Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungs-
punkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005
({0})
- Drucksache 15/3660 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
- Drucksache 15/3661 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu-
tige Aussprache neun Stunden und für morgen dreiein-
halb Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und
7 b sowie Zusatzpunkt 3 auf:
7 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der
Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der
Kinder- und Jugendhilfe
({1})
- Drucksache 15/3676 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria
Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Elternhaus, Bildung und Betreuung verzahnen
- Drucksache 15/3488 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau
von Kinderbetreuungsangeboten für unter
Dreijährige
- Drucksache 15/3512 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Das Wort hat Bundesministerin Renate Schmidt.
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich bringe hier heute den Einzelplan 17 ein
und verknüpfe dies mit der ersten Lesung unseres Tagesbetreuungsausbaugesetzes, TAG. Dafür bedanke ich
Redetext
mich auch im Namen der Eltern und Kinder, die mehr
und bessere Betreuung in Deutschland brauchen.
({0})
Lassen Sie mich in aller Kürze mit dem Haushalt und
meinem Ministerium, das in diesem Jahr das Zertifikat
„familienfreundliche Behörde“ erhalten hat, beginnen.
Wir haben größte Anstrengungen unternommen und die
Zahl der Ausbildungsplätze in meinem Ministerium und
im Bundesamt für den Zivildienst um 40 Prozent gesteigert.
({1})
Wir erreichen damit einen Anteil von 7,7 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Das ist eine
gute Nachricht für junge Menschen.
Eine gute Nachricht ist es auch, dass wir trotz des notwendigen Subventionsabbaus Programme im Kinderund Jugendplan erhalten können. Subventionsabbau darf
nämlich nicht bedeuten, dass wir bei Projekten für Kinder und Jugendliche sparen,
({2})
seien es die Programme für benachteiligte Jugendliche „Entwicklung und Chancen“ oder „Lokales Kapital
für soziale Zwecke“ oder die neuen Jugendmigrationsdienste.
({3})
Unser Projekt „P - misch dich ein!“ steht für Partizipation und für unser Leitbild einer aktivierenden Jugendpolitik. Mit „Jugend ans Netz“ schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass alle Jugendeinrichtungen in
Deutschland zu vernünftigen Preisen online gehen können. Wir führen ferner das Aktionsprogramm „Jugend
für Toleranz und Demokratie“ wie geplant fort.
({4})
Das ist wichtig in diesen populistisch hochgeputschten
Zeiten.
Wir wollen und werden entsprechend den Vorschlägen der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“
das Modellprogramm für einen generationsübergreifenden Freiwilligendienst in diesem Jahr auf den
Weg bringen. Es geht nämlich künftig darum, die Chancen des längeren Lebens für alle nutzbar zu machen: für
die Älteren und für alle Generationen. Wir wollen den
demographischen Wandel nicht erdulden, sondern wir
wollen ihn gestalten.
({5})
Der Fünfte Altenbericht, der im nächsten Jahr vorgelegt wird, befasst sich deshalb mit dem Thema „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“; denn
Alter ist kein Synonym für Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit, sondern für Lebenserfahrung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit bei der allergrößten
Zahl der Menschen, und zwar bis ins höchste Alter.
({6})
Diejenigen allerdings, die im hohen Alter Unterstützung brauchen, werden mit der notwendigen Hilfe rechnen können. Ich habe gemeinsam mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im vergangenen Jahr einen runden
Tisch „Pflege“ ins Leben gerufen. Hier werden bis 2005
Vorschläge erarbeitet. Unser Ziel ist die Entbürokratisierung der Pflege und die bessere Verzahnung der ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen.
Das ist umso notwendiger, als Pflegearbeit nach wie vor
ganz überwiegend in der Familie und von Frauen geleistet wird. Deshalb muss nicht nur die Betreuung von
Kleinkindern, sondern auch die von älteren Angehörigen
mit Erwerbsarbeit vereinbar sein; denn gerade weil sich
Frauen für ihre Familien engagieren, sind sie im Berufsleben nach wie vor benachteiligt.
Wir wirken dem entgegen und setzen die gemeinsame
Arbeit mit den Wirtschaftsverbänden zur Gleichstellung
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft fort.
Die deutsche Wirtschaft erkennt zunehmend - manchmal noch etwas zögerlich -, wie wichtig Frauen für die
sich wandelnde Arbeitswelt sind und dass sie in Führungspositionen gehören und in der Selbstständigkeit unterstützt werden müssen, wie zum Beispiel mit unseren
Programmen für Existenzgründerinnen.
Das Berufswahlverhalten muss sich ebenfalls ändern.
Mit dem Girls’ Day
({7})
versuchen wir das zu erreichen, genauso wie mit unseren
IT-Programmen und dem neuen Internetportal „Beruf
und Karriere für Frauen“. Damit setzen wir den OldBoys-Networks endlich Young-Women-Networks entgegen.
({8})
2005 wird zudem das Gesetz zum Schutz vor Diskriminierungen in Kraft treten. Von da an wird eine nationale Stelle diskriminierten Menschen zu ihrem Recht
verhelfen. Dies bedeutet dann weniger Benachteiligungen und mehr Gleichstellung.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur
ein wichtiges gleichstellungspolitisches Thema. Vielmehr betrifft es die gesamte Gesellschaft, nicht zuletzt
die Männer und insbesondere die Väter. Es ist das zentrale Thema der Familienpolitik. Wir müssen versuchen,
endlich die Kluft zwischen Lebenswünschen und Lebenswirklichkeiten - soweit Politik das kann - zu schließen. Einerseits bestehen bei 96 Prozent der Bevölkerung
Wertschätzung der Familie sowie der Wunsch nach Familie und einem Leben mit Kindern. Andererseits haben
wir die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen
Union und die weltweit höchste Kinderlosigkeit. Das ist
nicht die Folge einer unzureichenden materiellen Förderung von Familien. Da sehen wir im europäischen Vergleich nämlich gut aus. Wir liegen hier insgesamt im
oberen Drittel. 34 Milliarden Euro sind im Haushalt des
Finanzministers für das Kindergeld sowie für die Auswirkungen der von mir durchgesetzten steuerlichen Regelungen insbesondere zugunsten der Alleinerziehenden
vorgesehen. Hinzu kommen in meinem Haushalt Mittel
für den neuen Kinderzuschlag. All das lässt mich meinen Haushalt selbstbewusst vertreten; denn neue Kürzungen für Familien gibt es nicht.
({9})
Die Änderungen betreffend das Erziehungsgeld kommen
2005 voll zum Tragen und führen deshalb zu niedrigeren
Ausgaben bei diesem Titel, ebenso wie die niedrigen Geburtenzahlen.
Damit bin ich bei dem zentralen Thema: In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Die Herausforderungen für uns sind offensichtlich. Junge Menschen
wollen mehr Kinder und wir brauchen sie; denn weniger
Kinder bedeuten weniger Innovationsfähigkeit, weniger
Wachstum, weniger Wohlstand und weniger soziale Sicherheit, und zwar nicht irgendwann, sondern bereits
heute.
({10})
- Wunderbar! Es freut mich, dass Sie mir einmal zustimmen.
({11})
Frauen und insbesondere Mütter wollen erwerbstätig
sein. Wir brauchen auch mehr erwerbstätige Frauen.
({12})
Wir brauchen eine bessere und vor allem frühe Erziehung und Bildung unserer Kinder, damit die Herkunft eines Kindes nicht weiter wie bisher über seine Bildungschancen entscheidet. Wir brauchen eine deutliche
Reduzierung von Familien- und Kinderarmut. Wir stellen uns diesen Herausforderungen mit einer nachhaltigen Familienpolitik. Sie beruht auf folgenden drei
Säulen: erstens dem Ausbau der Infrastruktur für Familien - denn der deutsche Weg einer vorrangig monetären
Familienförderung ist im europäischen Vergleich eher
wirkungsschwach, um es ganz vorsichtig auszudrücken -, zweitens deutlich mehr Familienfreundlichkeit
in den Kommunen und vor allen Dingen in den Unternehmen und drittens zielgenauen finanziellen Leistungen dort, wo sie Eigeninitiative stärken und die Entscheidung für Kinder erleichtern, statt Leistungen nach
dem Gießkannenprinzip. Alle drei müssen zusammenkommen, damit eine effiziente Familienpolitik entstehen
kann.
Lassen Sie mich mit der dritten Säule beginnen. Erstmals gibt es in Deutschland ein Instrument zur gezielten
Bekämpfung von Armut bei Kindern. Zu diesem Schritt
waren Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von
der Opposition, in der Vergangenheit leider nicht in der
Lage, obwohl die Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe
leben, ebenfalls dramatisch hoch war.
({13})
Den Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro erhalten Eltern, die wenig verdienen und neben ihrem eigenen Bedarf nicht auch noch den ihrer Kinder erwirtschaften
können. 150 000 Kinder und ihre Familien werden damit
ab 2005 in einem ersten Schritt von Arbeitslosengeld II
unabhängig. Wir werden die Wirkung dieses neuen
Instruments sorgsam prüfen und parallel an seiner Weiterentwicklung arbeiten, mit dem Ziel, deutlich mehr
Kinder unabhängig vom Arbeitslosengeld-II-Bezug zu
machen.
({14})
Auch eine Umgestaltung des heutigen Erziehungsgeldes zu einem einkommensbezogenen Elterngeld - das
ist Teil der aktuellen Diskussion - kann dazu beitragen,
dass sich Kinderwünsche häufiger erfüllen. Es würde zudem mehr Väter motivieren, sich an der konkreten Familienarbeit zu beteiligen. Da kann uns die Steigerung von
1,5 Prozent auf 5 Prozent wahrhaftig noch nicht zufrieden stellen. Das müssen noch mehr werden, wenn wir
wirklich gleiche Chancen für Frauen und Männer in diesem Land erreichen wollen.
({15})
Übrigens stellt ein solches Elterngeld die Verkäuferin im
Vergleich zur heutigen Situation ebenso besser wie die
Lehrerin oder die Ärztin.
Ich bitte aber ganz herzlich darum, nicht immer ein
Entweder-oder zu diskutieren. Wir brauchen Kinderbetreuung und familienfreundliche Arbeitsbedingungen
und finanzielle Leistungen, die die Entscheidung für ein
Kind erleichtern.
({16})
Ein guter Mix ist für Deutschland der Erfolg versprechende Weg. Ich lade zu einer offenen und konstruktiven
Diskussion ein. Absolute Priorität haben für mich aber
der Ausbau der Betreuung und eine familienfreundliche
Unternehmenskultur. Dafür, dass aus einem kinderentwöhnten Land wieder ein kinderfreundliches Land wird,
sind nämlich nicht die Politik und der Staat allein verantwortlich, sondern die gesamte Gesellschaft.
Damit bin ich bei der zweiten Säule, bei der Wirtschaft, die eine besondere Verantwortung trägt. Deshalb
habe ich die Allianz für die Familie mit den vier Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und den Gewerkschaften gegründet. Unser gemeinsames Motto ist:
Familie bringt Gewinn. Ein wichtiges Aktionsfeld dieser
Allianz sind die Lokalen Bündnisse für Familie. Über
Familienfreundlichkeit wird nämlich nicht in Berlin
entschieden, sondern vor Ort und darum muss dort etwas
passieren.
({17})
Seit dem Start dieser Initiative im Januar 2004 hat sie
sich schnell zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. So
haben sich bislang 81 Bündnisse der Initiative fest angeschlossen. An weiteren 131 Standorten werden Bündnisse mithilfe des Servicebüros meines Ministeriums
vorbereitet. In diesen 212 Kommunen oder kommunalen
Zusammenschlüssen leben rund 25 Millionen Menschen. Es ist wirklich ein Erfolg, dass über Familie vor
Ort jetzt regelmäßig nicht nur geredet, sondern im Interesse von Kindern und ihren Familien auch gehandelt
wird.
({18})
Im Zentrum dieser lokalen Bündnisse steht dabei immer auch die Frage nach familienfreundlichen Arbeitsbedingungen - schließlich beteiligt sich dort die Wirtschaft vor Ort - und nach besserer Betreuung. Zu dieser
besseren Betreuung leistet die Bundesregierung ihren
Beitrag. Dies ist die erste, die wichtigste Säule.
Dies ist trotz Kinderzuschlag und trotz der Diskussion
über das Elterngeld ein Paradigmenwechsel in der Bundesrepublik Deutschland: weg von der 30-jährigen überwiegend monetären Förderung von Familien hin zu einer
Politik besserer Infrastrukturen für Familien, die sie
nämlich am dringendsten brauchen.
({19})
Außerdem ist es der dritte und überfällige Schritt zu
einer Verbesserung der Tagesbetreuung. Im Jahr 1992
wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz
von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses beschlossen.
1996 wurde er - unter erheblichem Protest der Kommunen; teilweise erinnern Sie sich vielleicht noch - gesetzlich verankert. Die Kommunen fühlten sich damals nämlich vom Bund finanziell vollkommen im Stich gelassen.
2002 haben wir mit 4 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode den Ausbau von Ganztagsschulen angestoßen. Nun wollen wir ab 2005 in Westdeutschland die
magere Quote von 2,7 Prozent Krippenplätzen und
4,5 Prozent Tagespflegestellen für die unter Dreijährigen
bis 2010 auf ein bedarfsgerechtes Niveau anheben und in
Ostdeutschland die gute Betreuungssituation erhalten.
7 Milliarden Euro investiert der Bund damit allein in
dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulen und Betreuung. Wir hätten uns viel Ärger ersparen können, wenn
wir diese 7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten.
Damit hätten wir aber nicht in die Zukunft investiert.
({20})
Genau das wollen und müssen wir aber tun: in die Zukunft, in unsere Kinder und in deren bestmögliche und
frühe Förderung und Bildung investieren. Wir sind nämlich nicht nur Schlusslicht bei der Geburtenrate in
Europa, sondern auch bei Betreuungs-, Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen für Kinder. Die bisherige Gesetzeslage reichte offensichtlich nicht aus, um einen bedarfsgerechten Ausbau zu gewährleisten.
Mit dem TAG konkretisieren wir diesen Bedarf. Wir
orientieren ihn am Kindeswohl und den Vereinbarkeitsbedürfnissen der Eltern. Dabei handelt es sich um einen
Mindestbedarf, aus dem nicht abgeleitet werden darf,
dass die Kindertagesstättengesetze der ostdeutschen
Bundesländer verschlechtert werden können.
Wir wollen mit dem Gesetz bis 2010 circa
230 000 zusätzliche neue Plätze schaffen. Das Gesetz eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, die Umsetzung
dieser Pflichtaufgabe - ich betone das - flexibel und am
lokalen Bedarf orientiert vorzunehmen. Sie sind aber zu
einer verbindlichen Ausbauplanung und jährlichen Bilanzierung des Fortschritts verpflichtet.
Aber es geht nicht nur um Quantitäten, sondern vor
allem auch um Qualität. „Betreuung, Bildung und Erziehung“ heißt die Trias, die auch von der OECD begrüßt
werden wird und die jetzt auch für die Kindertagespflege
gilt. Dies wird unter anderem durch bessere Qualifizierung und bessere soziale Absicherung von Tagesmüttern
und Tagesvätern erreicht. Es ist aber nicht Aufgabe des
Bundes, Qualitäts- und Bildungskriterien detailliert zu
regeln. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Das wird
auch in Ihrem Antrag deutlich. Deshalb gehen die Vorwürfe, das TAG schreibe zu wenig zu Qualität und Bildung vor, ins Leere.
Ich bin im Übrigen dankbar dafür, dass sich in der
Zwischenzeit alle Länder auf vorschulische Bildungsziele verständigt haben und dass unsere nationale Qualitätsinitiative mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt
wird. Das ist eine Form von Föderalismus, die funktioniert und die den Wünschen der Menschen entspricht:
Der Bund gibt einen verlässlichen Rahmen vor und die
Länder füllen ihn aus, auch im Wettbewerb miteinander.
Deshalb ist es im Interesse der Kinder in ganz Deutschland gut, dass das Kinder- und Jugendhilferecht in der
Zuständigkeit des Bundes liegt. Das muss auch so bleiben.
({21})
Der Bedarf von zusätzlich mindestens 230 000 Plätzen soll in dreifacher Weise gedeckt werden: über das
Öffnen der Kindertagesstätten für unter Dreijährige, über
qualifizierte Tagespflege und, wo nötig, über neue Krippenplätze. Auf dieser Basis haben wir die Kosten berechnet, und zwar jeweils zugunsten der Kommunen.
Wir haben hohe Kosten pro Krippenplatz zugrunde gelegt. Wir haben berücksichtigt, dass unter Dreijährige in
Kitas einen besseren Personalschlüssel brauchen und die
Qualifizierung von Tagesmüttern nicht umsonst zu haben ist. Wir können unsere Rechnung auf Euro und Cent
belegen.
Beginnend mit 400 Millionen Euro netto im Jahr
2005 entstehen bis zum Jahre 2010 1,5 Milliarden Euro
Belastung für die Kommunen. Bis heute habe ich zwar
vielfältige Äußerungen des Inhalts gehört, das reiche
nicht, aber keinen einzigen Beleg für höhere Kosten gesehen.
({22})
- Ich kann das belegen. Ich kann das offen legen. Sie
können mich gern besuchen, Frau Lenke, und ich zeige
Ihnen, was das kostet - bis ins letzte Detail.
({23})
Diese 1,5 Milliarden Euro sollen über das Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe finanziert werden.
({24})
2,5 Milliarden Euro an Einsparungen der Kommunen
werden verbindlich - so steht es im Gesetz - entstehen.
Die Einsparungen kommen bei den Ländern an - das
weiß ich wohl -, aber die haben sich verpflichtet, diese
an die Kommunen weiterzugeben.
({25})
Sie sollen - auch das steht so im Gesetz - für Kinderbetreuung und Investitionen eingesetzt werden.
({26})
Für die Erfüllung dieser Pflichtaufgabe der Kommunen - das ist außerhalb jeder finanziellen Verantwortung
des Bundes; vielleicht darf man das noch einmal sagen ({27})
werden für ganz Westdeutschland in 2005 gerade einmal
- ich habe es eben gesagt - 400 Millionen Euro netto benötigt. Dem stehen Entlastungen der Kommunen im selben Jahr, 2005 - das ist nachrechenbar -, von 6,6 Milliarden Euro gegenüber, die auf den Bund zurückgehen.
6,6 Milliarden Euro Entlastung!
({28})
Ich halte noch einmal fest: auf der einen Seite eine Entlastung in Höhe von 6,6 Milliarden Euro, auf der anderen Seite eine Belastung in Höhe von 400 Millionen im
Jahr 2005.
({29})
Wir müssen deshalb nicht an erster Stelle eine Debatte über Finanzen, sondern über die Setzung neuer
Prioritäten zugunsten von Kindern und Familien führen.
Diese muss in der Bundesrepublik Deutschland endlich
einmal stattfinden.
({30})
Wir in der Bundesregierung setzen diese Prioritäten und
erwarten dies auch von Ländern und Kommunen. Wir
entlasten die Kommunen im Übrigen über die
2,5 Milliarden Euro hinaus, und zwar dadurch, dass wir
sechs von sieben Vorschlägen des Bundesrates, die vom
Freistaat Bayern und vom Land Nordrhein-Westfalen
kommen, aufgreifen, um Fehlentwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu beseitigen. Das reicht vom stärkeren Heranziehen von einkommensstarken Eltern bei
der stationären Unterbringung ihrer Kinder bis zur
Stärkung der Jugendämter. Über deren Köpfe hinweg
dürfen nicht länger Kosten verursacht werden, die sie
dann nur noch begleichen dürfen. Mit diesen Maßnahmen entlasten wir die Kommunen pro Jahr zusätzlich um
220 Millionen Euro.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem TAG
erfüllen wir nicht alle Wünsche; das weiß ich. Manche
möchten mehr: mehr Bildung, Einbeziehung von noch
mehr oder gar allen Kindern oder einen verbindlichen
Rechtsanspruch. Für andere ist das, was wir vorgesehen
haben, bereits viel zu viel. Ich meine, das TAG stellt eine
realistische und finanzierbare Lösung dar. Das TAG steigert die Quantität und die Qualität von Kinderbetreuung
und der Bund überschreitet mit diesem Gesetz nicht
seine Kompetenzen. Die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf in der Gesellschaft ist groß. Sie reicht von den
Kirchen über die Wirtschaftsverbände und den DGB bis
hin zu Wohlfahrtsorganisationen und dem Kinderschutzbund, von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern von SPD und CDU bis hin zu Einzelpersonen
wie Gesine Schwan, Rita Süssmuth oder Sandra
Maischberger. Wenn Sie eine Blockadehaltung gegen
dieses Gesetz einnehmen, werden Sie - das prophezeie
ich Ihnen - scheitern.
({31})
Wir sollten lieber gemeinsam dafür sorgen, dass dieses
Gesetz zu einem Erfolgsprojekt wird.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem Haushalt des Einzelplans 17 wird dafür
gesorgt, dass Kinder- und Familienarmut abnimmt, es zu
mehr Familienfreundlichkeit kommt, die Gleichstellung
von Frauen und Männern gefördert wird und Kindern
mehr Bildungschancen verschafft werden. Es ist ein
Haushalt für die Zukunft.
({32})
Ich erteile das Wort Kollegin Maria Böhmer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben soeben gehört, man dürfe bei
Kindern und Jugendlichen nicht sparen. Aber, Frau
Ministerin Schmidt, genau das tun Sie mit diesem Haushalt. Ihr familienpolitischer Haushalt sieht für das Jahr
2005 ein Minus von 238 Millionen Euro vor. Das ist die
zentrale Botschaft. Das ist ein Minus von 4,4 Prozent.
Das ist die größte Kürzung bei allen Haushalten im Bereich der Bundesregierung. Diese Negativbotschaft geht
von diesem Haushalt aus.
({0})
Es kommt ein Zweites hinzu: Ich kann Ihnen nicht ersparen, dieses zu erwähnen, auch wenn Sie auf Verbesserungen verweisen, die Familien, die von Sozialhilfe leben, zugute kommen. Die Lage der Familien in
Deutschland hat sich nicht verbessert. Trotz steuerlicher
Verbesserungen geht es den Familien in Deutschland
schlechter. Sie kämpfen täglich darum, wie sie ihre Ausgaben bewältigen können, denn die Schieflage ist da.
Die täglichen Ausgaben fressen die steuerlichen Entlastungen auf: die geringere Entfernungspauschale, die höheren Benzinkosten, mehr Ausgaben für Öl, Gas und
Müll. Außerdem hat der rot-rote Senat in Berlin die
Lernmittelfreiheit abgeschafft und die Kindergartenbeiträge sind in astronomische Höhen gestiegen - bis zu
500 Euro pro Kind! -, was zur Folge hat, dass die Kinder
vom Kindergarten abgemeldet werden. Das ist die Realität in Deutschland.
({1})
Wir brauchen eine neue Prioritätensetzung für Familien, wohl wahr; wir brauchen aber die richtige Prioritätensetzung. Schauen Sie in die unionsregierten Länder.
Seit Jahren haben wir uns angestrengt und dafür gekämpft, dass der Ausbau der Kinderbetreuung vorankommt. In den unionsregierten Ländern finden Sie die
besten Voraussetzungen für die Kinderbetreuung. Aber
ich sage auch ganz klar: Wir brauchen einen weiteren
Ausbau für die unter Dreijährigen und wir brauchen
mehr Ganztagsangebote.
({2})
Wir haben hier nichts versäumt. Wir sind in Hessen und
Bayern mit Bildungsplänen vorangegangen. Das ist die
Botschaft der Union.
({3})
Zu dem, was in Ihrem Haushalt real geschieht, Frau
Schmidt. Sie haben eben gesagt, die Kürzungen beim Erziehungsgeld seien die Kürzungen des vergangenen Jahres. Aber sie schlagen dieses Jahr für die jungen Familien voll durch. Die Einkommensgrenzen sind um
40 Prozent gesenkt worden. 40 Prozent weniger! Das
soll Mut machen für Kinder? Die Botschaft geht genau
in die andere Richtung; denn die Familien haben keine
Sicherheit und sie werden sich zögerlich verhalten, wenn
es um die Realisierung des Kinderwunsches geht.
In dieser Situation verkünden Sie uns eine neue Leistung: das Elterngeld; es soll aus dem Dilemma herausführen. Wir haben Ihnen gestern gesagt, wir werden uns
ganz genau anschauen, was dieses Elterngeld bedeutet.
Aber bis heute kennen wir nicht einmal ein Konzept. Sie
haben selbst gesagt, Sie haben das noch nicht einmal
durchgerechnet. Ich sehe in den Reihen der SPD, dass
Sie hart damit ringen; denn Sie müssen sich dann von einem ehernen Grundsatz der SPD verabschieden, nämlich
dem Grundsatz, dass jedes Kind gleich viel wert ist. Wie
wollen Sie in Ihren eigenen Reihen und wie wollen Sie
in Deutschland vermitteln, dass demnächst nicht mehr
jedes Kind gleich viel wert ist?
({4})
Bei diesem Konzept kommt ein Punkt hinzu. Ich
habe, genau wie Sie, schon in den 80er-Jahren nach
Schweden geschaut. Wir haben beide, wie viele andere
in diesem Raum, genau betrachtet, was in anderen Ländern geschieht, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen. In Schweden dient das Elterngeld hauptsächlich der Gleichstellung von Mann und
Frau; es ist kein Instrument, um eine Steigerung der Geburtenrate zu erreichen. Die Sprache und die Botschaften in Schweden sind eindeutig. Aus dem Jahr 2001 gibt
es die Schlagzeile: Schweden sorgt sich um seine Geburtenrate. Es sorgt sich, weil die Geburtenrate von 1990
mit 2,14 Kindern zunächst auf 1,5 Kinder und bis heute
auf 1,3 Kinder - das ist exakt die gleiche wie in
Deutschland - zurückgegangen ist. Und Sie sprechen davon, dass das Elterngeld zu einer Steigerung der Geburtenrate führen soll? Ich warne vor einem Irrweg und vor
einem Ansatz, der nicht tragfähig ist.
({5})
Was Not tut, ist eine klar strukturierte Familienförderung. Wir haben derzeit in Deutschland Ausgaben von
circa 150 Milliarden Euro für 155 Maßnahmen und
39 Stellen im familienpolitischen Bereich. Damit stehen
wir vor einem familienpolitischen Dschungel. Liebe
Frau Ministerin Schmidt, das ist ein Thema, dessen Sie
sich annehmen müssen: Licht in diesen Dschungel zu
bringen, für Transparenz und mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist es, was Familien in unserem Land brauchen.
({6})
Ich nenne Ihnen zwei Wege. Der eine Weg ist: Schaffen Sie Transparenz. Wir wollen von Unionsseite die familienpolitischen Leistungen in einer Familienkasse
bündeln. Es kann nicht mehr sein, dass nach dem Gießkannenprinzip viel gegeben wird. Wir brauchen eine
zielgerichtete Familienpolitik. Dazu gehört eine familienfreundliche Steuerpolitik; denn Familien brauchen
mehr Geld in der Tasche und nicht weniger, wie es derzeit in Deutschland der Fall ist.
({7})
Der zweite Weg wird in Frankreich gegangen. In
Frankreich zahlt nur noch die Hälfte der Haushalte
Lohn- und Einkommensteuer, weil eine klare Entlastung
der Familien mit Kindern existiert. Ab dem dritten Kind
sind die Familien von der Steuer freigestellt.
Mit unserem Steuerkonzept, das neben dem Arbeitnehmerrfreibetrag von 1 000 Euro einen Grundfreibetrag
von 8 000 Euro vorsieht, muss eine Familie mit zwei
Kindern bei einem Einkommen bis zu 33 000 Euro
null Euro Steuern zahlen. Das ist die positive Botschaft
für Familien in Deutschland. Es gilt, dieses Konzept umzusetzen.
({8})
An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich: Es ist
fatal, dass Sie auch bei der Pflegeversicherung einen
falschen Weg eingeschlagen haben. Dadurch wird eine
falsche Botschaft ausgesendet. Durch die Neuregelung
der Pflegeversicherung erfüllen Sie nämlich nicht das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Familien zu entlasten. Sie belasten vielmehr die Kinderlosen. Die Eltern
haben null Euro Vorteil von dieser Regelung und bleiben
auf der gleichen Belastung sitzen.
({9})
Dagegen führt der Kinderbonus, den wir einführen wollen, zu einer Entlastung der Familien. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem Einkommen von
1 000 Euro wird zukünftig bei 5 Euro Kinderbonus
null Euro Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. So
muss man es machen: Entlastung der Familien, nicht Belastung der Kinderlosen.
({10})
Ihre Aktivitäten im Bereich der Gleichstellungspolitik: Fehlanzeige. Auch die Seniorenpolitik - unsere Gesellschaft wird immer älter; das ist eines der drängendsten Probleme in unserem Land - tritt auf der Stelle. Vom
Nationalen Aktionsplan zur Bewältigung der demographischen Herausforderung, dem Kernstück Ihrer Politik
für ältere Menschen, ist nichts zu sehen: Fehlanzeige.
Mit der Diskussion über das Tagesbetreuungsausbaugesetz blenden Sie derzeit alles andere aus.
Für die Union sage ich klar und deutlich: Wir wollen
den Ausbau der Kinderbetreuung. Wir wollen im
Ganztagsbereich und im schulischen Bereich sowohl mit
der Betreuung der unter 3-jährigen Kinder als auch mit
der Betreuung für alle anderen Kinder vorankommen.
Die Botschaft ist klar: mehr Kinderbetreuung, mehr
Ganztagsplätze und mehr frühkindliche Förderung.
({11})
Aber es muss auch bezahlbar sein und solide finanziert
werden. Genau da liegt der Fehler in Ihrem Gesetz.
({12})
Frau Schmidt, Sie sind zurückgerudert. Sie haben
heute gesagt, es solle 230 000 Betreuungsplätze geben.
Das ist immerhin etwas. Aber Sie hatten ursprünglich
eine 20-prozentige Versorgungsquote eingeplant. Frau
Deligöz hat immer von einem Rechtsanspruch auch für
die unter 3-Jährigen geträumt.
({13})
Das ist durchaus eine mögliche Zielvorstellung. Frau
Deligöz, Sie haben jetzt dieses Gesetz als mutlos bezeichnet. Da haben Sie Recht. Nicht nur dieses Gesetz,
sondern die gesamte Familienpolitik dieser Bundesregierung ist mutlos. Wenn in diesem Land Mutlosigkeit ausgestrahlt wird, ist die Anzahl der geborenen Kinder nicht
so groß, wie wir uns das wünschen.
({14})
Hinzu kommt: Der Ausbau soll nicht bis 2006 erfolgen, sondern erst bis zum Jahr 2010. Was machen denn
Eltern, deren Kind jetzt geboren wird? Denn bis es die
Betreuungsplätze gibt, ist das Kind schon in der Grundschule. Das kann doch nicht die frohe Botschaft sein, die
Sie hier verkünden wollen.
Trotzdem, Frau Schmidt: Wir werden gemeinsam mit
Ihnen dafür kämpfen, dass es mehr Kinderbetreuungsplätze gibt und dass es mehr und bessere Bildung gibt.
Der qualitative Aspekt ist durchaus auch für den Bundesgesetzgeber wichtig. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber Sie haben eine Weichenstellung in Ihrem Gesetz vorgenommen, die genau im Widerspruch dazu
steht. Wenn Sie sagen, das Kriterium „bedarfsgerecht“
wird festgemacht an der Erwerbstätigkeit der Eltern,
dann halte ich das für falsch. Denn alle Eltern - egal ob
die Mutter oder der Vater erwerbstätig ist - müssen die
Möglichkeit haben, ihr Kind in eine Kita - egal ob in
eine Krippe oder in einen Kindergarten - zu schicken.
Dieser Anspruch kann nicht an der Erwerbstätigkeit der
Eltern festgemacht werden.
({15})
Wir haben in Bayern und Baden-Württemberg die
höchste Frauenerwerbsquote. Dort gibt es mit 1,4 auch
die höchste Geburtenrate. Das hängt auch mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung und mit einer besseren
Arbeitsmarktsituation zusammen. Die klare Botschaft
ist: Familien brauchen Sicherheit, auch Sicherheit durch
einen Arbeitsplatz. Das bedeutet: Wir müssen Deutschland in puncto wirtschaftlicher Entwicklung wieder
voranbringen und mehr Arbeitsplätze schaffen. Hinzu
kommen müssen dann noch mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eine bessere frühkindliche Erziehung
und eine steuerliche Entlastung. Wir werden auch über
das Elterngeld reden müssen. Vielleicht werden wir dann
in Deutschland eine Wende erreichen.
Wir haben einen Antrag vorgelegt. In diesem Antrag
haben wir deutlich gemacht, wie man Eltern nicht ständig belastet, sondern entlastet. Im Saarland ist man vor
Jahren den Weg gegangen, das dritte Kindergartenjahr
für Eltern kostenfrei zu stellen. Das ist ein Weg, den ich
mir für ganz Deutschland wünsche.
({16})
Denn damit würden Eltern entlastet und bessere Bedingungen für Familien herbeigeführt.
Mein Fazit lautet: Wir brauchen in der Familienpolitik einen Paradigmenwechsel; Frau Schmidt, Sie haben
Recht. Wir dürfen nicht mehr in dem Gegensatz denken:
entweder bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
durch Ausbau der Kinderbetreuung - wozu selbstverständlich auch die Wirtschaft gehört, die familienfreundliche Arbeitsplätze schaffen muss - oder finanzielle Förderung. Beides muss zugleich geschehen!
Was Familien in unserem Land aber wirklich brauchen, ist ein Politikwechsel, ein Wechsel von Rot-Grün
zur Union.
({17})
Denn dort, wo die Union regiert, geht es den Familien
und den Kindern besser. Deshalb brauchen wir auch auf
Bundesebene einen Wechsel.
Herzlichen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Frau Böhmer, mit Ihrer Rede haben Sie es geschafft, alles schlechtzureden. Ich werde gleich zeigen,
dass das, was Sie im Hinblick auf die Familienpolitik
gesagt haben, falsch war.
({0})
Der Einzelplan 17 leistet mit einer Kürzung um
4,4 Prozent seinen Anteil an der Haushaltskonsolidierung; das ist wahr. Dies fällt uns nicht leicht. Aber wenn
Sie sehen, dass bereits 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Schulden aufgelaufen sind, müssen Sie zugeben, dass es zu diesen Einsparungen keine Alternative
gibt. Das sind wir der nächsten Generation schuldig.
Ich bin froh, Frau Böhmer, dass es im Wesentlichen
keine Leistungskürzungen gibt. Die Einsparungen resultieren - vielleicht haben Sie das gesehen - aus der Angleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst und aus
der geringeren Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes
wegen rückläufiger Geburtenzahlen.
Ich sage es noch einmal an die Adresse der CDU/
CSU: Bei der Familienpolitik gibt es keine Abstriche.
Der Bund wendet im Jahr 2005 insgesamt 60 Milliarden
Euro für die Familien auf. 1998 lag dieser Betrag bei
40 Milliarden Euro. Eine Steigerung um 50 Prozent in
sechs Jahren, das kann sich doch wohl sehen lassen! Es
ist sehr durchsichtig, warum Sie das immer schlechtreden.
({1})
Ich komme zu einem Thema, bei dem manchmal unterstellt wird, wir duckten uns weg. Ich meine das Thema
„Frauen und die Auswirkungen von Hartz IV“. Wir wissen, dass es bei der Umsetzung Probleme gibt, zum Beispiel durch die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens. Viele Frauen werden kein Arbeitslosengeld II erhalten. Wir werden aber dafür sorgen, dass auch
für Nichtleistungsempfängerinnen zumindest ein bestimmter Anteil am Integrationsbudget festgeschrieben
wird. Ähnliches gilt für Berufsrückkehrerinnen. Deren
Zahl hat sich halbiert. Das dürfen wir nicht hinnehmen.
({2})
Die meisten Betroffenen sind hochmotivierte Frauen mit
einer hohen Vermittlungschance. Hier brauchen wir eine
Verpflichtung der Bundesagentur, die auch die Auszahlung der ESF-Mittel für den Unterhalt beinhalten sollte.
Es gibt weitere Verbesserungen - auch wenn Sie es
nicht hören wollen -, über die wenig gesprochen wird.
Ein Viertel aller Alleinerziehenden sind heute Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Sie erhalten ab 2005
Arbeitslosengeld II und damit erstmals eine Einbeziehung in die Sozialversicherung, ein Recht auf aktive Unterstützung bei der Suche nach Arbeit sowie Hilfe bei
der Suche nach einer Kinderbetreuung.
({3})
Und noch etwas, was gar nicht oft genug gesagt werden kann: Jedem jungen Menschen bis zu 25 Jahren
wird ab 2005 verbindlich ein Aus- oder Weiterbildungsbzw. ein Arbeitsplatz angeboten. Wann hat es das schon
einmal gegeben? Warum reden Sie das alles eigentlich
klein?
({4})
Ein Wort zur Gleichstellungsbilanz der Bundesregierung; daran hat es ja heftige Kritik des von mir sonst
sehr geschätzten Frauenrats gegeben. Er beklagt, dass
der Anteil der Frauen an den Professuren nur 8 Prozent
beträgt, obwohl die Studienanfänger zu über 50 Prozent
Frauen sind. Auch ich finde das beklagenswert, zumal es
mit einem Anteil von 18 Prozent genügend habilitierte
Frauen gibt. Aufgrund unseres Föderalismus kann der
Bund hier aber nicht regelnd eingreifen; da müssen die
Länder etwas tun.
Dann beklagt der Frauenrat, dass nur jede zehnte Frau
eine Führungsposition bekleidet. Dort, wo der Bund zuständig ist, gibt es aber seit 1998 enorme Verbesserungen. Ich erwähne hier nur die positive Einstellungsbilanz
der Ministerien. Im Auswärtigen Amt sind von den seit
1998 neu Eingestellten 67 Prozent Frauen, im Gesundheitsministerium sind es 62 Prozent.
Nach meiner Überzeugung hätte ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft die Situation von
Frauen verbessern können. Die Wirtschaft triumphiert
noch heute, dass sie ein solches Gesetz verhindert hat.
Dies wird die Wirtschaft noch bereuen, ebenso wie sie es
bereut hat, dass sie viele über 50-Jährige ausgemustert
hat. Schon jetzt sieht sie den Schaden und gibt auch zu,
dass ihr die Erfahrung der Älteren fehlt. Es ist eine Abwertung der Leistung älterer Menschen, für die es überhaupt keine Grundlage gibt. Wenn ich hier in die Runde
schaue, sehe ich viele über 50-Jährige, die, wären sie in
der Wirtschaft, davon betroffen wären. Darum wird es
Zeit für ein arbeitsrechtliches und zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz.
Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr gefreut, dass auch der Kanzler in seiner gestrigen Rede
auf die ungeheure Herausforderung durch die alternde
Bevölkerung hingewiesen hat. Hier müssen wir ganz
schnell Konzepte entwickeln, damit es nicht zu dem
von einigen proklamierten Krieg der Generationen
kommt. Dazu brauchen wir eine neue Politik für
ältere Menschen, die auch den Bedürfnissen der aktiven 50- bis 80-Jährigen Rechnung trägt. Der Fünfte Altenbericht wird sich mit diesem Thema beschäftigen.
Daneben muss es weitere Verbesserungen in der
Pflege gerade auch für Demenzkranke geben. Ich bin sicher, dass der runde Tisch, den die Ministerin eingerichtet hat, wertvolle Handlungsempfehlungen geben wird.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine
große Verantwortung gerade für die Menschen, die auf
unsere Hilfe angewiesen sind. Dieser Verantwortung
werden wir uns stellen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Otto Fricke, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In Bezug auf die Grünen muss ich präzisieren:
Meine lieben Kolleginnen! Männer sind bei dieser Debatte in Ihrer Fraktion wieder einmal nicht zu sehen.
({0})
- Ich weiß, dass Sie damit Probleme haben. Schauen Sie
einmal, wie viele Männer in der liberalen Fraktion sitzen, die sich für dieses Thema interessieren.
({1})
Sie verlangen doch immer, dass Männer bei Familienpolitik mitreden und sich für sie interessieren. Setzen Sie
dies einmal bei Ihren eigenen Männern durch! Dann
käme es auch nicht zu dieser einseitigen Sicht.
({2})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Familienpolitik, Seniorenpolitik und Jugendpolitik sind Politikbereiche, die sehr stark mit Emotionen zu tun haben. Hier
haben wir es mit Fragen zu tun, die unser gesamtes Leben betreffen: Wie plane ich mein Leben? Wohin führt
mein Leben? Was sind die Ergebnisse? Hier geht es ganz
entscheidend darum, wie man ein Leben mit Kindern
so hinbekommt, dass man - das steht zwar so nicht in
unserer Verfassung; aber wir alle wollen es - sein persönliches Glück verfolgen kann. Das schafft man nur, indem man in einer Partnerschaft beide dazu führt.
In diesem Zusammenhang komme ich zu dem
Elterngeld, das Sie, Frau Ministerin, mithilfe einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit, begleitet von der Industrie
- das ist auch sehr geschickt gemacht -, nach draußen
gebracht haben. Meine Fraktion unterstützt Ihre Absichten. Ob Ihre Fraktion es auch tut, weiß ich noch nicht.
Wenn ich die kritischen Blicke von Herrn Müntefering
sehe, komme ich zu dem Ergebnis, dass Sie hier noch einiges an Arbeit leisten müssen. Wir begrüßen dieses Elterngeld, weil die von Ihnen erwähnten bildungsnahen
Schichten ein Kapital für alle in unserer Gesellschaft
darstellen. Dabei müssen diese bildungsnahen Schichten
Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernehmen, was eben auch bedeutet, Kinder zu haben und zu
erziehen. Hier ist es für eine Frau ausschlaggebend, was
passiert, wenn sie sich für Kinder entscheidet. Es geht
also um die Frage, wie man es hinbekommt, dass eine
Frau und ihr Partner in eine Position kommen, in der sie
Kinder nicht als eine Bedrohung ihres gewohnten Lebens, sondern als Teil ihres Lebens begreifen.
({3})
Nun komme ich aber zu einem Problem, das die Kollegin gerade schon angesprochen hat: die Finanzierung.
({4})
Natürlich können Sie noch nicht genau sagen, wie Sie es
finanzieren. Wenn ich Herrn Diller sinnieren sehe, dann
ist mir schon klar, dass er große Probleme bei der Finanzierung sieht. Eines müssen wir aber verhindern: Wir
können keine neuen Versprechungen in einem Bereich
machen, die zwar richtig sind, die wir aber nicht bezahlen können.
({5})
Wenn das passiert, gehen wir in die falsche Richtung.
Wenn die zweite Analyse jedoch lautet - das muss
man deutlich sagen -, dass die enormen finanziellen
Leistungen, die von der jetzigen Regierung und vom jetzigen System erbracht werden, nicht den erwarteten Effekt haben, dann werden wir im Zweifel in Zeiten knapper Kassen zu dem Schluss kommen, dass bestimmte
direkte Leistungen nicht mehr geeignet sind, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Welche Maßnahmen
wir dann ergreifen werden, will ich jetzt gar nicht ausführen; denn immer dann, wenn man eine Leistung anspricht, heißt es sofort, dort wolle man kürzen. Ich will
hier auch niemandem etwas in die Schuhe schieben, aber
wir werden den Bereich nennen müssen, in dem es vielleicht wehtun wird.
Lassen Sie mich noch einen Aspekt des Elterngeldes
ansprechen. Wahrscheinlich hat Frau Schewe-Gerigk in
der Zwischenzeit alle Männer ihrer Fraktion angerufen,
damit sie hierher kommen.
({6})
Im aktuellen Haushalt 2004 wurde die Bemessungsgrenze, bis zu der Erziehungsgeld geleistet wird, gesenkt. Ihr Vorschlag zum Elterngeld weist in eine andere
Richtung. Man muss klar sehen, dass hier ein gewisser
Widerspruch besteht. Ehrlicherweise sollte man auch sagen, dass die Einsparungen im Haushalt 2004 natürlich
fiskalisch bedingt waren und mit nichts anderem zu begründen sind.
({7})
Ich komme nun zu einem Punkt, der das Ministerium
immer betrifft, der aber stets nur am Rande erwähnt wird,
nämlich zum Zivildienst. Hartz IV und die 1-Euro-Jobs
spielen in diesem Bereich eine nicht unwesentliche
Rolle. Es wird immer deutlicher, dass es eine Wehrungerechtigkeit gibt. Ich bitte das Ministerium, genau zu prüfen - das ist für meine Fraktion, die die Abschaffung der
Wehrpflicht bzw. die Aussetzung der Wehrpflicht fordert, wichtig -, ob nicht die 1- und 2-Euro-Jobs ein Ansatz dazu sind, dass Dienste, die bisher von den Zivildienstleistenden übernommen wurden und die wir uns
sonst gar nicht leisten können, so finanziert werden können. Damit könnte die menschlich nahe Betreuung
finanziert werden.
Mein letzter Punkt: Haushälter, gerade die der Opposition, werden immer dafür kritisiert, dass sie bei der
Öffentlichkeitsarbeit streichen wollen. In zwei Jahren
- da bin ich mir sicher - werden auch Sie, dann in umgekehrter Weise, Streichungen bei der Öffentlichkeitsarbeit
fordern.
({8})
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Schauen Sie sich einmal an, was es im Internet Schönes zu finden gibt. Ich
habe hier das von der Ministerin aktuell vorgelegte Gesetz.
({9})
Hier wird so getan, als wäre dieses Gesetz schon beschlossen. Derjenige, der sich das im Internet anschaut,
glaubt, das sei schon beschlossen. Die Parlamentarier
sind unwichtig, alles ist schon beschlossen. Ich gebe
aber zu, dass es nicht ganz so ist. Auf der letzten Seite
steht: Das Gesetz soll Anfang 2005 in Kraft treten.
Es wird nie und nimmer - Frau Ministerin, auch Sie
glauben das sicher nicht - so in Kraft treten, wie es in
dieser Broschüre steht. Auch wir wollen das Gesetz,
dazu wird Ihnen aber meine Kollegin Lenke besser als
ich etwas sagen können. Sie dürfen aber nicht das Geld
der Steuerzahler verwenden, um etwas zu verkaufen,
was noch gar nicht existiert.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Christel Humme,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Frau Böhmer, zum sechsten Mal in Folge bringen wir einen rot-grünen Haushalt ein.
({0})
Ich bin froh, dass wir die Regierungsverantwortung tragen und diesen Haushalt einbringen, weil wir es trotz
leerer Kassen, die wir von Ihnen geerbt haben, und trotz
Haushaltskonsolidierung geschafft haben und schaffen,
zu einer besseren und sozial gerechten Familienpolitik
zu kommen.
({1})
Der Haushalt 2005 und die Finanzpolitik der letzten
Jahre spiegeln das eindeutig wider.
Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil
wir, Frau Böhmer, den Familien tatsächlich eine solide
finanzielle Grundlage bieten. Die Familien haben heute
im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit rund 3 000 Euro
mehr im Portemonnaie.
Sie, Frau Böhmer, haben den Vergleich mit Frankreich angestellt. Ich bitte Sie, dann auch die Zahlen für
Deutschland zu nennen; denn eine Familie zahlt erst ab
einem Einkommen in Höhe von 37 000 Euro Steuern.
Das ist Fakt. Hier müssen Sie ehrlich bleiben.
({2})
Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil wir
mit unseren Arbeitsmarktreformen neue Chancen auf
Erwerbsarbeit eröffnen.
({3})
Mit dem Kinderzuschlag - das ist wichtig - unterstützen wir Familien, die wenig verdienen. Sie erhalten zusätzlich zum Kindergeld monatlich bis zu 140 Euro mehr
pro Kind.
Unsere Politik ist sozial gerecht, weil wir von Bundesseite aus Verantwortung übernehmen und in Kinderbetreuung und Ganztagsschulen investieren.
({4})
Den ersten Schritt haben wir erfolgreich mit dem Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen, das ein
Volumen von 4 Milliarden Euro hat, gemacht. Über
1 000 zusätzliche Ganztagsschulen meldeten die Länder
seit Beginn unseres Programms. Frau Böhmer, Sie haben
vorhin behauptet, dass die CDU/CSU-regierten Länder
auf diesem Gebiet vorne liegen. Dazu halte ich fest: In
Nordrhein-Westfalen bieten 703 Schulen Ganztagsbetreuung an. Mit dem neuen Schuljahr kommen damit
35 000 ganztagsbetreute Schulplätze hinzu.
({5})
In Bayern wurden nicht einmal halb so viele Ganztagsschulen aufgebaut. Was Sie vorhin gesagt haben, ist daher nicht richtig.
({6})
Mit unserem Gesetz zum Ausbau der Ganztagsbetreuung unternehmen wir heute den zweiten Schritt. Wir helfen, die Betreuungsangebote für Kinder unter drei
Jahren vor Ort zu verbessern. Familien brauchen und
wünschen finanzielle Entlastung, neue Chancen zur Teilhabe am Erwerbsleben und den Ausbau von Ganztagsschulen und Kinderbetreuung. Das verstehen wir unter
moderner Familienpolitik.
Das kann in keiner Weise, so wie Sie es tun, Frau
Böhmer, als Dschungel bezeichnet werden.
({7})
Wir haben ein schlüssiges Konzept. Bei Ihnen, meine
Damen und Herren von der Opposition, vermisse ich ein
solches Konzept. Alles, was Ihnen einfällt, ist Populismus. Nichts anders war die Äußerung des Generalsekretärs der CSU, Markus Söder, im Juli, so genannten Rabeneltern Sozialhilfe und Kindergeld zu kürzen. Solche
Vorschläge helfen Familien überhaupt nicht.
({8})
Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt in der Regierungsverantwortung sind.
({9})
Unsere Politik ist natürlich auch für Frauen sozial
gerecht. Frauen haben zu Recht den Wunsch nach
gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben. Dafür
schaffen wir die Voraussetzungen, Herr Kampeter. Denn
auch dazu brauchen die Frauen eine Ganztagsbetreuung
für ihre Kinder. Damit sie Familie und Beruf besser vereinbaren können, haben wir ihnen bereits am 1. Januar
2001 einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eingeräumt. Dieses Gesetz, das im Zusammenhang mit der
Gleichstellungspolitik zu sehen ist, ist Teil eines sehr
schlüssigen Konzepts.
({10})
Ein solch schlüssiges Konzept vermisse ich von der
Opposition, Frau Böhmer. Ich gebe zu, dass ich etwas irritiert bin. Sie verlieren sich in Widersprüchen: Einmal
haben Sie das Familiengeld, dann die Betreuung in den
Vordergrund gestellt. Andere in Ihren Reihen sagen, Betreuung sei überhaupt nicht finanzierbar. Heute höre ich
sogar etwas ganz Neues: die Kinderkasse. Alles in allem: Es liegt überhaupt kein Konzept vor, wie das insgesamt seriös gegenfinanziert werden soll.
({11})
Darum bin ich froh, dass wir in der Regierungsverantwortung sind.
({12})
Last but not least ist unsere Politik auch sozial gerecht
für Kinder und Jugendliche, weil wir Kindern und Jugendlichen von Anfang an beste Bildungschancen bieten
wollen, und zwar in Krippen, Kindertagesstätten und
Ganztagsschulen. Wenn Kinder und Jugendliche unsere
besondere Unterstützung brauchen, muss sichergestellt
sein, dass die Jugendhilfe vor Ort greifen kann. Das
heute vorgelegte Kinder- und Jugendhilfegesetz ist eine
Weiterentwicklung. Es soll Bewährtes erhalten und Praxiserfahrungen einarbeiten. Wir wollen kein Gesetz, das
einer Jugendhilfe nach Kassenlage Tür und Tor öffnet.
({13})
Für die Zukunft ist es darum wichtig, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Rahmen der föderalen
Neuordnung in der Zuständigkeit des Bundes bleibt. In
diesem Zusammenhang unterstütze ich die Forderung
von Renate Schmidt.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendliche brauchen von Anfang an Bildung und Chancengleichheit.
Auch hierfür haben wir ein schlüssiges Konzept, das ich
bei Ihnen völlig vermisse. Alles, was Ihnen dazu einfällt,
sind Sparvorschläge nach der Rasenmähermethode.
({15})
Nichts anderes sind auch die Vorschläge Ihres Kollegen
Stoiber,
({16})
den Haushalt pauschal um zusätzlich 5 Prozent zu kürzen. Das würde für den Familienhaushalt bedeuten, dass
zusätzliche Kürzungen in Höhe von 230 Millionen Euro
erfolgen müssten.
({17})
Wollen Sie das wirklich? Wo wollen Sie streichen?
Selbst wenn Sie alle freiwilligen Leistungen aus dem
Kinder- und Jugendplan streichen würden, hätten Sie
zwar einen Kahlschlag betrieben
({18})
- das ist richtig -, aber noch nicht einmal die Hälfte der
230 Millionen Euro erreicht. Deshalb bin ich froh, dass
wir in der Regierungsverantwortung sind und die entsprechenden Weichenstellungen vornehmen.
({19})
Unser Tagesbetreuungsausbaugesetz ist ein gutes
Beispiel für sozial gerechte Politik. Damit gehen wir ein
ganzes Problembündel effizient an. Wir verbessern die
Bildungschancen für Kinder und die Erwerbschancen für
Frauen. An dieser Stelle tun wir auch etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Folgendes ist wichtig - das sage ich bewusst in Richtung FDP, die an dieser Stelle den entsprechenden Antrag gestellt hat -:
({20})
An Finanzierungsstreitigkeiten darf dieses Zukunftsprojekt nicht scheitern.
({21})
- Frau Lenke, mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entlasten wir die Kommunen um
jährlich 2,5 Milliarden Euro.
({22})
Ich denke, es ist unser gutes Recht, dass wir uns hier einmischen und von den Kommunen erwarten, in Zukunft
1,5 Milliarden Euro jährlich in Betreuungsangebote für
unter Dreijährige zu investieren;
({23})
denn der Ausbau der Kinderbetreuung ist unser zentrales
Zukunftsprojekt.
({24})
- Hören Sie doch zu, Frau Eichhorn. Ich habe Ihnen gerade gesagt, woher das Geld kommt.
({25})
Jetzt ist es an Ihnen, zu zeigen, wie wichtig Ihnen der
Ausbau der Kinderbetreuungsangebote wirklich ist.
Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu und sorgen Sie
in den von Ihnen geführten Ländern und Kommunen für
seine Umsetzung: zum Wohle der Kinder, der Familien
und unserer Zukunft in Deutschland.
Danke schön.
({26})
Ich erteile das Wort der Kollegin Maria Eichhorn,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach sechs Jahren rot-grüner Familienpolitik
kommt die größte gesellschaftspolitische Online-Umfrage „Perspektive-Deutschland“ zu dem Ergebnis, dass
nicht nur Familien mit Kindern, sondern alle Befragten
mit der Situation von Familien mit Kindern in
Deutschland sehr unzufrieden sind. 64 Prozent der Befragten fordern, Deutschland endlich familien- und kindgerechter zu machen.
({0})
Meine Damen Vorrednerinnen, die Wahrnehmung der
Bevölkerung ist also eine ganz andere als die, die Sie
vorhin angeführt haben. Das ist die Wahrheit.
({1})
Familienpolitik konzentriert sich bei Rot-Grün seit
Monaten ausschließlich auf die Kinderbetreuung der
Null- bis Dreijährigen. Die Finanzierung haben Sie aber
nicht sichergestellt. Sie bauen diese auf Luftschlösser
aus Hartz IV
({2})
und fordern die Kommunen auf, 1,5 Milliarden Euro in
Betreuungsangebote für Null- bis Dreijährige zu investieren. Ob, wann und in welcher Höhe die Einsparungen, die den Kommunen versprochen wurden, tatsächlich eintreten, weiß keiner.
({3})
Zudem zeigen die Berechnungen der Spitzenverbände
der Kommunen, dass die von der Bundesregierung kalkulierten 1,5 Milliarden Euro für einen qualitätsorientierten Ausbau der Betreuung nicht ausreichen. Die Entlastungen durch das KJHG, die Sie auf Druck der
Kommunen im TAG vorgesehen haben, sind gering. Sie
sind nicht einmal bereit, die gemeinsamen Vorschläge
von Nordrhein-Westfalen und Bayern mitzutragen. Frau
Ministerin, das ist zu wenig.
Die Wahlfreiheit der Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit hat bei Ihnen einen geringen Stellenwert. Der von Ihnen festgelegte Bedarf an Kinderbetreuungsangeboten orientiert
sich nicht am Wohl des Kindes, sondern an arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen. Sie vermitteln den Eindruck,
dass alle Eltern eine Vollzeiterwerbstätigkeit anstreben
und eine Rundumbetreuung der Null- bis Dreijährigen
wünschen.
({4})
Kollegin Eichhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hagedorn, SPD-Fraktion?
Bitte sehr.
Sehr geehrte Kollegin Eichhorn, ich hätte eine Frage
an Sie. Im Hinblick auf die Gegenfinanzierung der Kinderbetreuung im Rahmen von Hartz IV haben Sie davon
gesprochen, dass das in keinster Weise gesichert sei.
({0})
Dabei haben wir seit Ende Juni dieses Jahres Einvernehmen mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen
Städte- und Gemeindebund, die anerkannt haben, dass
ab 2005 pro Jahr 2,5 Milliarden Euro bei den Kommunen verbleiben werden.
({1})
Das ist durch die Revisionsklausel auch gesichert. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis. - Es wäre schön, wenn
Ihre Kollegen mich ausreden lassen würden. - Es ist nur
ein kleiner Bruchteil - wie die Ministerin ausgeführt
hat - der tatsächlich von den Kommunen in die Kinderbetreuung investiert werden muss.
({2})
Da Sie ja, wie man an Ihrem Akzent hören kann, eher
aus dem südlichen Teil unseres Landes kommen, fände
ich es sehr schön, wenn Sie Stellung dazu beziehen würden, was Sie von dem Vorschlag von Herrn Stoiber halten, der die generelle Absenkung des Haushaltes um
5 Prozent gefordert hat.
({3})
Das würde für den Einzelplan 17 230 Millionen Euro bedeuten, zusätzlich wohlgemerkt zu Koch/Steinbrück und
allem anderen. Würden Sie dazu Stellung nehmen, was
Ihrer Vorstellung nach im Einzelplan 17 zu streichen sei?
({4})
Sehr geehrte Frau Hagedorn, zum letzten Punkt kann
ich Ihnen sagen, dass die Kürzungen in Ihrem Haushalt
bei 4,4 Prozent liegen. Wie viel Unterschied ist da zu
5 Prozent? Ich kann Ihnen sagen, dass in Bayern gespart
wird - aber nicht bei den Familien.
({0})
Im Gegenteil, das Erziehungsgeld in Bayern bleibt. Zudem ist ein Bildungsplan für die Kindergärten neu erstellt worden. Das heißt, Bayern geht gerade in der Familienpolitik mit einem sehr guten Beispiel voran.
Machen Sie das im Bund nach, dann können wir miteinander diskutieren.
({1})
Zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses: Ich weiß
nicht, ob wir auf unterschiedlichen Ebenen leben. Wenn
ich mit Vertretern der Kommunen rede, dann sagen sie
mir alle, dass das, was im Vermittlungsausschuss vereinbart worden ist, gerade einmal der Ausgleich für das ist,
was den Kommunen vorher genommen worden ist.
({2})
Von den 1,5 Milliarden Euro, die ihnen jetzt versprochen
worden sind,
({3})
können sie diese Betreuung nicht finanzieren, denn sie
müssen zunächst einmal die Kosten aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe tragen.
({4})
Die Kosten, die durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz
entstehen, sind hier noch nicht gedeckt. Lesen Sie einmal die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände nach, diskutieren Sie mit Oberbürgermeistern und
mit Landräten, dann werden Sie zu der Erkenntnis kommen, dass die Finanzierung nicht gesichert ist. Tun Sie
etwas für die Finanzierung!
({5})
Nach den Hauptgründen befragt, warum Eltern auf ein
zweites Kind verzichten, antworten in der bereits zitierten Studie 68 Prozent der Eltern, sie würden deswegen
auf ein zweites Kind verzichten, weil Kinder viel Geld
kosten und sie sich das nicht leisten können, nur
38 Prozent der Eltern gaben an, dass Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen.
({6})
Das Statistische Bundesamt beziffert die Kosten für
ein Kind, von der Geburt bis zum Ende der Ausbildung,
auf rund 220 000 Euro. Nach dem Sechsten Familienbericht decken davon die staatlichen Fördermaßnahmen
etwa ein Viertel ab. Für den Rest müssen die Eltern aufkommen. Familien mit zwei Kindern verfügen über die
Hälfte des Einkommens kinderloser Ehepaare. Immer
mehr Kinder und Jugendliche werden zu Sozialhilfeempfängern: Im letzten Jahr ist die Anzahl der Kinder,
die von Sozialhilfe abhängig sind, um 6 Prozent gestiegen. Trotzdem setzen Sie überwiegend auf Betreuungsangebote. Frau Ministerin, Tatsache ist, dass Sie mit den
Kürzungen beim Erziehungsgeld und mit den Plänen zur
Abschaffung der Eigenheimzulage noch mehr Familien
ins Abseits stellen.
Obwohl Sie keine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Betreuung der unter Dreijährigen anbieten,
versprechen Sie nun das Elterngeld. Von Finanzierung
keine Spur. Dieses Elterngeld wird aufgrund der hohen
Kosten und auch wegen dessen fehlender Wirksamkeit
und Gerechtigkeit in Ihren eigenen Reihen in Zweifel
gezogen, und zwar nicht nur von den Kabinettskollegen,
sondern auch von der Vorsitzenden des Familienausschusses, Ihrer Fraktionskollegin Kerstin Griese.
Sie wollen die Familienförderung von der Erwerbstätigkeit abhängig machen. Das widerspricht der Wahlfreiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren von SPD
und Grünen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Beruf und Familie müssen und sollen entsprechend den
Wünschen der Eltern in eine ausgewogene Balance gebracht werden.
({7})
Deshalb ist ein qualitativer und bedarfsgerechter Ausbau
der Kinderbetreuung notwendig; das wollen auch wir.
Genauso notwendig sind aber auch eine angemessene finanzielle Förderung, die eine echte Wahlfreiheit ermöglicht und nicht nur eine bestimmte Schicht von Eltern
fördert, und die Stärkung der Erziehungs- und Elternkompetenz.
({8})
Wie es besser gehen kann, macht Frankreich vor.
Der Erfolg der französischen Familienpolitik, die zu einer durchschnittlichen Geburtenrate von 1,9 führt, liegt
in einer Vielzahl von Maßnahmen und Instrumenten zur
Unterstützung der Familien.
({9})
In Deutschland werden meist nur die Betreuungsmöglichkeiten genannt, die natürlich auch in Frankreich ein
Teil der Familienpolitik sind. Hinzu kommen aber - und
das ist besonders wichtig - eine Reihe von steuerlichen
Entlastungen von Familien und die gezielte finanzielle
Förderung französischer Familien. Deswegen ist der Erfolg der französischen Familienpolitik so groß.
Nach einer Studie des BAT-Freizeit-Forschungsinstituts ist die Familie die umfangreichste und beständigste
Zukunftsvorsorge. Die Familie vermittelt Werte, bietet
ein verlässliches soziales Netz und fördert die Lebensqualität für alte und junge Menschen sowie die Stabilität
der Beziehungen und Bindungen zwischen den Generationen.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Zur
Bewältigung dieser vor uns liegenden Aufgaben benötigen wir leistungsbereite und starke junge Menschen,
aber auch erfahrene Ältere.
Die Jugendarbeitslosigkeit und das Problem fehlender
Ausbildungsplätze sind Ihnen völlig aus dem Ruder gelaufen. Ihre Programme „JUMP“ und „JUMP Plus“ blieben ohne Erfolg,
({10})
weil Sie damit keinen Einstieg in eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder in eine Ausbildung geboten haben. Eine Anhörung unserer Fraktion
mit Experten und betroffenen Jugendlichen hat gezeigt,
dass Sie die falschen Rezepte haben. Statt qualifizierte
Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche zu
schaffen, haben Sie die Unternehmen und die Jugendlichen durch Ihre Debatte um eine Ausbildungsplatzabgabe verunsichert und viel Zeit verloren.
Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Berufsbildungsnovelle vorgelegt, durch die es den Betrieben erleichtert
wird, Ausbildungsplätze zu schaffen. Durch sie erhalten
junge Menschen wieder mehr Chancen auf dem Ausbildungs- und auf dem Arbeitsmarkt. Sie hat vor allem jene
Jugendliche im Blick, die mehr praktisch begabt sind.
Auch an diese Jugendlichen müssen wir denken.
({11})
Absolute Stiefkinder Ihrer Politik sind der Jugendschutz und der Jugendmedienschutz.
({12})
Nach den Ereignissen von Erfurt haben wir das Jugendschutzgesetz in der letzten Legislaturperiode hopplahopp
geändert. Bereits damals haben Ihnen die Experten gesagt, dass diese Änderung nicht helfen wird, die Gewalt
an den Schulen einzudämmen. Leider hat sich diese Einschätzung als richtig erwiesen. Hätten Sie unsere Vorschläge angenommen, dann könnte es heute etwas anders aussehen.
Ein ganz trauriges Kapitel ist der Zivildienst. Dabei
haben Sie vor einem Jahr Entspannung angekündigt.
Wenn Sie aber so weitermachen, werden Sie den Zivildienst kaputtsparen, bis er sich letztlich überhaupt nicht
mehr lohnt.
({13})
Das ist die Wahrheit und wohl auch Ihre Absicht.
Schon lange warten wir auf einen Vorschlag zum Aufbau von Freiwilligendiensten zur Förderung der ehrenamtlichen generationenübergreifenden Arbeit. Das soll
jetzt endlich kommen. Sehen Sie sich an, welche Vorlage
wir während unserer Regierungszeit mit den Seniorenbüros erbracht haben. Bauen Sie darauf auf, dann haben
Sie eine gute Grundlage!
({14})
Lebensqualität ist nicht nur Erholung, Freizeit und
Ruhestand, sondern vor allem das Gefühl, gebraucht zu
werden. Wenn wir wissen, dass heute nur noch 39 Prozent der erwerbsfähigen Menschen zwischen 55 und
64 Jahren in Arbeit sind, dann frage ich Sie: Was tun Sie,
um ältere Arbeitnehmer wieder in Arbeit zu bringen?
({15})
Wer heute über 50 Jahre alt und arbeitslos ist, hat kaum
noch Chancen, wieder eine Stelle zu bekommen. Sie haben keine Konzepte, um diesen älteren Arbeitnehmern
Perspektiven zu geben.
({16})
Dringender Handlungsbedarf besteht auch im Bereich
der Altenpflege. Bei der Novellierung des Heimgesetzes
hatten wir Ihnen schon prophezeit, dass es zu einer erheblichen Bürokratisierung kommen wird. Das ist jetzt
eingetreten. Frau Ministerin, Sie müssen etwas tun, damit wieder mehr Zeit für die Pflege bleibt und die Zeit
der Pflegekräfte nicht mit Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben in Anspruch genommen wird.
({17})
Frauenpolitik? - Fehlanzeige! Sie haben schon lange das
Antidiskriminierungsgesetz angekündigt. Aber wo bleibt
es denn? Darauf haben Sie keine Antwort.
({18})
Frau Ministerin, Ihre Halbzeitbilanz ist sehr dürftig.
Der Etat Ihres Haushalts weist die stärksten Kürzungen
unter allen Ministerien auf. Ihr Haushalt bietet keinerlei
Zukunftsperspektiven.
Danke schön.
({19})
Ich erteile das Wort Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach den Reden der CDU/CSU-Fraktion ist man schon
ein bisschen verwundert: Der Bundesrat befasst sich
demnächst auf Ihren Antrag hin zum dritten oder vierten
Male mit Kürzungsmaßnahmen in der Jugendhilfe und
hier tun Sie so, als ob Sie das Rad neu erfinden würden,
und setzen sich vehement für die Kinderbetreuung ein.
({0})
Ich frage mich: Wo bleiben denn Ihre Anträge im Bundesrat, wo Sie die Mehrheit haben, für mehr Kinderbetreuung und den Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe?
({1})
Wo sind Ihre Ansätze und Gestaltungsvorschläge?
({2})
- Aber im Bundesrat haben Sie die Mehrheit. Dort haben
Sie sehr wohl die Möglichkeit, Ihre Vorschläge einzubringen.
({3})
- Ja, Frau Kressl hat völlig Recht.
Hier wurde mehrfach Bayern als positives Beispiel
angeführt. Ich komme aus Bayern und bekomme durchaus mit, wie die Kinderläden, Kindergärten, Elternvereine und -verbände um jeden Cent zittern.
({4})
Dort wird Folgendes gemacht: Da die Geburtenziffer zurückgeht, wird in absehbarer Zeit von sinkenden Ausgaben ausgegangen.
({5})
Daher wird innerhalb der nächsten zehn Jahre bei der
Kinderbetreuung mit einer Kürzung von 9 000 Stellen
gerechnet.
({6})
Das ist eine verlogene und doppelzüngige Politik. Das
ist CSU und nichts anderes.
({7})
Im Zentrum unseres Gesetzes steht die Kinderbetreuung und der Ausbau der Infrastruktur, wie wir es seit Anfang dieser Wahlperiode angekündigt haben.
({8})
Dieses Gesetz haben wir gemacht, weil sich insbesondere die heute CDU/CSU-regierten Länder und auch
viele Kommunen geweigert haben, diese Aufgabe zu erfüllen.
({9})
Diese Aufgabe, die schon im KJHG steht, ist nicht neu,
aber passiert ist nichts. Schauen Sie sich einmal die Quoten an. Weil nichts passiert ist, ist es notwendig geworden, dass wir genauere Kriterien formulieren, die Sie
wiederum angreifen.
({10})
Weil nichts passiert ist, fordere ich für die Grünen, dass
wir die Rechte der Eltern stärken. Wenn wir Eltern ein
einklagbares Recht geben wollen, dann hat das nichts
damit zu tun, dass ich der Ministerin nicht traue; das
möchte ich dazusagen. Ich vertraue ihr voll und ganz.
Sie kämpft in dieser Sache wirklich. Ich traue Ihnen und
Ihren Bürgermeistern vor Ort nicht, die nach wie vor die
Meinung vertreten, das Beste für das Kind ist, wenn die
Mutter zu Hause bleibt und die Hausfrauenrolle übernimmt.
({11})
Das ist Ihre Politik. Deshalb fordere ich die Stärkung der
Elternrechte, aus keinem anderen Grund.
({12})
Wir reden über ein Gesetz, von dem wir keine Wunder erwarten. Wir haben eine Zeitschiene und müssen
natürlich bedenken, dass die Kommunen in einer
schwierigen Lage sind.
({13})
Wir reden aber auch darüber, dass die Kinderzahlen in
Deutschland zurückgehen, Kapazitäten frei werden und
diese Kapazitäten wieder zugunsten der Eltern und ihrer
Kinder genutzt und keine Mittel eingespart werden sollen. Darum geht es letztendlich, auch wenn wir über die
Kindertagespflege reden. Es geht ferner darum, in ländlichen Gebieten den Frauen Gleichberechtigungschancen
zu bieten, damit sie wieder erwerbstätig werden können.
({14})
Ich verstehe nicht, was die Kritik soll, dass wir mit der
Reform nur auf die Gleichberechtigung abzielen. Was
denn sonst, meine Damen und Herren? Genau das ist es,
was wir machen müssen. Gleichberechtigung von Mann
und Frau durchzusetzen, das ist unsere Aufgabe.
({15})
Die Diskussion über den Ausbau der Tagesbetreuung findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Schwierigkeit ist auch, dass über uns wie ein Damoklesschwert
die Forderung von den CDU/CSU-regierten Ländern
schwebt, das Kinder- und Jugendhilfegesetz von der
Bundeszuständigkeit in die Länderzuständigkeit zu überführen. Unsere Befürchtung ist, dass es dann zu starken
Einschnitten zulasten der Kinder kommen wird. Unsere
Befürchtung ist, dass genau diese Menschen, die wir verteidigen, auch die Jugendlichen, die Sie anscheinend
ebenfalls verteidigen wollen, die Opfer dieser Änderung
sein werden. Deshalb ist unsere Forderung: Das Kinderund Jugendhilfegesetz muss in der Zuständigkeit des
Bundes bleiben.
({16})
Die Debatte über die Kinderbetreuung zeigt, wie Recht
wir damit haben, diese Forderung weiterhin aufrechtzuerhalten und dafür auch im Bundesrat zu kämpfen.
({17})
Vielen herzlichen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Humme, ich möchte zu Ihnen und zu Ihrem Schwerpunkt soziale Gerechtigkeit kommen. Wir wissen alle:
Im Osten haben wir eine gute Kinderbetreuung, aber
eine hohe Arbeitslosigkeit, im Westen haben wir wenig
Betreuung und weniger Arbeitslosigkeit. Frau Humme,
Sie als SPD-Kollegin sprechen von sozialer Gerechtigkeit; ich spreche als Liberale von sozialer Gerechtigkeit.
({0})
Wo bleibt die denn bei 4,3 Millionen Arbeitslosen? Das
ist heute hier überhaupt kein Thema. Wir sollten uns einmal um die Arbeitslosigkeit kümmern. Das gehört genauso in den Einzelplan 17.
({1})
Nach sechs Jahren Regierungszeit hat die Bundesregierung endlich das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf
den Weg gebracht. Die FDP hat bereits sehr viele, sehr
konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Kinderbetreuung gemacht. Denken Sie an unseren Antrag zur
Verbesserung der Bedingungen für Tagesmütter oder unseren Vorschlag, die Kinderbetreuung durch mehr Markt
und Wettbewerb zu verbessern. Die Altersvorsorge für
Tagesmütter und andere „Beipackprobleme“ haben Sie
leider in diesem Gesetz nicht gründlich genug angepackt. Davon steht nichts drin.
Nun zu Ihrem TAG-Entwurf und dem FDP-Antrag
„Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige“. Die FDP
hat im Deutschen Bundestag wiederholt den bedarfsgerechten Ausbau von Betreuungsplätzen und eine QualiIna Lenke
tätsoffensive von der Bundesregierung gefordert. Jetzt
endlich, nach den Wahlversprechen von 1998 und nach
den Wahlversprechen von 2002, haben Sie begonnen.
Ich finde es sehr diskriminierend und volkswirtschaftlich
verheerend, wenn gut ausgebildete Frauen und an Familienarbeit interessierte Väter heute immer noch keine
Chance haben, Erwerbs- und Familienarbeit miteinander
zu verbinden.
Ein Pluspunkt, Frau Ministerin, in Ihrem Gesetz ist,
dass qualifizierte Tagesmütter jetzt Krippen und Kitas
gleichgestellt werden. Das ist sehr schön. Ich freue mich
darüber, dass Sie sich dazu durchgerungen haben. Ich
kann für meine Fraktion sagen, dass es uns freut, dass
gerade der beharrliche Hinweis der Liberalen auf die
misslichen Rahmenbedingungen von Tagesmüttern jetzt
von der Bundesregierung aufgegriffen wurde.
({2})
Was mich auch freut, sind die Verbesserungen hinsichtlich der Familienkrankenversicherung und Unfallversicherung für Tagesmütter. Die sind gut und das müssen wir zugeben. Das mache ich auch gerne. Die FDP
hat sich, wie die Bundesregierung auch, für bundesweite
pädagogische Mindeststandards eingesetzt.
Wir müssen aber auch im Ausschuss über Weiteres diskutieren. Das Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung von 2002, nachfrageorientierte Finanzierungsinstrumente zu prüfen, wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst.
Auch hier gibt es liberale Konzepte: Bildungsgutscheine
oder Pro-Kopf-Zuweisungen, damit gezielt Kinder und
nicht Einrichtungen gefördert werden. Darüber müssen
wir im Ausschuss reden. Durch mehr Markt und mehr
Wettbewerb entstehen mehr Qualität und höhere Flexibilität. Deshalb muss neben kommunalen und freien Trägern auch die privatwirtschaftliche Kinderbetreuung in
die Förderung mit einbezogen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, alles, aber auch alles hängt
- trotz Ihrer blumigen Reden - am seidenen Faden der
Finanzierung. Die Bundesregierung will aus den Einsparungen bei Hartz IV das alles finanzieren. Die Kommunen stellen die Berechnungen der Bundesregierung
zu Recht infrage - als Kommunalpolitikerin kann ich Ihnen das hier sagen. Obwohl die Ministerin, der Bundeskanzler und Sie als rot-grüne Fraktionskollegen landauf,
landab mehr Kinderbetreuung versprechen, haben Sie
heute mit dem Entwurf des TAG keine Finanzierung
mitgeliefert.
({4})
Das ist die mangelnde Qualität dieses Gesetzentwurfes.
({5})
- Herr Kollege aus Niedersachsen, Sie müssen sich etwas besser informieren.
Wir haben einen Antrag mit zwei Forderungen vorgelegt. Erstens: Legen Sie ein solides und von Hartz IV unabhängiges Finanzierungskonzept vor! Zweitens: Verankern Sie dabei das Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“!
({6})
Denn es kann nicht sein, dass die Bundesregierung den
Kommunen mehr Gesetze und Kosten aufdrückt und sie
bei der Finanzierung im Regen stehen lässt.
({7})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns sicher einig, dass dieser Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung beraten werden muss. Die FDP will die Kinderbetreuung mit
bundesweiten Standards. Die FDP will für Frauen und
Männer mehr Chancen für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Der wirkliche Pferdefuß von Hartz IV ist die
Finanzierung: Keiner weiß, woher das Geld kommen
soll.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort der Kollegin Caren Marks, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Reden der Opposition haben eines immer
wieder deutlich gemacht: Reden und Handeln liegen bei
Ihnen sehr weit auseinander.
({0})
Sie verdrehen Tatsachen, Sie operieren mit falschen
Zahlen - Frau Böhmer ({1})
und Sie haben keine Konzepte vorzuweisen. Sowohl für
die CDU/CSU als auch für die FDP trifft dies ganz deutlich zu.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Anfang
kommt es an. Der Ausbau der Betreuung für Kinder
unter drei Jahren ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Reformprojekte unserer Regierung in dieser Legislaturperiode. Vorrangiges Ziel des Tagesbetreuungsausbaugesetzes ist die Erziehung und Entwicklung eines
jeden Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Wir, die Bundesregierung und die Fraktionen der SPD und der Grünen,
orientieren uns zuerst am Wohl des Kindes.
({3})
Diesbezüglich unterstützen und ergänzen wir auch die
elterliche Erziehungskompetenz. Sie wird keineswegs
ersetzt, wie von der Opposition immer wieder gern behauptet.
Bis 2010 ist schrittweise ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen und
der westeuropäische Standard endlich zu erreichen. Insbesondere in Westdeutschland besteht hier ein extremes
Defizit. Wir, meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen das nicht hin. Wir handeln. Beim Ausbau
der Betreuungsplätze setzen wir auf ein differenziertes
Angebot: in guter Qualität, zeitlich flexibel, bezahlbar
und vielfältig. Durch die Formulierung von Bedarfskriterien konkretisieren wir in dem Gesetz die bereits bestehende Pflichtaufgabe der Kommunen, ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten.
({4})
Frau Lenke, die Verdoppelung der Zahl der Betreuungsplätze in Westdeutschland bis 2006, das heißt die
Schaffung von circa 60 000 Plätzen, ist ein realistisches
Ziel und mit 400 Millionen Euro keine finanzielle Überforderung der Kommunen, die im Zuge von Hartz IV ein
zugesichertes Einsparvolumen von 2,5 Milliarden Euro
pro Jahr haben.
({5})
Gute Kinderbetreuung und frühe Förderung ermöglichen Kindern - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - echte Chancengleichheit in Bildung und Erziehung. Die dringend benötigte Bildungsreform muss im
Kleinkindalter beginnen und nicht erst mit der Hochschulausbildung; denn dann ist es für viele bereits zu
spät und dann sind Entwicklungschancen bereits vertan.
Mit unserem Ansatz leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Innovationsfähigkeit unseres Landes; denn, wie bereits gesagt, auf den Anfang kommt es
uns an.
Wissenschaftlich ist belegt, dass sich gerade bei den
Kleinkindern jeder eingesetzte Euro überdurchschnittlich rentiert. Motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ein Gewinn für jede Firma.
Das Potenzial gut ausgebildeter junger Frauen und Männer ist gleichermaßen zu nutzen. Kinderbetreuung und
frühe Förderung sind ein Standortvorteil, und zwar sowohl im kommunalen als auch im internationalen Vergleich. Das bedeutet Wirtschaftswachstum. Das ist aktive Wirtschaftspolitik, Frau Lenke. Meine Damen und
Herren von der Opposition, im Gegensatz zu Ihnen hat
die Wirtschaft das bereits begriffen.
({6})
Ganztagsbetreuung bedeutet aber auch, Eltern bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen und
ihnen bei ihrer Lebensplanung wirkliche Wahlmöglichkeiten zu verschaffen. Das Armutsrisiko von Familien
wird verringert und die eigenständige Lebensführung
von Müttern wird so erst ermöglicht. Auch Frau Kollegin Böhmer von der CDU/CSU stellte vor kurzem fest,
dass ein besserer Ausbau der Kinderbetreuung vorrangig
vor finanziellen Anreizen sei, um eine höhere Geburtenrate zu erreichen.
({7})
Ich begrüße diesen Sinneswandel ausdrücklich, Frau
Böhmer. Unser Paradigmenwechsel - weg von einer monetären Familienpolitik hin zu einer Familienpolitik
besserer Infrastrukturen - ist nicht nur der richtige
Weg, sondern findet auch breite gesellschaftliche Unterstützung.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserer Ministerin
Renate Schmidt,
({8})
die durch die Initiativen „Allianz für Familie“ und „Lokale Bündnisse für Familie“ unterschiedliche Partner aus
Wirtschaft, von Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften,
Kirchen, freien Wohlfahrtsträgern und aus der Politik
mit wirklich großem Erfolg zusammenführt. Erfolgreiche Familienpolitik braucht breit angelegte Unterstützung. Die Rahmenbedingungen für Familien werden so
erst vielfältig optimiert.
({9})
Der Ausbau einer qualifizierten Tagesbetreuung für
Kinder ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Wohl der Kinder muss uns
am Herzen liegen. Doch damit ist es nicht getan. Wir
müssen vielmehr bereit sein, in die Zukunft unseres Landes, also in unsere Kinder, zu investieren. Kinder mit
verpassten Chancen werden kein Verständnis dafür haben, wenn wir einen verträglichen Subventionsabbau
zuungunsten von Lobbyisten scheuen. Das Bestehen auf
nicht mehr zeitgemäßen Subventionen wie der Eigenheimzulage würde notwendige Investitionen in Bildung,
Betreuung und Erziehung einschränken bzw. blockieren.
({10})
Die Oppositionsfraktionen rufen zwar häufig und gerne
nach Subventionsabbau, knicken aber immer wieder vor
Interessenverbänden ein.
({11})
Ich wünschte mir, dass die Fürsprache für Kinder in den
Reihen der Opposition stärker ausgeprägt wäre.
({12})
Das bedeutende Reformprojekt der Bundesregierung
und der Fraktionen von SPD und Grünen
({13})
- Frau Lenke, hören Sie zu; dann verstehen vielleicht
auch Sie es -, der Ausbau von Betreuungsangeboten sowie die Investitionen in Bildung, Betreuung und Erziehung sind von großer gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu
verzichten. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben Konzepte für die Zukunft unseres Landes. Wir gestalten die Zukunft sozial gerecht, familienfreundlich und innovativ.
Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Nun hat Kollege Walter Link, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier
im Deutschen Bundestag! Frau Bundesministerin Renate
Schmidt, Sie haben sich in diesem Jahr gegenüber Ihrer
Haushaltsrede des letzten Jahres gesteigert; denn damals
hatten Sie für die Seniorenpolitik nur einen Halbsatz;
heute waren es mehrere Halbsätze.
({0})
Ich möchte Sie bitten, das in Zukunft ein bisschen ernster zu nehmen.
Wann immer in der deutschen Seniorenpolitik über
gute Ideen diskutiert wird, sagen Sie, Frau Schmidt: Das
ist schon in der Pipeline. - Irgendwann muss aus dieser
Pipeline einmal etwas herauskommen, auch in der Seniorenpolitik.
({1})
So hat die von mir geleitete Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“ bereits vor zwei Jahren
konkrete Vorschläge zur Reformierung der Seniorenpolitik in Deutschland gemacht, unter anderem zusammen
mit Herrn Rürup. Obwohl unsere Empfehlungen weitgehend im fraktionsübergreifenden Konsens mit der
deutschen Wissenschaft beschlossen wurden, ist ihre
Umsetzung bisher - jedenfalls bei Ihnen in der Bundesregierung - auf der Strecke geblieben.
So ist das groß angekündigte Rentenreformprogramm
von SPD und Grünen nur halbherzig darangegangen, die
Lebensarbeitszeit zu verlängern. Weitere langfristig
wirksame Reformen, die unser Land wieder zukunftsfähig machen sollten, sind - ebenfalls nach großartigen
Ankündigungen - für die kommenden zwei Jahre bis
2006 ausgesetzt worden. Jeder fragt, warum.
Frau Ministerin, ich will dabei Ihre Aktivitäten - auch
heute Morgen - nicht schlechtreden. Auch wir in der
Union sind für einen runden Tisch zur Verbesserung der
Pflegequalität und für den Abbau der Bürokratie; denn
das ist im Sinne der deutschen Seniorinnen und Senioren. In den nächsten Jahren wird das Erwerbspersonenpotenzial stark abnehmen. Wenn wir es nicht schaffen,
die - das ist heute Morgen schon ein paar Mal angesprochen worden - gegenwärtig 45- bis 55-Jährigen im Berufsleben zu halten, werden wir in zehn Jahren massive
Probleme bekommen. Lebenslanges Lernen sollte nicht
nur als Schlagwort gebraucht, sondern auch aktiv betrieben und gefördert werden.
Außerdem fehlt es an Modellen eines veränderten
Übergangs von der Erwerbsarbeit in den dritten Lebensabschnitt. Von solchen Modellen hat man nichts gehört.
Während bei uns eine Erwerbsquote von 41,5 Prozent
bei über 55-Jährigen besteht, haben wir in Japan erfahren - fraktionsübergreifend sind wir mit dem Ausschuss
dort gewesen -, wie mit differenzierten Modellen eine
Erwerbsquote von über 80 Prozent möglich ist. Frau
Kollegin, vielleicht können Sie das in die Regierungskoalition einmal einbringen. Die hohe Quote dort liegt
an speziellen Arbeitsförderungsprogrammen der Japaner
für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mehr
Flexibilität und Abstimmung auf individuelle Leistungsfähigkeit der älteren Menschen sind gefragt.
Die Wirtschafts- und Haushaltspolitik von Rot-Grün
war in den letzten Jahren aber so miserabel, dass jetzt
kein Geld für wichtige, zukunftsorientierte Projekte vorhanden ist. Ihre Politik beschränkt sich nur noch auf
Flickschusterei am Sozialsystem. Frau Ministerin, Sie
können nicht sagen: Ich bin nicht für alles zuständig. Die
Zuständigkeiten müssen mit den anderen Ministerien geklärt werden. Da Sie nicht in der Lage waren, eine zukunftsfähige Reform zu beschließen, fehlt Geld in der
Rentenkasse. Das Zumuten von Nullrunden ist keine
Art, wie man Menschen behandeln sollte.
Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland ist
60 Jahre und älter. Erfreulicherweise sind die meisten älteren Menschen noch fit und gesund. Die veränderten
demographischen Vorzeichen zwingen uns zum Umdenken. Sie trauen sich offensichtlich nicht zu, unsere
Sozialsysteme nachhaltig und zukunftsfähig umzugestalten. Die Solidarität zwischen den Generationen ist
extrem wichtig und muss im Rahmen einer Pflegereform
gefördert werden.
({2})
Im Ausschuss haben wir uns gerade gemeinsam, also
fraktionsübergreifend, mit dem vierten Altenbericht befasst, der eine gute Aufarbeitung des Lebens älterer
Menschen darstellt. Ich will durchaus einräumen, dass
dieser Altenbericht viele gute Ansätze hat. Wir haben
auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorgelegt.
Frau Ministerin, Sie machen genau das Gegenteil von
dem, was notwendig ist, zum Beispiel dadurch, dass Ihr
Ministerium aus der Förderung des Deutschen Zentrums für Alternsforschung in Heidelberg zum Jahresende aussteigt. Das las ich dieser Tage in der Zeitung.
Warum wird dieser Weltruf genießende Lehrstuhl von
Frau Professor Lehr in diesem Jahr finanziell kaputtgemacht? Ich weiß, dass die Förderung des Zentrums in
Berlin aufgestockt werden soll. Über diese Frage, Frau
Ministerin, müssen wir uns im Ausschuss unterhalten;
das will ich nicht heute Morgen hier im Parlament vortragen. Das ist ein Skandal. Die Forschung wird kaltgestellt.
Walter Link ({3})
({4})
- Frau Staatssekretärin, das machen wir im Ausschuss
zum Thema.
Frau Ministerin, Sie haben mit Frau Süssmuth, Frau
Lehr und Frau Merkel große Vorgängerinnen gehabt, die
als Frauen in der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung saßen, sich durchsetzen konnten
({5})
und in den letzten Jahren dieser Regierung Pflöcke eingeschlagen haben.
({6})
Kollege Link, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel von der FDP-Fraktion?
Herr Präsident, Sie haben mir ständig Minuten abgezogen, aber ich gestatte, Herr Kollege, wenn Sie es kurz
machen.
Vielen Dank, Herr Kollege. Die Zwischenfrage wird
nicht auf die Redezeit angerechnet. Ich will es aber trotzdem kurz machen.
Ich möchte Ihre Ausführungen zum Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg aufgreifen. Stimmen Sie
mir darin zu, dass die Masse der Kompetenz in der deutschen Alternsforschung in diesem Heidelberger Zentrum
angesiedelt ist und dass es politisch unverantwortlich ist,
bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in der
Bundesrepublik Deutschland die Mittel gerade in diesem
wichtigen Forschungsbereich zu kürzen?
Herr Kollege, ich habe es der Frau Ministerin gerade
sehr deutlich, glaube ich, gesagt. Das wird Thema bei
uns im Ausschuss sein. Sie sind herzlich dazu eingeladen.
Zwar erhalten Sie, Frau Ministerin, oftmals die
öffentliche Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers,
aber aus unserer Sicht kann das auch eine Bedrohung
sein. Seniorenpolitik spielt bei Rot-Grün und der amtierenden Bundesregierung nur noch eine untergeordnete
Rolle. Wir in der Union wollen eine zeitgemäße, an den
individuellen Bedürfnissen der älteren Generation ausgerichtete und zukunftsorientierte Seniorenpolitik. Wann
immer Sie, Frau Schmidt, die machen und nicht nur ankündigen, haben Sie unsere Unterstützung. Vor allem
wollen wir - ich wiederhole das - eine massive Qualifizierung älterer Arbeitnehmer.
Ich widerspreche Ihnen auch nicht. Sie tragen oft
sympathisch vor - wie heute Morgen; überhaupt keine
Frage - und wenn man mit Ihnen irgendwo in der Diskussion ist, ist das auch unwahrscheinlich nett. Der gute
Wille ist bei Ihnen da - überhaupt keine Frage -, aber
Sie gehören einer Regierung an, die nicht in der Lage ist,
das umzusetzen, was Sie tagtäglich verbreiten. So eine
Politik haben die Seniorinnen und Senioren, die unser
Land aufgebaut und zum Blühen gebracht haben, nicht
verdient. Darum werden wir alles daransetzen, dass die
Regierungsbank im Jahr 2006 anders besetzt wird.
({0})
Für eine Kurzintervention erteile ich Kollegin
Christel Riemann-Hanewinckel das Wort.
Herr Präsident! Lieber Kollege Walter Link, Sie wissen sehr genau, denke ich, dass die Förderung für das
DZFA in Heidelberg nicht etwa deshalb verändert werden soll, weil wir die Forschung nicht schätzen oder weil
wir wegen der Begründerin, Frau Lehr, etwas gegen dieses Institut haben; im Gegenteil. Sie kennen den Vorgang. Sie kennen den Briefwechsel. Sie wissen ganz genau, dass es nicht darum geht, bei diesem Institut die
Inhalte zu kritisieren. Der Bundesrechnungshof hat sehr
deutlich gemacht, dass unser Ministerium nicht mehrere
solcher Institute parallel fördern kann.
({0})
- Augenblick! Ich bin noch nicht fertig.
Sie wissen mit Sicherheit auch, dass verschiedenste
Kolleginnen und Kollegen daraufhin hier im Parlament
nachgefragt haben und klare und deutliche Antworten
bekommen haben. Sie wissen ferner, dass es Vereinbarungen mit dem Bundesland gibt, nach denen der Teil
der Förderung, der vonseiten des Bundesministeriums
schrittweise abgebaut wird, vom Land übernommen
werden soll, weil sehr deutlich ist, dass der größte Teil
der inhaltlichen Arbeit nicht auf Bundesinteresse hin
ausgerichtet ist. Deshalb soll vor allem das jeweilige
Bundesland - das gilt auch für andere Institute, nicht nur
für das DZFA - in die Förderung einsteigen.
Die Abschmelzung der Förderung geschieht auch
nicht von jetzt auf gleich, sondern ist über Jahre hinweg
geplant. Es gibt dazu entsprechende Vereinbarungen
zwischen dem Bundesministerium und dem zuständigen
Landesministerium. Deshalb finde ich es unfair, wenn
Sie das hier so darstellen, als würden wir dieses Zentrum
aus inhaltlichen Gründen nicht mehr finanzieren wollen.
({1})
Kollege Link, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, wir kennen uns viel zu lange zu
gut. So wissen Sie, dass auch ich die Prozesse, die hierbei im Ministerium abgelaufen sind, sehr genau kenne.
Ich möchte sie aber jetzt nicht hier im Parlament und daWalter Link ({0})
mit in der Öffentlichkeit darlegen. Das machen wir im
Ausschuss. Tatsache ist, dass das Land Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren - Jahrzehnten beinahe wesentlich mehr finanziert hat als das Land Berlin. Sagen Sie bitte nicht, ich hätte etwas gegen Berlin; ich war
ein Befürworter des Berlin-Umzugs. Jetzt wird hier in
Berlin mehr Geld in diese Sache hineingesteckt, als man
in Baden-Württemberg benötigen würde. Auf diese
Weise wird dort ein weltweit anerkanntes Institut kaputtgemacht. Das ist überhaupt keine Frage.
({1})
Das Wort hat nun Kollegin Jutta Dümpe-Krüger,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, dieser
Haushalt steht unter Sparzwang; alles andere wäre
traumhaft. Unsere Aufgabe wird es sein, die vorhandenen Mittel möglichst sozial, gerecht, effektiv und zukunftsweisend einzusetzen. Zwei Bereiche möchte ich
hier besonders hervorheben: die Freiwilligendienste und
die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Den Freiwilligendiensten wird der Bund auch im
kommenden Jahr die Mittel anteilig zur Verfügung stellen, die sie zur Finanzierung ihrer Plätze benötigen. Wir
von Rot-Grün werden darüber hinaus unser Ziel verfolgen, die Freiwilligendienste auszubauen.
({0})
Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland müssen verstetigt werden. Dass
wir hier - auch in Anbetracht der aktuellen Lage - nicht
nachlassen dürfen, hat mein SPD-Kollege Edathy vorgestern in einer, wie ich fand, sehr eindrucksvollen Rede
zum Einzelplan 06 deutlich gemacht.
({1})
Ich kann - das ist auch in seinem Sinn - die Union nur
warnen: Lassen Sie diesmal Ihre gewohnten Anträge, die
Mittel zu streichen, wirklich in der Schublade; denn da
gehören sie hin.
({2})
Meine Damen und Herren, mit dem TAG greift die
Koalition auch Neuregelungen zum KJHG auf. Wir wollen ein starkes Kinder- und Jugendhilfegesetz, und zwar
deswegen, weil es ein sattes Pfund und eine Investition
in die Zukunft unserer Kinder ist. Als positive Änderungsbeispiele möchte ich hier die Anpassung der Kinder- und Jugendhilfestatistik ebenso wie die Stärkung
der Steuerungskompetenz der örtlichen Jugendämter
nennen. Über die im Kabinettsentwurf gewählte Definition des § 35 a, der Eingliederungshilfen für Kinder und
Jugendliche mit seelischen Behinderungen, werden wir
uns im parlamentarischen Verfahren aber noch unterhalten müssen. Ich bin der Ansicht, dass wir an der jetzigen
Formulierung des § 35 a festhalten müssen, der der Behindertenbegriff der WHO zugrunde liegt. Dafür gibt es
gute Argumente:
Wenn Kinder und Jugendliche einen Hilfebedarf haben und ihnen dann nicht schnellstmöglich geholfen
wird, wäre das nicht nur ein schwerer Schlag für die Betroffenen, es wäre auch schädlich für den präventiven
Charakter der Jugendhilfe. Denn das würde ja bedeuten,
dass die Gefahr besteht, dass sich eine Behinderung erst
manifestieren müsste, bevor professionelle Hilfe einsetzt. Das, denke ich, kann keiner von uns wollen.
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union, die Sie leider immer nur auf die finanzielle Seite
schielen
({3})
- das ist einfach so; das konnte man heute Morgen auch
beim Zuhören feststellen -, lassen Sie mich sagen: Es
entstünde ein Mehrfaches an Kosten. Nach Expertenschätzung müssten wir für jeden Euro, den wir bei solchen Dingen einsparen, in demselben Ressort 2 bis
3 Euro ausgeben, um die Schäden, die wir angerichtet
haben, wieder gutzumachen, und das nicht erst, wenn
wir alle in Rente sind, meine Damen und Herren, sondern vermutlich im Laufe von höchstens zehn Jahren.
Ich denke, wir sollten uns das wirklich gut überlegen.
Das muss Ihnen klar werden und muss auch bei den
Kämmerern vor Ort endlich einmal ankommen: Kinderund Jugendhilfe erbringen keine Luxusleistungen, sondern das absolute Unverzichtbare.
({4})
Es gibt natürlich Vorschläge, wie man die Qualität
des KJHG beibehalten oder sogar noch steigern und
trotzdem die Kommunen entlasten kann. Zukunftsweisend wäre es zum Beispiel, wenn wir die Bereiche Qualifizierung von Pflegestellen und das Verfahren bei der
Kostenerstattung, das sich vereinfachen ließe, einmal
unter die Lupe nehmen würden. Hier könnten wir einerseits eine echte Qualitätsverbesserung erreichen und andererseits die Kommunen finanziell entlasten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich
geworden: Jede Änderung des KJHG muss sorgfältig,
zielführend und nach fachlichen Gesichtspunkten abgewogen werden. Mir wird allerdings ganz anders, wenn
ich sehe, was die unionsgeführten Länder über den Bundesrat da schon wieder ausgebrütet haben. Das komplette TAG wird infrage gestellt; Sie fordern Eingliederungshilfen für junge Menschen nur noch vor dem
18. Lebensjahr, die Verlagerung der Aufsichtspflicht für
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe - wahrscheinlich damit künftig jeder die Fachaufsicht über sich
selbst führt - und dergleichen Unsinn mehr.
Da kann man Ihnen wirklich nur sagen: Das ist eine
völlig unfachliche Reise als Elefant durch den KJHGPorzellanladen. Damit tragen Sie ein wirklich dickes
Ding auf dem Rücken unserer Kinder und Jugendlichen
aus. Lernen Sie endlich, dass es uns allen in erster Linie
darum gehen muss, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern!
({5})
Hören Sie endlich damit auf, die Zukunft unserer Kinder
immer nur in schönen Sonntagsreden spazieren zu führen; das nützt nichts. Beweisen Sie endlich einmal Ihre
Alltagstauglichkeit!
Danke schön.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Antje Tillmann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, es ist schon geschickt, die Diskussion über das TAG zeitgleich mit den
Haushaltsberatungen hier ins Haus einzuführen. Das
täuscht darüber hinweg, dass die Finanzierung dieses
Gesetzes in Ihrem Etat jedenfalls nicht zu finden ist. Der
Hinweis, dass das verfassungsrechtlich nicht möglich
sei, hat jedenfalls Ihrer Kollegin Bulmahn bisher nicht
imponiert. Sie hat Ihnen mit dem Ganztagsschulprogramm vorgemacht, wie eine Idee des Bundes sehr wohl
im Bundeshaushalt etatisiert werden kann.
({0})
Es ist auch ausgesprochen geschickt, das Elterngeld
ausgerechnet jetzt in der Presse zu lancieren, obwohl
dieser Vorschlag Ihnen schon im Oktober letzten Jahres
von Herrn Professor Rürup in einem Projekt vorstellt
wurde. Zum damaligen Zeitpunkt waren Sie aber gerade
damit beschäftigt, das Erziehungsgeld abzuschaffen
({1})
bzw. die Grenzen zu senken. Deshalb haben Sie seinerzeit den Vorschlag zum Elterngeld von Professor Rürup
in der gemeinsamen Presseerklärung einfach verschwiegen. Jetzt passt es Ihnen in den Kram, denn jetzt müssen
Sie es nicht finanzieren; im Haushalt findet sich dazu jedenfalls kein einziger Euro.
({2})
All das soll darüber hinwegtäuschen, dass Ihr Etat auf
dem Papier um 4,4 Prozent gekürzt wurde;
({3})
das ist die größte Kürzung nach dem Bauetat. Rechnet
man auch noch die Mittel für den Kinderzuschlag heraus, der, obwohl Sie das immer wieder behaupten, keine
zusätzliche Leistung für die Familien ist - lesen Sie nur
die Begründung zum Gesetz; ganz überwiegend ist es
einfach ein Ausgleich für Sozialhilfe -, kommt man auf
eine Kürzung des Familienetats von über 10 Prozent. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass das zu Ihren großen Plänen der Familienförderung passt, die Sie im Moment in
der Presse verkünden.
({4})
Diese ganz massiven Einsparungen begründen Sie
großzügig mit Koch/Steinbrück. Die Mittel für den
Zivildienst sollen um 85 Millionen Euro gekürzt werden
und Sie entblöden sich nicht, zu behaupten, das sei ein
Ergebnis des Koch/Steinbrück-Papiers. Interessanterweise taucht der Zivildienst in diesem Papier überhaupt
nicht auf. Aber das Koch/Steinbrück-Papier wird ja zur
großen Entschuldigung für alle Einsparmaßnahmen dieser Regierung. Seien Sie gewiss: Wir werden Sie jeweils
darauf hinweisen, wenn Sie da die Unwahrheit sagen.
({5})
Nun ist es schon schlimm genug, dass Sie den Zivildienst zusammenstreichen. Aber noch schlimmer ist,
dass Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken,
der Zivildienst könne durch Freiwilligendienste ersetzt
werden. In einer Vorversion des Berichtes der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“, in der Sie erklären lassen, dass die Freiwilligendienste die Lücken füllen, sagt Ihr Haus - ich zitiere -:
… selbst wenn eine Gesetzgebungskompetenz des
Bundes für neue … Freiwilligendienste bejaht werden könnte, … läge doch die Finanzierungsverantwortung auf Seiten der Länder …
({6})
In der Endfassung dieses Berichtes steht das nicht mehr.
Selbst wenn ich unterstelle, dass es sich hierbei nicht um
Absicht handelt, denke ich doch, dass es Ihnen sehr gelegen kommt, wenn alle Träger der Freiwilligendienste
darauf warten, dass der Bund die Freiwilligendienste mit
finanziert. So richtig ehrlich ist das nicht. Sie machen
Geschäfte zulasten Dritter, wie schon beim TAG und bei
den Jugendprogrammen.
({7})
Ich kann nur alle Beteiligten davor warnen, zu glauben, dass der Bund ein flächendeckendes Netz an Freiwilligendiensten finanzieren könnte. Gerade in diesem
Haushalt 2005 werden nämlich die Mittel für Freiwilligendienste und Ehrenämter wieder um fast 1 Million
Euro gekürzt.
Nächstes Beispiel: Kinder- und Jugendplan. Hier
betragen die Kürzungen 5,6 Millionen Euro. Ich sage
ganz offen: Das ist ausnahmsweise einmal tatsächlich
auf Koch/Steinbrück zurückzuführen. Diese Einsparung
tragen wir dem Grunde nach mit. Interessant ist dennoch, welche Schwerpunkte Sie setzen und wie die Verteilung der Mittel aussieht.
Sie haben jedes Jahr neue Ideen, lächeln auf Glanzbroschüren für neue Programme - ich gebe zu, Sie maAntje Tillmann
chen das sehr charmant - und lassen sich für schicke
Projekte feiern, so zum Beispiel bei der Beteiligungsbewegung oder beim Projekt „Wir hier und jetzt“, das früher „Jugend bleibt“ hieß. Wie gesagt, Sie legen Programme auf und lassen sich feiern. Aber sobald das
Projekt zu Ende bejubelt ist und die knochenharte Routinearbeit anfängt, verweisen Sie auf die eigentlich zuständigen Kommunen.
({8})
Das, verehrte Frau Ministerin, ist nicht sehr fair.
({9})
Wir sollten ehrlicherweise die Gelder nehmen, wie ich es
hier im letzten Jahr schon vorgeschlagen habe, und die
Arbeit von den Kommunen und Ländern sofort machen
lassen. Dann kann man auf die Glanzbroschüren verzichten.
Ich nenne als weiteres Beispiel das freiwillige kulturelle Jahr. Die Festveranstaltung findet erst im Oktober
statt, aber Sie lassen jetzt schon mitteilen, dass nach dieser Festveranstaltung die Mittel für diese Projekte zusammengestrichen werden. Ich bin gespannt, ob die
Staatssekretärin diese Tatsache im Oktober den jungen
Menschen und den Trägern mitteilt.
({10})
Frau Ministerin, im Rahmen von Projektbeteiligungsbewegungen werden sehr bizarre Projekte finanziert, unter anderem der 100. Geburtstag der Sozialistischen Jugend. Darüber kann man sich ärgern. Aber ich
sehe eine sehr viel größere Gefahr an dieser Stelle. Sie
gewöhnen einer ganzen Generation von Jugendlichen
an, dass es nicht mehr ein Sinn an sich ist, Kröten zu
schützen, alte Leute zu besuchen oder sich in der Schule
zu engagieren. So richtig schlau ist Engagement nur,
wenn man das passende Förderprogramm dazu findet. In
Deutschland wird „Fußball gegen Rechts“ gespielt und
gebastelt unter dem Motto „Demokratie heute“.
({11})
Graffitischmierereien werden aus dem Förderprogramm
des Bundes finanziert.
Sie finanzieren Schülervollversammlungen, die an
Tausenden von Schulen ohne weiteres Aufsehen stattfinden. Aber wird diese Versammlung „Schülermitbestimmung als Open-Space“ genannt, bekommt man dafür
Fördermittel. Meine Generation muss ja bescheuert gewesen sein, all diese ehrenamtlichen Arbeiten gemacht
zu haben, ohne erst nach einem Förderprogramm Ausschau zu halten.
({12})
Frau Ministerin, ich halte es für gefährlich, wenn wir
jungen Menschen anerziehen, dass man sich erst nach
Geld umschauen muss, bevor man sich engagiert. Wir
werden jedes einzelne Programm in den Haushaltsberatungen darauf überprüfen.
({13})
Ich hoffe sehr, dass Sie bei dieser Überprüfung anwesend sind.
Ich hätte gerne weniger geschrieen. Aber dazu waren
Sie einfach zu laut.
Ich danke Ihnen.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/3676, 15/3488 und 15/3512 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit.
Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
8 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/3674 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der
Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen
- Drucksache 15/3513 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Präsident Wolfgang Thierse
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir, einige kurze Bemerkungen zu
dem angekündigten Wechsel von Herrn Staatssekretär
Tacke aus dem von mir zu verantwortenden Ministerium
in die Wirtschaft zu machen, bevor ich über den Haushalt spreche. Ich möchte dies tun, weil sein Name gestern in der Debatte gefallen ist und auch in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielt.
Erste Bemerkung. Ich sage in aller Klarheit, dass Herr
Tacke zu den Besten innerhalb der Bundesregierung gehört, wenn es um nationale und internationale Wirtschaftspolitik geht. Zusammen mit vielen in dem von
mir zu verantwortenden Ministerium bedauere ich sehr,
dass er sich zu diesem Wechsel entschlossen hat.
Zweite Bemerkung. Ich kann gegen einen solchen
Wechsel wenig sagen, weil ich es für richtig halte, dass
zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ein Austausch stattfindet.
Ich selbst habe das in meinem Leben schon zweimal
praktiziert; es ist nicht immer ganz leicht. Ich glaube,
dass solche Wechsel richtig sind und dass sie gelegentlich - wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf durchaus mehr Praxis verdienten.
Dritte Bemerkung. Es ist hier ein Zusammenhang mit
der Ministererlaubnis im Fall Eon hergestellt worden.
Diese Entscheidung liegt zwei Jahre zurück. In Diskussionen im Ausschuss, die ich jetzt nicht darstellen kann,
weil sie nicht öffentlich waren, ist, denke ich, deutlich
geworden: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für
einen Zusammenhang zwischen der Ministererlaubnis
zum Fall Eon und dem beabsichtigten Wechsel - er ist ja
noch nicht vollzogen - von Herrn Tacke zum Unternehmen Steag. Ich könnte Ihnen das im Einzelnen erläutern.
Ich bitte Sie aber darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es hierfür keinen Anhaltspunkt gibt.
Im Übrigen hat Herr Tacke, wenn die Entscheidung
gefallen ist, die Absicht, um Entlassung aus dem öffentlichen Dienst zu bitten. Das heißt, er scheidet ohne Versorgungsbezüge und ohne rechtliche Beschränkungen
aus. Er bleibt aber der Amtspflicht der Verschwiegenheit
verpflichtet.
Mit diesem Wechsel ist nichts Negatives zu verbinden. Er ist ein hochangesehener, integrer Staatssekretär.
({0})
Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und den beabsichtigten Wechsel nicht zu zerreden.
Ich möchte nichts zu den Diskussionen um einen
Ehrenkodex oder gesetzliche Regelungen, von denen ich
hier und da gelesen habe, sagen. Selbst Karenzzeiten von
mehr als zwei Jahren sind auch sonst kaum vorgesehen.
Unabhängig davon ist meine herzliche Bitte: Wenn Sie
über solche Fragestellungen diskutieren, was natürlich
jederzeit möglich ist - ich selbst habe solche Diskussionen hinter mir -, sollten Sie dies nicht mit dem Namen
Tacke verbinden. Denn mit diesem Namen lässt sich
kein Vorwurf und noch nicht einmal ein Verdachtsmoment der Befangenheit verbinden.
Meine Damen und Herren, zum Haushalt. Diese Debatte findet in einer veränderten Lage statt, in einer
Lage, die unseren Kurs bestätigt, die es aber auch erfordert, unseren Kurs mit aller Konsequenz fortzusetzen.
Die seit dem Jahr 2001 anhaltende Phase der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland ist definitiv beendet.
Die deutsche Wirtschaft hat sich in der zweiten Jahreshälfte 2003 kräftig erholt und im Verlauf dieses Jahres
weiter an Fahrt gewonnen. Das Bruttoinlandsprodukt ist
im Vergleich zum ersten Vierteljahr dieses Jahres im
zweiten Vierteljahr real um 0,5 Prozent und damit um
2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
Aktuell sind die Daten noch besser: Die deutsche Industrieproduktion läuft auf Hochtouren und befindet sich
in der Spitze Europas. Das produzierende Gewerbe hat
im Juni/Juli im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozent
zugelegt. Im Vergleich zum Vorjahr stehen 7,7 Prozent
mehr Aufträge in den Büchern der Unternehmen. Und
nicht nur nebenbei bemerkt: In den Büchern der Unternehmen in den neuen Ländern steht ein Plus von
15,3 Prozent.
({1})
Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
sprechen für eine Fortsetzung des Aufschwungs in diesem Jahr und darüber hinaus. Nach allem, was wir und
die Experten abschätzen können, wird der Welthandel
weiter wachsen, wenn auch vermutlich nicht mehr mit
dem Schwung der vergangenen Monate, weil der Ölpreisanstieg die Produktion verteuert, Kaufkraft bei uns
und unseren Handelspartnern abzieht und die Binnennachfrage sowie die Exportdynamik überlastet.
Die Lohnstückkosten werden auch in diesem Jahr voraussichtlich rückläufig sein und damit einen großen
Beitrag zur Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte leisten. Die kurz- und die
langfristigen Nominalzinsen sind weiterhin niedrig und
die Kerninflation ist nach wie vor gering.
Das heißt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
in Deutschland sind so gut wie seit Jahren nicht mehr.
Die Geschäftslage wird von den für die Erstellung des
Ifo-Geschäftsklimaindex befragten Unternehmen im August zuversichtlicher gesehen. Die Erwartungen haben
sich trotz des Rekordhochs des Ölpreises - dieses Rekordhoch scheint inzwischen überwunden - nur geringfügig eingetrübt. Die Exporterwartungen der deutschen
Unternehmen sind sehr gut. Ihre Investitionsneigung
nimmt zu. Die Nachfrage bei den Zeitarbeitsfirmen - sie
sind ein Frühindikator der wirtschaftlichen Belebung
und der Belebung auf dem Arbeitsmarkt - steigt.
Das alles spricht dafür, dass die Lage besser ist und
besser wird und dass wir gute Chancen haben, den AufBundesminister Wolfgang Clement
schwung zu einer Phase längeren, nachhaltigen Wachstums zu verstetigen, um 2005 endlich auch den Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen; denn darum
geht es.
Hinter diesem, wie ich es empfinde, sehr erfreulichen
Panorama einer kräftigen Erholung verbirgt sich allerdings eine gespaltene Konjunktur. Das Wachstum
speist sich bei uns zurzeit fast ausschließlich aus der
Auslandsnachfrage. Die Warenexporte liegen mittlerweile um stolze 16,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Die Stützen sind insbesondere die Exporte nach China
mit einem Plus von 27,9 Prozent und nach Russland mit
einem Plus von 18,9 Prozent. Demgegenüber sind der
private Konsum und die Investitionen weiterhin die
Achillesferse der Konjunktur. Wir haben eine schwache
Binnennachfrage. Die Ursachen dafür liegen in den weiterhin rückläufigen Bauinvestitionen, darin, dass die
Ausrüstungsinvestitionen noch nicht angesprungen sind,
sowie in einer außerordentlichen Kaufzurückhaltung, einer Stagnation der privaten Konsumausgaben. Das Fazit
dieser Situation: Wir haben eine hochgradig wettbewerbsfähige Exportwirtschaft mit höchstem Produktivitätsniveau, müssen andererseits aber eine immer noch zu
geringe Dynamik auf den Heimatmärkten, also in den
nicht exportorientierten Sektoren, registrieren, auf die
etwa 60 Prozent der Arbeitsplätze im Handel, im Bau, in
den lokalen Diensten, im Hotel- und Gaststättenbereich,
im öffentlichen Dienst, im klassischen Handwerk und in
anderen Bereichen entfallen.
({2})
Die konjunkturelle Belebung hat deshalb den
Arbeitsmarkt bisher auch nur an den Rändern erreicht.
Dies macht sich bei den Minijobs, bei den Ich-AGs und
bei der Zeitarbeit bemerkbar. Es zeigt sich, dass es richtig war, dass wir auf diesen Gebieten Veränderungen
herbeigeführt haben; hier ist die Belebung spürbar. Im
Kernsegment der Erwerbstätigkeit, der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, ist es bisher nur gelungen, den Beschäftigungsabbau zu bremsen und aktuell
fast zu stoppen. Wir stehen also ganz offensichtlich kurz
vor einer Trendumkehr zum Beschäftigungsaufbau; erreicht haben wir ihn aber noch nicht.
({3})
- Ich sage Ihnen bei dieser Gelegenheit gleich, dass die
Zahl der Unternehmen im Handwerk aufgrund unserer
Handwerksreform um 16 000 gestiegen ist. Dies zeigt
die Richtigkeit unserer Reformen.
({4})
Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt Wirkung erzielen
wollen, dann muss der Exportfunke endlich auch auf die
Binnennachfrage überspringen. Dann werden wir es
auch schaffen, die Menschen in Deutschland, die arbeiten können und wollen, in Arbeit zu bringen. Was ist
dazu erforderlich?
Als Erstes brauchen wir mehr Investitionen, meine
Damen und Herren. Dass auch hier das Feuer schon
glimmt, zeigt der jüngste Ifo-Investitionstest, der endlich
einen Anstieg der Investitionen in der Industrie und dem
verarbeitenden Gewerbe von 6 Prozent signalisiert. Jetzt
geht es vor allen Dingen darum - ich unterstreiche, was
der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Franz Müntefering,
gesagt hat -, dass auch die Kommunen auf Grundlage
der erheblichen Verbesserungen der Gemeindefinanzen
- sie werden sich im nächsten Jahr um rund 7 Milliarden
Euro verbessern - von den sich daraus ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machen und so viel wie möglich investieren.
({5})
Damit kann und wird es gelingen, meine Damen und
Herren, den Investitionsattentismus zu brechen, der unser Land sonst ökonomisch lähmen könnte.
Als Zweites müssen wir die Bremsen lockern. Ich
nenne dafür zwei Beispiele: In den USA wie in Großbritannien spielt ein boomender Häuser- und Immobilienmarkt gesamtwirtschaftlich eine wesentliche Rolle. Er
ist eine Triebfeder des Wachstums. Daran muss man die
Frage anschließen, warum es bei uns nicht so ist: Warum
ist Bauen bei uns so teuer? Warum schaffen wir es noch
nicht, eine konsequente Liberalisierung der Märkte für
Güter und Dienste durchzusetzen? Dies müssen wir etwa
durch Bürokratieabbau auf allen Ebenen - beim Bund,
bei den Ländern sowie bei den Städten und Gemeinden -, durch eine Vereinfachung des Baurechts und
durch eine Reform des Vergaberechts erreichen,
({6})
aus meiner Sicht auch durch eine Reform der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Die Bremsen
müssen auf allen Ebenen weg: nicht nur im Handwerksrecht, sondern in vielen Bereichen, in denen wir gesetzliche Bremsen eingebaut haben.
Ich füge hinzu - ich sage dies ganz persönlich -, dass
die Bremsen auch weg müssen, wo es um Forschung,
Entwicklung und die Anwendung der Forschungsergebnisse in Deutschland geht. Dies gilt beispielsweise für
die Bio- und Gentechnologie, für die Grüne wie die Rote
Biotechnologie, aber etwa auch dafür, dass wir die
Stammzellenforschung in Deutschland unbegrenzt zulassen
({7})
und dass wir auch unter humanen Aspekten über diese
Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse in
Deutschland noch einmal diskutieren.
({8})
Denn wir werden Forschung auf all diesen Sektoren nur
dann erhalten, wenn wir ihre Ergebnisse auch bei uns anwenden.
({9})
Ich sage für mich persönlich: Das gilt unter humanen,
sozialen und ethischen Gesichtspunkten auch für die
Stammzellenforschung.
Es geht um ein Drittes, es geht darum, dass wir die
Steuer- und Abgabenlast in Deutschland weiter verringern. Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass zum
1. Januar 2005 die nächste Stufe der Steuerreform folgt.
Sie ist und bleibt sicher und es wird dadurch zu einer
Entlastung der Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bürger von 6,8 Milliarden Euro kommen.
({10})
Deshalb ist es wichtig, den Prozess der Senkung der
Lohnnebenkosten voranzutreiben. Deutschland in Arbeit
zu bringen ist mein Bild. Deutschland in Arbeit zu bringen, muss ein gemeinsames verbindliches Ziel werden.
Das beinhaltet, Verantwortung wahrzunehmen, verantwortlich zu handeln und Gruppeninteressen zurückzustellen und zu überwinden.
Die Politik hat gehandelt, jetzt heißt es, dazu im Interesse des Landes zu stehen. Damit ich nicht nur abstrakt
bleibe, sage ich: Die Krankenkassen müssen jetzt die
Chancen, die durch die Gesundheitsreform eröffnet worden sind, nutzen, um die Beiträge, so weit es geht, zu
senken. Wir brauchen das auch im Interesse der Wirtschaft. Hier geht es um Gesamtverantwortung.
({11})
In ebensolcher Klarheit sage ich an die Adresse der
Energieversorgungsunternehmen: Wir können in
Deutschland nicht nur über Lohnnebenkosten und die
sozialen Lasten reden, wir müssen auch über alle sonstigen Kosten reden. Dazu gehören in ganz besonderer
Weise die Energiekosten als Schlüsselelement.
({12})
Ich sage auch von hier aus, dass die Ankündigungen
von Preis- und Tariferhöhungen, die vonseiten der Energieversorgungsunternehmen vorgenommen worden sind,
auf den ersten Blick alles andere als überzeugend sind.
Sie sind nicht angemessen. Ich appelliere von hier aus an
die Unternehmen, ihrer Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche, für die gesamtindustrielle Entwicklung
in Deutschland gerecht zu werden, also die angekündigten Tariferhöhungen so nicht vorzunehmen.
({13})
- Darüber reden wir, Herr Kollege Austermann, in aller
Offenheit und Klarheit.
Die politischen Lasten und Aufgaben, die wir mit den
Energiepreisen verbinden, machen 40 Prozent der Energiepreise aus,
({14})
aber 60 Prozent sind im Markt gestaltete Preise. Hier
stellen sich die Fragen: Sind die angekündigten Preisund Tariferhöhungen in diesem Segment angemessen
oder nicht? Sind sie missbräuchlich? Wenn sie missbräuchlich sind, werden sie entweder so oder mithilfe
des Kartellamtes und später der Regulierungsbehörde
zurückzunehmen sein.
({15})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Ich höre aus
vielen Ländern die Kritik, dass wir keine Ex-anteRegulierung in dem Entwurf vorgesehen haben. Wir
werden darüber im Einzelnen noch zu diskutieren haben.
Als jemand, der bereits Wirtschaftsminister in einem
Bundesland war und als solcher auch für die Tarifgenehmigungsbehörde für den privaten Stromverbrauch verantwortlich war, weiß ich, dass es dort eine Ex-anteGenehmigung gibt. Die Ex-ante-Prüfung durch alle
Wirtschaftsministerien der Länder - von dort höre ich
viele Erwartungen - hat die Strompreisentwicklung in
Deutschland für die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls
an keiner Stelle aufgehalten. Ich warne vor der Vorstellung, dies sei das Heilmittel für alles. Ich plädiere klar
für eine sehr harte, durch nationale und internationale
Preis- und Tarifvergleiche gestützte Missbrauchsaufsicht
durch eine Regulierungsbehörde, die sich bei der Post
und Telekommunikation bewährt hat. Das ist die Regulierungsbehörde in Bonn, sie sollte die Regulierungsaufgaben in den Bereichen Strom und Gas ebenfalls übernehmen.
({16})
Wir brauchen eine klare Missbrauchsregelung. Wir
haben es in diesem Sektor mit 1 700 Anbietern zu tun
und die Vorstellung, die Preise ex ante, also im Vorhinein, prüfen und regulieren zu wollen, halte ich für
ziemlich anspruchsvoll, um es vorsichtig auszudrücken.
Wir werden zu jeder Zeit darüber diskutieren, aber nehmen Sie die Erfahrungen zur Kenntnis, die mit dieser
Prüfung bisher erzielt worden sind.
Wichtiger ist mir aber, die Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, damit sie jetzt die angekündigten Preiserhöhungen zurückziehen. Nur so können wir in
eine vernünftige und ruhige Diskussion eintreten, und
zwar auch über die Frage der künftigen Preis- und Tarifregulierung.
({17})
In meinem Ressort spielen die Arbeitsmarktreformen eine herausragende Rolle. Wir stehen jetzt vor der
Realisierung der wichtigsten Stufe der Arbeitsmarktreformen. Sie kennen das: Es geht um Fördern und Fordern. Es geht um Vermitteln in Arbeit statt Administrieren von Arbeit. Es geht um eine soziale Grundsicherung
statt zweier, unabhängig voneinander nebeneinanderher,
teilweise gegeneinander laufender staatlicher bzw. kommunaler Fürsorgesysteme.
Dabei ist klar: Das Gesetz wird keine Arbeitsplätze
schaffen, aber das Gesetz wird wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Bewegung in den ArbeitsBundesminister Wolfgang Clement
markt bringen. Die Vorläufer dieser Bewegung kann jeder und jede bereits jetzt beispielsweise anhand der
Erkenntnisse der Zeitarbeitsfirmen feststellen.
Das Gesetz ist auch notwendig. Ich respektiere die
Demonstrationen, die Proteste, die Kritik, soweit sie sich
im Rahmen des demokratisch Zulässigen bewegen. Ich
sage aber an alle gerichtet, die dort demonstrieren und
kritisieren: Nicht die Reform ist der Skandal. Der Skandal ist die in Deutschland seit Jahr und Tag ständig ansteigende Langzeitarbeitslosigkeit. Sie ist inzwischen
fast die höchste in Europa. Sie ist die längst dauernde
und sie steigt und steigt. Das ist der eigentliche Skandal,
und das zeigt in aller Deutlichkeit, dass wir den Weg,
den wir bisher gegangen sind, nicht fortsetzen dürfen,
sondern hier zu einer grundlegenden Korrektur kommen
müssen.
({18})
Die Koalitionsfraktionen werden jetzt gesetzliche
Klärungen herbeiführen. Sie beziehen sich - wie Sie
alle wissen; ich brauche das hier nicht weiter zu erläutern - auf die Auszahlungstermine. Diesbezüglich ist
- entgegen dem Vorschlag, den ich gemacht habe - Klärung hergestellt worden. Sie beziehen sich außerdem auf
den Kinderfreibetrag, der völlig außerhalb der Diskussion steht. Es wird keinerlei bürokratischen Umgang mit
Kindersparbüchern, Kinderausbildungsversicherungen
und Ähnlichem geben. Es wird eine Klärung hinsichtlich
der Vermittlungsgutscheine sowie über die AB-Maßnahmen geben, um dort zu entbürokratisieren. Bei der IchAG, die ich nach wie vor für richtig halte - die bisherigen Erkenntnisse, auch wenn sie noch nicht umfassend
sind, sprechen dafür, das fortzusetzen, weil es ein vernünftiges Instrument ist -, werden wir im Rahmen der
Gewährung des Arbeitslosengeldes I - denn darum geht
es - eine Tragfähigkeitsprüfung vorsehen.
Zu vielen Einzelfragen brauche ich jetzt keine Stellung zu nehmen, denn über vieles ist diskutiert worden.
Ich glaube, inzwischen ist viel Klarheit hergestellt worden. Die viele - meist berechtigte - Kritik, die an meine
Adresse gerichtet worden ist, und die damit verbundene
heftige Auseinandersetzung haben den Vorteil, dass
rechtzeitig, bevor die Reform in Kraft tritt, alles diskutiert worden sein müsste, was zu diskutieren ist.
({19})
Ich habe gestern noch einmal beim Zentralverband
des Deutschen Handwerks die Gelegenheit gehabt, deutlich zu machen, dass beispielsweise die öffentlichen Arbeitsgelegenheiten weder rechtlich so angelegt noch
sonst dazu angetan sind, Beschäftigungen oder gerade
kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksunternehmen in den Kommunen zu beseitigen oder zu gefährden. Das ist auch von Gesetzes wegen anders vorgesehen.
Wir brauchen solche öffentlichen Arbeitsgelegenheiten, weil ab dem 1. Januar 2005 - das wird vielfach gar
nicht gesehen - fast 1 Million Menschen, die bisher Sozialhilfe bezogen haben, als erwerbsfähig gelten, weil sie
mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten können. Diese
werden in die Arbeitsvermittlung aufgenommen. Jeder
und jede von uns weiß, dass eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt nicht auf Anhieb gelingen kann, sondern dass wir Einstiegsmöglichkeiten benötigen. Diese
sind sehr unterschiedlich. Das reicht beispielsweise von
Trainingsprogrammen wie Sprachenprogrammen oder
auch Lohnkostenzuschüssen, die mindestens gleichwertig sind, weil sie vielleicht schneller zu einer Vermittlung
in den ersten Arbeitsmarkt führen können, bis hin zu öffentlichen Arbeitsgelegenheiten.
Die örtlichen Arbeitsagenturen entscheiden. Nicht wir
wollen von hier aus entscheiden, wie jemand vermittelt
wird und welche Hilfe er bekommt. Das muss vor Ort
entschieden werden. Das ist auch von allen Seiten gesagt
worden. Das Ziel derer, die vor Ort entscheiden, wird die
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein. Niemand
dort hat den Auftrag, Lohndumping zu betreiben, Menschen in möglichst schlecht bezahlte Jobs zu vermitteln,
und niemand dort wird sich so verhalten. Ziel ist der
erste Arbeitsmarkt. Wir brauchen aber Instrumente, um
möglichst viele Menschen dorthin zu führen. Dazu gehören die öffentlichen Arbeitsgelegenheiten.
Gestern habe ich beim Zentralverband des Deutschen
Handwerks gesagt: Natürlich wird man sich vor Ort
- möglicherweise in Form eines Beirates oder einer
ähnlichen Konstruktion - etwa mit einem Vertreter der
Industrie- und Handelskammer, einem Vertreter der
Handwerkskammer, einem Vertreter der Gewerkschaften
und einem Vertreter der Kommune zusammensetzen, um
über die Einrichtung öffentlicher Arbeitsgelegenheiten
vor Ort zu sprechen und zu verhindern, dass das zulasten
des Handwerks oder der kleinen und mittleren Unternehmen geht.
({20})
Frau Kollegin Merkel, Sie haben sich gestern die
Chance nicht entgehen lassen, unter anderem über die
Fragebögen zu sprechen. Es ist ja auch zu schön, über
Fragebögen zu sprechen. Dieses Thema hat die Literatur
schon häufig beschäftigt und das wird sicherlich auch
mit diesen Fragebögen geschehen. Dazu will ich zwei
Dinge bemerken: Wie viele antworten, ist regional sehr
unterschiedlich. Neulich war ich in Ludwigshafen. Dort
sind bereits 40 Prozent der Fragebögen eingegangen.
Das schlechteste Ergebnis hat Leipzig. Dort waren es zuletzt 4 Prozent.
Die Qualität der beantworteten Fragebögen, die eingehen, ist hervorragend. Die Bearbeitungszeit dieser
Fragebögen beträgt in der Agentur, die dafür eingerichtet
wurde, ein Drittel der geschätzten Arbeitszeit. Es zeigt
sich also, dass gar nicht alles so weit daneben liegt.
Weil ich verschiedene Boykottaufrufe gehört habe
und zur Kenntnis nehmen musste, dass Menschen aufgefordert werden, diese Fragebögen nicht auszufüllen,
muss ich in aller Deutlichkeit sagen: Bitte lassen Sie sich
von einem solchen Unsinn und von solchen Abwegigkeiten nicht beeinflussen. Das richte ich an die Adresse
derer, die diese Fragebögen ausfüllen müssen.
Einen Anspruch auf öffentliche Unterstützung kann
man natürlich nur dann bekommen, wenn man diese Fragen beantwortet, die Fragebögen ausfüllt und einen entsprechenden Antrag stellt. Das sage ich in aller Ernsthaftigkeit und in alle Richtungen in der Bundesrepublik,
damit hier kein Irrtum entsteht. Meine Bitte ist, dass
dies, wenn irgend möglich, unterstützt wird.
({21})
Frau Merkel, Sie haben gestern das Thema Subventionen im Niedriglohnsektor angesprochen. Ich verstehe Sie immer so - so habe ich auch die Diskussion
mit der Union verstanden -, dass Ihr Vorschlag auf eine
flächendeckende Subvention niedrig entlohnter Jobs hinausläuft. Um das klar zu sagen: Das halte ich für falsch.
({22})
Richtig ist: Es werden in Ostdeutschland wie in Westdeutschland Subventionen getätigt, wenn sie sinnvoll
sind: entweder in Form von Lohnkostenzuschüssen oder
als Leistungszulagen, die der einzelne Fallmanager vergeben kann und über die er selbst entscheidet. In diesen
Fällen werden diese Zuschüsse gezahlt, damit die Menschen nach Möglichkeit in den ersten Arbeitsmarkt gelangen. Flächendeckend so zu verfahren, würde aber
eine „Subventionitis“ sein. Es würde zu Lohndumping in
den Unternehmen führen und den Rest hätte der Staat zu
zahlen. Das kann nicht richtig sein. Dieser Kurs, der
beide Nachteile gleichzeitig mit sich bringen würde
- Subventionen in einer unglaublichen Größenordnung
und niedrigstmögliche Löhne -, kann nicht vernünftig
sein.
({23})
Zum Thema Ostdeutschland möchte ich darauf hinweisen, dass genau 41,8 Prozent der Eingliederungsmittel von nahezu 10 Milliarden Euro dorthin fließen werden; nicht weil es sich um Ostdeutschland handelt,
sondern weil die Belastungen auf dem Arbeitsmarkt dort
am größten sind. Frau Merkel, eines möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen: Sie haben hier eine andere Sichtweise. Ich möchte in aller Klarheit sagen: Meine Wahrnehmung Ostdeutschlands als jemand, der dort zurzeit
viel lernt, ist eine sehr differenzierte.
Ich kann nur hoffen, dass wir es nach und nach schaffen, nicht mehr in unserem Bild von West- und Ostdeutschland zu verharren. Wir müssen uns von diesem
Bild lösen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in
den verschiedenen Regionen sehr unterschiedliche Entwicklungen und einen sehr unterschiedlichen Status gibt.
Eine Stadt wie Jena hat einen Arbeitsmarkt wie die
Universitätsstadt Göttingen. Im Umfeld Berlins ist die
Arbeitsmarktsituation besser als beispielsweise in meiner Heimat, dem südlichen - nicht dem nördlichen Ruhrgebiet. Ich könnte - Sie kennen das - genauso gut
durch Ostdeutschland gehen und Ihnen zeigen, wo dort
ganz unterschiedliche Entwicklungen stattfinden. Man
sollte das alles nicht auf Dauer zusammenbündeln, als
seien wir wirklich zwei getrennte Etwas.
({24})
Wenn man zueinander kommen will, dann gehört dazu
ein differenziertes Bild, zu dem wir kommen müssen.
({25})
Neulich habe ich es gewagt, zu sagen, dass ich gerne
eine an die Adresse junger Leute gerichtete Kampagne
durchführen würde, um sie aufzufordern, entweder nach
Ostdeutschland zurückzukehren oder überhaupt nach
Ostdeutschland zu kommen; denn vielfach sind die Bildungs-, Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen dort
mindestens genauso gut wie im Westen. Aber dort kann
man - im Gegensatz zu den überfüllten Hochschulen in
Westdeutschland - wenigstens noch einen Professor
oder eine Professorin sehen und sie sprechen.
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie, dass ich Sie
unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Gerne, ja.
Bitte schön, Herr Hinsken.
Herr Minister, Sie haben soeben die Lohnkostenzuschüsse angesprochen und gesagt, sie seien ein untaugliches Mittel.
Bitte?
Sie haben gesagt, sie seien ein untaugliches Mittel,
um der Arbeitslosigkeit vor allen Dingen in strukturschwachen Bereichen zu begegnen.
({0})
Daher möchte ich folgende Frage an Sie richten: Ist
Ihnen bewusst, dass gegenwärtig, gerade im grenznahen
Bereich, Tausende von Arbeitsplätzen in die neuen mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU abwandern?
Wie sieht Ihre Alternative dazu aus? Wie wollen Sie dem
begegnen? Denn zum Beispiel zwischen Tschechien und
Deutschland besteht ein Lohnunterschied im Verhältnis
von eins zu sechs; zwischen Polen und Deutschland ist
er noch etwas höher. Dem kann doch nur mit neuen Rezepturen begegnet werden. Aber in dieser Angelegenheit
habe ich noch nichts von Ihnen gehört. Bisher warte ich
vergebens.
Herr Kollege Hinsken, zum Ersten: Ich habe nicht
Lohnkostenzuschüsse als untaugliches Mittel bezeichnet, sondern als taugliches Mittel; sie sind ausdrücklich
vorgesehen bei den Eingliederungsmitteln, eines der
wichtigsten Elemente.
({0})
Nur bin ich dagegen, sie flächendeckend einzusetzen.
Zum Zweiten: Ich verstehe die Fragestellung, die Sie
haben; es ist eine sehr wichtige. Allerdings ist das Instrument der Lohnkostenzuschüsse aus meiner Sicht nicht
geeignet. Was wir mit den Beitrittsstaaten natürlich diskutieren müssen - aber tunlichst in einem ruhigeren Prozess -, ist, wie dort in Zukunft das Instrumentarium zum
Fördern, durch Strukturfördermittel und beispielsweise
Steuerentlastungen, gehandhabt wird. Zwischen den alten und den neuen Ländern in Deutschland haben wir
das ja auch nach einer Übergangsphase hinbekommen,
nämlich so, dass Übersiedlungen und Standortverlagerungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland nur
im Einvernehmen zwischen den Ländern stattfinden.
Man wird das zwischen uns und den Beitrittsländern
jetzt so noch nicht erreichen, aber wir brauchen solche
ruhigen Gespräche, um mit diesem Thema umzugehen.
Dass die Menschen und die Unternehmen in den unmittelbaren Grenzregionen in Bayern, insbesondere in
Ostbayern, im Verhältnis zur Tschechischen Republik
zurzeit erhebliche Standortprobleme haben, ist richtig.
Es gibt dazu kein generelles Instrument; ich habe darüber schon viele Diskussionen geführt. Wir brauchen
Diskussionen vor Ort und müssen unter Hinzuziehung
der Kreditwirtschaft, der KfW und all derer, die dazu
beitragen können, dazu kommen, dass wir den Unternehmen in diesem Übergang helfen, soweit es geht mit
Strukturfördermitteln und soweit es geht mit ebensolchen Instrumenten, wie ich sie angesprochen habe.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Entwurf
des Einzelplans 09 für das nächste Haushaltsjahr, über
den ich spreche, sieht Ausgaben in Höhe von 34,3 Milliarden Euro vor. Man muss sehen, dass 85 Prozent der
Ausgaben in unserem Einzelplan Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind. Ich meine, dass wir da mittelfristig eine
Veränderung erreichen müssen und dass wir diese Investitionen in den Arbeitsmarkt vor allen Dingen durch Effizienzgewinne sehr rasch zu lohnenden Investitionen
machen müssen. Dann wird sich auch die Struktur des
von mir vertretenen Haushaltes wieder verändern. Der
Schwerpunkt wird - das ist das Ziel - dann nicht mehr
bei den Ausgaben infolge der Arbeitslosigkeit liegen,
sondern bei der zukunftsorientierten Stärkung der
Wachstums- und Innovationskräfte.
Unter dem Strich trägt das Ministerium für Wirtschaft
und Arbeit trotz der notwendigen Investitionen in den
Reformprozess an anderen Stellen erheblich zur Konsolidierung des Bundeshaushalts bei, beispielsweise mit
den Erlösen im Zusammenhang mit der vorgesehenen,
noch im Einzelnen zu diskutierenden Übertragung des
ERP-Sondervermögens auf die KfW, beispielsweise
durch den Subventionsabbau im Rahmen der Vorschläge
von Koch/Steinbrück, beispielsweise durch die Reduktion der finanziellen Förderung der Steinkohle. Nicht
zuletzt dank dieser Einsparungen werden wir die Haushaltsstruktur verbessern und gezielt Impulse für zukunftsgerichtete und investive Maßnahmen setzen. Der
Schwerpunkt liegt dabei in der Förderung von Forschungs- und Technologievorhaben und in der Steigerung der Innovationskraft kleinerer und mittlerer Unternehmen.
Die Regionalförderung durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
wird mit rund 700 Millionen Euro für die neuen Länder
und die Förderregionen in den alten Ländern ausgestattet. Sie wird in den Folgejahren auf diesem Niveau weitergeführt; die Länder erhalten auf diese Weise die gewünschte Planungssicherheit. Mit den komplementären
Landesmitteln und den Mitteln der Europäischen Union
stehen im nächsten Jahr 1,7 Milliarden Euro zur Förderung neuer Investitionen zur Verfügung.
Der Erfolg der Regionalpolitik - damit bin ich noch
einmal bei dem, was Herr Kollege Hinsken angesprochen hat - hängt aber nicht nur vom Mittelvolumen ab,
sondern insbesondere auch vom intelligenten Einsatz der
Fördermittel durch die Landesregierungen. Sie haben die
Möglichkeit, zielgenaue Investitionsanreize zu geben
und die Entwicklung von Spitzenstandorten oder von
wirtschaftlichen Clustern, etwa in Ostdeutschland, noch
effizienter zu unterstützen.
Die GA-Förderung ist Teil des Solidarpakts II für die
neuen Länder, der ab 2005 wirksam wird. Er umfasst ein
Volumen von, wie wir schon gehört haben, 156 Milliarden Euro, verteilt auf die Jahre bis 2019. Das ist das sichere finanzielle Fundament für die Fortsetzung des
Aufbaus Ost. Ich bin überzeugt, dass wir auf diesem
Fundament weiterhin erfolgreich, wenn auch nicht die
Welt von heute auf morgen verändernd, arbeiten. Aber
es verändert sich die Situation in Ostdeutschland. Wer
dies wahrnimmt, ohne geblendet zu sein, mit realistischem Blick, auch gestützt auf Erfahrungen in anderen
Regionen Deutschlands, wird diese Ansicht teilen müssen.
Meine Bitte ist natürlich - ich sage das auch etwas
polemisch, einmal ausnahmsweise an die Adresse von
Herrn Ministerpräsidenten Milbradt: Nicht demonstrieren ist gefragt für einen Ministerpräsidenten, sondern
mitarbeiten vor Ort.
({2})
Mitarbeiten vor Ort - das heißt beispielsweise, dass man
in den Städten und Gemeinden dafür sorgt, dass erstens
die Gelder wirklich dort ankommen, dass zweitens diese
Gelder möglichst investiv eingesetzt werden und dass
drittens die Arbeitsagenturen vor Ort bzw. die Kommunen, falls sie optieren, konkret arbeiten und in Gang
kommen. Es kommt darauf an, dass alle mitmachen.
({3})
Es geht ja darum, die Menschen in Deutschland in Arbeit zu bringen: Deutschland in Arbeit. Das heißt, wir
müssen Erwartungen an all diejenigen richten, die in
Deutschland Verantwortung tragen:
Erstens erwarten wir von den Unternehmen, dass sie
jetzt investieren, dass sie die Standorte sichern anstatt sie
zu verlagern, wenn das aus Kostengründen nicht anders
geboten ist, und dass sie vor allen Dingen etwas für die
Ausbildung tun. Wir müssen das Ausbildungsproblem in
Deutschland lösen und den Ausbildungspakt einlösen.
({4})
Ich bin unverändert davon überzeugt, dass das möglich
ist.
Ich werde gleich mit dem Regierenden Bürgermeister
von Berlin in Gesprächen mit Unternehmen wieder für
solche Ausbildungsplätze werben. Es ist möglich und
mit dem Ausbildungspakt ist bei den Industrie- und Handelskammern sowie bei den Handwerkskammern schon
Erhebliches erreicht worden. Die Aktivität, die dort entfaltet worden ist, ist teilweise sehr beeindruckend.
Die Nachvermittlungsaktion, die zum ersten Mal geregelt und vereinbart wurde, wird am 1. Oktober 2004
beginnen. Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist,
unser Versprechen, das eingehalten werden muss, auch
wirklich einzuhalten: Jeder, der will und kann, muss einen Ausbildungsplatz, eine andere adäquate Einstiegsqualifikation oder Ähnliches erhalten.
Zweitens appelliere ich an die besondere Verantwortung der Energiewirtschaft. Sie ist eine strategische
Branche und hat insbesondere in dieser Phase Einfluss
auf die weitere Entwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland. Deshalb: Nehmen Sie die angekündigten
Preis- und Tariferhöhungen zurück! Davon kann und
sollte jetzt kein Gebrauch gemacht werden.
({5})
Drittens appelliere ich an die Banken und an das
Kreditgewerbe. Über 40 Prozent der Manager in mittelständischen Unternehmen klagen heute immer noch über
Probleme beim Erhalt von Krediten und beim Eigenkapital. Ich appelliere an das Kreditgewerbe, alles zu
tun, um diese Probleme zu überwinden.
({6})
Durch die KfW werden Haftungserleichterungen und
Haftungsentlastungen für das Kreditgewerbe organisiert
und ermöglicht. Davon muss mehr und intensiv Gebrauch gemacht werden,
Viertens habe ich die Erwartung an die Gewerkschaften, sich so besonnen wie in der Tarifpolitik in den
letzten Jahren auch gegenüber der Agenda 2010 und den
Protesten zu verhalten.
Fünftens habe ich die Erwartung an die Arbeitsuchenden, die Herausforderungen anzunehmen und
neue Chancen zu sehen. Wer bedürftig ist, dem wird
geholfen. Ich habe das schon so oft gesagt: In diesem
Prozess der Umgestaltung unserer Arbeitswelt wird niemand abstürzen. Aktives Mitwirken ist besser als passives Sich-verwalten-Lassen. Darum geht es, wenn wir die
Arbeitsmarktreform jetzt vollziehen.
Die Ziele, die wir uns setzen, werden erreicht sein,
wenn bei künftigen Haushaltsberatungen nicht mehr
über Vergangenheitsinvestitionen contra Zukunftsinvestitionen diskutiert wird, sondern wenn wir darüber streiten, wem in Zukunft unsere ganze Aufmerksamkeit gilt.
Diese muss der Existenzförderung, der Forschung und
Innovation und der Bildung und Weiterbildung gelten.
Auf diesen Wettbewerb, den wir erreichen müssen,
freue ich mich. Erst recht werde ich mich natürlich
freuen, wenn er in diesem Hause stattfindet.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aus unserer Sicht zunächst eine
Vorbemerkung zum Wechsel Ihres Staatssekretärs in die
Privatwirtschaft machen. Der Wechsel ist in Ordnung.
Sie verlieren einen der besten Beamten der Bundesregierung. Ich teile Ihre Einschätzung, dass es gut wäre, wenn
wir in Deutschland einen Wechsel zwischen Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik in alle Richtungen etwas häufiger erleben würden.
({0})
- Herr Müntefering, dass Sie hier bleiben, empfinden
wir eher als Drohung. Aber es ist ja auch eine Frage der
Verwendungsfähigkeit an anderer Stelle.
({1})
Ich begrüße es ausdrücklich, Herr Clement, dass Sie
unsere Nachfragen hierzu nicht kritisiert haben; denn
dass heute Morgen eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses auf unseren Antrag und den der FDP stattgefunden hat, ist begründet gewesen. Es ist unsere
Aufgabe nachzufragen. Die Antworten auf unsere Nachfragen haben keinerlei Anlass zu Kritik gegeben. Insofern begleiten Herrn Tacke unsere guten Wünsche auf
seinem Weg in eine neue berufliche Aufgabe.
({2})
Wir sprechen über Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland. Herr Clement, Sie haben erneut eine relativ
optimistische Prognose für das laufende Jahr und insbeFriedrich Merz
sondere für das Jahr 2005 gewagt. Als ich Sie gehört
habe, habe ich gedacht: Das kommt mir bekannt vor.
Wenn man es nachschauen würde, könnte man feststellen, dass Sie im letzten und auch im vorletzten Jahr etwa
um diese Zeit fast wortgleich ähnlich optimistische Prognosen über Wachstum und Beschäftigung abgegeben
haben. Ich sage ganz ausdrücklich: leider. Dies sage ich
auch an Ihre Adresse, Herr Müntefering, weil Sie gestern
Bemerkungen in dem Sinne gemacht haben, wir würden
ein Interesse daran haben, dass die Krise in Deutschland
fortbesteht. Ich erkläre ausdrücklich: Leider sind diese
Prognosen der letzten zwei Jahre von Ihnen, Herr
Clement, bis heute nicht eingetreten. Ich halte sie - offen
gestanden - auch für das Folgejahr für zu optimistisch.
Wir haben in der Tat in Deutschland ein geringes
Wachstum. Wir haben möglicherweise im nächsten Jahr
ein etwas höheres Wachstum. Aber diese Wachstumszahlen - der Hinweis ist zutreffend - beruhen nicht auf
einer zunehmenden Belebung der Inlandsnachfrage, sondern sind ganz wesentlich dem Export geschuldet. Der
Export aber ist jedenfalls zu einem beträchtlichen Teil
mittlerweile eine statistische Größe geworden; denn er
spiegelt sich nicht in inländischer Wertschöpfung wider.
Diesen Zusammenhang will ich einmal aufzeigen.
Wir haben es hier mit Wertschöpfungsketten zu tun,
die so auseinander genommen werden, dass größere
Teile dessen, was produziert wird, nicht mehr in
Deutschland entstehen, etwa in der Automobilindustrie,
sondern Vorleistungen aus dem Ausland nach Deutschland importiert, in hochmodernen Montagewerken zu
Fahrzeugen montiert und dann exportiert werden. Der
gesamte Wert eines solchen Fahrzeuges findet sich in der
Exportstatistik wieder, aber eben nicht mehr die Wertschöpfung in Deutschland. Das ist das eigentliche Problem.
({3})
Deswegen kann ich nur davor warnen, Herr Clement,
die Behauptung zu wiederholen, es sei doch wunderbar,
dass wir Exportweltmeister seien. Bei Licht betrachtet
ist dies immer mehr - ich sage nicht: ausschließlich eine statistische Größe im Hinblick auf die Exportstatistiken und findet sich nicht in inländischer Wertschöpfung und inländischen Arbeitsplätzen wieder.
({4})
Die Arbeitsplätze werden in den osteuropäischen Ländern geschaffen. Sie entstehen mittlerweile auch zunehmend in den südeuropäischen Ländern. Abwanderungen
von Unternehmen in die Schweiz und nach Österreich
sind keine Abwanderungen in Billiglohnländer oder
Niedrigsteuerländer, sondern Abwanderungen in Länder,
die offensichtlich ein wesentlich stabileres und vertrauenswürdigeres politisches System haben als die Bundesrepublik Deutschland. Das hat nicht nur etwas mit Kosten, sondern auch mit Stabilität und Vertrauen zu tun, das
an diesen Standorten größer ist.
({5})
Sie haben auf Ihren Etat Bezug genommen und
durchaus kritisch den Hinweis gegeben, 85 Prozent dessen, was in Ihrem Etat, dem Einzelplan 09, an Steuermitteln ausgegeben wird, werde für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt. Das ist das eigentliche
Problem. Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland reduziert sich weitgehend auf die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit. Dies ist mittlerweile in einem Umfang
haushaltswirksam, dass zeitgleich der Anteil der Investitionen auch aus Ihrem Etat auf einen Tiefstand zurückgefahren werden musste. Wenn ein Land wesentlich
mehr für die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit als für
Investitionen in die Zukunft ausgibt, dann hat die Volkswirtschaft dieses Landes ein fundamentales Problem.
({6})
Dieses fundamentale Problem ist nicht kleiner geworden, sondern es ist in Ihrer Amtszeit, Herr Clement, leider größer geworden. Nun reden wir hier abstrakt über
große Zahlen. Ich will sie einmal auf den einen oder anderen Sachverhalt herunterbrechen, der mit den HartzGesetzen in Verbindung steht. Ich will nur drei Sachverhalte aufgreifen: PSA, Ich-AG und Jobfloater. Sie haben
zwar gesagt: keine Vergangenheitsbewältigung - in Ordnung -; aber dass wir zur Halbzeit der Wahlperiode einmal nachfragen, was aus dem geworden ist, was vor
zwei Jahren, wenige Wochen vor der Bundestagswahl,
mit großem propagandistischen Aufwand der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, gehört zu unserer Aufgabe
und interessiert auch große Teile der Öffentlichkeit.
Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, wie Herr Hartz,
für den kein Raum in Berlin gut genug war - man
musste sogar in eine säkularisierte Kirche gehen, um den
Inhalt einer kleinen CD-ROM vorzustellen -, die Prognose stellte, innerhalb von drei Jahren 2 Millionen neue
Jobs in Deutschland zu schaffen.
Wie sieht die Lage heute aus, zwei Jahre danach? Sie
haben mit den Personal-Service-Agenturen 350 000 sozialversicherungspflichtige Jobs pro Jahr angekündigt.
Das heißt, wir müssten heute ungefähr 700 000 haben.
Tatsache ist, dass wir 15 000 haben, davon 4 200 im Osten. Insgesamt haben Sie dafür aus Ihrem Etat 340 Millionen Euro ausgegeben. Das heißt, jeder Job, der entstanden ist, hat über 20 000 Euro gekostet. Ein
Facharbeiter muss lange arbeiten, um die Steuern aufzubringen, die dafür bezahlt werden müssen. Es sind hier
Randbereiche des Arbeitsmarktes gefördert worden. Mit
dem eigentlichen Arbeitsmarkt hat das nichts zu tun.
({7})
Ich-AG: 500 000 Existenzgründungen pro Jahr sind
angekündigt gewesen. Es sind 180 000. In der Tat ist das
- jedenfalls vordergründig betrachtet - zunächst ein Erfolg, aber nur jede zehnte Gründung einer solchen IchAG überlebt das erste Jahr ihrer Existenz. Neun von
zehn werden nicht älter als ein Jahr. Die Insolvenzrate ist
überproportional hoch. Im laufenden Jahr müssen Sie für
die Ich-AGs aus Ihrem Etat bzw. aus dem der Bundesagentur für Arbeit 850 Millionen Euro ausgeben, damit
diese so genannten Ich-AGs bestehen können.
({8})
Ganz absurd wird es nun beim Jobfloater. Dass Sie
dieses Thema nicht mehr angesprochen haben, kann ich
verstehen, obwohl Sie noch vor zwei Jahren mit großer
Emphase diesen Begriff in die deutsche politische Sprache eingeführt und erklärt haben, das sei die Idee
schlechthin, um auf diese Art und Weise eine Brücke
von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung zu bauen.
240 000 sozialversicherungspflichtige Jobs sollten mit
diesem so genannten Jobfloater entstehen. Das ist der
größte Jobflop geworden, den wir jemals in der Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben.
({9})
In Zahlen ausgedrückt: 120 000 Jobs pro Jahr sollten es
sein. Bis heute hätten es also 240 000 sein müssen. Es
sind ganze 12 800 entstanden. Dafür hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau in einem Programm 925 Millionen Euro ausgegeben. Das sind pro Job über
72 000 Euro. Herr Clement, wenn wir an dieser Stelle
sagen, dass Steuergelder verschwendet werden und die
falsche Politik gemacht wird, dann lässt sich das auch in
sehr griffigen Zahlen ausdrücken, die nicht nur etwas
mit Milliardenbeträgen zu tun haben, sondern mit Beträgen, bei denen jedermann sofort einsieht, dass man so
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nicht machen kann.
({10})
Nun haben Sie erneut - der Bundeskanzler hat es gestern getan und Frau Merkel in ihrer Erwiderung auf den
Bundeskanzler auch - Hartz IV angesprochen. Ich will
aus meiner Sicht noch einmal sehr deutlich sagen: Wir
stehen dazu, dass wir der Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zugestimmt haben.
Das war richtig. Ich selbst habe von dieser Stelle aus
diese Forderung mehrfach erhoben. Es ist richtig, dass
wir Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinanzierte soziale Transferleistung zu einem einheitlichen
System zusammenfügen. Trotzdem reißen die Debatten
über dieses Thema nicht ab. Dies hat nicht parteipolitische Gründe, sondern das hat sehr objektive Gründe. Ich
will Ihnen zwei nennen.
Wir bleiben fundamental unterschiedlicher Auffassung darüber, wer in Zukunft die Verantwortung über die
Verwendung der Mittel und die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen übernehmen soll. Herr Clement, Sie haben eben in Ihrer Rede selbst das beste Beispiel dafür gegeben, dass das, was Sie jetzt planen, nämlich die
Zuständigkeit einer zentralistisch geführten Bundesbehörde, nicht erfolgreich sein kann. Sie selbst haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir nicht mehr
zwischen Ost und West unterscheiden dürfen, dass sich
die Arbeitsmärkte in Deutschland höchst unterschiedlich
entwickeln, und zwar nicht zwischen Ost und West, sondern im Osten wie im Westen. Aber gerade weil das so
ist, muss Arbeitsmarktpolitik dezentral organisiert werden.
({11})
Weil nur mit dezentraler Arbeitsmarktpolitik erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik gemacht werden kann, hätten
wir uns gewünscht,
({12})
dass Sie die Städte und die Kreise in Deutschland in die
Verantwortung genommen hätten, und zwar nicht mit einer Optionsklausel, sondern flächendeckend. Es wäre
richtig gewesen, die Städte und Kreise in Deutschland
mit dieser Aufgabe zu betrauen.
Ich bleibe bei meiner Kritik. Ich werde gleich noch etwas zum Bürokratieabbau sagen. Sie haben dazu erstaunlicherweise kaum etwas gesagt. Das, was jetzt zum
Jahreswechsel 2004/2005 mit der Übertragung der Zuständigkeit an die Bundesagentur für Arbeit geschieht,
also auf die regionale Arbeitsverwaltung, wird ein bürokratisches Monstrum werden. Die örtlichen Arbeitsverwaltungen werden ein riesiges Problem haben, dieses
Thema wirklich zu schultern, was die Sozialämter in
den Städten und in den Kreisen längst hätten machen
können und in der Vergangenheit erfolgreich gemacht
haben. Deswegen ist es so kritisch gewesen und es bleibt
aus unserer Sicht auch so kritisch.
Es gibt einen zweiten Grund, der insbesondere für den
Osten zutrifft. Es ist, wie ich finde, nach wie vor ein bedauernswerter Zustand, dass wir erstmalig ein Gesetz im
Bundesrat verabschiedet gesehen haben, dem der gesamte Westen zugestimmt hat und das der gesamte Osten
abgelehnt hat. Das ist, wenn ich mich richtig erinnere,
das erste Gesetz nach der Wiedervereinigung - ({13})
- Herr Müntefering, hören Sie mir zu, bevor Sie Zwischenrufe machen. - Ich sage, es ist ein bedauernswerter
Zustand, dass dies ein Gesetz ist, das - sozusagen entlang der alten Demarkationslinie - im Osten abgelehnt
worden ist und dem im Westen zugestimmt worden ist.
({14})
Ich stehe zu der Zustimmung. Ich sage Ihnen nur: Die
kritischen Anmerkungen, die der Ministerpräsident
Milbradt aus Sachsen hier zu machen hat, haben an einer
wesentlichen Stelle eine sehr gute, nämlich eine in Ihrem
Haushalt aufgeschriebene Begründung. Herr Milbradt
weist völlig zu Recht darauf hin, dass mit diesem Gesetz
der Druck auf Arbeitslose erhöht wird, sich eine Beschäftigung zu suchen und auch eine Beschäftigung anzunehmen.
({15})
Nur, meine Damen und Herren, wenn keine Beschäftigung entsteht, wenn keine Jobs da sind, dann nützt auch
der beste Druck nichts, den Sie jetzt auf die Arbeitslosen
ausüben.
({16})
Jetzt sage ich Ihnen ganz konkret, was das mit Ihrem
Haushalt zu tun hat. Wir haben hier vor einem Jahr eine
so genannte Koch/Steinbrück-Liste zum Thema
Subventionsabbau diskutiert.
({17})
In dieser Diskussion sind auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ behandelt worden. Wir haben verabredet, dass diese Mittel einmalig gekürzt werden und dass
sie dann auf dem alten Plafond fortgesetzt werden. Abweichend von dieser Vereinbarung kürzen Sie jetzt diese
Mittel auch und besonders wirksam für den Osten, auch
in den nächsten Jahren, also den Jahren 2005, 2006 und
2007.
({18})
Insgesamt kürzen Sie die Mittel entgegen unserer Verabredung um rund 300 Millionen Euro, davon 260 Millionen Euro im Osten.
({19})
Gleichzeitig erhöhen Sie entgegen unserer Verabredung
die Subventionen für die Steinkohle. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin davon überzeugt, dass die
Steinkohle in Deutschland Zukunft haben muss, jedoch
auf einem wesentlich niedrigeren Niveau als gegenwärtig.
({20})
- Das habe ich immer so gesagt, dazu werden Sie keine
andere Äußerung von mir finden. - Sie haben aber nach
einer Zusage des Bundeskanzlers beim Deutschen Steinkohletag die Subventionen für die deutsche Steinkohle
im selben Zeitraum, in dem die GA-Mittel gekürzt werden, noch einmal um 800 Millionen Euro erhöht. Das
passt nicht zusammen.
({21})
An dieser Stelle ist die Kritik von Herrn Milbradt völlig
gerechtfertigt. Sie können nicht die Basis für Investitionen im Osten entziehen und gleichzeitig Subventionen
im Westen erhöhen, weil es dort vielleicht einer gewissen Klientel gefällt und nicht zuletzt weil es Ihnen im
Hinblick auf Wahlergebnisse des nächsten Jahres so in
den Kram passt.
({22})
Das ist eine Politik, die voller Widersprüche ist. Deswegen, Herr Clement, kann ich Ihnen die Kritik nicht ersparen: Hier machen Sie einen schweren Fehler, der vermeidbar gewesen wäre.
({23})
Sie haben die Energiepolitik angesprochen. Ich will
auch dazu eine Anmerkung machen. Uns liegt der Entwurf eines neuen Energiewirtschaftsgesetzes vor, der in
den nächsten Wochen und Monaten beraten wird. Der
Versuch der letzten Tage, Energiepreiserhöhungen
durchzusetzen, hat in der Tat den Beigeschmack, als ob
monopolähnliche Strukturen versuchen, Preise durchzusetzen. Darüber, wie man dies in den Griff bekommt,
müssen wir reden. Wenn Sie hier allerdings das lobenswerte Beispiel Post und Telekommunikation anführen
und sich gleichzeitig gegen die Ex-ante-Regulierung
wehren, dann ist das ein Widerspruch. Über die Auflösung dieses Widerspruchs unterhalten wir uns im Herbst.
Nur, meine Damen und Herren, ein wesentlicher Teil
der Energiepreiserhöhungen in Deutschland hat mit den
Monopolstrukturen nichts zu tun; vielmehr sind sie die
Folge politisch gewollter Steuer- und Abgabeerhöhungen, die diese Bundesregierung in den letzten sechs Jahren massiv zulasten der privaten Haushalte und der Betriebe in Deutschland durchgesetzt hat.
({24})
Die letzte Strompreiserhöhung hat wenig mit Monopol
und sehr viel mit dem novellierten Energieeinspeisegesetz zu tun. Insgesamt hat diese Bundesregierung in den
letzten sechs Jahren die Belastung der Strompreiskunden
durch Steuern und Abgaben mehr als verfünffacht. Sie
haben innerhalb von sechs Jahren die Belastung des
Stromes mit Steuern und Abgaben von 2,5 Milliarden
Euro auf über 12 Milliarden Euro gesteigert. Das ist ein
wesentlicher Grund dafür, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu hohe Energiepreise und insbesondere zu hohe Strompreise hat.
({25})
Damit sind wir bei der Steuer- und Abgabenpolitik.
Das Ressort des Bundeswirtschaftsministers umfasst
auch - wie ich meine: richtigerweise - die Arbeitsmarktpolitik. Aber er hat natürlich eine weit darüber hinausgehende Verantwortung für die Wirtschaftspolitik insgesamt. Zu einer guten Wirtschaftspolitik eines Landes
gehört natürlich ein Steuersystem, das angenommen
wird und das als Standortfaktor positive Wirkungen entfaltet. Ich hätte mir deswegen gewünscht, dass Sie, Herr
Clement, wenigstens einen Satz zur steuerpolitischen
Debatte in Deutschland gesagt hätten. Uns liegt seit einigen Wochen eine Untersuchung von der Harvard-Universität und dem Weltwirtschaftsforum über die Effizienz und die Transparenz der Steuersysteme auf dieser
Welt vor. 102 Staaten sind untersucht sowie über
5 000 Unternehmen und Fachleute befragt worden. Das
ist wahrscheinlich die breitest angelegte Untersuchung,
die es jemals über Effizienz und Transparenz der Steuersysteme auf dieser Welt gegeben hat. Auf Platz eins der
erstellten Bestenliste liegt Hongkong, dicht gefolgt von
Estland, einem neuen Mitgliedstaat der Europäischen
Union, auf Platz vier. Dann folgen viele andere Staaten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bin nicht sicher, ob
Sie wissen, auf welchem Platz Deutschland liegt. In dieser Untersuchung liegt Deutschland auf Platz 102, also
auf dem letzten Platz.
({26})
- Vielen Dank für den Zuruf. Vielleicht geben Sie ihn
noch einmal zu Protokoll.
Ich möchte Ihnen ein paar der Länder nennen, die vor
uns liegen: Trinidad und Tobago, Ghana, Sambia, Malawi, Haiti, Angola, Nicaragua, Bangladesch. All diese
Länder liegen vor uns, natürlich nicht was die Höhe der
Steuersätze betrifft!
({27})
- Sie können froh sein, dass die meisten Ihrer Zurufe
nicht so verständlich sind, dass sie die Fernsehzuschauer
mitbekommen oder dass sie Eingang in das Protokoll
finden. Seien Sie froh, dass die meisten Ihrer Zurufe
nicht protokolliert werden! Sie sind an Dummheit und
Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten.
({28})
Ich führe dieses Thema deswegen in die Debatte ein,
weil wir es uns nicht leisten können, auf Dauer ein so
komplexes, kompliziertes und intransparentes Steuersystem in Deutschland beizubehalten. Herr Clement, Sie haben von Bürokratieabbau gesprochen. Ich nenne Ihnen
zwei große Bereiche, in denen Bürokratieabbau wirklich
notwendig ist. Der eine ist die Arbeitsmarktpolitik. Dort
machen Sie das glatte Gegenteil von Bürokratieabbau.
Sie bauen dort zusätzlich eine riesengroße Bürokratie
auf. Der andere ist die Steuerpolitik. Die Steuerverwaltung in Deutschland weiß selbst nicht mehr, wie die
Steuergesetze der rot-grünen Bundesregierung vollzogen
werden sollen. Deswegen ist Deutschland auf dem letzten Platz der erwähnten Liste. Wenn Sie darüber lachen,
empfehle ich Ihnen, einen mittelständischen Betrieb zu
besuchen und den Betriebsinhaber und die Betriebsräte
zu fragen - diese werden Ihnen sicherlich ein paar Takte
dazu sagen können -, wie die Betriebe in Deutschland
mittlerweile das Steuerrecht anwenden. Es ist eigentlich
die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, darauf aufmerksam zu machen, dass wir aus dem bestehenden
Steuerchaos herausmüssen und dass wir ein wirklich radikal vereinfachtes Steuerrecht in Deutschland brauchen.
Wir haben dazu Vorschläge gemacht.
({29})
Sie haben vor Jahr und Tag den Masterplan „Bürokratieabbau“ mit großem propagandistischem Aufwand und
großen Ankündigungen, jetzt endlich werde mit Bürokratieabbau in Deutschland ernst gemacht, auf den Weg
gebracht. Herr Clement, die Weltbank hat gestern eine
Studie über Bürokratieabbau auf dieser Welt veröffentlicht. Sie kann man heute in vielen Zeitungen nachlesen.
Danach sind 89 große Reformen zum Bürokratieabbau
auf der Welt identifiziert worden, davon 36 in den Staaten der Europäischen Union. Aber keine einzige ist in
Deutschland identifiziert worden. Wörtliches Zitat:
Im Jahre 2003 ist in Deutschland zum Thema Bürokratieabbau nichts geschehen.
Das ist die traurige Bilanz Ihrer großen Ankündigungen.
Mit vielen Ankündigungen und wenigen Taten, insbesondere beim Bürokratieabbau, geht die Reise in eine
andere Richtung.
Abschließend zu der von Ihnen angesprochenen Reform der sozialen Sicherungssysteme: Wir alle streiten
hierüber. Es geht um äußerst schwierige Sachverhalte,
die jeden Bürger in Deutschland in seinem Kernbereich
berühren. Deswegen möchte ich jenseits aller Details,
über die wir uns noch im kommenden Herbst zu streiten
haben, eine allgemeine Bemerkung machen. Die entscheidende Frage ist, ob es uns gelingt, die deutsche Bevölkerung zu einem Wandel der Mentalität zu veranlassen.
({30})
Wir brauchen in Zukunft eine fundamentale Neuabgrenzung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität.
Ein Ereignis der letzten Tage ist symptomatisch für
Deutschland. Der eine oder andere von Ihnen wird
gleich schreien und es als an den Haaren herbeigezogen
bezeichnen.
({31})
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag - Herr Schmidt,
vielleicht haben Sie noch gar nicht registriert, dass das
passiert ist - ist die Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar abgebrannt, weswegen große Teile ihres Bestandes
vernichtet worden sind.
({32})
Wie reagiert Deutschland auf einen solchen Sachverhalt? Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt stellt
innerhalb weniger Stunden, also fast sofort, einen Betrag
von 4 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist gut gemeint. Aber sind wir uns eigentlich darüber im Klaren,
was das für Wirkungen hat? Große Teile der Bevölkerung haben doch das Gefühl: Also, wenn die das Geld
dahaben, dann ist das damit erledigt.
({33})
In vielen anderen Ländern hätte der Staat gesagt: Jetzt
etwas zu tun ist in erster Linie gar nicht unsere Aufgabe.
Dort hätten die Repräsentanten des Staates - der Bundeskanzler, der Staatsminister für Kultur und andere gesagt: Das ist jetzt die Stunde des großen bürgerschaftlichen Engagements für ein Weltkulturerbe, für das sich
alle Menschen in Deutschland interessieren und begeistern lassen müssen.
({34})
Was dort geschehen ist, ist ein typisches Beispiel dafür,
wie in Deutschland politisch gedacht und gehandelt
wird: Der Staat tritt sofort in Vorlage, statt zu sagen:
Dies ist jetzt die Stunde der Bürger und des ehrenamtlichen Engagements.
Wir können uns das ganze Gerede über Bürgergesellschaft, über Engagement und über Eigenverantwortung
sparen, wenn der Staat schon an einer solchen Stelle sofort wieder in Vorlage tritt und den Bürgern sozusagen
das Signal gibt: Wir sind für alles zuständig und die Bürgerinnen und Bürger müssen nur weitgehend auf den
Staat vertrauen.
({35})
Dies ist der entscheidende Punkt, über den wir uns
politisch auseinander setzen müssen. Wenn wir bürgerschaftliches Engagement und Eigenverantwortung wollen, dann müssen wir es fördern und nicht im Keim ersticken. Wenn Sie die Probleme in unserem Lande lösen
wollen, dann sind wir auch bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Wir haben unsere Bereitschaft dazu in den
letzten Monaten doch gezeigt.
Herr Müntefering, eines ist doch klar: Wenn Sie und
wir und alle, die hier sitzen, nicht in kürzester Zeit einen
Silberstreif am Horizont aufzeigen können, der andeutet,
dass dieses Land aus seiner Krise herauskommt, dann
werden wir uns über Jahr und Tag nicht mehr nur über
eine ökonomische Krise, sondern über eine fundamentale Sinn- und Akzeptanzkrise der gesamten demokratischen Ordnung unterhalten.
({36})
Sie sollten uns mit Ihren Redebeiträgen von dieser
Stelle aus nicht unterstellen, dass wir sozusagen auf
Baisse spekulieren, dass wir also versuchen, aus der
Krise politisches Kapital zu schlagen. Wir sind über den
Zustand dieses Landes tief besorgt.
({37})
- Ihr Gefeixe spricht Bände über die Ernsthaftigkeit, mit
der Sie sich über diese Themen zu unterhalten bereit
sind.
({38})
Wenn man in Ihre Gesichter schaut, dann erkennt man:
Ihr Gefeixe spricht Bände.
Wir sind über den Zustand dieses Landes tief besorgt.
Sie tragen als Regierungsfraktionen hier die Verantwortung. Wir bieten Ihnen an, dabei mitzuhelfen, dass dieses
Land aus der Krise herausfindet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({39})
Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Merz, ich will aus Ihrem Themenhopping nur einige Punkte herausgreifen; alles werde ich hier nicht behandeln können. Es ist schon erstaunlich, wie Sie beispielsweise versuchen, aus der positiven Tatsache, dass
Deutschland Exportweltmeister ist, eine Negativbotschaft abzuleiten.
({0})
Es ist erstaunlich, wie Sie hier darstellen wollen - das
kommt nicht an; das sage ich Ihnen auch -, dass notwendige Arbeitsmarktreformen mit von uns geschaffenen
neuen Instrumenten angeblich nicht greifen. Auch Sie
wissen - Ihr Hinweis auf die Binnenkonjunktur war richtig -, dass eine positive Konjunktur die Voraussetzung
für eine positive Entwicklung des Arbeitsmarktes ist und
dass die neuen Instrumente, beispielsweise Zeitarbeit
und Ähnliches, erst dann wirken können, wenn sich die
Konjunktur belebt.
Herr Merz, schauen Sie doch hin! Der Minister hat es
gesagt und er hat auch die Zahlen genannt: Die Indikatoren zeigen Positives. Wir können das beobachten. Wir
sehen mittlerweile auch - vorsichtig, vorsichtig -, dass
die neuen Instrumente greifen. Ich nenne nur eines: die
Zeitarbeit. Wir können nachweisen, dass wir gerade in
diesem Bereich in den letzten Wochen einen enormen
Entwicklungsschub gemacht haben.
Was machen Sie hier? Ob das Export ist, ob das Arbeitsmarkt ist, ob das binnenkonjunkturelle Entwicklung
ist, Sie suchen sich das heraus, was Ihnen passt, um die
Entwicklung schlecht zu reden. Das ist Ihr Ansatz.
({1})
Sie wissen offensichtlich überhaupt nicht, worüber
Sie reden. Sie haben als nächsten Punkt die HartzReformen thematisiert. Sie sagen, die Reformen müssten durchgesetzt werden. Prima! Ich habe heute Morgen
auch gelesen, dass Herr Koch, der noch vor ein paar Monaten die Kommunen zum Boykott der Hartz-Reformen
aufgerufen hat, jetzt sagt: Man muss dazu stehen.
Gleichzeitig aber machen Sie sich hier einen schlanken Fuß, Herr Merz; denn Sie reden über etwas, was gar
nicht Inhalt dieser Reform ist. Sie sprechen von einem
bürokratischen Moloch und fordern Dezentralität ein.
Der Kern dieser Reform ist Dezentralität. Wir machen
mit dieser Reform Folgendes - das wird am 1. Januar
2005 losgehen -: Wir geben den Kommunen, den Regionen vor Ort ein umfassendes Handwerkszeug und auch
Geld in die Hand, damit vor Ort mit den regionalen Trägern, mit den Akteuren, mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften zusammen eine Arbeitsmarktpolitik betrieben werden kann, die an den Individuen orientiert ist und
die die dezentralen Strukturen nutzt.
Herr Merz, Sie stellen die Frage der Option als ein
großes Problem dar. Es ist richtig: Nicht alle Kommunen
können optieren. Herr Merz, Sie sind im Vermittlungsausschuss mit dicken Backen aufgetreten und haben
viele, viele Optionen gefordert. Ich nenne nur ein Beispiel: Baden-Württemberg. Dort sind sechs Optionen
möglich. Fünf sind jetzt beantragt. Dort ist die CDU in
der Regierung!
({2})
Ich habe am Sonntag mit dem Ministerpräsidenten von
Niedersachsen gesprochen. Auch er sagte mir: Wir kommen damit gut aus. Vermutlich werden weniger Kommunen optieren.
({3})
Meine Damen und Herren, blasen Sie sich hier also
nicht so auf für eine Reform, die Sie durch die Hintertür
doch wieder schlecht machen wollen.
({4})
Wir machen im Bereich Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sicherlich gerade die größten Reformen in der
Geschichte der Bundesrepublik. Wir machen sie deshalb
erst so spät, weil Sie sich, alle, wie Sie da sitzen, von
FDP bis CDU/CSU, in den 90er-Jahren an diese unbequemen Reformen nicht herangewagt haben. Sie haben
sich weggeduckt. Von Herrn Merz ist die geschickte
Form des Wegduckens wiederum vorgeführt worden. Sie
in der Union sind, was den Mut anbelangt, eine Reform
auch umzusetzen und durchzusetzen, ein Duckmäuserverein. Ich will Ihnen das auch zeigen.
({5})
Hinter verschlossenen Türen feiern die Hardliner
fröhliche Urständ. Da wird dann zum Beispiel gefordert,
die Leistung zu reduzieren. Öffentlich wird eine andere
Melodie gespielt. Wir haben es hier gehört und wir hören
es jeden Tag. Rüttgers will eine Generalrevision der Reform. Milbradt will verschieben, Schonvermögen heraufsetzen. Böhmer will beim Zuverdienst etwas machen. Söder hat unter Tränen beklagt, was mit den
Kindersparbüchern passiert.
Sie spielen hier mit gezinkten Karten. Sie haben im
Vermittlungsausschuss durchsetzen wollen, dass die
Leistungen niedriger sind. Sie wollten keine Kinderzuschüsse für Leute mit geringem Einkommen, die verhindern, dass sie in die Sozialleistung abrutschen. Sie wollten Verschärfung der Sanktionen. Sie haben es
durchgesetzt, dass die Zuverdienstmöglichkeiten - zum
Beispiel bis 400 Euro - erheblich schlechter sind, als wir
das wollten. Dort machen Sie also eine Politik, die Verschärfung zum Inhalt hat. Auf der Straße spielen Sie eine
andere Melodie. Meine Damen und Herren, das ist unredlich.
({6})
Wir müssen jetzt, hier und heute, die Reformen angehen;
dabei steht die Umsetzung im Vordergrund. Deshalb
macht es keinen Sinn mehr, noch hier und da Veränderungen zu fordern. Wir werden den Umsetzungsprozess,
der am 1. Januar 2005 beginnt, sehr genau beobachten.
Diese Reform ist deshalb so notwendig, weil sie eine
Etappe markiert: Wir verabschieden uns jetzt von einer
Politik, die von Ausgrenzung und Alimentierung geprägt
war, und treten in eine Politik ein, die Integration in den
ersten Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Es geht darum, ernst
zu nehmen, dass Langzeitarbeitslosigkeit eine der
schlimmsten Geißeln für die Betroffenen und übrigens
auch für die Ökonomie ist. Wir haben in Deutschland
eine überdurchschnittlich hohe Dauer der Arbeitslosigkeit; im Schnitt beträgt sie 32 Wochen. Das ist schlimm
für die Betroffenen. Wir müssen ihnen helfen, da schneller wieder herauszukommen. Das ist das Ziel dieser sehr
schwierigen und unbequemen Arbeitsmarktreform.
Das ist, wie ich glaube, noch nicht überall angekommen, beispielsweise auch nicht bei unseren Freunden
vom DGB. Herr Sommer hat letztens - ich glaube, es
war vor zwei Wochen - gesagt, mit der Reform werde
die Würde der Beschäftigten angegriffen. Ich entgegne
darauf: Langzeitarbeitslosigkeit greift die Menschenwürde an. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen
wir diese Politik weiter verfolgen, auch gegen den von
Ihnen organisierten Widerstand.
Wir können nicht akzeptieren, dass es in Deutschland
zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen gibt: die einen in
der Arbeitslosenhilfe, die anderen in der Sozialhilfe. Dabei haben die, die von Sozialhilfe leben, so gut wie keine
Chance, wieder in den Arbeitsmarkt hereinzukommen,
da sie keinen Zugang zu den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Reform. Gegen diese Neuorientierung hin
auf Integration wird jetzt von außen mit Ihrer Unterstützung - ich nenne beispielsweise Herrn Milbradt ({7})
vorgegangen und Wind gemacht.
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal an
die Adresse all derjenigen, die jetzt auf MontagsdemonsDr. Thea Dückert
trationen oder anderswo falsche Parolen gegen dieses
Gesetz in Umlauf bringen,
({8})
Folgendes zur Klarstellung sagen: Es ist schlichtweg
falsch, dass die Leute, wie es beispielsweise die PDS unermüdlich behauptet, massenhaft ihre Wohnungen verlassen müssten. Sie haben vielmehr die Möglichkeit, in
ihren Wohnungen zu bleiben. Angemessener Wohnraum
wird zugestanden. Auch andere Dinge sind übrigens verbessert worden; so werden sogar die Zinsen für Darlehen
weiter gezahlt, wenn es sich um eine Eigentumswohnung handelt.
Die Menschen, die das neue Arbeitslosengeld II beziehen, werden alle sozialversichert sein. Es handelt sich
um eine Verbesserung für all diejenigen, die vorher Sozialhilfeempfänger waren.
Denjenigen, die immer wieder das Prinzip „Fördern
und Fordern“ problematisieren, sage ich: In diesem
Gesetz wurde eine richtige Balance zwischen Fördern
und Fordern gefunden. Ich nenne beispielsweise die
Maßnahmen für Jugendliche. Jugendliche haben erstmals Anspruch auf eine elternunabhängige Leistung.
Das wollten Sie von der Union übrigens nicht. Ab 1. Januar haben sie auch einen Rechtsanspruch auf ein Arbeits- oder Ausbildungsangebot. Dem steht gegenüber,
dass ihnen, wenn sie Angebote nicht annehmen, die
Leistungen für eine bestimmte Frist gestrichen werden.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dass diese beiden
Punkte, nämlich auf der einen Seite das neue Angebot
einer Unterstützung in Form einer eigenständigen Leistung und auf der anderen Seite die Forderung nach eigener Aktivität, in guter Weise beschreiben, was dieses Gesetz will, nämlich fördern und fordern. Wir werden in
Zukunft speziell auf das Fördern unser Augenmerk richten.
Das Gesetz hat Schwächen. Für viele dieser Schwächen sind Sie von der Opposition verantwortlich.
({9})
Ich nenne nur zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist die
Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen. Allen Kritikerinnen und Kritikern, die uns anmailen und von uns
fordern, diesen Punkt zu ändern, sage ich: Schickt eure
Beschwerden bitte zielgerichtet und direkt an die CDU/
CSU und an die FDP; denn die haben uns diese Regelungen im Gesetz eingebrockt.
({10})
Wir werden natürlich eine Debatte über das Thema
Lohndumping führen müssen. Wir werden beobachten
müssen, ob es zu Lohndumping kommt, und eventuell
Maßnahmen dagegen ergreifen müssen. Eine Maßnahme
kann durchaus ein branchenbezogener Mindestlohn sein,
wenn die Tarifautonomie dadurch gewahrt bleibt. Es gibt
aber auch andere Möglichkeiten. Wir brauchen auf jeden
Fall eine Debatte, denn wir wollen nicht das Lohndumping, das Sie durchgesetzt haben.
({11})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. Aber ich möchte an dieser
Stelle noch auf einen fundamentalen Unterschied in unseren arbeitsmarktpolitischen Ansätzen hinweisen.
Das ist wirklich der letzte Satz, Herr Präsident.
Frau Merkel hat gestern den flächendeckenden
Niedriglohnsektoren, mit viel Geld staatlich subventioniert, das Wort geredet, übrigens ohne Gegenfinanzierungsvorschlag. Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik,
die für das Individuum, für den Langzeitarbeitslosen
Brücken in den Arbeitsmarkt baut, finanziert durch
Lohnkostenzuschüsse, durch eine ganze Reihe von Angeboten. Wir sehen keine Möglichkeit, den Menschen in
Deutschland in irgendeiner Weise durch einen flächendeckenden Niedriglohn zu helfen; das wäre auch ökonomisch fatal.
({0})
Wir können mit Tschechien nicht konkurrieren, meine
Damen und Herren.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Clement, auch ich will mit einer Bemerkung zu
Herrn Tacke beginnen. Es ist unbestritten, dass Herr Tacke ein hoch qualifizierter, verdienter Staatssekretär ist.
Es ist auch völlig unbestritten, dass ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft wünschenswert ist. Aber
für mich ist und bleibt es schlechter politischer Stil,
wenn ein Staatssekretär, der kurz vor der Bundestagswahl eine höchst umstrittene Ministererlaubnis gegen
das Kartellamt und gegen die Monopolkommission
durchgezogen hat und damit die Fusion von Eon und
Ruhrgas mit einem Marktanteil von 85 Prozent - das soll
mir einer erläutern, dass man in einer sozialen Marktwirtschaft einen Marktanteil von 85 Prozent braucht ermöglicht hat
({0})
- was haben Sie bis hin zum Regierungssprecher in dieser Geschichte nicht alles verkündet; heute sind Sie
schön ruhig -, anschließend bei einem wesentlich von
Eon Ruhrgas bestimmten Unternehmen Vorstandsvorsitzender wird. Ich empfehle Ihnen dringend, einen Ehrenkodex zu entwickeln, in dem wenigstens eine Schamfrist
fixiert wird. Es geht nicht um eine Rechtsfrage; das hat
der Ausschuss heute geklärt. Beamtenrechtlich ist nichts
zu beanstanden, denn er scheidet aus dem öffentlichen
Dienst aus. Aber guter politischer Stil ist das für mich
nicht; es dient nicht dazu, das Ansehen der Politik in der
Bevölkerung zu stärken.
({1})
Wir befinden uns im vierten Jahr der Stagnation der
Binnenwirtschaft. Kernbereich wirtschaftlicher Belebung ist der private Konsum. Fast 60 Prozent des Sozialprodukts entstehen durch den Konsum. Dort kommen
wir im vierten Jahr in Folge nicht voran. Heute hat das
Kieler Institut seine Wachstumsprognose für das nächste
Jahr auf 1,2 Prozent gesenkt. Sie kennen die Risiken
draußen. Wir profitieren - ich füge hinzu: Gott sei
Dank - von Boomregionen wie China und Teilen Amerikas. Der Export ist davon abhängig; er ist in der Tat ein
Stück geborgte Wertschöpfung - Herr Kollege Merz hat
dazu Ausführungen gemacht -; denn vieles, was als Siemens-Produkt verkauft wird, beinhaltet China. Das ist
alles begrüßenswert. Aber die Risiken - die Überhitzung
in China, die Entwicklung in Amerika - sind sehr groß.
Das Entscheidende ist: Der Transmissionsmechanismus, das Überspringen der Exportimpulse auf die
Binnenkonjunktur, funktioniert nicht mehr. Das hat
seine Ursache. Es liegt an der tiefen Verunsicherung der
Verbraucher und von Teilen unserer Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands. Deshalb birgt Ihr Haushalt
große Risiken. Mein Kollege Niebel wird zu den Wackelpositionen bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit
später noch detailliert Stellung nehmen. Ihre Inkonsistenz und die fehlende Klarheit der Politik verstärken die
Verunsicherung in der Bevölkerung und deshalb kommen wir nicht voran.
Herr Bütikofer erklärt gestern, die Erbschaftsteuer
müsse erhöht werden; das betrifft zu zwei Dritteln die
Betriebsübergänge. Frau Simonis will die Mehrwertsteuer erhöhen. Dadurch wird die Verunsicherung ständig vergrößert. Es ist ein natürlicher Reflex, sein angespartes Geld zurückzuhalten, wenn man nicht weiß, ob
man einen Job bekommt oder seinen Job behält. Die
Sparquote hat eine Rekordhöhe von über 11 Prozent erreicht. Eine hohe Sparquote ist aber nicht hilfreich in einer Situation, in der die Binnenkonjunktur anspringen
muss. Denn sie macht 60 Prozent des Bruttosozialprodukts aus.
({2})
Da hilft uns der Export allein nicht weiter und der Staat
kann eh nicht eingreifen.
Die Situation in Europa hat sich verschärft. Mit dem
Beitritt von zehn weiteren Ländern zur Europäischen
Union sind Länder wie Estland und Slowenien hinzugekommen, in denen es eine Flat Tax gibt. Das heißt, bis
zu einer bestimmten Grenze gilt Steuerfreiheit und die
maximale Besteuerung liegt bei unter 20 Prozent. Es
wird den Firmen und Holdings bald relativ egal sein, ob
sie ihren Sitz in Tallin oder in Ljubljana bzw. in Düsseldorf oder Berlin haben. Der Unterschied liegt darin: Hier
zahlen sie mehr als 50 Prozent Steuern und dort weniger
als 20 Prozent.
Wir haben Niedriglohngebiete auf dem gemeinsamen Binnenmarkt. Die Relation der Facharbeiterlöhne
zwischen Deutschland und Polen beträgt eins zu zehn bis
eins zu zwölf. Die IG Metall hat bei den großen Konzernen kapiert - die können ihren Standort nämlich schnell
verlagern -, dass sich etwas tun muss. Dort akzeptiert sie
Nullrunden. Wir brauchen aber auch einen Spielraum
beim Mittelstand. Denn im Mittelstand entstehen die
Jobs und nicht in den großen Konzernen.
({3})
Im Mittelstand haben wir Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren. Eine Gewerkschaftspolitik, die sich auf die
Großkonzerne konzentriert, ist falsch angelegt.
Man muss in diesem Zusammenhang folgendes Tabuthema ansprechen. Die paritätische Mitbestimmung
in Deutschland ist eine Fehlentwicklung. Ich weiß sehr
gut, wie sie entstanden ist. Das ist die Gedankenwelt der
Wirtschaftsdemokratie: Es war die Zeit der Gemeinwirtschaft, der Neuen Heimat und der Bank für Gemeinwirtschaft - die kennt gar keiner mehr; dort wurden viele Arbeitergroschen versenkt. Damals entstand die Idee, dass
man etwas anderes dazwischen erfinden müsste, eine Art
Rätesystem.
Dieses System ist zunehmend ein Standortnachteil.
Andere werben inzwischen damit, die Holdings nach
Holland oder in die Schweiz zu verlagern, weil es dort
solche Regelungen nicht gibt. In der Diskussion, ob die
Deutsche Bank mit einem anderen großen europäischen
Bankinstitut zusammengeht, war immer klar, dass der
Standort in Luxemburg oder in London sein würde, weil
es dort andere Regelungen gibt. Man muss offen darüber
reden, dass sich ein Mechanismus entwickelt hat, der ein
Standortnachteil geworden ist. Dieses Thema kann man
nicht einfach tabuisieren und fortschreiben; darüber
muss ein Dialog stattfinden.
({4})
Nächster Punkt: Energiegipfel. Ich bin froh, dass der
Bundeskanzler unsere Anregung aufgegriffen hat und
jetzt zu einem entsprechenden Gipfel eingeladen hat.
Aber ein bisschen zwiespältig ist es schon. Diese Bundesregierung hat den Konzentrationsprozess am Gasmarkt - 85 Prozent Marktanteil - zugelassen und wundert sich jetzt, dass die Gaspreise steigen.
({5})
Wettbewerb ist der beste Schutz vor überzogenen Preisen. Deshalb gilt es, den Wettbewerb zu stärken. Die Regulierungsbehörde kommt nicht in die Pötte. Ich bin kein
Freund der Regulierungsbehörde. Es wäre besser, die
Kompetenzen wären bei einer Wettbewerbsbehörde,
dem Kartellamt, konzentriert. Die Regulierungsbehörde
funktioniert nicht, weil Sie keine vernünftigen Regelungen hinbekommen. Wahrscheinlich haben die Grünen
noch einen Postenwunsch.
Sie kriegen die Energiewirtschaftsgesetzverordnung
nicht hin. Da besteht seit einem Jahr Unsicherheit; sie ist
immer noch nicht in Kraft. Das verunsichert natürlich
die Energieunternehmen.
Sie senden falsche Signale aus. Sie sollten überdenken, ob das ERP-Sondervermögen, das einen Symbolgehalt für den Mittelstand hat, verkauft und der KfW als
Eigenkapitalhilfe übertragen werden soll. Das soll wahrscheinlich deshalb gemacht werden, damit Herr Eichel
seine Telekom- und Postaktien besser platzieren kann.
({6})
Denn es handelt sich um Aktien mit einem Kursrisiko,
das durch Eigenkapital abgedeckt werden muss. Das ist
der falsche Ansatz.
Herr Clement, Sie sind so etwas wie der letzte Mohikaner der Marktwirtschaft in dieser Regierung.
({7})
Die anderen roten Brüder haben sich schon längst in die
Büsche geschlagen. Sie träumen wahrscheinlich davon,
wie sie in der Opposition Marterpfähle wie Bürgerversicherung und Steuererhöhungen, mit denen die deutsche
Volkswirtschaft getroffen werden soll, errichten können.
({8})
Was Sie zur Forschung gesagt haben, unterschreibe
ich alles. Man muss an das Thema Biotechnologie herangehen. Auf diesem Gebiet gibt es im Moment noch
Entwicklungshemmnisse in Deutschland.
Warum gehen Sie nicht wirklich glaubwürdig an den
Bürokratieabbau heran? Wir diskutieren seit Jahrzehnten - auch mein Verein - über den Abbau von Bürokratie. Ich sehe nur einen Weg, wie wir es schaffen können:
Sie müssen die kommunale Selbstverwaltung und damit
den Föderalismus in den Wettbewerb einbeziehen. Lassen Sie doch beispielsweise die Ostländer Gesetze außer
Kraft setzen! Lassen Sie Kommunen den Spielraum, Gesetze außer Kraft zu setzen! Nur wenn wir den Wettbewerb innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung und
des föderalen Systems nutzen - wer Arbeitsplätze
schafft, Investitionen anzieht und wer eine geringere Regelungsdichte hat, hat den attraktiveren Standort -, kommen wir voran. Sonst fördern wir nur die Auswanderung
aus Deutschland. 120 000 Spitzenkräfte in Forschung,
Wirtschaft und Wissenschaft verlassen Deutschland jedes Jahr. Kaum einer kommt zurück. Kapital wandert
aus, weil die Situation bei uns so schwierig ist und weil
wir keine Beweglichkeit und Flexibilität hinbekommen.
Da liegen Sie zwar im Ansatz richtig; aber mehr erreichen Sie nicht.
({9})
Ich will nicht wiederholen, was Kollege Merz richtigerweise angesprochen hat. Sie haben auf die Energiepreise permanent Belastungen geknallt. Die damalige Liberalisierung hat eine Entlastung von 18 Milliarden DM
gebracht. Die ist voll geschluckt worden. Damit werden
die Windrädchen der Grünen finanziert. Diese sollen ein
Drittel der Kernenergie ersetzen.
Ich halte es übrigens für falsch, dass wir aus dieser
Technologie ausgestiegen sind. Wir sollten uns sehr
wohl überlegen, diese Technologie weiterzuentwickeln
und die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern.
({10})
Wir werden noch große Probleme bekommen. Lieber
deutsche Ingenieure als verrückte Derwische in Nahost
als Garanten unserer Energieversorgung! Sie haben einen falschen Ansatz gewählt.
Wir brauchen das Vertrauen der Bevölkerung. Es ist
nicht vorhanden, weil es keinen klaren Kurs gibt.
Schauen Sie einmal die Ergebnisse im Saarland und die
Umfragen in Sachsen an! Das Schlimme im Saarland ist:
Rund 10 Prozent der jungen Wähler bis 25 Jahre haben
NPD gewählt. Die Wähler der NPD sind keine alten
Nazis, sondern junge Leute. Wir alle haben nur ein begrenztes Zeitfenster, um notwendige Veränderungen zu
vollziehen; ansonsten werden alle Parteien verlieren.
Schauen Sie einmal über die Grenzen unseres Landes! Ich bin in der Südpfalz aufgewachsen. Das Elsass
ist eine wohlhabende Region. Dort ist kein Militär einmarschiert; dort waren keine Panzer. Bei der letzten Regionalwahl hat der Front National, die DVU Frankreichs, mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten.
Schauen Sie nach Italien! Da gibt es im Grunde keine
Sozialdemokratie und keine liberale Partei. Die Democrazia Cristiana ist eine Splitterpartei, die 1 Prozent der
Stimmen erhält. Dort gibt es völlig andere politische
Strukturen, wobei ich nicht glaube, dass wir mit diesen
Strukturen glücklicher wären.
Deshalb ist es höchste Zeit. Was zu tun ist, wissen
wir. Dies steht jedes Jahr im Gutachten des Sachverständigenrats. Es ist in Veröffentlichungen der Bundesbank
und des IWF nachlesbar. Die Europäische Kommission
mahnt Deutschland, endlich glaubwürdige, mit Prinzipien und Charakter versehene Reformen durchzuziehen.
Warum tun wir das nicht? Warum verharren wir vordergründig bei Detailpunkten, während das Land weiter vor
sich hindümpelt? 6 Millionen Arbeitslose sind 6 Millionen Schicksale, die nach Veränderung schreien.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie alle
Jahre wieder: Herr Brüderle bläst Trübsal und lässt die
Welt untergehen. Herr Merz teufelt schneidig aus dem
Handtäschchen von Frau Merkel,
({0})
und zwar mit herzlich wenig Kenntnissen versehen.
({1})
Alle seine Prognosen sind am unteren Rand. Er
nimmt nicht zur Kenntnis, was die Fachleute sagen, weil
er ansonsten nicht mehr anklagen könnte. Er ist ein gelehriger Schüler von Franz Josef Strauß: nur anklagen.
({2})
Was er zum Export erzählt, ist Unsinn. Wir haben mit
der internationalen Arbeitsteilung in der Wertschöpfungskette der Exportindustrien Erfolg gehabt. Wir haben mehr Arbeitsplätze als vorher, auch wenn die eine
oder andere Arbeitsteilung notwendig war und notwendig bleiben wird.
({3})
Man sollte zumindest die Zahlen zur Kenntnis nehmen und man sollte froh sein, dass Deutschland in der
Welt von morgen und insbesondere in einer Zeit, in der
sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft in Richtung
Asien bewegt, eine starke Exportnation ist und bleibt.
Wir sollten alles dafür tun, dass wir an dieser Stelle stark
bleiben, und sollten uns nicht mit Mäkeleien aufhalten.
({4})
Was Herr Merz über die PSA sagt, ist pure Mäkelei.
({5})
Was er über die Ich-AGisten sagt, ist im Grunde völlig
daneben. Noch nicht einmal ein Jahr wirkt das Instrument und schon weiß Herr Merz, dass nur 10 Prozent
überleben.
({6})
Sie plaudern nur die Dampfplaudereien von Herrn
Philipp nach. Dieser will keine Ich-AGs. Sie wollten die
Ich-AGisten von vornherein nicht haben. Darum mussten Sie sie schon von vornherein zum Untergang verurteilen.
Herr Clement geht den richtigen Weg. Wir unterstützen die Ich-AGs jetzt mit Qualifizierungen und mit Businessplänen. Wir sollten den Menschen Mut machen und
nicht sagen; jeder Zehnte wird scheitern.
({7})
Besonders unsinnig waren die Bemerkungen zum
Jobfloater. Es hörte sich an, als hätten wir Geld in einer
Zeit weggegeben, in der die Kreditwirtschaft den Mittelstand hat verhungern lassen. In dieser Situation hat der
Jobfloater der KfW dazu beigetragen, dass Investitionen
wieder in Gang gekommen sind. Es waren keine Zuschüsse, sondern Kredite, mit denen Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Dafür muss sich niemand entschuldigen. Wäre Herr Merz auf der Höhe der Zeit - als
Verwaltungsratsmitglied der KfW müsste er es eigentlich sein -, wüsste er, dass die Jobfloater längst in die
Kategorie Unternehmerkredit weiterentwickelt worden
sind und dass die KfW daraus ein wirklich Wachstum
schaffendes Finanzierungsinstrument gezaubert hat.
Dies alles erfolgte, wie gesagt, in einer Zeit, in der die
Banken ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden sind.
({8})
Einen besonderen Pappkameraden stellen seine Anmerkungen zu Hartz IV dar. Er beklagt die fehlende
Dezentralisierung, obwohl das ganze Konzept auf Dezentralisierung angelegt ist. Wir haben immer gesagt,
dass im Gegensatz zu Ihrer Zeit, als Herr Stingl und andere das Sagen hatten, nicht mehr der Wasserkopf in
Nürnberg alles entscheiden darf, sondern die vielen kreativen Köpfe vor Ort die notwendigen Entscheidungen
treffen sollen. Schauen Sie doch wenigstens einmal ins
Gesetz hinein, bevor Sie polemisieren! Es wäre dann im
Hinblick auf die politische Kommunikation vielleicht
leichter.
Meine Damen und Herren, um das, was er heuchlerisch - ({9})
- Vielleicht auch nicht. Ich nehme das Wort Krokodilstränen; das klingt etwas neutraler. - Hinsichtlich dessen,
was er zur Ost-West-Spaltung gesagt hat, muss ich seinem Gedächtnis ebenfalls nachhelfen. All das, was momentan bestritten wird, haben die Herren Ministerpräsidenten aus den neuen Ländern kurz vor Weihnachten mit
verabschiedet. Heute geht es nicht um das, wogegen sie
im Juli gestimmt haben; für die Frage der kommunalen
Option hat sich bei den Montagsdemonstrationen kein
Mensch interessiert. Die Grundentscheidung ist mit der
Zustimmung von Herrn Milbradt im Dezember gefallen.
Damals hat er die 349 Millionen Euro gerne mitgenommen.
({10})
Auch das, was Sie zum Haushalt der GA sagten, ist
falsch. Meine Damen und Herren, wir haben bei der GA
nachgebessert.
({11})
Dort, wo es um ein paar aktuelle Dinge am Rand geht,
werden wir es auch noch hinbekommen.
({12})
- Entschuldigung, es ist bei den Haushaltssperren und
den Verpflichtungsermächtigungen nachgebessert worden. Inzwischen können die Länder über den größten
Teil der Mittel verfügen. Jetzt geht es noch um ein Delta,
({13})
weil die Baransätze für die Folgejahre mit den Verpflichtungsermächtigungen noch nicht hundertprozentig übereinstimmen. Auch dies werden wir noch hinbekommen.
Das ist eine Folge der Verabredungen von Koch und
Steinbrück.
({14})
Daran, dass Mittel nicht vorhanden sind, wird jedenfalls
keine Investition scheitern.
({15})
- Das werden Sie nicht erleben. Das würden Sie zwar
gern beklagen; das werden Sie aber nicht erleben.
Was der Bierdeckelexperte dann zu Steuern und Abgaben im internationalen Gefüge sagte, folgte der Methode: Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe. Inzwischen habe ich mir von Karl Diller
sagen lassen, dass der von Herrn Merz zitierte famose
Professor auf Malta so viele Unternehmen wie in
Deutschland befragt hat. Sie haben sich hier also auf ein
verdammt „repräsentatives“ System bezogen. Bevor
man hier über das komplexe Steuersystem in Deutschland redet, sollte man lieber über Berater reden, die die
Kommunen und den Staat um ihren gerechten Anteil am
Unternehmensertrag bringen wollen.
({16})
Unser Steuerrecht ist nur deshalb so komplex geworden,
weil viele den stillen Gesellschafter Staat um seinen Anteil bringen wollen, gleichzeitig aber beklagen, dass zu
wenig in Infrastruktur oder Bildung investiert werde.
Herr Austermann, Sie mit Ihren Zahlenprognosen
sind ohnehin kein guter Kronzeuge.
({17})
Herr Merz sollte sich mehr um Herrn Rüttgers kümmern.
Er hätte genug damit zu tun, wenn er seinen Rückwärtsund Vergangenheitsminister nach vorne holte.
({18})
Meine Damen und Herren, niemand kann davon ablenken, dass die Erholung der Wirtschaft in Gang
kommt. Niemand kann davon ablenken, dass die Exporte
brummen und Marktanteile in der Weltwirtschaft errungen worden sind.
Auch wenn Sie sich noch so sehr in Ihrem Bärenstall
suhlen wollen, auch wenn Ihnen der Sumpf noch so sehr
gefällt, der Sonnenstrahl des Optimismus wird Ihren
Sumpf des Pessimismus austrocknen. Es wird dort zunehmend ungemütlich.
({19})
Die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn die deutsche Wirtschaft zu Ihrer Regierungszeit solche Rahmenbedingungen gehabt hätte, wie sie heute bestehen, hätte
sie Feste gefeiert, gegen die der Tanz um das Goldene
Kalb ein kleiner Event gewesen ist. Das muss man Ihnen
immer wieder entgegenhalten. Noch nie waren die Steuern für die Untenehmen so niedrig wie heute. Die Lohnnebenkosten sinken und die Gesundheitsreform wirkt.
Mit der Gesundheitsreform war das auch so eine Sache. Als wir sie mit Ihnen zusammen ausgearbeitet haben, hat sich Horst Seehofer feiern und fotografieren lassen und von der glücklichsten Nacht seines Lebens
schwadroniert. Mancher hat damals gezweifelt, ob er
noch nichts Anständiges erlebt hat.
({20})
Dann ist er davongelaufen und wollte die Verantwortung
dafür nicht übernehmen. Jetzt hat Ulla Schmidt das Kind
großgezogen, jetzt würde er sich wieder gern mit dem
Töchterchen fotografieren lassen.
({21})
Diese Art und Weise kann weiß Gott nicht angehen. Die
Gesundheitsreform erzielt gerade erste Wirkungen und
die Arbeitsmarktreformen schaffen bei den Beteiligten
neues Vertrauen in die Handlungsfähigkeit dieses Landes.
Schauen Sie sich doch an, was wir zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und im Bereich der Schulen geleistet haben. Damit wollen wir die künftige Erwerbstätigkeit von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf erleichtern. Das ist eine Riesenaktion für die
wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Wir wollen damit das Potenzial der Frauen für dieses Land voll nutzbar
machen und gleichzeitig die Chancengleichheit verbessern.
({22})
Schauen Sie sich an, was wir für die Kommunen tun:
Die Steuerreform hat gegen Ihren Widerstand Verbesserungen für die Kommunen gebracht; 2,5 Milliarden Euro
werden durch die Arbeitsmarktreform freigesetzt,
({23})
das heißt, das Handwerk kann wieder auf kommunale
Investitionen bauen. Wir fordern die Innenminister der
Länder von dieser Stelle aus auf: Lockert den Schuldendeckel in den Städten und Gemeinden, die noch unter
Kuratel stehen. Die Steuersenkungen und die Entlastungen durch Hartz IV sind nicht beschlossen worden, um
Schulden von einem Titel auf den anderen zu buchen,
sondern sie sind beschlossen worden, um wieder Investitionen in den Kommunen zu finanzieren. Darüber sollten
wir uns miteinander unterhalten. Hier müssen alle Chancen genutzt werden. Dann lacht auch Ernst Hinsken wieder.
({24})
Auch der Haushalt trägt dazu bei, und zwar in der
Fassung, in der wir ihn vorgelegt haben. Wir gehen nicht
vor wie Herr Stoiber, der hier mit seiner 5-Prozent-Rasenmähermethode alles durcheinander bringt, oder wie
Herr Austermann, der von der Hälfte des Preises spricht.
Das ist übrigens wieder typisch Union: Die einen singen
das Lied „Spart!“ und die anderen singen das Lied „Gebt
mehr aus!“. Das ist die reinste Kakophonie. Moderne
Musik ist im Vergleich zu dem, was Sie hier aufführen,
ein Ohrenschmaus. Sie müssen die Konsequenzen ziehen und deutlich machen, was Sie eigentlich wollen.
({25})
Wollen Sie, dass der Haushalt seinen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur leistet, oder möchten Sie lieber alles abwürgen? Wenn Sie Letzteres wollen, könnten
die Pessimisten unter Ihnen wieder klagen. Wir werden
ihnen diese Gelegenheit aber nicht geben.
({26})
Hören wir auf, den Aufbau Ost schlecht zu machen!
Auch im Osten ist das Glas mehr als halb voll. Wenn ich
die von Ihnen zu verantwortende Überhitzung der Bauwirtschaft - Sie haben durch Ihre Abschreibungsmodelle
eine Fehlinvestitionswelle im Osten ausgelöst, die jetzt
abebben muss - außer Acht lasse, kann ich feststellen: In
der gewerblichen Wirtschaft kommt der Aufbau Ost
voran und wir sollten niemandem erlauben, das mies zu
machen.
Schauen Sie nach Dresden! Was haben der Bundeswirtschaftsminister und Edelgard Bulmahn in Dresden
geleistet! Wir können darauf stolz sein, dass sich die ITRegion so entwickelt hat. Bedanken Sie sich dafür, statt
alles mies zu machen!
({27})
- Was heißt „Herr Milbradt“? Ohne das Geld von
Edelgard Bulmahn hätte Herr Milbradt auf Demonstrationen mit dem Fähnchen hinterherlaufen, aber nicht investieren können.
({28})
Das konnte überhaupt nur mit dem Geld der Bundesregierung gehen.
({29})
Es gehört zum Grundanstand, einen gemeinsam errungenen Erfolg auch gemeinsam zu feiern und nicht zu versuchen, die Partner zu betrügen.
({30})
Der Aufbau Ost kommt voran. Die I-Zulage ist sichergestellt und die letzten Ungereimtheiten der Gemeinschaftsaufgabe werden so beseitigt, dass im Osten
keine Investitionen verloren gehen werden.
({31})
- Im letzten halben Jahr ist eine Menge passiert.
({32})
Wir sagen den Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Osten
aber auch: Wir brauchen mehr Mut zur Selbstständigkeit. Wir werden den Schwerpunkt auf die Gründung
neuer Unternehmen setzen müssen. Es kann keiner darauf warten, dass ihm gebratene Tauben in Form von Investitionen aus dem Westen ins Land fliegen. Wir müssen hier Hilfe zur Selbsthilfe organisieren.
Dafür hat diese Koalition mit der Mittelstandsfinanzierung eine Menge getan.
({33})
Wir haben die Steuern deutlich gesenkt. Wenn der Aufschwung kommt, kann wieder Eigenkapital aufgebaut
werden.
({34})
Die Mittelständler haben ganz erhebliche Probleme. Wir
haben aber mit der Restrukturierung der Mittelstandsbank des Bundes die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass der Mittelstand Beteiligungskapital bekommt, ohne
an die Börse gehen zu müssen, dass er in den Genuss der
Mezzanininstrumente sowie der Nachrangdarlehen
kommt. In diesem Herbst werden die entsprechenden
Gründungsfonds, die Dachfonds, eingerichtet, was der
Bundeswirtschaftsminister eingeleitet hat und wofür wir
die steuerlichen Voraussetzungen geschaffen haben.
Das Hauptproblem war, dass sich die hier gestern von
Michael Glos so bedauerten Banken mit ihren Investmentbankern an den internationalen Börsen verspekuliert und Geld in der Größenordnung von zwei bis drei
Bundeshaushalten verloren haben. Sie haben dann den
Mittelstand nicht mehr mit Krediten versorgt, sodass
selbst der normale Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhalten werden konnte. Hier haben Wolfgang Clement und
Hans Eichel mit der KfW dem Mittelstand mit neuen
Programmen unter die Arme gegriffen und dafür bin ich
dankbar.
({35})
Jetzt fängt selbst die Deutsche Bank an, über den Kreditkanal zu klagen, obwohl sie früher selbst zu den
Schlimmsten gehört hat. Fragen Sie einmal die Mittelständler in den Flächenstaaten, wie die Bank mit ihnen
umgegangen ist! - Herr Präsident, der Kollege Hinsken
möchte meine Redezeit verlängern.
Herr Kollege Stiegler, ich wollte Sie gerade fragen,
ob Sie die Zwischenfrage zulassen wollen.
Immer.
Bitte schön, Herr Hinsken.
Herr Kollege Stiegler, Sie haben eben das Hohelied
des Mittelstands gesungen und darauf verwiesen, dass es
gilt, Existenzen zu sichern und neue Existenzen zu
schaffen. Meine Frage lautet deshalb: Worauf führen Sie
es zurück, dass allein in den letzten zwei Jahren in der
Bundesrepublik Deutschland 80 000 Betriebe in Konkurs gegangen sind und diese Zahl in letzter Zeit leider
wieder steigt und somit zu befürchten ist, dass es in diesem Jahr sogar einen neuen Konkursrekord in der Bundesrepublik Deutschland gibt?
Ich empfehle die Studie der Creditreform. Ihr kann
man entnehmen, dass die Gründe dafür sind: 75 Prozent
eigene Schuld, kein Controlling, keine Unternehmensplanung, zu einem großen Teil fehlendes Eigenkapital.
({0})
Unsere Maßnahmen zielen genau auf diese Punkte: Der
Beratungsetat wird entsprechend erhöht. Es gibt auch
verstärkt die Möglichkeit, Beteiligungskapital zuzuführen. Hinzu kommt, dass viele Banken in den letzten Jahren aufgrund ihrer eigenen Krise den Kredithahn zu früh
zugedreht und dadurch Zehntausende von Unternehmen
ruiniert haben, die eigentlich hätten überleben können.
Das habe ich in meiner Region immer wieder erlebt.
Jetzt, da die KfW und auch die Landesförderbanken zur
Unterstützung bereit sind, gibt es wieder Überbrückungsdarlehen und auch Kredite für Sanierungen.
Aber der Mittelstand muss sich auch Kenntnisse über
moderne betriebswirtschaftliche Instrumente aneignen.
Die Hosentaschenbuchhaltung hat ein Ende. Eine mittelfristige Finanzplanung gehört ebenfalls dazu. Man kann
nicht immer sagen, die bösen Rahmenbedingungen hätten den Mittelstand ruiniert.
({1})
Gerade als Handwerksfunktionär muss man sich auch
einmal an die eigene Nase fassen und fragen, wer vielleicht mit Schuld hat. Das sind nicht immer der Staat und
die Rahmenbedingungen. Man muss sich fragen, ob man
alles getan hat, was man heute für eine kaufmännische
Unternehmensführung braucht.
({2})
Meine Damen und Herren, zum Thema Beteiligung
gehört auch die Mitarbeiterbeteiligung. In Zukunft
werden wir Mitarbeiter in zunehmendem Maße ermutigen müssen, sich an den Unternehmen, in denen sie arbeiten, zu beteiligen. Hier besteht noch die Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Mitarbeiter
werden nicht dem reinen Shareholder-Value-Denken
verfallen, sondern gerade in Zuliefererbetrieben und in
ländlichen Regionen zur Stabilität ihrer Unternehmen
beitragen. Wir haben die Weichen in Richtung Wachstum des Sozialprodukts und nicht nur in Richtung Verteilung des Sozialprodukts gestellt. Es wird eine große
Aufgabe sein, nun eine neue Kultur der Selbstständigkeit
zu begründen. Dazu gehören die Qualifikation und die
notwendige Finanzierung.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einer
Branche Dank sagen, die sehr viel für unsere Arbeitsund Ausbildungsplätze tut, dem Tourismus. Sie hat in
den letzten Jahren weiß Gott einen großen Beitrag geleistet. Wir wünschen dem Tourismus, gerade dem
Deutschlandtourismus, durch die Weltmeisterschaft Erfolge. Ich danke dem Bundeswirtschaftsminister, dass
die Zuschüsse an die Deutsche Zentrale für Tourismus
stabil geblieben sind, sodass wir den Incoming-Tourismus entsprechend fördern können.
({3})
- Im letzten Jahr gab es in diesem Bereich einen Zuwachs an Ausbildungsplätzen. Ich denke, wir werden
hier auch in Zukunft vorankommen. Jedenfalls müssen
wir alles dafür tun, dass diese Branche ihren Beitrag leistet.
Zur Energiepolitik hat Wolfgang Clement alles gesagt. Aber ich warne Sie vor kurzatmigem Populismus,
wenn Sie meinen, jetzt über die Unternehmen herfallen
zu können. Sie kriegen die Prügel, die sie brauchen. Wer
Luftballonpreiserhöhungen ankündigt und sich dann,
wenn auf diese Luftballons geschossen wird, zurückzieht, der ist nicht sonderlich seriös. Grundsätzlich ist
aber klar: Wir werden die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Versorgungssicherheit und stabile Netze gewährleistet sind. Ich möchte das Geschrei hören, sollte
das eines Tages anders sein.
Es zeigt sich auch angesichts der Entwicklung im
Energiebereich, dass die Politik nach dem Motto „weg
vom Öl“ richtig war. Herr Brüderle, Ihre Rückkehr zur
Atomwirtschaft, ohne dass die Entsorgung gewährleistet
ist, bleibt ein alter Irrtum. Hören Sie endlich mit Ihrer
Atommeilerei auf! Wenn Sie den Dreck selbst zu sich in
die Pfalz nehmen, dann können wir miteinander reden.
Aber zu glauben, dass die Entsorgung in anderen Regionen stattfindet und Sie den Nutzen haben, das haut nicht
hin.
({4})
Die Stagnationskrise ist überwunden. Die Innovationen kommen voran. Sie wollen zwar, wie auch Professor
Sinn, Herr Milbradt und andere, Niedriglöhne einführen,
aber diesen Weg gehen wir nicht mit. Nein, dieses Land
soll eine hoch qualifizierte Volkswirtschaft sein und bleiben. Dazu gehören die Erneuerung der Bildungskette,
die Qualifikation, der Technologietransfer und nicht zuletzt der Ausbildungspakt. Denn unsere Zukunft hängt
davon ab, dass jeder junge Mensch in das Wirtschaftsleben integriert wird. Dafür schaffen wir mit Hartz IV die
Voraussetzungen. Erstmalig wird jeder junge Mensch ab
dem 1. Januar 2005 einen Rechtsanspruch auf eine Arbeit, eine Arbeitsgelegenheit, eine Ausbildung oder eine
Qualifikation haben. Helfen Sie dabei mit! Das ist die
beste Zukunftssicherung. Aber hören Sie mit Ihrem Pessimismus auf!
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
20 Minuten Ludwig Stiegler haben zwar einen großen
Unterhaltungswert, aber leider wenig Inhalt.
Seit sechs Jahren erleben wir jedes Jahr im September
dasselbe Trauerspiel:
({0})
In einer unwahrscheinlichen Dreistigkeit wird uns ein
Fantasieprodukt unter die Nase gehalten, von dem wir
wissen, dass es das Papier, auf dem es gedruckt ist, nicht
wert ist.
({1})
Alle sechs Jahre legen Sie Zahlen zugrunde, die sich
nicht halten lassen, und jedes Mal wissen Sie, dass Sie
vor einem Haushaltsfiasko stehen. Sie bringen keinerlei
Ideen, wie Sie den Haushalt wieder in die richtige Richtung lenken können, wie Sie die Staatsschulden in den
Griff bekommen wollen, wie Sie die Ausgaben unter
Kontrolle bekommen wollen und wie Sie wenigstens
mittelfristig die Finanzen des Staates auf eine seriöse,
solide und berechenbare Grundlage stellen wollen.
Das allergrößte Defizit Ihrer Haushaltsplanung ist der
Vertrauensverlust, den Sie verursachen,
({2})
der Vertrauensverlust bei der Bevölkerung und auch bei
den Unternehmen vor Ort.
({3})
Sie wissen ganz genau, dass dieser Vertrauensverlust der
größte Wachstumskiller ist, den wir haben. Auch wenn
Herr Eichel sich hier hinstellt und sagt, das wäre die
Konsolidierung - von dieser Regierung wird keine Konsolidierung betrieben. Das zeigt die Tatsache, dass es allein 26 Milliarden Euro Mehrausgaben gegenüber 1998
gibt.
Wenn man sich andere Länder anschaut, Irland, Spanien, Dänemark oder Finnland, stellt man fest: Diese
Länder haben es geschafft, in der Krise mit dem Sparen
anzufangen, und zwar mit Erfolg. Sie haben gezeigt,
dass es keine Diskrepanz gibt zwischen Sparen und
Wachstum. Wir haben ein anderes Problem mit dem
Sparen, nämlich bei unserer Bevölkerung. Warum spart
unsere Bevölkerung, warum wächst unsere Sparquote?
Das ist ein Angstsparen aufgrund der Politik, die Sie
praktizieren. Die Sparquote kann nicht sinken, solange
die Menschen nicht wissen, wie Sie in der Zukunft für
die Schulden des Staates aufkommen wollen, und solange sie das Gefühl haben, dass Sie die Zukunft ihrer
Kinder verfrühstücken: mit Ihrer Schuldenmacherei,
durch das Verscherbeln des letzten Tafelsilbers
({4})
und durch Ihren fehlenden Sparwillen. Sie machen wirklich eine Politik nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“.
({5})
Von Nachhaltigkeit, die Sie immer wieder anzubringen versuchen, findet man in Ihrer Politik, durch alle
Ressorts hindurch, nicht das Geringste.
({6})
Unsere Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.
Immer mehr Unternehmen verlassen fluchtartig das
Land. Wieso wollen denn inzwischen 43 Prozent der
Unternehmen abwandern? 2003 waren es erst 38 Prozent. Was kam denn bei der Umfrage des DIHK heraus?
Ausländische Standorte stellen also zunehmend
eine echte Alternative zur heimischen Produktion …
dar.
Das ist die Realität. Das kann man doch nicht leugnen.
Es ist nicht mehr wie früher, als es nur die Großindustrie
war, die ins Ausland gegangen ist. Inzwischen sind es
die kleinen und mittleren Betriebe, die die Flucht ergreifen, um wirtschaftlich überleben zu können.
Deutschland ist wegen seiner Sozialbeiträge eines
der teuersten, wenn nicht sogar das teuerste Produktionsland der Welt. Die Kostendifferenzen betragen bis zu
80 Prozent. Der Satz, den man früher immer im Mittelstand gesagt hat - „lebenslang Deutschland“ -, gilt
schon lange nicht mehr.
Unser Problem ist ein ganz anderes: Wir haben eine
neue Art der Verlagerung. Inzwischen sind es die kapital- und wissensintensiven Unternehmensteile - Verwaltung, Forschung, Entwicklung -, die ins Ausland gehen.
In der Elektrobranche, in der chemischen Industrie, im
Maschinenbau wird zukünftig in Breslau und in Bratislava entwickelt, geforscht und investiert, nicht mehr in
Baden-Württemberg und Berlin, wie es vorher gewesen
ist. Die Folge ist, dass hier immer mehr Arbeitsplätze
gestrichen werden, dass Arbeitsplätze nicht mehr hier
geschaffen werden, sondern in Polen, Tschechien und
Ungarn. Wir werden es erleben, dass allein dieses Jahr
50 000 neue Arbeitsplätze im Ausland geschaffen werden, und zwar von deutschen Unternehmen. Das bedeutet netto einen Beschäftigungsverlust für Deutschland.
Das ist das, was uns zu denken geben sollte. Unser betonierter, überregulierter Arbeitsmarkt schafft es nicht, die
verlagerten Arbeitsplätze durch neue zu ersetzen; dieses
Problem müssen wir angehen.
({7})
Herr Stiegler, Sie können sich hier hinstellen und
nochmals das Hohelied des Exportweltmeisters bringen.
Exportweltmeister kann man auch ohne Wertschöpfung
sein.
({8})
Es stimmt nicht, dass die Wertschöpfung bei uns zunimmt. Nehmen Sie allein die Automobilindustrie: In
der Automobilindustrie haben wir in Deutschland inzwischen nur noch eine Wertschöpfung von 20 Prozent.
({9})
Wir verlieren nicht nur Fertigungstiefe, wir haben
auch das weitere Problem, dass hier nicht mehr so investiert wird wie früher. Inzwischen sind die Auslandsinvestitionen unserer Unternehmen genauso hoch wie die
Investitionen hier in Deutschland. Wie Umfragen ergeben haben, verschieben 40 Prozent aller kleineren und
mittleren Unternehmen ihre Investitionen. Zudem halten
sie Investitionen in einer Höhe von 15 Prozent des
Jahresumsatzes zurück. Rechnen Sie das einmal gesamtwirtschaftlich hoch! Investitionen in Höhe von 15 Prozent des Jahresumsatzes werden zurückgehalten. Das bedeutet längerfristig, dass die Wachstumsrate um
5 Prozent niedriger ausfällt. In unserer jetzigen Situation
würden wir uns die Finger lecken, wenn wir eine solche
Steigerung hätten. Das ganz große Problem ist: Wo sind
Ihre Antworten auf diese wirklich drängenden Fragen?
({10})
Herr Stiegler, um die Haushaltslöcher zu stopfen, tun
Sie etwas, bei dem Ihnen das Herz bluten müsste. Unser
bester Mittelstandstopf, den wir seit vielen Jahrzehnten
haben, das ERP-Sondervermögen, wird für 2 Milliarden Euro cash an die KfW weggegeben, sozusagen verschenkt. Das Eigenkapital dieses Mittelstandstopfes beträgt 12,7 Milliarden Euro. Seine Bilanzsumme beläuft
sich auf 32,9 Milliarden Euro. Ein solches Vorgehen ist
gesetzlich eigentlich gar nicht zulässig, weil wir ein Substanzerhaltungsgebot bezüglich des ERP-Sondervermögens haben. Diese Mittel werden aber an die KfW fließen. Dadurch wird dieser Förderungstopf, der zentrale
Baustein der Mittelstands- und der Existenzgründungspolitik, 2 Milliarden Euro weniger enthalten.
Dieser Topf hat eine Erfolgsbilanz ohnegleichen: Allein seit 1949 wurden 111 Milliarden Euro zur Wirtschaftsförderung eingesetzt. Mit ihm wurden gut
8 Millionen neue Arbeitsplätze gefördert und wurde
dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. 1,7 Millionen Betriebe haben davon profitiert.
Frau Kollegin Wöhrl, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Barnett?
Ja.
Bitte schön, Frau Barnett.
Vielen Dank, Kollegin Wöhrl. Sie singen hier das Hohelied des Arbeitsplatzabwanderns und sagen, dass nicht
abgebaut, sondern alles vernichtet wird. Ich nehme an,
dass Sie die KfW nicht als einen Klickerverein, sondern
als eine Institution betrachten, deren Arbeit auf fundierten Daten beruht.
({0})
- Ach so, ob sie richtig oder falsch arbeitet, hängt davon
ab, wer gerade an der Regierung ist. Ich verstehe.
Wie stehen Sie zu der Aussage, die in der Septemberausgabe des „Wirtschaftsbarometers“, herausgegeben
von KfW-Research, steht? Ich zitiere:
Die im Juli von der KfW-Bankengruppe geförderten Mittelständler wollen im Gefolge des finanzierten Investitionsprojekts ihre Arbeitsplatzzahl um
5,9 Prozent erhöhen, genauso viel wie im Monat
zuvor.
({1})
Gut, Sie müssen natürlich auch sagen, in welchem
Bereich erhöht werden soll. Wenn Sie sich die DIHKUmfragen, die Kammerumfragen und viele andere Umfragen anschauen, dann erkennen Sie, dass es im Moment vor allem im industriellen Bereich einen immensen
Arbeitsplatzabbau gibt.
Unser ganz großes Problem momentan ist, dass unser
industrieller Bereich schrumpft, während andere Länder,
die die gleichen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingen
wie wir haben, ihre Industriebereiche ausbauen. Ohne
die Industriebereiche werden aber auch die Dienstleistungsbereiche nicht wachsen, sodass dort keine weiteren
Arbeitsplätze entstehen. Deswegen bezweifle ich die
hier angeführte Aussage, dass das für alle Bereiche zutrifft.
Der Kollege Hinsken hat vorhin die Zahl der Insolvenzen angesprochen. Diese werden in diesem Jahr auf
über 40 000 wachsen. Damit ist der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. Daran sehen wir, dass es keinen Arbeitsplatzaufbau gibt. Wie könnte es sonst sein, dass wir
innerhalb von zwei Jahren über eine Million weniger Beschäftigte haben
({0})
und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten jeden Tag um 1 600 sinkt? Die Zahlen würden ja nicht stimmen, wenn in diesem Bereich ein Arbeitsplatzzuwachs gegeben wäre.
({1})
Lassen Sie mich auf unseren Mittelstandstopf zurückkommen. Diesen Topf, der unabhängig vom Haushalt
existiert und den wir immer als etwas ganz Wertvolles
und Wichtiges gehütet haben, entziehen Sie dem Einfluss des Parlaments. Das Parlament kann zukünftig
nicht mehr über die Programme zur Mittelstandsförderung entscheiden. Es kann nicht mehr - darüber haben
wir bisher entscheiden können - den Nachteil des Mittelstands gegenüber den Großunternehmen, die von den
Banken immer leichter Geld bekommen als die kleinen
Unternehmen, ausgleichen, weil Sie in einem Jahr kurzfristig Ihre Haushaltslöcher stopfen wollen. Sie singen
zwar immer das Hohelied des Mittelstands, aber bei den
Fakten versagen Sie kolossal.
({2})
Da Sie von den Energiepreisen gesprochen haben,
möchte auch ich dieses Thema aufgreifen. Der Energiepreis ist nicht irgendeine Variable der Volkswirtschaft.
Er ist ein immens wichtiger Standortfaktor, mit dem unheimlich viele Arbeitsplätze verbunden sind. Es ist für
mich schon erstaunlich, mit welch populistischem Pathos die Preistreiberei einiger Stromkonzerne - es sind ja
nicht alle - vollkommen zu Recht angeprangert wird. Es
ist wirklich unverschämt, sozusagen am Vorabend der
Regulierung noch einmal richtig Kasse zu machen. Ich
glaube, auch Sie, Frau Hustedt, stimmen mir da zu. Aber
wäre das Wirtschaftsministerium in der Lage gewesen,
die EU-Richtlinie rechtzeitig umzusetzen, nämlich bis
zum 1. Juli eine Regulierungsbehörde einzurichten,
wäre das gegenwärtige Vakuum gar nicht erst entstanden.
({3})
Noch etwas muss man sehen: Es ist schamlos, in diesem Zusammenhang den Versuch zu unternehmen, zu
verschleiern, wie diese Regierung dazu beigetragen hat,
dass sich die Energiepreise in den letzten sechs Jahren
erhöht haben. Allein für die Kunden waren das
40 Prozent; denn 40 Prozent des Strompreises hat die
Politik zu verantworten. Die 2,3 Milliarden Euro, die der
Verbraucher 1998 an den Staat, nicht an die Energieversorgungsunternehmen zahlen musste, sind inzwischen
auf 12,3 Milliarden Euro im letzten Jahr gestiegen. Über
die Benzinpreise, bei denen über 18 Milliarden Euro
über die Ökosteuer abkassiert werden, will ich überhaupt nicht reden. Es gäbe noch viele andere Beispiele.
Immer nur auf den anderen zu zeigen, um nicht selbst
die Verantwortung zu übernehmen, ist die falsche Politik.
In unserem Land leben 82 Millionen Menschen, davon 26,4 Millionen Sozialversicherungspflichtige, denen
über 20 Millionen Rentner gegenüberstehen. Die Zahl
der registrierten Arbeitslosen beträgt 4,5 Millionen. Wie
viele es in Wirklichkeit sind, darüber möchte ich gar
nicht erst mutmaßen. Statistikänderung lässt grüßen!
Das bedeutet, dass de facto jeder Beschäftigte inzwischen seinen eigenen Transferbezieher hat, den er aus
seinem Arbeitseinkommen mitfinanziert. Das Missverhältnis zwischen denen, die mit ihrer Arbeit durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zum Wohlstand aktiv beitragen, und denen, die die Wertschöpfung
konsumieren, wird immer größer.
Ich habe vorhin schon angesprochen, dass bei uns die
Zahl der Beschäftigten rückläufig ist, während es europaweit einen Zuwachs an Beschäftigung von 0,25 Prozent gibt. Dadurch kommen wir in die Situation, dass die
Sozialbeiträge unter Druck geraten. Niemals in der deutschen Geschichte ist der Faktor Arbeit mit derart hohen
gesetzlich fixierten Lohnzusatzkosten so verteuert worden wie unter Rot-Grün. Das ist ein Fakt. Auf den Jobfloater und die anderen falschen Subventionen, die auf
den Weg gebracht wurden, will ich gar nicht näher eingehen. Man muss sich das aber einmal vorstellen:
72 000 Euro pro Arbeitsplatz für den Jobfloater. Ein
PSA-Arbeitsplatz wird mit 38 000 Euro pro Jahr subventioniert. - Angesichts dieser Zahlen fragt man sich
schon: Wird hier das Geld richtig angelegt? Wie Sie sich
vorstellen können, bezweifeln wir das.
({4})
Die Wahrheit ist - das wissen Sie -, dass man in unserem Land mit Ende vierzig nur sehr schwer eine Arbeit
findet und dass die 1,7 Millionen Langzeitarbeitslosen
von Maßnahme zu Maßnahme gereicht werden, ohne je
wieder einen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz zu bekommen. Über 50 Milliarden Euro geben wir in diesem
Land inzwischen für die Arbeitslosigkeit aus, fast die
Hälfte davon für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen.
Frau Kollegin Wöhrl, bitte.
Kein Land auf der Welt - danke, Herr Präsident - betreibt mehr aktive Arbeitsmarktpolitik als wir und kein
Land ist so erfolglos wie wir. Das kann man nur damit
begründen, dass von Rot-Grün bei der Arbeitsmarktpolitik und in vielen anderen Bereichen ein falscher Weg
eingeschlagen worden ist. Man versucht immer, den Kuchen zu verteilen, der vorhanden ist, aber man versucht
nie, den Kuchen zu vergrößern. Man geht Arbeitsmarktreformen nicht an,
({0})
man bringt kein modernes Kündigungsschutzgesetz auf
den Weg, man fördert den Niedriglohnsektor nicht ({1})
Frau Kollegin Wöhrl, bitte.
- und viele andere Dinge mehr.
({0})
Arbeit ist vorhanden, aber sie ist nicht bezahlbar, Herr
Stiegler. Die Schattenwirtschaft mit einem Volumen von
400 Milliarden Euro spricht für sich.
Wir haben ein Problem, wir haben eine Verunsicherung, die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Die
Hoffnung braucht Träger und die sind Sie ganz bestimmt
nicht.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die hochverehrte Frau Wöhrl hat gerade das
Wort Angstsparen gebraucht. Wenn man eine Rede wie
die Ihre hört, dann kommt Angstsparen erst richtig auf.
({0})
Das ist doch logisch. Sie machen nichts anderes, als Ihre
Redezeit mit Aussagen darüber zu füllen, wie mies und
elend es in Deutschland ist.
({1})
Wer dies an den Fernsehschirmen hört, der muss denken,
er sei der letzte Idiot, wenn er überhaupt noch einen
Euro ausgibt. Das ist die Wirkung Ihrer Reden. Ich bitte
Sie, in einer ruhigen Minute - das müssen Sie nicht jetzt
tun - darüber einmal nachzudenken.
({2})
Wir haben eine Haushaltsdebatte. Dazu haben Sie
auch eine Bemerkung gemacht. Darauf will ich kurz ant-
worten. Ich habe mir die Reden gestern und vorgestern
angehört, auch das, was Sie gesagt haben. Ich stelle Fol-
gendes fest: Sie werfen der Regierung a) vor, sie gebe zu
viel aus, und Sie werfen ihr b) vor, sie gebe zu wenig
aus, zum Beispiel für Investitionen. Das ist ein bisschen
widersprüchlich, aber Sie und auch Herr Austermann haben bislang keine Sparliste vorgelegt, auf der steht, wo
die Union einsparen will. Der einzige Vorschlag ist die
Einsparung von 5 Prozent nach der Rasenmähermethode
von Herrn Stoiber. Ich bin mir sicher, dass niemand von
Ihrer Fraktion diese Forderung in der letzten Konsequenz durchhält, weil wir sonst bei entscheidenden Zukunftsinvestitionen sparen müssten. Das heißt, Sie erheben Kritik, haben aber in diesem Parlament in keiner
Weise gesagt, wie Sie das insgesamt machen wollen.
Deswegen ist die Kritik billig und in der Weise auch
nicht zu rechtfertigen.
({3})
Herr Merz, ich will etwas zum Standort Deutschland sagen, weil Sie darauf eingegangen sind. Es ist
doch völlig klar, dass wir positive Seiten haben und dass
wir noch Schwächen haben. Nur in diesem Bewusstsein
kann man eine vernünftige wirtschaftspolitische Debatte
führen. Lasst uns zu unseren Stärken stehen und lasst
uns an unseren Schwächen arbeiten!
Ich will zwei Punkte aufgreifen, weil Frau Wöhrl gesagt hat, wir hätten keine Arbeitsmarktreform. Erstens.
Frau Wöhrl, der Chefökonom der Allianz, Michael
Heise, hat vor zwei Wochen in den Medien gesagt, mit
diesen Reformen, die wir gerade machen, nämlich
Hartz IV und den anderen Hartz-Gesetzen, würden wir
die Beschäftigungsschwelle in Deutschland, die bei einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent liegt, auf 0,8
bis 1 Prozent senken können. Das heißt, in einiger Zeit
kann es gelingen, dass wir bei viel geringerem Wachstum als in der Vergangenheit neue Jobs schaffen. Sie
aber stellen sich hier frohgemut, wie Sie nun einmal
sind, hin und sagen, uns fehle eine Arbeitsmarktreform.
Gehen Sie doch nach München und informieren Sie sich,
wie das dort gesehen wird!
Zweitens. Lesen Sie das Augustheft der Deutsche
Bank Research. Darin werden klare Prognosen für den
Standort Deutschland gemacht. Danach steigen die Ausrüstungsinvestitionen im Jahr 2004 um 3 Prozent und
im Jahr 2005 um 6,5 Prozent. Das heißt, wir haben bei
einem entscheidenden ökonomischen Indikator, den die
Ausrüstungsinvestitionen darstellen, einen Zuwachs. Die
Gesamtinvestitionen inklusive Bau wachsen - so die
Aussage - im Jahr 2004 um 3 Prozent und im Jahr 2005
um 4,5 Prozent. Eine weitere Zahl aus dieser Untersuchung betrifft die Lohnstückkosten, Herr Merz. Diese
sind vom Jahr 2000 bis heute im EU-Raum ohne
Deutschland um 9,25 Prozent gestiegen, in der Bundesrepublik im selben Zeitraum um 2,25 Prozent. Das heißt,
beim entscheidenden Indikator für das produzierende
Gewerbe haben wir durch die Kombination einer guten
Lohnentwicklung und Produktivitätssteigerungen eine
positive Entwicklung. Dieses muss man an der Stelle der
Debatte auch einmal sagen.
({4})
Sie versündigen sich am Standort Deutschland, wenn
Sie aus politischem Kalkül heraus die Zahlen nicht zur
Kenntnis nehmen wollen. Deswegen will ich sie hier in
aller Deutlichkeit nennen.
Nachdem ich gestern Frau Merkel und andere aus der
Union gehört habe, habe ich folgenden Eindruck: Sie sagen, die Reformen müssten schon sein. Sie stehen zu
Hartz; denn Sie wissen genau, dass diese Reformen notwendig sind, damit in Deutschland wieder mehr Beschäftigung entsteht. Das heißt, die Reformen nehmen
Sie gerne in Kauf, Sie wollen aber dafür sorgen, dass die
Stimmung in Deutschland schlecht bleibt. Die Strukturreformen soll die Regierung machen und die schlechte
Stimmung heizen Sie aus billigem politischen Kalkül an.
Ich kann Ihnen nicht ersparen, hier ganz klar darauf hinzuweisen. Anders kann man die Doppelstrategie ja nicht
erklären: Milbradt mosert in Sachsen und will am
Montag demonstrieren und Sie sagen hier im Parlament,
dass Hartz IV notwendig ist. Die schlechte Stimmung
soll verstärkt werden. Aber das Positive, was die Regierung leistet, sacken Sie schon einmal ein; denn man kann
ja vernünftigerweise nicht dagegen sein. Das ist eine
doppelzüngige, scheinheilige Politik, die die Union hier
macht. Sie macht diese Politik zulasten der Arbeitslosen;
denn die Schlechtrederei, die Sie hier betreiben, Frau
Wöhrl - Sie reden das Kaputtsparen ja herbei -, geht natürlich zulasten der Arbeitslosen. Es ist doch völlig klar,
dass die Situation auf dem Binnenmarkt schlecht aussieht und dass wir sie verbessern müssen.
({5})
Herr Merz und Frau Wöhrl haben beide das Argument
gebracht, unsere Exportstärke sei im Wesentlichen eine
Basarökonomie, das heißt, wir hätten gar nicht die Wertschöpfung, die in der Bundesrepublik notwendig wäre,
da wir anderswo vorproduzieren ließen. Herr Merz, die
Betrachtung, die Sie da angestellt haben, ist falsch.
Schauen Sie sich das in den einzelnen Branchen einmal
an. Wir haben in der Automobilindustrie ganz klar und
eindeutig mehr Arbeitsplätze, weil wir in Billiglohnländern vorproduzieren.
({6})
Das können Sie jederzeit feststellen. Dass der Produktionswert und die Wertschöpfung nicht gleich laufen und
dass es da eine Lücke gibt, hat ganz andere Gründe, die
zum Beispiel mit Statistik zu tun haben. Da viele Betriebe in Deutschland ihre Dienstleistungskomponenten
und die produktionsnahen Dienstleistungen ausgelagert
haben - und zwar im Binnenmarkt -, steigt die Wertschöpfung in diesen Bereichen nicht mehr; sie steigt aber
natürlich bei den ausgelagerten Firmen. Herr Merz,
schauen Sie sich, ehe Sie das Argument von Herrn Sinn
wiederholen, noch einmal in Ruhe an, wie sich in
Deutschland die Dienstleistungen - auch die produktionsnahen Dienstleistungen - entwickelt haben. Dann
kommen Sie, glaube ich, zu einem anderen Urteil. Aber
Sie wollen politisch ja etwas anderes erreichen.
Auch die Exportstärke Deutschlands - wir können sagen, das ist ein aktives Pfund unserer Wirtschaft - soll
schlecht geredet werden. Ihr Argument ist natürlich:
Auch die gesteigerte Wertschöpfung bei den ausgelagerten Unternehmen taugt nichts; denn sie sind ja nur vorgelagert. Da liegen Sie falsch. Noch einmal, Frau Wöhrl:
In der Automobilindustrie ist es anders, in der chemischen Industrie ist es anders; bei der Elektrotechnik hat
Herr Merz Recht; beim Maschinenbau hat er wiederum
nicht Recht, vor allem weil der Maschinenbau mittelständisch geprägt ist und deswegen Wertschöpfung und
Produktionswert nicht so auseinander laufen.
Jetzt komme ich zum Abschluss zu der Diskussion
über die Energiepolitik, die Sie aufgemacht haben. Frau
Hustedt wird dazu nachher noch einiges ausführen. Ich
will Ihnen nur sagen: Die Polemik von Herrn Merz, die
wir gehört haben, es liege alles nur am ErneuerbareEnergien-Gesetz und an der Energiepolitik, ist wirklich
Kappes. Im letzten Jahr hat die Menge des eingespeisten
Stroms aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland
nicht zugenommen. Dennoch sagt RWE, dass die Kosten
steigen würden und man jetzt so unsittliche Preiserhöhungen machen müsse. Ich glaube, diese Tour zieht einfach nicht. Eine Betrachtung der Zahlen gibt das nicht
her, was Sie da darstellen.
({7})
Im Übrigen, Herr Merz, müssten Sie einmal erklären,
warum die Ministerpräsidenten der Länder dem Erneuerbare-Energien-Gesetz im Bundesrat zugestimmt haben,
oder Sie müssen den Wählerinnen und Wählern erklären, ob Sie es abschaffen wollen. Ganz konkret: Wollen
Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen? Dann
sagen Sie es ganz deutlich! Sagen Sie dann auch den
130 000 Menschen, die in diesem Bereich seit 1998 neue
Arbeitsplätze gefunden haben, dass Sie das Gesetz abschaffen möchten. Das wäre doch eine interessante Botschaft aus einer solchen Debatte: Der Großökonom Merz
will 130 000 Arbeitsplätze in der Wind- und Solartechnik gefährden. Prost Mahlzeit, Herr Merz, da haben Sie
eine tolle Aussage geliefert!
({8})
Ich muss zum Schluss kommen und will noch darauf
hinweisen, Herr Minister, dass wir, auch wenn vieles positiv läuft, mit den Befunden beim Bürokratieabbau
nicht zufrieden sind. Nach der Studie der Weltbank müssen wir uns nach meiner Überzeugung noch einmal hinsetzen und die Frage stellen, in welchen Bereichen wir
zusätzlich etwas erreichen können. Ich finde, dass wir
darauf umgehend reagieren sollten. Der Masterplan ist
zwar in Ordnung. Aber angesichts der jetzt vorliegenden
Daten sollten wir uns erneut fragen, was wir darüber hinaus noch tun können. Herr Brüderle hat Recht: Das
Ganze hat viel mit einer Föderalismusreform zu tun. Ich
meine, dass es des Schweißes der Edlen wert ist, sich darum zu kümmern.
Damit komme ich zum Schluss.
Aber jetzt ganz schnell!
Ich bin eigentlich schon am Schluss, aber nicht am
Ende.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Leider ist es schon Tradition geworden, dass uns
hier ein Haushalt vorgelegt wird, der das Jahr nicht überstehen wird. Das gilt auch für den Haushalt des Bundeswirtschafts- und -arbeitsministers. Sein eigenes Institut,
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB,
kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis - Herr
Clement, Sie hätten sich das heute Morgen um 6.50 Uhr
ausdrucken können -: Die neuen Daten bergen auch Risiken im Hinblick auf den erwarteten Jahresdurchschnitt
der Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II sowie bei
den vorgegebenen Budgets für Personal, Verwaltung und
Eingliederung sowie in der Kalkulation von Betreuungsschlüsseln und Pro-Kopf-Sätzen.
({0})
- Das ist fein. Vielen herzlichen Dank. Das werde ich
mir nachher durchlesen.
Ihr eigenes Forschungsinstitut sagt also, dass es allein
im Bereich des Arbeitslosengeldes II Risiken in Bezug
auf die Anzahl der betroffenen Personen und des benötigten Personals - wir wissen, dass es eine Aufblähung
der Bundesagentur für Arbeit geben wird - sowie andere
Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung gibt. In diesem Jahr sind in den Bundeshaushalt 5,2 Milliarden Euro für den Bundeszuschuss eingestellt. Das wird
nicht reichen, weil das Defizit schon im August
4,8 Milliarden Euro betrug. Aber Sie gehen in Ihrem
Haushaltsansatz für das kommende Jahr von einem Bundeszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aus. Das
ist nicht sonderlich realistisch, wenn wir ehrlich sind.
Herr Clement, ich habe die Sorge, dass Ihre Ansätze
im Endeffekt auch Auswirkungen auf die tatsächliche
Arbeitsmarktpolitik haben. Sie haben einen Haushalt
von 34,3 Milliarden Euro. Davon sind insgesamt
24,4 Milliarden Euro für die neue Grundsicherung, das
Arbeitslosengeld II, vorgesehen. Ein weiterer großer
Posten mit gut 1,7 Milliarden Euro sind die Steinkohlesubventionen. Wir diskutieren also in diesem Jahr - das
trifft auch auf die Haushalte in den vorangegangenen
Jahren zu - über einen Haushalt für Grundsicherung und
Steinkohlesubventionen, aber nicht über einen Haushalt,
der Impulse für neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum setzt und der die Chancen der Arbeitslosen
verbessern hilft, wieder in Arbeit zu kommen.
({1})
Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist der Haushalt
der Bundesagentur für Arbeit eigentlich viel interessanter. Er hat in diesem Jahr ein Volumen von 57 Milliarden Euro. Auf diesen Haushalt hat aber das Parlament keinen Zugriff.
({2})
Er wird aufgestellt vom Vorstand - das ist Herr Weise -,
festgestellt von der Selbstverwaltung - das ist Frau
Engelen-Kefer - und genehmigt von der Bundesregierung. 57 Milliarden Euro! Allein der Eingliederungstitel
liegt bei über 20 Milliarden Euro. Das ist fast so viel wie
der gesamte Haushalt des Bundesverteidigungsministers. Trotzdem hat das deutsche Parlament keinen Zugriff. Das ist ein Skandal. Wir brauchen dringend eine
Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik.
({3})
Eine Redemokratisierung muss mit einer Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Wir alle
wissen - das konnte man auch den Worten des Kollegen
Merz entnehmen -, dass die Bundesagentur für Arbeit,
die mit 90 000 Mitarbeitern versucht, 4,5 Millionen Arbeitslose zu vermitteln - das kann sie bestenfalls mehr
schlecht als recht -, überfordert sein wird, wenn sie zusätzlich die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und deren Bedarfsgemeinschaften betreuen soll. Deshalb haben
wir im Dezember letzten Jahres vereinbart - wir haben
das trotz unserer unerfüllten Wünsche mitgetragen -, zumindest den Kommunen, die sich das zutrauen, eine
Chance zum Optieren zu geben. Das haben Sie aber konterkariert, indem Sie in dem kommunalen Optionsgesetz
- das hat die FDP-Bundestagsfraktion als einzige abgelehnt - dafür gesorgt haben, dass bundesweit nur
69 Kommunen überhaupt die Chance erhalten, zu optieren. Statt einen Wettbewerb um die besten Vorschläge
zur Integration von Langzeitarbeitslosen zwischen
Bundesagentur und den kommunalen Trägern der Sozialhilfe in Gang zu setzen, haben Sie einen Wettbewerb
der Kommunen untereinander um die Chance kreiert
überhaupt optieren zu dürfen. Das ist mit Sicherheit der
falsche Weg.
({4})
Ich möchte jetzt auf Hartz IV eingehen. Nach einer
Umfrage von Infratest-dimap haben sich in den letzten
Tagen bundesweit 58 Prozent der Bevölkerung persönlich mit diesem Thema beschäftigt. Das ist also ein sehr
virulentes Thema. Ich sage ausdrücklich: Die FDP-Bundestagsfraktion war und ist für die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, weil es sinnvoll ist - das
haben wir schon vor Jahren beantragt -, zwei steuerfinanzierte Transferleistungen für den gleichen Sachverhalt zusammenzulegen. Es ist auch eine Frage der
Würde der Betroffenen, ob sie sich in Bezug auf ihre intimsten Daten vor zwei unterschiedlichen Behörden oder
nur vor einer entkleiden müssen. Aber da hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf.
Herr Kuhn hat sich hier hingestellt und von Doppelzüngigkeit und von Heuchelei gesprochen. Dazu möchte
ich anmerken, dass er, was den sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt angeht, Recht hat. Als wir im Vermittlungsverfahren gesagt haben: Hinzuverdienst muss sich
lohnen - nach unserem Konzept sollen 50 Prozent des
Hinzuverdienstes anrechnungsfrei gelassen werden -,
saß er dort mit einem Taschenrechner und hat uns entgegnet: Das ist zu teuer.
Aber auch die Grünen sind doppelzüngig und scheinheilig. Der grüne Verdi-Vorsitzende, Herr Bsirske, der
sich in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der
Lufthansa selbst bestreikt hat, heizt doch die Stimmung
in Ostdeutschland an. Herr Ströbele geht auf Montagsdemonstrationen, die von den ehemaligen SED-Kadern
missbraucht werden. Das müsste einen eigentlich wirklich zur Weißglut bringen. Natürlich muss man die
Ängste der Betroffenen aufnehmen. Erst jetzt lassen Sie
Ihre Propagandamaschine mit 11 Millionen Euro anlaufen. Das ist viel zu spät. Man hätte viel schneller informieren müssen und man hätte viel mehr dafür sorgen
müssen, dass die handwerklichen Fehler, die zu befürchten waren, nicht eintreten.
Sie haben vorhin als letzten Punkt den Rücklauf der
Anträge angesprochen. Vielleicht sind es in Ludwigshafen 40 Prozent. Sie sagten, in Leipzig seien es 4 Prozent.
Nach Auskünften der Bundesagentur sind bundesweit
bisher nur 10 Prozent der ausgegebenen Anträge zurückgekommen. Das bedeutet in der Konsequenz nicht nur
einen Antragsstau und Verwaltungsaufwand, sondern
auch, dass die EDV, die noch nicht getestet ist, nicht die
nötigen Daten hat, um sie tatsächlich im Echtlauf zu prüfen. Das heißt, dass es dort weitere Gefahrenpunkte gibt.
Wir müssen diese Reform, wenn sie denn nicht funktionieren sollte, zumindest verschieben. Denn wenn sie
nicht funktioniert, werden wir die Reformbereitschaft
der deutschen Bevölkerung auf Jahre hinaus verloren haben.
Herr Kollege Niebel.
Das ist ein ganz großes, staatsgefährdendes Risiko.
Das sollten Sie nicht eingehen, Herr Clement.
({0})
Es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Ja, gerne, selbstverständlich. Ich wäre ja sowieso fertig gewesen.
Sie waren fertig. Ich bitte Sie, nur die Frage zu beantworten und danach nicht in Ihrer Rede fortzufahren.
Jawohl.
Bitte schön, Frau Pau.
Es tut mir Leid, dass wir uns nicht schon vorher verständigen konnten.
Sie haben gerade noch einmal dargestellt, dass Sie im
Prinzip für all die mit Hartz IV getroffenen Regelungen
- jenseits der Optionsregelung - sind. Außerdem haben
Sie aufgezählt, wer sich wie zu den Protesten verhält.
Ein Rätsel treibt mich seit meinem letzten Besuch in
Sachsen vor zwei Wochen um. Was meint Ihre Partei mit
den Wahlkampfplakaten in Sachsen, auf denen der Slogan „Herz statt Hartz“ steht?
Das kann ich Ihnen problemlos erklären, liebe Kollegin. Ich habe eben angeführt, dass die FDP im Rahmen
des Vermittlungsverfahrens, was die Möglichkeit, etwas
hinzuzuverdienen, anbetrifft, der Ansicht war: 50 Prozent des Hinzuverdienstes sollten anrechnungsfrei gelassen werden, damit - wie in Sonntagsreden immer wieder
gefordert - derjenige, der arbeitet, mehr in der Tasche
hat als derjenige, der nicht arbeitet.
({0})
Wir waren im Vermittlungsverfahren der Ansicht,
dass es nicht sein kann, dass derjenige, der sein Geld ein
Leben lang versoffen hat, besser dasteht als derjenige,
der Eigenvorsorge betrieben hat. Deswegen waren wir
der Ansicht, dass nachweislich für die Altersvorsorge
bestimmtes Kapital, zum Beispiel eine Lebensversicherung, die nach dem 60. Lebensjahr ausgezahlt wird, anrechnungsfrei bleiben muss.
({1})
- Herr Kuhn, Sie waren beim Vermittlungsverfahren leider nicht dabei; deswegen können Sie das nicht wissen.
Wir waren der Ansicht, dass es sinnvoll ist, für die
Ausbildung der Kinder vorzusorgen, und dass die entsprechenden Freibeträge deswegen höher sein müssen.
Wir waren diejenigen, die mit Herzblut dafür gekämpft
haben, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in den
Arbeitsmarkt zu kommen. Leider hatten wir im Vermittlungsverfahren nur eine Stimme. Das reicht manchmal
nicht.
Aber vom Grundsatz her ist diese Reform richtig und
notwendig. Alle die, die Panikmache betreiben, verhalten sich staatspolitisch in höchstem Maße gefährlich.
Das gilt ganz besonders für die PDS, für die NPD und
für die anderen Splittergruppen, die versuchen, die
Ängste der Menschen in Ostdeutschland zu instrumentalisieren.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Tenor der Reden der Opposition und die Konjunkturentwicklung stehen aus meiner
Sicht in diametralem Widerspruch.
Beispiel eins: Sie klagen über die fehlende Wirtschaftsdynamik. Die Realität: Gestern hat das Institut für
Weltwirtschaft seine Wachstumsprognose für dieses
Jahr auf 1,9 Prozent angehoben.
({0})
Beispiel zwei: Herr Glos jammert über den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft und über die Standortverlagerung deutscher Unternehmen. Die Realität: Die Direktinvestitionen nach Deutschland waren in 2002 netto
mit gut 29 Milliarden Euro und im letzten Jahr mit gut
9 Milliarden Euro im positiven Bereich. Das heißt, das
ausländische Kapital kommt nach Deutschland. Dahinter
steht auch: Das Ausland nimmt wahr, dass Deutschland
auf Modernisierungskurs ist. Dafür steht diese Bundesregierung. Dafür steht diese Koalition. Miesmache,
meine Damen und Herren, schadet dem Land. Verunsicherung hemmt die Kauflust der Menschen. Sie dürfen
ruhig fröhlicher und mit größerer Zuversicht durch das
Land ziehen. Damit helfen Sie den Menschen mehr als
mit Ihrer dauernden Miesmacherei.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Brüderle?
Bitte, Herr Brüderle.
Herr Kollege Brandner, können Sie mir darin zustimmen, dass Ihnen ein Fehler unterlaufen ist? Das Kieler
Institut hat seine Wachstumsprognose, wie ich vorhin
ausführte, von 1,9 Prozent auf 1,2 Prozent zurückgenommen. Wenn Sie mir das nicht glauben: Ich habe einen schriftlichen Beleg dabei.
({0})
Herr Brüderle, die Institute insgesamt - nicht nur das
Kieler Institut - haben die Wachstumsprognosen in den
letzten Wochen und Monaten eher angehoben als nach
unten korrigiert.
({0})
Insofern ist in diesem Land mehr Zuversicht angesagt.
Darauf sollten wir auch bauen.
Ich finde es wichtig, dass eine Partei wie Ihre, die sich
als wirtschaftsnah versteht, dabei mithilft, nicht nur
positive Stimmung in diesem Land zu verbreiten, sondern auch die positiven Fakten zu nennen, weil das am
ehesten dazu beiträgt, dass sich die Wirtschaft positiv
entwickelt.
({1})
Zur Verunsicherung haben wir aus meiner Sicht keinen
Grund.
Es ist bedauerlich, dass insbesondere führende Persönlichkeiten der CDU/CSU massenhaft zur Verunsicherung in diesem Land beitragen. Herr Milbradt ist mehrfach erwähnt worden. Erst stimmt er dem Hartz-Gesetz
zu, wie wir alle wissen, dann will er von alledem nichts
mehr wissen und dann lässt er auch noch offen - um das
klar zu sagen -, ob er Arm in Arm mit der PDS und der
NPD, mit den Populisten also, bei den so genannten
Montagsdemonstrationen mitmacht.
({2})
Das zeigt nur, wie Verantwortungslosigkeit und böse
Stimmungsmache zusammenkommen. Das ist etwas,
was wir aufs Schärfste verurteilen.
({3})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte.
Ich würde sagen: Das sollte ein bisschen zurückhaltender geschehen. Der Kollege kommt gar nicht zu seiner Rede. - Bitte, Herr Kollege Bergner.
Herr Kollege, da Sie so auf den Kollegen Milbradt
schimpfen und auf seine angebliche Bereitschaft, bei den
Demonstrationen mitzulaufen, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie es eigentlich, dass bei der so genannten Montagsdemonstration in Halle in der letzten Woche Ottmar
Schreiner Chefredner war, dass das, was er gesagt hat,
keinesfalls eine Loyalitätsadresse an Ihre Politik gewesen ist und dass diese Montagsdemonstration maßgeblich von einem Hallenser Sozialdemokraten organisiert
wird? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass Sie erst
einmal vor der eigenen Tür kehren sollten, ehe Sie ostdeutsche Ministerpräsidenten kritisieren?
({0})
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, meine Kritik richtet
sich in allererster Linie an diejenigen, die in diesem
Land zur Unglaubwürdigkeit und zur Verunsicherung
dadurch beitragen, dass sie in ihrem Auftreten nicht ehrenhaft sind. Gerade Herr Milbradt als Person
({0})
hat im Vermittlungsausschuss, im Bundesrat offensivst
ständig Verschärfungen der Hartz-Gesetze verlangt.
Er konnte an Schärfe kaum überboten werden. Dass sich
diese Person, die in Ihren Reihen durchgesetzt hat, dass
erhebliche Verschärfungen eingefordert worden sind, anschließend auf die Seite der Protestler schlägt und sagt,
mit denen könne sie gemeinsam gegen die Politik der
Bundesregierung demonstrieren, ist etwas, was ich verurteile und was ich als nicht charakterfest bezeichne.
({1})
Herr Schreiner - um es deutlich zu sagen - hat immer
gegen die Hartz-Gesetze gestimmt. Er ist offen aufgetreten. Wir sind eine demokratische Partei. Wir als SPD stehen mit großer Mehrheit geschlossen hinter dem Reformkurs. Diese Unterscheidung will ich ganz deutlich
machen.
({2})
- Herr Milbradt hat den Hartz-Gesetzen zugestimmt, lieber Abgeordneter Kampeter. Im Dezember hat Herr
Milbradt im Bundesrat den Gesetzen zugestimmt. Wir
haben im Juli dieses Jahres nichts anderes mehr beschlossen, als im Rahmen der Experimentierklausel die
Optionsmöglichkeit zuzulassen. Dem - um das ganz
deutlich zu sagen - hat Herr Milbradt nicht zugestimmt.
Insofern bitte ich hier einfach um Ehrlichkeit und Klarheit. Darum ging es mir. Das musste hier einmal gesagt
werden.
({3})
Jetzt möchte auch noch der Kollege Laumann eine
Zwischenfrage stellen.
Mit Blick auf die Uhr denke ich, dass mit Zwischenfragen jetzt Schluss sein sollte.
Eben dies wollte auch ich sagen. Ich werde auch
keine weitere Zwischenfrage außer dieser mehr zulassen.
({0})
Na gut.
Kollege Brandner, auch Sie haben ja jetzt in Ihrer
Rede wieder erwähnt, Milbradt und andere von der
Union - das ist ja zurzeit eine durchgehende Argumentation bei Ihnen ({0})
hätten Verschärfungen im Vergleich zu Ihren Vorstellungen in das Gesetz gebracht.
({1})
Deshalb möchte ich folgende Fragen stellen:
Ist es richtig, dass Rot-Grün bei Hartz I beschlossen
hat, den Freibetrag an Geldvermögen, den Arbeitslosenhilfebezieher behalten dürfen, von 500 auf 200 Euro
pro Lebensjahr herabzusetzen?
Ist es richtig, dass die B-Länder und unsere Fraktion
schon damals sehr stark dafür geworben haben, nicht Lebensalter, sondern Beschäftigungsjahre zu zählen, und
dass wir entsprechende Anträge in den entsprechenden
Ausschüssen des Deutschen Bundestages vorgelegt haben, wodurch höhere Vermögen hätten behalten werden
dürfen?
Ist es richtig, dass die von Ihnen gewählte Lösung
dazu führt, dass ein 55-Jähriger, der mit 44 Jahren nach
Deutschland gekommen ist, neun Jahre lang in einem
Beschäftigungsverhältnis stand und jetzt arbeitslos wird,
18 Monate Arbeitslosengeld beziehen kann und ihm der
höhere Vermögensfreibetrag für Ältere - Sie haben ihn
ja zur Schonung des Vermögens Älterer eingeführt - zugestanden wird, während ein Mensch, der mit 14 Jahren
in die Lehre gegangen ist, 31 Jahre lang Beiträge und
Steuern gezahlt hat, diesen Schutz bei Ihnen nicht hat?
Nachdem Sie die entsprechenden Anträge von uns, in
denen das geändert werden sollte, niedergestimmt haben, sollten Sie ein wenig vorsichtiger argumentieren
und nicht pauschal behaupten, wir hätten alles verschärft. Richtig ist - dazu stehen wir auch -, dass wir bezüglich der Zumutbarkeitsregelungen einen Vorschlag
aufgenommen haben, der aus dem Ministerium von
Herrn Clement kam. Nachdem er von Ihrer Fraktion verwässert worden war, haben wir da den ursprünglichen
Zustand wieder hergestellt.
({2})
Kollege Laumann, Sie brauchen gar nicht so laut zu
sprechen. Wir können jedes Argument Stück für Stück
zusammen durchgehen.
Das Erste ist, dass wir im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze, nicht erst jetzt im Zusammenhang mit Hartz III
und Hartz IV, sondern viel früher, die Freibetragsgrenze
für Arbeitslosenhilfebezieher von 520, nicht 500 Euro
pro Lebensjahr auf 200 Euro gesenkt haben. Zusätzlich
haben wir, ohne dass es einen entsprechenden Antrag
von Ihrer Seite gab, einen Vermögensfreibetrag von
200 Euro für die Altersversorgung eingeführt. Sie werden kein Beispiel anführen können, wo Sie in Ihren Anträgen höhere Freibeträge für die Betroffenen gefordert
haben, als diese rot-grüne Koalition schließlich durchgesetzt hat. Ich sage ganz klar: Wir sind bereit, hierfür jederzeit den Beweis anzutreten.
Zwischenzeitlich haben wir dadurch - und das wissen
Sie -, dass auch für jedes Kind ein Freibetrag in Höhe
von 4 100 Euro angerechnet wird, einen riesigen FreibeKlaus Brandner
trag vorgesehen, den Sie sich selbst in Ihren besten Zeiten nicht erträumt hätten. Sie können sich dieser Leistung nicht rühmen, weil wir die Vermögensfreibeträge in
dieser Größenordnung organisiert haben. Sie können,
wenn Sie übers Land ziehen, den Menschen nicht einen
einzigen verlässlichen Beleg vorzeigen, aus dem hervorgeht, dass Sie diejenigen gewesen wären, die das Schonvermögen vergrößert hätten. Sie haben es reduziert, Sie
haben es gekürzt und im Kern gefordert, dass im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe das Sozialhilferecht auf beide Gruppen, sowohl auf die Arbeitslosenhilfebezieher als auch auf die
Sozialhilfebezieher, angewendet wird.
({0})
Genau das bedeutet, dass es für Kinder nur einen Freibetrag von 256 Euro und für den Ehepartner nur einen
Freibetrag von 680 Euro und für den Haushaltsvorstand
einen Freibetrag von 1 556 Euro geben würde.
Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben, war
die Dauer der Versicherungsleistungen. Sie geben mir
damit die Gelegenheit, deutlich zu machen, dass es sich
hierbei um zwei Systeme handelt. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung besteht ein Versicherungssystem,
wobei letztlich die Versicherung für einen bestimmten
Zeitraum ein Risiko abdeckt.
({1})
In den Debatten der Vergangenheit haben Sie gesagt,
man müsste für die Dauer der Abdeckung dieses Risikos
vielleicht einmal andere Bemessungsgrundlagen einführen, also längere Versicherungszeiten anders bewerten.
Ihre Parteivorsitzende hat auf die Rede des Bundeskanzlers am 14. März letzten Jahres gesagt: Wir sind bereit,
den Versicherungszeitraum auf ein Jahr festzulegen,
nicht mehr. Im Gegensatz dazu hat die Koalition einen
besseren Vorschlag gemacht und eine Abstufung zwischen zwölf und 18 Monaten vorgenommen.
({2})
Dann zu dem, was Sie zur Ausdehnung der Versicherungsleistungen gesagt haben. Die Versicherungsleistungen waren ja wohl keine Wohltat, sondern Sie wollten
damit seinerzeit arbeitsmarktpolitisch korrigierend eingreifen und verhindern, dass von der IG Metall die Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt wird und die Vorruhestandsregelung zulasten der Versichertengemeinschaft
erfolgt. Das haben Sie unterstellt. Sie haben damit den
Prozess ausgelöst, dass in Deutschland massenhaft Frühverrentungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft
durchgeführt worden sind.
Ich dachte, wir wären einvernehmlich zu dem Ergebnis gekommen, diese Fehlsteuerung gemeinsam zu beenden. Das würde im Übrigen ein Stück weit das Vertrauen
in diesem Land fördern. Es wäre anständig gewesen,
wenn wir uns darauf gemeinsam verständigt hätten, eine
erkannte Fehlsteuerung, die so nicht mehr finanzierbar
und arbeitsmarktpolitisch so nicht gewollt war, zu durchbrechen.
Man kann sagen, was man will; es ist einfach so, dass
sich die Opposition einen schlanken Fuß machen will.
Herr Rüttgers ruft: Verschiebung um ein Jahr! Generalrevision! Ihr CDA-Bundesvorsitzender fordert einen
Vermögensanrechnungsfreibetrag von 1 000 Euro pro
Lebensjahr. Ich habe mich gefragt: Wann haben Sie das
jemals hier im Parlament beantragt? Herr Merz will den
Kündigungsschutz im Prinzip völlig abschaffen. Kollege Laumann sagt, über den Kündigungsschutz könne
man mit ihm reden, ebenso über das Schleifenlassen der
betrieblichen Bündnisse und der Tarifautonomie. In diesen Fragen ist man sich recht nahe, bei manchen Dingen
im sozialpolitischen Bereich nicht. Ich sage an diesem
Punkt gern, dass der Kollege Karl-Josef Laumann bezüglich der Umsetzung von Hartz IV in der Öffentlichkeit klare Worte gefunden hat, im Unterschied zu dem,
was er den Arbeitnehmern bei der Tarifautonomie und
dem Kündigungsschutz zumuten will.
Frau Wöhrl beklagt das mangelnde Ansparen; Kollege Kuhn hat schon etwas dazu gesagt. Wie soll denn
die Wirkung aussehen, wenn dauernd verunsichert wird?
Wer wird denn konsumieren, wenn eine Politik der Verunsicherung betrieben wird? Herrn Brüderle kann man
in der Richtung nur Recht geben, wenn er sagt, wir
müssten die Linie halten, Charakterstärke zeigen und die
Reformen durchführen. Aber wenn die Opposition in der
Öffentlichkeit so uneinheitlich auftritt und sich nicht mit
Ruhm bekleckert, dann kann in diesem Land kein Vertrauen für den notwendigen und von den im Bundestag
vertretenen Fraktionen ansonsten gemeinsam getragenen
Grundkurs geweckt werden, sondern dann muss Unsicherheit entstehen.
Unabhängig von dieser Verunsicherung - lassen Sie
mich das klar sagen - ist die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland positiv. Alle wichtigen Forschungsinstitute und internationalen Organisationen haben, wie
ich bereits angesprochen habe, ihre Schätzungen korrigiert; ein Wachstum von 2 Prozent ist gegebenenfalls
möglich. Die positiven Indikatoren will ich, Kollege
Brüderle, auch mit einigen anderen Fakten belegen.
Der Auftragseingang der Industrie lag im Juli dieses
Jahres um 3 Prozent höher als im Juni, die Industrieproduktion hatte im Juli eine Steigerung von 1,6 Prozent
gegenüber Juni zu verzeichnen und auch die Einzelhandelsumsätze sind in demselben Monatsvergleich um
1,1 Prozent gestiegen. Die Informations- und Telekommunikationsindustrie als Barometer für die Investitionsattraktivität rechnet in ihrem Bereich mit einem Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr und für das nächste
Jahr sogar mit einem Umsatzplus von 3,7 Prozent.
Der Aufschwung wird in den nächsten Monaten auch
neue Arbeitsplätze schaffen, wenn das Land nicht weiterhin mit solcher Wucht mit einer Verunsicherungsstrategie überzogen wird. Die Arbeitsmarktreformen - einige Vorredner haben es angesprochen - führen zu
einem kräftigeren Beschäftigungszuwachs, als es früher
bei einem Konjunkturaufschwung der Fall war. Alle
Experten gehen davon aus, dass die Beschäftigungsschwelle deutlich sinken wird und schon bei einem geringeren Wachstum arbeitsmarktpolitische Erfolge sichtbar und zählbar gemacht werden können.
Zu den Konjunkturrisiken gehört ohne Frage, dass die
hohe Abhängigkeit von der internationalen Entwicklung
und natürlich auch die von vielen angesprochenen hohen
Ölpreise im Auge behalten werden müssen. Als Grund
für die Ölpreisentwicklung kann man zum einen durchaus die zusätzliche Nachfrage aus China auf diesem
Markt angeben. Zum anderen ist die Preisentwicklung
aber auch ein Indikator für die Endlichkeit der Energien.
Im Kern ist es die Bestätigung dafür, dass wir unsere
nachhaltige Energiepolitik zugunsten der erneuerbaren
Energien und zugunsten des Einsparens von Energie
fortsetzen müssen. Wir müssen vorsorgen. Die Ölpreiserhöhungen sind zum großen Teil spekulativer Natur. Insofern ist es richtig, dass wir auf größere Unabhängigkeit in diesem Bereich setzen.
Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Es ist unverständlich, dass die großen Energieunternehmen in dieser
labilen Situation unverfroren Energiepreiserhöhungen
ankündigen. Auch Energieoligopolisten tragen eine Verantwortung für die Konjunktur. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Aktivitäten des Bundeskartellamtes in dieser Angelegenheit.
Der Standort Deutschland ist nicht so schlecht, wie
ihn so mancher Oppositionspolitiker, auch in der Haushaltsdebatte, darstellt.
({3})
- Ich möchte über die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit kein
Referat halten. Ich will nur sagen, dass es wirklich keine
glanzvollen Ergebnisse gab.
({4})
Genau das erleben wir jetzt von Unionspolitikern: Anstatt zu helfen, gemeinsam den notwendigen Kurs einzuschlagen - nämlich mehr Spielräume für Innovationen
zu erreichen -, wird die alte Leier angestimmt.
({5})
Die Zuwächse im Export zeigen die hohe Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit. Es ist im Übrigen
unsere tiefe Überzeugung, dass eine bessere Wettbewerbsfähigkeit nicht durch einen Lohnsenkungswettbewerb und durch einen radikalen Abbau der Arbeitnehmerrechte zu erreichen ist. Der Umbau wird am ehesten
gelingen, wenn sich das Investitionsklima noch weiter
verbessert, wenn es mehr öffentliche Investitionen gibt
und wenn mehr Effizienz auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten erreicht wird. Für mich ist klar: Deutschlands Stärke ist die Innovationskraft. Damit das so
bleibt, müssen wir bessere Produkte herstellen, effizientere Produktionsverfahren entwickeln und eine schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in den Unternehmen erreichen.
Mehr Investitionen - das ist ein weiterer Punkt - fehlen uns gerade im Bereich der Kommunen. Durch
Hartz IV eröffnen wir den Kommunen größere finanzielle Spielräume. Durch die Anhebung der Gewerbesteuerumlage wird die Finanzausstattung der Kommunen verbessert. Für den Abbau des Investitionsstaus der
Kommunen müssen aber nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Urbanistik in diesem Jahrzehnt insgesamt 685 Milliarden Euro veranschlagt werden.
Ein weiteres Stichwort ist ÖPP. Öffentlich-private
Partnerschaften sind sicherlich eine gute Möglichkeit,
zusätzliche Investitionen auf kommunaler Ebene schneller durchzuführen.
({6})
Internationale Erfahrungen bestätigen: Mit ÖPP können
öffentliche Leistungen früher, schneller und kostengünstiger bereitgestellt werden. Deshalb ist es sinnvoll - das
will ich ganz deutlich sagen -, dass der Aufbau von
Kompetenznetzwerken gefördert wird, wie er beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon in vorbildlicher
Weise erfolgt. An diesem positiven Beispiel sollte man
anknüpfen und dafür sorgen, dass diese Maßnahme in
der Fläche schneller umgesetzt wird und von diesem Instrument Gebrauch gemacht werden kann.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Deutschland
befindet sich in einem weit gehenden Modernisierungsprozess, den viele Nachbarländer schon längst hinter
sich haben. Große Veränderungen verunsichern viele
Menschen. Sie suchen Stabilität und glauben gern an die
Versprechungen so genannter Problemlöser. Alle demokratischen Kräfte haben in diesen Monaten die Aufgabe,
sachlich zu informieren. Wir müssen gemeinsam den
Spaltern und Brandstiftern entgegentreten. Dies müssen
wir tun, um auch die Glaubwürdigkeit der Politik zu bewahren. Das wird eine wichtige Aufgabe der nächsten
Wochen und Monate sein.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim
Fuchtel.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir, dass ich nach dieser Gesundbeterei
des Kollegen Brandner einige nüchterne Bemerkungen
zur Haushaltslage in diesem Land mache.
({0})
Dieser Haushaltsentwurf ist nach dem Motto aufgestellt: Nach uns die Sintflut. Normalerweise tun sich die
Haushaltslöcher am Ende eines Haushaltsjahres auf. Am
Anfang des Jahres werden die Haushaltslöcher versteckt.
Aber noch nicht einmal dazu ist die Regierung fähig. Die
Haushaltslöcher treten vielmehr offenkundig zutage; so
dramatisch ist die Haushaltslage in diesem Jahr.
({1})
Herr Minister Clement, in Ihrem Haushalt ist bereits,
gesetzlich definiert, eine Lücke von 2,8 Milliarden Euro
und prognostisch von 4,5 Milliarden Euro festzustellen.
Darüber sind sich alle Fachleute einig. Das sind 8 bzw.
13 Prozent Ihres gesamten Haushaltes. Ich kann dazu
nur sagen: Der Minister sitzt hier mit abgeschnittenen
Haushaltshosen.
({2})
Er hat kein Wort dazu gesagt, wie auch alle anderen von
der Koalition heute kein einziges Wort dazu gesagt haben, wie sie das Problem lösen möchten. Daran erkennen
wir, dass keine Kompetenz vorhanden ist. Wahrscheinlich versuchen Sie wieder, dieses Problem durch globale
Minderausgaben zu lösen. Aber davor kann im Wirtschaftsförderungsbereich - da bin ich mit dem Kollegen
Brüderle völlig einig - nur gewarnt werden.
Ihre heutige Rede lässt vermuten, dass Sie, Herr Superminister, noch keine Zeit gehabt haben, die von Ihren
tüchtigen Beamten zur Vorbereitung der Berichterstattergespräche verfassten Papiere zu lesen. Damit die Öffentlichkeit endlich einmal mitbekommt, wie groß der Unterschied zwischen dem ist, was in Ihrem Haus gedacht
wird, und dem, was Sie uns hier erzählen, möchte ich
exemplarisch den Kommentar der Beamten zu Seite 20
der Haushaltsvorlage zur globalen Minderausgabe für
das Jahr 2005 vortragen. Dort heißt es, zunächst bezogen
auf das Jahr 2004 - ich zitiere -:
Die Umsetzung dieser Einsparauflagen erforderte,
dass zu Jahresbeginn rd. 20 % der Ansätze mit frei
verfügbaren Mitteln nicht zur Bewirtschaftung
übertragen werden konnten. In der Konsequenz
konnten bereits veröffentlichte Förderaktivitäten
nicht oder zumindest nur verspätet begonnen werden.
Es heißt weiter:
Die politische Glaubwürdigkeit insbesondere in zukunftsorientierte Programmbereiche und Mittelstand hat dadurch gelitten.
Das schreiben Ihnen Ihre Beamten auf. So ist es. Da
glaubt doch niemand mehr an eine verlässliche Mittelstandspolitik.
({3})
Das ist eben der Unterschied zu dem, was eine bürgerliche Regierung machen würde. Eine bürgerliche Regierung würde diese psychologische Frage anders behandeln, mit der Folge, dass dann wieder mehr Vertrauen
entsteht und aus diesem Vertrauen ein Klima, in dem
wieder Arbeitsplätze entstehen. Das ist der Unterschied
zwischen Rot-Grün und dem bürgerlichen Lager in dieser Frage.
({4})
Ich zitiere weiter - jetzt wird es besonders wichtig -,
was Ihre Beamten - es sind gute deutsche Beamte; die
wissen, dass sie der Sache verpflichtet sind - schreiben:
Dieses Szenario wird sich 2005 möglicherweise
wiederholen.
Natürlich wird es sich wiederholen! Wenn Sie schon
jetzt eine Haushaltslücke in Höhe von 2,8 Milliarden
Euro haben und diese nicht stopfen können, dann werden Sie diese Verunsicherung weiter betreiben, mit der
Folge, dass im Mittelstand keine Arbeitsplätze entstehen. Man muss die Leute verstehen, die sich auf eine
solche Politik nicht verlassen.
({5})
Meine Damen und Herren, die rot-grüne Regierung
hat, seitdem sie im Amt ist, für Zuschüsse an die Bundesagentur und für die Arbeitslosenhilfe Schulden in
Höhe von 114,3 Milliarden Euro - das ist fast eine Viertel Billion D-Mark - gemacht. Aber sie bringt noch nicht
einmal die paar 100 Millionen Euro auf, die nötig sind,
um eine vernünftige Mittelstandsförderung zu betreiben.
Hier sieht man das Ungleichgewicht, das verändert werden muss. Wenn es verändert wird, dann tut sich auch
wieder etwas zum Wohle aller - und hoffentlich vor allem in Ostdeutschland.
({6})
Stattdessen gibt es ideologische Spielwiesen, Beraterverträge, Dialogprogramme, Aktionismus. Ich sage: So
nicht!
({7})
Ohne ein mittelstandsfreundliches Wirtschaftsklima
wird es auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Erfolg geben. Daher werfen wir Ihnen besonders vor, dass Sie
keine Perspektiven für die Menschen eröffnen. Wenn
man schon von jedem Einsparungen verlangt, dann brauchen die Leute auch Perspektiven. Man muss sonst verstehen, dass sie sich aggressiv gebärden und auf die
Straße gehen. Das haben Sie zu verantworten. Dabei
geht es nicht um Hartz IV, sondern um die Tatsache, dass
es 4,3 Millionen Arbeitslose gibt. Das und die Versprechungen, die Sie 1998 und 2002 im Französischen Dom
gegeben haben, als es hieß: „Wir fahren die Arbeitslosigkeit durch Hartz zurück“, treiben die Menschen auf die
Straße.
({8})
Meine Damen und Herren, ich vermute, dass man Sie ein
zweites Mal in den Französischen Dom einlädt.
({9})
Bei diesem zweiten Mal werden Sie eingeladen, um
Buße zu tun und sich beim deutschen Volk für Ihre Unkenntnis zu entschuldigen. Das wäre wohl das Wichtigste, was man mit Ihnen machen müsste.
({10})
Sie haben genug Geld gehabt, um Ihre Konzeptionen
öffentlichkeitswirksam herüberzubringen. Sie haben
30 Millionen Euro für die Agenda 2010 verplempert, indem Sie an den Themen vorbei argumentiert haben. Das
Volk will nicht wissen, wer der Schönste im Lande ist,
sondern es will wissen, wo es sachlich entlang geht. Es
will nicht, dass Sie vor lauter Aktionismus von einem
Fettnäpfchen ins nächste stolpern.
({11})
- Ich muss mich ja gegen diese Oberschreier wehren.
Deswegen müssen Sie verstehen, dass es auch von meiner Seite etwas lauter dröhnt.
({12})
Meine Damen und Herren, Sie haben 11 Millionen
Euro allein für Hartz eingeplant.
({13})
Sie haben 42 Millionen Euro bei der Bundesagentur für
Arbeit deponiert. Geld haben Sie genug. Trotzdem geschieht nichts. Das ist auch ganz klar: Die Leute können
bei einer Politik, die wie ein Fass ohne Boden ist und in
der alles Mögliche probiert, aber nichts Vernünftiges
daraus gemacht wird, natürlich auch nicht an die Werbung glauben. Sie können nicht erwarten, dass die Menschen darauf reinfallen. Sie haben von der Schönwetterpolitik genug, die Sie auch heute wieder vorgetragen
haben: Es wird alles besser! Seit ich mit Ihnen hier im
Parlament zusammenarbeiten darf, erzählen Sie dieselbe
Story vom lahmen Gaul. Dass diese Story nicht besser
wird, muss dann wohl an Ihnen liegen. Daher sollten Sie
Konsequenzen ziehen.
({14})
Meine Damen und Herren, einige konkrete Beispiele,
warum so manches nicht läuft. Jeder weiß über den
Pflegenotstand Bescheid. Sie legen kein Programm auf,
mit dem Sie einmal 50 000 Pflegekräfte ausbilden. Nein,
Sie halten an unwirtschaftlichen Programmen wie Jump
plus fest und verstecken sie jetzt in den Sozialgesetzbüchern. So kann es nicht funktionieren. Sie müssen alles auf den ersten Arbeitsmarkt ausrichten und dürfen
nicht im zweiten Arbeitsmarkt verharren. Auch dies
werden wir anders machen, wenn wir wieder an der Regierung sein werden.
({15})
Zum Thema Vermittlungsgutscheine: Es ist doch
unsinnig, dass es nicht möglich ist, dass ein Langzeitarbeitsloser durch einen Vermittlungsgutschein ins Ausland vermittelt wird. Das heißt, lieber lange Zeit arbeitslos im Lande als irgendwo draußen in Europa in Brot
und Arbeit. Dies ist ein Unsinn sondergleichen, der geändert werden muss. Es muss doch unterstützt werden,
wenn es jemand auf sich nimmt, im Ausland zu arbeiten.
({16})
Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel stellt
das Betreuungspersonal im Zusammenhang mit
Hartz IV dar. Gestern hat der Herr Bundeskanzler selbst
ganz sang- und klanglos versucht, das Verhältnis 1 : 75,
von dem in allen Papieren die Rede war, in 1 : 140 zu
modifizieren. Hier geht es um 16 000 Stellen. Wir werden in den Haushaltsgesprächen ganz genau kontrollieren, was es damit auf sich hat. Hier schleicht sich eine
Manipulation sondergleichen im Nachhinein in das
Hartz-IV-Gesetzgebungsverfahren hinein. Wir werden
nicht akzeptieren, dass Sie auf dieser Basis versuchen,
sehr viel Geld für Kampagnen auszugeben, sich aber der
eigentlichen Aufgabe, der Betreuung und Vermittlung
der Menschen, nicht richtig widmen. Wir werden dieses
Thema mit Ihnen im Haushaltsausschuss ganz ernst diskutieren; darauf können Sie sich verlassen.
({17})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es
wurde hier schon mehrmals gesagt, wie doppelzüngig
und widersprüchlich die Politik der Opposition ist. Hartz
zuzustimmen und dann auf der Straße zu polemisieren
oder wie Herr Rüttgers sogar eine Generalrevision zu
fordern ist in der Tat verlogen.
({0})
Wenn ein Haushälter hier Sparen einfordert, aber nicht
einen einzigen Vorschlag dazu macht, wie tatsächlich
gespart werden kann, ist das unsolide und unlautere Politik.
({1})
Die Menschen im Land beobachten das zunehmend
und auch aus diesem Grunde verschlechtern sich die
Umfrageergebnisse für die CDU/CSU. Ich halte eine
solche unlautere, doppelzüngige und verlogene Politik
für eine riesige Gefahr; denn sie führt dazu, dass die Politikverdrossenheit größer wird, und treibt die Leute in
fundamentalistische Positionen. Ich möchte Sie daher
bitten, Ihre Position genau zu überdenken.
Dieselbe doppelzüngige Politik betreiben Sie auch im
Energiebereich, vor allem dann, wenn es um die hohen
Energiepreise geht. Sie empören sich über die hohen
Energiepreise und fordern lautstark eine stärkere Regulierung. Überraschend ist das, was hier passiert, aber
nicht. Ich möchte daran erinnern, dass wir seit Jahren davor warnen, dass die Selbstverpflichtung oder die Selbstregulierung der Industrie bei der Preisfestsetzung nicht
funktioniert. Deshalb fordern wir schon seit Jahren eine
Wettbewerbsbehörde.
Als die rot-grüne Regierung diesen starken Schiedsrichter am Markt beschlossen und sich an die Umsetzung
der Novellierung des Gesetzes begeben hatte, war von
der Opposition - von der FDP wie von der CDU/CSU Michaele Hustedt
nur zu hören, dass die Selbstregulierung der Stromkonzerne doch der bessere Weg sei.
Ich bin sehr froh, dass auch Sie inzwischen bei der
rot-grünen Politik angekommen sind. Ich hoffe, dass wir
im kommenden Gesetzgebungsverfahren das Gesetz
noch einmal verbessern können. Tun Sie aber nicht so,
als hätten Sie die Stromkonzerne an ihrem Vorgehen hindern wollen. Die rot-grüne Regierung hat bereits Konsequenzen gezogen.
({2})
Auch bezüglich der erneuerbaren Energien ist Ihre
Politik doppelzüngig. Auf der einen Seite stimmen Sie
im Bundesrat zu - das wurde hier bereits gesagt -, auf
der anderen Seite sagt Herr Merz hier, dass die erneuerbaren Energien die Preistreiber seien. Er entschuldigt die
Preiserhöhung der Stromkonzerne am Anfang des Jahres
mit dem Verweis auf die erneuerbaren Energien. Das
zeigt: Herr Merz ist auf einem Auge blind.
({3})
Fakt ist: Die Stromkonzerne haben im letzten Jahr
mehr auf die Strompreise umgelegt, als tatsächlich eingespeist wurde. Ursache dafür war der heiße Sommer.
Die Stromkonzerne hätten die Strompreise also am Anfang des Jahres mit dem Hinweis auf das EEG senken
und nicht erhöhen müssen. Dass Herr Merz das Verhalten der Stromkonzerne entschuldigt, zeigt, dass er auf einem Auge blind ist. Statt die Stromkonzerne anzugreifen
und sie an ihre Pflicht zu erinnern, schiebt er alles nur
auf die erneuerbaren Energien. Das ist keine richtige Politik.
({4})
Was macht Herr Stoiber? Er führt als Erstes den Ministerpräsidenten Chinas durch eine Biogasanlage, die
nur gebaut werden konnte, weil ein rot-grünes Gesetz es
ermöglicht hat, sie zu betreiben.
({5})
Er schmückt sich mit Lorbeeren unserer Politik, steht
aber nicht dazu, dass diese Politik etwas kostet.
({6})
Das nenne ich: Wasch mir den Pelz, aber mach mich
nicht nass. Das ist eine unsolide, eine verlogene Politik.
({7})
Die wahren Preistreiber sind die Stromkonzerne. Wir
haben die höchsten Durchleitungspreise in Europa. Die
Investitionen sind aber seit 1995 um 30 Prozent gesunken. Die staatlichen Auflagen - um es Ihnen ganz klar zu
sagen - sind seit 2000, also seit vier Jahren, konstant geblieben. Jetzt kündigen die Stromkonzerne weitere Erhöhungen an, obwohl in den letzten drei Jahren bei allen
großen Stromkonzernen wie RWE und Vattenfall die Gewinne mehr als verdoppelt wurden. Ich bin froh, dass inzwischen nicht nur bei uns, sondern bei allen Parteien
angekommen ist, dass die Selbstregulierung nicht funktioniert, sondern wir einen starken Schiedsrichter am
Markt brauchen.
Wir werden in den Verhandlungen sehen, ob Ihre Ankündigungen wirklich ernst gemeint sind. Ich nehme
gern die Anregung auf, über eine Form der Anreizregulierung zu sprechen. Ich finde den Vorschlag, den Herr
Claassen von EnBW gemacht hat, sehr interessant. Den
sollten wir uns genau anschauen. Ich möchte dann aber
auch sehen, dass Sie dazu stehen und sich nicht wieder
vom Acker machen, wenn es ernst wird. Ich freue mich
auf die Gespräche.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Der erste Fakt ist, Frau Kollegin
Hustedt, dass 40 Prozent des Energiepreises, den die
Verbraucher heute zu zahlen haben, von dieser Bundesregierung aufoktroyiert wurden und daher zu verantworten sind.
({0})
Der zweite Fakt ist - was hier bereits des Öfteren dargelegt wurde -, dass wir in dieser Woche einen Haushaltsentwurf in erster Lesung beraten, der von Hause aus unseriös und mit so vielen Risiken behaftet ist, dass er im
Endeffekt gar nicht beratungsfähig ist.
Ich brauche überhaupt nicht zum Beispiel auf die
„Berliner Morgenpost“ zurückzugreifen, in der Graf von
Hohenthal von einem „Witz“ spricht, „wenn der Bundesfinanzminister noch von seinem Konsolidierungskurs
spricht“. Ich werde auch hier im Hause fündig. Die Mitberichterstatterin für das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, die Kollegin Anja Hajduk vom Bündnis 90/Die Grünen, hat gestern im „Inforadio“ zu den
erwarteten Privatisierungserlösen - es sind immerhin
15 Milliarden Euro als Einnahmen eingesetzt worden gesagt:
Die können ausfallen. Aber es ist doch wichtig,
dass wir die Verfassung einhalten.
({1})
Wir legen bei diesem Haushaltsplan vor, dass wir
dazu Privatisierungserlöse in einem hohen Maße
brauchen.
Sie sagt also selber nicht, dass diese Erlöse erzielt werden, sondern sie sagt einfach: Die setzen wir ein, damit
die Bilanz ausgeglichen ist. Dazu fällt mir nur ein: Entweder hat sie eine Anleihe am damaligen österreichischen Kaiserreich genommen, wo man in derartigen
Situationen zu sagen pflegte: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ - das ist eigentlich das, was die
Kollegin zum Ausdruck gebracht hat -, oder sie wartet
auf einen Deus ex Machina, der kommen soll, um diese
Koalition mit ihrer Finanzmisere aus dem Untergang zu
retten.
({2})
- „Vor“. Ich bedanke mich, Herr Kollege Kuhn, für diese
Korrektur.
({3})
- Es ist immer gut, wenn man hier als Allgäuer Unterstützung hat. Es wäre gut, wenn das in anderen politischen Positionen auch der Fall wäre. Aber der Kollege
Kuhn ist sicherlich noch lernfähig.
Ich glaube, grammatikalisch geht beides.
Ich will den Versuch unternehmen, den mit circa
34,3 Milliarden Euro vorgesehen Haushaltsentwurf des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit anhand
einiger Beispiele, insbesondere mit Blick auf Anspruch
und Realität, zu durchleuchten.
Heute wurde wieder mehrfach von der Koalition richtigerweise gesagt, welch große Bedeutung der Mittelstand für die wirtschaftliche Entwicklung hat. In der Tat
sind laut neuester Statistik im mittelständischen Sektor
von 1996 bis 2003 1,5 Prozent zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen worden, während in den Großkonzernen im
gleichen Zeitraum 15 Prozent der Arbeitsplätze abgebaut wurden.
Aber, Herr Bundesminister Clement, in diesem Haushaltsentwurf lassen Sie den Mittelstand schlicht und einfach links liegen.
({0})
Lassen Sie mich hierzu ein Faktum nennen: den Bereich
„Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit
kleiner und mittlerer Unternehmen der gewerblichen
Wirtschaft sowie freier Berufe“. Auch hier beschreiben
Sie in Ihren Erläuterungen die Wichtigkeit des Mittelstandes, also kleiner und mittlerer Betriebe. Aber die
Fakten und Zahlen, die Sie in Ihrem Haushaltsentwurf
anführen, um diese Aussage zu untermauern, sprechen
eine ganz andere Sprache. Trotz Lehrstellenmisere werden die überbetrieblichen Lehrgänge im Handwerk gekürzt. Bei der Modernisierung und Ausstattung von
überbetrieblichen Fortbildungseinrichtungen wird sogar
drastisch gekürzt, um 7,5 Millionen Euro.
Von der Meisterausbildung, lieber Bundesminister
Clement, verabschieden Sie sich gänzlich. Ich glaube,
Sie hätten gut daran getan, im Sommer einmal bei Hans
Sachs nachzulesen, der schreibt: „Verachtet mir die
Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“ Weiter heißt es:
„Ehrt eure deutschen Meister! Dann weckt ihr gute Geister.“ Aber mit diesem Haushalt, lieber Herr Bundesminister, wecken Sie keine guten, sondern sehr schlechte
Geister. Denn Sie wissen, dass gerade die Meisterausbildung ein ganz wesentlicher Faktor für die Selbstständigkeit ist und dass durch sie Arbeitsplätze und Lehrstellen
geschaffen werden. Aber Sie sagen: „Damit will ich
überhaupt nichts mehr zu tun haben.“
Im vergangenen Jahr haben Sie noch ganz groß die
Außenwirtschaftsinitiative gepriesen; es wurde ja schon
einiges dazu gesagt, dass wir Exportweltmeister sind.
Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Die Bundesregierung will die Mittel für Auslandsmessen um weitere
1,5 Millionen Euro kürzen,
({1})
sodass für Auslandsmessen, die insbesondere für kleine
und mittlere Unternehmen - genau für diese Unternehmen, nicht etwa für die großen - eine Hilfe sind, im
nächsten Jahr nur noch 34,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen.
Ich hoffe, dass wir in der Berichterstatterrunde noch
einiges hiervon korrigieren können. Denn, Herr Bundesminister, Sie wissen so gut wie ich: Allein durch die
Messeförderung, also dadurch, dass kleine und mittlere
Unternehmen an Messen teilnehmen können und die entsprechenden Hilfen bekommen, werden zusätzlich Exportumsätze in Höhe von 3,6 Milliarden Euro erwirtschaftet.
({2})
20 000 Arbeitsplätze werden dadurch gesichert. Steuereinnahmen von über 170 Millionen Euro werden erreicht; allein für den Bund sind es über 77 Millionen
Euro. Das ist ein Betrag, der doppelt so hoch ist wie Ihre
Anschubhilfe. Ich muss sagen: Jeder Kaufmann, der
diese Rechnung sieht, würde seinen Einsatz erhöhen und
nicht absenken, damit die Steuereinnahmen noch stärker
fließten.
Auf der einen Seite lässt der Bundeskanzler der Steinkohlenindustrie - das hat er in einem Nebensatz gesagt - für den Zeitraum von 2006 bis 2012 noch einmal
16 Milliarden Euro zukommen.
({3})
- Doch, so war es. Er hat Sie ja nicht einmal gefragt,
sondern Sie, Bundesminister Clement, haben hinterher
in der Zeitung lesen können, was er dort zugesagt hat. Auf der anderen Seite sagen Sie, dass Sie im Steinkohlebereich, dem Sie im kommenden Jahr nur noch 1,6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, doch kürzen. Auch
hier erkennt man die Unseriosität dieses Haushalts.
Denn eigentlich handelt es sich um 2 Milliarden Euro,
aber Sie haben gleich gesagt: „Lieber Kollege Müller,
die restlichen 400 Millionen Euro bekommst du erst im
Januar 2006, damit unser Haushalt einigermaßen in Ordnung ist.“ Offiziell sind es also 1,6 Milliarden Euro, aber
im „Kleingedruckten“ steht, dass im folgenden Jahr
400 Millionen Euro hinzukommen.
({4})
Eines will ich am Schluss noch sagen. Der Kollege
Stiegler war vorhin noch da. Entschuldigung, da ist er ja.
Er hatte nur den Platz gewechselt. Er ist jetzt dahin gegangen, wohin er gehört: nach ganz links außen. Respekt
und Anerkennung für diese auch nach außen hin sichtbare Standortbestimmung. Lieber Kollege Stiegler, Sie
haben davon gesprochen, die Bundesregierung habe bei
der Gemeinschaftsaufgabe nachgebessert.
Herr Kollege, Sie sehen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Was unwahr ist,
muss man richtig stellen. - Ich will diesem Hohen Hause
und der Bevölkerung sagen, was diese Bundesregierung
unter Nachbesserung versteht: Seit 1998 werden 1 Milliarde Euro weniger an Bundesleistung bereitgestellt; das
sind insgesamt 2 Milliarden Euro, einschließlich der
Ländermittel. Von diesem Jahr, 2004, zum nächsten Jahr,
2005, werden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
überdies um weitere 200 Millionen Euro zurückgeführt.
Das sind die Fakten, und da spricht die große derzeitige
Regierungsfraktion von „Nachbesserung“. Das kann
nicht angehen. Hier werden wir in den Haushaltsberatungen, die vor uns liegen, den Finger auf die Wunde legen, auch wenn wir nicht alles korrigieren können. An
sich müsste dieser Haushalt sofort wieder im Papierkorb
verschwinden. Er ist das Papier nicht wert, auf dem er
steht.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Finanzminister Eichel hat vorgestern vorsichtigen Optimismus versprüht: Die Wirtschaft springe an, die Exporte boomten und vielleicht, so der Minister, gesunde
alsbald auch der Binnenmarkt. Dann lobte er Hartz IV.
Genau das hätte er nicht tun sollen. Denn kommt Hartz
IV, dann - so haben die Wirtschafts- und Arbeitsminister
aller neuen Bundesländer hochgerechnet - geht allein in
den neuen Bundesländern 1 Milliarde Euro an Kaufkraft
verloren. Anders gesagt: Der Binnenmarkt wird geschwächt, kleinen und mittleren Betrieben drohen Konkurse und die Arbeitslosigkeit wird eher zu- als abnehmen. Das ist ein Grund, warum die PDS Hartz IV
ablehnt.
({0})
„Hartz“ wurde mit dem Versprechen präsentiert, binnen
zwei Jahren werde die Arbeitslosigkeit halbiert. Davon
ist längst nicht mehr die Rede. Die jüngste Arbeitslosenstatistik sagt ohnehin etwas anderes und hinzu kommt:
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gestiegen.
Zugleich ist die Zahl der Arbeitsplätze spürbar gesunken.
Aber es geht in diesen Debatten nicht nur um
Hartz IV. Sie machen eine Steuerreform, bei der Großverdiener gewinnen, und Sie machen eine Arbeitsmarktreform, bei der die Schwachen verlieren. Sie nehmen also denjenigen, die konsumieren, und Sie geben
denjenigen, die spekulieren. Für die Grünen, die neue
Partei der Besserverdiener, mag das ja inzwischen normal sein, aber sozialdemokratisch ist das, was Sie hier an
Politik abliefern, nie und nimmer.
({1})
Die Wirkungen von Hartz betreffen übrigens alle
strukturschwachen Regionen, auch die im Westen. Deshalb ist es ein schnödes Ablenkungsmanöver, wenn
Hartz IV und die Proteste dagegen in einen Ost-WestKonflikt umgedeutet werden. Meine Generalthese ist
vielmehr: Die Agenda 2010 insgesamt ist der Gegenentwurf zu einem modernen sozialen Rechtsstaat.
({2})
Nun ist ja viel von Populismus die Rede, auch heute
wieder, und der Vorwurf wird mit Vorliebe gegen die
PDS geschleudert. Ich finde das wenig souverän. Sie haben in Ihrem Wahlprogramm versprochen - ich zitiere -:
Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der
Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der
zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau.
Bei den Grünen heißt es:
ArbeitslosenhilfebezieherInnen sollen nicht schlechter gestellt werden als bisher.
Deshalb behalten Sie bitte Ihre Populismusvorwürfe für
sich. Übrigens keinen Deut besser sind die Ministerpräsidenten Milbradt und Böhmer: Sie suggerieren immer
noch, sie hätten im Dezember gegen Hartz IV gestimmt.
Etwas anderes war der Fall.
({3})
Dagegen ist der Wirtschaftsminister Clement übrigens
eine ganz ehrliche Haut. Er kämpft für Hartz IV, zwar
mit bitterböser Miene, aber ich finde, das ist dem Gesetz
dann auch angemessen.
({4})
Ein letzter Punkt. Sie - von CDU bis zu den Grünen haben die PDS mehrfach mit der NPD in einen Topf geworfen. Ich finde, diejenigen, die das getan haben, sollten sich schämen und entschuldigen. Nicht nur, dass sie
damit Antifaschisten, die der Folter im KZ knapp entronnen sind und heute in der Nähe der PDS stehen,
schlimm beleidigen. Sie verharmlosen mit diesem Vorwurf auch die NPD, die mit nationalistischen und rassistischen Parolen durchs Land zieht. Ferner gefährden Sie
mit dieser absurden Gleichsetzung das gesellschaftliche
Bündnis gegen rechts und für Toleranz. Ich finde, so
kurzsichtig darf man auch im Wahlkampf nicht denken.
({5})
Es kommt immer die Frage nach den Alternativen der
PDS. Ich finde, wir brauchen Reformen, allerdings wirkliche. Erstens wollen wir eine andere Steuerpolitik, eine,
die von oben nach unten umverteilt und nicht anders herum. Zweitens wollen wir eine andere Sozialpolitik,
eine, die gerecht ist und solidarisch wirkt. Drittens wollen wir mehr Demokratie und keine „Basta-Politik“.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph
Bergner.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist auf den Tag genau zwei Monate her, dass der Bundesrat über das Kommunale Optionsgesetz zu Hartz IV
entschieden hat. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten
haben einheitlich gegen dieses Gesetz votiert. Ich
glaube, dass wir als Deutscher Bundestag bei einem so
akzentuierten Minderheitenvotum unserer Länderkammer die Pflicht haben, uns etwas seriöser mit den Beweggründen zu beschäftigen, als das hier mit manchem
platten Populismusvorwurf geschehen ist.
({0})
Nun kann ich schlecht für Mecklenburg-Vorpommern
oder Berlin und ihre rot-roten Koalitionen sprechen.
Frau Pau ist da möglicherweise kompetenter. Ich bin
aber bereit, hier um Verständnis und Unterstützung für
die Motive der CDU-Ministerpräsidenten zu werben.
({1})
Die Ministerpräsidenten haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auch unter den sehr viel schwierigeren Bedingungen in den neuen Bundesländern
richtig und notwendig ist.
({2})
Deshalb haben sie am 19. Dezember 2003 für das
Grundsatzgesetz zu Hartz IV gestimmt. Das sollten Sie
ihnen nicht zum Vorwurf machen.
({3})
Sie haben dann allerdings gehofft - das habe ich auch
getan -, dass es im Zusammenhang mit den Beratungen
zum Kommunalen Optionsgesetz zu Lösungen kommt,
in denen eine einfache Tatsache besser berücksichtigt
wird, als es bisher geschehen ist, nämlich die Tatsache,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland einen tief
gespaltenen Arbeitsmarkt haben,
({4})
sodass man also mit Instrumenten, die im Main-TaunusKreis sehr leicht anwendbar sind, in den Bereichen Vorpommerns oder Ostsachsens auf Schwierigkeiten stößt.
({5})
Es ist aus meiner Sicht ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein gegenüber der eigenen Bevölkerung,
dass man sein Votum im Bundesrat dafür nutzt, für weitere Verbesserungen im Sinne einer Spezifizierung für
Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit einzutreten. Genau
darum geht es.
({6})
Herr Minister Clement, auch wenn die Abstimmungen stattgefunden haben und Sie jetzt sagen, dass
42 Prozent der Eingliederungsmittel in den Osten kommen sollen, ist das Thema noch nicht erledigt. Denn das
Grundproblem ist folgendes: Mit Hartz IV erhöhen Sie
den Druck auf Langzeitarbeitslose. Dort aber, wo keine
Arbeitsplätze sind, können Sie denen, auf die Sie einen
verstärkten Druck ausüben, keine Option bieten. Da
nützt auch die größere Zahl an Fallmanagern nichts.
Dies bedeutet nichts anderes, als wollten Sie einen Nahrungsmangel durch eine höhere Zahl an Brotverkäufern
beheben. Es muss darum gehen, dass an der Substanz etwas geändert wird.
({7})
Friedrich Merz hat hier einiges zur Gemeinschaftsaufgabe gesagt. Ich möchte noch auf weitere Änderungsnotwendigkeiten hinweisen.
Sie erzeugen also Druck, für den es nur noch wenig
Ausweichmöglichkeiten gibt. So wird es zu einer Flucht
in die 1-Euro-Jobs kommen. Herr Minister Clement, ich
sehe mit großer Sorge, wie diese Situation - ich habe
versucht, sie kurz zu beschreiben - dazu führt, dass es in
den neuen Bundesländern zu einem, wie ich meine, ungesunden Druck im Zusammenhang mit den so genannten 1-Euro-Jobs auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse
kommen wird. Ich kann sehr gut verstehen, wenn Vertreter privater Pflegedienste - um nur ein Beispiel zu nennen - vor dem, was jetzt auf sie zukommt, Sorgen und
Befürchtungen haben. Ich kann Sie nur auffordern, im
Rahmen der Monitoringgruppe und bei anderen Gelegenheiten alle Möglichkeiten zu nutzen, damit wir möglichst viele zusätzliche arbeitsmarktkonforme Beschäftigungsverhältnisse für Langzeitarbeitslose finden. Auch
auf die Gefahr hin, Widerspruch zu wecken - ich saß
nicht mit im Vermittlungsausschuss, Frau Dückert -:
({8})
Ich bin dafür, die Zuverdienstmöglichkeiten im Niedriglohnbereich zu erweitern und zu verbessern, da Sie nicht
bereit waren, die Lohnergänzungsleistungen in der geforderten Weise zu ermöglichen.
({9})
Einen zweiten Punkt kann ich nur schematisch anreißen; Stichwort: 58er-Regelung. Gegenüber diesen Leuten, die Ihre Behörde, Herr Minister, überzeugt hat, dass
sie der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stehen sollen, haben Sie Wortbruch begangen. Man muss
sich etwas einfallen lassen, wie man mit dieser Bevölkerungsgruppe umgeht.
Einen dritten Punkt kann ich leider ebenfalls nur sehr
kurz anreißen. Ich kann nur mit Verwunderung vermerken, wie immer auf Einsparungen bei den Kommunen
als Folge von Hartz verwiesen und gesagt wird, diese
Gelder könne man für Tagesstätten und Investitionen
nutzen.
({10})
- Einschließlich der zusätzlichen Zuweisungen. Ich habe
an Ihr Haus eine Anfrage über die Höhe der Einsparungen bei den Kommunen einschließlich der zusätzlichen
Zuweisungen in den einzelnen Bundesländern gerichtet.
Die Antwort ist ernüchternd. Daraus ergibt sich, dass
hinsichtlich der Einsparungen die Stadtstaaten am besten
dastehen. Die Hansestadt Bremen hat pro Einwohner
eine Entlastung von 171 Euro, Hamburg von 107 Euro,
der Freistaat Bayern von 5 Euro und der Freistaat Thüringen von 16 Euro.
({11})
- Berlin ist zwar ein Stadtstaat, aber ich habe keinen Anlass, für Berlin zu sprechen.
({12})
Sie werden doch eines zugeben müssen, Herr Clement:
In der vorherigen Debatte haben die Redner Ihrer Fraktion diese Einsparungen als die Finanzierungsquelle für
das Tagesbetreuungsausbaugesetz bezeichnet. Bei einer
Verteilung der Einsparungen aufgrund von Hartz IV
kommen Sie zwar bundesweit auf eine Summe von
2,5 Milliarden Euro, zu denen Sie durch die Revisionsklausel verpflichtet sind. Die Tatsache, dass unterschiedliche Beträge in den Ländern ankommen und dass Unterschiede innerhalb der Länder durch kommunale
Ausgleichsgesetze ausgeglichen werden müssen, wird
jedoch zu Ungerechtigkeiten führen. Das wird auch in
der Zukunft nichts bringen.
Mit der gegenwärtigen Gesetzeslage können wir die
Probleme nicht lösen. Ich fordere die Bereitschaft ein,
für Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit weiter um kreative Lösungen zu ringen, um zu passgenauen Konzepten
zu gelangen. Genau deshalb sollte man den ostdeutschen
Ministerpräsidenten keine ungerechten Vorwürfe machen, am wenigsten übrigens Herrn Milbradt, der heute
von der „Wirtschaftswoche“ als „Ministerpräsident des
Jahres“ ausgezeichnet wurde.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3674 und 15/3513 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor
sechs Jahren hat die Koalition von SPD und Grünen den
umweltpolitischen Stillstand unter Helmut Kohl und
Angela Merkel beendet.
({0})
- Das ist so. - Wir haben seitdem eine umfassende
Energiewende eingeleitet, wir haben weltweit den Klimaschutz vorangebracht, wir haben eine neue Flusspolitik umgesetzt, wir haben den Naturschutz auf eine neue
Grundlage gestellt, wir haben die Abfallwirtschaft zur
Kreislaufwirtschaft fortentwickelt
({1})
und wir haben zum Beispiel mit der Novelle zur Strahlenschutzverordnung den Schutz der Bürger vor Strahlungen und gefährlichen Chemikalien verbessert. Mit einem Wort: Wir haben die ökologische Modernisierung
Deutschlands umfassend vorangetrieben.
Unsere Politik findet dabei die Zustimmung der Bevölkerung. Anfang des Jahres gab es eine Umfrage, nach
der 66 Prozent der Bevölkerung mit dem Schutz der
Umwelt durch die Bundesregierung zufrieden sind. Übrigens, liebe Frau Homburger, sogar 80 Prozent der
FDP-Wähler.
({2})
Dies ist - ich traue mich kaum, das zu sagen - der am
besten bewertete Bereich der Bundesregierung.
({3})
Übrigens haben wir das, liebe Vertreter des Finanzministeriums, mit 0,3 Prozent des Gesamthaushalts erreicht.
({4})
Was aber entscheidender ist: Wir haben in diesen Jahren
die Zustimmung zur Umweltpolitik kontinuierlich steigern können. Gegenüber dem Jahr 2000 ist die Zustimmung um 9 Prozent gestiegen. Wenn etwas von dieser
Regierung in der Umweltpolitik erwartet wird, dann ist
es nicht etwa, dass sie weniger, sondern, dass sie mehr
tut. Aber diese Erwartungshaltung, meine Damen und
Herren von der Union, können Sie kaum als Legitimation für Ihre Arbeit nehmen. Denn während in diesem
Zeitraum beispielsweise das Vertrauen in die Umweltpolitik der Grünen parteiübergreifend noch einmal um
3 Prozent auf 43 Prozent gesteigert wurde, sank das Vertrauen in die Umweltpolitik der Union von im
Jahre 2000 immerhin noch 23 Prozent auf 17 Prozent.
Die Zahlen für die FDP will ich hier lieber nicht nennen.
({5})
Sie von der Union sollten sich einmal fragen, woran
dieser Einbruch in der Zustimmung zu Ihrer Politik liegt.
Ich will eine Vermutung äußern: Meine Vermutung ist,
({6})
dass Sie noch meilenweit von dem entfernt sind, was
Ihre Partei- und Fraktionsvorsitzende gestern hier so
leichtfertig ausgerufen hat,
({7})
nämlich die so genannte neue Union, die angeblich eine
Politik aus einem Guss macht. Nach sechs Jahren im
Amt kann ich nur sagen: In der Umweltpolitik, meine
Damen und Herren von der Union, stehen Sie eher als
begossene Pudel da.
({8})
Wollen Sie Beispiele hören? Ihr Grundproblem ist, dass
Sie es mit notorischer politischer Amnesie zu tun haben,
dass Ihre Handlungsmaxime ist: Was schert mich mein
Geschwätz von gestern? Sie selber haben das Dosenpfand eingeführt, heute sind Sie aber nicht einmal in der
Lage, einen geschlossenen Kompromiss im Bundesrat
zu Ende zu bringen.
({9})
Nehmen wir die Energiepolitik, einen der zentralen
Faktoren für die ökologische Modernisierung. Wir alle
wissen, dass wir weg vom Öl müssen. Diese Koalition
hat auf mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparungen gesetzt und hat das
mit erheblichen Haushaltsmitteln unterlegt. Wir wissen,
dass die erneuerbaren Energien ein wichtiger Faktor zur
Schaffung von Arbeitsplätzen sind, gerade für die strukturschwachen Regionen an der Küste und im Osten.
Gestern erst haben wir zusammen mit der Firma Shell
den weltgrößten Solarpark in Espenhain bei Leipzig eröffnet. Der Boom alleine in der Solarwirtschaft hat in
diesem Jahr 5 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
({10})
Heute arbeiten 120 000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien. Im Jahr 2020, wenn wir die 20 Prozent erreichen, können es bis zu 400 000 sein.
({11})
Was fällt der Union in Gestalt des bayerischen Ministerpräsidenten zu dem Thema „weg vom Öl“ ein? Der
einzige Satz, der ihm dazu einfällt, ist, dass er die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken will. Eines
habe ich aber weder von Herrn Stoiber noch von Herrn
Teufel gehört, nämlich dass sie den dann zusätzlich anfallenden Atommüll bei sich gerne lagern möchten.
({12})
Im Gegenteil: Ich bekomme im 14-Tage-Abstand von
Herrn Kauder ein Schreiben, in dem er sich besorgt äußert über die Pläne der Schweiz, Atommüll in Benken zu
lagern. Ich bekomme Schreiben aus dem Südwesten, in
denen man sich über den maroden Zustand von Fessenheim, und aus Bayern, in denen man sich über den maroden Zustand von Temelin Sorgen macht. Aber die gleichen Leute, die diese Briefe schreiben, treten dafür ein,
dass die Laufzeiten von altersschwachen Reaktoren wie
Biblis und wie Neckarwestheim verlängert werden sollen. Das ist die doppelte Moral; das ist der Widerspruch,
unter dem Ihre umweltpolitische Glaubwürdigkeit leidet.
({13})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir teilen die Sorge
um Fessenheim; wir teilen die Sorge um Temelin. Aber
wir sind vor diesem Hintergrund nicht bereit, die alten
Möhren bei uns 60 Jahre lang von einer Panne zur nächsten laufen zu lassen. Denn was in Biblis zurzeit passiert,
können Sie ja nicht mehr als Betrieb bezeichnen; das ist
sozusagen immer nur die Zwischenphase bis zur nächsten Abschaltung. Das ist überhaupt kein Unterschied zu
Temelin.
({14})
Deswegen gehen wir diesen Weg weiter. Wir legen
nächstes Jahr, im Frühjahr 2005, Obrigheim still. Im Juli
nächsten Jahres enden die Transporte in die Wiederaufarbeitung. Damit wird endlich Schluss gemacht mit der
Plutoniumwirtschaft in Europa.
Ein anderes Beispiel: Herr Stoiber hat plötzlich gemerkt, dass die Energiekonzerne die Preise erhöht haben. Das einzige, was ihm dazu einfällt, ist: Schuld seien
das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Ökosteuer und die
Kraft-Wärme-Kopplung. Meine Damen und Herren, Sie
wissen es besser.
({15})
- Da sagt doch einer „Stimmt ja“; er demonstriert sozusagen die eigene Unkenntnis. Manche Unkenntnis, die
vorsätzlich herbeigeführt wird, pflegt man als Ignoranz
zu bezeichnen, lieber Kollege.
Stromintensive Aluhütten unterliegen im Erneuerbare-Energien-Gesetz einer Härtefallregelung. Das produzierende Gewerbe ist von der Kraft-Wärme-Kopplungs-Umlage ausgenommen. Die Ökosteuer entlastet
die deutsche Industrie um 17 Milliarden Euro Rentenbeiträge.
({16})
Das ist das größte Entlastungsprogramm, das es bei den
Lohnnebenkosten gibt.
({17})
Zu diesen 17 Milliarden Euro kommen noch 4,2 Milliarden Euro an steuerlichen Subventionen durch die reduzierten Beiträge hinzu. Wenn es also etwas gibt, was die
Strompreise in Deutschland nach oben treibt und die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie infrage
stellt, dann ist das die Politik von Monopolisten wie
RWE und Vattenfall, die ihre Marktposition schamlos
ausnutzen.
({18})
Meine Damen und Herren, ich lege - weil das zustimmungspflichtig ist - großen Wert darauf, festzustellen,
dass auch Sie in der Verantwortung sind, dass zum 1. Januar tatsächlich Wettbewerb in den Netzen herrscht, dass
der Regulierer seine Arbeit aufnehmen kann und dass
Sie nicht auch in diesem Fall wieder auf Blockieren,
Verhindern und Verzögern setzen; denn das wäre in der
Tat ein Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
({19})
Man kann jeden Bereich der Umweltpolitik nehmen;
Sie werden immer das Gleiche erleben: Der von mir persönlich sehr geschätzte Kollege Paziorek wird versuchen, mich anzutreiben, mehr Umweltpolitik zu machen.
Dann kommt die Industrielobby bei der Union, bremst
ihn aus und am Ende beschließt die Union das Gegenteil.
Nehmen Sie - willkürlich ausgesucht - ein weiteres Beispiel: Nächste Woche Montag findet die Verbändeanhörung zum Fluglärmgesetz statt. Ich habe mehrere Anfragen von Ihnen bekommen, wann die Novelle endlich
komme. Ich weiß genau, dass Ihre Landesverkehrsminister alles tun werden, diese Novelle, die die Anwohner
von Flughäfen vor Lärm besser schützen wird, zu blockieren.
({20})
Entscheiden Sie sich für das eine oder für das andere!
Aber hören Sie auf, hier „Umweltpolitik!“ zu rufen und
in der Realpolitik die Blockade von Umweltpolitik zu
betreiben!
({21})
Letzte Bemerkung. Manchmal nimmt das ganz skurrile Züge an. Im Juni 2003 schreibt mir der sächsische
Staatsminister Flath einen Brief, in dem er schreibt: Herr
Trittin, Sie müssen etwas gegen die Belastung der Bevölkerung mit Radon - einem radioaktiven Gas - tun;
schaffen Sie eine bundesgesetzliche Regelung. Im Juli
dieses Jahres veröffentlichte die Strahlenschutzkommission einen Bericht im Bundesanzeiger - das kann jeder
nachlesen -, in dem festgestellt wird, dass die Belastung
mit Radon, wenn sie 150 Becquerel pro Kubikmeter
Raumluft überschreitet, ein signifikant höheres Lungenkrebsrisiko zur Folge hat. Im August des gleichen Jahres
habe ich den Ländern einen Entwurf für eine bundesgesetzliche Regelung geschickt. Wer nun glaubt, dass der
Erste, der mir applaudiert hat, Herr Flath gewesen wäre,
der irrt. Herr Milbradt, sein Ministerpräsident, hat das alles für überflüssig erklärt und hat auf dem anschließenden Parteitag dem Ganzen die Krone aufgesetzt, indem
er mich in das Erzgebirge einlädt und sagt, dort könne
ich merken, wie gesund Radonstrahlung sei.
({22})
Die Bayern haben das übrigens noch einmal getoppt.
Der bayerische Umweltminister hat als Vorsorge gegen
Radonbelastungen im Haushalt einen ganz einfachen
Ratschlag: Lüften!
Sie haben seit 18 Jahren nichts dazugelernt. Wer Radioaktivität für gesundheitsförderlich und Lüften für
eine Strahlenschutzmaßnahme hält,
({23})
der ist noch immer auf dem Niveau von vor 18 Jahren.
Damals hat ein bayerischer Minister der Bevölkerung
empfohlen - empfohlen! -, von tschernobylverseuchter
Molke zu essen. Solange dies so ist, so lange dürfen Sie
sich nicht wundern, dass Ihre Glaubwürdigkeit in der
Umweltpolitik immer weiter abnimmt, und so lange
müssen wir als Regierung damit leben, dass es eine umweltpolitische Opposition in diesem Lande nicht gibt.
Aber ich verspreche Ihnen eines: Trotz dieses Handicaps
werden wir unseren Weg der ökologischen Modernisierung fortsetzen. Das führt zu mehr Umweltschutz und zu
mehr Beschäftigung und ist deswegen vernünftig.
({24})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus
Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Trittin hat gerade eine Statistik angeführt, die äußerst interessant ist. Er hat den wesentlichsten Punkt dieser Statistik weggelassen, nämlich dass Minister Trittin von den
Bundesdeutschen die schlechteste Note aller Minister im
Kabinett erhält.
({0})
Wer weiß, wie dieses Kabinett insgesamt bewertet wird,
der kann sich vorstellen, welch eine schallende Ohrfeige
das für ihn ist.
Es gelingt ihm gelegentlich - das muss ich zugeben -,
über Sachverhalte hinwegzutäuschen. Ein erstes Beispiel: Er hat in letzter Zeit die Klimaschutzpolitik herausgestellt und groß getönt, dass bis zum Jahr 2020
40 Prozent der CO2-Emissionen eingespart würden. Er
macht das, weil er darüber hinwegtäuschen will, dass er
nicht in der Lage war, die von der damaligen Opposition
immer als zu gering angesehene Vorgabe der Union einzuhalten, bis 2005 die CO2-Emissionen um 25 Prozent
zu reduzieren.
({1})
Weil Sie, Herr Trittin, dort ganz eklatant versagt haben,
kommt nun das klassische Ablenkungsmanöver, das wir
bei der Bundesregierung immer erleben: Wenn Sie in der
Gegenwart versagen, versprechen Sie mehr für die Zukunft.
({2})
Ich habe beispielsweise das letzte Mal zu Herrn Clement
gesagt, dass er zum 25. Mal eine wirtschaftliche Erholung angekündigt hat - in dieser Haushaltsdebatte ist sie
zum 26., 27. und 28. Mal angekündigt worden -, dass sie
aber nicht eingetreten ist. Es gibt weniger Beschäftigung
als jemals zuvor.
Das ist aber nicht alles. Herr Minister Trittin, Sie haben auf die Energiekonzerne geschimpft. Sie haben zwar
in Teilen Recht. Aber Sie verschweigen - damit täuschen Sie auch hier -, dass Sie mit Ihrer Energiepolitik
zu der momentanen Preistreiberei ganz erheblich beigetragen haben.
({3})
Um es deutlich zu sagen: Ich finde es unanständig, mit
dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man selbst an
der Entwicklung einen nicht ganz unerheblichen Anteil
hat.
({4})
Wenn schon die Wahrheit, dann bitte die ganze Wahrheit
und nicht nur teilweise. Wenn, dann bitte richtig!
Herr Trittin, Sie haben auf die Kreislaufwirtschaft
verwiesen. Aber was haben Sie dort bislang geleistet?
Null, gar nichts! Das Chaos, das Sie beim Dosenpfand
angerichtet haben, jetzt noch als Vorzeigestück Ihrer Politik zu präsentieren ist schon eine Unverschämtheit.
({5})
Die Arbeitsplätze, die dadurch verloren gegangen sind,
gehen auf Ihr Konto. Aber Sie sind ja auch der einzige
Minister dieser Regierung, der den Verlust von Arbeitsplätzen mit Sektempfängen feiert. So war es im Fall
Stade. Das ist eine Unverschämtheit, die auch einmal erwähnt werden muss.
({6})
Herr Trittin, es lohnt sich nicht, darüber zu grinsen; denn
die Menschen, die dadurch ihre Arbeitsplätze verloren
haben, haben ein schweres Schicksal. Darüber hilft auch
das Grinsen eines bundesdeutschen Ministers nicht hinweg.
({7})
Wir haben mit der Nutzung von regenerativen Energien begonnen. Wir werden diesen Weg fortführen. Das
ist gar keine Frage. Aber wir werden Ihre Fehler in der
Energiepolitik insgesamt nicht mitmachen. Zu diesen
Fehlern, Herr Trittin, gehört der Ausstieg aus der Kernenergie, wie Sie ihn planen. Wir werden ihn rückgängig
machen.
Sie stehen mit diesem Ausstieg weltweit völlig allein
auf weiter Flur: Die Chinesen planen 40 weitere Kernkraftwerke, die Inder planen 20 weitere Kernkraftwerke
und in Finnland wird gerade ein neues Kernkraftwerk
gebaut. Nur der überkluge Minister der Bundesrepublik
Deutschland sagt: Das ist eine Auslaufenergie. Man
kann das zwar so machen; aber das wird Ihnen bei der
Beurteilung des Gesamtsachverhalts nicht weiterhelfen.
Wenn wir einen erfolgreichen Klimaschutz wollen, dann
sind wir auch auf Kernenergie angewiesen.
({8})
Herr Minister, Sie haben auch versucht, das Instrument Emissions Trading - es ist im Grunde ein guter Ansatz - zu missbrauchen, um die Entwicklung der Kohleenergie negativ zu beeinflussen. Wie sähe denn die
deutsche Energiewirtschaft aus, wenn wir, erstens, auf
Kernenergie verzichteten und wenn wir, zweitens, auf
Kohle verzichteten? Das kann man doch mit regenerativen Energien gar nicht ausgleichen, erst recht nicht zu
wettbewerbsfähigen Preisen.
Diese Regierung hat seit Jahren versprochen, ein geschlossenes Energiekonzept vorzulegen. Sie müssten daran einen ganz maßgeblichen Anteil haben. Bis heute ist
außer dem Ausstieg aus der Kernenergie nichts passiert
und Sie haben kein geschlossenes Energiekonzept vorgelegt, was Ihnen von allen Seiten angekreidet wird.
({9})
Dr. Klaus W. Lippold ({10})
Sie wissen doch, dass wir ein solches Konzept auf jeden
Fall brauchen, um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu
sein.
In Bezug auf den Vorwurf der Preistreiberei kommt
natürlich noch eines hinzu - das will ich ganz deutlich
machen -: Wir warten auf eine Studie, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden ist und unter
Mitwirkung der Wirtschaft zustande kommt: Ich meine
die so genannte DENA-Studie zu den regenerativen
Energien und ihren Kosten. Herr Minister Trittin, weil
Ihnen die Ergebnisse dieser Studie nicht passen, verschieben Sie ihre Vorlage jetzt schon um Monate. Das,
was Sie hier vorgaukeln, ist im Licht der Ergebnisse dieser Studie nicht haltbar.
({11})
Man kann regenerative Energien, insbesondere im Offshorebereich, nicht so einsetzen, wie Sie es vortäuschen.
Sie belügen die Bevölkerung. So geht es nicht, Herr Minister.
Wir haben übrigens noch andere Anhaltspunkte, auch
Gutachten aus dem Wirtschaftsministerium, zur Frage
der Beschäftigungssicherung durch regenerative Energien, die Sie hier so groß herausgestellt haben. Diese
Anhaltspunkte haben Sie ganz einfach verschoben, unterschlagen, nie vorgelegt, weil Ihnen die Ergebnisse
nicht passen und weil sie Ihre Politik widerlegen. Auch
so kann man Politik machen: Täuschen, wissenschaftliche Ergebnisse unterschlagen und dann behaupten, Sie
seien der Größte und der Schönste. Das sind Sie nun
weiß Gott nicht.
({12})
- Herr Kollege, das war das Stichwort: Lang ist er; aber
groß ist er noch lange nicht.
({13})
Herr Loske, das ist beim besten Willen so nicht darstellbar.
Es gibt Punkte, wo Sie ganz einfach hätten handeln
können; aber nicht gehandelt haben. Die Energieeinsparung im Altbaubestand ist einer dieser Punkte. Sie haben unseren Vorschlag in Ihr Regierungsprogramm übernommen, dafür steuerliche Erleichterungen vorzusehen.
Allerdings haben Sie das bis heute nicht realisiert.
({14})
- Das ist etwas anderes. Sie sprechen jetzt von Zinszuschüssen. Wenn Sie nicht unterscheiden können, dass
das Gewähren von Zinszuschüssen etwas anderes ist, als
Anreize bei der Besteuerung zu setzen, dann verstehen
Sie auch nicht, warum das eine Instrument auf ganz anderen Feldern wirkt als das andere. Lassen Sie es sich
von Herrn Loske einmal erklären.
Es handelt sich um einen Kernpunkt. Dazu sage ich
ganz deutlich: So ist das nicht aufrechtzuerhalten. Die
Punkte, wo wir wirklich noch enormen Handlungsspielraum haben, lassen Sie beiseite. Außerdem vernachlässigen Sie aus meiner Sicht ganz deutlich die Energieeinsparungen. Sie haben auf diesem Felde viel
versprochen, aber nichts geleistet. Die CO2-Vermeidungskosten bei Energieeinsparungen sind deutlich geringer als alles andere, was im Moment zur Diskussion
steht. Sie haben hier ein weites Feld; aber Sie nutzen es
nicht. Auch hier versagen Sie und das ist sehr bedauerlich. Sehen Sie: Man muss nicht schreien, um solche
Fehler deutlich zu machen.
Es gibt einen weiteren Punkt, der erwähnt werden
muss und der uns sehr nachdenklich macht: Das ist die
Chemiepolitik, die derzeit in der Europäischen Union
konzipiert wird. Diese Chemiepolitik ist nicht nur für
Chemieunternehmen selbst wichtig, sondern ist in gleichem Maße für den Gesamtbereich Wirtschaft wichtig,
insbesondere aber für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für die Innovation. Diese Chemiepolitik
droht im Moment zu einem ganz erheblichen bürokratischen Hemmnis zu werden und Arbeitsplätze nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Europa insgesamt zu
gefährden.
Was tun Sie? In einer beispiellosen Anzeigenkampagne loben Sie diese Politik uneingeschränkt und
fordern eine Verschärfung. Das ist eine Politik, von der
Rezzo Schlauch - ein Kollege von Ihnen nicht nur aus
der Bundesregierung, sondern auch aus Ihrer grünen
Partei - ganz deutlich sagt, sie müsse so korrigiert werden, dass sie nicht zum Schaden der Menschen in der
Bundesrepublik Deutschland werde. Sie fordern eine
Verschärfung. Ihr Kollege Rezzo Schlauch sagt, sie
müsse korrigiert werden. Ich will an diesem Beispiel
deutlich machen, wie widersprüchlich die Aussagen der
Bundesregierung sind.
({15})
Für unanständig halte ich - Herr Trittin, ich kann es
wiederum nicht anders bezeichnen -, dass Sie Anzeigen
Dritter finanzieren, in denen der Chemieindustrie nicht
belegbare und nicht haltbare Vorwürfe gemacht werden.
Sie und das Umweltbundesamt finanzieren mit Steuergeldern solche Anzeigen und schreiben dann noch hinein, dass Sie für den Inhalt der Anzeige und die Aussagen keine Gewähr übernehmen. Das ist unanständig.
({16})
Dafür, dass Sie andere mit Dreck werfen lassen, das
Ganze noch finanzieren und dann sagen: „Aber dafür
übernehme ich nicht die Verantwortung“, werden wir Sie
schon zur Verantwortung ziehen. So lassen wir Sie nicht
davonkommen.
Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Punkten,
Herr Minister, die wir für wichtig halten, zum Beispiel
den Schutz und die Erhaltung der Wälder, insbesondere den Schutz der tropischen Regenwälder. Wir als
Union haben unendlich viel dafür geleistet, weil es hierbei nicht nur um den Tropenwaldschutz geht, sondern
Dr. Klaus W. Lippold ({17})
weil das auch ein ganz zentraler Ansatz für die Artenerhaltung ist. Die Artenvernichtung, die in tropischen Regenwäldern geschieht, ist ein ganz zentrales Problem.
Davon haben Sie nicht gesprochen.
Sie haben auch nicht vom Armutsbegriff gesprochen
und davon, was Armut weltweit für Umweltschutz bedeutet. Sie haben nicht über die Bedeutung von Wasser
gesprochen, nicht darüber, was wir weltweit realisieren
müssen, damit die Menschen sauberes Trinkwasser haben, damit sie nicht aufgrund vergifteten oder verseuchten Wassers unter Gesundheitsschäden leiden.
Das alles haben Sie elegant ausgeklammert, weil Sie
in Ihrer Themensicht verengt sind. Es wäre gut, wenn
Sie diese verengte Themensicht aufgeben würden, wenn
Sie sich in Zukunft etwas mehr an die Wahrheit halten
würden und wenn Sie gleichzeitig sehen würden, wohin
weltweite Entwicklungen tatsächlich laufen. Mit Ihrer
Brille, die nur einen verengten Blick erlaubt, ist das nicht
drin.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Ernst Ulrich von
Weizsäcker.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine verehrten
Damen und Herren! Wie Herr Minister Trittin gerade
schon richtig gesagt hat: Es ist ein sehr kleiner Haushalt.
Man könnte jetzt natürlich über die Zahlen im Einzelnen
reden. Dabei würde herauskommen, dass diese 0,3 Prozent des gesamten Bundeshaushalts ganz erstaunlich
effizient eingesetzt werden. Die Umweltpolitik ist wieder da - und das mit einem sehr geringen Finanzaufwand. Ich finde all das, was der Herr Minister gesagt hat,
sehr überzeugend, insbesondere mit Blick darauf, dass
man das Thema in der Bevölkerung und auch in der Industrie im Gegensatz zu der Zeit vor, sagen wir einmal:
zehn Jahren wieder wirklich ernst nimmt.
Ich werde jetzt nicht über all die einzelnen Haushaltstitel reden, zum Beispiel den Baufortschritt beim Langen
Eugen, dem UNO-Zentrum in Bonn, aber ich will doch
wenigstens zwei umweltpolitisch wichtige Haushaltstitel
erwähnen, bei denen trotz der enormen Sparsamkeit
- ein Minus von insgesamt 2,6 Prozent - eine erhebliche
Steigerung zu verzeichnen ist.
Bei dem einen Titel geht es um die Stärkung der Förderung der Nichtregierungsorganisationen, die im
Umweltschutz tätig sind. Da sind Millionen junger und
alter Menschen im Land bereit, ihre Freizeit für ein idealistisches Ziel zu opfern. Ohne diese - häufig stille idealistische Arbeit wäre es um die Umwelt und auch um
die Umweltpolitik im Land viel schlechter bestellt. Ich
kenne kaum einen Haushaltstitel, in dem die Mittel so
kosteneffizient eingesetzt werden wie hier diese 4,5 Millionen Euro. Jeder Effizienzberater in der Wirtschaft
- McKinsey, Roland Berger oder wer auch immer kann nur vor Neid erblassen angesichts dieser Art von
Kosteneffizienz. Das sollte man in einer Haushaltsdebatte doch auch einmal erwähnen.
({0})
Der zweite Punkt, bei dem wir eine ganz erhebliche
Steigerung erlebt haben - das begrüße ich sehr -, ist die
Förderung der erneuerbaren Energien: einerseits
über das Marktanreizprogramm, das eine Größenordnung von 20 Millionen Euro umfasst, und andererseits
über verstärkte Forschung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Von diesen 20 Millionen Euro stehen
5 Millionen noch unter dem Vorbehalt, dass der Bundesrat dem Abbau der Subventionen für den Eigenheimbau
zustimmt. Das ist in einer Zeit ja ganz besonders vernünftig, wo unausgesetzt leer stehende Häuser abgerissen werden. Das kann man also auch aus anderen Gründen gutheißen und nicht nur deswegen, weil es in diesem
Fall die erneuerbaren Energien fördern würde.
({1})
Marktanreizprogramm und verstärkte Forschung auf
dem Gebiet der erneuerbaren Energien stehen im Zusammenhang mit der deutschen Innovationsoffensive.
Bei einem Arbeitsfrühstück gestern, an dem auch einige
aus der Opposition teilgenommen haben, haben wir von
der DENA gehört, dass China als mit Abstand größter
Absatzmarkt für erneuerbare Energien ganz eindeutig
auf Deutschland als Partner setzt, weil wir auf diesem
Gebiet die technologische Führerschaft haben.
({2})
Damit zeigt sich, dass die deutsche Exportinitiative für
erneuerbare Energien von ihrem internationalen Erfolg
und von ihrer nationalen Arbeitsplatzwirksamkeit her
außerordentlich vernünftig ist.
({3})
Herr Kohler hat übrigens bei dieser Gelegenheit die
Veröffentlichung der DENA-Studie bis Jahresende in
Aussicht gestellt. Wir könnten zwar eventuell noch etwas aus der Studie lernen, ich habe aber das Gefühl, dass
sie heute, da wir über die Haushaltsansätze für das Jahr
2005 reden, vergleichsweise irrelevant ist. Denn das,
was wir mit der Verabschiedung des Haushaltes beschließen, ist auf jeden Fall richtig. Herr Kohler würde
das mit Sicherheit auch so sehen.
Überhaupt ist die Umwelttechnologie weiterhin und
in verstärktem Maße ein Exportschlager. Die Exporterfolge bestätigen unsere führende Stellung. Vor ein paar
Jahren war es ja in konservativen Kreisen noch ein wenig üblich, Umweltschützer als Miesmacher, Müsliesser
oder in ähnlicher Weise zu diskreditieren. Heute ist es
berechtigt, in den Umweltschützern die Wegbereiter zu
neuem Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft zu sehen. Die Identifikation etwa mit den erneuerbaren Energien ist in der breiten Bevölkerung und auch in Wirtschaftskreisen sehr hoch, und das trotz reißerischer
Artikel in einem Nachrichtenmagazin oder mancher gelehrter Kalkulationen aus der Wissenschaft, in denen
man diese Frage offensichtlich nur auf kurze und nicht
auf lange Sicht betrachtet hat.
({4})
Dieser Optimismus in der Branche freut mich besonders,
denn in der Wirtschaft und beim Einwerben von Kapital
haben natürlich Optimisten durchweg bessere Karten als
Miesmacher.
Zu dem Stichwort Miesmacher fällt mir auch noch einiges ein, was in dieser Haushaltsdebatte im Hohen
Hause gelaufen ist. Zum Beispiel hat sich Herr Glos in
seiner Eröffnungsrede gestern darüber beklagt, dass nun
amerikanische Aufkäufer durchs Land zögen und zu Billigpreisen deutsche Aktien einkauften.
({5})
- So hat er es gesagt.
({6})
- Es handelt sich um Amerikaner und zum Teil auch um
Banken. - Auf jeden Fall ist die Begründung dafür ja
ganz offensichtlich.
Die amerikanischen Finanziers schätzen den Wert und
die Ertragsfähigkeit der deutschen Wertpapiere viel höher ein als wir.
({7})
- Wir wissen doch aus den Wirtschaftsseiten der Zeitung, was da alles eingekauft wird, wie in DAX-Werte
und andere deutsche Werte investiert wird. Bei uns
scheint es so zu sein, dass man erst einmal das Land
miesredet, sich dann ärgert, dass sich die Kurse nicht so
recht erholen, und schließlich schimpft, dass wir zu einem Land für Schnäppchenjäger geworden sind. Das
heißt, die wirtschaftspolitische Logik des Miesmachens
ist unvernünftig. Demgegenüber ist der Umweltschutz
heute ein ausgesprochener Hoffnungsträger. Das sollte
auf die Wirtschaft abfärben.
({8})
Im Übrigen müssen selbst die, denen, aus welchen
politischen Gründen auch immer, nicht nach Optimismus zumute ist, Umweltschutz proaktiv, in die Zukunft
gerichtet, betreiben. Unsere Enkel werden über die parteipolitischen Streitereien des Jahres 2004 nicht sehr viel
wissen; aber sie werden wissen, ob wir ihnen eine intakte Umwelt hinterlassen haben.
({9})
In diesem Zusammenhang ist langfristig natürlich die
Klimapolitik das wichtigste Thema. Herr Lippold hat
völlig Recht mit der Aussage, dass die Weichen dafür
zur Zeit der Regierung von Herrn Dr. Kohl gestellt worden sind. Frau Dr. Merkel war selber in Kioto und hat
das Kioto-Protokoll unterschrieben. Das heißt, darüber
gibt es überhaupt keinen Streit. Unsere Regierung hat
die Umsetzung des Kioto-Protokolls konsequent fortgesetzt, allerdings in dem Bewusstsein, dass das KiotoProtokoll nicht ausreicht, sondern wir darüber hinausgehen müssen.
Ich bin, und zwar gerade im europäischen Vergleich,
sehr froh darüber, dass es uns, der Bundesregierung und
dem Bundestag, gelungen ist, mit der Verabschiedung
des TEHG und des nationalen Zuteilungsplanes die Initiative zu ergreifen und zu zeigen, dass wir als Deutsche
an vorderster Front der Modernisierung und zugleich des
Umweltschutzes stehen. Klimaschutzpolitik ist ja gleichzeitig Modernisierungspolitik. Das sieht man etwa bei
der jetzt anstehenden Modernisierung der Kraftwerke in
Niederaußem. Wenn die gegenwärtigen veralteten Blöcke abgeschaltet und durch neue ersetzt werden, werden
wir damit den noch fehlenden Anteil zur Erreichung des
Kioto-Ziels erbringen. Das ist ein hervorragendes Symbol dafür, dass uns die Modernisierung im Klimaschutz
voranbringt.
Die Situation in Niederaußem steht symbolisch für
das, worauf wir achten müssen. Es geht darum, durch
Modernisierung und Effizienzgewinne den Kohlenstoffeinsatz zu vermindern, und das so frühzeitig, dass wir
die Technologieführerschaft nicht ans Ausland abgeben
müssen. Das ist das Motto, das sich durch alle Branchen
ziehen sollte, nicht nur durch die der Kraftwerksbauer:
Umweltschutz als Modernisierung und Effizienzgewinn.
Insofern muss man als Umweltschützer nicht unbedingt traurig sein, wenn der Umwelthaushalt einmal in
einem Jahr nicht ansteigt und wenn er, prozentual gesehen, auf einem niedrigen Niveau ist. Es kommt immer
darauf an, was man aus den zur Verfügung stehenden
Mitteln macht, und ich finde, das wird hier außerordentlich effizient gemacht.
Vielen Dank.
({10})
Danke schön. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete
Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte an das anknüpfen, was der Vorredner, der
Herr Kollege von Weizsäcker, hier gerade gesagt hat.
Herr von Weizsäcker, wir streiten uns hier ja nicht über
die Frage des Ziels. Ich glaube, kein Mitglied des Deutschen Bundestages, egal aus welcher Partei, wird
abstreiten, dass wir uns alle dafür einsetzen, den nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Die Frage ist nur, wie das gemacht wird: effizient
oder ineffizient? Das ist doch der Kern des Streits, den
wir hier haben.
({0})
In den Erläuterungen des BMU-Haushalts heißt es,
der Staat habe den marktwirtschaftlichen Rahmen für
umweltgerechtes Verhalten zu schaffen. Genau das ist
richtig, Herr Minister Trittin. Der Haushalt selber sagt
nur wenig über die Umweltpolitik aus. Aber Ihre Rede
spricht Bände. Bei allen Punkten, die Sie hier genannt
haben, geht es immer nur nach dem Motto: bevormunden, verhindern und regulieren. Wir sagen Ihnen ganz
klar: Wenn wir eine vernünftige Umweltpolitik wollen,
die bezahlbar und effizient ist und mit der man die Ziele
erreichen kann, dann brauchen wir Wettbewerb im
Umweltschutz. Wir stehen für Wettbewerb. Sie und die
Grünen dagegen stehen für Staatsinterventionismus.
({1})
Sie reden von einer umfassenden Wende in der
Energiepolitik. Aber Sie haben bisher überhaupt noch
kein entsprechendes Gesamtkonzept vorgelegt, in dem
auch die Versorgungssicherheit berücksichtigt wird. Ich
sage Ihnen einmal, wo wir heute stehen. Als die FDP
noch an der Regierung beteiligt war, haben wir die Liberalisierung des Energiemarktes durchgesetzt und eingeleitet. Dadurch wurde das Ziel der Preissenkung erreicht.
Sie dagegen haben es geschafft, dass der staatliche Anteil an den Energiekosten wieder auf über 40 Prozent
gestiegen ist. Und dann erklären Sie, man müsse einen
Energiegipfel abhalten! Wir befürworten zwar diesen
Gipfel, aber Sie müssen sich endlich einmal bewegen
und zugeben, dass ein großer Anteil an den Energiepreisen politisch bedingt ist.
({2})
Wenn Ihre Ankündigungen nicht nur Aktionismus
sein sollen, müssen Sie deutlich erklären, dass Sie von
der Ökosteuer weggehen.
({3})
Der Emissionshandel wurde jetzt beschlossen. Die Ökosteuer hat doch nichts mit Ökologie zu tun. Wir rasen für
die Rente; denn Sie brauchen das Geld aus der Ökosteuer für die Rentenversicherung. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({4})
Herr Müller, die Ökosteuer ist nichts anderes als Etikettenschwindel.
Die Dreifachförderung im Bereich der Kraft-WärmeKopplung ist nichts anderes als die Bedienung Ihrer
Klientel.
({5})
Auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz rücken Sie
nicht vom Dirigismus ab,
({6})
sondern Sie geben weiterhin staatlicherseits Technik und
Preis vor. Dadurch entsteht ein hoher Finanzaufwand.
Dem setzen wir die Förderung erneuerbarer Energien
durch ein wettbewerbliches Modell entgegen. Deshalb:
Wenn wir jetzt über die hohen Energiepreise sprechen,
müssen wir vor allem über die verfehlte Energiepolitik
dieser Bundesregierung reden. Solange Sie von Ihrer Position nicht abrücken, so lange ist der Energiegipfel
nichts anderes als der Ausdruck der Hilflosigkeit von
Kanzler und Kabinett.
({7})
In der Erläuterung zum Haushalt des BMU steht, die
wichtigste Veränderung im Vergleich zum Jahr 2004
liege darin, dass der Ansatz für die Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien um 5 Millionen Euro erhöht werde. Natürlich sagen Sie nicht dazu, dass diese
Förderung unter dem Vorbehalt steht, dass die Eigenheimzulage abgeschafft wird.
({8})
Sie verschweigen auch, dass Sie dieses Spiel in mehreren Einzelplänen betreiben. Alles Mögliche wollen Sie
durch Einsparungen bei der Eigenheimzulage finanzieren; in der Summe wollen Sie ungefähr 150 Millionen
Euro zusätzlich ausgeben. Die Abschaffung der Eigenheimzulage bringt aber nur 95 Millionen Euro, Herr
Müller. In diesem Punkt erkennt man, dass dieser Haushalt eine einzige Luftbuchung ist.
({9})
Dasselbe gilt für das Thema Kreislaufwirtschaft.
({10})
Wo haben Sie, Herr Minister Trittin, denn nur annähernd
etwas für die Kreislaufwirtschaft getan? Wir haben das
entsprechende Gesetz 1994 beschlossen. Seitdem ist bei
Ihnen nicht viel passiert.
({11})
Zum Zwangspfand - dieses Thema ist in diesen Tagen durch die Beratungen im Bundesrat wieder aktuell
geworden - kann man nur sagen: Erkennen Sie doch
endlich die Ergebnisse neuerer Studien an! Sie wissen
ganz genau, dass wir zwischenzeitlich eine andere Situation haben als vor zehn, 15 Jahren. Das Zwangspfand ist
ökologisch und ökonomisch unsinnig. Deswegen brauchen wir eine neue Konzeption. Dieser verweigern Sie
sich aber. Sie machen eine Politik, die auf Zwangserziehung der Menschen in diesem Land setzt. Wir wollen
Wettbewerb und freiheitliche Bedingungen auch in der
Umweltpolitik.
({12})
Ganz besonders unerträglich finde ich, was Sie zum
Thema altersschwache Reaktoren gesagt haben. Ihre Behauptung war, man wolle die Laufzeit altersschwacher
Reaktoren verlängern. Dazu kann ich nur sagen: Wir haben in Deutschland eines der höchsten Sicherheitsregimes im Bereich der Reaktorsicherheit, und zwar zu
Recht. Daran halten wir auch fest. Ein Reaktor, der diesen Sicherheitsbestimmungen nicht entspricht, kann in
diesem Land nicht weiterbetrieben werden.
({13})
Herr Minister Trittin, was Sie hier gemacht haben, ist
doch nichts anderes als eine Brandrede, die emotionalisiert und Angst schürt. Es geht Ihnen doch überhaupt
nicht um die Umweltpolitik. Wenn die Reaktoren wirklich so gefährlich wären, wie Sie es sagen, dann müssten
Sie diese sofort abschalten. Es ist doch scheinheilig, was
Sie da machen!
({14})
Schauen wir uns einmal die Entsorgung radioaktiver Abfälle an; auch Sie haben dies angesprochen.
Hier handeln Sie absolut verantwortungslos. Sie verschieben dieses Problem auf die zukünftigen Generationen. Sie haben einen AkEnd, den Arbeitskreis Endlager,
eingesetzt. In den Erläuterungen zum Umwelthaushalt
schreiben Sie - ich zitiere -:
Die Entwicklung der Kriterien ist auf wissenschaftlicher Basis sachorientiert, unvoreingenommen und
ohne Ausschluss relevanter Aspekte erfolgt.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Minister Trittin, verschweigen Sie, dass Sie dem Arbeitskreis Endlager schlicht und
ergreifend vorgegeben haben, dass er nicht erarbeiten
darf, was eigentlich sachlich richtig wäre: ein ZweiEndlager-Konzept, das bisher die Grundlage unserer
Arbeit war. Im Bericht des AkEnd steht vielmehr
unter „Vorbemerkungen“: „BMU-Vorgabe ‚Ein-Endlager-Konzept‘ …“
({15})
Auf der gleichen Seite steht unten ganz klar, dass die
Verfolgung des Ein-Endlager-Konzepts der öffentlichen
Hand beträchtliche Mehraufwendungen bringen wird
und wesentliche sicherheitsrelevante Kompromisse geschlossen werden müssen, also Gefahren damit verbunden sind. Sie aber erklären uns in dieser Haushaltsdebatte, Sie hätten völlig unvoreingenommen gehandelt.
Das Gegenteil ist der Fall, Herr Minister Trittin. Das
werden wir Ihnen deshalb nicht durchgehen lassen.
({16})
Sie werfen den Oppositionsparteien weiter vor - das
ist im Übrigen eine Neuerung in den Haushaltserläuterungen -, dass wir uns im Hinblick auf die Einsetzung
einer weiteren Arbeitsgruppe verweigert hätten. Sie
müssen den Menschen in diesem Land aber bitte schön
dazusagen, dass wir uns nicht für ideologische Vorgaben
Ihrerseits missbrauchen lassen.
({17})
Wir sind jederzeit gerne bereit, an einer Konzeption mitzuarbeiten, die zu einem vernünftigen Ergebnis bei der
Endlagerung führt und an einer fachlichen und wissenschaftlichen Basis orientiert ist. Wir sind aber nicht bereit, an dem mitzuarbeiten, was Sie uns hier vorlegen.
Das verdeutlicht beispielsweise auch der entsprechende Bericht des Bundesrechnungshofes, der uns
zwischenzeitlich vorliegt. Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung und das Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit haben im Gegensatz zu Ihnen
nicht nur erklärt, dass das Ein-Endlager-Konzept finanzielle Risiken berge, sondern darüber hinaus auch erklärt, dass sicherheitstechnische Vorteile für ein MehrEndlager-Konzept sprechen würden. Das ist die Realität.
Sie sind sich innerhalb der Regierung nicht einig und
deswegen haben Sie bisher noch keine Lösung vorgelegt.
({18})
In dem Bericht des Bundesrechnungshofes werden die
finanziellen Risiken ganz klar aufgezeigt. Ich weise zusätzlich auf die Rückforderungen der Wirtschaft hin, die
auf Sie bzw. den Bundeshaushalt zukommen werden,
wenn wir den Schacht Konrad nicht entsprechend weiterbetreiben. Das heißt, dass von unabhängiger Seite ein
klares Urteil gefällt wurde.
Herr Minister Trittin, Sie sind ein wandelndes Haushaltsrisiko. Der Umweltsachverständigenrat hat Anfang
Mai die umweltpolitische Zurückhaltung der rot-grünen
Bundesregierung in heftigen Worten kritisiert. An diesen
Ausführungen zeigt sich ganz klar: Ihnen geht es nicht
um den Umweltschutz, sondern um eine Instrumentalisierung der Ökologie für ideologische Zwecke. Das hat
man heute sehr deutlich an Ihrer Rede gesehen.
({19})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winne Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Homburger, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, dass Sie gesagt haben: Wir alle wollen doch gemeinsam das Gute; wir unterscheiden uns nur im Weg.
Sie haben Ihre Rede damit beendet, dass Sie festgestellt
haben, dass der Umweltminister selber auf gar keinen
Fall etwas Gutes will, sondern nur ein Ideologe ist. Ich
finde, das ist kein besonders guter kommunikativer Stil;
damit kommen wir nicht weiter.
({0})
Meine Damen und Herren, in Haushaltsdebatten wird
bisweilen entweder grundsätzlich kritisiert und der
Haushalt an sich vergessen oder es wird nur haushalterisch kritisiert. Ich will versuchen, beide Elemente, den
Haushalt und die grundsätzliche Politik, miteinander zu
verbinden.
Diese Haushaltsberatungen stehen wie auch die Beratungen der letzten Jahre unter dem schwierigen Vorzeichen, dass wir Haushaltskonsolidierung betreiben
müssen. Egal, welcher Couleur wir angehören, wir müssen uns Gedanken um die Frage machen, wo und wie gespart wird und ob an der richtigen Stelle gespart wird.
Mir ist wichtig, aus Sicht der Grünen deutlich zu machen, dass eine Verschärfung beim Sparen insofern aus
dem Subventionsabbaupapier von Koch und Steinbrück
herrührt, als jetzt pauschal gekürzt werden muss, wobei
es egal ist, ob es sich um sinnvolle ökologische Zukunftsinvestitionen handelt - ich nehme an, dass auch
Sie nicht abstreiten werden, dass es solche sinnvollen
Fördermaßnahmen gibt - oder ob es sich um Subventionen in alte Strukturen oder für eine alte Klientel handelt.
Aus grüner Sicht ist es notwendig, hier zu differenzieren.
Wir müssen auch bei der Haushaltspolitik deutlich machen, dass man hier unterscheiden kann. Nur wenn wir
dies schaffen, können wir auch in Haushaltsfragen eine
ökologische Debatte eröffnen.
({1})
Kollege von Weizsäcker hat darauf hingewiesen, dass
der Umweltetat relativ klein und bescheiden ist. Entscheidend ist aber, dass es uns Umweltpolitikern inzwischen gelungen ist, wirklich massiv in zahlreiche andere
Etats einzugreifen, Vorschläge zu machen, wie was geändert wird, und Programme aufzulegen, die ökologische Zukunftsfähigkeit fördern. So gibt es beispielsweise im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ein Großprogramm für Nachhaltigkeit.
Ferner gibt es Projekte im Umfang von fast 700 Millionen Euro im BMZ, in denen es im Wesentlichen um
nachhaltige Entwicklung, um Wasserversorgung und
Wasserreinigung usw. in Entwicklungsländern geht. Im
Haushalt des Finanzministeriums findet sich die Finanzierung der Altlastensanierung, im Wirtschaftsministerium die Energieeffizienzförderung. Bei all diesen Maßnahmen, die der nachhaltigen Entwicklung dienen, geht
es stets um Beträge von mehreren 100 Millionen Euro.
({2})
Kollege Lippold, Sie bringen in fast jeder Debatte das
Argument von der Altbausanierung. Das muss ich Ihnen doch einmal vorrechnen. Die letzte CDU-geführte
Bundesregierung hat in ihrem Etat gerade einmal
20 Millionen für Altbausanierung ausgewiesen.
({3})
- Ja, 20 Millionen DM. - Wir haben im Jahre 2004
360 Millionen Euro; das ist das 36fache. Außerdem stehen 2,2 Milliarden Euro bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau an Krediten für ökologische Haussanierung
oder den Neubau von Energiesparhäusern zur Verfügung. Dies ist in der Summe weit mehr als das, was Sie
getan haben. Von daher empfinde ich es als vollkommen
daneben und auch als ziemlich ungeschickt von Ihnen,
diesen Punkt anzusprechen. Hier stehen wir wirklich
bestens da.
({4})
Wir haben in diesem Etat einige Akzente gesetzt und
trotz der Notwendigkeit des Sparens versucht, notwendige Modernisierungsmaßnahmen und Zukunftsinvestitionen im Haushalt zu verankern. Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien wird auf 193 Millionen Euro erhöht. Wir hatten einmal 200 Millionen
Euro anvisiert. Unter den gegebenen Bedingungen ist
das, was wir erreicht haben, schon ziemlich viel; es wird
uns mächtig voranbringen. Dies zeigt sich an den vielfachen Formen der Umsetzung. Fahren Sie heute durch
Deutschland und schauen auf die Dächer oder in die
Landschaft, dann erkennen Sie, dass überall die
Energiewende praktiziert wird. Dies haben wir dem
Markteinführungsprogramm, den Forschungsbemühungen, die ebenfalls gefördert werden, und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zu verdanken.
({5})
FDP und CDU haben uns erneut den Vorwurf gemacht, wir hätten kein geschlossenes Gesamtkonzept
im Energiebereich.
({6})
Das von Ihnen zu hören ist putzig. Immerhin haben wir
schon ein Klimaschutzprogramm, eine ganze Reihe von
energiegesetzlichen Maßnahmen als Bausteine und ein
Atomausstiegsgesetz vorgelegt. Das alles zusammen ist
ein weit entwickeltes und in Ihrer Sprache ein fast schon
geschlossenes Bild.
({7})
Es fehlen noch ein paar Mosaik- bzw. Bausteine; aber
wir arbeiten weiter daran.
({8})
In all diesen Jahren haben Sie kritikasterhaft mal gegen das eine und mal gegen das andere geredet, ohne
auch nur in einem einzigen Punkt konsistent gewesen zu
sein. Vielleicht ist es der Einzelne bei Ihnen. Aber wenn
man mit den verschiedenen Flügeln - den Mittelständlern, den Marktwirtschaftlern oder den Ökologen - redet, bekommt man jeweils eine andere Antwort.
({9})
Sie erwarten von uns ein Gesamtkonzept, aber: Wo ist
Ihr Energiekonzept? Sie haben doch in keinem einzigen
Bereich der Energiepolitik ein Konzept, geschweige
denn eines aus einem Guss.
({10})
Wir haben uns der Herausforderung verschrieben,
vom Öl wegzukommen. Wir wollen das nicht nur, sondern machen auch konkrete Schritte in diese Richtung,
wir machen Programmvorschläge und entwickeln Strategien, um Schritt für Schritt von dieser Abhängigkeit loszukommen. Diese Zukunftsinvestitionen werden sich
doppelt rechnen: ökologisch, weil wir weniger Kohlenstoff verbrennen und weniger CO2 ausstoßen, und ökonomisch, weil wir angesichts der Verteuerung von Gas
und Öl gottfroh sein können, dass wir in Teilbereichen
({11})
unseres Energieverbrauchs nicht mehr vom Öl abhängig
sind,
({12})
weil es dank der Effizienzsteigerung auch gelungen ist,
weit weniger Energie als bisher zu verbrauchen.
({13})
In der Summe kann ich Ihnen sagen: Wir haben schon
einiges getan. Dass das Konzept noch nicht ganz geschlossen ist, mögen Sie verzeihen. Angesichts der Tatsache, dass Sie gar kein Konzept haben, sehen wir schon
ziemlich gut aus. Wir sorgen für Zukunftsinvestitionen,
weil wir wissen, dass wir all das, was heute nicht getan
wird, was heute nicht in Zukunftsfähigkeit investiert
wird, morgen bitter bezahlen müssen.
({14})
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Meyer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich Antworten gibt.“ Dieses Zitat des Philosophen
Martin Buber führt uns zu einem der Hauptprobleme von
Minister Trittin: fehlende Antworten auf drängende Fragen.
({0})
Viele Antworten ist die rot-grüne Bundesregierung bisher schuldig geblieben, Antworten beispielsweise auf
die Frage nach der Zukunft der Energiepolitik.
Herr Hermann, bereits vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle ein zukunftsweisendes geschlossenes Energiegesamtkonzept angemahnt,
({1})
passiert ist immer noch nichts. Die Bundesregierung hält
sich mit Vorschlägen vornehm zurück. Stattdessen reagiert sie auf die vielen offenen Fragen mit einem Mehr
an Öffentlichkeitsarbeit. Keine Frage: Gute Öffentlichkeitsarbeit ist für die Politik wichtig. Mit immer mehr
Öffentlichkeitsarbeit aber fehlende Konzepte, handwerkliche Fehler und Schnellschüsse im Gesetzgebungsverfahren zu kaschieren ist reines Blendwerk.
({2})
Es ist Blendwerk gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern, die ihre Steuergelder beispielsweise im Fall der
Stilllegung des Kernkraftwerks Stade oder in Sachen
Dosenpfand in großformatigen Anzeigen wiederfinden
mussten. Eine Zahl möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
Fast 1 Million Euro wurden von Juni 2001 bis Mitte
2004 für Dosenpfandwerbung ausgegeben.
({3})
Lassen Sie uns nun einen kritischen Blick auf den
Haushalt 2005 werfen. Er wurde weiter abgespeckt,
nach 2004 sollen auch 2005 nominal rund
20,6 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. So
weit, so gut, könnte man meinen. Sparen und weniger
ausgeben ist ja prinzipiell ganz in Ordnung. Man muss
aber genau hinsehen: Der Haushalt ist zwar insgesamt
kleiner geworden, aber das Ministerium selbst, die Bundesämter für Naturschutz und für Strahlenschutz und das
Umweltbundesamt wollen trotz Umschichtungen fast
100 neue Stellen schaffen. Die Verwaltung wird größer.
Ob das auch dem Umwelt- und Naturschutz zugute
kommt, bezweifele ich ernsthaft.
({4})
Ein Mehr an Verwaltung hat nur selten etwas gebracht.
Trotz der Aufstockung des Personals in der Verwaltung kam es in Ihrem Hause zu Versäumnissen bei der
Ausübung der Bundesaufsicht über die Landessammelstellen für radioaktive Abfälle. Dieser Fehler kann den
Bund nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes rund
7 Millionen Euro kosten. Das sind 7 Millionen Euro, die
dem Umwelthaushalt dann anderswo fehlen werden.
Umwelt? Richtig, da war doch etwas im Haushaltsentwurf und diese Woche in der Zeitung zu lesen. Zur
Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem AfrikanischEurasischen Wasservogel-Übereinkommen benötigt Minister Trittin fast 140 000 Euro. Was man mit diesem
Geld alles machen könnte!
({5})
Es gäbe sicherlich sinnvollere Einsatzmöglichkeiten wie
beispielsweise die Förderung von Forschungsprojekten
im Bereich der Energieeffizienz, der Energieeinsparung,
der Brennstoffzellentechnik und der Speichertechnologie. Hier muss Deutschland schneller vorankommen.
Unsere Unternehmen müssen diese Technik exportieren.
Das ist die Chance für unsere Wirtschaft.
Externer Sachverstand in Form von Beratern wird
auch im nächsten Jahre wieder in steigendem Maße zugekauft; das Ergebnis sieht man. Trotzdem keine ausgefeilten Konzepte!
Doris Meyer ({6})
„Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich
Antworten gibt.“ - Das gilt auch für Ihr so genanntes
Endlagerkonzept; denn „Konzept“ kann es wahrlich
nicht genannt werden.
({7})
Im jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofes wurden Ihre Vorstellungen gerügt. Die Arbeit Ihres Hauses
in diesem Bereich sei „nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und wenig transparent“. Kurz nach dem Regierungswechsel 1998 haben Sie sich von dem Zwei-EndlagerKonzept für unterschiedlich stark strahlende Abfälle
verabschiedet. Sie haben all das achtlos und noch im
Siegestaumel der gewonnenen Wahl über Bord geworfen. Sie wollten und wollen noch immer einen Sonderweg beschreiten und favorisieren ein einziges Endlager.
Große Teile der Bevölkerung, auch die in meiner
schwäbischen Heimat beim Kernkraftwerk Gundremmingen, sind in Sorge, dass es kein zentrales Endlager
geben wird, sondern die Zwischenlager zu dezentralen
Endlagern werden. Diese Sorge, meine Damen und Herren, kann ich gut nachvollziehen. Wir, aber vor allem
Sie, Herr Minister, müssen diese Sorgen ernst nehmen
und sie so weit als möglich ausräumen. Wie aber soll das
gehen, wenn Ihre Regierung unverdrossen an ihren Plänen festhält?
Minister Trittin hat der Union vorgeworfen, sie habe
die Endlagersuche blockiert. Dies entspricht nicht den
Tatsachen. Tatsache ist vielmehr, dass die Union noch
vor der Sommerpause einen Antrag in den Deutschen
Bundestag eingebracht hat, in dem Sie, Herr Trittin, aufgefordert werden, eine Lösung für die Entsorgung nuklearer Abfälle zu finden und dies nicht weiter zu verzögern. Was aber macht die Bundesregierung? Nichts.
Herr Minister Trittin, Sie ignorieren. Sie ignorieren in
unverantwortlicher Weise mehrere Gutachten. Darin
sind die Nachteile des Ein-Endlager-Konzepts aufgelistet. Sowohl unter Sicherheits- als auch unter Kostenaspekten schneidet die Ein-Endlager-Lösung schlecht ab.
Fachleute, die nicht regierungskonform argumentieren,
werden einfach von den weiteren Beratungen ausgeschlossen.
({8})
Das ist auch eine Art und Weise, die eigene Ideologie zu
pflegen und möglichst unangetastet zu lassen.
({9})
Wie sich derartige Vorgänge mit den Grundsätzen unserer Demokratie vereinbaren lassen, sei dahingestellt.
Für die Union hatte und hat die technische Sicherheit
bei der Endlagersuche stets absoluten Vorrang.
({10})
Wir von der CDU/CSU werden diesen Standpunkt im Interesse der bundesdeutschen Bevölkerung auch in Zukunft nicht aufgeben.
({11})
Wegen des bis heute fehlenden Bundestagsbeschlusses zu einem Wechsel vom Zwei- zum Ein-EndlagerKonzept sowie der fehlenden Berechnungen dazu sind
Risiken in Milliardenhöhe zu befürchten. Je länger die
Entscheidungsfindung dauert, umso höher wird das
finanzielle Risiko.
Es sieht düster aus: mit der Bundesregierung sowieso
und leider auch mit der Energieversorgung in Deutschland. Die erneuerbaren Energien allein können das nicht
leisten. Hier müssen wir realistisch sein. Das wissen Sie
so gut wie ich. Ich hoffe nur, dass Ihre energiepolitischen
Überlegungen - ich nenne sie nicht „Konzept“; denn es
ist weit und breit kein Konzept zu sehen ({12})
nicht ideologisch verunstaltet sind. Mit Ideologie lässt
sich weder heizen noch Strom erzeugen.
({13})
Ihre Regierungszeit neigt sich langsam, aber ganz sicher dem Ende zu. Trotzdem möchte ich Sie - ich bin ja
Optimistin - nochmals auffordern: Legen Sie endlich
schlüssige, zielgerichtete, zukunftsweisende und vor allem finanzierbare Konzepte auf den Tisch. Wenn Sie
schon Steuergelder verbrauchen, dann wenigstens für
Sinnvolleres als für afrikanisch-eurasische Wasservögel.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Debatten leben auch davon, dass man aufeinander
eingeht. Deswegen, Frau Meyer, möchte ich auf Ihr rhetorisch geschickt gewähltes Beispiel der afrikanisch-eurasischen Wasservögel eingehen. Wie Sie, wenn Sie recherchiert haben, wahrscheinlich wissen, handelt es sich
dabei um einen Teil der Verpflichtungen Deutschlands
zur Erfüllung der UN-Konvention zur Erhaltung der
wandernden wild lebenden Tierarten. Sie haben vor kurzem dort drüben am Brandenburger Tor ihr zehnjähriges
Jubiläum gefeiert.
({0})
- Nein, die Konvention.
({1})
Sie wurde vor zehn Jahren ratifiziert und die damalige
Umweltministerin hieß Angela Merkel. Daher sage ich
Ihnen vielen Dank dafür, dass Sie die Erfüllung von Verpflichtungen, die Angela Merkel eingegangen ist, kritisiert haben.
({2})
Zurück zum Haushalt des Umweltministeriums. Der
Haushalt des Umweltministeriums setzt klare Schwerpunkte bei den erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz und beim Weg „Weg vom Öl“. Die Mittel für das
Marktanreizprogramm für die erneuerbaren Energien
und die Fördergelder für die Forschung im Bereich der
erneuerbaren Energien sind erhöht worden. Der Bund
hat in diesen Bereichen einige äußerst erfolgreiche Kreditprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert. Wenn Sie von der CDU/CSU sich die Mühe machen würden, sich einmal die Zahlen zu besorgen, wie
viele Förderanträge bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Projekte in Ihren eigenen Wahlkreisen genehmigt worden sind, würden Sie sehen, dass diese Programme mit einem Zinssatz von nur knapp über
2 Prozent vor Ort sehr gut greifen.
Wir haben in diesem Jahr die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen, mit der Steuerbefreiung für Biotreibstoffe begonnen und anderes mehr.
Diese Koalition hat 1998 eine Politik begonnen, die
nicht nur die richtige Antwort auf Daueraufgaben wie
Klimaschutz ist, sondern die, wie wir vor allem in diesem Jahr sehen, auch die einzige wirklich wirksame Perspektive ist, um unabhängiger von Ölimporten und
damit von den sprunghaften Preisentwicklungen für Privathaushalte und die Wirtschaft in Deutschland zu werden.
({3})
Das kann man ganz einfach in zwei Punkten festhalten: Erstens. Es gibt keine bessere Versicherung gegen
steigende Energiepreise als eine höhere Energieeffizienz
und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Zweitens.
Es gibt keinen besseren Weg, Arbeitsplätze zu schaffen,
als Geld in den Ausbau erneuerbarer Energien und in
eine höhere Energieeffizienz statt in hohe Ölrechnungen
zu investieren.
({4})
Wir sind mit dieser Politik auf dem richtigen Weg.
Die Erfolgsmeldungen kommen in immer dichteren Abständen. Dafür nenne ich Ihnen vier Beispiele.
Erstes Beispiel. Seit wenigen Wochen wissen wir,
dass die erneuerbaren Energien erstmals in der Neuzeit
wieder mehr als 10 Prozent zur deutschen Stromerzeugung beitragen. Das ist ein sehr stolzes Zwischenergebnis. Wir sind klar Weltmeister beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Diese 10 Prozent erinnern mich wiederum an Frau
Merkel, diesmal allerdings in einer anderen Angelegenheit. Als sie Umweltministerin war, sollte sie eine Abschätzung abgeben, wie hoch das Potenzial für erneuerbare Energien in Deutschland sei. Dazu sagte sie Mitte
der 90er-Jahre: Auch auf mittelfristige Sicht höchstens
6 Prozent.
({5})
Derzeit liegen wir bei 10 Prozent. Dazu sage ich nur:
Willkommen in der Wirklichkeit!
({6})
Wenn Frau Homburger bzw. die FDP sagt, dass sie
marktwirtschaftliche Ausschreibungsmodelle will, stellen wir immer eine Frage, die uns aber nie beantwortet
wird: In welchem Land, das Ausschreibungsmodelle für
erneuerbare Energien durchführt, gibt es Erfolge, die
wenigstens einen Bruchteil der deutschen Erfolge ausmachen? - In keinem.
In einem der Vorreiterländer auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, in Dänemark, wurde einmal das
deutsche System angewendet. Unter einer konservativen
Regierung ist man dann zu einem Ausschreibungsmodell
übergegangen. Jetzt können wir lesen, dass man diesen
Schritt in Dänemark wieder rückgängig macht und zu
dem richtigen Modell zurückkehrt, weil das Ausschreibungsmodell keinen Erfolg hat.
({7})
Sie beenden es also. Aber Sie wollen das, was unsere
Nachbarländer probiert haben und was dort versagt hat,
in Deutschland einführen.
({8})
Zweites Beispiel. Auf der großen internationalen Regierungskonferenz Renewables 2004, die im Juni in
Bonn stattgefunden hat, wurde nicht nur das erste Aktionsprogramm für den Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch eine entsprechende Aufmerksamkeit
für deutsche Technologie und deutsche Politik erreicht.
Eine sinnvolle Fortsetzung der Renewables wäre jetzt
die konsequente Umsetzung des Bundestagsbeschlusses
zur Schaffung von IRENA, also einer internationalen
Regierungsagentur, die diese internationale Regierungskonferenz fortsetzt. Herr Minister Trittin, bitte agieren
Sie hier genauso engagiert wie bei der Renewables 2004,
damit wir diese Agentur auch einführen können.
({9})
Erlauben Sie mir an dieser Stelle die Bemerkung: Bonn
wäre ein guter Standort für die Agentur.
Drittes Beispiel. Erneuerbare Energien made in Germany sind nicht nur im Inland erfolgreich. Seit einigen
Tagen wissen wir auch, dass fast ein Viertel aller außerhalb von Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugten Leistung aus Anlagen stammt, die deutsche Unternehmen errichtet haben; das ist ein beeindruckender
Weltmarktanteil und eine beeindruckende Exportquote
in so kurzer Zeit.
Genauso kennen wir seit einigen Tagen eine genaue
Analyse des Arbeitsplatzeffektes der erneuerbaren
Energien: 118 700 Menschen arbeiten in Unternehmen
der Erneuerbare-Energien-Branche, davon 53 200 in der
Windenergiebranche. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man versucht, sein politisches Süppchen
gegen die Windenergie zu kochen.
({10})
29 000 Menschen arbeiten im Bereich der Biomasse.
Was für eine Perspektive für den ländlichen Raum! Ich
nenne Ihnen ein Beispiel im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Zuckermarktes: Anstatt sich jetzt über
Hofstilllegungen zu unterhalten, wie wir das in der Vergangenheit hatten, bemühen sich die Rübenbauern und
die entsprechenden Unternehmen, dafür zu sorgen, dass
hier vom Landwirt zum Energiewirt umgesattelt wird,
das heißt, wir haben einen Strukturwandel, der gleichzeitig mit guter Umweltpolitik verbunden ist. Das ist doch
einmal eine Perspektive für den ländlichen Raum!
({11})
Die Zahlen stammen übrigens vom Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung und spiegeln den Beschäftigungsstand Ende 2002 wider. Seitdem haben wir einen
weiteren deutlichen Aufbau.
Viertes Beispiel. Die Kapazitäten deutscher Unternehmen in den Erneuerbare-Energien-Branchen wachsen rapide, besonders in der Photovoltaik, aber nicht nur
dort. Für das Bonner Unternehmen Solarworld - ich darf
das als Bonner Abgeordneter betonen - produzieren allein in Sachsen über 500 Menschen Photovoltaikmodule.
({12})
Diese Produktion soll in den nächsten Jahren vervierfacht werden - unter Schaffung entsprechender Arbeitsplätze. Mit dieser Erfolgsmeldung schmückt sich auch
die CDU-Landesregierung in Dresden. Die dafür notwendigen Fördergesetze sind aber von allen sächsischen
Bundestagsabgeordneten der CDU abgelehnt worden.
({13})
- Von allen sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten! - Das heißt, diese Arbeitsplätze sind entstanden, als
Rot und Grün die sächsische CDU-Regierung an dieser
Stelle zu ihrem Glück gezwungen haben.
({14})
Das gespaltene Verhältnis von CDU und CSU zu den
erneuerbaren Energien ist zunehmend absurd. Ich kann
Ihnen da noch ein weiteres Beispiel nennen, auch aus
meiner Heimatstadt: Da wird die CDU-OB-Kandidatin
am Wochenende eine Photovoltaikanlage einweihen.
Das Unternehmen, das diese baut, möchte weiter Geld
damit verdienen. Ich habe ihr viele Dinge auf den Weg
gegeben, unter anderem, sie möge doch Frau Merkel
schreiben, dass sie zurücknimmt, dass nach einem eventuellen Wahlsieg von CDU und CSU 2006 das Fördermodell, das dem Bau dieser Photovoltaikanlage zugrunde lag, wie Sie es angekündigt haben, auslaufen
soll.
({15})
- Ich beantworte Ihnen die Frage, obwohl Sie keine Zwischenfrage gestellt haben: Natürlich wird der Zuschuss
zur gebauten Anlage behalten werden dürfen; das fällt
unter den Bestandsschutz. Aber dieses Unternehmen
will Menschen einstellen, um Photovoltaikanlagen bei
anderen zu bauen. Sie wollen in Arbeitsplätze investieren und sie wollen natürlich wissen: Gibt es die Förderbedingungen, zu denen heute weitere Menschen eingestellt werden sollen, auch 2006 und 2007 noch? Oder
macht die rechte Seite des Parlaments wirklich Ernst damit, die erfolgreiche Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland zu beenden? Diese Fragestellung
beschäftigt den Handwerker von dieser Firma und die
Menschen, die bei ihm arbeiten wollen.
({16})
Da wir über die Studien der DENA reden, Herr Lippold:
Die DENA hat diese Woche zu einem energiepolitischen
Frühstück eingeladen. Ich habe Sie dort nicht gesehen,
aber man hat ja auch andere Verpflichtungen, das
stimmt.
({17})
Dort ist nach der Studie gefragt worden und dort hat der
Chef der DENA Antwort gegeben. Ich hätte schon erwartet, dass Sie diese Antwort einmal lesen, bevor Sie
hier gegenüber der Regierung Falschaussagen zu dieser
Studie treffen.
({18})
- Da von einer Kollegin von der CDU/CSU gefragt
wurde, hätten Sie es vielleicht weitergeben können, oder
man hätte bei der DENA zumindest einmal nachfragen
können, bevor man eine Behauptung aufstellt.
Zurück zum aktuellen Thema der Energiepreise. Vor
allem aus den Reihen der CDU/CSU gibt es täglich populistische Vorschläge dafür, was man dort tun kann. Ich
habe gelesen, dass man das ex ante regeln sollte. Es geht
dabei um alle 1 700 Stromunternehmen, die bis zum
1. Januar 2005 eine Entscheidung über ihren Antrag haben wollen. Ich bin gespannt, wie viele Mitarbeiter der
Regulierer einstellen soll, um im Dezember 1 700 Anträge durchgängig zu prüfen.
Ohne jegliche Antwort darauf, wie das finanziert werden soll, werden Steuersenkungen gefordert. Damit
würde das Problem nur um einige Jahre in die Zukunft
verschoben. Wer Energie heute künstlich verbilligt, der
wird die Menschen in zwei Jahren vor viel größere Probleme stellen. Die beste Versicherung ist es, den Verbrauch von Öl und Gas in diesem Land zu reduzieren,
weil das die Höhe der Rechnungen senkt. Darin müssen
wir investieren.
({19})
Für diesen Weg - weg vom Öl und hin zu einer umweltverträglichen und kostenstabilen Energieversorgung setzen wir mit dem Haushalt die richtigen Schwerpunkte.
Leider geht es bei Haushaltsdebatten nicht immer nur
um Schwerpunkte, sie sind oft auch mit ätzenden
Ritualen gespickt. Eines dieser Rituale ist, dass sich die
CDU/CSU und auch die FDP immer hier hinstellen und
sagen, dass wir eigentlich zu wenig für den Umweltschutz tun und zu wenig Geld dafür ausgeben. Eigentlich
möchten Sie das besser machen. Ich befürchte, es gibt
sogar einige Journalisten und Bürger, die das glauben.
Diese lade ich ein, in den Umweltausschuss zu kommen
und persönlich nachzuprüfen, wie die Umweltpolitik
von CDU/CSU und FDP wirklich aussieht.
Herr Lippold hat vorhin gesagt, wir würden die CDU/
CSU-Klimaschutzziele nicht erreichen. Im Umweltausschuss haben Sie vor wenigen Wochen gefordert, dass
Deutschland im Jahre 2007 mehr Treibhausgase emittieren können soll als 2004. Das wäre die Beendigung des
Klimaschutzes. Jeder kann im Umweltausschuss persönlich nachprüfen, wie die echte Umweltpolitik aussieht.
({20})
Manchmal hört man fast das Zähneknirschen von wirklich engagierten CDU/CSU-Politikern, wie zum Beispiel
der Kollegin Meyer, der ich das zubillige, wenn die Vorturner an dieser Stelle so etwas fordern.
Ich könnte an dieser Stelle einige weitere Beispiele
aufzählen, aber meine Redezeit beträgt noch genau null
Sekunden. Mit dieser Opposition ist in diesem Staat kein
Umweltschutz zu machen. Es gibt keine Alternative zu
dem Weg, den wir eingeschlagen haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({21})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Peter
Paziorek das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kelber hat gerade eine Aussprache und Diskussion
in einer der letzten Sitzungen des Umweltausschusses zitiert. Es ging um die Frage, wie viel CO2 gemäß dem nationalen Zuteilungsplan in der ersten Zuteilungsperiode
bis Ende 2007 in Deutschland reduziert werden soll.
Herr Kelber hat das gerade so dargestellt, als ob die
CDU/CSU nur ein Interesse daran hätte, einen ehrgeizigen Plan zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu boykottieren und zu hintertreiben. Herr Kelber, das, was Sie
gesagt haben, war falsch. Sie haben die Diskussion im
Umweltausschuss völlig verfälscht wiedergegeben.
Im Umweltausschuss ging es um die Frage, ob wir
das Ziel der CO2-Reduktion, zu dem wir uns völkerrechtlich gemeinsam verpflichtet haben, im Jahre 2012
erreichen oder ob wir es in der Form, die Sie vorgeschlagen haben, weitgehend bereits im Jahre 2008 erreichen
müssen. Wir als Union haben vorgeschlagen, den gesamten Zeitraum zu sehen und die Phasen gegenseitig zu gewichten. Daneben haben wir deutlich gemacht, dass wir
schon eine Reduktion von fast 19 Prozent - insgesamt
werden 21 Prozent angestrebt - erreicht haben. Wir haben vorgeschlagen, die noch fehlenden 2 Prozent nicht
in der ersten Phase bis 2008 übermäßig stark anzustreben, sondern die Erreichung dieses Ziels praktisch auf
beide Phasen zu verteilen und den Anteil für die zweite
Phase bis 2012 zu erhöhen.
Das hätte den Vorteil gehabt, dass die deutsche Wirtschaft schrittweise in den Emissionshandel hineingeführt
worden wäre und dass der Wettbewerb zwischen den nationalen Volkswirtschaften nicht zulasten des deutschen
Standortes beeinträchtigt worden wäre. Dennoch hätten
wir das gemeinsame Ziel bis 2012 erreichen können.
Dafür und nicht dafür, sich von einer CO2-Politik zu
verabschieden, haben wir plädiert.
({0})
Kollege Kelber zur Erwiderung.
Herr Kollege Paziorek, Sie haben gerade eigentlich
nur das bestätigt, was ich gesagt habe. Ich habe zwei Sachen unterschieden:
Erstens habe ich gesagt, dass sich die CDU/CSU in
Form von Herrn Lippold hier hingestellt und gesagt hat,
wir hätten das 25-Prozent-Ziel eigentlich erreichen müssen, was etwa 100 Millionen Tonnen CO2 weniger gewesen wären.
Zweitens. Bei den Verhandlungen über den Klimaschutz in den letzten Wochen, bei denen es um zwei
Zeiträume geht, 2005 bis 2007 und 2008 bis 2012, als
wir vorgeschlagen haben, bis 2007 nicht um 100 Millionen, sondern um 2 Millionen Tonnen zu reduzieren, haben Sie erklärt, dass das nicht machbar sei. Zu dem Ziel,
bis 2012 von 505 Millionen auf 499 Millionen Tonnen
für die Energiewirtschaft und die Industrie herunterzugehen, haben Sie sich gar nicht geäußert, sondern sind ganz
still gewesen. Als wir vorgeschlagen haben, von
505 Millionen auf 503 Millionen Tonnen zu reduzieren
- der CDU-Vorschlag von 1990 lag bei knapp über
400 Millionen Tonnen -, hieß es, diese 2 Millionen Tonnen Reduktion seien nicht zu erreichen.
Bei diesem Verhalten ist es unehrlich, heute zu sagen,
wir haben von euch 100 Millionen Tonnen Reduktion
gefordert, die ihr aber nicht erreicht. Dabei waren Sie
doch nicht einmal bereit, uns bei 2 Millionen Tonnen
entgegenzukommen.
({0})
Nach meinem Eindruck hatte sowohl derjenige, der
die Kurzintervention machen wollte, wie auch derjenige,
der darauf reagieren darf, Gelegenheit, das zu tun.
Nun können wir dem nächsten Redner lauschen. Das
ist der Kollege Albrecht Feibel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über den Haushaltsplan 2005. Herr
Kelber, Sie sind eine ganz wichtige Antwort schuldig geblieben. Natürlich sind neue Arbeitsplätze im Bereich
der erneuerbaren Energien wünschenswert.
({0})
- Von mir aus sind es gut 100 000. Aber was diese Arbeitsplätze kosten, haben Sie hier nicht vorgetragen. Das
ist dann eine unredliche Diskussion über neue Arbeitsplätze.
({1})
Der Kollege von Weizsäcker hat davon gesprochen,
dass es ein Haushalt der Kosteneffizienz sei, der vom
Umweltminister vorgelegt wurde. Wer genau hinschaut,
sieht viele Möglichkeiten der Einsparungen, die vorgenommen werden können. Selbst wenn der Haushalt mit
rund 750 Millionen Euro eher klein ist, so wissen wir
doch, dass die großen Ausgaben in Milliardenbeträgen
außerhalb dieses Haushaltes stattfinden. Deshalb müssen
wir das Gesamtpaket betrachten und dazu Einsparvorschläge machen.
Der Bund ist in einer außerordentlich schwierigen Situation, weil er seit etlichen Jahren etwa 200 Milliarden Euro einnimmt und rund 250 Milliarden Euro ausgibt und diese Lücke von 40 bis 50 Milliarden Euro im
Wesentlichen immer wieder durch Neuverschuldung
abgedeckt werden muss. Das heißt, wenn wir eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik machen wollen, ist es
dringend notwendig, dass diese Lücke reduziert wird.
Deshalb muss in allen Einzelplänen gespart werden.
Vor einer Politik, wie sie im Moment gemacht wird,
hat der Bundeskanzler vor einem Jahr in Berlin gewarnt.
Er hat gesagt: Wir dürfen heute nicht all das aufessen,
wovon diese morgen auch noch leben wollen. - Ich
nehme an, dass er mit „diese“ die nächsten Generationen
meint. Das sei künftigen Generationen gegenüber nicht
fair, so der Bundeskanzler.
Betrachten wir einmal den Einzelplan 16. Er zeugt
nicht gerade von Rücksichtnahme auf künftige Generationen. Unter der Überschrift „Wir tun etwas für die Umwelt“ kann man vieles entschuldigen. Man kann erklären, dies seien im Rahmen des Umweltschutzes
zwingende Investitionen. Aber das Haushaltsgebaren
des Einzelplans 16 ist weder fair, wie es der Bundeskanzler gefordert hat, noch verantwortungsbewusst.
Deshalb nützt es auch nichts, wenn der Kanzler feststellt: Der Bundesfinanzminister hat damit begonnen,
den Haushalt erfolgreich zu konsolidieren. Bei einer Lücke von 40 bis 50 Milliarden Euro im Jahr kann man das
sicher nicht sagen. Eine erfolgreiche Konsolidierung besteht bei dieser Regierung in einer hohen Neuverschuldung. Das kann nicht das Ziel der Haushaltspolitik sein.
Wer wie diese Bundesregierung von den Bürgern
Sparsamkeit verlangt, der muss auch selbst ein gutes
Beispiel geben. Selbst wenn das erwartete bescheidene
Wirtschaftswachstum den Haushalt sicher nicht verfassungsgemäß und auch nicht den Maastricht-Kriterien
entsprechend werden lässt, müssen wir daran gehen, in
dem Einzelplan des Umweltministers nach Einsparmöglichkeiten zu suchen.
Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, insbesondere im konsumtiven Bereich. Da sind die Personalausgaben. Der Finanzminister fordert von jedem Minister jährlich Einsparungen von 1,5 Prozent. Dem kommt
der Umweltminister rein formal auch nach, indem er die
regulären Personalkosten um 1,5 Prozent kürzt, allerdings parallel dazu - dies auch wieder im Jahr 2005 Hilfskräfte und Mitarbeiter mit Zeitverträgen beschäftigt. Das ist ein Nullsummenspiel, aber keine Einsparung. Wenn wir genau hinschauen, könnte im Bereich
der Hilfskräfte und der Mitarbeiter mit Zeitverträgen
eine Summe von mindestens 6 Millionen Euro eingespart werden.
({2})
Der nächste Punkt. Für internationale Zusammenarbeit und internationale Organisationen sieht der Einzelplan des Umweltministers 32,5 Millionen Euro vor.
Da sind sicher die größten Beträge nützlich angelegt.
Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Trotzdem bin
ich der Auffassung, dass auch dort Einsparmöglichkeiten
gegeben sind. Ich denke an eine Summe von etwa
5 Millionen Euro.
({3})
- Nicht alles sind Zusagen. Schauen Sie sich den Haushalt genau an! Sie werden feststellen, dass da noch allerhand Luft ist.
In Zeiten knapper Kassen müssen die Ausgaben für
Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentation und Dienstreisen reduziert werden. Diese Ausgaben machen annähernd 12 Millionen Euro aus. Ich gehe von einem Einsparvolumen von mindestens 5 Millionen Euro aus. In
diesem Zusammenhang ist auch die Kritik des Bundesrechnungshofes zu sehen, der im Zusammenhang mit der
verschwenderischen Brasilienreise davon gesprochen
hat, dass es immer noch ein ungenügendes Reisemanagement im Ministerium gibt.
Mehr als 260 Millionen Euro sollen auch im
Jahr 2005 für die Förderung erneuerbarer Energien
ausgegeben werden. Das ist sicher in Ordnung. Wir wollen das auch. Aber ich bin der Meinung, dass man auch
diese Ausgaben auf den Prüfstand stellen muss, um zu
sehen, ob es Einsparmöglichkeiten gibt. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Einspeisevergütung. Es
ist nicht zu leugnen, dass 40 Prozent der Stromkosten
vom Staat bestimmt werden. Wenn die Preise so hoch
sind wie in diesen Tagen, was kritisiert wird, und die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gefährdet ist,
dann muss man diesen Anteil von 40 Prozent ebenfalls
unter die Lupe nehmen.
Ein leidiges Thema sind die enormen Kosten für
Sachverständige, Berater, Gutachten und Fachbeiräte.
Deren Sinnhaftigkeit muss man einmal überprüfen. Das
Bundesumweltministerium verfügt über ausgezeichnete
Fachkräfte oder wollten Sie das bestreiten, Herr Minister? - Er hört überhaupt nicht zu. Deshalb sollte es nur in
Ausnahmefällen auf die Beschäftigung Externer zurückgreifen. Auch da gibt es ein erhebliches Einsparpotenzial. Ich gehe davon aus, dass man hier mindestens
50 Prozent - sprich: 2 Millionen Euro - einsparen kann.
Die letzte ergiebige Position für Einsparungen liegt
bei der Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven
Abfällen, die chaotisch ist. Ich möchte hier keine Wertung über die Kernenergie abgeben. Das haben Sie und
andere schon gemacht. Es ist lediglich die Betrachtung
und die Kritik des Haushälters, der sich um Sparsamkeit
und Wirtschaftlichkeit im Umgang mit den Steuergeldern sorgt. Da werden Gutachten für viel Geld in Serie
bestellt, Kommissionen beschäftigt und Projektgruppen
berufen, deren Beratungsergebnisse den Minister überhaupt nicht interessieren.
({4})
Offensichtlich ist er deshalb nicht interessiert, weil die
vorgeschlagenen Lösungen nicht seinen Vorstellungen
entsprechen.
({5})
In Wirklichkeit will der Minister mit diesen Gutachtern,
Projektgruppen und Kommissionen nur eine Verzögerung der Problemlösung herbeiführen. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht vom 31. August 2004
eine vernichtende Kritik hinsichtlich der Endlagerung
atomarer Abfälle in der Verantwortung des Bundesumweltministers abgegeben. Der Konzeptwechsel vom
Mehr- zum Einendlager birgt nach Auffassung des Bundesrechnungshofes Risiken für den Bundeshaushalt in
Höhe mehrerer Milliarden Euro. Diese Risiken wachsen
mit der Dauer der Entscheidungsfindungsprozesse, Herr
Minister. Sie sind kräftig dabei, diese Entscheidungsfindungsprozesse in die Länge zu ziehen.
Wir schließen uns der Aufforderung des Bundesrechnungshofes an, der Sie, Herr Trittin, auffordert, endlich
die Ihnen vorliegenden Erkenntnisse auszuwerten, eine
Bilanz aus den bisherigen Untersuchungen zu ziehen
und auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zügig eine Entscheidung
herbeizuführen, um die finanziellen Risiken für den
Bundeshaushalt zu beherrschen. Das schreibt Ihnen der
Bundesrechnungshof ins Stammbuch.
Im Übrigen sollten Sie bedenken, dass in keinem anderen Staat auf dieser Erde bisher das Ziel einer gemeinsamen Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in einem
einzigen Endlager verfolgt wurde. Das sollte eigentlich
zum Nachdenken führen. Handeln Sie ohne ideologische
Scheuklappen, damit Sie dem ohnehin gebeutelten Steuerzahler nicht noch höhere Stromrechnungen, noch höhere Kosten und noch höhere Haushaltsdefizite zumuten.
Danke.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Müller,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
noch gar nicht so lange her, da hörte man überall, das
Jahrzehnt der Ökologie sei vorbei. In der Zwischenzeit
hat uns die Wirklichkeit eingeholt, und zwar härter, als
viele geglaubt haben. Man muss sich nur die Entwicklung auf den Rohstoff- und Energiemärkten anschauen.
Das entscheidende Problem, mit dem wir es heute zu tun
haben, ist ein ökologisches Problem. Es ist nicht so, dass
dieses Thema abgeschrieben ist; im Gegenteil: Wenn wir
jetzt die Weichen falsch stellen, dann wird uns sowohl
eine ökonomische Krise als auch eine ökologische Krise
einholen. Insofern muss man sich jetzt genau anschauen,
wie die langen Linien unserer Politik aussehen sollen.
Das ist wichtiger denn je.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an einem Punkt verdeutlichen: Seit der industriellen Revolution, also seit 1850, ist die entscheidende Grundlage des
industriellen Wachstums der Einsatz von Ressourcen.
Er ist inzwischen auch ein entscheidender Motor der
Globalisierung, aber gerade auch die Schwäche der Globalisierung. Wir kommen an der einfachen Feststellung
nicht vorbei: Das heutige Energie- und Rohstoffsystem
ist auf 1 Milliarde Menschen ausgerichtet. Selbst diese
1 Milliarde Menschen überfordert das System bereits.
Wir haben aber 5 bis 6 Milliarden Menschen auf der
Erde, die dieses System nutzen wollen. Deshalb kann
man das bisherige Energie- und Rohstoffsystem nicht
fortsetzen. Das ist der entscheidende Punkt, um den es
geht.
({1})
Wir müssen einfach begreifen: Wenn nicht einige Industrieländer Vorreiter sind bei der Neuordnung in Richtung Energieeffizienz und Solarwirtschaft, dann wird
genau das eintreten, was uns eigentlich seit Ende der
60er-Jahre alle prognostizieren, nämlich dass wir keine
Michael Müller ({2})
friedliche Zukunft haben. Das ist der Punkt, um den es
geht.
Frau Homburger, wenn Sie von Freiheit reden, dann
muss ich Ihnen auch einmal sagen: Es gibt keinen nennenswerten wichtigen Philosophen der Moderne, der
Freiheit nur individuell definiert hat - was Sie permanent tun.
({3})
Es ist immer so gewesen, dass es eine Wechselwirkung
zwischen Verantwortung für die Gemeinschaft und individueller Freiheit gegeben hat. Das ist die Grundlage
der Moderne, nicht Ihr verengtes und meines Erachtens
auch sehr verklemmtes Verständnis von Freiheit.
({4})
Auch Joseph Schumpeter, der Innovationstheoretiker
Nummer eins, hat es immer abgelehnt, Markt nur als individuelle Freiheit zu definieren; er hat ihn immer im
Zusammenhang mit den öffentlichen, mit den gemeinschaftlichen Gütern, wie er es genannt hat, definiert.
({5})
Sie haben bis heute nicht verstanden, dass in einer zusammenwachsenden Welt das Prinzip der Gegenseitigkeit wichtiger denn je wird, und zwar nicht nur Gegenseitigkeit der heute lebenden Generation, sondern
gleichzeitig auch der künftig lebenden Generationen.
Meine Damen und Herren, es gehört zum Verständnis
von Freiheit, dass man auch die Verantwortung übernimmt. Genau das tun wir. Es ist natürlich einfach, zu sagen: Wir versprechen billige Energie. Nur, es ist eine
Lüge; denn niemand kann dieses Versprechen einhalten.
Insofern geht es um preiswerte Energie. Es wird in Zukunft aber keine billige Energie mehr geben; denn die
Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Deshalb
müssen wir alles tun, um vor allem Energie einzusparen
und neue Energietechnologien zu entwickeln. Man darf
nicht, wie Sie das tun, glauben, die Lösung liege darin,
dass man einfach das Energieangebot ausweitet.
Die Atomkraft, die Sie favorisieren, ist jedoch keine
Lösung. Würden die Ausbaupläne, über die momentan
in vielen Ländern diskutiert wird, umgesetzt, dann würden die Uranressourcen nach Untersuchungen des
VDEW - das sollten Sie wissen - in 20 bis 25 Jahren erschöpft sein. Wollen Sie in diese Falle laufen oder - das
wäre dann die Alternative - wollen Sie die Plutoniumwirtschaft? Sie sollten hier die Wahrheit sagen.
({6})
Tatsache ist: Wir erleben zum ersten Mal im industriellen Zeitalter, was es bedeutet, mit Grenzen umgehen
zu müssen. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Man kann ja beispielsweise über die Ökosteuer oder das EEG denken, was man will. Aber wer bestreitet, dass damit tendenziell eine Wende in der
Energiepolitik eingeleitet wurde, der hat nichts begriffen
oder will die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Seit der
Ölpreiskrise Anfang der 70er-Jahre sinkt zum ersten Mal
der Kraftstoffverbrauch in Deutschland, und zwar
nicht unter Krisenbedingungen. Es gibt eine massive
Steigerung der Energieproduktivität. Das Wachstum
liegt in diesem Bereich bei 2 Prozent. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir selten mehr als 1 Prozent erreicht. Es gibt hier auch einen Aufwuchs an Arbeitsplätzen.
({7})
Natürlich ist das ein schwieriger Weg. Aber glauben Sie
im Ernst, dass alles automatisch geregelt wird, wenn wir
es dem Markt überlassen? Warum ist es dann aber in der
Vergangenheit nicht passiert? Es bedarf politischer Rahmensetzungen.
({8})
Dazu muss man sich bekennen. Das tun wir. Ich finde
das auch richtig.
In einer sehr weitsichtigen Rede vor der Wirtschaftskammer von Madrid hat John Maynard Keynes 1933
gesagt - das haben die Keynesianer, die nur über das
Deficit-spending reden, bestimmt nie gelesen; ich finde,
dass das einer der interessantesten Punkte ist -:
Die zentralen Zukunftsfragen werden sein: technologische Arbeitslosigkeit und die Verwerfungen
zwischen Geldanlagen und Produktivität im internationalen Bereich.
Genau das tritt heute ein. Interessanterweise ist auch hier
Ökologie ein entscheidender Punkt, um das Problem zu
lösen. In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, Probleme in der Beschäftigungspolitik ausschließlich über
den Faktor Arbeit zu lösen. Deutschland braucht gerade
als Exportland eine hohe Produktivität. Das können wir
nur über mehr Materialeffizienz, Energieeffizienz und
Ressourceneffizienz erreichen. Das ist der entscheidende
Weg. Auch hier liegt Rot-Grün richtig, nicht Sie.
({9})
Was Verantwortung der Politik bedeutet, möchte ich
an drei Punkten deutlich machen. Erster Punkt. Wir machen eine Energiepolitik der Effizienz und der solaren
Wende, weil wir nicht wollen, dass die Zukunft von Ressourcenkriegen bestimmt wird. Wenn man sich in der
Welt genau umschaut, dann weiß man, dass das bereits
real ist. Was erleben wir denn momentan? Ein Teil der
Energiepreissteigerungen ist darauf zurückzuführen,
dass jetzt große und sich industrialisierende Schwellenländer das Gleiche tun, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Deshalb explodiert beispielsweise der Erdölpreis im Nahen Osten. Es ist eine Illusion, zu glauben,
dass diese Entwicklung allein auf den Terrorismus zurückgeht. Vielmehr entwickelt sich eine ganz andere
Nachfragestruktur. Das kann man nicht einfach hinnehmen. Man muss vielmehr einen intelligenteren Umgang mit Energie entwickeln. Das ist die Antwort darauf.
Michael Müller ({10})
({11})
Der zweite Punkt betrifft die Klimagefahren. Nehmen
Sie als Beispiel nur die letzte Studie der Europäischen
Umweltagentur. Was dort vor allem im Hinblick auf die
Veränderung der Meeressysteme festgestellt wird, ist
dramatisch. Wir nehmen das viel zu wenig zur Kenntnis.
So hat sich der Druckwirbel im Nordatlantik beispielsweise in den letzten 15 Jahren um ungefähr 25 Prozent
verringert. Was dies in Konsequenz für das gesamte
europäische Klima bedeutet, kann man sich gar nicht
ausmalen.
({12})
Auf jeden Fall wird es verhängnisvoll sein. Andere Beispiele sind die Veränderung des Salzgehaltes in den
Ozeanen und das immer häufigere Auftreten des HenryEffektes, also des Abbrechens großer polarer Eisschichten. All das sind Phänomene, deren Bedeutung wir bei
einer kurzfristigen Betrachtungsweise überhaupt nicht
erfassen können. Auch hier hat die Politik die Verantwortung, in langen Zeiträumen zu denken. Das bedeutet
„Energiewende“.
Dritter Punkt. Die technologische Arbeitslosigkeit
wird - ich habe es schon einmal angesprochen - nicht zu
beseitigen sein, sofern wir den gesamten Rationalisierungsdruck in reifen Ökonomien nur über den Faktor Arbeit organisieren. So wird dieses Problem nicht gelöst.
Wir brauchen einen anderen, einen intelligenteren Umgang mit Produktivität.
Sie müssen sehen: Die Ressourcenproduktivität ist
im Vergleich zur Arbeitsproduktivität nur um etwa ein
Viertel, wenn nicht sogar nur um ein Fünftel gestiegen.
Steigende Arbeitsproduktivität heißt: Es wird immer
mehr Arbeitskraft durch Technik ersetzt. Warum fördern
wir nicht eine Produktivitätssteigerung, die im Grunde
genommen die Natur und die Ressourcen schont? Auch
das ist möglich und es schafft Arbeit. So sieht ein anderes, ein zukunftsweisendes Denken aus, wie wir es wollen und wie es unserer Linie entspricht.
({13})
Ich glaube, dass die Ökologie wieder eine zentrale,
eine viel größere Bedeutung bekommt, als wir es uns im
Moment vorstellen; denn in Zukunft wird in einer zusammenwachsenden Welt die stoffliche Seite des Wirtschaftens von zentraler Bedeutung sein. Jetzt können wir
die Weichen stellen: Entweder wir bleiben bei der
Verschwendungswirtschaft - wir müssen sie dann unter
Inkaufnahme immer größerer Konflikte absichern; logischerweise werden wir dann zur Nutzung von Atomenergie und vielem anderen zurückkehren - oder wir begreifen, dass Zukunftsverantwortung für uns heißt: Wir
müssen versuchen, mit möglichst wenig Energie und mit
möglichst wenig Rohstoffen auszukommen.
Herr Paziorek, Anfang der 90er-Jahre haben wir die
Idee der Kreislaufwirtschaft entwickelt. Doch leider ist
diese Idee - das ist mein Vorwurf - Papier geblieben.
({14})
- Doch, es ist Papier geblieben. - Ich erinnere beispielsweise an Ihr, wie ich finde, fast nur noch karikierendes
Verhalten gegenüber dem Dosenpfand. Wenn man genau
hinschaut, erkennt man: Das Dosenpfand war ein Pfeiler
des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Da kann ich nur sagen:
Ihr ganzes Denken ist: Überschriften setzen, aber bitte
keine Konsequenzen daraus ziehen. Das geht nicht.
({15})
Wer Verantwortung will, muss auch einmal Konflikte
durchstehen.
({16})
Unser Land und vor allem Europa haben in einer globalisierten Welt wirklich die große Chance, die ökologische Modernisierung zum Markenzeichen eines neuen,
verträglichen Fortschritts zu machen.
({17})
- Ich war immer dafür. Mein Problem war, dass ich damals gegen Sie kämpfen musste.
({18})
- Aber Entschuldigung. Ich erinnere mich doch noch an
die Debatte Anfang der 90er-Jahre. Damals hat die SPDFraktion - Stichwort Grüner Punkt - eine Abgabe verlangt und Sie haben genau das Gegenteil durchgesetzt.
Wir haben es doch heute mit Ihrem und nicht mit unserem Gesetz zu tun.
({19})
Wo sind wir denn? Verdrehen Sie doch nicht die Tatsachen.
Lassen Sie uns gemeinsam für diese große Zukunftschance kämpfen! Die ökologische Modernisierung ist
Europas Chance. Wenn wir da versagen, dann ist das
mehr als nur eine parteipolitische Frage.
({20})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Professor Bietmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Werter Kollege Müller, es war unbestreitbar sehr interessant, Ihnen zuzuhören.
({0})
Aber Ihre Ausführungen über den Rohstoffeinsatz und
die Entwicklung der Weltbevölkerung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es heute um den Bundeshaushalt des Jahres 2005 von Herrn Trittin geht. Ich denke,
damit sollten wir uns auch beschäftigen. Ich sage das,
obwohl ich eingestehen muss, dass insbesondere die
Ausführungen von Herrn Kollegen von Weizsäcker sehr
interessant waren.
Es ist sicherlich unbestreitbar, dass die Bewahrung einer aktiven, lebenswerten Umwelt zu den großen politischen Herausforderungen der Gegenwart zählt. In Konsequenz dieser Erkenntnis haben von der Union geführte
Bundesregierungen ein auf Naturschutz und Umweltbelange ausgerichtetes Ministerium geschaffen. Ziel dieser
Politik war es, Umweltschutz eben nicht nur als Querschnittsaufgabe zu akzeptieren, sondern die Umweltschutzaufgaben des Bundes in einem spezifisch dafür
eingerichteten Ministerium zu konkretisieren und damit
klare Verantwortlichkeiten zu schaffen.
Schaut man sich das heute, sechs Jahre nach der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, an, dann stellt man
fest, dass davon nicht viel übrig geblieben ist.
({1})
Von den im Bundeshaushalt 2005 vorgesehenen Umweltschutzausgaben in Höhe von insgesamt 4,1 Milliarden Euro entfallen lediglich 769 Millionen Euro, also
nur rund 19 Prozent, auf das Bundesumweltministerium.
81 Prozent der umweltschutzrelevanten Ausgaben werden durch die Bundesregierung auf andere Ressorts verteilt. Dies ist mit Sicherheit kein Vertrauensbeweis für
Sie, Herr Trittin.
({2})
Für mich ist überhaupt nicht nachvollziehbar - Herr
Kollege Hermann, ich habe mir das sehr genau angesehen -, dass beispielsweise für Forschung im Haushalt
des Umweltministeriums lediglich 21 Millionen Euro,
im Haushalt der Bundesbildungsministerin für Grundlagenforschung zum Umweltschutz aber 604 Millionen
Euro zur Verfügung stehen. Wer wirklich wirksamen
Umweltschutz in Deutschland will, der muss auch die
organisatorischen Voraussetzungen für eine zielgerichtete Umweltpolitik schaffen. Ein vielfach bedeutungslos
gewordenes Umweltministerium können wir uns in diesem Land nicht erlauben.
({3})
Natürlich kann man für das am Haushalt ablesbare
Misstrauen gegenüber dem Umweltminister Verständnis
haben. Hier ist mehrfach der Bericht des Bundesrechnungshofes über das Endlagerkonzept dieses Ministers
zitiert worden. In ungewöhnlich krasser Form wird dessen Politik gerügt. Der Rechnungshof spricht gar von
Beratungsresistenz Trittins und wirft ihm vor, aus rein
ideologischen Erwägungen die Bundesrepublik Deutschland mit finanziellen Risiken in Milliardenhöhe zu überziehen.
Diese schonungslose Kritik immerhin des Bundesrechnungshofes
({4})
wird auch durch einen Blick in den Haushalt 2005 bestätigt. Die Zahlen, die wir dort lesen, dokumentieren den
Schaden, der durch die politisch gewollte Verzögerung
der Endlagerlösung entsteht. Allein für die Offenhaltung
des Standortes Gorleben werden 26,6 Millionen Euro
vorgesehen. Für das Endlager Schacht Konrad sind
weitere 20 Millionen Euro veranschlagt. Rechnet man
die Kosten, die nur für die Offenhaltung der beiden Endlagerstandorte angesetzt worden sind, für die Dauer des
Moratoriums zusammen, so ergeben sich allein hieraus
Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Dabei bleiben die Erforschungs- und Ausbaukosten in Milliardenhöhe unberücksichtigt.
Der Genehmigungsbescheid für den Schacht Konrad
als Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle
liegt bereits seit dem 5. Juni 2002 vor. Wir brauchen dieses Endlager dringend. Schwach und mittelradioaktive
Abfälle fallen in großer Zahl an, insbesondere im medizinischen Bereich, aber auch im Forschungsbereich.
Die baden-württembergische Landesregierung hat
erst vor wenigen Wochen Herrn Trittin darauf aufmerksam gemacht, dass rund zwei Drittel aller schwach und
mittelradioaktiven Abfälle in Deutschland in der Forschungsanlage Karlsruhe oberirdisch gelagert werden mit erheblichem Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung.
Die Endlagerung dieser Abfälle im eigens dafür vorgesehenen Schacht Konrad ist im Interesse des Schutzes
der Bevölkerung unverzichtbar.
({5})
Es ist höchste Zeit, dass diese verantwortungslose
Verzögerungspolitik in Sachen Endlager gestoppt wird.
Darum fordern wir den Sofortvollzug der Genehmigung
für den Schacht Konrad und die Beendigung des Moratoriums für Gorleben.
Stattdessen werden die Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, das gesamte Bundesgebiet mit oberirdischen Zwischenlagern für hoch radioaktive Stoffe
zu überziehen. Die hierdurch bedingte, politisch gewollte Mehrung von atomarem Gefährdungspotenzial ist
unverantwortbar.
Ich muss Ihnen sagen, Herr Trittin: Ihr Auftritt heute
in Sachen Atomkraft war meines Erachtens nur peinlich.
Dass sich ein Bundesumweltminister hier hinstellt, das
Kernkraftwerk Biblis mit Temelin vergleicht, dann noch
sagt, das seien - wörtlich - alte Mühlen,
({6})
und damit in der Bevölkerung Unsicherheit und Angst
schürt - als Mittel der politischen Auseinandersetzung -,
({7})
ist des Amtes eines Umweltministers der Bundesrepublik Deutschland wahrhaft nicht würdig.
({8})
Natürlich haben Sie sich auch zu den Energiekosten
geäußert; das haben wir nicht anders erwartet. Gemäß
der Devise „Schuld sind immer die Unternehmen“ haben
Sie den Versuch gestartet, von eigenem Versagen abzulenken. Fest steht aber, dass in den Jahren der rot-grünen
Regierungsverantwortung der auf den Staat entfallende
Anteil in den Stromkosten um mehr als 20 Milliarden
Euro gestiegen ist.
Plötzlich erkennt man in der rot-grünen Regierung,
dass hohe Energiekosten zum Standortnachteil für
Deutschland werden, dass sie für die Abwanderung von
Unternehmen und damit den Verlust von Arbeitsplätzen
mit ursächlich sind. Die Union hat diese Preisspirale bereits bei Einführung der Ökosteuer vorhergesagt. Herr
Trittin war es ja, der dem seinerzeit entgegengehalten
hat, Energiepreise könnten gar nicht hoch genug sein, da
hierdurch ein Anreiz zum Energiesparen geschaffen
werde.
Vor diesem ideologischen Hintergrund wurde die
Ökosteuer eingeführt und fortlaufend erhöht. Wenn dann
gleichzeitig noch eine KWK-Abgabe und eine EEGUmlage den Stromkunden tangieren, dann wird verständlich, warum die Bundesrepublik Deutschland heute
europäischer Spitzenreiter bei den Stromkosten ist.
Natürlich sind die erneuerbaren Energien - da gebe
ich Ihnen ausdrücklich Recht - weder alleiniger noch
wesentlicher Preistreiber. Wir von der Union wollen und
werden erneuerbare Energien fördern. Wer jedoch wie
die Union ein klares Bekenntnis zu erneuerbaren Energien und deren Förderung ablegt, der kann nicht gleichzeitig die Einführung einer umweltpolitisch wirkungslosen Ökosteuer befürworten, die dann auch noch Jahr für
Jahr kräftig erhöht wird. Diese Rechnung geht nicht auf.
({9})
Der Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen ist das Ergebnis.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Haushaltsentwurf ist insgesamt nicht nur Dokument einer zunehmenden haushaltspolitischen Bedeutungslosigkeit
des Umweltministers, er zeigt gleichzeitig auch völlig
unvertretbare Schwachstellen rot-grüner Umweltpolitik
auf. CDU und CSU treten angesichts der internationalen
Herausforderungen insbesondere im Bereich des Klimaschutzes für ein starkes Umweltministerium ein. Umweltschutz ist für uns eine Kernaufgabe zukunftsorientierter Politik. Der werden wir uns auch in den nächsten
Jahren engagiert annehmen.
({10})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a und
9 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Autobahnmautgesetzes für
schwere Nutzfahrzeuge
- Drucksache 15/3678 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer ({1}), Eduard Oswald, Dr. Klaus W.
Lippold ({2}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Mautbefreiung für humanitäre Hilfstransporte
- Drucksache 15/3489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Bundesminister Manfred Stolpe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und der
Aufbau Ost sind drei Arbeitsfelder, die - ich darf das so
sagen - mit über Deutschlands Zukunft entscheiden werden.
({0})
Es sind mittel- und langfristige Aufgaben, die unser aller
Anstrengungen brauchen. Für Schnellschüsse sind sie
schlecht geeignet. Es handelt sich um Arbeitsfelder, bei
denen wechselseitige Polemik wenig hilft, aber Konsenssuche und Ehrlichkeit der Sache und vielleicht sogar
dem Ansehen der Politik helfen können.
({1})
Langfristig muss eine ausreichende Finanzierung dieser drei Arbeitsfelder gesichert werden. Daran besteht sicherlich kein Zweifel in diesem Haus. Kein Zweifel besteht sicher auch darin, dass Haushaltskonsolidierung
alternativlos ist. Deshalb tragen wir die Beschlüsse des
Bundestages und des Bundesrates zum Subventionsabbau mit, aber in der Erwartung, dass die nötigen
Sonderhilfen für Ostdeutschland davon unberührt bleiben, und in der Überzeugung, dass Verkehrsinfrastrukturinvestitionen keine Subventionen sind - weder bei
Straßen noch bei Wasserstraßen noch bei Schienenwegen.
({2})
Diese Lebensadern müssen gestärkt werden, um das
Transitland Deutschland und seine Wirtschaft zukunftssicher zu machen.
In dieser Spannung zwischen hohem Finanzbedarf
und Zwang zum Sparen gehen wir in unserem Ministerium neue Wege zur Sicherung unserer Aufgaben. Im
Bereich des Bauwesens und des Städtebaus setzen wir
unsere konsequente Innovationspolitik fort. Das neue
Baugesetzbuch vereinfacht das Planen und Bauen und
gibt die Möglichkeit, neue, moderne Ziele wie das Programm „Soziale Stadt“, das in das Gesetz integriert
wurde, zu handhaben. Die Taskforce Public Private Partnership hat ihre Arbeit aufgenommen; sie sorgt damit für
mehr Vielfalt bei den Investitionsmöglichkeiten.
Der Stadtumbau West tritt neben den Stadtumbau Ost.
Wir helfen den Städten massiv bei der Überwindung der
Probleme, die Globalisierung, demographischer Wandel
und Schrumpfung mit sich bringen. Die Stiftung „Baukultur“ wird im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen
können. Mit aufgestockten Beträgen zur Altschuldenhilfe unterstützen wir sehr wirksam die ostdeutsche
Wohnungswirtschaft.
Gut aufgestellt sind wir auch in der Verkehrspolitik.
Der Bundesverkehrswegeplan und die Ausbaugesetze
wurden verabschiedet. Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur konnten wir auf hohem Niveau fortsetzen.
({3})
Trotz Konsolidierungsnotwendigkeiten verbleibt die Investitionshöhe deutlich über dem Stand von 1998.
({4})
Die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger,
die Entwicklung neuer Technologien und Kraftstoffe,
unsere erneute Kampagne zur Verkehrssicherheit, all das
gibt der Verkehrspolitik ein modernes, zukunftsfähiges
Gesicht.
Die Mitfinanzierung der Verkehrswegeinvestitionen
durch eine Maut für Lastkraftwagen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 1. Januar 2005
starten.
({5})
Der Weg war lang und nicht einfach. Sieben Verkehrsminister vor mir haben an diesem Projekt gearbeitet. Nun
werden unsere Auftragnehmer Daimler-Chrysler, Telekom und Cofiroute mithilfe von Siemens das modernste
Gebührenerfassungs- und -berechnungssystem betreiben
können. Zur Vergangenheitsbewältigung hinsichtlich der
Mautausfälle haben wir inzwischen das vereinbarte
Schiedsverfahren eingeleitet.
Voranbringen werden wir auch die stärkere Einbeziehung privater Investoren bei Straßeninvestitionen. Die
gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen und Investoreninteresse ist vorhanden. Wir werden dadurch
noch schneller mehr Straßen bauen können.
({6})
Meine Damen und Herren, beim Aufbau Ost haben
wir Halbzeit. Es war im Juni 2001 die richtige Entscheidung des Bundes und aller Länder, für teilungs- und vereinigungsbedingte Sonderfinanzierungen einen Zeitraum
bis 2020 vorzusehen.
({7})
Jetzt stehen wir beim Aufbau Ost vor zwei Aufgaben:
Wir müssen erstens die wachsende Differenzierung berücksichtigen. Osten ist eben nicht mehr gleich Osten, so
wie Westen kein anderer Ausdruck für Paradies ist. Wir
müssen Wachstumskerne stärken und die Chancen peripherer Regionen unterstützen.
({8})
Zweitens müssen wir die ostdeutsche Realität, Enttäuschung, Unzufriedenheit und Zukunftssorgen, berücksichtigen. Das bedeutet ehrliche Problembeschreibung,
breite Einbeziehung der Menschen in Problemlösungen
und Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen.
Die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost und
West ist eine vorrangige nationale, ja europäische Aufgabe, die gemeinsam gelöst werden kann und gelöst
werden muss.
Ostdeutschland ist kein Fass ohne Boden. Die ganz
überwältigende Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland trägt aktiv dazu bei, dass unser Land wieder in
Schwung kommt.
({9})
Sie arbeiten in Unternehmen und Verwaltungen, sind
Selbstständige oder Wissenschaftler. Ganz genauso wie
alle Deutschen zahlen sie Steuern, mit denen Kommunal- und Landeshaushalte, aber auch der Bundeshaushalt
bestritten werden. Aber viele, viel zu viele können nicht
dabei sein. Oft sind sie seit Jahren ohne Arbeit und auf
Unterstützung angewiesen. Das ist sicher eine Wurzel
von Unzufriedenheit und Protest.
Am 1. Januar 2005 beginnt mit dem Solidarpakt II
die zweite Phase des Aufbaus Ost. Bis Ende 2019 stehen
Fördermittel in Höhe von 156 Milliarden Euro zur Verfügung. Im so genannten Korb I erhalten die ostdeutschen Länder vom Bund insgesamt 105 Milliarden Euro
unmittelbar. Die neuen Länder sind gefordert, diese Mittel zum Abbau des infrastrukturellen Nachholbedarfs
und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft einzusetzen. Für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die Förderung der InBundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
novationskraft und der Beschäftigung sowie den Ausbau
der Infrastruktur und der ländlichen Entwicklung stellt
der Bund im so genannten Korb II 51 Milliarden Euro
bereit. Das wären im Durchschnitt bis 2019 jährlich etwa
3,4 Milliarden Euro.
Um der Entwicklung in den neuen Ländern jetzt einen
kräftigen Schub zu geben, wird der Bund mit seinem
Haushalt 2005 diesen Betrag deutlich überschreiten und
mehr als 5 Milliarden Euro ausgeben.
({10})
Die vier großen Förderressorts Wirtschaft und Arbeit,
Bildung und Forschung, Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft können damit den Aufbau Ost weiter gezielt
voranbringen und wichtige Impulse für mehr Wachstum
und Beschäftigung in den neuen Ländern geben. Das
Kooperationsangebot dieser vier Ministerien liegt den
neuen Ländern vor. Mit ihnen werden wir die Gespräche
darüber fortsetzen. Wir werden mit ihnen auch über die
Möglichkeiten des Korbs II konkret reden.
Eine bedeutende Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der
regionalen Wirtschaftsstruktur. Ich bin stolz, dass es uns
trotz bestehender Sparzwänge gelungen ist, diese sehr
wichtige Förderung auf hohem Niveau fortzusetzen. Zudem konnten wir die Investitionszulage für die gewerbliche Wirtschaft über das Jahr 2004 hinaus um weitere
zwei Jahre verlängern.
({11})
Deutschland hat eine starke Infrastruktur, das dichteste und beste Verkehrsnetz Europas. Das dürfen wir
nicht schlechtreden.
({12})
Auf dieses Verkehrsnetz können wir alle stolz sein.
Denn es ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Bemühens auch in diesem Hause.
Nach meiner Überzeugung ist heute die zentrale Aufgabe die Erhaltung. Es war diese Bundesregierung, die
den stetigen Rückgang der Mittel für die Erhaltung gestoppt und umgekehrt hat. Das spiegelt sich auch im
Haushalt 2005 wider. Die Finanzmittel für 2005 und die
folgenden Jahre sind umfangreich; weit umfangreicher,
als manch einer prophezeit hat. Der Gesamthaushalt
sinkt zwar von 24,7 Milliarden auf 23,2 Milliarden Euro.
Aber dabei muss berücksichtigt werden, dass fast 1 Milliarde Euro auf die Umsetzung der Wohngeldansätze
zum Wirtschafts- und Arbeitsministerium zurückzuführen ist. Der reale Rückgang um 2,3 Prozent ist moderat
und noch vertretbar.
({13})
Unser Ziel ist die Konzentration auf Erhalt und Modernisierung des Bundesfernstraßennetzes. Das sind Investitionen von rund 4,5 Milliarden Euro in 2004 und
rund 4,6 Milliarden Euro in 2005. Schwerpunkte sind
dabei die Ausfinanzierung aller laufenden Maßnahmen,
die Realisierung der Vorhaben des Anti-Stau-Programms
und der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sowie die
Refinanzierung privat vorfinanzierter Bundesfernstraßenabschnitte.
Zum Auf- und Ausbau der Schienenwege stehen für
Ersatzinvestitionen im bestehenden Netz mittelfristig Bundesmittel von rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Damit kann auch nach Einschätzung der Bahn der Bedarf für
Erhaltung und Modernisierung des Bestandsnetzes vollständig gesichert und ein Bestandsverzehr vermieden werden. Darüber hinaus verfügbare investive Bundesmittel von
insgesamt bereits gesicherten rund 3,1 Milliarden Euro
werden zur Realisierung eines bedarfs- und leistungsgerechten Aus- und Neubaus der Bundesschienenwege eingesetzt.
({14})
Damit können die aus verkehrlicher Sicht wichtigsten
Vorhaben, wenn auch in Baustufen, realisiert werden.
Trotz der Festlegung, dass Bedarfsplanvorhaben vorerst in Baustufen realisiert werden, ist es weiter gemeinsame Zielsetzung, dass auch die anschließenden Ausbaustufen realisiert werden müssen. Aufgetretene
Unklarheiten in der Durchführung, die viele Fragen im
Lande ausgelöst haben, werden von unserem Ministerium mit der Bahn geklärt.
Ich möchte noch einige einzelne Bahnprojekte nennen, die wegen ihrer überregionalen Bedeutung hier hervorgehoben werden sollen.
Erstens. Im größten Ballungsraum Europas werden
wir die Schieneninfrastruktur deutlich stärken und die
infrastrukturellen Voraussetzungen für den Rhein-RuhrExpress schaffen.
Zweitens. Wir stehen zum Transrapid. Die Bayerische
Staatsregierung hat zugesagt, zügig ein Gesamtfinanzierungskonzept vorzulegen. Ich habe in Gesprächen mit
der Staatsregierung dargelegt, dass die zugesagten Mittel
des Bundes auch weiterhin zur Verfügung stehen.
({15})
Drittens. Wir müssen Berlin-Schönefeld zu einem
leistungsstarken Luftverkehrsstandort machen. Das beinhaltet die Anbindung an das Straßen- und Schienennetz.
Schließlich müssen wir unsere auf den maritimen
Konferenzen gemachten Zusagen zur Verbesserung der
Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen umsetzen.
({16})
Das bedeutet übrigens ganz konkret, die Mittel für den
Bau der Autobahn 20 bereitzustellen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt
bei den Investitionen in die Infrastruktur Schwerpunkte.
Sie ist in der Lage, das Notwendige zu finanzieren. Aber
der Haushalt des Ministeriums hat mehr zu bieten. Bei
vielen Projekten unterstützen wir zusammen mit der Forschung oder auch der Industrie konkrete Innovationsvorhaben. So steht Deutschland zum Beispiel bei der Entwicklung alternativer Kraftstoffe weltweit mit an der
Spitze. Vor wenigen Wochen ist es gelungen, zusammen
mit der chinesischen Regierung und den beteiligten Unternehmen einen Lenkungsausschuss für die deutschchinesische Zusammenarbeit im Rahmen der Kraftstoffstrategien zu gründen.
({17})
Wir fördern Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Das verbessert die Qualität des
Wohnraums, schützt das Klima und sichert Arbeitsplätze.
Unsere drei Felder sind viel weiter, als es hier beschrieben werden kann. Wir sind in der Lage - das ist die
wichtigste Aussage für mich -, mit dem Haushalt 2005
das Nötige zu tun. Über die Arbeit in Bezug auf die Bereiche Verkehrsinfrastruktur, Bau, Wohnen und Aufbau
Ost muss weiter diskutiert werden. Sie braucht auch
konstruktive Kritik und darauf freue ich mich.
({18})
Und nun will der Kollege Eduard Oswald für die
CDU/CSU-Fraktion dem Minister sicher diese Freude
machen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesminister Stolpe, bei Ihrer liebevollen und
sanften Art fällt es nun wirklich schwer, zur Faktenlage
in diesem Lande zurückzukehren. Aber wenn Sie schon
von uns konstruktive Kritik hören wollen, dann will ich
das gerne tun. Denn Sie, die Koalition, tragen mit dem
Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Verantwortung für drei Aufgabenbereiche von gesellschafts-, wirtschafts-, umwelt- und arbeitsmarktpolitisch
hohem Rang. Dies sind nicht nur drei Politikfelder, sondern ist auch dreimal eine Bilanz des Versagens rot-grüner Politik.
({0})
Erstens. Die ehemals vorbildliche deutsche Verkehrsinfrastruktur droht zu verkommen. Umfang und
Zustand des Verkehrsnetzes werden schon den heutigen
Mobilitätsanforderungen nicht mehr gerecht.
({1})
Nicht das Verkehrsaufkommen und den für die wirtschaftliche Entwicklung notwendigen Bedarf für den Infrastrukturausbau haben Sie zum Ordnungsmaßstab für
die Gestaltung des Verkehrsetats herangezogen, sondern
einzig und allein Ihre Kassenlage.
Zweitens. Den Baubereich haben Sie in all den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung sträflich vernachlässigt.
({2})
Die deutsche Bauwirtschaft ist unter den von Ihnen vorgegebenen Rahmenbedingungen in die schwerste Krise
der Nachkriegsjahre geraten.
({3})
- Ich sage Ihnen: Je lauter die linke Seite hier ist, desto
klarer ist, dass ich mit meinen Feststellungen Recht
habe.
({4})
Wir haben dem Herrn Minister ganz diszipliniert zugehört. Aber dass hier Unruhe entsteht, darüber braucht
man sich nicht zu wundern. Wer ein schlechtes Gewissen
hat, wird laut.
({5})
Drittens. Im Wohnungsbau ignorieren Sie den Bedarf an neuen, bezahlbaren Wohnungen. Sie ignorieren
den Wunsch großer Teile der Menschen nach den eigenen vier Wänden. Für die Opposition halte ich fest: Wer
in Deutschland eine Diskussion wie „Bildung statt Beton“ oder „Bildung statt Eigenheimzulage“ zulässt, hat
für das Bau- und Wohnungswesen nichts übrig.
({6})
Das ist reinster Populismus und so realitätsfern wie die
rot-grüne Investitionspolitik insgesamt.
({7})
- Parlamentarische Geschäftsführer werden für ordentliche Arbeit und nicht für dumme Zwischenrufe bezahlt.
({8})
Wir brauchen beides: Bauinvestitionen sind ebenso
Zukunftsinvestitionen wie Bildung oder Forschung. Der
Bau braucht Perspektiven.
({9})
Die Bauwirtschaft leidet ganz besonders unter den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie müssen
die Lösung der Probleme ernsthaft anpacken. Oder wollen Sie den Kollaps einer so wichtigen WirtschaftsbranEduard Oswald
che in Kauf nehmen? Der Wohnungsbau in unserem
Lande befindet sich im freien Fall; hier haben sich die
Aussichten auf eine Stabilisierung weiter verringert. Wer
Bauen auf Beton verkürzt, versteht nichts von der Baubranche. Bauen von heute ist Innovation, Bauen ist Zukunftsvorsorge. Deshalb braucht der Bau unsere Unterstützung.
({10})
Dies ist keineswegs als Selbstzweck zu verstehen.
Dem Wohnungsbau wie dem Verkehrsbereich muss dringend wieder neuer Schwung gegeben werden. Genauso
wichtig wie die Schaffung von Wohnraum ist die Sicherung von Mobilität. Die Politik hat dazu die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen; denn Infrastrukturpolitik ist ein elementarer Bestandteil moderner
Wirtschaftspolitik. Gute Verkehrsanbindungen und die
Sicherstellung reibungsfreier Verkehrsflüsse sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine funktionierende
Wirtschaft.
({11})
Mehr Mobilität darf aber nicht zu weniger Sicherheit
führen; wenigstens sind wir uns in dieser Frage einig.
Deshalb müssen Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung hohe Priorität genießen.
Meine Damen und Herren, erstens müssen Sie beim
Regierungshandeln die Investitionen in die Verkehrswege als Zukunftsinvestitionen begreifen. Zweitens
müssen Sie die im Fernstraßen- und Schienenwegeausbaugesetz zügig vorgesehenen Projekte zügig umsetzen.
Und drittens sollten Sie unsere Vorschläge für notwendige weitere Neu- und Ausbauvorhaben nicht selbstherrlich zurückweisen.
({12})
Die Landesverkehrsminister haben Ihnen längst die
Defizite Ihrer Politik einmütig vorgerechnet.
({13})
Denken Sie an dieses einmütige Votum aller Landesverkehrsminister aus allen Parteien.
({14})
Ein Land, das die Anpassung seines Verkehrswegenetzes an den aktuellen Bedarf verzögert oder gar unterlässt, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes
und damit den Wohlstand der Bürger.
({15})
Das nach Ihrem Bundesverkehrswegeplan zum Ausbau
der Verkehrswege für erforderlich gehaltene Investitionsvolumen von jährlich 10 Milliarden Euro wird mit
dem in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen
durchschnittlichen Betrag von 7,7 Milliarden Euro deutlich unterschritten.
Dies ist eine Besorgnis erregende Entwicklung. Hinzu
kommt, dass sich auch der Verfall der deutschen Infrastruktur längst zur Wachstumsbremse ausgeweitet hat.
Wir dürfen uns von den Entwicklungen in Europa nicht
abkoppeln. Das ist unsere Sorge.
({16})
Dabei muss sich Deutschland auch seiner Verantwortung
als europäische Verkehrsdrehscheibe stärker bewusst
sein.
Ohne eine Kurskorrektur hin zu höheren Investitionen werden wir mit zunehmenden Staus auf Schiene und
Straße zu einem weiteren Stau in der Gesamtwirtschaft
kommen. Wo der Haushalt an Grenzen stößt, ist die Forcierung von Projekten der Public Private Partnership der
einzige Weg, um den Stau bei den öffentlichen Investitionen aufzulösen. Alles, was Sie hier bisher getan haben, geht viel zu langsam.
Die 12 Milliarden Liter Kraftstoff, die in Deutschland
jährlich im Stau vergeudet werden - man höre: 12 Milliarden Liter Kraftstoff werden jährlich im Stau vergeudet -, entsprechen rund 18 Prozent des Gesamtverbrauchs im Straßenverkehr.
({17})
Sie müssen daher doch auch erkennen, wie wichtig eine
weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung ist. Dafür
brauchen wir ein leistungsfähiges Straßennetz.
In den kommenden zehn Jahren sind allein 40 Prozent
der Fahrbahndecken im Fernstraßennetz erneuerungsbedürftig. Rund 5 000 Brücken und Tunnel befinden sich
schon heute in einem kritischen Bauwerkszustand. Das
ist doch die Realität in Deutschland! Darum sage ich:
Wo investiert wird, gibt es Zukunft. Wo Investitionen
unterlassen werden, lebt man von der Substanz und verspielt Zukunft.
({18})
Auch wenn die Straße Verkehrsträger Nummer eins
ist, brauchen wir jeden unserer Verkehrsträger: die Binnenschifffahrt, die Seeschifffahrt, den Luftverkehr und
auch die Bahnen. Lassen Sie Ihren Erklärungen über den
herausgehobenen Stellenwert des Systems Schiene endlich Taten folgen. In Ihrem Haushaltsentwurf fährt die
Bahn aufs Abstellgleis.
({19})
Wenn Sie der Bahn bis 2008 insgesamt 3,5 Milliarden
Euro weniger für den Netzausbau zur Verfügung stellen,
als noch vor einem Jahr geplant,
({20})
dann ist die Sorge der Bahnindustrie berechtigt, die von
einer regelrechten Investitionskrise spricht.
({21})
Die Bahn beziffert den Bedarf für die Schieneninfrastruktur auf jährlich mindestens 4,2 Milliarden Euro,
davon 1,7 Milliarden Euro allein für die Realisierung des
Bedarfsplans, das heißt für Neu- und Ausbauten. Tatsächlich werden aber nach Angaben der DB AG selbst
ab 2005 jährlich insgesamt nur etwa 3 Milliarden Euro
zur Verfügung stehen. Das heißt im Klartext, dass zur
Abarbeitung des Schienenwegeausbaugesetzes jährlich
nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen sind. Das ist
ein Engpass mit fatalen Folgen.
({22})
Hierzu kommt, dass auch die Deutsche Bahn AG bei
ihren Investitionen zunehmend zurückhaltend ist. Die
Erlangung der Kapitalmarktfähigkeit - ich sage Ihnen
das wohlformuliert ({23})
darf nicht zu einem Verzicht auf notwendige Investitionen führen.
({24})
Wo es Baustopp gibt, wird nicht nur Mobilität ausgebremst, sondern es werden Baubetriebe in die Insolvenz
getrieben.
Beim angestrebten Börsengang sind alle verkehrs-,
finanz- und haushaltspolitischen Chancen und Risiken
gründlich zu prüfen. Bei den verschiedenen Möglichkeiten für eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG ist
eine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Modell nicht zielführend. Mein Rat, Herr Bundesminister, lautet: Sorgfalt
vor Geschwindigkeit.
Das gesamte Verkehrsgewerbe, also die Bahn wie
auch die Unternehmen der anderen Verkehrsträger, müssen für den Wettbewerb in Europa fit gemacht werden.
Wir brauchen faire Bedingungen, damit sich unsere Unternehmen auf dem größer gewordenen europäischen
Verkehrsmarkt besser behaupten können. Unser Ziel
muss sein, Deutschland gesamtwirtschaftlich wieder
nach vorne zu bringen.
Wir fordern Sie auf, das Bauwesen in unserem Lande
nicht weiter zu vernachlässigen, dem Wohnungsbau, bei
dem auch die Eigenheimzulage ihre Berechtigung hat,
neuen Schwung zu geben, zu einer am volkswirtschaftlichen Bedarf ausgerichteten Verkehrswegeplanung zu
kommen, den Investitionsanteil an den Gesamtausgaben
des Bundeshaushaltes zu steigern, mit einer soliden
Haushaltsplanung langfristig für Finanzierungssicherheit
bei Schiene, Straße und Wasserstraße zu sorgen, die
Mauteinnahmen zweckentsprechend für die Verkehrsinfrastruktur zu verwenden, und zwar genau so, wie das
seinerzeit im Vermittlungsverfahren vereinbart worden
ist.
({25})
Ich sage Ihnen: Beim Thema Maut müssen Sie uns
schon eine besondere Sensibilität zugestehen. Nachdem
die Einnahmen entgegen den Absprachen im Haushalt
2005 untergegraben werden sollen, wollen Sie jetzt mit
dem Gesetz zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
die Länder umgehen. Die mit Zustimmung des Bundesrates einst erlassene Rechtsverordnung mit dem Termin
des Mautstarts halten Sie - wortwörtlich - für verbraucht. Dabei nennen Sie vorsorglich keinen konkreten
Termin. Ich hoffe, Sie sind sich nicht selbst unsicher, ob
es denn nun zum 1. Januar 2005 wirklich klappt. Wir
wünschen uns das. Wir wollen einen Erfolg des deutschen Systems und damit auch den Erhalt und die Sicherung deutscher Arbeitsplätze.
({26})
Geregelt wird nun endlich auch die Inkassoberechtigung des Mautbetreibers. Das hatten Sie in der vorherigen Rechtsetzung schlichtweg vergessen. Das war wirklich keine handwerkliche Glanzleistung.
Zu beraten haben wir heute auch über einen Antrag
zur Mautbefreiung für humanitäre Hilfstransporte. Ich
gehe davon aus, dass Sie die Notwendigkeit einer solchen Freistellung einsehen und sich nicht auch hier unseren Vorschlägen verweigern.
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Politik befinden
Sie sich auf der falschen Spur. Nur wenn Sie schnell umsteuern, können Sie den Crash vermeiden. Nutzen Sie
jetzt die Möglichkeiten bei den anstehenden Haushaltsberatungen.
({27})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Albert Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einem Jahr hing der Haushaltsentwurf zum Einzelplan 12 an einem seidenen Faden. Heute hängt er an einem dicken Tau.
({0})
Damit will ich sagen: Wir haben jetzt das Mautdebakel
- ich hoffe, definitiv - hinter uns. Wir haben das Koch/
Steinbrück’sche Schlachtfest mit Blessuren überstanden.
Das neue Management bei Toll Collect, ein wesentlich stringenteres Controlling - durch das Management,
aber auch durch das Ministerium und seine nachgeordneten Behörden - und auch die erfolgreichen bisherigen
technischen Tests geben Anlass zu Optimismus.
({1})
Albert Schmidt ({2})
- Ich sage gleich etwas dazu. - Aber Gewissheit - das
sage ich Ihnen ganz ehrlich - haben wir erst am
1. Januar. Von daher bleibt bei mir ein Rest Misstrauen.
Wir haben zu viel und zu oft Versprechungen gehört.
Das eigentliche Risiko scheint mir aber derzeit darin
zu bestehen, dass schlicht und einfach zu wenig OnBoard-Units in LKWs eingebaut sind. Das birgt das Risiko kilometerlanger Rückstaus an den Terminals zur
manuellen Einbuchung. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Wer mit dem Gedanken spielt, durch verzögerten
Einbau von On-Board-Units den Projektstart vielleicht
doch noch einmal um zwei, drei Monate hinausschieben
zu können, um noch ein paar Monate gebührenfrei auf
Deutschlands Autobahnen fahren zu können, der wird
wegen dieser kilometerlangen Staus kein Verständnis
finden, weder bei den PKW-Fahrern noch bei sonstigen
Teilen der Bevölkerung. Deswegen kann ich nur sagen:
Jetzt die On-Board-Units einbauen, in die Werkstätten
gehen! Die Kapazitäten sind da. Die Geräte liegen auf
Halde. Man muss nur hingehen und sie einbauen lassen.
Man sollte nicht länger glauben, man könne die Sache
noch irgendwie aussitzen.
({3})
- Es sind 165 000. Sie müssen sich ein bisschen kundig
machen.
In diesem Verkehrsetat sind 10,8 Milliarden Euro an
Verkehrsinvestitionen vorgesehen. Das ist sogar geringfügig mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Das ist,
finde ich, angesichts der allgemein schwierigen Haushaltssituation, die niemand bestreitet, eine erstaunliche
Leistung.
({4})
Der verehrte Kollege Oswald hat die Bahn angesprochen. Im letzten Jahr, 2003, wurden nahezu 4,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln für Investitionen in die
Schieneninfrastruktur überwiesen und ausgegeben.
Das zeigt den Stellenwert, den der Schienenbau in diesem Lande für Rot-Grün hat. Ich will aber hinzufügen:
Im aktuellen Haushaltsjahr, 2004, stehen nur noch
3,7 Milliarden Euro zur Verfügung und im nächsten Jahr
wird es wieder exakt dieser Betrag sein. Das ist deutlich
weniger und liegt für mich nicht nur an der untersten
Grenze, sondern schon an der Schmerzgrenze, also da,
wo es aufhört, Sinn zu machen. Dennoch bin ich bereit,
diesen Entwurf mitzutragen. Er ist gerade noch vertretbar. Aber unser mittelfristiges Ziel muss die 4 vor dem
Komma bei den Schieneninvestitionen bleiben.
({5})
Das eigentliche Problem nämlich ist die Absenkung
der Mittelfristlinie. Dass in den Jahren ab 2006 nur
noch 3,3 Milliarden, 3,2 Milliarden und am Ende nur
noch 2,x Milliarden Euro zur Verfügung stehen, kommt
mit Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage.
({6})
Einen solchen Haushalt werden wir, sollte es dazu kommen, nicht mittragen können. Da muss sich eine ganze
Menge bewegen.
({7})
- Das können Sie zu Protokoll nehmen. - Ich bin sehr
dankbar, dass im Kabinett eine Protokollnotiz aufgenommen wurde: 1 Milliarde Euro zusätzlich für den
Bahnbau in den nächsten Jahren. Wir müssen das aber
noch mobilisieren. In der Tasche haben wir das noch
lange nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von uns betrachten mit allergrößter Sorge, was sich derzeit bei der
Deutschen Bahn abspielt: Ende Juli wurde ein Ausgabenstopp verhängt. Selbst bereits beschlossene Investitionsprojekte müssen neu beantragt werden. Die Aufträge im Bahnbau brechen um 32 Prozent ein. Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste drohen. 1 500 Stellen fallen
bei DB Projektbau weg, 1 500 Stellen bei privaten Ingenieurbüros. Ein Planungsstopp gilt für Projekte, die bereits zwischen Bund und Bahn verabredet waren. Beispiele können Sie heute in der Zeitung nachlesen: die
Grunderneuerung von drei Berliner S-Bahn-Linien, die
Verbindung zum Flughafen Schönefeld, dessen Bedeutung der Minister gerade noch einmal herausgestellt hat,
und die Franken-Sachsen-Magistrale usw. Ich will gar
nicht alles aufzählen.
Das Ganze ist so, obwohl der Bund im Jahre 2001
460 Millionen Euro extra als Planungsreserve zur Verfügung gestellt hat.
({8})
Das Ganze ist so, obwohl nach meiner Kenntnis bei der
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft verfügbare Investitionsmittel in Höhe von 780 Millionen Euro
bereit liegen, von denen bis zur Stunde aber nur 250 Millionen Euro von der Deutschen Bahn AG abgerufen worden sind. Das Ganze ist so, obwohl die Mittel für das Bestandsnetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Wesentlichen gar nicht strittig sind.
({9})
Ich kann nur sagen: Eine Vernachlässigung des Bestandsnetzes wird zu Langsamfahrstellen und zu Unpünktlichkeit führen.
({10})
Auch die aktuellen Zahlen zur Pünktlichkeitsquote - sie
beträgt nur noch 82 Prozent statt der eigentlich angestrebten 95 Prozent - verheißen nichts Gutes.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Neueste, was
wir mit Erstaunen hören, ist, dass offenbar zum
Albert Schmidt ({12})
15. Dezember dieses Jahres eine zweifache Fahrpreiserhöhung geplant ist:
({13})
indirekt bzw. verdeckt durch eine Ausdünnung von ICund EC-Verbindungen zugunsten von ICE-Verbindungen, damit die Fahrgäste in diese teureren Züge einsteigen, und direkt durch eine Erhöhung um generell
3,5 Prozent pro Fahrkarte, wie im Gespräch ist.
Ich sage ganz offen: Ich mische mich - auch aus
Überzeugung - nicht gerne in die Preisgestaltung von
privatisierten Unternehmen ein. Da mag auch in bilanzieller Hinsicht alles logisch kalkuliert sein, aber verkehrspolitisch gesehen wird dadurch genau das falsche
Signal gesetzt.
({14})
Statt auf mehr Fahrgäste zu setzen und mit lukrativen
Angeboten zu werben, werden die verbliebenen Fahrgäste umso mehr abkassiert.
({15})
Die Energiepreise mögen ein Grund dafür sein; darüber muss man nachdenken. Aber im letzten Jahr waren
die Energiepreise moderat und trotzdem wurden im
Fernverkehr Miese in Höhe von 600 Millionen Euro gemacht.
({16})
Daran allein kann es also nicht liegen. Hier bestehen tief
sitzende strategische Probleme wie das missglückte neue
Fahrpreissystem.
({17})
Das hat Vertrauen gekostet. Um dieses Vertrauen muss
bei den Kunden wieder geworben werden.
Investitionsstopp, Arbeitsplatzabbau, Fahrpreiserhöhungen - wenn auf Biegen und Brechen eine schwarze
Null als bilanzielles Betriebsergebnis herausgepresst
werden soll, um einen schnellen Börsengang der Deutschen Bahn AG zu begründen, dann ist das ein schädlicher Brachialkurs, den wir politisch nicht ohne Weiteres
decken können.
({18})
Die aktuellen Beratungen zeigen, dass sich im Bundestag nach wie vor alle einig sind: ein prinzipielles Ja
zur Öffnung des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG für
private Kapitalbeteiligungen, aber kein überstürztes Vorgehen. Wir stellen Bedingungen, die auch der Gutachter, Morgan Stanley, gestellt hat. Die erste Bedingung ist,
dass die Performance im Unternehmen stimmen muss.
Der erste Lackmustest im ersten Halbjahr 2004 ist nicht
bestanden worden. Die zweite Bedingung ist eine vertiefte Untersuchung anderer Modelle der Teilprivatisierung, zum Beispiel unter Verbleib des Netzeigentums bei
der öffentlichen Hand.
Wir wollen - um dieses Schlagwort aufzugreifen keine Zerschlagung des Konzerns herbeiführen, sondern,
dass die Bewirtschaftung der Infrastruktur durch DB
Netz innerhalb der Holding des DB-Konzerns erfolgen
könnte. Das muss gutachtlich geprüft werden.
Die dritte Bedingung lautet zusammengefasst: Gründlichkeit vor Eile. Wir wollen nicht unter Zeitdruck eine
möglicherweise nicht verantwortbare Entscheidung treffen, die uns am Ende, siehe LKW-Maut - und sei es in
der nächsten Legislaturperiode -, auf bittere Weise einholt.
({19})
Ich will zum Schluss kommen. Licht und Schatten liegen nah beieinander, übrigens auch im Haushalt zum Bereich Bauen und Wohnen. Wir sehen gute Ansätze, die
verstetigt worden sind: die Programme „Soziale Stadt“
und „Stadtumbau Ost“, das Gebäudemodernisierungsprogramm zur CO2-Minderung und aktuell auch das Programm „Stadtumbau West“, das wir sehr begrüßen. Das
sind Schritte in die richtige Richtung und die richtigen
Antworten auf die Strukturprobleme unserer Städte.
Herr Kollege Oswald, meine letzte Bemerkung: Die
notwendige Antwort auf die Strukturprobleme unserer
Städte ist doch nicht, mit der Eigenheimzulage eine
überholte Subvention zu pflegen.
({20})
Diese zielen auf Strukturprobleme von gestern, die nur
in München, sonst in keiner einzigen Metropole
Deutschlands, vielleicht noch vorhanden sind. Jetzt geht
es darum, die 6 Milliarden Euro, die jedes Jahr aus öffentlichen Kassen für etwas aufgewendet werden, was
gar nicht mehr gebraucht wird, nämlich für zusätzlichen
Wohnungsbau, endlich dort zu verwenden, wo wir sie
wirklich brauchen:
Herr Kollege Schmidt, achten Sie auf Ihre Redezeit.
- zum Beispiel für die Sanierung in ost- und westdeutschen Städten und für Bildung und Forschung. Solange Sie dazu nicht bereit sind, haben Sie kein Recht,
hier über Baupolitik zu schwadronieren.
({0})
Herr Kollege Schmidt, wenn deutlich nach Überschreiten der Redezeit ein letzter Satz angekündigt wird,
wäre es schön, wenn es auch bei diesem einen bliebe.
({0})
Nun hat der Kollege Friedrich für die FDP-Fraktion
das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
war wirklich erstaunt, Herr Minister, wie Sie Ihren
Haushalt heute vertreten und begründet haben. Man
könnte dies unter der Überschrift zusammenfassen: Seid
zufrieden, es hätte noch viel schlimmer kommen können! Im Prinzip hieß es, man solle die Infrastruktur nicht
schlechtreden, es sei ja alles gut, man müsse nach vorne
schauen.
({0})
Gleichzeitig würde konstruktive Kritik eingefordert. Die
kam dann teilweise auch vom Kollegen Albert Schmidt.
Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Herr
Minister, dass Ihre Aufforderung, diese Politik müsse seriös begründet werden, weil sie nicht für Schnellschüsse
geeignet ist, bei Ihnen immer mit dem Eindruck des
hoch gelobten Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg einhergeht, der einmal gesagt hat:
Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der
Obrigkeit anzulegen.
Sie fordern zwar Kritik ein, aber Sie sind offensichtlich nicht bereit, sie umzusetzen. Wie sonst könnten Sie
einen Haushalt aufstellen, der von vornherein Planungsrisiken gigantischen Ausmaßes hat? Das sagt nicht nur
die Opposition. Das sagen auch fast alle Wirtschaftsverbände; ich will nur das DIW nennen. Sie kommen in Ihrem Haushalt insgesamt nur deshalb auf verfassungsmäßige Zahlen, weil Sie Privatisierungserlöse von fast
16 Milliarden Euro einstellen. In den letzten Jahren waren es einmal 5 oder 6 Milliarden Euro, aber noch niemals 16 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen voraus: Das
sind Luftnummern; ich will gar nicht auf die Maut eingehen.
Wenn das alles nicht eintrifft, Herr Minister, dann
werden sich natürlich die Zahlen Ihres Haushaltes entsprechend verändern. Das ist bei einem Haushalt, der die
Investitionen insgesamt bei ungefähr 9 Prozent deckelt,
aber für soziale Ausgaben fast 34 Prozent vorsieht, natürlich sehr schmerzhaft. Die Verfassungsmäßigkeit des
Haushalts gelingt Ihnen ja nur dadurch, dass die Investitionen höher sind als die Neuverschuldung. Bei der Verschuldung - das, glaube ich, kann man mittlerweile sagen - hat sich Herr Eichel in den letzten Jahren aber
immer verrechnet, und zwar zu seinen Ungunsten und
nicht zu seinen Gunsten. Wenn sie noch höher wird, sehe
ich große Probleme.
({1})
Dann ist es schon fast eine Frechheit, wenn Sie zum
Haushalt sagen, Sie hätten die Investitionen gegenüber
dem Haushalt 2004 gesteigert. Das ist ja theoretisch
richtig, aber das ist schlicht mathematisch bedingt: Wenn
die Investitionen weniger stark zurückgehen als der Gesamthaushalt, ist die Basis für das Verhältnis von Investitionen zur Haushaltssumme eine andere. Wenn dadurch
ein etwas höherer Prozentwert herauskommt, dann ist
das kein Erfolg, sondern eher ein Eingeständnis Ihrer
Hilflosigkeit, was die Investitionen angeht. Das wird
auch nicht dadurch besser, Herr Minister, dass Sie sagen,
Sie hätten im letzten Jahr und auch in diesem Jahr deutlich höhere Ansätze als wir in unserem letzten
Regierungsjahr 1998. Numerisch ist das richtig. Sie haben ungefähr eine halbe Milliarde Euro mehr zur Verfügung. Das ist traumhaft. Sie vergessen allerdings zu erwähnen, dass Sie dem deutschen Autofahrer in Ihrer
Regierungszeit dafür zusätzlich 15 Milliarden Euro abknöpfen. Wo sind die denn geblieben?
({2})
Sie nehmen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Aussagen, die Sie zur Infrastruktur gegenüber dem Rechnungsprüfungsausschuss gemacht haben, als Realität. Da
erklärt die Frau Kollegin Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretärin in Ihrem Haus, dem Herrn Vorsitzenden Rübenkönig:
Um langfristig zumindest den derzeitigen Qualitätsstandard auf Bundesstraßen zu halten und für Autobahnen leicht zu verbessern, sind nach der Prognose insgesamt 34,4 Milliarden Euro bis 2015, das
heißt, 5,6 Milliarden Euro jährlich, notwendig, und
zwar zusätzlich.
Das heißt, kurzfristig wäre eine Steigerung ab 2004 von
700 Millionen Euro jährlich für den Infrastrukturerhalt
notwendig. Wo sind die denn in Ihrem Haushalt? Ich
sehe nicht, dass Sie das, was Sie selbst aufgeschrieben
haben, unbedingt ernst nehmen.
Auch wenn der Kollege Küster meint, damit würden
wir die Situation schlechtreden, muss doch erwähnt werden, dass wir in Deutschland im Schnitt bestenfalls noch
70 Prozent der Infrastruktur uneingeschränkt nutzen
können. Der Rest ist bereits nicht mehr oder nur noch
eingeschränkt nutzbar. Der Verfall geht konzentriert und
stetig weiter. Je weniger schnell Sie reagieren, desto zügiger wird der Verfall vonstatten gehen.
Das ist ja nicht das Einzige. Durch den Anstieg des
Verkehrs, der durch die EU-Osterweiterung ja nicht weniger, sondern eher mehr geworden ist, weisen
30 Prozent unserer Autobahnen in Deutschland mittlerweile eine tägliche Verkehrsdichte von 65 000 Fahrzeugen auf. Dies bedingt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 60 Stundenkilometern. Rund 20 Prozent
Horst Friedrich ({3})
der deutschen Autobahnen weisen bereits eine tägliche
Verkehrsdichte von über 80 000 Fahrzeugen auf. Das
heißt, hier geht nichts mehr. Trotzdem sagen Sie, man
solle die deutsche Verkehrsinfrastruktur nicht schlechtreden. Herr Minister, ich glaube, Sie haben die Zeichen der
Zeit nicht erkannt.
Das gilt genauso für die Bahn. Eigentlich kann man
das, was der Kollege Schmidt ausgeführt hat, nur unterstreichen. Aber wer lässt denn das Ganze zu?
({4})
Wer sitzt denn an den Schaltstellen? Wer kritisiert denn
andere, wenn sie sagen, dass sich entgegen der Meinung
in der Geschäftsführung der Bahn an der Positionierung
am Markt etwas ändern muss? Was ist denn, wenn
jemand wie die FDP kommt und endlich auch Wettbewerb auf der Schiene fordert? Das wird ja krampfhaft
verhindert.
({5})
Wenn der deutsche Eisenbahnfahrer nur die Wahl
zwischen der Deutschen Bahn und der Deutschen Bahn
hat, dann wird sich nichts ändern.
Es nützt dann auch nichts, dass sich der Kollege
Schmidt hier hinstellt und auch im Hinblick auf die Bauindustrie von dem Untergang der Bahnwelt spricht. Die
Charts haben wir ja alle. Im Übrigen, Herr Minister: Bei
den der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
in diesem Jahr zur Verfügung gestellten Geldern für die
Bahn - es sind knapp 800 Millionen Euro - hatten wir
bis Mitte des Jahres einen Mittelabfluss von Null.
({6})
Im Juli betrug er auch Null. Es kann ja vielleicht noch
besser werden. Mit einem Mittelabfluss von Null kann
man aber weder Schienen bauen noch Arbeitsplätze in
der Bauindustrie erhalten. Insofern hat der Kollege
Oswald völlig Recht.
Vor diesem Hintergrund wurde gestern erklärt, dass
das Ausbauziel für die Eisenbahnstrecke von Mannheim
nach Basel bis 2008 zu erreichen sei, weil die Bahn bis
2008 480 Millionen Euro an Eigenmitteln zusätzlich
hineingeben wird. Nach dem, was der Kollege Schmidt
gesagt hat, kann man eigentlich nur fragen, wo die denn
herkommen sollen. Gibt es hier eine wundersame Geldvermehrung oder habe ich irgendetwas versäumt?
Entgegen den Aussagen der Bahn - sowohl von Herrn
Mehdorn als auch von Herrn Sack - wird auch bei den
Investitionen gespart. Es ist ja nicht so, wie es in der Zeitung steht, nämlich dass die Investitionen weiterhin getätigt werden. Nein, jede einzelne Investitionsentscheidung muss genehmigt werden. Alle Budgets wurden
gedeckelt und die freie Verfügbarkeit über diese wurde
gestoppt. Wer bei der Bahn derzeit Geld ausgeben will,
muss sich das in jedem Einzelfall vom Bahnvorstand
höchstpersönlich genehmigen lassen. Dieser hat nur ein
Ziel: Er möchte am Jahresende 2004 - koste es, was es
wolle, und unter Inkaufnahme aller Probleme - beweisen, dass die Bahn börsenfähig ist.
Am meisten ärgert mich, dass die Mehrzahl der
Bauauftragnehmer in Deutschland - das sind gut
168 kleine und mittelständische Unternehmen mit knapp
11 000 Mitarbeitern, die bisher familiär und hoch qualitativ geführt worden sind - am Jahresende nur deshalb
vor dem Konkurs steht,
({7})
weil die Bahn nicht bereit ist, das Geld, das selbst diese
Bundesregierung ihr gegeben hat, tatsächlich auszugeben. Das sehe ich bei diesem Thema als wirklichen
Skandal an.
({8})
Ich komme zum Thema Transrapid, der unendlichen
Geschichte. Herr Stolpe, mit großer Freude habe ich gehört, dass Sie zu Ihren Verpflichtungen gegenüber der
Bayerischen Staatsregierung stehen und endlich die
Fertigstellung der Strecke auf den Weg bringen wollen.
Sie haben in Ihren Haushaltsreden mehrfach angedeutet,
dass für die Einführung dieser Technik in Deutschland
2,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen werden. Wenn
ich es richtig in Erinnerung habe, ist das Projekt, mit
dem sich Bayern die Mittel teilen sollte, der Metrorapid
in NRW, auf Wunsch der Landesregierung in NordrheinWestfalen eingestellt worden. Was hindert Sie eigentlich
daran, Herr Minister, das für diese Technik insgesamt
zur Verfügung stehende Geld, welches man damals im
Einvernehmen mit der Magnetschwebebahnindustrie
nach dem Ende der Strecke Berlin-Hamburg bereitgestellt hat, auf eine Strecke zu konzentrieren, damit
Deutschland tatsächlich einmal in der Lage ist, Innovationen auch auf diesem Sektor umzusetzen?
({9})
Es ist doch relativer Nonsens, wenn Frau Bulmahn erklärt, wir müssten Forschung fördern, und zwar mit dem
blöden Schlagwort „Bildung statt Beton“, wenn gleichzeitig eine Realisierung einer in der Welt federführenden
Technik, über die wir verfügen, verhindert wird. Im
Zweifel laufen wir Gefahr, dass wir diese Technik irgendwann aus dem Ausland zurückkaufen zu müssen.
({10})
Wie hoch qualifiziert die deutsche Bahnindustrie ist, haben wir gerade beim Wettbewerb in China gemerkt.
({11})
- Die Chinesen haben vielleicht eine intelligentere Strategie, Herr Kollege Schmidt; das muss nicht jeder nachvollziehen. Ich schließe aber nicht aus, dass die ChineHorst Friedrich ({12})
sen Industrie und technisches Know-how aus aller Welt
kaufen, auswerten und dann irgendwann drohen: Wenn
ihr uns die Netzpläne und alles, was dazugehört, nicht
liefert, dann kaufen wir von euch nichts mehr. - Das
könnte dann bedenklich werden. Dazu möchte ich aber
nicht weiter ausführen.
Ich bleibe dabei, Herr Minister: Investitionen sind in
Deutschland ein Schicksalsthema.
({13})
Wer will, dass der Osten einen Aufschwung erlebt, dass
Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, dass sich Bildungsinvestitionen lohnen, dass sich auch Investitionen
von privaten Eigentümern in Wohnungen und in den
Städtebau lohnen, der muss auch in die Verkehrswege
investieren.
({14})
Nur Investitionen sichern die Zukunft der Menschen.
Wer auf den Verzehr von Substanz setzt, der kann das
nur so lange machen, bis die Substanz aufgebraucht ist.
Wenn sie weg ist, ist sie weg. Es geht vordergründig
nicht um den Umsatz in der Bauwirtschaft oder um Aufträge für die Hersteller in der Bahnindustrie.
({15})
Es geht darum, dass durch die Verweigerung von RotGrün das Gegenteil von dem erreicht wird, was Sie anstreben. Sie setzen vollmundig auf neue Arbeitsplätze
und beschließen Gesetze wie die Hartz-IV-Reform, mit
denen neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Aber mit Ihrer Politik im investiven Bereich und im Verkehrswegebau machen Sie das genaue Gegenteil: Sie sabotieren die
Voraussetzungen für den Verkehrswegebau. Diesen Weg
werden wir nicht mitgehen.
({16})
Nun hat die Kollegin Faße für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Herren von CDU/CSU und FDP, Horrorszenarien
lösen keine Probleme.
({0})
Das muss man Ihnen heute wohl klar und deutlich sagen;
denn auch Sie tragen in vielen Punkten Verantwortung.
Das betrifft auch die Instandhaltungsquote. Ich glaube
nicht, dass Sie behaupten können, der Vorgabe der Instandhaltung der Straßen in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gerecht geworden zu sein. Der Zustand der
Straßen ist ja nicht plötzlich schlecht geworden. Das
hängt auch mit der Historie zusammen.
({1})
Der Einzelplan 12 ist besser, als Sie ihn versuchen
darzustellen. Ihre Kritik ist überzogen. Ihre andauernde
Forderung nach mehr Geld ist unrealistisch. Auch wir
fänden es schön, wenn es Goldstücke regnen würde. Das
ist aber nicht der Fall. Von daher sind Ihre überzogenen
Forderungen völlig daneben.
({2})
Die Umsetzung der Koch/Steinbrück-Vorschläge
und die Vorgaben der globalen Minderausgabe finden
sich auch im Einzelplan 12 wieder. Ich muss wohl daran
erinnern, dass die Opposition den Sparmaßnahmen aus
dem Koch/Steinbrück-Papier zugestimmt hat. Das scheinen Sie nämlich manchmal zu vergessen.
({3})
Mit knapp 23,22 Milliarden Euro ist und bleibt dieser
Haushalt der viertgrößte Einzelhaushalt, und das obwohl
gegenüber dem bereinigten Soll 2004 im Einzelplan 12
für das Jahr 2005 rund 1,57 Milliarden Euro weniger zur
Verfügung stehen. Dieses Minus - darauf muss auch
noch einmal hingewiesen werden - ist überwiegend
darauf zurückzuführen, dass durch die Umsetzung von
Hartz IV das Wohngeld aus dem Einzelplan herausgenommen wurde, und zwar ohne eine Kürzung des
Wohngeldes an sich. Wir haben also ein Minus von
2,3 Prozent zu verkraften.
Der größte Investitionshaushalt des Bundes - ich sage
das noch einmal klar und deutlich - bleibt unser Haushalt. Das ist auch richtig so und wichtig. Uns ist wichtig:
Die Kontinuität der Investitionen auf hohem Niveau
muss Planungssicherheit für die Verkehrsträger und für
die Industrie schaffen. Wir haben hier unsere Hausaufgaben gemacht.
({4})
Zur Erinnerung: Zu der Zeit, als Sie die Regierung
stellten, lagen die Verkehrsinvestitionen zuletzt bei
9,5 Milliarden Euro, und das zu einer Zeit, in der die
Konjunktur mit der heutigen überhaupt nicht zu vergleichen ist.
({5})
Wir wissen: Infrastrukturinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen in den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland. 1 Milliarde Euro
schaffen und sichern 25 000 Arbeitsplätze. Unsere
Investitionsschwerpunkte für das Jahr 2005 liegen im
Erhalt und in der Modernisierung des Bestandsnetzes
von Schiene, Straße und Wasserstraße. Hier gilt es Prioritäten zu setzen. Dazu gehören die Weiterführung der
laufenden Vorhaben, die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ und die Vorhaben zur Bewältigung der Verkehre im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union.
Wir sehen in der Mitveranschlagung der eingeplanten
Mittel aus der LKW-Maut kein Risiko.
({6})
Wir alle wissen, wie schwierig es war, haushaltsmäßig
zu klären,
({7})
wie die nicht erfolgte rechtzeitige Einführung der Maut
auf den Haushalt gewirkt hat. Aber wir stellen hier ein
System um und das wird uns zum 1. Januar 2005 gelingen. Wir wissen aus den Zwischenberichten, dass alles
positiv gelaufen ist. Ich finde, wir sind gemeinsam in der
Verantwortung. Heute habe ich im Frühstücksfernsehen
gesehen, welche Horrorszenarien ein Kollege der CDU
gezeichnet hat. Das halte ich für unverantwortlich. Sie
sollten mit dem Gewerbe und dem Verband darauf drängen, dass endlich die On Board Units, die vorhanden
sind, bestellt werden. Dann brauchen wir uns auch keine
Gedanken über Schlangen an den Tankstellen zu machen.
({8})
Zur Bahn ist einiges gesagt worden. Der Kollege
Weis wird detailliert darauf eingehen. Ich sage ganz klar:
Die 2,5 Milliarden Euro, die wir der DB AG für die Ersatzinvestitionen zur Verfügung gestellt haben, wurden
von der DB AG als ausreichend betrachtet. Aber - darin
sind wir uns alle einig - die DB AG muss dieses Geld
auch abrufen.
({9})
Sie muss Planungs- und Bauaufträge vergeben und darf
nicht die eigenen Planungskapazitäten zurückfahren. Es
ist richtig, dass wir oft darüber diskutieren, dass die Mittel nicht abfließen. Wir haben extra Gelder für Planungskapazitäten freigestellt. Wir haben unsere Hausaufgaben
gemacht. Wir sehen die DB AG und den Vorstand in besonderer Verantwortung. Wir, die Regierung und die Abgeordneten, lassen uns nicht den Schwarzen Peter zuspielen, um das deutlich zu sagen. Auch Herr Mehdorn
trägt Verantwortung für die Arbeitsplätze in unserem
Land.
({10})
Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass die Wasserstraßen im integrierten Verkehrssystem unverzichtbar
sind.
({11})
Die investiven Mittel in Höhe von rund 625 Millionen
Euro werden auf Projekte konzentriert, die für den Erhalt
und die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Wasserstraßennetzes von besonderer Bedeutung
sind und einen hohen verkehrswirtschaftlichen Nutzen
versprechen.
({12})
Mein persönlicher Wunsch und der Wunsch des Gewerbes wäre es, eine Aufstockung der Mittel zu erreichen. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass die
Infrastruktur auf den Wasserstraßen nicht das einzige
Problem unserer Binnenschifffahrt ist. Um die Probleme
zu lösen, haben wir ein Gutachten vorgelegt und das Forum „Binnenschifffahrt und Logistik“ gegründet. Am
20. September wird ein erster Zwischenbericht vorgelegt
werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir dem Gewerbe
helfen können.
({13})
Meine Damen und Herren, auch das Maritime Bündnis liegt mir natürlich ganz besonders am Herzen. Wir
stehen zum Maritimen Bündnis. Das zeigt sich auch daran, dass wir wieder 44,8 Millionen Euro an Bundeszuwendungen in den Haushalt eingestellt haben. Wir
sichern damit Arbeitsplätze deutscher Seeleute an Bord
und die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses.
Wir halten Wort und gehen davon aus, dass die Reeder
dies auch tun. Wir erwarten Rückflaggungen im dreistelligen Bereich. Sollten wir über den zugesagten mindestens 100 liegen, dann müssten wir uns allerdings die mittelfristige Finanzplanung noch einmal genau ansehen.
Wir stehen zu dem Versprechen, das wir gegeben haben.
Auf diese Bundesregierung ist Verlass.
({14})
Jetzt komme ich zu dem schon angesprochenen
Thema Transrapid. Wir bleiben dabei, dass der Magnetschwebetechnik in Deutschland eine Chance zu geben
ist. Wir sagen auch ganz klar und deutlich: Dies ist ein
Landesprojekt. Der Bund unterstützt dieses Projekt,
({15})
aber Voraussetzung dafür, dass die derzeitige Sperre
- sie ist auch im Haushalt 2005 wieder vorgesehen - beseitigt werden kann, ist ein tragfähiges Gesamtfinanzierungskonzept des Landes Bayern, nichts anderes.
({16})
Das Land hat das vorzulegen. Wir sollten hier auch keinen Hoffnungen Raum geben, dass das Geld, das NRW
zugestanden hätte, jetzt einfach Bayern bekommen wird.
({17})
Man hat Bayern eine Summe zugesagt, zu der wir stehen. Mehr, meine Damen und Herren, wird nicht passieren. Der Ball liegt bei Bayern und nicht bei uns.
({18})
Positiv zu bewerten, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist die Entwicklung im kombinierten Verkehr. Hier haben wir Gelder zur Verfügung gestellt, deren Einsatz
sich positiv ausgewirkt hat. Viele haben gesagt, der
Kombiverkehr werde weiter langsam abnehmen und
sterben. Das ist nicht der Fall: Er hat positive Zahlen zu
vermerken. Ich muss auch sagen, dass ich mich bei einem Besuch des Hafens in Braunschweig sehr gefreut
habe: VW verlegt Transporte aufs Wasser, Ikea verlegt
Transporte aufs Wasser.
({19})
Auch die Industrie merkt also, wie sinnvoll die Nutzung
unserer Wasserstraßen ist.
Wir haben auch keine Kürzungen in dem für uns
wichtigen Bereich der Verkehrssicherheit vorgenommen.
Dieser Bereich liegt uns weiterhin sehr am Herzen. Wir
haben einen Rückgang bei der Zahl der Verkehrstoten zu
vermelden. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg
sind. Wir werden gemeinsam mit den Verbänden weiter
an einer Verbesserung der Verkehrssicherheit arbeiten.
({20})
Wir haben in diesem Haushalt zum ersten Mal drei
Stellen, an denen gesondert Mittel für Radwege bereitgestellt werden: an den Bundesfernstraßen, an den Bundeswasserstraßen und 2 Millionen Euro zur Umsetzung
des Nationalen Radverkehrsplanes. Ich meine, dass das
ein deutliches Zeichen dafür ist, dass wir auch diesen
Verkehrsträger nicht vergessen; wir berücksichtigen ihn
und werfen entsprechende Studien nicht einfach in den
Papierkorb, sondern setzen sie konsequent um.
Lassen Sie mich zum Schluss zu einem Thema Stellung nehmen, über das ich mich bei meinen Recherchen
gefreut habe: Das ist die Situation der Ausbildungsplätze in unserem Ministerium.
({21})
Meine Anfrage hat dazu beigetragen, dass wir schon im
Jahr 2004 unser Ausbildungsplatzangebot von 7 Prozent
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zur Verfügung stellen. Das reicht so aber nicht aus: Auch das
Ministerium übernimmt Verantwortung und stellt zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Die Zahl der
Ausbildungsverhältnisse soll von zurzeit 1 177 auf
1 429 erhöht werden. Das ist ein gutes Zeichen für die
jungen Menschen in unserem Land.
({22})
Es ist jetzt Sache der Abgeordneten, im Fachausschuss über den vorliegenden Haushaltsentwurf zu beraten. Ich bin gespannt, welche Anträge von Ihnen kommen werden. Wenn es - wie bei den Anträgen zum
Bundesverkehrswegeplan - wieder um die Zahlen geht,
dann wissen Sie, was damit passiert. Aber vielleicht können wir uns bei einigen Änderungsanträgen auch einigen.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat der Kollege Norbert Königshofen,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
80 Prozent der Bürger haben kein Vertrauen in die
Finanzpolitik der Bundesregierung. Mit dieser Feststellung, dem Ergebnis einer Emnid-Umfrage, habe ich in
der letztjährigen Haushaltsdebatte meine Rede begonnen. Nun, meine Damen und Herren von der Koalition,
mit der Vorlage des Haushalts 2005 dürften Sie auch das
Vertrauen der übrigen 20 Prozent verspielen.
({0})
Denn aus Ihren vollmundigen Ankündigungen, Deutschland fit für die Zukunft zu machen, ist wieder nichts geworden. Der Haushalt 2005 ist ein Dokument nicht gehaltener Versprechen und ein Dokument des Scheiterns.
Das gilt auch und besonders für den Verkehrsbereich, zu
dem Sie, Herr Minister Dr. Stolpe, gerade in Ihrer Rede
feststellten, dass er über Deutschlands Zukunft entscheide. Ich frage Sie: Was ist aus Ihrem Zukunftsprogramm Mobilität geworden? Was ist aus Ihrer zukunftsorientierten Investitionspolitik geworden? Was ist aus
Ihren Zusagen und Versprechen geworden? Die Antwort
lautet schlicht und einfach: Nichts, gar nichts!
({1})
Nehmen wir als Beispiel die LKW-Maut. Mit ihrer
Einführung sollte bekanntlich zweierlei erreicht werden:
Zum einen sollten die Wettbewerbsverzerrungen zulasten
des deutschen Güterkraftgewerbes gemindert werden.
Zum anderen sollten zusätzliche Mittel für Verkehrsinvestitionen mobilisiert werden. Beide Versprechen haben
Sie von Rot-Grün gebrochen. Die Erfüllung des ersten
Versprechens scheiterte daran, dass Sie sich in Brüssel
viel zu spät und dann nicht hart genug für das deutsche
Güterkraftgewerbe eingesetzt haben. Es ist daher kein
Wunder, dass die Verhandlungen bis jetzt ohne positives
Ergebnis geblieben sind.
({2})
- Die Maut ist zwar gesenkt worden, aber für alle. Dadurch sind die Wettbewerbsverzerrungen nicht beseitigt,
mein lieber Kollege.
Schlimmer aber als die Nichteinlösung des Versprechens, 600 Millionen Euro als Ausgleich zu zahlen, ist
der Bruch des zweiten Versprechens. Hier geht es ja um
zusätzliche Milliardeninvestitionen in den Verkehrsbereich. So heißt es beispielsweise nach der Vereinbarung
des Vermittlungsausschusses vom 21. März 2003 in
§ 11 des Mautgesetzes - ich darf das zitieren -:
Das verbleibende Mautaufkommen wird zusätzlich
dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, überwiegend für den Bundesfernstraßenbau, verwendet.
Davon kann im vorliegenden Haushaltsentwurf keine
Rede sein.
({3})
Genauso wie im letzten Jahr senken Sie die steuerfinanzierten Investitionen. Die dafür eingesetzten
Mauteinnahmen gleichen das noch nicht einmal aus. Das
heißt, es fließt nicht mehr, sondern weniger Geld in die
Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine klare Verletzung des
Mautgesetzes. Dabei ist noch keineswegs sicher, dass
die für 2005 in den Haushalt eingestellten Mauteinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für Investitionen
zur Verfügung stehen. Nicht nur für den Finanzexperten
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
Vesper, ist völlig offen, ob das Mautsystem 2005 endlich
funktionieren wird. Herr Minister, wir haben ja diesbezüglich unsere schmerzhaften Erfahrungen. Ich hoffe,
dass Sie mit Ihrem Optimismus Recht haben; denn wir
brauchen das Geld dringend. Aber wir haben ja unsere
Erfahrungen gemacht. Wie oft sind wir da vertröstet
worden!
Doch selbst wenn die Mauteinnahmen pünktlich fließen, fehlen im Vergleich zu 2004 rund 542 Millionen
Euro, im Vergleich zu 2003 sogar 800 Millionen Euro.
Insgesamt reicht die mangelnde Investitionsbereitschaft nicht einmal aus, den schleichenden Substanzverlust auf Deutschlands Autobahnen und Bundesstraßen
aufzuhalten, und das, obwohl der Staat durch Steuern
und Abgaben im Bereich Straßenverkehr - nehmen wir
einmal die Mineralölsteuer - zurzeit circa 50 Milliarden
Euro pro Jahr einnimmt.
({4})
Herr Minister, das ist schlichtweg ein Skandal. Es ist
zu befürchten, dass das noch nicht einmal das Ende der
Fahnenstange sein wird. Am Ende der Haushaltsberatungen wird, so fürchte ich, noch weniger zur Verfügung
stehen.
({5})
Doch nicht nur die Straßenbauinvestitionen kommen
bei Ihnen stiefmütterlich weg. Das Gleiche gilt für die
Schiene, eigentlich ein Lieblingskind der rot-grünen Koalition. Herr Kollege Oswald hat überzeugend dargelegt,
dass die Entwicklung auf diesem Gebiet negativ sein
wird. Wohin das Ganze führt, konnte man in der „FAZ“
am Montag nachlesen: Die Deutsche Bahn wird ihr Personal wegen der sinkenden Bundesmittel für die Schieneninfrastruktur für die Planung von Investitionsvorhaben reduzieren, und zwar um 1 500 Stellen; von
5 400 Stellen fallen 1 500 weg und auch die externen
Planungsbüros bekommen weniger Aufträge.
({6})
- Nein, das steht in der „FAZ“.
({7})
Ich glaube gar nicht, dass das Propaganda ist; denn
selbst Herr Kollege Schmidt von den Grünen hat das bekrittelt.
Ich muss hinzufügen: Herr Schmidt nimmt hier eine
ganz eigenartige Rolle ein. Er spielt so ein bisschen
Opposition in der Koalition. Man überlässt der SPD das
Unangenehme - für die Grünen ist das angenehm - und
selbst stellt man sich als Retter der Entrechteten dar. Das
müssen Sie natürlich intern klären. Meine Damen und
Herren von der SPD, was ich vorgetragen habe, ist nicht
nur eine Behauptung der „FAZ“, sondern es wird selbst
von Ihrem Koalitionspartner behauptet.
({8})
- Das ist die Realität.
Nachdem ich das alles gehört habe, weiß ich nicht,
Herr Minister, woher Sie Ihren Optimismus in Bezug auf
den Rhein-Ruhr-Express nehmen.
Wie es Frau Faße eben erst getan hat, wird für diese
Kahlschlagpolitik gern das Koch/Steinbrück-Papier
herangezogen. Das Koch/Steinbrück-Papier ist aber eine
Liste von Vorschlägen zum Subventionsabbau und keine
Liste mit Vorschlägen zu Investitionskürzungen.
({9})
- Nein. - Die beiden Ministerpräsidenten, also auch Ihr
Ministerpräsident Steinbrück, SPD, haben in einem
Brief vom 25. März an Herrn Dr. Stolpe klargestellt
- Frau Faße, ich zitiere das gern -:
Unsere Vorschläge bewirken einen Subventionsabbau auf breiter Front. Dabei ist aber stets darauf abgestellt worden, dass es keine Verwechslungen zwischen Infrastruktur-Investitionen und Subventionen
geben kann und darf. Schon gar nicht haben wir
Vorschläge zur Kürzung von Investitionen des dringend benötigten weiteren Ausbaus der Bundesfernstraßen gemacht. Deshalb ist Ihre Begründung der
Kürzung von Investitionen unter Berufung auf unsere Vorschläge schlicht falsch.
So die beiden Ministerpräsidenten. Sie können es ja
gerne nachlesen.
({10})
- Alles andere ist Geschichtsklitterung und -fälschung.
({11})
Sie können sich nicht auf das Koch/Steinbrück-Papier
berufen. Es ist Ihre politische Entscheidung, zu kürzen.
Sie haben den Verkehrshaushalt nämlich immer als
Steinbruch zur Finanzierung anderer Maßnahmen gebraucht. Sie verwechseln gern Investitionen und Subventionen. Solche Verwechslungen haben bei Ihnen ja
Tradition. Ich brauche nur daran zu erinnern, dass Herr
Scharping einst brutto und netto verwechselt hat.
({12})
- Nein, das ist Ihre Tradition, Herr Kollege!
({13})
Der Entwurf des Einzelplans 12 belegt, dass die rotgrüne Koalition ihrem Anspruch, die Mobilität in
Deutschland zu fördern, nicht gerecht wird. Von daher
lehnen wir den von Ihnen, meine Damen und Herren,
vorgelegten Entwurf - jedenfalls in dieser Fassung - ab.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Herr Königshofen, doch noch einmal zur Klarstellung und Erinnerung: Im Koch/Steinbrück-Papier war
sehr wohl eine massive Kürzung von Investitionen, nämlich im Bereich Schiene, vorgesehen.
({0})
- Und Wasserstraßen. - Wir haben das anders aufgeteilt,
nämlich entsprechend dem normalen Anteil der Investitionen für Schiene, Straße und Wasserstraße. Ich darf Sie
von der CDU, Sie von der CSU und Sie von der FDP daran erinnern - das tue ich hier schon zum wiederholten
Male -, dass wir alle gemeinsam hier im Deutschen
Bundestag das Ergebnis des Vermittlungsausschusses in
namentlicher Abstimmung angenommen haben
({1})
und damit auch dieser Kürzung der Investitionen, mit
anderer Aufteilung, zugestimmt haben. Wenn Sie es lieber hätten, dass 600 Millionen Euro ausschließlich bei
der Bahn gekürzt werden, können Sie das gern hier in aller Öffentlichkeit sagen.
({2})
Zu Herrn Oswald. Sie spielen in dieser Woche wieder
einmal das übliche Spiel. Sie sagen: natürlich keine
Steuererhöhungen, natürlich eine weitere Begrenzung
der Verschuldung. Aber gleichzeitig fordern Sie deutliche Steigerungen der Ausgaben, diesmal allerdings ohne
Milliardensummen zu nennen.
({3})
Dieses Spiel müssen wir leider jedes Jahr erleben.
Sie setzen noch eins drauf. Ihre Zukunftspläne sind
Steuersenkung und Kopfpauschale; Gesamtkosten rund
100 Milliarden Euro. Da verfahren Sie nach dem Motto:
Was soll es? Man kann ja viel versprechen. - Das ist nun
wirklich unseriös.
({4})
Dass wir die Realität in unserem Land unterschiedlich
einschätzen und beschreiben, gehört auch mit zu dem
Spiel. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich manchmal wundern, weil sie ein eigenes Bild von der Wirklichkeit haben.
({5})
Zur Wirklichkeit im Bereich des Wohnens gehört: Der
Wohnungsmarkt ist weithin ausgeglichen. In den Ballungszentren gibt es allerdings Engpässe; das ist richtig.
In den letzten zwölf Monaten ist ein Anstieg der Mieten
inklusive Nebenkosten von nur einem einzigen Prozent
zu verzeichnen. Er liegt deutlich unter dem Anstieg des
Indexes für die Lebenshaltungskosten.
({6})
Es gibt allerdings schon jetzt - das will ich hier ausdrücklich unterstreichen - erste Anzeichen für eine
Anspannung im preiswerten Wohnungssegment. Diese
werden sich zukünftig sicherlich noch verstärken. Preiswerte Wohnungen werden knapp, nicht nur in den Ballungszentren.
({7})
Deswegen darf ich uns alle daran erinnern - das sage ich
an dieser Stelle mit allem Ernst -, welch hohe Bedeutung das Wohngeld hat, und zwar ein ungekürztes Wohngeld.
({8})
- Zum Eigentum komme ich gleich.
Herr Oswald, Sie fordern hier eine Ankurbelung des
Mietwohnungsbaus. Ich weiß nicht, wo Sie die Wohnungen bauen wollen,
({9})
in Hoyerswerda, in Wilhelmshaven, in Duisburg oder bei
mir zu Hause, in Herford. Das wäre doch völlig am Bedarf vorbei. Wir können uns in diesem Land solche staatlich geförderten Investitionsruinen ansehen. Diesen Fehler sollten wir nicht noch einmal begehen.
({10})
Gerade in unserem Bereich, in der Städtebau- und
Wohnungspolitik, kommt es auf die langen Linien der
Politik an. Wir müssen wirklich mittel- und langfristig
denken und uns rechtzeitig - es handelt sich nämlich um
langlebige Investitionen - auf die Auswirkungen des demographischen Wandels einstellen. Wir haben diesen
Paradigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungspolitik bereits vollzogen, Sie noch nicht ganz; aber eine
gewisse Lernfähigkeit unterstelle ich Ihnen heute einfach mal.
Wir können hier diskutieren, wie wir wollen, und fordern, was wir wollen: Die Finanzlage der öffentlichen
Hand - Bund, Länder und Kommunen - ist nun einmal
so, wie sie ist. Wenn Sie in die Länderhaushalte schauen,
auch in die von CDU-regierten Ländern, dann werden
Sie sehen, dass die Länder ebenfalls nicht um massive
Kürzungen und Einsparungen herumkommen. Sie haben
ebenfalls weder den Verkehrsetat noch den Etat für Städtebau und Wohnen ausgenommen.
Zur Eigenheimzulage: Da sind wir uns einig. Sie
müssen einem Ostwestfalen nicht erklären, welche Bedeutung das Eigenheim für die Menschen hat.
({11})
Wir haben eine hohe Eigentumsquote. Aber darum geht
es überhaupt nicht. Herr Oswald, Sie wissen, dass Herr
Stoiber - Ihnen bekannt -, Herr Faltlhauser - Ihnen bekannt, zur Information der anderen: bayerischer Finanzminister und ehemaliger Staatssekretär -,
({12})
Herr Merz und viele weitere - ich könnte die schwarze
Liste fortsetzen - öffentlich die Streichung der Eigenheimzulage gefordert haben. Da wundere ich mich, welche Position Sie heute einnehmen.
({13})
- Das ist so. Ich könnte es Ihnen nachweisen. Sie wissen,
dass ich solche Dinge nicht leichtfertig sage, schon gar
nicht in aller Öffentlichkeit. - All die Genannten fordern
die Abschaffung und wollen das Geld für einen anderen
Zweck - entschuldigen Sie diesen platten Ausdruck verbraten, nämlich für die von Ihnen als Fata Morgana
beschworene massive Steuersenkung,
({14})
die insbesondere die Senkung des Spitzensteuersatzes
auf 36 Prozent umfasst. Ich kann Ihnen das nachweisen.
Das ist schlicht und einfach so. Deswegen sind wir auf
die Diskussionen der nächsten Wochen gespannt.
Wir müssen also einfach angesichts der demographischen Entwicklung einsehen, dass Neubau zunehmend
eine geringere Rolle spielen muss, vor allen Dingen,
wenn er öffentlich gefördert wird. Jede andere Annahme
wäre unvernünftig. Wir müssen - auch mir fällt das
manchmal schwer - Prioritäten anders setzen und da, wo
wir Subventionen geben, schauen, dass sie möglichst
sinnvoll und möglichst zukunftsweisend eingesetzt werden. Der Vorschlag der Bundesregierung geht genau in
diese Richtung. Das verlangt von uns Wohnungspolitikern zwar einfach ein Stück weit auch Umdenken, aber
ich glaube, dass wir das nachvollziehen können.
Es findet eine Umschichtung in Richtung Bildung und
Forschung statt, aber auch eine Umschichtung in Richtung Städtebauförderung. Von den Mitteln, die wir
durch die gemeinsam beschlossene 30-prozentige Kürzung der Eigenheimzulage freigesetzt haben - so viel sage
ich noch einmal zu Ihren glühenden Bekenntnissen -,
({15})
werden 25 Prozent für die unterschiedlichen Haushaltspositionen der Städtebauförderung verwendet.
({16})
Das Stadtumbauprogramm ist uns also sehr wichtig. Wir
halten uns hierbei an die verabredete Finanzierung. Für
uns ist es auch sehr wichtig, dass wir jetzt endlich das
Stadtumbauprogramm West starten können. Uns ist auch
- das haben wir ja übrigens gemeinsam im Baugesetzbuch verankert - das Programm „Soziale Stadt“ sehr
wichtig.
({17})
Wir sind froh, dass wir hier das finanzielle Niveau verstetigen konnten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Faße?
({0})
Natürlich, klar. Es wird zwar behauptet, sie sei bestellt, aber ich bin gespannt, was sie fragt.
Herr Kollege Spanier, ich möchte gerne auf das Stichwort „Soziale Stadt“ eingehen und nachfragen, ob Ihnen
bekannt ist und, wenn ja, wie Sie es bewerten, dass das
Land Niedersachsen den Anteil, den es für dieses Programm im Jahr 2005 zu tragen hätte, vollkommen gestrichen hat.
({0})
Wir alle waren uns politisch einig, dass das Programm
„Soziale Stadt“ an der richtigen Stelle ansetzt. DesweWolfgang Spanier
gen gibt es ja auch weit über 250 Projekte in Deutschland, verteilt auf alle Bundesländer. Es wäre natürlich
eine schlimme Sache, wenn eine Signalwirkung von
dem Verhalten Niedersachsens ausginge, sich die Länder
möglicherweise wie bei einem Dominoeffekt Schritt für
Schritt von der Mitfinanzierung verabschiedeten und damit das Programm, das wir alle politisch gewollt haben,
kaputtmachten. Ich bitte deshalb die Kolleginnen und
Kollegen von der Union, vielleicht doch noch einmal mit
dem niedersächsischen Finanzminister und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten darüber zu sprechen, ob
sie an dieser Stelle wirklich eine richtige Entscheidung
getroffen haben. Wir halten sie für völlig falsch.
({0})
Angesichts der extrem schwierigen Finanzlage ist es
eine gute und richtige Sache, dass die Mittel für die Altschuldenhilfe im Zusammenhang mit dem Stadtumbau
noch einmal um 200 Millionen aufgestockt werden
konnten. Das Finanzvolumen beträgt jetzt insgesamt
1,1 Milliarden DM.
({1})
Die Bundesregierung hat das vorgeschlagen. Wir haben
Wort gehalten, was nur Schritt für Schritt möglich war,
aber wir haben es geschafft. Das ist ein ganz wichtiger
Schritt nach vorne und ein gutes Signal für die neuen
Bundesländer.
({2})
Die soziale Wohnraumförderung beträgt 2005 und in
den Folgejahren 202 Millionen Euro. Das ist mir persönlich zu wenig, das sage ich Ihnen ganz offen, vor allem
angesichts dessen, was ich gerade zum preiswerten
Wohnungsbestand gesagt habe. Aber hier hat Koch/
Steinbrück zugeschlagen. Wir alle haben das gemeinsam
beschlossen. Auch hier geht es um Investitionen. Denken Sie bei Investitionen nicht immer nur an die Straße;
auch hier werden Investitionen angereizt. Das ist wohnungs- und städtebaupolitisch nicht besonders gut gelungen. Darüber werden wir möglicherweise in den kommenden Jahren noch einmal neu nachdenken müssen.
({3})
Es gibt Haushaltspositionen, die zwar im Finanzvolumen klein, in der Bedeutung aber durchaus wichtig sind.
Ich freue mich, dass es gelungen ist, 1,5 Millionen Euro
für die Bundesstiftung „Baukultur“ bereitzustellen.
({4})
Da geht es nicht nur um die Qualität des Bauens, sondern sie ist auch hilfreich in Bezug auf internationale
Marktchancen unseres Planungs- und Bauwesens. Deswegen unterstützen wir diesen Vorschlag der Bundesregierung mit allem Nachdruck.
({5})
- Sie auch; da sind wir uns einig. Wir sind uns wahrscheinlich in mehr Punkten einig, als die Brandreden
von Herrn Oswald, Herrn Königshofen und Herrn
Friedrich vermuten lassen.
Eine weitere Position, die im Volumen klein ist: Für
2005 und 2006 werden 2,2 Millionen Euro für Pilotprojekte des genossenschaftlichen Wohnens bereitgestellt.
Ich glaube - das hat auch die Expertenkommission ausdrücklich bestätigt; lesen Sie bitte einmal deren Bericht -,
dass gerade das genossenschaftliche Wohnen unter den
veränderten gesellschaftlichen Bedingungen besondere
Zukunftschancen für ältere Menschen, aber auch für
junge Familien mit Kindern bietet. Dass hier ein erster
Schritt getan werden konnte, halte ich für überaus erfreulich und richtig.
({6})
Meine Damen und Herren, in der Politik kommt es
nicht immer nur darauf an, welche Summen man zu bestimmten Haushaltsstellen nachweisen kann. Dennoch
ist es erfreulich, dass wir für die Städtebauförderung
- bei der wir die Weichen dafür gestellt haben, Städtebau- und Wohnungspolitik zu verzahnen und uns auf den
demographischen Wandel einzustellen - 522 Millionen
Euro zur Verfügung stellen und damit das Finanzvolumen auf einem hohen Niveau verstetigen konnten.
Entscheidend ist aber die Qualität der politischen Entscheidungen. Ich denke, dass wir mit dem Programm
„Soziale Stadt“, mit dem Rahmengesetz zur sozialen
Wohnraumförderung, übrigens auch mit den Modernisierungsprogrammen, die wir aufgelegt haben, mit dem
Stadtumbau Ost und, zunehmend wichtig, mit dem
Stadtumbau West die Weichen richtig gestellt haben.
Ich habe - das möchte ich zum Schluss sagen, Frau
Präsidentin - in den letzten Jahren manchmal vermisst,
dass Sie sich an der inhaltlichen Diskussion um den Paradigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungspolitik beteiligen. In der Fachwelt wird diese Diskussion seit
Jahren geführt und auch wir in der Koalition führen sie.
Nur Sie haben sich bisher auf die Position beschränkt,
die Situation zum Beispiel in der Bauwirtschaft zu beklagen, weil zu wenig Geld da sei. Diese Politik war
vielleicht in den 50er- und 60er-Jahren richtig; aber in
der heutigen Zeit bedeutet das - ich drücke mich vorsichtig aus - ein Sich-Enthalten jeglicher politischen
Mitgestaltung.
({7})
Das bedaure ich. Lassen Sie uns die kommenden Wochen nutzen, über den Haushalt zu reden und nicht nur
darüber zu jammern, dass da oder dort die Summe zu
niedrig ist,
({8})
und uns über die Inhalte unserer Städtebau- und Wohnungspolitik zu verständigen. Mit den Ländern klappt
das, da wird das doch vielleicht auch mit der Opposition
im Bundestag klappen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Magdalena Strothmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist geprägt von Mobilität, auch wenn viele
von uns diesen Sommer wieder in langen Staus gestanden haben und einen völlig anderen Eindruck hatten. Beweglichkeit und Flexibilität stellen keinen Luxus dar,
sondern sind Voraussetzungen für eine moderne Gesellschaft. Wer sich dies zu Eigen macht, erkennt, dass
Investitionen in unsere Verkehrswege für eine aktive,
agile und vor allen Dingen leistungsfähige Gesellschaft
wichtig sind. Die Grundaussage Ihres Haushaltsentwurfs
jedoch lautet: weniger Investitionen. Stillstand im Stau
und Stillstand in der Verkehrspolitik ist Ihre Linie.
({0})
Ein Haushalt mit nachvollziehbaren und klar formulierten Zielen strahlt Glaubwürdigkeit aus und erzeugt
eine Aufbruchstimmung, das oft geforderte Signal für
Wirtschaftswachstum und Wirtschaftskraft. Davon ist
Ihr Entwurf weit entfernt.
({1})
Woher sollen unsere Betriebe den Mut für Investitionen und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nehmen,
wenn der Staat Stagnation zelebriert?
({2})
Seit sechs Jahren ist es das erklärte Ziel dieser Bundesregierung, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir
erinnern uns an das Ziel des Kanzlers, die Arbeitslosenzahlen zu halbieren.
({3})
Das Ergebnis dieser Politik ist: Wachstum ist in weiter
Ferne, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch und die Zahl der
Erwerbstätigen nimmt ständig ab.
Nun liegt in schlechter Tradition ein Haushaltsentwurf jenseits der Verfassung vor, da die angesetzte Neuverschuldung auch in diesem Jahr nicht ausreichen
wird.
({4})
Dieser Haushalt ist nicht „auf Kante genäht“, wie der
Finanzminister immer stolz meint, sondern er ist wie ein
ausgefranster Saum. Ich glaube, vom Nähen verstehe ich
ein bisschen mehr als er.
({5})
Die Finanzierung des Haushalts ist einfach unsolide.
Es ist waghalsig, von Privatisierungserlösen in dieser
Höhe auszugehen und diese Wahnsinnssummen auch
noch im Voraus auszugeben. Das wird wieder zulasten
der Steuerzahler gehen. Der Börsengang der Post hat
schließlich gezeigt, wie zurückhaltend der Kapitalmarkt
derzeit ist und welchem Druck man bei der Preisgestaltung ausgesetzt ist.
({6})
Wie schon beim Bundesverkehrswegeplan stellt
sich auch beim Verkehrshaushalt Unbehagen ein.
({7})
Der unseriöse Finanzierungsansatz verursacht das schale
Gefühl, der Bundesverkehrswegeplan sei schon jetzt das
Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt ist.
({8})
Wie sollen 4,6 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen
reichen, wenn der Bedarf im Bundesverkehrswegeplan
auf 5,2 Milliarden Euro festgelegt wurde und der tatsächliche Bedarf noch höher liegt? Investitionen werden
gnadenlos gekürzt und außerdem werden schließlich
noch weitere Einschnitte durch die globale Minderausgabe folgen.
Dazu stellt sich immer wieder die spannende Frage
der Maut. Gibt es eigentlich etwas Neues von Toll
Collect, zum Schadenersatz oder zum angestrebten Termin?
({9})
Es ist so verdächtig ruhig. Das muss man feststellen,
auch wenn der Minister etwas anderes sagt.
({10})
Warum zögern eigentlich unsere Spediteure, die Geräte in die LKWs einbauen zu lassen? Die Unternehmen
sind nämlich nicht vom Erfolg der Aktion überzeugt und
befürchten, dass auch das neue System wieder nicht
funktioniert und weitere Kosten für die Betroffenen verursacht. Für die Verunsicherung der Betriebe tragen Sie
die Verantwortung.
Auch die Harmonisierung ist dem Gewerbe versprochen worden, liegt aber auf Eis. Außerdem rate ich: Im
EU-Verkehrsministerrat sollten Sie sich für eine Zweckbindung der Mauteinnahmen einsetzen und nicht § 11
des Mautgesetzes unterwandern. Die Maut wäre in dem
Fall nichts anderes als eine Steuer. Ich sage es noch einmal: Eine Akzeptanz beim Gewerbe ist nur mit klarer
Zweckbindung zu erreichen.
({11})
Aber das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie produzieren Haushaltslöcher, um sie dann mit
theoretischen Mauteinnahmen zu stopfen.
({12})
Das ist für mich ein Haushalt mit Luftbuchungen.
Die Kürzungen sind eindeutig. Im Straßenbau liegen
sie bei 10,5 Prozent, mit der Maut immer noch bei
5,3 Prozent. Bei der Schiene ist es das Gleiche. Die Kürzungen betragen dort 12,4 Prozent und mit der Maut immer noch 6,7 Prozent.
({13})
Sie sind dennoch immun gegen jegliche Ratschläge und
Empfehlungen. Sie ignorieren sogar einhellige Forderungen der Landesverkehrsminister.
Die Verkehrsminister und -senatoren der Länder haben ausdrücklich beschlossen, dass die Mauteinnahmen
zusätzlich und nicht im Austausch gegen wegfallende
Haushaltsmittel für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen müssen.
({14})
Investitionen sind der Weg in die Zukunft.
({15})
Das war neben allen Sparbemühungen auch eine wichtige Erkenntnis von Koch/Steinbrück. Steinbrück ist übrigens ein Ministerpräsident aus Ihren Reihen. Ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses wurde allerdings
von Ihnen in sein Gegenteil verkehrt. Das war nicht nur
verkehrspolitisch, sondern auch ökonomisch falsch.
Sie behandeln die Straße wie ein ungeliebtes Stiefkind. Insbesondere bei der Maut handeln Sie konsequent
zum Nachteil der Straße. Im neuen Haushaltsjahr rechnen Sie mit hohen Mauteinnahmen. So weit, so gut.
Aber leider wenden Sie dann erneut einen Verteilungsschlüssel an, bei dem die Mittel für den Straßenbau prozentual am geringsten wachsen. Bei der Schiene ist ein
Plus von 14,3 Prozent, bei den Wasserstraßen von
12,85 Prozent und bei der Straße nur von 11,75 Prozent
zu verzeichnen.
({16})
Aber als Betroffene erwarten die Mautzahler zu Recht
eine deutlich verbesserte Straßensituation.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns
weiter auf ein intensives Wachstum des Verkehrs auf
unseren Straßen einzurichten haben. Die Mobilität steigt.
Die EU-Osterweiterung zeigt ihre Auswirkungen und
der Güterverkehr nimmt immer mehr zu. Die Vertriebsstrukturen und die globalisierte Weltwirtschaft insgesamt sind weitere Ursachen. Man kann nicht einerseits
die Einigung Europas vorantreiben oder Global Player
sein und andererseits die Verkehrs- und Warenströme
einfach ignorieren. Das verdeutlicht den Bedarf an verbesserten und in jedem Fall auch zusätzlichen Verkehrsachsen. Die Straße wird hieran einen entscheidenden
Anteil haben. Ob politisch nicht gewollt oder verteufelt,
dies bleibt eine Tatsache.
Die Maxime muss also lauten: Ausbau statt eines
notdürftigen Erhalts! Im Haushaltsentwurf steht genau
das Gegenteil.
({17})
Dort steht, dass die Mittel für den Bundesstraßenerhalt
um 29 Prozent steigen, die Mittel für den Bundesstraßenneubau aber um 41 Prozent sinken. Im Vergleich zu
2003 ist dies ein Minus von 78,3 Prozent.
({18})
Hinzu kommt, dass die Kosten für die laufenden
Maßnahmen die Gelder größtenteils auffressen. Für neue
Baumaßnahmen ist nicht mehr genügend Geld übrig.
Das nenne ich unseriöse Finanzplanung und das kommt
einem Offenbarungseid gleich.
({19})
Das ist ein Witz; man hätte sich die Haushaltsberatungen
sparen können.
Weitere falsche Prioritätensetzungen können wir uns
nicht länger leisten. Das Straßennetz hat für die Bürger
und die Wirtschaft eine große Bedeutung. IHK-Umfragen belegen, dass die Erreichbarkeit von Betrieben die
Standortentscheidung maßgeblich mitbestimmt. Die Erreichbarkeit rangiert als zweitwichtigster Standortfaktor direkt nach der Gewerbe- und Grundsteuer.
Was bedeutet das? Die Verkehrssituation hat direkten
Einfluss auf die Betriebe und somit auf die Sicherung
und Schaffung von Arbeitsplätzen. Darum betonen wir
immer wieder, dass zukunftsorientierte Investitionen im
Verkehrs- und Baubereich positive Folgen haben - bis
hin zu höheren Einnahmen für die Steuer- und Sozialkassen und weniger Kosten für die Arbeitslosigkeit. Die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - ich glaube, da waren
wir uns alle einig - ist die wichtigste Aufgabe in unserem Land und nicht etwa das Umsiedeln von Hamstern
und Fledermäusen, das oft mehr kostet als eine Ortsumgehung.
Der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland aufgrund von Verkehrsstaus beläuft sich auf 80 Millionen
bis 100 Millionen Euro. Verkehrspolitik muss also
Strukturpolitik sein und sich an Bedürfnissen und Entwicklungen orientieren. Sie orientieren sich aber stur an
einem korsettartigen Finanzrahmen, der keinen Blick für
das Notwendige zulässt.
Wir fordern von unseren Arbeitnehmern und Arbeitslosen Flexibilität und Mobilität. Als Folge nimmt die
Zahl der Pendler ständig zu. Allein nach Bielefeld, einer
Stadt mit 328 000 Einwohnern, pendeln täglich
50 000 Personen. Gerade in meiner Heimat kann die
Schiene nur noch bedingt zur Entlastung beitragen, und
zwar weder im Personenverkehr noch im Güterverkehr.
Dennoch ist eines sicher: Der Gütertransport wird
weiterhin seinen Schwerpunkt auf der Straße haben. Aus
dem Wirtschaftsleben sind LKWs nicht mehr wegzudenken. Das deutsche Transportgewerbe kann im Wettbewerb jedoch nur mithalten, wenn wir die Bedingungen
verbessern.
Ändern Sie also Ihre verkehrspolitischen Prioritäten!
Sorgen Sie endlich für eine funktionierende und wettbewerbsfähige Verkehrsinfrastruktur! Eine Finanzierung
ist trotz aller Sparzwänge möglich.
Frau Kollegin, Sie müssen an Ihre Redezeit denken.
Ich bin gleich am Schluss. - Wir werden im Verlauf
der Beratungen konkrete Vorschläge machen und Alternativen aufzeigen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Weis, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe
zu, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit mit - wenn
auch verhaltener - Freude zum Thema LKW-Maut
sprechen kann. Ich fasse den aktuellen Stand der Situation für die Kollegin Strothmann, die ja keinen richtigen
Überblick hatte, noch einmal zusammen.
({0})
- Sie hat doch selber gesagt, dass ihr die Informationen
fehlen.
Vor einem Jahr hat Toll Collect mit dem verpassten
Start der LKW-Maut zum 31. August 2003 ein technisches K. o. in der ersten Runde erlitten. Niemanden wird
es daher wundern, dass wir mit einer gewissen Skepsis
auf die zweite Runde geblickt haben, die mit dem Beginn der Mauterfassung am 1. Januar 2005 enden soll.
({1})
Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Abwicklung
unseres Haushalts; das ist richtig.
Diese zweite Runde läuft und diesmal hat Toll Collect
die Technik offensichtlich im Griff. Uns liegen zur
Funktionsfähigkeit und zum Stand der Einbauten der On
Board Units inzwischen Berichte von Toll Collect, vom
Verkehrsministerium und von Gutachtern vor. Diese Informationen werden durch Gespräche ergänzt, die wir
selber mit Spediteuren und den Verbänden führen.
All diese Berichte gipfeln in unserer Erwartung, dass
die Maut pünktlich starten kann. Ich will nicht alles wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben, aber die
Botschaft muss klar sein: Die Mauterhebung kommt. Sie
wird komfortabel über die vorgesehene Technik der On
Board Units oder umständlicher über das manuelle Einloggen erfolgen. Der Start des Mautsystems hängt von
der funktionierenden Technik und nicht von der Zahl der
eingebauten On Board Units ab.
Jeder Spediteur, der auf weitere Verzögerungen setzt,
handelt deshalb riskant. Wer immer noch glaubt, durch
gezielte Verschleppung der Mauterfassung zu entgehen,
sitzt einem bösen Irrtum auf. Man wird sich allenfalls
den Zorn der sonstigen Autofahrer zuziehen, wenn die
LKWs an Tankstellen oder Autobahnauffahrten den fließenden Verkehr behindern, um sich manuell einzuloggen. Wer dort sein Firmenlogo platziert, macht keine
gute Werbung für sich.
({2})
Auch die Verbände des Güterkraftverkehrsgewerbes
haben das erkannt. Wir begrüßen ganz ausdrücklich die
Verbändeerklärung vom 27. August dieses Jahres, mit
der alle Spediteure eindringlich aufgefordert wurden,
sich rechtzeitig um den Einbau der On Board Units in ihren Fuhrpark zu kümmern.
Insgesamt bin ich sehr froh, dass die Debatte um die
Mauterhebung mehr Sachlichkeit bekommen hat. Diese
Ruhe und Sachlichkeit haben wir alle nicht zuletzt der
Besonnenheit unseres Bundesministers zu verdanken. Er
hat sich allen Schwierigkeiten zum Trotz nicht zu falschem Aktivismus treiben lassen, sondern ruhig sein
Ziel verfolgt, die Maut zu realisieren. Wie wir heute sehen, war dies wohl der richtige Weg. Das Konsortium
hat seine Lektion gelernt und ist heute ganz anders aufgestellt. Wir begegnen Transparenz in der Entwicklung
und Offenheit in der Information. Auch dies kann man
an dieser Stelle würdigen.
Mit dieser gebotenen Sachlichkeit wende ich mich
nun dem zur Debatte stehenden Antrag der CDU/CSUFraktion zu. Sie fordert in ihrem Antrag, den wir heute
mit beraten, die Befreiung von der LKW-Maut auch auf
humanitäre Hilfstransporte auszudehnen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich viel Sympathie dafür habe.
({3})
Ich könnte Ihnen zwar entgegnen, dass Sie bei der Einführung der Vignette in Ihrer Amtszeit humanitären
Hilfstransporten auch keine Befreiung eingeräumt haben.
({4})
Reinhard Weis ({5})
Deswegen könnten wir es uns mit Ihren eigenen Argumenten sehr einfach machen, indem wir darauf hinwiesen, dass Sie heute etwas fordern, was Sie in Ihrer Verantwortung selber nicht getan haben. Aber so
vordergründig möchte ich nicht reagieren.
Allerdings ist es sicher richtig, dass Sie in Ihrer Zeit
dafür Gründe hatten, die heute noch genauso gelten.
Darüber werden wir im Ausschuss reden müssen.
({6})
Das Hauptproblem wird in der Durchführung und
Kontrolle der Mautbefreiung liegen. Es darf nicht zu
Missbrauchs- oder Mitnahmeeffekten kommen. Wie
kann man sicherstellen, dass wirklich nur humanitäre
Hilfstransporte von der Maut befreit werden? Muss dann
jede Fahrt vorher geprüft und freigestellt werden? Sollen
Verbände generell freigestellt werden? Soll es hinterher
nach Prüfung eine Erstattung geben? Sie haben damals
gesehen, dass die Beantwortung dieser Fragen ein Problem darstellt; wir sehen das heute genauso. Aber ich
sage Ihnen auch zu, dass wir Ihren Antrag nicht rundheraus ablehnen, sondern uns in Zusammenarbeit mit Ihnen um eine praktikable Lösung kümmern werden.
({7})
Wir können heute - ich muss noch einmal darauf hinweisen - keine Haushaltsdebatte führen, ohne das
Thema Schieneninvestitionen bzw. den Abfluss der bereitgestellten Bundesmittel anzusprechen. Ich spreche
jetzt also nicht über den Haushalt 2005, sondern gehe
auf den Vollzug des Haushalts des Jahres 2004 ein. Es
fließt bis heute zu wenig von unserem bereitgestellten
Investitionsgeld ab.
({8})
- Danke, Horst. - Darüber klagen Bahn- und Bauindustrie zu Recht.
Die Ursache für den Baustopp sind nicht fehlende
Bundesmittel oder fehlende Finanzierungsvereinbarungen. Die Ursachen sind ein verordneter Baustopp durch
den Bahnvorstand, die Verschleppung der Abrufung
freier Mittel für das Bestandsnetz und die Verschleppung
von Bauterminen.
({9})
Ich habe hier eine ganze Liste mit Beispielen vorliegen.
Ich sage das so deutlich, weil der Bahnvorstand in Presseveröffentlichungen den Eindruck vermittelt, gekürzte
oder fehlende Mittel des Bundes seien die Ursache für
diesen Baustopp. Das ist nicht zutreffend.
({10})
Zutreffender sind die Meldungen, dass der Bahnvorstand bereits fest vereinbarte Schienenbauprojekte auf
Eis legt und Planungen bzw. Bauaufträge streicht oder
verzögert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Friedrich?
Bitte, Horst.
Herr Kollege Weis, Sie haben dankenswerterweise
auf den Grund für den verzögerten Mittelabfluss seitens
der Bahn hingewiesen. Was halten Sie in dem Zusammenhang von einer Presseerklärung der Staatssekretärin
beim Bundesumweltminister Frau Margareta Wolf, die
bekanntermaßen Mitglied im Aufsichtsrat der Bahn ist,
dass das, was Sie jetzt sagen, eine Kampagne der Straßenlobby gegen den Zugang der Bahn zum Kapitalmarkt
sei? Teilen Sie diese Aussage?
Nein, Kollege Friedrich, ich teile diese Aussage nicht.
Wie wir alle wissen auch Sie, dass wir bei der Verwendung der Investitionsmittel darauf achten, dass eine bestimmte Quote zwischen den Verkehrsträgern eingehalten wird. Wir werden nicht zulassen, dass durch die
Diskussionen, die heute geführt werden, ein verfälschter
Eindruck entsteht.
({0})
Ich will wenigstens einige Beispiele von der Liste der
Bauvorhaben nennen, die verzögert oder gestrichen
werden, damit Sie sehen, wie regional breit gefächert die
Konsequenzen sind: Es geht um die Verschiebung von
Teilmaßnahmen an der Ausbaustrecke München-Ingolstadt-Nürnberg südlich von Ingolstadt. Auf der Strecke
Düren-Aachen an der Grenze zu Belgien gibt es eine
sechsmonatige Verzögerung der Sanierung des Buschtunnels wegen verspäteter Ausschreibung. Auf der Strecke Berlin-Rostock gibt es eine Bauverzögerung von
zwei Jahren, weil die DB AG die Planung zu spät aufgenommen hat. Zahlreiche Maßnahmen zur Grunderneuerung der S-Bahn in Berlin, für die es Finanzierungsvereinbarungen mit dem Bund gibt, werden aufgegeben
oder auf Jahre hinaus verschoben. Zahlreiche wichtige
Kreuzungsmaßnahmen werden nicht mehr realisiert,
weil die DB AG die Planungskosten, die über 10 Prozent
der Bausumme hinausgehen, nicht mehr finanzieren
will. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die eigentlichen Baukosten für Kreuzungsbauwerke staatlich finanziert werden und keine Eigenmittel der DB erfordern.
Auf die Bahn- und die Bauindustrie hat diese neue Linie bereits sehr negative Auswirkungen. Die Aufträge
für die Bahnindustrie im Bereich der Infrastruktur sind
im ersten Halbjahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um
mehr als 50 Prozent zurückgegangen. In diesem Zeitraum sind dadurch rund 1 800 Arbeitsplätze verloren gegangen. In der Bauindustrie sieht die Situation nicht
besser aus. Einer Reihe von hoch spezialisierten Schienenbauunternehmen droht das Aus, wenn der Bahnvorstand seine Investitionspolitik nicht kurzfristig ändert.
Reinhard Weis ({1})
({2})
Wir können in der sensiblen konjunkturellen Lage in
Deutschland nicht akzeptieren, dass der Volkswirtschaft
vorhandene öffentliche Investitionsmittel durch das Verhalten der DB AG vorenthalten werden.
({3})
Ich kann nur dringend an den Vorstandsvorsitzenden der
DB AG appellieren, mit der Realisierung baureifer Vorhaben zu beginnen und, soweit es noch erforderlich ist,
auch die Baufreigaben durchzusetzen; das heißt, den
verordneten Investitionsstopp aufzuheben. Die Mittel
stehen zur Verfügung. Sie können beim Bund abgerufen
werden. Ansonsten könnte sich der Verdacht erhärten,
dass man mit dem intern verordneten Investitionsstopp
womöglich ganz andere Ziele verfolgt, dass die Bahn die
veranschlagten Eigenmittel einsparen will, um in diesem
Jahr doch noch die schwarze Null zu erreichen, mit der
das Signal für den Börsengang auf grün gestellt werden
soll.
({4})
Investitionsentscheidungen sind nicht allein Sache
der Bahn. Der Bund trägt nach unserer Verfassung die
Verantwortung für den Bestand und den Ausbau des
Schienennetzes. Diese Infrastrukturverantwortung nehmen wir sehr ernst. Die Haushaltsansätze stehen dafür.
Wir stellen unsere Steuermittel, die Steuermittel der Bürger, dafür zur Verfügung. Es ist Aufgabe des Bahnvorstandes und liegt auch im Interesse des Unternehmens,
diese Mittel tatsächlich für das Netz einzusetzen.
({5})
Ein einmaliges positives Geschäftsergebnis für 2004
wird niemanden in diesem Hause von der Sinnhaftigkeit
eines Börsenganges überzeugen, wenn es auf dem Wege,
den ich eben geschildert habe, zustande kommt.
({6})
Das ist auch eine Frage der Verantwortung der Verkehrspolitik.
Die Bahn hat nur dann eine Chance, auf dem Verkehrsmarkt mit Erfolg zu bestehen, wenn es ihr gelingt,
die Qualität ihrer Verkehrsangebote deutlich zu verbessern. Einsparungen bei der Instandhaltung und bei
Ersatzinvestitionen ins Schienennetz, wie sie der Bahnvorstand verordnet hat, sind da kontraproduktiv.
({7})
Sie führen zwangsläufig zu Verspätungen und damit zu
Rückgängen bei den Fahrgastzahlen und zu Einnahmeverlusten. Das verhindert das Erreichen der selbst gesteckten Ziele. Unseren gemeinsamen verkehrspolitischen Zielen ist es ebenfalls abträglich.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Klaus Minkel, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Finanzminister verblüfft uns jedes Jahr aufs Neue.
Er hat nämlich die Gabe, auf einen stets schlechten
Haushalt immer noch einen schlechteren Haushalt draufsetzen zu können.
({0})
Der Haushalt des Jahres 2005 ist durch Notverkäufe
im Umfang von 15,5 Milliarden Euro gekennzeichnet.
Diese Einnahmen werden nicht etwa für zusätzliche Investitionen eingesetzt, von denen vielleicht auch etwas
für die Not leidende Bauwirtschaft abfallen könnte. Sie
werden auch nicht zur Schuldentilgung verwendet, die
unserer jungen Generation zugute käme. Nein, all die
Mehreinnahmen versinken in Eichels Schuldensumpf.
Das sind alles schlechte Voraussetzungen für den
Wohnungsbauhaushalt, über den wir hier zu sprechen
haben. Die Ausgabenansätze in Kap. 12 25 gehen von
4 342 Millionen auf 3 125 Millionen Euro
({1})
zurück. Dieser Rückgang ist ganz wesentlich durch die
Ausgliederung des Wohngeldes gekennzeichnet. Auch in
diesem Bereich hat der Bauminister nichts mehr zu sagen. Zukünftig werden dort andere den Takt angeben.
Aber auch die Mittel für die Investitionen, die eigentlich steigen müssten, sinken: von 1 475 Millionen auf
1 325 Millionen Euro.
({2})
Besonders groß ist der Mittelrückgang bei der sozialen
Wohnraumförderung. Die Haushaltsmittel gehen von
450 Millionen auf 338 Millionen Euro zurück. Dieser
starke Rückgang - Herr Spanier, lassen Sie sich das von
einem altgedienten Kämmerer sagen - hat nichts mit
dem Koch/Steinbrück-Papier zu tun, sondern ist die
Auswirkung der vorangegangenen Haushaltsjahre. Auch
in den vorangegangenen Haushaltsjahren hat diese rotgrüne Koalition ja bewiesen, dass sie mit der sozialen
Wohnraumförderung nichts mehr am Hut hat.
({3})
Die Haushaltsmittel für die Städtebauförderung, die
tatsächlich ausgegeben werden können - nicht die Programmmittel, Herr Spanier -, gehen auch zurück, und
zwar von 520 auf 515 Millionen Euro. Dabei sind die
Mittel der Städtebauförderung ganz besonders beschäftigungswirksam einsetzbar. Es ist bedauerlich, dass wir
auch hier weniger Geld zur Verfügung haben.
Die Mittel fließen überwiegend in die neuen Bundesländer, was sehr zu begrüßen ist. Die Bundesregierung
bleibt aber aufgefordert, die alten Bundesländer nicht zu
vernachlässigen. Hier baut sich nämlich ein großer Sanierungsstau auf. In Nordrhein-Westfalen sind die Fördermittel um das Siebenfache überzeichnet. Wenn sich
der Bauminister nicht bald etwas einfallen lässt, dann
werden wir in wenigen Jahren im Westen städtebauliche
Missstände haben, wie wir sie aus der alten DDR gewohnt sind.
({4})
Die Mittel für die Altschuldenhilfe scheinen im Augenblick auszureichen. Allerdings geschieht der Vollzug
nicht schnell genug.
({5})
Im Übrigen werden im Wohnungsbauhaushalt die bekannten Finanzierungsprogramme der Kreditanstalt für
Wiederaufbau abfinanziert. Große neue Initiativen des
Bauministers sind in diesem Haushalt nicht erkennbar.
Der Bauminister geht offensichtlich nach der Devise
vor: Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt.
({6})
Das ist aber verkehrt, weil es im Lande genug zu tun
gibt.
({7})
Eine Statistik, die einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt ausweist, sagt nichts über die Qualität des Wohnraums aus. Es gibt viele Millionen Familien in unserem
Lande, die sich hinsichtlich ihres Wohnraums verbessern
möchten. Vor allen Dingen gibt es viele Millionen Familien in unserem Lande, die sich den Lebenstraum vom
eigenen Haus, vom eigenen Heim noch erfüllen wollen.
({8})
Für all diese Menschen wird vom Ministerium nicht
mehr in ausreichendem Maße gesorgt. Es ist sogar so,
dass wichtige Entwicklungen am Hause Stolpe vorbeigehen.
({9})
Ich nenne Beispiele. Umweltminister Trittin hat die
Überschwemmung in Sachsen als Vorwand benutzt, um
in der Bundesrepublik flächendeckend einen verschärften Hochwasserschutz durch absolute Bauverbotszonen
einzuführen.
({10})
Ich halte es, wie übrigens auch die Mehrheit des Bundesrates und viele Kommunen, für einen großen Fehler,
dass man die wirtschaftliche Entwicklung und die Bautätigkeit in unserem Lande künftig von den Zufällen des
100-jährigen Hochwassers abhängig machen will.
({11})
Wenn man auch in der Vergangenheit so verfahren wäre,
dann wäre Deutschland nie das Land geworden, als das
es Ihnen vererbt worden ist.
Die Holländer können übrigens froh sein, dass Herr
Trittin hier und nicht dort zu Hause ist. Bekanntlich ist in
der Hälfte des Landes häufig Land unter. Wenn Herr
Trittin dort wäre, würde er sicherlich als Erstes verordnen, dass sich die Holländer, wenn sie sich zum Schlafen
niederlegen, einen Rettungsring um den Bauch binden.
({12})
Ein weiterer Punkt ist die Diskussion über den so genannten Flächenverbrauch. Hierbei handelt es sich um
einen politischen Kampfbegriff, ein Unwort, wenn nicht
sogar ein Lügenwort; denn die Flächen des Landes sind,
wenn man von höchst seltenen Sturmfluten einmal absieht, grundsätzlich unverbrauchbar. Es gibt höchstens
eine veränderte Flächeninanspruchnahme. Aber mir hat
noch kein Mensch erklären können, warum ein artenreicher Hausgarten unter ökologischen Gesichtspunkten
schlechter sein soll als eine artenarme Monokultur in der
Landwirtschaft
({13})
oder warum ein wohnungsferner Schrebergarten eines
Mieters besser sein soll als ein Hausgarten eines Hauseigentümers.
({14})
Deshalb gibt es keinen vernünftigen Grund, unsere Bevölkerung am Wohnungsbau zu hindern;
({15})
denn unsere Bevölkerung muss sowieso genug unter Reglementierungen leiden.
({16})
Ein weiterer Angriff auf die Wirtschaft und vor allen
Dingen auf die Bautätigkeit und die Zukunftspläne junger Familien ist in dem Entwurf eines „Gesetzes zur
finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive“
- bis hier klingt es gut, aber jetzt wird es schlecht „durch Abschaffung der Eigenheimzulage“ zu sehen.
Bei diesem hochtrabenden Gesetzesnamen handelt es
sich um nichts anderes als um den ganz ordinären Bruch
eines Wahlversprechens, das sowohl der Bundeskanzler
als auch SPD und Grüne vor der letzten Bundestagswahl
gegeben haben.
({17})
Sie haben damals nämlich den Bestand der Eigenheimzulage garantiert. Dafür gibt es schriftliche Belege,
({18})
die schon bei anderer Gelegenheit vorgetragen worden
sind.
({19})
Das wäre auch ein Betrug an der jungen Generation.
Wenn Sie dieses Gesetz nämlich jetzt abschafften, dann
hätte die junge Generation noch auf zehn Jahre die alten
Bewilligungen durch ihre Steuerzahlungen abzufinanzieren.
({20})
Ich schließe mit folgendem Satz: Die Union steht für
eine Politik, die Wohlstand für alle anstrebt.
({21})
Mit uns ist eine herzlose Schröder/Eichel-Politik nicht
zu machen. Auch die einfachen Leute in diesem Lande
haben Anspruch auf ein eigenes Heim, nicht nur Ihr
Arbeiterführer Oskar Lafontaine in seinem Palast der sozialen Gerechtigkeit.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Kuhn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Glücklicherweise herrscht in diesem
Hause Konsens, dass eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur die Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist. Ich
denke, es war eine epochale Aussage des Herrn Ministers, dass Investitionen keine Subventionen sind. Das
rechtfertigt doch unsere Kritik, dass immer versucht
wird, uns einzureden, dass die Herren Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück sogar die Baulastträgerschaft
des Bundes anzweifeln und dort Investitionen kürzen
wollten. Da fasst man sich doch an den Kopf!
({0})
In vorauseilendem Gehorsam hat die Bahn sofort die
Mittel im investiven Bereich und im personellen Bereich
um dreimal 4 Prozent gekürzt, so wie das Koch und
Steinbrück vorgesehen haben. Sie, Herr Minister, haben
dann unter dem Druck des Finanzministers diese Investitionskürzungen einfach auf Straße und Wasserstraße verteilt. Das ist die eigentliche Krux und damit können wir
uns einfach nicht einverstanden erklären.
({1})
Hier muss einfach die Wahrheit gesagt werden.
Quell- und Zielverkehre müssen durch die Verkehrsadern aufgenommen und zu den Zielpunkten geleitet
werden. Aber auch die Linienführung ist von ganz entscheidender Bedeutung; denn hierbei ist die Erschließung
des Raumes eine ganz wichtige Aufgabe. Ich sage als ein
Abgeordneter, der aus einem strukturschwachen Land
kommt: Das gibt es in Ost wie in West. Wir dürfen da
nicht immer nur nach dem Nutzen-Kosten-Faktor
schauen, sondern es ist auch notwendig, dass man dort
wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Die Grundvoraussetzung dafür ist, Verkehrsinfrastruktur zu schaffen. Es war eine harte Aufgabe nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Damals war die schwarz-gelbe
Regierung unter Führung von Helmut Kohl so weise, die
beiden sich auseinander entwickelt habenden Verkehrssysteme mit dem Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“
wieder zusammenzuführen.
({2})
Die Wirtschaftssysteme in Ost und West hatten sich in
40 Jahren natürlich unterschiedlich entwickelt und ausgerichtet.
({3})
Werner Kuhn ({4})
Die traditionellen Verkehrsströme in den Verflechtungsgebieten konnten mit der Wirtschaftsentwicklung endlich wieder in das angestammte Bett zurückkehren.
({5})
Davon haben letztendlich alle Bundesländer profitieren
können, die auf beiden Seiten, in Ost und West, an der
alten Demarkationslinie lagen. Milliarden wurden in
diese Verkehrssysteme hineingesteckt - ich denke: zu
Recht -, aber man muss auch konstatieren, dass dort
nicht die Erfolge eingetreten sind, die wir uns gemeinsam vorgestellt haben. Was die Wirtschaftsentwicklung
betrifft: Wettbewerbsfähige ostdeutsche Firmen sind
letztendlich nur punktuell entstanden. Ein Journalist hat
mich gefragt: Sie haben so viel investiert und dennoch
ist die Zahl der Arbeitsplätze so stark zurückgegangen,
die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Wie können Sie
mir das erklären? - Wenn wir nichts investiert hätten
und auf dem Niveau der damaligen DDR, die 40 Jahre
von der Substanz gelebt hat, geblieben wären, dann hätten wir ein noch größeres wirtschaftliches Chaos. Deshalb waren die Entscheidungen von damals völlig richtig. Glücklicherweise hat auch diese Bundesregierung
den Investitionsfaden bei Infrastruktur nicht ganz abreißen lassen. Trotzdem muss ich an dieser Stelle sagen:
Sie hatten in den Jahren 1998 bis 2000 einen enormen
Durchhänger. Ich denke an die Schienenprojekte
VDE 8.1 und VDE 8.2, also an die ICE-Verbindung
Erfurt-Nürnberg. Mit Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner haben Sie sie zwei Jahre lang auf Eis gelegt.
Das waren zwei verlorene Jahre für Deutschland und für
den Aufbau Ost. Es kann doch nicht sein, dass man mehr
als acht Stunden benötigt, um über eine ICE-Strecke
zwischen den beiden großen Ballungsgebieten Berlin
und München hin- und herzufahren. Das sind doch keine
wirtschaftlichen Entwicklungen, wie wir sie uns für die
Zukunft vorstellen.
({6})
Der Anschluss der A 20 an die A 1 bei Lübeck ist
letztendlich professionell über die Bühne gebracht worden. Das Reizwort dabei ist die Wakenitz-Brücke. Nach
dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - es
gab eine höchstrichterliche Entscheidung - hätte es dort
sofort ein ganz klares Bauziel geben können. Sie haben
es vor sich herdümpeln lassen. Die Leute fahren nun einen Umweg von insgesamt 60 Kilometern, wenn sie von
Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Schleswig-Holstein und Hamburg und wieder zurück wollen. Das bedeutet zusätzliche Abgase, nämlich CO2, NOx und was
Sie von den Grünen sonst noch definieren.
({7})
Wenn Sie das als Umweltschutz betrachten, dann liegen
Sie völlig falsch.
({8})
Ich komme zur Thüringer-Wald-Autobahn. Dort gab
es eine ewige Verzögerung. Es ist toll, wenn der längste
Tunnel Deutschlands eingeweiht wird, in dem sich hoch
technisierte Anlagen befinden. Dabei kann man sich natürlich wunderbar in die erste Reihe stellen und Regierungspolitik präsentieren. Auch dort waren es aber verlorene Jahre für Deutschland und den Aufschwung Ost.
Das können Sie auch nicht durch Ihr Anti-StauProgramm wieder wettmachen, das Sie als Feigenblatt
etabliert haben.
({9})
Die Verkehrsminister der Länder haben im März 2004
konstatiert, dass wir für den Ausbau der Bundesfernstraßen jährlich mindestens 5,8 Milliarden Euro und für die
Bundesschienenwege jährlich 4 Milliarden Euro brauchen. Das wurde schon von verschiedenen Rednern dargestellt. Wenn Sie sich anschauen, was im Ansatz des
Einzelplans 12 steht, dann wissen Sie, dass es bei den
Bundesfernstraßen eine Unterdeckung von 1,5 Milliarden Euro und bei den Bundesschienenwegen eine Unterdeckung von 1,9 Milliarden Euro gibt.
Herr Minister Stolpe, es ist wirklich an der Zeit, dass
die Einnahmen endlich zweckbestimmt für die Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden.
({10})
Schauen Sie sich an, wo wir Einnahmen haben, wo also
die Nutzer der Verkehrssysteme zur Kasse gebeten werden. Ich habe das heute schon von verschiedenen Seiten
gehört: Durch die Kfz-Steuer werden mindestens
20 Milliarden Euro pro Jahr eingenommen. Daneben
gibt es noch die Mineralölsteuer. Wenn Sie das alles
hochrechnen, kommen Sie auf 51 Milliarden Euro jährlich. Wir wissen, was Rot-Grün beschlossen hat und damit auch, wohin dieses Geld fließt.
Die Maut für schwere LKWs ist bis jetzt ein reiner
Ausfall. Wir hoffen, dass sie am 1. Januar nächsten Jahres eingeführt wird. Herr Stolpe, Sie müssen sich endlich
gegen den Finanzminister durchsetzen, der beim Einbringen seines Haushaltes nicht einmal seine zehn Einnahme- und seine zehn Ausgabepositionen vernünftig
darstellen konnte, sondern stundenlang darüber geredet
hat, wann wer was wo über Zahnersatz gesagt hat. Das
kann doch nicht der Hauptbuchhalter der größten Nation
Europas sein.
({11})
- Herr Schmidt, ich denke, dieses Argument tut weh.
({12})
Wir kommunizieren nur das, was draußen reflektiert
wird.
Wie wollen Sie das Vertrauen des Speditionsgewerbes
für die Einführung der Maut zum 1. Januar 2005 erhalten? Natürlich stehen die On Board Units in den Vertragswerkstätten zur Verfügung. Kein einziger Spediteur
Werner Kuhn ({13})
lässt sie sich aber einbauen. Diesen Zinnober hat er nämlich schon einmal erlebt. Er hat sich eine On Board Unit
einbauen lassen, das einschließlich der Kabelsätze
230 Euro gekostet hat. Was ist dabei herausgekommen?
Er fährt jetzt gebundenes Kapital herum. Die Maut kann
er immer noch nicht darüber abrechnen.
Die Spediteure werden sagen: Wir haben ein Jahr lang
ganz gut damit gelebt, dass die Maut nicht gekommen
ist. Wir brauchten ja nicht zu zahlen. - Das kann aber
nicht die Politik sein, mit der man im Bereich der Infrastruktur zukunftsweisend für den Wirtschaftsstandort
Deutschland arbeitet.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist
natürlich, dass Sie dabei beachten, dass gerade in den
neuen Bundesländern eine Wirtschaftsförderung notwendig ist. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur allein
reicht hier nicht. Sachsen ist das einzige Land, das die
GA-Mittel in der Kofinanzierung vernünftig bedienen
kann. Die anderen neuen Bundesländer - das sage ich
durchaus kritisch - sehen darin nur die Möglichkeit, ihre
Defizite im konsumtiven Bereich auszugleichen. Hier
muss eine Kontrolle her. Das müssen wir gemeinsam in
Angriff nehmen.
Leider bleibt mir als letztem Redner die wenigste Redezeit. Heute haben wir einen historischen Tag. Vor
15 Jahren wurde in der damaligen DDR die Bürgerbewegung „Neues Forum“ gegründet, ein mutiger und im
DDR-Regime sehr gefährlicher Schritt. Wir waren nur
die Türöffner für eine bessere Zukunft, sagen Bärbel
Bohley und ihre Mitstreiter. Die Politik machen jetzt andere.
Wir in diesem Hohen Hause haben eine verantwortungsvolle Aufgabe, die sich aus unserer Verfassung ergibt: Einigkeit und Recht und Freiheit für ein gemeinsames Deutschland. Aber in allererster Linie sind die
gewählten Vertreter der Exekutive und die sie tragenden
Parteien gefragt. Sie haben den Osten in Ihrer Regierungszeit sträflich vernachlässigt. Deshalb ist die Situation in den neuen Ländern jetzt so prekär. Darüber können wir so viel diskutieren, wie Sie wollen.
({15})
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Ich komme sofort zum Schluss. - Gerade von Ihnen,
Herr Minister Stolpe, erwarten wir erneute Anstrengungen. Es bewahrheitet sich nämlich der Satz: Auch den
Aufbau Ost macht man nicht mit links.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3678 und 15/3489 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft. Das Wort hat zu Beginn die Frau
Ministerin Renate Künast.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Wir stehen vor der Aufgabe, der
ersten Generation des 21. Jahrhunderts neue Chancen zu
bieten, statt ihr immer mehr neue Schulden aufzubürden.
Wenn wir in dieser Art und Weise Verantwortung für die
Zukunft übernehmen, heißt das logischerweise, dass wir
uns immer um die Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte bemühen müssen. Voraussetzung dafür ist
eine strikte Ausgabendisziplin. Wenn man für die Jugend
Entwicklungsmöglichkeiten schaffen und erhalten will,
ist es notwendig, Subventionen und Steuervergünstigungen abzubauen und Investitionen in zukunftsfähige Innovationen zu ermöglichen.
Wenn wir in diesem Dreiklang übereinstimmen, dann
werden Sie auch meinem nächsten Satz zustimmen: Von
diesen Maßnahmen kann die Landwirtschaft nicht ausgenommen werden. Deshalb hoffe ich, dass wir heute
sachlich diskutieren werden.
({0})
- In dem Fall war ich im letzten Jahr vielleicht auf einer
anderen Veranstaltung. Ich kann mich an viel populistisches Getöse um diese Rasenmähermethode erinnern das ist meine Umschreibung der Koch/Steinbrück-Vorschläge. Später, als es darauf ankam, hat man gekniffen.
({1})
Sie haben viel davon gesprochen, die Ausgaben nach der
Rasenmähermethode zu kürzen, um so Gelder für Innovationen und Bildung zu ermöglichen, sich dann aber im
Vermittlungsverfahren zum Haushaltbegleitgesetz 2004
der Diskussion entzogen, sich vom Acker gemacht und
gefordert, den Agrarbereich von Kürzungen auszunehmen. So geht es nicht, meine Damen und Herren.
({2})
Ich glaube - diesen Eindruck hatte ich zumindest auf
der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauernverbandes -, dass die Landwirte Sie nicht mehr ernst nehmen. Sie wissen mittlerweile, dass sie ihren Teil dazu
beizutragen haben, zumal sie oft selbst Kinder haben.
Diese Kinder werden nicht alle ihr Auskommen in der
Landwirtschaft finden. Daher ist den Landwirten eine
gute Bildung und Ausbildung ihrer Kinder wichtig.
Es ist nur ehrlich, den Agrarbereich von den Kürzungen nicht auszunehmen, sondern auch hier den solidarischen Beitrag zu verlangen. Mittlerweile ist das für die
Bauern selbstverständlich.
({3})
Das heißt, dass wir auch bei dem bedeutsamsten Teil des
Einzelplanes 10, der Agrarsozialpolitik, um Kürzungen
nicht herumkommen. Wir müssen an dieser Stelle vorsichtig sein. Wir wollen Vorzüge abbauen. Deshalb sollen in Zukunft auch die Landwirte einen Teil der Kosten
der älteren Generation tragen, wie das sonst in der GKV
üblich ist. Wir müssen also in der Krankenversicherung
der Landwirte durch eine Regelung im Übergangsrecht
den Bundeszuschuss im Finanzplanungszeitraum senken. Das sind 82 Millionen Euro.
Wir haben das auch im Zusammenhang mit dem
Agrardiesel diskutiert. Im letzten Jahr hatten wir hier
eine intensive Debatte, als es darum ging, eine betriebliche Obergrenze zu setzen und einen Selbstbehalt festzulegen. Das ist die Lösung des regionalen Ausgleichs.
Wenn man nämlich die Entscheidungen zum Agrardiesel
und zur Agrarsozialpolitik im Zusammenhang betrachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kombination beider Vorschläge regionale Unterschiede und unterschiedliche Betriebsgrößen berücksichtigt. Deshalb
halte ich dieses Modell nach wie vor für die gerechteste
und solidarischste Lösung. Ich glaube, dass die Landwirtschaft akzeptieren kann, dass innerhalb der Landwirtschaft Solidarität herrschen muss. Deshalb haben
wir das im Haushaltsbegleitgesetz 2005 erneut aufgegriffen.
Allen, die das kritisieren möchten, sage ich eines: Ich
nehme Kritik nur auf und setze mein Gehirn nur dann in
Gang, wenn Sie sich gleichzeitig von Edmund Stoiber
distanzieren, der zusätzlich zu dem Entwurf der Bundesregierung noch einmal eine 5-prozentige Kürzung, auch
für die Landwirtschaft, gefordert hat.
({4})
Dann müssen Sie hier sagen, dass Sie dagegen sind.
({5})
Erst wenn Sie Edmund Stoiber kritisiert haben - das gilt
nicht für die FDP -, können Sie über das reden, was wir
inhaltlich vorlegen.
({6})
- Die trauen sich nicht. Die Vermutung habe ich auch.
Wir haben mit der Agrarwende einen großen Schritt
getan. Wir haben mit den Reformen, die ab dem
1. Januar nächsten Jahres wirken, einen Schritt getan,
mit dem wir mehrere Dinge erreicht haben. Er hat mehr
Gerechtigkeit im Agrarbereich auf nationaler Ebene gebracht. Wir haben auf europäischer Ebene mit den
Reformen einen Beitrag dazu geleistet, dass die EU am
31. Juli ein WTO-Rahmenabkommen abschließen
konnte. Das wird letztendlich auch positiv für die Entwicklung in Deutschland sein. Wir alle haben gelernt,
sektorenübergreifend zu denken.
Wir können sagen, dass wir unsere Bäuerinnen und
Bauern für die neue europäische Agrarpolitik vorbereitet
haben, weil wir die Ergebnisse frühzeitig antizipiert haben. Wir haben am 9. Juli die Regelung im Bundesrat
umgesetzt und wir haben an vielen anderen Stellen die
Reformen umgesetzt, etwa bei der GAK. Wir werden
ebenso die Reformen für den Bereich Zucker und zur
Absicherung unserer Zuckerrübenanbauer machen. Ich
glaube, dass nur das verlässliche Politik ist. Es geht
nicht, bis zum letzten Augenblick Nein zu sagen, sich
dann zu wundern, dass Entscheidungen getroffen werden, und den deutschen Landwirten erst fünf nach zwölf
die Möglichkeit zu geben, ihre betrieblichen Entscheidungen auf die neue Situation auszurichten. Ich glaube,
dass wir richtig liegen, denn unsere Bauern können frühzeitig beginnen, sogar früher als manche andere in
Europa.
({7})
Wir haben mit der Modulation mehr Mittel für die
ländliche Entwicklung zur Verfügung. Wir alle wissen,
dass mittelständische Unternehmen dort, auf 80 Prozent
der Fläche in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen den Übergang von der rein
agrarischen Produktion zu Dienstleistungen, zu Energieerzeugung und zu mehr Wertschöpfung auf dem Lande.
Wir alle wissen und gerade der Osten weiß, dass dieses
bitter nötig ist, wenn wir Arbeitsplätze im ländlichen
Raum haben wollen, die über die Landwirtschaft hinausgehen.
({8})
Ich glaube, dass wir damit einen Zukunftspunkt angepackt haben. Das betrifft auch die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Damit geben wir bundesweit sehr effektiv und unbürokratisch Linien vor, die wir in Brüssel notifizieren
lassen können. An der Stelle habe ich eine Frage hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Politik. Ich würde
gerne wissen, ob sich dieses Haus zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bekennt. Ich höre in der Föderalismuskommission von der CDU/CSU immer das Gegenteil.
({9})
Wenn die Union nicht zur Gemeinschaftsaufgabe steht,
möchte ich wissen, wie sie sich zum Haushalt verhält.
Man kann nicht Kürzungen kritisieren, wenn man in
Wahrheit die gesamte Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
streichen will. Das vertritt die CDU/CSU in der Föderalismuskommission.
({10})
Ich möchte, dass wir hier brillante Kofinanzierungsmittel für die europäischen Töpfe haben. Ich meine nicht,
dass wir unterstützen sollten, dass das Geld anderswo in
Europa verteilt wird. Ich möchte hier Kofinanzierungsmittel; ich weiß, dass wir so in Ost und West die Zukunft
auf dem Lande sichern können.
Ich glaube, diese Dinge verbinden sich gut mit der
Förderung nachwachsender Rohstoffe, die ebenfalls im
Haushalt enthalten ist. Ich will, dass Biokraftstoffe einen
bedeutenden Platz in der nationalen Kraftstoffstrategie
einnehmen. Wir haben an dieser Stelle die Möglichkeit,
vorne zu sein und diese Technologie weiter zu entwickeln - auch für die Automobilindustrie.
({11})
Ich will, dass die Landwirte erkennen - andere haben
es eigentlich längst erkannt -, wo unser Platz auf dem
Markt ist. Für die Landwirtschaft hier bedeutet das eine
Orientierung auf Qualität, Qualität, Qualität und auf
nachwachsende Rohstoffe, stofflich und energetisch genutzt. Aufgrund der Möglichkeit, die Eigenheimzulage
zu streichen und die frei werdenden Mittel auch für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen im Bereich der
Landwirtschaft zu nutzen, bringt das Innovationen für
den ländlichen Raum. Daraus kann man für die Zukunft
Arbeitsplätze schaffen. Dieses Ziel werden wir alle hier
wohl vertreten wollen.
Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf
enthält natürlich auch andere Bereiche, etwa die Bereiche des gesundheitlichen und des wirtschaftlichen
Verbraucherschutzes. Wir alle wissen, dass wirtschaftliche Verbraucherpolitik - wir finanzieren die Stiftung
Warentest und die VZBV - wichtig ist. Wir wollen den
nachhaltigen Konsum fördern, weil wir alle wissen, dass
wir in allen Bereichen Verantwortung tragen. Wir wollen
und werden weiter die Verbraucheraufklärung im Ernährungsbereich finanzieren; denn wir wissen, dass dieser
Teilbereich einen wichtigen Aspekt der Gesundheit darstellt. Alle Gruppen der Bevölkerung, auch die aus der
Unterschicht, müssen hier Chancen haben.
({12})
Ich glaube, dass dies ein runder Budgetentwurf ist,
der alle Zukunftsthemen anpackt.
Danke.
({13})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Bevor ich zum Einzelplan 10, also dem
Haushalt des Ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft komme, erlaube ich mir ein
paar allgemeine Anmerkungen zum Haushalt insgesamt.
Nach sechs Jahren rot-grüner Regierung müssen wir
feststellen, dass vieles anders, aber leider nichts besser
geworden ist.
({0})
Zum dritten Mal in Folge brechen wir in diesem Jahr den
Maastricht-Vertrag, und zwar sowohl was die Neuverschuldung als auch was die Gesamtverschuldungsgrenze
betrifft. Zum wiederholten Male liegt ein Haushaltsentwurf vor, der wirklich nur auf dem Papier nicht verfassungswidrig ist. Das Hauptproblem, nämlich die
Arbeitslosigkeit oder - besser gesagt - die geringe Beschäftigungszahl, hat sich wesentlich verschärft. Ich
möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass sich der
Bundeskanzler eigentlich irgendwann an der Lösung
dieses Problems messen lassen wollte.
In den ersten Jahren von Rot-Grün hat es ja immer geheißen, wir, also die frühere Bundesregierung, seien dafür zuständig gewesen.
({1})
Nachdem der allerletzte Journalist das nicht mehr geglaubt hat, war es dann irgendwann die Weltwirtschaft,
die dafür zuständig war. Aber, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen, der Export läuft ja interessanterweise relativ gut; bloß die Binnenkonjunktur lahmt etwas.
Ich erinnere mich, dass Finanzminister Eichel in seiner Einbringungsrede verzweifelt in irgendeiner Tabelle
- sie ist offensichtlich genauso chaotisch gewesen wie
die Regierungspolitik - nach einem Beleg dafür gesucht
hat, dass die Bürgerinnen und Bürger durch die Maßnahmen von Rot-Grün unter dem Strich angeblich mehr
Geld in der Tasche haben. Aber wenn das so ist, dann
muss es ja irgendeinen anderen Grund dafür geben, dass
die Leute weniger konsumieren. Entweder vertrauen sie
offensichtlich der Regierung nicht und konsumieren und
investieren deshalb auch nicht oder sie haben wirklich
nicht mehr in der Tasche. Ich vermute, dass letzteres
Szenario das realistischere ist. Beides ist schlimm genug.
Der Dreh- und Angelpunkt ist das geringe Wirtschaftswachstum, ist die hohe Beschäftigungsschwelle und sind
die fehlenden Arbeitsplätze.
Warum weise ich eigentlich auf dieses Problem
hin? - Weil wir aus genau diesem Grund so hohe Ausgaben für den Arbeitsmarkt haben und weil aufgrund der
geringen Beschäftigung natürlich auch der Zuschuss zur
Rentenkasse deutlich steigt. Das drückt natürlich auf den
Haushalt insgesamt. Als Folge muss in anderen Bereichen massiv eingegriffen werden. Dann sucht man sich
natürlich, wenn es irgend geht, Einsparmöglichkeiten bei
einer Klientel, die einem nicht so nahe steht.
Jetzt muss ich Ihnen erst einmal
({2})
vorrechnen, wie die Entwicklung des Gesamthaushalts im Vergleich zur Entwicklung des Einzelplans 10
gewesen ist. Die Ausgaben des Gesamthaushaltes sind
seit 1998 von 233 Milliarden Euro auf heute 258 Milliarden Euro gestiegen - ein Plus von 11 Prozent. 1998 lag
der Etat des Landwirtschaftsministeriums - damals noch
ohne Verbraucherschutz - bei 5,9 Milliarden Euro.
Heute liegt er einschließlich Verbraucherschutz bei
5,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer Kürzung von
15 Prozent. Dabei ist, wie gesagt, noch nicht berücksichtigt, dass der Verbraucherschutz inzwischen hinzugekommen ist. Daran kann man schon erkennen, dass offensichtlich doch größere Einsparungen im Bereich
der Landwirtschaft vorgenommen worden sind, dass
die Landwirtschaft also schon teilweise Vorleistungen
erbracht hat. Allein die Mittel für die von Ihnen angesprochene Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und
Küstenschutz“ sind seit 1998 um 22 Prozent - ohne Berücksichtigung der globalen Minderausgabe - gekürzt
worden. Ich persönlich stehe zur Gemeinschaftsaufgabe.
Ich bin mir sicher, dass die gesamte Unionsfraktion zur
Gemeinschaftsaufgabe steht.
({3})
Unter diesen Voraussetzungen ist die Union im letzten
Jahr in die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gegangen. Weil sie genau wusste, welche Vorleistungen die
Landwirtschaft bereits in den letzten Jahren erbracht
hatte, hat sie gesagt: Bei der Landwirtschaft wird jetzt
nicht noch einmal gekürzt!
({4})
Aber Sie kündigen jetzt den im Vermittlungsausschuss
erzielten Kompromiss einseitig auf. Sie brechen sozusagen einseitig einen Vertrag. Ich kann mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass
Sie das auch in anderen Bereichen gemacht haben, allerdings zugunsten anderer Gruppen. Das kann ich Ihnen
nicht ersparen: Koch und Steinbrück haben vorgeschlagen, im Bereich der Steinkohleförderung 175 Millionen
Euro einzusparen. 175 Millionen Euro!
({5})
Es ist aber im Rahmen der Haushaltsberatungen mit einfacher Mehrheit beschlossen worden, dies auf die globale Minderausgabe des gesamten Einzelplans zurückzuführen.
Zurück zum Haushaltsentwurf: Die ausgewiesene Gesamtkürzung der Ausgaben von 1,7 Prozent täuscht;
denn die Bezugsbasis 2004 ist nicht korrekt. Sie hatten
schließlich schon Ihre gewünschten Kürzungen eingerechnet. Wenn man das Jahr 2003 als Basis nimmt, dann
kommt man zu folgendem Ergebnis: Der Sollansatz der
Ausgaben lag damals bei über 5,6 Milliarden Euro. Der
jetzige Regierungsentwurf weist für 2005 aber nur noch
5,1 Milliarden Euro aus. Dies entspricht einer Kürzung
von fast 10 Prozent in zwei Jahren. Man kann wirklich
nicht behaupten, dass das zu wenig ist.
Es ist keine Frage, dass dies auch nicht an der landwirtschaftlichen Sozialpolitik vorbeigeht. In diesem
Bereich gibt es - genauso wie in der Knappschaft - demographische und strukturbedingte Probleme. Immer
weniger aktiven Landwirten stehen immer mehr Altenteiler gegenüber, und zwar wegen des Strukturwandels
in einem wesentlich schlechteren Verhältnis als bei der
allgemeinen Kranken- bzw. Rentenversicherung. Dieses
Problem wird durch Ihr Haushaltsbegleitgesetz weiter
verschärft. Über die Konsequenzen haben wir schon in
der Anhörung am letzten Montag gesprochen. Aber ich
möchte hier - das ist meine Prognose der zukünftigen
Entwicklung - nochmals darauf hinweisen. Durch die
Kürzungen werden die Beiträge natürlich steigen. Die
Frage wird nicht sein, ob, sondern, wie viele und wie
schnell freiwillig Versicherte die Krankenversicherung
verlassen werden. Dadurch werden die Beiträge erneut
steigen. Irgendwann wird es eine Verfassungsklage gegen eine Krankenversicherung geben, die die Beiträge
erhöht, die man aber im Gegensatz zur allgemeinen
Krankenversicherung nicht verlassen kann; denn dort hat
man jederzeit die Möglichkeit, zu wechseln, wenn die
Beiträge steigen. Aber das ist hier nicht möglich.
({6})
Sie wissen genau, dass der Vergleich mit der allgemeinen Krankenversicherung hinkt, wenn man nur die
Beiträge in Prozent heranzieht; denn bei Prozentsätzen
hat man immer das Problem, dass sie sich auf eine bestimmte Basis beziehen. Man kann nicht einfach eine
gleiche Bemessungsgrundlage zwischen der allgemeinen
Krankenversicherung und der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung herstellen. Das ist der eigentliche
Grund, warum die landwirtschaftliche Krankenversicherung bisher nicht in den Risikostrukturausgleich einbezogen worden ist. Ich prophezeie Ihnen, dass keine allgemeine Krankenversicherung jubeln würde, wenn die
landwirtschaftliche Krankenversicherung eingegliedert
werden müsste; denn das, was die landwirtschaftliche
Krankenversicherung aus dem Risikostrukturausgleich
erhalten würde, wäre wesentlich höher als der Zuschuss
aus dem Bundeshaushalt. Deshalb wird das wohl nicht
stattfinden. Sie verweigern der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung im Prinzip die gleiche Behandlung
wie sie beispielsweise die knappschaftliche Krankenversicherung genießt.
({7})
- Das ist keine glatte Frechheit. Das wissen Sie ganz genau, Frau Wolff.
Ein anderes Beispiel für die Benachteiligung der
Landwirtschaft ist die Mineralölsteuerbefreiung für
Agrardiesel. Auch hier gibt es einseitige Einschnitte.
Ich hätte von einer deutschen Ministerin erwartet, dass
sie irgendwann in Brüssel die am letzten Montag angesprochene First-best-Lösung - die Angleichung auf europäischer Ebene - durchsetzt. Stattdessen sieht das
Haushaltsbegleitgesetz - im Vergleich zu Frankreich künftig einen siebenfach höheren Steuersatz auf Agrardiesel vor. Wie kann man denn bei höheren Umweltschutzauflagen, höheren Tierschutzauflagen und höheren Steuersätzen von der deutschen Landwirtschaft
erwarten, dass sie mit den Landwirtschaften in den
Nachbarstaaten auch nur ansatzweise konkurriert? Das
müssen Sie mir einmal erklären.
({8})
Es gäbe im Rahmen dieser Haushaltsberatungen noch
sehr viel dazu zu sagen, was sonst alles gekürzt wurde.
Aber die Kollegen und Kolleginnen des Haushaltsausschusses haben im Herbst mit Sicherheit viele Gelegenheiten, über die einzelnen Titel zu sprechen. Ich kann
Ihnen schon heute versprechen: Wir werden viele Einsparungsvorschläge machen,
({9})
die Ihnen allerdings nicht gefallen werden.
({10})
- Nein, leider habe ich nicht mehr so viel Zeit. Ich kann
Ihnen, Frau Wolff, und den Kolleginnen und Kollegen
versprechen, dass ich mit Sicherheit eine sehr konstruktive Rolle spielen werde. Ich werde nicht nur Erhöhungsanträge, sondern - ganz im Gegenteil - sehr viele
Kürzungsanträge stellen, selbstverständlich im Einvernehmen mit meiner Fraktion.
({11})
Wie gesagt, wir werden uns nicht einig werden. Aber
es gibt Alternativen zu den Vorschlägen, die Sie gemacht
haben. Diese Alternativen werden wir aufzeigen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Jella Teuchner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Als das Kabinett den Haushaltsentwurf beschlossen hat, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit zehn Pressemitteilungen reagiert.
In dreien werfen Sie uns den Marsch in den Schuldenstaat vor; in sieben kritisieren Sie konkrete Sparvorschläge und werfen Sie uns vor, wir sparten das Land
und insbesondere die Landwirtschaft kaputt. Das Gleiche haben wir am Montag in der Anhörung im Haushaltsausschuss erlebt. Das Gleiche erleben wir jetzt in
den Haushaltsberatungen. Ich frage Sie: Halten Sie eigentlich selbst Ihre Positionen für ein stringentes Konzept? Oder ist Ihnen nicht vielmehr selbst bewusst, dass
Sie einfach keine Ahnung haben, wie auf die Haushaltssituation zu reagieren ist?
({0})
Was Sie hier machen, ist eine Politik nach Dr. Jekyll
und Mr. Hyde: Der vermeintlich gute Dr. Jekyll will niemandem wehtun und lehnt alle Sparmaßnahmen ab,
während der vermeintlich böse Mr. Hyde ruft: Sparen,
sparen, sparen! - Dr. Jekyll ist daran zerbrochen, dass er
seine beiden Egos nicht unter einen Hut bringen konnte.
Auch Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie nicht
endlich sagen, was Sie eigentlich wollen. Auch die Menschen wollen von Ihnen Antworten.
({1})
In der Anhörung im Haushaltsausschuss wurde uns
ständig vorgeworfen, wir machten eine unanständige Politik, weil wir auch im Haushalt des BMVEL kürzen.
Wissen Sie, was unanständig ist? Unanständig ist es,
ständig das Sparen zu fordern, es aber gleichzeitig zu
verhindern. Nichts anderes machen Sie.
({2})
Sie prangern die Staatsverschuldung an und sorgen dafür, dass wir neue Schulden machen. Das ist auch Ihre
Politik hier im Bundestag.
Auch heute war wieder festzustellen, dass Sie sich um
konkrete Vorschläge eigentlich herumdrücken. Das hat
einen guten Grund: Auch Sie kämen nicht umhin, im
Haushalt des BMVEL zu sparen.
({3})
Der bayerische Ministerpräsident hat angeboten, im
Bund 5 Prozent zu sparen. Herr Austermann hat Vorschläge angekündigt, die Kürzungen von 3 Prozent vorsehen. Er hat es zwar angekündigt, aber bis heute nichts
vorgelegt. Wie aber wollen Sie denn das überhaupt umsetzen? Haben Sie eigentlich überhaupt irgendwelche
Vorstellungen? Wenn ja, dann legen Sie sie endlich auf
den Tisch und dann können wir darüber reden.
({4})
Hören Sie endlich damit auf, so zu tun, als ob man
sparen könnte, ohne weniger Geld auszugeben! Das geht
nicht. Das können auch Sie nicht und das glaubt Ihnen
auch niemand.
({5})
Wie gesagt, Sie haben keine Vorschläge vorgelegt.
Das ist auch logisch; denn sonst müssten Sie zugeben,
dass auch Sie schmerzhafte Maßnahmen durchsetzen
müssten, auch in der Landwirtschaft. Ein Blick in die
Länder zeigt es doch: 3,2 Prozent hat Edmund Stoiber in
Bayern eingespart, 4 Prozent pro Jahr hat Roland Koch
gemeinsam mit Peer Steinbrück vorgeschlagen.
Die Landwirtschaft können beide nicht ausnehmen.
Im Gegenteil: Die Bayerische Staatsregierung hat im
Nachtragshaushalt 2004 im Bereich des Landwirtschaftsministeriums mit 7,5 Prozent deutlich überproJella Teuchner
portional gekürzt. Das ist die Realität dort, wo Sie regieren. Es wäre gut, wenn Sie diese Realität auch hier im
Bundestag wahrnehmen würden.
({6})
Wir kennen die wirtschaftliche Situation in der Landwirtschaft. Auch ein Edmund Stoiber kennt sie. Ich kann
Ihnen sagen, dass wir genau prüfen, in welchen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden müssen und
können. Wir stellen fest: Die Landwirtschaft profitiert
weiterhin wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig von
steuerlichen Sonderregelungen und Subventionen. Im
Agrarbericht 2003 sind 6,8 Milliarden Euro an EU-Mitteln, 5,3 Milliarden Euro an Bundesmitteln und 2,6 Milliarden Euro an Landesmitteln ausgewiesen. Das macht
laut Agrarbericht 21 254 Euro pro Haupterwerbsbetrieb
oder 11 279 Euro pro Arbeitskraft aus.
({7})
11 279 Euro an Direktzahlungen und Zuschüssen werden für jede Arbeitskraft in einem Haupterwerbsbetrieb
ausgegeben. Das ist - das müssen Sie zugeben - eine
Menge Geld. Auch mit dem vorgelegten Haushalt werden die Landwirte noch kräftig unterstützt.
Heute Morgen haben die Bauern vor dem Reichstag
demonstriert. Wir wissen - da gibt es kein Drumherumreden -, dass wir mit dem Haushalt 2005 die Bauern
belasten werden. Wir alle wissen aber auch, dass einschneidende Reformen notwendig sind, die alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes betreffen. Angesichts
dessen können wir die Landwirtschaft nicht komplett außen vor lassen. Uns allen wäre es lieber, wir müssten im
Einzelplan 10 nicht sparen. Wir würden auch gern in allen anderen Einzelplänen genauso viel ausgeben wie bisher. Wir haben aber das Geld nicht dazu. Deswegen
muss gespart werden. Auch Sie müssten genauso sparen.
Die Bauern haben darauf hingewiesen, dass die Landwirte in Dänemark - das ist eben auch schon angesprochen worden - nur 3 Cent Steuern für den Agrardiesel
bezahlen. Sie haben in der Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz eine Grafik des Ifo-Instituts verwendet, die
dies auch deutlich zeigt. Interessant ist, dass das Ifo-Institut in dieser Studie nicht nur die Dieselbesteuerung in
Europa, sondern auch alle Steuern auf Produktionsmittel
vergleicht. Schaut man sich diese Steuern an, dann stellt
man fest, dass die dänischen Bauern, gemessen am Gewinn, doppelt so stark belastet werden wie die deutschen.
({8})
Die Wettbewerbsbedingungen hängen nicht nur vom
Preis für Agrardiesel ab und das wissen Sie auch. Warum argumentieren Sie dann nicht auf der Grundlage Ihres Wissens?
({9})
Wir brauchen eine Agrarpolitik, die dafür sorgt, dass
sich die Landwirte am Markt ausrichten können. Mit der
Umsetzung der EU-Agrarreform haben wir dafür die
richtigen Weichen gestellt.
({10})
Wir brauchen eine Agrarpolitik, die besondere Leistungen von Landwirten fördert und damit Perspektiven
schafft. Hier haben wir im ökologischen Landbau einiges erreicht. Durch die Förderung der nachwachsenden
Rohstoffe haben etliche Landwirte ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein bekommen.
Vor der Sommerpause haben wir die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen. Der Bauernverband hat diese Novelle begrüßt, weil sie eine Perspektive für etliche Landwirte schafft. Die Union hat
dagegengestimmt. Das ist Ihre Politik für die Landwirte:
Sonntagsreden halten, die dann bei der Abstimmung im
Bundestag nichts mehr wert sind.
({11})
Wir haben in diesem Haushalt - das ist auch von der
Ministerin angesprochen worden - wieder einen
Schwerpunkt beim Verbraucherschutz gesetzt. Das ist
für die Landwirte wichtig. Sie leben davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Vertrauen in ihre Produkte haben. Das ist aber vor allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig. Wir sorgen dafür, dass
sie notwendige Informationen bekommen, dass ihre Gesundheit und ihre wirtschaftlichen Interessen geschützt
sind und dass sie im Zweifel auch ihre Rechte durchsetzen können. Dafür stehen wir. Das lässt sich auch am
Haushalt ablesen.
Der Haushalt 2005 ist ein Konsolidierungshaushalt.
Dies ist notwendig. Genauso notwendig ist es - daran
führt kein Weg vorbei -, dass auch die Landwirtschaft
einen Beitrag leistet. Umso mehr ist es notwendig, dass
wir die Weichen für eine auch wirtschaftlich nachhaltige
Landwirtschaft stellen. Das heißt, dass trotz der Sparvorgaben gezielt Schwerpunkte zu setzen sind. Das heißt
auch, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Landwirte
ihre Produktion an den Märkten ausrichten können.
Wir haben mit der Umsetzung der EU-Agrarreform
die richtigen Schritte unternommen. Wir stärken die
ländlichen Räume und eröffnen den Landwirten Spielräume für unternehmerische Entscheidungen. Gerade
diese Ausrichtung an den Märkten, die wir durchgesetzt
haben, bringt deutliche Chancen für die Landwirte. Wer
jetzt nur jammert, der verspielt diese Chancen. Es geht
darum, diese Chancen zu nutzen. Dafür stellen wir die
Weichen - mit dem Haushalt und auch sonst mit unserer
Politik.
({12})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael
Goldmann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man, während man so dasitzt, aufgefordert wird, sachlich zu sein,
aber dann das hört, was Sie eben vorgetragen haben,
Frau Teuchner, wähnt man sich im falschen Film. Wer
behauptet, dass dieser Haushalt gegenüber der Agrarwirtschaft und der Ernährungswirtschaft fair und gerecht
ist und ihnen Marktchancen eröffnet, der hat noch nie in
den Haushalt hineingeschaut.
({0})
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich verstehe das irgendwo nicht mehr. Man wird zu einer sachlichen Diskussion aufgefordert und im gleichen Atemzug sagen
Sie, der Agrarhaushalt sei ausgewogen, gerecht und zukunftsorientiert, obwohl Sie ganz genau wissen, dass
dies der Bereich des Gesamthaushaltes ist, der am meisten blutet, da er ungefähr ein Drittel von den bisherigen
1,5 Milliarden Euro Zuwendungen, die er aus dem nationalen Haushalt bekommen hat, verliert. Ich denke, so
kann man mit diesem Bereich nicht umgehen, man
müsste fairer und verantwortungsbewusster sein. Ihr
Haushalt ist aber nicht fair und nicht verantwortungsbewusst.
({1})
Bei der Agrarreform waren wir uns weitgehend einig
und haben relativ viel - aus meiner Sicht fachlich begründet - kollegial auf den Weg gebracht. Einig waren
wir allerdings auch, dass viele Landwirte in Deutschland
vor einer großen Herausforderung stehen.
Gestern kam der nächste Hammer: Wir stimmen doch
mit Ihnen darin überein, dass im Zusammenhang mit der
Reform des Zuckermarktes etwas passieren muss.
Nur, die Reform des Zuckermarktes kostet ebenso wie
die eigentliche Agrarreform jede Menge Unternehmen
und landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland Geld,
bringt eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und damit
von Zukunftsperspektiven in diesem Bereich mit sich.
Das wissen Sie doch.
({2})
Sie aber reden von Gerechtigkeit und davon, dass alle einen Beitrag leisten müssen.
Sie wissen ganz genau, dass der niedersächsische
Landwirt aus dem Emsland beim Agrardiesel wesentlich stärker besteuert wird als sein niederländischer Kollege. Aber der deutsche Kollege muss seine Kartoffeln
auf einem harmonisierten europäischen Markt zum gleichen Preis wie der niederländische oder der französische
Kollege verkaufen. Sie behaupten trotzdem, Sie würden
in diesem Bereich die Weichen für die Zukunft stellen.
Nichts, absolut nichts tun Sie.
Wissen Sie, Frau Teuchner, was ich daran so hinterfotzig finde - diesen Begriff darf man doch, glaube ich,
noch verwenden, oder?
({3})
- Darf man nicht mehr sagen? Okay, dann will ich Ihnen
sagen, was ich gemein finde: dass Sie sich beim Ökobereich völlig anders verhalten. Hier rollen Sie einen roten
Teppich nach dem anderen aus und pusten an jeder Stelle
Geld hinein: bei Sachverständigengutachten, bei Programmen, bei Hilfen, bei Stützen, bei Subventionen. Als
die FDP letztes Jahr Vorschläge machte, in diesem Bereich zu kürzen, sagten Sie: Oh, ihr Bösen von der Opposition! Nein, auf keinen Fall! - Zugleich kürzen Sie
aber in dem Bereich, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird, wo Landwirte Arbeitsplätze vorhalten, unsere
Weltmarktstellung im Agrarbereich und in der Lebensmittelwirtschaft sichern und unsere Qualitätsstandards
so hoch halten, dass man davon reden kann, dass wir in
diesem Bereich noch in der ersten Liga spielen. Durch
Ihr Hereinschlagen in diesen Bereich vernichten Sie Arbeitsplätze. Das finde ich nicht in Ordnung und halte ich
nicht für fair.
({4})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das tut auch weh.
Nun habe ich von Ihnen, Frau Künast, eben den Verweis auf nachwachsende Rohstoffe vernommen. Ich
komme aus Papenburg. Da haben wir schon vor zehn
Jahren nachwachsende Rohstoffe erprobt. Dafür gibt es
einen Markt. Das ist gar keine Frage; das bestreite ich
nicht. Wenn Sie aber glauben, durch Aufbau eines Marktes für nachwachsende Rohstoffe den Verlust an Arbeitsplätzen, an Wirtschaftskraft und an Investitionen ausgleichen zu können, den Sie mit diesem Haushalt
verursachen, dann sind Sie falsch gewickelt.
({5})
Was in diesen Bereichen verloren geht, kann man in den
Bereichen, die Sie angesprochen haben, nach meiner
tiefsten Überzeugung nicht ausgleichen.
Ich will noch auf etwas anderes hinweisen, weil daran
der ganze Charakter Ihrer Politik deutlich wird. Ich als
Grüner würde mich schämen.
({6})
Noch 2002 haben die Grünen vor der Bundestagswahl
wörtlich zur Agrardieselbesteuerung versprochen:
Mit wettbewerbsverzerrenden nationalen Regelungen in diesem Bereich muss endlich Schluss sein.
Ja, tun Sie es!
({7})
Warum wählen Sie hier in diesem Bereich wieder den
Weg des nationalen Alleingangs? Das wird wieder dazu
führen, dass unsere Bauern an den Pranger gestellt werden und ihnen der Absatzmarkt unter den Füßen weggeschlagen wird. Wir sind in dieser Frage so grundsätzlich
anderer Auffassung, dass uns das schon wehtut.
({8})
- Nein, Frau Teuchner, Sie haben keine Ahnung von
Landwirtschaft. Sie haben von mir aus Ahnung von Verbraucherschutz. Ich will Ihnen gar nicht absprechen,
dass Sie sich Mühe geben, aber das reicht nicht.
({9})
- Nein, Sie haben schlicht und ergreifend keine Ahnung.
({10})
Sie kennen zum Beispiel nicht die Wirtschaftskompetenz der Ernährungswirtschaft insgesamt. Sie wissen
nicht, dass die Ernährungswirtschaft in Niedersachsen
der zweitgrößte Arbeitgeber ist.
({11})
Sie wissen nichts von der Wertschöpfung. Die Sozialdemokraten wissen nichts von der Wertschöpfung der
Agrar- und Ernährungswirtschaft im ländlichen Raum.
Nur deshalb können Sie hier solche Positionen vertreten.
({12})
- Nein, Frau Teuchner, da ist der Spaß am Ende, das
muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Sie lassen sich an
verschiedenen Stellen alles Mögliche einfallen, zum Beispiel Bauernspione, die Sie im Haushalt für Nachforschungen verankern.
({13})
- Natürlich! Sie denken über zusätzliche Steuern nach,
Sie diskriminieren Lebensmittel, indem Sie sie in gesunde und ungesunde einteilen, und Sie wissen alles. Sie
wissen, was für die Verbraucher gut und was schlecht ist,
gießen das in Gesetze und wundern sich dann, dass das
nicht klappt.
Die Tabaksteuer ist das jüngste Beispiel dafür: Da
hatten Sie die glorreiche Idee, den Preis kräftig zu erhöhen, damit die Raucher aufhören zu rauchen,
({14})
dann aber stellen Sie voller Erstaunen fest, dass Ihnen
die Einnahmen wegbrechen. Das hätte ich Ihnen vorher
sagen können.
Genau in diesem Sinn machen Sie Politik. Sie ist unausgewogen, unklug und wird dem Bereich der Ernährungs- und Agrarwirtschaft nicht gerecht. Wir werden
wieder unsere Änderungsanträge stellen. Letztes Mal
haben wir damit 200 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Sie haben die Gelegenheit, unseren alternativen
Vorschlägen zuzustimmen. Ihren Vorschlägen werden
wir auf keinen Fall zustimmen.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist ja niemals eine besonders dankbare Aufgabe, Sparmaßnahmen in einem Haushalt zu vertreten
und zu verteidigen, auch dann nicht, wenn sie notwendig
und unvermeidbar sind wie dieses Mal. Noch schwerer
ist es, wenn man diese unmittelbar im eigenen Betrieb
und bei den Kolleginnen und Kollegen der Nachbarschaft erlebt.
Die Einsparungen im Bereich des Agrardiesels und
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung werden
einschneidend sein, keine Frage. Ich denke, wir sind es
den Betroffenen schuldig, dies in aller Deutlichkeit zu
sagen.
({0})
Wir müssen aber auch sagen: Die Gesundheitsreform hat
im letzten Jahr 5 bis 15 Prozent Beitragsentlastung für
unsere landwirtschaftlichen Betriebe gebracht und wird
in diesem Jahr über 30 Millionen Euro Entlastung bringen.
({1})
Außerdem haben die Kassen noch 60 Millionen Euro
Rücklagen für schlechte Zeiten, die jetzt genutzt werden
müssen.
Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Lasten gerecht verteilt werden. Dafür werden wir in diesen Haushaltsberatungen kämpfen. An Sie, Frau Aigner, sei als
Haushälterin gesagt: Hier werden wieder die Bauern
gegen die Bergleute ausgespielt. Aber der Bundeszuschuss für die Bundesknappschaft betrug 2002 7,4 Milliarden Euro, in diesem Jahr beträgt er 7 Milliarden Euro
und im nächsten Jahr wird er 6,9 Milliarden Euro betragen. Wer hier sagt, nur die Bauern würden herangenommen, der lügt.
({2})
Die Bäuerinnen und Bauern aus Brandenburg haben
heute Morgen vor dem Reichstag zu Recht gefordert,
auch die Subventionierung von Flugbenzin und
Schiffsdiesel endlich abzubauen.
({3})
Natürlich kann ich das nur unterstützen. Aber wir brauchen dafür auch Mehrheiten in Europa; das wissen Sie
ganz genau.
({4})
Natürlich ist es ebenso unverständlich, dass wir noch die
Mehrwertsteuersubventionierung von Hunde- und Katzenfutter finanzieren. Aber daran arbeiten wir; das wird
sich noch ändern. Was den Treibstoff angeht, so wollen
und werden wir der Landwirtschaft helfen, vom Erdöl
unabhängiger zu werden; das hat die Ministerin betont.
Meine Damen und Herren von der Opposition, hüten
Sie sich vor leeren Versprechungen. Versprechen Sie den
Landwirten nicht weiterhin blühende Landschaften; Sie
wissen doch sehr genau um die Lage der öffentlichen
Haushalte. Trotzdem versuchen Sie hier mit Ihrer Gummistiefelrhetorik
({5})
den Bäuerinnen und Bauern weiszumachen, dass das alles nur Bosheiten seien und eigentlich alles bleiben
könne, wie es ist. Sie erzählen draußen ständig, wir würden einseitig die Landwirtschaft zur Kasse bitten. Das ist
nicht wahr und das wissen Sie. Die Einsparungen, die
jetzt im Haushaltsbegleitgesetz anstehen, waren bereits
im letzten Jahr auf der Tagesordnung und schon damals
gab es von Ihnen keinen einzigen Antrag, weder zum
Agrardiesel noch zur Krankenversicherung. Aber dann
kam ja Herr Stoiber, der dafür sorgte, dass das Thema im
Vermittlungsausschuss von der Sparliste kam. Natürlich
wusste auch er, dass Sparmaßnahmen nicht zu vermeiden sind und dass sie dieses Jahr wieder auf die Tagesordnung kommen. Aber das war egal. Es war ihm wichtiger, für sich ein paar Punkte zu machen, als den Bauern
und Bäuerinnen reinen Wein einzuschenken. Aber Ihr
Wein ist nicht rein, sondern gepanscht, und für die Kopfschmerzen wollen Sie dann uns verantwortlich machen.
({6})
Das haben Sie bei der Agrarreform genauso versucht.
Was macht die FDP? Sie versucht beim Haushalt, die
Bauern gegeneinander auszuspielen, indem sie wider
besseres Wissen behauptet, man müsse nur beim Ökolandbau ordentlich sparen, dann würden alle anderen
verschont bleiben. Ökobauer gegen Bauer in der konventionellen Landwirtschaft - Herr Goldmann, Sie wissen doch selbst, was das für ein Unsinn ist. Sie betreiben
leider eine rein ideologische Haushaltspolitik.
({7})
Mit Ihrer Politik erweist die Opposition der Landwirtschaft einen doppelten Bärendienst. Erstens lassen Sie
die Bäuerinnen und Bauern im Unklaren darüber, worauf
sie sich einzustellen haben. Zweitens: Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass die
Landwirtschaft bei vielen Menschen als Erstes mit Subventionen in Verbindung gebracht wird? Haben Sie sich
schon einmal klar gemacht, dass dieses Image vielleicht
nicht unbedingt ein gesellschaftliches Klima schafft,
welches die Verteidigung berechtigter Ansprüche der
Landwirtschaft erleichtert?
Ihr Gedröhne, Herr Carstensen und Herr Goldmann,
mag an den Stammtischen ankommen. Aber ich glaube
nicht, an vielen.
({8})
Beim Rest der Gesellschaft bestätigt es aber Vorbehalte
und den Eindruck, Landwirtschaft sei etwas Überholtes,
das keine Unterstützung verdiene. Mit Ihren Spanferkelweisheiten
({9})
werden Sie in den Großstädten keine Solidarität mit der
Landwirtschaft gewinnen, meine Herren. Wir erleben
gerade in Schleswig-Holstein, wie die Unterstützung abnimmt. Ihr Getöse findet noch nicht einmal bei Ihren eigenen Wirtschaftsleuten Unterstützung.
In diesem Sinne betrachte ich als Bauer Bundesministerin Künast als einen echten Glücksfall für die Landwirtschaft.
({10})
Wer sonst könnte die Brücke zwischen Landwirtschaft
und Gesellschaft bauen, die wir so dringend brauchen?
Darum geht es doch für uns Bauern und Bäuerinnen:
nicht Schlachten von gestern mit Sprüchen von vorgestern zu schlagen und dabei jeden Kredit zu verspielen,
sondern den gesellschaftlichen Konsens über die Stellung der Landwirtschaft zu suchen und damit das Geld
zu sichern, das zurecht in die Landwirtschaft fließt.
({11})
Ich muss zugeben, dass ich den Begriff „Gummistiefelrhetorik“ vorher noch nie gehört habe.
({0})
Das ist eine neue Sprachschöpfung.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lieber Kollege Ostendorff, von einem Glücksfall für die
Bauern kann man wohl erst dann reden, wenn Peter
Harry Carstensen in Schleswig-Holstein die Wahlen für
sich entscheidet und dort bald Ministerpräsident wird.
({0})
Das wäre ein echter Glücksfall. Ich glaube, dass Frau
Künast für die Bauern und Landwirte eher ein Problemfall ist. Es wäre auf jeden Fall ein Glück, wenn Peter
Harry Carstensen im Norden dieses Landes an die Regierung käme.
({1})
Auch das gehört zur Wahrheit und Klarheit.
Ich komme jetzt zu einem echten grünen Lieblingskind, nämlich zur Verbraucherpolitik. Da der Kollege
eben gesagt hat, dass im Haushalt nicht einseitig bei den
Landwirten gespart wird, muss ich feststellen, dass bei
diesem Lieblingskind des Ministeriums die Titelgruppe
Verbraucherpolitik im Gegenteil noch aufgestockt worden ist. Es scheint doch zu gehen, dass dem einen genommen und dem anderen gegeben wird. Aber dabei
handelt es sich nur um Projekte der Öffentlichkeitsarbeit
und der Medienwirksamkeit.
({2})
Es gibt aber eine positive Meldung - das muss ehrlicherweise gesagt werden -, nämlich dass die Ausstattung der Verbraucherzentrale Bundesverband und der
Stiftung Warentest gleich geblieben ist. Diese Entscheidung ist richtig. Das haben wir die ganze Zeit gefordert und unterstützt. Den Bundesländern muss man
allerdings sagen: Wenn sie diesem Beispiel gefolgt
wären, dann wäre der Insolvenzantrag der Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern mit all den sich
anschließenden Schwierigkeiten wie Auffanggesellschaften etc. erspart geblieben. Insofern kann man nur
sagen, dass es eine vernünftige Entscheidung war, bei
der Ausstattung nicht zu kürzen. Mein Appell an die
Bundesländer ist, diesem Beispiel zu folgen.
({3})
Das war es aber auch schon an positiven Aspekten.
Ansonsten lässt dieser Haushalt in Bezug auf die Verbraucherpolitik schlüssige Konzepte und deutliche Impulse vermissen. Es gibt zum Beispiel die Innovationsoffensive der Bundesregierung, für die auch in diesem
Haushalt 5 Millionen Euro vorgesehen sind. Es ist erfreulich, dass das so ist. Nur, was unter Innovationen und
unter Innovationsförderung in diesem Haushalt verstanden wird, ist schon relativ abenteuerlich. Da geht es
nämlich beispielsweise um den Tierschutz, tiergerechte
Haltungsverfahren, den Ökolandbau oder aber um - ich
zitiere jetzt eine Überschrift aus den Unterlagen zum
Einzelplan 10 - „Lebensmittel der Zukunft“. Darunter
fallen Projekte zur „Entwicklung dem Lebensstil angepasster Lebensmittel“ - Stichwort: ausgewogene Energiebilanz ({4})
oder die „Untersuchung ausgewählter Stoffe auf gesundheitsfördernde Wirkung“.
Was heißt das ganz konkret? Wollen Sie der Milchindustrie mit 1,5 Millionen Euro - so viel nämlich wollen
Sie dafür zur Verfügung stellen - bei der weiteren Entwicklung von Joghurts helfen? Die wird das sicherlich
begrüßen. Aber ist es Aufgabe des Staates, sich um Lebensmittel der Zukunft zu kümmern? Gibt es nicht,
wenn Sie schon sagen, dieser Forschungsbereich werde
vom Staat begleitet, beispielsweise Bundesforschungsanstalten, die diese Aufgabe übernehmen könnten? Oder
verbirgt sich hinter dem entsprechenden Titel doch nur
die Förderung des Ökolandbaus?
Damit zeigt sich für uns ganz klar, wo Ihre Prioritäten
liegen. Sie sind keine Ministerin aller Verbraucher, sondern nur eine Ministerin bestimmter Verbraucher, nämlich der Verbraucher, die an ökologischen Produkten interessiert sind. Sie wollen allen Verbrauchern in diesem
Land Ihre Politik aufs Auge drücken
({5})
und ihnen sagen: Ihr müsst diese Produkte kaufen; andere Produkte dürft ihr nicht kaufen.
Ich nenne ein anderes Beispiel: Im Rahmen der Innovationsoffensive gibt es das Vorhaben „Verbraucherinnen und Verbraucher als Innovationsmotor“. Dafür wollen Sie 2 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dabei
geht es um Maßnahmen, die „den Verbraucher als aktiven Gestalter eigenverantwortlicher Vorsorgemärkte“
unterstützen sollen oder „neue Märkte durch Verbrauchervertrauen stärken sollen“. Was sind denn diese
neuen Märkte? Sind das auch wieder Ökomärkte?
Ich bin froh - das habe ich schon meiner Kollegin Ilse
Aigner gesagt -, dass alle Ausgaben unter einem Sperrvermerk stehen und der Haushaltsausschuss darüber gesondert abstimmen muss. Denn ansonsten, glaube ich,
würden wir hier mit verdammt viel Unsinn überzogen.
Gerade in Zeiten knapper Kassen sollte dieses Geld eher
für innovative Produkte ausgegeben werden.
({6})
Darunter könnte man - unabhängig davon, wie man
dazu steht - beispielsweise auch Innovationen in den
Gentechnikbereich verstehen. Es wäre durchaus sinnvoll, auch dafür den einen oder anderen Euro auszugeben statt immer nur für Ihre Lieblingsprodukte und Ihre
Lieblingsvorhaben.
({7})
- Da kann ich Ihnen schon jetzt 5 Millionen Euro nennen, wenn sie in der Form ausgegeben werden sollen,
wie sie im derzeitigen Haushaltsentwurf stehen.
({8})
Ich komme jetzt zu einem anderen Bereich, zur Verbraucheraufklärung. Er umfasst fast ausschließlich die
Bereiche Ernährung und nachhaltigen Konsum. Der
wirtschaftliche Verbraucherschutz kommt - ich habe das
schon im vergangenen Jahr kritisiert - so gut wie gar
nicht vor. Es wird zurzeit eine Diskussion über die Energiepreise geführt. Auch darum könnte sich das Verbraucherschutzministerium einmal kümmern.
({9})
Wenn heute die Präsidentin des Bundesverbandes Verbraucherzentrale fordert, mit am Tisch der Energierunde
bei Bundeskanzler Schröder zu sitzen, wäre das durchaus eine Sache, die Sie, Frau Künast, besonders unterstützen könnten; denn von den hohen Energiepreisen
sind ja in der Tat diesmal alle Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht nur eine kleine Gruppe betroffen.
({10})
Medien- und öffentlichkeitswirksame Themen sind
der Ministerin bzw. der Bundesregierung in diesem
Haushalt anscheinend die liebsten. Damit diese auch so
richtig vermarktet werden können, werden - abgesehen
von in anderen Titeln versteckten Ausgaben - für diese
Bereiche ähnlich hohe Mittel wie schon in den Haushaltsentwürfen der vergangenen Jahre zur Verfügung gestellt.
Unserer Forderung, die wir in den letzten Haushaltsberatungen schon mehrfach gestellt haben, nämlich
diese Mittel zu senken, sind Sie erneut nicht nachgekommen. Es ist noch immer nicht klar, was Sie mit der - so
heißt es in den Begründungen - „gleich bleibenden hohen Nachfrage zu Informationsmaterial“ konkret meinen
und wer diesen gleich bleibend hohen Nachfragedruck
überhaupt hat. Ich frage mich immer wieder, wozu wir
die in diesem Bereich bestehenden vielen Institutionen
und Forschungsanstalten haben. Was den Ernährungsbereich angeht, so haben wir darüber noch vor der Sommerpause diskutiert: Es gibt die Deutsche Gesellschaft
für Ernährung und den Deutschen Landfrauenverband,
die sich durchaus um diese Fragen kümmern. Es gibt die
verschiedensten Organisationen, die Unterlagen zur Verfügung stellen. Aber nein, auch das Ministerium muss
hier noch einmal Mittel bereitstellen. Das dient ausschließlich der Selbstdarstellung der Grünen und ist
nicht zum Nutzen unserer Verbraucherinnen und Verbraucher.
({11})
Angesichts der vielen Kritikpunkte drängt sich erneut
die Frage auf, ob dieser Haushaltsentwurf wirklich dem
Anspruch des Verbraucherschutzes als Querschnittsaufgabe entspricht. Ich habe den wirtschaftlichen Verbraucherschutz genannt; der rechtliche Verbraucherschutz ist
ebenfalls ein ganz wichtiges Thema, das zu kurz kommt.
Die Antwort auf die eben gestellte Frage lautet Nein.
Wir erwarten, dass in den Haushaltsberatungen während
der nächsten Wochen Nachbesserungen vorgenommen
werden und die Verbraucherinteressen wirklich ausgewogen berücksichtigt werden. Es geht um alle Verbraucher und nicht um eine bestimmte grüne Klientel.
Recht herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Zöllmer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu dem, was der
Kollege Goldmann eben in seiner Rede gesagt hat.
({0})
Lieber Herr Goldmann, nach meinem Eindruck haben
Sie mit Ihrer Rede nur versucht, mit operativer Hektik
die geistige Windstille liberaler Politik zu verschleiern.
({1})
Die Haushaltsdebatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir in den vergangenen Tagen und auch jetzt bei
diesem optimistisch stimmenden Spätsommerwetter führen, belegt einmal mehr, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, die wir politisch meistern müssen.
({2})
Zu Recht werden daher von der Politik Ehrlichkeit, Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit verlangt. Leider wird
vielen Menschen im Moment auf Straßen und Plätzen,
auf denen sie ihre Besorgnis über manche Teile der Reformpolitik zum Ausdruck bringen, Sand in die Augen
gestreut.
({3})
Dies gilt nicht nur für die rechten und linken Ränder des
politischen Spektrums. Auch bei manchen Äußerungen
der Opposition in den Medien oder hier im Bundestag
- wir haben es in dieser Woche erlebt - muss man sich
fragen, wo ihre Ehrlichkeit der Bevölkerung gegenüber
geblieben ist und wie es eigentlich um die Glaubwürdigkeit der Opposition bestellt ist.
({4})
Deutschland verändert sich, weil sich die Welt verändert hat.
({5})
Wir leben in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst, in einer Welt mit offenen Grenzen, im Europa
der 25 mit immer stärkeren Handelsbeziehungen. Als
Exportweltmeister haben wir ein besonderes Interesse
daran, die laufende Welthandelsrunde zu einem Erfolg
zu machen, unsere Grenzen zu öffnen und damit vor allem den Entwicklungsländern faire Handels- und EntManfred Helmut Zöllmer
wicklungschancen zu geben. Dies hat offensichtlich
auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion so gesehen und
in einem Antrag im Deutschen Bundestag gefordert - ich
zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache 15/1567 -, „auf
die Öffnung der Agrarmärkte, den Abbau produktionsstimulierender Subventionen … hinzuwirken“. Hört,
hört! So stand es wörtlich in einem Antrag der CDU/
CSU-Fraktion.
({6})
- Drucksache 15/1567.
Um dieses Ziel zu erreichen, war eine umfassende
Reform der gemeinsamen Agrarpolitik notwendig.
Diese haben wir gemeinsam mit den CDU-regierten
Ländern beschlossen.
({7})
Dies ist ein echter Paradigmenwechsel, der, wie wir wissen, der Landwirtschaft viel abverlangt. Er war aber notwendig; so ist es, wenn man den Stillstand Ihrer Regierungszeit überwinden muss.
({8})
Viele Politikerinnern und Politiker der Opposition haben konstruktiv mitgewirkt. Ausnahmen waren der Freistaat Bayern und die Agrarpolitiker der CDU/CSU-Fraktion.
({9})
- Es ist klar, dass Sie so aufheulen. Das kann ich angesichts Ihres schlechten Gewissens verstehen.
Deshalb lassen Sie mich zum Stichwort „Glaubwürdigkeit“ einfach einmal fragen, wie glaubwürdig eine
Opposition eigentlich ist, die in einem Antrag im Bundestag die Öffnung der Agrarmärkte fordert, dies in jedem Einzelfall durch ihre Agrarpolitiker bekämpft und
diffamiert, sich aber zugleich - bis auf Bayern - im Bundesrat im Grunde konstruktiv an der Umsetzung dieser
Reform beteiligt.
({10})
Wie glaubwürdig ist eigentlich eine Opposition, die hier
die Einkommenssituation der Landwirte beklagt, aber im
Bundesrat mit der Blockade des EEG verhindert, dass
die Landwirte sich nun neue Einkommensquellen erschließen können? Wie glaubwürdig ist eigentlich eine
Opposition, die öffentlich immer wieder Subventionsabbau fordert, gleichzeitig aber haben wir zur Kenntnis
nehmen müssen, dass Ministerpräsident Stoiber im Vermittlungsausschuss klar und vollmundig erklärt hat, dass
es nicht 1 Cent Kürzungen im Bereich der Landwirtschaft geben soll? Selbst die Umsetzung der gemeinsam
vereinbarten Koch/Steinbrück-Liste hat er verhindert.
Derselbe Ministerpräsident aber kürzt in seinem Land im
Bereich der Landwirtschaft kräftig.
Wie glaubwürdig ist eigentlich die Oppositionspolitik
im Agrar- und Verbraucherschutzbereich, wenn die von
der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen hier
massiv kritisiert werden - wir haben es von Ihren Rednerinnen und Rednern gehört -, Edmund Stoiber für die
Union aber anbietet, 5 Prozent des Haushaltes insgesamt
pauschal zu kürzen? Das sind für diesen Bereich Kürzungen in Höhe von 255 Millionen Euro und bedeutet
nichts anderes als deutliche Einschnitte im Bereich der
landwirtschaftlichen Sozialpolitik und in anderen Feldern, die Sie hier beredt kritisiert haben.
Was sollen wir, was soll die Öffentlichkeit nun glauben? Bedeutet es, die Union erkennt die Notwendigkeit
zu Einsparungen und zum Subventionsabbau auch im
Bereich der Agrarpolitik an, oder ist es alles gar nicht so
gemeint? Wollen Sie einfach nur nach Bedarf allen alles
versprechen?
({11})
Die „Wirtschaftswoche“ - gewiss nicht eine regierungsnahe Zeitung - hat es bezogen auf Frau Merkel so formuliert - ich zitiere wörtlich -: „Feste Überzeugungen
können da hinderlich sein, gefragt sind griffige Positionen, die Stimmen bringen.“ Das ist aus der „Wirtschaftswoche“ vom 2. September dieses Jahres. Auch wenn es
völlig an der Realität vorbeigeht, auch wenn es völlig
unbezahlbar ist, das ist die Politik der CDU/CSU-Opposition hier im Deutschen Bundestag.
({12})
Wir wissen, dass wir für unsere Reformpolitik auch
im Agrarbereich derzeit von den Wählerinnen und Wählern nicht gerade auf Händen getragen werden. Aber im
Gegensatz zu Ihnen haben wir eine klare Linie. Wir sagen den Menschen, dass die Reformen im Agrarbereich
notwendig und richtig sind, dass es auch im Bereich der
Landwirtschaft einen Strukturwandel gibt, dass dieser
unvermeidlich ist und dass auch die Landwirtschaft zur
Konsolidierung des Haushaltes beitragen muss.
({13})
Wenn man von der Landwirtschaft spricht, kann man
ehrlich feststellen, dass es nur wenige Wirtschaftszweige
in Deutschland gibt, die von einer derart hohen staatlichen Eingriffsintensität und einem derart hohen Produzentenschutz gekennzeichnet sind wie die Landwirtschaft. Mit unserer Agrarreform stellen wir allerdings
die Weichen auf eine sehr viel stärkere Marktorientierung der Landwirtschaft.
Lieber Kollege Goldmann, Wettbewerbsanalysen
haben längst belegt, dass die deutschen Betriebe im europäischen Vergleich mithalten können.
({14})
Zuletzt auf der Akademietagung des Deutschen Bauernverbandes in Bonn in diesem Jahr haben Professor
Petersen und Professor Isermeyer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die anstehenden Veränderungen im
Agrarsektor von der deutschen Landwirtschaft zu
bewältigen sind. Sie ist wettbewerbsfähig. Das sollten
Sie zur Kenntnis nehmen, statt immer wieder neue
Schwarzmalereien in die Welt zu setzen. So ist das.
({15})
Diese Koalition nimmt den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land ernst. Dabei
sind Transparenz und Informationen die schärfsten Waffen wirksamer Verbraucherpolitik. Dies wird durch den
Haushaltsentwurf der Bundesregierung an mehreren
Punkten deutlich. Frau Kollegin Heinen hat dies dankenswerterweise bestätigt. Im Bereich der wichtigen
Verbraucherinstitutionen - ich nenne Stiftung Warentest
oder VZBV - werden die Ansätze insgesamt gehalten.
Ich kann nur unterstützen, was Kollegin Heinen hierzu
gesagt hat: Es wäre schön, wenn die Unterstützung der
Verbraucherzentralen in allen Bundesländern gegeben
wäre; sie sind extrem wichtig und müssen flächendeckend erhalten bleiben.
({16})
Diese Koalition setzt die richtigen Schwerpunkte,
zum Beispiel beim Kampf gegen das Übergewicht von
Kindern. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Land sich bewusst ernähren und
ausreichend bewegen. Die Initiative „Plattform Ernährung und Bewegung“, die im September in Berlin ihren
Gründungskongress durchführt, ist ein hervorragender
Ansatz.
({17})
Die von der WHO zur Bekämpfung des Übergewichts
angesagte Strategie, alle gesellschaftlichen Gruppen an
einen Tisch zu holen, wird damit umgesetzt.
Wenn wir uns berechtigt über unsere vielen übergewichtigen Kinder sorgen, dann müssen wir in dieser geteilten Welt auch über die sprechen, die viel zu wenig
haben und Hunger leiden. Im Jahre 2000 waren dies
weltweit 448 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass trotz der schwierigen
Haushaltslage die Mittel für die bilaterale Zusammenarbeit mit der FAO gleich bleiben.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung ergreift die Initiative, setzt klare Schwerpunkte und
handelt. Und wie sieht es mit der Opposition im Bereich
des Verbraucherschutzes aus?
({19})
Ich will hier die Novelle des UWG als Beispiel nehmen
und das Stichwort „Telefonmarketing“ darstellen.
Wir haben die so genannte Opt-in-Lösung im Gesetz
festgeschrieben. Sie verhindert eine unzumutbare Belästigung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Telefonwerbung. Gegen diese Regelung ist die CDU hier
Sturm gelaufen, munitioniert von den einschlägigen
Wirtschaftsverbänden. Sie wollten die Opt-out-Lösung,
die sehr viel wirtschaftsfreundlicher ist, aber dazu führt,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Hause
belästigt und mit ungewollten Werbebotschaften traktiert
werden.
Die Frage ist: Warum haben Sie hier den Pfad des
Verbraucherschutzes einfach verlassen? Wir müssen leider feststellen: Wenn es mit dem Verbraucherschutz
ernst wird, knicken Sie sofort ein und verfolgen nicht
mehr die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern die reinen Wirtschaftsinteressen. Die CDU
betreibt eine Politik nach dem Motto: Als Krokodil gestartet, als Eidechse gelandet.
({20})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss
fit und zukunftsfähig gemacht werden. Der Einzelplan 10 lässt einen der wichtigsten gesellschaftlichen
Bereiche nicht außer Acht: den Bereich der Innovationen. Wir können Deutschland nur dann modern und
zukunftsfähig gestalten, wenn wir überkommene Subventionen zugunsten von Zukunftsaufgaben abbauen.
Der Einzelplan 10 leistet seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Er sieht schmerzliche, aber notwendige Kürzungen vor. Er stärkt die aktive Verbraucherpolitik
Herr Kollege, Ihre Zeit!
- und sichert die Zukunft der Landwirtschaft.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel HappachKasan, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Zöllmer, ich weiß, dass Sie in den meisten Debatten dabei sind, körperlich jedenfalls. Aber geistig sind
Sie doch in der Regel weggetreten, wie ich Ihren Worten
entnehme.
({0})
Sparen ist eine Daueraufgabe. Wir sind verpflichtet,
die Gelder der Steuerzahler ordentlich auszugeben und
effizient zu nutzen. Das ist nichts Neues. Aber wer der
gesamten Etatdebatte gefolgt ist, weiß auch: Sparen
reicht nicht.
Wir brauchen Wirtschaftswachstum. Wirtschaftswachstum werden wir nur dann haben, wenn wir unseren
Betrieben faire Wettbewerbsbedingungen geben
({1})
und alle nationalen Alleingänge vermeiden, egal in welchem Bereich: nicht nur beim Agrardiesel, sondern auch
bei der Umsetzung von EU-Verordnungen. - Das ist das
eine.
Das andere ist: Wir brauchen Innovationen. Frau Ministerin, Ihr Innovationstitel von 5 Millionen Euro klingt
nett, ist aber letztlich nichts weiter als ein Feigenblatt.
({2})
Denn wirklich innovative Techniken kommen dabei
nicht vor.
({3})
Kanzler Schröder hat das Jahr der Innovation aufgerufen. Minister Clement fordert gerade heute:
Die Bremsen müssen auf allen Ebenen weg …
Das gilt beispielsweise für die Bio- und Gentechnologie, für die Grüne wie die Rote Biotechnologie …
Richtig gesprochen, Herr Minister! Völlig in Ordnung!
Aber bei dem heutigen Vorgespräch für den Vermittlungsausschuss hieß es, beim Gentechnikgesetz solle
nichts geändert werden - und das obwohl die Bioregionen deutlich gemacht haben, dass dies eine falsche Weichenstellung ist, und obwohl die EU-Kommission gesagt
hat, dass dies absolut neben der Spur und keine ordentliche Umsetzung ist. Auch dies ist eine Fehlentwicklung.
({4})
Sie alle wissen: Innovationen finden im Labor statt. Sie
stammen nicht vom Museumsbauernhof. Deswegen ist
das, was Sie machen, falsch.
({5})
Es ist sehr deutlich, dass bei Ihnen die Linke nicht
weiß, was die Rechte tut. Im Haushalt des Forschungsministeriums werden Genomprojekte auch weiterhin gefördert; das ist auch gut so und in Ordnung. Aber, Frau
Ministerin Künast, durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit verhindern Sie, dass das, was in diesem Bereich erdacht und
entwickelt wird, in Deutschland überhaupt zur Anwendung kommt. Was ist das? Das, was Sie da machen, ist
eine doppelte Verschwendung von Steuergeldern.
({6})
Diese Regierung ist keine Regierung für das ganze
Volk, sondern eine Regierung für Verbandsvertreter und
Besserverdienende.
({7})
Denn angesichts unseres niedrigen Wirtschaftswachstums weiß man ganz genau, dass sich die Ökoprodukte,
die Sie so gerne hätten, bald niemand mehr leisten kann.
Insofern sind auch die Ökobetriebe in einer ausgesprochen schlechten Situation.
({8})
Die Mittel für den Bereich nachwachsender Rohstoffe werden gegenüber dem Istzustand des Jahres 2003
nahezu verdoppelt.
({9})
Ich bin durchaus für nachwachsende Rohstoffe. Aber
kann man sie realisieren, wenn man die Grüne Gentechnik total ausbremst? Ich meine nein; das wird nicht realisierbar sein.
Die Mittel für die Holzcharta haben Sie auf
200 000 Euro festgesetzt; auch das ist eine sinnvolle
Maßnahme. Aber wird sie angesichts der Vorstellungen,
die Sie hinsichtlich der Novellierung des Bundeswaldgesetzes und der weiteren Drangsalierung von Waldbesitzern haben, überhaupt zum Tragen kommen? Ich glaube,
das ist nicht der Fall.
Kollege Zöllmer, Sie haben die Initiative „Ernährung und Bewegung“ genannt; das ist völlig in Ordnung. Jeder weiß: Wer sich zu wenig bewegt, nimmt
zu. - Es gibt ja ein paar Kollegen, bei denen das möglicherweise der Fall gewesen sein kann. ({10})
Aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum das Projekt des Landfrauenverbandes mit dem Titel „Kochen
aus dem Schulgarten“ nicht auch aufgenommen wurde.
Ich glaube, dass Sie manchmal auf einem Auge fürchterlich blind sind, und zwar zum Schaden des gesamten
Volkes.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Viel Geld auszugeben, wie Sie das aus Ihrer Regierungszeit gewohnt sind, ist leicht. Aber mit wenig Geld viel zu
erreichen, das ist die Aufgabe, vor die uns der Agrarhaushalt für das Jahr 2005 stellt.
({1})
Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei werden wir uns
auf unsere mittel- und langfristigen Entwicklungsziele
({2})
einer nachhaltigen Landwirtschaft und eines lebendigen
ländlichen Raumes konzentrieren.
Die rot-grüne Bundesregierung ist dabei, die Agrarpolitik Schritt für Schritt auf die Zukunft auszurichten.
({3})
Wir setzen den Rahmen für die Landwirtschaft in einer
globalisierten Welt
({4})
- denken Sie nur an die Zucker-Debatte - und wollen
mehr Umweltgerechtigkeit und Tierschutz erreichen.
({5})
Zur Stärkung der ländlichen Räume fördern wir regionale Wirtschaftskreisläufe, indem wir auf nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien sowie auf
Weiterverarbeitung und Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen setzen; denn ländliche
Räume können längst nicht mehr nur von der Landwirtschaft leben. Deshalb haben wir die Förderung der ländlichen Entwicklung, wie im Übrigen auch auf EU-Ebene
geschehen, auf eine integrierte Förderung umgestellt.
Diesem Ziel dienen auch die Modulation der Direktzahlungen und die neuen Fördergrundsätze der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar- und Küstenschutz“. Aus meiner
Sicht sind gerade die Gemeinschaftsaufgaben „Agrarund Küstenschutz“ und „Regionale Wirtschaftsförderung“ für die Entwicklung der ländlichen Räume von herausragender Bedeutung. Ohne sie - davon bin ich fest
überzeugt - bekämen die Regionen viel weniger Fördermittel. Denn die Länderfinanzminister wären erheblich
schwerer davon zu überzeugen, Mittel bereitzustellen,
wenn sie damit nicht gleichzeitig auch Bundesmittel für
ihr Land erhalten könnten.
Zwar muss auch bei der GAK gespart werden - dies
kritisiert die Opposition, mir will es im Übrigen auch
nicht gefallen -, aber wenn gleichzeitig mehrere CDUMinisterpräsidenten in der Föderalismuskommission die
Abschaffung der GAK fordern, finde ich diese Kritik der
Opposition schon ziemlich verlogen.
({6})
Meine Damen und Herren, Rot-Grün setzt in diesem
Haushalt einen Schwerpunkt bei den nachwachsenden
Rohstoffen. Denn für die ländliche Entwicklung werden
Anbau und Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe zukünftig eine ganz zentrale Rolle spielen. Derzeit entsteht
dank der Regelungen zur Einspeisevergütung für Energie aus Biomasse eine blühende Biogaswirtschaft, im
Übrigen gänzlich ohne Haushaltsmittel.
({7})
Diese Regelungen sichern vielen Bauern ein zusätzliches
Standbein. Somit trägt die von Ihnen abgelehnte EEGNovelle dazu bei, die flächendeckende Landwirtschaft in
Deutschland zu erhalten. Wenn Landwirte zu Energieund Rohstoffwirten werden, sichert das nicht nur die
Landwirtschaft, sondern durch die Ansiedlung des verarbeitenden Gewerbes und den Bau und Betrieb dezentraler Verarbeitungsanlagen werden zusätzliche, moderne
Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen. Deswegen begrüße ich, dass die Haushaltsmittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie für die
Markteinführung in diesem Bereich wieder auf über
43 Millionen Euro erhöht werden.
({8})
Besondere Beachtung verdient aus meiner Sicht das im
Rahmen der Innovationsoffensive neu geschaffene Innovationsprogramm „Ernährung, Verbraucher, Landwirtschaft“. Dieses Programm soll dazu dienen, neue
Technologien zu entwickeln oder deren Praxisreife voranzubringen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade
mit diesem Programm den jungen Landwirten Brücken
in die Zukunft bauen können. Dieses Programm ist aber
auch dafür geeignet, die Charta für Holz, die Ministerin
Künast am 3. September dieses Jahres vorgestellt hat,
mit Leben zu erfüllen.
Mit wenig Geld möglichst viel zu erreichen, das ist
eine schwere Aufgabe. Aber wir können sie mit diesem
Agrarhaushalt 2005 lösen. Ich hätte mich über bessere
Vorschläge von Ihrer Seite gefreut - bisher habe ich
keine gehört. Sogar die kreativen Wortschöpfungen kamen heute ausschließlich vonseiten der Koalition.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Frau Ministerin hat zwar Sachlichkeit angemahnt und der Vortrag von Frau Behm ist
auch durchaus als sachlich einzustufen, aber der Inhalt,
liebe Frau Behm, war alles andere als sachlich.
Ich komme auf den Dezember des Jahres 2003. Wir,
die CDU/CSU und die unionsgeführten Länder, haben
im letzten Jahr im Vermittlungsausschuss Einschnitte im
Haushalt bei der Besteuerung von Agrardiesel und beim
Zuschuss für die landwirtschaftliche KrankenversicheMarlene Mortler
rung verhindert. Die Bäuerinnen und Bauern haben sich
auf diese Vereinbarung verlassen.
({0})
Die bittere Erkenntnis heute ist, dass auf Rot-Grün kein
Verlass ist. Das Verlässlichste an Ihnen ist noch, dass
man sich auf Sie wirklich nicht verlassen kann.
({1})
Sie sind 1998 angetreten, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Sechs Jahre lang haben Sie Zeit
gehabt, eine bessere, eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu gestalten. Unsere Bäuerinnen und Bauern sollen nun diese Misswirtschaft der letzten sechs Jahre ausbaden. Sie führen einen Beutezug
gegen diesen Wirtschaftszweig, obwohl Sie schon im
Agrarbericht 2003 und im Agrarbericht 2004 einen massiven Einkommensrückgang von dramatischen 20 Prozent eingestehen mussten und auch für das soeben abgelaufene Wirtschaftsjahr einen weiteren Einkommensrückgang prognostizieren. Im Gegenteil: Sie geben im
Haushaltsplan 2005 und im so genannten Haushaltbegleitgesetz Vollgas, und das, obwohl Sie wissen, dass
viele Bauern mit ihrem Einkommen bereits unter den
Hartz-IV-Sätzen liegen.
({2})
Meine Damen und Herren, das Landwirtschaftsgesetz
von 1955 ist noch heute aktuell. Jeder Minister hatte bisher den Auftrag, in dem Agrarbericht seine Vorschläge
vorzulegen, durch die die Einkommen der Landwirte im
Verhältnis zu der Entwicklung der Einkommen der übrigen Bevölkerung gesichert werden können. Frau Künast
kümmert sich aber schon seit Jahren nicht mehr um diesen Gesetzesauftrag. Sie missbraucht die Agrarberichte
gesetzeswidrig zur Propaganda für ihre unausgegorenen
verbraucherpolitischen Vorstellungen.
({3})
Durch unzählige Ökoprogramme haben Sie die Abhängigkeit der Landwirte sogar vergrößert. Mit Ihrem
Ziel, dass die ökologische Landwirtschaft in Deutschland einen 20-prozentigen Anteil erreicht, haben Sie dieser gut funktionierenden Nische massiv geschadet.
({4})
Der Unwissende glaubt auch noch, dass das Biosiegel
weiterhin auf Erfolgskurs ist, wie Sie das in der letzten
Woche geschrieben haben. Das ist pure Heuchelei; denn
die Anzahl ausländischer Bioprodukte, die unter dem
deutschen Biosiegel angeboten werden, steigt täglich.
Das Angebot steigt, während die Nachfrage und die Biopreise sinken.
({5})
Frau Ministerin, dass Sie von der Praxis keine Ahnung haben, zeigen Sie auch dadurch, dass Sie nun dem
Agrardiesel wieder an den Kragen gehen. Dabei ist die
Steuervergünstigung beim Agrardiesel bereits jetzt sehr
niedrig. Sie sollten auch wissen, dass die Ökobetriebe einen höheren Aufwand für den Agrardiesel haben als ihre
konventionell wirtschaftenden Kollegen. Unsere wichtigsten Mitbewerber in Europa liegen hier bei der Steuerbelastung ganz unten, während wir ganz oben sind. Das,
was Sie hier vorhaben, ist nichts anderes als eine versteckte Steuererhöhung und eine Wettbewerbsverzerrung
zulasten unserer Bauern.
({6})
Pro Hektar ergeben sich im Schnitt 30 Euro an Mehrbelastung. Hinzu kommt, dass Sie gerade die kleinen Betriebe bis zu einer Größe von 17 Hektar mit dem so genannten Selbstbehalt belasten wollen. Sie wollen den
vollen Dieselsteuersatz von 47 Cent pro Liter erheben.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihre PR-Arbeit ist wirklich exzellent, wenn es ums Tarnen und Täuschen geht.
({7})
Gefragt ist aber eine wirkliche Sachpolitik, die unsere
Landwirtschaft insgesamt stärkt und nicht weiter
schwächt.
Schauen Sie doch einmal zu unseren österreichischen
Nachbarn. Sie sind nicht nur bei der Maut spitze. Sie
werden ihre Steuer für den Agrardiesel im nächsten Jahr
von 30 auf 10 Cent senken.
Liebe Frau Wolff,
({8})
Ihr Auftritt heute Morgen bei der Demo der brandenburgischen Bauern war nicht sehr glücklich. Sie haben nämlich gesagt, die Rückerstattung der Agrardieselsteuer
lasse sich ohnehin nicht mehr lange halten. Das war
wirklich alles andere als ermutigend für die Bauern. Das
war Motivation pur im negativen Sinne.
({9})
Wenn man realistisch ist, erkennt man, dass sich die
Zahl der Betriebsaufgaben in der Landwirtschaft seit
der so genannten Agrarwende massiv erhöht hat. Auch
Nichtlandwirte begreifen inzwischen, dass Sie die Landwirte in die Irre geführt haben. Ist der Ruf erst ruiniert,
dann kürzt es sich gänzlich ungeniert.
({10})
Ich komme zur nächsten Baustelle, nämlich zu den
Kürzungen der Leistungsaufwendungen im Bereich der
Altenteiler in der LKV. Die massive Folge, nämlich
enorme Beitragserhöhungen, ist angesprochen worden.
Ich halte es für unanständig, zu sagen, die aktiven Landwirte müssten hier einen noch höheren Beitrag leisten.
Die Betriebsmittel und Rücklagen sind zu 100 Prozent
Gelder der Bauern, die im Laufe der Jahre für schlechtere Zeiten zurückgelegt worden sind.
({11})
Die Bundesregierung macht sogar das Gegenteil: Sie
versucht, sich von der so genannten Solidarhaftung zu
entbinden, und ist dabei, dieses System insgesamt zum
Einsturz zu bringen, ohne dabei ein tragfähiges eigenes
Konzept zu haben.
Ich darf noch kurz weitere Knüppel, die Sie uns mit
dem Haushaltbegleitgesetz zwischen die Beine werfen
wollen, ansprechen: die Kürzungen im Bundeshaushalt
bei der Unfallversicherung, aber auch bei der Gemeinschaftsaufgabe. Hier geht es um Investitionsförderung.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass diese Investitionsförderung der landwirtschaftlichen Betriebe wegen
Ihrer unsicheren Politik in den letzten Jahren schon zurückgefahren worden ist. Alleine im Jahr 2003 ist sie im
Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent gesunken. Im Moment haben wir einen Tiefstand von 1 600 Euro pro Betrieb an Investitionen erreicht. Der einzige Lichtblick
zurzeit ist die diesjährige gute Ernte. Aber sie ist nur
eine Momentaufnahme und verträgt kein Schönreden.
Man kann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten
viel erreichen. Aber gute marktwirtschaftliche Instrumente werden bei Rot-Grün mit planwirtschaftlichen Instrumenten überlagert und so wieder kaputtgemacht.
({12})
Es ist eben nicht so, dass der Bauer immer nur nach dem
Staat und nach mehr Geld ruft. Der Bauer will Unternehmer sein.
({13})
Er will aber unter guten Rahmenbedingungen wirtschaften können.
({14})
Noch eines: Unsere Bauern in Deutschland haben
sich den Herausforderungen im Zusammenhang mit der
EU-Osterweiterung längst gestellt. Sie haben ihre Arbeitszeit erhöht und damit ihre Lohnkosten gedrückt.
Sie haben sich beim Tierschutz, beim Umweltschutz und
bei der Lebensmittelsicherheit immer wieder neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Wir können auch immer wieder von seriösen Instituten, zuletzt
vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen hören: Unsere in Deutschland erzeugten
Produkte sind die sichersten auf der Welt.
({15})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Liebe Frau Künast, seien Sie so ehrlich und so fair,
dies in der Öffentlichkeit zu betonen, sonst sind Sie für
mich keine Verbraucherschutzministerin, sondern eine
Verbrauchertäuschungsministerin.
({0})
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Ende kommen.
Ja. - Sie hätten wirklich vieles wieder gutzumachen.
Ich erwarte von Ihnen einen besseren und weniger
schlafmützigen Einsatz bei der Korrektur dieses Haushalts und bei der Umsetzung der EU-Agrarreform.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Machen Sie endlich Schluss mit Ihren nationalen Alleingängen.
({0})
Frau Kollegin, ich drehe Ihnen ungern das Mikrofon
ab, aber Sie haben Ihre Redezeit jetzt deutlich überschritten und achten nicht auf meine Hinweise. Deswegen bitte ich Sie, zu Ihrem letzten Satz zu kommen.
({0})
Nur dort, wo die eigenen Bauern ernst genommen und
nicht schikaniert werden, werden sie auch in Zukunft
eine Chance haben.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Auch ich hatte mir vorgestellt, wir würden hier
eine sachliche Diskussion führen.
({0})
Frau Mortler hat die angebliche Misswirtschaft der
letzten sechs Jahre von Rot-Grün angesprochen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Frau Mortler: Wer hat
denn Reformen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung verhindert? Schuld waren 16 Jahre Kohl-Regierung
und nichts anderes.
({1})
Waltraud Wolff ({2})
Sie haben sich doch an die Reform der Unfallversicherung gar nicht herangetraut. Sie haben Ihre Klientel nicht
belasten wollen, davor hatten Sie doch Angst.
({3})
Außerdem haben Sie, Frau Mortler, hier eine ausgesprochen gute Planwirtschaftsrede gehalten. Das muss ich
einmal sagen. Ich dachte, ich sei in der DDR groß geworden, aber das, was Sie hier vom Stapel gelassen haben, lässt darauf schließen, dass Sie Staatsunternehmer
haben wollen.
({4})
Meine Damen und Herren der Opposition, was glauben Sie eigentlich?
({5})
Glauben Sie, dass man die Menschen im Lande nicht
ernst nehmen muss, dass man sie anlügen kann, dass
man ihnen Sand in die Augen streuen kann?
({6})
Polemik vom Feinsten haben Sie nicht nur heute demonstriert, sondern schon die ganze Woche gemacht.
({7})
Das ist sehr unredlich.
({8})
Sie haben mehrfach die Demo von heute Morgen angesprochen. Natürlich habe ich keinen Ruhm geerntet,
natürlich hat man mir keinen Beifall geklatscht, und
zwar deshalb, weil ich den Menschen die Wahrheit gesagt und darauf hingewiesen habe, wie schwierig die Situation ist.
({9})
Das nutzen Sie aus. Sie sind an dieser Stelle polemisch
und stellen sich auf die Seite der Bauern, obwohl Sie
wissen, dass man das nicht ändern kann.
({10}) - Georg Schirmbeck ({11}): Wer hat uns in diese Lage gebracht?)
Ich könnte auch anders fragen. Wie kommen Sie
dazu, die Bundesregierung bei der Haushaltseinbringung
am Dienstag zu attackieren und zu sagen, die Einsparsumme des Bundes sei bei weitem nicht hoch genug, und
anschließend nach dem Motto vorzugehen: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“? Bei jeder
Einzelplandebatte - das haben wir vorhin beim Verkehr
erlebt und erleben es jetzt wieder - sagen Sie, die konkreten Einsparungen seien viel zu hoch und träfen die
Menschen über alle Maßen. Sie kündigen zwar Angebote an, aber es kommt nichts außer Gemecker. Frau
Aigner war hierfür das allerbeste Beispiel.
({12})
Das passt nicht zusammen. Schenken Sie den Menschen
reinen Wein ein und hören Sie auf, sich selber zu widersprechen.
({13})
Erinnern wir uns doch einmal an das vergangene Jahr.
Die Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück haben damals ein gemeinsames Papier vorgelegt. Beide Ministerpräsidenten waren sich einig, dass auch Einsparungen im
Agraretat notwendig sind.
({14})
Warum machen das wohl zwei Ministerpräsidenten, einer von der SPD und einer von der CDU? Warum machen die wohl einen solchen Vorstoß?
({15})
Weil sie wissen, wie die Situation in Deutschland ist,
und weil sie wissen, dass es gilt, die Bundesländer, den
Bundesrat, den Bundestag und die Bundesregierung
gleichermaßen zu erreichen.
({16})
Natürlich bin ich der Auffassung, dass das Parlament
und die Bundesregierung eigene Akzente setzen müssen,
aber die Grundlinie war - so hatte ich das jedenfalls seit
dem letzten Jahr verstanden - die Vorgabe von Koch/
Steinbrück.
Die Vorschläge von Koch/Steinbrück galten für die
CDU schon bei den letzten Haushaltsberatungen nicht
mehr.
({17})
Durch die Blockade - Sie haben das hervorragend herausgestellt - sind die Einsparungen im letzten Jahr nicht
möglich gewesen. Es ist doch völlig absurd zu glauben,
dass wir das vergangene Jahr komplett ausblenden können. Es ist doch auch logisch, dass wir durch die erzwungene Nullrunde im letzten Jahr im Jahr 2005 stärker betroffen sind.
({18})
Ich möchte mich nur auf zwei wichtige Punkte im
Haushalt beziehen, deren Darstellung von mir erwartet
wird. Zum einen geht es um das agrarsoziale Sicherungssystem. Unser Ansatz sieht vor, dass die Landwirte
Waltraud Wolff ({19})
erstmals auch an den Leistungskosten für Altenteiler
beteiligt werden sollen. Die Unternehmer kommen bisher nicht für die Leistungen, sondern explizit nur für die
entstehenden Verwaltungskosten auf. Wie ist das eigentlich in der gesetzlichen Krankenversicherung? Circa
30 Prozent der Beiträge der Versicherten - auch von den
Leuten auf der Besuchertribüne - werden für Leistungsund Verwaltungskosten bei den Rentnern aufgebracht.
Das war nicht immer so. Auch in der GKV ist dieser Anteil in den letzten Jahren immens gewachsen.
({20})
Mit den Änderungen durch das Haushaltbegleitgesetz
werden wir bis 2008 das Kosten-Leistungs-Verhältnis in
der Krankenversicherung der Landwirtschaft an die Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung angleichen. Es geht also nicht, wie die Opposition immer
wieder darstellt, um eine unzumutbare Belastung, sondern um ein Angleichen der Verhältnisse an die gesetzliche Krankenversicherung.
({21}) - Hans-Michael Goldmann
({22}): Es geht um sachgerechte Lösungen!)
Außerdem muss man an dieser Stelle festhalten: Die
landwirtschaftliche Krankenversicherung wurde 1972
eingeführt. Es ist doch logisch, dass es in 32 Jahren landwirtschaftlicher Krankenversicherung Entwicklungen in
der Bevölkerung gibt und dass sich die Bedingungen ändern. Diese Veränderungen muss man begleiten können
und man muss auch Reformen vornehmen können; da
muss man neu nachdenken.
({23})
Dass Sie dies 16 Jahre lang nicht getan haben, ist allerdings bezeichnend für Ihre Politik.
({24})
Bei der Anhörung zum Haushaltbegleitgesetz haben
die Experten ganz deutlich gemacht, dass genau der
Weg, den wir eingeschlagen haben, in die richtige Richtung geht.
({25})
Ich bin der festen Überzeugung, dass das System der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf absehbare
Zeit das Beste ist, was wir den Landwirten geben können. Es muss aber allen klar sein: Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist nicht am Ende der Reformen,
wenn sie auch künftig bestehen will. Nur wenn man die
Verwaltungskosten weiter senkt, nur wenn die Beitragsmaßstäbe in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung modernisiert werden und nur wenn Sondervergünstigungen, die der Allgemeinheit nicht zu erklären
sind, abgebaut werden,
({26})
dann hat das System aus meiner Sicht auch eine Zukunft.
Es ist wichtig, dass man dies den Vertretern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung klar macht und dass sie
dies einsehen.
Die Botschaft heißt also: Beweisen Sie, dass Sie zu
solchen Reformen in der Lage sind. Ich stehe Ihnen
- wie in der Vergangenheit - als Partnerin gerne zur
Seite. Nur ein modernisiertes Sozialversicherungssystem
für die Landwirte wird eine echte Chance haben.
({27})
Nun zum zweiten Punkt, einem weiteren wichtigen
Posten des Haushaltbegleitgesetzes, der hier auch mehrfach angesprochen worden ist: dem Agrardiesel. Anders
als bei der Krankenversicherung - ich meine, auch anders als bei der Unfallversicherung; das muss man einfach eingestehen - handelt es sich beim Agrardiesel um
eine echte Subventionierung. Keine Frage: Eindeutig positiv für die Landwirte ist, dass durch die Agrardieselrückerstattung die Energiekosten gesenkt werden und
dass im Blick auf die europäischen Nachbarn eine gewisse Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
({28})
Durch die Agrardieselrückerstattung gibt es aber - das
müssen wir ehrlich zugeben - nicht genügend Anreize,
um weiter energiesparender zu wirtschaften oder auf regenerative Energien umzusteigen.
({29})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Opposition und Berufsstand führen immer wieder die erheblichen Energiekosten für die Landwirtschaft auf - was ja berechtigt
ist - und geben hierfür eine Ifo-Studie an. Auch ich
möchte mich auf diese Studie beziehen; denn ich finde,
es geht nicht an, hier nur die halbe Wahrheit zu sagen.
Bei diesem länderübergreifenden Belastungsvergleich
kommt nämlich noch etwas ganz anderes heraus, nämlich dass die gesamten Produktionskosten, wenn man
also auch die Steuern auf Düngemittel, Pestizide usw.
einbezieht, für die deutschen Bauern etwa halb so hoch
sind wie für dänische Bauern. Das haben auch schon andere Kollegen gesagt.
({30})
Eine etwa vergleichbare Belastung gibt es bei den niederländischen, den österreichischen - Frau Mortler, so
weit zu den österreichischen Berufsgenossen - und den
schwedischen Bauern. Der Agrardiesel ist wichtig, keine
Frage. Aber er ist nicht alles.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man verliert natürlich ungern lieb Gewonnenes, das ist verständlich. Bei
aller Kritik wird aber leider außer Acht gelassen, was die
rot-grüne Bundesregierung für die Landwirtschaft
erreicht hat. Ich will nur ein paar Beispiele nennen. Erstens: Die Befreiung von der Mineralölsteuer für BioWaltraud Wolff ({31})
kraft- und -heizstoffe verbessert die Wettbewerbssituation der nachwachsenden Rohstoffe gegenüber den
fossilen Kraftstoffen. Zweitens: Mit der Verabschiedung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes haben wir den
Landwirten den Weg freigemacht, sich ein neues Standbein zu eröffnen. Drittens: Mit der EU-Agrarreform werden die Prämien von der Produktion abgekoppelt. Die
regionalisierte einheitliche Flächenprämie eröffnet endlich - das wollten auch die Bauern - die Möglichkeit,
sich am Markt zu orientieren und zu produzieren, was
gefragt ist. Da ist endlich Innovation möglich.
({32})
Meine Damen und Herren, der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg ist eine Chance für die Landwirtschaft. Viele sehen das auch so. Ich werde beispielsweise häufig von Landwirten angesprochen,
({33})
die gerade die Umorientierung zur unternehmerischen
Verantwortung begrüßen.
Deshalb kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, verunsichern Sie diese
Menschen nicht länger!
({34})
Seien Sie ehrlich zu sich selbst und zur Bevölkerung!
Wir befinden uns in einem Zeitalter der globalisierten
Märkte. Subventionsabbau und Stärkung von Einkommensalternativen sind der Weg, den wir im internationalen Kontext gehen müssen und auch gehen werden.
Danke schön.
({35})
Letzter Redner ist der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte
Frau Künast, ich denke, Landwirte sind sehr einsichtige
Zeitgenossen. Sie sind es gewohnt, hart zu arbeiten. Sie
denken an die Zukunft und an die ihrer Kinder. Die
Geburtenrate auf dem Lande ist übrigens doppelt so
hoch wie in der Stadt.
({0})
Das sollte man ruhig einmal bemerken, wenn es um Zukunftsaussichten geht. Der demographische Wandel
wäre viel schlimmer, wenn wir die Landbevölkerung
nicht hätten. Dort gibt es noch nachhaltige Wertvorstellungen. Zur Zukunft gehören ganz einfach Kinder. Ohne
Kinder gibt es keine Zukunft. Auf dem Land hat man das
noch begriffen.
({1})
- Ich habe vier. Ich denke, wenn es um die Kinderzahl
geht, sieht es in unserer Arbeitsgruppe gar nicht so
schlecht aus.
Auch die Landwirte stellen sich natürlich den gesellschaftlichen Anforderungen. Aber sie wollen gerecht behandelt werden. Wenn sie ungerecht behandelt werden,
dann werden sie böse. Von der Bundesregierung werden
sie ungerecht behandelt. Landwirte wollen Unternehmer
sein, wollen im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik unternehmerisch tätig sein.
Meine Damen und Herren von den regierungstragenden Fraktionen, Sie sagen immer, es seien nun einmal
schlechte Zeiten und man habe kein Geld. Aber man
kann doch zuerst mit den Dingen beginnen, die kein
Geld kosten. Wettbewerbsgleichheit bedeutet für die
deutsche Landwirtschaft: keine Sondersteuern, keine
Sonderauflagen und gemeinsames Wirtschaften; denn
die deutschen Landwirte müssen die von ihnen produzierten Produkte auf einem gemeinsamen europäischen
Markt verkaufen. Umweltstandards und Sonderhaltungsbedingungen kosten kein Geld,
({2})
sondern nur politischen Willen und Durchsetzungsvermögen auf europäischer Ebene. Genau daran fehlt es Ihnen.
({3})
Es war vorhin ziemlich interessant, zu beobachten, dass
sich die Grünen im Hinblick auf die Besteuerung des
Agrardiesels ein bisschen einsichtiger gezeigt haben.
Sie haben eingeräumt, dass Kerosin für Flugzeuge normalerweise in gleichem Maße besteuert werden müsste,
dass das irgendwann auch geschehen werde, dass sie
sich aber im Moment in Europa nicht durchsetzen könnten. Offenbar wollen sie sich deshalb zuerst einmal an
unseren Landwirten vergreifen und sie richtig zur Kasse
bitten.
({4})
Da wir uns heute gegenseitig Sachlichkeit gelobt haben,
({5})
möchte ich auf die Hauptindikatoren Ihrer Politik zu
sprechen kommen. Um deutlich zu machen, wie es um
die Prosperität in Ihrem Verantwortungsbereich bestellt
ist, habe ich mir die Kennzahlen für die Entwicklung der
Einkommen, der Marktanteile und der Beschäftigtenzahl
in der deutschen Landwirtschaft herausgegriffen. Diese
Zahlen kann man nicht dividieren. Auf sie hat auch der
Euro keinen Einfluss. Sie bleiben so, wie sie sind.
Im Verlauf Ihrer Regierungszeit sank das Jahreseinkommen plus der Ausgaben für Personalaufwand in der
Landwirtschaft von 19 900 Euro 1999/2000 auf mittlerweile unter 18 000 Euro pro Arbeitskraft und Jahr, Tendenz sinkend. Ein solches Jahreseinkommen bietet den
deutschen Landwirte keine echten Chancen. Eine erfolgreiche Agrarpolitik sieht anders aus. Die Kollegin, die
vorhin darauf hingewiesen hat, dass man mit einem solchen Einkommen nicht weit von Hartz IV entfernt ist
- das sollte wirklich jeder nachrechnen; Landwirte können jedenfalls rechnen -, hat Recht. Es darf nicht sein,
dass die Landwirte für ihre Einsichtigkeit und dafür, dass
sie jeden Morgen aufstehen und in den Stall gehen, letztendlich beim Einkommen bestraft werden.
({6})
Betrachten wir die Marktanteile: Im Zeitraum von
1999 bis 2003 reduzierte sich die Fleischerzeugung in
Deutschland von 6,2 Millionen Tonnen auf 5,3 Millionen Tonnen, also um ungefähr 15 Prozent. Somit gab es
auch dort einen drastischen Rückgang. Weniger Einkommen und weniger Produktion lassen für die Situation der
Beschäftigten wenig Gutes erahnen.
Interessant ist allerdings die Statistik: Zwischen 1995
und 1999 - da waren Sie noch nicht an der Regierung;
ich sage es bloß einmal zur Erinnerung;
({7})
manchmal gewöhnt man sich so an Regierungszeiten
und denkt, sie gingen nie zu Ende - stieg die Anzahl der
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte von 1,409 Millionen auf 1,437 Millionen an. Das war zwar nicht viel, bedeutete aber, dass die Anzahl der Beschäftigten im Jahresdurchschnitt um 6 800 stieg. In Ihrer Regierungszeit,
also im Zeitraum von 1999 bis 2003, verringerte sich die
Anzahl landwirtschaftlicher Arbeitskräfte von 1,437 Millionen auf 1,305 Millionen. Das heißt, in Ihrer Regierungszeit wurden jährlich 33 000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte abgebaut.
({8})
- Es wäre schön, wenn sie nur in Rente gegangen wären.
Ich habe zuvor bewusst die anderen Kennzahlen genannt.
Auf sinkende Einkommen pro Arbeitskraft und auf
einen sinkenden Marktanteil muss man natürlich betriebswirtschaftlich reagieren, indem man, ganz einfach
gesagt, effektiver wirtschaftet und indem man mehr Arbeitskräfte abbaut, um halbwegs rentabel zu bleiben.
Durch die von Ihnen gesetzten Rahmenbedingungen
baut unsere Landwirtschaft mehr Arbeitskräfte ab, als eigentlich notwendig ist.
({9})
Dank Ihrer Politik wurden in zwei Jahren so viel Arbeitskräfte abgebaut, wie der Freistaat Sachsen insgesamt hat.
({10})
Auf der anderen Seite preist der Wirtschaftsminister
die 1-Euro-Jobs in dem Bemühen an, dass dadurch irgendwie Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Dazu
sage ich ganz einfach: Vernachlässigen Sie nicht die
deutsche Agrarpolitik! Betrachten Sie die deutsche
Agrarpolitik endlich als Wirtschaftspolitik! Denken Sie
daran: Auch in der Landwirtschaft bestehen ordentliche
Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse.
({11})
Sie setzen ganz einfach die falschen Rahmenbedingungen. Weniger Einkommen und weniger Produktion heißt
auch weniger Beschäftigung.
({12})
Wenn man nur diese wenigen Zahlen betrachtet, muss
man im Endeffekt feststellen, dass Ihre so genannte
Agrarwende gescheitert ist.
({13})
Dabei war Ihre Argumentation bei der Agrarwende damals ziemlich einfach. Sie haben gesagt: Höhere Auflagen bedeuten höhere Qualität, das bedeutet höhere
Preise. Es gibt nur ein Problem: Diese Politik hat nicht
funktioniert. Offenbar ist der Verbraucher nicht bereit,
die höheren deutschen Standards zu bezahlen.
Dabei sitzt die Hauptkonkurrenz der deutschen Landwirte nicht in Übersee, sondern in der unmittelbaren
Nachbarschaft: Holland, Frankreich und Österreich.
({14})
Sie haben schon gehört, wie die Wettbewerbsbedingungen dort aussehen. Die Österreicher haben es begriffen.
In Österreich werden die Landwirte in diesem Jahr entlastet, um die österreichische Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen und um dort möglichst viele
Marktanteile und möglichst viel Beschäftigung zu sichern.
({15})
Was macht die zuständige Ministerin in dieser Situation? Sie erhöht zum Nachteil der deutschen Landwirte
die Dieselbesteuerung, getreu nach dem Motto: Beim
Spitzenverdiener Landwirt - er hat ein Einkommen von
immerhin 18 000 Euro pro Jahr - ist noch Luft. Was Sie
vorhaben, ist eine Frechheit. Für mich ist das ein gesellschaftspolitischer Skandal.
({16})
- Ich wollte Sie bloß ausreden lassen. Ich bin nämlich
gut erzogen und meine Sekundärtugenden kommen
manchmal durch. Ich dachte: Wenn sich erwachsene
Menschen unterhalten, dann sollst du nicht dazwischenreden.
Ich kann Ihnen versprechen, dass wir uns in den nun
folgenden Haushaltsberatungen intensiv einmischen
werden. Sie werden von uns Verbesserungsvorschläge
hören. Wir werden nicht zulassen, dass Sie die wirtschaftliche Situation und die Wettbewerbssituation der
deutschen Landwirtschaft weiter verschlechtern. Dagegen - dessen können Sie gewiss sein - gibt es unseren
enormen Widerstand.
Danke schön.
({17})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. September 2004,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche allen hier im Hohen Hause einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.