Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungs- punkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 ({0}) - Drucksache 15/3660 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 - Drucksache 15/3661 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu- tige Aussprache neun Stunden und für morgen dreiein- halb Stunden beschlossen haben. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b sowie Zusatzpunkt 3 auf: 7 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe ({1}) - Drucksache 15/3676 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Elternhaus, Bildung und Betreuung verzahnen - Drucksache 15/3488 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige - Drucksache 15/3512 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Das Wort hat Bundesministerin Renate Schmidt. ({5})

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich bringe hier heute den Einzelplan 17 ein und verknüpfe dies mit der ersten Lesung unseres Tagesbetreuungsausbaugesetzes, TAG. Dafür bedanke ich Redetext mich auch im Namen der Eltern und Kinder, die mehr und bessere Betreuung in Deutschland brauchen. ({0}) Lassen Sie mich in aller Kürze mit dem Haushalt und meinem Ministerium, das in diesem Jahr das Zertifikat „familienfreundliche Behörde“ erhalten hat, beginnen. Wir haben größte Anstrengungen unternommen und die Zahl der Ausbildungsplätze in meinem Ministerium und im Bundesamt für den Zivildienst um 40 Prozent gesteigert. ({1}) Wir erreichen damit einen Anteil von 7,7 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Das ist eine gute Nachricht für junge Menschen. Eine gute Nachricht ist es auch, dass wir trotz des notwendigen Subventionsabbaus Programme im Kinderund Jugendplan erhalten können. Subventionsabbau darf nämlich nicht bedeuten, dass wir bei Projekten für Kinder und Jugendliche sparen, ({2}) seien es die Programme für benachteiligte Jugendliche „Entwicklung und Chancen“ oder „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ oder die neuen Jugendmigrationsdienste. ({3}) Unser Projekt „P - misch dich ein!“ steht für Partizipation und für unser Leitbild einer aktivierenden Jugendpolitik. Mit „Jugend ans Netz“ schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass alle Jugendeinrichtungen in Deutschland zu vernünftigen Preisen online gehen können. Wir führen ferner das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ wie geplant fort. ({4}) Das ist wichtig in diesen populistisch hochgeputschten Zeiten. Wir wollen und werden entsprechend den Vorschlägen der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ das Modellprogramm für einen generationsübergreifenden Freiwilligendienst in diesem Jahr auf den Weg bringen. Es geht nämlich künftig darum, die Chancen des längeren Lebens für alle nutzbar zu machen: für die Älteren und für alle Generationen. Wir wollen den demographischen Wandel nicht erdulden, sondern wir wollen ihn gestalten. ({5}) Der Fünfte Altenbericht, der im nächsten Jahr vorgelegt wird, befasst sich deshalb mit dem Thema „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“; denn Alter ist kein Synonym für Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit, sondern für Lebenserfahrung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit bei der allergrößten Zahl der Menschen, und zwar bis ins höchste Alter. ({6}) Diejenigen allerdings, die im hohen Alter Unterstützung brauchen, werden mit der notwendigen Hilfe rechnen können. Ich habe gemeinsam mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im vergangenen Jahr einen runden Tisch „Pflege“ ins Leben gerufen. Hier werden bis 2005 Vorschläge erarbeitet. Unser Ziel ist die Entbürokratisierung der Pflege und die bessere Verzahnung der ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen. Das ist umso notwendiger, als Pflegearbeit nach wie vor ganz überwiegend in der Familie und von Frauen geleistet wird. Deshalb muss nicht nur die Betreuung von Kleinkindern, sondern auch die von älteren Angehörigen mit Erwerbsarbeit vereinbar sein; denn gerade weil sich Frauen für ihre Familien engagieren, sind sie im Berufsleben nach wie vor benachteiligt. Wir wirken dem entgegen und setzen die gemeinsame Arbeit mit den Wirtschaftsverbänden zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft fort. Die deutsche Wirtschaft erkennt zunehmend - manchmal noch etwas zögerlich -, wie wichtig Frauen für die sich wandelnde Arbeitswelt sind und dass sie in Führungspositionen gehören und in der Selbstständigkeit unterstützt werden müssen, wie zum Beispiel mit unseren Programmen für Existenzgründerinnen. Das Berufswahlverhalten muss sich ebenfalls ändern. Mit dem Girls’ Day ({7}) versuchen wir das zu erreichen, genauso wie mit unseren IT-Programmen und dem neuen Internetportal „Beruf und Karriere für Frauen“. Damit setzen wir den OldBoys-Networks endlich Young-Women-Networks entgegen. ({8}) 2005 wird zudem das Gesetz zum Schutz vor Diskriminierungen in Kraft treten. Von da an wird eine nationale Stelle diskriminierten Menschen zu ihrem Recht verhelfen. Dies bedeutet dann weniger Benachteiligungen und mehr Gleichstellung. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur ein wichtiges gleichstellungspolitisches Thema. Vielmehr betrifft es die gesamte Gesellschaft, nicht zuletzt die Männer und insbesondere die Väter. Es ist das zentrale Thema der Familienpolitik. Wir müssen versuchen, endlich die Kluft zwischen Lebenswünschen und Lebenswirklichkeiten - soweit Politik das kann - zu schließen. Einerseits bestehen bei 96 Prozent der Bevölkerung Wertschätzung der Familie sowie der Wunsch nach Familie und einem Leben mit Kindern. Andererseits haben wir die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen Union und die weltweit höchste Kinderlosigkeit. Das ist nicht die Folge einer unzureichenden materiellen Förderung von Familien. Da sehen wir im europäischen Vergleich nämlich gut aus. Wir liegen hier insgesamt im oberen Drittel. 34 Milliarden Euro sind im Haushalt des Finanzministers für das Kindergeld sowie für die Auswirkungen der von mir durchgesetzten steuerlichen Regelungen insbesondere zugunsten der Alleinerziehenden vorgesehen. Hinzu kommen in meinem Haushalt Mittel für den neuen Kinderzuschlag. All das lässt mich meinen Haushalt selbstbewusst vertreten; denn neue Kürzungen für Familien gibt es nicht. ({9}) Die Änderungen betreffend das Erziehungsgeld kommen 2005 voll zum Tragen und führen deshalb zu niedrigeren Ausgaben bei diesem Titel, ebenso wie die niedrigen Geburtenzahlen. Damit bin ich bei dem zentralen Thema: In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Die Herausforderungen für uns sind offensichtlich. Junge Menschen wollen mehr Kinder und wir brauchen sie; denn weniger Kinder bedeuten weniger Innovationsfähigkeit, weniger Wachstum, weniger Wohlstand und weniger soziale Sicherheit, und zwar nicht irgendwann, sondern bereits heute. ({10}) - Wunderbar! Es freut mich, dass Sie mir einmal zustimmen. ({11}) Frauen und insbesondere Mütter wollen erwerbstätig sein. Wir brauchen auch mehr erwerbstätige Frauen. ({12}) Wir brauchen eine bessere und vor allem frühe Erziehung und Bildung unserer Kinder, damit die Herkunft eines Kindes nicht weiter wie bisher über seine Bildungschancen entscheidet. Wir brauchen eine deutliche Reduzierung von Familien- und Kinderarmut. Wir stellen uns diesen Herausforderungen mit einer nachhaltigen Familienpolitik. Sie beruht auf folgenden drei Säulen: erstens dem Ausbau der Infrastruktur für Familien - denn der deutsche Weg einer vorrangig monetären Familienförderung ist im europäischen Vergleich eher wirkungsschwach, um es ganz vorsichtig auszudrücken -, zweitens deutlich mehr Familienfreundlichkeit in den Kommunen und vor allen Dingen in den Unternehmen und drittens zielgenauen finanziellen Leistungen dort, wo sie Eigeninitiative stärken und die Entscheidung für Kinder erleichtern, statt Leistungen nach dem Gießkannenprinzip. Alle drei müssen zusammenkommen, damit eine effiziente Familienpolitik entstehen kann. Lassen Sie mich mit der dritten Säule beginnen. Erstmals gibt es in Deutschland ein Instrument zur gezielten Bekämpfung von Armut bei Kindern. Zu diesem Schritt waren Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition, in der Vergangenheit leider nicht in der Lage, obwohl die Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben, ebenfalls dramatisch hoch war. ({13}) Den Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro erhalten Eltern, die wenig verdienen und neben ihrem eigenen Bedarf nicht auch noch den ihrer Kinder erwirtschaften können. 150 000 Kinder und ihre Familien werden damit ab 2005 in einem ersten Schritt von Arbeitslosengeld II unabhängig. Wir werden die Wirkung dieses neuen Instruments sorgsam prüfen und parallel an seiner Weiterentwicklung arbeiten, mit dem Ziel, deutlich mehr Kinder unabhängig vom Arbeitslosengeld-II-Bezug zu machen. ({14}) Auch eine Umgestaltung des heutigen Erziehungsgeldes zu einem einkommensbezogenen Elterngeld - das ist Teil der aktuellen Diskussion - kann dazu beitragen, dass sich Kinderwünsche häufiger erfüllen. Es würde zudem mehr Väter motivieren, sich an der konkreten Familienarbeit zu beteiligen. Da kann uns die Steigerung von 1,5 Prozent auf 5 Prozent wahrhaftig noch nicht zufrieden stellen. Das müssen noch mehr werden, wenn wir wirklich gleiche Chancen für Frauen und Männer in diesem Land erreichen wollen. ({15}) Übrigens stellt ein solches Elterngeld die Verkäuferin im Vergleich zur heutigen Situation ebenso besser wie die Lehrerin oder die Ärztin. Ich bitte aber ganz herzlich darum, nicht immer ein Entweder-oder zu diskutieren. Wir brauchen Kinderbetreuung und familienfreundliche Arbeitsbedingungen und finanzielle Leistungen, die die Entscheidung für ein Kind erleichtern. ({16}) Ein guter Mix ist für Deutschland der Erfolg versprechende Weg. Ich lade zu einer offenen und konstruktiven Diskussion ein. Absolute Priorität haben für mich aber der Ausbau der Betreuung und eine familienfreundliche Unternehmenskultur. Dafür, dass aus einem kinderentwöhnten Land wieder ein kinderfreundliches Land wird, sind nämlich nicht die Politik und der Staat allein verantwortlich, sondern die gesamte Gesellschaft. Damit bin ich bei der zweiten Säule, bei der Wirtschaft, die eine besondere Verantwortung trägt. Deshalb habe ich die Allianz für die Familie mit den vier Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und den Gewerkschaften gegründet. Unser gemeinsames Motto ist: Familie bringt Gewinn. Ein wichtiges Aktionsfeld dieser Allianz sind die Lokalen Bündnisse für Familie. Über Familienfreundlichkeit wird nämlich nicht in Berlin entschieden, sondern vor Ort und darum muss dort etwas passieren. ({17}) Seit dem Start dieser Initiative im Januar 2004 hat sie sich schnell zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. So haben sich bislang 81 Bündnisse der Initiative fest angeschlossen. An weiteren 131 Standorten werden Bündnisse mithilfe des Servicebüros meines Ministeriums vorbereitet. In diesen 212 Kommunen oder kommunalen Zusammenschlüssen leben rund 25 Millionen Menschen. Es ist wirklich ein Erfolg, dass über Familie vor Ort jetzt regelmäßig nicht nur geredet, sondern im Interesse von Kindern und ihren Familien auch gehandelt wird. ({18}) Im Zentrum dieser lokalen Bündnisse steht dabei immer auch die Frage nach familienfreundlichen Arbeitsbedingungen - schließlich beteiligt sich dort die Wirtschaft vor Ort - und nach besserer Betreuung. Zu dieser besseren Betreuung leistet die Bundesregierung ihren Beitrag. Dies ist die erste, die wichtigste Säule. Dies ist trotz Kinderzuschlag und trotz der Diskussion über das Elterngeld ein Paradigmenwechsel in der Bundesrepublik Deutschland: weg von der 30-jährigen überwiegend monetären Förderung von Familien hin zu einer Politik besserer Infrastrukturen für Familien, die sie nämlich am dringendsten brauchen. ({19}) Außerdem ist es der dritte und überfällige Schritt zu einer Verbesserung der Tagesbetreuung. Im Jahr 1992 wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses beschlossen. 1996 wurde er - unter erheblichem Protest der Kommunen; teilweise erinnern Sie sich vielleicht noch - gesetzlich verankert. Die Kommunen fühlten sich damals nämlich vom Bund finanziell vollkommen im Stich gelassen. 2002 haben wir mit 4 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode den Ausbau von Ganztagsschulen angestoßen. Nun wollen wir ab 2005 in Westdeutschland die magere Quote von 2,7 Prozent Krippenplätzen und 4,5 Prozent Tagespflegestellen für die unter Dreijährigen bis 2010 auf ein bedarfsgerechtes Niveau anheben und in Ostdeutschland die gute Betreuungssituation erhalten. 7 Milliarden Euro investiert der Bund damit allein in dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulen und Betreuung. Wir hätten uns viel Ärger ersparen können, wenn wir diese 7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten. Damit hätten wir aber nicht in die Zukunft investiert. ({20}) Genau das wollen und müssen wir aber tun: in die Zukunft, in unsere Kinder und in deren bestmögliche und frühe Förderung und Bildung investieren. Wir sind nämlich nicht nur Schlusslicht bei der Geburtenrate in Europa, sondern auch bei Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für Kinder. Die bisherige Gesetzeslage reichte offensichtlich nicht aus, um einen bedarfsgerechten Ausbau zu gewährleisten. Mit dem TAG konkretisieren wir diesen Bedarf. Wir orientieren ihn am Kindeswohl und den Vereinbarkeitsbedürfnissen der Eltern. Dabei handelt es sich um einen Mindestbedarf, aus dem nicht abgeleitet werden darf, dass die Kindertagesstättengesetze der ostdeutschen Bundesländer verschlechtert werden können. Wir wollen mit dem Gesetz bis 2010 circa 230 000 zusätzliche neue Plätze schaffen. Das Gesetz eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, die Umsetzung dieser Pflichtaufgabe - ich betone das - flexibel und am lokalen Bedarf orientiert vorzunehmen. Sie sind aber zu einer verbindlichen Ausbauplanung und jährlichen Bilanzierung des Fortschritts verpflichtet. Aber es geht nicht nur um Quantitäten, sondern vor allem auch um Qualität. „Betreuung, Bildung und Erziehung“ heißt die Trias, die auch von der OECD begrüßt werden wird und die jetzt auch für die Kindertagespflege gilt. Dies wird unter anderem durch bessere Qualifizierung und bessere soziale Absicherung von Tagesmüttern und Tagesvätern erreicht. Es ist aber nicht Aufgabe des Bundes, Qualitäts- und Bildungskriterien detailliert zu regeln. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Das wird auch in Ihrem Antrag deutlich. Deshalb gehen die Vorwürfe, das TAG schreibe zu wenig zu Qualität und Bildung vor, ins Leere. Ich bin im Übrigen dankbar dafür, dass sich in der Zwischenzeit alle Länder auf vorschulische Bildungsziele verständigt haben und dass unsere nationale Qualitätsinitiative mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt wird. Das ist eine Form von Föderalismus, die funktioniert und die den Wünschen der Menschen entspricht: Der Bund gibt einen verlässlichen Rahmen vor und die Länder füllen ihn aus, auch im Wettbewerb miteinander. Deshalb ist es im Interesse der Kinder in ganz Deutschland gut, dass das Kinder- und Jugendhilferecht in der Zuständigkeit des Bundes liegt. Das muss auch so bleiben. ({21}) Der Bedarf von zusätzlich mindestens 230 000 Plätzen soll in dreifacher Weise gedeckt werden: über das Öffnen der Kindertagesstätten für unter Dreijährige, über qualifizierte Tagespflege und, wo nötig, über neue Krippenplätze. Auf dieser Basis haben wir die Kosten berechnet, und zwar jeweils zugunsten der Kommunen. Wir haben hohe Kosten pro Krippenplatz zugrunde gelegt. Wir haben berücksichtigt, dass unter Dreijährige in Kitas einen besseren Personalschlüssel brauchen und die Qualifizierung von Tagesmüttern nicht umsonst zu haben ist. Wir können unsere Rechnung auf Euro und Cent belegen. Beginnend mit 400 Millionen Euro netto im Jahr 2005 entstehen bis zum Jahre 2010 1,5 Milliarden Euro Belastung für die Kommunen. Bis heute habe ich zwar vielfältige Äußerungen des Inhalts gehört, das reiche nicht, aber keinen einzigen Beleg für höhere Kosten gesehen. ({22}) - Ich kann das belegen. Ich kann das offen legen. Sie können mich gern besuchen, Frau Lenke, und ich zeige Ihnen, was das kostet - bis ins letzte Detail. ({23}) Diese 1,5 Milliarden Euro sollen über das Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe finanziert werden. ({24}) 2,5 Milliarden Euro an Einsparungen der Kommunen werden verbindlich - so steht es im Gesetz - entstehen. Die Einsparungen kommen bei den Ländern an - das weiß ich wohl -, aber die haben sich verpflichtet, diese an die Kommunen weiterzugeben. ({25}) Sie sollen - auch das steht so im Gesetz - für Kinderbetreuung und Investitionen eingesetzt werden. ({26}) Für die Erfüllung dieser Pflichtaufgabe der Kommunen - das ist außerhalb jeder finanziellen Verantwortung des Bundes; vielleicht darf man das noch einmal sagen ({27}) werden für ganz Westdeutschland in 2005 gerade einmal - ich habe es eben gesagt - 400 Millionen Euro netto benötigt. Dem stehen Entlastungen der Kommunen im selben Jahr, 2005 - das ist nachrechenbar -, von 6,6 Milliarden Euro gegenüber, die auf den Bund zurückgehen. 6,6 Milliarden Euro Entlastung! ({28}) Ich halte noch einmal fest: auf der einen Seite eine Entlastung in Höhe von 6,6 Milliarden Euro, auf der anderen Seite eine Belastung in Höhe von 400 Millionen im Jahr 2005. ({29}) Wir müssen deshalb nicht an erster Stelle eine Debatte über Finanzen, sondern über die Setzung neuer Prioritäten zugunsten von Kindern und Familien führen. Diese muss in der Bundesrepublik Deutschland endlich einmal stattfinden. ({30}) Wir in der Bundesregierung setzen diese Prioritäten und erwarten dies auch von Ländern und Kommunen. Wir entlasten die Kommunen im Übrigen über die 2,5 Milliarden Euro hinaus, und zwar dadurch, dass wir sechs von sieben Vorschlägen des Bundesrates, die vom Freistaat Bayern und vom Land Nordrhein-Westfalen kommen, aufgreifen, um Fehlentwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu beseitigen. Das reicht vom stärkeren Heranziehen von einkommensstarken Eltern bei der stationären Unterbringung ihrer Kinder bis zur Stärkung der Jugendämter. Über deren Köpfe hinweg dürfen nicht länger Kosten verursacht werden, die sie dann nur noch begleichen dürfen. Mit diesen Maßnahmen entlasten wir die Kommunen pro Jahr zusätzlich um 220 Millionen Euro. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem TAG erfüllen wir nicht alle Wünsche; das weiß ich. Manche möchten mehr: mehr Bildung, Einbeziehung von noch mehr oder gar allen Kindern oder einen verbindlichen Rechtsanspruch. Für andere ist das, was wir vorgesehen haben, bereits viel zu viel. Ich meine, das TAG stellt eine realistische und finanzierbare Lösung dar. Das TAG steigert die Quantität und die Qualität von Kinderbetreuung und der Bund überschreitet mit diesem Gesetz nicht seine Kompetenzen. Die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf in der Gesellschaft ist groß. Sie reicht von den Kirchen über die Wirtschaftsverbände und den DGB bis hin zu Wohlfahrtsorganisationen und dem Kinderschutzbund, von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern von SPD und CDU bis hin zu Einzelpersonen wie Gesine Schwan, Rita Süssmuth oder Sandra Maischberger. Wenn Sie eine Blockadehaltung gegen dieses Gesetz einnehmen, werden Sie - das prophezeie ich Ihnen - scheitern. ({31}) Wir sollten lieber gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Gesetz zu einem Erfolgsprojekt wird. Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem Haushalt des Einzelplans 17 wird dafür gesorgt, dass Kinder- und Familienarmut abnimmt, es zu mehr Familienfreundlichkeit kommt, die Gleichstellung von Frauen und Männern gefördert wird und Kindern mehr Bildungschancen verschafft werden. Es ist ein Haushalt für die Zukunft. ({32})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Böhmer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben soeben gehört, man dürfe bei Kindern und Jugendlichen nicht sparen. Aber, Frau Ministerin Schmidt, genau das tun Sie mit diesem Haushalt. Ihr familienpolitischer Haushalt sieht für das Jahr 2005 ein Minus von 238 Millionen Euro vor. Das ist die zentrale Botschaft. Das ist ein Minus von 4,4 Prozent. Das ist die größte Kürzung bei allen Haushalten im Bereich der Bundesregierung. Diese Negativbotschaft geht von diesem Haushalt aus. ({0}) Es kommt ein Zweites hinzu: Ich kann Ihnen nicht ersparen, dieses zu erwähnen, auch wenn Sie auf Verbesserungen verweisen, die Familien, die von Sozialhilfe leben, zugute kommen. Die Lage der Familien in Deutschland hat sich nicht verbessert. Trotz steuerlicher Verbesserungen geht es den Familien in Deutschland schlechter. Sie kämpfen täglich darum, wie sie ihre Ausgaben bewältigen können, denn die Schieflage ist da. Die täglichen Ausgaben fressen die steuerlichen Entlastungen auf: die geringere Entfernungspauschale, die höheren Benzinkosten, mehr Ausgaben für Öl, Gas und Müll. Außerdem hat der rot-rote Senat in Berlin die Lernmittelfreiheit abgeschafft und die Kindergartenbeiträge sind in astronomische Höhen gestiegen - bis zu 500 Euro pro Kind! -, was zur Folge hat, dass die Kinder vom Kindergarten abgemeldet werden. Das ist die Realität in Deutschland. ({1}) Wir brauchen eine neue Prioritätensetzung für Familien, wohl wahr; wir brauchen aber die richtige Prioritätensetzung. Schauen Sie in die unionsregierten Länder. Seit Jahren haben wir uns angestrengt und dafür gekämpft, dass der Ausbau der Kinderbetreuung vorankommt. In den unionsregierten Ländern finden Sie die besten Voraussetzungen für die Kinderbetreuung. Aber ich sage auch ganz klar: Wir brauchen einen weiteren Ausbau für die unter Dreijährigen und wir brauchen mehr Ganztagsangebote. ({2}) Wir haben hier nichts versäumt. Wir sind in Hessen und Bayern mit Bildungsplänen vorangegangen. Das ist die Botschaft der Union. ({3}) Zu dem, was in Ihrem Haushalt real geschieht, Frau Schmidt. Sie haben eben gesagt, die Kürzungen beim Erziehungsgeld seien die Kürzungen des vergangenen Jahres. Aber sie schlagen dieses Jahr für die jungen Familien voll durch. Die Einkommensgrenzen sind um 40 Prozent gesenkt worden. 40 Prozent weniger! Das soll Mut machen für Kinder? Die Botschaft geht genau in die andere Richtung; denn die Familien haben keine Sicherheit und sie werden sich zögerlich verhalten, wenn es um die Realisierung des Kinderwunsches geht. In dieser Situation verkünden Sie uns eine neue Leistung: das Elterngeld; es soll aus dem Dilemma herausführen. Wir haben Ihnen gestern gesagt, wir werden uns ganz genau anschauen, was dieses Elterngeld bedeutet. Aber bis heute kennen wir nicht einmal ein Konzept. Sie haben selbst gesagt, Sie haben das noch nicht einmal durchgerechnet. Ich sehe in den Reihen der SPD, dass Sie hart damit ringen; denn Sie müssen sich dann von einem ehernen Grundsatz der SPD verabschieden, nämlich dem Grundsatz, dass jedes Kind gleich viel wert ist. Wie wollen Sie in Ihren eigenen Reihen und wie wollen Sie in Deutschland vermitteln, dass demnächst nicht mehr jedes Kind gleich viel wert ist? ({4}) Bei diesem Konzept kommt ein Punkt hinzu. Ich habe, genau wie Sie, schon in den 80er-Jahren nach Schweden geschaut. Wir haben beide, wie viele andere in diesem Raum, genau betrachtet, was in anderen Ländern geschieht, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen. In Schweden dient das Elterngeld hauptsächlich der Gleichstellung von Mann und Frau; es ist kein Instrument, um eine Steigerung der Geburtenrate zu erreichen. Die Sprache und die Botschaften in Schweden sind eindeutig. Aus dem Jahr 2001 gibt es die Schlagzeile: Schweden sorgt sich um seine Geburtenrate. Es sorgt sich, weil die Geburtenrate von 1990 mit 2,14 Kindern zunächst auf 1,5 Kinder und bis heute auf 1,3 Kinder - das ist exakt die gleiche wie in Deutschland - zurückgegangen ist. Und Sie sprechen davon, dass das Elterngeld zu einer Steigerung der Geburtenrate führen soll? Ich warne vor einem Irrweg und vor einem Ansatz, der nicht tragfähig ist. ({5}) Was Not tut, ist eine klar strukturierte Familienförderung. Wir haben derzeit in Deutschland Ausgaben von circa 150 Milliarden Euro für 155 Maßnahmen und 39 Stellen im familienpolitischen Bereich. Damit stehen wir vor einem familienpolitischen Dschungel. Liebe Frau Ministerin Schmidt, das ist ein Thema, dessen Sie sich annehmen müssen: Licht in diesen Dschungel zu bringen, für Transparenz und mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist es, was Familien in unserem Land brauchen. ({6}) Ich nenne Ihnen zwei Wege. Der eine Weg ist: Schaffen Sie Transparenz. Wir wollen von Unionsseite die familienpolitischen Leistungen in einer Familienkasse bündeln. Es kann nicht mehr sein, dass nach dem Gießkannenprinzip viel gegeben wird. Wir brauchen eine zielgerichtete Familienpolitik. Dazu gehört eine familienfreundliche Steuerpolitik; denn Familien brauchen mehr Geld in der Tasche und nicht weniger, wie es derzeit in Deutschland der Fall ist. ({7}) Der zweite Weg wird in Frankreich gegangen. In Frankreich zahlt nur noch die Hälfte der Haushalte Lohn- und Einkommensteuer, weil eine klare Entlastung der Familien mit Kindern existiert. Ab dem dritten Kind sind die Familien von der Steuer freigestellt. Mit unserem Steuerkonzept, das neben dem Arbeitnehmerrfreibetrag von 1 000 Euro einen Grundfreibetrag von 8 000 Euro vorsieht, muss eine Familie mit zwei Kindern bei einem Einkommen bis zu 33 000 Euro null Euro Steuern zahlen. Das ist die positive Botschaft für Familien in Deutschland. Es gilt, dieses Konzept umzusetzen. ({8}) An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich: Es ist fatal, dass Sie auch bei der Pflegeversicherung einen falschen Weg eingeschlagen haben. Dadurch wird eine falsche Botschaft ausgesendet. Durch die Neuregelung der Pflegeversicherung erfüllen Sie nämlich nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Familien zu entlasten. Sie belasten vielmehr die Kinderlosen. Die Eltern haben null Euro Vorteil von dieser Regelung und bleiben auf der gleichen Belastung sitzen. ({9}) Dagegen führt der Kinderbonus, den wir einführen wollen, zu einer Entlastung der Familien. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem Einkommen von 1 000 Euro wird zukünftig bei 5 Euro Kinderbonus null Euro Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. So muss man es machen: Entlastung der Familien, nicht Belastung der Kinderlosen. ({10}) Ihre Aktivitäten im Bereich der Gleichstellungspolitik: Fehlanzeige. Auch die Seniorenpolitik - unsere Gesellschaft wird immer älter; das ist eines der drängendsten Probleme in unserem Land - tritt auf der Stelle. Vom Nationalen Aktionsplan zur Bewältigung der demographischen Herausforderung, dem Kernstück Ihrer Politik für ältere Menschen, ist nichts zu sehen: Fehlanzeige. Mit der Diskussion über das Tagesbetreuungsausbaugesetz blenden Sie derzeit alles andere aus. Für die Union sage ich klar und deutlich: Wir wollen den Ausbau der Kinderbetreuung. Wir wollen im Ganztagsbereich und im schulischen Bereich sowohl mit der Betreuung der unter 3-jährigen Kinder als auch mit der Betreuung für alle anderen Kinder vorankommen. Die Botschaft ist klar: mehr Kinderbetreuung, mehr Ganztagsplätze und mehr frühkindliche Förderung. ({11}) Aber es muss auch bezahlbar sein und solide finanziert werden. Genau da liegt der Fehler in Ihrem Gesetz. ({12}) Frau Schmidt, Sie sind zurückgerudert. Sie haben heute gesagt, es solle 230 000 Betreuungsplätze geben. Das ist immerhin etwas. Aber Sie hatten ursprünglich eine 20-prozentige Versorgungsquote eingeplant. Frau Deligöz hat immer von einem Rechtsanspruch auch für die unter 3-Jährigen geträumt. ({13}) Das ist durchaus eine mögliche Zielvorstellung. Frau Deligöz, Sie haben jetzt dieses Gesetz als mutlos bezeichnet. Da haben Sie Recht. Nicht nur dieses Gesetz, sondern die gesamte Familienpolitik dieser Bundesregierung ist mutlos. Wenn in diesem Land Mutlosigkeit ausgestrahlt wird, ist die Anzahl der geborenen Kinder nicht so groß, wie wir uns das wünschen. ({14}) Hinzu kommt: Der Ausbau soll nicht bis 2006 erfolgen, sondern erst bis zum Jahr 2010. Was machen denn Eltern, deren Kind jetzt geboren wird? Denn bis es die Betreuungsplätze gibt, ist das Kind schon in der Grundschule. Das kann doch nicht die frohe Botschaft sein, die Sie hier verkünden wollen. Trotzdem, Frau Schmidt: Wir werden gemeinsam mit Ihnen dafür kämpfen, dass es mehr Kinderbetreuungsplätze gibt und dass es mehr und bessere Bildung gibt. Der qualitative Aspekt ist durchaus auch für den Bundesgesetzgeber wichtig. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber Sie haben eine Weichenstellung in Ihrem Gesetz vorgenommen, die genau im Widerspruch dazu steht. Wenn Sie sagen, das Kriterium „bedarfsgerecht“ wird festgemacht an der Erwerbstätigkeit der Eltern, dann halte ich das für falsch. Denn alle Eltern - egal ob die Mutter oder der Vater erwerbstätig ist - müssen die Möglichkeit haben, ihr Kind in eine Kita - egal ob in eine Krippe oder in einen Kindergarten - zu schicken. Dieser Anspruch kann nicht an der Erwerbstätigkeit der Eltern festgemacht werden. ({15}) Wir haben in Bayern und Baden-Württemberg die höchste Frauenerwerbsquote. Dort gibt es mit 1,4 auch die höchste Geburtenrate. Das hängt auch mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung und mit einer besseren Arbeitsmarktsituation zusammen. Die klare Botschaft ist: Familien brauchen Sicherheit, auch Sicherheit durch einen Arbeitsplatz. Das bedeutet: Wir müssen Deutschland in puncto wirtschaftlicher Entwicklung wieder voranbringen und mehr Arbeitsplätze schaffen. Hinzu kommen müssen dann noch mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eine bessere frühkindliche Erziehung und eine steuerliche Entlastung. Wir werden auch über das Elterngeld reden müssen. Vielleicht werden wir dann in Deutschland eine Wende erreichen. Wir haben einen Antrag vorgelegt. In diesem Antrag haben wir deutlich gemacht, wie man Eltern nicht ständig belastet, sondern entlastet. Im Saarland ist man vor Jahren den Weg gegangen, das dritte Kindergartenjahr für Eltern kostenfrei zu stellen. Das ist ein Weg, den ich mir für ganz Deutschland wünsche. ({16}) Denn damit würden Eltern entlastet und bessere Bedingungen für Familien herbeigeführt. Mein Fazit lautet: Wir brauchen in der Familienpolitik einen Paradigmenwechsel; Frau Schmidt, Sie haben Recht. Wir dürfen nicht mehr in dem Gegensatz denken: entweder bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Ausbau der Kinderbetreuung - wozu selbstverständlich auch die Wirtschaft gehört, die familienfreundliche Arbeitsplätze schaffen muss - oder finanzielle Förderung. Beides muss zugleich geschehen! Was Familien in unserem Land aber wirklich brauchen, ist ein Politikwechsel, ein Wechsel von Rot-Grün zur Union. ({17}) Denn dort, wo die Union regiert, geht es den Familien und den Kindern besser. Deshalb brauchen wir auch auf Bundesebene einen Wechsel. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Böhmer, mit Ihrer Rede haben Sie es geschafft, alles schlechtzureden. Ich werde gleich zeigen, dass das, was Sie im Hinblick auf die Familienpolitik gesagt haben, falsch war. ({0}) Der Einzelplan 17 leistet mit einer Kürzung um 4,4 Prozent seinen Anteil an der Haushaltskonsolidierung; das ist wahr. Dies fällt uns nicht leicht. Aber wenn Sie sehen, dass bereits 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Schulden aufgelaufen sind, müssen Sie zugeben, dass es zu diesen Einsparungen keine Alternative gibt. Das sind wir der nächsten Generation schuldig. Ich bin froh, Frau Böhmer, dass es im Wesentlichen keine Leistungskürzungen gibt. Die Einsparungen resultieren - vielleicht haben Sie das gesehen - aus der Angleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst und aus der geringeren Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes wegen rückläufiger Geburtenzahlen. Ich sage es noch einmal an die Adresse der CDU/ CSU: Bei der Familienpolitik gibt es keine Abstriche. Der Bund wendet im Jahr 2005 insgesamt 60 Milliarden Euro für die Familien auf. 1998 lag dieser Betrag bei 40 Milliarden Euro. Eine Steigerung um 50 Prozent in sechs Jahren, das kann sich doch wohl sehen lassen! Es ist sehr durchsichtig, warum Sie das immer schlechtreden. ({1}) Ich komme zu einem Thema, bei dem manchmal unterstellt wird, wir duckten uns weg. Ich meine das Thema „Frauen und die Auswirkungen von Hartz IV“. Wir wissen, dass es bei der Umsetzung Probleme gibt, zum Beispiel durch die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens. Viele Frauen werden kein Arbeitslosengeld II erhalten. Wir werden aber dafür sorgen, dass auch für Nichtleistungsempfängerinnen zumindest ein bestimmter Anteil am Integrationsbudget festgeschrieben wird. Ähnliches gilt für Berufsrückkehrerinnen. Deren Zahl hat sich halbiert. Das dürfen wir nicht hinnehmen. ({2}) Die meisten Betroffenen sind hochmotivierte Frauen mit einer hohen Vermittlungschance. Hier brauchen wir eine Verpflichtung der Bundesagentur, die auch die Auszahlung der ESF-Mittel für den Unterhalt beinhalten sollte. Es gibt weitere Verbesserungen - auch wenn Sie es nicht hören wollen -, über die wenig gesprochen wird. Ein Viertel aller Alleinerziehenden sind heute Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Sie erhalten ab 2005 Arbeitslosengeld II und damit erstmals eine Einbeziehung in die Sozialversicherung, ein Recht auf aktive Unterstützung bei der Suche nach Arbeit sowie Hilfe bei der Suche nach einer Kinderbetreuung. ({3}) Und noch etwas, was gar nicht oft genug gesagt werden kann: Jedem jungen Menschen bis zu 25 Jahren wird ab 2005 verbindlich ein Aus- oder Weiterbildungsbzw. ein Arbeitsplatz angeboten. Wann hat es das schon einmal gegeben? Warum reden Sie das alles eigentlich klein? ({4}) Ein Wort zur Gleichstellungsbilanz der Bundesregierung; daran hat es ja heftige Kritik des von mir sonst sehr geschätzten Frauenrats gegeben. Er beklagt, dass der Anteil der Frauen an den Professuren nur 8 Prozent beträgt, obwohl die Studienanfänger zu über 50 Prozent Frauen sind. Auch ich finde das beklagenswert, zumal es mit einem Anteil von 18 Prozent genügend habilitierte Frauen gibt. Aufgrund unseres Föderalismus kann der Bund hier aber nicht regelnd eingreifen; da müssen die Länder etwas tun. Dann beklagt der Frauenrat, dass nur jede zehnte Frau eine Führungsposition bekleidet. Dort, wo der Bund zuständig ist, gibt es aber seit 1998 enorme Verbesserungen. Ich erwähne hier nur die positive Einstellungsbilanz der Ministerien. Im Auswärtigen Amt sind von den seit 1998 neu Eingestellten 67 Prozent Frauen, im Gesundheitsministerium sind es 62 Prozent. Nach meiner Überzeugung hätte ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft die Situation von Frauen verbessern können. Die Wirtschaft triumphiert noch heute, dass sie ein solches Gesetz verhindert hat. Dies wird die Wirtschaft noch bereuen, ebenso wie sie es bereut hat, dass sie viele über 50-Jährige ausgemustert hat. Schon jetzt sieht sie den Schaden und gibt auch zu, dass ihr die Erfahrung der Älteren fehlt. Es ist eine Abwertung der Leistung älterer Menschen, für die es überhaupt keine Grundlage gibt. Wenn ich hier in die Runde schaue, sehe ich viele über 50-Jährige, die, wären sie in der Wirtschaft, davon betroffen wären. Darum wird es Zeit für ein arbeitsrechtliches und zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz. Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr gefreut, dass auch der Kanzler in seiner gestrigen Rede auf die ungeheure Herausforderung durch die alternde Bevölkerung hingewiesen hat. Hier müssen wir ganz schnell Konzepte entwickeln, damit es nicht zu dem von einigen proklamierten Krieg der Generationen kommt. Dazu brauchen wir eine neue Politik für ältere Menschen, die auch den Bedürfnissen der aktiven 50- bis 80-Jährigen Rechnung trägt. Der Fünfte Altenbericht wird sich mit diesem Thema beschäftigen. Daneben muss es weitere Verbesserungen in der Pflege gerade auch für Demenzkranke geben. Ich bin sicher, dass der runde Tisch, den die Ministerin eingerichtet hat, wertvolle Handlungsempfehlungen geben wird. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine große Verantwortung gerade für die Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Dieser Verantwortung werden wir uns stellen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Otto Fricke, FDPFraktion.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In Bezug auf die Grünen muss ich präzisieren: Meine lieben Kolleginnen! Männer sind bei dieser Debatte in Ihrer Fraktion wieder einmal nicht zu sehen. ({0}) - Ich weiß, dass Sie damit Probleme haben. Schauen Sie einmal, wie viele Männer in der liberalen Fraktion sitzen, die sich für dieses Thema interessieren. ({1}) Sie verlangen doch immer, dass Männer bei Familienpolitik mitreden und sich für sie interessieren. Setzen Sie dies einmal bei Ihren eigenen Männern durch! Dann käme es auch nicht zu dieser einseitigen Sicht. ({2}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Familienpolitik, Seniorenpolitik und Jugendpolitik sind Politikbereiche, die sehr stark mit Emotionen zu tun haben. Hier haben wir es mit Fragen zu tun, die unser gesamtes Leben betreffen: Wie plane ich mein Leben? Wohin führt mein Leben? Was sind die Ergebnisse? Hier geht es ganz entscheidend darum, wie man ein Leben mit Kindern so hinbekommt, dass man - das steht zwar so nicht in unserer Verfassung; aber wir alle wollen es - sein persönliches Glück verfolgen kann. Das schafft man nur, indem man in einer Partnerschaft beide dazu führt. In diesem Zusammenhang komme ich zu dem Elterngeld, das Sie, Frau Ministerin, mithilfe einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit, begleitet von der Industrie - das ist auch sehr geschickt gemacht -, nach draußen gebracht haben. Meine Fraktion unterstützt Ihre Absichten. Ob Ihre Fraktion es auch tut, weiß ich noch nicht. Wenn ich die kritischen Blicke von Herrn Müntefering sehe, komme ich zu dem Ergebnis, dass Sie hier noch einiges an Arbeit leisten müssen. Wir begrüßen dieses Elterngeld, weil die von Ihnen erwähnten bildungsnahen Schichten ein Kapital für alle in unserer Gesellschaft darstellen. Dabei müssen diese bildungsnahen Schichten Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernehmen, was eben auch bedeutet, Kinder zu haben und zu erziehen. Hier ist es für eine Frau ausschlaggebend, was passiert, wenn sie sich für Kinder entscheidet. Es geht also um die Frage, wie man es hinbekommt, dass eine Frau und ihr Partner in eine Position kommen, in der sie Kinder nicht als eine Bedrohung ihres gewohnten Lebens, sondern als Teil ihres Lebens begreifen. ({3}) Nun komme ich aber zu einem Problem, das die Kollegin gerade schon angesprochen hat: die Finanzierung. ({4}) Natürlich können Sie noch nicht genau sagen, wie Sie es finanzieren. Wenn ich Herrn Diller sinnieren sehe, dann ist mir schon klar, dass er große Probleme bei der Finanzierung sieht. Eines müssen wir aber verhindern: Wir können keine neuen Versprechungen in einem Bereich machen, die zwar richtig sind, die wir aber nicht bezahlen können. ({5}) Wenn das passiert, gehen wir in die falsche Richtung. Wenn die zweite Analyse jedoch lautet - das muss man deutlich sagen -, dass die enormen finanziellen Leistungen, die von der jetzigen Regierung und vom jetzigen System erbracht werden, nicht den erwarteten Effekt haben, dann werden wir im Zweifel in Zeiten knapper Kassen zu dem Schluss kommen, dass bestimmte direkte Leistungen nicht mehr geeignet sind, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Welche Maßnahmen wir dann ergreifen werden, will ich jetzt gar nicht ausführen; denn immer dann, wenn man eine Leistung anspricht, heißt es sofort, dort wolle man kürzen. Ich will hier auch niemandem etwas in die Schuhe schieben, aber wir werden den Bereich nennen müssen, in dem es vielleicht wehtun wird. Lassen Sie mich noch einen Aspekt des Elterngeldes ansprechen. Wahrscheinlich hat Frau Schewe-Gerigk in der Zwischenzeit alle Männer ihrer Fraktion angerufen, damit sie hierher kommen. ({6}) Im aktuellen Haushalt 2004 wurde die Bemessungsgrenze, bis zu der Erziehungsgeld geleistet wird, gesenkt. Ihr Vorschlag zum Elterngeld weist in eine andere Richtung. Man muss klar sehen, dass hier ein gewisser Widerspruch besteht. Ehrlicherweise sollte man auch sagen, dass die Einsparungen im Haushalt 2004 natürlich fiskalisch bedingt waren und mit nichts anderem zu begründen sind. ({7}) Ich komme nun zu einem Punkt, der das Ministerium immer betrifft, der aber stets nur am Rande erwähnt wird, nämlich zum Zivildienst. Hartz IV und die 1-Euro-Jobs spielen in diesem Bereich eine nicht unwesentliche Rolle. Es wird immer deutlicher, dass es eine Wehrungerechtigkeit gibt. Ich bitte das Ministerium, genau zu prüfen - das ist für meine Fraktion, die die Abschaffung der Wehrpflicht bzw. die Aussetzung der Wehrpflicht fordert, wichtig -, ob nicht die 1- und 2-Euro-Jobs ein Ansatz dazu sind, dass Dienste, die bisher von den Zivildienstleistenden übernommen wurden und die wir uns sonst gar nicht leisten können, so finanziert werden können. Damit könnte die menschlich nahe Betreuung finanziert werden. Mein letzter Punkt: Haushälter, gerade die der Opposition, werden immer dafür kritisiert, dass sie bei der Öffentlichkeitsarbeit streichen wollen. In zwei Jahren - da bin ich mir sicher - werden auch Sie, dann in umgekehrter Weise, Streichungen bei der Öffentlichkeitsarbeit fordern. ({8}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. Schauen Sie sich einmal an, was es im Internet Schönes zu finden gibt. Ich habe hier das von der Ministerin aktuell vorgelegte Gesetz. ({9}) Hier wird so getan, als wäre dieses Gesetz schon beschlossen. Derjenige, der sich das im Internet anschaut, glaubt, das sei schon beschlossen. Die Parlamentarier sind unwichtig, alles ist schon beschlossen. Ich gebe aber zu, dass es nicht ganz so ist. Auf der letzten Seite steht: Das Gesetz soll Anfang 2005 in Kraft treten. Es wird nie und nimmer - Frau Ministerin, auch Sie glauben das sicher nicht - so in Kraft treten, wie es in dieser Broschüre steht. Auch wir wollen das Gesetz, dazu wird Ihnen aber meine Kollegin Lenke besser als ich etwas sagen können. Sie dürfen aber nicht das Geld der Steuerzahler verwenden, um etwas zu verkaufen, was noch gar nicht existiert. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Böhmer, zum sechsten Mal in Folge bringen wir einen rot-grünen Haushalt ein. ({0}) Ich bin froh, dass wir die Regierungsverantwortung tragen und diesen Haushalt einbringen, weil wir es trotz leerer Kassen, die wir von Ihnen geerbt haben, und trotz Haushaltskonsolidierung geschafft haben und schaffen, zu einer besseren und sozial gerechten Familienpolitik zu kommen. ({1}) Der Haushalt 2005 und die Finanzpolitik der letzten Jahre spiegeln das eindeutig wider. Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil wir, Frau Böhmer, den Familien tatsächlich eine solide finanzielle Grundlage bieten. Die Familien haben heute im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit rund 3 000 Euro mehr im Portemonnaie. Sie, Frau Böhmer, haben den Vergleich mit Frankreich angestellt. Ich bitte Sie, dann auch die Zahlen für Deutschland zu nennen; denn eine Familie zahlt erst ab einem Einkommen in Höhe von 37 000 Euro Steuern. Das ist Fakt. Hier müssen Sie ehrlich bleiben. ({2}) Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil wir mit unseren Arbeitsmarktreformen neue Chancen auf Erwerbsarbeit eröffnen. ({3}) Mit dem Kinderzuschlag - das ist wichtig - unterstützen wir Familien, die wenig verdienen. Sie erhalten zusätzlich zum Kindergeld monatlich bis zu 140 Euro mehr pro Kind. Unsere Politik ist sozial gerecht, weil wir von Bundesseite aus Verantwortung übernehmen und in Kinderbetreuung und Ganztagsschulen investieren. ({4}) Den ersten Schritt haben wir erfolgreich mit dem Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen, das ein Volumen von 4 Milliarden Euro hat, gemacht. Über 1 000 zusätzliche Ganztagsschulen meldeten die Länder seit Beginn unseres Programms. Frau Böhmer, Sie haben vorhin behauptet, dass die CDU/CSU-regierten Länder auf diesem Gebiet vorne liegen. Dazu halte ich fest: In Nordrhein-Westfalen bieten 703 Schulen Ganztagsbetreuung an. Mit dem neuen Schuljahr kommen damit 35 000 ganztagsbetreute Schulplätze hinzu. ({5}) In Bayern wurden nicht einmal halb so viele Ganztagsschulen aufgebaut. Was Sie vorhin gesagt haben, ist daher nicht richtig. ({6}) Mit unserem Gesetz zum Ausbau der Ganztagsbetreuung unternehmen wir heute den zweiten Schritt. Wir helfen, die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren vor Ort zu verbessern. Familien brauchen und wünschen finanzielle Entlastung, neue Chancen zur Teilhabe am Erwerbsleben und den Ausbau von Ganztagsschulen und Kinderbetreuung. Das verstehen wir unter moderner Familienpolitik. Das kann in keiner Weise, so wie Sie es tun, Frau Böhmer, als Dschungel bezeichnet werden. ({7}) Wir haben ein schlüssiges Konzept. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, vermisse ich ein solches Konzept. Alles, was Ihnen einfällt, ist Populismus. Nichts anders war die Äußerung des Generalsekretärs der CSU, Markus Söder, im Juli, so genannten Rabeneltern Sozialhilfe und Kindergeld zu kürzen. Solche Vorschläge helfen Familien überhaupt nicht. ({8}) Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt in der Regierungsverantwortung sind. ({9}) Unsere Politik ist natürlich auch für Frauen sozial gerecht. Frauen haben zu Recht den Wunsch nach gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben. Dafür schaffen wir die Voraussetzungen, Herr Kampeter. Denn auch dazu brauchen die Frauen eine Ganztagsbetreuung für ihre Kinder. Damit sie Familie und Beruf besser vereinbaren können, haben wir ihnen bereits am 1. Januar 2001 einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eingeräumt. Dieses Gesetz, das im Zusammenhang mit der Gleichstellungspolitik zu sehen ist, ist Teil eines sehr schlüssigen Konzepts. ({10}) Ein solch schlüssiges Konzept vermisse ich von der Opposition, Frau Böhmer. Ich gebe zu, dass ich etwas irritiert bin. Sie verlieren sich in Widersprüchen: Einmal haben Sie das Familiengeld, dann die Betreuung in den Vordergrund gestellt. Andere in Ihren Reihen sagen, Betreuung sei überhaupt nicht finanzierbar. Heute höre ich sogar etwas ganz Neues: die Kinderkasse. Alles in allem: Es liegt überhaupt kein Konzept vor, wie das insgesamt seriös gegenfinanziert werden soll. ({11}) Darum bin ich froh, dass wir in der Regierungsverantwortung sind. ({12}) Last but not least ist unsere Politik auch sozial gerecht für Kinder und Jugendliche, weil wir Kindern und Jugendlichen von Anfang an beste Bildungschancen bieten wollen, und zwar in Krippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen. Wenn Kinder und Jugendliche unsere besondere Unterstützung brauchen, muss sichergestellt sein, dass die Jugendhilfe vor Ort greifen kann. Das heute vorgelegte Kinder- und Jugendhilfegesetz ist eine Weiterentwicklung. Es soll Bewährtes erhalten und Praxiserfahrungen einarbeiten. Wir wollen kein Gesetz, das einer Jugendhilfe nach Kassenlage Tür und Tor öffnet. ({13}) Für die Zukunft ist es darum wichtig, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Rahmen der föderalen Neuordnung in der Zuständigkeit des Bundes bleibt. In diesem Zusammenhang unterstütze ich die Forderung von Renate Schmidt. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendliche brauchen von Anfang an Bildung und Chancengleichheit. Auch hierfür haben wir ein schlüssiges Konzept, das ich bei Ihnen völlig vermisse. Alles, was Ihnen dazu einfällt, sind Sparvorschläge nach der Rasenmähermethode. ({15}) Nichts anderes sind auch die Vorschläge Ihres Kollegen Stoiber, ({16}) den Haushalt pauschal um zusätzlich 5 Prozent zu kürzen. Das würde für den Familienhaushalt bedeuten, dass zusätzliche Kürzungen in Höhe von 230 Millionen Euro erfolgen müssten. ({17}) Wollen Sie das wirklich? Wo wollen Sie streichen? Selbst wenn Sie alle freiwilligen Leistungen aus dem Kinder- und Jugendplan streichen würden, hätten Sie zwar einen Kahlschlag betrieben ({18}) - das ist richtig -, aber noch nicht einmal die Hälfte der 230 Millionen Euro erreicht. Deshalb bin ich froh, dass wir in der Regierungsverantwortung sind und die entsprechenden Weichenstellungen vornehmen. ({19}) Unser Tagesbetreuungsausbaugesetz ist ein gutes Beispiel für sozial gerechte Politik. Damit gehen wir ein ganzes Problembündel effizient an. Wir verbessern die Bildungschancen für Kinder und die Erwerbschancen für Frauen. An dieser Stelle tun wir auch etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Folgendes ist wichtig - das sage ich bewusst in Richtung FDP, die an dieser Stelle den entsprechenden Antrag gestellt hat -: ({20}) An Finanzierungsstreitigkeiten darf dieses Zukunftsprojekt nicht scheitern. ({21}) - Frau Lenke, mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entlasten wir die Kommunen um jährlich 2,5 Milliarden Euro. ({22}) Ich denke, es ist unser gutes Recht, dass wir uns hier einmischen und von den Kommunen erwarten, in Zukunft 1,5 Milliarden Euro jährlich in Betreuungsangebote für unter Dreijährige zu investieren; ({23}) denn der Ausbau der Kinderbetreuung ist unser zentrales Zukunftsprojekt. ({24}) - Hören Sie doch zu, Frau Eichhorn. Ich habe Ihnen gerade gesagt, woher das Geld kommt. ({25}) Jetzt ist es an Ihnen, zu zeigen, wie wichtig Ihnen der Ausbau der Kinderbetreuungsangebote wirklich ist. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu und sorgen Sie in den von Ihnen geführten Ländern und Kommunen für seine Umsetzung: zum Wohle der Kinder, der Familien und unserer Zukunft in Deutschland. Danke schön. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach sechs Jahren rot-grüner Familienpolitik kommt die größte gesellschaftspolitische Online-Umfrage „Perspektive-Deutschland“ zu dem Ergebnis, dass nicht nur Familien mit Kindern, sondern alle Befragten mit der Situation von Familien mit Kindern in Deutschland sehr unzufrieden sind. 64 Prozent der Befragten fordern, Deutschland endlich familien- und kindgerechter zu machen. ({0}) Meine Damen Vorrednerinnen, die Wahrnehmung der Bevölkerung ist also eine ganz andere als die, die Sie vorhin angeführt haben. Das ist die Wahrheit. ({1}) Familienpolitik konzentriert sich bei Rot-Grün seit Monaten ausschließlich auf die Kinderbetreuung der Null- bis Dreijährigen. Die Finanzierung haben Sie aber nicht sichergestellt. Sie bauen diese auf Luftschlösser aus Hartz IV ({2}) und fordern die Kommunen auf, 1,5 Milliarden Euro in Betreuungsangebote für Null- bis Dreijährige zu investieren. Ob, wann und in welcher Höhe die Einsparungen, die den Kommunen versprochen wurden, tatsächlich eintreten, weiß keiner. ({3}) Zudem zeigen die Berechnungen der Spitzenverbände der Kommunen, dass die von der Bundesregierung kalkulierten 1,5 Milliarden Euro für einen qualitätsorientierten Ausbau der Betreuung nicht ausreichen. Die Entlastungen durch das KJHG, die Sie auf Druck der Kommunen im TAG vorgesehen haben, sind gering. Sie sind nicht einmal bereit, die gemeinsamen Vorschläge von Nordrhein-Westfalen und Bayern mitzutragen. Frau Ministerin, das ist zu wenig. Die Wahlfreiheit der Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit hat bei Ihnen einen geringen Stellenwert. Der von Ihnen festgelegte Bedarf an Kinderbetreuungsangeboten orientiert sich nicht am Wohl des Kindes, sondern an arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen. Sie vermitteln den Eindruck, dass alle Eltern eine Vollzeiterwerbstätigkeit anstreben und eine Rundumbetreuung der Null- bis Dreijährigen wünschen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Eichhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn, SPD-Fraktion?

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Kollegin Eichhorn, ich hätte eine Frage an Sie. Im Hinblick auf die Gegenfinanzierung der Kinderbetreuung im Rahmen von Hartz IV haben Sie davon gesprochen, dass das in keinster Weise gesichert sei. ({0}) Dabei haben wir seit Ende Juni dieses Jahres Einvernehmen mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, die anerkannt haben, dass ab 2005 pro Jahr 2,5 Milliarden Euro bei den Kommunen verbleiben werden. ({1}) Das ist durch die Revisionsklausel auch gesichert. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis. - Es wäre schön, wenn Ihre Kollegen mich ausreden lassen würden. - Es ist nur ein kleiner Bruchteil - wie die Ministerin ausgeführt hat - der tatsächlich von den Kommunen in die Kinderbetreuung investiert werden muss. ({2}) Da Sie ja, wie man an Ihrem Akzent hören kann, eher aus dem südlichen Teil unseres Landes kommen, fände ich es sehr schön, wenn Sie Stellung dazu beziehen würden, was Sie von dem Vorschlag von Herrn Stoiber halten, der die generelle Absenkung des Haushaltes um 5 Prozent gefordert hat. ({3}) Das würde für den Einzelplan 17 230 Millionen Euro bedeuten, zusätzlich wohlgemerkt zu Koch/Steinbrück und allem anderen. Würden Sie dazu Stellung nehmen, was Ihrer Vorstellung nach im Einzelplan 17 zu streichen sei? ({4})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Hagedorn, zum letzten Punkt kann ich Ihnen sagen, dass die Kürzungen in Ihrem Haushalt bei 4,4 Prozent liegen. Wie viel Unterschied ist da zu 5 Prozent? Ich kann Ihnen sagen, dass in Bayern gespart wird - aber nicht bei den Familien. ({0}) Im Gegenteil, das Erziehungsgeld in Bayern bleibt. Zudem ist ein Bildungsplan für die Kindergärten neu erstellt worden. Das heißt, Bayern geht gerade in der Familienpolitik mit einem sehr guten Beispiel voran. Machen Sie das im Bund nach, dann können wir miteinander diskutieren. ({1}) Zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses: Ich weiß nicht, ob wir auf unterschiedlichen Ebenen leben. Wenn ich mit Vertretern der Kommunen rede, dann sagen sie mir alle, dass das, was im Vermittlungsausschuss vereinbart worden ist, gerade einmal der Ausgleich für das ist, was den Kommunen vorher genommen worden ist. ({2}) Von den 1,5 Milliarden Euro, die ihnen jetzt versprochen worden sind, ({3}) können sie diese Betreuung nicht finanzieren, denn sie müssen zunächst einmal die Kosten aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe tragen. ({4}) Die Kosten, die durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz entstehen, sind hier noch nicht gedeckt. Lesen Sie einmal die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände nach, diskutieren Sie mit Oberbürgermeistern und mit Landräten, dann werden Sie zu der Erkenntnis kommen, dass die Finanzierung nicht gesichert ist. Tun Sie etwas für die Finanzierung! ({5}) Nach den Hauptgründen befragt, warum Eltern auf ein zweites Kind verzichten, antworten in der bereits zitierten Studie 68 Prozent der Eltern, sie würden deswegen auf ein zweites Kind verzichten, weil Kinder viel Geld kosten und sie sich das nicht leisten können, nur 38 Prozent der Eltern gaben an, dass Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen. ({6}) Das Statistische Bundesamt beziffert die Kosten für ein Kind, von der Geburt bis zum Ende der Ausbildung, auf rund 220 000 Euro. Nach dem Sechsten Familienbericht decken davon die staatlichen Fördermaßnahmen etwa ein Viertel ab. Für den Rest müssen die Eltern aufkommen. Familien mit zwei Kindern verfügen über die Hälfte des Einkommens kinderloser Ehepaare. Immer mehr Kinder und Jugendliche werden zu Sozialhilfeempfängern: Im letzten Jahr ist die Anzahl der Kinder, die von Sozialhilfe abhängig sind, um 6 Prozent gestiegen. Trotzdem setzen Sie überwiegend auf Betreuungsangebote. Frau Ministerin, Tatsache ist, dass Sie mit den Kürzungen beim Erziehungsgeld und mit den Plänen zur Abschaffung der Eigenheimzulage noch mehr Familien ins Abseits stellen. Obwohl Sie keine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Betreuung der unter Dreijährigen anbieten, versprechen Sie nun das Elterngeld. Von Finanzierung keine Spur. Dieses Elterngeld wird aufgrund der hohen Kosten und auch wegen dessen fehlender Wirksamkeit und Gerechtigkeit in Ihren eigenen Reihen in Zweifel gezogen, und zwar nicht nur von den Kabinettskollegen, sondern auch von der Vorsitzenden des Familienausschusses, Ihrer Fraktionskollegin Kerstin Griese. Sie wollen die Familienförderung von der Erwerbstätigkeit abhängig machen. Das widerspricht der Wahlfreiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren von SPD und Grünen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Beruf und Familie müssen und sollen entsprechend den Wünschen der Eltern in eine ausgewogene Balance gebracht werden. ({7}) Deshalb ist ein qualitativer und bedarfsgerechter Ausbau der Kinderbetreuung notwendig; das wollen auch wir. Genauso notwendig sind aber auch eine angemessene finanzielle Förderung, die eine echte Wahlfreiheit ermöglicht und nicht nur eine bestimmte Schicht von Eltern fördert, und die Stärkung der Erziehungs- und Elternkompetenz. ({8}) Wie es besser gehen kann, macht Frankreich vor. Der Erfolg der französischen Familienpolitik, die zu einer durchschnittlichen Geburtenrate von 1,9 führt, liegt in einer Vielzahl von Maßnahmen und Instrumenten zur Unterstützung der Familien. ({9}) In Deutschland werden meist nur die Betreuungsmöglichkeiten genannt, die natürlich auch in Frankreich ein Teil der Familienpolitik sind. Hinzu kommen aber - und das ist besonders wichtig - eine Reihe von steuerlichen Entlastungen von Familien und die gezielte finanzielle Förderung französischer Familien. Deswegen ist der Erfolg der französischen Familienpolitik so groß. Nach einer Studie des BAT-Freizeit-Forschungsinstituts ist die Familie die umfangreichste und beständigste Zukunftsvorsorge. Die Familie vermittelt Werte, bietet ein verlässliches soziales Netz und fördert die Lebensqualität für alte und junge Menschen sowie die Stabilität der Beziehungen und Bindungen zwischen den Generationen. Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Zur Bewältigung dieser vor uns liegenden Aufgaben benötigen wir leistungsbereite und starke junge Menschen, aber auch erfahrene Ältere. Die Jugendarbeitslosigkeit und das Problem fehlender Ausbildungsplätze sind Ihnen völlig aus dem Ruder gelaufen. Ihre Programme „JUMP“ und „JUMP Plus“ blieben ohne Erfolg, ({10}) weil Sie damit keinen Einstieg in eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder in eine Ausbildung geboten haben. Eine Anhörung unserer Fraktion mit Experten und betroffenen Jugendlichen hat gezeigt, dass Sie die falschen Rezepte haben. Statt qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen, haben Sie die Unternehmen und die Jugendlichen durch Ihre Debatte um eine Ausbildungsplatzabgabe verunsichert und viel Zeit verloren. Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Berufsbildungsnovelle vorgelegt, durch die es den Betrieben erleichtert wird, Ausbildungsplätze zu schaffen. Durch sie erhalten junge Menschen wieder mehr Chancen auf dem Ausbildungs- und auf dem Arbeitsmarkt. Sie hat vor allem jene Jugendliche im Blick, die mehr praktisch begabt sind. Auch an diese Jugendlichen müssen wir denken. ({11}) Absolute Stiefkinder Ihrer Politik sind der Jugendschutz und der Jugendmedienschutz. ({12}) Nach den Ereignissen von Erfurt haben wir das Jugendschutzgesetz in der letzten Legislaturperiode hopplahopp geändert. Bereits damals haben Ihnen die Experten gesagt, dass diese Änderung nicht helfen wird, die Gewalt an den Schulen einzudämmen. Leider hat sich diese Einschätzung als richtig erwiesen. Hätten Sie unsere Vorschläge angenommen, dann könnte es heute etwas anders aussehen. Ein ganz trauriges Kapitel ist der Zivildienst. Dabei haben Sie vor einem Jahr Entspannung angekündigt. Wenn Sie aber so weitermachen, werden Sie den Zivildienst kaputtsparen, bis er sich letztlich überhaupt nicht mehr lohnt. ({13}) Das ist die Wahrheit und wohl auch Ihre Absicht. Schon lange warten wir auf einen Vorschlag zum Aufbau von Freiwilligendiensten zur Förderung der ehrenamtlichen generationenübergreifenden Arbeit. Das soll jetzt endlich kommen. Sehen Sie sich an, welche Vorlage wir während unserer Regierungszeit mit den Seniorenbüros erbracht haben. Bauen Sie darauf auf, dann haben Sie eine gute Grundlage! ({14}) Lebensqualität ist nicht nur Erholung, Freizeit und Ruhestand, sondern vor allem das Gefühl, gebraucht zu werden. Wenn wir wissen, dass heute nur noch 39 Prozent der erwerbsfähigen Menschen zwischen 55 und 64 Jahren in Arbeit sind, dann frage ich Sie: Was tun Sie, um ältere Arbeitnehmer wieder in Arbeit zu bringen? ({15}) Wer heute über 50 Jahre alt und arbeitslos ist, hat kaum noch Chancen, wieder eine Stelle zu bekommen. Sie haben keine Konzepte, um diesen älteren Arbeitnehmern Perspektiven zu geben. ({16}) Dringender Handlungsbedarf besteht auch im Bereich der Altenpflege. Bei der Novellierung des Heimgesetzes hatten wir Ihnen schon prophezeit, dass es zu einer erheblichen Bürokratisierung kommen wird. Das ist jetzt eingetreten. Frau Ministerin, Sie müssen etwas tun, damit wieder mehr Zeit für die Pflege bleibt und die Zeit der Pflegekräfte nicht mit Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben in Anspruch genommen wird. ({17}) Frauenpolitik? - Fehlanzeige! Sie haben schon lange das Antidiskriminierungsgesetz angekündigt. Aber wo bleibt es denn? Darauf haben Sie keine Antwort. ({18}) Frau Ministerin, Ihre Halbzeitbilanz ist sehr dürftig. Der Etat Ihres Haushalts weist die stärksten Kürzungen unter allen Ministerien auf. Ihr Haushalt bietet keinerlei Zukunftsperspektiven. Danke schön. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Reden der CDU/CSU-Fraktion ist man schon ein bisschen verwundert: Der Bundesrat befasst sich demnächst auf Ihren Antrag hin zum dritten oder vierten Male mit Kürzungsmaßnahmen in der Jugendhilfe und hier tun Sie so, als ob Sie das Rad neu erfinden würden, und setzen sich vehement für die Kinderbetreuung ein. ({0}) Ich frage mich: Wo bleiben denn Ihre Anträge im Bundesrat, wo Sie die Mehrheit haben, für mehr Kinderbetreuung und den Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe? ({1}) Wo sind Ihre Ansätze und Gestaltungsvorschläge? ({2}) - Aber im Bundesrat haben Sie die Mehrheit. Dort haben Sie sehr wohl die Möglichkeit, Ihre Vorschläge einzubringen. ({3}) - Ja, Frau Kressl hat völlig Recht. Hier wurde mehrfach Bayern als positives Beispiel angeführt. Ich komme aus Bayern und bekomme durchaus mit, wie die Kinderläden, Kindergärten, Elternvereine und -verbände um jeden Cent zittern. ({4}) Dort wird Folgendes gemacht: Da die Geburtenziffer zurückgeht, wird in absehbarer Zeit von sinkenden Ausgaben ausgegangen. ({5}) Daher wird innerhalb der nächsten zehn Jahre bei der Kinderbetreuung mit einer Kürzung von 9 000 Stellen gerechnet. ({6}) Das ist eine verlogene und doppelzüngige Politik. Das ist CSU und nichts anderes. ({7}) Im Zentrum unseres Gesetzes steht die Kinderbetreuung und der Ausbau der Infrastruktur, wie wir es seit Anfang dieser Wahlperiode angekündigt haben. ({8}) Dieses Gesetz haben wir gemacht, weil sich insbesondere die heute CDU/CSU-regierten Länder und auch viele Kommunen geweigert haben, diese Aufgabe zu erfüllen. ({9}) Diese Aufgabe, die schon im KJHG steht, ist nicht neu, aber passiert ist nichts. Schauen Sie sich einmal die Quoten an. Weil nichts passiert ist, ist es notwendig geworden, dass wir genauere Kriterien formulieren, die Sie wiederum angreifen. ({10}) Weil nichts passiert ist, fordere ich für die Grünen, dass wir die Rechte der Eltern stärken. Wenn wir Eltern ein einklagbares Recht geben wollen, dann hat das nichts damit zu tun, dass ich der Ministerin nicht traue; das möchte ich dazusagen. Ich vertraue ihr voll und ganz. Sie kämpft in dieser Sache wirklich. Ich traue Ihnen und Ihren Bürgermeistern vor Ort nicht, die nach wie vor die Meinung vertreten, das Beste für das Kind ist, wenn die Mutter zu Hause bleibt und die Hausfrauenrolle übernimmt. ({11}) Das ist Ihre Politik. Deshalb fordere ich die Stärkung der Elternrechte, aus keinem anderen Grund. ({12}) Wir reden über ein Gesetz, von dem wir keine Wunder erwarten. Wir haben eine Zeitschiene und müssen natürlich bedenken, dass die Kommunen in einer schwierigen Lage sind. ({13}) Wir reden aber auch darüber, dass die Kinderzahlen in Deutschland zurückgehen, Kapazitäten frei werden und diese Kapazitäten wieder zugunsten der Eltern und ihrer Kinder genutzt und keine Mittel eingespart werden sollen. Darum geht es letztendlich, auch wenn wir über die Kindertagespflege reden. Es geht ferner darum, in ländlichen Gebieten den Frauen Gleichberechtigungschancen zu bieten, damit sie wieder erwerbstätig werden können. ({14}) Ich verstehe nicht, was die Kritik soll, dass wir mit der Reform nur auf die Gleichberechtigung abzielen. Was denn sonst, meine Damen und Herren? Genau das ist es, was wir machen müssen. Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen, das ist unsere Aufgabe. ({15}) Die Diskussion über den Ausbau der Tagesbetreuung findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Schwierigkeit ist auch, dass über uns wie ein Damoklesschwert die Forderung von den CDU/CSU-regierten Ländern schwebt, das Kinder- und Jugendhilfegesetz von der Bundeszuständigkeit in die Länderzuständigkeit zu überführen. Unsere Befürchtung ist, dass es dann zu starken Einschnitten zulasten der Kinder kommen wird. Unsere Befürchtung ist, dass genau diese Menschen, die wir verteidigen, auch die Jugendlichen, die Sie anscheinend ebenfalls verteidigen wollen, die Opfer dieser Änderung sein werden. Deshalb ist unsere Forderung: Das Kinderund Jugendhilfegesetz muss in der Zuständigkeit des Bundes bleiben. ({16}) Die Debatte über die Kinderbetreuung zeigt, wie Recht wir damit haben, diese Forderung weiterhin aufrechtzuerhalten und dafür auch im Bundesrat zu kämpfen. ({17}) Vielen herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Humme, ich möchte zu Ihnen und zu Ihrem Schwerpunkt soziale Gerechtigkeit kommen. Wir wissen alle: Im Osten haben wir eine gute Kinderbetreuung, aber eine hohe Arbeitslosigkeit, im Westen haben wir wenig Betreuung und weniger Arbeitslosigkeit. Frau Humme, Sie als SPD-Kollegin sprechen von sozialer Gerechtigkeit; ich spreche als Liberale von sozialer Gerechtigkeit. ({0}) Wo bleibt die denn bei 4,3 Millionen Arbeitslosen? Das ist heute hier überhaupt kein Thema. Wir sollten uns einmal um die Arbeitslosigkeit kümmern. Das gehört genauso in den Einzelplan 17. ({1}) Nach sechs Jahren Regierungszeit hat die Bundesregierung endlich das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf den Weg gebracht. Die FDP hat bereits sehr viele, sehr konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Kinderbetreuung gemacht. Denken Sie an unseren Antrag zur Verbesserung der Bedingungen für Tagesmütter oder unseren Vorschlag, die Kinderbetreuung durch mehr Markt und Wettbewerb zu verbessern. Die Altersvorsorge für Tagesmütter und andere „Beipackprobleme“ haben Sie leider in diesem Gesetz nicht gründlich genug angepackt. Davon steht nichts drin. Nun zu Ihrem TAG-Entwurf und dem FDP-Antrag „Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige“. Die FDP hat im Deutschen Bundestag wiederholt den bedarfsgerechten Ausbau von Betreuungsplätzen und eine QualiIna Lenke tätsoffensive von der Bundesregierung gefordert. Jetzt endlich, nach den Wahlversprechen von 1998 und nach den Wahlversprechen von 2002, haben Sie begonnen. Ich finde es sehr diskriminierend und volkswirtschaftlich verheerend, wenn gut ausgebildete Frauen und an Familienarbeit interessierte Väter heute immer noch keine Chance haben, Erwerbs- und Familienarbeit miteinander zu verbinden. Ein Pluspunkt, Frau Ministerin, in Ihrem Gesetz ist, dass qualifizierte Tagesmütter jetzt Krippen und Kitas gleichgestellt werden. Das ist sehr schön. Ich freue mich darüber, dass Sie sich dazu durchgerungen haben. Ich kann für meine Fraktion sagen, dass es uns freut, dass gerade der beharrliche Hinweis der Liberalen auf die misslichen Rahmenbedingungen von Tagesmüttern jetzt von der Bundesregierung aufgegriffen wurde. ({2}) Was mich auch freut, sind die Verbesserungen hinsichtlich der Familienkrankenversicherung und Unfallversicherung für Tagesmütter. Die sind gut und das müssen wir zugeben. Das mache ich auch gerne. Die FDP hat sich, wie die Bundesregierung auch, für bundesweite pädagogische Mindeststandards eingesetzt. Wir müssen aber auch im Ausschuss über Weiteres diskutieren. Das Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung von 2002, nachfrageorientierte Finanzierungsinstrumente zu prüfen, wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst. Auch hier gibt es liberale Konzepte: Bildungsgutscheine oder Pro-Kopf-Zuweisungen, damit gezielt Kinder und nicht Einrichtungen gefördert werden. Darüber müssen wir im Ausschuss reden. Durch mehr Markt und mehr Wettbewerb entstehen mehr Qualität und höhere Flexibilität. Deshalb muss neben kommunalen und freien Trägern auch die privatwirtschaftliche Kinderbetreuung in die Förderung mit einbezogen werden. ({3}) Meine Damen und Herren, alles, aber auch alles hängt - trotz Ihrer blumigen Reden - am seidenen Faden der Finanzierung. Die Bundesregierung will aus den Einsparungen bei Hartz IV das alles finanzieren. Die Kommunen stellen die Berechnungen der Bundesregierung zu Recht infrage - als Kommunalpolitikerin kann ich Ihnen das hier sagen. Obwohl die Ministerin, der Bundeskanzler und Sie als rot-grüne Fraktionskollegen landauf, landab mehr Kinderbetreuung versprechen, haben Sie heute mit dem Entwurf des TAG keine Finanzierung mitgeliefert. ({4}) Das ist die mangelnde Qualität dieses Gesetzentwurfes. ({5}) - Herr Kollege aus Niedersachsen, Sie müssen sich etwas besser informieren. Wir haben einen Antrag mit zwei Forderungen vorgelegt. Erstens: Legen Sie ein solides und von Hartz IV unabhängiges Finanzierungskonzept vor! Zweitens: Verankern Sie dabei das Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“! ({6}) Denn es kann nicht sein, dass die Bundesregierung den Kommunen mehr Gesetze und Kosten aufdrückt und sie bei der Finanzierung im Regen stehen lässt. ({7}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns sicher einig, dass dieser Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung beraten werden muss. Die FDP will die Kinderbetreuung mit bundesweiten Standards. Die FDP will für Frauen und Männer mehr Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der wirkliche Pferdefuß von Hartz IV ist die Finanzierung: Keiner weiß, woher das Geld kommen soll. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Caren Marks, SPDFraktion.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reden der Opposition haben eines immer wieder deutlich gemacht: Reden und Handeln liegen bei Ihnen sehr weit auseinander. ({0}) Sie verdrehen Tatsachen, Sie operieren mit falschen Zahlen - Frau Böhmer ({1}) und Sie haben keine Konzepte vorzuweisen. Sowohl für die CDU/CSU als auch für die FDP trifft dies ganz deutlich zu. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Anfang kommt es an. Der Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Reformprojekte unserer Regierung in dieser Legislaturperiode. Vorrangiges Ziel des Tagesbetreuungsausbaugesetzes ist die Erziehung und Entwicklung eines jeden Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Wir, die Bundesregierung und die Fraktionen der SPD und der Grünen, orientieren uns zuerst am Wohl des Kindes. ({3}) Diesbezüglich unterstützen und ergänzen wir auch die elterliche Erziehungskompetenz. Sie wird keineswegs ersetzt, wie von der Opposition immer wieder gern behauptet. Bis 2010 ist schrittweise ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen und der westeuropäische Standard endlich zu erreichen. Insbesondere in Westdeutschland besteht hier ein extremes Defizit. Wir, meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen das nicht hin. Wir handeln. Beim Ausbau der Betreuungsplätze setzen wir auf ein differenziertes Angebot: in guter Qualität, zeitlich flexibel, bezahlbar und vielfältig. Durch die Formulierung von Bedarfskriterien konkretisieren wir in dem Gesetz die bereits bestehende Pflichtaufgabe der Kommunen, ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten. ({4}) Frau Lenke, die Verdoppelung der Zahl der Betreuungsplätze in Westdeutschland bis 2006, das heißt die Schaffung von circa 60 000 Plätzen, ist ein realistisches Ziel und mit 400 Millionen Euro keine finanzielle Überforderung der Kommunen, die im Zuge von Hartz IV ein zugesichertes Einsparvolumen von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr haben. ({5}) Gute Kinderbetreuung und frühe Förderung ermöglichen Kindern - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - echte Chancengleichheit in Bildung und Erziehung. Die dringend benötigte Bildungsreform muss im Kleinkindalter beginnen und nicht erst mit der Hochschulausbildung; denn dann ist es für viele bereits zu spät und dann sind Entwicklungschancen bereits vertan. Mit unserem Ansatz leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Innovationsfähigkeit unseres Landes; denn, wie bereits gesagt, auf den Anfang kommt es uns an. Wissenschaftlich ist belegt, dass sich gerade bei den Kleinkindern jeder eingesetzte Euro überdurchschnittlich rentiert. Motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ein Gewinn für jede Firma. Das Potenzial gut ausgebildeter junger Frauen und Männer ist gleichermaßen zu nutzen. Kinderbetreuung und frühe Förderung sind ein Standortvorteil, und zwar sowohl im kommunalen als auch im internationalen Vergleich. Das bedeutet Wirtschaftswachstum. Das ist aktive Wirtschaftspolitik, Frau Lenke. Meine Damen und Herren von der Opposition, im Gegensatz zu Ihnen hat die Wirtschaft das bereits begriffen. ({6}) Ganztagsbetreuung bedeutet aber auch, Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen und ihnen bei ihrer Lebensplanung wirkliche Wahlmöglichkeiten zu verschaffen. Das Armutsrisiko von Familien wird verringert und die eigenständige Lebensführung von Müttern wird so erst ermöglicht. Auch Frau Kollegin Böhmer von der CDU/CSU stellte vor kurzem fest, dass ein besserer Ausbau der Kinderbetreuung vorrangig vor finanziellen Anreizen sei, um eine höhere Geburtenrate zu erreichen. ({7}) Ich begrüße diesen Sinneswandel ausdrücklich, Frau Böhmer. Unser Paradigmenwechsel - weg von einer monetären Familienpolitik hin zu einer Familienpolitik besserer Infrastrukturen - ist nicht nur der richtige Weg, sondern findet auch breite gesellschaftliche Unterstützung. Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserer Ministerin Renate Schmidt, ({8}) die durch die Initiativen „Allianz für Familie“ und „Lokale Bündnisse für Familie“ unterschiedliche Partner aus Wirtschaft, von Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften, Kirchen, freien Wohlfahrtsträgern und aus der Politik mit wirklich großem Erfolg zusammenführt. Erfolgreiche Familienpolitik braucht breit angelegte Unterstützung. Die Rahmenbedingungen für Familien werden so erst vielfältig optimiert. ({9}) Der Ausbau einer qualifizierten Tagesbetreuung für Kinder ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Wohl der Kinder muss uns am Herzen liegen. Doch damit ist es nicht getan. Wir müssen vielmehr bereit sein, in die Zukunft unseres Landes, also in unsere Kinder, zu investieren. Kinder mit verpassten Chancen werden kein Verständnis dafür haben, wenn wir einen verträglichen Subventionsabbau zuungunsten von Lobbyisten scheuen. Das Bestehen auf nicht mehr zeitgemäßen Subventionen wie der Eigenheimzulage würde notwendige Investitionen in Bildung, Betreuung und Erziehung einschränken bzw. blockieren. ({10}) Die Oppositionsfraktionen rufen zwar häufig und gerne nach Subventionsabbau, knicken aber immer wieder vor Interessenverbänden ein. ({11}) Ich wünschte mir, dass die Fürsprache für Kinder in den Reihen der Opposition stärker ausgeprägt wäre. ({12}) Das bedeutende Reformprojekt der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und Grünen ({13}) - Frau Lenke, hören Sie zu; dann verstehen vielleicht auch Sie es -, der Ausbau von Betreuungsangeboten sowie die Investitionen in Bildung, Betreuung und Erziehung sind von großer gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu verzichten. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben Konzepte für die Zukunft unseres Landes. Wir gestalten die Zukunft sozial gerecht, familienfreundlich und innovativ. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Walter Link, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag! Frau Bundesministerin Renate Schmidt, Sie haben sich in diesem Jahr gegenüber Ihrer Haushaltsrede des letzten Jahres gesteigert; denn damals hatten Sie für die Seniorenpolitik nur einen Halbsatz; heute waren es mehrere Halbsätze. ({0}) Ich möchte Sie bitten, das in Zukunft ein bisschen ernster zu nehmen. Wann immer in der deutschen Seniorenpolitik über gute Ideen diskutiert wird, sagen Sie, Frau Schmidt: Das ist schon in der Pipeline. - Irgendwann muss aus dieser Pipeline einmal etwas herauskommen, auch in der Seniorenpolitik. ({1}) So hat die von mir geleitete Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ bereits vor zwei Jahren konkrete Vorschläge zur Reformierung der Seniorenpolitik in Deutschland gemacht, unter anderem zusammen mit Herrn Rürup. Obwohl unsere Empfehlungen weitgehend im fraktionsübergreifenden Konsens mit der deutschen Wissenschaft beschlossen wurden, ist ihre Umsetzung bisher - jedenfalls bei Ihnen in der Bundesregierung - auf der Strecke geblieben. So ist das groß angekündigte Rentenreformprogramm von SPD und Grünen nur halbherzig darangegangen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Weitere langfristig wirksame Reformen, die unser Land wieder zukunftsfähig machen sollten, sind - ebenfalls nach großartigen Ankündigungen - für die kommenden zwei Jahre bis 2006 ausgesetzt worden. Jeder fragt, warum. Frau Ministerin, ich will dabei Ihre Aktivitäten - auch heute Morgen - nicht schlechtreden. Auch wir in der Union sind für einen runden Tisch zur Verbesserung der Pflegequalität und für den Abbau der Bürokratie; denn das ist im Sinne der deutschen Seniorinnen und Senioren. In den nächsten Jahren wird das Erwerbspersonenpotenzial stark abnehmen. Wenn wir es nicht schaffen, die - das ist heute Morgen schon ein paar Mal angesprochen worden - gegenwärtig 45- bis 55-Jährigen im Berufsleben zu halten, werden wir in zehn Jahren massive Probleme bekommen. Lebenslanges Lernen sollte nicht nur als Schlagwort gebraucht, sondern auch aktiv betrieben und gefördert werden. Außerdem fehlt es an Modellen eines veränderten Übergangs von der Erwerbsarbeit in den dritten Lebensabschnitt. Von solchen Modellen hat man nichts gehört. Während bei uns eine Erwerbsquote von 41,5 Prozent bei über 55-Jährigen besteht, haben wir in Japan erfahren - fraktionsübergreifend sind wir mit dem Ausschuss dort gewesen -, wie mit differenzierten Modellen eine Erwerbsquote von über 80 Prozent möglich ist. Frau Kollegin, vielleicht können Sie das in die Regierungskoalition einmal einbringen. Die hohe Quote dort liegt an speziellen Arbeitsförderungsprogrammen der Japaner für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mehr Flexibilität und Abstimmung auf individuelle Leistungsfähigkeit der älteren Menschen sind gefragt. Die Wirtschafts- und Haushaltspolitik von Rot-Grün war in den letzten Jahren aber so miserabel, dass jetzt kein Geld für wichtige, zukunftsorientierte Projekte vorhanden ist. Ihre Politik beschränkt sich nur noch auf Flickschusterei am Sozialsystem. Frau Ministerin, Sie können nicht sagen: Ich bin nicht für alles zuständig. Die Zuständigkeiten müssen mit den anderen Ministerien geklärt werden. Da Sie nicht in der Lage waren, eine zukunftsfähige Reform zu beschließen, fehlt Geld in der Rentenkasse. Das Zumuten von Nullrunden ist keine Art, wie man Menschen behandeln sollte. Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland ist 60 Jahre und älter. Erfreulicherweise sind die meisten älteren Menschen noch fit und gesund. Die veränderten demographischen Vorzeichen zwingen uns zum Umdenken. Sie trauen sich offensichtlich nicht zu, unsere Sozialsysteme nachhaltig und zukunftsfähig umzugestalten. Die Solidarität zwischen den Generationen ist extrem wichtig und muss im Rahmen einer Pflegereform gefördert werden. ({2}) Im Ausschuss haben wir uns gerade gemeinsam, also fraktionsübergreifend, mit dem vierten Altenbericht befasst, der eine gute Aufarbeitung des Lebens älterer Menschen darstellt. Ich will durchaus einräumen, dass dieser Altenbericht viele gute Ansätze hat. Wir haben auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorgelegt. Frau Ministerin, Sie machen genau das Gegenteil von dem, was notwendig ist, zum Beispiel dadurch, dass Ihr Ministerium aus der Förderung des Deutschen Zentrums für Alternsforschung in Heidelberg zum Jahresende aussteigt. Das las ich dieser Tage in der Zeitung. Warum wird dieser Weltruf genießende Lehrstuhl von Frau Professor Lehr in diesem Jahr finanziell kaputtgemacht? Ich weiß, dass die Förderung des Zentrums in Berlin aufgestockt werden soll. Über diese Frage, Frau Ministerin, müssen wir uns im Ausschuss unterhalten; das will ich nicht heute Morgen hier im Parlament vortragen. Das ist ein Skandal. Die Forschung wird kaltgestellt. Walter Link ({3}) ({4}) - Frau Staatssekretärin, das machen wir im Ausschuss zum Thema. Frau Ministerin, Sie haben mit Frau Süssmuth, Frau Lehr und Frau Merkel große Vorgängerinnen gehabt, die als Frauen in der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung saßen, sich durchsetzen konnten ({5}) und in den letzten Jahren dieser Regierung Pflöcke eingeschlagen haben. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Link, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel von der FDP-Fraktion?

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, Sie haben mir ständig Minuten abgezogen, aber ich gestatte, Herr Kollege, wenn Sie es kurz machen.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. Die Zwischenfrage wird nicht auf die Redezeit angerechnet. Ich will es aber trotzdem kurz machen. Ich möchte Ihre Ausführungen zum Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg aufgreifen. Stimmen Sie mir darin zu, dass die Masse der Kompetenz in der deutschen Alternsforschung in diesem Heidelberger Zentrum angesiedelt ist und dass es politisch unverantwortlich ist, bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland die Mittel gerade in diesem wichtigen Forschungsbereich zu kürzen?

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich habe es der Frau Ministerin gerade sehr deutlich, glaube ich, gesagt. Das wird Thema bei uns im Ausschuss sein. Sie sind herzlich dazu eingeladen. Zwar erhalten Sie, Frau Ministerin, oftmals die öffentliche Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers, aber aus unserer Sicht kann das auch eine Bedrohung sein. Seniorenpolitik spielt bei Rot-Grün und der amtierenden Bundesregierung nur noch eine untergeordnete Rolle. Wir in der Union wollen eine zeitgemäße, an den individuellen Bedürfnissen der älteren Generation ausgerichtete und zukunftsorientierte Seniorenpolitik. Wann immer Sie, Frau Schmidt, die machen und nicht nur ankündigen, haben Sie unsere Unterstützung. Vor allem wollen wir - ich wiederhole das - eine massive Qualifizierung älterer Arbeitnehmer. Ich widerspreche Ihnen auch nicht. Sie tragen oft sympathisch vor - wie heute Morgen; überhaupt keine Frage - und wenn man mit Ihnen irgendwo in der Diskussion ist, ist das auch unwahrscheinlich nett. Der gute Wille ist bei Ihnen da - überhaupt keine Frage -, aber Sie gehören einer Regierung an, die nicht in der Lage ist, das umzusetzen, was Sie tagtäglich verbreiten. So eine Politik haben die Seniorinnen und Senioren, die unser Land aufgebaut und zum Blühen gebracht haben, nicht verdient. Darum werden wir alles daransetzen, dass die Regierungsbank im Jahr 2006 anders besetzt wird. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für eine Kurzintervention erteile ich Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel das Wort.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Lieber Kollege Walter Link, Sie wissen sehr genau, denke ich, dass die Förderung für das DZFA in Heidelberg nicht etwa deshalb verändert werden soll, weil wir die Forschung nicht schätzen oder weil wir wegen der Begründerin, Frau Lehr, etwas gegen dieses Institut haben; im Gegenteil. Sie kennen den Vorgang. Sie kennen den Briefwechsel. Sie wissen ganz genau, dass es nicht darum geht, bei diesem Institut die Inhalte zu kritisieren. Der Bundesrechnungshof hat sehr deutlich gemacht, dass unser Ministerium nicht mehrere solcher Institute parallel fördern kann. ({0}) - Augenblick! Ich bin noch nicht fertig. Sie wissen mit Sicherheit auch, dass verschiedenste Kolleginnen und Kollegen daraufhin hier im Parlament nachgefragt haben und klare und deutliche Antworten bekommen haben. Sie wissen ferner, dass es Vereinbarungen mit dem Bundesland gibt, nach denen der Teil der Förderung, der vonseiten des Bundesministeriums schrittweise abgebaut wird, vom Land übernommen werden soll, weil sehr deutlich ist, dass der größte Teil der inhaltlichen Arbeit nicht auf Bundesinteresse hin ausgerichtet ist. Deshalb soll vor allem das jeweilige Bundesland - das gilt auch für andere Institute, nicht nur für das DZFA - in die Förderung einsteigen. Die Abschmelzung der Förderung geschieht auch nicht von jetzt auf gleich, sondern ist über Jahre hinweg geplant. Es gibt dazu entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Bundesministerium und dem zuständigen Landesministerium. Deshalb finde ich es unfair, wenn Sie das hier so darstellen, als würden wir dieses Zentrum aus inhaltlichen Gründen nicht mehr finanzieren wollen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Link, Sie haben das Wort.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wir kennen uns viel zu lange zu gut. So wissen Sie, dass auch ich die Prozesse, die hierbei im Ministerium abgelaufen sind, sehr genau kenne. Ich möchte sie aber jetzt nicht hier im Parlament und daWalter Link ({0}) mit in der Öffentlichkeit darlegen. Das machen wir im Ausschuss. Tatsache ist, dass das Land Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren - Jahrzehnten beinahe wesentlich mehr finanziert hat als das Land Berlin. Sagen Sie bitte nicht, ich hätte etwas gegen Berlin; ich war ein Befürworter des Berlin-Umzugs. Jetzt wird hier in Berlin mehr Geld in diese Sache hineingesteckt, als man in Baden-Württemberg benötigen würde. Auf diese Weise wird dort ein weltweit anerkanntes Institut kaputtgemacht. Das ist überhaupt keine Frage. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Jutta Dümpe-Krüger, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, dieser Haushalt steht unter Sparzwang; alles andere wäre traumhaft. Unsere Aufgabe wird es sein, die vorhandenen Mittel möglichst sozial, gerecht, effektiv und zukunftsweisend einzusetzen. Zwei Bereiche möchte ich hier besonders hervorheben: die Freiwilligendienste und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Den Freiwilligendiensten wird der Bund auch im kommenden Jahr die Mittel anteilig zur Verfügung stellen, die sie zur Finanzierung ihrer Plätze benötigen. Wir von Rot-Grün werden darüber hinaus unser Ziel verfolgen, die Freiwilligendienste auszubauen. ({0}) Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland müssen verstetigt werden. Dass wir hier - auch in Anbetracht der aktuellen Lage - nicht nachlassen dürfen, hat mein SPD-Kollege Edathy vorgestern in einer, wie ich fand, sehr eindrucksvollen Rede zum Einzelplan 06 deutlich gemacht. ({1}) Ich kann - das ist auch in seinem Sinn - die Union nur warnen: Lassen Sie diesmal Ihre gewohnten Anträge, die Mittel zu streichen, wirklich in der Schublade; denn da gehören sie hin. ({2}) Meine Damen und Herren, mit dem TAG greift die Koalition auch Neuregelungen zum KJHG auf. Wir wollen ein starkes Kinder- und Jugendhilfegesetz, und zwar deswegen, weil es ein sattes Pfund und eine Investition in die Zukunft unserer Kinder ist. Als positive Änderungsbeispiele möchte ich hier die Anpassung der Kinder- und Jugendhilfestatistik ebenso wie die Stärkung der Steuerungskompetenz der örtlichen Jugendämter nennen. Über die im Kabinettsentwurf gewählte Definition des § 35 a, der Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen, werden wir uns im parlamentarischen Verfahren aber noch unterhalten müssen. Ich bin der Ansicht, dass wir an der jetzigen Formulierung des § 35 a festhalten müssen, der der Behindertenbegriff der WHO zugrunde liegt. Dafür gibt es gute Argumente: Wenn Kinder und Jugendliche einen Hilfebedarf haben und ihnen dann nicht schnellstmöglich geholfen wird, wäre das nicht nur ein schwerer Schlag für die Betroffenen, es wäre auch schädlich für den präventiven Charakter der Jugendhilfe. Denn das würde ja bedeuten, dass die Gefahr besteht, dass sich eine Behinderung erst manifestieren müsste, bevor professionelle Hilfe einsetzt. Das, denke ich, kann keiner von uns wollen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, die Sie leider immer nur auf die finanzielle Seite schielen ({3}) - das ist einfach so; das konnte man heute Morgen auch beim Zuhören feststellen -, lassen Sie mich sagen: Es entstünde ein Mehrfaches an Kosten. Nach Expertenschätzung müssten wir für jeden Euro, den wir bei solchen Dingen einsparen, in demselben Ressort 2 bis 3 Euro ausgeben, um die Schäden, die wir angerichtet haben, wieder gutzumachen, und das nicht erst, wenn wir alle in Rente sind, meine Damen und Herren, sondern vermutlich im Laufe von höchstens zehn Jahren. Ich denke, wir sollten uns das wirklich gut überlegen. Das muss Ihnen klar werden und muss auch bei den Kämmerern vor Ort endlich einmal ankommen: Kinderund Jugendhilfe erbringen keine Luxusleistungen, sondern das absolute Unverzichtbare. ({4}) Es gibt natürlich Vorschläge, wie man die Qualität des KJHG beibehalten oder sogar noch steigern und trotzdem die Kommunen entlasten kann. Zukunftsweisend wäre es zum Beispiel, wenn wir die Bereiche Qualifizierung von Pflegestellen und das Verfahren bei der Kostenerstattung, das sich vereinfachen ließe, einmal unter die Lupe nehmen würden. Hier könnten wir einerseits eine echte Qualitätsverbesserung erreichen und andererseits die Kommunen finanziell entlasten. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich geworden: Jede Änderung des KJHG muss sorgfältig, zielführend und nach fachlichen Gesichtspunkten abgewogen werden. Mir wird allerdings ganz anders, wenn ich sehe, was die unionsgeführten Länder über den Bundesrat da schon wieder ausgebrütet haben. Das komplette TAG wird infrage gestellt; Sie fordern Eingliederungshilfen für junge Menschen nur noch vor dem 18. Lebensjahr, die Verlagerung der Aufsichtspflicht für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe - wahrscheinlich damit künftig jeder die Fachaufsicht über sich selbst führt - und dergleichen Unsinn mehr. Da kann man Ihnen wirklich nur sagen: Das ist eine völlig unfachliche Reise als Elefant durch den KJHGPorzellanladen. Damit tragen Sie ein wirklich dickes Ding auf dem Rücken unserer Kinder und Jugendlichen aus. Lernen Sie endlich, dass es uns allen in erster Linie darum gehen muss, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern! ({5}) Hören Sie endlich damit auf, die Zukunft unserer Kinder immer nur in schönen Sonntagsreden spazieren zu führen; das nützt nichts. Beweisen Sie endlich einmal Ihre Alltagstauglichkeit! Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Antje Tillmann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, es ist schon geschickt, die Diskussion über das TAG zeitgleich mit den Haushaltsberatungen hier ins Haus einzuführen. Das täuscht darüber hinweg, dass die Finanzierung dieses Gesetzes in Ihrem Etat jedenfalls nicht zu finden ist. Der Hinweis, dass das verfassungsrechtlich nicht möglich sei, hat jedenfalls Ihrer Kollegin Bulmahn bisher nicht imponiert. Sie hat Ihnen mit dem Ganztagsschulprogramm vorgemacht, wie eine Idee des Bundes sehr wohl im Bundeshaushalt etatisiert werden kann. ({0}) Es ist auch ausgesprochen geschickt, das Elterngeld ausgerechnet jetzt in der Presse zu lancieren, obwohl dieser Vorschlag Ihnen schon im Oktober letzten Jahres von Herrn Professor Rürup in einem Projekt vorstellt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt waren Sie aber gerade damit beschäftigt, das Erziehungsgeld abzuschaffen ({1}) bzw. die Grenzen zu senken. Deshalb haben Sie seinerzeit den Vorschlag zum Elterngeld von Professor Rürup in der gemeinsamen Presseerklärung einfach verschwiegen. Jetzt passt es Ihnen in den Kram, denn jetzt müssen Sie es nicht finanzieren; im Haushalt findet sich dazu jedenfalls kein einziger Euro. ({2}) All das soll darüber hinwegtäuschen, dass Ihr Etat auf dem Papier um 4,4 Prozent gekürzt wurde; ({3}) das ist die größte Kürzung nach dem Bauetat. Rechnet man auch noch die Mittel für den Kinderzuschlag heraus, der, obwohl Sie das immer wieder behaupten, keine zusätzliche Leistung für die Familien ist - lesen Sie nur die Begründung zum Gesetz; ganz überwiegend ist es einfach ein Ausgleich für Sozialhilfe -, kommt man auf eine Kürzung des Familienetats von über 10 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zu Ihren großen Plänen der Familienförderung passt, die Sie im Moment in der Presse verkünden. ({4}) Diese ganz massiven Einsparungen begründen Sie großzügig mit Koch/Steinbrück. Die Mittel für den Zivildienst sollen um 85 Millionen Euro gekürzt werden und Sie entblöden sich nicht, zu behaupten, das sei ein Ergebnis des Koch/Steinbrück-Papiers. Interessanterweise taucht der Zivildienst in diesem Papier überhaupt nicht auf. Aber das Koch/Steinbrück-Papier wird ja zur großen Entschuldigung für alle Einsparmaßnahmen dieser Regierung. Seien Sie gewiss: Wir werden Sie jeweils darauf hinweisen, wenn Sie da die Unwahrheit sagen. ({5}) Nun ist es schon schlimm genug, dass Sie den Zivildienst zusammenstreichen. Aber noch schlimmer ist, dass Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, der Zivildienst könne durch Freiwilligendienste ersetzt werden. In einer Vorversion des Berichtes der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“, in der Sie erklären lassen, dass die Freiwilligendienste die Lücken füllen, sagt Ihr Haus - ich zitiere -: … selbst wenn eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für neue … Freiwilligendienste bejaht werden könnte, … läge doch die Finanzierungsverantwortung auf Seiten der Länder … ({6}) In der Endfassung dieses Berichtes steht das nicht mehr. Selbst wenn ich unterstelle, dass es sich hierbei nicht um Absicht handelt, denke ich doch, dass es Ihnen sehr gelegen kommt, wenn alle Träger der Freiwilligendienste darauf warten, dass der Bund die Freiwilligendienste mit finanziert. So richtig ehrlich ist das nicht. Sie machen Geschäfte zulasten Dritter, wie schon beim TAG und bei den Jugendprogrammen. ({7}) Ich kann nur alle Beteiligten davor warnen, zu glauben, dass der Bund ein flächendeckendes Netz an Freiwilligendiensten finanzieren könnte. Gerade in diesem Haushalt 2005 werden nämlich die Mittel für Freiwilligendienste und Ehrenämter wieder um fast 1 Million Euro gekürzt. Nächstes Beispiel: Kinder- und Jugendplan. Hier betragen die Kürzungen 5,6 Millionen Euro. Ich sage ganz offen: Das ist ausnahmsweise einmal tatsächlich auf Koch/Steinbrück zurückzuführen. Diese Einsparung tragen wir dem Grunde nach mit. Interessant ist dennoch, welche Schwerpunkte Sie setzen und wie die Verteilung der Mittel aussieht. Sie haben jedes Jahr neue Ideen, lächeln auf Glanzbroschüren für neue Programme - ich gebe zu, Sie maAntje Tillmann chen das sehr charmant - und lassen sich für schicke Projekte feiern, so zum Beispiel bei der Beteiligungsbewegung oder beim Projekt „Wir hier und jetzt“, das früher „Jugend bleibt“ hieß. Wie gesagt, Sie legen Programme auf und lassen sich feiern. Aber sobald das Projekt zu Ende bejubelt ist und die knochenharte Routinearbeit anfängt, verweisen Sie auf die eigentlich zuständigen Kommunen. ({8}) Das, verehrte Frau Ministerin, ist nicht sehr fair. ({9}) Wir sollten ehrlicherweise die Gelder nehmen, wie ich es hier im letzten Jahr schon vorgeschlagen habe, und die Arbeit von den Kommunen und Ländern sofort machen lassen. Dann kann man auf die Glanzbroschüren verzichten. Ich nenne als weiteres Beispiel das freiwillige kulturelle Jahr. Die Festveranstaltung findet erst im Oktober statt, aber Sie lassen jetzt schon mitteilen, dass nach dieser Festveranstaltung die Mittel für diese Projekte zusammengestrichen werden. Ich bin gespannt, ob die Staatssekretärin diese Tatsache im Oktober den jungen Menschen und den Trägern mitteilt. ({10}) Frau Ministerin, im Rahmen von Projektbeteiligungsbewegungen werden sehr bizarre Projekte finanziert, unter anderem der 100. Geburtstag der Sozialistischen Jugend. Darüber kann man sich ärgern. Aber ich sehe eine sehr viel größere Gefahr an dieser Stelle. Sie gewöhnen einer ganzen Generation von Jugendlichen an, dass es nicht mehr ein Sinn an sich ist, Kröten zu schützen, alte Leute zu besuchen oder sich in der Schule zu engagieren. So richtig schlau ist Engagement nur, wenn man das passende Förderprogramm dazu findet. In Deutschland wird „Fußball gegen Rechts“ gespielt und gebastelt unter dem Motto „Demokratie heute“. ({11}) Graffitischmierereien werden aus dem Förderprogramm des Bundes finanziert. Sie finanzieren Schülervollversammlungen, die an Tausenden von Schulen ohne weiteres Aufsehen stattfinden. Aber wird diese Versammlung „Schülermitbestimmung als Open-Space“ genannt, bekommt man dafür Fördermittel. Meine Generation muss ja bescheuert gewesen sein, all diese ehrenamtlichen Arbeiten gemacht zu haben, ohne erst nach einem Förderprogramm Ausschau zu halten. ({12}) Frau Ministerin, ich halte es für gefährlich, wenn wir jungen Menschen anerziehen, dass man sich erst nach Geld umschauen muss, bevor man sich engagiert. Wir werden jedes einzelne Programm in den Haushaltsberatungen darauf überprüfen. ({13}) Ich hoffe sehr, dass Sie bei dieser Überprüfung anwesend sind. Ich hätte gerne weniger geschrieen. Aber dazu waren Sie einfach zu laut. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 15/3676, 15/3488 und 15/3512 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 sowie Zusatzpunkt 4 auf: 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/3674 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen - Drucksache 15/3513 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Präsident Wolfgang Thierse Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement. ({3})

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, einige kurze Bemerkungen zu dem angekündigten Wechsel von Herrn Staatssekretär Tacke aus dem von mir zu verantwortenden Ministerium in die Wirtschaft zu machen, bevor ich über den Haushalt spreche. Ich möchte dies tun, weil sein Name gestern in der Debatte gefallen ist und auch in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielt. Erste Bemerkung. Ich sage in aller Klarheit, dass Herr Tacke zu den Besten innerhalb der Bundesregierung gehört, wenn es um nationale und internationale Wirtschaftspolitik geht. Zusammen mit vielen in dem von mir zu verantwortenden Ministerium bedauere ich sehr, dass er sich zu diesem Wechsel entschlossen hat. Zweite Bemerkung. Ich kann gegen einen solchen Wechsel wenig sagen, weil ich es für richtig halte, dass zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ein Austausch stattfindet. Ich selbst habe das in meinem Leben schon zweimal praktiziert; es ist nicht immer ganz leicht. Ich glaube, dass solche Wechsel richtig sind und dass sie gelegentlich - wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf durchaus mehr Praxis verdienten. Dritte Bemerkung. Es ist hier ein Zusammenhang mit der Ministererlaubnis im Fall Eon hergestellt worden. Diese Entscheidung liegt zwei Jahre zurück. In Diskussionen im Ausschuss, die ich jetzt nicht darstellen kann, weil sie nicht öffentlich waren, ist, denke ich, deutlich geworden: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Ministererlaubnis zum Fall Eon und dem beabsichtigten Wechsel - er ist ja noch nicht vollzogen - von Herrn Tacke zum Unternehmen Steag. Ich könnte Ihnen das im Einzelnen erläutern. Ich bitte Sie aber darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass es hierfür keinen Anhaltspunkt gibt. Im Übrigen hat Herr Tacke, wenn die Entscheidung gefallen ist, die Absicht, um Entlassung aus dem öffentlichen Dienst zu bitten. Das heißt, er scheidet ohne Versorgungsbezüge und ohne rechtliche Beschränkungen aus. Er bleibt aber der Amtspflicht der Verschwiegenheit verpflichtet. Mit diesem Wechsel ist nichts Negatives zu verbinden. Er ist ein hochangesehener, integrer Staatssekretär. ({0}) Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und den beabsichtigten Wechsel nicht zu zerreden. Ich möchte nichts zu den Diskussionen um einen Ehrenkodex oder gesetzliche Regelungen, von denen ich hier und da gelesen habe, sagen. Selbst Karenzzeiten von mehr als zwei Jahren sind auch sonst kaum vorgesehen. Unabhängig davon ist meine herzliche Bitte: Wenn Sie über solche Fragestellungen diskutieren, was natürlich jederzeit möglich ist - ich selbst habe solche Diskussionen hinter mir -, sollten Sie dies nicht mit dem Namen Tacke verbinden. Denn mit diesem Namen lässt sich kein Vorwurf und noch nicht einmal ein Verdachtsmoment der Befangenheit verbinden. Meine Damen und Herren, zum Haushalt. Diese Debatte findet in einer veränderten Lage statt, in einer Lage, die unseren Kurs bestätigt, die es aber auch erfordert, unseren Kurs mit aller Konsequenz fortzusetzen. Die seit dem Jahr 2001 anhaltende Phase der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland ist definitiv beendet. Die deutsche Wirtschaft hat sich in der zweiten Jahreshälfte 2003 kräftig erholt und im Verlauf dieses Jahres weiter an Fahrt gewonnen. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zum ersten Vierteljahr dieses Jahres im zweiten Vierteljahr real um 0,5 Prozent und damit um 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Aktuell sind die Daten noch besser: Die deutsche Industrieproduktion läuft auf Hochtouren und befindet sich in der Spitze Europas. Das produzierende Gewerbe hat im Juni/Juli im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozent zugelegt. Im Vergleich zum Vorjahr stehen 7,7 Prozent mehr Aufträge in den Büchern der Unternehmen. Und nicht nur nebenbei bemerkt: In den Büchern der Unternehmen in den neuen Ländern steht ein Plus von 15,3 Prozent. ({1}) Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen für eine Fortsetzung des Aufschwungs in diesem Jahr und darüber hinaus. Nach allem, was wir und die Experten abschätzen können, wird der Welthandel weiter wachsen, wenn auch vermutlich nicht mehr mit dem Schwung der vergangenen Monate, weil der Ölpreisanstieg die Produktion verteuert, Kaufkraft bei uns und unseren Handelspartnern abzieht und die Binnennachfrage sowie die Exportdynamik überlastet. Die Lohnstückkosten werden auch in diesem Jahr voraussichtlich rückläufig sein und damit einen großen Beitrag zur Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte leisten. Die kurz- und die langfristigen Nominalzinsen sind weiterhin niedrig und die Kerninflation ist nach wie vor gering. Das heißt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind so gut wie seit Jahren nicht mehr. Die Geschäftslage wird von den für die Erstellung des Ifo-Geschäftsklimaindex befragten Unternehmen im August zuversichtlicher gesehen. Die Erwartungen haben sich trotz des Rekordhochs des Ölpreises - dieses Rekordhoch scheint inzwischen überwunden - nur geringfügig eingetrübt. Die Exporterwartungen der deutschen Unternehmen sind sehr gut. Ihre Investitionsneigung nimmt zu. Die Nachfrage bei den Zeitarbeitsfirmen - sie sind ein Frühindikator der wirtschaftlichen Belebung und der Belebung auf dem Arbeitsmarkt - steigt. Das alles spricht dafür, dass die Lage besser ist und besser wird und dass wir gute Chancen haben, den AufBundesminister Wolfgang Clement schwung zu einer Phase längeren, nachhaltigen Wachstums zu verstetigen, um 2005 endlich auch den Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen; denn darum geht es. Hinter diesem, wie ich es empfinde, sehr erfreulichen Panorama einer kräftigen Erholung verbirgt sich allerdings eine gespaltene Konjunktur. Das Wachstum speist sich bei uns zurzeit fast ausschließlich aus der Auslandsnachfrage. Die Warenexporte liegen mittlerweile um stolze 16,1 Prozent über dem Vorjahresniveau. Die Stützen sind insbesondere die Exporte nach China mit einem Plus von 27,9 Prozent und nach Russland mit einem Plus von 18,9 Prozent. Demgegenüber sind der private Konsum und die Investitionen weiterhin die Achillesferse der Konjunktur. Wir haben eine schwache Binnennachfrage. Die Ursachen dafür liegen in den weiterhin rückläufigen Bauinvestitionen, darin, dass die Ausrüstungsinvestitionen noch nicht angesprungen sind, sowie in einer außerordentlichen Kaufzurückhaltung, einer Stagnation der privaten Konsumausgaben. Das Fazit dieser Situation: Wir haben eine hochgradig wettbewerbsfähige Exportwirtschaft mit höchstem Produktivitätsniveau, müssen andererseits aber eine immer noch zu geringe Dynamik auf den Heimatmärkten, also in den nicht exportorientierten Sektoren, registrieren, auf die etwa 60 Prozent der Arbeitsplätze im Handel, im Bau, in den lokalen Diensten, im Hotel- und Gaststättenbereich, im öffentlichen Dienst, im klassischen Handwerk und in anderen Bereichen entfallen. ({2}) Die konjunkturelle Belebung hat deshalb den Arbeitsmarkt bisher auch nur an den Rändern erreicht. Dies macht sich bei den Minijobs, bei den Ich-AGs und bei der Zeitarbeit bemerkbar. Es zeigt sich, dass es richtig war, dass wir auf diesen Gebieten Veränderungen herbeigeführt haben; hier ist die Belebung spürbar. Im Kernsegment der Erwerbstätigkeit, der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, ist es bisher nur gelungen, den Beschäftigungsabbau zu bremsen und aktuell fast zu stoppen. Wir stehen also ganz offensichtlich kurz vor einer Trendumkehr zum Beschäftigungsaufbau; erreicht haben wir ihn aber noch nicht. ({3}) - Ich sage Ihnen bei dieser Gelegenheit gleich, dass die Zahl der Unternehmen im Handwerk aufgrund unserer Handwerksreform um 16 000 gestiegen ist. Dies zeigt die Richtigkeit unserer Reformen. ({4}) Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt Wirkung erzielen wollen, dann muss der Exportfunke endlich auch auf die Binnennachfrage überspringen. Dann werden wir es auch schaffen, die Menschen in Deutschland, die arbeiten können und wollen, in Arbeit zu bringen. Was ist dazu erforderlich? Als Erstes brauchen wir mehr Investitionen, meine Damen und Herren. Dass auch hier das Feuer schon glimmt, zeigt der jüngste Ifo-Investitionstest, der endlich einen Anstieg der Investitionen in der Industrie und dem verarbeitenden Gewerbe von 6 Prozent signalisiert. Jetzt geht es vor allen Dingen darum - ich unterstreiche, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Franz Müntefering, gesagt hat -, dass auch die Kommunen auf Grundlage der erheblichen Verbesserungen der Gemeindefinanzen - sie werden sich im nächsten Jahr um rund 7 Milliarden Euro verbessern - von den sich daraus ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machen und so viel wie möglich investieren. ({5}) Damit kann und wird es gelingen, meine Damen und Herren, den Investitionsattentismus zu brechen, der unser Land sonst ökonomisch lähmen könnte. Als Zweites müssen wir die Bremsen lockern. Ich nenne dafür zwei Beispiele: In den USA wie in Großbritannien spielt ein boomender Häuser- und Immobilienmarkt gesamtwirtschaftlich eine wesentliche Rolle. Er ist eine Triebfeder des Wachstums. Daran muss man die Frage anschließen, warum es bei uns nicht so ist: Warum ist Bauen bei uns so teuer? Warum schaffen wir es noch nicht, eine konsequente Liberalisierung der Märkte für Güter und Dienste durchzusetzen? Dies müssen wir etwa durch Bürokratieabbau auf allen Ebenen - beim Bund, bei den Ländern sowie bei den Städten und Gemeinden -, durch eine Vereinfachung des Baurechts und durch eine Reform des Vergaberechts erreichen, ({6}) aus meiner Sicht auch durch eine Reform der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Die Bremsen müssen auf allen Ebenen weg: nicht nur im Handwerksrecht, sondern in vielen Bereichen, in denen wir gesetzliche Bremsen eingebaut haben. Ich füge hinzu - ich sage dies ganz persönlich -, dass die Bremsen auch weg müssen, wo es um Forschung, Entwicklung und die Anwendung der Forschungsergebnisse in Deutschland geht. Dies gilt beispielsweise für die Bio- und Gentechnologie, für die Grüne wie die Rote Biotechnologie, aber etwa auch dafür, dass wir die Stammzellenforschung in Deutschland unbegrenzt zulassen ({7}) und dass wir auch unter humanen Aspekten über diese Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse in Deutschland noch einmal diskutieren. ({8}) Denn wir werden Forschung auf all diesen Sektoren nur dann erhalten, wenn wir ihre Ergebnisse auch bei uns anwenden. ({9}) Ich sage für mich persönlich: Das gilt unter humanen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten auch für die Stammzellenforschung. Es geht um ein Drittes, es geht darum, dass wir die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland weiter verringern. Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass zum 1. Januar 2005 die nächste Stufe der Steuerreform folgt. Sie ist und bleibt sicher und es wird dadurch zu einer Entlastung der Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bürger von 6,8 Milliarden Euro kommen. ({10}) Deshalb ist es wichtig, den Prozess der Senkung der Lohnnebenkosten voranzutreiben. Deutschland in Arbeit zu bringen ist mein Bild. Deutschland in Arbeit zu bringen, muss ein gemeinsames verbindliches Ziel werden. Das beinhaltet, Verantwortung wahrzunehmen, verantwortlich zu handeln und Gruppeninteressen zurückzustellen und zu überwinden. Die Politik hat gehandelt, jetzt heißt es, dazu im Interesse des Landes zu stehen. Damit ich nicht nur abstrakt bleibe, sage ich: Die Krankenkassen müssen jetzt die Chancen, die durch die Gesundheitsreform eröffnet worden sind, nutzen, um die Beiträge, so weit es geht, zu senken. Wir brauchen das auch im Interesse der Wirtschaft. Hier geht es um Gesamtverantwortung. ({11}) In ebensolcher Klarheit sage ich an die Adresse der Energieversorgungsunternehmen: Wir können in Deutschland nicht nur über Lohnnebenkosten und die sozialen Lasten reden, wir müssen auch über alle sonstigen Kosten reden. Dazu gehören in ganz besonderer Weise die Energiekosten als Schlüsselelement. ({12}) Ich sage auch von hier aus, dass die Ankündigungen von Preis- und Tariferhöhungen, die vonseiten der Energieversorgungsunternehmen vorgenommen worden sind, auf den ersten Blick alles andere als überzeugend sind. Sie sind nicht angemessen. Ich appelliere von hier aus an die Unternehmen, ihrer Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche, für die gesamtindustrielle Entwicklung in Deutschland gerecht zu werden, also die angekündigten Tariferhöhungen so nicht vorzunehmen. ({13}) - Darüber reden wir, Herr Kollege Austermann, in aller Offenheit und Klarheit. Die politischen Lasten und Aufgaben, die wir mit den Energiepreisen verbinden, machen 40 Prozent der Energiepreise aus, ({14}) aber 60 Prozent sind im Markt gestaltete Preise. Hier stellen sich die Fragen: Sind die angekündigten Preisund Tariferhöhungen in diesem Segment angemessen oder nicht? Sind sie missbräuchlich? Wenn sie missbräuchlich sind, werden sie entweder so oder mithilfe des Kartellamtes und später der Regulierungsbehörde zurückzunehmen sein. ({15}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Ich höre aus vielen Ländern die Kritik, dass wir keine Ex-anteRegulierung in dem Entwurf vorgesehen haben. Wir werden darüber im Einzelnen noch zu diskutieren haben. Als jemand, der bereits Wirtschaftsminister in einem Bundesland war und als solcher auch für die Tarifgenehmigungsbehörde für den privaten Stromverbrauch verantwortlich war, weiß ich, dass es dort eine Ex-anteGenehmigung gibt. Die Ex-ante-Prüfung durch alle Wirtschaftsministerien der Länder - von dort höre ich viele Erwartungen - hat die Strompreisentwicklung in Deutschland für die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls an keiner Stelle aufgehalten. Ich warne vor der Vorstellung, dies sei das Heilmittel für alles. Ich plädiere klar für eine sehr harte, durch nationale und internationale Preis- und Tarifvergleiche gestützte Missbrauchsaufsicht durch eine Regulierungsbehörde, die sich bei der Post und Telekommunikation bewährt hat. Das ist die Regulierungsbehörde in Bonn, sie sollte die Regulierungsaufgaben in den Bereichen Strom und Gas ebenfalls übernehmen. ({16}) Wir brauchen eine klare Missbrauchsregelung. Wir haben es in diesem Sektor mit 1 700 Anbietern zu tun und die Vorstellung, die Preise ex ante, also im Vorhinein, prüfen und regulieren zu wollen, halte ich für ziemlich anspruchsvoll, um es vorsichtig auszudrücken. Wir werden zu jeder Zeit darüber diskutieren, aber nehmen Sie die Erfahrungen zur Kenntnis, die mit dieser Prüfung bisher erzielt worden sind. Wichtiger ist mir aber, die Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, damit sie jetzt die angekündigten Preiserhöhungen zurückziehen. Nur so können wir in eine vernünftige und ruhige Diskussion eintreten, und zwar auch über die Frage der künftigen Preis- und Tarifregulierung. ({17}) In meinem Ressort spielen die Arbeitsmarktreformen eine herausragende Rolle. Wir stehen jetzt vor der Realisierung der wichtigsten Stufe der Arbeitsmarktreformen. Sie kennen das: Es geht um Fördern und Fordern. Es geht um Vermitteln in Arbeit statt Administrieren von Arbeit. Es geht um eine soziale Grundsicherung statt zweier, unabhängig voneinander nebeneinanderher, teilweise gegeneinander laufender staatlicher bzw. kommunaler Fürsorgesysteme. Dabei ist klar: Das Gesetz wird keine Arbeitsplätze schaffen, aber das Gesetz wird wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Bewegung in den ArbeitsBundesminister Wolfgang Clement markt bringen. Die Vorläufer dieser Bewegung kann jeder und jede bereits jetzt beispielsweise anhand der Erkenntnisse der Zeitarbeitsfirmen feststellen. Das Gesetz ist auch notwendig. Ich respektiere die Demonstrationen, die Proteste, die Kritik, soweit sie sich im Rahmen des demokratisch Zulässigen bewegen. Ich sage aber an alle gerichtet, die dort demonstrieren und kritisieren: Nicht die Reform ist der Skandal. Der Skandal ist die in Deutschland seit Jahr und Tag ständig ansteigende Langzeitarbeitslosigkeit. Sie ist inzwischen fast die höchste in Europa. Sie ist die längst dauernde und sie steigt und steigt. Das ist der eigentliche Skandal, und das zeigt in aller Deutlichkeit, dass wir den Weg, den wir bisher gegangen sind, nicht fortsetzen dürfen, sondern hier zu einer grundlegenden Korrektur kommen müssen. ({18}) Die Koalitionsfraktionen werden jetzt gesetzliche Klärungen herbeiführen. Sie beziehen sich - wie Sie alle wissen; ich brauche das hier nicht weiter zu erläutern - auf die Auszahlungstermine. Diesbezüglich ist - entgegen dem Vorschlag, den ich gemacht habe - Klärung hergestellt worden. Sie beziehen sich außerdem auf den Kinderfreibetrag, der völlig außerhalb der Diskussion steht. Es wird keinerlei bürokratischen Umgang mit Kindersparbüchern, Kinderausbildungsversicherungen und Ähnlichem geben. Es wird eine Klärung hinsichtlich der Vermittlungsgutscheine sowie über die AB-Maßnahmen geben, um dort zu entbürokratisieren. Bei der IchAG, die ich nach wie vor für richtig halte - die bisherigen Erkenntnisse, auch wenn sie noch nicht umfassend sind, sprechen dafür, das fortzusetzen, weil es ein vernünftiges Instrument ist -, werden wir im Rahmen der Gewährung des Arbeitslosengeldes I - denn darum geht es - eine Tragfähigkeitsprüfung vorsehen. Zu vielen Einzelfragen brauche ich jetzt keine Stellung zu nehmen, denn über vieles ist diskutiert worden. Ich glaube, inzwischen ist viel Klarheit hergestellt worden. Die viele - meist berechtigte - Kritik, die an meine Adresse gerichtet worden ist, und die damit verbundene heftige Auseinandersetzung haben den Vorteil, dass rechtzeitig, bevor die Reform in Kraft tritt, alles diskutiert worden sein müsste, was zu diskutieren ist. ({19}) Ich habe gestern noch einmal beim Zentralverband des Deutschen Handwerks die Gelegenheit gehabt, deutlich zu machen, dass beispielsweise die öffentlichen Arbeitsgelegenheiten weder rechtlich so angelegt noch sonst dazu angetan sind, Beschäftigungen oder gerade kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksunternehmen in den Kommunen zu beseitigen oder zu gefährden. Das ist auch von Gesetzes wegen anders vorgesehen. Wir brauchen solche öffentlichen Arbeitsgelegenheiten, weil ab dem 1. Januar 2005 - das wird vielfach gar nicht gesehen - fast 1 Million Menschen, die bisher Sozialhilfe bezogen haben, als erwerbsfähig gelten, weil sie mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten können. Diese werden in die Arbeitsvermittlung aufgenommen. Jeder und jede von uns weiß, dass eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt nicht auf Anhieb gelingen kann, sondern dass wir Einstiegsmöglichkeiten benötigen. Diese sind sehr unterschiedlich. Das reicht beispielsweise von Trainingsprogrammen wie Sprachenprogrammen oder auch Lohnkostenzuschüssen, die mindestens gleichwertig sind, weil sie vielleicht schneller zu einer Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt führen können, bis hin zu öffentlichen Arbeitsgelegenheiten. Die örtlichen Arbeitsagenturen entscheiden. Nicht wir wollen von hier aus entscheiden, wie jemand vermittelt wird und welche Hilfe er bekommt. Das muss vor Ort entschieden werden. Das ist auch von allen Seiten gesagt worden. Das Ziel derer, die vor Ort entscheiden, wird die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein. Niemand dort hat den Auftrag, Lohndumping zu betreiben, Menschen in möglichst schlecht bezahlte Jobs zu vermitteln, und niemand dort wird sich so verhalten. Ziel ist der erste Arbeitsmarkt. Wir brauchen aber Instrumente, um möglichst viele Menschen dorthin zu führen. Dazu gehören die öffentlichen Arbeitsgelegenheiten. Gestern habe ich beim Zentralverband des Deutschen Handwerks gesagt: Natürlich wird man sich vor Ort - möglicherweise in Form eines Beirates oder einer ähnlichen Konstruktion - etwa mit einem Vertreter der Industrie- und Handelskammer, einem Vertreter der Handwerkskammer, einem Vertreter der Gewerkschaften und einem Vertreter der Kommune zusammensetzen, um über die Einrichtung öffentlicher Arbeitsgelegenheiten vor Ort zu sprechen und zu verhindern, dass das zulasten des Handwerks oder der kleinen und mittleren Unternehmen geht. ({20}) Frau Kollegin Merkel, Sie haben sich gestern die Chance nicht entgehen lassen, unter anderem über die Fragebögen zu sprechen. Es ist ja auch zu schön, über Fragebögen zu sprechen. Dieses Thema hat die Literatur schon häufig beschäftigt und das wird sicherlich auch mit diesen Fragebögen geschehen. Dazu will ich zwei Dinge bemerken: Wie viele antworten, ist regional sehr unterschiedlich. Neulich war ich in Ludwigshafen. Dort sind bereits 40 Prozent der Fragebögen eingegangen. Das schlechteste Ergebnis hat Leipzig. Dort waren es zuletzt 4 Prozent. Die Qualität der beantworteten Fragebögen, die eingehen, ist hervorragend. Die Bearbeitungszeit dieser Fragebögen beträgt in der Agentur, die dafür eingerichtet wurde, ein Drittel der geschätzten Arbeitszeit. Es zeigt sich also, dass gar nicht alles so weit daneben liegt. Weil ich verschiedene Boykottaufrufe gehört habe und zur Kenntnis nehmen musste, dass Menschen aufgefordert werden, diese Fragebögen nicht auszufüllen, muss ich in aller Deutlichkeit sagen: Bitte lassen Sie sich von einem solchen Unsinn und von solchen Abwegigkeiten nicht beeinflussen. Das richte ich an die Adresse derer, die diese Fragebögen ausfüllen müssen. Einen Anspruch auf öffentliche Unterstützung kann man natürlich nur dann bekommen, wenn man diese Fragen beantwortet, die Fragebögen ausfüllt und einen entsprechenden Antrag stellt. Das sage ich in aller Ernsthaftigkeit und in alle Richtungen in der Bundesrepublik, damit hier kein Irrtum entsteht. Meine Bitte ist, dass dies, wenn irgend möglich, unterstützt wird. ({21}) Frau Merkel, Sie haben gestern das Thema Subventionen im Niedriglohnsektor angesprochen. Ich verstehe Sie immer so - so habe ich auch die Diskussion mit der Union verstanden -, dass Ihr Vorschlag auf eine flächendeckende Subvention niedrig entlohnter Jobs hinausläuft. Um das klar zu sagen: Das halte ich für falsch. ({22}) Richtig ist: Es werden in Ostdeutschland wie in Westdeutschland Subventionen getätigt, wenn sie sinnvoll sind: entweder in Form von Lohnkostenzuschüssen oder als Leistungszulagen, die der einzelne Fallmanager vergeben kann und über die er selbst entscheidet. In diesen Fällen werden diese Zuschüsse gezahlt, damit die Menschen nach Möglichkeit in den ersten Arbeitsmarkt gelangen. Flächendeckend so zu verfahren, würde aber eine „Subventionitis“ sein. Es würde zu Lohndumping in den Unternehmen führen und den Rest hätte der Staat zu zahlen. Das kann nicht richtig sein. Dieser Kurs, der beide Nachteile gleichzeitig mit sich bringen würde - Subventionen in einer unglaublichen Größenordnung und niedrigstmögliche Löhne -, kann nicht vernünftig sein. ({23}) Zum Thema Ostdeutschland möchte ich darauf hinweisen, dass genau 41,8 Prozent der Eingliederungsmittel von nahezu 10 Milliarden Euro dorthin fließen werden; nicht weil es sich um Ostdeutschland handelt, sondern weil die Belastungen auf dem Arbeitsmarkt dort am größten sind. Frau Merkel, eines möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen: Sie haben hier eine andere Sichtweise. Ich möchte in aller Klarheit sagen: Meine Wahrnehmung Ostdeutschlands als jemand, der dort zurzeit viel lernt, ist eine sehr differenzierte. Ich kann nur hoffen, dass wir es nach und nach schaffen, nicht mehr in unserem Bild von West- und Ostdeutschland zu verharren. Wir müssen uns von diesem Bild lösen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedliche Entwicklungen und einen sehr unterschiedlichen Status gibt. Eine Stadt wie Jena hat einen Arbeitsmarkt wie die Universitätsstadt Göttingen. Im Umfeld Berlins ist die Arbeitsmarktsituation besser als beispielsweise in meiner Heimat, dem südlichen - nicht dem nördlichen Ruhrgebiet. Ich könnte - Sie kennen das - genauso gut durch Ostdeutschland gehen und Ihnen zeigen, wo dort ganz unterschiedliche Entwicklungen stattfinden. Man sollte das alles nicht auf Dauer zusammenbündeln, als seien wir wirklich zwei getrennte Etwas. ({24}) Wenn man zueinander kommen will, dann gehört dazu ein differenziertes Bild, zu dem wir kommen müssen. ({25}) Neulich habe ich es gewagt, zu sagen, dass ich gerne eine an die Adresse junger Leute gerichtete Kampagne durchführen würde, um sie aufzufordern, entweder nach Ostdeutschland zurückzukehren oder überhaupt nach Ostdeutschland zu kommen; denn vielfach sind die Bildungs-, Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen dort mindestens genauso gut wie im Westen. Aber dort kann man - im Gegensatz zu den überfüllten Hochschulen in Westdeutschland - wenigstens noch einen Professor oder eine Professorin sehen und sie sprechen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Gerne, ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben soeben die Lohnkostenzuschüsse angesprochen und gesagt, sie seien ein untaugliches Mittel.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Bitte?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben gesagt, sie seien ein untaugliches Mittel, um der Arbeitslosigkeit vor allen Dingen in strukturschwachen Bereichen zu begegnen. ({0}) Daher möchte ich folgende Frage an Sie richten: Ist Ihnen bewusst, dass gegenwärtig, gerade im grenznahen Bereich, Tausende von Arbeitsplätzen in die neuen mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU abwandern? Wie sieht Ihre Alternative dazu aus? Wie wollen Sie dem begegnen? Denn zum Beispiel zwischen Tschechien und Deutschland besteht ein Lohnunterschied im Verhältnis von eins zu sechs; zwischen Polen und Deutschland ist er noch etwas höher. Dem kann doch nur mit neuen Rezepturen begegnet werden. Aber in dieser Angelegenheit habe ich noch nichts von Ihnen gehört. Bisher warte ich vergebens.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Kollege Hinsken, zum Ersten: Ich habe nicht Lohnkostenzuschüsse als untaugliches Mittel bezeichnet, sondern als taugliches Mittel; sie sind ausdrücklich vorgesehen bei den Eingliederungsmitteln, eines der wichtigsten Elemente. ({0}) Nur bin ich dagegen, sie flächendeckend einzusetzen. Zum Zweiten: Ich verstehe die Fragestellung, die Sie haben; es ist eine sehr wichtige. Allerdings ist das Instrument der Lohnkostenzuschüsse aus meiner Sicht nicht geeignet. Was wir mit den Beitrittsstaaten natürlich diskutieren müssen - aber tunlichst in einem ruhigeren Prozess -, ist, wie dort in Zukunft das Instrumentarium zum Fördern, durch Strukturfördermittel und beispielsweise Steuerentlastungen, gehandhabt wird. Zwischen den alten und den neuen Ländern in Deutschland haben wir das ja auch nach einer Übergangsphase hinbekommen, nämlich so, dass Übersiedlungen und Standortverlagerungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland nur im Einvernehmen zwischen den Ländern stattfinden. Man wird das zwischen uns und den Beitrittsländern jetzt so noch nicht erreichen, aber wir brauchen solche ruhigen Gespräche, um mit diesem Thema umzugehen. Dass die Menschen und die Unternehmen in den unmittelbaren Grenzregionen in Bayern, insbesondere in Ostbayern, im Verhältnis zur Tschechischen Republik zurzeit erhebliche Standortprobleme haben, ist richtig. Es gibt dazu kein generelles Instrument; ich habe darüber schon viele Diskussionen geführt. Wir brauchen Diskussionen vor Ort und müssen unter Hinzuziehung der Kreditwirtschaft, der KfW und all derer, die dazu beitragen können, dazu kommen, dass wir den Unternehmen in diesem Übergang helfen, soweit es geht mit Strukturfördermitteln und soweit es geht mit ebensolchen Instrumenten, wie ich sie angesprochen habe. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Entwurf des Einzelplans 09 für das nächste Haushaltsjahr, über den ich spreche, sieht Ausgaben in Höhe von 34,3 Milliarden Euro vor. Man muss sehen, dass 85 Prozent der Ausgaben in unserem Einzelplan Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind. Ich meine, dass wir da mittelfristig eine Veränderung erreichen müssen und dass wir diese Investitionen in den Arbeitsmarkt vor allen Dingen durch Effizienzgewinne sehr rasch zu lohnenden Investitionen machen müssen. Dann wird sich auch die Struktur des von mir vertretenen Haushaltes wieder verändern. Der Schwerpunkt wird - das ist das Ziel - dann nicht mehr bei den Ausgaben infolge der Arbeitslosigkeit liegen, sondern bei der zukunftsorientierten Stärkung der Wachstums- und Innovationskräfte. Unter dem Strich trägt das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit trotz der notwendigen Investitionen in den Reformprozess an anderen Stellen erheblich zur Konsolidierung des Bundeshaushalts bei, beispielsweise mit den Erlösen im Zusammenhang mit der vorgesehenen, noch im Einzelnen zu diskutierenden Übertragung des ERP-Sondervermögens auf die KfW, beispielsweise durch den Subventionsabbau im Rahmen der Vorschläge von Koch/Steinbrück, beispielsweise durch die Reduktion der finanziellen Förderung der Steinkohle. Nicht zuletzt dank dieser Einsparungen werden wir die Haushaltsstruktur verbessern und gezielt Impulse für zukunftsgerichtete und investive Maßnahmen setzen. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Förderung von Forschungs- und Technologievorhaben und in der Steigerung der Innovationskraft kleinerer und mittlerer Unternehmen. Die Regionalförderung durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wird mit rund 700 Millionen Euro für die neuen Länder und die Förderregionen in den alten Ländern ausgestattet. Sie wird in den Folgejahren auf diesem Niveau weitergeführt; die Länder erhalten auf diese Weise die gewünschte Planungssicherheit. Mit den komplementären Landesmitteln und den Mitteln der Europäischen Union stehen im nächsten Jahr 1,7 Milliarden Euro zur Förderung neuer Investitionen zur Verfügung. Der Erfolg der Regionalpolitik - damit bin ich noch einmal bei dem, was Herr Kollege Hinsken angesprochen hat - hängt aber nicht nur vom Mittelvolumen ab, sondern insbesondere auch vom intelligenten Einsatz der Fördermittel durch die Landesregierungen. Sie haben die Möglichkeit, zielgenaue Investitionsanreize zu geben und die Entwicklung von Spitzenstandorten oder von wirtschaftlichen Clustern, etwa in Ostdeutschland, noch effizienter zu unterstützen. Die GA-Förderung ist Teil des Solidarpakts II für die neuen Länder, der ab 2005 wirksam wird. Er umfasst ein Volumen von, wie wir schon gehört haben, 156 Milliarden Euro, verteilt auf die Jahre bis 2019. Das ist das sichere finanzielle Fundament für die Fortsetzung des Aufbaus Ost. Ich bin überzeugt, dass wir auf diesem Fundament weiterhin erfolgreich, wenn auch nicht die Welt von heute auf morgen verändernd, arbeiten. Aber es verändert sich die Situation in Ostdeutschland. Wer dies wahrnimmt, ohne geblendet zu sein, mit realistischem Blick, auch gestützt auf Erfahrungen in anderen Regionen Deutschlands, wird diese Ansicht teilen müssen. Meine Bitte ist natürlich - ich sage das auch etwas polemisch, einmal ausnahmsweise an die Adresse von Herrn Ministerpräsidenten Milbradt: Nicht demonstrieren ist gefragt für einen Ministerpräsidenten, sondern mitarbeiten vor Ort. ({2}) Mitarbeiten vor Ort - das heißt beispielsweise, dass man in den Städten und Gemeinden dafür sorgt, dass erstens die Gelder wirklich dort ankommen, dass zweitens diese Gelder möglichst investiv eingesetzt werden und dass drittens die Arbeitsagenturen vor Ort bzw. die Kommunen, falls sie optieren, konkret arbeiten und in Gang kommen. Es kommt darauf an, dass alle mitmachen. ({3}) Es geht ja darum, die Menschen in Deutschland in Arbeit zu bringen: Deutschland in Arbeit. Das heißt, wir müssen Erwartungen an all diejenigen richten, die in Deutschland Verantwortung tragen: Erstens erwarten wir von den Unternehmen, dass sie jetzt investieren, dass sie die Standorte sichern anstatt sie zu verlagern, wenn das aus Kostengründen nicht anders geboten ist, und dass sie vor allen Dingen etwas für die Ausbildung tun. Wir müssen das Ausbildungsproblem in Deutschland lösen und den Ausbildungspakt einlösen. ({4}) Ich bin unverändert davon überzeugt, dass das möglich ist. Ich werde gleich mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin in Gesprächen mit Unternehmen wieder für solche Ausbildungsplätze werben. Es ist möglich und mit dem Ausbildungspakt ist bei den Industrie- und Handelskammern sowie bei den Handwerkskammern schon Erhebliches erreicht worden. Die Aktivität, die dort entfaltet worden ist, ist teilweise sehr beeindruckend. Die Nachvermittlungsaktion, die zum ersten Mal geregelt und vereinbart wurde, wird am 1. Oktober 2004 beginnen. Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist, unser Versprechen, das eingehalten werden muss, auch wirklich einzuhalten: Jeder, der will und kann, muss einen Ausbildungsplatz, eine andere adäquate Einstiegsqualifikation oder Ähnliches erhalten. Zweitens appelliere ich an die besondere Verantwortung der Energiewirtschaft. Sie ist eine strategische Branche und hat insbesondere in dieser Phase Einfluss auf die weitere Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb: Nehmen Sie die angekündigten Preis- und Tariferhöhungen zurück! Davon kann und sollte jetzt kein Gebrauch gemacht werden. ({5}) Drittens appelliere ich an die Banken und an das Kreditgewerbe. Über 40 Prozent der Manager in mittelständischen Unternehmen klagen heute immer noch über Probleme beim Erhalt von Krediten und beim Eigenkapital. Ich appelliere an das Kreditgewerbe, alles zu tun, um diese Probleme zu überwinden. ({6}) Durch die KfW werden Haftungserleichterungen und Haftungsentlastungen für das Kreditgewerbe organisiert und ermöglicht. Davon muss mehr und intensiv Gebrauch gemacht werden, Viertens habe ich die Erwartung an die Gewerkschaften, sich so besonnen wie in der Tarifpolitik in den letzten Jahren auch gegenüber der Agenda 2010 und den Protesten zu verhalten. Fünftens habe ich die Erwartung an die Arbeitsuchenden, die Herausforderungen anzunehmen und neue Chancen zu sehen. Wer bedürftig ist, dem wird geholfen. Ich habe das schon so oft gesagt: In diesem Prozess der Umgestaltung unserer Arbeitswelt wird niemand abstürzen. Aktives Mitwirken ist besser als passives Sich-verwalten-Lassen. Darum geht es, wenn wir die Arbeitsmarktreform jetzt vollziehen. Die Ziele, die wir uns setzen, werden erreicht sein, wenn bei künftigen Haushaltsberatungen nicht mehr über Vergangenheitsinvestitionen contra Zukunftsinvestitionen diskutiert wird, sondern wenn wir darüber streiten, wem in Zukunft unsere ganze Aufmerksamkeit gilt. Diese muss der Existenzförderung, der Forschung und Innovation und der Bildung und Weiterbildung gelten. Auf diesen Wettbewerb, den wir erreichen müssen, freue ich mich. Erst recht werde ich mich natürlich freuen, wenn er in diesem Hause stattfindet. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aus unserer Sicht zunächst eine Vorbemerkung zum Wechsel Ihres Staatssekretärs in die Privatwirtschaft machen. Der Wechsel ist in Ordnung. Sie verlieren einen der besten Beamten der Bundesregierung. Ich teile Ihre Einschätzung, dass es gut wäre, wenn wir in Deutschland einen Wechsel zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in alle Richtungen etwas häufiger erleben würden. ({0}) - Herr Müntefering, dass Sie hier bleiben, empfinden wir eher als Drohung. Aber es ist ja auch eine Frage der Verwendungsfähigkeit an anderer Stelle. ({1}) Ich begrüße es ausdrücklich, Herr Clement, dass Sie unsere Nachfragen hierzu nicht kritisiert haben; denn dass heute Morgen eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses auf unseren Antrag und den der FDP stattgefunden hat, ist begründet gewesen. Es ist unsere Aufgabe nachzufragen. Die Antworten auf unsere Nachfragen haben keinerlei Anlass zu Kritik gegeben. Insofern begleiten Herrn Tacke unsere guten Wünsche auf seinem Weg in eine neue berufliche Aufgabe. ({2}) Wir sprechen über Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Herr Clement, Sie haben erneut eine relativ optimistische Prognose für das laufende Jahr und insbeFriedrich Merz sondere für das Jahr 2005 gewagt. Als ich Sie gehört habe, habe ich gedacht: Das kommt mir bekannt vor. Wenn man es nachschauen würde, könnte man feststellen, dass Sie im letzten und auch im vorletzten Jahr etwa um diese Zeit fast wortgleich ähnlich optimistische Prognosen über Wachstum und Beschäftigung abgegeben haben. Ich sage ganz ausdrücklich: leider. Dies sage ich auch an Ihre Adresse, Herr Müntefering, weil Sie gestern Bemerkungen in dem Sinne gemacht haben, wir würden ein Interesse daran haben, dass die Krise in Deutschland fortbesteht. Ich erkläre ausdrücklich: Leider sind diese Prognosen der letzten zwei Jahre von Ihnen, Herr Clement, bis heute nicht eingetreten. Ich halte sie - offen gestanden - auch für das Folgejahr für zu optimistisch. Wir haben in der Tat in Deutschland ein geringes Wachstum. Wir haben möglicherweise im nächsten Jahr ein etwas höheres Wachstum. Aber diese Wachstumszahlen - der Hinweis ist zutreffend - beruhen nicht auf einer zunehmenden Belebung der Inlandsnachfrage, sondern sind ganz wesentlich dem Export geschuldet. Der Export aber ist jedenfalls zu einem beträchtlichen Teil mittlerweile eine statistische Größe geworden; denn er spiegelt sich nicht in inländischer Wertschöpfung wider. Diesen Zusammenhang will ich einmal aufzeigen. Wir haben es hier mit Wertschöpfungsketten zu tun, die so auseinander genommen werden, dass größere Teile dessen, was produziert wird, nicht mehr in Deutschland entstehen, etwa in der Automobilindustrie, sondern Vorleistungen aus dem Ausland nach Deutschland importiert, in hochmodernen Montagewerken zu Fahrzeugen montiert und dann exportiert werden. Der gesamte Wert eines solchen Fahrzeuges findet sich in der Exportstatistik wieder, aber eben nicht mehr die Wertschöpfung in Deutschland. Das ist das eigentliche Problem. ({3}) Deswegen kann ich nur davor warnen, Herr Clement, die Behauptung zu wiederholen, es sei doch wunderbar, dass wir Exportweltmeister seien. Bei Licht betrachtet ist dies immer mehr - ich sage nicht: ausschließlich eine statistische Größe im Hinblick auf die Exportstatistiken und findet sich nicht in inländischer Wertschöpfung und inländischen Arbeitsplätzen wieder. ({4}) Die Arbeitsplätze werden in den osteuropäischen Ländern geschaffen. Sie entstehen mittlerweile auch zunehmend in den südeuropäischen Ländern. Abwanderungen von Unternehmen in die Schweiz und nach Österreich sind keine Abwanderungen in Billiglohnländer oder Niedrigsteuerländer, sondern Abwanderungen in Länder, die offensichtlich ein wesentlich stabileres und vertrauenswürdigeres politisches System haben als die Bundesrepublik Deutschland. Das hat nicht nur etwas mit Kosten, sondern auch mit Stabilität und Vertrauen zu tun, das an diesen Standorten größer ist. ({5}) Sie haben auf Ihren Etat Bezug genommen und durchaus kritisch den Hinweis gegeben, 85 Prozent dessen, was in Ihrem Etat, dem Einzelplan 09, an Steuermitteln ausgegeben wird, werde für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt. Das ist das eigentliche Problem. Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland reduziert sich weitgehend auf die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit. Dies ist mittlerweile in einem Umfang haushaltswirksam, dass zeitgleich der Anteil der Investitionen auch aus Ihrem Etat auf einen Tiefstand zurückgefahren werden musste. Wenn ein Land wesentlich mehr für die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit als für Investitionen in die Zukunft ausgibt, dann hat die Volkswirtschaft dieses Landes ein fundamentales Problem. ({6}) Dieses fundamentale Problem ist nicht kleiner geworden, sondern es ist in Ihrer Amtszeit, Herr Clement, leider größer geworden. Nun reden wir hier abstrakt über große Zahlen. Ich will sie einmal auf den einen oder anderen Sachverhalt herunterbrechen, der mit den HartzGesetzen in Verbindung steht. Ich will nur drei Sachverhalte aufgreifen: PSA, Ich-AG und Jobfloater. Sie haben zwar gesagt: keine Vergangenheitsbewältigung - in Ordnung -; aber dass wir zur Halbzeit der Wahlperiode einmal nachfragen, was aus dem geworden ist, was vor zwei Jahren, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, mit großem propagandistischen Aufwand der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, gehört zu unserer Aufgabe und interessiert auch große Teile der Öffentlichkeit. Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, wie Herr Hartz, für den kein Raum in Berlin gut genug war - man musste sogar in eine säkularisierte Kirche gehen, um den Inhalt einer kleinen CD-ROM vorzustellen -, die Prognose stellte, innerhalb von drei Jahren 2 Millionen neue Jobs in Deutschland zu schaffen. Wie sieht die Lage heute aus, zwei Jahre danach? Sie haben mit den Personal-Service-Agenturen 350 000 sozialversicherungspflichtige Jobs pro Jahr angekündigt. Das heißt, wir müssten heute ungefähr 700 000 haben. Tatsache ist, dass wir 15 000 haben, davon 4 200 im Osten. Insgesamt haben Sie dafür aus Ihrem Etat 340 Millionen Euro ausgegeben. Das heißt, jeder Job, der entstanden ist, hat über 20 000 Euro gekostet. Ein Facharbeiter muss lange arbeiten, um die Steuern aufzubringen, die dafür bezahlt werden müssen. Es sind hier Randbereiche des Arbeitsmarktes gefördert worden. Mit dem eigentlichen Arbeitsmarkt hat das nichts zu tun. ({7}) Ich-AG: 500 000 Existenzgründungen pro Jahr sind angekündigt gewesen. Es sind 180 000. In der Tat ist das - jedenfalls vordergründig betrachtet - zunächst ein Erfolg, aber nur jede zehnte Gründung einer solchen IchAG überlebt das erste Jahr ihrer Existenz. Neun von zehn werden nicht älter als ein Jahr. Die Insolvenzrate ist überproportional hoch. Im laufenden Jahr müssen Sie für die Ich-AGs aus Ihrem Etat bzw. aus dem der Bundesagentur für Arbeit 850 Millionen Euro ausgeben, damit diese so genannten Ich-AGs bestehen können. ({8}) Ganz absurd wird es nun beim Jobfloater. Dass Sie dieses Thema nicht mehr angesprochen haben, kann ich verstehen, obwohl Sie noch vor zwei Jahren mit großer Emphase diesen Begriff in die deutsche politische Sprache eingeführt und erklärt haben, das sei die Idee schlechthin, um auf diese Art und Weise eine Brücke von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung zu bauen. 240 000 sozialversicherungspflichtige Jobs sollten mit diesem so genannten Jobfloater entstehen. Das ist der größte Jobflop geworden, den wir jemals in der Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben. ({9}) In Zahlen ausgedrückt: 120 000 Jobs pro Jahr sollten es sein. Bis heute hätten es also 240 000 sein müssen. Es sind ganze 12 800 entstanden. Dafür hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau in einem Programm 925 Millionen Euro ausgegeben. Das sind pro Job über 72 000 Euro. Herr Clement, wenn wir an dieser Stelle sagen, dass Steuergelder verschwendet werden und die falsche Politik gemacht wird, dann lässt sich das auch in sehr griffigen Zahlen ausdrücken, die nicht nur etwas mit Milliardenbeträgen zu tun haben, sondern mit Beträgen, bei denen jedermann sofort einsieht, dass man so Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nicht machen kann. ({10}) Nun haben Sie erneut - der Bundeskanzler hat es gestern getan und Frau Merkel in ihrer Erwiderung auf den Bundeskanzler auch - Hartz IV angesprochen. Ich will aus meiner Sicht noch einmal sehr deutlich sagen: Wir stehen dazu, dass wir der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zugestimmt haben. Das war richtig. Ich selbst habe von dieser Stelle aus diese Forderung mehrfach erhoben. Es ist richtig, dass wir Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinanzierte soziale Transferleistung zu einem einheitlichen System zusammenfügen. Trotzdem reißen die Debatten über dieses Thema nicht ab. Dies hat nicht parteipolitische Gründe, sondern das hat sehr objektive Gründe. Ich will Ihnen zwei nennen. Wir bleiben fundamental unterschiedlicher Auffassung darüber, wer in Zukunft die Verantwortung über die Verwendung der Mittel und die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen übernehmen soll. Herr Clement, Sie haben eben in Ihrer Rede selbst das beste Beispiel dafür gegeben, dass das, was Sie jetzt planen, nämlich die Zuständigkeit einer zentralistisch geführten Bundesbehörde, nicht erfolgreich sein kann. Sie selbst haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir nicht mehr zwischen Ost und West unterscheiden dürfen, dass sich die Arbeitsmärkte in Deutschland höchst unterschiedlich entwickeln, und zwar nicht zwischen Ost und West, sondern im Osten wie im Westen. Aber gerade weil das so ist, muss Arbeitsmarktpolitik dezentral organisiert werden. ({11}) Weil nur mit dezentraler Arbeitsmarktpolitik erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik gemacht werden kann, hätten wir uns gewünscht, ({12}) dass Sie die Städte und die Kreise in Deutschland in die Verantwortung genommen hätten, und zwar nicht mit einer Optionsklausel, sondern flächendeckend. Es wäre richtig gewesen, die Städte und Kreise in Deutschland mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ich bleibe bei meiner Kritik. Ich werde gleich noch etwas zum Bürokratieabbau sagen. Sie haben dazu erstaunlicherweise kaum etwas gesagt. Das, was jetzt zum Jahreswechsel 2004/2005 mit der Übertragung der Zuständigkeit an die Bundesagentur für Arbeit geschieht, also auf die regionale Arbeitsverwaltung, wird ein bürokratisches Monstrum werden. Die örtlichen Arbeitsverwaltungen werden ein riesiges Problem haben, dieses Thema wirklich zu schultern, was die Sozialämter in den Städten und in den Kreisen längst hätten machen können und in der Vergangenheit erfolgreich gemacht haben. Deswegen ist es so kritisch gewesen und es bleibt aus unserer Sicht auch so kritisch. Es gibt einen zweiten Grund, der insbesondere für den Osten zutrifft. Es ist, wie ich finde, nach wie vor ein bedauernswerter Zustand, dass wir erstmalig ein Gesetz im Bundesrat verabschiedet gesehen haben, dem der gesamte Westen zugestimmt hat und das der gesamte Osten abgelehnt hat. Das ist, wenn ich mich richtig erinnere, das erste Gesetz nach der Wiedervereinigung - ({13}) - Herr Müntefering, hören Sie mir zu, bevor Sie Zwischenrufe machen. - Ich sage, es ist ein bedauernswerter Zustand, dass dies ein Gesetz ist, das - sozusagen entlang der alten Demarkationslinie - im Osten abgelehnt worden ist und dem im Westen zugestimmt worden ist. ({14}) Ich stehe zu der Zustimmung. Ich sage Ihnen nur: Die kritischen Anmerkungen, die der Ministerpräsident Milbradt aus Sachsen hier zu machen hat, haben an einer wesentlichen Stelle eine sehr gute, nämlich eine in Ihrem Haushalt aufgeschriebene Begründung. Herr Milbradt weist völlig zu Recht darauf hin, dass mit diesem Gesetz der Druck auf Arbeitslose erhöht wird, sich eine Beschäftigung zu suchen und auch eine Beschäftigung anzunehmen. ({15}) Nur, meine Damen und Herren, wenn keine Beschäftigung entsteht, wenn keine Jobs da sind, dann nützt auch der beste Druck nichts, den Sie jetzt auf die Arbeitslosen ausüben. ({16}) Jetzt sage ich Ihnen ganz konkret, was das mit Ihrem Haushalt zu tun hat. Wir haben hier vor einem Jahr eine so genannte Koch/Steinbrück-Liste zum Thema Subventionsabbau diskutiert. ({17}) In dieser Diskussion sind auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ behandelt worden. Wir haben verabredet, dass diese Mittel einmalig gekürzt werden und dass sie dann auf dem alten Plafond fortgesetzt werden. Abweichend von dieser Vereinbarung kürzen Sie jetzt diese Mittel auch und besonders wirksam für den Osten, auch in den nächsten Jahren, also den Jahren 2005, 2006 und 2007. ({18}) Insgesamt kürzen Sie die Mittel entgegen unserer Verabredung um rund 300 Millionen Euro, davon 260 Millionen Euro im Osten. ({19}) Gleichzeitig erhöhen Sie entgegen unserer Verabredung die Subventionen für die Steinkohle. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin davon überzeugt, dass die Steinkohle in Deutschland Zukunft haben muss, jedoch auf einem wesentlich niedrigeren Niveau als gegenwärtig. ({20}) - Das habe ich immer so gesagt, dazu werden Sie keine andere Äußerung von mir finden. - Sie haben aber nach einer Zusage des Bundeskanzlers beim Deutschen Steinkohletag die Subventionen für die deutsche Steinkohle im selben Zeitraum, in dem die GA-Mittel gekürzt werden, noch einmal um 800 Millionen Euro erhöht. Das passt nicht zusammen. ({21}) An dieser Stelle ist die Kritik von Herrn Milbradt völlig gerechtfertigt. Sie können nicht die Basis für Investitionen im Osten entziehen und gleichzeitig Subventionen im Westen erhöhen, weil es dort vielleicht einer gewissen Klientel gefällt und nicht zuletzt weil es Ihnen im Hinblick auf Wahlergebnisse des nächsten Jahres so in den Kram passt. ({22}) Das ist eine Politik, die voller Widersprüche ist. Deswegen, Herr Clement, kann ich Ihnen die Kritik nicht ersparen: Hier machen Sie einen schweren Fehler, der vermeidbar gewesen wäre. ({23}) Sie haben die Energiepolitik angesprochen. Ich will auch dazu eine Anmerkung machen. Uns liegt der Entwurf eines neuen Energiewirtschaftsgesetzes vor, der in den nächsten Wochen und Monaten beraten wird. Der Versuch der letzten Tage, Energiepreiserhöhungen durchzusetzen, hat in der Tat den Beigeschmack, als ob monopolähnliche Strukturen versuchen, Preise durchzusetzen. Darüber, wie man dies in den Griff bekommt, müssen wir reden. Wenn Sie hier allerdings das lobenswerte Beispiel Post und Telekommunikation anführen und sich gleichzeitig gegen die Ex-ante-Regulierung wehren, dann ist das ein Widerspruch. Über die Auflösung dieses Widerspruchs unterhalten wir uns im Herbst. Nur, meine Damen und Herren, ein wesentlicher Teil der Energiepreiserhöhungen in Deutschland hat mit den Monopolstrukturen nichts zu tun; vielmehr sind sie die Folge politisch gewollter Steuer- und Abgabeerhöhungen, die diese Bundesregierung in den letzten sechs Jahren massiv zulasten der privaten Haushalte und der Betriebe in Deutschland durchgesetzt hat. ({24}) Die letzte Strompreiserhöhung hat wenig mit Monopol und sehr viel mit dem novellierten Energieeinspeisegesetz zu tun. Insgesamt hat diese Bundesregierung in den letzten sechs Jahren die Belastung der Strompreiskunden durch Steuern und Abgaben mehr als verfünffacht. Sie haben innerhalb von sechs Jahren die Belastung des Stromes mit Steuern und Abgaben von 2,5 Milliarden Euro auf über 12 Milliarden Euro gesteigert. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu hohe Energiepreise und insbesondere zu hohe Strompreise hat. ({25}) Damit sind wir bei der Steuer- und Abgabenpolitik. Das Ressort des Bundeswirtschaftsministers umfasst auch - wie ich meine: richtigerweise - die Arbeitsmarktpolitik. Aber er hat natürlich eine weit darüber hinausgehende Verantwortung für die Wirtschaftspolitik insgesamt. Zu einer guten Wirtschaftspolitik eines Landes gehört natürlich ein Steuersystem, das angenommen wird und das als Standortfaktor positive Wirkungen entfaltet. Ich hätte mir deswegen gewünscht, dass Sie, Herr Clement, wenigstens einen Satz zur steuerpolitischen Debatte in Deutschland gesagt hätten. Uns liegt seit einigen Wochen eine Untersuchung von der Harvard-Universität und dem Weltwirtschaftsforum über die Effizienz und die Transparenz der Steuersysteme auf dieser Welt vor. 102 Staaten sind untersucht sowie über 5 000 Unternehmen und Fachleute befragt worden. Das ist wahrscheinlich die breitest angelegte Untersuchung, die es jemals über Effizienz und Transparenz der Steuersysteme auf dieser Welt gegeben hat. Auf Platz eins der erstellten Bestenliste liegt Hongkong, dicht gefolgt von Estland, einem neuen Mitgliedstaat der Europäischen Union, auf Platz vier. Dann folgen viele andere Staaten. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bin nicht sicher, ob Sie wissen, auf welchem Platz Deutschland liegt. In dieser Untersuchung liegt Deutschland auf Platz 102, also auf dem letzten Platz. ({26}) - Vielen Dank für den Zuruf. Vielleicht geben Sie ihn noch einmal zu Protokoll. Ich möchte Ihnen ein paar der Länder nennen, die vor uns liegen: Trinidad und Tobago, Ghana, Sambia, Malawi, Haiti, Angola, Nicaragua, Bangladesch. All diese Länder liegen vor uns, natürlich nicht was die Höhe der Steuersätze betrifft! ({27}) - Sie können froh sein, dass die meisten Ihrer Zurufe nicht so verständlich sind, dass sie die Fernsehzuschauer mitbekommen oder dass sie Eingang in das Protokoll finden. Seien Sie froh, dass die meisten Ihrer Zurufe nicht protokolliert werden! Sie sind an Dummheit und Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten. ({28}) Ich führe dieses Thema deswegen in die Debatte ein, weil wir es uns nicht leisten können, auf Dauer ein so komplexes, kompliziertes und intransparentes Steuersystem in Deutschland beizubehalten. Herr Clement, Sie haben von Bürokratieabbau gesprochen. Ich nenne Ihnen zwei große Bereiche, in denen Bürokratieabbau wirklich notwendig ist. Der eine ist die Arbeitsmarktpolitik. Dort machen Sie das glatte Gegenteil von Bürokratieabbau. Sie bauen dort zusätzlich eine riesengroße Bürokratie auf. Der andere ist die Steuerpolitik. Die Steuerverwaltung in Deutschland weiß selbst nicht mehr, wie die Steuergesetze der rot-grünen Bundesregierung vollzogen werden sollen. Deswegen ist Deutschland auf dem letzten Platz der erwähnten Liste. Wenn Sie darüber lachen, empfehle ich Ihnen, einen mittelständischen Betrieb zu besuchen und den Betriebsinhaber und die Betriebsräte zu fragen - diese werden Ihnen sicherlich ein paar Takte dazu sagen können -, wie die Betriebe in Deutschland mittlerweile das Steuerrecht anwenden. Es ist eigentlich die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, darauf aufmerksam zu machen, dass wir aus dem bestehenden Steuerchaos herausmüssen und dass wir ein wirklich radikal vereinfachtes Steuerrecht in Deutschland brauchen. Wir haben dazu Vorschläge gemacht. ({29}) Sie haben vor Jahr und Tag den Masterplan „Bürokratieabbau“ mit großem propagandistischem Aufwand und großen Ankündigungen, jetzt endlich werde mit Bürokratieabbau in Deutschland ernst gemacht, auf den Weg gebracht. Herr Clement, die Weltbank hat gestern eine Studie über Bürokratieabbau auf dieser Welt veröffentlicht. Sie kann man heute in vielen Zeitungen nachlesen. Danach sind 89 große Reformen zum Bürokratieabbau auf der Welt identifiziert worden, davon 36 in den Staaten der Europäischen Union. Aber keine einzige ist in Deutschland identifiziert worden. Wörtliches Zitat: Im Jahre 2003 ist in Deutschland zum Thema Bürokratieabbau nichts geschehen. Das ist die traurige Bilanz Ihrer großen Ankündigungen. Mit vielen Ankündigungen und wenigen Taten, insbesondere beim Bürokratieabbau, geht die Reise in eine andere Richtung. Abschließend zu der von Ihnen angesprochenen Reform der sozialen Sicherungssysteme: Wir alle streiten hierüber. Es geht um äußerst schwierige Sachverhalte, die jeden Bürger in Deutschland in seinem Kernbereich berühren. Deswegen möchte ich jenseits aller Details, über die wir uns noch im kommenden Herbst zu streiten haben, eine allgemeine Bemerkung machen. Die entscheidende Frage ist, ob es uns gelingt, die deutsche Bevölkerung zu einem Wandel der Mentalität zu veranlassen. ({30}) Wir brauchen in Zukunft eine fundamentale Neuabgrenzung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität. Ein Ereignis der letzten Tage ist symptomatisch für Deutschland. Der eine oder andere von Ihnen wird gleich schreien und es als an den Haaren herbeigezogen bezeichnen. ({31}) In der Nacht von Donnerstag auf Freitag - Herr Schmidt, vielleicht haben Sie noch gar nicht registriert, dass das passiert ist - ist die Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar abgebrannt, weswegen große Teile ihres Bestandes vernichtet worden sind. ({32}) Wie reagiert Deutschland auf einen solchen Sachverhalt? Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt stellt innerhalb weniger Stunden, also fast sofort, einen Betrag von 4 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist gut gemeint. Aber sind wir uns eigentlich darüber im Klaren, was das für Wirkungen hat? Große Teile der Bevölkerung haben doch das Gefühl: Also, wenn die das Geld dahaben, dann ist das damit erledigt. ({33}) In vielen anderen Ländern hätte der Staat gesagt: Jetzt etwas zu tun ist in erster Linie gar nicht unsere Aufgabe. Dort hätten die Repräsentanten des Staates - der Bundeskanzler, der Staatsminister für Kultur und andere gesagt: Das ist jetzt die Stunde des großen bürgerschaftlichen Engagements für ein Weltkulturerbe, für das sich alle Menschen in Deutschland interessieren und begeistern lassen müssen. ({34}) Was dort geschehen ist, ist ein typisches Beispiel dafür, wie in Deutschland politisch gedacht und gehandelt wird: Der Staat tritt sofort in Vorlage, statt zu sagen: Dies ist jetzt die Stunde der Bürger und des ehrenamtlichen Engagements. Wir können uns das ganze Gerede über Bürgergesellschaft, über Engagement und über Eigenverantwortung sparen, wenn der Staat schon an einer solchen Stelle sofort wieder in Vorlage tritt und den Bürgern sozusagen das Signal gibt: Wir sind für alles zuständig und die Bürgerinnen und Bürger müssen nur weitgehend auf den Staat vertrauen. ({35}) Dies ist der entscheidende Punkt, über den wir uns politisch auseinander setzen müssen. Wenn wir bürgerschaftliches Engagement und Eigenverantwortung wollen, dann müssen wir es fördern und nicht im Keim ersticken. Wenn Sie die Probleme in unserem Lande lösen wollen, dann sind wir auch bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Wir haben unsere Bereitschaft dazu in den letzten Monaten doch gezeigt. Herr Müntefering, eines ist doch klar: Wenn Sie und wir und alle, die hier sitzen, nicht in kürzester Zeit einen Silberstreif am Horizont aufzeigen können, der andeutet, dass dieses Land aus seiner Krise herauskommt, dann werden wir uns über Jahr und Tag nicht mehr nur über eine ökonomische Krise, sondern über eine fundamentale Sinn- und Akzeptanzkrise der gesamten demokratischen Ordnung unterhalten. ({36}) Sie sollten uns mit Ihren Redebeiträgen von dieser Stelle aus nicht unterstellen, dass wir sozusagen auf Baisse spekulieren, dass wir also versuchen, aus der Krise politisches Kapital zu schlagen. Wir sind über den Zustand dieses Landes tief besorgt. ({37}) - Ihr Gefeixe spricht Bände über die Ernsthaftigkeit, mit der Sie sich über diese Themen zu unterhalten bereit sind. ({38}) Wenn man in Ihre Gesichter schaut, dann erkennt man: Ihr Gefeixe spricht Bände. Wir sind über den Zustand dieses Landes tief besorgt. Sie tragen als Regierungsfraktionen hier die Verantwortung. Wir bieten Ihnen an, dabei mitzuhelfen, dass dieses Land aus der Krise herausfindet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({39})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, ich will aus Ihrem Themenhopping nur einige Punkte herausgreifen; alles werde ich hier nicht behandeln können. Es ist schon erstaunlich, wie Sie beispielsweise versuchen, aus der positiven Tatsache, dass Deutschland Exportweltmeister ist, eine Negativbotschaft abzuleiten. ({0}) Es ist erstaunlich, wie Sie hier darstellen wollen - das kommt nicht an; das sage ich Ihnen auch -, dass notwendige Arbeitsmarktreformen mit von uns geschaffenen neuen Instrumenten angeblich nicht greifen. Auch Sie wissen - Ihr Hinweis auf die Binnenkonjunktur war richtig -, dass eine positive Konjunktur die Voraussetzung für eine positive Entwicklung des Arbeitsmarktes ist und dass die neuen Instrumente, beispielsweise Zeitarbeit und Ähnliches, erst dann wirken können, wenn sich die Konjunktur belebt. Herr Merz, schauen Sie doch hin! Der Minister hat es gesagt und er hat auch die Zahlen genannt: Die Indikatoren zeigen Positives. Wir können das beobachten. Wir sehen mittlerweile auch - vorsichtig, vorsichtig -, dass die neuen Instrumente greifen. Ich nenne nur eines: die Zeitarbeit. Wir können nachweisen, dass wir gerade in diesem Bereich in den letzten Wochen einen enormen Entwicklungsschub gemacht haben. Was machen Sie hier? Ob das Export ist, ob das Arbeitsmarkt ist, ob das binnenkonjunkturelle Entwicklung ist, Sie suchen sich das heraus, was Ihnen passt, um die Entwicklung schlecht zu reden. Das ist Ihr Ansatz. ({1}) Sie wissen offensichtlich überhaupt nicht, worüber Sie reden. Sie haben als nächsten Punkt die HartzReformen thematisiert. Sie sagen, die Reformen müssten durchgesetzt werden. Prima! Ich habe heute Morgen auch gelesen, dass Herr Koch, der noch vor ein paar Monaten die Kommunen zum Boykott der Hartz-Reformen aufgerufen hat, jetzt sagt: Man muss dazu stehen. Gleichzeitig aber machen Sie sich hier einen schlanken Fuß, Herr Merz; denn Sie reden über etwas, was gar nicht Inhalt dieser Reform ist. Sie sprechen von einem bürokratischen Moloch und fordern Dezentralität ein. Der Kern dieser Reform ist Dezentralität. Wir machen mit dieser Reform Folgendes - das wird am 1. Januar 2005 losgehen -: Wir geben den Kommunen, den Regionen vor Ort ein umfassendes Handwerkszeug und auch Geld in die Hand, damit vor Ort mit den regionalen Trägern, mit den Akteuren, mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften zusammen eine Arbeitsmarktpolitik betrieben werden kann, die an den Individuen orientiert ist und die die dezentralen Strukturen nutzt. Herr Merz, Sie stellen die Frage der Option als ein großes Problem dar. Es ist richtig: Nicht alle Kommunen können optieren. Herr Merz, Sie sind im Vermittlungsausschuss mit dicken Backen aufgetreten und haben viele, viele Optionen gefordert. Ich nenne nur ein Beispiel: Baden-Württemberg. Dort sind sechs Optionen möglich. Fünf sind jetzt beantragt. Dort ist die CDU in der Regierung! ({2}) Ich habe am Sonntag mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen gesprochen. Auch er sagte mir: Wir kommen damit gut aus. Vermutlich werden weniger Kommunen optieren. ({3}) Meine Damen und Herren, blasen Sie sich hier also nicht so auf für eine Reform, die Sie durch die Hintertür doch wieder schlecht machen wollen. ({4}) Wir machen im Bereich Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sicherlich gerade die größten Reformen in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir machen sie deshalb erst so spät, weil Sie sich, alle, wie Sie da sitzen, von FDP bis CDU/CSU, in den 90er-Jahren an diese unbequemen Reformen nicht herangewagt haben. Sie haben sich weggeduckt. Von Herrn Merz ist die geschickte Form des Wegduckens wiederum vorgeführt worden. Sie in der Union sind, was den Mut anbelangt, eine Reform auch umzusetzen und durchzusetzen, ein Duckmäuserverein. Ich will Ihnen das auch zeigen. ({5}) Hinter verschlossenen Türen feiern die Hardliner fröhliche Urständ. Da wird dann zum Beispiel gefordert, die Leistung zu reduzieren. Öffentlich wird eine andere Melodie gespielt. Wir haben es hier gehört und wir hören es jeden Tag. Rüttgers will eine Generalrevision der Reform. Milbradt will verschieben, Schonvermögen heraufsetzen. Böhmer will beim Zuverdienst etwas machen. Söder hat unter Tränen beklagt, was mit den Kindersparbüchern passiert. Sie spielen hier mit gezinkten Karten. Sie haben im Vermittlungsausschuss durchsetzen wollen, dass die Leistungen niedriger sind. Sie wollten keine Kinderzuschüsse für Leute mit geringem Einkommen, die verhindern, dass sie in die Sozialleistung abrutschen. Sie wollten Verschärfung der Sanktionen. Sie haben es durchgesetzt, dass die Zuverdienstmöglichkeiten - zum Beispiel bis 400 Euro - erheblich schlechter sind, als wir das wollten. Dort machen Sie also eine Politik, die Verschärfung zum Inhalt hat. Auf der Straße spielen Sie eine andere Melodie. Meine Damen und Herren, das ist unredlich. ({6}) Wir müssen jetzt, hier und heute, die Reformen angehen; dabei steht die Umsetzung im Vordergrund. Deshalb macht es keinen Sinn mehr, noch hier und da Veränderungen zu fordern. Wir werden den Umsetzungsprozess, der am 1. Januar 2005 beginnt, sehr genau beobachten. Diese Reform ist deshalb so notwendig, weil sie eine Etappe markiert: Wir verabschieden uns jetzt von einer Politik, die von Ausgrenzung und Alimentierung geprägt war, und treten in eine Politik ein, die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Es geht darum, ernst zu nehmen, dass Langzeitarbeitslosigkeit eine der schlimmsten Geißeln für die Betroffenen und übrigens auch für die Ökonomie ist. Wir haben in Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Dauer der Arbeitslosigkeit; im Schnitt beträgt sie 32 Wochen. Das ist schlimm für die Betroffenen. Wir müssen ihnen helfen, da schneller wieder herauszukommen. Das ist das Ziel dieser sehr schwierigen und unbequemen Arbeitsmarktreform. Das ist, wie ich glaube, noch nicht überall angekommen, beispielsweise auch nicht bei unseren Freunden vom DGB. Herr Sommer hat letztens - ich glaube, es war vor zwei Wochen - gesagt, mit der Reform werde die Würde der Beschäftigten angegriffen. Ich entgegne darauf: Langzeitarbeitslosigkeit greift die Menschenwürde an. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir diese Politik weiter verfolgen, auch gegen den von Ihnen organisierten Widerstand. Wir können nicht akzeptieren, dass es in Deutschland zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen gibt: die einen in der Arbeitslosenhilfe, die anderen in der Sozialhilfe. Dabei haben die, die von Sozialhilfe leben, so gut wie keine Chance, wieder in den Arbeitsmarkt hereinzukommen, da sie keinen Zugang zu den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Reform. Gegen diese Neuorientierung hin auf Integration wird jetzt von außen mit Ihrer Unterstützung - ich nenne beispielsweise Herrn Milbradt ({7}) vorgegangen und Wind gemacht. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal an die Adresse all derjenigen, die jetzt auf MontagsdemonsDr. Thea Dückert trationen oder anderswo falsche Parolen gegen dieses Gesetz in Umlauf bringen, ({8}) Folgendes zur Klarstellung sagen: Es ist schlichtweg falsch, dass die Leute, wie es beispielsweise die PDS unermüdlich behauptet, massenhaft ihre Wohnungen verlassen müssten. Sie haben vielmehr die Möglichkeit, in ihren Wohnungen zu bleiben. Angemessener Wohnraum wird zugestanden. Auch andere Dinge sind übrigens verbessert worden; so werden sogar die Zinsen für Darlehen weiter gezahlt, wenn es sich um eine Eigentumswohnung handelt. Die Menschen, die das neue Arbeitslosengeld II beziehen, werden alle sozialversichert sein. Es handelt sich um eine Verbesserung für all diejenigen, die vorher Sozialhilfeempfänger waren. Denjenigen, die immer wieder das Prinzip „Fördern und Fordern“ problematisieren, sage ich: In diesem Gesetz wurde eine richtige Balance zwischen Fördern und Fordern gefunden. Ich nenne beispielsweise die Maßnahmen für Jugendliche. Jugendliche haben erstmals Anspruch auf eine elternunabhängige Leistung. Das wollten Sie von der Union übrigens nicht. Ab 1. Januar haben sie auch einen Rechtsanspruch auf ein Arbeits- oder Ausbildungsangebot. Dem steht gegenüber, dass ihnen, wenn sie Angebote nicht annehmen, die Leistungen für eine bestimmte Frist gestrichen werden. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass diese beiden Punkte, nämlich auf der einen Seite das neue Angebot einer Unterstützung in Form einer eigenständigen Leistung und auf der anderen Seite die Forderung nach eigener Aktivität, in guter Weise beschreiben, was dieses Gesetz will, nämlich fördern und fordern. Wir werden in Zukunft speziell auf das Fördern unser Augenmerk richten. Das Gesetz hat Schwächen. Für viele dieser Schwächen sind Sie von der Opposition verantwortlich. ({9}) Ich nenne nur zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen. Allen Kritikerinnen und Kritikern, die uns anmailen und von uns fordern, diesen Punkt zu ändern, sage ich: Schickt eure Beschwerden bitte zielgerichtet und direkt an die CDU/ CSU und an die FDP; denn die haben uns diese Regelungen im Gesetz eingebrockt. ({10}) Wir werden natürlich eine Debatte über das Thema Lohndumping führen müssen. Wir werden beobachten müssen, ob es zu Lohndumping kommt, und eventuell Maßnahmen dagegen ergreifen müssen. Eine Maßnahme kann durchaus ein branchenbezogener Mindestlohn sein, wenn die Tarifautonomie dadurch gewahrt bleibt. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Wir brauchen auf jeden Fall eine Debatte, denn wir wollen nicht das Lohndumping, das Sie durchgesetzt haben. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Aber ich möchte an dieser Stelle noch auf einen fundamentalen Unterschied in unseren arbeitsmarktpolitischen Ansätzen hinweisen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist wirklich der letzte Satz, Herr Präsident. Frau Merkel hat gestern den flächendeckenden Niedriglohnsektoren, mit viel Geld staatlich subventioniert, das Wort geredet, übrigens ohne Gegenfinanzierungsvorschlag. Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik, die für das Individuum, für den Langzeitarbeitslosen Brücken in den Arbeitsmarkt baut, finanziert durch Lohnkostenzuschüsse, durch eine ganze Reihe von Angeboten. Wir sehen keine Möglichkeit, den Menschen in Deutschland in irgendeiner Weise durch einen flächendeckenden Niedriglohn zu helfen; das wäre auch ökonomisch fatal. ({0}) Wir können mit Tschechien nicht konkurrieren, meine Damen und Herren. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Clement, auch ich will mit einer Bemerkung zu Herrn Tacke beginnen. Es ist unbestritten, dass Herr Tacke ein hoch qualifizierter, verdienter Staatssekretär ist. Es ist auch völlig unbestritten, dass ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft wünschenswert ist. Aber für mich ist und bleibt es schlechter politischer Stil, wenn ein Staatssekretär, der kurz vor der Bundestagswahl eine höchst umstrittene Ministererlaubnis gegen das Kartellamt und gegen die Monopolkommission durchgezogen hat und damit die Fusion von Eon und Ruhrgas mit einem Marktanteil von 85 Prozent - das soll mir einer erläutern, dass man in einer sozialen Marktwirtschaft einen Marktanteil von 85 Prozent braucht ermöglicht hat ({0}) - was haben Sie bis hin zum Regierungssprecher in dieser Geschichte nicht alles verkündet; heute sind Sie schön ruhig -, anschließend bei einem wesentlich von Eon Ruhrgas bestimmten Unternehmen Vorstandsvorsitzender wird. Ich empfehle Ihnen dringend, einen Ehrenkodex zu entwickeln, in dem wenigstens eine Schamfrist fixiert wird. Es geht nicht um eine Rechtsfrage; das hat der Ausschuss heute geklärt. Beamtenrechtlich ist nichts zu beanstanden, denn er scheidet aus dem öffentlichen Dienst aus. Aber guter politischer Stil ist das für mich nicht; es dient nicht dazu, das Ansehen der Politik in der Bevölkerung zu stärken. ({1}) Wir befinden uns im vierten Jahr der Stagnation der Binnenwirtschaft. Kernbereich wirtschaftlicher Belebung ist der private Konsum. Fast 60 Prozent des Sozialprodukts entstehen durch den Konsum. Dort kommen wir im vierten Jahr in Folge nicht voran. Heute hat das Kieler Institut seine Wachstumsprognose für das nächste Jahr auf 1,2 Prozent gesenkt. Sie kennen die Risiken draußen. Wir profitieren - ich füge hinzu: Gott sei Dank - von Boomregionen wie China und Teilen Amerikas. Der Export ist davon abhängig; er ist in der Tat ein Stück geborgte Wertschöpfung - Herr Kollege Merz hat dazu Ausführungen gemacht -; denn vieles, was als Siemens-Produkt verkauft wird, beinhaltet China. Das ist alles begrüßenswert. Aber die Risiken - die Überhitzung in China, die Entwicklung in Amerika - sind sehr groß. Das Entscheidende ist: Der Transmissionsmechanismus, das Überspringen der Exportimpulse auf die Binnenkonjunktur, funktioniert nicht mehr. Das hat seine Ursache. Es liegt an der tiefen Verunsicherung der Verbraucher und von Teilen unserer Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands. Deshalb birgt Ihr Haushalt große Risiken. Mein Kollege Niebel wird zu den Wackelpositionen bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit später noch detailliert Stellung nehmen. Ihre Inkonsistenz und die fehlende Klarheit der Politik verstärken die Verunsicherung in der Bevölkerung und deshalb kommen wir nicht voran. Herr Bütikofer erklärt gestern, die Erbschaftsteuer müsse erhöht werden; das betrifft zu zwei Dritteln die Betriebsübergänge. Frau Simonis will die Mehrwertsteuer erhöhen. Dadurch wird die Verunsicherung ständig vergrößert. Es ist ein natürlicher Reflex, sein angespartes Geld zurückzuhalten, wenn man nicht weiß, ob man einen Job bekommt oder seinen Job behält. Die Sparquote hat eine Rekordhöhe von über 11 Prozent erreicht. Eine hohe Sparquote ist aber nicht hilfreich in einer Situation, in der die Binnenkonjunktur anspringen muss. Denn sie macht 60 Prozent des Bruttosozialprodukts aus. ({2}) Da hilft uns der Export allein nicht weiter und der Staat kann eh nicht eingreifen. Die Situation in Europa hat sich verschärft. Mit dem Beitritt von zehn weiteren Ländern zur Europäischen Union sind Länder wie Estland und Slowenien hinzugekommen, in denen es eine Flat Tax gibt. Das heißt, bis zu einer bestimmten Grenze gilt Steuerfreiheit und die maximale Besteuerung liegt bei unter 20 Prozent. Es wird den Firmen und Holdings bald relativ egal sein, ob sie ihren Sitz in Tallin oder in Ljubljana bzw. in Düsseldorf oder Berlin haben. Der Unterschied liegt darin: Hier zahlen sie mehr als 50 Prozent Steuern und dort weniger als 20 Prozent. Wir haben Niedriglohngebiete auf dem gemeinsamen Binnenmarkt. Die Relation der Facharbeiterlöhne zwischen Deutschland und Polen beträgt eins zu zehn bis eins zu zwölf. Die IG Metall hat bei den großen Konzernen kapiert - die können ihren Standort nämlich schnell verlagern -, dass sich etwas tun muss. Dort akzeptiert sie Nullrunden. Wir brauchen aber auch einen Spielraum beim Mittelstand. Denn im Mittelstand entstehen die Jobs und nicht in den großen Konzernen. ({3}) Im Mittelstand haben wir Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren. Eine Gewerkschaftspolitik, die sich auf die Großkonzerne konzentriert, ist falsch angelegt. Man muss in diesem Zusammenhang folgendes Tabuthema ansprechen. Die paritätische Mitbestimmung in Deutschland ist eine Fehlentwicklung. Ich weiß sehr gut, wie sie entstanden ist. Das ist die Gedankenwelt der Wirtschaftsdemokratie: Es war die Zeit der Gemeinwirtschaft, der Neuen Heimat und der Bank für Gemeinwirtschaft - die kennt gar keiner mehr; dort wurden viele Arbeitergroschen versenkt. Damals entstand die Idee, dass man etwas anderes dazwischen erfinden müsste, eine Art Rätesystem. Dieses System ist zunehmend ein Standortnachteil. Andere werben inzwischen damit, die Holdings nach Holland oder in die Schweiz zu verlagern, weil es dort solche Regelungen nicht gibt. In der Diskussion, ob die Deutsche Bank mit einem anderen großen europäischen Bankinstitut zusammengeht, war immer klar, dass der Standort in Luxemburg oder in London sein würde, weil es dort andere Regelungen gibt. Man muss offen darüber reden, dass sich ein Mechanismus entwickelt hat, der ein Standortnachteil geworden ist. Dieses Thema kann man nicht einfach tabuisieren und fortschreiben; darüber muss ein Dialog stattfinden. ({4}) Nächster Punkt: Energiegipfel. Ich bin froh, dass der Bundeskanzler unsere Anregung aufgegriffen hat und jetzt zu einem entsprechenden Gipfel eingeladen hat. Aber ein bisschen zwiespältig ist es schon. Diese Bundesregierung hat den Konzentrationsprozess am Gasmarkt - 85 Prozent Marktanteil - zugelassen und wundert sich jetzt, dass die Gaspreise steigen. ({5}) Wettbewerb ist der beste Schutz vor überzogenen Preisen. Deshalb gilt es, den Wettbewerb zu stärken. Die Regulierungsbehörde kommt nicht in die Pötte. Ich bin kein Freund der Regulierungsbehörde. Es wäre besser, die Kompetenzen wären bei einer Wettbewerbsbehörde, dem Kartellamt, konzentriert. Die Regulierungsbehörde funktioniert nicht, weil Sie keine vernünftigen Regelungen hinbekommen. Wahrscheinlich haben die Grünen noch einen Postenwunsch. Sie kriegen die Energiewirtschaftsgesetzverordnung nicht hin. Da besteht seit einem Jahr Unsicherheit; sie ist immer noch nicht in Kraft. Das verunsichert natürlich die Energieunternehmen. Sie senden falsche Signale aus. Sie sollten überdenken, ob das ERP-Sondervermögen, das einen Symbolgehalt für den Mittelstand hat, verkauft und der KfW als Eigenkapitalhilfe übertragen werden soll. Das soll wahrscheinlich deshalb gemacht werden, damit Herr Eichel seine Telekom- und Postaktien besser platzieren kann. ({6}) Denn es handelt sich um Aktien mit einem Kursrisiko, das durch Eigenkapital abgedeckt werden muss. Das ist der falsche Ansatz. Herr Clement, Sie sind so etwas wie der letzte Mohikaner der Marktwirtschaft in dieser Regierung. ({7}) Die anderen roten Brüder haben sich schon längst in die Büsche geschlagen. Sie träumen wahrscheinlich davon, wie sie in der Opposition Marterpfähle wie Bürgerversicherung und Steuererhöhungen, mit denen die deutsche Volkswirtschaft getroffen werden soll, errichten können. ({8}) Was Sie zur Forschung gesagt haben, unterschreibe ich alles. Man muss an das Thema Biotechnologie herangehen. Auf diesem Gebiet gibt es im Moment noch Entwicklungshemmnisse in Deutschland. Warum gehen Sie nicht wirklich glaubwürdig an den Bürokratieabbau heran? Wir diskutieren seit Jahrzehnten - auch mein Verein - über den Abbau von Bürokratie. Ich sehe nur einen Weg, wie wir es schaffen können: Sie müssen die kommunale Selbstverwaltung und damit den Föderalismus in den Wettbewerb einbeziehen. Lassen Sie doch beispielsweise die Ostländer Gesetze außer Kraft setzen! Lassen Sie Kommunen den Spielraum, Gesetze außer Kraft zu setzen! Nur wenn wir den Wettbewerb innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung und des föderalen Systems nutzen - wer Arbeitsplätze schafft, Investitionen anzieht und wer eine geringere Regelungsdichte hat, hat den attraktiveren Standort -, kommen wir voran. Sonst fördern wir nur die Auswanderung aus Deutschland. 120 000 Spitzenkräfte in Forschung, Wirtschaft und Wissenschaft verlassen Deutschland jedes Jahr. Kaum einer kommt zurück. Kapital wandert aus, weil die Situation bei uns so schwierig ist und weil wir keine Beweglichkeit und Flexibilität hinbekommen. Da liegen Sie zwar im Ansatz richtig; aber mehr erreichen Sie nicht. ({9}) Ich will nicht wiederholen, was Kollege Merz richtigerweise angesprochen hat. Sie haben auf die Energiepreise permanent Belastungen geknallt. Die damalige Liberalisierung hat eine Entlastung von 18 Milliarden DM gebracht. Die ist voll geschluckt worden. Damit werden die Windrädchen der Grünen finanziert. Diese sollen ein Drittel der Kernenergie ersetzen. Ich halte es übrigens für falsch, dass wir aus dieser Technologie ausgestiegen sind. Wir sollten uns sehr wohl überlegen, diese Technologie weiterzuentwickeln und die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. ({10}) Wir werden noch große Probleme bekommen. Lieber deutsche Ingenieure als verrückte Derwische in Nahost als Garanten unserer Energieversorgung! Sie haben einen falschen Ansatz gewählt. Wir brauchen das Vertrauen der Bevölkerung. Es ist nicht vorhanden, weil es keinen klaren Kurs gibt. Schauen Sie einmal die Ergebnisse im Saarland und die Umfragen in Sachsen an! Das Schlimme im Saarland ist: Rund 10 Prozent der jungen Wähler bis 25 Jahre haben NPD gewählt. Die Wähler der NPD sind keine alten Nazis, sondern junge Leute. Wir alle haben nur ein begrenztes Zeitfenster, um notwendige Veränderungen zu vollziehen; ansonsten werden alle Parteien verlieren. Schauen Sie einmal über die Grenzen unseres Landes! Ich bin in der Südpfalz aufgewachsen. Das Elsass ist eine wohlhabende Region. Dort ist kein Militär einmarschiert; dort waren keine Panzer. Bei der letzten Regionalwahl hat der Front National, die DVU Frankreichs, mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten. Schauen Sie nach Italien! Da gibt es im Grunde keine Sozialdemokratie und keine liberale Partei. Die Democrazia Cristiana ist eine Splitterpartei, die 1 Prozent der Stimmen erhält. Dort gibt es völlig andere politische Strukturen, wobei ich nicht glaube, dass wir mit diesen Strukturen glücklicher wären. Deshalb ist es höchste Zeit. Was zu tun ist, wissen wir. Dies steht jedes Jahr im Gutachten des Sachverständigenrats. Es ist in Veröffentlichungen der Bundesbank und des IWF nachlesbar. Die Europäische Kommission mahnt Deutschland, endlich glaubwürdige, mit Prinzipien und Charakter versehene Reformen durchzuziehen. Warum tun wir das nicht? Warum verharren wir vordergründig bei Detailpunkten, während das Land weiter vor sich hindümpelt? 6 Millionen Arbeitslose sind 6 Millionen Schicksale, die nach Veränderung schreien. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von der SPD-Fraktion. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie alle Jahre wieder: Herr Brüderle bläst Trübsal und lässt die Welt untergehen. Herr Merz teufelt schneidig aus dem Handtäschchen von Frau Merkel, ({0}) und zwar mit herzlich wenig Kenntnissen versehen. ({1}) Alle seine Prognosen sind am unteren Rand. Er nimmt nicht zur Kenntnis, was die Fachleute sagen, weil er ansonsten nicht mehr anklagen könnte. Er ist ein gelehriger Schüler von Franz Josef Strauß: nur anklagen. ({2}) Was er zum Export erzählt, ist Unsinn. Wir haben mit der internationalen Arbeitsteilung in der Wertschöpfungskette der Exportindustrien Erfolg gehabt. Wir haben mehr Arbeitsplätze als vorher, auch wenn die eine oder andere Arbeitsteilung notwendig war und notwendig bleiben wird. ({3}) Man sollte zumindest die Zahlen zur Kenntnis nehmen und man sollte froh sein, dass Deutschland in der Welt von morgen und insbesondere in einer Zeit, in der sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft in Richtung Asien bewegt, eine starke Exportnation ist und bleibt. Wir sollten alles dafür tun, dass wir an dieser Stelle stark bleiben, und sollten uns nicht mit Mäkeleien aufhalten. ({4}) Was Herr Merz über die PSA sagt, ist pure Mäkelei. ({5}) Was er über die Ich-AGisten sagt, ist im Grunde völlig daneben. Noch nicht einmal ein Jahr wirkt das Instrument und schon weiß Herr Merz, dass nur 10 Prozent überleben. ({6}) Sie plaudern nur die Dampfplaudereien von Herrn Philipp nach. Dieser will keine Ich-AGs. Sie wollten die Ich-AGisten von vornherein nicht haben. Darum mussten Sie sie schon von vornherein zum Untergang verurteilen. Herr Clement geht den richtigen Weg. Wir unterstützen die Ich-AGs jetzt mit Qualifizierungen und mit Businessplänen. Wir sollten den Menschen Mut machen und nicht sagen; jeder Zehnte wird scheitern. ({7}) Besonders unsinnig waren die Bemerkungen zum Jobfloater. Es hörte sich an, als hätten wir Geld in einer Zeit weggegeben, in der die Kreditwirtschaft den Mittelstand hat verhungern lassen. In dieser Situation hat der Jobfloater der KfW dazu beigetragen, dass Investitionen wieder in Gang gekommen sind. Es waren keine Zuschüsse, sondern Kredite, mit denen Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Dafür muss sich niemand entschuldigen. Wäre Herr Merz auf der Höhe der Zeit - als Verwaltungsratsmitglied der KfW müsste er es eigentlich sein -, wüsste er, dass die Jobfloater längst in die Kategorie Unternehmerkredit weiterentwickelt worden sind und dass die KfW daraus ein wirklich Wachstum schaffendes Finanzierungsinstrument gezaubert hat. Dies alles erfolgte, wie gesagt, in einer Zeit, in der die Banken ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden sind. ({8}) Einen besonderen Pappkameraden stellen seine Anmerkungen zu Hartz IV dar. Er beklagt die fehlende Dezentralisierung, obwohl das ganze Konzept auf Dezentralisierung angelegt ist. Wir haben immer gesagt, dass im Gegensatz zu Ihrer Zeit, als Herr Stingl und andere das Sagen hatten, nicht mehr der Wasserkopf in Nürnberg alles entscheiden darf, sondern die vielen kreativen Köpfe vor Ort die notwendigen Entscheidungen treffen sollen. Schauen Sie doch wenigstens einmal ins Gesetz hinein, bevor Sie polemisieren! Es wäre dann im Hinblick auf die politische Kommunikation vielleicht leichter. Meine Damen und Herren, um das, was er heuchlerisch - ({9}) - Vielleicht auch nicht. Ich nehme das Wort Krokodilstränen; das klingt etwas neutraler. - Hinsichtlich dessen, was er zur Ost-West-Spaltung gesagt hat, muss ich seinem Gedächtnis ebenfalls nachhelfen. All das, was momentan bestritten wird, haben die Herren Ministerpräsidenten aus den neuen Ländern kurz vor Weihnachten mit verabschiedet. Heute geht es nicht um das, wogegen sie im Juli gestimmt haben; für die Frage der kommunalen Option hat sich bei den Montagsdemonstrationen kein Mensch interessiert. Die Grundentscheidung ist mit der Zustimmung von Herrn Milbradt im Dezember gefallen. Damals hat er die 349 Millionen Euro gerne mitgenommen. ({10}) Auch das, was Sie zum Haushalt der GA sagten, ist falsch. Meine Damen und Herren, wir haben bei der GA nachgebessert. ({11}) Dort, wo es um ein paar aktuelle Dinge am Rand geht, werden wir es auch noch hinbekommen. ({12}) - Entschuldigung, es ist bei den Haushaltssperren und den Verpflichtungsermächtigungen nachgebessert worden. Inzwischen können die Länder über den größten Teil der Mittel verfügen. Jetzt geht es noch um ein Delta, ({13}) weil die Baransätze für die Folgejahre mit den Verpflichtungsermächtigungen noch nicht hundertprozentig übereinstimmen. Auch dies werden wir noch hinbekommen. Das ist eine Folge der Verabredungen von Koch und Steinbrück. ({14}) Daran, dass Mittel nicht vorhanden sind, wird jedenfalls keine Investition scheitern. ({15}) - Das werden Sie nicht erleben. Das würden Sie zwar gern beklagen; das werden Sie aber nicht erleben. Was der Bierdeckelexperte dann zu Steuern und Abgaben im internationalen Gefüge sagte, folgte der Methode: Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe. Inzwischen habe ich mir von Karl Diller sagen lassen, dass der von Herrn Merz zitierte famose Professor auf Malta so viele Unternehmen wie in Deutschland befragt hat. Sie haben sich hier also auf ein verdammt „repräsentatives“ System bezogen. Bevor man hier über das komplexe Steuersystem in Deutschland redet, sollte man lieber über Berater reden, die die Kommunen und den Staat um ihren gerechten Anteil am Unternehmensertrag bringen wollen. ({16}) Unser Steuerrecht ist nur deshalb so komplex geworden, weil viele den stillen Gesellschafter Staat um seinen Anteil bringen wollen, gleichzeitig aber beklagen, dass zu wenig in Infrastruktur oder Bildung investiert werde. Herr Austermann, Sie mit Ihren Zahlenprognosen sind ohnehin kein guter Kronzeuge. ({17}) Herr Merz sollte sich mehr um Herrn Rüttgers kümmern. Er hätte genug damit zu tun, wenn er seinen Rückwärtsund Vergangenheitsminister nach vorne holte. ({18}) Meine Damen und Herren, niemand kann davon ablenken, dass die Erholung der Wirtschaft in Gang kommt. Niemand kann davon ablenken, dass die Exporte brummen und Marktanteile in der Weltwirtschaft errungen worden sind. Auch wenn Sie sich noch so sehr in Ihrem Bärenstall suhlen wollen, auch wenn Ihnen der Sumpf noch so sehr gefällt, der Sonnenstrahl des Optimismus wird Ihren Sumpf des Pessimismus austrocknen. Es wird dort zunehmend ungemütlich. ({19}) Die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn die deutsche Wirtschaft zu Ihrer Regierungszeit solche Rahmenbedingungen gehabt hätte, wie sie heute bestehen, hätte sie Feste gefeiert, gegen die der Tanz um das Goldene Kalb ein kleiner Event gewesen ist. Das muss man Ihnen immer wieder entgegenhalten. Noch nie waren die Steuern für die Untenehmen so niedrig wie heute. Die Lohnnebenkosten sinken und die Gesundheitsreform wirkt. Mit der Gesundheitsreform war das auch so eine Sache. Als wir sie mit Ihnen zusammen ausgearbeitet haben, hat sich Horst Seehofer feiern und fotografieren lassen und von der glücklichsten Nacht seines Lebens schwadroniert. Mancher hat damals gezweifelt, ob er noch nichts Anständiges erlebt hat. ({20}) Dann ist er davongelaufen und wollte die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Jetzt hat Ulla Schmidt das Kind großgezogen, jetzt würde er sich wieder gern mit dem Töchterchen fotografieren lassen. ({21}) Diese Art und Weise kann weiß Gott nicht angehen. Die Gesundheitsreform erzielt gerade erste Wirkungen und die Arbeitsmarktreformen schaffen bei den Beteiligten neues Vertrauen in die Handlungsfähigkeit dieses Landes. Schauen Sie sich doch an, was wir zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und im Bereich der Schulen geleistet haben. Damit wollen wir die künftige Erwerbstätigkeit von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Das ist eine Riesenaktion für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Wir wollen damit das Potenzial der Frauen für dieses Land voll nutzbar machen und gleichzeitig die Chancengleichheit verbessern. ({22}) Schauen Sie sich an, was wir für die Kommunen tun: Die Steuerreform hat gegen Ihren Widerstand Verbesserungen für die Kommunen gebracht; 2,5 Milliarden Euro werden durch die Arbeitsmarktreform freigesetzt, ({23}) das heißt, das Handwerk kann wieder auf kommunale Investitionen bauen. Wir fordern die Innenminister der Länder von dieser Stelle aus auf: Lockert den Schuldendeckel in den Städten und Gemeinden, die noch unter Kuratel stehen. Die Steuersenkungen und die Entlastungen durch Hartz IV sind nicht beschlossen worden, um Schulden von einem Titel auf den anderen zu buchen, sondern sie sind beschlossen worden, um wieder Investitionen in den Kommunen zu finanzieren. Darüber sollten wir uns miteinander unterhalten. Hier müssen alle Chancen genutzt werden. Dann lacht auch Ernst Hinsken wieder. ({24}) Auch der Haushalt trägt dazu bei, und zwar in der Fassung, in der wir ihn vorgelegt haben. Wir gehen nicht vor wie Herr Stoiber, der hier mit seiner 5-Prozent-Rasenmähermethode alles durcheinander bringt, oder wie Herr Austermann, der von der Hälfte des Preises spricht. Das ist übrigens wieder typisch Union: Die einen singen das Lied „Spart!“ und die anderen singen das Lied „Gebt mehr aus!“. Das ist die reinste Kakophonie. Moderne Musik ist im Vergleich zu dem, was Sie hier aufführen, ein Ohrenschmaus. Sie müssen die Konsequenzen ziehen und deutlich machen, was Sie eigentlich wollen. ({25}) Wollen Sie, dass der Haushalt seinen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur leistet, oder möchten Sie lieber alles abwürgen? Wenn Sie Letzteres wollen, könnten die Pessimisten unter Ihnen wieder klagen. Wir werden ihnen diese Gelegenheit aber nicht geben. ({26}) Hören wir auf, den Aufbau Ost schlecht zu machen! Auch im Osten ist das Glas mehr als halb voll. Wenn ich die von Ihnen zu verantwortende Überhitzung der Bauwirtschaft - Sie haben durch Ihre Abschreibungsmodelle eine Fehlinvestitionswelle im Osten ausgelöst, die jetzt abebben muss - außer Acht lasse, kann ich feststellen: In der gewerblichen Wirtschaft kommt der Aufbau Ost voran und wir sollten niemandem erlauben, das mies zu machen. Schauen Sie nach Dresden! Was haben der Bundeswirtschaftsminister und Edelgard Bulmahn in Dresden geleistet! Wir können darauf stolz sein, dass sich die ITRegion so entwickelt hat. Bedanken Sie sich dafür, statt alles mies zu machen! ({27}) - Was heißt „Herr Milbradt“? Ohne das Geld von Edelgard Bulmahn hätte Herr Milbradt auf Demonstrationen mit dem Fähnchen hinterherlaufen, aber nicht investieren können. ({28}) Das konnte überhaupt nur mit dem Geld der Bundesregierung gehen. ({29}) Es gehört zum Grundanstand, einen gemeinsam errungenen Erfolg auch gemeinsam zu feiern und nicht zu versuchen, die Partner zu betrügen. ({30}) Der Aufbau Ost kommt voran. Die I-Zulage ist sichergestellt und die letzten Ungereimtheiten der Gemeinschaftsaufgabe werden so beseitigt, dass im Osten keine Investitionen verloren gehen werden. ({31}) - Im letzten halben Jahr ist eine Menge passiert. ({32}) Wir sagen den Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Osten aber auch: Wir brauchen mehr Mut zur Selbstständigkeit. Wir werden den Schwerpunkt auf die Gründung neuer Unternehmen setzen müssen. Es kann keiner darauf warten, dass ihm gebratene Tauben in Form von Investitionen aus dem Westen ins Land fliegen. Wir müssen hier Hilfe zur Selbsthilfe organisieren. Dafür hat diese Koalition mit der Mittelstandsfinanzierung eine Menge getan. ({33}) Wir haben die Steuern deutlich gesenkt. Wenn der Aufschwung kommt, kann wieder Eigenkapital aufgebaut werden. ({34}) Die Mittelständler haben ganz erhebliche Probleme. Wir haben aber mit der Restrukturierung der Mittelstandsbank des Bundes die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Mittelstand Beteiligungskapital bekommt, ohne an die Börse gehen zu müssen, dass er in den Genuss der Mezzanininstrumente sowie der Nachrangdarlehen kommt. In diesem Herbst werden die entsprechenden Gründungsfonds, die Dachfonds, eingerichtet, was der Bundeswirtschaftsminister eingeleitet hat und wofür wir die steuerlichen Voraussetzungen geschaffen haben. Das Hauptproblem war, dass sich die hier gestern von Michael Glos so bedauerten Banken mit ihren Investmentbankern an den internationalen Börsen verspekuliert und Geld in der Größenordnung von zwei bis drei Bundeshaushalten verloren haben. Sie haben dann den Mittelstand nicht mehr mit Krediten versorgt, sodass selbst der normale Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhalten werden konnte. Hier haben Wolfgang Clement und Hans Eichel mit der KfW dem Mittelstand mit neuen Programmen unter die Arme gegriffen und dafür bin ich dankbar. ({35}) Jetzt fängt selbst die Deutsche Bank an, über den Kreditkanal zu klagen, obwohl sie früher selbst zu den Schlimmsten gehört hat. Fragen Sie einmal die Mittelständler in den Flächenstaaten, wie die Bank mit ihnen umgegangen ist! - Herr Präsident, der Kollege Hinsken möchte meine Redezeit verlängern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Stiegler, ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie die Zwischenfrage zulassen wollen.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stiegler, Sie haben eben das Hohelied des Mittelstands gesungen und darauf verwiesen, dass es gilt, Existenzen zu sichern und neue Existenzen zu schaffen. Meine Frage lautet deshalb: Worauf führen Sie es zurück, dass allein in den letzten zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland 80 000 Betriebe in Konkurs gegangen sind und diese Zahl in letzter Zeit leider wieder steigt und somit zu befürchten ist, dass es in diesem Jahr sogar einen neuen Konkursrekord in der Bundesrepublik Deutschland gibt?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich empfehle die Studie der Creditreform. Ihr kann man entnehmen, dass die Gründe dafür sind: 75 Prozent eigene Schuld, kein Controlling, keine Unternehmensplanung, zu einem großen Teil fehlendes Eigenkapital. ({0}) Unsere Maßnahmen zielen genau auf diese Punkte: Der Beratungsetat wird entsprechend erhöht. Es gibt auch verstärkt die Möglichkeit, Beteiligungskapital zuzuführen. Hinzu kommt, dass viele Banken in den letzten Jahren aufgrund ihrer eigenen Krise den Kredithahn zu früh zugedreht und dadurch Zehntausende von Unternehmen ruiniert haben, die eigentlich hätten überleben können. Das habe ich in meiner Region immer wieder erlebt. Jetzt, da die KfW und auch die Landesförderbanken zur Unterstützung bereit sind, gibt es wieder Überbrückungsdarlehen und auch Kredite für Sanierungen. Aber der Mittelstand muss sich auch Kenntnisse über moderne betriebswirtschaftliche Instrumente aneignen. Die Hosentaschenbuchhaltung hat ein Ende. Eine mittelfristige Finanzplanung gehört ebenfalls dazu. Man kann nicht immer sagen, die bösen Rahmenbedingungen hätten den Mittelstand ruiniert. ({1}) Gerade als Handwerksfunktionär muss man sich auch einmal an die eigene Nase fassen und fragen, wer vielleicht mit Schuld hat. Das sind nicht immer der Staat und die Rahmenbedingungen. Man muss sich fragen, ob man alles getan hat, was man heute für eine kaufmännische Unternehmensführung braucht. ({2}) Meine Damen und Herren, zum Thema Beteiligung gehört auch die Mitarbeiterbeteiligung. In Zukunft werden wir Mitarbeiter in zunehmendem Maße ermutigen müssen, sich an den Unternehmen, in denen sie arbeiten, zu beteiligen. Hier besteht noch die Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Mitarbeiter werden nicht dem reinen Shareholder-Value-Denken verfallen, sondern gerade in Zuliefererbetrieben und in ländlichen Regionen zur Stabilität ihrer Unternehmen beitragen. Wir haben die Weichen in Richtung Wachstum des Sozialprodukts und nicht nur in Richtung Verteilung des Sozialprodukts gestellt. Es wird eine große Aufgabe sein, nun eine neue Kultur der Selbstständigkeit zu begründen. Dazu gehören die Qualifikation und die notwendige Finanzierung. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einer Branche Dank sagen, die sehr viel für unsere Arbeitsund Ausbildungsplätze tut, dem Tourismus. Sie hat in den letzten Jahren weiß Gott einen großen Beitrag geleistet. Wir wünschen dem Tourismus, gerade dem Deutschlandtourismus, durch die Weltmeisterschaft Erfolge. Ich danke dem Bundeswirtschaftsminister, dass die Zuschüsse an die Deutsche Zentrale für Tourismus stabil geblieben sind, sodass wir den Incoming-Tourismus entsprechend fördern können. ({3}) - Im letzten Jahr gab es in diesem Bereich einen Zuwachs an Ausbildungsplätzen. Ich denke, wir werden hier auch in Zukunft vorankommen. Jedenfalls müssen wir alles dafür tun, dass diese Branche ihren Beitrag leistet. Zur Energiepolitik hat Wolfgang Clement alles gesagt. Aber ich warne Sie vor kurzatmigem Populismus, wenn Sie meinen, jetzt über die Unternehmen herfallen zu können. Sie kriegen die Prügel, die sie brauchen. Wer Luftballonpreiserhöhungen ankündigt und sich dann, wenn auf diese Luftballons geschossen wird, zurückzieht, der ist nicht sonderlich seriös. Grundsätzlich ist aber klar: Wir werden die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Versorgungssicherheit und stabile Netze gewährleistet sind. Ich möchte das Geschrei hören, sollte das eines Tages anders sein. Es zeigt sich auch angesichts der Entwicklung im Energiebereich, dass die Politik nach dem Motto „weg vom Öl“ richtig war. Herr Brüderle, Ihre Rückkehr zur Atomwirtschaft, ohne dass die Entsorgung gewährleistet ist, bleibt ein alter Irrtum. Hören Sie endlich mit Ihrer Atommeilerei auf! Wenn Sie den Dreck selbst zu sich in die Pfalz nehmen, dann können wir miteinander reden. Aber zu glauben, dass die Entsorgung in anderen Regionen stattfindet und Sie den Nutzen haben, das haut nicht hin. ({4}) Die Stagnationskrise ist überwunden. Die Innovationen kommen voran. Sie wollen zwar, wie auch Professor Sinn, Herr Milbradt und andere, Niedriglöhne einführen, aber diesen Weg gehen wir nicht mit. Nein, dieses Land soll eine hoch qualifizierte Volkswirtschaft sein und bleiben. Dazu gehören die Erneuerung der Bildungskette, die Qualifikation, der Technologietransfer und nicht zuletzt der Ausbildungspakt. Denn unsere Zukunft hängt davon ab, dass jeder junge Mensch in das Wirtschaftsleben integriert wird. Dafür schaffen wir mit Hartz IV die Voraussetzungen. Erstmalig wird jeder junge Mensch ab dem 1. Januar 2005 einen Rechtsanspruch auf eine Arbeit, eine Arbeitsgelegenheit, eine Ausbildung oder eine Qualifikation haben. Helfen Sie dabei mit! Das ist die beste Zukunftssicherung. Aber hören Sie mit Ihrem Pessimismus auf! Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 20 Minuten Ludwig Stiegler haben zwar einen großen Unterhaltungswert, aber leider wenig Inhalt. Seit sechs Jahren erleben wir jedes Jahr im September dasselbe Trauerspiel: ({0}) In einer unwahrscheinlichen Dreistigkeit wird uns ein Fantasieprodukt unter die Nase gehalten, von dem wir wissen, dass es das Papier, auf dem es gedruckt ist, nicht wert ist. ({1}) Alle sechs Jahre legen Sie Zahlen zugrunde, die sich nicht halten lassen, und jedes Mal wissen Sie, dass Sie vor einem Haushaltsfiasko stehen. Sie bringen keinerlei Ideen, wie Sie den Haushalt wieder in die richtige Richtung lenken können, wie Sie die Staatsschulden in den Griff bekommen wollen, wie Sie die Ausgaben unter Kontrolle bekommen wollen und wie Sie wenigstens mittelfristig die Finanzen des Staates auf eine seriöse, solide und berechenbare Grundlage stellen wollen. Das allergrößte Defizit Ihrer Haushaltsplanung ist der Vertrauensverlust, den Sie verursachen, ({2}) der Vertrauensverlust bei der Bevölkerung und auch bei den Unternehmen vor Ort. ({3}) Sie wissen ganz genau, dass dieser Vertrauensverlust der größte Wachstumskiller ist, den wir haben. Auch wenn Herr Eichel sich hier hinstellt und sagt, das wäre die Konsolidierung - von dieser Regierung wird keine Konsolidierung betrieben. Das zeigt die Tatsache, dass es allein 26 Milliarden Euro Mehrausgaben gegenüber 1998 gibt. Wenn man sich andere Länder anschaut, Irland, Spanien, Dänemark oder Finnland, stellt man fest: Diese Länder haben es geschafft, in der Krise mit dem Sparen anzufangen, und zwar mit Erfolg. Sie haben gezeigt, dass es keine Diskrepanz gibt zwischen Sparen und Wachstum. Wir haben ein anderes Problem mit dem Sparen, nämlich bei unserer Bevölkerung. Warum spart unsere Bevölkerung, warum wächst unsere Sparquote? Das ist ein Angstsparen aufgrund der Politik, die Sie praktizieren. Die Sparquote kann nicht sinken, solange die Menschen nicht wissen, wie Sie in der Zukunft für die Schulden des Staates aufkommen wollen, und solange sie das Gefühl haben, dass Sie die Zukunft ihrer Kinder verfrühstücken: mit Ihrer Schuldenmacherei, durch das Verscherbeln des letzten Tafelsilbers ({4}) und durch Ihren fehlenden Sparwillen. Sie machen wirklich eine Politik nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. ({5}) Von Nachhaltigkeit, die Sie immer wieder anzubringen versuchen, findet man in Ihrer Politik, durch alle Ressorts hindurch, nicht das Geringste. ({6}) Unsere Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Immer mehr Unternehmen verlassen fluchtartig das Land. Wieso wollen denn inzwischen 43 Prozent der Unternehmen abwandern? 2003 waren es erst 38 Prozent. Was kam denn bei der Umfrage des DIHK heraus? Ausländische Standorte stellen also zunehmend eine echte Alternative zur heimischen Produktion … dar. Das ist die Realität. Das kann man doch nicht leugnen. Es ist nicht mehr wie früher, als es nur die Großindustrie war, die ins Ausland gegangen ist. Inzwischen sind es die kleinen und mittleren Betriebe, die die Flucht ergreifen, um wirtschaftlich überleben zu können. Deutschland ist wegen seiner Sozialbeiträge eines der teuersten, wenn nicht sogar das teuerste Produktionsland der Welt. Die Kostendifferenzen betragen bis zu 80 Prozent. Der Satz, den man früher immer im Mittelstand gesagt hat - „lebenslang Deutschland“ -, gilt schon lange nicht mehr. Unser Problem ist ein ganz anderes: Wir haben eine neue Art der Verlagerung. Inzwischen sind es die kapital- und wissensintensiven Unternehmensteile - Verwaltung, Forschung, Entwicklung -, die ins Ausland gehen. In der Elektrobranche, in der chemischen Industrie, im Maschinenbau wird zukünftig in Breslau und in Bratislava entwickelt, geforscht und investiert, nicht mehr in Baden-Württemberg und Berlin, wie es vorher gewesen ist. Die Folge ist, dass hier immer mehr Arbeitsplätze gestrichen werden, dass Arbeitsplätze nicht mehr hier geschaffen werden, sondern in Polen, Tschechien und Ungarn. Wir werden es erleben, dass allein dieses Jahr 50 000 neue Arbeitsplätze im Ausland geschaffen werden, und zwar von deutschen Unternehmen. Das bedeutet netto einen Beschäftigungsverlust für Deutschland. Das ist das, was uns zu denken geben sollte. Unser betonierter, überregulierter Arbeitsmarkt schafft es nicht, die verlagerten Arbeitsplätze durch neue zu ersetzen; dieses Problem müssen wir angehen. ({7}) Herr Stiegler, Sie können sich hier hinstellen und nochmals das Hohelied des Exportweltmeisters bringen. Exportweltmeister kann man auch ohne Wertschöpfung sein. ({8}) Es stimmt nicht, dass die Wertschöpfung bei uns zunimmt. Nehmen Sie allein die Automobilindustrie: In der Automobilindustrie haben wir in Deutschland inzwischen nur noch eine Wertschöpfung von 20 Prozent. ({9}) Wir verlieren nicht nur Fertigungstiefe, wir haben auch das weitere Problem, dass hier nicht mehr so investiert wird wie früher. Inzwischen sind die Auslandsinvestitionen unserer Unternehmen genauso hoch wie die Investitionen hier in Deutschland. Wie Umfragen ergeben haben, verschieben 40 Prozent aller kleineren und mittleren Unternehmen ihre Investitionen. Zudem halten sie Investitionen in einer Höhe von 15 Prozent des Jahresumsatzes zurück. Rechnen Sie das einmal gesamtwirtschaftlich hoch! Investitionen in Höhe von 15 Prozent des Jahresumsatzes werden zurückgehalten. Das bedeutet längerfristig, dass die Wachstumsrate um 5 Prozent niedriger ausfällt. In unserer jetzigen Situation würden wir uns die Finger lecken, wenn wir eine solche Steigerung hätten. Das ganz große Problem ist: Wo sind Ihre Antworten auf diese wirklich drängenden Fragen? ({10}) Herr Stiegler, um die Haushaltslöcher zu stopfen, tun Sie etwas, bei dem Ihnen das Herz bluten müsste. Unser bester Mittelstandstopf, den wir seit vielen Jahrzehnten haben, das ERP-Sondervermögen, wird für 2 Milliarden Euro cash an die KfW weggegeben, sozusagen verschenkt. Das Eigenkapital dieses Mittelstandstopfes beträgt 12,7 Milliarden Euro. Seine Bilanzsumme beläuft sich auf 32,9 Milliarden Euro. Ein solches Vorgehen ist gesetzlich eigentlich gar nicht zulässig, weil wir ein Substanzerhaltungsgebot bezüglich des ERP-Sondervermögens haben. Diese Mittel werden aber an die KfW fließen. Dadurch wird dieser Förderungstopf, der zentrale Baustein der Mittelstands- und der Existenzgründungspolitik, 2 Milliarden Euro weniger enthalten. Dieser Topf hat eine Erfolgsbilanz ohnegleichen: Allein seit 1949 wurden 111 Milliarden Euro zur Wirtschaftsförderung eingesetzt. Mit ihm wurden gut 8 Millionen neue Arbeitsplätze gefördert und wurde dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. 1,7 Millionen Betriebe haben davon profitiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wöhrl, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Barnett?

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Barnett.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Kollegin Wöhrl. Sie singen hier das Hohelied des Arbeitsplatzabwanderns und sagen, dass nicht abgebaut, sondern alles vernichtet wird. Ich nehme an, dass Sie die KfW nicht als einen Klickerverein, sondern als eine Institution betrachten, deren Arbeit auf fundierten Daten beruht. ({0}) - Ach so, ob sie richtig oder falsch arbeitet, hängt davon ab, wer gerade an der Regierung ist. Ich verstehe. Wie stehen Sie zu der Aussage, die in der Septemberausgabe des „Wirtschaftsbarometers“, herausgegeben von KfW-Research, steht? Ich zitiere: Die im Juli von der KfW-Bankengruppe geförderten Mittelständler wollen im Gefolge des finanzierten Investitionsprojekts ihre Arbeitsplatzzahl um 5,9 Prozent erhöhen, genauso viel wie im Monat zuvor. ({1})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, Sie müssen natürlich auch sagen, in welchem Bereich erhöht werden soll. Wenn Sie sich die DIHKUmfragen, die Kammerumfragen und viele andere Umfragen anschauen, dann erkennen Sie, dass es im Moment vor allem im industriellen Bereich einen immensen Arbeitsplatzabbau gibt. Unser ganz großes Problem momentan ist, dass unser industrieller Bereich schrumpft, während andere Länder, die die gleichen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingen wie wir haben, ihre Industriebereiche ausbauen. Ohne die Industriebereiche werden aber auch die Dienstleistungsbereiche nicht wachsen, sodass dort keine weiteren Arbeitsplätze entstehen. Deswegen bezweifle ich die hier angeführte Aussage, dass das für alle Bereiche zutrifft. Der Kollege Hinsken hat vorhin die Zahl der Insolvenzen angesprochen. Diese werden in diesem Jahr auf über 40 000 wachsen. Damit ist der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. Daran sehen wir, dass es keinen Arbeitsplatzaufbau gibt. Wie könnte es sonst sein, dass wir innerhalb von zwei Jahren über eine Million weniger Beschäftigte haben ({0}) und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten jeden Tag um 1 600 sinkt? Die Zahlen würden ja nicht stimmen, wenn in diesem Bereich ein Arbeitsplatzzuwachs gegeben wäre. ({1}) Lassen Sie mich auf unseren Mittelstandstopf zurückkommen. Diesen Topf, der unabhängig vom Haushalt existiert und den wir immer als etwas ganz Wertvolles und Wichtiges gehütet haben, entziehen Sie dem Einfluss des Parlaments. Das Parlament kann zukünftig nicht mehr über die Programme zur Mittelstandsförderung entscheiden. Es kann nicht mehr - darüber haben wir bisher entscheiden können - den Nachteil des Mittelstands gegenüber den Großunternehmen, die von den Banken immer leichter Geld bekommen als die kleinen Unternehmen, ausgleichen, weil Sie in einem Jahr kurzfristig Ihre Haushaltslöcher stopfen wollen. Sie singen zwar immer das Hohelied des Mittelstands, aber bei den Fakten versagen Sie kolossal. ({2}) Da Sie von den Energiepreisen gesprochen haben, möchte auch ich dieses Thema aufgreifen. Der Energiepreis ist nicht irgendeine Variable der Volkswirtschaft. Er ist ein immens wichtiger Standortfaktor, mit dem unheimlich viele Arbeitsplätze verbunden sind. Es ist für mich schon erstaunlich, mit welch populistischem Pathos die Preistreiberei einiger Stromkonzerne - es sind ja nicht alle - vollkommen zu Recht angeprangert wird. Es ist wirklich unverschämt, sozusagen am Vorabend der Regulierung noch einmal richtig Kasse zu machen. Ich glaube, auch Sie, Frau Hustedt, stimmen mir da zu. Aber wäre das Wirtschaftsministerium in der Lage gewesen, die EU-Richtlinie rechtzeitig umzusetzen, nämlich bis zum 1. Juli eine Regulierungsbehörde einzurichten, wäre das gegenwärtige Vakuum gar nicht erst entstanden. ({3}) Noch etwas muss man sehen: Es ist schamlos, in diesem Zusammenhang den Versuch zu unternehmen, zu verschleiern, wie diese Regierung dazu beigetragen hat, dass sich die Energiepreise in den letzten sechs Jahren erhöht haben. Allein für die Kunden waren das 40 Prozent; denn 40 Prozent des Strompreises hat die Politik zu verantworten. Die 2,3 Milliarden Euro, die der Verbraucher 1998 an den Staat, nicht an die Energieversorgungsunternehmen zahlen musste, sind inzwischen auf 12,3 Milliarden Euro im letzten Jahr gestiegen. Über die Benzinpreise, bei denen über 18 Milliarden Euro über die Ökosteuer abkassiert werden, will ich überhaupt nicht reden. Es gäbe noch viele andere Beispiele. Immer nur auf den anderen zu zeigen, um nicht selbst die Verantwortung zu übernehmen, ist die falsche Politik. In unserem Land leben 82 Millionen Menschen, davon 26,4 Millionen Sozialversicherungspflichtige, denen über 20 Millionen Rentner gegenüberstehen. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen beträgt 4,5 Millionen. Wie viele es in Wirklichkeit sind, darüber möchte ich gar nicht erst mutmaßen. Statistikänderung lässt grüßen! Das bedeutet, dass de facto jeder Beschäftigte inzwischen seinen eigenen Transferbezieher hat, den er aus seinem Arbeitseinkommen mitfinanziert. Das Missverhältnis zwischen denen, die mit ihrer Arbeit durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zum Wohlstand aktiv beitragen, und denen, die die Wertschöpfung konsumieren, wird immer größer. Ich habe vorhin schon angesprochen, dass bei uns die Zahl der Beschäftigten rückläufig ist, während es europaweit einen Zuwachs an Beschäftigung von 0,25 Prozent gibt. Dadurch kommen wir in die Situation, dass die Sozialbeiträge unter Druck geraten. Niemals in der deutschen Geschichte ist der Faktor Arbeit mit derart hohen gesetzlich fixierten Lohnzusatzkosten so verteuert worden wie unter Rot-Grün. Das ist ein Fakt. Auf den Jobfloater und die anderen falschen Subventionen, die auf den Weg gebracht wurden, will ich gar nicht näher eingehen. Man muss sich das aber einmal vorstellen: 72 000 Euro pro Arbeitsplatz für den Jobfloater. Ein PSA-Arbeitsplatz wird mit 38 000 Euro pro Jahr subventioniert. - Angesichts dieser Zahlen fragt man sich schon: Wird hier das Geld richtig angelegt? Wie Sie sich vorstellen können, bezweifeln wir das. ({4}) Die Wahrheit ist - das wissen Sie -, dass man in unserem Land mit Ende vierzig nur sehr schwer eine Arbeit findet und dass die 1,7 Millionen Langzeitarbeitslosen von Maßnahme zu Maßnahme gereicht werden, ohne je wieder einen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz zu bekommen. Über 50 Milliarden Euro geben wir in diesem Land inzwischen für die Arbeitslosigkeit aus, fast die Hälfte davon für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wöhrl, bitte.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kein Land auf der Welt - danke, Herr Präsident - betreibt mehr aktive Arbeitsmarktpolitik als wir und kein Land ist so erfolglos wie wir. Das kann man nur damit begründen, dass von Rot-Grün bei der Arbeitsmarktpolitik und in vielen anderen Bereichen ein falscher Weg eingeschlagen worden ist. Man versucht immer, den Kuchen zu verteilen, der vorhanden ist, aber man versucht nie, den Kuchen zu vergrößern. Man geht Arbeitsmarktreformen nicht an, ({0}) man bringt kein modernes Kündigungsschutzgesetz auf den Weg, man fördert den Niedriglohnsektor nicht ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wöhrl, bitte.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- und viele andere Dinge mehr. ({0}) Arbeit ist vorhanden, aber sie ist nicht bezahlbar, Herr Stiegler. Die Schattenwirtschaft mit einem Volumen von 400 Milliarden Euro spricht für sich. Wir haben ein Problem, wir haben eine Verunsicherung, die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Die Hoffnung braucht Träger und die sind Sie ganz bestimmt nicht. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hochverehrte Frau Wöhrl hat gerade das Wort Angstsparen gebraucht. Wenn man eine Rede wie die Ihre hört, dann kommt Angstsparen erst richtig auf. ({0}) Das ist doch logisch. Sie machen nichts anderes, als Ihre Redezeit mit Aussagen darüber zu füllen, wie mies und elend es in Deutschland ist. ({1}) Wer dies an den Fernsehschirmen hört, der muss denken, er sei der letzte Idiot, wenn er überhaupt noch einen Euro ausgibt. Das ist die Wirkung Ihrer Reden. Ich bitte Sie, in einer ruhigen Minute - das müssen Sie nicht jetzt tun - darüber einmal nachzudenken. ({2}) Wir haben eine Haushaltsdebatte. Dazu haben Sie auch eine Bemerkung gemacht. Darauf will ich kurz ant- worten. Ich habe mir die Reden gestern und vorgestern angehört, auch das, was Sie gesagt haben. Ich stelle Fol- gendes fest: Sie werfen der Regierung a) vor, sie gebe zu viel aus, und Sie werfen ihr b) vor, sie gebe zu wenig aus, zum Beispiel für Investitionen. Das ist ein bisschen widersprüchlich, aber Sie und auch Herr Austermann haben bislang keine Sparliste vorgelegt, auf der steht, wo die Union einsparen will. Der einzige Vorschlag ist die Einsparung von 5 Prozent nach der Rasenmähermethode von Herrn Stoiber. Ich bin mir sicher, dass niemand von Ihrer Fraktion diese Forderung in der letzten Konsequenz durchhält, weil wir sonst bei entscheidenden Zukunftsinvestitionen sparen müssten. Das heißt, Sie erheben Kritik, haben aber in diesem Parlament in keiner Weise gesagt, wie Sie das insgesamt machen wollen. Deswegen ist die Kritik billig und in der Weise auch nicht zu rechtfertigen. ({3}) Herr Merz, ich will etwas zum Standort Deutschland sagen, weil Sie darauf eingegangen sind. Es ist doch völlig klar, dass wir positive Seiten haben und dass wir noch Schwächen haben. Nur in diesem Bewusstsein kann man eine vernünftige wirtschaftspolitische Debatte führen. Lasst uns zu unseren Stärken stehen und lasst uns an unseren Schwächen arbeiten! Ich will zwei Punkte aufgreifen, weil Frau Wöhrl gesagt hat, wir hätten keine Arbeitsmarktreform. Erstens. Frau Wöhrl, der Chefökonom der Allianz, Michael Heise, hat vor zwei Wochen in den Medien gesagt, mit diesen Reformen, die wir gerade machen, nämlich Hartz IV und den anderen Hartz-Gesetzen, würden wir die Beschäftigungsschwelle in Deutschland, die bei einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent liegt, auf 0,8 bis 1 Prozent senken können. Das heißt, in einiger Zeit kann es gelingen, dass wir bei viel geringerem Wachstum als in der Vergangenheit neue Jobs schaffen. Sie aber stellen sich hier frohgemut, wie Sie nun einmal sind, hin und sagen, uns fehle eine Arbeitsmarktreform. Gehen Sie doch nach München und informieren Sie sich, wie das dort gesehen wird! Zweitens. Lesen Sie das Augustheft der Deutsche Bank Research. Darin werden klare Prognosen für den Standort Deutschland gemacht. Danach steigen die Ausrüstungsinvestitionen im Jahr 2004 um 3 Prozent und im Jahr 2005 um 6,5 Prozent. Das heißt, wir haben bei einem entscheidenden ökonomischen Indikator, den die Ausrüstungsinvestitionen darstellen, einen Zuwachs. Die Gesamtinvestitionen inklusive Bau wachsen - so die Aussage - im Jahr 2004 um 3 Prozent und im Jahr 2005 um 4,5 Prozent. Eine weitere Zahl aus dieser Untersuchung betrifft die Lohnstückkosten, Herr Merz. Diese sind vom Jahr 2000 bis heute im EU-Raum ohne Deutschland um 9,25 Prozent gestiegen, in der Bundesrepublik im selben Zeitraum um 2,25 Prozent. Das heißt, beim entscheidenden Indikator für das produzierende Gewerbe haben wir durch die Kombination einer guten Lohnentwicklung und Produktivitätssteigerungen eine positive Entwicklung. Dieses muss man an der Stelle der Debatte auch einmal sagen. ({4}) Sie versündigen sich am Standort Deutschland, wenn Sie aus politischem Kalkül heraus die Zahlen nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Deswegen will ich sie hier in aller Deutlichkeit nennen. Nachdem ich gestern Frau Merkel und andere aus der Union gehört habe, habe ich folgenden Eindruck: Sie sagen, die Reformen müssten schon sein. Sie stehen zu Hartz; denn Sie wissen genau, dass diese Reformen notwendig sind, damit in Deutschland wieder mehr Beschäftigung entsteht. Das heißt, die Reformen nehmen Sie gerne in Kauf, Sie wollen aber dafür sorgen, dass die Stimmung in Deutschland schlecht bleibt. Die Strukturreformen soll die Regierung machen und die schlechte Stimmung heizen Sie aus billigem politischen Kalkül an. Ich kann Ihnen nicht ersparen, hier ganz klar darauf hinzuweisen. Anders kann man die Doppelstrategie ja nicht erklären: Milbradt mosert in Sachsen und will am Montag demonstrieren und Sie sagen hier im Parlament, dass Hartz IV notwendig ist. Die schlechte Stimmung soll verstärkt werden. Aber das Positive, was die Regierung leistet, sacken Sie schon einmal ein; denn man kann ja vernünftigerweise nicht dagegen sein. Das ist eine doppelzüngige, scheinheilige Politik, die die Union hier macht. Sie macht diese Politik zulasten der Arbeitslosen; denn die Schlechtrederei, die Sie hier betreiben, Frau Wöhrl - Sie reden das Kaputtsparen ja herbei -, geht natürlich zulasten der Arbeitslosen. Es ist doch völlig klar, dass die Situation auf dem Binnenmarkt schlecht aussieht und dass wir sie verbessern müssen. ({5}) Herr Merz und Frau Wöhrl haben beide das Argument gebracht, unsere Exportstärke sei im Wesentlichen eine Basarökonomie, das heißt, wir hätten gar nicht die Wertschöpfung, die in der Bundesrepublik notwendig wäre, da wir anderswo vorproduzieren ließen. Herr Merz, die Betrachtung, die Sie da angestellt haben, ist falsch. Schauen Sie sich das in den einzelnen Branchen einmal an. Wir haben in der Automobilindustrie ganz klar und eindeutig mehr Arbeitsplätze, weil wir in Billiglohnländern vorproduzieren. ({6}) Das können Sie jederzeit feststellen. Dass der Produktionswert und die Wertschöpfung nicht gleich laufen und dass es da eine Lücke gibt, hat ganz andere Gründe, die zum Beispiel mit Statistik zu tun haben. Da viele Betriebe in Deutschland ihre Dienstleistungskomponenten und die produktionsnahen Dienstleistungen ausgelagert haben - und zwar im Binnenmarkt -, steigt die Wertschöpfung in diesen Bereichen nicht mehr; sie steigt aber natürlich bei den ausgelagerten Firmen. Herr Merz, schauen Sie sich, ehe Sie das Argument von Herrn Sinn wiederholen, noch einmal in Ruhe an, wie sich in Deutschland die Dienstleistungen - auch die produktionsnahen Dienstleistungen - entwickelt haben. Dann kommen Sie, glaube ich, zu einem anderen Urteil. Aber Sie wollen politisch ja etwas anderes erreichen. Auch die Exportstärke Deutschlands - wir können sagen, das ist ein aktives Pfund unserer Wirtschaft - soll schlecht geredet werden. Ihr Argument ist natürlich: Auch die gesteigerte Wertschöpfung bei den ausgelagerten Unternehmen taugt nichts; denn sie sind ja nur vorgelagert. Da liegen Sie falsch. Noch einmal, Frau Wöhrl: In der Automobilindustrie ist es anders, in der chemischen Industrie ist es anders; bei der Elektrotechnik hat Herr Merz Recht; beim Maschinenbau hat er wiederum nicht Recht, vor allem weil der Maschinenbau mittelständisch geprägt ist und deswegen Wertschöpfung und Produktionswert nicht so auseinander laufen. Jetzt komme ich zum Abschluss zu der Diskussion über die Energiepolitik, die Sie aufgemacht haben. Frau Hustedt wird dazu nachher noch einiges ausführen. Ich will Ihnen nur sagen: Die Polemik von Herrn Merz, die wir gehört haben, es liege alles nur am ErneuerbareEnergien-Gesetz und an der Energiepolitik, ist wirklich Kappes. Im letzten Jahr hat die Menge des eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland nicht zugenommen. Dennoch sagt RWE, dass die Kosten steigen würden und man jetzt so unsittliche Preiserhöhungen machen müsse. Ich glaube, diese Tour zieht einfach nicht. Eine Betrachtung der Zahlen gibt das nicht her, was Sie da darstellen. ({7}) Im Übrigen, Herr Merz, müssten Sie einmal erklären, warum die Ministerpräsidenten der Länder dem Erneuerbare-Energien-Gesetz im Bundesrat zugestimmt haben, oder Sie müssen den Wählerinnen und Wählern erklären, ob Sie es abschaffen wollen. Ganz konkret: Wollen Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen? Dann sagen Sie es ganz deutlich! Sagen Sie dann auch den 130 000 Menschen, die in diesem Bereich seit 1998 neue Arbeitsplätze gefunden haben, dass Sie das Gesetz abschaffen möchten. Das wäre doch eine interessante Botschaft aus einer solchen Debatte: Der Großökonom Merz will 130 000 Arbeitsplätze in der Wind- und Solartechnik gefährden. Prost Mahlzeit, Herr Merz, da haben Sie eine tolle Aussage geliefert! ({8}) Ich muss zum Schluss kommen und will noch darauf hinweisen, Herr Minister, dass wir, auch wenn vieles positiv läuft, mit den Befunden beim Bürokratieabbau nicht zufrieden sind. Nach der Studie der Weltbank müssen wir uns nach meiner Überzeugung noch einmal hinsetzen und die Frage stellen, in welchen Bereichen wir zusätzlich etwas erreichen können. Ich finde, dass wir darauf umgehend reagieren sollten. Der Masterplan ist zwar in Ordnung. Aber angesichts der jetzt vorliegenden Daten sollten wir uns erneut fragen, was wir darüber hinaus noch tun können. Herr Brüderle hat Recht: Das Ganze hat viel mit einer Föderalismusreform zu tun. Ich meine, dass es des Schweißes der Edlen wert ist, sich darum zu kümmern. Damit komme ich zum Schluss.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aber jetzt ganz schnell!

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin eigentlich schon am Schluss, aber nicht am Ende. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider ist es schon Tradition geworden, dass uns hier ein Haushalt vorgelegt wird, der das Jahr nicht überstehen wird. Das gilt auch für den Haushalt des Bundeswirtschafts- und -arbeitsministers. Sein eigenes Institut, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis - Herr Clement, Sie hätten sich das heute Morgen um 6.50 Uhr ausdrucken können -: Die neuen Daten bergen auch Risiken im Hinblick auf den erwarteten Jahresdurchschnitt der Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II sowie bei den vorgegebenen Budgets für Personal, Verwaltung und Eingliederung sowie in der Kalkulation von Betreuungsschlüsseln und Pro-Kopf-Sätzen. ({0}) - Das ist fein. Vielen herzlichen Dank. Das werde ich mir nachher durchlesen. Ihr eigenes Forschungsinstitut sagt also, dass es allein im Bereich des Arbeitslosengeldes II Risiken in Bezug auf die Anzahl der betroffenen Personen und des benötigten Personals - wir wissen, dass es eine Aufblähung der Bundesagentur für Arbeit geben wird - sowie andere Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung gibt. In diesem Jahr sind in den Bundeshaushalt 5,2 Milliarden Euro für den Bundeszuschuss eingestellt. Das wird nicht reichen, weil das Defizit schon im August 4,8 Milliarden Euro betrug. Aber Sie gehen in Ihrem Haushaltsansatz für das kommende Jahr von einem Bundeszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aus. Das ist nicht sonderlich realistisch, wenn wir ehrlich sind. Herr Clement, ich habe die Sorge, dass Ihre Ansätze im Endeffekt auch Auswirkungen auf die tatsächliche Arbeitsmarktpolitik haben. Sie haben einen Haushalt von 34,3 Milliarden Euro. Davon sind insgesamt 24,4 Milliarden Euro für die neue Grundsicherung, das Arbeitslosengeld II, vorgesehen. Ein weiterer großer Posten mit gut 1,7 Milliarden Euro sind die Steinkohlesubventionen. Wir diskutieren also in diesem Jahr - das trifft auch auf die Haushalte in den vorangegangenen Jahren zu - über einen Haushalt für Grundsicherung und Steinkohlesubventionen, aber nicht über einen Haushalt, der Impulse für neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum setzt und der die Chancen der Arbeitslosen verbessern hilft, wieder in Arbeit zu kommen. ({1}) Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit eigentlich viel interessanter. Er hat in diesem Jahr ein Volumen von 57 Milliarden Euro. Auf diesen Haushalt hat aber das Parlament keinen Zugriff. ({2}) Er wird aufgestellt vom Vorstand - das ist Herr Weise -, festgestellt von der Selbstverwaltung - das ist Frau Engelen-Kefer - und genehmigt von der Bundesregierung. 57 Milliarden Euro! Allein der Eingliederungstitel liegt bei über 20 Milliarden Euro. Das ist fast so viel wie der gesamte Haushalt des Bundesverteidigungsministers. Trotzdem hat das deutsche Parlament keinen Zugriff. Das ist ein Skandal. Wir brauchen dringend eine Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik. ({3}) Eine Redemokratisierung muss mit einer Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Wir alle wissen - das konnte man auch den Worten des Kollegen Merz entnehmen -, dass die Bundesagentur für Arbeit, die mit 90 000 Mitarbeitern versucht, 4,5 Millionen Arbeitslose zu vermitteln - das kann sie bestenfalls mehr schlecht als recht -, überfordert sein wird, wenn sie zusätzlich die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und deren Bedarfsgemeinschaften betreuen soll. Deshalb haben wir im Dezember letzten Jahres vereinbart - wir haben das trotz unserer unerfüllten Wünsche mitgetragen -, zumindest den Kommunen, die sich das zutrauen, eine Chance zum Optieren zu geben. Das haben Sie aber konterkariert, indem Sie in dem kommunalen Optionsgesetz - das hat die FDP-Bundestagsfraktion als einzige abgelehnt - dafür gesorgt haben, dass bundesweit nur 69 Kommunen überhaupt die Chance erhalten, zu optieren. Statt einen Wettbewerb um die besten Vorschläge zur Integration von Langzeitarbeitslosen zwischen Bundesagentur und den kommunalen Trägern der Sozialhilfe in Gang zu setzen, haben Sie einen Wettbewerb der Kommunen untereinander um die Chance kreiert überhaupt optieren zu dürfen. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg. ({4}) Ich möchte jetzt auf Hartz IV eingehen. Nach einer Umfrage von Infratest-dimap haben sich in den letzten Tagen bundesweit 58 Prozent der Bevölkerung persönlich mit diesem Thema beschäftigt. Das ist also ein sehr virulentes Thema. Ich sage ausdrücklich: Die FDP-Bundestagsfraktion war und ist für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, weil es sinnvoll ist - das haben wir schon vor Jahren beantragt -, zwei steuerfinanzierte Transferleistungen für den gleichen Sachverhalt zusammenzulegen. Es ist auch eine Frage der Würde der Betroffenen, ob sie sich in Bezug auf ihre intimsten Daten vor zwei unterschiedlichen Behörden oder nur vor einer entkleiden müssen. Aber da hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf. Herr Kuhn hat sich hier hingestellt und von Doppelzüngigkeit und von Heuchelei gesprochen. Dazu möchte ich anmerken, dass er, was den sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt angeht, Recht hat. Als wir im Vermittlungsverfahren gesagt haben: Hinzuverdienst muss sich lohnen - nach unserem Konzept sollen 50 Prozent des Hinzuverdienstes anrechnungsfrei gelassen werden -, saß er dort mit einem Taschenrechner und hat uns entgegnet: Das ist zu teuer. Aber auch die Grünen sind doppelzüngig und scheinheilig. Der grüne Verdi-Vorsitzende, Herr Bsirske, der sich in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der Lufthansa selbst bestreikt hat, heizt doch die Stimmung in Ostdeutschland an. Herr Ströbele geht auf Montagsdemonstrationen, die von den ehemaligen SED-Kadern missbraucht werden. Das müsste einen eigentlich wirklich zur Weißglut bringen. Natürlich muss man die Ängste der Betroffenen aufnehmen. Erst jetzt lassen Sie Ihre Propagandamaschine mit 11 Millionen Euro anlaufen. Das ist viel zu spät. Man hätte viel schneller informieren müssen und man hätte viel mehr dafür sorgen müssen, dass die handwerklichen Fehler, die zu befürchten waren, nicht eintreten. Sie haben vorhin als letzten Punkt den Rücklauf der Anträge angesprochen. Vielleicht sind es in Ludwigshafen 40 Prozent. Sie sagten, in Leipzig seien es 4 Prozent. Nach Auskünften der Bundesagentur sind bundesweit bisher nur 10 Prozent der ausgegebenen Anträge zurückgekommen. Das bedeutet in der Konsequenz nicht nur einen Antragsstau und Verwaltungsaufwand, sondern auch, dass die EDV, die noch nicht getestet ist, nicht die nötigen Daten hat, um sie tatsächlich im Echtlauf zu prüfen. Das heißt, dass es dort weitere Gefahrenpunkte gibt. Wir müssen diese Reform, wenn sie denn nicht funktionieren sollte, zumindest verschieben. Denn wenn sie nicht funktioniert, werden wir die Reformbereitschaft der deutschen Bevölkerung auf Jahre hinaus verloren haben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist ein ganz großes, staatsgefährdendes Risiko. Das sollten Sie nicht eingehen, Herr Clement. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne, selbstverständlich. Ich wäre ja sowieso fertig gewesen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sie waren fertig. Ich bitte Sie, nur die Frage zu beantworten und danach nicht in Ihrer Rede fortzufahren.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte schön, Frau Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Es tut mir Leid, dass wir uns nicht schon vorher verständigen konnten. Sie haben gerade noch einmal dargestellt, dass Sie im Prinzip für all die mit Hartz IV getroffenen Regelungen - jenseits der Optionsregelung - sind. Außerdem haben Sie aufgezählt, wer sich wie zu den Protesten verhält. Ein Rätsel treibt mich seit meinem letzten Besuch in Sachsen vor zwei Wochen um. Was meint Ihre Partei mit den Wahlkampfplakaten in Sachsen, auf denen der Slogan „Herz statt Hartz“ steht?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das kann ich Ihnen problemlos erklären, liebe Kollegin. Ich habe eben angeführt, dass die FDP im Rahmen des Vermittlungsverfahrens, was die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen, anbetrifft, der Ansicht war: 50 Prozent des Hinzuverdienstes sollten anrechnungsfrei gelassen werden, damit - wie in Sonntagsreden immer wieder gefordert - derjenige, der arbeitet, mehr in der Tasche hat als derjenige, der nicht arbeitet. ({0}) Wir waren im Vermittlungsverfahren der Ansicht, dass es nicht sein kann, dass derjenige, der sein Geld ein Leben lang versoffen hat, besser dasteht als derjenige, der Eigenvorsorge betrieben hat. Deswegen waren wir der Ansicht, dass nachweislich für die Altersvorsorge bestimmtes Kapital, zum Beispiel eine Lebensversicherung, die nach dem 60. Lebensjahr ausgezahlt wird, anrechnungsfrei bleiben muss. ({1}) - Herr Kuhn, Sie waren beim Vermittlungsverfahren leider nicht dabei; deswegen können Sie das nicht wissen. Wir waren der Ansicht, dass es sinnvoll ist, für die Ausbildung der Kinder vorzusorgen, und dass die entsprechenden Freibeträge deswegen höher sein müssen. Wir waren diejenigen, die mit Herzblut dafür gekämpft haben, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Leider hatten wir im Vermittlungsverfahren nur eine Stimme. Das reicht manchmal nicht. Aber vom Grundsatz her ist diese Reform richtig und notwendig. Alle die, die Panikmache betreiben, verhalten sich staatspolitisch in höchstem Maße gefährlich. Das gilt ganz besonders für die PDS, für die NPD und für die anderen Splittergruppen, die versuchen, die Ängste der Menschen in Ostdeutschland zu instrumentalisieren. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Tenor der Reden der Opposition und die Konjunkturentwicklung stehen aus meiner Sicht in diametralem Widerspruch. Beispiel eins: Sie klagen über die fehlende Wirtschaftsdynamik. Die Realität: Gestern hat das Institut für Weltwirtschaft seine Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 1,9 Prozent angehoben. ({0}) Beispiel zwei: Herr Glos jammert über den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft und über die Standortverlagerung deutscher Unternehmen. Die Realität: Die Direktinvestitionen nach Deutschland waren in 2002 netto mit gut 29 Milliarden Euro und im letzten Jahr mit gut 9 Milliarden Euro im positiven Bereich. Das heißt, das ausländische Kapital kommt nach Deutschland. Dahinter steht auch: Das Ausland nimmt wahr, dass Deutschland auf Modernisierungskurs ist. Dafür steht diese Bundesregierung. Dafür steht diese Koalition. Miesmache, meine Damen und Herren, schadet dem Land. Verunsicherung hemmt die Kauflust der Menschen. Sie dürfen ruhig fröhlicher und mit größerer Zuversicht durch das Land ziehen. Damit helfen Sie den Menschen mehr als mit Ihrer dauernden Miesmacherei. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brüderle?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Brandner, können Sie mir darin zustimmen, dass Ihnen ein Fehler unterlaufen ist? Das Kieler Institut hat seine Wachstumsprognose, wie ich vorhin ausführte, von 1,9 Prozent auf 1,2 Prozent zurückgenommen. Wenn Sie mir das nicht glauben: Ich habe einen schriftlichen Beleg dabei. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Brüderle, die Institute insgesamt - nicht nur das Kieler Institut - haben die Wachstumsprognosen in den letzten Wochen und Monaten eher angehoben als nach unten korrigiert. ({0}) Insofern ist in diesem Land mehr Zuversicht angesagt. Darauf sollten wir auch bauen. Ich finde es wichtig, dass eine Partei wie Ihre, die sich als wirtschaftsnah versteht, dabei mithilft, nicht nur positive Stimmung in diesem Land zu verbreiten, sondern auch die positiven Fakten zu nennen, weil das am ehesten dazu beiträgt, dass sich die Wirtschaft positiv entwickelt. ({1}) Zur Verunsicherung haben wir aus meiner Sicht keinen Grund. Es ist bedauerlich, dass insbesondere führende Persönlichkeiten der CDU/CSU massenhaft zur Verunsicherung in diesem Land beitragen. Herr Milbradt ist mehrfach erwähnt worden. Erst stimmt er dem Hartz-Gesetz zu, wie wir alle wissen, dann will er von alledem nichts mehr wissen und dann lässt er auch noch offen - um das klar zu sagen -, ob er Arm in Arm mit der PDS und der NPD, mit den Populisten also, bei den so genannten Montagsdemonstrationen mitmacht. ({2}) Das zeigt nur, wie Verantwortungslosigkeit und böse Stimmungsmache zusammenkommen. Das ist etwas, was wir aufs Schärfste verurteilen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich würde sagen: Das sollte ein bisschen zurückhaltender geschehen. Der Kollege kommt gar nicht zu seiner Rede. - Bitte, Herr Kollege Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da Sie so auf den Kollegen Milbradt schimpfen und auf seine angebliche Bereitschaft, bei den Demonstrationen mitzulaufen, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie es eigentlich, dass bei der so genannten Montagsdemonstration in Halle in der letzten Woche Ottmar Schreiner Chefredner war, dass das, was er gesagt hat, keinesfalls eine Loyalitätsadresse an Ihre Politik gewesen ist und dass diese Montagsdemonstration maßgeblich von einem Hallenser Sozialdemokraten organisiert wird? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass Sie erst einmal vor der eigenen Tür kehren sollten, ehe Sie ostdeutsche Ministerpräsidenten kritisieren? ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, meine Kritik richtet sich in allererster Linie an diejenigen, die in diesem Land zur Unglaubwürdigkeit und zur Verunsicherung dadurch beitragen, dass sie in ihrem Auftreten nicht ehrenhaft sind. Gerade Herr Milbradt als Person ({0}) hat im Vermittlungsausschuss, im Bundesrat offensivst ständig Verschärfungen der Hartz-Gesetze verlangt. Er konnte an Schärfe kaum überboten werden. Dass sich diese Person, die in Ihren Reihen durchgesetzt hat, dass erhebliche Verschärfungen eingefordert worden sind, anschließend auf die Seite der Protestler schlägt und sagt, mit denen könne sie gemeinsam gegen die Politik der Bundesregierung demonstrieren, ist etwas, was ich verurteile und was ich als nicht charakterfest bezeichne. ({1}) Herr Schreiner - um es deutlich zu sagen - hat immer gegen die Hartz-Gesetze gestimmt. Er ist offen aufgetreten. Wir sind eine demokratische Partei. Wir als SPD stehen mit großer Mehrheit geschlossen hinter dem Reformkurs. Diese Unterscheidung will ich ganz deutlich machen. ({2}) - Herr Milbradt hat den Hartz-Gesetzen zugestimmt, lieber Abgeordneter Kampeter. Im Dezember hat Herr Milbradt im Bundesrat den Gesetzen zugestimmt. Wir haben im Juli dieses Jahres nichts anderes mehr beschlossen, als im Rahmen der Experimentierklausel die Optionsmöglichkeit zuzulassen. Dem - um das ganz deutlich zu sagen - hat Herr Milbradt nicht zugestimmt. Insofern bitte ich hier einfach um Ehrlichkeit und Klarheit. Darum ging es mir. Das musste hier einmal gesagt werden. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt möchte auch noch der Kollege Laumann eine Zwischenfrage stellen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit Blick auf die Uhr denke ich, dass mit Zwischenfragen jetzt Schluss sein sollte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eben dies wollte auch ich sagen. Ich werde auch keine weitere Zwischenfrage außer dieser mehr zulassen. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Na gut.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Brandner, auch Sie haben ja jetzt in Ihrer Rede wieder erwähnt, Milbradt und andere von der Union - das ist ja zurzeit eine durchgehende Argumentation bei Ihnen ({0}) hätten Verschärfungen im Vergleich zu Ihren Vorstellungen in das Gesetz gebracht. ({1}) Deshalb möchte ich folgende Fragen stellen: Ist es richtig, dass Rot-Grün bei Hartz I beschlossen hat, den Freibetrag an Geldvermögen, den Arbeitslosenhilfebezieher behalten dürfen, von 500 auf 200 Euro pro Lebensjahr herabzusetzen? Ist es richtig, dass die B-Länder und unsere Fraktion schon damals sehr stark dafür geworben haben, nicht Lebensalter, sondern Beschäftigungsjahre zu zählen, und dass wir entsprechende Anträge in den entsprechenden Ausschüssen des Deutschen Bundestages vorgelegt haben, wodurch höhere Vermögen hätten behalten werden dürfen? Ist es richtig, dass die von Ihnen gewählte Lösung dazu führt, dass ein 55-Jähriger, der mit 44 Jahren nach Deutschland gekommen ist, neun Jahre lang in einem Beschäftigungsverhältnis stand und jetzt arbeitslos wird, 18 Monate Arbeitslosengeld beziehen kann und ihm der höhere Vermögensfreibetrag für Ältere - Sie haben ihn ja zur Schonung des Vermögens Älterer eingeführt - zugestanden wird, während ein Mensch, der mit 14 Jahren in die Lehre gegangen ist, 31 Jahre lang Beiträge und Steuern gezahlt hat, diesen Schutz bei Ihnen nicht hat? Nachdem Sie die entsprechenden Anträge von uns, in denen das geändert werden sollte, niedergestimmt haben, sollten Sie ein wenig vorsichtiger argumentieren und nicht pauschal behaupten, wir hätten alles verschärft. Richtig ist - dazu stehen wir auch -, dass wir bezüglich der Zumutbarkeitsregelungen einen Vorschlag aufgenommen haben, der aus dem Ministerium von Herrn Clement kam. Nachdem er von Ihrer Fraktion verwässert worden war, haben wir da den ursprünglichen Zustand wieder hergestellt. ({2})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Laumann, Sie brauchen gar nicht so laut zu sprechen. Wir können jedes Argument Stück für Stück zusammen durchgehen. Das Erste ist, dass wir im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze, nicht erst jetzt im Zusammenhang mit Hartz III und Hartz IV, sondern viel früher, die Freibetragsgrenze für Arbeitslosenhilfebezieher von 520, nicht 500 Euro pro Lebensjahr auf 200 Euro gesenkt haben. Zusätzlich haben wir, ohne dass es einen entsprechenden Antrag von Ihrer Seite gab, einen Vermögensfreibetrag von 200 Euro für die Altersversorgung eingeführt. Sie werden kein Beispiel anführen können, wo Sie in Ihren Anträgen höhere Freibeträge für die Betroffenen gefordert haben, als diese rot-grüne Koalition schließlich durchgesetzt hat. Ich sage ganz klar: Wir sind bereit, hierfür jederzeit den Beweis anzutreten. Zwischenzeitlich haben wir dadurch - und das wissen Sie -, dass auch für jedes Kind ein Freibetrag in Höhe von 4 100 Euro angerechnet wird, einen riesigen FreibeKlaus Brandner trag vorgesehen, den Sie sich selbst in Ihren besten Zeiten nicht erträumt hätten. Sie können sich dieser Leistung nicht rühmen, weil wir die Vermögensfreibeträge in dieser Größenordnung organisiert haben. Sie können, wenn Sie übers Land ziehen, den Menschen nicht einen einzigen verlässlichen Beleg vorzeigen, aus dem hervorgeht, dass Sie diejenigen gewesen wären, die das Schonvermögen vergrößert hätten. Sie haben es reduziert, Sie haben es gekürzt und im Kern gefordert, dass im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe das Sozialhilferecht auf beide Gruppen, sowohl auf die Arbeitslosenhilfebezieher als auch auf die Sozialhilfebezieher, angewendet wird. ({0}) Genau das bedeutet, dass es für Kinder nur einen Freibetrag von 256 Euro und für den Ehepartner nur einen Freibetrag von 680 Euro und für den Haushaltsvorstand einen Freibetrag von 1 556 Euro geben würde. Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben, war die Dauer der Versicherungsleistungen. Sie geben mir damit die Gelegenheit, deutlich zu machen, dass es sich hierbei um zwei Systeme handelt. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung besteht ein Versicherungssystem, wobei letztlich die Versicherung für einen bestimmten Zeitraum ein Risiko abdeckt. ({1}) In den Debatten der Vergangenheit haben Sie gesagt, man müsste für die Dauer der Abdeckung dieses Risikos vielleicht einmal andere Bemessungsgrundlagen einführen, also längere Versicherungszeiten anders bewerten. Ihre Parteivorsitzende hat auf die Rede des Bundeskanzlers am 14. März letzten Jahres gesagt: Wir sind bereit, den Versicherungszeitraum auf ein Jahr festzulegen, nicht mehr. Im Gegensatz dazu hat die Koalition einen besseren Vorschlag gemacht und eine Abstufung zwischen zwölf und 18 Monaten vorgenommen. ({2}) Dann zu dem, was Sie zur Ausdehnung der Versicherungsleistungen gesagt haben. Die Versicherungsleistungen waren ja wohl keine Wohltat, sondern Sie wollten damit seinerzeit arbeitsmarktpolitisch korrigierend eingreifen und verhindern, dass von der IG Metall die Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt wird und die Vorruhestandsregelung zulasten der Versichertengemeinschaft erfolgt. Das haben Sie unterstellt. Sie haben damit den Prozess ausgelöst, dass in Deutschland massenhaft Frühverrentungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft durchgeführt worden sind. Ich dachte, wir wären einvernehmlich zu dem Ergebnis gekommen, diese Fehlsteuerung gemeinsam zu beenden. Das würde im Übrigen ein Stück weit das Vertrauen in diesem Land fördern. Es wäre anständig gewesen, wenn wir uns darauf gemeinsam verständigt hätten, eine erkannte Fehlsteuerung, die so nicht mehr finanzierbar und arbeitsmarktpolitisch so nicht gewollt war, zu durchbrechen. Man kann sagen, was man will; es ist einfach so, dass sich die Opposition einen schlanken Fuß machen will. Herr Rüttgers ruft: Verschiebung um ein Jahr! Generalrevision! Ihr CDA-Bundesvorsitzender fordert einen Vermögensanrechnungsfreibetrag von 1 000 Euro pro Lebensjahr. Ich habe mich gefragt: Wann haben Sie das jemals hier im Parlament beantragt? Herr Merz will den Kündigungsschutz im Prinzip völlig abschaffen. Kollege Laumann sagt, über den Kündigungsschutz könne man mit ihm reden, ebenso über das Schleifenlassen der betrieblichen Bündnisse und der Tarifautonomie. In diesen Fragen ist man sich recht nahe, bei manchen Dingen im sozialpolitischen Bereich nicht. Ich sage an diesem Punkt gern, dass der Kollege Karl-Josef Laumann bezüglich der Umsetzung von Hartz IV in der Öffentlichkeit klare Worte gefunden hat, im Unterschied zu dem, was er den Arbeitnehmern bei der Tarifautonomie und dem Kündigungsschutz zumuten will. Frau Wöhrl beklagt das mangelnde Ansparen; Kollege Kuhn hat schon etwas dazu gesagt. Wie soll denn die Wirkung aussehen, wenn dauernd verunsichert wird? Wer wird denn konsumieren, wenn eine Politik der Verunsicherung betrieben wird? Herrn Brüderle kann man in der Richtung nur Recht geben, wenn er sagt, wir müssten die Linie halten, Charakterstärke zeigen und die Reformen durchführen. Aber wenn die Opposition in der Öffentlichkeit so uneinheitlich auftritt und sich nicht mit Ruhm bekleckert, dann kann in diesem Land kein Vertrauen für den notwendigen und von den im Bundestag vertretenen Fraktionen ansonsten gemeinsam getragenen Grundkurs geweckt werden, sondern dann muss Unsicherheit entstehen. Unabhängig von dieser Verunsicherung - lassen Sie mich das klar sagen - ist die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland positiv. Alle wichtigen Forschungsinstitute und internationalen Organisationen haben, wie ich bereits angesprochen habe, ihre Schätzungen korrigiert; ein Wachstum von 2 Prozent ist gegebenenfalls möglich. Die positiven Indikatoren will ich, Kollege Brüderle, auch mit einigen anderen Fakten belegen. Der Auftragseingang der Industrie lag im Juli dieses Jahres um 3 Prozent höher als im Juni, die Industrieproduktion hatte im Juli eine Steigerung von 1,6 Prozent gegenüber Juni zu verzeichnen und auch die Einzelhandelsumsätze sind in demselben Monatsvergleich um 1,1 Prozent gestiegen. Die Informations- und Telekommunikationsindustrie als Barometer für die Investitionsattraktivität rechnet in ihrem Bereich mit einem Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr und für das nächste Jahr sogar mit einem Umsatzplus von 3,7 Prozent. Der Aufschwung wird in den nächsten Monaten auch neue Arbeitsplätze schaffen, wenn das Land nicht weiterhin mit solcher Wucht mit einer Verunsicherungsstrategie überzogen wird. Die Arbeitsmarktreformen - einige Vorredner haben es angesprochen - führen zu einem kräftigeren Beschäftigungszuwachs, als es früher bei einem Konjunkturaufschwung der Fall war. Alle Experten gehen davon aus, dass die Beschäftigungsschwelle deutlich sinken wird und schon bei einem geringeren Wachstum arbeitsmarktpolitische Erfolge sichtbar und zählbar gemacht werden können. Zu den Konjunkturrisiken gehört ohne Frage, dass die hohe Abhängigkeit von der internationalen Entwicklung und natürlich auch die von vielen angesprochenen hohen Ölpreise im Auge behalten werden müssen. Als Grund für die Ölpreisentwicklung kann man zum einen durchaus die zusätzliche Nachfrage aus China auf diesem Markt angeben. Zum anderen ist die Preisentwicklung aber auch ein Indikator für die Endlichkeit der Energien. Im Kern ist es die Bestätigung dafür, dass wir unsere nachhaltige Energiepolitik zugunsten der erneuerbaren Energien und zugunsten des Einsparens von Energie fortsetzen müssen. Wir müssen vorsorgen. Die Ölpreiserhöhungen sind zum großen Teil spekulativer Natur. Insofern ist es richtig, dass wir auf größere Unabhängigkeit in diesem Bereich setzen. Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Es ist unverständlich, dass die großen Energieunternehmen in dieser labilen Situation unverfroren Energiepreiserhöhungen ankündigen. Auch Energieoligopolisten tragen eine Verantwortung für die Konjunktur. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Aktivitäten des Bundeskartellamtes in dieser Angelegenheit. Der Standort Deutschland ist nicht so schlecht, wie ihn so mancher Oppositionspolitiker, auch in der Haushaltsdebatte, darstellt. ({3}) - Ich möchte über die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit kein Referat halten. Ich will nur sagen, dass es wirklich keine glanzvollen Ergebnisse gab. ({4}) Genau das erleben wir jetzt von Unionspolitikern: Anstatt zu helfen, gemeinsam den notwendigen Kurs einzuschlagen - nämlich mehr Spielräume für Innovationen zu erreichen -, wird die alte Leier angestimmt. ({5}) Die Zuwächse im Export zeigen die hohe Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit. Es ist im Übrigen unsere tiefe Überzeugung, dass eine bessere Wettbewerbsfähigkeit nicht durch einen Lohnsenkungswettbewerb und durch einen radikalen Abbau der Arbeitnehmerrechte zu erreichen ist. Der Umbau wird am ehesten gelingen, wenn sich das Investitionsklima noch weiter verbessert, wenn es mehr öffentliche Investitionen gibt und wenn mehr Effizienz auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten erreicht wird. Für mich ist klar: Deutschlands Stärke ist die Innovationskraft. Damit das so bleibt, müssen wir bessere Produkte herstellen, effizientere Produktionsverfahren entwickeln und eine schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in den Unternehmen erreichen. Mehr Investitionen - das ist ein weiterer Punkt - fehlen uns gerade im Bereich der Kommunen. Durch Hartz IV eröffnen wir den Kommunen größere finanzielle Spielräume. Durch die Anhebung der Gewerbesteuerumlage wird die Finanzausstattung der Kommunen verbessert. Für den Abbau des Investitionsstaus der Kommunen müssen aber nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Urbanistik in diesem Jahrzehnt insgesamt 685 Milliarden Euro veranschlagt werden. Ein weiteres Stichwort ist ÖPP. Öffentlich-private Partnerschaften sind sicherlich eine gute Möglichkeit, zusätzliche Investitionen auf kommunaler Ebene schneller durchzuführen. ({6}) Internationale Erfahrungen bestätigen: Mit ÖPP können öffentliche Leistungen früher, schneller und kostengünstiger bereitgestellt werden. Deshalb ist es sinnvoll - das will ich ganz deutlich sagen -, dass der Aufbau von Kompetenznetzwerken gefördert wird, wie er beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon in vorbildlicher Weise erfolgt. An diesem positiven Beispiel sollte man anknüpfen und dafür sorgen, dass diese Maßnahme in der Fläche schneller umgesetzt wird und von diesem Instrument Gebrauch gemacht werden kann. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Deutschland befindet sich in einem weit gehenden Modernisierungsprozess, den viele Nachbarländer schon längst hinter sich haben. Große Veränderungen verunsichern viele Menschen. Sie suchen Stabilität und glauben gern an die Versprechungen so genannter Problemlöser. Alle demokratischen Kräfte haben in diesen Monaten die Aufgabe, sachlich zu informieren. Wir müssen gemeinsam den Spaltern und Brandstiftern entgegentreten. Dies müssen wir tun, um auch die Glaubwürdigkeit der Politik zu bewahren. Das wird eine wichtige Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich nach dieser Gesundbeterei des Kollegen Brandner einige nüchterne Bemerkungen zur Haushaltslage in diesem Land mache. ({0}) Dieser Haushaltsentwurf ist nach dem Motto aufgestellt: Nach uns die Sintflut. Normalerweise tun sich die Haushaltslöcher am Ende eines Haushaltsjahres auf. Am Anfang des Jahres werden die Haushaltslöcher versteckt. Aber noch nicht einmal dazu ist die Regierung fähig. Die Haushaltslöcher treten vielmehr offenkundig zutage; so dramatisch ist die Haushaltslage in diesem Jahr. ({1}) Herr Minister Clement, in Ihrem Haushalt ist bereits, gesetzlich definiert, eine Lücke von 2,8 Milliarden Euro und prognostisch von 4,5 Milliarden Euro festzustellen. Darüber sind sich alle Fachleute einig. Das sind 8 bzw. 13 Prozent Ihres gesamten Haushaltes. Ich kann dazu nur sagen: Der Minister sitzt hier mit abgeschnittenen Haushaltshosen. ({2}) Er hat kein Wort dazu gesagt, wie auch alle anderen von der Koalition heute kein einziges Wort dazu gesagt haben, wie sie das Problem lösen möchten. Daran erkennen wir, dass keine Kompetenz vorhanden ist. Wahrscheinlich versuchen Sie wieder, dieses Problem durch globale Minderausgaben zu lösen. Aber davor kann im Wirtschaftsförderungsbereich - da bin ich mit dem Kollegen Brüderle völlig einig - nur gewarnt werden. Ihre heutige Rede lässt vermuten, dass Sie, Herr Superminister, noch keine Zeit gehabt haben, die von Ihren tüchtigen Beamten zur Vorbereitung der Berichterstattergespräche verfassten Papiere zu lesen. Damit die Öffentlichkeit endlich einmal mitbekommt, wie groß der Unterschied zwischen dem ist, was in Ihrem Haus gedacht wird, und dem, was Sie uns hier erzählen, möchte ich exemplarisch den Kommentar der Beamten zu Seite 20 der Haushaltsvorlage zur globalen Minderausgabe für das Jahr 2005 vortragen. Dort heißt es, zunächst bezogen auf das Jahr 2004 - ich zitiere -: Die Umsetzung dieser Einsparauflagen erforderte, dass zu Jahresbeginn rd. 20 % der Ansätze mit frei verfügbaren Mitteln nicht zur Bewirtschaftung übertragen werden konnten. In der Konsequenz konnten bereits veröffentlichte Förderaktivitäten nicht oder zumindest nur verspätet begonnen werden. Es heißt weiter: Die politische Glaubwürdigkeit insbesondere in zukunftsorientierte Programmbereiche und Mittelstand hat dadurch gelitten. Das schreiben Ihnen Ihre Beamten auf. So ist es. Da glaubt doch niemand mehr an eine verlässliche Mittelstandspolitik. ({3}) Das ist eben der Unterschied zu dem, was eine bürgerliche Regierung machen würde. Eine bürgerliche Regierung würde diese psychologische Frage anders behandeln, mit der Folge, dass dann wieder mehr Vertrauen entsteht und aus diesem Vertrauen ein Klima, in dem wieder Arbeitsplätze entstehen. Das ist der Unterschied zwischen Rot-Grün und dem bürgerlichen Lager in dieser Frage. ({4}) Ich zitiere weiter - jetzt wird es besonders wichtig -, was Ihre Beamten - es sind gute deutsche Beamte; die wissen, dass sie der Sache verpflichtet sind - schreiben: Dieses Szenario wird sich 2005 möglicherweise wiederholen. Natürlich wird es sich wiederholen! Wenn Sie schon jetzt eine Haushaltslücke in Höhe von 2,8 Milliarden Euro haben und diese nicht stopfen können, dann werden Sie diese Verunsicherung weiter betreiben, mit der Folge, dass im Mittelstand keine Arbeitsplätze entstehen. Man muss die Leute verstehen, die sich auf eine solche Politik nicht verlassen. ({5}) Meine Damen und Herren, die rot-grüne Regierung hat, seitdem sie im Amt ist, für Zuschüsse an die Bundesagentur und für die Arbeitslosenhilfe Schulden in Höhe von 114,3 Milliarden Euro - das ist fast eine Viertel Billion D-Mark - gemacht. Aber sie bringt noch nicht einmal die paar 100 Millionen Euro auf, die nötig sind, um eine vernünftige Mittelstandsförderung zu betreiben. Hier sieht man das Ungleichgewicht, das verändert werden muss. Wenn es verändert wird, dann tut sich auch wieder etwas zum Wohle aller - und hoffentlich vor allem in Ostdeutschland. ({6}) Stattdessen gibt es ideologische Spielwiesen, Beraterverträge, Dialogprogramme, Aktionismus. Ich sage: So nicht! ({7}) Ohne ein mittelstandsfreundliches Wirtschaftsklima wird es auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Erfolg geben. Daher werfen wir Ihnen besonders vor, dass Sie keine Perspektiven für die Menschen eröffnen. Wenn man schon von jedem Einsparungen verlangt, dann brauchen die Leute auch Perspektiven. Man muss sonst verstehen, dass sie sich aggressiv gebärden und auf die Straße gehen. Das haben Sie zu verantworten. Dabei geht es nicht um Hartz IV, sondern um die Tatsache, dass es 4,3 Millionen Arbeitslose gibt. Das und die Versprechungen, die Sie 1998 und 2002 im Französischen Dom gegeben haben, als es hieß: „Wir fahren die Arbeitslosigkeit durch Hartz zurück“, treiben die Menschen auf die Straße. ({8}) Meine Damen und Herren, ich vermute, dass man Sie ein zweites Mal in den Französischen Dom einlädt. ({9}) Bei diesem zweiten Mal werden Sie eingeladen, um Buße zu tun und sich beim deutschen Volk für Ihre Unkenntnis zu entschuldigen. Das wäre wohl das Wichtigste, was man mit Ihnen machen müsste. ({10}) Sie haben genug Geld gehabt, um Ihre Konzeptionen öffentlichkeitswirksam herüberzubringen. Sie haben 30 Millionen Euro für die Agenda 2010 verplempert, indem Sie an den Themen vorbei argumentiert haben. Das Volk will nicht wissen, wer der Schönste im Lande ist, sondern es will wissen, wo es sachlich entlang geht. Es will nicht, dass Sie vor lauter Aktionismus von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern. ({11}) - Ich muss mich ja gegen diese Oberschreier wehren. Deswegen müssen Sie verstehen, dass es auch von meiner Seite etwas lauter dröhnt. ({12}) Meine Damen und Herren, Sie haben 11 Millionen Euro allein für Hartz eingeplant. ({13}) Sie haben 42 Millionen Euro bei der Bundesagentur für Arbeit deponiert. Geld haben Sie genug. Trotzdem geschieht nichts. Das ist auch ganz klar: Die Leute können bei einer Politik, die wie ein Fass ohne Boden ist und in der alles Mögliche probiert, aber nichts Vernünftiges daraus gemacht wird, natürlich auch nicht an die Werbung glauben. Sie können nicht erwarten, dass die Menschen darauf reinfallen. Sie haben von der Schönwetterpolitik genug, die Sie auch heute wieder vorgetragen haben: Es wird alles besser! Seit ich mit Ihnen hier im Parlament zusammenarbeiten darf, erzählen Sie dieselbe Story vom lahmen Gaul. Dass diese Story nicht besser wird, muss dann wohl an Ihnen liegen. Daher sollten Sie Konsequenzen ziehen. ({14}) Meine Damen und Herren, einige konkrete Beispiele, warum so manches nicht läuft. Jeder weiß über den Pflegenotstand Bescheid. Sie legen kein Programm auf, mit dem Sie einmal 50 000 Pflegekräfte ausbilden. Nein, Sie halten an unwirtschaftlichen Programmen wie Jump plus fest und verstecken sie jetzt in den Sozialgesetzbüchern. So kann es nicht funktionieren. Sie müssen alles auf den ersten Arbeitsmarkt ausrichten und dürfen nicht im zweiten Arbeitsmarkt verharren. Auch dies werden wir anders machen, wenn wir wieder an der Regierung sein werden. ({15}) Zum Thema Vermittlungsgutscheine: Es ist doch unsinnig, dass es nicht möglich ist, dass ein Langzeitarbeitsloser durch einen Vermittlungsgutschein ins Ausland vermittelt wird. Das heißt, lieber lange Zeit arbeitslos im Lande als irgendwo draußen in Europa in Brot und Arbeit. Dies ist ein Unsinn sondergleichen, der geändert werden muss. Es muss doch unterstützt werden, wenn es jemand auf sich nimmt, im Ausland zu arbeiten. ({16}) Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel stellt das Betreuungspersonal im Zusammenhang mit Hartz IV dar. Gestern hat der Herr Bundeskanzler selbst ganz sang- und klanglos versucht, das Verhältnis 1 : 75, von dem in allen Papieren die Rede war, in 1 : 140 zu modifizieren. Hier geht es um 16 000 Stellen. Wir werden in den Haushaltsgesprächen ganz genau kontrollieren, was es damit auf sich hat. Hier schleicht sich eine Manipulation sondergleichen im Nachhinein in das Hartz-IV-Gesetzgebungsverfahren hinein. Wir werden nicht akzeptieren, dass Sie auf dieser Basis versuchen, sehr viel Geld für Kampagnen auszugeben, sich aber der eigentlichen Aufgabe, der Betreuung und Vermittlung der Menschen, nicht richtig widmen. Wir werden dieses Thema mit Ihnen im Haushaltsausschuss ganz ernst diskutieren; darauf können Sie sich verlassen. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde hier schon mehrmals gesagt, wie doppelzüngig und widersprüchlich die Politik der Opposition ist. Hartz zuzustimmen und dann auf der Straße zu polemisieren oder wie Herr Rüttgers sogar eine Generalrevision zu fordern ist in der Tat verlogen. ({0}) Wenn ein Haushälter hier Sparen einfordert, aber nicht einen einzigen Vorschlag dazu macht, wie tatsächlich gespart werden kann, ist das unsolide und unlautere Politik. ({1}) Die Menschen im Land beobachten das zunehmend und auch aus diesem Grunde verschlechtern sich die Umfrageergebnisse für die CDU/CSU. Ich halte eine solche unlautere, doppelzüngige und verlogene Politik für eine riesige Gefahr; denn sie führt dazu, dass die Politikverdrossenheit größer wird, und treibt die Leute in fundamentalistische Positionen. Ich möchte Sie daher bitten, Ihre Position genau zu überdenken. Dieselbe doppelzüngige Politik betreiben Sie auch im Energiebereich, vor allem dann, wenn es um die hohen Energiepreise geht. Sie empören sich über die hohen Energiepreise und fordern lautstark eine stärkere Regulierung. Überraschend ist das, was hier passiert, aber nicht. Ich möchte daran erinnern, dass wir seit Jahren davor warnen, dass die Selbstverpflichtung oder die Selbstregulierung der Industrie bei der Preisfestsetzung nicht funktioniert. Deshalb fordern wir schon seit Jahren eine Wettbewerbsbehörde. Als die rot-grüne Regierung diesen starken Schiedsrichter am Markt beschlossen und sich an die Umsetzung der Novellierung des Gesetzes begeben hatte, war von der Opposition - von der FDP wie von der CDU/CSU Michaele Hustedt nur zu hören, dass die Selbstregulierung der Stromkonzerne doch der bessere Weg sei. Ich bin sehr froh, dass auch Sie inzwischen bei der rot-grünen Politik angekommen sind. Ich hoffe, dass wir im kommenden Gesetzgebungsverfahren das Gesetz noch einmal verbessern können. Tun Sie aber nicht so, als hätten Sie die Stromkonzerne an ihrem Vorgehen hindern wollen. Die rot-grüne Regierung hat bereits Konsequenzen gezogen. ({2}) Auch bezüglich der erneuerbaren Energien ist Ihre Politik doppelzüngig. Auf der einen Seite stimmen Sie im Bundesrat zu - das wurde hier bereits gesagt -, auf der anderen Seite sagt Herr Merz hier, dass die erneuerbaren Energien die Preistreiber seien. Er entschuldigt die Preiserhöhung der Stromkonzerne am Anfang des Jahres mit dem Verweis auf die erneuerbaren Energien. Das zeigt: Herr Merz ist auf einem Auge blind. ({3}) Fakt ist: Die Stromkonzerne haben im letzten Jahr mehr auf die Strompreise umgelegt, als tatsächlich eingespeist wurde. Ursache dafür war der heiße Sommer. Die Stromkonzerne hätten die Strompreise also am Anfang des Jahres mit dem Hinweis auf das EEG senken und nicht erhöhen müssen. Dass Herr Merz das Verhalten der Stromkonzerne entschuldigt, zeigt, dass er auf einem Auge blind ist. Statt die Stromkonzerne anzugreifen und sie an ihre Pflicht zu erinnern, schiebt er alles nur auf die erneuerbaren Energien. Das ist keine richtige Politik. ({4}) Was macht Herr Stoiber? Er führt als Erstes den Ministerpräsidenten Chinas durch eine Biogasanlage, die nur gebaut werden konnte, weil ein rot-grünes Gesetz es ermöglicht hat, sie zu betreiben. ({5}) Er schmückt sich mit Lorbeeren unserer Politik, steht aber nicht dazu, dass diese Politik etwas kostet. ({6}) Das nenne ich: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Das ist eine unsolide, eine verlogene Politik. ({7}) Die wahren Preistreiber sind die Stromkonzerne. Wir haben die höchsten Durchleitungspreise in Europa. Die Investitionen sind aber seit 1995 um 30 Prozent gesunken. Die staatlichen Auflagen - um es Ihnen ganz klar zu sagen - sind seit 2000, also seit vier Jahren, konstant geblieben. Jetzt kündigen die Stromkonzerne weitere Erhöhungen an, obwohl in den letzten drei Jahren bei allen großen Stromkonzernen wie RWE und Vattenfall die Gewinne mehr als verdoppelt wurden. Ich bin froh, dass inzwischen nicht nur bei uns, sondern bei allen Parteien angekommen ist, dass die Selbstregulierung nicht funktioniert, sondern wir einen starken Schiedsrichter am Markt brauchen. Wir werden in den Verhandlungen sehen, ob Ihre Ankündigungen wirklich ernst gemeint sind. Ich nehme gern die Anregung auf, über eine Form der Anreizregulierung zu sprechen. Ich finde den Vorschlag, den Herr Claassen von EnBW gemacht hat, sehr interessant. Den sollten wir uns genau anschauen. Ich möchte dann aber auch sehen, dass Sie dazu stehen und sich nicht wieder vom Acker machen, wenn es ernst wird. Ich freue mich auf die Gespräche. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der erste Fakt ist, Frau Kollegin Hustedt, dass 40 Prozent des Energiepreises, den die Verbraucher heute zu zahlen haben, von dieser Bundesregierung aufoktroyiert wurden und daher zu verantworten sind. ({0}) Der zweite Fakt ist - was hier bereits des Öfteren dargelegt wurde -, dass wir in dieser Woche einen Haushaltsentwurf in erster Lesung beraten, der von Hause aus unseriös und mit so vielen Risiken behaftet ist, dass er im Endeffekt gar nicht beratungsfähig ist. Ich brauche überhaupt nicht zum Beispiel auf die „Berliner Morgenpost“ zurückzugreifen, in der Graf von Hohenthal von einem „Witz“ spricht, „wenn der Bundesfinanzminister noch von seinem Konsolidierungskurs spricht“. Ich werde auch hier im Hause fündig. Die Mitberichterstatterin für das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, die Kollegin Anja Hajduk vom Bündnis 90/Die Grünen, hat gestern im „Inforadio“ zu den erwarteten Privatisierungserlösen - es sind immerhin 15 Milliarden Euro als Einnahmen eingesetzt worden gesagt: Die können ausfallen. Aber es ist doch wichtig, dass wir die Verfassung einhalten. ({1}) Wir legen bei diesem Haushaltsplan vor, dass wir dazu Privatisierungserlöse in einem hohen Maße brauchen. Sie sagt also selber nicht, dass diese Erlöse erzielt werden, sondern sie sagt einfach: Die setzen wir ein, damit die Bilanz ausgeglichen ist. Dazu fällt mir nur ein: Entweder hat sie eine Anleihe am damaligen österreichischen Kaiserreich genommen, wo man in derartigen Situationen zu sagen pflegte: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ - das ist eigentlich das, was die Kollegin zum Ausdruck gebracht hat -, oder sie wartet auf einen Deus ex Machina, der kommen soll, um diese Koalition mit ihrer Finanzmisere aus dem Untergang zu retten. ({2}) - „Vor“. Ich bedanke mich, Herr Kollege Kuhn, für diese Korrektur. ({3}) - Es ist immer gut, wenn man hier als Allgäuer Unterstützung hat. Es wäre gut, wenn das in anderen politischen Positionen auch der Fall wäre. Aber der Kollege Kuhn ist sicherlich noch lernfähig.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich glaube, grammatikalisch geht beides.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will den Versuch unternehmen, den mit circa 34,3 Milliarden Euro vorgesehen Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit anhand einiger Beispiele, insbesondere mit Blick auf Anspruch und Realität, zu durchleuchten. Heute wurde wieder mehrfach von der Koalition richtigerweise gesagt, welch große Bedeutung der Mittelstand für die wirtschaftliche Entwicklung hat. In der Tat sind laut neuester Statistik im mittelständischen Sektor von 1996 bis 2003 1,5 Prozent zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden, während in den Großkonzernen im gleichen Zeitraum 15 Prozent der Arbeitsplätze abgebaut wurden. Aber, Herr Bundesminister Clement, in diesem Haushaltsentwurf lassen Sie den Mittelstand schlicht und einfach links liegen. ({0}) Lassen Sie mich hierzu ein Faktum nennen: den Bereich „Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sowie freier Berufe“. Auch hier beschreiben Sie in Ihren Erläuterungen die Wichtigkeit des Mittelstandes, also kleiner und mittlerer Betriebe. Aber die Fakten und Zahlen, die Sie in Ihrem Haushaltsentwurf anführen, um diese Aussage zu untermauern, sprechen eine ganz andere Sprache. Trotz Lehrstellenmisere werden die überbetrieblichen Lehrgänge im Handwerk gekürzt. Bei der Modernisierung und Ausstattung von überbetrieblichen Fortbildungseinrichtungen wird sogar drastisch gekürzt, um 7,5 Millionen Euro. Von der Meisterausbildung, lieber Bundesminister Clement, verabschieden Sie sich gänzlich. Ich glaube, Sie hätten gut daran getan, im Sommer einmal bei Hans Sachs nachzulesen, der schreibt: „Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“ Weiter heißt es: „Ehrt eure deutschen Meister! Dann weckt ihr gute Geister.“ Aber mit diesem Haushalt, lieber Herr Bundesminister, wecken Sie keine guten, sondern sehr schlechte Geister. Denn Sie wissen, dass gerade die Meisterausbildung ein ganz wesentlicher Faktor für die Selbstständigkeit ist und dass durch sie Arbeitsplätze und Lehrstellen geschaffen werden. Aber Sie sagen: „Damit will ich überhaupt nichts mehr zu tun haben.“ Im vergangenen Jahr haben Sie noch ganz groß die Außenwirtschaftsinitiative gepriesen; es wurde ja schon einiges dazu gesagt, dass wir Exportweltmeister sind. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Die Bundesregierung will die Mittel für Auslandsmessen um weitere 1,5 Millionen Euro kürzen, ({1}) sodass für Auslandsmessen, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen - genau für diese Unternehmen, nicht etwa für die großen - eine Hilfe sind, im nächsten Jahr nur noch 34,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen. Ich hoffe, dass wir in der Berichterstatterrunde noch einiges hiervon korrigieren können. Denn, Herr Bundesminister, Sie wissen so gut wie ich: Allein durch die Messeförderung, also dadurch, dass kleine und mittlere Unternehmen an Messen teilnehmen können und die entsprechenden Hilfen bekommen, werden zusätzlich Exportumsätze in Höhe von 3,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. ({2}) 20 000 Arbeitsplätze werden dadurch gesichert. Steuereinnahmen von über 170 Millionen Euro werden erreicht; allein für den Bund sind es über 77 Millionen Euro. Das ist ein Betrag, der doppelt so hoch ist wie Ihre Anschubhilfe. Ich muss sagen: Jeder Kaufmann, der diese Rechnung sieht, würde seinen Einsatz erhöhen und nicht absenken, damit die Steuereinnahmen noch stärker fließten. Auf der einen Seite lässt der Bundeskanzler der Steinkohlenindustrie - das hat er in einem Nebensatz gesagt - für den Zeitraum von 2006 bis 2012 noch einmal 16 Milliarden Euro zukommen. ({3}) - Doch, so war es. Er hat Sie ja nicht einmal gefragt, sondern Sie, Bundesminister Clement, haben hinterher in der Zeitung lesen können, was er dort zugesagt hat. Auf der anderen Seite sagen Sie, dass Sie im Steinkohlebereich, dem Sie im kommenden Jahr nur noch 1,6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, doch kürzen. Auch hier erkennt man die Unseriosität dieses Haushalts. Denn eigentlich handelt es sich um 2 Milliarden Euro, aber Sie haben gleich gesagt: „Lieber Kollege Müller, die restlichen 400 Millionen Euro bekommst du erst im Januar 2006, damit unser Haushalt einigermaßen in Ordnung ist.“ Offiziell sind es also 1,6 Milliarden Euro, aber im „Kleingedruckten“ steht, dass im folgenden Jahr 400 Millionen Euro hinzukommen. ({4}) Eines will ich am Schluss noch sagen. Der Kollege Stiegler war vorhin noch da. Entschuldigung, da ist er ja. Er hatte nur den Platz gewechselt. Er ist jetzt dahin gegangen, wohin er gehört: nach ganz links außen. Respekt und Anerkennung für diese auch nach außen hin sichtbare Standortbestimmung. Lieber Kollege Stiegler, Sie haben davon gesprochen, die Bundesregierung habe bei der Gemeinschaftsaufgabe nachgebessert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie sehen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Was unwahr ist, muss man richtig stellen. - Ich will diesem Hohen Hause und der Bevölkerung sagen, was diese Bundesregierung unter Nachbesserung versteht: Seit 1998 werden 1 Milliarde Euro weniger an Bundesleistung bereitgestellt; das sind insgesamt 2 Milliarden Euro, einschließlich der Ländermittel. Von diesem Jahr, 2004, zum nächsten Jahr, 2005, werden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe überdies um weitere 200 Millionen Euro zurückgeführt. Das sind die Fakten, und da spricht die große derzeitige Regierungsfraktion von „Nachbesserung“. Das kann nicht angehen. Hier werden wir in den Haushaltsberatungen, die vor uns liegen, den Finger auf die Wunde legen, auch wenn wir nicht alles korrigieren können. An sich müsste dieser Haushalt sofort wieder im Papierkorb verschwinden. Er ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Finanzminister Eichel hat vorgestern vorsichtigen Optimismus versprüht: Die Wirtschaft springe an, die Exporte boomten und vielleicht, so der Minister, gesunde alsbald auch der Binnenmarkt. Dann lobte er Hartz IV. Genau das hätte er nicht tun sollen. Denn kommt Hartz IV, dann - so haben die Wirtschafts- und Arbeitsminister aller neuen Bundesländer hochgerechnet - geht allein in den neuen Bundesländern 1 Milliarde Euro an Kaufkraft verloren. Anders gesagt: Der Binnenmarkt wird geschwächt, kleinen und mittleren Betrieben drohen Konkurse und die Arbeitslosigkeit wird eher zu- als abnehmen. Das ist ein Grund, warum die PDS Hartz IV ablehnt. ({0}) „Hartz“ wurde mit dem Versprechen präsentiert, binnen zwei Jahren werde die Arbeitslosigkeit halbiert. Davon ist längst nicht mehr die Rede. Die jüngste Arbeitslosenstatistik sagt ohnehin etwas anderes und hinzu kommt: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gestiegen. Zugleich ist die Zahl der Arbeitsplätze spürbar gesunken. Aber es geht in diesen Debatten nicht nur um Hartz IV. Sie machen eine Steuerreform, bei der Großverdiener gewinnen, und Sie machen eine Arbeitsmarktreform, bei der die Schwachen verlieren. Sie nehmen also denjenigen, die konsumieren, und Sie geben denjenigen, die spekulieren. Für die Grünen, die neue Partei der Besserverdiener, mag das ja inzwischen normal sein, aber sozialdemokratisch ist das, was Sie hier an Politik abliefern, nie und nimmer. ({1}) Die Wirkungen von Hartz betreffen übrigens alle strukturschwachen Regionen, auch die im Westen. Deshalb ist es ein schnödes Ablenkungsmanöver, wenn Hartz IV und die Proteste dagegen in einen Ost-WestKonflikt umgedeutet werden. Meine Generalthese ist vielmehr: Die Agenda 2010 insgesamt ist der Gegenentwurf zu einem modernen sozialen Rechtsstaat. ({2}) Nun ist ja viel von Populismus die Rede, auch heute wieder, und der Vorwurf wird mit Vorliebe gegen die PDS geschleudert. Ich finde das wenig souverän. Sie haben in Ihrem Wahlprogramm versprochen - ich zitiere -: Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau. Bei den Grünen heißt es: ArbeitslosenhilfebezieherInnen sollen nicht schlechter gestellt werden als bisher. Deshalb behalten Sie bitte Ihre Populismusvorwürfe für sich. Übrigens keinen Deut besser sind die Ministerpräsidenten Milbradt und Böhmer: Sie suggerieren immer noch, sie hätten im Dezember gegen Hartz IV gestimmt. Etwas anderes war der Fall. ({3}) Dagegen ist der Wirtschaftsminister Clement übrigens eine ganz ehrliche Haut. Er kämpft für Hartz IV, zwar mit bitterböser Miene, aber ich finde, das ist dem Gesetz dann auch angemessen. ({4}) Ein letzter Punkt. Sie - von CDU bis zu den Grünen haben die PDS mehrfach mit der NPD in einen Topf geworfen. Ich finde, diejenigen, die das getan haben, sollten sich schämen und entschuldigen. Nicht nur, dass sie damit Antifaschisten, die der Folter im KZ knapp entronnen sind und heute in der Nähe der PDS stehen, schlimm beleidigen. Sie verharmlosen mit diesem Vorwurf auch die NPD, die mit nationalistischen und rassistischen Parolen durchs Land zieht. Ferner gefährden Sie mit dieser absurden Gleichsetzung das gesellschaftliche Bündnis gegen rechts und für Toleranz. Ich finde, so kurzsichtig darf man auch im Wahlkampf nicht denken. ({5}) Es kommt immer die Frage nach den Alternativen der PDS. Ich finde, wir brauchen Reformen, allerdings wirkliche. Erstens wollen wir eine andere Steuerpolitik, eine, die von oben nach unten umverteilt und nicht anders herum. Zweitens wollen wir eine andere Sozialpolitik, eine, die gerecht ist und solidarisch wirkt. Drittens wollen wir mehr Demokratie und keine „Basta-Politik“. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph Bergner. ({0})

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist auf den Tag genau zwei Monate her, dass der Bundesrat über das Kommunale Optionsgesetz zu Hartz IV entschieden hat. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben einheitlich gegen dieses Gesetz votiert. Ich glaube, dass wir als Deutscher Bundestag bei einem so akzentuierten Minderheitenvotum unserer Länderkammer die Pflicht haben, uns etwas seriöser mit den Beweggründen zu beschäftigen, als das hier mit manchem platten Populismusvorwurf geschehen ist. ({0}) Nun kann ich schlecht für Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin und ihre rot-roten Koalitionen sprechen. Frau Pau ist da möglicherweise kompetenter. Ich bin aber bereit, hier um Verständnis und Unterstützung für die Motive der CDU-Ministerpräsidenten zu werben. ({1}) Die Ministerpräsidenten haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auch unter den sehr viel schwierigeren Bedingungen in den neuen Bundesländern richtig und notwendig ist. ({2}) Deshalb haben sie am 19. Dezember 2003 für das Grundsatzgesetz zu Hartz IV gestimmt. Das sollten Sie ihnen nicht zum Vorwurf machen. ({3}) Sie haben dann allerdings gehofft - das habe ich auch getan -, dass es im Zusammenhang mit den Beratungen zum Kommunalen Optionsgesetz zu Lösungen kommt, in denen eine einfache Tatsache besser berücksichtigt wird, als es bisher geschehen ist, nämlich die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt haben, ({4}) sodass man also mit Instrumenten, die im Main-TaunusKreis sehr leicht anwendbar sind, in den Bereichen Vorpommerns oder Ostsachsens auf Schwierigkeiten stößt. ({5}) Es ist aus meiner Sicht ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein gegenüber der eigenen Bevölkerung, dass man sein Votum im Bundesrat dafür nutzt, für weitere Verbesserungen im Sinne einer Spezifizierung für Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit einzutreten. Genau darum geht es. ({6}) Herr Minister Clement, auch wenn die Abstimmungen stattgefunden haben und Sie jetzt sagen, dass 42 Prozent der Eingliederungsmittel in den Osten kommen sollen, ist das Thema noch nicht erledigt. Denn das Grundproblem ist folgendes: Mit Hartz IV erhöhen Sie den Druck auf Langzeitarbeitslose. Dort aber, wo keine Arbeitsplätze sind, können Sie denen, auf die Sie einen verstärkten Druck ausüben, keine Option bieten. Da nützt auch die größere Zahl an Fallmanagern nichts. Dies bedeutet nichts anderes, als wollten Sie einen Nahrungsmangel durch eine höhere Zahl an Brotverkäufern beheben. Es muss darum gehen, dass an der Substanz etwas geändert wird. ({7}) Friedrich Merz hat hier einiges zur Gemeinschaftsaufgabe gesagt. Ich möchte noch auf weitere Änderungsnotwendigkeiten hinweisen. Sie erzeugen also Druck, für den es nur noch wenig Ausweichmöglichkeiten gibt. So wird es zu einer Flucht in die 1-Euro-Jobs kommen. Herr Minister Clement, ich sehe mit großer Sorge, wie diese Situation - ich habe versucht, sie kurz zu beschreiben - dazu führt, dass es in den neuen Bundesländern zu einem, wie ich meine, ungesunden Druck im Zusammenhang mit den so genannten 1-Euro-Jobs auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse kommen wird. Ich kann sehr gut verstehen, wenn Vertreter privater Pflegedienste - um nur ein Beispiel zu nennen - vor dem, was jetzt auf sie zukommt, Sorgen und Befürchtungen haben. Ich kann Sie nur auffordern, im Rahmen der Monitoringgruppe und bei anderen Gelegenheiten alle Möglichkeiten zu nutzen, damit wir möglichst viele zusätzliche arbeitsmarktkonforme Beschäftigungsverhältnisse für Langzeitarbeitslose finden. Auch auf die Gefahr hin, Widerspruch zu wecken - ich saß nicht mit im Vermittlungsausschuss, Frau Dückert -: ({8}) Ich bin dafür, die Zuverdienstmöglichkeiten im Niedriglohnbereich zu erweitern und zu verbessern, da Sie nicht bereit waren, die Lohnergänzungsleistungen in der geforderten Weise zu ermöglichen. ({9}) Einen zweiten Punkt kann ich nur schematisch anreißen; Stichwort: 58er-Regelung. Gegenüber diesen Leuten, die Ihre Behörde, Herr Minister, überzeugt hat, dass sie der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stehen sollen, haben Sie Wortbruch begangen. Man muss sich etwas einfallen lassen, wie man mit dieser Bevölkerungsgruppe umgeht. Einen dritten Punkt kann ich leider ebenfalls nur sehr kurz anreißen. Ich kann nur mit Verwunderung vermerken, wie immer auf Einsparungen bei den Kommunen als Folge von Hartz verwiesen und gesagt wird, diese Gelder könne man für Tagesstätten und Investitionen nutzen. ({10}) - Einschließlich der zusätzlichen Zuweisungen. Ich habe an Ihr Haus eine Anfrage über die Höhe der Einsparungen bei den Kommunen einschließlich der zusätzlichen Zuweisungen in den einzelnen Bundesländern gerichtet. Die Antwort ist ernüchternd. Daraus ergibt sich, dass hinsichtlich der Einsparungen die Stadtstaaten am besten dastehen. Die Hansestadt Bremen hat pro Einwohner eine Entlastung von 171 Euro, Hamburg von 107 Euro, der Freistaat Bayern von 5 Euro und der Freistaat Thüringen von 16 Euro. ({11}) - Berlin ist zwar ein Stadtstaat, aber ich habe keinen Anlass, für Berlin zu sprechen. ({12}) Sie werden doch eines zugeben müssen, Herr Clement: In der vorherigen Debatte haben die Redner Ihrer Fraktion diese Einsparungen als die Finanzierungsquelle für das Tagesbetreuungsausbaugesetz bezeichnet. Bei einer Verteilung der Einsparungen aufgrund von Hartz IV kommen Sie zwar bundesweit auf eine Summe von 2,5 Milliarden Euro, zu denen Sie durch die Revisionsklausel verpflichtet sind. Die Tatsache, dass unterschiedliche Beträge in den Ländern ankommen und dass Unterschiede innerhalb der Länder durch kommunale Ausgleichsgesetze ausgeglichen werden müssen, wird jedoch zu Ungerechtigkeiten führen. Das wird auch in der Zukunft nichts bringen. Mit der gegenwärtigen Gesetzeslage können wir die Probleme nicht lösen. Ich fordere die Bereitschaft ein, für Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit weiter um kreative Lösungen zu ringen, um zu passgenauen Konzepten zu gelangen. Genau deshalb sollte man den ostdeutschen Ministerpräsidenten keine ungerechten Vorwürfe machen, am wenigsten übrigens Herrn Milbradt, der heute von der „Wirtschaftswoche“ als „Ministerpräsident des Jahres“ ausgezeichnet wurde. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3674 und 15/3513 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor sechs Jahren hat die Koalition von SPD und Grünen den umweltpolitischen Stillstand unter Helmut Kohl und Angela Merkel beendet. ({0}) - Das ist so. - Wir haben seitdem eine umfassende Energiewende eingeleitet, wir haben weltweit den Klimaschutz vorangebracht, wir haben eine neue Flusspolitik umgesetzt, wir haben den Naturschutz auf eine neue Grundlage gestellt, wir haben die Abfallwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft fortentwickelt ({1}) und wir haben zum Beispiel mit der Novelle zur Strahlenschutzverordnung den Schutz der Bürger vor Strahlungen und gefährlichen Chemikalien verbessert. Mit einem Wort: Wir haben die ökologische Modernisierung Deutschlands umfassend vorangetrieben. Unsere Politik findet dabei die Zustimmung der Bevölkerung. Anfang des Jahres gab es eine Umfrage, nach der 66 Prozent der Bevölkerung mit dem Schutz der Umwelt durch die Bundesregierung zufrieden sind. Übrigens, liebe Frau Homburger, sogar 80 Prozent der FDP-Wähler. ({2}) Dies ist - ich traue mich kaum, das zu sagen - der am besten bewertete Bereich der Bundesregierung. ({3}) Übrigens haben wir das, liebe Vertreter des Finanzministeriums, mit 0,3 Prozent des Gesamthaushalts erreicht. ({4}) Was aber entscheidender ist: Wir haben in diesen Jahren die Zustimmung zur Umweltpolitik kontinuierlich steigern können. Gegenüber dem Jahr 2000 ist die Zustimmung um 9 Prozent gestiegen. Wenn etwas von dieser Regierung in der Umweltpolitik erwartet wird, dann ist es nicht etwa, dass sie weniger, sondern, dass sie mehr tut. Aber diese Erwartungshaltung, meine Damen und Herren von der Union, können Sie kaum als Legitimation für Ihre Arbeit nehmen. Denn während in diesem Zeitraum beispielsweise das Vertrauen in die Umweltpolitik der Grünen parteiübergreifend noch einmal um 3 Prozent auf 43 Prozent gesteigert wurde, sank das Vertrauen in die Umweltpolitik der Union von im Jahre 2000 immerhin noch 23 Prozent auf 17 Prozent. Die Zahlen für die FDP will ich hier lieber nicht nennen. ({5}) Sie von der Union sollten sich einmal fragen, woran dieser Einbruch in der Zustimmung zu Ihrer Politik liegt. Ich will eine Vermutung äußern: Meine Vermutung ist, ({6}) dass Sie noch meilenweit von dem entfernt sind, was Ihre Partei- und Fraktionsvorsitzende gestern hier so leichtfertig ausgerufen hat, ({7}) nämlich die so genannte neue Union, die angeblich eine Politik aus einem Guss macht. Nach sechs Jahren im Amt kann ich nur sagen: In der Umweltpolitik, meine Damen und Herren von der Union, stehen Sie eher als begossene Pudel da. ({8}) Wollen Sie Beispiele hören? Ihr Grundproblem ist, dass Sie es mit notorischer politischer Amnesie zu tun haben, dass Ihre Handlungsmaxime ist: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Sie selber haben das Dosenpfand eingeführt, heute sind Sie aber nicht einmal in der Lage, einen geschlossenen Kompromiss im Bundesrat zu Ende zu bringen. ({9}) Nehmen wir die Energiepolitik, einen der zentralen Faktoren für die ökologische Modernisierung. Wir alle wissen, dass wir weg vom Öl müssen. Diese Koalition hat auf mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparungen gesetzt und hat das mit erheblichen Haushaltsmitteln unterlegt. Wir wissen, dass die erneuerbaren Energien ein wichtiger Faktor zur Schaffung von Arbeitsplätzen sind, gerade für die strukturschwachen Regionen an der Küste und im Osten. Gestern erst haben wir zusammen mit der Firma Shell den weltgrößten Solarpark in Espenhain bei Leipzig eröffnet. Der Boom alleine in der Solarwirtschaft hat in diesem Jahr 5 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. ({10}) Heute arbeiten 120 000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien. Im Jahr 2020, wenn wir die 20 Prozent erreichen, können es bis zu 400 000 sein. ({11}) Was fällt der Union in Gestalt des bayerischen Ministerpräsidenten zu dem Thema „weg vom Öl“ ein? Der einzige Satz, der ihm dazu einfällt, ist, dass er die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken will. Eines habe ich aber weder von Herrn Stoiber noch von Herrn Teufel gehört, nämlich dass sie den dann zusätzlich anfallenden Atommüll bei sich gerne lagern möchten. ({12}) Im Gegenteil: Ich bekomme im 14-Tage-Abstand von Herrn Kauder ein Schreiben, in dem er sich besorgt äußert über die Pläne der Schweiz, Atommüll in Benken zu lagern. Ich bekomme Schreiben aus dem Südwesten, in denen man sich über den maroden Zustand von Fessenheim, und aus Bayern, in denen man sich über den maroden Zustand von Temelin Sorgen macht. Aber die gleichen Leute, die diese Briefe schreiben, treten dafür ein, dass die Laufzeiten von altersschwachen Reaktoren wie Biblis und wie Neckarwestheim verlängert werden sollen. Das ist die doppelte Moral; das ist der Widerspruch, unter dem Ihre umweltpolitische Glaubwürdigkeit leidet. ({13}) Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir teilen die Sorge um Fessenheim; wir teilen die Sorge um Temelin. Aber wir sind vor diesem Hintergrund nicht bereit, die alten Möhren bei uns 60 Jahre lang von einer Panne zur nächsten laufen zu lassen. Denn was in Biblis zurzeit passiert, können Sie ja nicht mehr als Betrieb bezeichnen; das ist sozusagen immer nur die Zwischenphase bis zur nächsten Abschaltung. Das ist überhaupt kein Unterschied zu Temelin. ({14}) Deswegen gehen wir diesen Weg weiter. Wir legen nächstes Jahr, im Frühjahr 2005, Obrigheim still. Im Juli nächsten Jahres enden die Transporte in die Wiederaufarbeitung. Damit wird endlich Schluss gemacht mit der Plutoniumwirtschaft in Europa. Ein anderes Beispiel: Herr Stoiber hat plötzlich gemerkt, dass die Energiekonzerne die Preise erhöht haben. Das einzige, was ihm dazu einfällt, ist: Schuld seien das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Ökosteuer und die Kraft-Wärme-Kopplung. Meine Damen und Herren, Sie wissen es besser. ({15}) - Da sagt doch einer „Stimmt ja“; er demonstriert sozusagen die eigene Unkenntnis. Manche Unkenntnis, die vorsätzlich herbeigeführt wird, pflegt man als Ignoranz zu bezeichnen, lieber Kollege. Stromintensive Aluhütten unterliegen im Erneuerbare-Energien-Gesetz einer Härtefallregelung. Das produzierende Gewerbe ist von der Kraft-Wärme-Kopplungs-Umlage ausgenommen. Die Ökosteuer entlastet die deutsche Industrie um 17 Milliarden Euro Rentenbeiträge. ({16}) Das ist das größte Entlastungsprogramm, das es bei den Lohnnebenkosten gibt. ({17}) Zu diesen 17 Milliarden Euro kommen noch 4,2 Milliarden Euro an steuerlichen Subventionen durch die reduzierten Beiträge hinzu. Wenn es also etwas gibt, was die Strompreise in Deutschland nach oben treibt und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie infrage stellt, dann ist das die Politik von Monopolisten wie RWE und Vattenfall, die ihre Marktposition schamlos ausnutzen. ({18}) Meine Damen und Herren, ich lege - weil das zustimmungspflichtig ist - großen Wert darauf, festzustellen, dass auch Sie in der Verantwortung sind, dass zum 1. Januar tatsächlich Wettbewerb in den Netzen herrscht, dass der Regulierer seine Arbeit aufnehmen kann und dass Sie nicht auch in diesem Fall wieder auf Blockieren, Verhindern und Verzögern setzen; denn das wäre in der Tat ein Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. ({19}) Man kann jeden Bereich der Umweltpolitik nehmen; Sie werden immer das Gleiche erleben: Der von mir persönlich sehr geschätzte Kollege Paziorek wird versuchen, mich anzutreiben, mehr Umweltpolitik zu machen. Dann kommt die Industrielobby bei der Union, bremst ihn aus und am Ende beschließt die Union das Gegenteil. Nehmen Sie - willkürlich ausgesucht - ein weiteres Beispiel: Nächste Woche Montag findet die Verbändeanhörung zum Fluglärmgesetz statt. Ich habe mehrere Anfragen von Ihnen bekommen, wann die Novelle endlich komme. Ich weiß genau, dass Ihre Landesverkehrsminister alles tun werden, diese Novelle, die die Anwohner von Flughäfen vor Lärm besser schützen wird, zu blockieren. ({20}) Entscheiden Sie sich für das eine oder für das andere! Aber hören Sie auf, hier „Umweltpolitik!“ zu rufen und in der Realpolitik die Blockade von Umweltpolitik zu betreiben! ({21}) Letzte Bemerkung. Manchmal nimmt das ganz skurrile Züge an. Im Juni 2003 schreibt mir der sächsische Staatsminister Flath einen Brief, in dem er schreibt: Herr Trittin, Sie müssen etwas gegen die Belastung der Bevölkerung mit Radon - einem radioaktiven Gas - tun; schaffen Sie eine bundesgesetzliche Regelung. Im Juli dieses Jahres veröffentlichte die Strahlenschutzkommission einen Bericht im Bundesanzeiger - das kann jeder nachlesen -, in dem festgestellt wird, dass die Belastung mit Radon, wenn sie 150 Becquerel pro Kubikmeter Raumluft überschreitet, ein signifikant höheres Lungenkrebsrisiko zur Folge hat. Im August des gleichen Jahres habe ich den Ländern einen Entwurf für eine bundesgesetzliche Regelung geschickt. Wer nun glaubt, dass der Erste, der mir applaudiert hat, Herr Flath gewesen wäre, der irrt. Herr Milbradt, sein Ministerpräsident, hat das alles für überflüssig erklärt und hat auf dem anschließenden Parteitag dem Ganzen die Krone aufgesetzt, indem er mich in das Erzgebirge einlädt und sagt, dort könne ich merken, wie gesund Radonstrahlung sei. ({22}) Die Bayern haben das übrigens noch einmal getoppt. Der bayerische Umweltminister hat als Vorsorge gegen Radonbelastungen im Haushalt einen ganz einfachen Ratschlag: Lüften! Sie haben seit 18 Jahren nichts dazugelernt. Wer Radioaktivität für gesundheitsförderlich und Lüften für eine Strahlenschutzmaßnahme hält, ({23}) der ist noch immer auf dem Niveau von vor 18 Jahren. Damals hat ein bayerischer Minister der Bevölkerung empfohlen - empfohlen! -, von tschernobylverseuchter Molke zu essen. Solange dies so ist, so lange dürfen Sie sich nicht wundern, dass Ihre Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik immer weiter abnimmt, und so lange müssen wir als Regierung damit leben, dass es eine umweltpolitische Opposition in diesem Lande nicht gibt. Aber ich verspreche Ihnen eines: Trotz dieses Handicaps werden wir unseren Weg der ökologischen Modernisierung fortsetzen. Das führt zu mehr Umweltschutz und zu mehr Beschäftigung und ist deswegen vernünftig. ({24})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Trittin hat gerade eine Statistik angeführt, die äußerst interessant ist. Er hat den wesentlichsten Punkt dieser Statistik weggelassen, nämlich dass Minister Trittin von den Bundesdeutschen die schlechteste Note aller Minister im Kabinett erhält. ({0}) Wer weiß, wie dieses Kabinett insgesamt bewertet wird, der kann sich vorstellen, welch eine schallende Ohrfeige das für ihn ist. Es gelingt ihm gelegentlich - das muss ich zugeben -, über Sachverhalte hinwegzutäuschen. Ein erstes Beispiel: Er hat in letzter Zeit die Klimaschutzpolitik herausgestellt und groß getönt, dass bis zum Jahr 2020 40 Prozent der CO2-Emissionen eingespart würden. Er macht das, weil er darüber hinwegtäuschen will, dass er nicht in der Lage war, die von der damaligen Opposition immer als zu gering angesehene Vorgabe der Union einzuhalten, bis 2005 die CO2-Emissionen um 25 Prozent zu reduzieren. ({1}) Weil Sie, Herr Trittin, dort ganz eklatant versagt haben, kommt nun das klassische Ablenkungsmanöver, das wir bei der Bundesregierung immer erleben: Wenn Sie in der Gegenwart versagen, versprechen Sie mehr für die Zukunft. ({2}) Ich habe beispielsweise das letzte Mal zu Herrn Clement gesagt, dass er zum 25. Mal eine wirtschaftliche Erholung angekündigt hat - in dieser Haushaltsdebatte ist sie zum 26., 27. und 28. Mal angekündigt worden -, dass sie aber nicht eingetreten ist. Es gibt weniger Beschäftigung als jemals zuvor. Das ist aber nicht alles. Herr Minister Trittin, Sie haben auf die Energiekonzerne geschimpft. Sie haben zwar in Teilen Recht. Aber Sie verschweigen - damit täuschen Sie auch hier -, dass Sie mit Ihrer Energiepolitik zu der momentanen Preistreiberei ganz erheblich beigetragen haben. ({3}) Um es deutlich zu sagen: Ich finde es unanständig, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man selbst an der Entwicklung einen nicht ganz unerheblichen Anteil hat. ({4}) Wenn schon die Wahrheit, dann bitte die ganze Wahrheit und nicht nur teilweise. Wenn, dann bitte richtig! Herr Trittin, Sie haben auf die Kreislaufwirtschaft verwiesen. Aber was haben Sie dort bislang geleistet? Null, gar nichts! Das Chaos, das Sie beim Dosenpfand angerichtet haben, jetzt noch als Vorzeigestück Ihrer Politik zu präsentieren ist schon eine Unverschämtheit. ({5}) Die Arbeitsplätze, die dadurch verloren gegangen sind, gehen auf Ihr Konto. Aber Sie sind ja auch der einzige Minister dieser Regierung, der den Verlust von Arbeitsplätzen mit Sektempfängen feiert. So war es im Fall Stade. Das ist eine Unverschämtheit, die auch einmal erwähnt werden muss. ({6}) Herr Trittin, es lohnt sich nicht, darüber zu grinsen; denn die Menschen, die dadurch ihre Arbeitsplätze verloren haben, haben ein schweres Schicksal. Darüber hilft auch das Grinsen eines bundesdeutschen Ministers nicht hinweg. ({7}) Wir haben mit der Nutzung von regenerativen Energien begonnen. Wir werden diesen Weg fortführen. Das ist gar keine Frage. Aber wir werden Ihre Fehler in der Energiepolitik insgesamt nicht mitmachen. Zu diesen Fehlern, Herr Trittin, gehört der Ausstieg aus der Kernenergie, wie Sie ihn planen. Wir werden ihn rückgängig machen. Sie stehen mit diesem Ausstieg weltweit völlig allein auf weiter Flur: Die Chinesen planen 40 weitere Kernkraftwerke, die Inder planen 20 weitere Kernkraftwerke und in Finnland wird gerade ein neues Kernkraftwerk gebaut. Nur der überkluge Minister der Bundesrepublik Deutschland sagt: Das ist eine Auslaufenergie. Man kann das zwar so machen; aber das wird Ihnen bei der Beurteilung des Gesamtsachverhalts nicht weiterhelfen. Wenn wir einen erfolgreichen Klimaschutz wollen, dann sind wir auch auf Kernenergie angewiesen. ({8}) Herr Minister, Sie haben auch versucht, das Instrument Emissions Trading - es ist im Grunde ein guter Ansatz - zu missbrauchen, um die Entwicklung der Kohleenergie negativ zu beeinflussen. Wie sähe denn die deutsche Energiewirtschaft aus, wenn wir, erstens, auf Kernenergie verzichteten und wenn wir, zweitens, auf Kohle verzichteten? Das kann man doch mit regenerativen Energien gar nicht ausgleichen, erst recht nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen. Diese Regierung hat seit Jahren versprochen, ein geschlossenes Energiekonzept vorzulegen. Sie müssten daran einen ganz maßgeblichen Anteil haben. Bis heute ist außer dem Ausstieg aus der Kernenergie nichts passiert und Sie haben kein geschlossenes Energiekonzept vorgelegt, was Ihnen von allen Seiten angekreidet wird. ({9}) Dr. Klaus W. Lippold ({10}) Sie wissen doch, dass wir ein solches Konzept auf jeden Fall brauchen, um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. In Bezug auf den Vorwurf der Preistreiberei kommt natürlich noch eines hinzu - das will ich ganz deutlich machen -: Wir warten auf eine Studie, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden ist und unter Mitwirkung der Wirtschaft zustande kommt: Ich meine die so genannte DENA-Studie zu den regenerativen Energien und ihren Kosten. Herr Minister Trittin, weil Ihnen die Ergebnisse dieser Studie nicht passen, verschieben Sie ihre Vorlage jetzt schon um Monate. Das, was Sie hier vorgaukeln, ist im Licht der Ergebnisse dieser Studie nicht haltbar. ({11}) Man kann regenerative Energien, insbesondere im Offshorebereich, nicht so einsetzen, wie Sie es vortäuschen. Sie belügen die Bevölkerung. So geht es nicht, Herr Minister. Wir haben übrigens noch andere Anhaltspunkte, auch Gutachten aus dem Wirtschaftsministerium, zur Frage der Beschäftigungssicherung durch regenerative Energien, die Sie hier so groß herausgestellt haben. Diese Anhaltspunkte haben Sie ganz einfach verschoben, unterschlagen, nie vorgelegt, weil Ihnen die Ergebnisse nicht passen und weil sie Ihre Politik widerlegen. Auch so kann man Politik machen: Täuschen, wissenschaftliche Ergebnisse unterschlagen und dann behaupten, Sie seien der Größte und der Schönste. Das sind Sie nun weiß Gott nicht. ({12}) - Herr Kollege, das war das Stichwort: Lang ist er; aber groß ist er noch lange nicht. ({13}) Herr Loske, das ist beim besten Willen so nicht darstellbar. Es gibt Punkte, wo Sie ganz einfach hätten handeln können; aber nicht gehandelt haben. Die Energieeinsparung im Altbaubestand ist einer dieser Punkte. Sie haben unseren Vorschlag in Ihr Regierungsprogramm übernommen, dafür steuerliche Erleichterungen vorzusehen. Allerdings haben Sie das bis heute nicht realisiert. ({14}) - Das ist etwas anderes. Sie sprechen jetzt von Zinszuschüssen. Wenn Sie nicht unterscheiden können, dass das Gewähren von Zinszuschüssen etwas anderes ist, als Anreize bei der Besteuerung zu setzen, dann verstehen Sie auch nicht, warum das eine Instrument auf ganz anderen Feldern wirkt als das andere. Lassen Sie es sich von Herrn Loske einmal erklären. Es handelt sich um einen Kernpunkt. Dazu sage ich ganz deutlich: So ist das nicht aufrechtzuerhalten. Die Punkte, wo wir wirklich noch enormen Handlungsspielraum haben, lassen Sie beiseite. Außerdem vernachlässigen Sie aus meiner Sicht ganz deutlich die Energieeinsparungen. Sie haben auf diesem Felde viel versprochen, aber nichts geleistet. Die CO2-Vermeidungskosten bei Energieeinsparungen sind deutlich geringer als alles andere, was im Moment zur Diskussion steht. Sie haben hier ein weites Feld; aber Sie nutzen es nicht. Auch hier versagen Sie und das ist sehr bedauerlich. Sehen Sie: Man muss nicht schreien, um solche Fehler deutlich zu machen. Es gibt einen weiteren Punkt, der erwähnt werden muss und der uns sehr nachdenklich macht: Das ist die Chemiepolitik, die derzeit in der Europäischen Union konzipiert wird. Diese Chemiepolitik ist nicht nur für Chemieunternehmen selbst wichtig, sondern ist in gleichem Maße für den Gesamtbereich Wirtschaft wichtig, insbesondere aber für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für die Innovation. Diese Chemiepolitik droht im Moment zu einem ganz erheblichen bürokratischen Hemmnis zu werden und Arbeitsplätze nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa insgesamt zu gefährden. Was tun Sie? In einer beispiellosen Anzeigenkampagne loben Sie diese Politik uneingeschränkt und fordern eine Verschärfung. Das ist eine Politik, von der Rezzo Schlauch - ein Kollege von Ihnen nicht nur aus der Bundesregierung, sondern auch aus Ihrer grünen Partei - ganz deutlich sagt, sie müsse so korrigiert werden, dass sie nicht zum Schaden der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland werde. Sie fordern eine Verschärfung. Ihr Kollege Rezzo Schlauch sagt, sie müsse korrigiert werden. Ich will an diesem Beispiel deutlich machen, wie widersprüchlich die Aussagen der Bundesregierung sind. ({15}) Für unanständig halte ich - Herr Trittin, ich kann es wiederum nicht anders bezeichnen -, dass Sie Anzeigen Dritter finanzieren, in denen der Chemieindustrie nicht belegbare und nicht haltbare Vorwürfe gemacht werden. Sie und das Umweltbundesamt finanzieren mit Steuergeldern solche Anzeigen und schreiben dann noch hinein, dass Sie für den Inhalt der Anzeige und die Aussagen keine Gewähr übernehmen. Das ist unanständig. ({16}) Dafür, dass Sie andere mit Dreck werfen lassen, das Ganze noch finanzieren und dann sagen: „Aber dafür übernehme ich nicht die Verantwortung“, werden wir Sie schon zur Verantwortung ziehen. So lassen wir Sie nicht davonkommen. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Punkten, Herr Minister, die wir für wichtig halten, zum Beispiel den Schutz und die Erhaltung der Wälder, insbesondere den Schutz der tropischen Regenwälder. Wir als Union haben unendlich viel dafür geleistet, weil es hierbei nicht nur um den Tropenwaldschutz geht, sondern Dr. Klaus W. Lippold ({17}) weil das auch ein ganz zentraler Ansatz für die Artenerhaltung ist. Die Artenvernichtung, die in tropischen Regenwäldern geschieht, ist ein ganz zentrales Problem. Davon haben Sie nicht gesprochen. Sie haben auch nicht vom Armutsbegriff gesprochen und davon, was Armut weltweit für Umweltschutz bedeutet. Sie haben nicht über die Bedeutung von Wasser gesprochen, nicht darüber, was wir weltweit realisieren müssen, damit die Menschen sauberes Trinkwasser haben, damit sie nicht aufgrund vergifteten oder verseuchten Wassers unter Gesundheitsschäden leiden. Das alles haben Sie elegant ausgeklammert, weil Sie in Ihrer Themensicht verengt sind. Es wäre gut, wenn Sie diese verengte Themensicht aufgeben würden, wenn Sie sich in Zukunft etwas mehr an die Wahrheit halten würden und wenn Sie gleichzeitig sehen würden, wohin weltweite Entwicklungen tatsächlich laufen. Mit Ihrer Brille, die nur einen verengten Blick erlaubt, ist das nicht drin. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Ernst Ulrich von Weizsäcker. ({0})

Dr. Ernst Ulrich Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Wie Herr Minister Trittin gerade schon richtig gesagt hat: Es ist ein sehr kleiner Haushalt. Man könnte jetzt natürlich über die Zahlen im Einzelnen reden. Dabei würde herauskommen, dass diese 0,3 Prozent des gesamten Bundeshaushalts ganz erstaunlich effizient eingesetzt werden. Die Umweltpolitik ist wieder da - und das mit einem sehr geringen Finanzaufwand. Ich finde all das, was der Herr Minister gesagt hat, sehr überzeugend, insbesondere mit Blick darauf, dass man das Thema in der Bevölkerung und auch in der Industrie im Gegensatz zu der Zeit vor, sagen wir einmal: zehn Jahren wieder wirklich ernst nimmt. Ich werde jetzt nicht über all die einzelnen Haushaltstitel reden, zum Beispiel den Baufortschritt beim Langen Eugen, dem UNO-Zentrum in Bonn, aber ich will doch wenigstens zwei umweltpolitisch wichtige Haushaltstitel erwähnen, bei denen trotz der enormen Sparsamkeit - ein Minus von insgesamt 2,6 Prozent - eine erhebliche Steigerung zu verzeichnen ist. Bei dem einen Titel geht es um die Stärkung der Förderung der Nichtregierungsorganisationen, die im Umweltschutz tätig sind. Da sind Millionen junger und alter Menschen im Land bereit, ihre Freizeit für ein idealistisches Ziel zu opfern. Ohne diese - häufig stille idealistische Arbeit wäre es um die Umwelt und auch um die Umweltpolitik im Land viel schlechter bestellt. Ich kenne kaum einen Haushaltstitel, in dem die Mittel so kosteneffizient eingesetzt werden wie hier diese 4,5 Millionen Euro. Jeder Effizienzberater in der Wirtschaft - McKinsey, Roland Berger oder wer auch immer kann nur vor Neid erblassen angesichts dieser Art von Kosteneffizienz. Das sollte man in einer Haushaltsdebatte doch auch einmal erwähnen. ({0}) Der zweite Punkt, bei dem wir eine ganz erhebliche Steigerung erlebt haben - das begrüße ich sehr -, ist die Förderung der erneuerbaren Energien: einerseits über das Marktanreizprogramm, das eine Größenordnung von 20 Millionen Euro umfasst, und andererseits über verstärkte Forschung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Von diesen 20 Millionen Euro stehen 5 Millionen noch unter dem Vorbehalt, dass der Bundesrat dem Abbau der Subventionen für den Eigenheimbau zustimmt. Das ist in einer Zeit ja ganz besonders vernünftig, wo unausgesetzt leer stehende Häuser abgerissen werden. Das kann man also auch aus anderen Gründen gutheißen und nicht nur deswegen, weil es in diesem Fall die erneuerbaren Energien fördern würde. ({1}) Marktanreizprogramm und verstärkte Forschung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien stehen im Zusammenhang mit der deutschen Innovationsoffensive. Bei einem Arbeitsfrühstück gestern, an dem auch einige aus der Opposition teilgenommen haben, haben wir von der DENA gehört, dass China als mit Abstand größter Absatzmarkt für erneuerbare Energien ganz eindeutig auf Deutschland als Partner setzt, weil wir auf diesem Gebiet die technologische Führerschaft haben. ({2}) Damit zeigt sich, dass die deutsche Exportinitiative für erneuerbare Energien von ihrem internationalen Erfolg und von ihrer nationalen Arbeitsplatzwirksamkeit her außerordentlich vernünftig ist. ({3}) Herr Kohler hat übrigens bei dieser Gelegenheit die Veröffentlichung der DENA-Studie bis Jahresende in Aussicht gestellt. Wir könnten zwar eventuell noch etwas aus der Studie lernen, ich habe aber das Gefühl, dass sie heute, da wir über die Haushaltsansätze für das Jahr 2005 reden, vergleichsweise irrelevant ist. Denn das, was wir mit der Verabschiedung des Haushaltes beschließen, ist auf jeden Fall richtig. Herr Kohler würde das mit Sicherheit auch so sehen. Überhaupt ist die Umwelttechnologie weiterhin und in verstärktem Maße ein Exportschlager. Die Exporterfolge bestätigen unsere führende Stellung. Vor ein paar Jahren war es ja in konservativen Kreisen noch ein wenig üblich, Umweltschützer als Miesmacher, Müsliesser oder in ähnlicher Weise zu diskreditieren. Heute ist es berechtigt, in den Umweltschützern die Wegbereiter zu neuem Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft zu sehen. Die Identifikation etwa mit den erneuerbaren Energien ist in der breiten Bevölkerung und auch in Wirtschaftskreisen sehr hoch, und das trotz reißerischer Artikel in einem Nachrichtenmagazin oder mancher gelehrter Kalkulationen aus der Wissenschaft, in denen man diese Frage offensichtlich nur auf kurze und nicht auf lange Sicht betrachtet hat. ({4}) Dieser Optimismus in der Branche freut mich besonders, denn in der Wirtschaft und beim Einwerben von Kapital haben natürlich Optimisten durchweg bessere Karten als Miesmacher. Zu dem Stichwort Miesmacher fällt mir auch noch einiges ein, was in dieser Haushaltsdebatte im Hohen Hause gelaufen ist. Zum Beispiel hat sich Herr Glos in seiner Eröffnungsrede gestern darüber beklagt, dass nun amerikanische Aufkäufer durchs Land zögen und zu Billigpreisen deutsche Aktien einkauften. ({5}) - So hat er es gesagt. ({6}) - Es handelt sich um Amerikaner und zum Teil auch um Banken. - Auf jeden Fall ist die Begründung dafür ja ganz offensichtlich. Die amerikanischen Finanziers schätzen den Wert und die Ertragsfähigkeit der deutschen Wertpapiere viel höher ein als wir. ({7}) - Wir wissen doch aus den Wirtschaftsseiten der Zeitung, was da alles eingekauft wird, wie in DAX-Werte und andere deutsche Werte investiert wird. Bei uns scheint es so zu sein, dass man erst einmal das Land miesredet, sich dann ärgert, dass sich die Kurse nicht so recht erholen, und schließlich schimpft, dass wir zu einem Land für Schnäppchenjäger geworden sind. Das heißt, die wirtschaftspolitische Logik des Miesmachens ist unvernünftig. Demgegenüber ist der Umweltschutz heute ein ausgesprochener Hoffnungsträger. Das sollte auf die Wirtschaft abfärben. ({8}) Im Übrigen müssen selbst die, denen, aus welchen politischen Gründen auch immer, nicht nach Optimismus zumute ist, Umweltschutz proaktiv, in die Zukunft gerichtet, betreiben. Unsere Enkel werden über die parteipolitischen Streitereien des Jahres 2004 nicht sehr viel wissen; aber sie werden wissen, ob wir ihnen eine intakte Umwelt hinterlassen haben. ({9}) In diesem Zusammenhang ist langfristig natürlich die Klimapolitik das wichtigste Thema. Herr Lippold hat völlig Recht mit der Aussage, dass die Weichen dafür zur Zeit der Regierung von Herrn Dr. Kohl gestellt worden sind. Frau Dr. Merkel war selber in Kioto und hat das Kioto-Protokoll unterschrieben. Das heißt, darüber gibt es überhaupt keinen Streit. Unsere Regierung hat die Umsetzung des Kioto-Protokolls konsequent fortgesetzt, allerdings in dem Bewusstsein, dass das KiotoProtokoll nicht ausreicht, sondern wir darüber hinausgehen müssen. Ich bin, und zwar gerade im europäischen Vergleich, sehr froh darüber, dass es uns, der Bundesregierung und dem Bundestag, gelungen ist, mit der Verabschiedung des TEHG und des nationalen Zuteilungsplanes die Initiative zu ergreifen und zu zeigen, dass wir als Deutsche an vorderster Front der Modernisierung und zugleich des Umweltschutzes stehen. Klimaschutzpolitik ist ja gleichzeitig Modernisierungspolitik. Das sieht man etwa bei der jetzt anstehenden Modernisierung der Kraftwerke in Niederaußem. Wenn die gegenwärtigen veralteten Blöcke abgeschaltet und durch neue ersetzt werden, werden wir damit den noch fehlenden Anteil zur Erreichung des Kioto-Ziels erbringen. Das ist ein hervorragendes Symbol dafür, dass uns die Modernisierung im Klimaschutz voranbringt. Die Situation in Niederaußem steht symbolisch für das, worauf wir achten müssen. Es geht darum, durch Modernisierung und Effizienzgewinne den Kohlenstoffeinsatz zu vermindern, und das so frühzeitig, dass wir die Technologieführerschaft nicht ans Ausland abgeben müssen. Das ist das Motto, das sich durch alle Branchen ziehen sollte, nicht nur durch die der Kraftwerksbauer: Umweltschutz als Modernisierung und Effizienzgewinn. Insofern muss man als Umweltschützer nicht unbedingt traurig sein, wenn der Umwelthaushalt einmal in einem Jahr nicht ansteigt und wenn er, prozentual gesehen, auf einem niedrigen Niveau ist. Es kommt immer darauf an, was man aus den zur Verfügung stehenden Mitteln macht, und ich finde, das wird hier außerordentlich effizient gemacht. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an das anknüpfen, was der Vorredner, der Herr Kollege von Weizsäcker, hier gerade gesagt hat. Herr von Weizsäcker, wir streiten uns hier ja nicht über die Frage des Ziels. Ich glaube, kein Mitglied des Deutschen Bundestages, egal aus welcher Partei, wird abstreiten, dass wir uns alle dafür einsetzen, den nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Die Frage ist nur, wie das gemacht wird: effizient oder ineffizient? Das ist doch der Kern des Streits, den wir hier haben. ({0}) In den Erläuterungen des BMU-Haushalts heißt es, der Staat habe den marktwirtschaftlichen Rahmen für umweltgerechtes Verhalten zu schaffen. Genau das ist richtig, Herr Minister Trittin. Der Haushalt selber sagt nur wenig über die Umweltpolitik aus. Aber Ihre Rede spricht Bände. Bei allen Punkten, die Sie hier genannt haben, geht es immer nur nach dem Motto: bevormunden, verhindern und regulieren. Wir sagen Ihnen ganz klar: Wenn wir eine vernünftige Umweltpolitik wollen, die bezahlbar und effizient ist und mit der man die Ziele erreichen kann, dann brauchen wir Wettbewerb im Umweltschutz. Wir stehen für Wettbewerb. Sie und die Grünen dagegen stehen für Staatsinterventionismus. ({1}) Sie reden von einer umfassenden Wende in der Energiepolitik. Aber Sie haben bisher überhaupt noch kein entsprechendes Gesamtkonzept vorgelegt, in dem auch die Versorgungssicherheit berücksichtigt wird. Ich sage Ihnen einmal, wo wir heute stehen. Als die FDP noch an der Regierung beteiligt war, haben wir die Liberalisierung des Energiemarktes durchgesetzt und eingeleitet. Dadurch wurde das Ziel der Preissenkung erreicht. Sie dagegen haben es geschafft, dass der staatliche Anteil an den Energiekosten wieder auf über 40 Prozent gestiegen ist. Und dann erklären Sie, man müsse einen Energiegipfel abhalten! Wir befürworten zwar diesen Gipfel, aber Sie müssen sich endlich einmal bewegen und zugeben, dass ein großer Anteil an den Energiepreisen politisch bedingt ist. ({2}) Wenn Ihre Ankündigungen nicht nur Aktionismus sein sollen, müssen Sie deutlich erklären, dass Sie von der Ökosteuer weggehen. ({3}) Der Emissionshandel wurde jetzt beschlossen. Die Ökosteuer hat doch nichts mit Ökologie zu tun. Wir rasen für die Rente; denn Sie brauchen das Geld aus der Ökosteuer für die Rentenversicherung. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({4}) Herr Müller, die Ökosteuer ist nichts anderes als Etikettenschwindel. Die Dreifachförderung im Bereich der Kraft-WärmeKopplung ist nichts anderes als die Bedienung Ihrer Klientel. ({5}) Auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz rücken Sie nicht vom Dirigismus ab, ({6}) sondern Sie geben weiterhin staatlicherseits Technik und Preis vor. Dadurch entsteht ein hoher Finanzaufwand. Dem setzen wir die Förderung erneuerbarer Energien durch ein wettbewerbliches Modell entgegen. Deshalb: Wenn wir jetzt über die hohen Energiepreise sprechen, müssen wir vor allem über die verfehlte Energiepolitik dieser Bundesregierung reden. Solange Sie von Ihrer Position nicht abrücken, so lange ist der Energiegipfel nichts anderes als der Ausdruck der Hilflosigkeit von Kanzler und Kabinett. ({7}) In der Erläuterung zum Haushalt des BMU steht, die wichtigste Veränderung im Vergleich zum Jahr 2004 liege darin, dass der Ansatz für die Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien um 5 Millionen Euro erhöht werde. Natürlich sagen Sie nicht dazu, dass diese Förderung unter dem Vorbehalt steht, dass die Eigenheimzulage abgeschafft wird. ({8}) Sie verschweigen auch, dass Sie dieses Spiel in mehreren Einzelplänen betreiben. Alles Mögliche wollen Sie durch Einsparungen bei der Eigenheimzulage finanzieren; in der Summe wollen Sie ungefähr 150 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Die Abschaffung der Eigenheimzulage bringt aber nur 95 Millionen Euro, Herr Müller. In diesem Punkt erkennt man, dass dieser Haushalt eine einzige Luftbuchung ist. ({9}) Dasselbe gilt für das Thema Kreislaufwirtschaft. ({10}) Wo haben Sie, Herr Minister Trittin, denn nur annähernd etwas für die Kreislaufwirtschaft getan? Wir haben das entsprechende Gesetz 1994 beschlossen. Seitdem ist bei Ihnen nicht viel passiert. ({11}) Zum Zwangspfand - dieses Thema ist in diesen Tagen durch die Beratungen im Bundesrat wieder aktuell geworden - kann man nur sagen: Erkennen Sie doch endlich die Ergebnisse neuerer Studien an! Sie wissen ganz genau, dass wir zwischenzeitlich eine andere Situation haben als vor zehn, 15 Jahren. Das Zwangspfand ist ökologisch und ökonomisch unsinnig. Deswegen brauchen wir eine neue Konzeption. Dieser verweigern Sie sich aber. Sie machen eine Politik, die auf Zwangserziehung der Menschen in diesem Land setzt. Wir wollen Wettbewerb und freiheitliche Bedingungen auch in der Umweltpolitik. ({12}) Ganz besonders unerträglich finde ich, was Sie zum Thema altersschwache Reaktoren gesagt haben. Ihre Behauptung war, man wolle die Laufzeit altersschwacher Reaktoren verlängern. Dazu kann ich nur sagen: Wir haben in Deutschland eines der höchsten Sicherheitsregimes im Bereich der Reaktorsicherheit, und zwar zu Recht. Daran halten wir auch fest. Ein Reaktor, der diesen Sicherheitsbestimmungen nicht entspricht, kann in diesem Land nicht weiterbetrieben werden. ({13}) Herr Minister Trittin, was Sie hier gemacht haben, ist doch nichts anderes als eine Brandrede, die emotionalisiert und Angst schürt. Es geht Ihnen doch überhaupt nicht um die Umweltpolitik. Wenn die Reaktoren wirklich so gefährlich wären, wie Sie es sagen, dann müssten Sie diese sofort abschalten. Es ist doch scheinheilig, was Sie da machen! ({14}) Schauen wir uns einmal die Entsorgung radioaktiver Abfälle an; auch Sie haben dies angesprochen. Hier handeln Sie absolut verantwortungslos. Sie verschieben dieses Problem auf die zukünftigen Generationen. Sie haben einen AkEnd, den Arbeitskreis Endlager, eingesetzt. In den Erläuterungen zum Umwelthaushalt schreiben Sie - ich zitiere -: Die Entwicklung der Kriterien ist auf wissenschaftlicher Basis sachorientiert, unvoreingenommen und ohne Ausschluss relevanter Aspekte erfolgt. Bei dieser Gelegenheit, Herr Minister Trittin, verschweigen Sie, dass Sie dem Arbeitskreis Endlager schlicht und ergreifend vorgegeben haben, dass er nicht erarbeiten darf, was eigentlich sachlich richtig wäre: ein ZweiEndlager-Konzept, das bisher die Grundlage unserer Arbeit war. Im Bericht des AkEnd steht vielmehr unter „Vorbemerkungen“: „BMU-Vorgabe ‚Ein-Endlager-Konzept‘ …“ ({15}) Auf der gleichen Seite steht unten ganz klar, dass die Verfolgung des Ein-Endlager-Konzepts der öffentlichen Hand beträchtliche Mehraufwendungen bringen wird und wesentliche sicherheitsrelevante Kompromisse geschlossen werden müssen, also Gefahren damit verbunden sind. Sie aber erklären uns in dieser Haushaltsdebatte, Sie hätten völlig unvoreingenommen gehandelt. Das Gegenteil ist der Fall, Herr Minister Trittin. Das werden wir Ihnen deshalb nicht durchgehen lassen. ({16}) Sie werfen den Oppositionsparteien weiter vor - das ist im Übrigen eine Neuerung in den Haushaltserläuterungen -, dass wir uns im Hinblick auf die Einsetzung einer weiteren Arbeitsgruppe verweigert hätten. Sie müssen den Menschen in diesem Land aber bitte schön dazusagen, dass wir uns nicht für ideologische Vorgaben Ihrerseits missbrauchen lassen. ({17}) Wir sind jederzeit gerne bereit, an einer Konzeption mitzuarbeiten, die zu einem vernünftigen Ergebnis bei der Endlagerung führt und an einer fachlichen und wissenschaftlichen Basis orientiert ist. Wir sind aber nicht bereit, an dem mitzuarbeiten, was Sie uns hier vorlegen. Das verdeutlicht beispielsweise auch der entsprechende Bericht des Bundesrechnungshofes, der uns zwischenzeitlich vorliegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit haben im Gegensatz zu Ihnen nicht nur erklärt, dass das Ein-Endlager-Konzept finanzielle Risiken berge, sondern darüber hinaus auch erklärt, dass sicherheitstechnische Vorteile für ein MehrEndlager-Konzept sprechen würden. Das ist die Realität. Sie sind sich innerhalb der Regierung nicht einig und deswegen haben Sie bisher noch keine Lösung vorgelegt. ({18}) In dem Bericht des Bundesrechnungshofes werden die finanziellen Risiken ganz klar aufgezeigt. Ich weise zusätzlich auf die Rückforderungen der Wirtschaft hin, die auf Sie bzw. den Bundeshaushalt zukommen werden, wenn wir den Schacht Konrad nicht entsprechend weiterbetreiben. Das heißt, dass von unabhängiger Seite ein klares Urteil gefällt wurde. Herr Minister Trittin, Sie sind ein wandelndes Haushaltsrisiko. Der Umweltsachverständigenrat hat Anfang Mai die umweltpolitische Zurückhaltung der rot-grünen Bundesregierung in heftigen Worten kritisiert. An diesen Ausführungen zeigt sich ganz klar: Ihnen geht es nicht um den Umweltschutz, sondern um eine Instrumentalisierung der Ökologie für ideologische Zwecke. Das hat man heute sehr deutlich an Ihrer Rede gesehen. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winne Hermann.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Homburger, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, dass Sie gesagt haben: Wir alle wollen doch gemeinsam das Gute; wir unterscheiden uns nur im Weg. Sie haben Ihre Rede damit beendet, dass Sie festgestellt haben, dass der Umweltminister selber auf gar keinen Fall etwas Gutes will, sondern nur ein Ideologe ist. Ich finde, das ist kein besonders guter kommunikativer Stil; damit kommen wir nicht weiter. ({0}) Meine Damen und Herren, in Haushaltsdebatten wird bisweilen entweder grundsätzlich kritisiert und der Haushalt an sich vergessen oder es wird nur haushalterisch kritisiert. Ich will versuchen, beide Elemente, den Haushalt und die grundsätzliche Politik, miteinander zu verbinden. Diese Haushaltsberatungen stehen wie auch die Beratungen der letzten Jahre unter dem schwierigen Vorzeichen, dass wir Haushaltskonsolidierung betreiben müssen. Egal, welcher Couleur wir angehören, wir müssen uns Gedanken um die Frage machen, wo und wie gespart wird und ob an der richtigen Stelle gespart wird. Mir ist wichtig, aus Sicht der Grünen deutlich zu machen, dass eine Verschärfung beim Sparen insofern aus dem Subventionsabbaupapier von Koch und Steinbrück herrührt, als jetzt pauschal gekürzt werden muss, wobei es egal ist, ob es sich um sinnvolle ökologische Zukunftsinvestitionen handelt - ich nehme an, dass auch Sie nicht abstreiten werden, dass es solche sinnvollen Fördermaßnahmen gibt - oder ob es sich um Subventionen in alte Strukturen oder für eine alte Klientel handelt. Aus grüner Sicht ist es notwendig, hier zu differenzieren. Wir müssen auch bei der Haushaltspolitik deutlich machen, dass man hier unterscheiden kann. Nur wenn wir dies schaffen, können wir auch in Haushaltsfragen eine ökologische Debatte eröffnen. ({1}) Kollege von Weizsäcker hat darauf hingewiesen, dass der Umweltetat relativ klein und bescheiden ist. Entscheidend ist aber, dass es uns Umweltpolitikern inzwischen gelungen ist, wirklich massiv in zahlreiche andere Etats einzugreifen, Vorschläge zu machen, wie was geändert wird, und Programme aufzulegen, die ökologische Zukunftsfähigkeit fördern. So gibt es beispielsweise im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Großprogramm für Nachhaltigkeit. Ferner gibt es Projekte im Umfang von fast 700 Millionen Euro im BMZ, in denen es im Wesentlichen um nachhaltige Entwicklung, um Wasserversorgung und Wasserreinigung usw. in Entwicklungsländern geht. Im Haushalt des Finanzministeriums findet sich die Finanzierung der Altlastensanierung, im Wirtschaftsministerium die Energieeffizienzförderung. Bei all diesen Maßnahmen, die der nachhaltigen Entwicklung dienen, geht es stets um Beträge von mehreren 100 Millionen Euro. ({2}) Kollege Lippold, Sie bringen in fast jeder Debatte das Argument von der Altbausanierung. Das muss ich Ihnen doch einmal vorrechnen. Die letzte CDU-geführte Bundesregierung hat in ihrem Etat gerade einmal 20 Millionen für Altbausanierung ausgewiesen. ({3}) - Ja, 20 Millionen DM. - Wir haben im Jahre 2004 360 Millionen Euro; das ist das 36fache. Außerdem stehen 2,2 Milliarden Euro bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau an Krediten für ökologische Haussanierung oder den Neubau von Energiesparhäusern zur Verfügung. Dies ist in der Summe weit mehr als das, was Sie getan haben. Von daher empfinde ich es als vollkommen daneben und auch als ziemlich ungeschickt von Ihnen, diesen Punkt anzusprechen. Hier stehen wir wirklich bestens da. ({4}) Wir haben in diesem Etat einige Akzente gesetzt und trotz der Notwendigkeit des Sparens versucht, notwendige Modernisierungsmaßnahmen und Zukunftsinvestitionen im Haushalt zu verankern. Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien wird auf 193 Millionen Euro erhöht. Wir hatten einmal 200 Millionen Euro anvisiert. Unter den gegebenen Bedingungen ist das, was wir erreicht haben, schon ziemlich viel; es wird uns mächtig voranbringen. Dies zeigt sich an den vielfachen Formen der Umsetzung. Fahren Sie heute durch Deutschland und schauen auf die Dächer oder in die Landschaft, dann erkennen Sie, dass überall die Energiewende praktiziert wird. Dies haben wir dem Markteinführungsprogramm, den Forschungsbemühungen, die ebenfalls gefördert werden, und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zu verdanken. ({5}) FDP und CDU haben uns erneut den Vorwurf gemacht, wir hätten kein geschlossenes Gesamtkonzept im Energiebereich. ({6}) Das von Ihnen zu hören ist putzig. Immerhin haben wir schon ein Klimaschutzprogramm, eine ganze Reihe von energiegesetzlichen Maßnahmen als Bausteine und ein Atomausstiegsgesetz vorgelegt. Das alles zusammen ist ein weit entwickeltes und in Ihrer Sprache ein fast schon geschlossenes Bild. ({7}) Es fehlen noch ein paar Mosaik- bzw. Bausteine; aber wir arbeiten weiter daran. ({8}) In all diesen Jahren haben Sie kritikasterhaft mal gegen das eine und mal gegen das andere geredet, ohne auch nur in einem einzigen Punkt konsistent gewesen zu sein. Vielleicht ist es der Einzelne bei Ihnen. Aber wenn man mit den verschiedenen Flügeln - den Mittelständlern, den Marktwirtschaftlern oder den Ökologen - redet, bekommt man jeweils eine andere Antwort. ({9}) Sie erwarten von uns ein Gesamtkonzept, aber: Wo ist Ihr Energiekonzept? Sie haben doch in keinem einzigen Bereich der Energiepolitik ein Konzept, geschweige denn eines aus einem Guss. ({10}) Wir haben uns der Herausforderung verschrieben, vom Öl wegzukommen. Wir wollen das nicht nur, sondern machen auch konkrete Schritte in diese Richtung, wir machen Programmvorschläge und entwickeln Strategien, um Schritt für Schritt von dieser Abhängigkeit loszukommen. Diese Zukunftsinvestitionen werden sich doppelt rechnen: ökologisch, weil wir weniger Kohlenstoff verbrennen und weniger CO2 ausstoßen, und ökonomisch, weil wir angesichts der Verteuerung von Gas und Öl gottfroh sein können, dass wir in Teilbereichen ({11}) unseres Energieverbrauchs nicht mehr vom Öl abhängig sind, ({12}) weil es dank der Effizienzsteigerung auch gelungen ist, weit weniger Energie als bisher zu verbrauchen. ({13}) In der Summe kann ich Ihnen sagen: Wir haben schon einiges getan. Dass das Konzept noch nicht ganz geschlossen ist, mögen Sie verzeihen. Angesichts der Tatsache, dass Sie gar kein Konzept haben, sehen wir schon ziemlich gut aus. Wir sorgen für Zukunftsinvestitionen, weil wir wissen, dass wir all das, was heute nicht getan wird, was heute nicht in Zukunftsfähigkeit investiert wird, morgen bitter bezahlen müssen. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Doris Meyer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Doris Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich Antworten gibt.“ Dieses Zitat des Philosophen Martin Buber führt uns zu einem der Hauptprobleme von Minister Trittin: fehlende Antworten auf drängende Fragen. ({0}) Viele Antworten ist die rot-grüne Bundesregierung bisher schuldig geblieben, Antworten beispielsweise auf die Frage nach der Zukunft der Energiepolitik. Herr Hermann, bereits vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle ein zukunftsweisendes geschlossenes Energiegesamtkonzept angemahnt, ({1}) passiert ist immer noch nichts. Die Bundesregierung hält sich mit Vorschlägen vornehm zurück. Stattdessen reagiert sie auf die vielen offenen Fragen mit einem Mehr an Öffentlichkeitsarbeit. Keine Frage: Gute Öffentlichkeitsarbeit ist für die Politik wichtig. Mit immer mehr Öffentlichkeitsarbeit aber fehlende Konzepte, handwerkliche Fehler und Schnellschüsse im Gesetzgebungsverfahren zu kaschieren ist reines Blendwerk. ({2}) Es ist Blendwerk gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Steuergelder beispielsweise im Fall der Stilllegung des Kernkraftwerks Stade oder in Sachen Dosenpfand in großformatigen Anzeigen wiederfinden mussten. Eine Zahl möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Fast 1 Million Euro wurden von Juni 2001 bis Mitte 2004 für Dosenpfandwerbung ausgegeben. ({3}) Lassen Sie uns nun einen kritischen Blick auf den Haushalt 2005 werfen. Er wurde weiter abgespeckt, nach 2004 sollen auch 2005 nominal rund 20,6 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. So weit, so gut, könnte man meinen. Sparen und weniger ausgeben ist ja prinzipiell ganz in Ordnung. Man muss aber genau hinsehen: Der Haushalt ist zwar insgesamt kleiner geworden, aber das Ministerium selbst, die Bundesämter für Naturschutz und für Strahlenschutz und das Umweltbundesamt wollen trotz Umschichtungen fast 100 neue Stellen schaffen. Die Verwaltung wird größer. Ob das auch dem Umwelt- und Naturschutz zugute kommt, bezweifele ich ernsthaft. ({4}) Ein Mehr an Verwaltung hat nur selten etwas gebracht. Trotz der Aufstockung des Personals in der Verwaltung kam es in Ihrem Hause zu Versäumnissen bei der Ausübung der Bundesaufsicht über die Landessammelstellen für radioaktive Abfälle. Dieser Fehler kann den Bund nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes rund 7 Millionen Euro kosten. Das sind 7 Millionen Euro, die dem Umwelthaushalt dann anderswo fehlen werden. Umwelt? Richtig, da war doch etwas im Haushaltsentwurf und diese Woche in der Zeitung zu lesen. Zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem AfrikanischEurasischen Wasservogel-Übereinkommen benötigt Minister Trittin fast 140 000 Euro. Was man mit diesem Geld alles machen könnte! ({5}) Es gäbe sicherlich sinnvollere Einsatzmöglichkeiten wie beispielsweise die Förderung von Forschungsprojekten im Bereich der Energieeffizienz, der Energieeinsparung, der Brennstoffzellentechnik und der Speichertechnologie. Hier muss Deutschland schneller vorankommen. Unsere Unternehmen müssen diese Technik exportieren. Das ist die Chance für unsere Wirtschaft. Externer Sachverstand in Form von Beratern wird auch im nächsten Jahre wieder in steigendem Maße zugekauft; das Ergebnis sieht man. Trotzdem keine ausgefeilten Konzepte! Doris Meyer ({6}) „Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich Antworten gibt.“ - Das gilt auch für Ihr so genanntes Endlagerkonzept; denn „Konzept“ kann es wahrlich nicht genannt werden. ({7}) Im jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofes wurden Ihre Vorstellungen gerügt. Die Arbeit Ihres Hauses in diesem Bereich sei „nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und wenig transparent“. Kurz nach dem Regierungswechsel 1998 haben Sie sich von dem Zwei-EndlagerKonzept für unterschiedlich stark strahlende Abfälle verabschiedet. Sie haben all das achtlos und noch im Siegestaumel der gewonnenen Wahl über Bord geworfen. Sie wollten und wollen noch immer einen Sonderweg beschreiten und favorisieren ein einziges Endlager. Große Teile der Bevölkerung, auch die in meiner schwäbischen Heimat beim Kernkraftwerk Gundremmingen, sind in Sorge, dass es kein zentrales Endlager geben wird, sondern die Zwischenlager zu dezentralen Endlagern werden. Diese Sorge, meine Damen und Herren, kann ich gut nachvollziehen. Wir, aber vor allem Sie, Herr Minister, müssen diese Sorgen ernst nehmen und sie so weit als möglich ausräumen. Wie aber soll das gehen, wenn Ihre Regierung unverdrossen an ihren Plänen festhält? Minister Trittin hat der Union vorgeworfen, sie habe die Endlagersuche blockiert. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist vielmehr, dass die Union noch vor der Sommerpause einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, in dem Sie, Herr Trittin, aufgefordert werden, eine Lösung für die Entsorgung nuklearer Abfälle zu finden und dies nicht weiter zu verzögern. Was aber macht die Bundesregierung? Nichts. Herr Minister Trittin, Sie ignorieren. Sie ignorieren in unverantwortlicher Weise mehrere Gutachten. Darin sind die Nachteile des Ein-Endlager-Konzepts aufgelistet. Sowohl unter Sicherheits- als auch unter Kostenaspekten schneidet die Ein-Endlager-Lösung schlecht ab. Fachleute, die nicht regierungskonform argumentieren, werden einfach von den weiteren Beratungen ausgeschlossen. ({8}) Das ist auch eine Art und Weise, die eigene Ideologie zu pflegen und möglichst unangetastet zu lassen. ({9}) Wie sich derartige Vorgänge mit den Grundsätzen unserer Demokratie vereinbaren lassen, sei dahingestellt. Für die Union hatte und hat die technische Sicherheit bei der Endlagersuche stets absoluten Vorrang. ({10}) Wir von der CDU/CSU werden diesen Standpunkt im Interesse der bundesdeutschen Bevölkerung auch in Zukunft nicht aufgeben. ({11}) Wegen des bis heute fehlenden Bundestagsbeschlusses zu einem Wechsel vom Zwei- zum Ein-EndlagerKonzept sowie der fehlenden Berechnungen dazu sind Risiken in Milliardenhöhe zu befürchten. Je länger die Entscheidungsfindung dauert, umso höher wird das finanzielle Risiko. Es sieht düster aus: mit der Bundesregierung sowieso und leider auch mit der Energieversorgung in Deutschland. Die erneuerbaren Energien allein können das nicht leisten. Hier müssen wir realistisch sein. Das wissen Sie so gut wie ich. Ich hoffe nur, dass Ihre energiepolitischen Überlegungen - ich nenne sie nicht „Konzept“; denn es ist weit und breit kein Konzept zu sehen ({12}) nicht ideologisch verunstaltet sind. Mit Ideologie lässt sich weder heizen noch Strom erzeugen. ({13}) Ihre Regierungszeit neigt sich langsam, aber ganz sicher dem Ende zu. Trotzdem möchte ich Sie - ich bin ja Optimistin - nochmals auffordern: Legen Sie endlich schlüssige, zielgerichtete, zukunftsweisende und vor allem finanzierbare Konzepte auf den Tisch. Wenn Sie schon Steuergelder verbrauchen, dann wenigstens für Sinnvolleres als für afrikanisch-eurasische Wasservögel. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Fraktion, das Wort.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Debatten leben auch davon, dass man aufeinander eingeht. Deswegen, Frau Meyer, möchte ich auf Ihr rhetorisch geschickt gewähltes Beispiel der afrikanisch-eurasischen Wasservögel eingehen. Wie Sie, wenn Sie recherchiert haben, wahrscheinlich wissen, handelt es sich dabei um einen Teil der Verpflichtungen Deutschlands zur Erfüllung der UN-Konvention zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten. Sie haben vor kurzem dort drüben am Brandenburger Tor ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert. ({0}) - Nein, die Konvention. ({1}) Sie wurde vor zehn Jahren ratifiziert und die damalige Umweltministerin hieß Angela Merkel. Daher sage ich Ihnen vielen Dank dafür, dass Sie die Erfüllung von Verpflichtungen, die Angela Merkel eingegangen ist, kritisiert haben. ({2}) Zurück zum Haushalt des Umweltministeriums. Der Haushalt des Umweltministeriums setzt klare Schwerpunkte bei den erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz und beim Weg „Weg vom Öl“. Die Mittel für das Marktanreizprogramm für die erneuerbaren Energien und die Fördergelder für die Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien sind erhöht worden. Der Bund hat in diesen Bereichen einige äußerst erfolgreiche Kreditprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert. Wenn Sie von der CDU/CSU sich die Mühe machen würden, sich einmal die Zahlen zu besorgen, wie viele Förderanträge bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Projekte in Ihren eigenen Wahlkreisen genehmigt worden sind, würden Sie sehen, dass diese Programme mit einem Zinssatz von nur knapp über 2 Prozent vor Ort sehr gut greifen. Wir haben in diesem Jahr die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen, mit der Steuerbefreiung für Biotreibstoffe begonnen und anderes mehr. Diese Koalition hat 1998 eine Politik begonnen, die nicht nur die richtige Antwort auf Daueraufgaben wie Klimaschutz ist, sondern die, wie wir vor allem in diesem Jahr sehen, auch die einzige wirklich wirksame Perspektive ist, um unabhängiger von Ölimporten und damit von den sprunghaften Preisentwicklungen für Privathaushalte und die Wirtschaft in Deutschland zu werden. ({3}) Das kann man ganz einfach in zwei Punkten festhalten: Erstens. Es gibt keine bessere Versicherung gegen steigende Energiepreise als eine höhere Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Zweitens. Es gibt keinen besseren Weg, Arbeitsplätze zu schaffen, als Geld in den Ausbau erneuerbarer Energien und in eine höhere Energieeffizienz statt in hohe Ölrechnungen zu investieren. ({4}) Wir sind mit dieser Politik auf dem richtigen Weg. Die Erfolgsmeldungen kommen in immer dichteren Abständen. Dafür nenne ich Ihnen vier Beispiele. Erstes Beispiel. Seit wenigen Wochen wissen wir, dass die erneuerbaren Energien erstmals in der Neuzeit wieder mehr als 10 Prozent zur deutschen Stromerzeugung beitragen. Das ist ein sehr stolzes Zwischenergebnis. Wir sind klar Weltmeister beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Diese 10 Prozent erinnern mich wiederum an Frau Merkel, diesmal allerdings in einer anderen Angelegenheit. Als sie Umweltministerin war, sollte sie eine Abschätzung abgeben, wie hoch das Potenzial für erneuerbare Energien in Deutschland sei. Dazu sagte sie Mitte der 90er-Jahre: Auch auf mittelfristige Sicht höchstens 6 Prozent. ({5}) Derzeit liegen wir bei 10 Prozent. Dazu sage ich nur: Willkommen in der Wirklichkeit! ({6}) Wenn Frau Homburger bzw. die FDP sagt, dass sie marktwirtschaftliche Ausschreibungsmodelle will, stellen wir immer eine Frage, die uns aber nie beantwortet wird: In welchem Land, das Ausschreibungsmodelle für erneuerbare Energien durchführt, gibt es Erfolge, die wenigstens einen Bruchteil der deutschen Erfolge ausmachen? - In keinem. In einem der Vorreiterländer auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, in Dänemark, wurde einmal das deutsche System angewendet. Unter einer konservativen Regierung ist man dann zu einem Ausschreibungsmodell übergegangen. Jetzt können wir lesen, dass man diesen Schritt in Dänemark wieder rückgängig macht und zu dem richtigen Modell zurückkehrt, weil das Ausschreibungsmodell keinen Erfolg hat. ({7}) Sie beenden es also. Aber Sie wollen das, was unsere Nachbarländer probiert haben und was dort versagt hat, in Deutschland einführen. ({8}) Zweites Beispiel. Auf der großen internationalen Regierungskonferenz Renewables 2004, die im Juni in Bonn stattgefunden hat, wurde nicht nur das erste Aktionsprogramm für den Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch eine entsprechende Aufmerksamkeit für deutsche Technologie und deutsche Politik erreicht. Eine sinnvolle Fortsetzung der Renewables wäre jetzt die konsequente Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zur Schaffung von IRENA, also einer internationalen Regierungsagentur, die diese internationale Regierungskonferenz fortsetzt. Herr Minister Trittin, bitte agieren Sie hier genauso engagiert wie bei der Renewables 2004, damit wir diese Agentur auch einführen können. ({9}) Erlauben Sie mir an dieser Stelle die Bemerkung: Bonn wäre ein guter Standort für die Agentur. Drittes Beispiel. Erneuerbare Energien made in Germany sind nicht nur im Inland erfolgreich. Seit einigen Tagen wissen wir auch, dass fast ein Viertel aller außerhalb von Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugten Leistung aus Anlagen stammt, die deutsche Unternehmen errichtet haben; das ist ein beeindruckender Weltmarktanteil und eine beeindruckende Exportquote in so kurzer Zeit. Genauso kennen wir seit einigen Tagen eine genaue Analyse des Arbeitsplatzeffektes der erneuerbaren Energien: 118 700 Menschen arbeiten in Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Branche, davon 53 200 in der Windenergiebranche. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man versucht, sein politisches Süppchen gegen die Windenergie zu kochen. ({10}) 29 000 Menschen arbeiten im Bereich der Biomasse. Was für eine Perspektive für den ländlichen Raum! Ich nenne Ihnen ein Beispiel im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Zuckermarktes: Anstatt sich jetzt über Hofstilllegungen zu unterhalten, wie wir das in der Vergangenheit hatten, bemühen sich die Rübenbauern und die entsprechenden Unternehmen, dafür zu sorgen, dass hier vom Landwirt zum Energiewirt umgesattelt wird, das heißt, wir haben einen Strukturwandel, der gleichzeitig mit guter Umweltpolitik verbunden ist. Das ist doch einmal eine Perspektive für den ländlichen Raum! ({11}) Die Zahlen stammen übrigens vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und spiegeln den Beschäftigungsstand Ende 2002 wider. Seitdem haben wir einen weiteren deutlichen Aufbau. Viertes Beispiel. Die Kapazitäten deutscher Unternehmen in den Erneuerbare-Energien-Branchen wachsen rapide, besonders in der Photovoltaik, aber nicht nur dort. Für das Bonner Unternehmen Solarworld - ich darf das als Bonner Abgeordneter betonen - produzieren allein in Sachsen über 500 Menschen Photovoltaikmodule. ({12}) Diese Produktion soll in den nächsten Jahren vervierfacht werden - unter Schaffung entsprechender Arbeitsplätze. Mit dieser Erfolgsmeldung schmückt sich auch die CDU-Landesregierung in Dresden. Die dafür notwendigen Fördergesetze sind aber von allen sächsischen Bundestagsabgeordneten der CDU abgelehnt worden. ({13}) - Von allen sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten! - Das heißt, diese Arbeitsplätze sind entstanden, als Rot und Grün die sächsische CDU-Regierung an dieser Stelle zu ihrem Glück gezwungen haben. ({14}) Das gespaltene Verhältnis von CDU und CSU zu den erneuerbaren Energien ist zunehmend absurd. Ich kann Ihnen da noch ein weiteres Beispiel nennen, auch aus meiner Heimatstadt: Da wird die CDU-OB-Kandidatin am Wochenende eine Photovoltaikanlage einweihen. Das Unternehmen, das diese baut, möchte weiter Geld damit verdienen. Ich habe ihr viele Dinge auf den Weg gegeben, unter anderem, sie möge doch Frau Merkel schreiben, dass sie zurücknimmt, dass nach einem eventuellen Wahlsieg von CDU und CSU 2006 das Fördermodell, das dem Bau dieser Photovoltaikanlage zugrunde lag, wie Sie es angekündigt haben, auslaufen soll. ({15}) - Ich beantworte Ihnen die Frage, obwohl Sie keine Zwischenfrage gestellt haben: Natürlich wird der Zuschuss zur gebauten Anlage behalten werden dürfen; das fällt unter den Bestandsschutz. Aber dieses Unternehmen will Menschen einstellen, um Photovoltaikanlagen bei anderen zu bauen. Sie wollen in Arbeitsplätze investieren und sie wollen natürlich wissen: Gibt es die Förderbedingungen, zu denen heute weitere Menschen eingestellt werden sollen, auch 2006 und 2007 noch? Oder macht die rechte Seite des Parlaments wirklich Ernst damit, die erfolgreiche Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland zu beenden? Diese Fragestellung beschäftigt den Handwerker von dieser Firma und die Menschen, die bei ihm arbeiten wollen. ({16}) Da wir über die Studien der DENA reden, Herr Lippold: Die DENA hat diese Woche zu einem energiepolitischen Frühstück eingeladen. Ich habe Sie dort nicht gesehen, aber man hat ja auch andere Verpflichtungen, das stimmt. ({17}) Dort ist nach der Studie gefragt worden und dort hat der Chef der DENA Antwort gegeben. Ich hätte schon erwartet, dass Sie diese Antwort einmal lesen, bevor Sie hier gegenüber der Regierung Falschaussagen zu dieser Studie treffen. ({18}) - Da von einer Kollegin von der CDU/CSU gefragt wurde, hätten Sie es vielleicht weitergeben können, oder man hätte bei der DENA zumindest einmal nachfragen können, bevor man eine Behauptung aufstellt. Zurück zum aktuellen Thema der Energiepreise. Vor allem aus den Reihen der CDU/CSU gibt es täglich populistische Vorschläge dafür, was man dort tun kann. Ich habe gelesen, dass man das ex ante regeln sollte. Es geht dabei um alle 1 700 Stromunternehmen, die bis zum 1. Januar 2005 eine Entscheidung über ihren Antrag haben wollen. Ich bin gespannt, wie viele Mitarbeiter der Regulierer einstellen soll, um im Dezember 1 700 Anträge durchgängig zu prüfen. Ohne jegliche Antwort darauf, wie das finanziert werden soll, werden Steuersenkungen gefordert. Damit würde das Problem nur um einige Jahre in die Zukunft verschoben. Wer Energie heute künstlich verbilligt, der wird die Menschen in zwei Jahren vor viel größere Probleme stellen. Die beste Versicherung ist es, den Verbrauch von Öl und Gas in diesem Land zu reduzieren, weil das die Höhe der Rechnungen senkt. Darin müssen wir investieren. ({19}) Für diesen Weg - weg vom Öl und hin zu einer umweltverträglichen und kostenstabilen Energieversorgung setzen wir mit dem Haushalt die richtigen Schwerpunkte. Leider geht es bei Haushaltsdebatten nicht immer nur um Schwerpunkte, sie sind oft auch mit ätzenden Ritualen gespickt. Eines dieser Rituale ist, dass sich die CDU/CSU und auch die FDP immer hier hinstellen und sagen, dass wir eigentlich zu wenig für den Umweltschutz tun und zu wenig Geld dafür ausgeben. Eigentlich möchten Sie das besser machen. Ich befürchte, es gibt sogar einige Journalisten und Bürger, die das glauben. Diese lade ich ein, in den Umweltausschuss zu kommen und persönlich nachzuprüfen, wie die Umweltpolitik von CDU/CSU und FDP wirklich aussieht. Herr Lippold hat vorhin gesagt, wir würden die CDU/ CSU-Klimaschutzziele nicht erreichen. Im Umweltausschuss haben Sie vor wenigen Wochen gefordert, dass Deutschland im Jahre 2007 mehr Treibhausgase emittieren können soll als 2004. Das wäre die Beendigung des Klimaschutzes. Jeder kann im Umweltausschuss persönlich nachprüfen, wie die echte Umweltpolitik aussieht. ({20}) Manchmal hört man fast das Zähneknirschen von wirklich engagierten CDU/CSU-Politikern, wie zum Beispiel der Kollegin Meyer, der ich das zubillige, wenn die Vorturner an dieser Stelle so etwas fordern. Ich könnte an dieser Stelle einige weitere Beispiele aufzählen, aber meine Redezeit beträgt noch genau null Sekunden. Mit dieser Opposition ist in diesem Staat kein Umweltschutz zu machen. Es gibt keine Alternative zu dem Weg, den wir eingeschlagen haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Peter Paziorek das Wort.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber hat gerade eine Aussprache und Diskussion in einer der letzten Sitzungen des Umweltausschusses zitiert. Es ging um die Frage, wie viel CO2 gemäß dem nationalen Zuteilungsplan in der ersten Zuteilungsperiode bis Ende 2007 in Deutschland reduziert werden soll. Herr Kelber hat das gerade so dargestellt, als ob die CDU/CSU nur ein Interesse daran hätte, einen ehrgeizigen Plan zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu boykottieren und zu hintertreiben. Herr Kelber, das, was Sie gesagt haben, war falsch. Sie haben die Diskussion im Umweltausschuss völlig verfälscht wiedergegeben. Im Umweltausschuss ging es um die Frage, ob wir das Ziel der CO2-Reduktion, zu dem wir uns völkerrechtlich gemeinsam verpflichtet haben, im Jahre 2012 erreichen oder ob wir es in der Form, die Sie vorgeschlagen haben, weitgehend bereits im Jahre 2008 erreichen müssen. Wir als Union haben vorgeschlagen, den gesamten Zeitraum zu sehen und die Phasen gegenseitig zu gewichten. Daneben haben wir deutlich gemacht, dass wir schon eine Reduktion von fast 19 Prozent - insgesamt werden 21 Prozent angestrebt - erreicht haben. Wir haben vorgeschlagen, die noch fehlenden 2 Prozent nicht in der ersten Phase bis 2008 übermäßig stark anzustreben, sondern die Erreichung dieses Ziels praktisch auf beide Phasen zu verteilen und den Anteil für die zweite Phase bis 2012 zu erhöhen. Das hätte den Vorteil gehabt, dass die deutsche Wirtschaft schrittweise in den Emissionshandel hineingeführt worden wäre und dass der Wettbewerb zwischen den nationalen Volkswirtschaften nicht zulasten des deutschen Standortes beeinträchtigt worden wäre. Dennoch hätten wir das gemeinsame Ziel bis 2012 erreichen können. Dafür und nicht dafür, sich von einer CO2-Politik zu verabschieden, haben wir plädiert. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Kelber zur Erwiderung.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Paziorek, Sie haben gerade eigentlich nur das bestätigt, was ich gesagt habe. Ich habe zwei Sachen unterschieden: Erstens habe ich gesagt, dass sich die CDU/CSU in Form von Herrn Lippold hier hingestellt und gesagt hat, wir hätten das 25-Prozent-Ziel eigentlich erreichen müssen, was etwa 100 Millionen Tonnen CO2 weniger gewesen wären. Zweitens. Bei den Verhandlungen über den Klimaschutz in den letzten Wochen, bei denen es um zwei Zeiträume geht, 2005 bis 2007 und 2008 bis 2012, als wir vorgeschlagen haben, bis 2007 nicht um 100 Millionen, sondern um 2 Millionen Tonnen zu reduzieren, haben Sie erklärt, dass das nicht machbar sei. Zu dem Ziel, bis 2012 von 505 Millionen auf 499 Millionen Tonnen für die Energiewirtschaft und die Industrie herunterzugehen, haben Sie sich gar nicht geäußert, sondern sind ganz still gewesen. Als wir vorgeschlagen haben, von 505 Millionen auf 503 Millionen Tonnen zu reduzieren - der CDU-Vorschlag von 1990 lag bei knapp über 400 Millionen Tonnen -, hieß es, diese 2 Millionen Tonnen Reduktion seien nicht zu erreichen. Bei diesem Verhalten ist es unehrlich, heute zu sagen, wir haben von euch 100 Millionen Tonnen Reduktion gefordert, die ihr aber nicht erreicht. Dabei waren Sie doch nicht einmal bereit, uns bei 2 Millionen Tonnen entgegenzukommen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nach meinem Eindruck hatte sowohl derjenige, der die Kurzintervention machen wollte, wie auch derjenige, der darauf reagieren darf, Gelegenheit, das zu tun. Nun können wir dem nächsten Redner lauschen. Das ist der Kollege Albrecht Feibel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Haushaltsplan 2005. Herr Kelber, Sie sind eine ganz wichtige Antwort schuldig geblieben. Natürlich sind neue Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien wünschenswert. ({0}) - Von mir aus sind es gut 100 000. Aber was diese Arbeitsplätze kosten, haben Sie hier nicht vorgetragen. Das ist dann eine unredliche Diskussion über neue Arbeitsplätze. ({1}) Der Kollege von Weizsäcker hat davon gesprochen, dass es ein Haushalt der Kosteneffizienz sei, der vom Umweltminister vorgelegt wurde. Wer genau hinschaut, sieht viele Möglichkeiten der Einsparungen, die vorgenommen werden können. Selbst wenn der Haushalt mit rund 750 Millionen Euro eher klein ist, so wissen wir doch, dass die großen Ausgaben in Milliardenbeträgen außerhalb dieses Haushaltes stattfinden. Deshalb müssen wir das Gesamtpaket betrachten und dazu Einsparvorschläge machen. Der Bund ist in einer außerordentlich schwierigen Situation, weil er seit etlichen Jahren etwa 200 Milliarden Euro einnimmt und rund 250 Milliarden Euro ausgibt und diese Lücke von 40 bis 50 Milliarden Euro im Wesentlichen immer wieder durch Neuverschuldung abgedeckt werden muss. Das heißt, wenn wir eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik machen wollen, ist es dringend notwendig, dass diese Lücke reduziert wird. Deshalb muss in allen Einzelplänen gespart werden. Vor einer Politik, wie sie im Moment gemacht wird, hat der Bundeskanzler vor einem Jahr in Berlin gewarnt. Er hat gesagt: Wir dürfen heute nicht all das aufessen, wovon diese morgen auch noch leben wollen. - Ich nehme an, dass er mit „diese“ die nächsten Generationen meint. Das sei künftigen Generationen gegenüber nicht fair, so der Bundeskanzler. Betrachten wir einmal den Einzelplan 16. Er zeugt nicht gerade von Rücksichtnahme auf künftige Generationen. Unter der Überschrift „Wir tun etwas für die Umwelt“ kann man vieles entschuldigen. Man kann erklären, dies seien im Rahmen des Umweltschutzes zwingende Investitionen. Aber das Haushaltsgebaren des Einzelplans 16 ist weder fair, wie es der Bundeskanzler gefordert hat, noch verantwortungsbewusst. Deshalb nützt es auch nichts, wenn der Kanzler feststellt: Der Bundesfinanzminister hat damit begonnen, den Haushalt erfolgreich zu konsolidieren. Bei einer Lücke von 40 bis 50 Milliarden Euro im Jahr kann man das sicher nicht sagen. Eine erfolgreiche Konsolidierung besteht bei dieser Regierung in einer hohen Neuverschuldung. Das kann nicht das Ziel der Haushaltspolitik sein. Wer wie diese Bundesregierung von den Bürgern Sparsamkeit verlangt, der muss auch selbst ein gutes Beispiel geben. Selbst wenn das erwartete bescheidene Wirtschaftswachstum den Haushalt sicher nicht verfassungsgemäß und auch nicht den Maastricht-Kriterien entsprechend werden lässt, müssen wir daran gehen, in dem Einzelplan des Umweltministers nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, insbesondere im konsumtiven Bereich. Da sind die Personalausgaben. Der Finanzminister fordert von jedem Minister jährlich Einsparungen von 1,5 Prozent. Dem kommt der Umweltminister rein formal auch nach, indem er die regulären Personalkosten um 1,5 Prozent kürzt, allerdings parallel dazu - dies auch wieder im Jahr 2005 Hilfskräfte und Mitarbeiter mit Zeitverträgen beschäftigt. Das ist ein Nullsummenspiel, aber keine Einsparung. Wenn wir genau hinschauen, könnte im Bereich der Hilfskräfte und der Mitarbeiter mit Zeitverträgen eine Summe von mindestens 6 Millionen Euro eingespart werden. ({2}) Der nächste Punkt. Für internationale Zusammenarbeit und internationale Organisationen sieht der Einzelplan des Umweltministers 32,5 Millionen Euro vor. Da sind sicher die größten Beträge nützlich angelegt. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass auch dort Einsparmöglichkeiten gegeben sind. Ich denke an eine Summe von etwa 5 Millionen Euro. ({3}) - Nicht alles sind Zusagen. Schauen Sie sich den Haushalt genau an! Sie werden feststellen, dass da noch allerhand Luft ist. In Zeiten knapper Kassen müssen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentation und Dienstreisen reduziert werden. Diese Ausgaben machen annähernd 12 Millionen Euro aus. Ich gehe von einem Einsparvolumen von mindestens 5 Millionen Euro aus. In diesem Zusammenhang ist auch die Kritik des Bundesrechnungshofes zu sehen, der im Zusammenhang mit der verschwenderischen Brasilienreise davon gesprochen hat, dass es immer noch ein ungenügendes Reisemanagement im Ministerium gibt. Mehr als 260 Millionen Euro sollen auch im Jahr 2005 für die Förderung erneuerbarer Energien ausgegeben werden. Das ist sicher in Ordnung. Wir wollen das auch. Aber ich bin der Meinung, dass man auch diese Ausgaben auf den Prüfstand stellen muss, um zu sehen, ob es Einsparmöglichkeiten gibt. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Einspeisevergütung. Es ist nicht zu leugnen, dass 40 Prozent der Stromkosten vom Staat bestimmt werden. Wenn die Preise so hoch sind wie in diesen Tagen, was kritisiert wird, und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gefährdet ist, dann muss man diesen Anteil von 40 Prozent ebenfalls unter die Lupe nehmen. Ein leidiges Thema sind die enormen Kosten für Sachverständige, Berater, Gutachten und Fachbeiräte. Deren Sinnhaftigkeit muss man einmal überprüfen. Das Bundesumweltministerium verfügt über ausgezeichnete Fachkräfte oder wollten Sie das bestreiten, Herr Minister? - Er hört überhaupt nicht zu. Deshalb sollte es nur in Ausnahmefällen auf die Beschäftigung Externer zurückgreifen. Auch da gibt es ein erhebliches Einsparpotenzial. Ich gehe davon aus, dass man hier mindestens 50 Prozent - sprich: 2 Millionen Euro - einsparen kann. Die letzte ergiebige Position für Einsparungen liegt bei der Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven Abfällen, die chaotisch ist. Ich möchte hier keine Wertung über die Kernenergie abgeben. Das haben Sie und andere schon gemacht. Es ist lediglich die Betrachtung und die Kritik des Haushälters, der sich um Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit im Umgang mit den Steuergeldern sorgt. Da werden Gutachten für viel Geld in Serie bestellt, Kommissionen beschäftigt und Projektgruppen berufen, deren Beratungsergebnisse den Minister überhaupt nicht interessieren. ({4}) Offensichtlich ist er deshalb nicht interessiert, weil die vorgeschlagenen Lösungen nicht seinen Vorstellungen entsprechen. ({5}) In Wirklichkeit will der Minister mit diesen Gutachtern, Projektgruppen und Kommissionen nur eine Verzögerung der Problemlösung herbeiführen. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht vom 31. August 2004 eine vernichtende Kritik hinsichtlich der Endlagerung atomarer Abfälle in der Verantwortung des Bundesumweltministers abgegeben. Der Konzeptwechsel vom Mehr- zum Einendlager birgt nach Auffassung des Bundesrechnungshofes Risiken für den Bundeshaushalt in Höhe mehrerer Milliarden Euro. Diese Risiken wachsen mit der Dauer der Entscheidungsfindungsprozesse, Herr Minister. Sie sind kräftig dabei, diese Entscheidungsfindungsprozesse in die Länge zu ziehen. Wir schließen uns der Aufforderung des Bundesrechnungshofes an, der Sie, Herr Trittin, auffordert, endlich die Ihnen vorliegenden Erkenntnisse auszuwerten, eine Bilanz aus den bisherigen Untersuchungen zu ziehen und auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zügig eine Entscheidung herbeizuführen, um die finanziellen Risiken für den Bundeshaushalt zu beherrschen. Das schreibt Ihnen der Bundesrechnungshof ins Stammbuch. Im Übrigen sollten Sie bedenken, dass in keinem anderen Staat auf dieser Erde bisher das Ziel einer gemeinsamen Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in einem einzigen Endlager verfolgt wurde. Das sollte eigentlich zum Nachdenken führen. Handeln Sie ohne ideologische Scheuklappen, damit Sie dem ohnehin gebeutelten Steuerzahler nicht noch höhere Stromrechnungen, noch höhere Kosten und noch höhere Haushaltsdefizite zumuten. Danke. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist noch gar nicht so lange her, da hörte man überall, das Jahrzehnt der Ökologie sei vorbei. In der Zwischenzeit hat uns die Wirklichkeit eingeholt, und zwar härter, als viele geglaubt haben. Man muss sich nur die Entwicklung auf den Rohstoff- und Energiemärkten anschauen. Das entscheidende Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist ein ökologisches Problem. Es ist nicht so, dass dieses Thema abgeschrieben ist; im Gegenteil: Wenn wir jetzt die Weichen falsch stellen, dann wird uns sowohl eine ökonomische Krise als auch eine ökologische Krise einholen. Insofern muss man sich jetzt genau anschauen, wie die langen Linien unserer Politik aussehen sollen. Das ist wichtiger denn je. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an einem Punkt verdeutlichen: Seit der industriellen Revolution, also seit 1850, ist die entscheidende Grundlage des industriellen Wachstums der Einsatz von Ressourcen. Er ist inzwischen auch ein entscheidender Motor der Globalisierung, aber gerade auch die Schwäche der Globalisierung. Wir kommen an der einfachen Feststellung nicht vorbei: Das heutige Energie- und Rohstoffsystem ist auf 1 Milliarde Menschen ausgerichtet. Selbst diese 1 Milliarde Menschen überfordert das System bereits. Wir haben aber 5 bis 6 Milliarden Menschen auf der Erde, die dieses System nutzen wollen. Deshalb kann man das bisherige Energie- und Rohstoffsystem nicht fortsetzen. Das ist der entscheidende Punkt, um den es geht. ({1}) Wir müssen einfach begreifen: Wenn nicht einige Industrieländer Vorreiter sind bei der Neuordnung in Richtung Energieeffizienz und Solarwirtschaft, dann wird genau das eintreten, was uns eigentlich seit Ende der 60er-Jahre alle prognostizieren, nämlich dass wir keine Michael Müller ({2}) friedliche Zukunft haben. Das ist der Punkt, um den es geht. Frau Homburger, wenn Sie von Freiheit reden, dann muss ich Ihnen auch einmal sagen: Es gibt keinen nennenswerten wichtigen Philosophen der Moderne, der Freiheit nur individuell definiert hat - was Sie permanent tun. ({3}) Es ist immer so gewesen, dass es eine Wechselwirkung zwischen Verantwortung für die Gemeinschaft und individueller Freiheit gegeben hat. Das ist die Grundlage der Moderne, nicht Ihr verengtes und meines Erachtens auch sehr verklemmtes Verständnis von Freiheit. ({4}) Auch Joseph Schumpeter, der Innovationstheoretiker Nummer eins, hat es immer abgelehnt, Markt nur als individuelle Freiheit zu definieren; er hat ihn immer im Zusammenhang mit den öffentlichen, mit den gemeinschaftlichen Gütern, wie er es genannt hat, definiert. ({5}) Sie haben bis heute nicht verstanden, dass in einer zusammenwachsenden Welt das Prinzip der Gegenseitigkeit wichtiger denn je wird, und zwar nicht nur Gegenseitigkeit der heute lebenden Generation, sondern gleichzeitig auch der künftig lebenden Generationen. Meine Damen und Herren, es gehört zum Verständnis von Freiheit, dass man auch die Verantwortung übernimmt. Genau das tun wir. Es ist natürlich einfach, zu sagen: Wir versprechen billige Energie. Nur, es ist eine Lüge; denn niemand kann dieses Versprechen einhalten. Insofern geht es um preiswerte Energie. Es wird in Zukunft aber keine billige Energie mehr geben; denn die Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Deshalb müssen wir alles tun, um vor allem Energie einzusparen und neue Energietechnologien zu entwickeln. Man darf nicht, wie Sie das tun, glauben, die Lösung liege darin, dass man einfach das Energieangebot ausweitet. Die Atomkraft, die Sie favorisieren, ist jedoch keine Lösung. Würden die Ausbaupläne, über die momentan in vielen Ländern diskutiert wird, umgesetzt, dann würden die Uranressourcen nach Untersuchungen des VDEW - das sollten Sie wissen - in 20 bis 25 Jahren erschöpft sein. Wollen Sie in diese Falle laufen oder - das wäre dann die Alternative - wollen Sie die Plutoniumwirtschaft? Sie sollten hier die Wahrheit sagen. ({6}) Tatsache ist: Wir erleben zum ersten Mal im industriellen Zeitalter, was es bedeutet, mit Grenzen umgehen zu müssen. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Man kann ja beispielsweise über die Ökosteuer oder das EEG denken, was man will. Aber wer bestreitet, dass damit tendenziell eine Wende in der Energiepolitik eingeleitet wurde, der hat nichts begriffen oder will die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Seit der Ölpreiskrise Anfang der 70er-Jahre sinkt zum ersten Mal der Kraftstoffverbrauch in Deutschland, und zwar nicht unter Krisenbedingungen. Es gibt eine massive Steigerung der Energieproduktivität. Das Wachstum liegt in diesem Bereich bei 2 Prozent. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir selten mehr als 1 Prozent erreicht. Es gibt hier auch einen Aufwuchs an Arbeitsplätzen. ({7}) Natürlich ist das ein schwieriger Weg. Aber glauben Sie im Ernst, dass alles automatisch geregelt wird, wenn wir es dem Markt überlassen? Warum ist es dann aber in der Vergangenheit nicht passiert? Es bedarf politischer Rahmensetzungen. ({8}) Dazu muss man sich bekennen. Das tun wir. Ich finde das auch richtig. In einer sehr weitsichtigen Rede vor der Wirtschaftskammer von Madrid hat John Maynard Keynes 1933 gesagt - das haben die Keynesianer, die nur über das Deficit-spending reden, bestimmt nie gelesen; ich finde, dass das einer der interessantesten Punkte ist -: Die zentralen Zukunftsfragen werden sein: technologische Arbeitslosigkeit und die Verwerfungen zwischen Geldanlagen und Produktivität im internationalen Bereich. Genau das tritt heute ein. Interessanterweise ist auch hier Ökologie ein entscheidender Punkt, um das Problem zu lösen. In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, Probleme in der Beschäftigungspolitik ausschließlich über den Faktor Arbeit zu lösen. Deutschland braucht gerade als Exportland eine hohe Produktivität. Das können wir nur über mehr Materialeffizienz, Energieeffizienz und Ressourceneffizienz erreichen. Das ist der entscheidende Weg. Auch hier liegt Rot-Grün richtig, nicht Sie. ({9}) Was Verantwortung der Politik bedeutet, möchte ich an drei Punkten deutlich machen. Erster Punkt. Wir machen eine Energiepolitik der Effizienz und der solaren Wende, weil wir nicht wollen, dass die Zukunft von Ressourcenkriegen bestimmt wird. Wenn man sich in der Welt genau umschaut, dann weiß man, dass das bereits real ist. Was erleben wir denn momentan? Ein Teil der Energiepreissteigerungen ist darauf zurückzuführen, dass jetzt große und sich industrialisierende Schwellenländer das Gleiche tun, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Deshalb explodiert beispielsweise der Erdölpreis im Nahen Osten. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass diese Entwicklung allein auf den Terrorismus zurückgeht. Vielmehr entwickelt sich eine ganz andere Nachfragestruktur. Das kann man nicht einfach hinnehmen. Man muss vielmehr einen intelligenteren Umgang mit Energie entwickeln. Das ist die Antwort darauf. Michael Müller ({10}) ({11}) Der zweite Punkt betrifft die Klimagefahren. Nehmen Sie als Beispiel nur die letzte Studie der Europäischen Umweltagentur. Was dort vor allem im Hinblick auf die Veränderung der Meeressysteme festgestellt wird, ist dramatisch. Wir nehmen das viel zu wenig zur Kenntnis. So hat sich der Druckwirbel im Nordatlantik beispielsweise in den letzten 15 Jahren um ungefähr 25 Prozent verringert. Was dies in Konsequenz für das gesamte europäische Klima bedeutet, kann man sich gar nicht ausmalen. ({12}) Auf jeden Fall wird es verhängnisvoll sein. Andere Beispiele sind die Veränderung des Salzgehaltes in den Ozeanen und das immer häufigere Auftreten des HenryEffektes, also des Abbrechens großer polarer Eisschichten. All das sind Phänomene, deren Bedeutung wir bei einer kurzfristigen Betrachtungsweise überhaupt nicht erfassen können. Auch hier hat die Politik die Verantwortung, in langen Zeiträumen zu denken. Das bedeutet „Energiewende“. Dritter Punkt. Die technologische Arbeitslosigkeit wird - ich habe es schon einmal angesprochen - nicht zu beseitigen sein, sofern wir den gesamten Rationalisierungsdruck in reifen Ökonomien nur über den Faktor Arbeit organisieren. So wird dieses Problem nicht gelöst. Wir brauchen einen anderen, einen intelligenteren Umgang mit Produktivität. Sie müssen sehen: Die Ressourcenproduktivität ist im Vergleich zur Arbeitsproduktivität nur um etwa ein Viertel, wenn nicht sogar nur um ein Fünftel gestiegen. Steigende Arbeitsproduktivität heißt: Es wird immer mehr Arbeitskraft durch Technik ersetzt. Warum fördern wir nicht eine Produktivitätssteigerung, die im Grunde genommen die Natur und die Ressourcen schont? Auch das ist möglich und es schafft Arbeit. So sieht ein anderes, ein zukunftsweisendes Denken aus, wie wir es wollen und wie es unserer Linie entspricht. ({13}) Ich glaube, dass die Ökologie wieder eine zentrale, eine viel größere Bedeutung bekommt, als wir es uns im Moment vorstellen; denn in Zukunft wird in einer zusammenwachsenden Welt die stoffliche Seite des Wirtschaftens von zentraler Bedeutung sein. Jetzt können wir die Weichen stellen: Entweder wir bleiben bei der Verschwendungswirtschaft - wir müssen sie dann unter Inkaufnahme immer größerer Konflikte absichern; logischerweise werden wir dann zur Nutzung von Atomenergie und vielem anderen zurückkehren - oder wir begreifen, dass Zukunftsverantwortung für uns heißt: Wir müssen versuchen, mit möglichst wenig Energie und mit möglichst wenig Rohstoffen auszukommen. Herr Paziorek, Anfang der 90er-Jahre haben wir die Idee der Kreislaufwirtschaft entwickelt. Doch leider ist diese Idee - das ist mein Vorwurf - Papier geblieben. ({14}) - Doch, es ist Papier geblieben. - Ich erinnere beispielsweise an Ihr, wie ich finde, fast nur noch karikierendes Verhalten gegenüber dem Dosenpfand. Wenn man genau hinschaut, erkennt man: Das Dosenpfand war ein Pfeiler des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Da kann ich nur sagen: Ihr ganzes Denken ist: Überschriften setzen, aber bitte keine Konsequenzen daraus ziehen. Das geht nicht. ({15}) Wer Verantwortung will, muss auch einmal Konflikte durchstehen. ({16}) Unser Land und vor allem Europa haben in einer globalisierten Welt wirklich die große Chance, die ökologische Modernisierung zum Markenzeichen eines neuen, verträglichen Fortschritts zu machen. ({17}) - Ich war immer dafür. Mein Problem war, dass ich damals gegen Sie kämpfen musste. ({18}) - Aber Entschuldigung. Ich erinnere mich doch noch an die Debatte Anfang der 90er-Jahre. Damals hat die SPDFraktion - Stichwort Grüner Punkt - eine Abgabe verlangt und Sie haben genau das Gegenteil durchgesetzt. Wir haben es doch heute mit Ihrem und nicht mit unserem Gesetz zu tun. ({19}) Wo sind wir denn? Verdrehen Sie doch nicht die Tatsachen. Lassen Sie uns gemeinsam für diese große Zukunftschance kämpfen! Die ökologische Modernisierung ist Europas Chance. Wenn wir da versagen, dann ist das mehr als nur eine parteipolitische Frage. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Professor Bietmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Rolf Bietmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003506, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Müller, es war unbestreitbar sehr interessant, Ihnen zuzuhören. ({0}) Aber Ihre Ausführungen über den Rohstoffeinsatz und die Entwicklung der Weltbevölkerung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es heute um den Bundeshaushalt des Jahres 2005 von Herrn Trittin geht. Ich denke, damit sollten wir uns auch beschäftigen. Ich sage das, obwohl ich eingestehen muss, dass insbesondere die Ausführungen von Herrn Kollegen von Weizsäcker sehr interessant waren. Es ist sicherlich unbestreitbar, dass die Bewahrung einer aktiven, lebenswerten Umwelt zu den großen politischen Herausforderungen der Gegenwart zählt. In Konsequenz dieser Erkenntnis haben von der Union geführte Bundesregierungen ein auf Naturschutz und Umweltbelange ausgerichtetes Ministerium geschaffen. Ziel dieser Politik war es, Umweltschutz eben nicht nur als Querschnittsaufgabe zu akzeptieren, sondern die Umweltschutzaufgaben des Bundes in einem spezifisch dafür eingerichteten Ministerium zu konkretisieren und damit klare Verantwortlichkeiten zu schaffen. Schaut man sich das heute, sechs Jahre nach der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, an, dann stellt man fest, dass davon nicht viel übrig geblieben ist. ({1}) Von den im Bundeshaushalt 2005 vorgesehenen Umweltschutzausgaben in Höhe von insgesamt 4,1 Milliarden Euro entfallen lediglich 769 Millionen Euro, also nur rund 19 Prozent, auf das Bundesumweltministerium. 81 Prozent der umweltschutzrelevanten Ausgaben werden durch die Bundesregierung auf andere Ressorts verteilt. Dies ist mit Sicherheit kein Vertrauensbeweis für Sie, Herr Trittin. ({2}) Für mich ist überhaupt nicht nachvollziehbar - Herr Kollege Hermann, ich habe mir das sehr genau angesehen -, dass beispielsweise für Forschung im Haushalt des Umweltministeriums lediglich 21 Millionen Euro, im Haushalt der Bundesbildungsministerin für Grundlagenforschung zum Umweltschutz aber 604 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wer wirklich wirksamen Umweltschutz in Deutschland will, der muss auch die organisatorischen Voraussetzungen für eine zielgerichtete Umweltpolitik schaffen. Ein vielfach bedeutungslos gewordenes Umweltministerium können wir uns in diesem Land nicht erlauben. ({3}) Natürlich kann man für das am Haushalt ablesbare Misstrauen gegenüber dem Umweltminister Verständnis haben. Hier ist mehrfach der Bericht des Bundesrechnungshofes über das Endlagerkonzept dieses Ministers zitiert worden. In ungewöhnlich krasser Form wird dessen Politik gerügt. Der Rechnungshof spricht gar von Beratungsresistenz Trittins und wirft ihm vor, aus rein ideologischen Erwägungen die Bundesrepublik Deutschland mit finanziellen Risiken in Milliardenhöhe zu überziehen. Diese schonungslose Kritik immerhin des Bundesrechnungshofes ({4}) wird auch durch einen Blick in den Haushalt 2005 bestätigt. Die Zahlen, die wir dort lesen, dokumentieren den Schaden, der durch die politisch gewollte Verzögerung der Endlagerlösung entsteht. Allein für die Offenhaltung des Standortes Gorleben werden 26,6 Millionen Euro vorgesehen. Für das Endlager Schacht Konrad sind weitere 20 Millionen Euro veranschlagt. Rechnet man die Kosten, die nur für die Offenhaltung der beiden Endlagerstandorte angesetzt worden sind, für die Dauer des Moratoriums zusammen, so ergeben sich allein hieraus Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Dabei bleiben die Erforschungs- und Ausbaukosten in Milliardenhöhe unberücksichtigt. Der Genehmigungsbescheid für den Schacht Konrad als Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle liegt bereits seit dem 5. Juni 2002 vor. Wir brauchen dieses Endlager dringend. Schwach und mittelradioaktive Abfälle fallen in großer Zahl an, insbesondere im medizinischen Bereich, aber auch im Forschungsbereich. Die baden-württembergische Landesregierung hat erst vor wenigen Wochen Herrn Trittin darauf aufmerksam gemacht, dass rund zwei Drittel aller schwach und mittelradioaktiven Abfälle in Deutschland in der Forschungsanlage Karlsruhe oberirdisch gelagert werden mit erheblichem Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung. Die Endlagerung dieser Abfälle im eigens dafür vorgesehenen Schacht Konrad ist im Interesse des Schutzes der Bevölkerung unverzichtbar. ({5}) Es ist höchste Zeit, dass diese verantwortungslose Verzögerungspolitik in Sachen Endlager gestoppt wird. Darum fordern wir den Sofortvollzug der Genehmigung für den Schacht Konrad und die Beendigung des Moratoriums für Gorleben. Stattdessen werden die Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, das gesamte Bundesgebiet mit oberirdischen Zwischenlagern für hoch radioaktive Stoffe zu überziehen. Die hierdurch bedingte, politisch gewollte Mehrung von atomarem Gefährdungspotenzial ist unverantwortbar. Ich muss Ihnen sagen, Herr Trittin: Ihr Auftritt heute in Sachen Atomkraft war meines Erachtens nur peinlich. Dass sich ein Bundesumweltminister hier hinstellt, das Kernkraftwerk Biblis mit Temelin vergleicht, dann noch sagt, das seien - wörtlich - alte Mühlen, ({6}) und damit in der Bevölkerung Unsicherheit und Angst schürt - als Mittel der politischen Auseinandersetzung -, ({7}) ist des Amtes eines Umweltministers der Bundesrepublik Deutschland wahrhaft nicht würdig. ({8}) Natürlich haben Sie sich auch zu den Energiekosten geäußert; das haben wir nicht anders erwartet. Gemäß der Devise „Schuld sind immer die Unternehmen“ haben Sie den Versuch gestartet, von eigenem Versagen abzulenken. Fest steht aber, dass in den Jahren der rot-grünen Regierungsverantwortung der auf den Staat entfallende Anteil in den Stromkosten um mehr als 20 Milliarden Euro gestiegen ist. Plötzlich erkennt man in der rot-grünen Regierung, dass hohe Energiekosten zum Standortnachteil für Deutschland werden, dass sie für die Abwanderung von Unternehmen und damit den Verlust von Arbeitsplätzen mit ursächlich sind. Die Union hat diese Preisspirale bereits bei Einführung der Ökosteuer vorhergesagt. Herr Trittin war es ja, der dem seinerzeit entgegengehalten hat, Energiepreise könnten gar nicht hoch genug sein, da hierdurch ein Anreiz zum Energiesparen geschaffen werde. Vor diesem ideologischen Hintergrund wurde die Ökosteuer eingeführt und fortlaufend erhöht. Wenn dann gleichzeitig noch eine KWK-Abgabe und eine EEGUmlage den Stromkunden tangieren, dann wird verständlich, warum die Bundesrepublik Deutschland heute europäischer Spitzenreiter bei den Stromkosten ist. Natürlich sind die erneuerbaren Energien - da gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht - weder alleiniger noch wesentlicher Preistreiber. Wir von der Union wollen und werden erneuerbare Energien fördern. Wer jedoch wie die Union ein klares Bekenntnis zu erneuerbaren Energien und deren Förderung ablegt, der kann nicht gleichzeitig die Einführung einer umweltpolitisch wirkungslosen Ökosteuer befürworten, die dann auch noch Jahr für Jahr kräftig erhöht wird. Diese Rechnung geht nicht auf. ({9}) Der Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen ist das Ergebnis. Meine Damen und Herren, der vorliegende Haushaltsentwurf ist insgesamt nicht nur Dokument einer zunehmenden haushaltspolitischen Bedeutungslosigkeit des Umweltministers, er zeigt gleichzeitig auch völlig unvertretbare Schwachstellen rot-grüner Umweltpolitik auf. CDU und CSU treten angesichts der internationalen Herausforderungen insbesondere im Bereich des Klimaschutzes für ein starkes Umweltministerium ein. Umweltschutz ist für uns eine Kernaufgabe zukunftsorientierter Politik. Der werden wir uns auch in den nächsten Jahren engagiert annehmen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- desministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge - Drucksache 15/3678 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer ({1}), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mautbefreiung für humanitäre Hilfstransporte - Drucksache 15/3489 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Bundesminister Manfred Stolpe.

Manfred Stolpe (Minister:in)

Politiker ID: 11005316

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und der Aufbau Ost sind drei Arbeitsfelder, die - ich darf das so sagen - mit über Deutschlands Zukunft entscheiden werden. ({0}) Es sind mittel- und langfristige Aufgaben, die unser aller Anstrengungen brauchen. Für Schnellschüsse sind sie schlecht geeignet. Es handelt sich um Arbeitsfelder, bei denen wechselseitige Polemik wenig hilft, aber Konsenssuche und Ehrlichkeit der Sache und vielleicht sogar dem Ansehen der Politik helfen können. ({1}) Langfristig muss eine ausreichende Finanzierung dieser drei Arbeitsfelder gesichert werden. Daran besteht sicherlich kein Zweifel in diesem Haus. Kein Zweifel besteht sicher auch darin, dass Haushaltskonsolidierung alternativlos ist. Deshalb tragen wir die Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates zum Subventionsabbau mit, aber in der Erwartung, dass die nötigen Sonderhilfen für Ostdeutschland davon unberührt bleiben, und in der Überzeugung, dass Verkehrsinfrastrukturinvestitionen keine Subventionen sind - weder bei Straßen noch bei Wasserstraßen noch bei Schienenwegen. ({2}) Diese Lebensadern müssen gestärkt werden, um das Transitland Deutschland und seine Wirtschaft zukunftssicher zu machen. In dieser Spannung zwischen hohem Finanzbedarf und Zwang zum Sparen gehen wir in unserem Ministerium neue Wege zur Sicherung unserer Aufgaben. Im Bereich des Bauwesens und des Städtebaus setzen wir unsere konsequente Innovationspolitik fort. Das neue Baugesetzbuch vereinfacht das Planen und Bauen und gibt die Möglichkeit, neue, moderne Ziele wie das Programm „Soziale Stadt“, das in das Gesetz integriert wurde, zu handhaben. Die Taskforce Public Private Partnership hat ihre Arbeit aufgenommen; sie sorgt damit für mehr Vielfalt bei den Investitionsmöglichkeiten. Der Stadtumbau West tritt neben den Stadtumbau Ost. Wir helfen den Städten massiv bei der Überwindung der Probleme, die Globalisierung, demographischer Wandel und Schrumpfung mit sich bringen. Die Stiftung „Baukultur“ wird im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen können. Mit aufgestockten Beträgen zur Altschuldenhilfe unterstützen wir sehr wirksam die ostdeutsche Wohnungswirtschaft. Gut aufgestellt sind wir auch in der Verkehrspolitik. Der Bundesverkehrswegeplan und die Ausbaugesetze wurden verabschiedet. Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur konnten wir auf hohem Niveau fortsetzen. ({3}) Trotz Konsolidierungsnotwendigkeiten verbleibt die Investitionshöhe deutlich über dem Stand von 1998. ({4}) Die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger, die Entwicklung neuer Technologien und Kraftstoffe, unsere erneute Kampagne zur Verkehrssicherheit, all das gibt der Verkehrspolitik ein modernes, zukunftsfähiges Gesicht. Die Mitfinanzierung der Verkehrswegeinvestitionen durch eine Maut für Lastkraftwagen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 1. Januar 2005 starten. ({5}) Der Weg war lang und nicht einfach. Sieben Verkehrsminister vor mir haben an diesem Projekt gearbeitet. Nun werden unsere Auftragnehmer Daimler-Chrysler, Telekom und Cofiroute mithilfe von Siemens das modernste Gebührenerfassungs- und -berechnungssystem betreiben können. Zur Vergangenheitsbewältigung hinsichtlich der Mautausfälle haben wir inzwischen das vereinbarte Schiedsverfahren eingeleitet. Voranbringen werden wir auch die stärkere Einbeziehung privater Investoren bei Straßeninvestitionen. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen und Investoreninteresse ist vorhanden. Wir werden dadurch noch schneller mehr Straßen bauen können. ({6}) Meine Damen und Herren, beim Aufbau Ost haben wir Halbzeit. Es war im Juni 2001 die richtige Entscheidung des Bundes und aller Länder, für teilungs- und vereinigungsbedingte Sonderfinanzierungen einen Zeitraum bis 2020 vorzusehen. ({7}) Jetzt stehen wir beim Aufbau Ost vor zwei Aufgaben: Wir müssen erstens die wachsende Differenzierung berücksichtigen. Osten ist eben nicht mehr gleich Osten, so wie Westen kein anderer Ausdruck für Paradies ist. Wir müssen Wachstumskerne stärken und die Chancen peripherer Regionen unterstützen. ({8}) Zweitens müssen wir die ostdeutsche Realität, Enttäuschung, Unzufriedenheit und Zukunftssorgen, berücksichtigen. Das bedeutet ehrliche Problembeschreibung, breite Einbeziehung der Menschen in Problemlösungen und Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen. Die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost und West ist eine vorrangige nationale, ja europäische Aufgabe, die gemeinsam gelöst werden kann und gelöst werden muss. Ostdeutschland ist kein Fass ohne Boden. Die ganz überwältigende Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland trägt aktiv dazu bei, dass unser Land wieder in Schwung kommt. ({9}) Sie arbeiten in Unternehmen und Verwaltungen, sind Selbstständige oder Wissenschaftler. Ganz genauso wie alle Deutschen zahlen sie Steuern, mit denen Kommunal- und Landeshaushalte, aber auch der Bundeshaushalt bestritten werden. Aber viele, viel zu viele können nicht dabei sein. Oft sind sie seit Jahren ohne Arbeit und auf Unterstützung angewiesen. Das ist sicher eine Wurzel von Unzufriedenheit und Protest. Am 1. Januar 2005 beginnt mit dem Solidarpakt II die zweite Phase des Aufbaus Ost. Bis Ende 2019 stehen Fördermittel in Höhe von 156 Milliarden Euro zur Verfügung. Im so genannten Korb I erhalten die ostdeutschen Länder vom Bund insgesamt 105 Milliarden Euro unmittelbar. Die neuen Länder sind gefordert, diese Mittel zum Abbau des infrastrukturellen Nachholbedarfs und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft einzusetzen. Für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die Förderung der InBundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe novationskraft und der Beschäftigung sowie den Ausbau der Infrastruktur und der ländlichen Entwicklung stellt der Bund im so genannten Korb II 51 Milliarden Euro bereit. Das wären im Durchschnitt bis 2019 jährlich etwa 3,4 Milliarden Euro. Um der Entwicklung in den neuen Ländern jetzt einen kräftigen Schub zu geben, wird der Bund mit seinem Haushalt 2005 diesen Betrag deutlich überschreiten und mehr als 5 Milliarden Euro ausgeben. ({10}) Die vier großen Förderressorts Wirtschaft und Arbeit, Bildung und Forschung, Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft können damit den Aufbau Ost weiter gezielt voranbringen und wichtige Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung in den neuen Ländern geben. Das Kooperationsangebot dieser vier Ministerien liegt den neuen Ländern vor. Mit ihnen werden wir die Gespräche darüber fortsetzen. Wir werden mit ihnen auch über die Möglichkeiten des Korbs II konkret reden. Eine bedeutende Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Ich bin stolz, dass es uns trotz bestehender Sparzwänge gelungen ist, diese sehr wichtige Förderung auf hohem Niveau fortzusetzen. Zudem konnten wir die Investitionszulage für die gewerbliche Wirtschaft über das Jahr 2004 hinaus um weitere zwei Jahre verlängern. ({11}) Deutschland hat eine starke Infrastruktur, das dichteste und beste Verkehrsnetz Europas. Das dürfen wir nicht schlechtreden. ({12}) Auf dieses Verkehrsnetz können wir alle stolz sein. Denn es ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Bemühens auch in diesem Hause. Nach meiner Überzeugung ist heute die zentrale Aufgabe die Erhaltung. Es war diese Bundesregierung, die den stetigen Rückgang der Mittel für die Erhaltung gestoppt und umgekehrt hat. Das spiegelt sich auch im Haushalt 2005 wider. Die Finanzmittel für 2005 und die folgenden Jahre sind umfangreich; weit umfangreicher, als manch einer prophezeit hat. Der Gesamthaushalt sinkt zwar von 24,7 Milliarden auf 23,2 Milliarden Euro. Aber dabei muss berücksichtigt werden, dass fast 1 Milliarde Euro auf die Umsetzung der Wohngeldansätze zum Wirtschafts- und Arbeitsministerium zurückzuführen ist. Der reale Rückgang um 2,3 Prozent ist moderat und noch vertretbar. ({13}) Unser Ziel ist die Konzentration auf Erhalt und Modernisierung des Bundesfernstraßennetzes. Das sind Investitionen von rund 4,5 Milliarden Euro in 2004 und rund 4,6 Milliarden Euro in 2005. Schwerpunkte sind dabei die Ausfinanzierung aller laufenden Maßnahmen, die Realisierung der Vorhaben des Anti-Stau-Programms und der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sowie die Refinanzierung privat vorfinanzierter Bundesfernstraßenabschnitte. Zum Auf- und Ausbau der Schienenwege stehen für Ersatzinvestitionen im bestehenden Netz mittelfristig Bundesmittel von rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Damit kann auch nach Einschätzung der Bahn der Bedarf für Erhaltung und Modernisierung des Bestandsnetzes vollständig gesichert und ein Bestandsverzehr vermieden werden. Darüber hinaus verfügbare investive Bundesmittel von insgesamt bereits gesicherten rund 3,1 Milliarden Euro werden zur Realisierung eines bedarfs- und leistungsgerechten Aus- und Neubaus der Bundesschienenwege eingesetzt. ({14}) Damit können die aus verkehrlicher Sicht wichtigsten Vorhaben, wenn auch in Baustufen, realisiert werden. Trotz der Festlegung, dass Bedarfsplanvorhaben vorerst in Baustufen realisiert werden, ist es weiter gemeinsame Zielsetzung, dass auch die anschließenden Ausbaustufen realisiert werden müssen. Aufgetretene Unklarheiten in der Durchführung, die viele Fragen im Lande ausgelöst haben, werden von unserem Ministerium mit der Bahn geklärt. Ich möchte noch einige einzelne Bahnprojekte nennen, die wegen ihrer überregionalen Bedeutung hier hervorgehoben werden sollen. Erstens. Im größten Ballungsraum Europas werden wir die Schieneninfrastruktur deutlich stärken und die infrastrukturellen Voraussetzungen für den Rhein-RuhrExpress schaffen. Zweitens. Wir stehen zum Transrapid. Die Bayerische Staatsregierung hat zugesagt, zügig ein Gesamtfinanzierungskonzept vorzulegen. Ich habe in Gesprächen mit der Staatsregierung dargelegt, dass die zugesagten Mittel des Bundes auch weiterhin zur Verfügung stehen. ({15}) Drittens. Wir müssen Berlin-Schönefeld zu einem leistungsstarken Luftverkehrsstandort machen. Das beinhaltet die Anbindung an das Straßen- und Schienennetz. Schließlich müssen wir unsere auf den maritimen Konferenzen gemachten Zusagen zur Verbesserung der Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen umsetzen. ({16}) Das bedeutet übrigens ganz konkret, die Mittel für den Bau der Autobahn 20 bereitzustellen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt bei den Investitionen in die Infrastruktur Schwerpunkte. Sie ist in der Lage, das Notwendige zu finanzieren. Aber der Haushalt des Ministeriums hat mehr zu bieten. Bei vielen Projekten unterstützen wir zusammen mit der Forschung oder auch der Industrie konkrete Innovationsvorhaben. So steht Deutschland zum Beispiel bei der Entwicklung alternativer Kraftstoffe weltweit mit an der Spitze. Vor wenigen Wochen ist es gelungen, zusammen mit der chinesischen Regierung und den beteiligten Unternehmen einen Lenkungsausschuss für die deutschchinesische Zusammenarbeit im Rahmen der Kraftstoffstrategien zu gründen. ({17}) Wir fördern Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Das verbessert die Qualität des Wohnraums, schützt das Klima und sichert Arbeitsplätze. Unsere drei Felder sind viel weiter, als es hier beschrieben werden kann. Wir sind in der Lage - das ist die wichtigste Aussage für mich -, mit dem Haushalt 2005 das Nötige zu tun. Über die Arbeit in Bezug auf die Bereiche Verkehrsinfrastruktur, Bau, Wohnen und Aufbau Ost muss weiter diskutiert werden. Sie braucht auch konstruktive Kritik und darauf freue ich mich. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Und nun will der Kollege Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion dem Minister sicher diese Freude machen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Stolpe, bei Ihrer liebevollen und sanften Art fällt es nun wirklich schwer, zur Faktenlage in diesem Lande zurückzukehren. Aber wenn Sie schon von uns konstruktive Kritik hören wollen, dann will ich das gerne tun. Denn Sie, die Koalition, tragen mit dem Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Verantwortung für drei Aufgabenbereiche von gesellschafts-, wirtschafts-, umwelt- und arbeitsmarktpolitisch hohem Rang. Dies sind nicht nur drei Politikfelder, sondern ist auch dreimal eine Bilanz des Versagens rot-grüner Politik. ({0}) Erstens. Die ehemals vorbildliche deutsche Verkehrsinfrastruktur droht zu verkommen. Umfang und Zustand des Verkehrsnetzes werden schon den heutigen Mobilitätsanforderungen nicht mehr gerecht. ({1}) Nicht das Verkehrsaufkommen und den für die wirtschaftliche Entwicklung notwendigen Bedarf für den Infrastrukturausbau haben Sie zum Ordnungsmaßstab für die Gestaltung des Verkehrsetats herangezogen, sondern einzig und allein Ihre Kassenlage. Zweitens. Den Baubereich haben Sie in all den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung sträflich vernachlässigt. ({2}) Die deutsche Bauwirtschaft ist unter den von Ihnen vorgegebenen Rahmenbedingungen in die schwerste Krise der Nachkriegsjahre geraten. ({3}) - Ich sage Ihnen: Je lauter die linke Seite hier ist, desto klarer ist, dass ich mit meinen Feststellungen Recht habe. ({4}) Wir haben dem Herrn Minister ganz diszipliniert zugehört. Aber dass hier Unruhe entsteht, darüber braucht man sich nicht zu wundern. Wer ein schlechtes Gewissen hat, wird laut. ({5}) Drittens. Im Wohnungsbau ignorieren Sie den Bedarf an neuen, bezahlbaren Wohnungen. Sie ignorieren den Wunsch großer Teile der Menschen nach den eigenen vier Wänden. Für die Opposition halte ich fest: Wer in Deutschland eine Diskussion wie „Bildung statt Beton“ oder „Bildung statt Eigenheimzulage“ zulässt, hat für das Bau- und Wohnungswesen nichts übrig. ({6}) Das ist reinster Populismus und so realitätsfern wie die rot-grüne Investitionspolitik insgesamt. ({7}) - Parlamentarische Geschäftsführer werden für ordentliche Arbeit und nicht für dumme Zwischenrufe bezahlt. ({8}) Wir brauchen beides: Bauinvestitionen sind ebenso Zukunftsinvestitionen wie Bildung oder Forschung. Der Bau braucht Perspektiven. ({9}) Die Bauwirtschaft leidet ganz besonders unter den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie müssen die Lösung der Probleme ernsthaft anpacken. Oder wollen Sie den Kollaps einer so wichtigen WirtschaftsbranEduard Oswald che in Kauf nehmen? Der Wohnungsbau in unserem Lande befindet sich im freien Fall; hier haben sich die Aussichten auf eine Stabilisierung weiter verringert. Wer Bauen auf Beton verkürzt, versteht nichts von der Baubranche. Bauen von heute ist Innovation, Bauen ist Zukunftsvorsorge. Deshalb braucht der Bau unsere Unterstützung. ({10}) Dies ist keineswegs als Selbstzweck zu verstehen. Dem Wohnungsbau wie dem Verkehrsbereich muss dringend wieder neuer Schwung gegeben werden. Genauso wichtig wie die Schaffung von Wohnraum ist die Sicherung von Mobilität. Die Politik hat dazu die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen; denn Infrastrukturpolitik ist ein elementarer Bestandteil moderner Wirtschaftspolitik. Gute Verkehrsanbindungen und die Sicherstellung reibungsfreier Verkehrsflüsse sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft. ({11}) Mehr Mobilität darf aber nicht zu weniger Sicherheit führen; wenigstens sind wir uns in dieser Frage einig. Deshalb müssen Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung hohe Priorität genießen. Meine Damen und Herren, erstens müssen Sie beim Regierungshandeln die Investitionen in die Verkehrswege als Zukunftsinvestitionen begreifen. Zweitens müssen Sie die im Fernstraßen- und Schienenwegeausbaugesetz zügig vorgesehenen Projekte zügig umsetzen. Und drittens sollten Sie unsere Vorschläge für notwendige weitere Neu- und Ausbauvorhaben nicht selbstherrlich zurückweisen. ({12}) Die Landesverkehrsminister haben Ihnen längst die Defizite Ihrer Politik einmütig vorgerechnet. ({13}) Denken Sie an dieses einmütige Votum aller Landesverkehrsminister aus allen Parteien. ({14}) Ein Land, das die Anpassung seines Verkehrswegenetzes an den aktuellen Bedarf verzögert oder gar unterlässt, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und damit den Wohlstand der Bürger. ({15}) Das nach Ihrem Bundesverkehrswegeplan zum Ausbau der Verkehrswege für erforderlich gehaltene Investitionsvolumen von jährlich 10 Milliarden Euro wird mit dem in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen durchschnittlichen Betrag von 7,7 Milliarden Euro deutlich unterschritten. Dies ist eine Besorgnis erregende Entwicklung. Hinzu kommt, dass sich auch der Verfall der deutschen Infrastruktur längst zur Wachstumsbremse ausgeweitet hat. Wir dürfen uns von den Entwicklungen in Europa nicht abkoppeln. Das ist unsere Sorge. ({16}) Dabei muss sich Deutschland auch seiner Verantwortung als europäische Verkehrsdrehscheibe stärker bewusst sein. Ohne eine Kurskorrektur hin zu höheren Investitionen werden wir mit zunehmenden Staus auf Schiene und Straße zu einem weiteren Stau in der Gesamtwirtschaft kommen. Wo der Haushalt an Grenzen stößt, ist die Forcierung von Projekten der Public Private Partnership der einzige Weg, um den Stau bei den öffentlichen Investitionen aufzulösen. Alles, was Sie hier bisher getan haben, geht viel zu langsam. Die 12 Milliarden Liter Kraftstoff, die in Deutschland jährlich im Stau vergeudet werden - man höre: 12 Milliarden Liter Kraftstoff werden jährlich im Stau vergeudet -, entsprechen rund 18 Prozent des Gesamtverbrauchs im Straßenverkehr. ({17}) Sie müssen daher doch auch erkennen, wie wichtig eine weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung ist. Dafür brauchen wir ein leistungsfähiges Straßennetz. In den kommenden zehn Jahren sind allein 40 Prozent der Fahrbahndecken im Fernstraßennetz erneuerungsbedürftig. Rund 5 000 Brücken und Tunnel befinden sich schon heute in einem kritischen Bauwerkszustand. Das ist doch die Realität in Deutschland! Darum sage ich: Wo investiert wird, gibt es Zukunft. Wo Investitionen unterlassen werden, lebt man von der Substanz und verspielt Zukunft. ({18}) Auch wenn die Straße Verkehrsträger Nummer eins ist, brauchen wir jeden unserer Verkehrsträger: die Binnenschifffahrt, die Seeschifffahrt, den Luftverkehr und auch die Bahnen. Lassen Sie Ihren Erklärungen über den herausgehobenen Stellenwert des Systems Schiene endlich Taten folgen. In Ihrem Haushaltsentwurf fährt die Bahn aufs Abstellgleis. ({19}) Wenn Sie der Bahn bis 2008 insgesamt 3,5 Milliarden Euro weniger für den Netzausbau zur Verfügung stellen, als noch vor einem Jahr geplant, ({20}) dann ist die Sorge der Bahnindustrie berechtigt, die von einer regelrechten Investitionskrise spricht. ({21}) Die Bahn beziffert den Bedarf für die Schieneninfrastruktur auf jährlich mindestens 4,2 Milliarden Euro, davon 1,7 Milliarden Euro allein für die Realisierung des Bedarfsplans, das heißt für Neu- und Ausbauten. Tatsächlich werden aber nach Angaben der DB AG selbst ab 2005 jährlich insgesamt nur etwa 3 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das heißt im Klartext, dass zur Abarbeitung des Schienenwegeausbaugesetzes jährlich nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen sind. Das ist ein Engpass mit fatalen Folgen. ({22}) Hierzu kommt, dass auch die Deutsche Bahn AG bei ihren Investitionen zunehmend zurückhaltend ist. Die Erlangung der Kapitalmarktfähigkeit - ich sage Ihnen das wohlformuliert ({23}) darf nicht zu einem Verzicht auf notwendige Investitionen führen. ({24}) Wo es Baustopp gibt, wird nicht nur Mobilität ausgebremst, sondern es werden Baubetriebe in die Insolvenz getrieben. Beim angestrebten Börsengang sind alle verkehrs-, finanz- und haushaltspolitischen Chancen und Risiken gründlich zu prüfen. Bei den verschiedenen Möglichkeiten für eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG ist eine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Modell nicht zielführend. Mein Rat, Herr Bundesminister, lautet: Sorgfalt vor Geschwindigkeit. Das gesamte Verkehrsgewerbe, also die Bahn wie auch die Unternehmen der anderen Verkehrsträger, müssen für den Wettbewerb in Europa fit gemacht werden. Wir brauchen faire Bedingungen, damit sich unsere Unternehmen auf dem größer gewordenen europäischen Verkehrsmarkt besser behaupten können. Unser Ziel muss sein, Deutschland gesamtwirtschaftlich wieder nach vorne zu bringen. Wir fordern Sie auf, das Bauwesen in unserem Lande nicht weiter zu vernachlässigen, dem Wohnungsbau, bei dem auch die Eigenheimzulage ihre Berechtigung hat, neuen Schwung zu geben, zu einer am volkswirtschaftlichen Bedarf ausgerichteten Verkehrswegeplanung zu kommen, den Investitionsanteil an den Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes zu steigern, mit einer soliden Haushaltsplanung langfristig für Finanzierungssicherheit bei Schiene, Straße und Wasserstraße zu sorgen, die Mauteinnahmen zweckentsprechend für die Verkehrsinfrastruktur zu verwenden, und zwar genau so, wie das seinerzeit im Vermittlungsverfahren vereinbart worden ist. ({25}) Ich sage Ihnen: Beim Thema Maut müssen Sie uns schon eine besondere Sensibilität zugestehen. Nachdem die Einnahmen entgegen den Absprachen im Haushalt 2005 untergegraben werden sollen, wollen Sie jetzt mit dem Gesetz zur Änderung des Autobahnmautgesetzes die Länder umgehen. Die mit Zustimmung des Bundesrates einst erlassene Rechtsverordnung mit dem Termin des Mautstarts halten Sie - wortwörtlich - für verbraucht. Dabei nennen Sie vorsorglich keinen konkreten Termin. Ich hoffe, Sie sind sich nicht selbst unsicher, ob es denn nun zum 1. Januar 2005 wirklich klappt. Wir wünschen uns das. Wir wollen einen Erfolg des deutschen Systems und damit auch den Erhalt und die Sicherung deutscher Arbeitsplätze. ({26}) Geregelt wird nun endlich auch die Inkassoberechtigung des Mautbetreibers. Das hatten Sie in der vorherigen Rechtsetzung schlichtweg vergessen. Das war wirklich keine handwerkliche Glanzleistung. Zu beraten haben wir heute auch über einen Antrag zur Mautbefreiung für humanitäre Hilfstransporte. Ich gehe davon aus, dass Sie die Notwendigkeit einer solchen Freistellung einsehen und sich nicht auch hier unseren Vorschlägen verweigern. Meine Damen und Herren, mit Ihrer Politik befinden Sie sich auf der falschen Spur. Nur wenn Sie schnell umsteuern, können Sie den Crash vermeiden. Nutzen Sie jetzt die Möglichkeiten bei den anstehenden Haushaltsberatungen. ({27})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr hing der Haushaltsentwurf zum Einzelplan 12 an einem seidenen Faden. Heute hängt er an einem dicken Tau. ({0}) Damit will ich sagen: Wir haben jetzt das Mautdebakel - ich hoffe, definitiv - hinter uns. Wir haben das Koch/ Steinbrück’sche Schlachtfest mit Blessuren überstanden. Das neue Management bei Toll Collect, ein wesentlich stringenteres Controlling - durch das Management, aber auch durch das Ministerium und seine nachgeordneten Behörden - und auch die erfolgreichen bisherigen technischen Tests geben Anlass zu Optimismus. ({1}) Albert Schmidt ({2}) - Ich sage gleich etwas dazu. - Aber Gewissheit - das sage ich Ihnen ganz ehrlich - haben wir erst am 1. Januar. Von daher bleibt bei mir ein Rest Misstrauen. Wir haben zu viel und zu oft Versprechungen gehört. Das eigentliche Risiko scheint mir aber derzeit darin zu bestehen, dass schlicht und einfach zu wenig OnBoard-Units in LKWs eingebaut sind. Das birgt das Risiko kilometerlanger Rückstaus an den Terminals zur manuellen Einbuchung. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Wer mit dem Gedanken spielt, durch verzögerten Einbau von On-Board-Units den Projektstart vielleicht doch noch einmal um zwei, drei Monate hinausschieben zu können, um noch ein paar Monate gebührenfrei auf Deutschlands Autobahnen fahren zu können, der wird wegen dieser kilometerlangen Staus kein Verständnis finden, weder bei den PKW-Fahrern noch bei sonstigen Teilen der Bevölkerung. Deswegen kann ich nur sagen: Jetzt die On-Board-Units einbauen, in die Werkstätten gehen! Die Kapazitäten sind da. Die Geräte liegen auf Halde. Man muss nur hingehen und sie einbauen lassen. Man sollte nicht länger glauben, man könne die Sache noch irgendwie aussitzen. ({3}) - Es sind 165 000. Sie müssen sich ein bisschen kundig machen. In diesem Verkehrsetat sind 10,8 Milliarden Euro an Verkehrsinvestitionen vorgesehen. Das ist sogar geringfügig mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Das ist, finde ich, angesichts der allgemein schwierigen Haushaltssituation, die niemand bestreitet, eine erstaunliche Leistung. ({4}) Der verehrte Kollege Oswald hat die Bahn angesprochen. Im letzten Jahr, 2003, wurden nahezu 4,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln für Investitionen in die Schieneninfrastruktur überwiesen und ausgegeben. Das zeigt den Stellenwert, den der Schienenbau in diesem Lande für Rot-Grün hat. Ich will aber hinzufügen: Im aktuellen Haushaltsjahr, 2004, stehen nur noch 3,7 Milliarden Euro zur Verfügung und im nächsten Jahr wird es wieder exakt dieser Betrag sein. Das ist deutlich weniger und liegt für mich nicht nur an der untersten Grenze, sondern schon an der Schmerzgrenze, also da, wo es aufhört, Sinn zu machen. Dennoch bin ich bereit, diesen Entwurf mitzutragen. Er ist gerade noch vertretbar. Aber unser mittelfristiges Ziel muss die 4 vor dem Komma bei den Schieneninvestitionen bleiben. ({5}) Das eigentliche Problem nämlich ist die Absenkung der Mittelfristlinie. Dass in den Jahren ab 2006 nur noch 3,3 Milliarden, 3,2 Milliarden und am Ende nur noch 2,x Milliarden Euro zur Verfügung stehen, kommt mit Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage. ({6}) Einen solchen Haushalt werden wir, sollte es dazu kommen, nicht mittragen können. Da muss sich eine ganze Menge bewegen. ({7}) - Das können Sie zu Protokoll nehmen. - Ich bin sehr dankbar, dass im Kabinett eine Protokollnotiz aufgenommen wurde: 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bahnbau in den nächsten Jahren. Wir müssen das aber noch mobilisieren. In der Tasche haben wir das noch lange nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von uns betrachten mit allergrößter Sorge, was sich derzeit bei der Deutschen Bahn abspielt: Ende Juli wurde ein Ausgabenstopp verhängt. Selbst bereits beschlossene Investitionsprojekte müssen neu beantragt werden. Die Aufträge im Bahnbau brechen um 32 Prozent ein. Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste drohen. 1 500 Stellen fallen bei DB Projektbau weg, 1 500 Stellen bei privaten Ingenieurbüros. Ein Planungsstopp gilt für Projekte, die bereits zwischen Bund und Bahn verabredet waren. Beispiele können Sie heute in der Zeitung nachlesen: die Grunderneuerung von drei Berliner S-Bahn-Linien, die Verbindung zum Flughafen Schönefeld, dessen Bedeutung der Minister gerade noch einmal herausgestellt hat, und die Franken-Sachsen-Magistrale usw. Ich will gar nicht alles aufzählen. Das Ganze ist so, obwohl der Bund im Jahre 2001 460 Millionen Euro extra als Planungsreserve zur Verfügung gestellt hat. ({8}) Das Ganze ist so, obwohl nach meiner Kenntnis bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft verfügbare Investitionsmittel in Höhe von 780 Millionen Euro bereit liegen, von denen bis zur Stunde aber nur 250 Millionen Euro von der Deutschen Bahn AG abgerufen worden sind. Das Ganze ist so, obwohl die Mittel für das Bestandsnetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Wesentlichen gar nicht strittig sind. ({9}) Ich kann nur sagen: Eine Vernachlässigung des Bestandsnetzes wird zu Langsamfahrstellen und zu Unpünktlichkeit führen. ({10}) Auch die aktuellen Zahlen zur Pünktlichkeitsquote - sie beträgt nur noch 82 Prozent statt der eigentlich angestrebten 95 Prozent - verheißen nichts Gutes. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Neueste, was wir mit Erstaunen hören, ist, dass offenbar zum Albert Schmidt ({12}) 15. Dezember dieses Jahres eine zweifache Fahrpreiserhöhung geplant ist: ({13}) indirekt bzw. verdeckt durch eine Ausdünnung von ICund EC-Verbindungen zugunsten von ICE-Verbindungen, damit die Fahrgäste in diese teureren Züge einsteigen, und direkt durch eine Erhöhung um generell 3,5 Prozent pro Fahrkarte, wie im Gespräch ist. Ich sage ganz offen: Ich mische mich - auch aus Überzeugung - nicht gerne in die Preisgestaltung von privatisierten Unternehmen ein. Da mag auch in bilanzieller Hinsicht alles logisch kalkuliert sein, aber verkehrspolitisch gesehen wird dadurch genau das falsche Signal gesetzt. ({14}) Statt auf mehr Fahrgäste zu setzen und mit lukrativen Angeboten zu werben, werden die verbliebenen Fahrgäste umso mehr abkassiert. ({15}) Die Energiepreise mögen ein Grund dafür sein; darüber muss man nachdenken. Aber im letzten Jahr waren die Energiepreise moderat und trotzdem wurden im Fernverkehr Miese in Höhe von 600 Millionen Euro gemacht. ({16}) Daran allein kann es also nicht liegen. Hier bestehen tief sitzende strategische Probleme wie das missglückte neue Fahrpreissystem. ({17}) Das hat Vertrauen gekostet. Um dieses Vertrauen muss bei den Kunden wieder geworben werden. Investitionsstopp, Arbeitsplatzabbau, Fahrpreiserhöhungen - wenn auf Biegen und Brechen eine schwarze Null als bilanzielles Betriebsergebnis herausgepresst werden soll, um einen schnellen Börsengang der Deutschen Bahn AG zu begründen, dann ist das ein schädlicher Brachialkurs, den wir politisch nicht ohne Weiteres decken können. ({18}) Die aktuellen Beratungen zeigen, dass sich im Bundestag nach wie vor alle einig sind: ein prinzipielles Ja zur Öffnung des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG für private Kapitalbeteiligungen, aber kein überstürztes Vorgehen. Wir stellen Bedingungen, die auch der Gutachter, Morgan Stanley, gestellt hat. Die erste Bedingung ist, dass die Performance im Unternehmen stimmen muss. Der erste Lackmustest im ersten Halbjahr 2004 ist nicht bestanden worden. Die zweite Bedingung ist eine vertiefte Untersuchung anderer Modelle der Teilprivatisierung, zum Beispiel unter Verbleib des Netzeigentums bei der öffentlichen Hand. Wir wollen - um dieses Schlagwort aufzugreifen keine Zerschlagung des Konzerns herbeiführen, sondern, dass die Bewirtschaftung der Infrastruktur durch DB Netz innerhalb der Holding des DB-Konzerns erfolgen könnte. Das muss gutachtlich geprüft werden. Die dritte Bedingung lautet zusammengefasst: Gründlichkeit vor Eile. Wir wollen nicht unter Zeitdruck eine möglicherweise nicht verantwortbare Entscheidung treffen, die uns am Ende, siehe LKW-Maut - und sei es in der nächsten Legislaturperiode -, auf bittere Weise einholt. ({19}) Ich will zum Schluss kommen. Licht und Schatten liegen nah beieinander, übrigens auch im Haushalt zum Bereich Bauen und Wohnen. Wir sehen gute Ansätze, die verstetigt worden sind: die Programme „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau Ost“, das Gebäudemodernisierungsprogramm zur CO2-Minderung und aktuell auch das Programm „Stadtumbau West“, das wir sehr begrüßen. Das sind Schritte in die richtige Richtung und die richtigen Antworten auf die Strukturprobleme unserer Städte. Herr Kollege Oswald, meine letzte Bemerkung: Die notwendige Antwort auf die Strukturprobleme unserer Städte ist doch nicht, mit der Eigenheimzulage eine überholte Subvention zu pflegen. ({20}) Diese zielen auf Strukturprobleme von gestern, die nur in München, sonst in keiner einzigen Metropole Deutschlands, vielleicht noch vorhanden sind. Jetzt geht es darum, die 6 Milliarden Euro, die jedes Jahr aus öffentlichen Kassen für etwas aufgewendet werden, was gar nicht mehr gebraucht wird, nämlich für zusätzlichen Wohnungsbau, endlich dort zu verwenden, wo wir sie wirklich brauchen:

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schmidt, achten Sie auf Ihre Redezeit.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- zum Beispiel für die Sanierung in ost- und westdeutschen Städten und für Bildung und Forschung. Solange Sie dazu nicht bereit sind, haben Sie kein Recht, hier über Baupolitik zu schwadronieren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schmidt, wenn deutlich nach Überschreiten der Redezeit ein letzter Satz angekündigt wird, wäre es schön, wenn es auch bei diesem einen bliebe. ({0}) Nun hat der Kollege Friedrich für die FDP-Fraktion das Wort. ({1})

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war wirklich erstaunt, Herr Minister, wie Sie Ihren Haushalt heute vertreten und begründet haben. Man könnte dies unter der Überschrift zusammenfassen: Seid zufrieden, es hätte noch viel schlimmer kommen können! Im Prinzip hieß es, man solle die Infrastruktur nicht schlechtreden, es sei ja alles gut, man müsse nach vorne schauen. ({0}) Gleichzeitig würde konstruktive Kritik eingefordert. Die kam dann teilweise auch vom Kollegen Albert Schmidt. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Herr Minister, dass Ihre Aufforderung, diese Politik müsse seriös begründet werden, weil sie nicht für Schnellschüsse geeignet ist, bei Ihnen immer mit dem Eindruck des hoch gelobten Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg einhergeht, der einmal gesagt hat: Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen. Sie fordern zwar Kritik ein, aber Sie sind offensichtlich nicht bereit, sie umzusetzen. Wie sonst könnten Sie einen Haushalt aufstellen, der von vornherein Planungsrisiken gigantischen Ausmaßes hat? Das sagt nicht nur die Opposition. Das sagen auch fast alle Wirtschaftsverbände; ich will nur das DIW nennen. Sie kommen in Ihrem Haushalt insgesamt nur deshalb auf verfassungsmäßige Zahlen, weil Sie Privatisierungserlöse von fast 16 Milliarden Euro einstellen. In den letzten Jahren waren es einmal 5 oder 6 Milliarden Euro, aber noch niemals 16 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen voraus: Das sind Luftnummern; ich will gar nicht auf die Maut eingehen. Wenn das alles nicht eintrifft, Herr Minister, dann werden sich natürlich die Zahlen Ihres Haushaltes entsprechend verändern. Das ist bei einem Haushalt, der die Investitionen insgesamt bei ungefähr 9 Prozent deckelt, aber für soziale Ausgaben fast 34 Prozent vorsieht, natürlich sehr schmerzhaft. Die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts gelingt Ihnen ja nur dadurch, dass die Investitionen höher sind als die Neuverschuldung. Bei der Verschuldung - das, glaube ich, kann man mittlerweile sagen - hat sich Herr Eichel in den letzten Jahren aber immer verrechnet, und zwar zu seinen Ungunsten und nicht zu seinen Gunsten. Wenn sie noch höher wird, sehe ich große Probleme. ({1}) Dann ist es schon fast eine Frechheit, wenn Sie zum Haushalt sagen, Sie hätten die Investitionen gegenüber dem Haushalt 2004 gesteigert. Das ist ja theoretisch richtig, aber das ist schlicht mathematisch bedingt: Wenn die Investitionen weniger stark zurückgehen als der Gesamthaushalt, ist die Basis für das Verhältnis von Investitionen zur Haushaltssumme eine andere. Wenn dadurch ein etwas höherer Prozentwert herauskommt, dann ist das kein Erfolg, sondern eher ein Eingeständnis Ihrer Hilflosigkeit, was die Investitionen angeht. Das wird auch nicht dadurch besser, Herr Minister, dass Sie sagen, Sie hätten im letzten Jahr und auch in diesem Jahr deutlich höhere Ansätze als wir in unserem letzten Regierungsjahr 1998. Numerisch ist das richtig. Sie haben ungefähr eine halbe Milliarde Euro mehr zur Verfügung. Das ist traumhaft. Sie vergessen allerdings zu erwähnen, dass Sie dem deutschen Autofahrer in Ihrer Regierungszeit dafür zusätzlich 15 Milliarden Euro abknöpfen. Wo sind die denn geblieben? ({2}) Sie nehmen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Aussagen, die Sie zur Infrastruktur gegenüber dem Rechnungsprüfungsausschuss gemacht haben, als Realität. Da erklärt die Frau Kollegin Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretärin in Ihrem Haus, dem Herrn Vorsitzenden Rübenkönig: Um langfristig zumindest den derzeitigen Qualitätsstandard auf Bundesstraßen zu halten und für Autobahnen leicht zu verbessern, sind nach der Prognose insgesamt 34,4 Milliarden Euro bis 2015, das heißt, 5,6 Milliarden Euro jährlich, notwendig, und zwar zusätzlich. Das heißt, kurzfristig wäre eine Steigerung ab 2004 von 700 Millionen Euro jährlich für den Infrastrukturerhalt notwendig. Wo sind die denn in Ihrem Haushalt? Ich sehe nicht, dass Sie das, was Sie selbst aufgeschrieben haben, unbedingt ernst nehmen. Auch wenn der Kollege Küster meint, damit würden wir die Situation schlechtreden, muss doch erwähnt werden, dass wir in Deutschland im Schnitt bestenfalls noch 70 Prozent der Infrastruktur uneingeschränkt nutzen können. Der Rest ist bereits nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nutzbar. Der Verfall geht konzentriert und stetig weiter. Je weniger schnell Sie reagieren, desto zügiger wird der Verfall vonstatten gehen. Das ist ja nicht das Einzige. Durch den Anstieg des Verkehrs, der durch die EU-Osterweiterung ja nicht weniger, sondern eher mehr geworden ist, weisen 30 Prozent unserer Autobahnen in Deutschland mittlerweile eine tägliche Verkehrsdichte von 65 000 Fahrzeugen auf. Dies bedingt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 60 Stundenkilometern. Rund 20 Prozent Horst Friedrich ({3}) der deutschen Autobahnen weisen bereits eine tägliche Verkehrsdichte von über 80 000 Fahrzeugen auf. Das heißt, hier geht nichts mehr. Trotzdem sagen Sie, man solle die deutsche Verkehrsinfrastruktur nicht schlechtreden. Herr Minister, ich glaube, Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Das gilt genauso für die Bahn. Eigentlich kann man das, was der Kollege Schmidt ausgeführt hat, nur unterstreichen. Aber wer lässt denn das Ganze zu? ({4}) Wer sitzt denn an den Schaltstellen? Wer kritisiert denn andere, wenn sie sagen, dass sich entgegen der Meinung in der Geschäftsführung der Bahn an der Positionierung am Markt etwas ändern muss? Was ist denn, wenn jemand wie die FDP kommt und endlich auch Wettbewerb auf der Schiene fordert? Das wird ja krampfhaft verhindert. ({5}) Wenn der deutsche Eisenbahnfahrer nur die Wahl zwischen der Deutschen Bahn und der Deutschen Bahn hat, dann wird sich nichts ändern. Es nützt dann auch nichts, dass sich der Kollege Schmidt hier hinstellt und auch im Hinblick auf die Bauindustrie von dem Untergang der Bahnwelt spricht. Die Charts haben wir ja alle. Im Übrigen, Herr Minister: Bei den der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft in diesem Jahr zur Verfügung gestellten Geldern für die Bahn - es sind knapp 800 Millionen Euro - hatten wir bis Mitte des Jahres einen Mittelabfluss von Null. ({6}) Im Juli betrug er auch Null. Es kann ja vielleicht noch besser werden. Mit einem Mittelabfluss von Null kann man aber weder Schienen bauen noch Arbeitsplätze in der Bauindustrie erhalten. Insofern hat der Kollege Oswald völlig Recht. Vor diesem Hintergrund wurde gestern erklärt, dass das Ausbauziel für die Eisenbahnstrecke von Mannheim nach Basel bis 2008 zu erreichen sei, weil die Bahn bis 2008 480 Millionen Euro an Eigenmitteln zusätzlich hineingeben wird. Nach dem, was der Kollege Schmidt gesagt hat, kann man eigentlich nur fragen, wo die denn herkommen sollen. Gibt es hier eine wundersame Geldvermehrung oder habe ich irgendetwas versäumt? Entgegen den Aussagen der Bahn - sowohl von Herrn Mehdorn als auch von Herrn Sack - wird auch bei den Investitionen gespart. Es ist ja nicht so, wie es in der Zeitung steht, nämlich dass die Investitionen weiterhin getätigt werden. Nein, jede einzelne Investitionsentscheidung muss genehmigt werden. Alle Budgets wurden gedeckelt und die freie Verfügbarkeit über diese wurde gestoppt. Wer bei der Bahn derzeit Geld ausgeben will, muss sich das in jedem Einzelfall vom Bahnvorstand höchstpersönlich genehmigen lassen. Dieser hat nur ein Ziel: Er möchte am Jahresende 2004 - koste es, was es wolle, und unter Inkaufnahme aller Probleme - beweisen, dass die Bahn börsenfähig ist. Am meisten ärgert mich, dass die Mehrzahl der Bauauftragnehmer in Deutschland - das sind gut 168 kleine und mittelständische Unternehmen mit knapp 11 000 Mitarbeitern, die bisher familiär und hoch qualitativ geführt worden sind - am Jahresende nur deshalb vor dem Konkurs steht, ({7}) weil die Bahn nicht bereit ist, das Geld, das selbst diese Bundesregierung ihr gegeben hat, tatsächlich auszugeben. Das sehe ich bei diesem Thema als wirklichen Skandal an. ({8}) Ich komme zum Thema Transrapid, der unendlichen Geschichte. Herr Stolpe, mit großer Freude habe ich gehört, dass Sie zu Ihren Verpflichtungen gegenüber der Bayerischen Staatsregierung stehen und endlich die Fertigstellung der Strecke auf den Weg bringen wollen. Sie haben in Ihren Haushaltsreden mehrfach angedeutet, dass für die Einführung dieser Technik in Deutschland 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen werden. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist das Projekt, mit dem sich Bayern die Mittel teilen sollte, der Metrorapid in NRW, auf Wunsch der Landesregierung in NordrheinWestfalen eingestellt worden. Was hindert Sie eigentlich daran, Herr Minister, das für diese Technik insgesamt zur Verfügung stehende Geld, welches man damals im Einvernehmen mit der Magnetschwebebahnindustrie nach dem Ende der Strecke Berlin-Hamburg bereitgestellt hat, auf eine Strecke zu konzentrieren, damit Deutschland tatsächlich einmal in der Lage ist, Innovationen auch auf diesem Sektor umzusetzen? ({9}) Es ist doch relativer Nonsens, wenn Frau Bulmahn erklärt, wir müssten Forschung fördern, und zwar mit dem blöden Schlagwort „Bildung statt Beton“, wenn gleichzeitig eine Realisierung einer in der Welt federführenden Technik, über die wir verfügen, verhindert wird. Im Zweifel laufen wir Gefahr, dass wir diese Technik irgendwann aus dem Ausland zurückkaufen zu müssen. ({10}) Wie hoch qualifiziert die deutsche Bahnindustrie ist, haben wir gerade beim Wettbewerb in China gemerkt. ({11}) - Die Chinesen haben vielleicht eine intelligentere Strategie, Herr Kollege Schmidt; das muss nicht jeder nachvollziehen. Ich schließe aber nicht aus, dass die ChineHorst Friedrich ({12}) sen Industrie und technisches Know-how aus aller Welt kaufen, auswerten und dann irgendwann drohen: Wenn ihr uns die Netzpläne und alles, was dazugehört, nicht liefert, dann kaufen wir von euch nichts mehr. - Das könnte dann bedenklich werden. Dazu möchte ich aber nicht weiter ausführen. Ich bleibe dabei, Herr Minister: Investitionen sind in Deutschland ein Schicksalsthema. ({13}) Wer will, dass der Osten einen Aufschwung erlebt, dass Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, dass sich Bildungsinvestitionen lohnen, dass sich auch Investitionen von privaten Eigentümern in Wohnungen und in den Städtebau lohnen, der muss auch in die Verkehrswege investieren. ({14}) Nur Investitionen sichern die Zukunft der Menschen. Wer auf den Verzehr von Substanz setzt, der kann das nur so lange machen, bis die Substanz aufgebraucht ist. Wenn sie weg ist, ist sie weg. Es geht vordergründig nicht um den Umsatz in der Bauwirtschaft oder um Aufträge für die Hersteller in der Bahnindustrie. ({15}) Es geht darum, dass durch die Verweigerung von RotGrün das Gegenteil von dem erreicht wird, was Sie anstreben. Sie setzen vollmundig auf neue Arbeitsplätze und beschließen Gesetze wie die Hartz-IV-Reform, mit denen neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Aber mit Ihrer Politik im investiven Bereich und im Verkehrswegebau machen Sie das genaue Gegenteil: Sie sabotieren die Voraussetzungen für den Verkehrswegebau. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Kollegin Faße für die SPD-Fraktion das Wort.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Herren von CDU/CSU und FDP, Horrorszenarien lösen keine Probleme. ({0}) Das muss man Ihnen heute wohl klar und deutlich sagen; denn auch Sie tragen in vielen Punkten Verantwortung. Das betrifft auch die Instandhaltungsquote. Ich glaube nicht, dass Sie behaupten können, der Vorgabe der Instandhaltung der Straßen in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gerecht geworden zu sein. Der Zustand der Straßen ist ja nicht plötzlich schlecht geworden. Das hängt auch mit der Historie zusammen. ({1}) Der Einzelplan 12 ist besser, als Sie ihn versuchen darzustellen. Ihre Kritik ist überzogen. Ihre andauernde Forderung nach mehr Geld ist unrealistisch. Auch wir fänden es schön, wenn es Goldstücke regnen würde. Das ist aber nicht der Fall. Von daher sind Ihre überzogenen Forderungen völlig daneben. ({2}) Die Umsetzung der Koch/Steinbrück-Vorschläge und die Vorgaben der globalen Minderausgabe finden sich auch im Einzelplan 12 wieder. Ich muss wohl daran erinnern, dass die Opposition den Sparmaßnahmen aus dem Koch/Steinbrück-Papier zugestimmt hat. Das scheinen Sie nämlich manchmal zu vergessen. ({3}) Mit knapp 23,22 Milliarden Euro ist und bleibt dieser Haushalt der viertgrößte Einzelhaushalt, und das obwohl gegenüber dem bereinigten Soll 2004 im Einzelplan 12 für das Jahr 2005 rund 1,57 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen. Dieses Minus - darauf muss auch noch einmal hingewiesen werden - ist überwiegend darauf zurückzuführen, dass durch die Umsetzung von Hartz IV das Wohngeld aus dem Einzelplan herausgenommen wurde, und zwar ohne eine Kürzung des Wohngeldes an sich. Wir haben also ein Minus von 2,3 Prozent zu verkraften. Der größte Investitionshaushalt des Bundes - ich sage das noch einmal klar und deutlich - bleibt unser Haushalt. Das ist auch richtig so und wichtig. Uns ist wichtig: Die Kontinuität der Investitionen auf hohem Niveau muss Planungssicherheit für die Verkehrsträger und für die Industrie schaffen. Wir haben hier unsere Hausaufgaben gemacht. ({4}) Zur Erinnerung: Zu der Zeit, als Sie die Regierung stellten, lagen die Verkehrsinvestitionen zuletzt bei 9,5 Milliarden Euro, und das zu einer Zeit, in der die Konjunktur mit der heutigen überhaupt nicht zu vergleichen ist. ({5}) Wir wissen: Infrastrukturinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen in den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland. 1 Milliarde Euro schaffen und sichern 25 000 Arbeitsplätze. Unsere Investitionsschwerpunkte für das Jahr 2005 liegen im Erhalt und in der Modernisierung des Bestandsnetzes von Schiene, Straße und Wasserstraße. Hier gilt es Prioritäten zu setzen. Dazu gehören die Weiterführung der laufenden Vorhaben, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ und die Vorhaben zur Bewältigung der Verkehre im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union. Wir sehen in der Mitveranschlagung der eingeplanten Mittel aus der LKW-Maut kein Risiko. ({6}) Wir alle wissen, wie schwierig es war, haushaltsmäßig zu klären, ({7}) wie die nicht erfolgte rechtzeitige Einführung der Maut auf den Haushalt gewirkt hat. Aber wir stellen hier ein System um und das wird uns zum 1. Januar 2005 gelingen. Wir wissen aus den Zwischenberichten, dass alles positiv gelaufen ist. Ich finde, wir sind gemeinsam in der Verantwortung. Heute habe ich im Frühstücksfernsehen gesehen, welche Horrorszenarien ein Kollege der CDU gezeichnet hat. Das halte ich für unverantwortlich. Sie sollten mit dem Gewerbe und dem Verband darauf drängen, dass endlich die On Board Units, die vorhanden sind, bestellt werden. Dann brauchen wir uns auch keine Gedanken über Schlangen an den Tankstellen zu machen. ({8}) Zur Bahn ist einiges gesagt worden. Der Kollege Weis wird detailliert darauf eingehen. Ich sage ganz klar: Die 2,5 Milliarden Euro, die wir der DB AG für die Ersatzinvestitionen zur Verfügung gestellt haben, wurden von der DB AG als ausreichend betrachtet. Aber - darin sind wir uns alle einig - die DB AG muss dieses Geld auch abrufen. ({9}) Sie muss Planungs- und Bauaufträge vergeben und darf nicht die eigenen Planungskapazitäten zurückfahren. Es ist richtig, dass wir oft darüber diskutieren, dass die Mittel nicht abfließen. Wir haben extra Gelder für Planungskapazitäten freigestellt. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir sehen die DB AG und den Vorstand in besonderer Verantwortung. Wir, die Regierung und die Abgeordneten, lassen uns nicht den Schwarzen Peter zuspielen, um das deutlich zu sagen. Auch Herr Mehdorn trägt Verantwortung für die Arbeitsplätze in unserem Land. ({10}) Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass die Wasserstraßen im integrierten Verkehrssystem unverzichtbar sind. ({11}) Die investiven Mittel in Höhe von rund 625 Millionen Euro werden auf Projekte konzentriert, die für den Erhalt und die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Wasserstraßennetzes von besonderer Bedeutung sind und einen hohen verkehrswirtschaftlichen Nutzen versprechen. ({12}) Mein persönlicher Wunsch und der Wunsch des Gewerbes wäre es, eine Aufstockung der Mittel zu erreichen. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Infrastruktur auf den Wasserstraßen nicht das einzige Problem unserer Binnenschifffahrt ist. Um die Probleme zu lösen, haben wir ein Gutachten vorgelegt und das Forum „Binnenschifffahrt und Logistik“ gegründet. Am 20. September wird ein erster Zwischenbericht vorgelegt werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir dem Gewerbe helfen können. ({13}) Meine Damen und Herren, auch das Maritime Bündnis liegt mir natürlich ganz besonders am Herzen. Wir stehen zum Maritimen Bündnis. Das zeigt sich auch daran, dass wir wieder 44,8 Millionen Euro an Bundeszuwendungen in den Haushalt eingestellt haben. Wir sichern damit Arbeitsplätze deutscher Seeleute an Bord und die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses. Wir halten Wort und gehen davon aus, dass die Reeder dies auch tun. Wir erwarten Rückflaggungen im dreistelligen Bereich. Sollten wir über den zugesagten mindestens 100 liegen, dann müssten wir uns allerdings die mittelfristige Finanzplanung noch einmal genau ansehen. Wir stehen zu dem Versprechen, das wir gegeben haben. Auf diese Bundesregierung ist Verlass. ({14}) Jetzt komme ich zu dem schon angesprochenen Thema Transrapid. Wir bleiben dabei, dass der Magnetschwebetechnik in Deutschland eine Chance zu geben ist. Wir sagen auch ganz klar und deutlich: Dies ist ein Landesprojekt. Der Bund unterstützt dieses Projekt, ({15}) aber Voraussetzung dafür, dass die derzeitige Sperre - sie ist auch im Haushalt 2005 wieder vorgesehen - beseitigt werden kann, ist ein tragfähiges Gesamtfinanzierungskonzept des Landes Bayern, nichts anderes. ({16}) Das Land hat das vorzulegen. Wir sollten hier auch keinen Hoffnungen Raum geben, dass das Geld, das NRW zugestanden hätte, jetzt einfach Bayern bekommen wird. ({17}) Man hat Bayern eine Summe zugesagt, zu der wir stehen. Mehr, meine Damen und Herren, wird nicht passieren. Der Ball liegt bei Bayern und nicht bei uns. ({18}) Positiv zu bewerten, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Entwicklung im kombinierten Verkehr. Hier haben wir Gelder zur Verfügung gestellt, deren Einsatz sich positiv ausgewirkt hat. Viele haben gesagt, der Kombiverkehr werde weiter langsam abnehmen und sterben. Das ist nicht der Fall: Er hat positive Zahlen zu vermerken. Ich muss auch sagen, dass ich mich bei einem Besuch des Hafens in Braunschweig sehr gefreut habe: VW verlegt Transporte aufs Wasser, Ikea verlegt Transporte aufs Wasser. ({19}) Auch die Industrie merkt also, wie sinnvoll die Nutzung unserer Wasserstraßen ist. Wir haben auch keine Kürzungen in dem für uns wichtigen Bereich der Verkehrssicherheit vorgenommen. Dieser Bereich liegt uns weiterhin sehr am Herzen. Wir haben einen Rückgang bei der Zahl der Verkehrstoten zu vermelden. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir werden gemeinsam mit den Verbänden weiter an einer Verbesserung der Verkehrssicherheit arbeiten. ({20}) Wir haben in diesem Haushalt zum ersten Mal drei Stellen, an denen gesondert Mittel für Radwege bereitgestellt werden: an den Bundesfernstraßen, an den Bundeswasserstraßen und 2 Millionen Euro zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes. Ich meine, dass das ein deutliches Zeichen dafür ist, dass wir auch diesen Verkehrsträger nicht vergessen; wir berücksichtigen ihn und werfen entsprechende Studien nicht einfach in den Papierkorb, sondern setzen sie konsequent um. Lassen Sie mich zum Schluss zu einem Thema Stellung nehmen, über das ich mich bei meinen Recherchen gefreut habe: Das ist die Situation der Ausbildungsplätze in unserem Ministerium. ({21}) Meine Anfrage hat dazu beigetragen, dass wir schon im Jahr 2004 unser Ausbildungsplatzangebot von 7 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zur Verfügung stellen. Das reicht so aber nicht aus: Auch das Ministerium übernimmt Verantwortung und stellt zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse soll von zurzeit 1 177 auf 1 429 erhöht werden. Das ist ein gutes Zeichen für die jungen Menschen in unserem Land. ({22}) Es ist jetzt Sache der Abgeordneten, im Fachausschuss über den vorliegenden Haushaltsentwurf zu beraten. Ich bin gespannt, welche Anträge von Ihnen kommen werden. Wenn es - wie bei den Anträgen zum Bundesverkehrswegeplan - wieder um die Zahlen geht, dann wissen Sie, was damit passiert. Aber vielleicht können wir uns bei einigen Änderungsanträgen auch einigen. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Norbert Königshofen, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 80 Prozent der Bürger haben kein Vertrauen in die Finanzpolitik der Bundesregierung. Mit dieser Feststellung, dem Ergebnis einer Emnid-Umfrage, habe ich in der letztjährigen Haushaltsdebatte meine Rede begonnen. Nun, meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Vorlage des Haushalts 2005 dürften Sie auch das Vertrauen der übrigen 20 Prozent verspielen. ({0}) Denn aus Ihren vollmundigen Ankündigungen, Deutschland fit für die Zukunft zu machen, ist wieder nichts geworden. Der Haushalt 2005 ist ein Dokument nicht gehaltener Versprechen und ein Dokument des Scheiterns. Das gilt auch und besonders für den Verkehrsbereich, zu dem Sie, Herr Minister Dr. Stolpe, gerade in Ihrer Rede feststellten, dass er über Deutschlands Zukunft entscheide. Ich frage Sie: Was ist aus Ihrem Zukunftsprogramm Mobilität geworden? Was ist aus Ihrer zukunftsorientierten Investitionspolitik geworden? Was ist aus Ihren Zusagen und Versprechen geworden? Die Antwort lautet schlicht und einfach: Nichts, gar nichts! ({1}) Nehmen wir als Beispiel die LKW-Maut. Mit ihrer Einführung sollte bekanntlich zweierlei erreicht werden: Zum einen sollten die Wettbewerbsverzerrungen zulasten des deutschen Güterkraftgewerbes gemindert werden. Zum anderen sollten zusätzliche Mittel für Verkehrsinvestitionen mobilisiert werden. Beide Versprechen haben Sie von Rot-Grün gebrochen. Die Erfüllung des ersten Versprechens scheiterte daran, dass Sie sich in Brüssel viel zu spät und dann nicht hart genug für das deutsche Güterkraftgewerbe eingesetzt haben. Es ist daher kein Wunder, dass die Verhandlungen bis jetzt ohne positives Ergebnis geblieben sind. ({2}) - Die Maut ist zwar gesenkt worden, aber für alle. Dadurch sind die Wettbewerbsverzerrungen nicht beseitigt, mein lieber Kollege. Schlimmer aber als die Nichteinlösung des Versprechens, 600 Millionen Euro als Ausgleich zu zahlen, ist der Bruch des zweiten Versprechens. Hier geht es ja um zusätzliche Milliardeninvestitionen in den Verkehrsbereich. So heißt es beispielsweise nach der Vereinbarung des Vermittlungsausschusses vom 21. März 2003 in § 11 des Mautgesetzes - ich darf das zitieren -: Das verbleibende Mautaufkommen wird zusätzlich dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, überwiegend für den Bundesfernstraßenbau, verwendet. Davon kann im vorliegenden Haushaltsentwurf keine Rede sein. ({3}) Genauso wie im letzten Jahr senken Sie die steuerfinanzierten Investitionen. Die dafür eingesetzten Mauteinnahmen gleichen das noch nicht einmal aus. Das heißt, es fließt nicht mehr, sondern weniger Geld in die Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine klare Verletzung des Mautgesetzes. Dabei ist noch keineswegs sicher, dass die für 2005 in den Haushalt eingestellten Mauteinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stehen. Nicht nur für den Finanzexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Vesper, ist völlig offen, ob das Mautsystem 2005 endlich funktionieren wird. Herr Minister, wir haben ja diesbezüglich unsere schmerzhaften Erfahrungen. Ich hoffe, dass Sie mit Ihrem Optimismus Recht haben; denn wir brauchen das Geld dringend. Aber wir haben ja unsere Erfahrungen gemacht. Wie oft sind wir da vertröstet worden! Doch selbst wenn die Mauteinnahmen pünktlich fließen, fehlen im Vergleich zu 2004 rund 542 Millionen Euro, im Vergleich zu 2003 sogar 800 Millionen Euro. Insgesamt reicht die mangelnde Investitionsbereitschaft nicht einmal aus, den schleichenden Substanzverlust auf Deutschlands Autobahnen und Bundesstraßen aufzuhalten, und das, obwohl der Staat durch Steuern und Abgaben im Bereich Straßenverkehr - nehmen wir einmal die Mineralölsteuer - zurzeit circa 50 Milliarden Euro pro Jahr einnimmt. ({4}) Herr Minister, das ist schlichtweg ein Skandal. Es ist zu befürchten, dass das noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange sein wird. Am Ende der Haushaltsberatungen wird, so fürchte ich, noch weniger zur Verfügung stehen. ({5}) Doch nicht nur die Straßenbauinvestitionen kommen bei Ihnen stiefmütterlich weg. Das Gleiche gilt für die Schiene, eigentlich ein Lieblingskind der rot-grünen Koalition. Herr Kollege Oswald hat überzeugend dargelegt, dass die Entwicklung auf diesem Gebiet negativ sein wird. Wohin das Ganze führt, konnte man in der „FAZ“ am Montag nachlesen: Die Deutsche Bahn wird ihr Personal wegen der sinkenden Bundesmittel für die Schieneninfrastruktur für die Planung von Investitionsvorhaben reduzieren, und zwar um 1 500 Stellen; von 5 400 Stellen fallen 1 500 weg und auch die externen Planungsbüros bekommen weniger Aufträge. ({6}) - Nein, das steht in der „FAZ“. ({7}) Ich glaube gar nicht, dass das Propaganda ist; denn selbst Herr Kollege Schmidt von den Grünen hat das bekrittelt. Ich muss hinzufügen: Herr Schmidt nimmt hier eine ganz eigenartige Rolle ein. Er spielt so ein bisschen Opposition in der Koalition. Man überlässt der SPD das Unangenehme - für die Grünen ist das angenehm - und selbst stellt man sich als Retter der Entrechteten dar. Das müssen Sie natürlich intern klären. Meine Damen und Herren von der SPD, was ich vorgetragen habe, ist nicht nur eine Behauptung der „FAZ“, sondern es wird selbst von Ihrem Koalitionspartner behauptet. ({8}) - Das ist die Realität. Nachdem ich das alles gehört habe, weiß ich nicht, Herr Minister, woher Sie Ihren Optimismus in Bezug auf den Rhein-Ruhr-Express nehmen. Wie es Frau Faße eben erst getan hat, wird für diese Kahlschlagpolitik gern das Koch/Steinbrück-Papier herangezogen. Das Koch/Steinbrück-Papier ist aber eine Liste von Vorschlägen zum Subventionsabbau und keine Liste mit Vorschlägen zu Investitionskürzungen. ({9}) - Nein. - Die beiden Ministerpräsidenten, also auch Ihr Ministerpräsident Steinbrück, SPD, haben in einem Brief vom 25. März an Herrn Dr. Stolpe klargestellt - Frau Faße, ich zitiere das gern -: Unsere Vorschläge bewirken einen Subventionsabbau auf breiter Front. Dabei ist aber stets darauf abgestellt worden, dass es keine Verwechslungen zwischen Infrastruktur-Investitionen und Subventionen geben kann und darf. Schon gar nicht haben wir Vorschläge zur Kürzung von Investitionen des dringend benötigten weiteren Ausbaus der Bundesfernstraßen gemacht. Deshalb ist Ihre Begründung der Kürzung von Investitionen unter Berufung auf unsere Vorschläge schlicht falsch. So die beiden Ministerpräsidenten. Sie können es ja gerne nachlesen. ({10}) - Alles andere ist Geschichtsklitterung und -fälschung. ({11}) Sie können sich nicht auf das Koch/Steinbrück-Papier berufen. Es ist Ihre politische Entscheidung, zu kürzen. Sie haben den Verkehrshaushalt nämlich immer als Steinbruch zur Finanzierung anderer Maßnahmen gebraucht. Sie verwechseln gern Investitionen und Subventionen. Solche Verwechslungen haben bei Ihnen ja Tradition. Ich brauche nur daran zu erinnern, dass Herr Scharping einst brutto und netto verwechselt hat. ({12}) - Nein, das ist Ihre Tradition, Herr Kollege! ({13}) Der Entwurf des Einzelplans 12 belegt, dass die rotgrüne Koalition ihrem Anspruch, die Mobilität in Deutschland zu fördern, nicht gerecht wird. Von daher lehnen wir den von Ihnen, meine Damen und Herren, vorgelegten Entwurf - jedenfalls in dieser Fassung - ab. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Königshofen, doch noch einmal zur Klarstellung und Erinnerung: Im Koch/Steinbrück-Papier war sehr wohl eine massive Kürzung von Investitionen, nämlich im Bereich Schiene, vorgesehen. ({0}) - Und Wasserstraßen. - Wir haben das anders aufgeteilt, nämlich entsprechend dem normalen Anteil der Investitionen für Schiene, Straße und Wasserstraße. Ich darf Sie von der CDU, Sie von der CSU und Sie von der FDP daran erinnern - das tue ich hier schon zum wiederholten Male -, dass wir alle gemeinsam hier im Deutschen Bundestag das Ergebnis des Vermittlungsausschusses in namentlicher Abstimmung angenommen haben ({1}) und damit auch dieser Kürzung der Investitionen, mit anderer Aufteilung, zugestimmt haben. Wenn Sie es lieber hätten, dass 600 Millionen Euro ausschließlich bei der Bahn gekürzt werden, können Sie das gern hier in aller Öffentlichkeit sagen. ({2}) Zu Herrn Oswald. Sie spielen in dieser Woche wieder einmal das übliche Spiel. Sie sagen: natürlich keine Steuererhöhungen, natürlich eine weitere Begrenzung der Verschuldung. Aber gleichzeitig fordern Sie deutliche Steigerungen der Ausgaben, diesmal allerdings ohne Milliardensummen zu nennen. ({3}) Dieses Spiel müssen wir leider jedes Jahr erleben. Sie setzen noch eins drauf. Ihre Zukunftspläne sind Steuersenkung und Kopfpauschale; Gesamtkosten rund 100 Milliarden Euro. Da verfahren Sie nach dem Motto: Was soll es? Man kann ja viel versprechen. - Das ist nun wirklich unseriös. ({4}) Dass wir die Realität in unserem Land unterschiedlich einschätzen und beschreiben, gehört auch mit zu dem Spiel. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich manchmal wundern, weil sie ein eigenes Bild von der Wirklichkeit haben. ({5}) Zur Wirklichkeit im Bereich des Wohnens gehört: Der Wohnungsmarkt ist weithin ausgeglichen. In den Ballungszentren gibt es allerdings Engpässe; das ist richtig. In den letzten zwölf Monaten ist ein Anstieg der Mieten inklusive Nebenkosten von nur einem einzigen Prozent zu verzeichnen. Er liegt deutlich unter dem Anstieg des Indexes für die Lebenshaltungskosten. ({6}) Es gibt allerdings schon jetzt - das will ich hier ausdrücklich unterstreichen - erste Anzeichen für eine Anspannung im preiswerten Wohnungssegment. Diese werden sich zukünftig sicherlich noch verstärken. Preiswerte Wohnungen werden knapp, nicht nur in den Ballungszentren. ({7}) Deswegen darf ich uns alle daran erinnern - das sage ich an dieser Stelle mit allem Ernst -, welch hohe Bedeutung das Wohngeld hat, und zwar ein ungekürztes Wohngeld. ({8}) - Zum Eigentum komme ich gleich. Herr Oswald, Sie fordern hier eine Ankurbelung des Mietwohnungsbaus. Ich weiß nicht, wo Sie die Wohnungen bauen wollen, ({9}) in Hoyerswerda, in Wilhelmshaven, in Duisburg oder bei mir zu Hause, in Herford. Das wäre doch völlig am Bedarf vorbei. Wir können uns in diesem Land solche staatlich geförderten Investitionsruinen ansehen. Diesen Fehler sollten wir nicht noch einmal begehen. ({10}) Gerade in unserem Bereich, in der Städtebau- und Wohnungspolitik, kommt es auf die langen Linien der Politik an. Wir müssen wirklich mittel- und langfristig denken und uns rechtzeitig - es handelt sich nämlich um langlebige Investitionen - auf die Auswirkungen des demographischen Wandels einstellen. Wir haben diesen Paradigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungspolitik bereits vollzogen, Sie noch nicht ganz; aber eine gewisse Lernfähigkeit unterstelle ich Ihnen heute einfach mal. Wir können hier diskutieren, wie wir wollen, und fordern, was wir wollen: Die Finanzlage der öffentlichen Hand - Bund, Länder und Kommunen - ist nun einmal so, wie sie ist. Wenn Sie in die Länderhaushalte schauen, auch in die von CDU-regierten Ländern, dann werden Sie sehen, dass die Länder ebenfalls nicht um massive Kürzungen und Einsparungen herumkommen. Sie haben ebenfalls weder den Verkehrsetat noch den Etat für Städtebau und Wohnen ausgenommen. Zur Eigenheimzulage: Da sind wir uns einig. Sie müssen einem Ostwestfalen nicht erklären, welche Bedeutung das Eigenheim für die Menschen hat. ({11}) Wir haben eine hohe Eigentumsquote. Aber darum geht es überhaupt nicht. Herr Oswald, Sie wissen, dass Herr Stoiber - Ihnen bekannt -, Herr Faltlhauser - Ihnen bekannt, zur Information der anderen: bayerischer Finanzminister und ehemaliger Staatssekretär -, ({12}) Herr Merz und viele weitere - ich könnte die schwarze Liste fortsetzen - öffentlich die Streichung der Eigenheimzulage gefordert haben. Da wundere ich mich, welche Position Sie heute einnehmen. ({13}) - Das ist so. Ich könnte es Ihnen nachweisen. Sie wissen, dass ich solche Dinge nicht leichtfertig sage, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. - All die Genannten fordern die Abschaffung und wollen das Geld für einen anderen Zweck - entschuldigen Sie diesen platten Ausdruck verbraten, nämlich für die von Ihnen als Fata Morgana beschworene massive Steuersenkung, ({14}) die insbesondere die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 36 Prozent umfasst. Ich kann Ihnen das nachweisen. Das ist schlicht und einfach so. Deswegen sind wir auf die Diskussionen der nächsten Wochen gespannt. Wir müssen also einfach angesichts der demographischen Entwicklung einsehen, dass Neubau zunehmend eine geringere Rolle spielen muss, vor allen Dingen, wenn er öffentlich gefördert wird. Jede andere Annahme wäre unvernünftig. Wir müssen - auch mir fällt das manchmal schwer - Prioritäten anders setzen und da, wo wir Subventionen geben, schauen, dass sie möglichst sinnvoll und möglichst zukunftsweisend eingesetzt werden. Der Vorschlag der Bundesregierung geht genau in diese Richtung. Das verlangt von uns Wohnungspolitikern zwar einfach ein Stück weit auch Umdenken, aber ich glaube, dass wir das nachvollziehen können. Es findet eine Umschichtung in Richtung Bildung und Forschung statt, aber auch eine Umschichtung in Richtung Städtebauförderung. Von den Mitteln, die wir durch die gemeinsam beschlossene 30-prozentige Kürzung der Eigenheimzulage freigesetzt haben - so viel sage ich noch einmal zu Ihren glühenden Bekenntnissen -, ({15}) werden 25 Prozent für die unterschiedlichen Haushaltspositionen der Städtebauförderung verwendet. ({16}) Das Stadtumbauprogramm ist uns also sehr wichtig. Wir halten uns hierbei an die verabredete Finanzierung. Für uns ist es auch sehr wichtig, dass wir jetzt endlich das Stadtumbauprogramm West starten können. Uns ist auch - das haben wir ja übrigens gemeinsam im Baugesetzbuch verankert - das Programm „Soziale Stadt“ sehr wichtig. ({17}) Wir sind froh, dass wir hier das finanzielle Niveau verstetigen konnten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Faße? ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich, klar. Es wird zwar behauptet, sie sei bestellt, aber ich bin gespannt, was sie fragt.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Spanier, ich möchte gerne auf das Stichwort „Soziale Stadt“ eingehen und nachfragen, ob Ihnen bekannt ist und, wenn ja, wie Sie es bewerten, dass das Land Niedersachsen den Anteil, den es für dieses Programm im Jahr 2005 zu tragen hätte, vollkommen gestrichen hat. ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir alle waren uns politisch einig, dass das Programm „Soziale Stadt“ an der richtigen Stelle ansetzt. DesweWolfgang Spanier gen gibt es ja auch weit über 250 Projekte in Deutschland, verteilt auf alle Bundesländer. Es wäre natürlich eine schlimme Sache, wenn eine Signalwirkung von dem Verhalten Niedersachsens ausginge, sich die Länder möglicherweise wie bei einem Dominoeffekt Schritt für Schritt von der Mitfinanzierung verabschiedeten und damit das Programm, das wir alle politisch gewollt haben, kaputtmachten. Ich bitte deshalb die Kolleginnen und Kollegen von der Union, vielleicht doch noch einmal mit dem niedersächsischen Finanzminister und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten darüber zu sprechen, ob sie an dieser Stelle wirklich eine richtige Entscheidung getroffen haben. Wir halten sie für völlig falsch. ({0}) Angesichts der extrem schwierigen Finanzlage ist es eine gute und richtige Sache, dass die Mittel für die Altschuldenhilfe im Zusammenhang mit dem Stadtumbau noch einmal um 200 Millionen aufgestockt werden konnten. Das Finanzvolumen beträgt jetzt insgesamt 1,1 Milliarden DM. ({1}) Die Bundesregierung hat das vorgeschlagen. Wir haben Wort gehalten, was nur Schritt für Schritt möglich war, aber wir haben es geschafft. Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne und ein gutes Signal für die neuen Bundesländer. ({2}) Die soziale Wohnraumförderung beträgt 2005 und in den Folgejahren 202 Millionen Euro. Das ist mir persönlich zu wenig, das sage ich Ihnen ganz offen, vor allem angesichts dessen, was ich gerade zum preiswerten Wohnungsbestand gesagt habe. Aber hier hat Koch/ Steinbrück zugeschlagen. Wir alle haben das gemeinsam beschlossen. Auch hier geht es um Investitionen. Denken Sie bei Investitionen nicht immer nur an die Straße; auch hier werden Investitionen angereizt. Das ist wohnungs- und städtebaupolitisch nicht besonders gut gelungen. Darüber werden wir möglicherweise in den kommenden Jahren noch einmal neu nachdenken müssen. ({3}) Es gibt Haushaltspositionen, die zwar im Finanzvolumen klein, in der Bedeutung aber durchaus wichtig sind. Ich freue mich, dass es gelungen ist, 1,5 Millionen Euro für die Bundesstiftung „Baukultur“ bereitzustellen. ({4}) Da geht es nicht nur um die Qualität des Bauens, sondern sie ist auch hilfreich in Bezug auf internationale Marktchancen unseres Planungs- und Bauwesens. Deswegen unterstützen wir diesen Vorschlag der Bundesregierung mit allem Nachdruck. ({5}) - Sie auch; da sind wir uns einig. Wir sind uns wahrscheinlich in mehr Punkten einig, als die Brandreden von Herrn Oswald, Herrn Königshofen und Herrn Friedrich vermuten lassen. Eine weitere Position, die im Volumen klein ist: Für 2005 und 2006 werden 2,2 Millionen Euro für Pilotprojekte des genossenschaftlichen Wohnens bereitgestellt. Ich glaube - das hat auch die Expertenkommission ausdrücklich bestätigt; lesen Sie bitte einmal deren Bericht -, dass gerade das genossenschaftliche Wohnen unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen besondere Zukunftschancen für ältere Menschen, aber auch für junge Familien mit Kindern bietet. Dass hier ein erster Schritt getan werden konnte, halte ich für überaus erfreulich und richtig. ({6}) Meine Damen und Herren, in der Politik kommt es nicht immer nur darauf an, welche Summen man zu bestimmten Haushaltsstellen nachweisen kann. Dennoch ist es erfreulich, dass wir für die Städtebauförderung - bei der wir die Weichen dafür gestellt haben, Städtebau- und Wohnungspolitik zu verzahnen und uns auf den demographischen Wandel einzustellen - 522 Millionen Euro zur Verfügung stellen und damit das Finanzvolumen auf einem hohen Niveau verstetigen konnten. Entscheidend ist aber die Qualität der politischen Entscheidungen. Ich denke, dass wir mit dem Programm „Soziale Stadt“, mit dem Rahmengesetz zur sozialen Wohnraumförderung, übrigens auch mit den Modernisierungsprogrammen, die wir aufgelegt haben, mit dem Stadtumbau Ost und, zunehmend wichtig, mit dem Stadtumbau West die Weichen richtig gestellt haben. Ich habe - das möchte ich zum Schluss sagen, Frau Präsidentin - in den letzten Jahren manchmal vermisst, dass Sie sich an der inhaltlichen Diskussion um den Paradigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungspolitik beteiligen. In der Fachwelt wird diese Diskussion seit Jahren geführt und auch wir in der Koalition führen sie. Nur Sie haben sich bisher auf die Position beschränkt, die Situation zum Beispiel in der Bauwirtschaft zu beklagen, weil zu wenig Geld da sei. Diese Politik war vielleicht in den 50er- und 60er-Jahren richtig; aber in der heutigen Zeit bedeutet das - ich drücke mich vorsichtig aus - ein Sich-Enthalten jeglicher politischen Mitgestaltung. ({7}) Das bedaure ich. Lassen Sie uns die kommenden Wochen nutzen, über den Haushalt zu reden und nicht nur darüber zu jammern, dass da oder dort die Summe zu niedrig ist, ({8}) und uns über die Inhalte unserer Städtebau- und Wohnungspolitik zu verständigen. Mit den Ländern klappt das, da wird das doch vielleicht auch mit der Opposition im Bundestag klappen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Magdalena Strothmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist geprägt von Mobilität, auch wenn viele von uns diesen Sommer wieder in langen Staus gestanden haben und einen völlig anderen Eindruck hatten. Beweglichkeit und Flexibilität stellen keinen Luxus dar, sondern sind Voraussetzungen für eine moderne Gesellschaft. Wer sich dies zu Eigen macht, erkennt, dass Investitionen in unsere Verkehrswege für eine aktive, agile und vor allen Dingen leistungsfähige Gesellschaft wichtig sind. Die Grundaussage Ihres Haushaltsentwurfs jedoch lautet: weniger Investitionen. Stillstand im Stau und Stillstand in der Verkehrspolitik ist Ihre Linie. ({0}) Ein Haushalt mit nachvollziehbaren und klar formulierten Zielen strahlt Glaubwürdigkeit aus und erzeugt eine Aufbruchstimmung, das oft geforderte Signal für Wirtschaftswachstum und Wirtschaftskraft. Davon ist Ihr Entwurf weit entfernt. ({1}) Woher sollen unsere Betriebe den Mut für Investitionen und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nehmen, wenn der Staat Stagnation zelebriert? ({2}) Seit sechs Jahren ist es das erklärte Ziel dieser Bundesregierung, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir erinnern uns an das Ziel des Kanzlers, die Arbeitslosenzahlen zu halbieren. ({3}) Das Ergebnis dieser Politik ist: Wachstum ist in weiter Ferne, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch und die Zahl der Erwerbstätigen nimmt ständig ab. Nun liegt in schlechter Tradition ein Haushaltsentwurf jenseits der Verfassung vor, da die angesetzte Neuverschuldung auch in diesem Jahr nicht ausreichen wird. ({4}) Dieser Haushalt ist nicht „auf Kante genäht“, wie der Finanzminister immer stolz meint, sondern er ist wie ein ausgefranster Saum. Ich glaube, vom Nähen verstehe ich ein bisschen mehr als er. ({5}) Die Finanzierung des Haushalts ist einfach unsolide. Es ist waghalsig, von Privatisierungserlösen in dieser Höhe auszugehen und diese Wahnsinnssummen auch noch im Voraus auszugeben. Das wird wieder zulasten der Steuerzahler gehen. Der Börsengang der Post hat schließlich gezeigt, wie zurückhaltend der Kapitalmarkt derzeit ist und welchem Druck man bei der Preisgestaltung ausgesetzt ist. ({6}) Wie schon beim Bundesverkehrswegeplan stellt sich auch beim Verkehrshaushalt Unbehagen ein. ({7}) Der unseriöse Finanzierungsansatz verursacht das schale Gefühl, der Bundesverkehrswegeplan sei schon jetzt das Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt ist. ({8}) Wie sollen 4,6 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen reichen, wenn der Bedarf im Bundesverkehrswegeplan auf 5,2 Milliarden Euro festgelegt wurde und der tatsächliche Bedarf noch höher liegt? Investitionen werden gnadenlos gekürzt und außerdem werden schließlich noch weitere Einschnitte durch die globale Minderausgabe folgen. Dazu stellt sich immer wieder die spannende Frage der Maut. Gibt es eigentlich etwas Neues von Toll Collect, zum Schadenersatz oder zum angestrebten Termin? ({9}) Es ist so verdächtig ruhig. Das muss man feststellen, auch wenn der Minister etwas anderes sagt. ({10}) Warum zögern eigentlich unsere Spediteure, die Geräte in die LKWs einbauen zu lassen? Die Unternehmen sind nämlich nicht vom Erfolg der Aktion überzeugt und befürchten, dass auch das neue System wieder nicht funktioniert und weitere Kosten für die Betroffenen verursacht. Für die Verunsicherung der Betriebe tragen Sie die Verantwortung. Auch die Harmonisierung ist dem Gewerbe versprochen worden, liegt aber auf Eis. Außerdem rate ich: Im EU-Verkehrsministerrat sollten Sie sich für eine Zweckbindung der Mauteinnahmen einsetzen und nicht § 11 des Mautgesetzes unterwandern. Die Maut wäre in dem Fall nichts anderes als eine Steuer. Ich sage es noch einmal: Eine Akzeptanz beim Gewerbe ist nur mit klarer Zweckbindung zu erreichen. ({11}) Aber das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie produzieren Haushaltslöcher, um sie dann mit theoretischen Mauteinnahmen zu stopfen. ({12}) Das ist für mich ein Haushalt mit Luftbuchungen. Die Kürzungen sind eindeutig. Im Straßenbau liegen sie bei 10,5 Prozent, mit der Maut immer noch bei 5,3 Prozent. Bei der Schiene ist es das Gleiche. Die Kürzungen betragen dort 12,4 Prozent und mit der Maut immer noch 6,7 Prozent. ({13}) Sie sind dennoch immun gegen jegliche Ratschläge und Empfehlungen. Sie ignorieren sogar einhellige Forderungen der Landesverkehrsminister. Die Verkehrsminister und -senatoren der Länder haben ausdrücklich beschlossen, dass die Mauteinnahmen zusätzlich und nicht im Austausch gegen wegfallende Haushaltsmittel für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen müssen. ({14}) Investitionen sind der Weg in die Zukunft. ({15}) Das war neben allen Sparbemühungen auch eine wichtige Erkenntnis von Koch/Steinbrück. Steinbrück ist übrigens ein Ministerpräsident aus Ihren Reihen. Ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses wurde allerdings von Ihnen in sein Gegenteil verkehrt. Das war nicht nur verkehrspolitisch, sondern auch ökonomisch falsch. Sie behandeln die Straße wie ein ungeliebtes Stiefkind. Insbesondere bei der Maut handeln Sie konsequent zum Nachteil der Straße. Im neuen Haushaltsjahr rechnen Sie mit hohen Mauteinnahmen. So weit, so gut. Aber leider wenden Sie dann erneut einen Verteilungsschlüssel an, bei dem die Mittel für den Straßenbau prozentual am geringsten wachsen. Bei der Schiene ist ein Plus von 14,3 Prozent, bei den Wasserstraßen von 12,85 Prozent und bei der Straße nur von 11,75 Prozent zu verzeichnen. ({16}) Aber als Betroffene erwarten die Mautzahler zu Recht eine deutlich verbesserte Straßensituation. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns weiter auf ein intensives Wachstum des Verkehrs auf unseren Straßen einzurichten haben. Die Mobilität steigt. Die EU-Osterweiterung zeigt ihre Auswirkungen und der Güterverkehr nimmt immer mehr zu. Die Vertriebsstrukturen und die globalisierte Weltwirtschaft insgesamt sind weitere Ursachen. Man kann nicht einerseits die Einigung Europas vorantreiben oder Global Player sein und andererseits die Verkehrs- und Warenströme einfach ignorieren. Das verdeutlicht den Bedarf an verbesserten und in jedem Fall auch zusätzlichen Verkehrsachsen. Die Straße wird hieran einen entscheidenden Anteil haben. Ob politisch nicht gewollt oder verteufelt, dies bleibt eine Tatsache. Die Maxime muss also lauten: Ausbau statt eines notdürftigen Erhalts! Im Haushaltsentwurf steht genau das Gegenteil. ({17}) Dort steht, dass die Mittel für den Bundesstraßenerhalt um 29 Prozent steigen, die Mittel für den Bundesstraßenneubau aber um 41 Prozent sinken. Im Vergleich zu 2003 ist dies ein Minus von 78,3 Prozent. ({18}) Hinzu kommt, dass die Kosten für die laufenden Maßnahmen die Gelder größtenteils auffressen. Für neue Baumaßnahmen ist nicht mehr genügend Geld übrig. Das nenne ich unseriöse Finanzplanung und das kommt einem Offenbarungseid gleich. ({19}) Das ist ein Witz; man hätte sich die Haushaltsberatungen sparen können. Weitere falsche Prioritätensetzungen können wir uns nicht länger leisten. Das Straßennetz hat für die Bürger und die Wirtschaft eine große Bedeutung. IHK-Umfragen belegen, dass die Erreichbarkeit von Betrieben die Standortentscheidung maßgeblich mitbestimmt. Die Erreichbarkeit rangiert als zweitwichtigster Standortfaktor direkt nach der Gewerbe- und Grundsteuer. Was bedeutet das? Die Verkehrssituation hat direkten Einfluss auf die Betriebe und somit auf die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Darum betonen wir immer wieder, dass zukunftsorientierte Investitionen im Verkehrs- und Baubereich positive Folgen haben - bis hin zu höheren Einnahmen für die Steuer- und Sozialkassen und weniger Kosten für die Arbeitslosigkeit. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - ich glaube, da waren wir uns alle einig - ist die wichtigste Aufgabe in unserem Land und nicht etwa das Umsiedeln von Hamstern und Fledermäusen, das oft mehr kostet als eine Ortsumgehung. Der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland aufgrund von Verkehrsstaus beläuft sich auf 80 Millionen bis 100 Millionen Euro. Verkehrspolitik muss also Strukturpolitik sein und sich an Bedürfnissen und Entwicklungen orientieren. Sie orientieren sich aber stur an einem korsettartigen Finanzrahmen, der keinen Blick für das Notwendige zulässt. Wir fordern von unseren Arbeitnehmern und Arbeitslosen Flexibilität und Mobilität. Als Folge nimmt die Zahl der Pendler ständig zu. Allein nach Bielefeld, einer Stadt mit 328 000 Einwohnern, pendeln täglich 50 000 Personen. Gerade in meiner Heimat kann die Schiene nur noch bedingt zur Entlastung beitragen, und zwar weder im Personenverkehr noch im Güterverkehr. Dennoch ist eines sicher: Der Gütertransport wird weiterhin seinen Schwerpunkt auf der Straße haben. Aus dem Wirtschaftsleben sind LKWs nicht mehr wegzudenken. Das deutsche Transportgewerbe kann im Wettbewerb jedoch nur mithalten, wenn wir die Bedingungen verbessern. Ändern Sie also Ihre verkehrspolitischen Prioritäten! Sorgen Sie endlich für eine funktionierende und wettbewerbsfähige Verkehrsinfrastruktur! Eine Finanzierung ist trotz aller Sparzwänge möglich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen an Ihre Redezeit denken.

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich am Schluss. - Wir werden im Verlauf der Beratungen konkrete Vorschläge machen und Alternativen aufzeigen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Reinhard Weis, SPD-Fraktion.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit mit - wenn auch verhaltener - Freude zum Thema LKW-Maut sprechen kann. Ich fasse den aktuellen Stand der Situation für die Kollegin Strothmann, die ja keinen richtigen Überblick hatte, noch einmal zusammen. ({0}) - Sie hat doch selber gesagt, dass ihr die Informationen fehlen. Vor einem Jahr hat Toll Collect mit dem verpassten Start der LKW-Maut zum 31. August 2003 ein technisches K. o. in der ersten Runde erlitten. Niemanden wird es daher wundern, dass wir mit einer gewissen Skepsis auf die zweite Runde geblickt haben, die mit dem Beginn der Mauterfassung am 1. Januar 2005 enden soll. ({1}) Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Abwicklung unseres Haushalts; das ist richtig. Diese zweite Runde läuft und diesmal hat Toll Collect die Technik offensichtlich im Griff. Uns liegen zur Funktionsfähigkeit und zum Stand der Einbauten der On Board Units inzwischen Berichte von Toll Collect, vom Verkehrsministerium und von Gutachtern vor. Diese Informationen werden durch Gespräche ergänzt, die wir selber mit Spediteuren und den Verbänden führen. All diese Berichte gipfeln in unserer Erwartung, dass die Maut pünktlich starten kann. Ich will nicht alles wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben, aber die Botschaft muss klar sein: Die Mauterhebung kommt. Sie wird komfortabel über die vorgesehene Technik der On Board Units oder umständlicher über das manuelle Einloggen erfolgen. Der Start des Mautsystems hängt von der funktionierenden Technik und nicht von der Zahl der eingebauten On Board Units ab. Jeder Spediteur, der auf weitere Verzögerungen setzt, handelt deshalb riskant. Wer immer noch glaubt, durch gezielte Verschleppung der Mauterfassung zu entgehen, sitzt einem bösen Irrtum auf. Man wird sich allenfalls den Zorn der sonstigen Autofahrer zuziehen, wenn die LKWs an Tankstellen oder Autobahnauffahrten den fließenden Verkehr behindern, um sich manuell einzuloggen. Wer dort sein Firmenlogo platziert, macht keine gute Werbung für sich. ({2}) Auch die Verbände des Güterkraftverkehrsgewerbes haben das erkannt. Wir begrüßen ganz ausdrücklich die Verbändeerklärung vom 27. August dieses Jahres, mit der alle Spediteure eindringlich aufgefordert wurden, sich rechtzeitig um den Einbau der On Board Units in ihren Fuhrpark zu kümmern. Insgesamt bin ich sehr froh, dass die Debatte um die Mauterhebung mehr Sachlichkeit bekommen hat. Diese Ruhe und Sachlichkeit haben wir alle nicht zuletzt der Besonnenheit unseres Bundesministers zu verdanken. Er hat sich allen Schwierigkeiten zum Trotz nicht zu falschem Aktivismus treiben lassen, sondern ruhig sein Ziel verfolgt, die Maut zu realisieren. Wie wir heute sehen, war dies wohl der richtige Weg. Das Konsortium hat seine Lektion gelernt und ist heute ganz anders aufgestellt. Wir begegnen Transparenz in der Entwicklung und Offenheit in der Information. Auch dies kann man an dieser Stelle würdigen. Mit dieser gebotenen Sachlichkeit wende ich mich nun dem zur Debatte stehenden Antrag der CDU/CSUFraktion zu. Sie fordert in ihrem Antrag, den wir heute mit beraten, die Befreiung von der LKW-Maut auch auf humanitäre Hilfstransporte auszudehnen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich viel Sympathie dafür habe. ({3}) Ich könnte Ihnen zwar entgegnen, dass Sie bei der Einführung der Vignette in Ihrer Amtszeit humanitären Hilfstransporten auch keine Befreiung eingeräumt haben. ({4}) Reinhard Weis ({5}) Deswegen könnten wir es uns mit Ihren eigenen Argumenten sehr einfach machen, indem wir darauf hinwiesen, dass Sie heute etwas fordern, was Sie in Ihrer Verantwortung selber nicht getan haben. Aber so vordergründig möchte ich nicht reagieren. Allerdings ist es sicher richtig, dass Sie in Ihrer Zeit dafür Gründe hatten, die heute noch genauso gelten. Darüber werden wir im Ausschuss reden müssen. ({6}) Das Hauptproblem wird in der Durchführung und Kontrolle der Mautbefreiung liegen. Es darf nicht zu Missbrauchs- oder Mitnahmeeffekten kommen. Wie kann man sicherstellen, dass wirklich nur humanitäre Hilfstransporte von der Maut befreit werden? Muss dann jede Fahrt vorher geprüft und freigestellt werden? Sollen Verbände generell freigestellt werden? Soll es hinterher nach Prüfung eine Erstattung geben? Sie haben damals gesehen, dass die Beantwortung dieser Fragen ein Problem darstellt; wir sehen das heute genauso. Aber ich sage Ihnen auch zu, dass wir Ihren Antrag nicht rundheraus ablehnen, sondern uns in Zusammenarbeit mit Ihnen um eine praktikable Lösung kümmern werden. ({7}) Wir können heute - ich muss noch einmal darauf hinweisen - keine Haushaltsdebatte führen, ohne das Thema Schieneninvestitionen bzw. den Abfluss der bereitgestellten Bundesmittel anzusprechen. Ich spreche jetzt also nicht über den Haushalt 2005, sondern gehe auf den Vollzug des Haushalts des Jahres 2004 ein. Es fließt bis heute zu wenig von unserem bereitgestellten Investitionsgeld ab. ({8}) - Danke, Horst. - Darüber klagen Bahn- und Bauindustrie zu Recht. Die Ursache für den Baustopp sind nicht fehlende Bundesmittel oder fehlende Finanzierungsvereinbarungen. Die Ursachen sind ein verordneter Baustopp durch den Bahnvorstand, die Verschleppung der Abrufung freier Mittel für das Bestandsnetz und die Verschleppung von Bauterminen. ({9}) Ich habe hier eine ganze Liste mit Beispielen vorliegen. Ich sage das so deutlich, weil der Bahnvorstand in Presseveröffentlichungen den Eindruck vermittelt, gekürzte oder fehlende Mittel des Bundes seien die Ursache für diesen Baustopp. Das ist nicht zutreffend. ({10}) Zutreffender sind die Meldungen, dass der Bahnvorstand bereits fest vereinbarte Schienenbauprojekte auf Eis legt und Planungen bzw. Bauaufträge streicht oder verzögert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friedrich?

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Horst.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Weis, Sie haben dankenswerterweise auf den Grund für den verzögerten Mittelabfluss seitens der Bahn hingewiesen. Was halten Sie in dem Zusammenhang von einer Presseerklärung der Staatssekretärin beim Bundesumweltminister Frau Margareta Wolf, die bekanntermaßen Mitglied im Aufsichtsrat der Bahn ist, dass das, was Sie jetzt sagen, eine Kampagne der Straßenlobby gegen den Zugang der Bahn zum Kapitalmarkt sei? Teilen Sie diese Aussage?

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Kollege Friedrich, ich teile diese Aussage nicht. Wie wir alle wissen auch Sie, dass wir bei der Verwendung der Investitionsmittel darauf achten, dass eine bestimmte Quote zwischen den Verkehrsträgern eingehalten wird. Wir werden nicht zulassen, dass durch die Diskussionen, die heute geführt werden, ein verfälschter Eindruck entsteht. ({0}) Ich will wenigstens einige Beispiele von der Liste der Bauvorhaben nennen, die verzögert oder gestrichen werden, damit Sie sehen, wie regional breit gefächert die Konsequenzen sind: Es geht um die Verschiebung von Teilmaßnahmen an der Ausbaustrecke München-Ingolstadt-Nürnberg südlich von Ingolstadt. Auf der Strecke Düren-Aachen an der Grenze zu Belgien gibt es eine sechsmonatige Verzögerung der Sanierung des Buschtunnels wegen verspäteter Ausschreibung. Auf der Strecke Berlin-Rostock gibt es eine Bauverzögerung von zwei Jahren, weil die DB AG die Planung zu spät aufgenommen hat. Zahlreiche Maßnahmen zur Grunderneuerung der S-Bahn in Berlin, für die es Finanzierungsvereinbarungen mit dem Bund gibt, werden aufgegeben oder auf Jahre hinaus verschoben. Zahlreiche wichtige Kreuzungsmaßnahmen werden nicht mehr realisiert, weil die DB AG die Planungskosten, die über 10 Prozent der Bausumme hinausgehen, nicht mehr finanzieren will. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die eigentlichen Baukosten für Kreuzungsbauwerke staatlich finanziert werden und keine Eigenmittel der DB erfordern. Auf die Bahn- und die Bauindustrie hat diese neue Linie bereits sehr negative Auswirkungen. Die Aufträge für die Bahnindustrie im Bereich der Infrastruktur sind im ersten Halbjahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. In diesem Zeitraum sind dadurch rund 1 800 Arbeitsplätze verloren gegangen. In der Bauindustrie sieht die Situation nicht besser aus. Einer Reihe von hoch spezialisierten Schienenbauunternehmen droht das Aus, wenn der Bahnvorstand seine Investitionspolitik nicht kurzfristig ändert. Reinhard Weis ({1}) ({2}) Wir können in der sensiblen konjunkturellen Lage in Deutschland nicht akzeptieren, dass der Volkswirtschaft vorhandene öffentliche Investitionsmittel durch das Verhalten der DB AG vorenthalten werden. ({3}) Ich kann nur dringend an den Vorstandsvorsitzenden der DB AG appellieren, mit der Realisierung baureifer Vorhaben zu beginnen und, soweit es noch erforderlich ist, auch die Baufreigaben durchzusetzen; das heißt, den verordneten Investitionsstopp aufzuheben. Die Mittel stehen zur Verfügung. Sie können beim Bund abgerufen werden. Ansonsten könnte sich der Verdacht erhärten, dass man mit dem intern verordneten Investitionsstopp womöglich ganz andere Ziele verfolgt, dass die Bahn die veranschlagten Eigenmittel einsparen will, um in diesem Jahr doch noch die schwarze Null zu erreichen, mit der das Signal für den Börsengang auf grün gestellt werden soll. ({4}) Investitionsentscheidungen sind nicht allein Sache der Bahn. Der Bund trägt nach unserer Verfassung die Verantwortung für den Bestand und den Ausbau des Schienennetzes. Diese Infrastrukturverantwortung nehmen wir sehr ernst. Die Haushaltsansätze stehen dafür. Wir stellen unsere Steuermittel, die Steuermittel der Bürger, dafür zur Verfügung. Es ist Aufgabe des Bahnvorstandes und liegt auch im Interesse des Unternehmens, diese Mittel tatsächlich für das Netz einzusetzen. ({5}) Ein einmaliges positives Geschäftsergebnis für 2004 wird niemanden in diesem Hause von der Sinnhaftigkeit eines Börsenganges überzeugen, wenn es auf dem Wege, den ich eben geschildert habe, zustande kommt. ({6}) Das ist auch eine Frage der Verantwortung der Verkehrspolitik. Die Bahn hat nur dann eine Chance, auf dem Verkehrsmarkt mit Erfolg zu bestehen, wenn es ihr gelingt, die Qualität ihrer Verkehrsangebote deutlich zu verbessern. Einsparungen bei der Instandhaltung und bei Ersatzinvestitionen ins Schienennetz, wie sie der Bahnvorstand verordnet hat, sind da kontraproduktiv. ({7}) Sie führen zwangsläufig zu Verspätungen und damit zu Rückgängen bei den Fahrgastzahlen und zu Einnahmeverlusten. Das verhindert das Erreichen der selbst gesteckten Ziele. Unseren gemeinsamen verkehrspolitischen Zielen ist es ebenfalls abträglich. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Klaus Minkel, CDU/CSUFraktion. ({0})

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzminister verblüfft uns jedes Jahr aufs Neue. Er hat nämlich die Gabe, auf einen stets schlechten Haushalt immer noch einen schlechteren Haushalt draufsetzen zu können. ({0}) Der Haushalt des Jahres 2005 ist durch Notverkäufe im Umfang von 15,5 Milliarden Euro gekennzeichnet. Diese Einnahmen werden nicht etwa für zusätzliche Investitionen eingesetzt, von denen vielleicht auch etwas für die Not leidende Bauwirtschaft abfallen könnte. Sie werden auch nicht zur Schuldentilgung verwendet, die unserer jungen Generation zugute käme. Nein, all die Mehreinnahmen versinken in Eichels Schuldensumpf. Das sind alles schlechte Voraussetzungen für den Wohnungsbauhaushalt, über den wir hier zu sprechen haben. Die Ausgabenansätze in Kap. 12 25 gehen von 4 342 Millionen auf 3 125 Millionen Euro ({1}) zurück. Dieser Rückgang ist ganz wesentlich durch die Ausgliederung des Wohngeldes gekennzeichnet. Auch in diesem Bereich hat der Bauminister nichts mehr zu sagen. Zukünftig werden dort andere den Takt angeben. Aber auch die Mittel für die Investitionen, die eigentlich steigen müssten, sinken: von 1 475 Millionen auf 1 325 Millionen Euro. ({2}) Besonders groß ist der Mittelrückgang bei der sozialen Wohnraumförderung. Die Haushaltsmittel gehen von 450 Millionen auf 338 Millionen Euro zurück. Dieser starke Rückgang - Herr Spanier, lassen Sie sich das von einem altgedienten Kämmerer sagen - hat nichts mit dem Koch/Steinbrück-Papier zu tun, sondern ist die Auswirkung der vorangegangenen Haushaltsjahre. Auch in den vorangegangenen Haushaltsjahren hat diese rotgrüne Koalition ja bewiesen, dass sie mit der sozialen Wohnraumförderung nichts mehr am Hut hat. ({3}) Die Haushaltsmittel für die Städtebauförderung, die tatsächlich ausgegeben werden können - nicht die Programmmittel, Herr Spanier -, gehen auch zurück, und zwar von 520 auf 515 Millionen Euro. Dabei sind die Mittel der Städtebauförderung ganz besonders beschäftigungswirksam einsetzbar. Es ist bedauerlich, dass wir auch hier weniger Geld zur Verfügung haben. Die Mittel fließen überwiegend in die neuen Bundesländer, was sehr zu begrüßen ist. Die Bundesregierung bleibt aber aufgefordert, die alten Bundesländer nicht zu vernachlässigen. Hier baut sich nämlich ein großer Sanierungsstau auf. In Nordrhein-Westfalen sind die Fördermittel um das Siebenfache überzeichnet. Wenn sich der Bauminister nicht bald etwas einfallen lässt, dann werden wir in wenigen Jahren im Westen städtebauliche Missstände haben, wie wir sie aus der alten DDR gewohnt sind. ({4}) Die Mittel für die Altschuldenhilfe scheinen im Augenblick auszureichen. Allerdings geschieht der Vollzug nicht schnell genug. ({5}) Im Übrigen werden im Wohnungsbauhaushalt die bekannten Finanzierungsprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau abfinanziert. Große neue Initiativen des Bauministers sind in diesem Haushalt nicht erkennbar. Der Bauminister geht offensichtlich nach der Devise vor: Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt. ({6}) Das ist aber verkehrt, weil es im Lande genug zu tun gibt. ({7}) Eine Statistik, die einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt ausweist, sagt nichts über die Qualität des Wohnraums aus. Es gibt viele Millionen Familien in unserem Lande, die sich hinsichtlich ihres Wohnraums verbessern möchten. Vor allen Dingen gibt es viele Millionen Familien in unserem Lande, die sich den Lebenstraum vom eigenen Haus, vom eigenen Heim noch erfüllen wollen. ({8}) Für all diese Menschen wird vom Ministerium nicht mehr in ausreichendem Maße gesorgt. Es ist sogar so, dass wichtige Entwicklungen am Hause Stolpe vorbeigehen. ({9}) Ich nenne Beispiele. Umweltminister Trittin hat die Überschwemmung in Sachsen als Vorwand benutzt, um in der Bundesrepublik flächendeckend einen verschärften Hochwasserschutz durch absolute Bauverbotszonen einzuführen. ({10}) Ich halte es, wie übrigens auch die Mehrheit des Bundesrates und viele Kommunen, für einen großen Fehler, dass man die wirtschaftliche Entwicklung und die Bautätigkeit in unserem Lande künftig von den Zufällen des 100-jährigen Hochwassers abhängig machen will. ({11}) Wenn man auch in der Vergangenheit so verfahren wäre, dann wäre Deutschland nie das Land geworden, als das es Ihnen vererbt worden ist. Die Holländer können übrigens froh sein, dass Herr Trittin hier und nicht dort zu Hause ist. Bekanntlich ist in der Hälfte des Landes häufig Land unter. Wenn Herr Trittin dort wäre, würde er sicherlich als Erstes verordnen, dass sich die Holländer, wenn sie sich zum Schlafen niederlegen, einen Rettungsring um den Bauch binden. ({12}) Ein weiterer Punkt ist die Diskussion über den so genannten Flächenverbrauch. Hierbei handelt es sich um einen politischen Kampfbegriff, ein Unwort, wenn nicht sogar ein Lügenwort; denn die Flächen des Landes sind, wenn man von höchst seltenen Sturmfluten einmal absieht, grundsätzlich unverbrauchbar. Es gibt höchstens eine veränderte Flächeninanspruchnahme. Aber mir hat noch kein Mensch erklären können, warum ein artenreicher Hausgarten unter ökologischen Gesichtspunkten schlechter sein soll als eine artenarme Monokultur in der Landwirtschaft ({13}) oder warum ein wohnungsferner Schrebergarten eines Mieters besser sein soll als ein Hausgarten eines Hauseigentümers. ({14}) Deshalb gibt es keinen vernünftigen Grund, unsere Bevölkerung am Wohnungsbau zu hindern; ({15}) denn unsere Bevölkerung muss sowieso genug unter Reglementierungen leiden. ({16}) Ein weiterer Angriff auf die Wirtschaft und vor allen Dingen auf die Bautätigkeit und die Zukunftspläne junger Familien ist in dem Entwurf eines „Gesetzes zur finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive“ - bis hier klingt es gut, aber jetzt wird es schlecht „durch Abschaffung der Eigenheimzulage“ zu sehen. Bei diesem hochtrabenden Gesetzesnamen handelt es sich um nichts anderes als um den ganz ordinären Bruch eines Wahlversprechens, das sowohl der Bundeskanzler als auch SPD und Grüne vor der letzten Bundestagswahl gegeben haben. ({17}) Sie haben damals nämlich den Bestand der Eigenheimzulage garantiert. Dafür gibt es schriftliche Belege, ({18}) die schon bei anderer Gelegenheit vorgetragen worden sind. ({19}) Das wäre auch ein Betrug an der jungen Generation. Wenn Sie dieses Gesetz nämlich jetzt abschafften, dann hätte die junge Generation noch auf zehn Jahre die alten Bewilligungen durch ihre Steuerzahlungen abzufinanzieren. ({20}) Ich schließe mit folgendem Satz: Die Union steht für eine Politik, die Wohlstand für alle anstrebt. ({21}) Mit uns ist eine herzlose Schröder/Eichel-Politik nicht zu machen. Auch die einfachen Leute in diesem Lande haben Anspruch auf ein eigenes Heim, nicht nur Ihr Arbeiterführer Oskar Lafontaine in seinem Palast der sozialen Gerechtigkeit. Vielen Dank. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Kuhn.

Werner Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Glücklicherweise herrscht in diesem Hause Konsens, dass eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur die Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist. Ich denke, es war eine epochale Aussage des Herrn Ministers, dass Investitionen keine Subventionen sind. Das rechtfertigt doch unsere Kritik, dass immer versucht wird, uns einzureden, dass die Herren Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück sogar die Baulastträgerschaft des Bundes anzweifeln und dort Investitionen kürzen wollten. Da fasst man sich doch an den Kopf! ({0}) In vorauseilendem Gehorsam hat die Bahn sofort die Mittel im investiven Bereich und im personellen Bereich um dreimal 4 Prozent gekürzt, so wie das Koch und Steinbrück vorgesehen haben. Sie, Herr Minister, haben dann unter dem Druck des Finanzministers diese Investitionskürzungen einfach auf Straße und Wasserstraße verteilt. Das ist die eigentliche Krux und damit können wir uns einfach nicht einverstanden erklären. ({1}) Hier muss einfach die Wahrheit gesagt werden. Quell- und Zielverkehre müssen durch die Verkehrsadern aufgenommen und zu den Zielpunkten geleitet werden. Aber auch die Linienführung ist von ganz entscheidender Bedeutung; denn hierbei ist die Erschließung des Raumes eine ganz wichtige Aufgabe. Ich sage als ein Abgeordneter, der aus einem strukturschwachen Land kommt: Das gibt es in Ost wie in West. Wir dürfen da nicht immer nur nach dem Nutzen-Kosten-Faktor schauen, sondern es ist auch notwendig, dass man dort wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Die Grundvoraussetzung dafür ist, Verkehrsinfrastruktur zu schaffen. Es war eine harte Aufgabe nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Damals war die schwarz-gelbe Regierung unter Führung von Helmut Kohl so weise, die beiden sich auseinander entwickelt habenden Verkehrssysteme mit dem Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ wieder zusammenzuführen. ({2}) Die Wirtschaftssysteme in Ost und West hatten sich in 40 Jahren natürlich unterschiedlich entwickelt und ausgerichtet. ({3}) Werner Kuhn ({4}) Die traditionellen Verkehrsströme in den Verflechtungsgebieten konnten mit der Wirtschaftsentwicklung endlich wieder in das angestammte Bett zurückkehren. ({5}) Davon haben letztendlich alle Bundesländer profitieren können, die auf beiden Seiten, in Ost und West, an der alten Demarkationslinie lagen. Milliarden wurden in diese Verkehrssysteme hineingesteckt - ich denke: zu Recht -, aber man muss auch konstatieren, dass dort nicht die Erfolge eingetreten sind, die wir uns gemeinsam vorgestellt haben. Was die Wirtschaftsentwicklung betrifft: Wettbewerbsfähige ostdeutsche Firmen sind letztendlich nur punktuell entstanden. Ein Journalist hat mich gefragt: Sie haben so viel investiert und dennoch ist die Zahl der Arbeitsplätze so stark zurückgegangen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Wie können Sie mir das erklären? - Wenn wir nichts investiert hätten und auf dem Niveau der damaligen DDR, die 40 Jahre von der Substanz gelebt hat, geblieben wären, dann hätten wir ein noch größeres wirtschaftliches Chaos. Deshalb waren die Entscheidungen von damals völlig richtig. Glücklicherweise hat auch diese Bundesregierung den Investitionsfaden bei Infrastruktur nicht ganz abreißen lassen. Trotzdem muss ich an dieser Stelle sagen: Sie hatten in den Jahren 1998 bis 2000 einen enormen Durchhänger. Ich denke an die Schienenprojekte VDE 8.1 und VDE 8.2, also an die ICE-Verbindung Erfurt-Nürnberg. Mit Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner haben Sie sie zwei Jahre lang auf Eis gelegt. Das waren zwei verlorene Jahre für Deutschland und für den Aufbau Ost. Es kann doch nicht sein, dass man mehr als acht Stunden benötigt, um über eine ICE-Strecke zwischen den beiden großen Ballungsgebieten Berlin und München hin- und herzufahren. Das sind doch keine wirtschaftlichen Entwicklungen, wie wir sie uns für die Zukunft vorstellen. ({6}) Der Anschluss der A 20 an die A 1 bei Lübeck ist letztendlich professionell über die Bühne gebracht worden. Das Reizwort dabei ist die Wakenitz-Brücke. Nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - es gab eine höchstrichterliche Entscheidung - hätte es dort sofort ein ganz klares Bauziel geben können. Sie haben es vor sich herdümpeln lassen. Die Leute fahren nun einen Umweg von insgesamt 60 Kilometern, wenn sie von Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Schleswig-Holstein und Hamburg und wieder zurück wollen. Das bedeutet zusätzliche Abgase, nämlich CO2, NOx und was Sie von den Grünen sonst noch definieren. ({7}) Wenn Sie das als Umweltschutz betrachten, dann liegen Sie völlig falsch. ({8}) Ich komme zur Thüringer-Wald-Autobahn. Dort gab es eine ewige Verzögerung. Es ist toll, wenn der längste Tunnel Deutschlands eingeweiht wird, in dem sich hoch technisierte Anlagen befinden. Dabei kann man sich natürlich wunderbar in die erste Reihe stellen und Regierungspolitik präsentieren. Auch dort waren es aber verlorene Jahre für Deutschland und den Aufschwung Ost. Das können Sie auch nicht durch Ihr Anti-StauProgramm wieder wettmachen, das Sie als Feigenblatt etabliert haben. ({9}) Die Verkehrsminister der Länder haben im März 2004 konstatiert, dass wir für den Ausbau der Bundesfernstraßen jährlich mindestens 5,8 Milliarden Euro und für die Bundesschienenwege jährlich 4 Milliarden Euro brauchen. Das wurde schon von verschiedenen Rednern dargestellt. Wenn Sie sich anschauen, was im Ansatz des Einzelplans 12 steht, dann wissen Sie, dass es bei den Bundesfernstraßen eine Unterdeckung von 1,5 Milliarden Euro und bei den Bundesschienenwegen eine Unterdeckung von 1,9 Milliarden Euro gibt. Herr Minister Stolpe, es ist wirklich an der Zeit, dass die Einnahmen endlich zweckbestimmt für die Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden. ({10}) Schauen Sie sich an, wo wir Einnahmen haben, wo also die Nutzer der Verkehrssysteme zur Kasse gebeten werden. Ich habe das heute schon von verschiedenen Seiten gehört: Durch die Kfz-Steuer werden mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr eingenommen. Daneben gibt es noch die Mineralölsteuer. Wenn Sie das alles hochrechnen, kommen Sie auf 51 Milliarden Euro jährlich. Wir wissen, was Rot-Grün beschlossen hat und damit auch, wohin dieses Geld fließt. Die Maut für schwere LKWs ist bis jetzt ein reiner Ausfall. Wir hoffen, dass sie am 1. Januar nächsten Jahres eingeführt wird. Herr Stolpe, Sie müssen sich endlich gegen den Finanzminister durchsetzen, der beim Einbringen seines Haushaltes nicht einmal seine zehn Einnahme- und seine zehn Ausgabepositionen vernünftig darstellen konnte, sondern stundenlang darüber geredet hat, wann wer was wo über Zahnersatz gesagt hat. Das kann doch nicht der Hauptbuchhalter der größten Nation Europas sein. ({11}) - Herr Schmidt, ich denke, dieses Argument tut weh. ({12}) Wir kommunizieren nur das, was draußen reflektiert wird. Wie wollen Sie das Vertrauen des Speditionsgewerbes für die Einführung der Maut zum 1. Januar 2005 erhalten? Natürlich stehen die On Board Units in den Vertragswerkstätten zur Verfügung. Kein einziger Spediteur Werner Kuhn ({13}) lässt sie sich aber einbauen. Diesen Zinnober hat er nämlich schon einmal erlebt. Er hat sich eine On Board Unit einbauen lassen, das einschließlich der Kabelsätze 230 Euro gekostet hat. Was ist dabei herausgekommen? Er fährt jetzt gebundenes Kapital herum. Die Maut kann er immer noch nicht darüber abrechnen. Die Spediteure werden sagen: Wir haben ein Jahr lang ganz gut damit gelebt, dass die Maut nicht gekommen ist. Wir brauchten ja nicht zu zahlen. - Das kann aber nicht die Politik sein, mit der man im Bereich der Infrastruktur zukunftsweisend für den Wirtschaftsstandort Deutschland arbeitet. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist natürlich, dass Sie dabei beachten, dass gerade in den neuen Bundesländern eine Wirtschaftsförderung notwendig ist. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur allein reicht hier nicht. Sachsen ist das einzige Land, das die GA-Mittel in der Kofinanzierung vernünftig bedienen kann. Die anderen neuen Bundesländer - das sage ich durchaus kritisch - sehen darin nur die Möglichkeit, ihre Defizite im konsumtiven Bereich auszugleichen. Hier muss eine Kontrolle her. Das müssen wir gemeinsam in Angriff nehmen. Leider bleibt mir als letztem Redner die wenigste Redezeit. Heute haben wir einen historischen Tag. Vor 15 Jahren wurde in der damaligen DDR die Bürgerbewegung „Neues Forum“ gegründet, ein mutiger und im DDR-Regime sehr gefährlicher Schritt. Wir waren nur die Türöffner für eine bessere Zukunft, sagen Bärbel Bohley und ihre Mitstreiter. Die Politik machen jetzt andere. Wir in diesem Hohen Hause haben eine verantwortungsvolle Aufgabe, die sich aus unserer Verfassung ergibt: Einigkeit und Recht und Freiheit für ein gemeinsames Deutschland. Aber in allererster Linie sind die gewählten Vertreter der Exekutive und die sie tragenden Parteien gefragt. Sie haben den Osten in Ihrer Regierungszeit sträflich vernachlässigt. Deshalb ist die Situation in den neuen Ländern jetzt so prekär. Darüber können wir so viel diskutieren, wie Sie wollen. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Werner Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. - Gerade von Ihnen, Herr Minister Stolpe, erwarten wir erneute Anstrengungen. Es bewahrheitet sich nämlich der Satz: Auch den Aufbau Ost macht man nicht mit links. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3678 und 15/3489 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Das Wort hat zu Beginn die Frau Ministerin Renate Künast.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir stehen vor der Aufgabe, der ersten Generation des 21. Jahrhunderts neue Chancen zu bieten, statt ihr immer mehr neue Schulden aufzubürden. Wenn wir in dieser Art und Weise Verantwortung für die Zukunft übernehmen, heißt das logischerweise, dass wir uns immer um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bemühen müssen. Voraussetzung dafür ist eine strikte Ausgabendisziplin. Wenn man für die Jugend Entwicklungsmöglichkeiten schaffen und erhalten will, ist es notwendig, Subventionen und Steuervergünstigungen abzubauen und Investitionen in zukunftsfähige Innovationen zu ermöglichen. Wenn wir in diesem Dreiklang übereinstimmen, dann werden Sie auch meinem nächsten Satz zustimmen: Von diesen Maßnahmen kann die Landwirtschaft nicht ausgenommen werden. Deshalb hoffe ich, dass wir heute sachlich diskutieren werden. ({0}) - In dem Fall war ich im letzten Jahr vielleicht auf einer anderen Veranstaltung. Ich kann mich an viel populistisches Getöse um diese Rasenmähermethode erinnern das ist meine Umschreibung der Koch/Steinbrück-Vorschläge. Später, als es darauf ankam, hat man gekniffen. ({1}) Sie haben viel davon gesprochen, die Ausgaben nach der Rasenmähermethode zu kürzen, um so Gelder für Innovationen und Bildung zu ermöglichen, sich dann aber im Vermittlungsverfahren zum Haushaltbegleitgesetz 2004 der Diskussion entzogen, sich vom Acker gemacht und gefordert, den Agrarbereich von Kürzungen auszunehmen. So geht es nicht, meine Damen und Herren. ({2}) Ich glaube - diesen Eindruck hatte ich zumindest auf der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauernverbandes -, dass die Landwirte Sie nicht mehr ernst nehmen. Sie wissen mittlerweile, dass sie ihren Teil dazu beizutragen haben, zumal sie oft selbst Kinder haben. Diese Kinder werden nicht alle ihr Auskommen in der Landwirtschaft finden. Daher ist den Landwirten eine gute Bildung und Ausbildung ihrer Kinder wichtig. Es ist nur ehrlich, den Agrarbereich von den Kürzungen nicht auszunehmen, sondern auch hier den solidarischen Beitrag zu verlangen. Mittlerweile ist das für die Bauern selbstverständlich. ({3}) Das heißt, dass wir auch bei dem bedeutsamsten Teil des Einzelplanes 10, der Agrarsozialpolitik, um Kürzungen nicht herumkommen. Wir müssen an dieser Stelle vorsichtig sein. Wir wollen Vorzüge abbauen. Deshalb sollen in Zukunft auch die Landwirte einen Teil der Kosten der älteren Generation tragen, wie das sonst in der GKV üblich ist. Wir müssen also in der Krankenversicherung der Landwirte durch eine Regelung im Übergangsrecht den Bundeszuschuss im Finanzplanungszeitraum senken. Das sind 82 Millionen Euro. Wir haben das auch im Zusammenhang mit dem Agrardiesel diskutiert. Im letzten Jahr hatten wir hier eine intensive Debatte, als es darum ging, eine betriebliche Obergrenze zu setzen und einen Selbstbehalt festzulegen. Das ist die Lösung des regionalen Ausgleichs. Wenn man nämlich die Entscheidungen zum Agrardiesel und zur Agrarsozialpolitik im Zusammenhang betrachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kombination beider Vorschläge regionale Unterschiede und unterschiedliche Betriebsgrößen berücksichtigt. Deshalb halte ich dieses Modell nach wie vor für die gerechteste und solidarischste Lösung. Ich glaube, dass die Landwirtschaft akzeptieren kann, dass innerhalb der Landwirtschaft Solidarität herrschen muss. Deshalb haben wir das im Haushaltsbegleitgesetz 2005 erneut aufgegriffen. Allen, die das kritisieren möchten, sage ich eines: Ich nehme Kritik nur auf und setze mein Gehirn nur dann in Gang, wenn Sie sich gleichzeitig von Edmund Stoiber distanzieren, der zusätzlich zu dem Entwurf der Bundesregierung noch einmal eine 5-prozentige Kürzung, auch für die Landwirtschaft, gefordert hat. ({4}) Dann müssen Sie hier sagen, dass Sie dagegen sind. ({5}) Erst wenn Sie Edmund Stoiber kritisiert haben - das gilt nicht für die FDP -, können Sie über das reden, was wir inhaltlich vorlegen. ({6}) - Die trauen sich nicht. Die Vermutung habe ich auch. Wir haben mit der Agrarwende einen großen Schritt getan. Wir haben mit den Reformen, die ab dem 1. Januar nächsten Jahres wirken, einen Schritt getan, mit dem wir mehrere Dinge erreicht haben. Er hat mehr Gerechtigkeit im Agrarbereich auf nationaler Ebene gebracht. Wir haben auf europäischer Ebene mit den Reformen einen Beitrag dazu geleistet, dass die EU am 31. Juli ein WTO-Rahmenabkommen abschließen konnte. Das wird letztendlich auch positiv für die Entwicklung in Deutschland sein. Wir alle haben gelernt, sektorenübergreifend zu denken. Wir können sagen, dass wir unsere Bäuerinnen und Bauern für die neue europäische Agrarpolitik vorbereitet haben, weil wir die Ergebnisse frühzeitig antizipiert haben. Wir haben am 9. Juli die Regelung im Bundesrat umgesetzt und wir haben an vielen anderen Stellen die Reformen umgesetzt, etwa bei der GAK. Wir werden ebenso die Reformen für den Bereich Zucker und zur Absicherung unserer Zuckerrübenanbauer machen. Ich glaube, dass nur das verlässliche Politik ist. Es geht nicht, bis zum letzten Augenblick Nein zu sagen, sich dann zu wundern, dass Entscheidungen getroffen werden, und den deutschen Landwirten erst fünf nach zwölf die Möglichkeit zu geben, ihre betrieblichen Entscheidungen auf die neue Situation auszurichten. Ich glaube, dass wir richtig liegen, denn unsere Bauern können frühzeitig beginnen, sogar früher als manche andere in Europa. ({7}) Wir haben mit der Modulation mehr Mittel für die ländliche Entwicklung zur Verfügung. Wir alle wissen, dass mittelständische Unternehmen dort, auf 80 Prozent der Fläche in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen den Übergang von der rein agrarischen Produktion zu Dienstleistungen, zu Energieerzeugung und zu mehr Wertschöpfung auf dem Lande. Wir alle wissen und gerade der Osten weiß, dass dieses bitter nötig ist, wenn wir Arbeitsplätze im ländlichen Raum haben wollen, die über die Landwirtschaft hinausgehen. ({8}) Ich glaube, dass wir damit einen Zukunftspunkt angepackt haben. Das betrifft auch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Damit geben wir bundesweit sehr effektiv und unbürokratisch Linien vor, die wir in Brüssel notifizieren lassen können. An der Stelle habe ich eine Frage hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Politik. Ich würde gerne wissen, ob sich dieses Haus zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bekennt. Ich höre in der Föderalismuskommission von der CDU/CSU immer das Gegenteil. ({9}) Wenn die Union nicht zur Gemeinschaftsaufgabe steht, möchte ich wissen, wie sie sich zum Haushalt verhält. Man kann nicht Kürzungen kritisieren, wenn man in Wahrheit die gesamte Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ streichen will. Das vertritt die CDU/CSU in der Föderalismuskommission. ({10}) Ich möchte, dass wir hier brillante Kofinanzierungsmittel für die europäischen Töpfe haben. Ich meine nicht, dass wir unterstützen sollten, dass das Geld anderswo in Europa verteilt wird. Ich möchte hier Kofinanzierungsmittel; ich weiß, dass wir so in Ost und West die Zukunft auf dem Lande sichern können. Ich glaube, diese Dinge verbinden sich gut mit der Förderung nachwachsender Rohstoffe, die ebenfalls im Haushalt enthalten ist. Ich will, dass Biokraftstoffe einen bedeutenden Platz in der nationalen Kraftstoffstrategie einnehmen. Wir haben an dieser Stelle die Möglichkeit, vorne zu sein und diese Technologie weiter zu entwickeln - auch für die Automobilindustrie. ({11}) Ich will, dass die Landwirte erkennen - andere haben es eigentlich längst erkannt -, wo unser Platz auf dem Markt ist. Für die Landwirtschaft hier bedeutet das eine Orientierung auf Qualität, Qualität, Qualität und auf nachwachsende Rohstoffe, stofflich und energetisch genutzt. Aufgrund der Möglichkeit, die Eigenheimzulage zu streichen und die frei werdenden Mittel auch für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zu nutzen, bringt das Innovationen für den ländlichen Raum. Daraus kann man für die Zukunft Arbeitsplätze schaffen. Dieses Ziel werden wir alle hier wohl vertreten wollen. Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf enthält natürlich auch andere Bereiche, etwa die Bereiche des gesundheitlichen und des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Wir alle wissen, dass wirtschaftliche Verbraucherpolitik - wir finanzieren die Stiftung Warentest und die VZBV - wichtig ist. Wir wollen den nachhaltigen Konsum fördern, weil wir alle wissen, dass wir in allen Bereichen Verantwortung tragen. Wir wollen und werden weiter die Verbraucheraufklärung im Ernährungsbereich finanzieren; denn wir wissen, dass dieser Teilbereich einen wichtigen Aspekt der Gesundheit darstellt. Alle Gruppen der Bevölkerung, auch die aus der Unterschicht, müssen hier Chancen haben. ({12}) Ich glaube, dass dies ein runder Budgetentwurf ist, der alle Zukunftsthemen anpackt. Danke. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Einzelplan 10, also dem Haushalt des Ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft komme, erlaube ich mir ein paar allgemeine Anmerkungen zum Haushalt insgesamt. Nach sechs Jahren rot-grüner Regierung müssen wir feststellen, dass vieles anders, aber leider nichts besser geworden ist. ({0}) Zum dritten Mal in Folge brechen wir in diesem Jahr den Maastricht-Vertrag, und zwar sowohl was die Neuverschuldung als auch was die Gesamtverschuldungsgrenze betrifft. Zum wiederholten Male liegt ein Haushaltsentwurf vor, der wirklich nur auf dem Papier nicht verfassungswidrig ist. Das Hauptproblem, nämlich die Arbeitslosigkeit oder - besser gesagt - die geringe Beschäftigungszahl, hat sich wesentlich verschärft. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass sich der Bundeskanzler eigentlich irgendwann an der Lösung dieses Problems messen lassen wollte. In den ersten Jahren von Rot-Grün hat es ja immer geheißen, wir, also die frühere Bundesregierung, seien dafür zuständig gewesen. ({1}) Nachdem der allerletzte Journalist das nicht mehr geglaubt hat, war es dann irgendwann die Weltwirtschaft, die dafür zuständig war. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Export läuft ja interessanterweise relativ gut; bloß die Binnenkonjunktur lahmt etwas. Ich erinnere mich, dass Finanzminister Eichel in seiner Einbringungsrede verzweifelt in irgendeiner Tabelle - sie ist offensichtlich genauso chaotisch gewesen wie die Regierungspolitik - nach einem Beleg dafür gesucht hat, dass die Bürgerinnen und Bürger durch die Maßnahmen von Rot-Grün unter dem Strich angeblich mehr Geld in der Tasche haben. Aber wenn das so ist, dann muss es ja irgendeinen anderen Grund dafür geben, dass die Leute weniger konsumieren. Entweder vertrauen sie offensichtlich der Regierung nicht und konsumieren und investieren deshalb auch nicht oder sie haben wirklich nicht mehr in der Tasche. Ich vermute, dass letzteres Szenario das realistischere ist. Beides ist schlimm genug. Der Dreh- und Angelpunkt ist das geringe Wirtschaftswachstum, ist die hohe Beschäftigungsschwelle und sind die fehlenden Arbeitsplätze. Warum weise ich eigentlich auf dieses Problem hin? - Weil wir aus genau diesem Grund so hohe Ausgaben für den Arbeitsmarkt haben und weil aufgrund der geringen Beschäftigung natürlich auch der Zuschuss zur Rentenkasse deutlich steigt. Das drückt natürlich auf den Haushalt insgesamt. Als Folge muss in anderen Bereichen massiv eingegriffen werden. Dann sucht man sich natürlich, wenn es irgend geht, Einsparmöglichkeiten bei einer Klientel, die einem nicht so nahe steht. Jetzt muss ich Ihnen erst einmal ({2}) vorrechnen, wie die Entwicklung des Gesamthaushalts im Vergleich zur Entwicklung des Einzelplans 10 gewesen ist. Die Ausgaben des Gesamthaushaltes sind seit 1998 von 233 Milliarden Euro auf heute 258 Milliarden Euro gestiegen - ein Plus von 11 Prozent. 1998 lag der Etat des Landwirtschaftsministeriums - damals noch ohne Verbraucherschutz - bei 5,9 Milliarden Euro. Heute liegt er einschließlich Verbraucherschutz bei 5,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer Kürzung von 15 Prozent. Dabei ist, wie gesagt, noch nicht berücksichtigt, dass der Verbraucherschutz inzwischen hinzugekommen ist. Daran kann man schon erkennen, dass offensichtlich doch größere Einsparungen im Bereich der Landwirtschaft vorgenommen worden sind, dass die Landwirtschaft also schon teilweise Vorleistungen erbracht hat. Allein die Mittel für die von Ihnen angesprochene Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ sind seit 1998 um 22 Prozent - ohne Berücksichtigung der globalen Minderausgabe - gekürzt worden. Ich persönlich stehe zur Gemeinschaftsaufgabe. Ich bin mir sicher, dass die gesamte Unionsfraktion zur Gemeinschaftsaufgabe steht. ({3}) Unter diesen Voraussetzungen ist die Union im letzten Jahr in die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gegangen. Weil sie genau wusste, welche Vorleistungen die Landwirtschaft bereits in den letzten Jahren erbracht hatte, hat sie gesagt: Bei der Landwirtschaft wird jetzt nicht noch einmal gekürzt! ({4}) Aber Sie kündigen jetzt den im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromiss einseitig auf. Sie brechen sozusagen einseitig einen Vertrag. Ich kann mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass Sie das auch in anderen Bereichen gemacht haben, allerdings zugunsten anderer Gruppen. Das kann ich Ihnen nicht ersparen: Koch und Steinbrück haben vorgeschlagen, im Bereich der Steinkohleförderung 175 Millionen Euro einzusparen. 175 Millionen Euro! ({5}) Es ist aber im Rahmen der Haushaltsberatungen mit einfacher Mehrheit beschlossen worden, dies auf die globale Minderausgabe des gesamten Einzelplans zurückzuführen. Zurück zum Haushaltsentwurf: Die ausgewiesene Gesamtkürzung der Ausgaben von 1,7 Prozent täuscht; denn die Bezugsbasis 2004 ist nicht korrekt. Sie hatten schließlich schon Ihre gewünschten Kürzungen eingerechnet. Wenn man das Jahr 2003 als Basis nimmt, dann kommt man zu folgendem Ergebnis: Der Sollansatz der Ausgaben lag damals bei über 5,6 Milliarden Euro. Der jetzige Regierungsentwurf weist für 2005 aber nur noch 5,1 Milliarden Euro aus. Dies entspricht einer Kürzung von fast 10 Prozent in zwei Jahren. Man kann wirklich nicht behaupten, dass das zu wenig ist. Es ist keine Frage, dass dies auch nicht an der landwirtschaftlichen Sozialpolitik vorbeigeht. In diesem Bereich gibt es - genauso wie in der Knappschaft - demographische und strukturbedingte Probleme. Immer weniger aktiven Landwirten stehen immer mehr Altenteiler gegenüber, und zwar wegen des Strukturwandels in einem wesentlich schlechteren Verhältnis als bei der allgemeinen Kranken- bzw. Rentenversicherung. Dieses Problem wird durch Ihr Haushaltsbegleitgesetz weiter verschärft. Über die Konsequenzen haben wir schon in der Anhörung am letzten Montag gesprochen. Aber ich möchte hier - das ist meine Prognose der zukünftigen Entwicklung - nochmals darauf hinweisen. Durch die Kürzungen werden die Beiträge natürlich steigen. Die Frage wird nicht sein, ob, sondern, wie viele und wie schnell freiwillig Versicherte die Krankenversicherung verlassen werden. Dadurch werden die Beiträge erneut steigen. Irgendwann wird es eine Verfassungsklage gegen eine Krankenversicherung geben, die die Beiträge erhöht, die man aber im Gegensatz zur allgemeinen Krankenversicherung nicht verlassen kann; denn dort hat man jederzeit die Möglichkeit, zu wechseln, wenn die Beiträge steigen. Aber das ist hier nicht möglich. ({6}) Sie wissen genau, dass der Vergleich mit der allgemeinen Krankenversicherung hinkt, wenn man nur die Beiträge in Prozent heranzieht; denn bei Prozentsätzen hat man immer das Problem, dass sie sich auf eine bestimmte Basis beziehen. Man kann nicht einfach eine gleiche Bemessungsgrundlage zwischen der allgemeinen Krankenversicherung und der landwirtschaftlichen Krankenversicherung herstellen. Das ist der eigentliche Grund, warum die landwirtschaftliche Krankenversicherung bisher nicht in den Risikostrukturausgleich einbezogen worden ist. Ich prophezeie Ihnen, dass keine allgemeine Krankenversicherung jubeln würde, wenn die landwirtschaftliche Krankenversicherung eingegliedert werden müsste; denn das, was die landwirtschaftliche Krankenversicherung aus dem Risikostrukturausgleich erhalten würde, wäre wesentlich höher als der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Deshalb wird das wohl nicht stattfinden. Sie verweigern der landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Prinzip die gleiche Behandlung wie sie beispielsweise die knappschaftliche Krankenversicherung genießt. ({7}) - Das ist keine glatte Frechheit. Das wissen Sie ganz genau, Frau Wolff. Ein anderes Beispiel für die Benachteiligung der Landwirtschaft ist die Mineralölsteuerbefreiung für Agrardiesel. Auch hier gibt es einseitige Einschnitte. Ich hätte von einer deutschen Ministerin erwartet, dass sie irgendwann in Brüssel die am letzten Montag angesprochene First-best-Lösung - die Angleichung auf europäischer Ebene - durchsetzt. Stattdessen sieht das Haushaltsbegleitgesetz - im Vergleich zu Frankreich künftig einen siebenfach höheren Steuersatz auf Agrardiesel vor. Wie kann man denn bei höheren Umweltschutzauflagen, höheren Tierschutzauflagen und höheren Steuersätzen von der deutschen Landwirtschaft erwarten, dass sie mit den Landwirtschaften in den Nachbarstaaten auch nur ansatzweise konkurriert? Das müssen Sie mir einmal erklären. ({8}) Es gäbe im Rahmen dieser Haushaltsberatungen noch sehr viel dazu zu sagen, was sonst alles gekürzt wurde. Aber die Kollegen und Kolleginnen des Haushaltsausschusses haben im Herbst mit Sicherheit viele Gelegenheiten, über die einzelnen Titel zu sprechen. Ich kann Ihnen schon heute versprechen: Wir werden viele Einsparungsvorschläge machen, ({9}) die Ihnen allerdings nicht gefallen werden. ({10}) - Nein, leider habe ich nicht mehr so viel Zeit. Ich kann Ihnen, Frau Wolff, und den Kolleginnen und Kollegen versprechen, dass ich mit Sicherheit eine sehr konstruktive Rolle spielen werde. Ich werde nicht nur Erhöhungsanträge, sondern - ganz im Gegenteil - sehr viele Kürzungsanträge stellen, selbstverständlich im Einvernehmen mit meiner Fraktion. ({11}) Wie gesagt, wir werden uns nicht einig werden. Aber es gibt Alternativen zu den Vorschlägen, die Sie gemacht haben. Diese Alternativen werden wir aufzeigen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Jella Teuchner. ({0})

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Als das Kabinett den Haushaltsentwurf beschlossen hat, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit zehn Pressemitteilungen reagiert. In dreien werfen Sie uns den Marsch in den Schuldenstaat vor; in sieben kritisieren Sie konkrete Sparvorschläge und werfen Sie uns vor, wir sparten das Land und insbesondere die Landwirtschaft kaputt. Das Gleiche haben wir am Montag in der Anhörung im Haushaltsausschuss erlebt. Das Gleiche erleben wir jetzt in den Haushaltsberatungen. Ich frage Sie: Halten Sie eigentlich selbst Ihre Positionen für ein stringentes Konzept? Oder ist Ihnen nicht vielmehr selbst bewusst, dass Sie einfach keine Ahnung haben, wie auf die Haushaltssituation zu reagieren ist? ({0}) Was Sie hier machen, ist eine Politik nach Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Der vermeintlich gute Dr. Jekyll will niemandem wehtun und lehnt alle Sparmaßnahmen ab, während der vermeintlich böse Mr. Hyde ruft: Sparen, sparen, sparen! - Dr. Jekyll ist daran zerbrochen, dass er seine beiden Egos nicht unter einen Hut bringen konnte. Auch Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie nicht endlich sagen, was Sie eigentlich wollen. Auch die Menschen wollen von Ihnen Antworten. ({1}) In der Anhörung im Haushaltsausschuss wurde uns ständig vorgeworfen, wir machten eine unanständige Politik, weil wir auch im Haushalt des BMVEL kürzen. Wissen Sie, was unanständig ist? Unanständig ist es, ständig das Sparen zu fordern, es aber gleichzeitig zu verhindern. Nichts anderes machen Sie. ({2}) Sie prangern die Staatsverschuldung an und sorgen dafür, dass wir neue Schulden machen. Das ist auch Ihre Politik hier im Bundestag. Auch heute war wieder festzustellen, dass Sie sich um konkrete Vorschläge eigentlich herumdrücken. Das hat einen guten Grund: Auch Sie kämen nicht umhin, im Haushalt des BMVEL zu sparen. ({3}) Der bayerische Ministerpräsident hat angeboten, im Bund 5 Prozent zu sparen. Herr Austermann hat Vorschläge angekündigt, die Kürzungen von 3 Prozent vorsehen. Er hat es zwar angekündigt, aber bis heute nichts vorgelegt. Wie aber wollen Sie denn das überhaupt umsetzen? Haben Sie eigentlich überhaupt irgendwelche Vorstellungen? Wenn ja, dann legen Sie sie endlich auf den Tisch und dann können wir darüber reden. ({4}) Hören Sie endlich damit auf, so zu tun, als ob man sparen könnte, ohne weniger Geld auszugeben! Das geht nicht. Das können auch Sie nicht und das glaubt Ihnen auch niemand. ({5}) Wie gesagt, Sie haben keine Vorschläge vorgelegt. Das ist auch logisch; denn sonst müssten Sie zugeben, dass auch Sie schmerzhafte Maßnahmen durchsetzen müssten, auch in der Landwirtschaft. Ein Blick in die Länder zeigt es doch: 3,2 Prozent hat Edmund Stoiber in Bayern eingespart, 4 Prozent pro Jahr hat Roland Koch gemeinsam mit Peer Steinbrück vorgeschlagen. Die Landwirtschaft können beide nicht ausnehmen. Im Gegenteil: Die Bayerische Staatsregierung hat im Nachtragshaushalt 2004 im Bereich des Landwirtschaftsministeriums mit 7,5 Prozent deutlich überproJella Teuchner portional gekürzt. Das ist die Realität dort, wo Sie regieren. Es wäre gut, wenn Sie diese Realität auch hier im Bundestag wahrnehmen würden. ({6}) Wir kennen die wirtschaftliche Situation in der Landwirtschaft. Auch ein Edmund Stoiber kennt sie. Ich kann Ihnen sagen, dass wir genau prüfen, in welchen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden müssen und können. Wir stellen fest: Die Landwirtschaft profitiert weiterhin wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig von steuerlichen Sonderregelungen und Subventionen. Im Agrarbericht 2003 sind 6,8 Milliarden Euro an EU-Mitteln, 5,3 Milliarden Euro an Bundesmitteln und 2,6 Milliarden Euro an Landesmitteln ausgewiesen. Das macht laut Agrarbericht 21 254 Euro pro Haupterwerbsbetrieb oder 11 279 Euro pro Arbeitskraft aus. ({7}) 11 279 Euro an Direktzahlungen und Zuschüssen werden für jede Arbeitskraft in einem Haupterwerbsbetrieb ausgegeben. Das ist - das müssen Sie zugeben - eine Menge Geld. Auch mit dem vorgelegten Haushalt werden die Landwirte noch kräftig unterstützt. Heute Morgen haben die Bauern vor dem Reichstag demonstriert. Wir wissen - da gibt es kein Drumherumreden -, dass wir mit dem Haushalt 2005 die Bauern belasten werden. Wir alle wissen aber auch, dass einschneidende Reformen notwendig sind, die alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes betreffen. Angesichts dessen können wir die Landwirtschaft nicht komplett außen vor lassen. Uns allen wäre es lieber, wir müssten im Einzelplan 10 nicht sparen. Wir würden auch gern in allen anderen Einzelplänen genauso viel ausgeben wie bisher. Wir haben aber das Geld nicht dazu. Deswegen muss gespart werden. Auch Sie müssten genauso sparen. Die Bauern haben darauf hingewiesen, dass die Landwirte in Dänemark - das ist eben auch schon angesprochen worden - nur 3 Cent Steuern für den Agrardiesel bezahlen. Sie haben in der Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz eine Grafik des Ifo-Instituts verwendet, die dies auch deutlich zeigt. Interessant ist, dass das Ifo-Institut in dieser Studie nicht nur die Dieselbesteuerung in Europa, sondern auch alle Steuern auf Produktionsmittel vergleicht. Schaut man sich diese Steuern an, dann stellt man fest, dass die dänischen Bauern, gemessen am Gewinn, doppelt so stark belastet werden wie die deutschen. ({8}) Die Wettbewerbsbedingungen hängen nicht nur vom Preis für Agrardiesel ab und das wissen Sie auch. Warum argumentieren Sie dann nicht auf der Grundlage Ihres Wissens? ({9}) Wir brauchen eine Agrarpolitik, die dafür sorgt, dass sich die Landwirte am Markt ausrichten können. Mit der Umsetzung der EU-Agrarreform haben wir dafür die richtigen Weichen gestellt. ({10}) Wir brauchen eine Agrarpolitik, die besondere Leistungen von Landwirten fördert und damit Perspektiven schafft. Hier haben wir im ökologischen Landbau einiges erreicht. Durch die Förderung der nachwachsenden Rohstoffe haben etliche Landwirte ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein bekommen. Vor der Sommerpause haben wir die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen. Der Bauernverband hat diese Novelle begrüßt, weil sie eine Perspektive für etliche Landwirte schafft. Die Union hat dagegengestimmt. Das ist Ihre Politik für die Landwirte: Sonntagsreden halten, die dann bei der Abstimmung im Bundestag nichts mehr wert sind. ({11}) Wir haben in diesem Haushalt - das ist auch von der Ministerin angesprochen worden - wieder einen Schwerpunkt beim Verbraucherschutz gesetzt. Das ist für die Landwirte wichtig. Sie leben davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Vertrauen in ihre Produkte haben. Das ist aber vor allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig. Wir sorgen dafür, dass sie notwendige Informationen bekommen, dass ihre Gesundheit und ihre wirtschaftlichen Interessen geschützt sind und dass sie im Zweifel auch ihre Rechte durchsetzen können. Dafür stehen wir. Das lässt sich auch am Haushalt ablesen. Der Haushalt 2005 ist ein Konsolidierungshaushalt. Dies ist notwendig. Genauso notwendig ist es - daran führt kein Weg vorbei -, dass auch die Landwirtschaft einen Beitrag leistet. Umso mehr ist es notwendig, dass wir die Weichen für eine auch wirtschaftlich nachhaltige Landwirtschaft stellen. Das heißt, dass trotz der Sparvorgaben gezielt Schwerpunkte zu setzen sind. Das heißt auch, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Landwirte ihre Produktion an den Märkten ausrichten können. Wir haben mit der Umsetzung der EU-Agrarreform die richtigen Schritte unternommen. Wir stärken die ländlichen Räume und eröffnen den Landwirten Spielräume für unternehmerische Entscheidungen. Gerade diese Ausrichtung an den Märkten, die wir durchgesetzt haben, bringt deutliche Chancen für die Landwirte. Wer jetzt nur jammert, der verspielt diese Chancen. Es geht darum, diese Chancen zu nutzen. Dafür stellen wir die Weichen - mit dem Haushalt und auch sonst mit unserer Politik. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man, während man so dasitzt, aufgefordert wird, sachlich zu sein, aber dann das hört, was Sie eben vorgetragen haben, Frau Teuchner, wähnt man sich im falschen Film. Wer behauptet, dass dieser Haushalt gegenüber der Agrarwirtschaft und der Ernährungswirtschaft fair und gerecht ist und ihnen Marktchancen eröffnet, der hat noch nie in den Haushalt hineingeschaut. ({0}) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich verstehe das irgendwo nicht mehr. Man wird zu einer sachlichen Diskussion aufgefordert und im gleichen Atemzug sagen Sie, der Agrarhaushalt sei ausgewogen, gerecht und zukunftsorientiert, obwohl Sie ganz genau wissen, dass dies der Bereich des Gesamthaushaltes ist, der am meisten blutet, da er ungefähr ein Drittel von den bisherigen 1,5 Milliarden Euro Zuwendungen, die er aus dem nationalen Haushalt bekommen hat, verliert. Ich denke, so kann man mit diesem Bereich nicht umgehen, man müsste fairer und verantwortungsbewusster sein. Ihr Haushalt ist aber nicht fair und nicht verantwortungsbewusst. ({1}) Bei der Agrarreform waren wir uns weitgehend einig und haben relativ viel - aus meiner Sicht fachlich begründet - kollegial auf den Weg gebracht. Einig waren wir allerdings auch, dass viele Landwirte in Deutschland vor einer großen Herausforderung stehen. Gestern kam der nächste Hammer: Wir stimmen doch mit Ihnen darin überein, dass im Zusammenhang mit der Reform des Zuckermarktes etwas passieren muss. Nur, die Reform des Zuckermarktes kostet ebenso wie die eigentliche Agrarreform jede Menge Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland Geld, bringt eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und damit von Zukunftsperspektiven in diesem Bereich mit sich. Das wissen Sie doch. ({2}) Sie aber reden von Gerechtigkeit und davon, dass alle einen Beitrag leisten müssen. Sie wissen ganz genau, dass der niedersächsische Landwirt aus dem Emsland beim Agrardiesel wesentlich stärker besteuert wird als sein niederländischer Kollege. Aber der deutsche Kollege muss seine Kartoffeln auf einem harmonisierten europäischen Markt zum gleichen Preis wie der niederländische oder der französische Kollege verkaufen. Sie behaupten trotzdem, Sie würden in diesem Bereich die Weichen für die Zukunft stellen. Nichts, absolut nichts tun Sie. Wissen Sie, Frau Teuchner, was ich daran so hinterfotzig finde - diesen Begriff darf man doch, glaube ich, noch verwenden, oder? ({3}) - Darf man nicht mehr sagen? Okay, dann will ich Ihnen sagen, was ich gemein finde: dass Sie sich beim Ökobereich völlig anders verhalten. Hier rollen Sie einen roten Teppich nach dem anderen aus und pusten an jeder Stelle Geld hinein: bei Sachverständigengutachten, bei Programmen, bei Hilfen, bei Stützen, bei Subventionen. Als die FDP letztes Jahr Vorschläge machte, in diesem Bereich zu kürzen, sagten Sie: Oh, ihr Bösen von der Opposition! Nein, auf keinen Fall! - Zugleich kürzen Sie aber in dem Bereich, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird, wo Landwirte Arbeitsplätze vorhalten, unsere Weltmarktstellung im Agrarbereich und in der Lebensmittelwirtschaft sichern und unsere Qualitätsstandards so hoch halten, dass man davon reden kann, dass wir in diesem Bereich noch in der ersten Liga spielen. Durch Ihr Hereinschlagen in diesen Bereich vernichten Sie Arbeitsplätze. Das finde ich nicht in Ordnung und halte ich nicht für fair. ({4}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das tut auch weh. Nun habe ich von Ihnen, Frau Künast, eben den Verweis auf nachwachsende Rohstoffe vernommen. Ich komme aus Papenburg. Da haben wir schon vor zehn Jahren nachwachsende Rohstoffe erprobt. Dafür gibt es einen Markt. Das ist gar keine Frage; das bestreite ich nicht. Wenn Sie aber glauben, durch Aufbau eines Marktes für nachwachsende Rohstoffe den Verlust an Arbeitsplätzen, an Wirtschaftskraft und an Investitionen ausgleichen zu können, den Sie mit diesem Haushalt verursachen, dann sind Sie falsch gewickelt. ({5}) Was in diesen Bereichen verloren geht, kann man in den Bereichen, die Sie angesprochen haben, nach meiner tiefsten Überzeugung nicht ausgleichen. Ich will noch auf etwas anderes hinweisen, weil daran der ganze Charakter Ihrer Politik deutlich wird. Ich als Grüner würde mich schämen. ({6}) Noch 2002 haben die Grünen vor der Bundestagswahl wörtlich zur Agrardieselbesteuerung versprochen: Mit wettbewerbsverzerrenden nationalen Regelungen in diesem Bereich muss endlich Schluss sein. Ja, tun Sie es! ({7}) Warum wählen Sie hier in diesem Bereich wieder den Weg des nationalen Alleingangs? Das wird wieder dazu führen, dass unsere Bauern an den Pranger gestellt werden und ihnen der Absatzmarkt unter den Füßen weggeschlagen wird. Wir sind in dieser Frage so grundsätzlich anderer Auffassung, dass uns das schon wehtut. ({8}) - Nein, Frau Teuchner, Sie haben keine Ahnung von Landwirtschaft. Sie haben von mir aus Ahnung von Verbraucherschutz. Ich will Ihnen gar nicht absprechen, dass Sie sich Mühe geben, aber das reicht nicht. ({9}) - Nein, Sie haben schlicht und ergreifend keine Ahnung. ({10}) Sie kennen zum Beispiel nicht die Wirtschaftskompetenz der Ernährungswirtschaft insgesamt. Sie wissen nicht, dass die Ernährungswirtschaft in Niedersachsen der zweitgrößte Arbeitgeber ist. ({11}) Sie wissen nichts von der Wertschöpfung. Die Sozialdemokraten wissen nichts von der Wertschöpfung der Agrar- und Ernährungswirtschaft im ländlichen Raum. Nur deshalb können Sie hier solche Positionen vertreten. ({12}) - Nein, Frau Teuchner, da ist der Spaß am Ende, das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Sie lassen sich an verschiedenen Stellen alles Mögliche einfallen, zum Beispiel Bauernspione, die Sie im Haushalt für Nachforschungen verankern. ({13}) - Natürlich! Sie denken über zusätzliche Steuern nach, Sie diskriminieren Lebensmittel, indem Sie sie in gesunde und ungesunde einteilen, und Sie wissen alles. Sie wissen, was für die Verbraucher gut und was schlecht ist, gießen das in Gesetze und wundern sich dann, dass das nicht klappt. Die Tabaksteuer ist das jüngste Beispiel dafür: Da hatten Sie die glorreiche Idee, den Preis kräftig zu erhöhen, damit die Raucher aufhören zu rauchen, ({14}) dann aber stellen Sie voller Erstaunen fest, dass Ihnen die Einnahmen wegbrechen. Das hätte ich Ihnen vorher sagen können. Genau in diesem Sinn machen Sie Politik. Sie ist unausgewogen, unklug und wird dem Bereich der Ernährungs- und Agrarwirtschaft nicht gerecht. Wir werden wieder unsere Änderungsanträge stellen. Letztes Mal haben wir damit 200 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Sie haben die Gelegenheit, unseren alternativen Vorschlägen zuzustimmen. Ihren Vorschlägen werden wir auf keinen Fall zustimmen. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja niemals eine besonders dankbare Aufgabe, Sparmaßnahmen in einem Haushalt zu vertreten und zu verteidigen, auch dann nicht, wenn sie notwendig und unvermeidbar sind wie dieses Mal. Noch schwerer ist es, wenn man diese unmittelbar im eigenen Betrieb und bei den Kolleginnen und Kollegen der Nachbarschaft erlebt. Die Einsparungen im Bereich des Agrardiesels und der landwirtschaftlichen Sozialversicherung werden einschneidend sein, keine Frage. Ich denke, wir sind es den Betroffenen schuldig, dies in aller Deutlichkeit zu sagen. ({0}) Wir müssen aber auch sagen: Die Gesundheitsreform hat im letzten Jahr 5 bis 15 Prozent Beitragsentlastung für unsere landwirtschaftlichen Betriebe gebracht und wird in diesem Jahr über 30 Millionen Euro Entlastung bringen. ({1}) Außerdem haben die Kassen noch 60 Millionen Euro Rücklagen für schlechte Zeiten, die jetzt genutzt werden müssen. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Lasten gerecht verteilt werden. Dafür werden wir in diesen Haushaltsberatungen kämpfen. An Sie, Frau Aigner, sei als Haushälterin gesagt: Hier werden wieder die Bauern gegen die Bergleute ausgespielt. Aber der Bundeszuschuss für die Bundesknappschaft betrug 2002 7,4 Milliarden Euro, in diesem Jahr beträgt er 7 Milliarden Euro und im nächsten Jahr wird er 6,9 Milliarden Euro betragen. Wer hier sagt, nur die Bauern würden herangenommen, der lügt. ({2}) Die Bäuerinnen und Bauern aus Brandenburg haben heute Morgen vor dem Reichstag zu Recht gefordert, auch die Subventionierung von Flugbenzin und Schiffsdiesel endlich abzubauen. ({3}) Natürlich kann ich das nur unterstützen. Aber wir brauchen dafür auch Mehrheiten in Europa; das wissen Sie ganz genau. ({4}) Natürlich ist es ebenso unverständlich, dass wir noch die Mehrwertsteuersubventionierung von Hunde- und Katzenfutter finanzieren. Aber daran arbeiten wir; das wird sich noch ändern. Was den Treibstoff angeht, so wollen und werden wir der Landwirtschaft helfen, vom Erdöl unabhängiger zu werden; das hat die Ministerin betont. Meine Damen und Herren von der Opposition, hüten Sie sich vor leeren Versprechungen. Versprechen Sie den Landwirten nicht weiterhin blühende Landschaften; Sie wissen doch sehr genau um die Lage der öffentlichen Haushalte. Trotzdem versuchen Sie hier mit Ihrer Gummistiefelrhetorik ({5}) den Bäuerinnen und Bauern weiszumachen, dass das alles nur Bosheiten seien und eigentlich alles bleiben könne, wie es ist. Sie erzählen draußen ständig, wir würden einseitig die Landwirtschaft zur Kasse bitten. Das ist nicht wahr und das wissen Sie. Die Einsparungen, die jetzt im Haushaltsbegleitgesetz anstehen, waren bereits im letzten Jahr auf der Tagesordnung und schon damals gab es von Ihnen keinen einzigen Antrag, weder zum Agrardiesel noch zur Krankenversicherung. Aber dann kam ja Herr Stoiber, der dafür sorgte, dass das Thema im Vermittlungsausschuss von der Sparliste kam. Natürlich wusste auch er, dass Sparmaßnahmen nicht zu vermeiden sind und dass sie dieses Jahr wieder auf die Tagesordnung kommen. Aber das war egal. Es war ihm wichtiger, für sich ein paar Punkte zu machen, als den Bauern und Bäuerinnen reinen Wein einzuschenken. Aber Ihr Wein ist nicht rein, sondern gepanscht, und für die Kopfschmerzen wollen Sie dann uns verantwortlich machen. ({6}) Das haben Sie bei der Agrarreform genauso versucht. Was macht die FDP? Sie versucht beim Haushalt, die Bauern gegeneinander auszuspielen, indem sie wider besseres Wissen behauptet, man müsse nur beim Ökolandbau ordentlich sparen, dann würden alle anderen verschont bleiben. Ökobauer gegen Bauer in der konventionellen Landwirtschaft - Herr Goldmann, Sie wissen doch selbst, was das für ein Unsinn ist. Sie betreiben leider eine rein ideologische Haushaltspolitik. ({7}) Mit Ihrer Politik erweist die Opposition der Landwirtschaft einen doppelten Bärendienst. Erstens lassen Sie die Bäuerinnen und Bauern im Unklaren darüber, worauf sie sich einzustellen haben. Zweitens: Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass die Landwirtschaft bei vielen Menschen als Erstes mit Subventionen in Verbindung gebracht wird? Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, dass dieses Image vielleicht nicht unbedingt ein gesellschaftliches Klima schafft, welches die Verteidigung berechtigter Ansprüche der Landwirtschaft erleichtert? Ihr Gedröhne, Herr Carstensen und Herr Goldmann, mag an den Stammtischen ankommen. Aber ich glaube nicht, an vielen. ({8}) Beim Rest der Gesellschaft bestätigt es aber Vorbehalte und den Eindruck, Landwirtschaft sei etwas Überholtes, das keine Unterstützung verdiene. Mit Ihren Spanferkelweisheiten ({9}) werden Sie in den Großstädten keine Solidarität mit der Landwirtschaft gewinnen, meine Herren. Wir erleben gerade in Schleswig-Holstein, wie die Unterstützung abnimmt. Ihr Getöse findet noch nicht einmal bei Ihren eigenen Wirtschaftsleuten Unterstützung. In diesem Sinne betrachte ich als Bauer Bundesministerin Künast als einen echten Glücksfall für die Landwirtschaft. ({10}) Wer sonst könnte die Brücke zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft bauen, die wir so dringend brauchen? Darum geht es doch für uns Bauern und Bäuerinnen: nicht Schlachten von gestern mit Sprüchen von vorgestern zu schlagen und dabei jeden Kredit zu verspielen, sondern den gesellschaftlichen Konsens über die Stellung der Landwirtschaft zu suchen und damit das Geld zu sichern, das zurecht in die Landwirtschaft fließt. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich muss zugeben, dass ich den Begriff „Gummistiefelrhetorik“ vorher noch nie gehört habe. ({0}) Das ist eine neue Sprachschöpfung. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Ostendorff, von einem Glücksfall für die Bauern kann man wohl erst dann reden, wenn Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein die Wahlen für sich entscheidet und dort bald Ministerpräsident wird. ({0}) Das wäre ein echter Glücksfall. Ich glaube, dass Frau Künast für die Bauern und Landwirte eher ein Problemfall ist. Es wäre auf jeden Fall ein Glück, wenn Peter Harry Carstensen im Norden dieses Landes an die Regierung käme. ({1}) Auch das gehört zur Wahrheit und Klarheit. Ich komme jetzt zu einem echten grünen Lieblingskind, nämlich zur Verbraucherpolitik. Da der Kollege eben gesagt hat, dass im Haushalt nicht einseitig bei den Landwirten gespart wird, muss ich feststellen, dass bei diesem Lieblingskind des Ministeriums die Titelgruppe Verbraucherpolitik im Gegenteil noch aufgestockt worden ist. Es scheint doch zu gehen, dass dem einen genommen und dem anderen gegeben wird. Aber dabei handelt es sich nur um Projekte der Öffentlichkeitsarbeit und der Medienwirksamkeit. ({2}) Es gibt aber eine positive Meldung - das muss ehrlicherweise gesagt werden -, nämlich dass die Ausstattung der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Stiftung Warentest gleich geblieben ist. Diese Entscheidung ist richtig. Das haben wir die ganze Zeit gefordert und unterstützt. Den Bundesländern muss man allerdings sagen: Wenn sie diesem Beispiel gefolgt wären, dann wäre der Insolvenzantrag der Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern mit all den sich anschließenden Schwierigkeiten wie Auffanggesellschaften etc. erspart geblieben. Insofern kann man nur sagen, dass es eine vernünftige Entscheidung war, bei der Ausstattung nicht zu kürzen. Mein Appell an die Bundesländer ist, diesem Beispiel zu folgen. ({3}) Das war es aber auch schon an positiven Aspekten. Ansonsten lässt dieser Haushalt in Bezug auf die Verbraucherpolitik schlüssige Konzepte und deutliche Impulse vermissen. Es gibt zum Beispiel die Innovationsoffensive der Bundesregierung, für die auch in diesem Haushalt 5 Millionen Euro vorgesehen sind. Es ist erfreulich, dass das so ist. Nur, was unter Innovationen und unter Innovationsförderung in diesem Haushalt verstanden wird, ist schon relativ abenteuerlich. Da geht es nämlich beispielsweise um den Tierschutz, tiergerechte Haltungsverfahren, den Ökolandbau oder aber um - ich zitiere jetzt eine Überschrift aus den Unterlagen zum Einzelplan 10 - „Lebensmittel der Zukunft“. Darunter fallen Projekte zur „Entwicklung dem Lebensstil angepasster Lebensmittel“ - Stichwort: ausgewogene Energiebilanz ({4}) oder die „Untersuchung ausgewählter Stoffe auf gesundheitsfördernde Wirkung“. Was heißt das ganz konkret? Wollen Sie der Milchindustrie mit 1,5 Millionen Euro - so viel nämlich wollen Sie dafür zur Verfügung stellen - bei der weiteren Entwicklung von Joghurts helfen? Die wird das sicherlich begrüßen. Aber ist es Aufgabe des Staates, sich um Lebensmittel der Zukunft zu kümmern? Gibt es nicht, wenn Sie schon sagen, dieser Forschungsbereich werde vom Staat begleitet, beispielsweise Bundesforschungsanstalten, die diese Aufgabe übernehmen könnten? Oder verbirgt sich hinter dem entsprechenden Titel doch nur die Förderung des Ökolandbaus? Damit zeigt sich für uns ganz klar, wo Ihre Prioritäten liegen. Sie sind keine Ministerin aller Verbraucher, sondern nur eine Ministerin bestimmter Verbraucher, nämlich der Verbraucher, die an ökologischen Produkten interessiert sind. Sie wollen allen Verbrauchern in diesem Land Ihre Politik aufs Auge drücken ({5}) und ihnen sagen: Ihr müsst diese Produkte kaufen; andere Produkte dürft ihr nicht kaufen. Ich nenne ein anderes Beispiel: Im Rahmen der Innovationsoffensive gibt es das Vorhaben „Verbraucherinnen und Verbraucher als Innovationsmotor“. Dafür wollen Sie 2 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dabei geht es um Maßnahmen, die „den Verbraucher als aktiven Gestalter eigenverantwortlicher Vorsorgemärkte“ unterstützen sollen oder „neue Märkte durch Verbrauchervertrauen stärken sollen“. Was sind denn diese neuen Märkte? Sind das auch wieder Ökomärkte? Ich bin froh - das habe ich schon meiner Kollegin Ilse Aigner gesagt -, dass alle Ausgaben unter einem Sperrvermerk stehen und der Haushaltsausschuss darüber gesondert abstimmen muss. Denn ansonsten, glaube ich, würden wir hier mit verdammt viel Unsinn überzogen. Gerade in Zeiten knapper Kassen sollte dieses Geld eher für innovative Produkte ausgegeben werden. ({6}) Darunter könnte man - unabhängig davon, wie man dazu steht - beispielsweise auch Innovationen in den Gentechnikbereich verstehen. Es wäre durchaus sinnvoll, auch dafür den einen oder anderen Euro auszugeben statt immer nur für Ihre Lieblingsprodukte und Ihre Lieblingsvorhaben. ({7}) - Da kann ich Ihnen schon jetzt 5 Millionen Euro nennen, wenn sie in der Form ausgegeben werden sollen, wie sie im derzeitigen Haushaltsentwurf stehen. ({8}) Ich komme jetzt zu einem anderen Bereich, zur Verbraucheraufklärung. Er umfasst fast ausschließlich die Bereiche Ernährung und nachhaltigen Konsum. Der wirtschaftliche Verbraucherschutz kommt - ich habe das schon im vergangenen Jahr kritisiert - so gut wie gar nicht vor. Es wird zurzeit eine Diskussion über die Energiepreise geführt. Auch darum könnte sich das Verbraucherschutzministerium einmal kümmern. ({9}) Wenn heute die Präsidentin des Bundesverbandes Verbraucherzentrale fordert, mit am Tisch der Energierunde bei Bundeskanzler Schröder zu sitzen, wäre das durchaus eine Sache, die Sie, Frau Künast, besonders unterstützen könnten; denn von den hohen Energiepreisen sind ja in der Tat diesmal alle Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht nur eine kleine Gruppe betroffen. ({10}) Medien- und öffentlichkeitswirksame Themen sind der Ministerin bzw. der Bundesregierung in diesem Haushalt anscheinend die liebsten. Damit diese auch so richtig vermarktet werden können, werden - abgesehen von in anderen Titeln versteckten Ausgaben - für diese Bereiche ähnlich hohe Mittel wie schon in den Haushaltsentwürfen der vergangenen Jahre zur Verfügung gestellt. Unserer Forderung, die wir in den letzten Haushaltsberatungen schon mehrfach gestellt haben, nämlich diese Mittel zu senken, sind Sie erneut nicht nachgekommen. Es ist noch immer nicht klar, was Sie mit der - so heißt es in den Begründungen - „gleich bleibenden hohen Nachfrage zu Informationsmaterial“ konkret meinen und wer diesen gleich bleibend hohen Nachfragedruck überhaupt hat. Ich frage mich immer wieder, wozu wir die in diesem Bereich bestehenden vielen Institutionen und Forschungsanstalten haben. Was den Ernährungsbereich angeht, so haben wir darüber noch vor der Sommerpause diskutiert: Es gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und den Deutschen Landfrauenverband, die sich durchaus um diese Fragen kümmern. Es gibt die verschiedensten Organisationen, die Unterlagen zur Verfügung stellen. Aber nein, auch das Ministerium muss hier noch einmal Mittel bereitstellen. Das dient ausschließlich der Selbstdarstellung der Grünen und ist nicht zum Nutzen unserer Verbraucherinnen und Verbraucher. ({11}) Angesichts der vielen Kritikpunkte drängt sich erneut die Frage auf, ob dieser Haushaltsentwurf wirklich dem Anspruch des Verbraucherschutzes als Querschnittsaufgabe entspricht. Ich habe den wirtschaftlichen Verbraucherschutz genannt; der rechtliche Verbraucherschutz ist ebenfalls ein ganz wichtiges Thema, das zu kurz kommt. Die Antwort auf die eben gestellte Frage lautet Nein. Wir erwarten, dass in den Haushaltsberatungen während der nächsten Wochen Nachbesserungen vorgenommen werden und die Verbraucherinteressen wirklich ausgewogen berücksichtigt werden. Es geht um alle Verbraucher und nicht um eine bestimmte grüne Klientel. Recht herzlichen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Zöllmer. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu dem, was der Kollege Goldmann eben in seiner Rede gesagt hat. ({0}) Lieber Herr Goldmann, nach meinem Eindruck haben Sie mit Ihrer Rede nur versucht, mit operativer Hektik die geistige Windstille liberaler Politik zu verschleiern. ({1}) Die Haushaltsdebatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir in den vergangenen Tagen und auch jetzt bei diesem optimistisch stimmenden Spätsommerwetter führen, belegt einmal mehr, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, die wir politisch meistern müssen. ({2}) Zu Recht werden daher von der Politik Ehrlichkeit, Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit verlangt. Leider wird vielen Menschen im Moment auf Straßen und Plätzen, auf denen sie ihre Besorgnis über manche Teile der Reformpolitik zum Ausdruck bringen, Sand in die Augen gestreut. ({3}) Dies gilt nicht nur für die rechten und linken Ränder des politischen Spektrums. Auch bei manchen Äußerungen der Opposition in den Medien oder hier im Bundestag - wir haben es in dieser Woche erlebt - muss man sich fragen, wo ihre Ehrlichkeit der Bevölkerung gegenüber geblieben ist und wie es eigentlich um die Glaubwürdigkeit der Opposition bestellt ist. ({4}) Deutschland verändert sich, weil sich die Welt verändert hat. ({5}) Wir leben in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst, in einer Welt mit offenen Grenzen, im Europa der 25 mit immer stärkeren Handelsbeziehungen. Als Exportweltmeister haben wir ein besonderes Interesse daran, die laufende Welthandelsrunde zu einem Erfolg zu machen, unsere Grenzen zu öffnen und damit vor allem den Entwicklungsländern faire Handels- und EntManfred Helmut Zöllmer wicklungschancen zu geben. Dies hat offensichtlich auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion so gesehen und in einem Antrag im Deutschen Bundestag gefordert - ich zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache 15/1567 -, „auf die Öffnung der Agrarmärkte, den Abbau produktionsstimulierender Subventionen … hinzuwirken“. Hört, hört! So stand es wörtlich in einem Antrag der CDU/ CSU-Fraktion. ({6}) - Drucksache 15/1567. Um dieses Ziel zu erreichen, war eine umfassende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik notwendig. Diese haben wir gemeinsam mit den CDU-regierten Ländern beschlossen. ({7}) Dies ist ein echter Paradigmenwechsel, der, wie wir wissen, der Landwirtschaft viel abverlangt. Er war aber notwendig; so ist es, wenn man den Stillstand Ihrer Regierungszeit überwinden muss. ({8}) Viele Politikerinnern und Politiker der Opposition haben konstruktiv mitgewirkt. Ausnahmen waren der Freistaat Bayern und die Agrarpolitiker der CDU/CSU-Fraktion. ({9}) - Es ist klar, dass Sie so aufheulen. Das kann ich angesichts Ihres schlechten Gewissens verstehen. Deshalb lassen Sie mich zum Stichwort „Glaubwürdigkeit“ einfach einmal fragen, wie glaubwürdig eine Opposition eigentlich ist, die in einem Antrag im Bundestag die Öffnung der Agrarmärkte fordert, dies in jedem Einzelfall durch ihre Agrarpolitiker bekämpft und diffamiert, sich aber zugleich - bis auf Bayern - im Bundesrat im Grunde konstruktiv an der Umsetzung dieser Reform beteiligt. ({10}) Wie glaubwürdig ist eigentlich eine Opposition, die hier die Einkommenssituation der Landwirte beklagt, aber im Bundesrat mit der Blockade des EEG verhindert, dass die Landwirte sich nun neue Einkommensquellen erschließen können? Wie glaubwürdig ist eigentlich eine Opposition, die öffentlich immer wieder Subventionsabbau fordert, gleichzeitig aber haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass Ministerpräsident Stoiber im Vermittlungsausschuss klar und vollmundig erklärt hat, dass es nicht 1 Cent Kürzungen im Bereich der Landwirtschaft geben soll? Selbst die Umsetzung der gemeinsam vereinbarten Koch/Steinbrück-Liste hat er verhindert. Derselbe Ministerpräsident aber kürzt in seinem Land im Bereich der Landwirtschaft kräftig. Wie glaubwürdig ist eigentlich die Oppositionspolitik im Agrar- und Verbraucherschutzbereich, wenn die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen hier massiv kritisiert werden - wir haben es von Ihren Rednerinnen und Rednern gehört -, Edmund Stoiber für die Union aber anbietet, 5 Prozent des Haushaltes insgesamt pauschal zu kürzen? Das sind für diesen Bereich Kürzungen in Höhe von 255 Millionen Euro und bedeutet nichts anderes als deutliche Einschnitte im Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik und in anderen Feldern, die Sie hier beredt kritisiert haben. Was sollen wir, was soll die Öffentlichkeit nun glauben? Bedeutet es, die Union erkennt die Notwendigkeit zu Einsparungen und zum Subventionsabbau auch im Bereich der Agrarpolitik an, oder ist es alles gar nicht so gemeint? Wollen Sie einfach nur nach Bedarf allen alles versprechen? ({11}) Die „Wirtschaftswoche“ - gewiss nicht eine regierungsnahe Zeitung - hat es bezogen auf Frau Merkel so formuliert - ich zitiere wörtlich -: „Feste Überzeugungen können da hinderlich sein, gefragt sind griffige Positionen, die Stimmen bringen.“ Das ist aus der „Wirtschaftswoche“ vom 2. September dieses Jahres. Auch wenn es völlig an der Realität vorbeigeht, auch wenn es völlig unbezahlbar ist, das ist die Politik der CDU/CSU-Opposition hier im Deutschen Bundestag. ({12}) Wir wissen, dass wir für unsere Reformpolitik auch im Agrarbereich derzeit von den Wählerinnen und Wählern nicht gerade auf Händen getragen werden. Aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir eine klare Linie. Wir sagen den Menschen, dass die Reformen im Agrarbereich notwendig und richtig sind, dass es auch im Bereich der Landwirtschaft einen Strukturwandel gibt, dass dieser unvermeidlich ist und dass auch die Landwirtschaft zur Konsolidierung des Haushaltes beitragen muss. ({13}) Wenn man von der Landwirtschaft spricht, kann man ehrlich feststellen, dass es nur wenige Wirtschaftszweige in Deutschland gibt, die von einer derart hohen staatlichen Eingriffsintensität und einem derart hohen Produzentenschutz gekennzeichnet sind wie die Landwirtschaft. Mit unserer Agrarreform stellen wir allerdings die Weichen auf eine sehr viel stärkere Marktorientierung der Landwirtschaft. Lieber Kollege Goldmann, Wettbewerbsanalysen haben längst belegt, dass die deutschen Betriebe im europäischen Vergleich mithalten können. ({14}) Zuletzt auf der Akademietagung des Deutschen Bauernverbandes in Bonn in diesem Jahr haben Professor Petersen und Professor Isermeyer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die anstehenden Veränderungen im Agrarsektor von der deutschen Landwirtschaft zu bewältigen sind. Sie ist wettbewerbsfähig. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, statt immer wieder neue Schwarzmalereien in die Welt zu setzen. So ist das. ({15}) Diese Koalition nimmt den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land ernst. Dabei sind Transparenz und Informationen die schärfsten Waffen wirksamer Verbraucherpolitik. Dies wird durch den Haushaltsentwurf der Bundesregierung an mehreren Punkten deutlich. Frau Kollegin Heinen hat dies dankenswerterweise bestätigt. Im Bereich der wichtigen Verbraucherinstitutionen - ich nenne Stiftung Warentest oder VZBV - werden die Ansätze insgesamt gehalten. Ich kann nur unterstützen, was Kollegin Heinen hierzu gesagt hat: Es wäre schön, wenn die Unterstützung der Verbraucherzentralen in allen Bundesländern gegeben wäre; sie sind extrem wichtig und müssen flächendeckend erhalten bleiben. ({16}) Diese Koalition setzt die richtigen Schwerpunkte, zum Beispiel beim Kampf gegen das Übergewicht von Kindern. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Land sich bewusst ernähren und ausreichend bewegen. Die Initiative „Plattform Ernährung und Bewegung“, die im September in Berlin ihren Gründungskongress durchführt, ist ein hervorragender Ansatz. ({17}) Die von der WHO zur Bekämpfung des Übergewichts angesagte Strategie, alle gesellschaftlichen Gruppen an einen Tisch zu holen, wird damit umgesetzt. Wenn wir uns berechtigt über unsere vielen übergewichtigen Kinder sorgen, dann müssen wir in dieser geteilten Welt auch über die sprechen, die viel zu wenig haben und Hunger leiden. Im Jahre 2000 waren dies weltweit 448 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass trotz der schwierigen Haushaltslage die Mittel für die bilaterale Zusammenarbeit mit der FAO gleich bleiben. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung ergreift die Initiative, setzt klare Schwerpunkte und handelt. Und wie sieht es mit der Opposition im Bereich des Verbraucherschutzes aus? ({19}) Ich will hier die Novelle des UWG als Beispiel nehmen und das Stichwort „Telefonmarketing“ darstellen. Wir haben die so genannte Opt-in-Lösung im Gesetz festgeschrieben. Sie verhindert eine unzumutbare Belästigung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Telefonwerbung. Gegen diese Regelung ist die CDU hier Sturm gelaufen, munitioniert von den einschlägigen Wirtschaftsverbänden. Sie wollten die Opt-out-Lösung, die sehr viel wirtschaftsfreundlicher ist, aber dazu führt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Hause belästigt und mit ungewollten Werbebotschaften traktiert werden. Die Frage ist: Warum haben Sie hier den Pfad des Verbraucherschutzes einfach verlassen? Wir müssen leider feststellen: Wenn es mit dem Verbraucherschutz ernst wird, knicken Sie sofort ein und verfolgen nicht mehr die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern die reinen Wirtschaftsinteressen. Die CDU betreibt eine Politik nach dem Motto: Als Krokodil gestartet, als Eidechse gelandet. ({20}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss fit und zukunftsfähig gemacht werden. Der Einzelplan 10 lässt einen der wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche nicht außer Acht: den Bereich der Innovationen. Wir können Deutschland nur dann modern und zukunftsfähig gestalten, wenn wir überkommene Subventionen zugunsten von Zukunftsaufgaben abbauen. Der Einzelplan 10 leistet seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Er sieht schmerzliche, aber notwendige Kürzungen vor. Er stärkt die aktive Verbraucherpolitik

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Zeit!

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und sichert die Zukunft der Landwirtschaft. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel HappachKasan, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Zöllmer, ich weiß, dass Sie in den meisten Debatten dabei sind, körperlich jedenfalls. Aber geistig sind Sie doch in der Regel weggetreten, wie ich Ihren Worten entnehme. ({0}) Sparen ist eine Daueraufgabe. Wir sind verpflichtet, die Gelder der Steuerzahler ordentlich auszugeben und effizient zu nutzen. Das ist nichts Neues. Aber wer der gesamten Etatdebatte gefolgt ist, weiß auch: Sparen reicht nicht. Wir brauchen Wirtschaftswachstum. Wirtschaftswachstum werden wir nur dann haben, wenn wir unseren Betrieben faire Wettbewerbsbedingungen geben ({1}) und alle nationalen Alleingänge vermeiden, egal in welchem Bereich: nicht nur beim Agrardiesel, sondern auch bei der Umsetzung von EU-Verordnungen. - Das ist das eine. Das andere ist: Wir brauchen Innovationen. Frau Ministerin, Ihr Innovationstitel von 5 Millionen Euro klingt nett, ist aber letztlich nichts weiter als ein Feigenblatt. ({2}) Denn wirklich innovative Techniken kommen dabei nicht vor. ({3}) Kanzler Schröder hat das Jahr der Innovation aufgerufen. Minister Clement fordert gerade heute: Die Bremsen müssen auf allen Ebenen weg … Das gilt beispielsweise für die Bio- und Gentechnologie, für die Grüne wie die Rote Biotechnologie … Richtig gesprochen, Herr Minister! Völlig in Ordnung! Aber bei dem heutigen Vorgespräch für den Vermittlungsausschuss hieß es, beim Gentechnikgesetz solle nichts geändert werden - und das obwohl die Bioregionen deutlich gemacht haben, dass dies eine falsche Weichenstellung ist, und obwohl die EU-Kommission gesagt hat, dass dies absolut neben der Spur und keine ordentliche Umsetzung ist. Auch dies ist eine Fehlentwicklung. ({4}) Sie alle wissen: Innovationen finden im Labor statt. Sie stammen nicht vom Museumsbauernhof. Deswegen ist das, was Sie machen, falsch. ({5}) Es ist sehr deutlich, dass bei Ihnen die Linke nicht weiß, was die Rechte tut. Im Haushalt des Forschungsministeriums werden Genomprojekte auch weiterhin gefördert; das ist auch gut so und in Ordnung. Aber, Frau Ministerin Künast, durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit verhindern Sie, dass das, was in diesem Bereich erdacht und entwickelt wird, in Deutschland überhaupt zur Anwendung kommt. Was ist das? Das, was Sie da machen, ist eine doppelte Verschwendung von Steuergeldern. ({6}) Diese Regierung ist keine Regierung für das ganze Volk, sondern eine Regierung für Verbandsvertreter und Besserverdienende. ({7}) Denn angesichts unseres niedrigen Wirtschaftswachstums weiß man ganz genau, dass sich die Ökoprodukte, die Sie so gerne hätten, bald niemand mehr leisten kann. Insofern sind auch die Ökobetriebe in einer ausgesprochen schlechten Situation. ({8}) Die Mittel für den Bereich nachwachsender Rohstoffe werden gegenüber dem Istzustand des Jahres 2003 nahezu verdoppelt. ({9}) Ich bin durchaus für nachwachsende Rohstoffe. Aber kann man sie realisieren, wenn man die Grüne Gentechnik total ausbremst? Ich meine nein; das wird nicht realisierbar sein. Die Mittel für die Holzcharta haben Sie auf 200 000 Euro festgesetzt; auch das ist eine sinnvolle Maßnahme. Aber wird sie angesichts der Vorstellungen, die Sie hinsichtlich der Novellierung des Bundeswaldgesetzes und der weiteren Drangsalierung von Waldbesitzern haben, überhaupt zum Tragen kommen? Ich glaube, das ist nicht der Fall. Kollege Zöllmer, Sie haben die Initiative „Ernährung und Bewegung“ genannt; das ist völlig in Ordnung. Jeder weiß: Wer sich zu wenig bewegt, nimmt zu. - Es gibt ja ein paar Kollegen, bei denen das möglicherweise der Fall gewesen sein kann. ({10}) Aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum das Projekt des Landfrauenverbandes mit dem Titel „Kochen aus dem Schulgarten“ nicht auch aufgenommen wurde. Ich glaube, dass Sie manchmal auf einem Auge fürchterlich blind sind, und zwar zum Schaden des gesamten Volkes. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Viel Geld auszugeben, wie Sie das aus Ihrer Regierungszeit gewohnt sind, ist leicht. Aber mit wenig Geld viel zu erreichen, das ist die Aufgabe, vor die uns der Agrarhaushalt für das Jahr 2005 stellt. ({1}) Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei werden wir uns auf unsere mittel- und langfristigen Entwicklungsziele ({2}) einer nachhaltigen Landwirtschaft und eines lebendigen ländlichen Raumes konzentrieren. Die rot-grüne Bundesregierung ist dabei, die Agrarpolitik Schritt für Schritt auf die Zukunft auszurichten. ({3}) Wir setzen den Rahmen für die Landwirtschaft in einer globalisierten Welt ({4}) - denken Sie nur an die Zucker-Debatte - und wollen mehr Umweltgerechtigkeit und Tierschutz erreichen. ({5}) Zur Stärkung der ländlichen Räume fördern wir regionale Wirtschaftskreisläufe, indem wir auf nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien sowie auf Weiterverarbeitung und Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen setzen; denn ländliche Räume können längst nicht mehr nur von der Landwirtschaft leben. Deshalb haben wir die Förderung der ländlichen Entwicklung, wie im Übrigen auch auf EU-Ebene geschehen, auf eine integrierte Förderung umgestellt. Diesem Ziel dienen auch die Modulation der Direktzahlungen und die neuen Fördergrundsätze der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar- und Küstenschutz“. Aus meiner Sicht sind gerade die Gemeinschaftsaufgaben „Agrarund Küstenschutz“ und „Regionale Wirtschaftsförderung“ für die Entwicklung der ländlichen Räume von herausragender Bedeutung. Ohne sie - davon bin ich fest überzeugt - bekämen die Regionen viel weniger Fördermittel. Denn die Länderfinanzminister wären erheblich schwerer davon zu überzeugen, Mittel bereitzustellen, wenn sie damit nicht gleichzeitig auch Bundesmittel für ihr Land erhalten könnten. Zwar muss auch bei der GAK gespart werden - dies kritisiert die Opposition, mir will es im Übrigen auch nicht gefallen -, aber wenn gleichzeitig mehrere CDUMinisterpräsidenten in der Föderalismuskommission die Abschaffung der GAK fordern, finde ich diese Kritik der Opposition schon ziemlich verlogen. ({6}) Meine Damen und Herren, Rot-Grün setzt in diesem Haushalt einen Schwerpunkt bei den nachwachsenden Rohstoffen. Denn für die ländliche Entwicklung werden Anbau und Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe zukünftig eine ganz zentrale Rolle spielen. Derzeit entsteht dank der Regelungen zur Einspeisevergütung für Energie aus Biomasse eine blühende Biogaswirtschaft, im Übrigen gänzlich ohne Haushaltsmittel. ({7}) Diese Regelungen sichern vielen Bauern ein zusätzliches Standbein. Somit trägt die von Ihnen abgelehnte EEGNovelle dazu bei, die flächendeckende Landwirtschaft in Deutschland zu erhalten. Wenn Landwirte zu Energieund Rohstoffwirten werden, sichert das nicht nur die Landwirtschaft, sondern durch die Ansiedlung des verarbeitenden Gewerbes und den Bau und Betrieb dezentraler Verarbeitungsanlagen werden zusätzliche, moderne Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen. Deswegen begrüße ich, dass die Haushaltsmittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie für die Markteinführung in diesem Bereich wieder auf über 43 Millionen Euro erhöht werden. ({8}) Besondere Beachtung verdient aus meiner Sicht das im Rahmen der Innovationsoffensive neu geschaffene Innovationsprogramm „Ernährung, Verbraucher, Landwirtschaft“. Dieses Programm soll dazu dienen, neue Technologien zu entwickeln oder deren Praxisreife voranzubringen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade mit diesem Programm den jungen Landwirten Brücken in die Zukunft bauen können. Dieses Programm ist aber auch dafür geeignet, die Charta für Holz, die Ministerin Künast am 3. September dieses Jahres vorgestellt hat, mit Leben zu erfüllen. Mit wenig Geld möglichst viel zu erreichen, das ist eine schwere Aufgabe. Aber wir können sie mit diesem Agrarhaushalt 2005 lösen. Ich hätte mich über bessere Vorschläge von Ihrer Seite gefreut - bisher habe ich keine gehört. Sogar die kreativen Wortschöpfungen kamen heute ausschließlich vonseiten der Koalition. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Ministerin hat zwar Sachlichkeit angemahnt und der Vortrag von Frau Behm ist auch durchaus als sachlich einzustufen, aber der Inhalt, liebe Frau Behm, war alles andere als sachlich. Ich komme auf den Dezember des Jahres 2003. Wir, die CDU/CSU und die unionsgeführten Länder, haben im letzten Jahr im Vermittlungsausschuss Einschnitte im Haushalt bei der Besteuerung von Agrardiesel und beim Zuschuss für die landwirtschaftliche KrankenversicheMarlene Mortler rung verhindert. Die Bäuerinnen und Bauern haben sich auf diese Vereinbarung verlassen. ({0}) Die bittere Erkenntnis heute ist, dass auf Rot-Grün kein Verlass ist. Das Verlässlichste an Ihnen ist noch, dass man sich auf Sie wirklich nicht verlassen kann. ({1}) Sie sind 1998 angetreten, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Sechs Jahre lang haben Sie Zeit gehabt, eine bessere, eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu gestalten. Unsere Bäuerinnen und Bauern sollen nun diese Misswirtschaft der letzten sechs Jahre ausbaden. Sie führen einen Beutezug gegen diesen Wirtschaftszweig, obwohl Sie schon im Agrarbericht 2003 und im Agrarbericht 2004 einen massiven Einkommensrückgang von dramatischen 20 Prozent eingestehen mussten und auch für das soeben abgelaufene Wirtschaftsjahr einen weiteren Einkommensrückgang prognostizieren. Im Gegenteil: Sie geben im Haushaltsplan 2005 und im so genannten Haushaltbegleitgesetz Vollgas, und das, obwohl Sie wissen, dass viele Bauern mit ihrem Einkommen bereits unter den Hartz-IV-Sätzen liegen. ({2}) Meine Damen und Herren, das Landwirtschaftsgesetz von 1955 ist noch heute aktuell. Jeder Minister hatte bisher den Auftrag, in dem Agrarbericht seine Vorschläge vorzulegen, durch die die Einkommen der Landwirte im Verhältnis zu der Entwicklung der Einkommen der übrigen Bevölkerung gesichert werden können. Frau Künast kümmert sich aber schon seit Jahren nicht mehr um diesen Gesetzesauftrag. Sie missbraucht die Agrarberichte gesetzeswidrig zur Propaganda für ihre unausgegorenen verbraucherpolitischen Vorstellungen. ({3}) Durch unzählige Ökoprogramme haben Sie die Abhängigkeit der Landwirte sogar vergrößert. Mit Ihrem Ziel, dass die ökologische Landwirtschaft in Deutschland einen 20-prozentigen Anteil erreicht, haben Sie dieser gut funktionierenden Nische massiv geschadet. ({4}) Der Unwissende glaubt auch noch, dass das Biosiegel weiterhin auf Erfolgskurs ist, wie Sie das in der letzten Woche geschrieben haben. Das ist pure Heuchelei; denn die Anzahl ausländischer Bioprodukte, die unter dem deutschen Biosiegel angeboten werden, steigt täglich. Das Angebot steigt, während die Nachfrage und die Biopreise sinken. ({5}) Frau Ministerin, dass Sie von der Praxis keine Ahnung haben, zeigen Sie auch dadurch, dass Sie nun dem Agrardiesel wieder an den Kragen gehen. Dabei ist die Steuervergünstigung beim Agrardiesel bereits jetzt sehr niedrig. Sie sollten auch wissen, dass die Ökobetriebe einen höheren Aufwand für den Agrardiesel haben als ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen. Unsere wichtigsten Mitbewerber in Europa liegen hier bei der Steuerbelastung ganz unten, während wir ganz oben sind. Das, was Sie hier vorhaben, ist nichts anderes als eine versteckte Steuererhöhung und eine Wettbewerbsverzerrung zulasten unserer Bauern. ({6}) Pro Hektar ergeben sich im Schnitt 30 Euro an Mehrbelastung. Hinzu kommt, dass Sie gerade die kleinen Betriebe bis zu einer Größe von 17 Hektar mit dem so genannten Selbstbehalt belasten wollen. Sie wollen den vollen Dieselsteuersatz von 47 Cent pro Liter erheben. Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihre PR-Arbeit ist wirklich exzellent, wenn es ums Tarnen und Täuschen geht. ({7}) Gefragt ist aber eine wirkliche Sachpolitik, die unsere Landwirtschaft insgesamt stärkt und nicht weiter schwächt. Schauen Sie doch einmal zu unseren österreichischen Nachbarn. Sie sind nicht nur bei der Maut spitze. Sie werden ihre Steuer für den Agrardiesel im nächsten Jahr von 30 auf 10 Cent senken. Liebe Frau Wolff, ({8}) Ihr Auftritt heute Morgen bei der Demo der brandenburgischen Bauern war nicht sehr glücklich. Sie haben nämlich gesagt, die Rückerstattung der Agrardieselsteuer lasse sich ohnehin nicht mehr lange halten. Das war wirklich alles andere als ermutigend für die Bauern. Das war Motivation pur im negativen Sinne. ({9}) Wenn man realistisch ist, erkennt man, dass sich die Zahl der Betriebsaufgaben in der Landwirtschaft seit der so genannten Agrarwende massiv erhöht hat. Auch Nichtlandwirte begreifen inzwischen, dass Sie die Landwirte in die Irre geführt haben. Ist der Ruf erst ruiniert, dann kürzt es sich gänzlich ungeniert. ({10}) Ich komme zur nächsten Baustelle, nämlich zu den Kürzungen der Leistungsaufwendungen im Bereich der Altenteiler in der LKV. Die massive Folge, nämlich enorme Beitragserhöhungen, ist angesprochen worden. Ich halte es für unanständig, zu sagen, die aktiven Landwirte müssten hier einen noch höheren Beitrag leisten. Die Betriebsmittel und Rücklagen sind zu 100 Prozent Gelder der Bauern, die im Laufe der Jahre für schlechtere Zeiten zurückgelegt worden sind. ({11}) Die Bundesregierung macht sogar das Gegenteil: Sie versucht, sich von der so genannten Solidarhaftung zu entbinden, und ist dabei, dieses System insgesamt zum Einsturz zu bringen, ohne dabei ein tragfähiges eigenes Konzept zu haben. Ich darf noch kurz weitere Knüppel, die Sie uns mit dem Haushaltbegleitgesetz zwischen die Beine werfen wollen, ansprechen: die Kürzungen im Bundeshaushalt bei der Unfallversicherung, aber auch bei der Gemeinschaftsaufgabe. Hier geht es um Investitionsförderung. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass diese Investitionsförderung der landwirtschaftlichen Betriebe wegen Ihrer unsicheren Politik in den letzten Jahren schon zurückgefahren worden ist. Alleine im Jahr 2003 ist sie im Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent gesunken. Im Moment haben wir einen Tiefstand von 1 600 Euro pro Betrieb an Investitionen erreicht. Der einzige Lichtblick zurzeit ist die diesjährige gute Ernte. Aber sie ist nur eine Momentaufnahme und verträgt kein Schönreden. Man kann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten viel erreichen. Aber gute marktwirtschaftliche Instrumente werden bei Rot-Grün mit planwirtschaftlichen Instrumenten überlagert und so wieder kaputtgemacht. ({12}) Es ist eben nicht so, dass der Bauer immer nur nach dem Staat und nach mehr Geld ruft. Der Bauer will Unternehmer sein. ({13}) Er will aber unter guten Rahmenbedingungen wirtschaften können. ({14}) Noch eines: Unsere Bauern in Deutschland haben sich den Herausforderungen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung längst gestellt. Sie haben ihre Arbeitszeit erhöht und damit ihre Lohnkosten gedrückt. Sie haben sich beim Tierschutz, beim Umweltschutz und bei der Lebensmittelsicherheit immer wieder neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Wir können auch immer wieder von seriösen Instituten, zuletzt vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen hören: Unsere in Deutschland erzeugten Produkte sind die sichersten auf der Welt. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Künast, seien Sie so ehrlich und so fair, dies in der Öffentlichkeit zu betonen, sonst sind Sie für mich keine Verbraucherschutzministerin, sondern eine Verbrauchertäuschungsministerin. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Ende kommen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Sie hätten wirklich vieles wieder gutzumachen. Ich erwarte von Ihnen einen besseren und weniger schlafmützigen Einsatz bei der Korrektur dieses Haushalts und bei der Umsetzung der EU-Agrarreform.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Machen Sie endlich Schluss mit Ihren nationalen Alleingängen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, ich drehe Ihnen ungern das Mikrofon ab, aber Sie haben Ihre Redezeit jetzt deutlich überschritten und achten nicht auf meine Hinweise. Deswegen bitte ich Sie, zu Ihrem letzten Satz zu kommen. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur dort, wo die eigenen Bauern ernst genommen und nicht schikaniert werden, werden sie auch in Zukunft eine Chance haben. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff, SPDFraktion. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich hatte mir vorgestellt, wir würden hier eine sachliche Diskussion führen. ({0}) Frau Mortler hat die angebliche Misswirtschaft der letzten sechs Jahre von Rot-Grün angesprochen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Frau Mortler: Wer hat denn Reformen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung verhindert? Schuld waren 16 Jahre Kohl-Regierung und nichts anderes. ({1}) Waltraud Wolff ({2}) Sie haben sich doch an die Reform der Unfallversicherung gar nicht herangetraut. Sie haben Ihre Klientel nicht belasten wollen, davor hatten Sie doch Angst. ({3}) Außerdem haben Sie, Frau Mortler, hier eine ausgesprochen gute Planwirtschaftsrede gehalten. Das muss ich einmal sagen. Ich dachte, ich sei in der DDR groß geworden, aber das, was Sie hier vom Stapel gelassen haben, lässt darauf schließen, dass Sie Staatsunternehmer haben wollen. ({4}) Meine Damen und Herren der Opposition, was glauben Sie eigentlich? ({5}) Glauben Sie, dass man die Menschen im Lande nicht ernst nehmen muss, dass man sie anlügen kann, dass man ihnen Sand in die Augen streuen kann? ({6}) Polemik vom Feinsten haben Sie nicht nur heute demonstriert, sondern schon die ganze Woche gemacht. ({7}) Das ist sehr unredlich. ({8}) Sie haben mehrfach die Demo von heute Morgen angesprochen. Natürlich habe ich keinen Ruhm geerntet, natürlich hat man mir keinen Beifall geklatscht, und zwar deshalb, weil ich den Menschen die Wahrheit gesagt und darauf hingewiesen habe, wie schwierig die Situation ist. ({9}) Das nutzen Sie aus. Sie sind an dieser Stelle polemisch und stellen sich auf die Seite der Bauern, obwohl Sie wissen, dass man das nicht ändern kann. ({10}) - Georg Schirmbeck ({11}): Wer hat uns in diese Lage gebracht?) Ich könnte auch anders fragen. Wie kommen Sie dazu, die Bundesregierung bei der Haushaltseinbringung am Dienstag zu attackieren und zu sagen, die Einsparsumme des Bundes sei bei weitem nicht hoch genug, und anschließend nach dem Motto vorzugehen: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“? Bei jeder Einzelplandebatte - das haben wir vorhin beim Verkehr erlebt und erleben es jetzt wieder - sagen Sie, die konkreten Einsparungen seien viel zu hoch und träfen die Menschen über alle Maßen. Sie kündigen zwar Angebote an, aber es kommt nichts außer Gemecker. Frau Aigner war hierfür das allerbeste Beispiel. ({12}) Das passt nicht zusammen. Schenken Sie den Menschen reinen Wein ein und hören Sie auf, sich selber zu widersprechen. ({13}) Erinnern wir uns doch einmal an das vergangene Jahr. Die Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück haben damals ein gemeinsames Papier vorgelegt. Beide Ministerpräsidenten waren sich einig, dass auch Einsparungen im Agraretat notwendig sind. ({14}) Warum machen das wohl zwei Ministerpräsidenten, einer von der SPD und einer von der CDU? Warum machen die wohl einen solchen Vorstoß? ({15}) Weil sie wissen, wie die Situation in Deutschland ist, und weil sie wissen, dass es gilt, die Bundesländer, den Bundesrat, den Bundestag und die Bundesregierung gleichermaßen zu erreichen. ({16}) Natürlich bin ich der Auffassung, dass das Parlament und die Bundesregierung eigene Akzente setzen müssen, aber die Grundlinie war - so hatte ich das jedenfalls seit dem letzten Jahr verstanden - die Vorgabe von Koch/ Steinbrück. Die Vorschläge von Koch/Steinbrück galten für die CDU schon bei den letzten Haushaltsberatungen nicht mehr. ({17}) Durch die Blockade - Sie haben das hervorragend herausgestellt - sind die Einsparungen im letzten Jahr nicht möglich gewesen. Es ist doch völlig absurd zu glauben, dass wir das vergangene Jahr komplett ausblenden können. Es ist doch auch logisch, dass wir durch die erzwungene Nullrunde im letzten Jahr im Jahr 2005 stärker betroffen sind. ({18}) Ich möchte mich nur auf zwei wichtige Punkte im Haushalt beziehen, deren Darstellung von mir erwartet wird. Zum einen geht es um das agrarsoziale Sicherungssystem. Unser Ansatz sieht vor, dass die Landwirte Waltraud Wolff ({19}) erstmals auch an den Leistungskosten für Altenteiler beteiligt werden sollen. Die Unternehmer kommen bisher nicht für die Leistungen, sondern explizit nur für die entstehenden Verwaltungskosten auf. Wie ist das eigentlich in der gesetzlichen Krankenversicherung? Circa 30 Prozent der Beiträge der Versicherten - auch von den Leuten auf der Besuchertribüne - werden für Leistungsund Verwaltungskosten bei den Rentnern aufgebracht. Das war nicht immer so. Auch in der GKV ist dieser Anteil in den letzten Jahren immens gewachsen. ({20}) Mit den Änderungen durch das Haushaltbegleitgesetz werden wir bis 2008 das Kosten-Leistungs-Verhältnis in der Krankenversicherung der Landwirtschaft an die Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung angleichen. Es geht also nicht, wie die Opposition immer wieder darstellt, um eine unzumutbare Belastung, sondern um ein Angleichen der Verhältnisse an die gesetzliche Krankenversicherung. ({21}) - Hans-Michael Goldmann ({22}): Es geht um sachgerechte Lösungen!) Außerdem muss man an dieser Stelle festhalten: Die landwirtschaftliche Krankenversicherung wurde 1972 eingeführt. Es ist doch logisch, dass es in 32 Jahren landwirtschaftlicher Krankenversicherung Entwicklungen in der Bevölkerung gibt und dass sich die Bedingungen ändern. Diese Veränderungen muss man begleiten können und man muss auch Reformen vornehmen können; da muss man neu nachdenken. ({23}) Dass Sie dies 16 Jahre lang nicht getan haben, ist allerdings bezeichnend für Ihre Politik. ({24}) Bei der Anhörung zum Haushaltbegleitgesetz haben die Experten ganz deutlich gemacht, dass genau der Weg, den wir eingeschlagen haben, in die richtige Richtung geht. ({25}) Ich bin der festen Überzeugung, dass das System der landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf absehbare Zeit das Beste ist, was wir den Landwirten geben können. Es muss aber allen klar sein: Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist nicht am Ende der Reformen, wenn sie auch künftig bestehen will. Nur wenn man die Verwaltungskosten weiter senkt, nur wenn die Beitragsmaßstäbe in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung modernisiert werden und nur wenn Sondervergünstigungen, die der Allgemeinheit nicht zu erklären sind, abgebaut werden, ({26}) dann hat das System aus meiner Sicht auch eine Zukunft. Es ist wichtig, dass man dies den Vertretern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung klar macht und dass sie dies einsehen. Die Botschaft heißt also: Beweisen Sie, dass Sie zu solchen Reformen in der Lage sind. Ich stehe Ihnen - wie in der Vergangenheit - als Partnerin gerne zur Seite. Nur ein modernisiertes Sozialversicherungssystem für die Landwirte wird eine echte Chance haben. ({27}) Nun zum zweiten Punkt, einem weiteren wichtigen Posten des Haushaltbegleitgesetzes, der hier auch mehrfach angesprochen worden ist: dem Agrardiesel. Anders als bei der Krankenversicherung - ich meine, auch anders als bei der Unfallversicherung; das muss man einfach eingestehen - handelt es sich beim Agrardiesel um eine echte Subventionierung. Keine Frage: Eindeutig positiv für die Landwirte ist, dass durch die Agrardieselrückerstattung die Energiekosten gesenkt werden und dass im Blick auf die europäischen Nachbarn eine gewisse Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. ({28}) Durch die Agrardieselrückerstattung gibt es aber - das müssen wir ehrlich zugeben - nicht genügend Anreize, um weiter energiesparender zu wirtschaften oder auf regenerative Energien umzusteigen. ({29}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Opposition und Berufsstand führen immer wieder die erheblichen Energiekosten für die Landwirtschaft auf - was ja berechtigt ist - und geben hierfür eine Ifo-Studie an. Auch ich möchte mich auf diese Studie beziehen; denn ich finde, es geht nicht an, hier nur die halbe Wahrheit zu sagen. Bei diesem länderübergreifenden Belastungsvergleich kommt nämlich noch etwas ganz anderes heraus, nämlich dass die gesamten Produktionskosten, wenn man also auch die Steuern auf Düngemittel, Pestizide usw. einbezieht, für die deutschen Bauern etwa halb so hoch sind wie für dänische Bauern. Das haben auch schon andere Kollegen gesagt. ({30}) Eine etwa vergleichbare Belastung gibt es bei den niederländischen, den österreichischen - Frau Mortler, so weit zu den österreichischen Berufsgenossen - und den schwedischen Bauern. Der Agrardiesel ist wichtig, keine Frage. Aber er ist nicht alles. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man verliert natürlich ungern lieb Gewonnenes, das ist verständlich. Bei aller Kritik wird aber leider außer Acht gelassen, was die rot-grüne Bundesregierung für die Landwirtschaft erreicht hat. Ich will nur ein paar Beispiele nennen. Erstens: Die Befreiung von der Mineralölsteuer für BioWaltraud Wolff ({31}) kraft- und -heizstoffe verbessert die Wettbewerbssituation der nachwachsenden Rohstoffe gegenüber den fossilen Kraftstoffen. Zweitens: Mit der Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes haben wir den Landwirten den Weg freigemacht, sich ein neues Standbein zu eröffnen. Drittens: Mit der EU-Agrarreform werden die Prämien von der Produktion abgekoppelt. Die regionalisierte einheitliche Flächenprämie eröffnet endlich - das wollten auch die Bauern - die Möglichkeit, sich am Markt zu orientieren und zu produzieren, was gefragt ist. Da ist endlich Innovation möglich. ({32}) Meine Damen und Herren, der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg ist eine Chance für die Landwirtschaft. Viele sehen das auch so. Ich werde beispielsweise häufig von Landwirten angesprochen, ({33}) die gerade die Umorientierung zur unternehmerischen Verantwortung begrüßen. Deshalb kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, verunsichern Sie diese Menschen nicht länger! ({34}) Seien Sie ehrlich zu sich selbst und zur Bevölkerung! Wir befinden uns in einem Zeitalter der globalisierten Märkte. Subventionsabbau und Stärkung von Einkommensalternativen sind der Weg, den wir im internationalen Kontext gehen müssen und auch gehen werden. Danke schön. ({35})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner ist der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Jahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003560, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Künast, ich denke, Landwirte sind sehr einsichtige Zeitgenossen. Sie sind es gewohnt, hart zu arbeiten. Sie denken an die Zukunft und an die ihrer Kinder. Die Geburtenrate auf dem Lande ist übrigens doppelt so hoch wie in der Stadt. ({0}) Das sollte man ruhig einmal bemerken, wenn es um Zukunftsaussichten geht. Der demographische Wandel wäre viel schlimmer, wenn wir die Landbevölkerung nicht hätten. Dort gibt es noch nachhaltige Wertvorstellungen. Zur Zukunft gehören ganz einfach Kinder. Ohne Kinder gibt es keine Zukunft. Auf dem Land hat man das noch begriffen. ({1}) - Ich habe vier. Ich denke, wenn es um die Kinderzahl geht, sieht es in unserer Arbeitsgruppe gar nicht so schlecht aus. Auch die Landwirte stellen sich natürlich den gesellschaftlichen Anforderungen. Aber sie wollen gerecht behandelt werden. Wenn sie ungerecht behandelt werden, dann werden sie böse. Von der Bundesregierung werden sie ungerecht behandelt. Landwirte wollen Unternehmer sein, wollen im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik unternehmerisch tätig sein. Meine Damen und Herren von den regierungstragenden Fraktionen, Sie sagen immer, es seien nun einmal schlechte Zeiten und man habe kein Geld. Aber man kann doch zuerst mit den Dingen beginnen, die kein Geld kosten. Wettbewerbsgleichheit bedeutet für die deutsche Landwirtschaft: keine Sondersteuern, keine Sonderauflagen und gemeinsames Wirtschaften; denn die deutschen Landwirte müssen die von ihnen produzierten Produkte auf einem gemeinsamen europäischen Markt verkaufen. Umweltstandards und Sonderhaltungsbedingungen kosten kein Geld, ({2}) sondern nur politischen Willen und Durchsetzungsvermögen auf europäischer Ebene. Genau daran fehlt es Ihnen. ({3}) Es war vorhin ziemlich interessant, zu beobachten, dass sich die Grünen im Hinblick auf die Besteuerung des Agrardiesels ein bisschen einsichtiger gezeigt haben. Sie haben eingeräumt, dass Kerosin für Flugzeuge normalerweise in gleichem Maße besteuert werden müsste, dass das irgendwann auch geschehen werde, dass sie sich aber im Moment in Europa nicht durchsetzen könnten. Offenbar wollen sie sich deshalb zuerst einmal an unseren Landwirten vergreifen und sie richtig zur Kasse bitten. ({4}) Da wir uns heute gegenseitig Sachlichkeit gelobt haben, ({5}) möchte ich auf die Hauptindikatoren Ihrer Politik zu sprechen kommen. Um deutlich zu machen, wie es um die Prosperität in Ihrem Verantwortungsbereich bestellt ist, habe ich mir die Kennzahlen für die Entwicklung der Einkommen, der Marktanteile und der Beschäftigtenzahl in der deutschen Landwirtschaft herausgegriffen. Diese Zahlen kann man nicht dividieren. Auf sie hat auch der Euro keinen Einfluss. Sie bleiben so, wie sie sind. Im Verlauf Ihrer Regierungszeit sank das Jahreseinkommen plus der Ausgaben für Personalaufwand in der Landwirtschaft von 19 900 Euro 1999/2000 auf mittlerweile unter 18 000 Euro pro Arbeitskraft und Jahr, Tendenz sinkend. Ein solches Jahreseinkommen bietet den deutschen Landwirte keine echten Chancen. Eine erfolgreiche Agrarpolitik sieht anders aus. Die Kollegin, die vorhin darauf hingewiesen hat, dass man mit einem solchen Einkommen nicht weit von Hartz IV entfernt ist - das sollte wirklich jeder nachrechnen; Landwirte können jedenfalls rechnen -, hat Recht. Es darf nicht sein, dass die Landwirte für ihre Einsichtigkeit und dafür, dass sie jeden Morgen aufstehen und in den Stall gehen, letztendlich beim Einkommen bestraft werden. ({6}) Betrachten wir die Marktanteile: Im Zeitraum von 1999 bis 2003 reduzierte sich die Fleischerzeugung in Deutschland von 6,2 Millionen Tonnen auf 5,3 Millionen Tonnen, also um ungefähr 15 Prozent. Somit gab es auch dort einen drastischen Rückgang. Weniger Einkommen und weniger Produktion lassen für die Situation der Beschäftigten wenig Gutes erahnen. Interessant ist allerdings die Statistik: Zwischen 1995 und 1999 - da waren Sie noch nicht an der Regierung; ich sage es bloß einmal zur Erinnerung; ({7}) manchmal gewöhnt man sich so an Regierungszeiten und denkt, sie gingen nie zu Ende - stieg die Anzahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte von 1,409 Millionen auf 1,437 Millionen an. Das war zwar nicht viel, bedeutete aber, dass die Anzahl der Beschäftigten im Jahresdurchschnitt um 6 800 stieg. In Ihrer Regierungszeit, also im Zeitraum von 1999 bis 2003, verringerte sich die Anzahl landwirtschaftlicher Arbeitskräfte von 1,437 Millionen auf 1,305 Millionen. Das heißt, in Ihrer Regierungszeit wurden jährlich 33 000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte abgebaut. ({8}) - Es wäre schön, wenn sie nur in Rente gegangen wären. Ich habe zuvor bewusst die anderen Kennzahlen genannt. Auf sinkende Einkommen pro Arbeitskraft und auf einen sinkenden Marktanteil muss man natürlich betriebswirtschaftlich reagieren, indem man, ganz einfach gesagt, effektiver wirtschaftet und indem man mehr Arbeitskräfte abbaut, um halbwegs rentabel zu bleiben. Durch die von Ihnen gesetzten Rahmenbedingungen baut unsere Landwirtschaft mehr Arbeitskräfte ab, als eigentlich notwendig ist. ({9}) Dank Ihrer Politik wurden in zwei Jahren so viel Arbeitskräfte abgebaut, wie der Freistaat Sachsen insgesamt hat. ({10}) Auf der anderen Seite preist der Wirtschaftsminister die 1-Euro-Jobs in dem Bemühen an, dass dadurch irgendwie Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Dazu sage ich ganz einfach: Vernachlässigen Sie nicht die deutsche Agrarpolitik! Betrachten Sie die deutsche Agrarpolitik endlich als Wirtschaftspolitik! Denken Sie daran: Auch in der Landwirtschaft bestehen ordentliche Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse. ({11}) Sie setzen ganz einfach die falschen Rahmenbedingungen. Weniger Einkommen und weniger Produktion heißt auch weniger Beschäftigung. ({12}) Wenn man nur diese wenigen Zahlen betrachtet, muss man im Endeffekt feststellen, dass Ihre so genannte Agrarwende gescheitert ist. ({13}) Dabei war Ihre Argumentation bei der Agrarwende damals ziemlich einfach. Sie haben gesagt: Höhere Auflagen bedeuten höhere Qualität, das bedeutet höhere Preise. Es gibt nur ein Problem: Diese Politik hat nicht funktioniert. Offenbar ist der Verbraucher nicht bereit, die höheren deutschen Standards zu bezahlen. Dabei sitzt die Hauptkonkurrenz der deutschen Landwirte nicht in Übersee, sondern in der unmittelbaren Nachbarschaft: Holland, Frankreich und Österreich. ({14}) Sie haben schon gehört, wie die Wettbewerbsbedingungen dort aussehen. Die Österreicher haben es begriffen. In Österreich werden die Landwirte in diesem Jahr entlastet, um die österreichische Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen und um dort möglichst viele Marktanteile und möglichst viel Beschäftigung zu sichern. ({15}) Was macht die zuständige Ministerin in dieser Situation? Sie erhöht zum Nachteil der deutschen Landwirte die Dieselbesteuerung, getreu nach dem Motto: Beim Spitzenverdiener Landwirt - er hat ein Einkommen von immerhin 18 000 Euro pro Jahr - ist noch Luft. Was Sie vorhaben, ist eine Frechheit. Für mich ist das ein gesellschaftspolitischer Skandal. ({16}) - Ich wollte Sie bloß ausreden lassen. Ich bin nämlich gut erzogen und meine Sekundärtugenden kommen manchmal durch. Ich dachte: Wenn sich erwachsene Menschen unterhalten, dann sollst du nicht dazwischenreden. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir uns in den nun folgenden Haushaltsberatungen intensiv einmischen werden. Sie werden von uns Verbesserungsvorschläge hören. Wir werden nicht zulassen, dass Sie die wirtschaftliche Situation und die Wettbewerbssituation der deutschen Landwirtschaft weiter verschlechtern. Dagegen - dessen können Sie gewiss sein - gibt es unseren enormen Widerstand. Danke schön. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. September 2004, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen hier im Hohen Hause einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.