zeitungen für die ungewöhnlich große Titelvielfalt in Deutschland sorgt.
({13})
- Passen Sie auf, Herr Heil! Sie kommen ja nach mir
noch dran und können darauf gerne antworten, dann
brauchen Sie hier nicht immer Zwischenrufe tätigen.
Die Monopolkommission sagt weiter: Dies ist auch
eine wirkungsvolle Vorkehrung gegen die Konzentration
von Meinungsmacht.
Im Bereich des pressespezifischen Kartellrechts können wir von der CDU/CSU es nicht akzeptieren, dass das
GWB durch die Altverlegerklausel, die hier mehrfach
angesprochen wurde, und die Regelung zur Anzeigenkooperation völlig auf den Kopf gestellt wird.
({14})
Auch so genannten Pressehilfsunternehmen stehe ich
persönlich kritisch gegenüber. Für andere Kollegen, wie
dem Kollegen Neumann, gilt das auch.
({15})
Die Altverlegerklausel ist am stärksten zu kritisieren. Hier geht es um ein Herzstück unserer Pressefreiheit, nämlich um die redaktionelle Unabhängigkeit der
Zeitungen.
({16})
Es ist doch einfach nicht nachvollziehbar, dass die
Marktbeherrschung kein Untersagungskriterium bei der
Fusionskontrolle mehr sein soll, was bedeuten würde,
dass im Extremfall ein einziger Verlag alle Zeitungen in
Deutschland aufkaufen könnte oder dass es nur noch einige wenige große Zeitungen gibt.
({17})
Nur die Redaktionen müssten dann noch unabhängig
sein. Das ist nicht unser Bild der künftigen Zeitungslandschaft in Deutschland. Deshalb wehren wir uns dagegen, dass hier so vorgegangen wird, wie Herr Clement
das beabsichtigt.
Herr Minister Clement, Sie haben hier eine ausgesprochen mittelstandsfeindliche Lösung vorgeschlagen.
Bei Fusionen im großen Stil werden viele kleine und
mittlere Verlage auf der Strecke bleiben. Das kann es
doch nicht sein. Ludwig Erhard würde sich im Grabe
umdrehen, wenn er wüsste, wie hier mit seinem Grundgesetz der Wirtschaft umgegangen wird.
({18})
Wir von der CDU/CSU sind offen, über eine vernünftige und verhältnismäßige Anhebung der Schwellenwerte bei der Fusionskontrolle zu diskutieren. Hier
gibt es einen Konsens. Der Einführung einer echten DeMinimis-Regelung stehen wir allerdings kritisch gegenüber. Die Ermöglichung von Kooperationen und Fusionen ohne jede Kontrolle und unabhängig von jeder Unternehmensgröße ist für uns nicht akzeptabel. Die
Unionsparteien sind bereit, über sinnvolle Konkretisierungen und Verbesserungen bei allgemeinen und schon
jetzt möglichen Gesamtkooperationen sowie bei speziellen Kooperationen im Anzeigenbereich zu reden, allerdings nur dann, wenn sie sinnvoll begrenzt oder als Mittelstandskooperationen formuliert werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das, was ich vorhin eingefordert habe, sage ich nochmals: Wir, die
Union, wollen einen bunten, vielfältigen Blätterwald, in
dem große und mittelständische Verlage mit ihren Zeitungen fair um die Aufmerksamkeit der Leser miteinander konkurrieren können.
({19})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen: Wenn wir schon beim Thema einer unabhängigen,
vielfältigen Presselandschaft sind, dann dürfen wir auch
die Frage nicht ausblenden, ob es demokratisch sinnvoll
ist, dass sich eine große Volkspartei wie die SPD klammheimlich ein eigenes Medienimperium aufbaut.
({20})
Auch diese Frage gehört in diesem Zusammenhang auf
den Tisch.
({21})
Herr Clement, Sie als ehemaliger Journalist sollten
eigentlich wissen,
({22})
wie wichtig die Unabhängigkeit von Verlagen und
Redaktionen ist.
({23})
Seien Sie bitte bereit, all das zu berücksichtigen, was ich
jetzt versucht habe, Ihnen zu verdeutlichen.
({24})
Seien Sie bereit, auf einige Vorschläge, die wir gemacht
haben, einzugehen,
({25})
damit etwas Vernünftiges dabei herauskommt, und berücksichtigen Sie eines, Herr Minister Clement: Das ist
nicht die Meinung eines einzelnen CDU/CSU-Abgeordneten, sondern ich habe vorhin aufgelistet, wer sich alles
dagegen ausgesprochen hat. Das sind wahrlich ernst zu
nehmende Institutionen und Organisationen. Auf deren
Worte sollte man hören; man darf sie nicht einfach in
den Wind schlagen.
In diesem Sinne hoffe ich auf die Einsicht, die Sie uns
eingangs Ihrer Rede angekündigt haben, als Sie gesagt
haben, Sie würden auf gute Vorschläge warten und Sie
seien gerne bereit, diese zu berücksichtigen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({26})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubertus Heil.
({0})
In den mir zur Verfügung stehenden sechs Minuten
Redezeit wird mir das leider nicht gelingen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Brüderle, ich glaube, Gustav Stresemann hat einmal gesagt, liberal zu sein heiße auf der Höhe der Zeit zu sein
und danach zu handeln. Nach Ihrer Rede muss man sich
ernsthaft fragen, ob Sie wirklich noch eine liberale Partei
vertreten.
({0})
Tatsache ist, dass wir die Aufgabe der Wettbewerbspolitik darin sehen, im Interesse der Verbraucher sowie
aller Unternehmen, unabhängig von Größe und Rechtsform, Märkte offen zu halten bzw. zu öffnen, wo dies erforderlich ist. Funktionierender Wettbewerb ist eine
wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung unserer Volkswirtschaft. Der Schutz des Wettbewerbs ist eine zentrale ordnungspolitische Aufgabe unserer Marktwirtschaft. Das 1958 in Kraft getretene
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen weist diese
Aufgabe dem Bundeskartellamt und den Landeskartellbehörden zu.
Sie haben in der Debatte ein bisschen unterschlagen,
dass wir heute trotz mancher Defizite alle miteinander
feststellen können: Deutschland hat eine funktionierende
Wettbewerbsordnung und eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht. Das Bundeskartellamt in Deutschland
leistet gute Arbeit. Ich nutze diese Gelegenheit, um an
dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Bundeskartellamts dafür Danke zu sagen.
({1})
Aufgrund meiner beschränkten Redezeit will ich mich
kurz auf den Bereich konzentrieren, der nicht mit Pressefusion zu tun hat, um danach die Zeit dafür zu nutzen, einiges von dem, was hier angesprochen wurde, aufzugreifen.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir mit der
siebten GWB-Novelle unser deutsches Wettbewerbsrecht an das europäische Recht anpassen. Es geht beispielsweise darum, dass wir zukünftig Unternehmen
durch weniger Bürokratie entlasten, aber auch deren Eigenverantwortung stärken. In Zukunft müssen Unternehmen grundsätzlich selbst einschätzen, ob ihr Verhalten
am Markt rechtskonform ist.
Auf der anderen Seite werden die Ermittlungs- und
Sanktionsmöglichkeiten der Kartellbehörde gestärkt.
Auch die Rechtsschutzmöglichkeiten Privater, also der
Verbraucher, werden verbessert. Deshalb sieht der Entwurf eine stärkere Rolle der Verbraucherverbände vor.
Dazu gehört auch, dass wir zukünftig „Kartellrenditen“
zugunsten des Bundeshaushaltes abschöpfen können.
Dies gibt es beim UWG und ist mittlerweile auch im Telekommunikationsgesetz verankert. Dies wollen wir, wie
gesagt, auch ins Kartellrecht aufnehmen.
Auf den einstweiligen Rechtsschutz - das hat der
Minister bereits erläutert - werden wir in den Beratungen im Ausschuss und auch in der Anhörung eingehen.
Ich will dazu nur so viel sagen: In der Hauptsache sind
keine Rechte beschnitten. Diejenigen, die in ihren Rechten betroffen sind, haben weiterhin die Möglichkeit,
einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Aber wir wollen nicht, dass Unbeteiligte in diesem Bereich versuchen, sich ihr Klagerecht abkaufen zu lassen. Das ist in
der Vergangenheit gang und gäbe gewesen, wenn Sie
sich an die Entscheidung von vor zwei Jahren erinnern.
Jetzt zum Thema Pressefusionskontrolle. Wir wissen,
dass dieser Bereich hochgradig sensibel ist. Keiner hier
im Haus sollte dem anderen absprechen, dass es uns um
ein gemeinsames Ziel geht, nämlich um Vielfalt bei der
Presse. Herr Hinsken, auch Ihr Verweis auf die Pressebeteiligung der SPD ist nicht sachgerecht.
({2})
Immerhin haben wir uns diese Beteiligung in der Geschichte unserer Partei, die auch die Geschichte der Arbeiterbewegung ist, ehrlich erworben. Nazis und Kommunisten haben uns enteignet. Dies wurde zu Recht
rückgängig gemacht. Im Gegensatz zu dem, was Sie immer behaupten, nehmen wir keinen redaktionellen Einfluss auf die Presseorgane.
({3})
- Dafür gibt es zig Beispiele. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ gehört über den Madsack-Verlag teilweise der DDVG. Ich lese diese Zeitung jeden Tag, weil
es meine Heimatzeitung ist. Sie können davon ausgehen,
dass man sie weder als links noch als sozialdemokratisch
bezeichnen kann. Das ärgert mich zwar hin und wieder,
aber das ist vernünftig. Wir nehmen keinen inhaltlichen
Einfluss. Sie sollten aufhören, das zu behaupten, sonst
reden wir über Ihre schwarzen Koffer. Das ist nämlich
Ihre Art der Parteienfinanzierung.
({4})
- Wenn Sie mit solchen Geschützen aufwarten, müssen
Sie damit rechnen, dass entsprechend zurückgeschossen
wird.
Jetzt zur Sache. Ich will klar sagen: Wir sollten uns
nicht gegenseitig absprechen, dass es uns allen um Pressevielfalt geht. Aber, Herr Hinsken, Herr Brüderle, es ist
nicht so, dass die Pressefusionskontrolle nicht im Gesetz stehen würde, das heißt, dass es für diesen Bereich
keine speziellen Regelungen im GWB gäbe. Diese gibt
es seit 1976; davor gab es sie nicht.
Herr Brüderle, Sie haben verlangt, dass diese Branche
wie jede andere behandelt werden müsse.
({5})
Es gibt aus gutem Grund Spezialregelungen. Wir bekennen uns weiterhin zur Pressefusionskontrolle. Aber wir
müssen fragen, ob sich seit 1976 am Pressemarkt nicht
strukturell etwas geändert hat. Das veränderte Leserverhalten ist angesprochen worden. Die Tatsache, dass wir
bei den Anzeigenmärkten eine härtere Konkurrenz gegenüber den elektronischen Medien haben, ist beschrieben worden. Die Stellenmärkte, die Rubriken der KfzAnzeigen oder auch der Immobilienanzeigen sind zum
großen Teil in das Internet abgewandert. Das liegt auch
daran, dass es dort Funktionen gibt, die man in der Zeitung nicht nutzen kann.
Das führt dazu, dass Verlagshäuser und Zeitungen in
Deutschland zunehmend unter Druck geraten. Darauf ist
zu reagieren. Wenn man nicht will, dass immer mehr in
Redaktionen gespart wird, wie das heute der Fall ist,
dass Redakteure entlassen werden und nur noch Halbtagskräfte oder Leute mit geringfügiger Beschäftigung
eingestellt werden, dann muss man darüber reden, was
man tun kann.
({6})
- Nein, darum geht es doch gar nicht. Versuchen Sie
doch nicht, mir das weiszumachen! Hören Sie einfach
zu! Ich habe Ihnen auch zuhören müssen. Es ist so in
diesem Parlament, dass man das manchmal muss.
Herr Hinsken, ich will Ihnen das erklären. Es geht uns
um Folgendes:
({7})
Nach Ihrem Modell bestünde Wettbewerb in Deutschland darin, die Anzahl der Titel zu erhalten, aber in Kauf
zu nehmen, dass im schlimmsten Falle jede dieser Redaktionen nur noch drei bis fünf Mitarbeiter hat,
({8})
die nichts anderes tun, als Agenturmeldungen zusammenzuschnipseln. Dann steht in allen Zeitungen dasselbe. Diese Art von „Meinungsvielfalt“ bzw. Plattheit
wollen wir nicht.
({9})
Wir wollen wirkliche Freiheit. Das heißt, etwas für die
redaktionelle Stärke der Zeitungen in Deutschland zu
tun.
({10})
Ich biete Ihnen an, über die Instrumente, die dort im
Einzelnen vorgeschlagen worden sind, zu diskutieren.
Ich sage Ihnen aber auch: Wer glaubt, das Pressefusionsrecht so lassen zu können und damit Vielfalt zu erhalten,
wird das Gegenteil erreichen. Sie werden erleben, dass
das Zeitungssterben in Deutschland wieder losgeht. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen redaktionelle Unabhängigkeit sichern, wir wollen Kooperationsmodelle
schaffen, in deren Rahmen man beispielsweise bei Anzeigen, vielleicht auch in anderen Bereichen stärker zusammenarbeiten kann. Das ist in vielen Bereichen schon
heute so. Wir wollen das rechtlich klar und verbindlich
im Sinne von Rechtssicherheit im Gesetz festlegen. Es
geht darum, in diesem Bereich Luft zu schaffen.
({11})
Es geht darum, die wirtschaftliche Basis der Zeitungen
in Deutschland zu stärken, um Vielfalt in diesem Bereich
erhalten zu können.
Aufgrund der Kürze der Zeit zum Schluss noch so
viel:
({12})
Es ist gesagt worden, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sei so etwas wie das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft. Ich möchte deshalb der Opposition
in unserem Hause anbieten - so wie es gute Übung ist -,
am Ende zu einem parteiübergreifenden Konsens zu
kommen.
({13})
Dann werden alle etwas nachgeben müssen. Ludwig
Erhard hat einmal gesagt: Ein Kompromiss ist, einen
Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, dass er das größte
Stück abbekommen hat. Wir sollten gemeinsam nach
Wegen suchen, die helfen, die Wettbewerbsordnung im
Interesse unseres Landes zu stärken, für das wir alle gemeinsam Verantwortung tragen.
({14})
Dazu gehört auch eine lebendige Presselandschaft.
Die Unterstellung, dass wir Konzentrationen fördern
wollen, ist falsch. Das Gegenteil ist richtig. Wir wollen
auf Veränderungen reagieren, damit Vielfalt in Deutschland erhalten werden kann. Lassen Sie uns in diesem
Sinne an die parlamentarische Arbeit gehen! Ich weiß,
Herr Hinsken, dass es in Ihrer Fraktion auch andere
Stimmen gibt. Mit denen wollen wir genauso reden wie
mit Ihnen. Sie werden wir auch noch überzeugen.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/3640 und 15/3118 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. September 2004, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.