Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/7/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, sich zu erheben. ({0}) Zutiefst erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns über die Täter, die Kinder zu Opfern ihres Terrors machen, haben wir die furchtbaren Ereignisse verfolgt, die sich in der vergangenen Woche im Kaukasus abgespielt haben. Am Mittwoch, dem 1. September 2004, stürmten dort in dem kleinen Ort Beslan schwer bewaffnete Terroristen eine Schule und nahmen die Kinder und ihre Eltern und Großeltern als Geiseln. Aus dem Tag der Einschulung, der ein Tag der Freude sein sollte, ist ein Inferno geworden. Die Terroristen drangen in die Schule ein und machten die dort Versammelten zu ihren Geiseln. Als die ersten Geiseln nach drei Tagen entkommen konnten, vermittelten uns ihr Anblick und ihre kurzen Äußerungen eine Ahnung von dem, was sich an Unsäglichem in dem Schulgebäude abgespielt haben musste. Der Einsatz der russischen Sicherheitskräfte vermochte das Leben vieler Geiseln nicht zu retten. Die Operation endete tragisch. Bislang wird von über 400 Toten gesprochen; doch noch immer suchen verzweifelte Menschen nach ihren Angehörigen und man weiß nicht, wie viele Tote letztlich zu beklagen sein werden. Bereits am vergangenen Sonntag, als die ersten Opfer dieser Tragödie zu Grabe getragen wurden, reichte der Platz auf dem Friedhof des Ortes nicht aus, um die weiteren Leichname aufzunehmen. Unvorstellbares Leid ist geschehen. Lassen Sie uns gemeinsam den Bürgerinnen und Bürgern von Beslan, den Menschen in Ossetien und dem russischen Volk das tiefe Mitgefühl ausdrücken, das die Mitglieder des Deutschen Bundestages und alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland für sie empfinden. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz - Drucksache 15/3681 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen - Grundlegende Reform der Pflegeversicherung noch in dieser Wahlperiode einleiten - Drucksache 15/3682 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige - Drucksache 15/3512 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen - Drucksache 15/3513 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Redetext Präsident Wolfgang Thierse Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung überwiesen werden: Entwurf eines Gesetzes zur Gründung einer Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ({6}) - Drucksache 15/2720 überwiesen: Haushaltsausschuss ({7}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Der in der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes - Drucksache 15/3278 überwiesen: Ausschuss für Kultur und Medien ({8}) Auswärtiger Ausschuss Haushaltsausschuss Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Mitberatung überwiesen werden: Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005 ({9}) - Drucksache 15/3442 überwiesen: Haushaltsausschuss ({10}) Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden: Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 15/3351 überwiesen: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 ({12}) - Drucksache 15/3660 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 - Drucksache 15/3661 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({13}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2003 - Einzelplan 20 - Drucksachen 15/2885, 15/3388 Berichterstattung: Abgeordnete Anja Hajduk Iris Hoffmann ({14}) Bernhard Kaster Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zu den Haushaltsberatungen im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden vorgesehen, für Mittwoch achteinhalb Stunden, für Donnerstag neun Stunden und für Freitag dreieinhalb Stunden. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel. ({15})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr habe ich bei der Einbringung des Haushaltsplans für das Jahr 2004 gesagt: Die wichtigste und größte Herausforderung, vor der wir stehen, ist, aus der Stagnation herauszukommen und wieder mehr Wachstum zu schaffen. ({0}) Denn drei Jahre Stagnation haben in der Tat schlimme Zahlen hinterlassen. Im Jahr 2000, dem Jahr des höchsten Wachstums, hatten wir gleichzeitig die niedrigste Neuverschuldung nach der Wiedervereinigung - sie fällt in unsere Amtszeit -, ({1}) nämlich 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 24 Milliarden Euro. Drei Jahre später, 2003, nach drei Jahren Stagnation, hatten wir ein Staatsdefizit von 82 Milliarden Euro oder 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Erkenntnis aus dieser Entwicklung ist: Es gibt - auch das ist damals deutlich gesagt worden keine Konsolidierung ohne Wachstum; es gibt aber auch kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. ({2}) Wer das sieht, muss daraus für seine Politik auch Konsequenzen ziehen. Wir haben gesagt, wir brauchen einen mutigen Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Mit diesem Dreiklang wollen wir aus der Stagnation heraus. ({3}) Wir sind diesen Weg zum Teil gemeinsam gegangen; ich sage das ausdrücklich und auch mit Dankbarkeit hinsichtlich der Bereiche, in denen das funktioniert hat. So war es zum Beispiel bei einem Teil der Strukturreformen. Ich erinnere an die Arbeitsmarktreformen - darauf komme ich später zurück -: Da konnte es Ihnen, wenn es um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und um die Verschärfung der Zumutbarkeit ging, eigentlich nicht radikal genug zugehen. Bei der Rente allerdings waren Sie ganz still: keine Beiträge von Ihrer Seite. In der Gesundheitspolitik will ich ausdrücklich anerkennen, dass es zu einem Zusammenwirken gekommen ist, das - darüber wird noch zu reden sein - eine Reihe sehr positiver Resultate hatte, das aber weitergeführt werden muss. Wir sind noch nicht durch: Was den Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite betrifft, muss noch eine ganze Menge mehr geschehen. ({4}) Als es allerdings um die Haushaltskonsolidierung ging und um die Wachstumsimpulse, hat Sie der Mut ziemlich verlassen. Da wäre es wünschenswert gewesen, wenn Sie unseren mutigeren Schritten sowohl bei der Konsolidierung und beim Subventionsabbau als auch beim Vorziehen der Steuerreform gefolgt wären, um Wachstumsimpulse zu geben. Sie waren dazu nicht in der Lage. ({5}) Heute, meine Damen und Herren, sind wir im Aufschwung. Ich will gar nicht verhehlen, dass der größte Teil davon der weltwirtschaftlichen Entwicklung, die ja auch vorher das Problem war, ({6}) geschuldet ist; wir kommen auf das Problem gleich zurück. Aber unsere Politik mit der ganz dezidierten Zielsetzung, die Krise nicht durch zusätzliches Hinterhersparen zu verlängern und auch noch zu verschärfen, sondern mit diesem Dreiklang einen Weg heraus zu finden, hat ihren Beitrag dazu geleistet. Die Prognosen der Bundesregierung für dieses und für das nächste Jahr sehen so aus: beide Jahre zwischen 1,5 und 2 Prozent Wachstum. Bisher gilt für uns: eher am unteren Ende dieses Jahr, eher am oberen Rand nächstes Jahr. Ich nehme dabei zur Kenntnis, dass inzwischen die meisten Institute und die internationalen Institutionen, wie etwa der Internationale Währungsfonds, ihre Prognosen nach oben revidiert haben, während wir uns mit unseren Erwartungen am unteren Rand der Prognosen befinden. Ob daraus Konsequenzen zu ziehen sind, werden wir im Zusammenhang mit der Steuerschätzung im November und im Zusammenhang mit unserem Jahreswirtschaftsbericht zu entscheiden haben; aber bisher bleibt es dabei. Allerdings steht dieser Aufschwung im Wesentlichen nur auf einem Bein: Er kommt vom Export. Das führt mich zu einer anderen Feststellung, auf die ich ganz am Schluss zurückkommen werde: Deutschland hat im Weltmaßstab eine unglaublich wettbewerbsfähige Wirtschaft, sonst könnten wir diese Erfolge beim Export überhaupt nicht erzielen. ({7}) Das ist wichtig für das Bewusstsein, in dem wir die Probleme, die wir zu lösen haben, und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, angehen. Von welchem Selbstbewusstsein aus gehen wir sie eigentlich an? Da kenne ich diejenigen, die sagen: Ja, das ist ja ganz gut und schön mit dem Export, es kommt aber daher, dass inzwischen ein größerer Teil der Vorfertigung in anderen Ländern erfolgt. Dieser Satz ist nicht falsch. Er zeigt eines: dass die deutschen Unternehmen - nehmen Sie einmal Volkswagen als Beispiel - inzwischen europäische geworden sind, ({8}) dass sie in fast allen Ländern Europas Produktionsstätten haben und mit der dadurch möglichen Mischkalkulation natürlich wettbewerbsstärker sind. Aber - ich habe das auch untersuchen lassen -: Das führt im Ergebnis dazu, dass der Export so stark steigt, dass daraus keine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland heraus, sondern eine Erhöhung der Anzahl der Arbeitsplätze hier bei uns resultiert. Das ist die Konsequenz. Die Unternehmen sind aufgrund ihrer Europäisierung stärker geworden. Das ist das Ergebnis der gemeinsamen europäischen Entwicklungsstrategie. ({9}) Ich will noch auf etwas Weiteres hinweisen, bevor manche wieder über die Gewerkschaften herziehen. Seit Mitte der 90er-Jahre ist die Lohnentwicklung unglaublich mäßig, was dazu führt, dass die Lohnstückkosten jetzt sogar zurückgehen und dass wir im internationalen Wettbewerb im Unterschied zu den frühen 90er-Jahren, in denen wir uns einiges geleistet haben, was wir uns nicht hätten leisten sollen, mittlerweile unglaublich viel wettbewerbsfähiger geworden sind. ({10}) Es geht auch um die Qualität der Produkte. Ich will bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Wer glaubt, den Kampf nur über das Drücken der Löhne und der Kosten gewinnen zu können, der irrt. Deutschland wird den Kampf nur gewinnen, wenn es mit der Qualität seiner Produkte und mit seinen Leistungen immer an der Spitze steht. Es ist klar, dass wir die Kostenfragen nicht vernachlässigen dürfen; aber das ist die zentrale Herausforderung. ({11}) - Zu Ihnen komme ich noch. Die Binnennachfrage ist nach wie vor schwach. Der Dreischritt, in dem ein Aufschwung in Deutschland klassischerweise abläuft, sieht folgendermaßen aus: erst die Steigerung des Exports, dann die Steigerung der Ausrüstungsinvestitionen und schließlich die Steigerung der privaten Nachfrage. Der erste Schritt hat voll geklappt. Zum zweiten und zum dritten Schritt ist zu sagen: Es gibt Hinweise auf ganz leichte Besserungen. ({12}) Es ist aber nicht zulässig, darauf bereits eine stabile Prognose zu gründen. Damit sollte man sehr vorsichtig sein. Das hat Konsequenzen zunächst einmal für die Entwicklung am Arbeitsmarkt und für die Steuern; denn sowohl der Indikator Arbeitsmarkt als auch der Indikator Steuern laufen der Konjunktur immer hinterher. Der Aufschwung wird im Wesentlichen vom Export getragen. Ein Problem dabei besteht darin, dass sich dies nicht so schnell auf die Mehrwertsteuereinnahmen auswirkt. Das erkennen wir sowohl anhand der Steuerschätzung als auch anhand der tatsächlichen Einnahmen. Beim Arbeitsmarkt gibt es vorderhand noch dieselbe Situation. Daraus sind Konsequenzen für die Finanzpolitik zu ziehen. Die Steuerschätzung im Mai hat gezeigt, dass es noch erhebliche Risiken gibt. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob die Steuerschätzung im Mai schon das letzte Wort war; wir werden es sehen. Ich bin da vorsichtig. Wegen der Steuereinnahmen, die nicht parallel zu dem genannten Aufschwung steigen, und der Entwicklung am Arbeitsmarkt werden wir in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt benötigen; das habe ich bereits im Mai gesagt. ({13}) Wir werden ihn so vorlegen, dass er in Kenntnis der Ergebnisse der Steuerschätzung im November verabschiedet werden kann. ({14}) Ich will ausdrücklich sagen: Es bleibt dabei, dass wir vor dem Hintergrund der nach wie vor schwachen Binnennachfrage in diesem Jahr keine zusätzlichen Sparpakete verabschieden werden, weil die Gefahr noch zu groß ist, dass das den Aufschwung im Inneren behindern würde. Deswegen lassen wir die automatischen Stabilisatoren wirken ({15}) und setzen alles daran, dass die Konjunkturentwicklung auch im Innern in Gang kommt. ({16}) Im Übrigen will ich gar nicht verhehlen, dass es Risiken in der Weltwirtschaft gibt. Es wäre gefährlich, sich darauf ausruhen zu wollen, dass wir eine so hervorragende Position im Weltmarkt haben. Ich nenne das Beispiel Ölpreis. Wir werden uns international darüber zu unterhalten haben, ob es zulässig ist und ob man etwas dagegen tun kann, dass die Verknappungen inzwischen auch spekulativer Art und gar nicht in den realen Märkten begründet sind. Ich glaube, es gibt gute Gründe, international - die G 7, die G 8, die G 20 und der Internationale Währungsfonds - über diese Fragen nachzudenken und nach Auswegen zu suchen. Diese Entwicklung macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das gilt auch für andere Rohstoffpreise. ({17}) Um es mit aller Härte zu sagen: Ich kenne das auch im Innern. Wenn man lange genug in Aufsichtsgremien - bis hin zu Stadtwerken - gesessen hat, weiß man, dass das im Windschatten der Weltwirtschaft von einer Reihe von Unternehmen zur Preistreiberei ausgenutzt wird. Das kann nicht hingenommen werden. Es muss klar sein, dass jeder eine Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung hat. ({18}) Die Europäische Zentralbank, die über die Stabilität unserer Währung zu wachen hat, hat erklärt: Wir können die Entwicklungen bei den Ölpreisen hinnehmen, wenn es keine Zweitrundeneffekte gibt. Das ist richtig. Dazu sage ich aber: Wenn es um Zweitrundeneffekte geht, dann schaut bitte nicht nur in Richtung Gewerkschaften, sondern auch darauf, was die Energiekonzerne im Moment an dieser Stelle machen. ({19}) Risiken - das sagte ich schon - gibt es eben in der Weltwirtschaft. Ich will hier nur die Stichworte Doppeldefizit der USA und Überhitzung der Wirtschaft in China nennen. Was uns nun wieder mit einer unglaublichen Brutalität vorgeführt wurde, ist die Frage: Kann der Terrorismus wirklich wesentliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Weltwirtschaft haben? Diese Frage können wir schwerlich beantworten; ich werde nachher darauf zurückkommen. Am Nobelpreisträgertreffen am vergangenen Wochenende am Bodensee haben auch Wirtschaftswissenschaftler teilgenommen. Das Ergebnis ihrer Beratungen war - ich kann das nur referieren -, dass sie alles in allem einen sehr optimistischen Ausblick auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und auch auf die Entwicklung Europas bzw. Deutschlands gegeben haben. Fazit dieser gegenwärtigen Situation: Wir müssen alles daransetzen, damit der Aufschwung auch bei der Binnennachfrage, dem zweiten Standbein, richtig in Gang kommt. Das bedeutet: Der Dreiklang aus Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen, mit dem wir mitgeholfen haben, dass wir aus der Stagnation herauskommen, muss ebenso für das Jahr 2005 gelten. ({20}) Das heißt, es wird keine Reformpause geben. Aber eines muss man klar machen - darüber diskutieren wir auch im internationalen Bereich -: Eine Reform ist noch nicht durchgesetzt, wenn sie der Gesetzgeber beschlossen hat, sondern dazu gehört sehr viel mehr. Das sehen wir gerade bei den Hartz-IV-Reformen. ({21}) - Natürlich. - Vielmehr stellt sich die Frage: Wie gelangt diese Einsicht in die Köpfe der Menschen und wie können wir diese Reformen in die Realität umsetzen? Dies erfordert manchmal sehr viel mehr Arbeit als nur die Gesetzgebung. ({22}) Im Zuge des ersten Teils meiner Rede, Fortsetzung der Strukturreformen, komme ich zu den Reformen am Arbeitsmarkt. Es bleibt dabei: Die höchste jahresdurchschnittliche und damit auch die höchste Arbeitslosenzahl insgesamt lag in 1997 bei 4,4 Millionen. Im Winter erreichte diese Zahl knapp 5 Millionen. Dass sich diese Zahl anschließend positiv entwickelte und sich erst in den drei Jahren Stagnation deutlich verschlechterte, wollen wir keinen Moment leugnen. Aber Sie eignen sich in dieser Frage ganz schlecht als Chefankläger; darauf komme ich an anderer Stelle noch zurück. ({23}) Die Arbeitsmarktreformen sind nicht, wie einige gesagt haben, eine Kapitulation im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie alleine können zwar nicht unbedingt Arbeit schaffen; aber sie bauen eine Brücke von der Arbeitslosigkeit zurück in die Beschäftigung. Dies geschieht unter der Überschrift von Fördern und Fordern. Beides - Fördern und Fordern gilt mit Nachdruck. Darauf, dass mit dem Fordern mehr Härte verbunden ist, als das in der Vergangenheit da und dort vielleicht üblich war, will ich nachher noch ein paar Sätze verwenden. Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe für die Arbeitsfähigen zu einer sozialen Grundsicherung für alle, die arbeitsfähig sind, ist ein im Wesentlichen von allen getragenes Projekt gewesen. Da das so ist, müssen bei der Umsetzung auch alle dazu stehen. Man darf nicht glauben, allein mit der Gesetzgebung sei das Problem schon gelöst. Vielmehr geht die Arbeit im Gespräch mit den Menschen weiter. ({24}) Langzeitarbeitslose schneller in Arbeit zu bringen ist die erste und wesentliche Zielsetzung. Ich kann übrigens aus meiner Zeit als Kommunalpolitiker sehr gut nachempfinden, was es mit dem Drehtüreffekt auf sich hat, bei dem sich der eine Kostenträger, die Kommune, und der andere Kostenträger, der Bund, die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger jeweils zugeschoben haben. Es ging in dem System gar nicht zuallererst darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, sondern sie in die Kostenträgerschaft des jeweils anderen zu verlagern. Das muss beendet werden. Das ist der grundlegende Konsens der Hartz-IV-Reformen. ({25}) „Schneller in Arbeit“ heißt, dass die Menschen eine ganz andere Betreuung erfahren werden. Das Verhältnis zwischen Betreuer und Arbeitslosen wird sich von 1 : 400 auf 1 : 75 verbessern, und zwar zuerst bei den unter 25-Jährigen. Man muss in diesem Zusammenhang den europäischen Vergleich heranziehen: Wir können mit einigem Stolz sagen, dass wir, was die Jugendarbeitslosigkeit betrifft, in Europa zu den Besten gehören. Es gibt zwei oder drei kleine Länder, die ein bisschen besser sind als wir. Alle anderen haben aber eine weitaus höhere Jugendarbeitslosigkeit als Deutschland. Ab dem 1. Januar werden - Wolfgang Clement hat darauf hingewiesen alle, die unter 25 Jahre alt sind, ein Angebot bekommen, entweder ein Ausbildungsangebot, ein Qualifizierungsangebot oder eine Trainingsmaßnahme. Das ist die konkrete Umsetzung der Arbeitsmarktreformen. ({26}) Wer das Angebot nicht annimmt, kann künftig freilich nicht in dem Maße auf die Unterstützung der Allgemeinheit setzen, wie er das in der Vergangenheit ohne weiteres getan hat. Beides gilt: Fördern und Fordern. Beim Ausbildungspakt leistet auch der Haushalt seinen Beitrag. Es geht darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Fördern heißt im Rahmen des Prinzips „Fördern und Fordern“ auch, zu helfen, dass die Menschen Qualifikationen erwerben, die es ihnen erleichtern, wieder in den Beruf zu kommen. Das heißt zum Beispiel, dass der Führerschein gefördert wird, wenn er notwendig ist, um eine Chance zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu haben. ({27}) Fördern und Fordern - bei Fordern geht es allerdings auch um die Zumutbarkeit. In diesem Zusammenhang möchte ich die angekündigte Bemerkung machen: Sie haben im Vermittlungsverfahren - genauso wie bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten - ordentliche Verschärfungen durchgesetzt, gegen die Herr Rüttgers, Herr Böhr, Herr Müller, Herr Milbradt und andere anschließend zu Felde zogen. Wir möchten das zwar nicht ändern, weil wir zu getroffenen Verabredungen stehen; aber so geht das nicht. ({28}) Wenn Sie etwas beschließen, müssen Sie auch dazu stehen. Sich anschließend aber in die Büsche zu schlagen oder sich sogar an die Spitze der Protestbewegung zu stellen, ist der Gipfel der Heuchelei. ({29}) Ich sage ausdrücklich, dass etwas geschehen musste. Es gibt nämlich Missbräuche. Wieso kommen eigentlich Lehrer aus Polen zur Weinlese in den Rheingau, wenn wir über 4 Millionen Arbeitslose haben? Wieso finden wir angesichts der Höhe der Arbeitslosigkeit keine Deutschen, die diese Arbeit machen? Das gilt auch für viele andere Bereiche: Arbeit schändet nicht und muss angenommen werden! ({30}) Praktiker haben uns auch auf Missstände im deutschen Mittelstand hingewiesen. Es gibt den Fall - ich möchte nicht falsch verstanden werden: das gilt nicht generell -, dass jemand seine Ehefrau für die Buchführung einstellt, anschließend entlässt, zum Arbeitsamt schickt und sagt: „Kassier du das Arbeitslosengeld.“ Die Buchführung macht sie trotzdem weiter. Das geht nicht. Steuerhinterziehung und Sozialbetrug können nicht akzeptiert werden. ({31}) Die Gesetzgebung muss so ausgestaltet sein, dass das klar ist. Vielleicht hat der zögerliche Rücklauf der Antragsformulare für das neue Arbeitslosengeld II in dem einen oder anderen Fall etwas damit zu tun, dass nun sichtbar wird, was sichtbar werden muss, oder damit, dass sich einige vom Bezug einer Leistung, die sie offenbar zu Unrecht bekommen haben, zurückziehen müssen. Natürlich ist richtig, dass allein auf diesem Weg keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Allein wenn die Vermittlung in die 300 000 offenen Stellen schneller erfolgen könnte, wäre etwas gewonnen und es würde ein kleiner wirtschaftlicher Impuls gesetzt. Allein wenn die Vermittlung etwas schneller ginge, wäre etwas gewonnen, weil nämlich Mittel eingespart würden und ebenfalls ein kleiner Impuls gesetzt würde. Wenn ein paar Menschen glauben, sie sollten sich doch etwas intensiver um Arbeit bemühen und sich nicht nur auf die Unterstützung der Allgemeinheit verlassen - diese Entwicklung können wir bei den Zeitarbeitsfirmen erkennen -, ist auch das ein Effekt, der - das sage ich ausdrücklich - gewollt ist. Die Gesetze sind gemacht. Sie wurden übrigens erst in der Sommerpause zu Ende gebracht. Der Appell richtet sich nun an die Bundesagentur für Arbeit und an alle Kommunen. Allen, insbesondere den bei der Umsetzung besonders geforderten Sozialdezernenten, egal ob es Sozialdemokraten, Christdemokraten, Grüne oder Liberale sind, sage ich: Macht euch jetzt alle daran, das umzusetzen! Das ist die größte Sozialreform, die wir je gemacht haben. ({32}) Sie ist schwierig und fordernd genug. Darum wollen wir gar nicht herumreden, auch nicht um die Ängste der Menschen. Es steckt aber im Gegensatz zu den öffentlichen Verlautbarungen mehr Positives als Negatives darin. Das muss man klar machen. Wir müssen die Kosten für den Arbeitsmarkt zurückführen. Das geht gar nicht anders angesichts der Zahlen, die ich vorhin genannt habe. Insgesamt stecken viel mehr Chancen in der Reform. Diese müssen wahrgenommen werden. Ich will bei dieser Gelegenheit eine kurze Bemerkung ({33}) zur Finanzsituation der Kommunen machen. ({34}) - Wir sind die ganze Zeit dabei. - Im Jahr 2005 werden wir durch unsere Initiativen, sowohl durch die Gemeindefinanzreform als auch durch Hartz IV und die dadurch garantierten Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro sowie durch das, was im Haushaltsbegleitgesetz des vorigen Jahres fortwirkt, eine Verbesserung der kommunalen Finanzsituation um 6,6 Milliarden Euro haben. Das ist in der Tat ein großes Wort. ({35}) Diese Entwicklung wird fortgeschrieben, sodass wir in den Folgejahren eine Entlastung von mehr als 7 Milliarden Euro haben werden. Das ist eine solide Basis, um das zu tun, was dringend getan werden muss und worauf ich jetzt kommen will. Wir müssen nämlich für die Betreuung der unter dreijährigen Kinder und für die Ganztagsschulen mehr machen. Es werden finanzielle Möglichkeiten geschaffen, die unter anderem dafür eingesetzt werden müssen. ({36}) So viel zur Arbeitsmarktreform. Das ist eine riesige Aufgabe, deren Umsetzung ansteht. Zur Rentenreform: Eines der Probleme unserer Gesellschaft ist, dass wir - das ist in diesen Debatten deutlich geworden - uns einigen Themen, die wir eigentlich kennen, in der öffentlichen Debatte lange Zeit nicht gestellt haben. Ich will keine einseitigen Schuldzuweisungen machen. Schauen Sie sich den demographischen Aufbau der Gesellschaft an. 1960 kamen 30 Rentner auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Jetzt sind es 44 Rentner, die auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter kommen. Mitte dieses Jahrhunderts werden es etwa 80 Rentner sein, die auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen, oder anders gesagt: 80 Rentenempfänger werden 100 Beitragszahlern gegenüberstehen. Daran wird die Dramatik deutlich, die in unserer Gesellschaft langfristig angelegt ist und kurzfristig überhaupt nicht geändert werden kann. Schauen Sie sich den Bundeshaushalt an. Ein Sechstel des Bundeshaushaltes ging 1960 als Zuschuss an die Rentenversicherung. ({37}) Heute ist es bereits ein Drittel. Wenn man weiterhin betrachtet, was mit Zinsen und Sozialausgaben passiert ist, dann sieht man die Notwendigkeit unserer Reformen. Es geht nicht darum, ob wir uns die Reformen leisten können; umgekehrt, wir können uns überhaupt nicht leisten, darauf zu verzichten, weil wir die Sozialausgaben nicht mehr bezahlen können. So einfach ist das. ({38}) Das muss man den Menschen mit aller Deutlichkeit sagen. Es liegt ein politisches Versagen darin, das, was man früher wissen konnte, nicht früher angegangen zu sein. Ich sage bei aller Selbstkritik, die der Bundeskanzler hier geäußert hat, nämlich dass diese Regierung in der ersten Wahlperiode vielleicht nicht genug getan habe: Immerhin haben wir die Haushaltskonsolidierung eingeleitet sowie Steuerreformen und eine Rentenreform gemacht. Aber 16 Jahre lang so gut wie gar nichts zu tun ist in der Tat nicht zu akzeptieren. ({39}) Deswegen ist die Konsequenz: Erstens. Die umlagefinanzierte Rente musste grundlegend reformiert werden. Mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors muss ihre Entwicklung nachhaltig gedämpft werden. Das heißt, dass wir im Jahr 2030 im Vergleich zum jetzigen Rechtszustand eine jährliche Entlastung von 20 Milliarden Euro haben, die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu zahlen haben und die sie wahrscheinlich gar nicht zahlen könnten, weil die Rentenversicherungsbeiträge so hoch wären, dass sie niemand mehr in dieser Volkswirtschaft verkraften könnte. Wenn die umlagefinanzierte Rente wegen der Demographie an Kraft verliert, dann müssen wir, wenn wir Altersarmut nicht wollen, die kapitalgedeckte private Vorsorge - steuerlich gefördert - für die Schwächeren daneben stellen. Das war eine richtige Entscheidung in der vorigen Wahlperiode. ({40}) Als Nächstes ist der Entwurf des Alterseinkünftegesetzes anzuführen, den wir gerade verabschiedet haben. Ich bin dankbar dafür, dass uns dies gemeinsam möglich war. Damit werden als dritte Stufe des gesamten Vorhabens die Beiträge zur Rentenversicherung und zur privaten Vorsorge bis 2025 Schritt für Schritt steuerfrei gestellt. Das bedeutet eine ordentliche Erleichterung für die nächste Generation, die schließlich genug zu tragen haben wird. Es heißt aber umgekehrt, dass dann, wenn die Vorsorge vollständig steuerfrei ist - das wird ab 2040 der Fall sein -, die Rente, wenn sie als Einkommen zufließt, versteuert werden muss. Das ist ein einfaches Prinzip, das so, wie wir es beschlossen haben, niemanden bedroht. Es ist in Wahrheit ein Steuerentlastungsprogramm; denn die Entlastung bei der Vorsorge ist stärker als die Belastung bei der Rentenbesteuerung. Der dritte Punkt ist die Gesundheitsreform. Dabei handelt es sich in der Tat - das will ich loben - um eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte; denn statt des 2 Milliarden Euro hohen Defizits im ersten Halbjahr 2003 ist nunmehr, nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform, im ersten Halbjahr 2004 ein Überschuss in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen; das ist ein Swing von 4,5 Milliarden Euro. Dafür will ich ausdrücklich meinen Dank aussprechen, ({41}) weil - darauf komme ich gleich noch zurück - der Finanzminister natürlich seinen Haushalt im Blick behalten muss. Da mir aber immer wieder das Maastricht-Defizit angelastet wird, will ich an dieser Stelle deutlich machen, dass es dabei nicht nur um den Bundeshaushalt geht, sondern auch um die sozialen Sicherungssysteme, die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte. ({42}) Dazu will ich mich zumindest äußern. Ich halte die Reformen in den sozialen Sicherungssystemen für dringend erforderlich. Die Gesundheitsreform ist ein gutes Beispiel dafür, auf welche Weise sie möglich sind. ({43}) Zum ersten Mal seit zehn Jahren befindet sich die gesetzliche Krankenversicherung in einer positiven Entwicklung. Die ersten Erfolge sind sichtbar. Es werden nicht nur Schulden abgebaut - auch das ist übrigens in entscheidendem Maße Maastricht-relevant -, sondern es sinken auch die Beiträge. 25 Millionen Versicherte sind schon in den Genuss von Beitragssatzsenkungen gekommen, die zwar noch klein sind, aber immerhin möglich wurden. Das ist ein großer Fortschritt im Zuge der Reformen, die vor eineinhalb Jahren vom deutschen Bundeskanzler im Rahmen der Agenda 2010 im Deutschen Bundestag angekündigt worden sind. Ich wiederhole: Auch das hat etwas mit Maastricht zu tun. Ich glaube, es war Herr Storm, der einmal gesagt hat, die sozialen Sicherungssysteme seien nicht dafür da, zur Lösung unseres Maastricht-Problems beizutragen. Sie lösen dieses Problem aber aus, wenn sie defizitär sind. Insofern dürfen sie keine Defizite aufweisen. So einfach ist das. ({44}) Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas zum Zahnersatz anmerken. Die Diskussion darüber finde ich ziemlich spannend. ({45}) - Ich bin die ganze Zeit beim Haushalt. Das werden Sie gleich merken. Einiges scheint Ihnen nicht ganz angenehm zu sein. Dafür habe ich zwar ein gewisses Verständnis, meine Damen und Herren, aber ich spare heute nichts aus. ({46}) Es geht offenbar um die gemeinsame Erkenntnis - anders kann ich Ihre Position nicht verstehen -, dass die Vorstellung, man könne das Problem mit einem gleichen Beitrag für alle und der Schaffung eines bürokratischen Monsters lösen, nicht zu verwirklichen ist. ({47}) Diese Einsicht scheinen inzwischen alle zu teilen, sonst würden Sie sicherlich an Ihrer Position festhalten. Obwohl es aber Ihre Erfindung war, wollen Sie sich damit nicht in der Öffentlichkeit präsentieren lassen. Dass Sie daraus die Konsequenz ziehen, gar nichts zu machen, zeigt, dass Sie, wenn es darauf ankommt, nicht in der Lage sind, die notwendigen Reformen für dieses Land durchzuführen. ({48}) Weder für den Haushalt noch für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die Rentenversicherung und die Senkung der Lohnnebenkosten kann die Konsequenz darin bestehen, die Reformen schleifen zu lassen. Notwendig ist vielmehr, was meine Kollegin Frau Schmidt vorgeschlagen hat, nämlich Zahnersatz und Krankengeld zum 1. Juli nächsten Jahres zusammenzuziehen und in der gesetzlichen Krankenversicherung zu lassen. Der Vorschlag sieht vor, dass die Versicherten auf der einen Seite 0,45 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen, aber auf der anderen Seite wird ihnen im nächsten Jahr eine Beitragssenkung von bis zu 1 Prozentpunkt gewährt. Das ist sowohl für die Unternehmen durch die Senkung der Lohnnebenkosten als auch für die Versicherten eine vernünftige Regelung. Deswegen muss dieser Vorschlag umgesetzt werden. Es ist nicht zu verantworten, dieses Vorhaben schleifen zu lassen. So kann man angesichts der Finanzlage nicht mit den notwendigen Reformen umgehen. ({49}) Wenn Sie an Ihrer neuen Linie festhalten, dann sollten Sie mir nicht sagen, dass wir nächstes Jahr beim gesamtstaatlichen Defizit wieder unter 3 Prozent kommen müssen. Der Zahnersatz und das Krankengeld sind Themen, die in diesen Zusammenhang gehören. Sie zählen zu den Problemen, die wir anpacken müssen, damit wir nächstes Jahr wieder unter 3 Prozent kommen. Wenn Sie den erzielten Konsens verlassen, dann haben Sie Ihren Beitrag dazu geleistet, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Das werden wir dann öffentlich sagen. ({50}) - Zur Tabaksteuer sage ich gleich gerne etwas. ({51}) Damit wieder ein bisschen Ruhe in die Diskussion kommt, rate ich dazu, keine Schnellschüsse zu machen, sondern es bei der momentanen Gesetzeslage zu belassen, insbesondere bei dem, was der Haushaltsausschuss fraktionsübergreifend beschlossen hat, nämlich im nächsten Jahr in Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung des jetzigen Jahres über mögliche Konsequenzen ergebnisoffen zu beraten. Ich denke, dass das der richtige Weg ist, den man an dieser Stelle gehen sollte. - So viel zu den anstrengenden Strukturreformen. Zweiter Punkt: zusätzliche Wachstumsimpulse. Klar ist - das habe ich schon zu Beginn meiner Rede gesagt -, dass Wachstum und Konsolidierung zwingend zusammengehören. Deswegen werden auch mit dem Haushalt 2005 Wachstumsimpulse erzeugt werden. Um es klar zu sagen: Die dritte Stufe der Steuerreform wird so umgesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Durch sie werden Bürger und Unternehmen 2005 und in allen Folgejahren um weitere knapp 7 Milliarden Euro entlastet. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Bemerkungen zu unserer Steuerreform machen, die seit 2001 in Kraft ist. Der Eingangssteuersatz, der 1998, also während Ihrer Regierungszeit, bei 25,9 Prozent lag, wird auf 15 Prozent im Jahr 2005 sinken. ({52}) Der Spitzensteuersatz, der Ihnen immer besonders am Herzen liegt, wird von 53 Prozent 1998 auf 42 Prozent im nächsten Jahr sinken. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages werden Haushalte und Unternehmen nunmehr jedes Jahr um 52 Milliarden Euro entlastet. Das ist in der Tat eine große Steuerreform, wie es sie zuvor niemals gegeben hat. ({53}) Wir haben auch den Körperschaftsteuersatz gesenkt und dafür gesorgt, dass der im Unternehmen verbleibende Gewinn steuerlich besser gestellt wird, um die Eigenkapitalbildung zu stärken. Hinzu kommt bei den Personengesellschaften die Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld. Auch dort wird also die Eigenkapitalbildung gestärkt. Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema Steuergerechtigkeit machen. Um es ganz konkret zu machen, welche Wirkung unsere Steuerpolitik auf die Einkommen der Menschen in diesem Land hat, möchte ich folgende Beispiele nennen: Ein lediger Arbeitnehmer - ohne Kinder, unter 50 Jahre, Steuerklasse I/0 - verfügte im Jahre 1998 über ein Bruttoarbeitseinkommen von 24 695 Euro. Er wird im Jahr 2005 über ein Bruttoeinkommen verfügen, das um 2 820 Euro höher liegt. Von diesen 2 820 Euro werden ihm 2 566 Euro belassen. Anders ausgedrückt: Sein verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben steigt von 60,2 Prozent während Ihrer Regierungszeit auf 63,3 Prozent im Jahr 2005. Dafür haben wir gesorgt. Wenn jemand etwas für die Erhöhung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer getan hat, dann waren wir das mit unserer Steuerreform. ({54}) Am Beispiel eines Arbeitnehmers, der verheiratet ist, zwei Kinder hat und Alleinverdiener ist, wird es noch sehr viel deutlicher - vielleicht werden Sie anschließend noch ein bisschen unruhiger -, für welche Entlastungen wir gesorgt haben bzw. sorgen werden. Das Bruttoarbeitseinkommen eines solchen Arbeitnehmers steigt von 1998 bis 2005 zunächst nur um 2 821 Euro. Aber sein verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben erhöht sich um 3 790 Euro, das heißt, dass er trotz eines höheren Einkommens quasi mit niedrigeren Steuern belohnt wird. Das liegt übrigens in erster Linie am Kindergeld. Das ist Familienpolitik, die wir wollen. ({55}) So sieht die Bilanz für die Durchschnittsverdiener aus. Wenn ich die Tabelle einmal dahin gehend betrachte, wie es für einen verheirateten Alleinverdiener mit zwei Kindern je nach der Größenordnung des Einkommens ausschaut - ich will das im Einzelnen gar nicht weiter ausführen -, dann stelle ich fest, dass die größten Entlastungen im unteren Einkommensbereich stattfinden und dass die Entlastungen mit steigendem Einkommen abnehmen. Dafür muss man sich nicht schämen; das ist vielmehr schlicht gerechte Steuerpolitik. ({56}) Ich möchte es noch an ein paar anderen Zahlen deutlich machen. Zunächst zur Einkommensteuer - sie ist die umverteilende Steuer -: Die oberen 10 Prozent zahlen 54 Prozent der Einkommensteuer, die unteren 50 Prozent ganze 9 Prozent. Auch das ist die Wirklichkeit. Übrigens, Sie waren strikt dagegen. Wir haben das durch den Abbau einer Fülle von Steuervergünstigungen gleich im Frühjahr 1999 erreicht. Sie haben das alles bekämpft. Dass wir das erreicht haben, war die Voraussetzung dafür, dass im oberen Einkommensbereich nicht einfach alles abgeschrieben werden kann. So sind auch die Bezieher höherer Einkommen, die - übrigens, ganz legal eine Fülle von Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen konnten, betroffen. Das wurde eingeschränkt, damit wieder ordentlich Steuern gezahlt werden. Das ist unsere Steuerpolitik. Sie richtet sich weniger gegen Sie - im Wahlkampf richtet sie sich manchmal auch gegen Sie als vielmehr gegen andere, die Falsches verbreiten. ({57}) Wer über die Einnahmeseite redet, der muss auch über den Steuerbetrug reden, Stichwort Umsatzsteuerbetrug. Wir arbeiten mit den Ländern seit Jahren an der Bekämpfung dieses Problems. Es wird auch mit Brüssel so schnell keinen Systemwechsel geben. Ein Systemwechsel bei der Umsatzsteuer würde - selbst wenn er mit Brüssel zu vereinbaren wäre - an einem nichts ändern: dass die Umsatzsteuer die betrugsanfälligste und mit dem höchsten Verwaltungsaufwand verbundene Steuer ist. Auch deswegen plädiere ich nachdrücklich dafür - dabei könnten die Länder eine ganze Menge mehr tun -, dass ebendieser Verwaltungsaufwand betrieben wird. Es geht nicht anders. Eine Steuerhinterziehung in Höhe von 20 Milliarden Euro - davon spricht das IfoInstitut - ist nicht hinnehmbar. ({58}) Auch mit Blick auf die Diskussion in der Föderalismuskommission sage ich hier ausdrücklich - ich finde die Initiative von der FDP, das auch hier wieder zur Sprache zu bringen, richtig -: Der Bund ist bereit, beim Vollzug dieser Steuer eine ganz andere Verantwortung zu übernehmen. Dabei sollte es nicht um Kompetenzfragen gehen; vielmehr sollte derjenige, der am ehesten in der Lage ist, den Vollzug so zu gewährleisten, dass der Umsatzsteuerbetrug ordentlich zurückgedrängt wird, die Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne sollten wir die Debatte führen. ({59}) Sie wissen, dass wir den Vorschlag, eine Bundessteuerverwaltung einzurichten, in die Kommission eingebracht haben. Ich will ausdrücklich sagen: Ich stehe dazu. Allein die Tatsache, dass wir Bundesgesetze beim Aufkommen von Zweifelsfragen in Bezug auf die Auslegung in über 100 Kränzchen, in denen Vertreter aller 16 Länder und ein Vertreter des Bundes sitzen, klären müssen - oft in einem mehrstufigen Verfahren -, ist ein schweres Hindernis. Wir müssen doch in der Lage sein, einem Unternehmen oder einem Privatmann innerhalb von Tagen zu sagen, wie unser Steuerrecht einzuschätzen ist, was also im Einzelfall genau gemeint ist. Wenn man 100 Kränzchen braucht, die zur Klärung solcher Fragen mehrere Tagungen abhalten, dann geht das nicht. Das geht am besten, wenn derjenige, der ein solches Gesetz erlässt, der Bundesgesetzgeber, autorisiert ist, Zweifelsfragen zu beantworten. Anders kann ich mir das auf Dauer überhaupt nicht vorstellen. ({60}) Wer über die Einnahmen redet, der muss auch über den Kampf gegen die Steuerhinterziehung an anderen Stellen sprechen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin froh, dass wir uns - auch wenn es nur ein erster Schritt ist - in der Europäischen Union auf die Besteuerung von Zinserträgen verständigt haben, dass wir uns darüber auch mit der Schweiz einig sind, dass die entsprechende Regelung in der Schweiz, in vielen assoziierten Gebieten und in anderen Drittländern zum 1. Juli nächsten Jahres in Kraft tritt. Ich mache mir aber keine Illusionen: Das ist erst ein Anfang. Anders geht es übrigens weder in Europa noch sonst wo in der Welt; man bekommt nie eine perfekte Lösung. Aber es wird weiter gehen; ich sage das mit allem Nachdruck. Wenn in diesem Herbst die G 20, die größten Industrie- und Schwellenländer dieser Erde, die zusammen über mehr als 90 Prozent des Bruttosozialprodukts der Welt verfügen, für sich selbst den OECDStandard beim Auskunftsaustausch in Steuerfragen für verbindlich erklären, dann wird damit ein großer Schritt im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung nach vorne getan. Es kann nicht hingenommen werden, dass es auf dieser Erde Steueroasen gibt, also Länder, die ihr Einkommen im Wesentlichen dadurch erzielen, dass sie den Steuerbetrug in anderen Ländern fördern. ({61}) Das darf nicht sein. So kann internationale Gemeinschaft nicht funktionieren. Wir alle können das nicht wollen. Denn was heißt das für die vielen ehrlichen Steuerzahler? Wenn sie ein solches Bild vermittelt bekommen, dann müssen sie doch am System zweifeln. Deswegen ist der grenzüberschreitende Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine unserer vornehmsten Aufgaben. Wir alle sollten uns daran beteiligen. ({62}) Dasselbe gilt im Kampf gegen die Schwarzarbeit. Ich weiß nicht, ob die Zahl von Professor Schneider richtig ist - wahrscheinlich weiß das niemand genau -; 15 oder 16 Prozent Schattenwirtschaft, das wären um die 350 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgabenquote von 36 oder 36,5 Prozent kämen dann über 100 Milliarden Euro an Steuern und Sozialbeiträgen nicht ein. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Den kann man nicht allein dadurch beseitigen, dass man die Steuern und Abgaben senkt - das tun wir ja schon -; es wird immer eine große Differenz bleiben zwischen einer ehrlichen Arbeit, bei der in die Sozialsysteme eingezahlt wird und Steuern entrichtet werden, und einer unehrlichen Arbeit, bei der weder Sozialbeiträge noch Steuern gezahlt werden. Deswegen müssen wir alle zusammen diesen Kampf im Interesse der ehrlichen Unternehmer und der ehrlichen Arbeitnehmer sowie im Interesse legaler Arbeitsplätze führen. ({63}) Ich bin froh darüber, dass sich nunmehr - da hat man bei den Wirtschaftsverbänden gezögert; das habe ich nicht verstanden -, ausgehend von Berlin und dem Bündnis für Regeln am Bau, eine Entwicklung republikweit vollzieht und dass es zu lokalen Bündnissen kommt, bei denen sowohl die Gewerkschaften als auch die jeweiligen Handwerksverbände bzw. Industrieverbände zusammenarbeiten; denn auch mit 7 000 Finanzkontrolleuren - das ist schon eine ordentliche Aufstockung - kann ich den Kampf gegen die Schwarzarbeit allein nicht bestehen. Die werde ich, wie ich immer gesagt habe, konzentriert dort einsetzen, wo der Missbrauch am größten ist, wo es um richtig organisierte Kriminalität geht; da ist zuallererst und mit Härte zuzufassen. Wir brauchen aber auch ein anderes Rechtsbewusstsein der Gesellschaft, damit dieser Sumpf ausgetrocknet wird. ({64}) Zum zweiten Teil zum Thema Wachstum: Innovationsoffensive. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer älter wird und immer weniger Kinder hat das ist doch das Problem; das Problem ist nicht, dass wir älter werden; das ist für uns alle ja schön; man muss sich nur einmal in der Runde umsehen ({65}) - das war ganz selbstkritisch gemeint; keine Angst! -; dass wir so wenig Kinder haben, ist das Problem - muss man sich überlegen, wie wir unsere Probleme bewältigen. Wir dürfen die öffentlichen Haushalte nicht mit immer höheren Schulden und damit Zinsen für früher aufgenommene Schulden belasten - so haben wir das Jahrzehnte gemacht; das versuchen wir ja zu ändern und nicht immer höhere Sozialausgaben fordern. Wir brauchen ein Feld für Zukunftsaufgaben. Das fängt bei den Kindern, bei den unter Dreijährigen, an. Wir haben zwar keine Zuständigkeit in diesem Bereich - das ist Gemeindesache -, aber wir haben gesagt: Wir entlasten die Kommunen bei Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro. Davon sollen sie nachhaltig 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen einsetzen. - Ich hoffe, dass nicht nur das Geld, sondern auch die Botschaft ankommt und das entsprechend umgesetzt wird. ({66}) Deswegen haben wir auch - ohne Zuständigkeit; das ist eine Zuständigkeit der Länder und Kommunen - das Ganztagsschulprogramm aufgelegt, das zu einem Erfolg wird. Die Leute fragen ja nicht: „Wer hat die Zuständigkeit?“, sondern: Wird das Problem in Deutschland gelöst? Wir können nicht damit zufrieden sein, wie unser Bildungswesen funktioniert. Die PISA-Studie zeigt das deutlich. Sie zeigt übrigens auch - das sage ich nun bewusst als Finanzminister -, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den eingesetzten Mitteln und dem Erfolg nicht gibt. Man wird die Priorität Bildung nicht ohne mehr Mittel erreichen können - das ist wohl wahr -, aber es besteht ja auch die Möglichkeit, Mittel schlecht einzusetzen. Deswegen sage ich allen: Denken Sie an so etwas, wie es Frau Kollegin Bulmahn mit den Juniorprofessoren an den Hochschulen erlebt hat! Das Neue macht es für den Nachwuchs an deutschen Universitäten interessanter. Das darf nicht im Gewirr des Föderalismus - um das deutlich zu machen: im Kompetenzgewirr - untergehen. ({67}) Wir sehen unsere Chance als ein rohstoffarmes Land gerade darin, mit besserem Denken, mit besserer Qualität unserer Produkte und unserer Erfindungen an der Spitze zu bleiben. Das heißt, dass dieser Bereich zu stärken ist. Das heißt dann übrigens auch, dass wir die Lissabon-Strategie ernst nehmen. Wir werden es zwar unter Umständen nicht bis 2010 erreichen, Europa zur wettbewerbsfähigsten Region der Erde zu machen, aber das Ziel ist richtig. Alle Länder der Europäischen Union sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, wir auch. So skeptisch der Finanzminister bei quantifizierten Zielen oft ist, was wohl verständlich ist: Wir haben uns das Ziel „3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung“ gesetzt. Wir müssen das dann auch erfüllen. ({68}) Das bedeutet: Wir müssen mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Das war die Ankündigung des Bundeskanzlers im Rahmen der Agenda 2010 am 14. März vergangenen Jahres. Wir haben einen Finanzierungsvorschlag unterbreitet: Da, meine Damen und Herren, wird es interessant. In einem gesättigten Wohnungsmarkt - ({69}) - Ja, wir kommen auch noch zu anderen Punkten, keine Angst. Aber auch dieser Punkt ist spannend; denn wenn ich mich richtig erinnere, stand in Ihrem Wahlprogramm 2002 noch drin, dass man die Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage aufheben sollte. Sie von der FDP sollten sich einmal zu Gemüte führen, was Sie da vorgeschlagen haben. ({70}) Ich sage Ihnen: Wer sein Haus selber bauen kann, braucht vom Staat und damit von der Gemeinschaft kein Geld dazu. So viel vorweg. ({71}) Aber wir haben ja ein anderes Problem: Zum einen machen wir Jahr für Jahr zu hohe Schulden, zum anderen muss mehr Geld in Zukunftsfelder investiert werden. Darüber besteht doch, wie ich glaube, kein Dissens; darin sind wir uns doch einig. Nun müssen wir aber auch sagen, woher das Geld kommen soll. Mich treibt um, dass wir das wenige Geld, das wir noch haben, falsch ausgeben, nämlich insbesondere für Subventionen von veralteten Strukturen statt für Investitionen in Zukunftsfelder. ({72}) Das kann so nicht bleiben. Deswegen sind Sie an dieser Stelle gefordert. ({73}) Ich bin übrigens bereit, dies in jeder Versammlung oder Diskussionsrunde zu vertreten. Zwar ist die Eigenheimzulage nicht unpopulär, aber die Menschen sehen ein, dass es angesichts des derzeitigen Wohnungsmarktes und der derzeitigen Finanzlage wichtiger ist, in die Betreuung und Ausbildung unserer Kinder zu investieren als in den Bau oder Umbau von Häusern. Das sehen sie ein, das begreift jeder Mensch und das müssen wir machen, meine Damen und Herren. ({74}) Im Übrigen wissen ja auch Sie, dass der Sachverständigenrat, die Bundesbank und alle Wirtschaftsforschungsinstitute davon reden, dass die Steuersubventionen weg müssen. Auch Sie tun das implizit. Sie haben ja schon gesagt, dass Sie bereit wären, diese Subvention aufzugeben, wenn denn Ihre Steuerreform käme. Aber mit diesem Verhalten jagen Sie einer Schimäre nach; denn Ihre Steuerreform kann aufgrund der damit verbundenen zusätzlichen großen Einnahmeausfälle in den nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden. Auch das ist angesichts der Lage dieses Landes die Wahrheit. ({75}) Folgen Sie doch der Einsicht, zu der Sie mittlerweile gekommen sind, und lassen Sie uns - Bund, Länder und Gemeinden - eine gemeinsame große Anstrengung für die Sicherung der Ausbildung unserer Kinder und für die Förderung von Forschung und Entwicklung, also zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, unternehmen. Das würde 2,5 Milliarden mehr für die Länder, 900 Millionen Euro mehr für die Kommunen und 2,5 Milliarden mehr für den Bund bedeuten, die wir nachhaltig - das baut sich ja im Laufe der Jahre weiter auf - in den weiteren Ausbau von Bildung und Forschung investieren könnten. ({76}) Zum Aufbau Ost: Wir verstetigen die GA Ost auf hohem Niveau; der Solidarpakt - auch dieses Geld muss ja erarbeitet werden - gilt bis einschließlich 2019. Bei der Gelegenheit möchte ich als Finanzminister etwas zu den Diskussionen sagen, die derzeit im Lande geführt werden. Auch ich bemühe mich bei Versammlungen im Westen wie im Osten darum, dass nicht neue Vorurteile und Gegensätze entstehen. Das müssen wir verhindern. Ich glaube aber, dass wir zu lange gezögert haben, die schlichten ökonomischen Fakten beim Namen zu nennen. Ein schlichtes ökonomisches Faktum können wir in diesem Jahr, in dem die anderen mittel- und osteuropäischen Reformstaaten der EU beigetreten sind - 15 Jahre, nachdem die DDR zur Bundesrepublik gekommen ist -, den Menschen leichter und besser nahe bringen: Die Länder, die jetzt beigetreten sind, bekommen von Brüssel maximal 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Hilfe, um ihren Aufbau voranzubringen. Wir transferieren jedes Jahr 4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes von West nach Ost. Das bedeutet, dass das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt zu einem Drittel aus Transferleistungen besteht. Das haben nicht die Menschen zu verantworten, die da leben, sondern das ist die Konsequenz der Wiedervereinigung, die so schnell kommen musste, weil wir eine Nation und ein Volk sind und sich die DDR gar nicht so lange wie die anderen Länder hätte aufrecht halten können, bis sie die Kopenhagener Beitrittskriterien - eine funktionierende Marktwirtschaft und wettbewerbsfähige Betriebe - erfüllt hätte. Beides hatte sie nämlich nicht. Die Folge davon aber war eine Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Die Konsequenz daraus, meine Damen und Herren - ich sage das ganz leise -, sind doch nicht blühende Landschaften innerhalb von wenigen Jahren und „aus der Portokasse bezahlt“, sondern ist, dass eine ganze Generation in Deutschland vor einer harten Herausforderung steht. Diese Tatsache kommt jetzt langsam in den Köpfen der Menschen an und sie sollte keine Zwietracht säen. Wir hatten bei unserer letzten Kabinettsklausur den schwedischen Ministerpräsidenten zu Besuch. Es war gut, jemanden zu hören, der einen Blick von außen auf unsere Situation wirft und sich auskennt. ({77}) - Er war nicht der Einzige. - Er hat gesagt: Was ist eigentlich mit euch los? Seid doch stolz auf die enorme Leistung, die ihr als Deutsche erbringt! - Das ist unsere gemeinsame Aufbauleistung in Deutschland! ({78}) Es ist klar, dass der Osten nicht immer noch mehr bekommen kann; das geht nicht. Ebenso ist klar, dass der Westen dem Osten die Solidarleistungen, die er für ihn erbringt, nicht neiden darf. Die Aufgabe besteht darin, mehr und mehr dahin zu kommen, dass - darüber muss mit Blick auf Gelsenkirchen und manche Gegend in Ostdeutschland eine vernünftige Debatte geführt werden nicht mehr nur zwischen Ost und West in Deutschland unterschieden wird, sondern dort, wo die Problemlagen die gleichen sind, auch gleiche Antworten gefunden werden. In dieser Weise muss Deutschland zusammenwachsen und darf nicht auseinander getrieben werden. ({79}) Deswegen sage ich in aller Ruhe zur PDS: Wer glaubt, man könne etwas gewinnen, indem man sich als ostdeutsche Partei gegen den Westen stellt, schadet uns allen. ({80}) Wir haben die gemeinsame Freude, dass die Mauer weg ist und dass alle in Einheit und Freiheit leben können, und wir haben die gemeinsame Aufgabe, die Probleme zu lösen. ({81}) - Wir können uns ja mal die Verhältnisse auf der kommunalen Ebene anschauen; da wird es richtig spannend. - Diese gemeinsame Aufgabe gehört genau wie die anderen Wachstumsfaktoren zum Wachstumsprozess dieses Landes. Damit komme ich zu Punkt drei, der Konsolidierung. Herr Austermann wird in seiner Rede nachher sicherlich darauf zu sprechen kommen und sich über die Schulden beklagen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen, Herr Austermann, sogar zu; auch mir sind die Schulden viel zu hoch. Ich wehre mich allerdings dagegen, dass Sie den Chefankläger spielen. In den Jahren Ihrer Regierungszeit nach der Wiedervereinigung betrug das jahresdurchschnittliche Defizit des Bundes 1,8 Prozent. In den fünf Jahren, die wir jetzt regieren, liegt das jahresdurchschnittliche Defizit des Bundes bei 1,5 Prozent. ({82}) Das Staatsdefizit insgesamt - Bund, Länder, Gemeinden und soziale Sicherungssysteme - lag in Ihrer Zeit bei jährlich 2,8 Prozent, in unserer Zeit liegt es bei jährlich 2,6 Prozent. Dabei habe ich sogar - was Sie wahrscheinlich nicht getan hätten - die UMTS-Erlöse herausgelassen. Wenn Sie diese hineinrechnen, vermindert sich das Defizit in unserer Zeit jahresdurchschnittlich um ein halbes Prozent. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Sie haben in all den Jahren im Schnitt mehr Schulden gemacht als wir und eignen sich deshalb überhaupt nicht zum Chefankläger; das ist blanke Heuchelei. ({83}) Ich bleibe dabei: Natürlich ist das Ziel ein ausgeglichener Haushalt. Natürlich sind dem Bundesfinanzminister alle Schulden zu hoch. Aber erstens gab es von 2001 bis 2003 eine wirtschaftliche Stagnation. Zweitens musste die Haushaltslücke so groß nicht sein. Das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen, das ich Ende 2002 vorgelegt habe, hätte eine Jahreswirkung von 17 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden gehabt. Im Bundesrat durchgehen lassen haben Sie gerade 2,4 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Um 14,6 Milliarden Euro könnte die Lücke kleiner sein, als sie ist. Deshalb machen Sie mir keine Vorwürfe im Zusammenhang mit den Privatisierungserlösen! Das akzeptiere ich nicht. ({84}) Wie gewaltig Ihr Mut war, haben wir im vergangenen Jahr beim Haushaltsbegleitgesetz gesehen. Wenn wir uns das Ganze jetzt einmal in Ruhe ansehen, stellen wir fest, dass die Wahrheit doch folgende ist: Wir haben seit 1999, seit der Auflegung des Zukunftsprogramms 2000, jetzt im sechsten Jahr in Folge einen Konsolidierungshaushalt vor uns. Hätten wir damals nicht damit begonnen, hätte das zur Folge gehabt, dass wir allein im Bund jedes Jahr 20 Milliarden Euro mehr Schulden hätten. Ich kann mich übrigens sehr gut erinnern, dass, als ich dieses Programm einleitete, jeder gesagt hat, das gehe gar nicht. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich sagen: Bei allem Streit, den wir auch mit dem Kollegen Rexrodt gehabt haben, hat es doch sehr viele faire Bemerkungen im Haushaltsausschuss gegeben. Als ich damals das 30-Milliarden-DM-Paket vorlegte, gab es von Herrn Rexrodt im Haushaltsausschuss die Bemerkung: Das schaffen Sie nie. Mehr als 15 Milliarden DM ist nicht drin. - Es war eine harte Arbeit. Es wurden - das will ich an die Adresse von Herrn Stoiber sagen; ich komme auf ihn gleich zurück - 7,5 Prozent bei allen beeinflussbaren Haushaltspositionen eingespart. Was ist die Konsequenz? Wir haben die Finanzhilfen an den Stellen, an denen wir selber entscheiden konnten und an denen der Bundesrat nicht blockieren konnte - an anderen Stellen hat er selbst angesichts Mehrheiten, die nicht eindeutig waren, manchmal blockiert -, um 50 Prozent auf 6 Milliarden Euro im nächsten Jahr gekürzt, sie also halbiert. Die Personalausgaben in 2005 liegen bei einem Gesamtvolumen von 27 Milliarden Euro nur um 400 Millionen Euro höher als im Jahre 1998, obwohl es in der Zwischenzeit Tarifsteigerungen gegeben hat, die kumuliert 11,3 Prozent ausgemacht haben. Wir beschäftigen im öffentlichen Dienst des Bundes heute deutlich weniger Menschen als die alte Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung. Das sind die Konsequenzen unserer Konsolidierungspolitik. ({85}) Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlandsprodukt ist von 12,1 Prozent im Jahr 1998 auf 11,5 Prozent in diesem Jahr zurückgegangen. Die Ausgaben sind insgesamt gleich geblieben. Es gibt nur eine Ausgabe, die gestiegen ist - sie macht praktisch die gesamte Steigerung aus -, und zwar die für den Arbeitsmarkt. Im Jahr 2000 betrugen die betreffenden Ausgaben 15 Milliarden Euro und im Jahr 2005 - das ist das Problem - sind es 29,6 Milliarden Euro. In dieser Zahl ist eine Hartz-Prämie enthalten, die später eingelöst werden kann. Wir haben eine konsequente Konsolidierung betrieben. Auf der Ausgabenseite haben wir wegen der Konjunktur das Arbeitsmarktproblem - deswegen gehen wir das Thema an - und auf der Einnahmenseite das Steuerproblem. Der Konsolidierungskurs war nicht nur ohne Alternative, sondern er war auch erfolgreich. ({86}) Deswegen bin ich jetzt sehr gespannt, was Sie zu dem Haushalt 2005 zu sagen haben. Wir haben im Haushalt 2005 - das ist nach Strukturreformen und Wachstumsinitiativen der dritte Teil - das konsequent fortgesetzt, was wir 1999 - die Wirkungen habe ich bereits geschildert eingeleitet haben. Die globale Minderausgabe von 2003 bei der Rente wird voll umgesetzt. Die noch schärferen Vorschläge von Koch/Steinbrück zum Subventionsabbau werden voll umgesetzt. In der Landwirtschaft wird das, worüber wir alleine entscheiden können und was Sie im vergangenen Herbst im Vermittlungsverfahren behindert haben, komplett umgesetzt. Ich komme gleich noch darauf zurück, weil dies eine pikante Variante hat. Allerdings gilt: Solange die Konjunktur nicht auf beiden Beinen - Export und Binnennachfrage - steht, wird es ein darüber hinausgehendes, zusätzliches Konsolidierungspaket nicht geben, weil es wachstumsschädlich ist und deshalb nicht zu verantworten ist. ({87}) Weil wir auf jeden Fall - das wird auch im Zuge der Haushaltsberatungen deutlich werden - Art. 115 des Grundgesetzes einhalten werden, indem wir nicht mehr neue Schulden machen, als wir für Investitionen ausgeben, brauchen wir Privatisierungserlöse in der Größenordnung von 15 Milliarden Euro. Die Privatisierungspolitik ist übrigens dieselbe wie zu Ihrer Zeit. Auch wir sind nicht gezwungen, an die Börse zu gehen. Wir werden es nur dann tun, wenn es im Hinblick auf die Kurspflege vernünftig ist. Es gibt ja die problemlose Parklösung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Da Ihnen die Neuverschuldung zu hoch ist - auch mir ist sie zu hoch -, muss ich Sie fragen: Warum haben Sie sich dem einzigen Instrument, das uns jetzt noch zur Verfügung steht, nämlich dem steuerlichen Subventionsabbau, immer in den Weg gestellt? Das ist doch das eigentliche Problem. Beklagen Sie nicht die Höhe der Privatisierungserlöse, wenn Sie andere Türen schließen! ({88}) Mir können Sie das jedenfalls nicht ans Bein binden. Ich will das in aller Klarheit sagen. Ein paar Risiken sind noch zu berücksichtigen. Es muss noch der Betrag in Höhe von 2,2 Milliarden Euro im Rahmen von Hartz IV erbracht werden. Dieser Betrag ergibt sich aus dem erhöhten Zuschuss an die Kommunen und aus der Auszahlung zum 1. Januar. Ich bin den Haushältern der Koalition sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht haben, dass sie den Haushalt passieren lassen und dass sie eigene Anstrengungen unternehmen - die Bundesregierung wird diese unterstützen -, damit wir diesen Betrag erbringen können. Das wird nicht einfach werden; es wird aber selbstverständlich geschehen. Natürlich müssen wir die Novembersteuerschätzung abwarten. Dazu will ich mich jetzt nicht weiter äußern. Dies hat im Moment keinen Zweck; das wäre Kaffeesatzleserei. Ich weise nur darauf hin, dass bisher in allen Prognosen davon ausgegangen wird, dass wir unser Wachstumsziel im nächsten Jahr erreichen. Es gibt sogar eine Reihe von Prognosen, zum Beispiel die des Internationalen Währungsfonds, in denen ein Wachstum von mehr als 2 Prozent vorausgesagt wird. Auf Ihre Reaktion - ich sagte es ja schon - bin ich nun gespannt. Herr Austermann, ich habe gehört - ich weiß nicht, ob es stimmt -, dass Sie auf der Bereinigungssitzung Einsparvorschläge in Höhe von 7,5 Milliarden Euro machen wollen. Das werden wir uns ansehen. Herr Stoiber hat einen anderen Vorschlag gemacht: In allen Bereichen soll um 5 Prozent gekürzt werden. Dieser Vorschlag von Herrn Stoiber kommt daher, dass er, nachdem er seine Haushalte bisher mit Privatisierungserlösen gespeist hat, dies zum ersten Mal nicht mehr kann, ({89}) weil er alles veräußert hat und nun wirklich einen Sparhaushalt vorlegen muss. In der Begeisterung über seinen Sparhaushalt übersieht er schlicht, dass wir mit der Konsolidierung bereits 1999 begonnen haben. Wenn man fair ist und in Ruhe darüber diskutiert, muss man zugeben, dass im sechsten Jahr des Sparens kaum noch Fleisch an den Knochen ist. Man wird hier und dort noch etwas finden, wenn man alles noch einmal durchwühlt; aber das ist nicht mehr viel. 5 Prozent über alles einzusparen bedeutet zum Beispiel beim Rentenzuschuss eine Kürzung um 4,2 Milliarden Euro. Das führt - um es gleich zu sagen - zu einer Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,4 Prozentpunkte oder zu einer Rentenkürzung um 2 Prozent. ({90}) Wollen Sie das? Glaubt irgendjemand nach dem, was wir dort gemacht haben, dass das ein vernünftiger Vorschlag wäre? Sie können ihn natürlich einbringen. Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie ihn nicht einbringen. ({91}) Bei der Bundeswehr würde eine Einsparung von 5 Prozent eine Kürzung um 1,2 Milliarden Euro bedeuten. Ich kenne doch Ihre Klagen, dass die derzeitigen Mittel nicht ausreichen. Bringen Sie den Vorschlag ein, die Mittel für die Bundeswehr um 1,2 Milliarden Euro zu kürzen? Bei den Verkehrsinvestitionen würde dieser Einsparvorschlag eine Kürzung um 1,16 Milliarden Euro bedeuten. Ich kenne doch die Klagen, die jetzigen Mittel seien nicht ausreichend. ({92}) Bringen Sie einen solchen Vorschlag wirklich ein? Schauen wir uns auch noch die landwirtschaftliche Sozialpolitik an; dieses Schmankerl kann ich Ihnen nicht ganz ersparen. Eine Kürzung um 5 Prozent würde ein Minus von 255 Millionen Euro über das hinaus bedeuten, was ich bereits vorgeschlagen habe. Im Vermittlungsverfahren des letzten Herbstes hat Herr Stoiber erklärt: Wenn in diesem Bereich auch nur 1 Cent gekürzt wird, ist das ganze Vermittlungsverfahren beendet. Jetzt schlägt er über meine Vorschläge, die er damals abgelehnt hat, hinaus vor, die Mittel für die Landwirtschaft zusätzlich um 255 Millionen Euro zu kürzen. Das wird aber eine Freude! ({93}) Es gibt einen Bereich, zu dem ich gleich sagen muss, es hat keinen Zweck, 5 Prozent einzusparen: Bei den Zinsen kann nicht gekürzt werden. Oder soll ich den Banken sagen, dass wir unsere Schulden nicht mehr bedienen? ({94}) Kurzum, ich bin auf Ihre Vorschläge sehr gespannt. Einer Sache bin ich ganz sicher: Die Vorstellungen von Herrn Stoiber werden bei diesen Vorschlägen - wie auch immer sie aussehen - nicht dabei sein. Wir werden uns also interessanten Haushaltsberatungen zuwenden. Wir werden die Lücke von 2,2 Milliarden Euro schließen. Wir werden alles daransetzen - das wird nicht einfach werden; ich habe Ihnen schon dargestellt, was Sie mit Ihren Versuchen beim Zahnersatz anrichten würden -, im nächsten Jahr wieder unter die 3 Prozent des Maastricht-Kriteriums zu kommen. Ich will bei dieser Gelegenheit etwas zu unserem Stand im Hinblick auf die Haushaltsentwicklung in der Europäischen Union bzw. in der Eurozone sagen. Sie versuchen, alles Deutschland anzuhängen. Wir machen es einmal ganz einfach: Wir sind in der Hochkonjunktur mit einem Defizit von 1,2 Prozent bzw. einem Defizit von 24 Milliarden Euro gestartet. Wir sind letztes Jahr bei einem Defizit von 3,8 Prozent gelandet. Das macht einen Swing von 2,6 Prozent. Mit anderen Worten: Unser Problem war nicht, dass wir in dieser Zeit nicht mit der Marge von 3 Prozent ausgekommen wären. Unser Problem war, dass wir in die Stagnation mit einem Defizit gestartet sind. Dies lasse ich aber nicht mir anhängen. Sie müssen einmal sehen, was wir von Ihnen übernommen haben. Als wir an der Regierung waren, haben wir die Konsolidierung sofort eingeleitet. Schieben Sie also die Schuld nicht anderen Leuten zu! ({95}) - Lafontaine hat in den Haushalt nur das hineingenommen, was Sie nicht angesetzt hatten, zum Beispiel die Postunterstützungskassen. Sie wissen es doch besser, Herr Dr. Meister! Eines ist interessant: Es gibt in Europa eine Fülle von Ländern, die alle im Hinblick auf das Defizitkriterium von 2000 bis 2004 eine Abweichung um mehr als 2,6 Prozent haben - ich lese sie Ihnen einmal vor -: die Niederlande, Großbritannien, Griechenland, Finnland, Irland, Luxemburg und Schweden. Sie alle weisen eine stärkere Abweichung als wir auf. Sie sind in der Regel aus einer besseren Position gestartet, das ist wahr. Hier lasse ich mir aber nichts ans Bein binden; denn es zeigt, dass die deutsche Finanzpolitik in diesen Jahren sehr vorsichtig gewesen ist. ({96}) Das ist auch die Grundlage unserer Diskussion. Mussten wir denn in Brüssel - den Satz von EU-Kommissar Almunia, wonach mehr ökonomische Logik in die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu bringen ist, unterstreiche ich - erst dann zu solchen ökonomischen Debatten kommen, nachdem die Hälfte der Länder der Eurozone jenseits der 3 Prozent lagen? Auch unsere verehrten Chefankläger in den Niederlanden sind inzwischen ganz freundlich geworden - wir haben sogar mit ihnen eine gemeinsame Position -, sie liegen nämlich bei über 3 Prozent, obwohl sie mit einem Plus gestartet sind. Ihre Abweichung liegt nicht wie unsere bei 2,6 Prozent, sondern bei 4,4 Prozent. Daran sehen Sie, dass die Sache ernst geworden ist. Auf europäischer Ebene wird nicht der Stabilitätsund Wachstumspakt infrage gestellt - das wäre auch ein fundamentaler Fehler -, aber es ist die Frage zu stellen: Ist das in erster Linie Juristerei oder Ökonomie? Wie schaffen wir es, in Europa wie in Deutschland zu Wachstum zu kommen, um mit Wachstum zu konsolidieren? Im geringen Wachstum liegt unsere Schwäche. Ausgabendisziplin und Wachstum sind die beiden entscheidenden Faktoren, uns und vielen anderen fehlt es am Wachstum, nicht an der Ausgabendisziplin. Deswegen ist diese Debatte sinnvoll und nützlich. Wir brauchen den Stabilitäts- und Wachstumspakt und wir brauchen eine vernünftige, ökonomische Anwendung dieses Pakts. Wir brauchen auch die Sanktionen aus diesem Pakt. Die zwingende Voraussetzung für Sanktionen ist aber, dass jemand bewusst gegen den Pakt verstößt. Das werden wir Deutsche aber nicht tun und das haben wir auch in der Vergangenheit nicht getan. Es findet eine vernünftige Debatte statt, die darüber hinaus das Ziel von Lissabon und das Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts miteinander vereinbaren muss. Wir brauchen eine konzertierte Strategie und nicht eine Strategie, bei der auf der einen Seite der Stabilitätsund Wachstumspakt und auf der anderen Seite die Lissabon-Strategie stehen. Ich sage daher auch an die Adresse der Kommission, sehr nachdrücklich: Wir brauchen selbstverständlich eine kohärente Politik der Kommission. Derjenige, der von uns verlangt, dass im Aufschwung - er verlangt das natürlich zu Recht - all das, was zusätzlich eingenommen wird, zum Abbau von Schulden eingesetzt wird - dazu bekenne ich mich, das haben wir beim Ministerrat verabredet, es ist ein gemeinsamer Beschluss aller -, kann nicht erwarten, dass sein eigener Haushalt exorbitant steigt. Das bedeutet, dass die Konsolidierungsstrategie im Zusammenhang mit der europäischen Solidarität und mit der Haushaltsstrategie der Europäischen Union gesehen werden muss. Das heißt, mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandseinkommens sind nicht drin. Für uns ist das schon eine Steigerung für 2013, denn der Beitrag wird von jetzt 21 Milliarden Euro auf dann 32 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Wachstumsrate, die der deutsche Haushalt nie haben wird. Die Vorstellung, dies noch einmal zu verdoppeln - das hieße, Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent bei der Zuweisung nach Europa zu akzeptieren -, ist nicht von dieser Welt, egal ob sie die Prodi-Kommission oder die Barroso-Kommission vertritt. ({97}) Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt - so war es bisher - einer Meinung sind. Das ist kein Aufkündigen der europäischen Solidarität. Das heißt nur - langsam werden sie in Osteuropa nachdenklich -: Solidarität besteht auch darin, dass diejenigen, die aufgrund eigener Anstrengungen und mit unserer Hilfe bisher wunderschöne Aufholprozesse erlebt haben, so beispielsweise die Spanier, die Portugiesen und die Iren, nun ihren Beitrag leisten und auf einen Teil der bisherigen Subventionen verzichten müssen. Subventionen dürfen nicht zur Gewohnheit werden; das gilt für Deutschland und für Europa. ({98}) Es wird eine interessante und ökonomisch vernünftige Diskussion. Es ist nur schade, dass wir dafür so lange gebraucht haben. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir weiß Gott große Herausforderungen zu bestehen haben und in der es so viel Unruhe im Land gibt wie schon lange nicht mehr. In dieser Situation haben wir es nötig und ergreifen die Chance, über die Herausforderungen, vor denen wir stehen, mit den Menschen zu diskutieren. Das geschieht zurzeit und immer mehr Menschen verstehen es. Wie ich schon am Anfang gesagt habe, können wir das aus einer Position großer eigener Gelassenheit und Stärke tun; denn wer sonst kann es schaffen, wenn nicht wir? ({99}) - Ja, wer sonst? Ich will Ihnen zum Schluss zwei Zitate von der Tagung der Nobelpreisträger, die am Wochenende am Bodensee stattgefunden hat, vorlesen. Reinhard Selten, der deutsche Nobelpreisträger, sagte wörtlich: Mich hat beeindruckt, dass bei einer Befragung unter Spitzenmanagern Deutschland als einer der besten Standorte herauskam. Sagen wir das doch endlich einmal wieder laut, von welcher Position aus wir unsere Herausforderungen meistern! ({100}) Deswegen sage ich: Wer, wenn nicht wir. Warum eigentlich führen wir in immer kürzeren Abständen Weltuntergangsdiskussionen? Das ist ein Schaden für sich. Meine Kollegen Finanzminister, die auch die deutsche Presse lesen, fragen mich - wie auch JeanClaude Juncker - bei Treffen immer: Was ist eigentlich bei euch los? Was ist das für ein Land, das auf der einen Seite so stark ist, wie uns das Göran Persson gesagt hat, auf der anderen Seite aber so selbstquälerisch diskutiert? Robert Mundell, der amerikanische Nobelpreisträger, sagte auf Europa bezogen wörtlich: Die EU hat die Währungsunion verwirklicht, nun ist die politische Union ihr Ziel. Auch das wird sie erreichen. Europa wird in großartiger Form sein. - Das sagt ein Amerikaner. Wir sagen oft, Europa sei nicht so erfolgreich wie die USA. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf genauso stark oder stärker gewachsen als in den USA. Nur hat die Bevölkerung nicht im gleichen Maße zugenommen, deshalb expandiert die europäische Wirtschaft absolut gesehen nicht so schnell wie die amerikanische. Das ist das Urteil des amerikanischen Nobelpreisträgers. Meine Damen und Herren, wir können viel kritisieren, aber bitte lassen Sie uns diese Debatte in dem Bewusstsein führen, dass wir ein starkes Land sind, das vor großen Herausforderungen steht, und nicht, dass wir ein Land am Rande des Abgrundes sind. ({101})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU-Fraktion. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Es ist geradezu absurd, dass wir jetzt eineinviertel Stunden lang eine Haushaltsrede des Bundesfinanzministers gehört haben, die das Thema „Situation des Haushalts, Perspektiven des Finanzplans für die Zeit ab 2005“ überhaupt nicht tangiert hat. ({0}) Man hatte vielmehr den Eindruck - das wurde auch in dem äußeren Auftreten deutlich -, dass er sich mit seiner Rede an diese gelangweilten und gescheiterten Frohnaturen, die eben noch hier gesessen haben, gerichtet hat. Der Finanzminister hat immer nach rechts geschaut. Ich vermute, der Kanzler hat ihm vorher gesagt: Hans, wenn du über den Haushalt redest, fliegst du gleich raus. ({1}) Deshalb hat er gesagt: Ich halte mich zurück und warte noch ein bisschen. Die Situation ist ziemlich klar. Herr Eichel, Sie werden es nicht erreichen, dass ich alle die Themen, die Sie haben, aufgreife. Ihre Rede war ein ausgesprochener Themensalat, aber nichts davon hatte mit dem Haushalt zu tun. Ich möchte dennoch einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie gesagt haben: Sie werfen uns vor, wir hätten eine Fülle von Maßnahmen verhindert, und deswegen hätten Sie nicht sparen können. Ich lese Ihnen einmal aus dem Protokoll des Vermittlungsausschusses vom letzten November vor. Danach haben Sie Kürzungen in einer Größenordnung von 24,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Gemeinsam getragen wurden Kürzungen in Höhe von 22,7 Milliarden Euro. Lediglich Kürzungen in Höhe der verbliebenen Differenz wurden von uns aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mitgetragen. Jetzt zu sagen, wir hätten Ihre Sparmaßnahmen blockiert, ist geradezu aberwitzig. Wir haben bei der Kürzung der Eigenheimzulage mitgemacht. Erzählen Sie doch nicht den Quatsch, hier sei nichts verändert worden. Ich nenne nur die Entfernungspauschale und die im Rahmen des „Korb II“ durchgeführten Änderungen bei der Tabaksteuer und einer ganzen Reihe sonstiger Steuern. Auch bei der Umsetzung des Koch/Steinbrück-Papiers haben wir mitgemacht. Die Liste dieser Sparvorschläge kam ja nicht aus Ihrem Haus, sondern von den Ministerpräsidenten. Aber wie sehen die Konsequenzen des Koch/Steinbrück-Papiers aus? Das, was darin zum Thema Kohle beschlossen worden ist, haben Sie ignoriert. ({2}) Sie haben weiterhin Hunderte von Millionen Euro in diesen Bereich gesteckt und mittelfristig ein Programm in Höhe von über 16 Milliarden Euro als zusätzliche Hilfe für die Kohle aufgelegt. Erzählen Sie uns also nicht, wir seien zum notwendigen Subventionsabbau nicht bereit und hätten die Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorgesehen haben, nicht verantwortet. ({3}) Herr Eichel, wenn ich das, was Sie zum Haushalt gesagt haben, richtig werte, dann komme ich zu folgendem Schluss: Sie haben zu wenig Geld und Sie geben es auch noch falsch aus. Alles andere, was Sie gesagt haben, hatte mit dem Haushalt im Wesentlichen nichts zu tun. Herr Eichel, lassen Sie mich, auch wenn die Vergangenheit für Sie sicherlich nicht hilfreich ist, auf das Jahr 1998 Bezug nehmen: Im Jahre 1998 betrug das gesamtstaatliche Defizit 2,2 Prozent und es gab steigende Beschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlen und sprudelnde Steuereinnahmen. Das hat den Bundeskanzler, der damals noch Kanzlerkandidat war, veranlasst zu sagen: Dies ist mein Aufschwung. Herr Eichel, was haben Sie daraus gemacht? 1998 war Deutschland wie ein intaktes Auto mit intaktem Motor, gewissermaßen ein Superfahrzeug. ({4}) Sie haben gleichzeitig Gas gegeben und die Bremse getreten und dadurch den Motor ruiniert. Jetzt wundern Sie sich, dass das Fahrzeug nicht mehr so gut fährt und stottert. Genau das ist die derzeitige Situation. ({5}) Um das angesprochene Beispiel mit dem Nobelpreisträger aufzunehmen: Wenn hier im Hause jemand einen Nobelpreis verdient hätte, wären Sie es: wegen Schuldenmachens. ({6}) In dieser Hinsicht sind Sie in der Tat ungeschlagene Spitze. ({7}) Nun komme ich zu den konkreten Zahlen des Haushaltes und zur tatsächlichen Situation in Deutschland. Damit reden wir unser Land nicht schlecht. Niemand hat daran Interesse. Aber man muss die Situation so beschreiben, wie sie ist: Wir befinden uns in der größten Haushalts-, Finanz- und Arbeitsmarktkrise seit 1949. Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Eichel, vorgelegt haben, verschärft diese Krise. Als Basis für gemeinsame Gespräche ist er ungeeignet. Deswegen sagen wir: Nehmen Sie diesen Haushaltsentwurf zurück und legen Sie einen neuen vor. Besser wäre, wenn ein anderer Finanzminister einen neuen Entwurf einbringen würde, damit ein Papier vorgelegt wird, über das man streiten und entscheiden kann. Jetzt möchte ich zusammentragen, wie die Situation bis Ende 2005 tatsächlich aussieht, wenn dieser Haushalt gegolten haben wird. 2005 befinden wir uns sechs Jahre nach der Übernahme der Regierung durch Rot-Grün und zwei Jahre vor dem Ende der rot-grünen Regierungszeit. ({8}) Wir befinden uns Ende 2005 in einer Situation, in der Sie neue Schulden in Höhe von 150 Milliarden Euro gemacht haben werden. Der Schuldenstand wird auf 890 Milliarden Euro angestiegen sein. Darüber hinaus haben Sie Bundesvermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro verscherbelt. Wenn ich die neuen Schulden von 150 Milliarden Euro und das verscherbelte Bundesvermögen von 100 Milliarden addiere, entspricht das Vermögen, das Sie verbrannt haben - 250 Milliarden Euro -, exakt der Dimension des Bundeshaushaltes für ein ganzes Jahr. Dies ist in der Tat kein Beweis für eine nachhaltige Politik, die Sie von Rot-Grün - vor allem die Grünen - immer wieder anmahnen. Diese Situation spüren auch die Bürger in unserem Land an vielen Stellen. Die Reallöhne stagnieren auf dem Niveau des Jahres 1991. Die Sozialhilfeausgaben sind seit 1998 um 3 Milliarden Euro gestiegen. 1,2 Millionen Kinder leben von der Sozialhilfe. Unter Rot-Grün ist Deutschland ärmer geworden. Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mit Abstand der größte Schuldenmacher und Vermögensminderer, der in der Nachkriegszeit in Deutschland tätig geworden ist. Man kann ganz grob sagen: Überall dort, wo RotGrün regiert, ist die Situation gleich. Wo Rot-Grün regiert, ist die Pleite programmiert. Das könnte ich auch auf Schleswig-Holstein beziehen; denn hier gibt es Parallelen. Man muss bloß ein Fernglas nehmen, es umdrehen und die entsprechenden Zahlen vergleichen. Dann stellt man etwa die gleiche Situation fest. Rot-Grün bleibt Rot-Grün, ob in Kiel oder Berlin. Nur ein Unterschied ist: Die Zahlen für Kiel sind ein Dreißigstel der Zahlen für den Bund. Bei den geplanten Schulden wurde zu Beginn des Jahres ein Betrag x angegeben; am Ende des Jahres kam der doppelte Betrag heraus. Die Investitionen sinken ständig. Der Haushalt ist drei Jahre hintereinander verfassungswidrig. Die Investitionen schrumpfen. In 16 Jahren wurden in Schleswig-Holstein unter Frau Simonis und ihrem Vorgänger mehr Schulden gemacht als in den 39 Aufbaujahren der von der CDU geführten Regierungen in Kiel. Herr Eichel, die neuen Schulden, die Sie in diesem Jahr machen, reichen aus, um jeden Schleswig-Holsteiner mit einem neuen Golf-Fahrzeug zu versehen: 45 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr! Alleine die Zinsen auf die Schulden, die Sie seit 1998 gemacht haben, decken das gesamte Ausgabenvolumen des Kieler Landesetats ab. Dass es auch besser geht, zeigt übrigens das Saarland. Sie können daran sehen: Wo die Union regiert, läuft es besser. Das Saarland hatte früher die rote Laterne, unter Lafontaine - die Älteren werden sich noch an ihn erinnern -, inzwischen ist diese rote Laterne abgegeben worden und Schleswig-Holstein hat sie. Wir werden das in Schleswig-Holstein ab 2005 ändern. ({9}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf 2005 ist der Inbegriff des Scheiterns rot-grüner Haushalts- und Finanzpolitik: Er ist offensichtlich verfassungswidrig, verstößt gegen die Maastricht-Kriterien, ist ohne Perspektive, enthält keine Konsolidierung, bedeutet eine Überforderung künftiger Generationen, ist wachstumspolitisch kontraproduktiv und finanzpolitisch unsolide. Er enthält eine Fülle von Risiken, die nicht verarbeitet worden sind. Wie kann man hier einen Haushaltsentwurf vorstellen und gleichzeitig sagen: „Ich weiß, dass verschiedene Ausgaben nicht eingeplant und dass verschiedene Einnahmen zu hoch angesetzt worden sind“? Ich rechne Ihnen das bei Hartz IV einmal vor: Da fehlen 5 Milliarden Euro. Sie haben zunächst entgegen dem beschlossenen Gesetz den Arbeitslosenhilfe-Empfängern die Januarzahlung verweigern wollen - 1,9 Milliarden Euro -; Sie haben den Gemeinden etwas versprochen, was Sie im Haushalt nicht vorgesehen haben - 1,4 Milliarden Euro -; Sie haben nicht berücksichtigt, dass für mehr Leute Eingliederungsgeld erforderlich ist - das macht 700 Millionen Euro -, und Sie haben nicht bedacht, dass unter Ihrer Regierung die Zahl der Langzeitarbeitslosen leider nicht statisch ist oder zurückgeht, sondern dass sie ständig steigt. Insgesamt fehlen alleine bei Hartz IV 5 Milliarden Euro. Es fehlen darüber hinaus etwa 5 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt. Es fehlen Mauteinnahmen: Mit Sicherheit kommen die 3 Milliarden Euro im nächsten Jahr wie in diesem Jahr nicht zusammen. Der mit 3,5 Milliarden Euro angesetzte Bundesbankgewinn dürfte utopisch sein. 2 Milliarden Euro aus dem ERP-Sondervermögen - darüber müssen wir noch einmal reden. Eine Reihe von Detailentscheidungen sind offensichtlich von vornherein kontraproduktiv für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Schauen wir es uns doch einmal an: Der Verkehrsetat sinkt ständig. Ursprünglich sollten einmal 3 Milliarden Euro aus Mauteinnahmen draufgelegt werden - mehr für Schiene, Straße und Wasserstraße. Was ist tatsächlich passiert? Sie haben die Mittel gekürzt, weil die Mauteinnahmen ausblieben, sodass heute nur noch 75 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen. Der im Juni beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist Makulatur. Lassen Sie mich auch etwas zur Förderung in den neuen Bundesländern sagen, Herr Eichel. Sie haben das Thema Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“ leider nicht angesprochen. Deshalb muss ich es tun. Die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur lag im Jahre 1998 um 1 Milliarde Euro höher als heute. Sie ist mehr als halbiert worden. Das bedeutet, in den neuen Bundesländern können Anstöße für die wirtschaftliche Entwicklung, für Betriebserweiterungen überhaupt nicht mehr in dem Umfang gegeben werden. Sie haben, über Koch/Steinbrück hinaus, auch noch die Mittel für dieses Jahr bis Mitte des Jahres gänzlich gesperrt und damit nur einen Teil zur Verfügung gestellt. Milliardeninvestitionen in den neuen Bundesländern liegen heute auf Eis und können nicht umgesetzt werden, weil Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur“ brutal zusammengestrichen haben. Wenn ich dann noch sehe, dass die Bundesagentur für Arbeit in gleicher Weise bei den Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik vor allen Dingen in den neuen Bundesländern kürzt - und das mit Ihrer Unterstützung -, kann ich nur sagen: Pfui Deiwel, was hier in den neuen Bundesländern gemacht wird! ({10}) Während Sie das tun, wird gleichzeitig ein erheblicher Betrag für die Kohle zusätzlich draufgesattelt. Ich habe die Größenordnung genannt: Über 16 Milliarden Euro zusätzlich bis zum Jahre 2003. ({11}) - 2013, vielen Dank. - Und dann reden Sie von einer Innovationsoffensive. Wenn man sich das anschaut, stellt man fest: Da wird ein kleiner Kleckerbetrag zusätzlich bereitgestellt, unter der Voraussetzung, dass wir einer weiteren Kürzung der Eigenheimzulage zustimmen wie im Haushalt ja überhaupt viele Dinge voneinander abhängig gemacht werden, damit man hinterher gar nicht mehr weiß, woran es gelegen hat, wenn etwas kassiert wird. ({12}) In der Tat wird im Etat für Forschung im Jahr 2005 weniger Geld für Innovation bereitgestellt. Und das nennen Sie Innovationsoffensive! In der Semantik waren die Roten immer groß, in der Realität haben Sie immer versagt. ({13}) Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat die größte Wachstums- und Beschäftigungskrise im Land zu verantworten. Dass wir jetzt nur ein Miniwachstum zu verzeichnen haben, ist das Ergebnis von sechs Jahren wachstumsfeindlicher Politik. Dass es auch anders geht, sehen wir in vielen Industrienationen. Dass der Export brummt, beweist im Grunde genommen nur, dass es alle Länder um uns herum, die unsere exportierten Waren kaufen, wesentlich besser können. Sie sind in bescheidenem Maße gewissermaßen ein Trittbrettfahrer der Weltwirtschaft. Wie wir wissen, führt das allerdings nicht dazu, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Es gibt gewissermaßen „jobless growth“, das heißt, eine sinkende und keine steigende Beschäftigung. Bei den Steuereinnahmen ist es genau das Gleiche. Einen Aufschwung können Sie aus der Bilanz, die Sie heute vorgelegt haben, nicht entnehmen. Die Steuereinnahmen stagnieren bestenfalls und die Beschäftigung sinkt. Das macht in der Tat große Probleme. Es gibt in letzter Zeit 600 000 Beitrags- und Steuerzahler weniger. Jeder kann sich vorstellen, was das auch für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet. Die Zahl der Firmenpleiten wird in diesem Jahr ein neues Rekordniveau erreichen. Der Stillstand dauert seit drei Jahren an. In diesem Jahr wird die Neuverschuldung des Bundes zum dritten Mal hintereinander die Verfassungsgrenze übersteigen und die Maastricht-Kriterien verletzen. Herr Eichel, Sie werden verstehen, dass ich Aussagen, die Sie einmal gemacht haben, zitiere, auch wenn man sagen kann, dass Sie die Rede, die Sie heute gehalten haben, auch vor einem, zwei oder drei Jahren hätten halten können. Das, was Sie mit Blick nach vorne gesagt haben, war relativ dürftig und ist im Übrigen auch in der Vergangenheit schon nicht eingetreten. Ende 2001 haben Sie gesagt: Auf jeden Fall werden wir unter der Grenze von 3 Prozent bleiben. Wir werden den Stabilitätspakt auf Punkt und Komma einhalten, allenfalls nicht, wenn der Himmel einstürzt. ({14}) Man hat den Eindruck, der Himmel sieht ziemlich verbeult aus. Er ist schon dreimal eingestürzt - the same procedure as every year. Der regelmäßige Einsturz des Himmels gehört offensichtlich zur Routine von RotGrün. Sie haben den Marsch in den Schuldenstaat angetreten. Ich habe darauf hingewiesen, wie groß die Schulden sind, die Sie uns hinterlassen werden. Sie wollen die Investitionsausgaben mittelfristig um 10 Milliarden Euro herunterfahren. Wir haben die niedrigste Investitionsquote der Nachkriegszeit. Die Substanz unserer Volkswirtschaft wird in rasantem Tempo aufgezehrt. Gleichzeitig wird die Staatsverschuldung mit zunehmender Geschwindigkeit in die Höhe getrieben. Am Jahresende werden gewaltige Beträge fehlen. Schauen Sie sich allein die Steuereinnahmen des Bundes in den ersten sieben Monaten dieses Jahres an. TeiDietrich Austermann len Sie sie durch sieben und multiplizieren Sie sie mit 13 - also einschließlich des Weihnachtsgeldes, wenn es denn noch gezahlt wird -, dann kommen Sie in diesem Jahr auf eine Lücke in einer Größenordnung von 18 Milliarden Euro. Das zeigt die ganze Dramatik der Entwicklung. Wir werden in diesem Jahr neue Schulden in Höhe von 45 Milliarden Euro - vielleicht sogar wesentlich mehr - statt geplanter 30 Milliarden Euro machen. Man muss die Fragen stellen, warum diese Entwicklung so eingetreten ist und warum das Geld eigentlich fehlt. Zum einen sind die konsumtiven Ausgaben gestiegen. Für die Rente geben wir gegenüber 1998 50 Prozent mehr aus. Leider kommt das wegen der unberechenbaren Rentenpolitik nicht bei den Rentnern an. Daneben wird der Umsatzsteuerbetrug nicht entschlossen bekämpft. Die großen Körperschaften wurden dadurch belohnt, dass der Staat jahrelang praktisch auf Steuereinnahmen verzichtet hat. 2001 und 2002 wurde keine einzige Mark bzw. kein einziger Euro an Körperschaftsteuer eingenommen. Das in den 90er-Jahren übliche Körperschaftsteueraufkommen ist bis heute auf ein Drittel geschrumpft. Vor allen Dingen das macht deutlich, weshalb Geld fehlt. Geld fehlt natürlich auch, weil es kein Wachstum gibt. Geld fehlt wegen des tölpelhaften Vorgehens bei der Maut. Geld fehlt, weil der Staat nicht investiert, weder in den Verkehr noch in die Forschung. Geld fehlt wegen der immer höheren Steuerbelastung. Es ist schon aberwitzig, dass sich Einzelne in der Regierung, die 1998 mit dem Vorsatz angetreten sind, den Menschen das Autofahren zu verübeln, jetzt darüber entrüsten, dass Energiekonzerne die Energiepreise nach oben treiben. Das muss doch genau die Politik sein, die Herr Trittin und Frau Künast immer wollten: ({15}) hohe Energiepreise, um eine entsprechende Entwicklung beim Autofahren zu erreichen. Derjenige, der in diesem Jahr 18,7 Milliarden Euro an Ökosteuer einkassiert, regt sich über die Energiekonzerne auf. Nach dem Rasen für die Rente und dem Rauchen für die Gesundheit können Sie den Leuten doch nicht deutlich machen, dass Ihre Energiepolitik beim Wachstum etwas zur positiven Entwicklung beiträgt. Genau das Gegenteil ist der Fall. ({16}) Meine Damen und Herren, die Steuern fehlen aber auch deshalb, weil die Politik den Steuerflüchtigen kein echtes, vertrauenswürdiges Angebot gemacht hat und weil es nicht gelungen ist, die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Das Volumen der Schwarzarbeit hat sich auf 16 Prozent des BIP erhöht. Von 1998 bis in dieses Jahr hinein ist das Volumen der Schwarzarbeit um 100 Milliarden Euro gestiegen. Wenn das, was heute in Deutschland an Schwarzarbeit geleistet wird, in legale Arbeit umgewandelt werden könnte, würden fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und die Sozialabgaben um 6 Prozent sinken. Noch einmal: Wenn es uns gelingen würde, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, gäbe es zusätzliche Arbeitsplätze für 5 Millionen Menschen. Dass Sie es nicht geschafft haben, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, lag auch an dem Zickzackkurs vom Ende letzten Jahres, der dann von uns in eine vernünftige Regelung korrigiert wurde. Es musste ständig neu überlegt und neu nachgedacht werden. Wenn sich meine Rechnung bestätigen sollte, steht im November fest, dass Deutschland nicht weniger, sondern mehr Reformen braucht. Sie haben die Reformen übrigens nur am Rande angesprochen. Ich gestatte mir, darauf hinzuweisen, dass der Bundeskanzler selbst gesagt hat: Es war ein Fehler, 1999 im Zusammenhang mit der Rente so gehandelt zu haben, wie man gehandelt hat. Er hat inzwischen auch eingesehen, dass es ein Fehler war, die Reformen im Gesundheitssystem zurückzunehmen. Er hat ebenso eingesehen, dass Sie an verschiedenen anderen Stellen entscheidende Fehler gemacht haben, beispielsweise bei den Sozialabgaben und den Steuern. Gleiches gilt für viele andere Reformen, die Sie gemacht haben und die in die falsche Richtung gingen. Die Menschen bei uns in Deutschland gehen auf die Straße, weil sie keine Perspektive haben. Sie haben das Problem, ihnen nicht vermitteln zu können, dass es in absehbarer Zeit wieder aufwärts gehen wird. Zudem müssen die Belastungen jetzt wesentlich schärfer ausfallen, weil man sechs Jahre verschlafen hat - Sie haben unsere richtigen Korrekturen nicht beibehalten -, die Entwicklung voranzutreiben. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, der unser Land in diese Schwierigkeiten gebracht hat: Alle vernünftigen Anstrengungen von uns haben Sie konterkariert und damit den Pfad in Richtung weniger Wachstum und Stagnation eingeschlagen. ({17}) Wir brauchen eine Entlastung bei den Kosten der sozialen Sicherungssysteme. Wir brauchen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Friedrich Merz hat dafür konkrete Vorschläge vorgelegt. Wir brauchen mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Wir brauchen Verbesserungen im Bildungssystem. Wir brauchen eine wachstumsorientierte Steuerreform und -vereinfachung. Auch dafür haben Friedrich Merz und unsere Präsidien Vorschläge vorgelegt. All das könnte man sofort übernehmen und anfangen. Man könnte sofort Schritte unternehmen, die Steuerlast in Deutschland zu senken. Dass es nicht funktioniert, immer höhere Steuern zu verordnen, sieht man am besten am Beispiel Tabaksteuer: Je mehr der Staat die Bürger auspresst, umso weniger Einnahmen kommen herein. Das war der falsche Weg. Deswegen sagen wir: Runter mit den Steuern! Wir brauchen einfachere und niedrigere Steuern. ({18}) Wir müssen bürokratische Investitionshemmnisse beseitigen. All das müssen wir aber heute machen und nicht erst in Jahren, nicht erst nach dem Regierungswechsel im Jahr 2005 in Schleswig-Holstein und 2006 in Berlin. Ich sehe das Problem, dass durch die massive Schuldenaufnahme und die rabiate Privatisierung im Jahre 2006 voraussichtlich kein Vermögen mehr vorhanden ist - es wird sozusagen verbrannte Erde hinterlassen -, welches für Investitionen eingesetzt werden und mit dem der Bund noch agieren könnte. Das nährt den Verdacht, dass Sie all das, was Sie im Jahr 2005 machen, nur tun, um die Landtagswahlen zu überstehen, dass Sie hier und dort noch ein bisschen schönfärben werden, weil unter anderem die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor der Tür stehen, um dann - nach dem Motto: nach mir die Sintflut! - im Jahre 2006 den Offenbarungseid zu leisten. All das ist nicht neu. Das kennen wir von Ihnen und haben es überall dort gesehen, wo Sozialdemokraten regieren. Sozis können einfach nicht mit Geld umgehen. ({19}) Mit dem eigenen Geld können Sie schon umgehen, wie man an der Abwanderungstendenz Einzelner aus den Ministerien sieht, aber nicht mit dem Geld der Bürger. ({20}) Im Jahr 2005 verscherbelt die Bundesregierung Bundesvermögen. Das heißt, sie deinvestiert. Damit wird erneut das Maastricht-Kriterium verletzt. Sie haben auf den europäischen Vertrag Bezug genommen, Herr Eichel. Wir werden 2005 das einzige Land in Europa sein, das das Maastricht-Kriterium nicht einhält. Alle anderen Länder haben es geschafft, aus einer schwierigen Situation heraus in eine bessere Lage zu kommen; wir nicht. Sie haben mit Blick auf die Verschuldung erklärt, die schleichende Vergiftung fortzusetzen habe unser Land nicht verdient. Ich kann nur sagen: Diese Regierung und dieses Handeln hat das Land nicht verdient, weil es bedeutet, dass die EU-Kommission früher oder später aus diesem Handeln die Konsequenzen ziehen wird. Der IWF hat Sie dazu aufgefordert, endlich mit dem Sparen zu beginnen. Wie kann man vom Konsolidieren reden, wenn die Ausgaben des Staates ständig weiter in die Höhe gehen? Maßgeblich ist nicht das, was Sie zu Beginn eines Jahres oder Mitte des Vorjahres als Entwurf vorlegen. Wenn wir das an dem messen, was davon Ende des Jahres übrig bleibt, müssen wir ständig weitere Ausgaben unterstellen, und zwar vor allem im konsumtiven Bereich und nicht bei den Investitionen. Das ist die falsche Entwicklung. Herr Eichel, Sie sind nicht der Retter, sondern der Totengräber der Bundesfinanzen. ({21}) Das Problem ist, dass die Entwicklung der nächsten sechs Jahre in die falsche Richtung geht. Das strukturelle Defizit wird in den nächsten Jahren 40 Milliarden Euro betragen. Wenn man nicht sofort massive Einschnitte, Haushaltssicherungsmaßnahmen und Haushaltsbegleitgesetze, vorsieht, werden wir auf absehbare Zeit über die von Ihnen geplanten 20 Milliarden Euro Schulden hinausgehend bis zum Jahre 2000-X weitere 20 Milliarden Euro Schulden machen müssen, um überhaupt den Konsum der Regierung bezahlen zu können. Das ist eine schlimme Entwicklung. Ihre Riege rot-grüner Maulhelden hat, was Finanz- und Haushaltspolitik betrifft, jedes Vertrauen verspielt. ({22}) Die Union akzeptiert diesen Haushalt nicht als Beratungsgrundlage. Wir fordern Sie auf - wenn der Minister nicht die Kraft dazu hat, muss es die Koalition tun -, einen neuen Entwurf vorzulegen und den Vorschlag so umzustricken, dass daraus ein einigermaßen erträglicher und akzeptabler Entwurf wird. Wir sind bereit, daran mitzuwirken. Wir haben deutlich gemacht, dass wir bereit sind, auch wenn wir diesen Haushalt in der zurzeit vorliegenden Form nicht als Grundlage akzeptieren können, ganz gezielt und pointiert einzelne Kürzungsvorschläge zu machen. Uns wurde vorgehalten, dass die von uns vorgeschlagene 3-prozentige Kürzung zu viel sei. Darauf antworte ich: Hat der Finanzminister eigentlich seinen Job verdient, wenn er im Angesicht von 260 Milliarden Euro nicht in der Lage ist, ein Kürzungspotenzial von 3 Prozent zu finden? Man findet jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt, Negativbeispiele, nämlich Maßnahmen, die offensichtlich ins Leere führen. In der Verwaltung, bei Verfügungsmitteln und Beraterverträgen wird das Geld nach wie vor mit den Händen zum offenen Fenster hinausgeworfen. Herr Eichel, in Ihrem Umfeld streunt seit vielen Jahren ein Berater herum, der Hunderttausende Euro kostet und offensichtlich nur die richtigen Sprechblasen entwickeln muss. Vorher war er Berater von Herrn Riester - die Älteren unter uns werden sich an ihn noch erinnern -; ihm hat er beigebracht, wie man einen Schlipsknoten bindet. Das muss doch nicht der Steuerzahler bezahlen. Das muss aufhören. Wir müssen endlich zu vernünftigen Regelungen kommen. ({23}) Es gibt genügend Sparmöglichkeiten in diesem Haushalt. Das fängt bei der Frage des Umsatzsteuerbetruges an, geht über die ideologischen Spielwiesen, von denen es gerade in der Haushaltspolitik der Grünen besonders viele gibt, über Sonderveröffentlichungen, bis hin zu den Gesellschaften, die Sie gründen. Etwa 30 Gesellschaften wurden neu gegründet. ({24}) - Die GEBB zum Beispiel, richtig, Herr Kollege Feibel. Die Mitarbeiter dieser 30 Gesellschaften verdienen auf höchstem Niveau, deren Geschäftsführer verdienen doppelt so viel wie der Bundeskanzler. Ihr wirtschaftlicher Ertrag ist gleich Null. Das muss der Steuerzahler nicht bezahlen. Auch in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Kohlesubventionen sehen wir gewaltiges Sparpotenzial. Wir werden Anträge zu zwei Schwerpunktthemen stellen, die unser Konzept abrunden. Erstens brauchen wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur und zweitens mehr Geld für die Infrastruktur im Bereich Forschung. Diese zwei wesentlichen Bereiche sind für die Zukunft unseres Landes wichtig und werden von uns mit besonderer Priorität behandelt. Ich komme zum Schluss. Wer die finanziellen Grundlagen unseres Landes ruiniert hat, darf keinen Tag länger Finanzminister sein. Herr Eichel, Sie haben den Motor des Fahrzeuges Bundesrepublik zu Schrott gefahren. Ein neuer Motor, ein neuer Finanzminister und eine neue Regierung müssen her. In einem Interview haben Sie ängstlich gesagt, dass ein anderer Minister es kaum anders machen könnte. Schlechter sicher nicht; besser kann es wohl jeder. Packen Sie Ihr Sparschwein in Ihre Aktentasche und gehen Sie ganz leise, mit Anstand. Unser Land hat diese Finanzpolitik nicht verdient! Herzlichen Dank. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Rede hat Herr Austermann den Zustand der Opposition trefflich charakterisiert: ({0}) monoton vorgelesen, wüste Beschimpfungen, keine Alternativen. Das kennzeichnet die Oppositionspolitik der CDU/CSU. Insofern waren Sie eine Idealbesetzung für die Art von Opposition, für die Frau Merkel hier steht. ({1}) Herr Austermann, Sie sind der Schwarzredner an sich. Dafür gibt es hier keinen Preis. Vielleicht wird er einmal ausgelobt. Das ist aber noch nicht alles. Ich finde bedauerlich, was Sie, Herr Austermann, der Öffentlichkeit alles zumuten. Sie sind ein dreister Täuscher. Das muss man einmal deutlich sagen. ({2}) Sie biegen sich die Realität zurecht und täuschen. Das macht sonst keiner, auch wenn er unterschiedlicher politischer Auffassung ist. Die Art und Weise, wie Sie hier auftreten, ist eine Beleidigung für das Publikum. Das muss man einmal ehrlich sagen. ({3}) Deswegen in wenigen Sätzen: Sie sagen, wir hätten die Steuern erhöht. Herr Eichel hat doch eindrucksvoll darstellen können, dass wir die Steuern für Geringverdiener, Durchschnittsverdiener, Familien mit Kindern und für den wirtschaftlichen Mittelstand gesenkt haben, und zwar nachhaltig. Das ist das größte Steuersenkungsprogramm dieser Republik. ({4}) Das ist mit Zahlen und Fakten belegbar. Sie aber stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das Schlimme ist, dass viele Leute solchen Täuschungen glauben. Man könnte fast von Lügen sprechen. Wir haben Schlupflöcher geschlossen und in diesem Jahr einen Zuwachs bei der Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Sie sagten, mit den Erträgen gehe es bergab. Nein, wir haben einen Zuwachs. Warum? Weil wir Schlupflöcher geschlossen haben, zum Beispiel durch die Mindestgewinnbesteuerung, die Sie torpedieren wollten. Diese Regelung haben wir - gegen Ihren Widerstand - durchgesetzt, damit sich auch große Unternehmen wieder an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. ({5}) Ihre Unterstützung hatten wir nicht. Es gab einen mühsamen Kompromiss im Vermittlungsausschuss. Wir haben Schwarzarbeit verstärkt bekämpft und wollen sie stärker bekämpfen. Sie haben das im Deutschen Bundestag abgelehnt. Dann gab es einen Kompromiss, weil Ihre Länder vernünftiger als Sie agieren, die Sie im Deutschen Bundestag eine Fundamentalopposition betreiben. Das ist die Wahrheit. Die müssen wir möglicherweise noch deutlicher machen, weil Ihre Täuschungen offenkundig nach wie vor verfangen. Was machen wir mit dem Bundeshaushalt 2005, welche wichtige Aufgabe hat er? Er hat die Aufgabe, den Erneuerungsprozess zu unterstützen, den diese Koalition eingeleitet hat. Das ist die zentrale Aufgabe dieses Haushalts. Genau das leistet dieser Entwurf des Bundeshaushalts, den wir gemeinsam in den nächsten Monaten beraten werden. So werden im Bundeshaushalt 2005 für das Arbeitslosengeld II, für die damit einhergehenden Eingliederungsleistungen und für die Beteiligung des Bundes an den Unterbringungskosten rund 27 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das ist sehr viel Geld. ({6}) - Das muss aber von uns allen vertreten werden, Herr Kollege. Das müsste auf allen Montagsdemonstrationen gesagt werden: 27 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit! Das leistet der Haushalt 2005. ({7}) Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist von allen hier beschlossen worden. ({8}) Aber statt dass sie auch von allen hier vertreten wird, schlagen sich einige - vorhin wurden schon Beispiele genannt - feige in die Büsche, weil sie mit den Konsequenzen dieses richtigen Schrittes nichts mehr zu tun haben wollen, obwohl sie vorher viel härtere Maßnahmen gefordert haben. Ich plaudere keine Geheimnisse des Vermittlungsausschusses aus, wenn ich darauf hinweise, dass Herr Milbradt dort - er hat es auch öffentlich vertreten - agiert hat, als sei das Sozialhilfeniveau noch zu hoch. Derselbe Herr stellt sich heute an die Spitze von Demonstrationen. Das ist eine Heuchelei und Verlogenheit, die nicht zu toppen ist. ({9}) Das ist aber typisch für die Partei, die er vertritt. Das gilt auch für Herrn Müller. Die Einlassung von Herrn Müller am Abend der Wahl, die er gut gewonnen hat, war eine Täuschung des Publikums. Offenbar ist das Ihr Stilmittel. ({10}) Sie täuschen - nicht nur Einzelne - systematisch die Bevölkerung. ({11}) Ein weiteres wichtiges Vorhaben - auch das spiegelt sich im Haushalt wider - ist die Sicherstellung einer hochwertigen medizinischen Versorgung für alle Bürger und nicht nur für die Einkommensstarken. Zur nötigen Stabilisierung und Senkung der Krankenversicherungsbeiträge ist daher ein Bundeszuschuss beschlossen worden, der im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro umfassen soll. Auch diese Mittel sind im Etatentwurf eingestellt, um die Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen. Zur notwendigen Erneuerung Deutschlands gehören nicht nur eine verbesserte Perspektive für Langzeitarbeitslose und die Stabilisierung der solidarischen Sicherungssysteme, sondern wir werden auch die notwendigen gesellschaftlichen Innovationen vorantreiben. Sie haben vorhin ein Resümee über den Zustand Deutschlands zum Zeitpunkt des Regierungswechsels gezogen, Kollege Austermann, und das bildlich mit einem Auto verglichen. Gesellschaftliche Innovationen waren doch für Sie ein Fremdwort. Davon war bei Ihnen nie die Rede. Zu den langen Linien unserer Politik gehört, dass wir mit gesellschaftlichen Innovationen begonnen haben, für die wir uns mit Bundesmitteln engagieren, zum Beispiel mit dem Ganztagsschulprogramm, für das wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen und das in den Bundesländern - auch in den CDU-geführten Ländern - erfolgreich angelaufen ist. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe war für Sie bis 1998 ein Fremdwort. ({12}) Wir haben dieses Thema aufgenommen und in der Koalition gemeinsam fortentwickelt. Wir handeln und wir lassen uns das auch etwas kosten. Das ist ein großes gesellschaftspolitisches Thema. Daneben wollen wir ein weiteres großes gesellschaftliches, aber auch beschäftigungspolitisches Defizit beheben. Denn insbesondere für unter Dreijährige gibt es viel zu wenig Kinderbetreuungsplätze. Um an dieser Stelle weiterzukommen, hat die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Nach Einschätzung der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2010 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden. Das wäre ein gewaltiger Fortschritt. Um das zu ermöglichen, entlastet der Bund die Kommunen. Auch das haben Sie verschwiegen, Herr Austermann. Wir entlasten die Kommunen im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, und zwar - das ist bombensicher - mit 2,5 Milliarden Euro ab dem kommenden Jahr. ({13}) Hinzu kommen die Mehreinnahmen aus der Stabilisierung der Gewerbesteuer. Zusammen mit anderen Maßnahmen macht das 2006/2007 eine Entlastung in Höhe von 7 Milliarden Euro aus. Das heißt, wir haben auch für die Investitionsfähigkeit in den Kommunen, die unter der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren gelitten hat, eine Trendumkehr erreicht. Das ist nicht zu leugnen und betrifft einen wichtigen Bereich für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben die Trendumkehr im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erreicht. Wir haben für den Erhalt der Gewerbesteuer gekämpft, die Sie abschaffen wollten und noch heute abschaffen wollen. Das ist die Wahrheit. ({14}) Wir haben in Sachen Verlustverrechnung bei Großunternehmen eine Neuregelung durchgesetzt und die Mindestgewinnbesteuerung beschlossen, was zu einer Stabilisierung der Körperschaft- und Gewerbesteuer führt. Wir wollen uns auch weiterhin in diesem Sinne einsetzen und entsprechend unserer ursprünglichen Vorlage, die Sie verhindert haben, initiativ werden, damit sichergestellt wird, dass auch Großunternehmen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung unseres Staatswesens leisten. Wenn Sie über den Vodafone-Fall klagen, Herr Austermann - Sie waren der Erste aus den Reihen der Union, der sich überhaupt dazu geäußert hat -, dann müssten Sie unsere Initiative unterstützen. Ich bin gespannt, ob das der Fall sein wird. Ich kann mich nämlich daran erinnern, wie sich die Union verhalten hat, als wir die so genannte Teilwertabschreibung verschärft haben. ({15}) Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder gegen Ihren Widerstand im Bundestag dann doch Maßnahmen ergriffen, die in die richtige Richtung gingen, wie es die Bevölkerung erwartet. Wenn es im Vermittlungsausschuss hinter verschlossenen Türen darauf ankommt, handeln Sie manchmal anders, als Sie sich hier äußern. Das ist Ihre Praxis. ({16}) Kleine und mittlere Unternehmen werden von der vorgesehenen Regelung nicht betroffen, da wir einen Sockelbetrag von 1 Million Euro vorgesehen haben, mit dem Unternehmen ihre Verluste vollständig verrechnen können. Unsere Politik hat sich für die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen gelohnt. Das müssten langsam auch die schwarzen Bürgermeister und Oberbürgermeister zur Kenntnis nehmen, die ganz anders reden, die Wahlplakate verwenden - wie zurzeit im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen -, auf denen sie ihre leere Taschen vorzeigen, und die beklagen, dass unsere rot-grüne Politik dazu geführt habe. Auch denen muss die Gegenrechnung aufgemacht werden, auch sie täuschen die Bevölkerung. ({17}) Auf dieser Seite des Hauses sitzen die Gegner der Kommunalinteressen, es sind Ihre eigenen Parteifreunde der CDU/CSU und FDP. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren! ({18}) Kernbestandteil der Agenda 2010 ist, die Anstrengungen für Forschung, Entwicklung und Wissenschaft zu erhöhen. Dies gilt auch für den Etat 2005. Nur mit mehr und besserer Forschung, Wissenschaft und Entwicklung sichern wir die Grundlagen des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland. Deshalb muss sich die Union auch hier entscheiden: Will sie angesichts der erkennbaren Entspannung auf dem Wohnungsmarkt an überholten Instrumenten wie der Eigenheimzulage festhalten oder will sie mit der Abschaffung dieser mittlerweile überflüssigen Subvention Haushaltsmittel für eine breit gefächerte Forschungs- und Innovationsinitiative freimachen? Unsere Haltung ist klar: Wir sind für Bildung und hoffen, dass die Union die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nicht durch parteitaktisches Verhalten erneut aufs Spiel setzt. Wir werden den Etat der Bildungs- und Forschungsministerin weiter erhöhen und die Etats der außeruniversitären Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr um 3 Prozent anheben. Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2005 und der Finanzplan bis 2008 enthalten außerdem Mittel für das von der Ministerin konzipierte Programm zur Förderung der Spitzenforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Programm ist erforderlich, damit die deutsche Forschung im internationalen Vergleich nicht ins Hintertreffen gerät. Stimmen Sie diesem Programm auf Länderseite doch zu! Sorgen Sie dafür, dass Ihre Parteifreunde in den Ländern dies nicht weiter blockieren! ({19}) Der Forschungsstandort Deutschland würde es Ihnen danken. Unsere Haushaltspolitik liefert das finanzielle Fundament für den angestoßenen gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozess, der aber - das muss man ganz deutlich sagen - noch Jahre dauern wird. Das gilt auch für die großen Maßnahmen betreffend den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere das Gesundheitswesen, bei dessen Reform wir bereits jetzt erste Ergebnisse erkennen können. Man kann nicht erwarten, dass solche strukturpolitischen Weichenstellungen sozusagen auf Knopfdruck umgesetzt werden können. Wir sind von der Notwendigkeit und der Wirksamkeit dieser Maßnahmen fest überzeugt. Wir glauben zwar nicht, dass sich mit diesen Maßnahmen von heute auf morgen, also unmittelbar wünschenswerte Ergebnisse erzielen lassen. Aber sie werden sicherlich mittelbar positive Ergebnisse zeitigen. Ich glaube, dass es die ersten positiven Ergebnisse, die sich auch in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung niederschlagen werden, im Jahre 2005 geben wird. Wir stabilisieren die wirtschaftliche Entwicklung mit weiteren Maßnahmen, die die Konjunkturerholung flankieren sollen. Wenn wir im kommenden November den vorliegenden Haushaltsentwurf in zweiter und dritter Lesung verabschieden werden, sollte jedem klar sein, dass wir über einen Wirkungshorizont von 14 Monaten reden. Nach dreijähriger wirtschaftlicher Stagnation muss der Bundeshaushalt darauf ausgerichtet sein - das hat Priorität -, dass sich der begonnene wirtschaftliche Erholungsprozess stabilisiert. Das Gleiche sollte auch für die Haushalte von Ländern und Kommunen gelten. Wir werden deswegen im nächsten Jahr die fünfte steuerliche Entlastungsstufe seit 1998 mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro in Kraft setzen. Das wird dem privaten Konsum zusätzlich Impulse geben und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen erhöhen. Herr Austermann, wenn Sie hier die große Steuerreform von Ihrer Seite ausrufen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Mehr verkraften die öffentlichen Haushalte nicht. Das ist die Wahrheit. ({20}) Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir im Vermittlungsausschuss eine Entlastung der öffentlichen Haushalte von über 20 Milliarden Euro beschlossen. Es war Ihre Seite, die beispielsweise an die Subventionen für die Landwirtschaft nicht herangehen wollte, die einen umfassenderen Subventionsabbau blockiert hat. Das ist ebenfalls die Wahrheit, Herr Austermann. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre die steuerliche Entlastung in diesem Jahr noch höher ausgefallen. Aber auch das ist an Ihnen gescheitert. Suggerieren Sie deswegen nicht, dass das CDU-Steuerkonzept, das berühmte Bierdeckelkonzept von Frau Merkel und Herrn Merz, irgendwann in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann! Ihre eigenen Landesfinanzminister haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass das illusionär ist. Wecken Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht falsche Hoffnungen mit Illusionen, die Sie überhaupt nicht einlösen könnten, selbst wenn Sie die Regierungsverantwortung erlangen würden. Das ist doch verantwortungslos! ({21}) Das ist allerdings auch ein Kennzeichen Ihrer Politik. Neben der Täuschung ist das, was bei Ihnen hervorsticht, die Verantwortungslosigkeit. Deswegen sage ich ganz klar - ich weiß ja, in welcher Umfragesituation sich die Sozialdemokratie befindet -: Wir halten Kurs. Wir täuschen die Menschen nicht. Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr sprechen. Wir verhalten uns verantwortungsvoll. Wir büchsen nicht - wie die Populisten von links und von rechts; das können wir jeden Tag erleben - verantwortungslos aus. ({22}) Wir stehen hier nicht mit einem Trotzkopf, weil wir wissen, dass wir das machen, was wir unseren Kindern und Enkeln schuldig sind. Und wir sind in deren Schuld! ({23}) Ich sage das, weil Sie hier noch bis vor kurzem meinten, wir könnten uns noch weitere massive Steuersenkungen erlauben. Das ist nicht der Fall. Gegen Steuervereinfachungen hat doch keiner etwas. ({24}) Wir Sozialdemokraten haben aber etwas gegen weitere Umverteilungen zugunsten von Spitzenverdienern und zulasten von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und deswegen machen wir da nicht mit. Da setzen wir die Grenzen. ({25}) Ihre Vorschläge zur Streichung von Steuersubventionen betreffen im Wesentlichen die Subventionen für die Arbeitnehmer. ({26}) Wenn Sie den Faden also konstruktiv weiterspinnen wollen: Wir sind gesprächsbereit. Das haben wir auch im Vermittlungsausschuss bewiesen. Da, wo wir nicht weitergekommen sind, ist es meist an Ihnen gescheitert, zum Beispiel weil Sie draufgesattelt haben. Wir kommen auf jedem Gebiet weiter. Aber lassen Sie uns bitte realistisch sein und im Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten des Staates vorgehen. Bestimmten Vorschlägen folgen wir nicht. Mit Ihnen durchaus befreundete Medien schreiben Ihnen fast jeden Tag ins Stammbuch, diese Vorschläge fallen zu lassen. Sie haben auf Ihrem Leipziger Parteitag große Konzepte - nicht nur zur Steuerpolitik - beschlossen, Stichwort Kopfpauschalenmodell mit so eben einmal 40 Milliarden Euro. Fast alle haben zugestimmt. Das heißt, Sie haben da einen finanzpolitischen Blindflug unternommen. Langsam merken die Menschen das. Frau Merkel kommt Tag für Tag mehr ins Trudeln und das ist auch richtig so. ({27}) Das wird sich für die Union auch in den Umfragen bemerkbar machen. Ihre Werte werden von Woche zu Woche sinken, weil die Leute - auch wenn es fast ein Jahr gedauert hat - langsam merken, dass sie mit Konzepten, die überhaupt nicht zu finanzieren sind, systematisch betrogen wurden. ({28}) Diese Konzepte wurden zum Beispiel in der „Welt am Sonntag“ durchgerechnet. Dort steht eine gelungene Überschrift, die besagt, dass es um eine Lücke von über 100 Milliarden Euro geht. Die CSU vermutet - so heißt es in dem entsprechenden Artikel -, dass sie sogar noch größer ist. ({29}) Deswegen können wir mit Fug und Recht sagen: Frau Merkel ist das 100-Milliarden-Euro-Risiko in diesem Parlament. Von solchen Risiken müssen wir uns keine Empfehlungen geben lassen. ({30}) Frau Merkel ist ein 100-Milliarden-Euro-Risiko. Ich beziehe mich auf ein Organ, das Ihnen bekanntermaßen durchaus nahe steht, nämlich auf die „Welt am Sonntag“. ({31}) Nutzen Sie doch diese Debatte, um all das, was in diesem Artikel, mit guten Argumenten untermauert, zu lesen ist, zu entkräften! Verwirren Sie nicht weiter! Sie kündigen Alternativen an. Herr Austermann, wenn die Lücke im Bundeshaushalt 2005 nach Ihrer Behauptung 40 Milliarden Euro beträgt, warum kommen Sie dann mit einem Deckungsbeitrag von 7,5 Milliarden Euro? Damit werden Sie doch Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht. Das ist doch die nächste Täuschung, die Sie hier vornehmen. Was gilt denn nun? Das, was Sie hier gesagt haben, nämlich 7,5 Milliarden Euro, oder die von Herrn Stoiber behaupteten 12,9 Milliarden Euro Einsparungen? Wer hat denn eigentlich Recht? Herr Stoiber oder Sie, Herr Austermann? Was gilt denn in Ihrem Laden? Sie treten doch gar nicht geschlossen auf. Sie erzählen dem Publikum doch jeden Tag etwas anderes. ({32}) Vielleicht können Sie da einmal Klarheit herstellen. ({33}) Möglicherweise wird uns Frau Merkel morgen früh sagen, was von Ihren Vorschlägen nun gilt. Welche Konsequenzen die Umsetzung dieser Vorschläge hätte, das hat Herr Eichel dargestellt. So eben einmal 13 Milliarden Euro streichen, das wäre eine Wachstumsbremse und Wachstumsbremsen können wir uns nicht erlauben. ({34}) Es gibt den Vorschlag, bei so beliebten Projekten - sie sind besonders in München beliebt - wie der Rüstungsbeschaffung zu streichen. Wenn wir das tatsächlich machten, dann wäre der Herr Stoiber der Erste, der protestierte. Genauso wäre es bei den anderen Posten: Landwirtschaft, Eigenheimzulage. Ich müsste mein ganzes Weltbild umstellen, wenn Sie hier entsprechende Vorschläge einbrächten. Wir sind sehr gespannt darauf, meine Damen und Herren, was Sie bei den Beratungen im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages in den nächsten Wochen und Monaten konkret liefern werden. ({35}) Wir werden Sie in jeder Sitzung an das erinnern, was Herr Stoiber in Aussicht gestellt hat, nämlich einen Einsparbeitrag von 13 Milliarden Euro. Auf den sind wir alle sehr gespannt. ({36}) Ich kann in der Politik, die Sie hier betreiben, leider nur ein Ziel erkennen: die bewusste Hinnahme und Verschärfung der finanziellen Probleme des Staates, um im Bund wieder an die Macht zu kommen. ({37}) Ich bin aber guten Mutes, dass die Bürgerinnen und Bürger diese unverantwortliche und egoistische Strategie durchschauen und die Absichten der Union im Herbst 2006 durchkreuzen werden. ({38}) Mit dem Bundeshaushalt 2005 liegt jedenfalls ein Etat vor, der den notwendigen Erneuerungsprozess in Deutschland vorantreibt und der uns zuversichtlich nach vorne blicken lässt. Vielen Dank, insbesondere für Ihre Aufmerksamkeit. ({39})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir sehr schwer, heute an das Rednerpult des Deutschen Bundestages zu treten und als erster Redner für die FDP-Fraktion zur Einbringung des Haushalts zu sprechen. Sechs Jahre lang hat mein Kollege Günter Rexrodt diese Funktion gehabt und hier gesprochen. Seine große Sachkenntnis war nicht nur in unserer Fraktion, sondern auch im Haushaltsausschuss über Parteigrenzen hinweg anerkannt - trotz unterschiedlicher Auffassungen. Sein plötzlicher Tod ist für die FDP-Fraktion und für unsere gemeinsame Arbeit im Haushaltsausschuss ein großer Verlust. Wir vermissen ihn sehr. Sie gestatten, dass ich meine Ausführungen deshalb mit einem Zitat aus einer haushaltspolitischen Rede von Günter Rexrodt beginne. Er sagte zur Bundesregierung: Betreiben Sie eine berechenbare Politik, eine Politik die darauf hinausläuft, unser Land zu modernisieren. Dann kommen wir auch bei den Arbeitsplätzen vorwärts. Dann können wir Vertrauen bei unseren Bürgern und ausländischen Investoren finden. Dazu ist aber eine Veränderung der Politik notwendig. Dieses Zitat, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat nichts an Aktualität eingebüßt. Herr Bundesfinanzminister, wenn ich Ihre Rede Revue passieren lasse, muss ich sagen: Das war keine Haushaltsrede. ({0}) Das war eine Rede an Ihre eigene Fraktion, an eine zögerliche SPD-Fraktion. Sie treten für Reformen ein, aber Sie haben dort eine Fraktion, die zu Reformen nicht fähig ist, ({1}) die Reformen teilweise zu spät eingeleitet hat oder die die Notwendigkeit von Reformen gar nicht anerkennen will. ({2}) Sie haben davon gesprochen, dass wir ein starkes Land sind. Diese Auffassung teile ich. Nur: Wir sind ein starkes Land und haben eine schwache Regierung. Das ist unser Problem. ({3}) Wir haben den Eindruck, dass, was die Reformen angeht, nicht nur die Regierung, sondern auch die Koalitionsfraktionen über viele Jahre Urlaub von der Realität gemacht haben. Nichts anderes können wir hier heute feststellen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sieht die Bilanz der rot-grünen Koalition heute aus? Schauen wir uns den Haushalt 2005 an! Beim Wirtschaftswachstum belegt Deutschland in der EU seit 1999 den letzten Platz. Die Arbeitslosigkeit ist mit 4,3 Millionen inakzeptabel hoch. Eine Trendumkehr ist überhaupt nicht in Sicht. Die Abgabenlast beträgt 42,1 Prozent, ist also unvermindert hoch. Hinzu kommt - das ist das Allerschlimmste; das fällt in Ihre Verantwortung, Herr Eichel -: 190 Milliarden Euro zusätzliche Schulden sind seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün zu verantworten. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Der Bundeshaushalt 2005 wird erneut verfassungswidrig sein, gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen und - auch dieser Punkt muss hier angesprochen werden - der Stabilitätspakt als völkerrechtlicher Vertrag wird zum dritten Mal hintereinander gebrochen. Das ist die Bilanz Ihrer Politik. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung machen. Sie haben von Reformen gesprochen, auch in Richtung Ihrer Fraktion. Aber Sie haben als Bundesfinanzminister keinerlei Initiativen ergriffen, um die Reformen voranzutreiben. Sie sind nicht im Kabinett aufgestanden und haben gesagt: So geht es nicht weiter. So komme ich mit meinem Haushalt nicht klar. Sie haben in Ihrer Haushaltsrede nebenbei auch den Zahnersatz angesprochen. Da hatte man den Eindruck: Nicht nur Sie, sondern auch Ihre Fraktion hat am Zahnersatz schwer zu kauen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unternehmerisch betrachtet treibt Deutschland in die Pleite, Rot-Grün macht neue Schulden, der Schuldenberg wächst ständig und ein Konzept, wie wir aus der Schuldenfalle herauskommen, fehlt völlig. Der Etatentwurf 2005 ist nur auf dem Papier verfassungskonform. Es sind Haushaltsrisiken da, die Sie hier einfach herunterspielen, wichtige Finanzdaten werden einfach zu optimistisch angesetzt und die Einhaltung des Stabilitätspaktes ist reine Illusion. Auch beim Haushaltsentwurf 2005 verfahren Sie nach dem Motto: tarnen, täuschen und beschwichtigen. Das scheint mir, nachdem ich Ihre Rede heute gehört habe, die Grundaussage Ihrer Politik zu sein. Ihr Haushalt 2005 ist wie ein Kartenhäuschen: Der kleinste Windstoß und das Ganze fällt um. Im Entwurf liegt die Nettokreditaufnahme in Höhe von 22 Milliarden Euro gerade einmal 800 Millionen Euro unter der Höhe der Investitionen. Betrachtet man die gesamtwirtschaftliche Annahme, so geht die Bundesregierung in ihrer Planung für 2005 von einem realen Wachstum von 1,8 Prozent aus. Wir sagen, das ist zu optimistisch, insbesondere wenn man sie mit den Aussagen der Forschungsinstitute vergleicht. Das heißt, Sie haben bereits die Steuereinnahmen viel zu hoch angesetzt, die Ausgaben für den Arbeitsmarkt aber zu niedrig. Da liegt das Risiko hinsichtlich Art. 115 Grundgesetz. Ich empfehle auch den Abgeordneten der Koalition, noch einmal nachzulesen, was in Art. 115 des Grundgesetzes steht, denn darin wird Ihnen ganz deutlich vor Augen geführt, dass Ihr Haushaltsentwurf für 2005 gegen die Verfassung verstößt. Hartz IV kommt ja auch noch dazu; ich will gerne anerkennen, dass die Koalitionsabgeordneten zugegeben haben, dass hier noch eine erhebliche Lücke besteht. Wenn ich nun in Ihrem Haushalt, Herr Eichel, lese, dass Privatisierungserlöse in Höhe von 15 Milliarden Euro eingeplant werden - plötzlich, auf einmal soll das gehen -, dann frage ich mich, was Sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Sie hätten doch diese Erlöse längst erzielen können, damit hätten Sie uns die Aufnahme vieler Schulden ersparen können. Ihr Haushaltsansatz zu den Privatisierungserlösen ist blanke Theorie. ({6}) Weiterhin rechnen Sie mit einer globalen Minderausgabe von 1 Milliarde Euro und der Auflösung des ERPSondervermögens. Sie wissen doch genau, dass diese Punkte so nicht eintreten werden. Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Man gewinnt den Eindruck, Sie würden Haushaltspolitik in einer Bananenrepublik betreiben. Sie haben nichts anderes gemacht, als die Bilanzen manipuliert. ({7}) Viele Ansätze auf der Einnahmeseite entspringen einfach Wunschdenken und sind geschönt. ({8}) Lassen Sie mich, Kollege Poß, eine Anmerkung machen: Sie haben der Rede des Kollegen Austermann Schwarzfärberei vorgeworfen - gut, das können Sie machen -, aber Ihre Rede beinhaltete nur Schönfärberei, nichts anderes. ({9}) Die Kolleginnen und Kollegen Haushälter der Koalition haben eine Klausurtagung durchgeführt. Da haben sie schon festgestellt, dass eine erhebliche Finanzierungslücke besteht. Das wollen sie durch Ausgabenkürzungen ausgleichen. Wenn dies in vernünftiger Weise geschieht, werden sie uns dabei an ihrer Seite finden. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Dann - das ist das Interessante - habe die Koalition beschlossen, wie man in verschiedenen Zeitungen liest, Einnahmeverbesserungen durchzuführen. Sie müssen mir allerdings einmal erklären - Kollege Poß ist nicht darauf eingegangen -, wie Sie von der Koalition Einnahmeverbesserungen durchführen wollen. Die Einnahmeverbesserungen durch die Koalition, die ich in den letzten sechs Jahren erlebt habe - Kollegin Hermenau wird das ja gleich in Ihrer Rede bestätigen können -, bestanden in nichts anderem als Abkassieren bei den Bürgern. So sehen Ihre Einnahmeverbesserungen aus. ({10}) Sagen Sie uns jetzt einmal ganz deutlich, wo Sie bei den Bürgern kassieren wollen. Ich sage Ihnen, was Sie vorhaben und was kommen wird - in der Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion war es zu lesen -: Im Stillen träumt nämlich Hans Eichel so, wie er da sitzt, genau wie Heide Simonis von einer Mehrwertsteuererhöhung. Die Pläne dazu hat er bereits in der Schublade. Das ist ja in der Antwort auf die Anfrage der FDP-Fraktion auch bestätigt worden. Das wird kommen; davon träumt er. ({11}) Erinnern wir uns daran - ich kann das nur wiederholen -: Die FDP hat bei den letzten Haushaltsberatungen erhebliche Spar- und Kürzungsvorschläge gemacht. Diese beruhten auf Gedanken von Günter Rexrodt. Wir haben diese Forderung nach Kürzung bei allen Subventionen und Zuwendungen konsequent aufrechterhalten. Daraus würden sich Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden ergeben. Die FDP hat vorgeschlagen, nur im Bereich Bildung draufzusatteln. Dazu stehen wir auch weiter, denn das ist notwendig. Ansonsten werden wir erneut Kürzungsanträge stellen; nicht in der Art, wie Sie es früher gemacht haben: dieses oder jenes Großprojekt wie Eurofighter. Wir haben vielmehr über 200 einzelne Anträge gestellt. Das ist uns gar nicht so leicht gefallen, da es auch die Klientel der FDP getroffen hätte. All diese von uns gestellten Anträge sind von der rotgrünen Koalition abgelehnt worden, obwohl sie eine Ersparnis von über 2,5 Milliarden gebracht hätten. Erklären Sie doch einmal, Herr Eichel, warum die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen dem nicht zugestimmt haben. Wenn Sie jetzt kürzen wollen, empfehle ich Ihnen wieder unsere Anträge. Kommen Sie uns, Herr Eichel, nicht mit Ihrem Gejammer über die Tabaksteuer. Dass Sie durch eine Erhöhung keine Mehr-, sondern Mindereinnahmen erzielen würden, haben wir Ihnen doch im Ausschuss gesagt, aber Sie haben diese Argumente einfach vom Tisch gewischt. ({12}) Nein, Sie haben ein Problem, Herr Eichel: Sie laufen in jede Falle, die Sie sich vorher selber aufgestellt haben, hinein. Wir haben weitere Probleme; das haben Sie richtig angesprochen, Herr Eichel. Die Sozialausgaben und die Zinsausgaben machen bereits 60 Prozent der Gesamtausgaben im Bundeshaushalt aus. Jedem Haushälter, aber auch jedem anderen Politiker muss klar sein, dass es so nicht weitergeht. Die Sozialausgaben und die Zinsausgaben haben ein Volumen von 150 Milliarden Euro; damit sind drei Viertel der Steuereinnahmen des Bundes belegt. So geht es auf die Dauer nicht weiter; hier muss umgesteuert werden. Ich denke, darüber werden wir auch in den Beratungen des Haushaltsausschusses sprechen müssen. ({13}) Wir müssen auch darüber sprechen, dass die Investitionsausgaben des Bundes seit 1999 zurückgegangen sind. Jahr für Jahr haben Sie die Investitionsausgaben des Bundes gekürzt. Das ist ein Tatbestand. Die Kürzungen bei den Investitionsausgaben im Bundeshaushalt in Ihrer Regierungszeit betragen im Vergleich zu dem letzten Haushalt, den die CDU/CSU-FDP-Regierung damals vorgelegt hat, 30 Prozent. Das ist unverantwortbar. Es zeigt auch, wie Sie wirtschaftspolitisch denken und dass Sie gar kein Interesse haben, die Konjunktur anzukurbeln; denn durch höhere Investitionsausgaben hätten Sie ein Signal geben können. Im Übrigen hätten Sie dann nicht gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen. Das ist unser Problem: Wir haben eine enorme Zunahme bei der Neuverschuldung, aber eine Reduzierung der Investitionsausgaben. Das ist die Dramatik der rotgrünen Haushalts- und Finanzpolitik. Wenn ich unser Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Beispiel zu dem Amerikas oder Asiens sehe, muss ich feststellen, dass wir kein Wachstum haben, sondern einen jämmerlichen Stillstand bzw. Rückschritt. Das können Sie doch hier nicht besonders hervorheben! ({14}) Das ist, Herr Eichel, ein Verharren auf trostlosem Niveau. Einen Aufschwung kann ich hier nicht sehen. In unserem Lande sind weitere Reformen notwendig; das wissen wir. Die Agenda 2010 wird nicht viel bringen, zumindest nicht auf dem Arbeitsmarkt selber. Auch wenn solche Schritte vielleicht notwendig sind, zur Schaffung von Arbeitsplätzen werden sie aber nicht dienen. Wir werden dringend eine Steuerreform, vor allem eine Vereinfachung des Steuerrechts brauchen. Mein Kollege Solms wird gleich noch darauf eingehen. Auf dem Arbeitsmarkt benötigen wir eine Deregulierung. Auch die Sozialsysteme werden wir uns weiterhin anschauen müssen. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung im Gesundheitswesen. Das ist Bestandteil der Vorschläge der FDP, die auch auf dem Tisch liegen. Das gehört dazu, wenn man einen realistischen Bundeshaushalt vorlegen will. All das haben Sie nicht gemacht. Insofern kann ich nur feststellen: Mit dem Bundeshaushalt 2005 kann die Vertrauenskrise in Deutschland nicht überwunden werden. Seriosität und Signale für einen finanzpolitischen Aufbruch in bessere Zeiten gehen von diesem Haushalt auf keinen Fall aus. Herr Eichel, ich kann nur feststellen, dass der Entwurf 2005, den Sie uns hier vorgelegt haben, deutlich dokumentiert: Ihnen fehlt die Kraft zur Gestaltung. Der Bundeshaushalt 2005 gestaltet überhaupt nichts. Sie sind kein Gestalter, Herr Eichel, Sie sind ein schlechter Buchhalter, der die Bilanzen auch noch frisiert hat. Sie setzen in Ihrer Politik eigentlich das fort, was Ihr Vorgänger Oskar Lafontaine begonnen hat: eine Haushaltspolitik auf Kosten kommender Generationen, die zukünftig all das zahlen müssen, was Rot-Grün in den letzten Jahren an unsolider Haushaltspolitik gewagt hat. Ich komme zum Schluss. ({15}) Herr Eichel, Ihr Haushaltsentwurf ist unseriös und unrealistisch; er verstößt gegen das Grundgesetz und gegen internationale Verträge. Nehmen Sie ihn zurück und legen Sie einen realistischen Haushaltsentwurf vor. Für so eine Politik kann die FDP-Fraktion nicht die Hand heben. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch bedeutungsschwangeres Tremolo, Herr Kollege Koppelin, macht nicht richtiger, was Sie gesagt haben. Natürlich ist der Bundeshaushalt 2005 eine Zustandsbeschreibung der Baustelle; das ist ganz klar. Natürlich hat Deutschland wenig Erfahrung damit, wie Haushalte funktionieren und präzise berechnet werden können, wenn man mehrere Reformen gleichzeitig in diesem Land vorantreibt, was wir tun. ({0}) 30 Jahre Kollektivleistung in trauter Eintracht von Parteien, die in Deutschland einmal regiert haben - die FDP war übrigens 24 Jahre lang dabei; das muss man ab und zu erwähnen -, ({1}) haben das zur Folge, was wir in Deutschland als Problem und Reformstau zu bewältigen haben. Da ist es nicht sinnvoll, sich gegenseitig immer nur die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sinnvoller wäre, sich selber einfach einzugestehen - das fehlt auf Ihrer Seite noch -, dass über Jahre hinweg in Deutschland ein Anspruchsdenken aufgebaut worden ist, das so nicht mehr haltbar und nicht mehr finanzierbar ist, und dass wir mit der Situation jetzt klug und weise umgehen müssen. ({2}) Wenn Ihnen die Haushaltsberatungen in diesem Jahr so ähnlich vorkommen wie die im letzten oder im vorletzten Jahr, dann liegt es nicht nur daran, dass es dieselben Redner sind, sondern auch daran, dass wir die gleiche Baustelle weiter bearbeiten müssen. Dazu gehört das strukturelle Defizit und die Tatsache, dass die Ausgabenstruktur des Bundeshaushaltes viel zu stark konjunkturabhängig ist. Der Bundeshaushalt ist eigentlich so aufgebaut, dass er nur in guten Zeiten wirklich funktionieren kann. Um es einmal sozialstaatlich auszudrücken: Es müssen besonders gute Zeiten sein, damit der Haushalt auch im sozialstaatlichen Bereich funktionieren kann. Von diesen Zeiten können wir aber auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen. Dieses angehäufte strukturelle Defizit ist sehr hoch. Es beträgt deutlich mehr als der Betrag, der in den letzten drei Jahren für die Anhebung der Neuverschuldung nötig war. Es ist vonseiten des Finanzministers Eichel schon vor zwei Jahren der Versuch gemacht worden, an der Problematik des strukturellen Defizits zu arbeiten. Die zwei Stellschrauben, auf die es dabei ankommt, sind die Reform des Sozialstaates und die Rückführung der Staatsausgaben. ({3}) Nun kommen wir einmal zur Rolle der Union, die immer versucht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, sie würde im Bundesrat kooperieren. Als Herr Eichel vor zwei Jahren das Steuervergünstigungsabbaugesetz vorlegte, in dem alle Maßnahmen bis auf das letzten Komma klipp und klar beschrieben waren, ({4}) da hat die Union insgesamt sechs Monate Zeit gebraucht, um zu entscheiden, dass sie diesem Gesetz nicht zustimmen möchte. Das alleine hat also schon viel Zeit gekostet. Unabhängig davon haben Sie natürlich eine strukturelle Entlastung in Höhe von 17 Milliarden Euro für die gesamte öffentliche Hand verhindert, die dringend nötig gewesen wäre. Mit der Umsetzung dieses Steuervergünstigungsabbaugesetzes hätten wir einen Teil unseres strukturellen Defizits in den Griff bekommen. Aktuell höre ich zur Eigenheimzulage, dass die Union einem Abbau erneut nicht zustimmen möchte. Das ist weltfremd; denn aufgrund des demographischen Wandels gehen die Bevölkerungszahlen zurück, sodass - nicht nur im Osten - immer mehr Wohnungen leer stehen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie hier vorgehen. Genauso wenig kann ich nachvollziehen, dass Herr Stoiber deutlich gemacht hat, ein Subventionsabbau in der Landwirtschaft komme für ihn nicht infrage. Ich finde es unglaublich, dass Sie uns in archaischen Strukturen festnageln wollen. ({5}) Zu dieser, wie ich finde, relativ perfiden Strategie, immer wieder den Versuch zu unternehmen, die rot-grüne Bundesregierung finanzpolitisch gegen die Wand knallen zu lassen, kommt hinzu, dass Sie zunehmend Muffensausen entwickeln. Ich stelle das mit einer gewissen inneren Zufriedenheit fest, weil es nämlich wirklich großen Mut erfordert - SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben ihn bewiesen -, jemandem etwas wegzunehmen, woran er sich gewöhnt hat. Das müssen wir hier und da tun. Sie kriegen langsam Muffensausen. Nach Ihrem neoliberalen Rausch vom Herbst letzten Jahres, als Sie auf Regionalkonferenzen Überlegungen zur Einführung einer Kopfpauschale angestellt haben, holt Sie die Realität ein. ({6}) Wenn man sich einmal Ihr Existenzgrundlagensicherungsgesetz - das war Ihr Vorschlag zum Arbeitslosengeld II - anschaut, ({7}) das Sie im Herbst des letzten Jahres anstelle von Hartz IV vorgelegt haben, dann kann man die Unionslinie erkennen, nämlich dass Sie den vollen Unterhaltsrückgriff wollen. Das heißt, Kinder haften für ihre Eltern und Eltern haften für ihre Kinder. Das ist Sippenhaft im Falle von Arbeitslosigkeit. Sie wollten, dass das Auto verkauft werden muss. ({8}) Wir sind der Meinung, dass die Menschen ein Auto brauchen, weil sie sonst keine Arbeit finden. Sie wollten die Zuverdienstmöglichkeiten auf null herunterfahren. ({9}) Vielleicht haben ein paar ostdeutsche Abgeordnete in Ihren Reihen begriffen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten enorm wichtig sind, damit Hartz IV im Osten überhaupt funktionieren kann. Aber nein, Sie kneifen. Herr Milbradt war sogar dafür, Ihre viel schärfere Variante umzusetzen. ({10}) Er hat sich deswegen gegen Hartz IV und für das Existenzgrundlagensicherungsgesetz im Bundesrat ausgesprochen. Dann hat er aber mitbekommen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten in einem Land wie Sachsen, wo es so viele Arbeitslose gibt, eine Rolle spielen könnten, und er hat sich aufgeschwungen, eventuell an einer Demo teilzunehmen. ({11}) Ich sage Ihnen: Mich ärgert das. Wir brauchen viel mehr mutige ostdeutsche Politiker, die in der Lage sind, sich in ihren eigenen Parteien durchzusetzen. Herr Milbradt hat weder Herrn Koch noch Herrn Stoiber gestoppt. Deswegen haben Sie eine so schlechte Grundlage für den Kompromiss geliefert. Die Auswirkungen müssen wir jetzt ausbaden. ({12}) Damit Sie nicht denken, ich würde einfach nur von den mutigen ostdeutschen Politikern daherreden, will ich Ihnen sagen: Ich habe gegen den Willen meiner Fraktionsspitze damals gegen das Maßstäbegesetz zum Länderfinanzausgleich gestimmt, das die entsprechenden Berechnungsformeln beinhaltet, weil ich der Meinung war, dass es für die ostdeutschen Kommunen und für die ostdeutschen Länder eine große Benachteiligung darstellt. Man kann sich als ostdeutscher Politiker innerhalb seiner Partei und Fraktion schon trauen, seine eigene Meinung durchzuhalten. Kommen wir zu Herrn Merz. Er ist mit einer, wie ich finde, interessanten Vorlage gestartet, was das Thema Subventionsabbau im Steuerrecht betrifft. Was ist daraus geworden? Es gab in Bayern eine Beerdigung zweiter Klasse. ({13}) Herr Austermann hat sich vorhin künstlich darüber aufgeregt, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktmaßnahmen, der ABM, und im Bereich der GA bzw. der Infrastrukturförderung Kürzungen vornehmen. Erstens war die Rückführung der Mittel für ABM immer ein gemeinsames Diskussionsgut im Haushaltsausschuss, ({14}) weil klar geworden war, dass ABM keine Dauerlösung der strukturellen Arbeitslosigkeit darstellen. Zweitens haben die Kürzungen im Bereich der Infrastrukturförderung etwas mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun. Man kann nicht auf der einen Seite einen Ministerpräsidenten der Union wie Herrn Koch - er gehört ja wahrscheinlich noch zur Union - vorschicken und im Hinblick auf den Subventionsabbau eine kleine Vorzeigeliste erstellen lassen und hinterher auf der anderen Seite so tun, als ob genau diese Kürzungen nicht hinhauen würden. Herr Austermann, Sie beklagen immer die gesunkene Investitionsquote im Haushalt. ({15}) Auch das hat mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun; Sie wissen das ganz genau. ({16}) Weil wir gerade dabei sind, Dinge aufzuarbeiten, die deutlich machen, wer alles am wirklichen Leben vorbeidenkt: ({17}) Ich habe darüber nachgedacht, wie das Steuersenkungskonzept der FDP mit dem zusammenpasst, was Herr Koppelin gerade mit bedeutungsschwangerem Tremolo in der Stimme vorgetragen hat. Ich würde es vorziehen, wir würden uns in Wirtschaftsberatungs- und Steuerberatungsfragen auf die Lobbyisten verlassen. Für Ihre Partei müssten wir dann vielleicht eine andere Aufgabe finden. ({18}) Sie haben in der letzten Zeit versucht, sich mit dem Nachhaltigkeitsdeckmäntelchen zu behängen. ({19}) Sie haben versucht, deutlich zu machen, dass Sie in Zukunft mehr Kompetenz in der Ökologie und im Umweltschutz zeigen wollen. Echte Nachhaltigkeit - ich spreche da aus der Praxis - braucht einen langen Atem, Geduld, Zähigkeit und Klarheit in der Meinung. Dies müsste man dann auch länger als ein halbes Jahr durchhalten. Sie haben am 19. Dezember 2003 Hartz IV zugestimmt. ({20}) Ihre Truppenteile in Sachsen tun so, als ob das nicht so wäre, und behaupten, sie seien gegen Hartz IV. So kann man nicht arbeiten! Was die rot-grüne Koalition in den letzten fünf Jahren geschafft hat - darauf bin ich sehr stolz -, ist die Stigmatisierung der Verschuldung. Es ist in Deutschland nicht mehr, wie es in den letzten 25 Jahren und besonders während Ihrer Regierungszeit zur Gewohnheit wurde, ganz normal und selbstverständlich, dass man Schulden aufnimmt, weil das mit dazugehört. Diese Denkschule hat in Deutschland ausgedient. ({21}) Dieser Realität werden auch Sie sich stellen müssen, wenn Sie in der nächsten Zeit zufällig an die Regierung kommen sollten. ({22}) Denn die Bevölkerung hat mehrheitlich akzeptiert, dass Verschuldung kein Weg ist, der in die Zukunft führt. ({23}) - Liebe Kollegen, wir alle kennen uns schon länger: Bitte kein Pharisäertum! ({24}) Wir waren gerade bei den Dauerbaustellen. Das Rentensystem, das im Wesentlichen entweder eine sozial-liberale oder eine christlich-liberale Ausgestaltung erfahren hat, hinkt 30 Jahre hinter den Realitäten in diesem Land hinterher. ({25}) Nun kann man das Rentensystem aus Vertrauensschutzgründen nicht zu einer Grundrente ummodellieren; dem kann ich folgen. Aber das heißt natürlich trotzdem, dass man weiter daran arbeiten muss. Ich mache es nachher im Hinblick auf die Verschuldung insgesamt noch einmal deutlich: Es kann nicht sein, dass wir die implizite Verschuldung immer verschweigen. Wir regen uns über den ausgewiesenen Schuldenstand in Höhe von 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf. Dazu kommt aber die implizite Verschuldung von 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wenn man die Verpflichtungen in Bezug auf die Pensionen für Beamte und unsere Rentenverpflichtungen mit einrechnet. Das ergibt eine unglaublich hohe Summe. Das sind insgesamt mehr als 7 000 Milliarden Euro Schulden, die wir alle eigentlich noch verdienen müssen, weil dieses Geld nicht auf der Bank gelagert ist. Ich halte dies für ein großes Problem, das immer totgeschwiegen wird. Wir halten uns hier mit Debatten auf, in denen Sie von der Opposition Nickeligkeiten vortragen, anstatt dass Sie tatkräftig mit anpacken, das Problem, das Sie selber mit geschaffen haben, abzutragen. ({26}) Ich habe davon gesprochen, dass wir im Bund eine Ausgabenstruktur haben, die massiv davon abhängt, wie die Konjunktur verläuft. Wie gesagt, in den fetten 70erJahren konnte man es sich vielleicht leisten, einen riskanten Haushalt aufzustellen. Aber den Haushalt umzusteuern - das erkennen wir alle selbst - ist ausgesprochen schwer. Wenn die Lohnnebenkosten den Faktor Arbeit bestimmen, wenn die sozialen Sicherungssysteme die Beschäftigungssituation bestimmen, dann brauchen wir als Erstes Arbeitsmarktreformen, damit der Bundeshaushalt nicht mehr so konjunkturanfällig ist. ({27}) Diese Arbeitsmarktreformen haben wir durchgeführt, obwohl Sie beim Kompromiss des Vermittlungsausschusses den Hinzuverdienstmöglichkeiten der Menschen nicht zustimmen wollten. ({28}) Die explizite Verschuldung - das hatte ich gesagt beträgt offensichtlich 66 Prozent des BIP. Aber wenn Sie sich einmal anschauen, was an Renten und Pensionen noch hinzukommt, dann ist es eine unglaubliche Verharmlosung des Problemes, wenn Ministerpräsident Stoiber aus Bayern sagt: Spart 5 Prozent der Verwaltungsausgaben ein! Das ist eine Verharmlosung des Problems, man könnte es auch als Nebelkerzenwerfen bezeichnen, aber so weit will ich gar nicht gehen. ({29}) Ansonsten hat er offensichtlich den Kern des Problems nicht erkannt und seine Lösungsansätze nicht verfolgt. Er brüstet sich immer damit, ein großer Finanzexperte zu sein. Wenn er das wäre, könnte er einen solchen Vorschlag nicht machen. Das ist wirklich eine Verdummungsstrategie. Die Menschen werden in dieser Frage verdummt und können nicht erkennen, worauf es wirklich ankommt: Wir müssen uns den in Zukunft fälligen Zahlungsleistungen, auch denen der Rentenkasse, stellen. ({30}) - Ich kenne mich mit Herrn Stoiber nicht so genau aus, aber ich habe gerade aus berufenem Mund gehört, das sei öfter so. Es bleibt noch die Frage der Reform des Stabilitätspaktes offen. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich immer dafür stark gemacht habe, dieses Regelwerk so streng wie möglich zu befolgen. Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass das nötig ist; das ist gar keine Frage. Den Vorschlägen, die bisher vonseiten der Kommission zu mir gedrungen sind, habe ich entnommen, dass es bei den bisherigen Kriterien - maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Neuverschuldung und 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Gesamtverschuldung bleiben soll. Ich finde es richtig, dass wir bei dieser Formel bleiben. Ich habe darüber hinaus gehört, dass man versuchen will, den Ländern, die große Schwierigkeiten bei der Umstellung haben - wir merken das gerade in der Politik -, beim Defizitverfahren entgegenzukommen. Das kann ich nachvollziehen und akzeptieren; das halte ich für richtig. Das Entgegenkommen ist sehr vernünftig ausgehandelt worden; denn im Gegenzug dafür bekommen wir eine strengere Überwachung der nationalen Staatshaushalte in wirtschaftlich guten Zeiten. Darauf kam es eigentlich immer an. Es kann nicht sein, dass ein Land, wenn sein Wachstum einmal 2 Prozent oder 2,5 Prozent ausmacht, sofort beginnt, sich weiter zu verschulden, oder Reformen aussetzt, ({31}) nach dem Motto: Wir haben jetzt mehr Wachstum und mehr Geld, die Reformen sind nicht mehr nötig. Ich sage immer salopp: John Maynard Keynes und Adam Smith sind längst tot. Beide haben in ihren Wirtschaftsmodellen zwei Aspekte nicht berücksichtigen können, weil es sie zu ihrer Zeit noch nicht gab. Das eine ist die demographische Entwicklung in Europa - die Bevölkerungszahlen sind rückläufig -, das zweite ist die globalisierte Wirtschaft. Diese beiden Aspekte sind in ihren Wirtschaftsmodellen noch nicht unterstellt. ({32}) Europa steht vor der Aufgabe, selber eine neue Wirtschafts- und Finanzstrategie zu entwickeln. Das halte ich für eine ganz große Herausforderung. Ich glaube auch, dass die Europäer dem gewachsen sind. Wer jetzt Angst hat, es könnte zu einer Verwässerung des Stabilitätspaktes kommen, dem sei gesagt: Im ersten Halbjahr 2005 soll auf EU-Ebene reformiert werden. Die meisten, die sich für dieses Thema interessieren, kennen Monsieur Jean-Claude Juncker und wissen, dass er zuverlässiger Architekt des alten Vertrags gewesen ist. Jean-Claude Juncker wird dem Ecofin, dem Rat der Finanzminister der Nationalstaaten der Europäischen Union, vorsitzen. Das heißt, derjenige, der als wesentlicher Architekt des ersten Vertrags galt, wird auch dafür sorgen, dass die Reform im Geiste des ersten Vertrags durchgeführt wird. Für mich ist das Vertrauensbeweis genug. Da Sie das erheitert, möchte ich Ihnen sagen: Herr Juncker ist, glaube ich, ein konservativer Politiker. Ich möchte ihn nicht rotgrünen Verdächtigungen aussetzen. Wem das als Autoritätsbeweis noch nicht genügt, dem sei hinzugefügt, dass der Verwaltungs- und Beamtenapparat, der früher Herrn Solbes beraten hat, jetzt auch Herrn Almunia beraten wird. Dieser Beamtenapparat hat erkennen lassen, dass er die Reformbemühungen, die jetzt auf europäischer Ebene anstehen, durchaus im Geiste der ersten Vereinbarung von Maastricht sieht. Für mich ist das Autoritätsbeweis genug. Wem das aber immer noch nicht genügt - Sie aufseiten der Union lästern immer noch herum -, sei gesagt: Herr Braun vom DIHT, der kein verdächtiger rot-grüner Linker ist, hat deutlich gemacht, dass jetzt endlich ein brauchbarer Vorschlag vorliegt, der der Wiederbelebung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf europäischer Ebene dienen kann. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. ({33})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hermenau, ich höre aus den Reihen Ihrer eigenen Fraktion, dies sei Ihre letzte Rede in Ihrer Funktion als Haushaltssprecherin Ihrer Fraktion gewesen, ({0}) weil Sie mit Blick auf einen bevorstehenden Wahlgang an anderer Stelle mit noch nicht gänzlich klarem Ausgang so oder so andere Aufgaben übernähmen. Nun vermute ich - streng überparteilich -, dass diese Nachricht wie andere ähnliche von den einen begrüßt und von den anderen bedauert wird. ({1}) Jedenfalls bin ich sicher: Beide Seiten werden Sie vermissen. ({2}) Dass Sie im Übrigen in einer Haushaltsdebatte die von der Fraktion zugedachte Redezeit nicht ausschöpfen, setzt ein einsames Signal, das ich als lobendes Beispiel für die folgenden Beiträge dieser Woche ausdrücklich hervorheben möchte. Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich glaube, wir können in dieser Debatte feststellen: Der Bundeshaushalt ist aus den Fugen geraten. Ich habe - um das Beispiel der Kollegin Hermenau aufzugreifen, die von einer Baustelle gesprochen hat - in dieser Debatte den Eindruck gewonnen, dass wir uns in der Tat auf einer Baustelle befinden, aber den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen der Bauplan verloren gegangen ist. Ihnen ist die Orientierung verloren gegangen. Sie wissen nicht, wie Sie auf dieser Baustelle vernünftig weiterarbeiten wollen. Das hat diese Debatte zum Ausdruck gebracht. ({0}) Blicken wir auf die Einnahmenseite, stellen wir fest, dass die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben. Das gilt insbesondere für die Mineralölsteuer. Wer hat denn die fünf Stufen der Ökosteuer in diesem Hause eingeführt und auf eine starke Erhöhung der Mineralölsteuer gesetzt? Das gilt auch für die Umsatzsteuer sowie zuletzt für die Tabaksteuer. Sie haben versucht, über Steuererhöhungen mehr Steuern einzunehmen. Tatsächlich haben diese Steuererhöhungen aber zu einem niedrigeren Aufkommen geführt. Dafür sind Sie und Ihre Politik verantwortlich. ({1}) Schauen wir einmal auf die Ausgabenseite: Hier muss man deutlich feststellen, dass Sie seit fünf Jahren, seit Herr Eichel im Amt ist, nicht in der Lage sind, die Ausgabenseite in den Griff zu bekommen. Es war vorhin bemerkenswert, dass er von seinen Vorgängern sprach, dabei aber einen, nämlich seinen direkten Vorgänger, einfach unterschlagen hat. ({2}) Es geht um denjenigen, der die Ausgaben innerhalb weniger Monate um mehr als 20 Milliarden D-Mark erhöht hat. Diesen Basiseffekt auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts werden wir nie wieder korrigieren können. Das ist eine Altlast von Oskar Lafontaine. Das haben Sie damals mitgetragen. Heute ist Oskar Lafontaine bei Ihnen nicht mehr ganz so populär und wird nicht mehr so unterstützt. ({3}) Im Zusammenhang mit der Ausgabenseite möchte ich auf eines, was mich wundert, hinweisen: Wir haben im Frühjahr 2003 ein Haushaltssicherungsgesetz gefordert, um den Bundeshaushalt 2003 und die Folgehaushalte mit einer niedrigeren Ausgabenseite zu versehen. Sie haben das damals abgelehnt und bis zum Jahresende gewartet, als bereits die hohen Ist-Zahlen vorlagen. Sie haben unsere ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir Ihnen erneut das Angebot gemacht, mit uns gemeinsam ein Haushaltssicherungsgesetz und einen Nachtragshaushalt zu beschließen. Sie haben unser Angebot, gemeinsam mit uns Ausgabensenkungen zu beschließen, wieder ausgeschlagen. Ich wundere mich über Ihre Vorgehensweise. Sie sagen, Sie kämen mit dem Bundeshaushalt nicht zurande, schlagen aber die Angebote der Opposition zur Haushaltskonsolidierung aus. Das ist unseriös und hier haben Sie etwas nachzuliefern. ({4}) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, ein paar Worte zum Stabilitäts- und Wachstumspakt in Europa zu sagen. Die Defizitmeldung für das erste Halbjahr dieses Jahres für Deutschland lautet 4,0 Prozent. Herr Eichel hat für dieses Jahr ein Defizit von 3,7 Prozent nach Brüssel gemeldet. ({5}) Für das nächste Jahr, für 2005, wird bereits wieder an- gekündigt, dass alles im grünen Bereich sei, dass wir im Jahre 2005 keine Probleme mit dem Maastricht-Vertrag bekämen. Damit bin ich bei Ihrem ersten Fehler: Sie ma- len die Welt ständig viel zu rosarot. Sie gehen ständig von viel zu positiven Prognosen aus, die Sie dann nicht einhalten können, und zeigen sich dann überrascht. Keh- ren Sie endlich zur realistischen Einschätzung der Lage zurück und bauen Sie die Haushalte und die Meldungen nach Brüssel auf einer realistischen Basis auf. Dann würden Sie auch nicht ständig Vertrauen in der deut- schen und der internationalen Finanzpolitik verspielen. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo ist Eichel denn? - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Kriegt er die Entlassungsurkunde?) Anstatt in dieser Situation über eine Reform oder eine neue Interpretation des Maastrichtpakts zu diskutieren, wäre es aus meiner Sicht dringend geboten, dass diese Bundesregierung, dass dieser Bundesfinanzminister den Vertrag von Maastricht zunächst einmal in Geist und Wort verinnerlicht und versucht, das, was dort niedergelegt ist, einzuhalten. ({6}) Wir hätten kein Problem damit, wenn gesagt würde, man wolle aus ökonomischen Gründen darüber nachdenken, ob man die eine oder andere Regelung des Maastricht-Vertrages tatsächlich für vernünftig hält. Auch dazu haben wir Ihnen zu Beginn der Sommerpause einen Vorschlag gemacht. Wir hatten darum gebeten, eine Sondersitzung der zuständigen Bundestagsausschüsse durchzuführen, um die Frage zu behandeln, wie wir in Bezug auf den Maastricht-Vertrag gemeinsam vorgehen, um für unsere Währung, den Euro, wieder eine solide Grundlage zu schaffen. Wer dies nicht genehmigt hat, war das Bundestagspräsidium, und wer nicht damit einverstanden war, waren die Koalitionsfraktionen. Es ist doch keine Form, dass wir außerhalb des Parlaments über Maastricht diskutieren, innerhalb des Parlaments aber die diesbezüglichen Sitzungen und Diskussionen abgelehnt werden. ({7}) Nein, der Maastricht-Vertrag und die aus ihm resultierenden notwendigen Maßnahmen müssen von uns im Parlament gemeinsam getragen werden. Im Juni dieses Jahres traf der Europäische Gerichtshof eine wunderschöne Entscheidung mit Bezug auf diejenigen, die internationale Verträge bzw. europäisches Recht gebrochen haben. Herr Koppelin hat zu Recht darauf hingewiesen. Deutschland hat nämlich zum dritten Mal in Folge das Defizit-Kriterium von 3,0 Prozent nicht eingehalten. Nebenbei gesagt verletzten wir auch ein zweites Kriterium, da die Gesamtverschuldung Deutschlands mittlerweile 66 Prozent beträgt. Sie reden von nachhaltiger Politik, während die Gesamtverschuldung dieses Landes ständig wächst. Frau Hermenau, Kollegen von der SPD, was hat es eigentlich mit nachhaltiger Politik zu tun, wenn die Gesamtverschuldung unseres Landes ständig wächst? ({8}) Im Juni dieses Jahres gab es also ein wunderschönes Urteil des Europäischen Gerichtshofes, da diejenigen, die wie unser Bundesfinanzminister bzw. unsere Bundesregierung europäisches Recht gebrochen haben, versucht haben, den Sanktionen zu entkommen. Dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist eine schwerwiegende Niederlage für unseren Bundesfinanzminister. ({9}) - Herr Schmidt, das ist eine schwere Niederlage für unseren Finanzminister, weil er sich erneut rechtswidrig verhalten hat. Patriotisch wäre es, wenn wir gemeinsam versuchen, den Haushalt in Ordnung zu bringen und ({10}) die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und den Maastricht-Vertrag einzuhalten. Das wäre patriotisch, Herr Schmidt. ({11}) Eben habe ich gesagt, dass wir auf der Ausgabenseite dringend konsolidieren müssen. Ich will Ihnen aber auch noch etwas zur Einnahmeseite sagen. Denn Ihre Betrachtung der Einnahmeseite ist statisch. Ihr Blick ist rein fiskalpolitisch. Die sinkenden Einnahmen aus der Tabaksteuer, der Umsatzsteuer und der Mineralölsteuer habe ich vorhin angesprochen. Diese Umstände betrachten Sie statisch und rechnen nicht damit, dass die Marktteilnehmer, wenn Sie die steuerlichen Rahmenbedingungen verändern, darauf reagieren und dass sich durch die Dynamik des Marktes auch das Steueraufkommen verändert, und zwar nicht im geplanten statischen Sinne, sondern aus der Dynamik des Marktes. Deshalb dürfen wir keine enge und mit Scheuklappen versehene Fiskalpolitik betreiben. Vielmehr müssen wir wieder einen Gesamtentwurf für die Wirtschafts- und Finanzpolitik entwickeln, in dem die Dynamik des Marktes berücksichtigt wird. Die Philosophie kann deshalb nicht lauten, weitere Steuererhöhungen, wie Sie sie planen, durchzuführen. Die Philosophie muss lauten: Begrenzung der Steuer- und Abgabenlast und mehr Aktivität im Bereich Wachstum und Beschäftigung. Vorhin wurde das Thema Wachstum angesprochen. Ich unterstütze den Bundesfinanzminister, wenn er sagt, dass wir in diesem Land Wachstum brauchen. Das ist richtig. Die Bundesregierung hat zu Recht die Umsetzung des Lissabonziels vereinbart, ({12}) Europa bis zum Ende dieses Jahrzehnts zur wachstumsstärksten Region der Welt zu machen. Obwohl Sie sich zu diesem richtigen Ziel bekannt haben, vermisse ich, dass Sie in diesem Hause die Maßnahmen vortragen, die dafür sorgen, dass Deutschland vom Ende an die Spitze der EU gelangt und zu einer Lokomotive für den Lissabonprozess wird, und die dafür sorgen, dass Deutschland und Europa tatsächlich die Wachstumslokomotive werden. ({13}) Dazu ist bei Ihnen nichts zu erkennen. Sie wecken wieder Erwartungen voller rosaroter Wolken, betreiben aber keinerlei reale Politik. ({14}) Als Sie damals die vier Hartz-Gesetze angekündigt haben, haben Sie uns in Aussicht gestellt, dass die Anzahl der Arbeitslosen in diesem Land innerhalb von drei Jahren um 2 Millionen zurückgehen würde. Wir haben jetzt zwei Drittel dieser Zeit hinter uns. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um 1,1 Millionen gesunken. Wenn Sie das Ziel der Hartz-Gesetze, das Sie im Jahre 2002 formuliert haben, noch erreichen wollen, müssten Sie in den nächsten 12 Monaten - über diesen Zeitraum reden wir ja - über 3 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Der eigentliche Schlüssel ist, dass es, verursacht durch Ihre Politik, immer weniger Steuer- und Beitragszahler gibt. Vorhin habe ich gehört, dass die Steuer- und Abgabelast niedrig sei. Aber man muss auch sehen, dass Sie ständig die Bemessungsgrundlage verändern. Es gibt nämlich immer weniger Steuer- und Abgabenzahler. Wenn es aber weniger Steuer- und Abgabenzahler gibt, dann ist relativ klar, was dabei herauskommt: Immer weniger Menschen müssen immer mehr zahlen. Es ist eben nicht so, dass alle weniger zahlen, sondern weniger Leute, die tatsächlich Leistung bringen wollen und leistungsfähig sind, werden in unserem Land höher belastet. Deshalb sind unsere Arbeitsplätze in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist doch das Problem. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin leider überhaupt nichts dazu gesagt, dass wir dringend Nachholbedarf haben, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze am Standort Deutschland zu schaffen. ({15}) Ein Kennzeichen Ihrer Politik - ich habe vorhin von fehlender Orientierung gesprochen - ist die Tatsache, dass Sie ständig Verunsicherung verbreiten und dass Ihre Politik kein Vertrauen bei den Menschen genießt. Ich will das an dem Beispiel Eigenheimzulage deutlich machen. Wir haben mit Ihnen - der Kollege Austermann hat darauf hingewiesen - das Volumen der Eigenheimzulage im Dezember 2003 um 30 Prozent gekürzt und damit ein deutliches Signal für Subventionsabbau gegeben. Wir haben an dieser Stelle eine neue Struktur der Förderung eingeführt, die zielgenauer greifen soll. Wir haben das vor dem Hintergrund des Koch/Steinbrück-Papiers getan, nach dem drei Jahre hintereinander um jeweils 4 Prozent gekürzt werden sollte. Was machen Sie jetzt? Von diesen drei Jahren sind noch keine sechs Monate um und Sie greifen erneut die Eigenheimzulage an. Sie verunsichern alle Beteiligten im Baubereich und wundern sich, dass die Beschäftigtenzahl im Bausektor während Ihrer Regierungszeit um nahezu 50 Prozent gesunken ist. Das liegt ein Stück weit an der Verunsicherung, die Sie verbreiten. ({16}) Verlässlichkeit wäre notwendig. Verlässlichkeit heißt: wenigstens für drei Jahre einmal die Finger davon lassen und klare Rahmenbedingungen vorgeben. Sie haben binnen drei Jahren dreimal an der Eigenheimzulage herumoperieren wollen und jedes Mal hatten Sie für das Geld, das Sie dort vereinnahmen wollten, neue Verwendungszwecke. Das zeigt, dass Sie nicht nur Verunsicherung verbreiten und Vertrauen nehmen, sondern dass Sie diese Diskussion auch noch vollkommen unehrlich führen. ({17}) Sie haben nicht nur den Menschen das Vertrauen genommen und sie verunsichert, Sie haben ihnen auch die finanziellen Spielräume genommen. Wir haben bei der Einkommensteuer zwar faktisch die Steuersätze gesenkt - ich bin ausdrücklich dafür, dass wir auch weitergehen und die dritte Stufe, wie sie im Gesetzblatt steht, realisieren und nicht eine neue Debatte anfangen, ob die steuerlichen Rahmenbedingungen denn richtig sind; lassen wir die Rahmenbedingungen endlich einmal unverändert und setzen wir diese dritte Stufe um -, ({18}) aber es gibt nicht nur die Einkommensteuer, sondern auch die Verbrauchsteuern. Was haben Sie bei den Verbrauchsteuern gemacht? Überall haben Sie erhöht und damit den Menschen massiv Spielräume genommen. Das kommt zusammen und dann ist es kein Wunder, dass die Nachfrage im Binnenmarkt nicht gegeben ist, die der Bundesfinanzminister so anmahnt. Jetzt hat der Herr Poß - er ist leider nicht im Raum, ich will es aber dennoch erwähnen - darauf hingewiesen, man sei angetreten, Steuerschlupflöcher zu schließen. Wer hat denn in diesen sechs Jahren das größte Steuerschlupfloch geöffnet und dann mühsam mit unserer Hilfe wieder schließen müssen, weil massiv Einnahmen wegbrachen? Das war Ihre Reform der Körperschaftsteuer, bei der plötzlich massiv Steuermittel abflossen, nicht verursacht von irgendwelchen Vorgängern, sondern von dieser Bundesregierung. Das mussten Sie korrigieren. Das heißt: Sie öffnen Steuerschlupflöcher und müssen sie dann dringend wieder schließen. Auch das ist ein Kennzeichen Ihrer Politik: dass Sie ständig Fehler Ihrer eigenen Regierungszeit korrigieren müssen. Ich will an dieser Stelle zwei Bemerkungen zur Tabaksteuer machen. Bei der Tabaksteuer haben Sie ein Mehraufkommen von 1 Milliarde Euro kalkuliert. Sie wollten 1 Milliarde Euro mehr einnehmen, indem Sie die Tabaksteuer - gegen unseren Willen - schnell, in sehr hohen Schritten erhöhen wollten. Dem haben wir reserviert gegenübergestanden, weil wir genau die Marktreaktion vorhergesehen haben, nämlich dass die Leute nicht auf das Rauchen verzichten - in Ihrem Gesetzentwurf gab es ja keine gesundheitspolitische Zielsetzung -, sondern in die Illegalität gehen und diese Tabakwaren an der Steuer vorbei konsumieren. Genau dies ist jetzt geschehen. Es ist wunderbar, dass sich die Haushaltspolitiker der Koalition heute Morgen einig waren - wie man auf „tagesschau.de“ nachlesen kann -, die zweite und dritte Stufe der Tabaksteuererhöhung abzublasen. Nur stellt sich da natürlich in der Haushaltsberatung die Frage: Was machen Sie denn mit den veranschlagten Einnahmen aus der zweiten und dritten Stufe der Tabaksteuererhöhung? Ist das wieder so ein Schnellschuss, für den Sie keine Gegenfinanzierung haben? Wie wollen Sie das überhaupt machen? Kehren Sie endlich einmal zu einer planbaren, berechenbaren Politik zurück - dann haben wir wieder eine vernünftige Grundlage -, anstatt ständig Schnellschüsse aus der Hüfte abzugeben. ({19}) Ich halte nicht für gerechtfertigt, was der Bundesfinanzminister zur Deckung der Mindereinnahmen vorschlägt: in die Krankenkasse zu greifen - die Krankenkassen konnten durch die Gesundheitsreform einen Überschuss von 2,5 Milliarden Euro verzeichnen - und sich dieses Geld für den Bundeshaushalt zu besorgen. Das ist unanständig gegenüber der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung. Das werden wir nicht mittragen. ({20}) Sie haben die Gemeinden erwähnt. Ich will nur einmal darauf hinweisen, dass wir in diesem Jahr bezüglich der Gemeinden eine Steueramnestie beschlossen haben. Gemäß dieser Steueramnestie sollten Bund, Länder und Kommunen 5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen erhalten. Schauen wir uns das einmal an: Im ersten Halbjahr waren es 224 Millionen Euro. Kein Mensch in diesem Land glaubt mehr, dass wir die 5 Milliarden Euro bis zum Ende der Frist erreichen. Wo ist an dieser Stelle die Entlastung der Kommunen um 900 Millionen Euro? Es gibt sie nicht. Bezüglich der Gewerbesteuerumlage mussten wir Sie im Vermittlungsausschuss dazu zwingen, die Kommunen zu entlasten. Durch Hartz IV werden die Kommunen nicht, wie Sie ständig zu Unrecht sagen, entlastet, sondern sie werden belastet. Auf eine Gemeindefinanzreform wartet dieses Haus immer noch. Da wir über die Steuerpolitik reden, will ich an dieser Stelle sagen, dass wir unser Steuerkonzept, in dem wir sowohl etwas zur Reform der Kommunalfinanzen als auch zur Einkommen- und Körperschaftsteuer sagen, bereits in erster Lesung hier im Deutschen Bundestag vorgelegt haben. Es liegt jetzt im zuständigen Fachausschuss. Wenn Sie tatsächlich zu einer vernünftigen Lösung in der Steuerpolitik kommen wollen, dann greifen Sie unseren Vorschlag an dieser Stelle auf und führen Sie mit uns gemeinsam eine vernünftige Beratung durch. Dadurch können wir auch zu einer gemeinsamen Steuerpolitik kommen. Das Motto muss lauten: niedrigere Steuersätze, Ausnahmetatbestände tatsächlich abschaffen. Herr Finanzminister, bezüglich der Ausnahmetatbestände sind wir wirklich einer Meinung, aber man muss das natürlich im Zusammenhang tun. Sie können nicht nur - wie Sie das titulieren - Steuersubventionen streichen, sondern zeitgleich müssen Sie auch den Tarif senken. Das gehört zusammen; das ist eine Einheit. Sie haben eine Tarifsenkung angekündigt und die Gegenfinanzierung erstellt. Als Sie gemerkt haben, dass die Lücke nicht geschlossen werden kann, wollten Sie weitere Gegenfinanzierungen durchführen. Das ist doch Ihr übliches Vorgehen an dieser Stelle. Das ist unseriös und eine falsche Politik. ({21}) Kehren Sie zu dem zurück, was wir vorgelegt haben! Wir haben hier ein Steuerkonzept vorgelegt. Daneben liegen Konzepte für die Arbeitsmarktpolitik und die Sozialreformen vor. Wir haben Ihnen angeboten, bei der Haushaltskonsolidierung mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Nehmen Sie diese Angebote an, dann haben Sie die Chance, aus Ihrer jetzigen Lage herauszukommen. Ansonsten glaube ich, dass der Eindruck der Kollegin Hermenau, dass in Ihren Reihen eine Sehnsucht nach der Opposition herrscht, relativ realistisch wiedergegeben worden ist. Vielen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte ist die Chance für die Oppositionsfraktionen, darzulegen, welche Alternativen sie zur Regierungspolitik haben. ({0}) Ich habe keine Alternativen gehört. ({1}) Herr Austermann, der jetzt davon träumt, in Schleswig-Holstein Finanzminister zu werden, ({2}) hat sich genauso wie sein Landsmann, Herr Koppelin, an den § 1 des Schleswig-Holsteinischen Bergbaugesetzes gehalten: Vor der Hacke ist es duster. ({3}) Mehr war von Ihnen leider nicht zu hören. Herr Austermann, es ist ein Problem, dass Sie gar nicht wissen, was zusammenpasst und was im Widerspruch zueinander steht. Das war auch ein Problem bei der Vorstellung Ihres Schattenkabinetts in Kiel. Sie sagten, Sie würden Beamtenstellen abbauen, während Sie gleichzeitig aber neue Stellen für Staatssekretäre schaffen wollten - wahrscheinlich im Finanzministerium; so hatten Sie es ja wohl vorgesehen. ({4}) Herr Austermann, Sie haben uns hier verkündet, dass Sie die Lücken im Haushalt durch Steuersenkungen schließen wollen. Das war noch nicht richtig überzeugend. Der Kollege Koppelin, der eine Weile über den Haushalt und über die Probleme damit gesprochen hat - ich fand das weithin seriös -, ({5}) verwies dann auf die Vorschläge des Kollegen Solms bezüglich eines neuen Steuersystems. Das Resultat dieses von der FDP vorgeschlagenen Steuersystems wären riesige, kräftige Ausfälle bei den Steuereinnahmen. Wie das zusammenpassen soll, müssen Sie uns vielleicht irgendwie verständlich machen. ({6}) Der Kollege Koppelin hat dann den schönen Satz gesagt, die Einnahmeverbesserungen, die die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister Eichel erzielt haben, seien nur Abkassierereien bei den Bürgern gewesen. Herr Kollege Koppelin, Sie haben sich wahrscheinlich nur wenig mit dem Steueraufkommen in Deutschland in letzter Zeit befasst. Wir haben bei der Einkommensteuer und der Lohnsteuer eine massive Tarifsenkung gehabt. Das hat die ganze breite Masse der privaten Haushalte deutlich entlastet. ({7}) Es hat auch sehr viele, insbesondere auch mittelständische Unternehmen entlastet. Es gibt allerdings auch Menschen in Deutschland, die jetzt mehr Steuern zahlen als zu der Zeit, als Union und FDP die Bundesregierung gestellt haben. ({8}) Das liegt daran, dass die großen Scheunentore an Steuerschlupflöchern, die Sie, Herr Kollege Koppelin, für Ihre Klientelpolitik geöffnet haben, weithin geschlossen sind. Ein Unikum, das nur einer unions- und FDPgeführten Koalition zu verdanken ist: Das Finanzamt Bad Homburg, das für die „Arme-Leute-Gegend“ westlich von Frankfurt am Main mit der höchsten Dichte an Einkommensmillionären zuständig ist, hat 1997 bei der veranlagten Einkommensteuer mehr erstattet als eingenommen. ({9}) Inzwischen wird in Bad Homburg wieder ein positives Aufkommen an Einkommensteuer erzielt. Das ist korrekt. ({10}) Bei der Körperschaftsteuer, Herr Kollege Koppelin, haben Sie die wirklich schrullige Idee gehabt, ({11}) dass Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, steuerlich stärker belastet sein sollen als ausgeschüttete Gewinne. Wir haben eine vernünftige Reform der Körperschaftsteuer gemacht, ({12}) damit die Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, steuerlich nicht stärker belastet werden als die ausgeschütteten Erträge. ({13}) Viele Unternehmen haben sich die Steuerguthaben, die zu Ihren Zeiten angesammelt worden sind, ausschütten lassen. Das hätten sie übrigens auch vorher machen können. Aber die Unternehmen haben sich ihr Geld auf diese Weise zurückgeholt. Inzwischen sprudeln die Gelder aus der Körperschaftsteuer wieder - das ist erfreulich -, und zwar wegen einer Entscheidung, gegen die Sie, Herr Kollege Austermann und Ihre Fraktion, zunächst einmal heftig polemisiert haben. Es geht um die - so sagen wir das - Mindestgewinnbesteuerung, bei der ein Unternehmen, wenn es Gewinne macht, Verluste aus früheren Jahren nur begrenzt geltend machen kann. Diese Regelung ist nun wirklich positiv. Ich möchte noch eine Bemerkung zum Steueraufkommen machen, weil das in der öffentlichen Debatte mitunter untergeht. Es geht um die Entwicklung des Lohnsteueraufkommens und das Aufkommen bei der veranlagten Einkommensteuer. In den meisten Steuerstatistiken kommt bei der veranlagten Einkommensteuer fast immer nur ein einstelliger Milliardenbetrag heraus, während die Einnahmen aus der Lohnsteuer in der Größenordnung von 125 oder 130 Milliarden Euro liegen. Das ist eine verkürzte Darstellung; denn das ausgewiesene Kassenaufkommen bei der veranlagten Einkommensteuer ist ein Saldo aus dem Bruttoaufkommen und den Verrechnungen, beispielsweise der Erstattung an Arbeitnehmer, aber auch der Investitionszulagen oder der berühmten Eigenheimzulage. Das Bruttoaufkommen der veranlagten Einkommensteuer lag im vorigen Jahr bei einer Größenordnung von 37 Milliarden Euro. Für dieses Jahr werden gut 38 Milliarden Euro erwartet. Das war immerhin rund ein Fünftel mehr als vor zehn Jahren, während das Aufkommen bei der Lohnsteuer, obwohl die Bruttolöhne und -gehälter gegenüber 1994 in der Summe um ungefähr 17 Prozent gestiegen sind, um 8 Prozent zurückgegangen ist. Dies ist auf eine Entlastung der Bürger zurückzuführen. Genau das wollten wir. ({14}) - Herr Michelbach, die Lohnsumme ist aber gestiegen. Gegenüber dem Zeitraum von 1994 ist auch die Beschäftigung nicht zurückgegangen. Ich hoffe, Herr Koppelin, Sie wollen nicht zurück zu der Zeit, in der es sozusagen im Belieben von Steuerkünstlern stand, ob sie dem Gesetz folgen oder nicht. ({15}) Eine Bemerkung noch zu dem Kollegen Meister. Er hat aus guten Gründen wenig zur Steuerpolitik der Union gesagt. Da sind Sie sich ja auch noch nicht ganz einig. ({16}) Das ist aber auch in Ordnung, denn Sie haben ja noch viel Zeit, um sich zu verständigen. ({17}) Nehmen Sie sich ruhig die Zeit. Ich glaube sogar, je intensiver Sie diese interessante Diskussion führen, desto mehr Zeit werden Sie noch haben. Das ist eigentlich eine gute Linie. Sie haben ein paar Bemerkungen zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen und zu Maastricht gemacht. Zunächst einmal ist bei diesem Haushaltsentwurf festzustellen: Wir haben in dem Zeitraum seit 1999 im Durchschnitt jährlich einen nominalen Anstieg der Ausgaben um rund 1 Prozent. Das heißt, real sind die Ausgaben nicht gestiegen. Wir haben eine sehr zurückhaltende Ausgabenpolitik betrieben. Diese Entwicklung wird zu Recht mit dem Stichwort Konsolidierung beschrieben. Wir haben allerdings bei den Bemühungen, Steuerschlupflöcher zu schließen, Subventionen zu kürzen und Steuervergünstigungen abzubauen, immer wieder gegen Ihren Widerstand angehen müssen. Herr Meister hat angekündigt, das solle sich ändern. Ich bin gespannt. Bisher war das noch nicht erkennbar. Aber ich sage Ihnen: Das wird eine wichtige Aufgabe sein, nicht nur in diesem Hause, sondern auch im Bundesrat. Der Bundesrat ist ein Bundesorgan und muss deshalb die gemeinsame Verantwortung für diesen Bundeshaushalt mittragen. Dazu gehört eben gerade auch der Abbau von Vergünstigungen und ungerechtfertigten Subventionen. Wir könnten bei der Konsolidierung unseres Haushalts weiter sein, wenn die Mehrheit im Bundesrat konstruktiver wäre. Ich hoffe, Sie haben ein Stück Einfluss, Herr Meister, und vielleicht auch den Willen - der ist ja nicht immer erkennbar -, dazu beizutragen. Wir sind jedenfalls auf einem guten Wege und wir werden den klaren Kurs von Hans Eichel, den Dreiklang aus Konsolidierung, aus Strukturreformen und aus Wachstumsimpulsen weiter stützen. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, in der heutigen Lesung aus Hans Eichels gesammelten Märchen, Band 6 - der stand ja heute an -, einiges Neues zu vernehmen. Aber nachdem schon die Bände 1 bis 5 im Bereich der Märchen geblieben sind und die angekündigten Zahlen sich niemals realisiert haben, hat Herr Eichel heute versucht, sich mit einem gewissen Geschick und mit großer Redegeschwindigkeit an den eigentlichen Problemen vorbeizumogeln. ({0}) Über den Haushalt habe ich nicht viel gehört. Daran hat er auch gut getan, weil sich auch diese Haushaltszahlen im nächsten Jahr wiederum nicht einstellen werden und auch gar nicht einstellen können. ({1}) Im Rahmen der Analyse der ökonomischen Situation hat Herr Eichel allerdings einige Bemerkungen gemacht, die teilweise richtig, teilweise aber eben auch falsch waren. Insbesondere sagte er: Kein Wachstum ohne solide Staatsfinanzen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, genau das Gegenteil ist richtig: Keine soliden Staatsfinanzen ohne Wachstum. Die Frage ist nicht: Wie kann ich durch Sparen den Haushalt in Ordnung bringen? Die Frage ist vielmehr: Wie kann ich durch eine Dynamisierung der Wirtschaft und durch mehr Beschäftigung die Ausgaben einschränken und die Einnahmen erhöhen und damit auch die Haushalte konsolidieren? ({2}) Die Antworten darauf haben Sie, Herr Eichel, verschwiegen oder Sie wissen sie nicht. Jedenfalls hat die rot-grüne Regierung in den entscheidenden Fragen die entscheidenden Weichenstellungen nicht vorgenommen. ({3}) Es sind eigentlich drei Punkte, um die es geht. Hartz IV ist im Kern richtig. Das haben wir nie bestritten. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Es geht nicht nur darum, diejenigen, die Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beziehen, zu bewegen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, sondern Sie müssen auf der anderen Seite den Arbeitsmarkt auch öffnen. Das ist nicht in der notwendigen Form geschehen. ({4}) Heute Abend wird der Bundeskanzler - das habe ich dem Fernsehen entnommen - mit den Gewerkschaftsführern zusammentreffen. Das wäre der Zeitpunkt, Herr Eichel - ich weiß nicht, ob Sie eingeladen sind -, den Gewerkschaftsführern zu sagen: Es muss mit den starren Tarifverträgen Schluss sein. Das ist in der offenen Weltwirtschaft völlig unrealistisch. So bekommen wir keine neuen Arbeitsplätze. ({5}) Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt, Herr Schmidt, ist die Senkung der Lohnzusatzkosten, um die Arbeitsplätze zu entlasten. Das heißt Reform der Gesundheitspolitik, der Rentenpolitik und der Pflegeversicherung. Wir dürfen nicht, wie Sie es wollen, in ein staatliches Einheitssystem, ({6}) das aus einer Einkommensteuer II finanziert wird. Einige von Ihnen haben bereits erkannt, dass das ein Irrweg ist. Was wir brauchen, sind Wettbewerb, Privatisierung und Eigenverantwortung. ({7}) Das heißt, dass die Arbeitskosten von den Sozialkosten getrennt und die Arbeitsplätze auf die Weise finanziell entlastet werden. Der dritte Punkt - das ist das eigentliche Thema in dieser Debatte - ist die Steuerreform. Sie müssen die Anreize für Investitionen, aber auch für den Konsum durch einfache und niedrige Steuern stärken. ({8}) Wir sind keine geschlossene Volkswirtschaft, sondern wir bewegen uns in der offenen Weltwirtschaft. Wir müssen uns dem Wettbewerb und der Tatsache stellen, dass die um uns liegenden Industriestaaten eine niedrigere Steuerbelastung haben. Sie können machen, was Sie wollen: Diesem Wettbewerbsdruck können Sie sich nicht entziehen. Also ist eine Steuerreform zwingend notwendig, und zwar mit einer Steuerentlastung. ({9}) Wir entziehen uns überhaupt nicht der Verantwortung, Steuersubventionen und andere Subventionen zu kürzen oder konsequent zu streichen - aber nicht, Herr Eichel, um Ihre Schulden zu finanzieren, sondern um die Bürger und die Wirtschaftssubjekte zu entlasten. ({10}) Nur so wird volkswirtschaftlich ein Schuh daraus. Wir haben die konsequente Abschaffung aller steuerlichen Subventionen in unserem Steuerreformkonzept vorgesehen. Die Eigenheimzulage, die keine Steuersubvention ist, würde auch dazugehören. ({11}) Nur dann wird daraus die Botschaft, dass es sich wieder lohnt, in Deutschland zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die eigentliche Quintessenz einer volkswirtschaftlichen Debatte. ({12}) Im Übrigen will ich Ihnen, Herr Eichel, sagen: Ihre Steuerpolitik der letzten Jahre ist mit Widersprüchen übersät. Ich habe eine ganze Phalanx von Beispielen. Ich will auf einige eingehen. Sie sprachen von der größten Steuerreform aller Zeiten. Gleichzeitig haben Sie in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden mitgeteilt, eine Abgeltungsteuer für Zinsen könne deshalb nicht kommen, weil die Personenunternehmen nach der dritten Stufe Ihrer Steuerreform immer noch mit bis zu 52 Prozent belastet würden. Was zeigt das denn? Diejenigen, die in erster Linie in der Lage sind, Arbeitsplätze zu schaffen, werden steuerpolitisch am schlechtesten behandelt. ({13}) Das macht doch keinen Sinn. Die Kapitalgesellschaften werden viel stärker entlastet. Das kann so nicht bleiben. Schon dieser Widerspruch zeigt, dass eine echte Steuerreform mit einer Vereinheitlichung der Steuerbelastung zwingend notwendig ist. ({14}) - Das ist so. Er hat es selbst geschrieben. Ich kann Ihnen eine Kopie des Briefes geben, wenn Sie es nicht wissen. Sie haben jetzt ein Kleinunternehmerförderungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem die Gewinnermittlung auf einem amtlichen Formular vorgeschrieben wird. Die Unternehmer sollen 82 Zeilen mit 82 Angaben ausfüllen, die im Gesetz nirgends vorgeschrieben sind und die sie in aller Regel auch gar nicht haben. Was ist denn daran Förderung? Das löst das pure Chaos aus. Ich glaube, Sie haben gar nicht gewusst, was Ihnen Ihre Beamten da aufschreiben. Das ist an Ihnen vorbeigelaufen. ({15}) Das nächste Beispiel ist die Neuregelung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung, § 8 a des Körperschaftsteuergesetzes. Ich weiß, dass das in steuerpolitischer Hinsicht sehr schwierig und durch den Europäischen Gerichtshof erzwungen ist. Aber die von Ihnen vorgesehenen Regelungen gehen nicht an. ({16}) Sie belasten gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in ihrer Eigenkapitalfinanzierung. In der Eigenkapitalbasis liegt ohnehin die strukturelle Schwäche des deutschen Mittelstands. Ihre Regelung wird zu weiteren Insolvenzen und Entlassungen führen. Ein weiteres Beispiel ist die Mindestbesteuerung. Herr Spiller ist gerade darauf eingegangen. Was Sie ausgeführt haben, ist völlig falsch. Einführung der Mindestbesteuerung heißt, dass entstandene Verluste nicht in voller Höhe mit den erzielten Gewinnen verrechnet werden dürfen. Was heißt das im Grunde genommen? Sie sozialisieren die Gewinne und privatisieren die Verluste. Auch das führt bei eigenkapitalschwachen Unternehmen zu Existenzkrisen. ({17}) Ein anderes Beispiel ist die Steueramnestie. Wir haben darüber gesprochen, Herr Eichel, und ich habe Ihnen dargelegt, dass die Steueramnestie nur dann Erfolg haben wird, wenn Sie gleichzeitig dauerhaft eine maßvolle Zinsbesteuerung durchsetzen - ich verweise auf die Abgeltungsteuer -, die Vermögensteuer endgültig abschaffen, die Diskussion über die Erbschaftsteuer beenden und wenn Sie nicht noch zusätzlich eine neue Steuer im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform in die Diskussion einbringen würden. Das verunsichert die Sparer, die ihr Geld dann nicht zurückbringen. Das hat sich bereits gezeigt. Sie haben 5 Milliarden Euro im Haushaltsplan eingesetzt, bis jetzt sind aber nur etwas mehr als 270 Millionen Euro als Einnahme zu verzeichnen. Ich komme zu einem letzten Punkt. Sie haben ausgeführt, Energiespekulanten - da gebe es geheimnisvolle internationale Kräfte - seien die Ursache dafür, warum es uns so schlecht gehe. Wer ist denn der Preistreiber in der Energiepolitik? Das ist doch der Staat. ({18}) - Hören Sie doch zu, Herr Schmidt! Ich will es Ihnen erklären. - Von den 18 Cent, die ein privater Haushalt für eine Kilowattstunde Strom bezahlen muss, entfallen 2,1 Cent auf die Ökosteuer, 2 Cent auf die Konzessionsabgabe zugunsten der Kommunen, 0,4 Cent auf die erneuerbaren Energien und 0,3 Cent auf die Kraft-WärmeKopplung. Die Belastung in diesen Bereichen ist von 2,28 Milliarden im Jahr 1998 bis heute auf 11,88 Milliarden Euro angestiegen. ({19}) - Plus Mehrwertsteuer. Eines ist klar: Die Energiepreissteigerungen haben eine Farbe, und zwar grün. Auch Strompreissenkungen haben eine Farbe, nämlich gelb: „Yello Strom“. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zunächst feststellen, dass wir Ihnen von der Opposition die bisherigen Beiträge in der Debatte zu diesem Haushaltsplanentwurf nicht durchgehen lassen können. ({0}) Ich will das auch begründen. Es ist richtig, dass wir zum Beispiel von ausländischer Seite - man sollte schließlich auch Leute befragen, die Deutschland von außen betrachten - darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir die Realitäten zur Kenntnis nehmen und erkennen sollten, wo wir Probleme haben, deren Lösung wir auch angehen müssen. Darüber kann man, wie gesagt, mit Bekannten, Journalisten und Politikern im Ausland diskutieren. In diesem Zusammenhang kann ich feststellen, dass wir durchaus bereit sind, anzuerkennen, dass die haushaltspolitische Lage schwierig ist. Das ist vonseiten der Opposition auch angemahnt worden. Es geht aber nicht an, dass Sie sich in dieser Debatte - wir diskutieren seit 10 Uhr und damit seit über drei Stunden - im Wesentlichen damit zufrieden geben, negative haushälterische Entwicklungen anzuprangern. Das können Sie zwar machen, aber es reicht nicht, unsere Vorschläge zu verwerfen; Sie müssen vielmehr eigene Antworten geben. Sie betreiben eine reine Verweigerungshaltung. ({1}) Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen nachweisen. Gerade Sie, Herr Austermann, haben sich hier wie jemand verhalten, der Sehnsucht nach Kiel hat. Ich kann das verstehen. Sie haben einen Wahlkampf vor sich. Ich komme auf die Position der CDU/CSU zurück, die sie gestern im Zusammenhang mit der Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes vertreten hat. Sie mahnen Mut zur Kürzung bei den Ausgaben an. Die rot-grüne Regierung fordert - wir sind mit dieser Forderung nicht allein -, beim Subventionsabbau endlich den Agrarbereich anzupacken, auch wenn es der CDU/CSU wehtut. ({2}) Hier müssen Sie sich einmal stellen. Bei der gestrigen Beratung des Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes hatten Ihre Kollegen aber nichts Besseres zu tun - das trifft leider auch auf Herrn Koppelin von der FDP-Fraktion zu; auch er hat schließlich bald Wahlkampf in Schleswig-Holstein -, als zu sagen: Wir können keine Sonderopfer - so nennen Sie das - im Agrarbereich fordern. Ich sage Ihnen: Das ist Quatsch. Wir müssen endlich die Kraft aufbringen, mit althergebrachten Subventionen aufzuräumen. Wir können nicht immer wegen Ihres Schielens auf Landtagswahlen kneifen. ({3}) Genau das tun Sie: Sie kneifen und stellen sich stur, wenn es um Subventionsabbau im Agrarbereich geht. Wir werden Ihnen aber Ihren Mangel an Antworten und Ihre Ängstlichkeit nicht durchgehen lassen. ({4}) Sie könnten sich sogar hinter uns verstecken. Sagen Sie einfach, dass es nicht Ihre Idee war. Aber geben Sie endlich zu, dass es angesichts der Haushaltssituation nicht zumutbar ist, ängstlich und vorsichtig auf Beibehaltung alter Subventionen zu bestehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, sicher.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, dass im Dezember letzten Jahres im Vermittlungsausschuss klare Beschlüsse zum Subventionsabbau gefasst worden sind, die erstens Kürzungen der Kohlesubventionen beinhalten - davon sind Sie jetzt abgewichen - und die zweitens vorsehen, die Landwirtschaft wegen der dramatischen Situation, in der sich die Landwirte befinden, bei den Kürzungen auszusparen? Sind Sie jetzt etwa der Meinung, dass sich die wirtschaftliche Situation unserer bäuerlichen Familienbetriebe so verbessert hat, dass man von der gemeinsamen Übereinkunft vom Dezember letzten Jahres abweichen sollte?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Austermann, ich habe die von der Union im Vermittlungsausschuss eingenommene pauschale Haltung, den Agrarbereich gänzlich aus den Kürzungen herauszunehmen, immer für falsch gehalten. Ich habe dies auch schon im Plenum gesagt und bin noch heute dieser Meinung. Ich halte es für einen großen haushälterischen Irrtum, dass Sie sich an dieser Stelle nicht bewegen. ({0}) Herr Austermann, gerade Sie als haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion sollten diesbezüglich für eine neue Position in Ihrer Fraktion werben. Es stimmt zwar, dass im Vermittlungsausschuss dieses Ergebnis erzielt wurde. Aber ich bin angesichts der Entwicklung des Bundeshaushalts der Meinung, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, Lösungen zu präsentieren. Sie darf sich nicht auf alten, falschen Kompromissen ausruhen. Deswegen finde ich es richtig, dass wir auch einen neuen Vorschlag betreffend die Eigenheimzulage machen. ({1}) Beim Thema Kohlesubventionen kneife ich nicht. Sie wissen sicherlich, dass Rot und Grün einen unterschiedlich stark ausgeprägten Ehrgeiz im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Degression haben. Aber faktisch wird der Subventionsabbaupfad auch bei der Kohle beschritten. Ich bin sicher, dass unsere Einigung angesichts der Entwicklung des Kohlepreises auf dem Weltmarkt einen stärkeren Abbau der Kohlesubventionen ermöglichen wird. Hier lasse ich mich gerne in die Pflicht nehmen. Das ist jedenfalls eine Aufgabe, die wir, die Grünen, sehr ernst nehmen. ({2}) Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren. Schließlich möchte ich hier keine Landwirtschaftsdebatte führen, auch wenn der Agrarbereich typisch für Ihr Verhalten ist. Ich möchte Sie noch mit anderen Bereichen beglücken. In der Tat geht es auch bei der Eigenheimzulage um ein großes Finanzvolumen. Wenn Sie sagen, dass auch Sie erkannt hätten, dass wir Mittel für den Bildungs- und Forschungsbereich freimachen und Mut zur Setzung neuer Prioritäten haben müssten, dann ist es nicht zu tolerieren, dass Sie sich sperren, bei der Streichung der Eigenheimzulage mitzumachen. Sie haben auch eine Verpflichtung in den Ländern und in den Kommunen, in denen Sie die Gestaltungskompetenz für Bildungsfragen haben. Wenn Sie hier nicht zu Streichungen bereit sind, müssen Sie zumindest eine Alternative mit gleichem Finanzvolumen anbieten. Das, was Sie bisher gemacht haben, ist jedenfalls mangelhaft, aber leider typisch. Ich kann Ihnen gerade mit Hinweis auf die bevorstehende Landtagswahl in Schleswig-Holstein nur raten: Orientieren Sie sich in dieser Frage doch einfach an der Empfehlung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, das einen weiter gehenden Subventionsabbau vorschlägt. Das sollte Sie ermutigen. Bremsen Sie den Subventionsabbau nicht! Denken Sie daran, dass sich eher die Regierung öffentliche Kritik für Subventionsabbau gefallen lassen muss! Verstecken Sie sich also ruhig hinter uns, wenn Sie es nötig haben. Aber lassen Sie uns gewähren. Das wäre für die Konsolidierung des Haushalts der öffentlichen Hand ein wichtiger Schritt. ({3}) Die Konzepte der Union sind wirklich desolat. ({4}) Sie schlagen vor - Herr Meister hat es gerade getan -, auf Ihr Konzept für den Bereich der sozialen Sicherung zurückzugreifen. Da muss ich Sie fragen: Herr Meister, was sollen wir denn da tun? Sollen wir jetzt eher die CSU-Variante oder die CDU-Variante wählen? Es ist richtig, zu sagen, dass auch die Finanzierung des Gesundheitssystems reformiert werden muss. Sie sind in diesem Herbst eine Antwort darauf schuldig, wie ein Steuerloch in Höhe von mindestens 25 Milliarden Euro gedeckt werden soll, wenn man Ihrem Vorschlag folgt und auf die Kopfpauschale umstellt. Sie können den Leuten mit Blick auf die Lohnnebenkosten und die Abkopplung vom Arbeitsmarkt keine Versprechungen machen, ohne Antworten auf die steuerlichen Fragen zu haben, zum Beispiel darauf, wie der Solidarausgleich im Gesundheitsbereich funktionieren soll. Oder legen Sie keinen Wert auf eine Absicherung des Solidarausgleichs? Diese Frage müssen Sie hier beantworten. ({5}) Noch alberner ist es - die 100-Milliarden-Euro-Frage muss Frau Merkel morgen wirklich beantworten -, dass Sie ein illusionistisches Steuereinnahmekonzept verfolgen. Herr Meister, Sie haben gesagt, wir sollten nicht rosarot malen. Das finde ich richtig. Wenn ich behaupte, dass wir auch nicht schwarz malen sollen, dann werden Sie ebenfalls nicken. Herr Eichel, unser Finanzminister, hat am Ende seiner Rede eine gute Botschaft formuliert, als er gesagt hat: Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir ein starkes Land sind, das allerdings große Herausforderungen zu bewältigen hat. Aber zur rosaroten Brille im negativen, im kritischen Sinne gehört selbstverständlich auch, dass man Steuerpolitik nicht statisch betrachten darf. ({6}) Man darf aber auch nicht so vorgehen, dass man behauptet, wir könnten die Steuersätze in einem solchen Maße senken, wie Sie das propagieren, und gleichzeitig die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage komplett ablehnen, wie Union und FDP es tun. Man muss schon erkennen, dass wir dann ein Riesenhaushaltsdesaster erleben würden. ({7}) Wenn wir Ihnen folgen, dann haben wir ein strukturelles Haushaltsproblem, mit dem wir den europäischen Stabilitätspakt nie und nimmer erfüllen können. Deswegen sage ich Ihnen: Ihre Konzepte sind illusionistisch. Auf der Einnahmeseite werden Löcher gerissen, während auf der Seite der sozialen Sicherungssysteme der Solidarausgleich hineingedichtet wird. Da bleiben Sie Antworten schuldig. So kommen Sie durch diese herbstlichen Beratungen nicht hindurch. ({8}) Ich möchte mit einigen Bemerkungen zu der Diskussion über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt schließen. Ich finde, Sie haben dazu ein bisschen wenig gesagt. Sie haben zu der aktuellen Diskussion nämlich im Grunde gar keine Position bezogen. Es ist richtig, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt in den letzten Jahren nicht eingehalten haben. Mit Blick auf das nächste Jahr haben wir eine ziemlich schwierige Diskussion vor uns. Auch da werden wir verAnja Hajduk suchen, Sie in die Pflicht zu nehmen; schließlich legen auch Sie Wert darauf, dass wir das 3-Prozent-Kriterium im nächsten Jahr erfüllen. Ich finde es aber auch wichtig, dass Sie einmal dazu Stellung nehmen, was der Bundesfinanzminister zu diesem Thema im letzten Jahr gesagt hat und was er zu dem Vorschlag der EU-Kommission heute sagen kann. Ich halte es für gut, dass wir trotz der schwierigen Bilanz, die die deutsche Seite vorzulegen hat, sagen können: Die Grenzen und die Kriterien sollen weiterhin Bestand haben. ({9}) - Das hat nichts mit „gnädig“ zu tun, sondern damit, wie Sie sich dazu stellen, dass man in der Kommission gesagt hat: Es ist wohl richtig, die wirtschaftliche Entwicklung stärker zu berücksichtigen. Sie haben sich hier dazu gar nicht geäußert. Das finde ich oberflächlich von Ihnen. Sie müssen sich dazu äußern. Es geht hier nämlich nicht um Opposition gegen die Politik der deutschen Regierung, ({10}) sondern darum, dass sich die Hälfte der europäischen Staaten in Schwierigkeiten befindet. Angesichts dessen wünsche ich mir von Ihrer Seite eine differenzierte Haltung in der Diskussion über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ich werde von Ihnen einfordern, dass Sie uns dabei unterstützen, im nächsten Jahr das 3-Prozent-Kriterium zu erfüllen. Ich glaube, das wird Sie in den Haushaltsberatungen mehr als uns fordern, vielleicht auch überfordern. ({11}) Ich werde das mit Interesse verfolgen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unterstützen Sie uns beim Subventionsabbau! Wenn Sie das tun, dann haben wir schon einen ganzen Teil geschafft. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Morgen hat der Bundesfinanzminister sehr lange gesprochen. Er hat über alles Mögliche gesprochen, aber kaum über den Bundeshaushalt, nicht zur Struktur des Haushalts, nicht zu den Eckdaten, nicht zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, ({0}) wohl auch deswegen nicht, weil der Haushalt, so wie er vorgelegt worden ist, unrealistisch ist, weil er eher einem Märchenbuch denn dem Schicksalsbuch der Nation gleicht. ({1}) Märchen sind laut Brockhaus fantastische Geschichten, die weder an Ort noch Zeit gebunden sind. Man hatte während Ihrer Rede heute, Herr Minister Eichel, wirklich den Eindruck, Sie fühlten sich an Raum und Zeit nicht gebunden. ({2}) Der vorliegende Haushaltsentwurf belegt schon nach sechs Jahren das haushalts- und finanzpolitische Scheitern der Bundesregierung. Sie haben die Staatsfinanzen an die Wand gefahren - mit verheerenden Auswirkungen für die wirtschaftliche Lage im Land und negativen Folgen für ganz Europa. Heute früh hat Minister Eichel versucht, dieses Scheitern in wohlklingenden Formulierungen zu verstecken, zum Beispiel zum angekündigten Wachstum. Er hat von der Notwendigkeit gesprochen, die Reformen zu sichern, und davon, es gehe darum, haushaltspolitisch Kurs zu halten usw. Aber von Sparen konnte da wirklich keine Rede sein. Herr Minister Eichel, Sie haben mit keinem Wort erwähnt, wann Sie denn einen ausgeglichenen Bundeshaushalt aufstellen wollen und wann ein ausgeglichener gesamtstaatlicher Haushalt wieder möglich ist. Vor gerade einmal zwei Jahren - allerdings vor der Bundestagswahl; das ist der kleine Unterschied - haben Sie für das Jahr 2003 - wörtlich - einen annähernd ausgeglichenen Haushalt und für das Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt angekündigt. ({3}) Wenige Monate später, nach der Bundestagswahl, mussten Sie einen Nachtragshaushalt vorlegen und haben die Nettoneuverschuldung auf 32 Milliarden Euro erhöht. ({4}) Für das Haushaltsjahr 2003, für das Sie einen annähernd ausgeglichenen Haushalt angekündigt hatten, haben Sie die Neuverschuldung auf fast 40 Milliarden erhöhen müssen. Die Menschen in unserem Land haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, welches finanz- und haushaltspolitische Desaster die Regierung Schröder zu verantworten hat. Der Haushaltsentwurf umfasst Ausgaben in der Größenordnung von 258 Milliarden Euro. Im Haushalt 1998 waren es 233 Milliarden Euro. Die Ausgaben sind also erheblich gestiegen und allen Beteuerungen zum Trotz nicht gesunken. Allein die Nettokreditaufnahme hat sich in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung - Kollege Austermann hat bereits darauf hingewiesen - um rund 190 Milliarden Euro erhöht. Ich habe noch im Gedächtnis, wie Sie hier einmal mit tränenerstickter Stimme über die Probleme der Einheit und der Wiedervereinigung gesprochen haben. Weil Sie heute wieder den Versuch unternommen haben, sage ich: Sie werden mir zugeben müssen, dass die Verschuldungssituation, die Nettokreditaufnahme und die Transferleistungen der Jahre ab 1990 anders zu bewerten sind, als das in normalen Zeiten vor der Wiedervereinigung oder auch jetzt der Fall ist. ({5}) Sie wissen ganz genau - Sie brauchen sich nur das Tabellenwerk anzuschauen -, dass die damalige Regierung die Verschuldung innerhalb weniger Jahre auf ein Drittel reduziert hatte und dass für 1990 eigentlich schon ein ausgeglichener Haushalt möglich gewesen wäre. Die Entwicklung war dann anders. Ich sage: Die Entwicklung war für unser Land und für unser Volk Gott sei Dank anders. Entsprechend haben wir natürlich die Probleme haushälterischer und finanzieller Art, die sich in der Folge daraus ergeben haben, zu würdigen. Die Haushalte der Jahre 2002 bis 2004 haben den vom Finanzminister geplanten Rahmen nicht eingehalten. Offenkundige Risiken wurden nicht berücksichtigt. Umfangreiche Nachtragshaushalte waren erforderlich. Auch jetzt fehlt dem Finanzminister Mut, rechtzeitig gegenzusteuern und einen Nachtragshaushalt für 2004 vorzulegen. Bei den Haushalten der Jahre 2002 bis 2004 - das gilt auch für den vorliegenden Entwurf - übersteigt die Nettokreditaufnahme die Höhe der Investitionen beträchtlich. Die verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 115 Grundgesetz wird mit Hilfskonstruktionen umgangen. Gleiches ist nun wieder beabsichtigt. Der Präsident des Bundesrechnungshofes, bestimmt kein CDU/CSU-Mann, hat schon im Sommer mitteilen lassen, der Rechnungshof sei schon seit langem der Auffassung, dass die Veräußerung von Bundesvermögen nicht den laufenden Haushalt finanzieren dürfe, sondern der Tilgung der Bundesschulden dienen müsse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bund trägt mit seiner Haushaltspolitik die Verantwortung dafür, dass Deutschland insgesamt die Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes wiederholt verletzt. 2004 wird Deutschland zum dritten Mal ein Haushaltsdefizit von deutlich mehr als 3 Prozent, wahrscheinlich schon nahe bei 4 Prozent, aufweisen. Solch eine Zwischenbilanz rotgrüner Haushalts- und Finanzpolitik ist verheerend für das Land, aber auch bezeichnend für Rot-Grün. Für 2005 ist keine Besserung in Sicht. Die Annahmen über die wirtschaftliche Entwicklung sind unrealistisch. Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Eine konjunkturelle Erholung ist nicht in Sicht. Die Binnennachfrage - Sie selber haben es ja eingeräumt - bleibt weiterhin schwach. Hauptursache dafür ist das mangelnde Vertrauen der Menschen in die Politik und die mangelnde Verlässlichkeit dieser Regierung. ({6}) Diese Unsicherheit führt zu dem beklagten Konsumverzicht bzw. zur Konsumzurückhaltung und letztlich auch zu geringeren Steuereinnahmen. Mittlerweile verzeichnen wir über das Jahr gerechnet einen Verlust von 520 000 Arbeitsplätzen. Wir haben mittlerweile die geringste Beschäftigungsquote aller vergleichbaren Industrienationen. Zu einem anderen Thema, das vorhin bereits angesprochen wurde: Die Entwicklung der Energiepreise wirkt sich mittlerweile ebenfalls sehr nachteilig auf die wirtschaftliche Entwicklung und das wirtschaftliche Wachstum aus. Die Preissteigerungen - Kollege Dr. Solms hat schon darauf hingewiesen - sind ganz überwiegend auf politisches Handeln zurückzuführen. Ein Anteil von circa 40 Prozent an den Strompreisen ist politisch bzw. staatlich veranlasst. ({7}) Ich fand es schon niedlich, am Sonntagabend von der Frau Lemke zu hören, dass man sich jetzt auch diesem Problem widmen wolle. Das hat sie jedenfalls im Fernsehen so dargestellt. Schauen Sie sich nur einmal an, welches ungeheure Subventionsgebäude sich infolge des EEG neu aufbaut. Schauen Sie sich einmal die vielen Windparkgesellschaften an. ({8}) Aufgrund der Steuersubventionen, die hierfür gewährt werden, handelt es sich zum größten Teil um Abschreibungs- und Verlustzuweisungsgesellschaften. Wichtig ist Ihnen aber nur, dass ein Thema grün angestrichen ist. Dann ist alles akzeptabel, dann gelten keine ordnungspolitischen Grundsätze mehr. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushalt erfüllt nur auf dem Papier die Forderungen des Art. 115 des Grundgesetzes, gemäß dem die Investitionen höher sein müssen als die Nettokreditaufnahme. Durch das Einstellen von völlig unrealistischen Privatisierungserlösen in Höhe von 15 Milliarden wird die Nettokreditaufnahme künstlich niedrig gehalten. Ich habe vorhin auf die Aussage des Bundesrechnungshofes hingewiesen. Sie verscherbeln im Moment das letzte TafelBartholomäus Kalb silber, um mit Buchungstricks noch einigermaßen bestehen zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kalb, ich möchte Sie fragen, wie Sie zu dem Vorschlag von Ministerpräsident Stoiber, eine 5-prozentige Kürzung der Subventionen vorzunehmen, stehen und ob Sie sich für den Fall, dass Sie sie befürworten, darüber im Klaren sind, was das bedeutet. Es würde einen Baustopp auf der Museumsinsel, Kürzungen beim Roten Kreuz, bei UNICEF, bei internationalen Kontakten, bei der Sportförderung und bei der Bildung nach sich ziehen und bis hin zu geringeren Mitteln für die Bekämpfung der Schwarzarbeit führen. Ich möchte diese Liste nicht fortsetzen, aber das hätte wirklich dramatische Folgen, insbesondere auch bei der Rente. Das schneidet auch deshalb so dramatisch ein, weil, wie wir beide ja wissen, ein sehr großer Anteil des Haushaltes aus Pflichtaufgaben besteht und deshalb hinsichtlich einer globalen 5-Prozent-Kürzung wenig Spielraum besteht. Wie stehen Sie also dazu?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden erstens hier im Bundestag als Mitglieder des Haushaltsausschusses den Bundeshaushalt sehr sorgfältig beraten und unsere eigenen Vorschläge einbringen, so wie es Kollege Austermann angekündigt hat. ({0}) Zweitens. Darüber hinausgehende Vorschläge machen ja nur einen Sinn, wenn sie auch aufgegriffen werden. Diese sind also als ein Hinweis des bayerischen Ministerpräsidenten bzw. des Parteivorsitzenden der CSU an die Bundesregierung zu verstehen, dass man bereit ist, gemeinsam größte Kraftanstrengungen zu unternehmen, um die öffentlichen Finanzen insgesamt wieder in Ordnung zu bringen. ({1}) Das setzt aber voraus - das wird immer unterschlagen -, dass diejenigen, die zurzeit in der Verantwortung stehen und Mehrheiten auf Bundesebene organisieren können, dazu auch bereit sind. Eine entsprechende Bereitschaft kann ich aber weit und breit nicht erkennen. Das würde natürlich einschneidende Maßnahmen bedeuten, über die sich die großen demokratischen Kräfte im Lande einig sein müssten. Wir werden in diesem Lande noch unter großen Schmerzen erhebliche Sanierungsmaßnahmen vornehmen müssen, wenn wir mit unserer - vor allem Ihrer - Aussage ernst machen wollen, dass die Lasten nicht in die Zukunft verschoben werden sollen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz anders lautender Bekundungen des Finanzministers wird Deutschland auch im nächsten Jahr den Stabilitätspakt verletzen. ({3}) Die Einhaltung des 3-Prozent-Kriteriums ist 2005 nicht möglich. Dazu kommt, dass auch das Kriterium des Schuldenstandes weit überschritten werden wird. Mit rund 66 Prozent wird er eine Höchstmarke erreichen. Vermutlich wird Deutschland 2005 das einzige Land im Euroraum sein, das in so eklatanter Weise gegen den Maastricht-Vertrag verstößt. ({4}) Sie sind dabei, den Wachstums- und Stabilitätspakt auszuhöhlen. Sie fordern neue Elemente und länderspezifische Betrachtungen. Nötig sind aber nicht neue Betrachtungsweisen, sondern nötig ist ein klares und überschaubares System, das jeder verstehen kann und durch das sich die Mitgliedsländer gleich behandelt fühlen können. Im Entwurf für 2005 sind nicht nur die Einnahmen des Bundes zu hoch, sondern auch die Ausgaben zu niedrig angesetzt. Kollege Austermann hat bereits auf die Folgen von Hartz IV und anderen Maßnahmen hingewiesen. Ein ganz großes Problem ist die dramatisch sinkende Investitionsquote. Wenn die Investitionsquote nur noch bei etwa 8,5 Prozent liegt, ist das alarmierend. Das führt zu einem Substanzverlust in ungeheurem Ausmaß in diesem Lande. ({5}) Sie alle wissen, dass wir eine Investitionsquote des Bundes von im Schnitt 12,5 bis 13 Prozent bräuchten, um den Substanzerhalt zu gewährleisten. ({6}) Wer nicht ausreichend investiert, gefährdet die Zukunft; denn er spart nicht, sondern verschiebt Lasten in die Zukunft. Aus dem bäuerlichen und dem handwerklichen Bereich weiß man, wie schwer es für Betriebsübernehmer ist, wenn vor der Betriebsübergabe nicht ausreichend investiert worden ist, wenn die Betriebe nicht zukunftsfähig gemacht worden sind. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor kurzem die Bundesregierung zitiert, und zwar wie folgt: Laut Angaben der Bundesregierung sind gerade acht von zehn Autobahnkilometern uneingeschränkt befahrbar, von den Bundesstraßen sogar weniger als 70 Prozent. Hinzu kommt, dass sich jede achte Brücke in einem kritischen Bauzustand befindet. Insgesamt entsteht der Volkswirtschaft durch die resultierenden Staus ein geschätzter Schaden von bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr. ({8}) Das belegt, wo die Probleme sind, wo Sie falsch handeln, wie falsch Sie die Schwerpunkte setzen. Die Fernstraßenfinanzierung ist heruntergefahren und heruntergewirtschaftet worden. Ich will jetzt mangels Zeit nicht über die Maut und das Mautdebakel reden. Sie erwarten für nächstes Jahr 3 Milliarden Euro mehr Einnahmen, aber Sie reduzieren die Ausgaben für den Verkehrswegeausbau. Das Thema Verlässlichkeit Ihrer Politik, auch gegenüber Partnern und gegenüber uns, etwa was die Einigung im Vermittlungsausschuss im Bereich Landwirtschaft und die Eigenheimzulage betrifft, ist von meinen Vorrednern bereits angesprochen worden. Mit Leuten, die sich so schnell von Vereinbarungen verabschieden, ist es natürlich sehr schwer, erneut zu Vereinbarungen zu kommen. Bekanntlich bestehen Kompromisse immer aus Geben und Nehmen beider Seiten. Dann muss man aber auch einstehen für das, was man sich gemeinsam vorgenommen hat. ({9}) Auch über die Folgewirkungen einer verfehlten Steuerpolitik - ich nenne beispielsweise die Mineralölsteuer und die Ökosteuer - muss man reden. Schauen Sie sich die Probleme im Zusammenhang mit dem Tanktourismus an, die wir in allen Grenzregionen haben. Hier müssen Sie etwas tun. Nicht nur die Tankstellenbesitzer in den Grenzregionen sind die Leidtragenden. Auch Sie gehören dazu, weil Ihnen unzählige Steuermilliarden praktisch durch die Finger gleiten. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kalb, denken Sie bitte an die Redezeit.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bitte Sie um jenes Maß an Gnade und Nachsicht, das auch meiner Vorrednerin gewährt worden ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das sage ich auch ohne entsprechende Aufforderung gerne zu. Ich bitte aber genauso um Verständnis, dass ich diese Nachsicht nicht nur wohlwollend, sondern auch gleichmäßig verteilen muss. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich werde mich bemühen, sehr bald zum Ende zu kommen. ({0}) Wie es mit der Berechenbarkeit und der Verlässlichkeit der Politik aussieht, wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. In Ihrer Regierungszeit wurden im Bundestag 90 Gesetze beschlossen, die das Steuerrecht ändern. Da weiß doch niemand mehr, woran er ist. Was wir brauchen, ist wieder eine Berechenbarkeit und eine Verlässlichkeit der Politik. ({1}) Die eine oder andere Ungereimtheit kann vielleicht sogar hingenommen werden. Denn es ist besser, berechenbar und verlässlich zu sein, als ständig neu zu verunsichern. Lieber Herr Kollege Poß, wenn Sie ständig neue Drohungen - siehe Mindeststeuer, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer - in die Welt setzen, dann kommt kein Geld zurück; denn die Menschen sind unter diesen Voraussetzungen nicht bereit, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Kündigen Sie nicht immer eine Erhöhung der Erbschaftsteuer an! Verständigen wir uns doch auf einen kleinen Teil: Nehmen Sie unseren Vorschlag, dass Erben von Unternehmen die Chance haben sollten - diesen Vorschlag hat Herr Oetker gestern unterstützt -, sich die Erbschaftsteuer sozusagen zu verdienen, indem sie innerhalb von zehn Jahren investieren, Existenzen sichern und Arbeitsplätze schaffen. Die Menschen sollten sich nicht ständig damit beschäftigen müssen, wie sie der Steuer entkommen können, sondern damit, wie sie investieren und wie sie zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes beitragen können. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gehört zu den ehernen Gesetzen dieser Debatte, dass die sprechenden Kollegen die Nachsicht und den Großmut des Präsidiums regelmäßig anzweifeln. Ich muss noch einmal darauf aufmerksam machen, dass die Großzügigkeit des Präsidiums immer auf Kosten der nachfolgenden Redner der gleichen Fraktion geht. Ich bitte das zu berücksichtigen, wenn wir gelegentlich etwas hartnäckig auf der Einhaltung der angemeldeten Redezeiten bestehen. Nun hat die Kollegin Waltraud Lehn für die SPDFraktion das Wort.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 2005 ist wirklich kein Schönwetterhaushalt. Wie viele europäische Staaten befinden wir uns aufgrund der dreijährigen Stagnation in schwierigem Fahrwasser. Aber unser Boot ist stabil, die Mannschaft ist hervorragend ({0}) und außerdem ist Land in Sicht. Die schwierigste Strecke liegt, wie Sie wissen, hinter uns. Jetzt kommt es darauf an, Kurs zu halten. Deutschland ist ein starkes Land. Es gibt kein Land, in dem ich lieber leben möchte. ({1}) Ich glaube, das geht den meisten Menschen in unserem Land so, auch wenn es gelegentlich einmal regnet oder schneit. ({2}) Deutschland hat es verdient, dass sich alle, auch Sie, Herr Austermann, und die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, dafür einsetzen, dass es weiter aufwärts geht. ({3}) Deswegen hilft es nicht, wenn positive Entwicklungen, wie etwa das stark gestiegene Gewerbesteueraufkommen, kleingeredet werden. Deswegen ist es schädlich, wenn die Opposition im Vermittlungsverfahren, wie etwa bei Hartz IV, Verschlechterungen für die Menschen durchsetzt, sich dann aber aus der Verantwortung stiehlt. ({4}) Deswegen ist es verantwortungslos, wenn Herr Austermann so tut, als ob die von ihm vorgeschlagenen Kürzungen um 7,9 Milliarden Euro mal eben so ohne Folgen für viele Tausend Menschen durchgeführt werden könnten. ({5}) Deswegen ist es abenteuerlich, wenn Herr Stoiber eine pauschale Kürzung des Haushalts um 5 Prozent vorschlägt. ({6}) Dies ist abenteuerlich; denn der Haushalt beinhaltet zum Beispiel auch die Tilgung von Schulden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lehn, Sie misstrauen sicher aus gutem Grunde dem Funktionieren der Mikrofonanlage. Aber im Augenblick funktioniert sie tatsächlich. ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich dachte bislang immer, Herr Präsident - vielleicht könnten Sie für diesen Zeitraum die Uhr stoppen -, es sei möglich, dass sich die Technik dem Menschen anpasst. Ich stelle gerade fest, dass Sie eine andere Sichtweise haben, möchte Ihnen aber ausdrücklich widersprechen. ({0}) Ich habe gerade ausgeführt, dass es abenteuerlich ist, wenn Herr Stoiber eine pauschale Kürzung um 5 Prozent vorschlägt. ({1}) Denn der Haushalt beinhaltet - das wissen Sie - zum Beispiel die Tilgung von Schulden oder die Sicherstellung der Renten. Das macht 50 Prozent der Ausgaben aus. Im Klartext sagt Herr Stoiber also nichts anderes, als dass an anderen Stellen um 10 Prozent gekürzt werden muss. Jetzt frage ich Sie: Wollen Sie wirklich 10 Prozent weniger für Bildung und Forschung? Wollen Sie wirklich 10 Prozent weniger für die Kinderbetreuung oder das Erziehungsgeld? Wollen Sie 10 Prozent weniger für Verkehrsinvestitionen, 10 Prozent weniger für die Umwelt? Wollen Sie das alles? So stelle ich mir die Zukunft Deutschlands nicht vor und ich hoffe, auch niemand von Ihnen. ({2}) So gewinnt man das Vertrauen der Menschen nicht, auch nicht, indem man herumeiert und nicht konkret ausspricht, welche Politik man will, so wie Merz, Merkel, Stoiber und Austermann das derzeit praktizieren. Wir glauben fest, dass es sich lohnt, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. ({3}) Dazu müssen wir ehrlich und offen sein. Wir müssen sagen, wie die Situation ist und warum sie so ist. ({4}) Dazu gehört auch, zu sagen, was geht und was nicht mehr geht. Deshalb hat Gerhard Schröder die bei manchen unpopuläre, aber ehrliche Agenda 2010 auf den Tisch gelegt. ({5}) Trotz aller Kritik bleibt es unser erklärtes Ziel, den Sozialstaat zu stabilisieren. Deshalb stärken wir die Gemeinden, die das Herz unserer Demokratie sind. Deshalb optimieren wir die Arbeitsmarktpolitik und die Bedingungen für Arbeitssuchende. Wir entlasten die Gemeinden im Jahr 2005, also im nächsten Jahr, um 6,5 Milliarden Euro, ({6}) damit sie frei sind, mehr Geld für Schulen und mehr Geld für die Betreuung von Kindern auszugeben. ({7}) Die Koalitionsfraktionen danken dem Bundesfinanzminister ausdrücklich dafür, ({8}) dass er es geschafft hat, die Verfassungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes ebenso einzuhalten ({9}) wie aus heutiger Sicht das Maastricht-Kriterium eines Staatsdefizits von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht zu überschreiten. ({10}) Ich wiederhole - auch für Sie, Herr Kampeter -: Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2005 ist und bleibt verfassungsfest. ({11}) Die Summe der Investitionen beträgt 22,8 Milliarden Euro. Die Nettokreditaufnahme liegt mit 22 Milliarden Euro unterhalb dieses Betrages. Damit ist dem Art. 115 Rechnung getragen. Ich will überhaupt nicht verschweigen, dass uns der Umfang der Privatisierung wehtut; denn wie meine Nachbarn und Freunde oft zu sagen pflegen: Was weg ist, ist weg! ({12}) Wer das aber kritisiert, muss auch sagen, woher er die fehlenden 15 Milliarden Euro nehmen will. ({13}) Ich kann mich der Kollegin Hajduk nur anschließen: Diese Antwort sind Sie uns bisher im Konkreten voll und ganz schuldig geblieben. ({14}) Die unseriösen Vorschläge von Herrn Austermann und Herrn Stoiber sind dabei wenig hilfreich. Ich sage sogar: Sie sind noch nicht einmal populistisch; denn so dumm ist unser Volk nicht. ({15}) Geradezu verwerflich ist dabei übrigens der Vorschlag von Herrn Austermann, die Kohlebeihilfen zu streichen, ({16}) und das in einer Zeit, in der die Energiepreise, wie Sie alle wissen, davonpreschen. Kein Subventionsbereich ({17}) ist zudem in den letzten 15 Jahren - das betraf auch Ihre Regierungszeit - kontinuierlich so weit zurückgeführt worden wie dieser Bereich. ({18}) Geradezu menschenverachtend ist der Vorschlag von Herrn Austermann - so überall nachzulesen -, ({19}) öffentliches Geld aus dem zweiten Arbeitsmarkt zu ziehen. Er will das Fördern gerade zu dem Zeitpunkt abschaffen, zu dem wir von den Menschen mehr fordern. Pfui! sage ich da. ({20}) - Herr Kampeter, ich glaube, ich habe von Hartz IV mehr begriffen, als Sie jemals verstehen werden, selbst wenn Sie sich bemühen würden. Der Haushalt wird auch nach Abschluss der Beratungen verfassungsfest sein. Auftretende Mehrbelastungen wie etwa die Mehrbeteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft oder die Januar-Auszahlung des Arbeitslosengeldes II an bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger werden wir - das werden Sie erleben - in den Beratungen auffangen. ({21}) Wir sind gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister fest entschlossen, 2005 wieder das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent einzuhalten, und wir werden es schaffen. ({22}) Unsere Reformen greifen, sie greifen insbesondere bei den Sozialversicherungen. Im ersten Halbjahr 2003 verbuchten die Krankenversicherungen noch ein Defizit in Höhe von 2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr dieses Jahres gibt es einen Überschuss ({23}) in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. ({24}) Außerdem wird die anziehende Konjunktur die Steuereinnahmen steigern. ({25}) Bei den Kommunen zeigt sich das schon. So sind die Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden, wie Sie doch wissen, im ersten Vierteljahr 2004 um 8,4 Prozent und im zweiten Vierteljahr sogar um 14,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Diese Entwicklung ist ein Indiz dafür, dass es in unserem Land wirtschaftlich endlich wieder aufwärts geht. ({26}) Die deutsche Wirtschaft ist auf Erfolgskurs. Leider hat sich dieser positive Trend ({27}) auf den Arbeitsmarkt noch nicht ausgewirkt. Erfahrungsgemäß folgt die Beschäftigungsentwicklung dem Konjunkturverlauf mit einer spürbaren zeitlichen Verzögerung. Nicht nur ich, sondern auch viele außerhalb der Politik - Menschen, die etwas von Wirtschaft und Wirtschaftsverläufen verstehen - sind sehr zuversichtlich, dass sich die Situation wesentlich verbessern und die Konjunktur - unterstützt durch unsere Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente - in den nächsten Monaten auch den Arbeitsmarkt erreichen wird. Das Vertrauen der Bürger und der Investoren in die Zukunft muss weiter gestärkt werden. Dazu tragen unsere Reformmaßnahmen und die Verlässlichkeit des Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei. Sie stehen ganz im Gegensatz zu Ihrem Herumeiern und Mal-hier-unddort-eine-Nebelkerze-Werfen. Sie schauen nur, wie reagiert wird, um dann, sobald sich auch nur der leiseste Hauch von Kritik zeigt, sofort wieder wegzutauchen. ({28}) Auch wenn wir hier eine Debatte im Deutschen Bundestag führen, möchte ich anmerken, dass eine gehörige Portion an Mut und Zuversicht auch und insbesondere den Medien zukommt. Ich glaube, wir könnten alle miteinander froh sein, wenn das Glas öfter mal als halb voll statt immer nur als halb leer beschrieben würde. ({29}) Haushaltskonsolidierung ist und bleibt ein herausragendes finanzpolitisches Ziel, um ein solides Fundament für die Zukunft zu schaffen. Wir haben den Haushalt seit Antritt der rot-grünen Koalition konsequent konsolidiert und wir setzen diesen Kurs auch fort. So sind die Ausgaben im Entwurf für das Jahr 2005 trotz der viel höheren Arbeitsmarktausgaben sogar um rund 1,6 Milliarden Euro niedriger als 1998. Hier ist also insgesamt, bereinigt um reine Umschichtungen, sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Im Zeitraum von 2003 bis 2008, also über fünf Jahre, steigen die Ausgaben nur um 1,3 Prozent. ({30}) Im Jahresdurchschnitt macht das lediglich ein Viertel Prozent aus - etwas, was Sie in den 16 Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, nicht ansatzweise erreicht haben. ({31}) Dadurch geht der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt natürlich kontinuierlich weiter zurück. Im Haushalt findet die Verwirklichung der zweiten Stufe der Subventionskürzungen nach der Koch/Steinbrück-Liste ihren Niederschlag. Außerdem werden die Kürzungen von immerhin rund 2 Milliarden Euro, die bei den Beratungen während des letzten Haushalts beschlossen worden sind, weiter fortgeschrieben. Wachstum und Konsolidierung bedingen einander. Ohne angemessenes Wachstum kann es keine dauerhafte Reduzierung der öffentlichen Defizite geben. Die Konsolidierung muss deshalb von einer Strategie der Wachstumsförderung begleitet werden. Hier setzen wir vor allem auf die Erhöhung der Kaufkraft und damit der Binnennachfrage, auf das Stärken der Städte und Gemeinden ({32}) und auf die Bereiche Forschung und Bildung. Für das Investitionsprogramm zur Ausweitung der Zahl der Ganztagsschulen werden wir trotz der schwierigen Haushaltslage auch im Jahr 2005 wieder Mittel in Höhe von rund 1 Milliarde Euro bereitstellen. ({33}) Die Eigenheimzulage wollen wir gänzlich streichen. Die so eingesparten Mittel sollen für eine Innovationsoffensive zur nachhaltigen Stärkung Deutschlands als Wissenschaftsstandort und als Bildungsstandort eingesetzt werden. Das sind beim Bund im nächsten Jahr zwar nur 95 Millionen Euro; dieser Betrag steigt aber in den Folgejahren kontinuierlich bis zu einer Größe von 6 Milliarden Euro an. Die Verkehrsinvestitionen des Bundes belaufen sich im Jahr 2005 auf 10,8 Milliarden Euro. Trotz der notwendigen Konsolidierungen, die wir vornehmen, stehen damit 2005 sogar mehr Mittel für den Verkehrswegebau zur Verfügung als im Vollzug des laufenden Jahres. Wir stärken den Aufschwung schließlich auch mit der letzten Stufe der Steuerreform. Sie entlastet die Bürger um weitere 7 Milliarden Euro. Dadurch wird die Kaufkraft gestärkt. Auch an dieser Stelle will ich mit Blick auf die Diskussionen, die in den nächsten Wochen anstehen, deutlich darauf hinweisen: Die SPD-Fraktion, die rot-grüne Regierungskoalition hat eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent vorgeschlagen und diesen Vorschlag hier auch so eingebracht. Es waren jedoch Sie, die im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt haben, dass er auf 42 Prozent gesenkt wird. ({34}) Das müssen Sie also verantworten und auch einmal sagen. ({35}) Sie müssen auch einmal sagen: Nein, wir geben uns nicht damit zufrieden, die Ärmeren besser zu stellen, die Geringverdienenden besser zu stellen, sondern wir wollen auch denjenigen, die es gar nicht nötig haben, noch etwas geben. ({36}) Der Bund der Steuerzahler hat am 14. Juli dieses Jahres wieder kritisiert, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Einkommen bis genau zu diesem Datum an den Staat abgeliefert hätten ({37}) und erst ab dem 15. Juli bis zum Jahresende für die eigene Kasse arbeiten dürften. Das ist eine gezielte Volksverdummung und Stimmungsmache durch Herrn Däke. ({38}) - Wenn Sie behaupten, dass das die Wahrheit ist - hören Sie gut zu, Herr Kampeter! -, muss ich Ihnen sagen: So kann eigentlich nur jemand reden, dem der Sozialstaat egal ist. ({39}) So redet jemand, dem bewährte Begriffe wie „Solidarprinzip“ und „Generationenvertrag“ ein Dorn im Auge sind. ({40}) Wer ist denn der Staat? Wo bleiben denn diese angeblich mehr als 50 Prozent des abgelieferten Einkommens, die zudem, wie Sie selbst wissen, böswilligerweise auch noch viel zu hoch veranschlagt sind? Der größte Teil der Beiträge und Steuern wird doch zur Absicherung der Menschen verwendet. ({41}) Der Krankenkassenbeitrag dient der Gesundheitsvorsorge der Menschen. Er fließt doch nicht der Bundeskasse zu. Damit finanzieren wir keine Parlamente und kommunalen Vertretungen, Kindergärten und Schulen. Er unterliegt weitgehend der Selbstverwaltung und damit dem Einfluss der Menschen. ({42}) Weiß der Bund der Steuerzahler das nicht? Weiß Herr Kampeter das nicht? Weiß die CDU/CSU das nicht? ({43}) Betrachten wir den Rentenversicherungsbeitrag. Dieser deckt die Alterssicherung der Versicherten bei weitem nicht ab. ({44}) Die Renten sind nur finanzierbar, weil sich der Bund jährlich mit 80 Milliarden Euro aus dem Steueraufkommen daran beteiligt. ({45}) Ein Drittel - bei 100 Euro sind das 33 bis 34 Euro - legt der Staat, legen wir durch unseren Haushalt dazu. Dieses Geld fließt also an die Bürger zurück. ({46}) Es verschwindet nicht in irgendwelchen schwarzen Löchern, ({47}) die Herr Kampeter ausgemacht haben will. Die Realität ist vielmehr: Unser Staat hat derzeit zu geringe Einnahmen, während die Ausgaben inzwischen wirklich auf das Notwendige heruntergefahren worden sind. ({48}) Wir wollen den Sozialstaat erhalten. Dafür benötigen wir aber auch Einnahmen. Deshalb ist uns die Bekämpfung von Schwarzarbeit, von Steuerhinterziehung und Umsatzsteuerbetrug ein wichtiges Anliegen. ({49}) Nach Schätzungen werden dem Staat dadurch zweistellige Milliardenbeträge vorenthalten. Wir werden mit allem Nachdruck darauf hinwirken, dass dieser Sumpf ausgetrocknet wird. So wird sich die Einnahmesituation des Staates auch an dieser Stelle deutlich verbessern lassen. ({50}) Die Opposition hat in ihrer Regierungszeit nicht nur jahrelang versagt, sondern viele - ich sage: zu viele Änderungen unangemessen hinausgezögert oder gar nicht erst angepackt. Wir haben die für unser Land wichtigen Strukturreformen auf den Weg gebracht, die jetzt zu wirken beginnen. ({51}) Ein Beispiel ist die gesetzliche Krankenversicherung. Hier war die Opposition wenig hilfreich. Sie hat uns im Vermittlungsausschuss manches Konzept verwässert oder zerschlagen. Sonst wären wir noch weiter. ({52}) Sie können Ihre Verantwortung beweisen, indem Sie unseren Vorschlägen jetzt zustimmen. Sie können auch selbst konkrete Vorschläge machen, über die wir miteinander reden müssen. Aber dann müssen es auch Vorschläge sein, die in Ihren eigenen Reihen Bestand haben. Meine Damen und Herren, Reformen und Veränderungen, die die Bürger nicht begeistern und der SPD auch bittere Wahlniederlagen beschert haben, stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Menschen in unserem Land. Es ist nicht gut, dass Sie dabeistehen und noch nicht einmal klammheimlich, sondern dreist-offen Schadenfreude zeigen. Weil diese Reformen unpopulär und schwer zu vermitteln sind, taktieren Sie, blockieren Sie, verwirren Sie und verweigern Sie sich, ({53}) statt zumindest zu den wenigen Entscheidungen zu stehen, an denen Sie beteiligt waren; und wenn Sie beteiligt waren, dann immer nur, um die Änderungen für die Menschen in Deutschland noch zu verschärfen. Ich nenne nur die Stichworte Praxisgebühr oder Zahnersatz.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lehn, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. ({0}) Sie werden sehen, dass unsere Reformen zunehmend greifen. Die Einnahmen werden steigen. Die Sicherung des Standortes Deutschland wird wieder zur Sicherung bestehender und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. Daran arbeiten wir. Das werden wir schaffen. Sie werden dann dort sitzen bleiben, wo Sie hingehören: in der Opposition. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, Sie haben vorhin mit einer fulminanten Rede, in der Sie überhaupt nicht über den Haushalt gesprochen haben, geschickt vom Hauptproblem dieses Haushalts abgelenkt. ({0}) Ich muss schon sagen: Es ist erschreckend, dass außer der Kollegin Hermenau niemand hier über dieses Hauptproblem des Haushalts gesprochen hat, nämlich über das strukturelle Defizit. Daraus ergeben sich doch die Probleme. Das strukturelle Defizit lag 1998 bei 12 Prozent; jetzt liegt es bei 15,5 Prozent, wenn man die 40 Milliarden Euro umfassenden Risiken einmal realistisch berücksichtigt, ({1}) die von Experten, so beispielsweise vom DIW, - das ist nicht meine Zahl - gesehen werden. Der Gesamthaushalt sah 1998 Ausgaben von 233,6 Milliarden Euro vor. Jetzt haben wir 258,3 Milliarden Euro; das ist ein Plus von 9,3 Prozent. Wir hatten Einnahmen von 204,6 Milliarden Euro und haben jetzt 236 Milliarden Euro; das ist eine Steigerung von mehr als 15,6 Prozent. Meine Damen und Herren, Sie haben es geschafft, in Ihrer Regierungszeit das strukturelle Defizit wahnsinnig zu erhöhen; darin liegen die Probleme. ({2}) Die Kreditaufnahme ist doch nur die Folge davon, dass Sie den Haushalt anders nicht mehr decken können. Ich will es einmal einfach sagen: Die Einnahmen sind viel kleiner als die Ausgaben, und die Lücke ist unter Ihrer Regie immer größer geworden; deshalb haben Sie solche Probleme. Wenn dann Herr Eichel von „ein paar Risiken“ spricht, die die Experten mit bis zu 35 oder 40 Milliarden Euro beziffern, kann ich nur sagen: Den Ausspruch mit den „Peanuts“ hatten wir schon einmal; aber das hilft uns nicht weiter. ({3}) Sie haben davon gesprochen, dass wir uns beim Subventionsabbau nicht konstruktiv verhalten hätten. Ich frage Sie, Herr Eichel: Was hätten Sie denn in diesem Jahr getan, wenn wir alles mitgemacht hätten? Dann hätten Sie gar kein Futter mehr, um die Lücken dieses Jahres zu schließen. ({4}) Das Zweite ist: Subventionsabbau kann man doch nur machen, um Strukturveränderungen zu finanzieren, ({5}) aber nicht, um laufende Ausgaben zu decken. ({6}) Sie benehmen sich so wie der Bauer, der sein Saatgut aufisst. ({7}) Und im nächsten Jahr wundern Sie sich, wenn Sie den Haushalt nicht mehr unterfüttern können. Das ist doch Ihr wahres Problem und nichts weiter. In diesem Haushalt kulminieren Ihre Probleme bei der Arbeitsmarktpolitik, bei der Wirtschaftspolitik, bei der Finanzpolitik und bei der Haushaltspolitik. Meine Damen und Herren, Sie stehen vor einem Riesenloch; das hat ja auch die Kollegin Hajduk gegenüber der Presse gesagt, hier hat sie es sich nicht mehr getraut. Sie schieben die Schuld für die schlechte Lage auf eine dreijährige Stagnation. Aber Sie verschweigen Ihren eigenen Beitrag, den Sie zu dieser wirtschaftspolitischen Entwicklung geleistet haben. ({8}) Meine Damen und Herren, wer jedes Jahr im Durchschnitt 0,5 Prozent der Konsumkraft weggenommen hat, der muss sich nicht wundern, wenn der Konsum nicht mehr funktioniert. Wenn die Leute kein Geld mehr haben, dann können sie auch nichts kaufen oder keine Reise mehr machen. Wenn sie nichts mehr ausgeben können, dann gibt es keine Nachfrage mehr. Wenn es keine Nachfrage gibt, gibt es keine Arbeit, und wenn es keine Arbeit gibt, können keine Leute beschäftigt werden. Wenn keine Leute beschäftigt werden, dann gibt es hohe Sozialaufwendungen und niedrige Steuern; genau das ist der Punkt. Wenn es dann um Steuern geht, lügen Sie sich noch etwas in die Tasche, wie die Tabaksteuer gezeigt hat. ({9}) Einen großen Beitrag haben Sie durch die Achterbahnfahrt bei der Körperschaftsteuer geleistet. Wir hätten einmal die Großkonzerne in dieser Art und Weise von der Körperschaftsteuer entlasten sollen, dann hätte ich Ihre Reaktion sehen wollen. Das ist die soziale Ausgewogenheit der Kollegin Lehn, die hier eben so eingeklagt wurde. Ich will es noch einmal sagen: 1998: 18,5 Milliarden Euro Körperschaftsteueraufkommen, 1999: 22,3 Milliarden Euro, 2000: 23,6 Milliarden Euro - das war die Steigerung aus dem Aufschwung, den Sie übernommen haben; denn die Gewinne kommen ja ein bisschen später -, 2001: minus 0,4 Milliarden Euro, 2002: 2,9 Milliarden Euro, 2003: 8,3 Milliarden Euro, 2004: 12,4 Milliarden Euro, für 2005 rechnen Sie mit 16,6 Milliarden Euro - die kommen nicht -: Das sind 70 Milliarden Euro Körperschaftsteuer, die den öffentlichen Haushalten entgangen sind. Welche Einschnitte in das Sozialsystem hätten sie sich ersparen können, wenn Sie es richtig gemacht hätten! ({10}) Nun drohen Sie schon wieder mit den nächsten Steuererhöhungen: Die Grünen denken über einen Ausbau der Ökosteuer nach, die SPD will die Erbschaftsteuer erhöhen. Bei der Tabaksteuer kommen Sie jetzt vielleicht zur Vernunft. Das ist Ihr Haushalt; er ist jenseits jeglicher Realität. Herr Eichel, Sie machen den größten Fehler, den ein Kämmerer machen kann: Sie veranschlagen die Ausgaben zu niedrig und die Einnahmen zu hoch und wundern sich, dass die Realität Sie einholt. Ich kann Ihnen sagen: Jeder Kassenwart eines kleinen Vereins, der dies über drei Jahre so gemacht hätte wie Sie, wäre längst gefeuert worden. ({11}) Sie lügen sich doch etwas in die Tasche. Durch Hartz IV soll es einen Nachschlag für die Kommunen geben und Sie sagen, Sie wollten das mit einer globalen Minderausgabe finanzieren. Das ist erstens am Parlament vorbei und zweitens Augenwischerei, um den Haushalt formal mit Art. 115 des Grundgesetzes kompatibel zu machen. In Wahrheit wissen Sie doch schon, dass das gar nicht möglich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fromme, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fromme, ich höre Ihnen sehr konzentriert und gerne zu. ({0}) Sie machen uns zum Vorwurf, dass wir angeblich die Haushaltslücke strukturell ausgeweitet haben. ({1}) Daneben haben Sie gerade auch noch einmal die Ökosteuereinnahmen erwähnt, die Sie kritisch sehen. Sie wissen, dass wir damit einen Zuschuss für die Rente finanzieren, um die Lohnnebenkosten im Zaum zu halten. Es ist richtig, dass wir unter unserer Verantwortung strukturell einen höheren Bundeszuschuss zur Rentenversicherung durchgesetzt haben, um die Kindererziehungszeiten besser anrechnen zu können. Dabei geht es um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das kann man als strukturelles Intervenieren ansehen. Ich muss Sie an dieser Stelle ganz konkret fragen und möchte wissen: Wie verträgt sich Ihr Vorwurf bezüglich der strukturellen Lücke - Sie sagen, wir hätten die Ausgaben strukturell ausgeweitet - mit den Plänen Ihrer eigenen Partei, einen Betrag von über 22 Milliarden Euro für die Rentenfinanzierung zu fordern, um weitere Zeiten der Kindererziehung bei der Rente anrechnen zu können? Nehmen Sie bitte genau zu diesem Ziel StelAnja Hajduk lung. Wollen Sie das anders erreichen oder halten Sie diese Forderung der Union an dieser Stelle für falsch?

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hajduk, das zeigt doch Ihre statische Betrachtungsweise. Wenn Sie zum Beispiel unsere Vorstellungen bezüglich des Arbeitsmarkts nicht blockieren würden ({0}) und den Menschen die Kaufkraft über die Ökosteuer, die Versicherungsteuer und Ähnlichem nicht weggenommen hätten, dann hätten wir eine dynamischere Wirtschaft, aus der man das finanzieren könnte. Das ist doch Ihr Irrtum: Sie nehmen den Leuten das Geld an der Stelle weg, an der es in den Kreislauf kommen könnte, um die Entwicklung zu beschleunigen. Das ist Ihr Problem. ({1}) Wenn man die richtige Dynamik in den Markt bringt - dazu sind Sie ganz offensichtlich nicht fähig; ansonsten hätten Sie unter anderem unser Arbeitsmarktmodernisierungsgesetz nicht vom Tisch gefegt, sondern mitgetragen, um für mehr Wachstum und Beschäftigung zu sorgen -, dann kann man das auch finanzieren. ({2}) Jedes dritte Wort von Ihnen lautet „konsolidieren“. ({3}) Die öffentlichen Haushalte können auf Dauer nur auf der Ausgabenseite konsolidiert werden. Hier haben Sie bis jetzt nichts fertig gebracht, sondern nur draufgesattelt. Sie sprechen immer von Nachhaltigkeit. Hohl und leer klingen einem heute die Nachhaltigkeitsphrasen von 1999 und 2000 im Ohr, als Eichel und vor allem seine grünen Mitstreiter Stein und Bein schworen, sie wollten das Krebsgeschwür der Staatsverschuldung ausmerzen, weil Verschuldung nichts anderes als „Raubbau an den Lebenschancen künftiger Generationen“ sei. Am Ende des aktuellen Planungshorizonts … kalkuliert der Bundesfinanzminister jetzt 20 Milliarden neue Kredite ein … Die nackten Zahlen belegen ungeschminkt die Kapitulation der rot-grünen Finanzpolitiker. Meine Damen und Herren, das ist Ihre Nachhaltigkeit. Das war übrigens ein Zitat Ihres Kollegen Oswald Metzger und nicht meine Erfindung. ({4}) Sie haben Ihre eigenen Konsolidierungsziele völlig aufgegeben. Es war schon die Rede davon, dass Sie 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollten. Das ist jetzt überhaupt kein Thema mehr. Ihre „Nachhaltigkeit“ führt doch dazu, dass Tafelsilber in den Orkus des laufenden Haushalts geworfen wird. Mit welchen Folgen geschieht das? Die Postaktien, die Sie jetzt zur Finanzierung laufender Ausgaben einsetzen, waren doch dafür gedacht, die Versorgungslasten abzudecken. ({5}) Was passiert nun? Außerhalb der Bücher entstehen Lasten in Milliardenhöhe, die der Bundeshaushalt in Zukunft abdecken muss. Das ist unverantwortlich gegenüber den zukünftigen Generationen. Sie verschleudern das Tafelsilber, anstatt es wenigstens für strukturelle Veränderungen einzusetzen. Vielmehr werfen Sie es wie Perlen vor die Säue. ({6}) Sie verlagern damit die Risiken auf künftige Generationen. Genau dagegen haben sich die Grünen immer ausgesprochen. Am Haushalt vorbei haben Sie die Kohlesubventionen, die sowieso zu hoch sind, noch gestundet. Sie sind im Haushalt gebucht und gestundet, womit künftige Forderungen auf die nächsten Bundeshaushalte übertragen werden. Für den Schacht Konrad haben Sie 1 Milliarde Euro Vorausleistung gegenüber der Wirtschaft zu erstatten. Sie tricksen mit dem ERP-Vermögen und so geht es immer weiter. Zwischen Reden und Handeln liegen bei Ihnen Welten. Sie sprechen vom Sparen; konsolidieren heißt ja sparen. Aber zeigen Sie mir mal in den einzelnen Etats, wo wirklich gespart wird. Die „Bild“-Zeitung schreibt: „Eichel will Büromöbel für 96 000 Euro“. Ist das sparen? ({7}) Sie beschäftigen Heerscharen von Gutachtern und entlassen das Personal. Sie geben immer mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit in Form von Meinungskauf aus, weil Sie glauben, dass die Experten, die Sie beschäftigen, gut über Sie reden. Aber die Menschen werden Ihnen dieses nicht durchgehen lassen. ({8}) Ihr Jäger 90 - früher wurde immer der Jäger 90 als Finanzierungsvorschlag angeführt - sind heute Eigenheimzulage und Agrarsubventionen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das ist so unglaubwürdig, wie es nur sein kann. Sie legen immer wieder Sparvorschläge vor, von denen Sie genau wissen, dass sie nicht zum Zuge kommen, damit Sie auf dem Papier ausgeglichene Haushalte haben. Am Ende kommt es dann aber anders. ({9}) Dann gibt es noch den „handlungsfähigen“ Finanzminister. Er hat schon im Juni dieses Jahres erklärt, ein Nachtrag sei erforderlich. Das ist übrigens ein Vorgang, der sich in den letzten drei Jahren Jahr für Jahr wiederholt hat. Was ist denn der Sinn eines Nachtrages? Der Nachtrag soll einer Entwicklung entgegensteuern, die gegenüber der Verabschiedung des Haushaltes eingetreten ist. Nun haben Sie in einem Punkt Recht: Diese klassische Situation haben wir nicht; denn Sie wissen schon bei der Verabschiedung des Haushaltes, dass alles krumm und schief ist und manipuliert. Deswegen müssten Sie eigentlich den Haushalt gleichzeitig mit einem Nachtrag verabschieden. Was machen Sie? Sie erklären, ein Nachtrag sei erforderlich. Das wollen Sie im November machen, wenn die Steuerschätzung vorliegt. Im November aber können Sie überhaupt nicht mehr gegensteuern. Das ist rein buchhalterisches Nachvollziehen. Ist denn der Finanzminister in seinem Handlungsvermögen so schwach, dass er nicht mehr gegensteuern kann? ({10}) Herr Eichel, sind Sie nur noch in der Lage, am Ende die Buchhalternase anzubringen, aber nicht mehr zu steuern? Dann kann ich nur sagen: Werfen Sie diesen Haushalt in den Papierkorb! Bringen Sie endlich eine diskussionsfähige Grundlage in den Bundestag ein! Am besten sollte dies ein neuer Kollege machen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Binding von der SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Haushalt bietet immer auch Gelegenheit, an diejenigen zu denken, denen es im Staat wirklich schlecht geht. ({0}) Es geht vielen Leuten nicht gut. Daran kann man erkennen, worin die Aufgabe des Haushalts besteht, nämlich ihn in seiner dienenden Funktion für Soziales, Umwelt und Kultur zu entwickeln. Deshalb ist eine rein monetäre und finanzpolitische Betrachtung sicherlich nicht zielführend. ({1}) Natürlich gibt es Menschen, die für die Bekämpfung der Armut sofort eine Lösung haben. Sie sagen: Nehmt es von den Reichen! Diesen „superguten“ Ansatz hören wir von Oskar Gregor Lafonsi oder auch von Gyfontaine. Diese beiden haben vor und nach der Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und das zu tun, was sie predigen, immer die richtigen Ideen. Aber während sie im Amt waren, haben sie merkwürdigerweise versagt. ({2}) Ich habe mich - deshalb habe ich diese etwas seltsame Einleitung gewählt - etwas gewundert: Herr Austermann hat Hans Eichel vorgeworfen, nicht über den Haushalt geredet, sondern einen Themensalat formuliert zu haben. ({3}) Als Herr Eichel über die Kommunen gesprochen hat, hat Herr Kampeter gefragt: Stehen sie auch im Bundeshalt? ({4}) Man erkennt etwas ganz Interessantes: Derjenige, der im Bund eine reine Fiskalpolitik macht, kann nicht am Ziel ankommen. Das will ich gleich etwas genauer zeigen. Wer sich nämlich ein bisschen mit Verschuldung und Neuverschuldung befasst, der wird sehen, dass im Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien immer Hans Eichel den Kopf hinhalten muss, und zwar nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Länderhaushalte, die Kommunalhaushalte und die Sozialkassen. Hans Eichel bekommt in Europa Prügel für Dinge, die möglicherweise andere Leute zu verantworten haben. Wenn ich einmal mit diesem Zollstock messe, wie sich die Verantwortung bis 1998 verteilt, ({5}) dann sehen Sie, dass ich kein Schwarzarbeiter bin, aber mit dem Zollstock umgehen kann. Man erkennt daran sehr genau den Schuldenstand bis 1998. ({6}) - Ja, die Roten waren auch ein bisschen beteiligt. Wer sensibel ist und genau hinguckt, erkennt auch, dass die Gelben immer dabei waren. ({7}) Man erkennt aber auch die eigentlich geringe Zusatzbelastung in den letzten Jahren. ({8}) Gleichwohl merkt man: Die Dimension der Vorbelastungen, die wir 1998 in diesem Staat zu übernehmen hatten, erfordert ganz andere Anstrengungen, als Sie sie sich jemals vorgenommen haben. ({9}) Ich setze ein paar ganz einfache Schlaglichter: Ihre Sozialpolitik lässt sich zusammenfassen mit dem Existenzgrundlagengesetz. Jeder, der jetzt über Hartz sinniert, sich darüber ärgert oder traurig ist, soll doch einfach dieses Gesetz einmal lesen. Dann weiß er, wo wir sozialpolitisch ankommen, wenn wir dieses Gesetz umLothar Binding ({10}) setzen. Die Zuverdienstregelungen sind vorhin schon einmal erwähnt worden. Auch Ihren Vorschlag für das Kopfpauschalensystem muss man sich einmal genauer anschauen. Das wäre ein gravierender Eingriff in die Sozialgesetzgebung. Sie tun ja so, als würden die Armen und die Reichen gleich behandelt. Das klingt wunderbar, weil man ihnen scheinbar gleich viel nimmt. Wer das als Sozialpolitik verkauft, der soll den zweiten Blick wagen. Wer sich Ihre dritte große Idee, die merzsche Steuerreform, anguckt, wird erkennen, dass Merz erstens vergessen hat, die Unternehmensteuerreform zu integrieren. Zweitens hat er vergessen, uns zu erklären, wie er diese enormen Einnahmeausfälle im Bundeshaushalt überhaupt finanzieren will. Wir haben ja bereits gesehen, was passiert, wenn wir diesen Weg gehen. ({11}) Jetzt will ich meinen Zollstock noch einmal ausklappen, weil wir eine „rote Phase“ hatten. Um deutlich zu machen, wie es aussähe, wenn Sie mit Schwarz-Gelb an der Regierung geblieben wären, habe ich diesen Teil des Zollstocks einmal grob extrapoliert. Wir erkennen, dass das nicht der richtige Weg sein kann. ({12}) Vorhin haben einige - ich glaube, Herr Meister war es - über die Körperschaftsteuer geredet. Sie haben gesagt, wir hätten Steuerschlupflöcher aufgerissen. Aber Sie wissen genau, dass die Körperschaftsteuer - diese könnte man auch messen - vor unserer Reform dem Staat nur geliehen war. Jeder Pfennig der Körperschaftsteuer, die Herr Waigel jemals eingenommen hat, musste automatisch nach einer gewissen Zeit, wenn an die Aktionäre ausgeschüttet wurde, immer komplett ausgezahlt werden. Für mich waren diese so etwas wie heimliche und nicht bilanzierte Schuldscheine von Herrn Waigel. Heute bilanzieren wir übrigens korrekt. Eben deshalb stellen wir auch einen etwas anderen Haushalt auf, als Sie ihn damals vorgeschlagen haben. An dieser Stelle ist auch zu beweisen, dass wir sogar den Reichen nehmen und genommen haben. Jochen Poß oder Jörg-Otto Spiller haben das vorhin sehr schön am Beispiel Bad Homburg erklärt. Dort mussten 1997 plötzlich mehr Steuern erstattet werden, als überhaupt eingenommen worden waren. Komischerweise ist das heute nicht mehr so. Warum? Weil es weniger oder fast keine Nullsteuermillionäre mehr gibt. Es ist absurderweise - das könnte auch Oskar Lafontaine irgendwann kapieren (Steffen Kampeter ({13}): Der erwähnt Lafontaine ja öfter als wir! eben nicht so, dass man automatisch den Reichen Steuern zurückgibt, wenn man den Spitzensteuersatz senkt. Es ist viel besser, die Steuerschlupflöcher zu schließen und den Spitzensteuersatz zu senken. Dann hat man zwar eine wunderschöne Zahl beim Spitzensteuersatz; aber die Reichen zahlen trotzdem mehr als zuvor. Schließlich ist klar, dass wir im unteren Bereich, bei den Leuten, die bis 30 000 Euro verdienen, einen ganz großen Erfolg haben und diese Menschen entlasten. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ich will den Zollstock nicht zum dritten Mal auspacken, obwohl aller guten Dinge drei sind. Ich weiß, dass Sie diese gelben langen Streifen lieben. Der gelbe Teil meines Zollstocks bedeutet aber Verantwortung. ({14}) Das dritte Mal verkneife ich mir. Aber obwohl ich weiß, dass man mit jeder Zahl ein Drittel seiner Zuhörer verliert, will ich doch noch sechs Zahlen nennen. Das 100-Milliarden-Euro-Risiko Merkel ist bisher nur ein Label; aber es hat einen konkreten Hintergrund. Frau Merkel hat irgendwie die Idee, 10 Milliarden zusätzlich auszugeben für eine Steuerreform, 40 Milliarden für eine Kopfpauschale, 22 Milliarden für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung, 12 Milliarden für die Mindestrente und 18 Milliarden für eine Kindergelderhöhung. Das macht zusammen 102 Milliarden. Ich frage: Wie will man das überhaupt finanzieren, wenn man sich überlegt, dass wir im Moment um 500 Millionen Euro und 1 Milliarde Euro kämpfen? ({15}) Hier geht es um den Faktor 100. Das Konzept liegt vollkommen neben der Realität. Abschließend will ich etwas Positives sagen. Das, was mich besonders freut, ist, dass die CDU/CSU, die sich im letzten Jahr überhaupt nicht an den Haushaltsberatungen beteiligt hat und sozusagen ausgezogen ist, in diesem Jahr zu den Beratungen wieder hereingekommen ist. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist das eine verkehrte Welt: Frau Lehn und Herr Poß von der Regierungskoalition beschimpfen die Opposition. ({0}) Dabei sind Sie doch auf der besseren Seite. Sie sollen regieren. Das erwarten wir von Ihnen. Regieren Sie, entwickeln Sie schlüssige Konzepte, überzeugen Sie die Bevölkerung und setzen Sie diese Konzepte um! ({1}) Was stellen wir an jedem Wahlsonntag fest? Sie kriegen an jedem Wahlsonntag eine volle Klatsche. Wenn Sie dann dienstags oder mittwochs wieder hier sind, beschimpfen Sie uns. ({2}) Herr Minister Eichel, Sie waren einmal Oberbürgermeister in Kassel. ({3}) Ich mache seit 27 Jahren Kommunalpolitik und habe zu den Kommunalpolitikern über alle Fraktionen hinweg ein gutes Verhältnis und diese haben bei mir einen Vertrauensvorschuss. Sie haben sich heute Morgen vor laufenden Fernsehkameras dazu verstiegen, den Kommunen anzukündigen - Herr Kollege Poß hat das noch einmal unterstrichen -, dass wir, die kommunale Ebene, im nächsten Jahr um 6,5 Milliarden Euro entlastet werden. ({4}) - 6,6 Milliarden Euro, so kleinlich sind wir gar nicht. Ich habe einmal ausgerechnet, was das für den Landkreis Osnabrück, in dem ich politische Verantwortung trage, bedeuten würde. Von den 6,6 Milliarden Euro entfiele ein Zehntel auf Niedersachsen. Das wären 660 Millionen Euro. Auf den Landkreis Osnabrück entfiele ein Zwanzigstel der Summe für das Land Niedersachsen, also ein Betrag in Höhe von 32 Millionen bis 33 Millionen Euro. Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn das eintritt, werden Sie sofort zum Ehrenbürger im Landkreis Osnabrück gekürt. Das ist doch Fiktion, das ist dummes Zeug, was Sie hier erzählen! Die Realität ist, dass in Niedersachsen kaum ein Landkreis bzw. eine Kommune den Haushalt ausgleichen kann. Die Tendenz verschlechtert sich noch. Das ist doch die Realität. ({5}) Jetzt werden Sie fragen - das dürfen Sie auch -, was wir tun würden, wenn wir regieren würden, und welche Alternativen wir hätten. ({6}) Die Realität ist doch, dass wir in Deutschland das Problem haben, dass wir zu wenig Beschäftigung haben. ({7}) Wir ziehen uns zwar an den Arbeitslosenzahlen jeweils am 4. oder 5. eines Monats hoch; aber in Wirklichkeit ist viel entscheidender die Zahl der Menschen, die in Arbeit und Brot sind. Denn sie erbringen eine Wertschöpfung, sie zahlen Steuern und entrichten Beiträge zu den Sozialversicherungskassen. Wir aber geben auf allen Ebenen über 80 Milliarden Euro für die Verkleisterung der Arbeitslosigkeit aus, nicht um sie zu beheben, sondern um die Leute ruhig zu stellen. So ist doch die Realität. ({8}) Sie haben uns in der Vergangenheit große Konzepte angeboten. Ich erinnere mich noch an 1998. Einen Sommer lang tanzte ein Herr Stollmann; anschließend, als das Kabinett gebildet wurde, war er zum Segeln in der Südsee. Jetzt hat immerhin zwei Jahre lang ein Herr Hartz getanzt. Herr Müntefering hat gesagt, Hartz müsse man langsam aus dem Gefecht ziehen. Herr Clement war zwischenzeitlich in Deutschland mit der Aktion „Teamarbeit für Deutschland“ unterwegs. Was hat das gebracht? Es hat viel gekostet, die Leute in die Irre geführt und die Beschäftigtenzahl in Deutschland ist zurückgegangen. Das ist die Realität. Jetzt komme ich zu dem, was man tun kann. Ich bin Vorsitzender eines Vereins mit sieben Mitgliedern, der im letzten Jahr 169 Menschen, die im Durchschnitt eineinhalb Jahre arbeitslos waren, vorbereitet hat, um sie überhaupt in die Lage zu versetzen, Beschäftigung aufzunehmen. ({9}) - Ich komme darauf zurück. - Der Landkreis Osnabrück, in dem ich Verantwortung trage, hat in den letzten zehn Jahren 7 000 vorher im Durchschnitt mehr als eineinhalb Jahre arbeitslose Menschen in Arbeit und Brot vermittelt. Davon sind über 65 Prozent heute noch in Beschäftigung. Einen Drehtüreffekt, wie Sie ihn vielleicht in Kassel erlebt haben, Herr Minister, in Verbindung mit dem entsprechenden kommunalpolitischen Desaster, das es dort gegeben hat, gibt es bei uns nicht. Das, was wir machen, gibt es nicht nur im Landkreis Osnabrück, sondern dieses Beispiel wird auch in vielen anderen Kommunen aufgegriffen. ({10}) Unsere Arbeit hat im Ergebnis dazu geführt, dass wir nicht nur den 7 000 unmittelbar Betroffenen eine menschliche Perspektive geboten haben, sondern auch den Familien, die in aller Regel dahinterstehen. Was haben wir eigentlich gemacht? Wir haben in die betroffenen Menschen investiert, indem wir sie therapiert und zum Arzt geschickt haben und indem wir unterschiedlichste Aktionen durchgeführt haben. Alles zusammengerechnet haben wir im Kreishaushalt jährlich 13 Millionen Euro gespart. Jetzt fragen Sie bestimmt, wer das alles bezahlt hat. Sicherlich ist das an der einen oder anderen Stelle auch durch die Arbeitsverwaltung finanziert worden. Aber Sie werden auch feststellen, dass uns die Arbeitsverwaltung bzw. die Agentur für Arbeit, wie Sie sie inzwischen künstlerisch umbenannt haben, oft genug Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, weil sie uns nicht die erforderliche Entscheidungsfreiheit gewährt hat, um den individuellen Fall so bearbeiten zu können, wie es notwendig ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schirmbeck, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. - Sie können, so wie es die Arbeitsverwaltung macht, folgendermaßen vorgehen: Sie bauen in Nienburg ein großes Zelt auf einem Spargelfeld auf, schicken alle Langzeitarbeitslosen dorthin und stellen nach zwei Tagen fest, dass niemand mehr da ist. Sie können aber auch zielgerichtet jeden einzelnen Langzeitarbeitslosen ansprechen, individuell etwas für ihn tun und ihn in die Situation bringen, das, was Sie ihm mit christlicher Hand anbieten, auch fairerweise annehmen zu können. Das ist Sozialpolitik und hilft uns in Deutschland weiter, Herr Kollege Binding. Wenn Sie uns in die sozialpolitische Ecke stellen wollen, dann weise ich darauf hin, dass unsere soziale Marktwirtschaft das Produkt von CDU, CSU und FDP ist. Darauf sind wir stolz. ({0}) Was brauchen wir in Deutschland in Wirklichkeit? Heute Morgen wurde festgestellt, dass wir ein zweites Standbein für den Aufschwung brauchen. Der Export läuft; daneben brauchen wir ein weiteres Standbein. Herr Minister, ich sage Ihnen, was an dieser Stelle notwendig ist. Das zweite Standbein heißt Vertrauen. ({1}) Wir brauchen Vertrauen in die Handelnden und darin, dass die beschlossenen Gesetze und getroffenen Verabredungen auch eingehalten werden. Wer investiert denn in unserem Land, wenn er nicht weiß, ob er die Anlage oder die Einrichtung, in die er investiert hat, in der normalen Abschreibungszeit überhaupt betreiben kann? Fragen Sie doch ihre rot-grüne Klientel, was Sie alles machen. Sie verschrecken die Investoren im Land und wundern sich, dass das eigentlich vorhandene Geld nicht investiert wird. Zu mir kommen immer mehr Unternehmer, die eine Idee haben und wissen, wie sie vorgehen müssten, die sich aber dieses Theater erst einmal anschauen und die Sprechblasen anhören wollen statt zu investieren. Was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen. Der kleine Sparer sagt sich: Ich weiß nicht, was morgen ist, ob ich Arbeit habe und wie hoch meine Rente ausfallen wird. In dieser Situation spart er weiter. Er bringt das Geld nicht in den Wirtschaftskreislauf ein, obwohl er es ausgeben könnte. ({2}) Das führt dazu, dass die Binnenkonjunktur und der Konsum nicht angekurbelt werden. Das ist das konkrete Ergebnis des von Ihnen angerichteten Desasters. ({3}) Deshalb wiederhole ich: Das Wichtigste, das wir leisten müssen, ist, dass die in Deutschland vorhandene Arbeit fairerweise denen angeboten wird, die heute keine Arbeit haben, und zwar unter solchen Umständen, dass sie dieser Arbeit überhaupt nachgehen können. Denn es gibt in Deutschland Arbeit. In vielen Wirtschaftsbereichen gibt es keine Deutschen mehr. Dem Einwand, dass dann die Arbeitskräfte aus Osteuropa kommen, halte ich entgegen: Stellt euch einmal vor, die osteuropäischen Arbeitskräfte, die bereits hier sind, würden streiken. Dann würden ganze Wirtschaftsbereiche zusammenbrechen. Deshalb müssen wir die Arbeit fairerweise unserer Klientel anbieten. In diesem Zusammenhang lässt sich Vieles auf den Weg bringen. Dass die Menschen Vertrauen in die Regierenden, in die Handelnden bzw. in die haben, die handeln müssten, ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass es in Deutschland wieder aufwärts geht. Das geschieht am besten dadurch, dass diese Regierung abtritt. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Carsten Schneider von der SPD-Fraktion das Wort.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schirmbeck, obwohl ich Ihre Rede sehr aufmerksam verfolgt habe, ({0}) habe ich keinen Bezug zu den aktuellen Haushaltsproblemen und zu der heute anstehenden allgemeinen Finanzdebatte erkennen können. Das zieht sich - das werden Sie sicherlich nicht gerne hören - wie ein roter Faden durch die Reden aller Abgeordneten Ihrer Fraktion. Ich bedauere sehr, dass die heutige Finanzdebatte über das Haushaltsjahr 2005, das für die Bundesrepublik und auch für die Regierung eine besondere Bedeutung hat, so beginnt. Ich wünsche mir eine Opposition, die ihrer Verantwortung tatsächlich gerecht wird. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU - die Kollegen von der FDP nehme ich ausdrücklich aus -, Sie sind Ihrer Verantwortung schon im vorigen Jahr nicht gerecht geworden, als Sie im Haushaltsausschuss nicht einen einzigen Änderungsantrag gestellt haben. Das war Blockade und Arbeitsverweigerung pur und ist leider eine Fortsetzung dessen, was Sie all die Jahre zuvor gemacht haben. Wir haben keine Antwort auf die Frage bekommen - Kollege Binding hat dies bereits ausgeführt; man kann hier auch die „Welt am Sonntag“ zurate ziehen, die wirklich kein sozialdemokratisches Blatt ist -, wie Sie Ihre Einsparvorschläge mit einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro finanzieren wollen. Ich habe der Presse entnommen, dass Herr Austermann die Etatausgaben um 7,5 Milliarden Euro kürzen will, während Herr Stoiber 12,9 Milliarden Euro vorschlägt. Wie viel und wo soll denn nun konkret eingespart werden? Etwa bei der Landwirtschaft? Oder ist sie wieder sakrosankt? Nichts ist erkennbar. Ich kann nur hoffen, dass Sie im Laufe der Beratungen - wir haben ja drei Monate Zeit - zu einer besseren Einsicht kommen, Ihre Verantwortung wahrnehmen und ihr auch gerecht werden. Nun zu den Zahlen und dem vom Kollegen Eichel heute Morgen vorgestellten Entwurf des Bundeshaushalts 2005: Wir werden den Entwurf in den Ausschussberatungen sehr sorgsam prüfen und an der einen oder anderen Stelle, an der es sich anbietet, Änderungen vornehmen. Die Zeiten sind angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere angesichts der Wachstumsschwäche in den vergangenen drei Jahren, die sich natürlich auch auf die Einnahmesituation des Bundes und der Länder negativ ausgewirkt hat, und angesichts der Vorbelastung des Haushalts - ich erinnere nur daran, dass wir jedes Jahr 40 Milliarden Euro Zinszahlungen zu leisten haben - sehr schwierig. Kurz zu den Zahlen: Nach der Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres werden für 2005 Steuermindereinnahmen in Höhe von 9 Milliarden Euro erwartet. Wenn Sie im vorigen Jahr im Bundesrat Ihrer Verantwortung gerecht geworden wären und an den entscheidenden Stellen dem Subventionsabbau, der eine Verstetigung bzw. eine Verbreiterung der Einnahmebasis zur Folge gehabt hätte, zugestimmt hätten, hätten wir alleine im Jahr 2005 mit 4 Milliarden Euro und im Jahr 2006 - summiert mit 10,6 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt rechnen können. Die Länder hätten 9,9 Milliarden Euro und die Gemeinden 4,4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gehabt. Dieses Geld fehlt uns. In gewisser Weise ist es nicht nur eine Täuschung der Öffentlichkeit, sondern ein Frevel, wenn man im Bundesrat jeden Vorschlag zur Einnahmeverbesserung ablehnt, um anschließend auf die schlechte Finanzsituation der Länder hinzuweisen. Ich nenne als Beispiel nur Thüringen, dessen Nettokreditaufnahme nach Maßgabe der mittelfristigen Finanzplanung in diesem Jahr bei null, tatsächlich aber bei 1 Milliarde Euro liegt. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Aber Sie sind sich dieser nicht bewusst und werden ihr erst recht nicht gerecht. Ich halte dies in einem Land mit einem föderalen System - ich habe das schon in früheren Reden gesagt - einfach für verantwortungslos. ({2}) Es zeigt sich immer wieder - das ist am perfidesten -, dass Sie keine gemeinwohlorientierte Politik, sondern eine reine Klientelpolitik betreiben. Ich nenne als Beispiel nur die Agrarbeihilfen, über die wir im vorigen Jahr auf Geheiß von Herrn Stoiber nicht verhandeln durften. Auch in der gestrigen Anhörung des Haushaltsausschusses haben Sie nicht erkennen lassen, dass Sie sich dazu durchringen können, an dieser Stelle Subventionen zu streichen, um die dadurch frei werdenden Mittel anderen Bereichen zur Verfügung zu stellen oder zur Minderung der Schuldenlast einzusetzen. Auch dies ist nicht möglich. Letztendlich zahlen wir die Zinsen für die Schulden, die dadurch zusätzlich entstehen. Es zeigt sich immer mehr, dass Sie sich dann, wenn es richtig heiß wird, wenn Standfestigkeit gefragt ist, wenn es heißt, bei den Bürgern für seine Ideen und Überzeugungen einzustehen, schnell vom Acker machen, und zwar schneller, als ich mir persönlich das habe vorstellen können. Einen Ausreißer in negativer Hinsicht stellt dabei der Ministerpräsident von Sachsen, Herr Milbradt, dar. Zuerst möchte er im Vermittlungsausschuss - das hat er auch öffentlich gemacht - mithilfe eines Existenzgründergesetzes einen breiten Niedriglohnsektor im Osten Deutschlands etablieren. Wenn aber die - von uns abgemilderten - Hartz-IV-Reformen tatsächlich umgesetzt werden sollen, dann macht er sich vom Acker und hat nicht den Mumm, sich den Protesten zu stellen; vielmehr stellt er sich an ihre Spitze. Das ist nicht nur perfide, sondern auch verlogen. Wenn das das Führungspersonal der CDU ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland! ({3}) Noch ein paar Zahlen zur Klarheit des Bundeshaushalts. Wir haben in den vergangenen Jahren eine eindeutig begrenzende Ausgabenpolitik betrieben. Das Wachstum auf der Ausgabenseite ist sehr gering. Bei bereinigter Betrachtung zeigt sich, dass es unterhalb der Inflationsrate liegt. Unser Problem war die von mir bereits angesprochene Einnahmesituation, die besonders durch die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage gekennzeichnet ist. Vor allem hatte sie an Ihrer Blockade der Verbesserung der Steuereinnahmebasis zu leiden. ({4}) Schauen wir uns die Ausgaben des Bundes an: Im Jahr 2005 liegt die Ausgabenquote, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, bei 11,5 Prozent. 1998 hat sie noch 12,1 Prozent betragen. Die Kreditfinanzierungsquote liegt 2005 mit 8,5 Prozent weitaus niedriger als 1998, wo sie noch sage und schreibe 12,3 Prozent betragen hat. Dies alles geschah in den letzten Jahren vor dem Hintergrund einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Basis. Aber ich möchte nicht zu sehr in der Vergangenheit verweilen, sondern im Rahmen dieser Haushaltsberatungen auf einige Punkte eingehen, die die Zukunft betreffen. Das Kabinett hat mit Einbringung des Haushaltes die Abschaffung der Eigenheimzulage auf den Weg gebracht. Das soll für den Bund im Finanzplanungszeitraum bis 2008 frei werdende Mittel - das ist angesichts knapper öffentlicher Kassen der richtige Weg - in Höhe von 3 Milliarden Euro bedeuten. Diese Mittel sollen komplett in den Bereich „Bildung und Forschung“ investiert werden. Ich halte dies für den richtigen Weg im Umgang mit der größten Einzelsubvention des Bundes. In Erfurt gibt es viel grüne Wiese und viele Neubaumaßnahmen. Wohnraum ist eigentlich - ich erinnere an die Diskussionen der vergangenen Jahre - zur Genüge vorhanden. Auf der einen Seite wird der Abriss und auf der anderen Seite wird die Schaffung von Wohneigentum finanziert. Die Eigenheimzulage ist eine Subvention, die wir nicht mehr brauchen. ({5}) Ich bitte Sie deswegen, dem Haushalt zuzustimmen. Sorgen Sie mit dafür, dass wir insbesondere den Ländern die Mittel geben, die ihnen Spielräume verschaffen, ihre bildungspolitischen Vorstellungen, die sie für sich immer wieder sehr in Anspruch nehmen, tatsächlich umzusetzen! Bei voller Wirksamkeit wären das insgesamt 6 Milliarden Euro. Ich glaube, dass die Investitionen weg vom Beton hin zu mehr Bildung und Forschung in Wissen der richtige Weg sind. Ich hoffe, dass Sie dem letztendlich zustimmen werden. ({6}) Die Steigerungen im Haushalt für Bildung und Forschung umfassen mehr als eine reine Erhöhung der Finanzmittel; auch die Qualität der Ausgaben muss verbessert werden. Das heißt zum Beispiel, dass den großen Forschungsorganisationen jährliche Steigerungen in Höhe von 3 Prozent, gespeist aus diesen Mitteln, zugesichert werden. Für die Verknüpfung von Hochschulen und Industrie ist es sehr wichtig, dass die vorhandenen Kapazitäten - sie sind ausgesprochen gut; im Weltmaßstab sind sie sogar wirklich hervorragend - stärker genutzt werden, weswegen zum Beispiel mehr Doktoranden eingestellt werden. Dies gelingt aber nur, wenn die Forschungsorganisationen - ich nenne insbesondere die Max-Planck-Gesellschaft - dies umsetzen wollen. Die Bundesregierung hat die Einspeisung in einen Pakt für die Forschung vorgeschlagen. Ich als Berichterstatter für diesen Bereich behalte mir vor, die 3-prozentige Erhöhung daran zu knüpfen, dass die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Forschungsorganisationen tatsächlich verbessert wird. Ich kann die Empfänger der Mittel nur dazu auffordern, auf dem eingeschlagenen Weg voranzugehen. ({7}) Ich möchte auf ein anderes zentrales Problem zu sprechen kommen. Auch gestern haben in mehreren Städten, insbesondere in Ostdeutschland, Menschen gegen die beschlossenen Arbeitsmarktreformen demonstriert. ({8}) Ich persönlich nehme diese Proteste sehr ernst und stelle mich ihnen. Ich meine, wir alle, die wir diesen Reformen - auch in der Überzeugung, dass sie notwendig sind zugestimmt haben, haben die Verpflichtung, die Menschen zu überzeugen. Das gilt in Ost- wie in Westdeutschland. Dazu gehört aber nicht nur, die Hand zu heben, sondern dazu gehört auch, den Prozess zu moderieren und sich der Auseinandersetzung vor Ort zu stellen. Dazu gehört des Weiteren - das merke ich in den Gesprächen mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein positiver Blick in die Zukunft. Was die Förderung der neuen Bundesländer betrifft, so hat die Bundesregierung mit dem Solidarpakt II, der 2005 in Kraft treten wird, eine entscheidende Weichenstellung bis zum Jahr 2019 vorgenommen. Damit gibt es ein Gesamtvolumen von 156 Milliarden Euro für die neuen Bundesländer. 100 Milliarden Euro werden den Ländern direkt überwiesen und 56 Milliarden Euro kommen aus dem Bundeshaushalt. Ich möchte zu beiden Punkten noch etwas sagen. Zum ersten Punkt. Ich erinnere mich daran, dass es besonders der ehemalige Kollege Biedenkopf war, der darauf gedrungen hat, dass diese Mittel den Ländern frei zur Verfügung gestellt werden. Nun zeigt sich in der Diskussion über die Fortschrittsberichte seit 2002 - der Bericht für 2003 wird uns im November vorliegen -, dass diese Mittel nicht zweckgemäß eingesetzt werden, zumindest nicht in dem Umfang, der notwendig wäre. Ich kann den neuen Bundesländern nur sagen, dass sie der Solidarität, die sie sowohl gegenüber dem Bund als auch gegenüber den alten Bundesländern in Anspruch nehmen, nur gerecht werden, wenn sie diese Mittel investiv nutzen, nämlich vor allem zum Schließen der Infrastrukturlücke. Das tun sie nur sehr bedingt. Ich kann sie an dieser Stelle nur auffordern, dies zu ändern. Ansonsten würde es langfristig Schwierigkeiten geben, sowohl was die Legitimation gegenüber der Bevölkerung als auch was die Akzeptanz hier im Deutschen Bundestag angeht. ({9}) Zum zweiten Punkt. Dabei geht es um das, was der Kollege Austermann heute angesprochen hat, um die GA-Mittel. Sie sind Bestandteil des Korbes 2, der 56 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Dieser Korb 2 ist festgelegt. Die GA-Mittel haben eine elementare Bedeutung. Der Kollege hat heute Morgen behauptet - er ist nicht mehr hier, aber der Klarheit halber muss ich es sagen -, dass diese Mittel um die Hälfte reduziert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt auch für diesen Bereich einen Finanzplanungszeitraum, in dem eine schrittweise degressive Absenkung vorgesehen ist. Dafür gibt es einen regionalen Planungsausschuss. Dieser Absenkung haben die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU im Bundesrat und im Bundestag zugestimmt. ({10}) Wir haben jetzt bis zum Jahr 2007 die Festlegung, dass die Gesamtlinie bei 700 Millionen Euro liegt. Sie sollte nach der mittelfristigen Finanzplanung eigentlich niedriger sein. Weil Investitionen für Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt absolute Priorität haben, haben wir uns als Ostdeutsche an dieser Stelle durchgesetzt. Ich möchte mich beim Bundesfinanzminister und beim Bundeswirtschaftsminister dafür bedanken, dass diese Mittel nun in der Höhe zur Verfügung stehen. Dann muss man sie aber auch einsetzen. Noch eine letzte Bemerkung dazu. Thüringen hat diese Mittel im Jahr 2002 nur zu 75 Prozent und im Jahr 2003 nur zu 65 Prozent in Anspruch genommen. Das heißt - das muss man einmal klar sagen -: Sie sind liegen geblieben, weil es in diesem Land nicht möglich war, klare Entscheidungen für Strukturreformen zu treffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schneider, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich möchte nur noch einmal klar sagen: Der Bund steht zu seinen Zusagen für die neuen Länder. Er steht zu einer soliden Finanzpolitik, die in Teilbereichen natürlich der Zustimmung der Opposition bedarf. Werden Sie dieser Verantwortung für unser Land gerecht und stimmen auch Sie letztlich zu! Danke sehr. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzde- batte liegen nicht vor. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 1 c: Be- schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes zur Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushalts- jahr 2003 - Einzelplan 20 -, Drucksachen 15/2885 und 15/3388. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung anderer Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/3677 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften über die Amtshilfe im Bereich der Europäischen Union sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten ({2}) - Drucksache 15/3679 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Es handelt sich um Überweisungen in vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 12 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des VN-Waffenübereinkommens - Drucksache 15/2926 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({5}) - Drucksache 15/3568 Berichterstattung: Abgeordnete Petra Ernstberger Ruprecht Polenz Dr. Ludger Volmer Harald Leibrecht Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des VN-Waffenübereinkommens, Drucksache 15/2926. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3568, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 12 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG in Bezug auf die mehrwertsteuerliche Behandlung von Dienstleistungen im Postsektor KOM ({7}) 234 endg., Ratsdok. 9060/03 - Drucksachen 15/1153 Nr. 2.40, 15/3390 Berichterstattung: Abgeordneter Johannes Singhammer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktion der FDP zur sozialen Pflegeversicherung auf Drucksache 15/3683 zu erweitern und diesen jetzt gleich als Zusatzpunkt 5 aufzurufen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Sodann rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 bis 5 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 und den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 5 auf: 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung - Drucksache 15/3671 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss 3 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften - Drucksache 15/3672 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({9}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen - Drucksache 15/3450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({10}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/3673 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({11}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss 5 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung ({12}) - Drucksache 15/3654 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({13}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz - Drucksache 15/3681 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({14}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen Grundlegende Reform der Pflegeversicherung noch in dieser Wahlperiode einleiten - Drucksache 15/3682 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({16}), Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Familien spürbar durch einen Kinder-Bonus entlasten - Keine Beitragserhöhungen in der sozialen Pflegeversicherung - Grundlegende Reform beginnen - Drucksache 15/3683 Das Wort hat nun die Bundesministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal wird gefragt, was der Begriff „Agenda“ heiße. Es heißt „das, was zu tun ist“. Die Agenda 2010 der Bundesregierung beschreibt, was zu tun ist, damit in unserem Land der Wohlstand und damit auch die Zukunft der nachwachsenden Generationen gesichert wird, auch im Hinblick darauf, dass auch unsere Kinder und unsere Kindeskinder die bestmögliche medizinische Behandlung erhalten und es für die heute Jungen morgen noch eine sichere Altersversorgung gibt. Manchmal wird unterschätzt, dass hinter den Begriffen „Mobilität und Flexibilität in der heutigen Welt“, „weltweite scharfe Konkurrenz“ und „demographische Entwicklung“, mit denen wir gerne operieren, Veränderungen in Staat und Gesellschaft stehen, die von manchen, vielleicht nicht zu Unrecht, mit den Umwälzungen am Beginn der Industriegesellschaft verglichen werden. Wenn das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist es umso nötiger, gemeinsam darüber zu sprechen, wie notwendige Reformen aussehen können, damit diese Gesellschaft den neuen Herausforderungen gerecht wird und die Menschen befähigt werden, mit diesen neuen Herausforderungen zu leben. Einer der Bereiche, die wir reformiert haben, ist das Gesundheitswesen. Ich glaube, dass wir zu Recht sagen können, mit dem Konsens über die Gesundheitsreform einen entscheidenden Schritt getan zu haben, um das Gesundheitssystem zu stabilisieren und die finanzielle Entwicklung der Krankenversicherungen zu sichern. Durch diese Reform finden wir überhaupt erst die Zeit, um über eine grundlegende nachhaltige Weiterentwicklung zu reden bzw. darüber, was in den kommenden Jahren noch notwendigerweise getan werden muss. Wir haben mit der Gesundheitsreform nicht nur Beitragssatzanhebungen zu Beginn dieses Jahres in einem Volumen von 6 bis 8 Milliarden Euro verhindert, sondern darüber hinaus dafür gesorgt, dass die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2004 erstmals seit über zehn Jahren einen Überschuss erwirtschaftet haben, und zwar in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro. 2003 hatten sie im gleichen Zeitraum ein Defizit von 2 Milliarden Euro. ({0}) - Auch die FDP sollte die kleine mathematische Regel kennen, dass Schulden erst abgebaut werden können, wenn vorher ein Plus erwirtschaftet wurde. Ansonsten können die Schulden nie abgebaut werden, meine Kollegen von der FDP. ({1}) Ein kleines bisschen Mathematik wäre auch für die Liberalen ganz gut. Wir haben uns der Verantwortung gestellt. Sie dagegen sind damals aus den Verhandlungen ausgestiegen, weil Sie die pharmazeutische Industrie vor Zumutungen bewahren wollten. Das war Ihre Lobbyarbeit. ({2}) Erstmals seit langer Zeit haben wir die Entwicklung stoppen können, dass die Ausgaben für Arzneimittel immer weiter steigen. Die gesetzlichen Krankenversicherungen konnten in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 1,7 Milliarden Euro einsparen. In diesen 1,7 Milliarden Euro ist auch der circa 800 Millionen Euro betragende Herstellerrabatt enthalten, den die pharmazeutische Industrie in diesem Jahr gewährt, um sich an den Einsparungen im Gesundheitswesen zu beteiligen. ({3}) Außerdem profitieren erstmals seit langer Zeit viele Versicherte von sinkenden Beiträgen; im ersten Schritt sind das rund 27 Millionen Menschen. Das sind schnelle, sichtbare Erfolge. Bei Betrachtung des Gesamtvolumens stellt man fest, dass wir nicht nur Beitragssatzanhebungen in einem Volumen von 6 bis 8 Milliarden Euro verhindert, sondern im gleichen Zeitraum auch über 5 Milliarden Euro eingespart haben, und zwar durch zusätzliche Einnahmen über Betriebsrenten, aber auch über Steuergelder, nämlich 500 Millionen Euro zur Abdeckung der familienpolitischen Leistungen. ({4}) - Nicht „aha“. Wir haben die Entscheidung getroffen, die familienpolitischen Leistungen über Steuergelder zu finanzieren; denn diese Leistungen sind nicht allein Sache der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen. Da haben wir vielleicht unterschiedliche Auffassungen. Ich erwarte - da bitte ich Sie um Unterstützung -, dass die Krankenkassen nach diesem ersten Halbjahr die Entscheidung treffen, die Beiträge für die Versicherten zu senken. ({5}) Denn zu den erreichten Einsparungen haben vor allem die Versicherten und die Patienten und Patientinnen beigetragen, die für die Inanspruchnahme von Leistungen höhere Zuzahlungen leisten mussten. Ich habe kein Verständnis dafür, dass wir uns jeden Tag von Krankenkassenvertretern anhören müssen, wir sorgten für zu viel oder für zu wenig Reform, für zu viel oder für zu wenig Wettbewerb. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Unternehmen tagtäglich fordern, wir müssten weitere Einschnitte vornehmen, um die Lohnnebenkosten zu senken, und dass die Gewerkschaften behaupten, die Versicherten würden zu sehr belastet, und dass aber gleichzeitig weder die Selbstverwaltung noch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften oder die Vorstände der Krankenkassen handeln. Sie sollen jetzt handeln. Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, jetzt massive Beitragssatzsenkungen zu fordern; denn die Versicherten müssen sehen, dass Einsparungen durch Beitragssatzsenkungen an sie zurückgegeben werden. Da bitte ich Sie alle um Unterstützung. ({6}) Zweitens. Wir alle wissen, dass die Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens eng mit der Qualität zusammenhängt. Die Strukturveränderungen, die auf den Weg gebracht wurden, haben Bewegung in das Gesundheitswesen gebracht. Neue Verträge über eine integrierte Versorgung werden geschlossen. In Sachsen-Anhalt gibt es das erste landesweite Hausarztmodell, an dem sich bisher über 130 000 Versicherte und über 1 100 Ärzte und Ärztinnen beteiligten. Auch in Westdeutschland werden medizinische Versorgungszentren gegründet. All dies sind die Wurzeln einer neuen Entwicklung, die in Zukunft fortgesetzt werden soll. Ich sage hier ganz deutlich: Diese Maßnahmen in Angriff zu nehmen und die Instrumente der Strukturveränderungen zu nutzen gehört zu den Aufgaben, die die Krankenkassen wahrnehmen und die wir weiter kritisch begleiten müssen. Wenn nichts geschieht und wenn sich die Strukturen nicht verändern, dann werden wir irgendwann an dem Punkt sein, an dem wir schon letztes Jahr standen. Es war deshalb richtig, nicht nur umzufinanzieren, sondern auch strukturelle Veränderungen hin zu mehr Wettbewerb und zu mehr Möglichkeiten der Vertragsgestaltung im Gesundheitswesen zu schaffen. Wir alle wissen aber auch, dass das Prinzip „Vorbeugen statt Heilen“ in unserem Land noch nicht so durchgesetzt wird, wie es sein sollte. Wenn die Gesellschaft immer älter wird, wir also Gott sei Dank immer länger leben, dann ist es für das Gesundheitssystem nicht so entscheidend, wie alt wir werden, sondern, wie wir alt werden. Deshalb ist es richtig, dass wir beschlossen haben, ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen. Wir wollen, dass in Deutschland Prävention endlich Vorrang vor Heilung hat und Prävention Schritt für Schritt zu einer eigenständigen Säule im Gesundheitswesen ausgebaut wird. Denn was wir für die Prävention ausgeben, kann bei der Behandlung eingespart werden. Das ist gut für die Menschen, weil sie gesünder leben, und das ist gut für die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens. ({7}) Deshalb bin ich froh, dass wir sowohl mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Rentenversicherung, der Pflegeversicherung und der Unfallkasse als auch mit den Ländern darüber im Gespräch sind. Wir werden in diesem Jahr einen entsprechenden Entwurf in den Deutschen Bundestag einbringen - genauso wie wir es vor einem Jahr beschlossen haben. Wir müssen auch an einer anderen Stelle verhandeln. Es handelt sich um den Zahnersatz - ein leidiges Thema. ({8}) Wir werden nicht umhinkommen, darüber zu reden, ob die im vergangenen Jahr beschlossene Regelung wirklich umsetzbar ist. Wenn Politiker merken, dass ein von ihnen gefasster Entschluss in der Praxis nur schwer umzusetzen ist, dann bin ich dafür, dass man den Mut zur Korrektur hat. Ich sage noch einmal: Die Entscheidung, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen und ihn durch einen einheitlichen Pauschalbetrag zu finanzieren, ist nicht ohne weiteres umzusetzen. ({9}) Diese Entscheidung ist nicht nur sozial ungerecht, weil die Rentnerin mit einer Rente von 500 Euro den gleichen Pauschalbetrag zahlen soll wie beispielsweise der Abgeordnete, der 7 000 Euro verdient. Sie ist auch bürokratisch und im Hinblick auf das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung systemfremd. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müssen sich entscheiden und daran mitwirken, dass wir zu einer Regelung kommen, die sozial gerecht ist, die die Menschen nicht überfordert und die gleichzeitig unbürokratisch ist. ({10}) Wenn sich abzeichnet - das haben die Beratungen innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen ergeben -, dass der Versicherungsbeitrag für den Zahnersatz eher bei 10 Euro denn bei 5 Euro liegt und dass in diesem Beitrag nur ein Anteil in Höhe von 2 bis 2,50 Euro pro Monat und pro Versicherten für den eigentlichen Zahnersatz enthalten ist, dann kann man an einer solchen Lösung nicht festhalten. Lassen Sie uns daher gemeinsam einen anderen Weg finden! Lassen wir alles beim Alten, was den Zahnersatz angeht! ({11}) Er bleibt im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Finanzierung erfolgt einkommensabhängig, sodass niemand überfordert wird. Wir müssen alles dafür tun - auch da stehen wir in der Verantwortung -, dass die Beitragssatzziele, die wir im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz festgelegt haben, tatsächlich erreicht werden. Deshalb bitte ich Sie, dem Vorschlag, den ich Ihnen unterbreitet habe, zuzustimmen. Denn das ist die beste und die praktikabelste Lösung. ({12}) Man kann nicht alles beim Alten lassen und sich nicht für die Senkung der Lohnnebenkosten interessieren. ({13}) - Das ist nicht Müntefering. Das könnten Sie, Herr Storm, oder ein anderer aus Ihren Reihen sein. Vielleicht wollten Sie sich nur über die nächsten drei Wochen bis zu den Wahlen retten. Sie werden dann aber auch sagen müssen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten aussehen soll. Ich sage es einmal ganz deutlich: Das alles gilt für die Unternehmen ebenso wie für die Rentenversicherung, aber auch für alle Unternehmungen, die im Bereich des Gesundheitssystems tätig sind. Ich nenne in diesem Zusammenhang ein paar Zahlen: Wenn 160 Millionen Euro in der Gesundheitswirtschaft eingespart werden können, dann können dort Arbeitsplätze erhalten werden und dann kann es gelingen, die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbessern. Einsparungen bei den Lohnnebenkosten haben Auswirkungen auf die Kommunen, die Länder und den Bund. Man kann nicht sagen: „Macht ihr das mal allein; wir haben mit dem Ganzen nichts zu tun“ und anschließend das Hohelied der Kritik darüber singen, wie sich die Lohnnebenkosten entwickeln. Wenn Sie nicht bereit sind, mitzumachen, müssen Sie die Verantwortung für die Entwicklung der Lohnnebenkosten übernehmen, meine Damen und Herren von der CDU. ({14}) Ein weiterer wichtiger Punkt, der auch in unseren Geschäftsbereich fällt, ist die Altersvorsorge. Wir haben nicht nur in der letzten Legislaturperiode mit der Einführung der kapitalgedeckten Säule der privaten Altersvorsorge einen ersten Schritt getan, sondern auch mit dem Nachhaltigkeitsgesetz dafür gesorgt, dass die Altersvorsorge für die Jüngeren bezahlbar und für die Älteren verlässlich bleibt. Damit leistet die Bundesregierung sowohl einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung als auch einen Beitrag zur wirtschaftlichen Belebung und zum wirtschaftlichen Aufschwung. Über 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben mittlerweile eine zweite Säule im Bereich der Betriebsrente aufgebaut oder eine private Zusatzversorgung abgeschlossen. Damit sich diese positiven Zahlen weiter verbessern und noch mehr Menschen zusätzlich vorsorgen, haben wir in diesem Jahr wichtige Veränderungen verabschiedet. Durch das Alterseinkünftegesetz haben die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Zukunft mehr Geld zur Verfügung, um die private Altersvorsorge wirklich aufbauen zu können. Wir haben gleichzeitig die Voraussetzungen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge attraktiver und unbürokratischer gestaltet. Zu einer attraktiven Rentenversicherung gehört auch, dass man die Rentenversicherungsträger fit für die Zukunft macht. Deshalb bringen wir heute das Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Dieses Gesetz überwindet die Trennung von Arbeitern und Angestellten. Es trägt mit dazu bei, dass die Ressourcen der Rentenversicherung so zielgerichtet wie möglich eingesetzt werden. ({15}) Ein letzter wichtiger Punkt, bei dem auch weit reichende Reformen anstehen, ist die soziale Pflegeversicherung. Sie wissen, dass die demographische Herausforderung ganz erhebliche Auswirkungen auch auf die Pflegeversicherung hat. Wir brauchen in Deutschland eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir die Pflegeversicherung weiterentwickeln wollen und wir uns das Leben im Alter vorstellen. Wir brauchen eine Debatte darüber, was über die Pflegeversicherung hinaus getan werden muss, damit die Menschen im Alter so selbstbestimmt, so gut wie möglich leben und so lange wie möglich in ihrer angestammten Umgebung bleiben können. Diese Debatte werden wir anstoßen. ({16}) Sie umfasst vieles: die Kommunikation, die Potenziale der älteren Generation, den Wohnungsbau oder die Mobilität älterer Menschen. Aber zunächst hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, in dem Beitragsrecht der Pflegeversicherung die Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Für diejenigen, die Kinder erziehen oder Kinder erzogen haben, ist eine andere Beitragsgestaltung vorzusehen als für diejenigen, die keine Erziehungsleistungen erbracht haben. Mit der Initiative der Koalitionsfraktionen, die heute eingebracht wird, wird das Urteil fristgerecht umgesetzt. Die momentane finanzielle Situation der Pflegeversicherung zwingt uns eigentlich, für alle die Beitragssätze anzuheben. Wir setzen das Urteil jetzt aber so um, dass nur diejenigen, die keinen Beitrag über Erziehungsleistungen erbracht haben, durch eine Erhöhung des Beitrages belastet werden. Wir nehmen all diejenigen davon aus, die im kommenden Jahr 65 Jahre oder älter sind, weil - jetzt bitte ich die FDP, zuzuhören - das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dass der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen Kinder Erziehenden und Nichterziehenden vernachlässigen kann, wenn eine Generation dafür gesorgt hat, dass genügend Kinder geboren wurden. ({17}) Die ältere Generation, die heute 65-Jährigen und Älteren, hat zu ihrer Zeit dafür gesorgt, dass der Generationenvertrag eingehalten wurde. Zum Geburtenrückgang kam es Mitte der 60er-Jahre. Deshalb werden wir all diejenigen, die nach 1940 geboren wurden und keine Kinder erzogen haben oder erziehen, mit einem zusätzlichen Beitrag belasten. ({18}) Ich halte das für gerecht. Ich halte das auch für einen wirklich gangbaren Weg. Daher bitte ich all diejenigen, die sich immer wieder über Bundesverfassungsgerichtsurteile äußern, einmal einen Blick in das Urteil zu werfen. Dieser erleichtert in der Regel die Rechtsfindung. Sie würden dann auch erkennen, dass unser Vorschlag sehr genau der Begründung des Bundesverfassungsgerichts entspricht und wir damit auf dem richtigen Weg sind. ({19}) Mit dem von uns eingeschlagenen Weg werden wir die Lohnnebenkosten stabilisieren und dazu beitragen, dass Beschäftigung in Deutschland wieder attraktiv wird und Arbeit geschaffen werden kann. Ich sage noch einmal deutlich: Keine Reform der sozialen Sicherungssysteme kann auf Dauer verkraften, wenn es kein Wachstum gibt, das zu Wohlstand führt. Die Menschen brauchen Arbeit und die sozialen Sicherungssysteme leben von Beitragszahlern. ({20}) Deshalb sind die Reformen notwendig und wir nehmen sie vor. Die CDU muss bedenken, dass der Pflegekasse bei ihrem Vorschlag 760 Millionen Euro fehlen würden. Darüber hinaus muss sie berücksichtigen, dass eine allgemeine Beitragssatzanhebung zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten führen wird. ({21}) Andere müssen sagen, woher sie das Geld nehmen wollen. Man muss schon Butter bei die Fische geben und deutlich sagen, wie eine Reform finanziert werden soll. Vielleicht machen es sich manche so einfach wie die Spitzenverbände der Pflegeversicherungen, die heute gesagt haben: Nehmt doch einfach Steuergelder und steckt sie in die Pflegeversicherung, das wäre am einfachsten; denn dann bräuchten wir uns keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie das Ganze finanziert werden soll. Vielen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Storm von der CDU/CSU-Fraktion.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben derzeit fast jeden Tag aufs Neue, woran es der Sozialpolitik von Rot-Grün am meisten mangelt: an konzeptioneller Klarheit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, ({0}) gestern hü!, heute hott! und morgen gilt schon wieder eine neue Parole. Bei einem solchen Zickzackkurs müssen Sie sich nicht wundern, dass die Unterstützung der Menschen für dringend notwendige Reformen von Tag zu Tag geringer wird. ({1}) Beispiel Rente: Noch im Sommer 2003 bei den Verhandlungen zur Gesundheitsreform haben Sie, Frau Ministerin, heilige Eide geschworen, dass es für die Rentner über die volle Beitragsbelastung von Betriebsrenten in der Krankenversicherung ab dem 1. Januar hinaus keine aktuellen weiteren Belastungen geben soll. Wie wenig man sich auf diese Zusage verlassen konnte, haben die Rentner in diesem Jahr gleich zweimal zu spüren bekommen: Zuerst gab es die Verdoppelung des Pflegeversicherungsbeitrags am 1. April und dann anstelle der jährlichen Rentenerhöhung zur Jahresmitte die Nullrunde. Damit nicht genug, mit Ihrer im Frühjahr 2004 verabschiedeten Rentenreform haben Sie eine neue Rentenformel beschlossen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ({2}) Im Grundsatz halten wir die Ergänzung der Rentenformel um einen Nachhaltigkeitsfaktor für richtig; denn er ist im Grunde genommen nichts anderes als der demographische Faktor, den wir schon vor der Wahl 1998 ins Gesetzblatt geschrieben haben. Was wir Ihnen aber vorwerfen, ist, dass Sie den neuen Nachhaltigkeitsfaktor einfach auf den vor drei Jahren beschlossenen Riester-Faktor draufgesattelt haben. Das hat zur Folge, dass die Renten im nächsten Jahr um 1 Prozent hinter der Lohnentwicklung der Beitragszahler zurückbleiben. Im Klartext heißt das: Auch im kommenden Jahr müssen sich die Rentner auf eine weitere Nullrunde einstellen. ({3}) Mit Verlässlichkeit hat eine solche Rentenpolitik nichts mehr zu tun. ({4}) Frau Ministerin, sowenig sich die Rentner auf Ihre Zusagen verlassen können, so wenig bietet Ihre im Frühjahr 2004 verabschiedete Rentenreform eine Perspektive für die heutigen Beitragszahler, für die junge Generation. Erinnern wir uns: Mit Ihrer Rentenreform haben Sie einen rentenpolitischen Paradigmenwechsel eingeleitet. Die Zusage, dass man nach einem vollen Arbeitsleben im Alter ein Nettorenteniveau von 67 Prozent erreichen kann, die noch 2001 unter Riester festgeschrieben wurde, wurde aufgegeben. Das Nettorentenniveau sinkt bis zum Jahre 2030 auf etwa 50 Prozent. ({5}) Angesichts dieser massiven Kürzungen stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es, dass möglichst jeder Arbeitnehmer eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge aufbauen kann? ({6}) Die Riester-Rente hat sich als Flop erwiesen. Daran ändert auch das Alterseinkünftegesetz herzlich wenig. Deshalb brauchen wir neue Antworten. Wir dürfen nicht unnötig Zeit verlieren und vor allen Dingen nicht auf die Vorlage des Alterssicherungsberichts Ende 2005 warten. Denn dann passiert in dieser Wahlperiode überhaupt nichts mehr und das wissen Sie ganz genau. Deshalb mache ich Ihnen heute einen Vorschlag: Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren, wie wir jetzt schon die richtigen Weichenstellungen treffen können, um Altersarmut von morgen zu vermeiden. Unser Vorschlag lautet: Alle Arbeitnehmer sollen bei Abschluss ihres Arbeitsvertrages regelmäßig eine Entgeltumwandlung in Höhe von bis zu 4 Prozent ihres Bruttolohnes zugunsten der betrieblichen Altersversorgung vereinbaren. Auf diese Weise würde die Entgeltumwandlung zum Regelfall. Wer sich bewusst dagegenentscheidet, kann im Sinne einer Opting-out-Regelung auf diese Lösung verzichten. Um das Ganze aber dauerhaft attraktiv zu gestalten, müssen wir schon heute das Signal geben, dass wir die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung auch über das Jahr 2008 hinaus aufrechterhalten. Mit der Entscheidung über diese Fragen dürfen wir aber nicht bis zur nächsten Wahlperiode warten, sondern wir sollten schon in dieser Wahlperiode ein klares Signal geben. Rot-Grün zeigt auch beim Thema „Pflege“ keinerlei Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Vielmehr glänzen Sie mit konzeptionellem Dilettantismus. Vor nunmehr dreieinhalb Jahren hat das Bundesverfassungsgericht eine Entlastung von Familien bei den Pflegebeiträgen ab dem 1. Januar 2005 gefordert. Heute, nur vier Monate vor Torschluss, legen Sie einen Vorschlag vor, der familienpolitisch falsch, verfassungsrechtlich bedenklich und handwerklich mangelhaft ist. Wie hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil argumentiert? Die Kernaussage des Urteils lautet: Die soziale Pflegeversicherung basiert auf einem Generationenvertrag, denn Pflegebedürftigkeit tritt überwiegend im Alter auf. Eine umlagefinanzierte Pflegeversicherung kann nur dann funktionieren, wenn genügend junge Beitragszahler nachrücken. Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass die Erziehung von Kindern konstitutive Bedeutung für das Funktionieren der Pflegeversicherung hat. Man braucht zwei Beiträge: neben dem Geldbeitrag auch die Kindererziehung. Erziehungsleistung und Geldbeitrag stehen gleichberechtigt nebeneinander. Deshalb verstößt es gegen das Grundgesetz, wenn Versicherte, die Kinder erziehen, denselben Beitrag leisten müssen wie andere Versicherte, die keine Kinder haben. Eine verfassungskonforme Lösung, Frau Ministerin, muss zwingend eine Besserstellung von Versicherten, die aktuell Kinder erziehen, vorsehen, und zwar eine Besserstellung auf der Beitragsseite während der Erziehungsphase. ({7}) Was Sie vorschlagen, bedeutet keine Besserstellung während der Erziehungsphase. Versicherte mit Kindern bekommen bei Ihrer Lösung keinen einzigen Cent mehr. Der Kinderlosenzuschlag wird ausschließlich zum Stopfen der Löcher in der Pflegeversicherung verwendet. ({8}) Dieser Vorschlag geht meilenweit an den Anforderungen des Verfassungsgerichts vorbei. Es ist kein Wunder, dass auch die Grünen massive Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf haben. Liebe Kollegin Selg, bleiben Sie an dieser Stelle standhaft! ({9}) Wir haben einen Vorschlag gemacht, der keinen Strafbeitrag für Kinderlose, sondern eine echte Entlastung für Versicherte mit Kindern vorsieht. Wer ein Kind unter 18 Jahren erzieht, erhält nach unserem Vorschlag einen Beitragsbonus von 5 Euro je Kind und Monat. Auch führt unser Vorschlag nicht zu einer Anhebung der Lohnnebenkosten, weil dieser zusätzliche Beitrag von den Versicherten allein zu finanzieren wäre. ({10}) Dieser Vorschlag sieht die größte Entlastung dort vor, wo sie am dringendsten gebraucht wird: bei Menschen mit niedrigem Einkommen, bei Familien mit mehreren Kindern und bei Alleinerziehenden. Aber eines wird an dieser Stelle auch deutlich: Wir sind an den Grenzen der umlagefinanzierten Sozialversicherung angelangt. ({11}) Deshalb ist es unsere wichtigste Aufgabe, noch in dieser Wahlperiode eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung anzugehen, ({12}) auf dem Weg zu einem zumindest in weiten Teilen kapitalgedeckten System. ({13}) Deshalb kann eine solche Lösung nur ein Übergang sein. ({14}) Meine Damen und Herren, ich komme zum unrühmlichen Höhepunkt rot-grüner Unberechenbarkeit. Vor einem Jahr haben über 90 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages einer Neuregelung beim Zahnersatz zugestimmt, die Union, SPD und Grüne gemeinsam vereinbart hatten. Dieser Kompromiss ist keiner Seite leicht gefallen. Aber wir stehen zu dem, was wir einmal vereinbart haben. Unser Wort gilt. Pacta sunt servanda - das hat der Bundeskanzler vor zwei Monaten zum Thema Zahnersatz erklärt. Aber heute gilt dieses Wort für die Bundesregierung offenbar nicht mehr. Denn uns liegt ein Gesetzentwurf vor, durch den die Neuregelung des Zahnersatzes ausgehebelt und seine Ausgliederung aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen vollständig rückgängig gemacht wird. Die Argumente, die dafür vorgetragen werden, sind an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. ({15}) Da wird beispielsweise behauptet, der Zahnersatz sei plötzlich doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Doch wie ist die Faktenlage? Bei der Anhörung des Gesundheitsausschusses am 30. Juni 2003, also vor Beginn der Konsensgespräche zur Gesundheitsreform, hat der Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen vorgerechnet, dass sich die Sachkosten für den Zahnersatz in der gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied, also je Beitragszahler, auf gut 6 Euro pro Monat belaufen; dazu kommen dann noch die Verwaltungskosten. ({16}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verwechseln immer Beitragszahler und Versicherte. Wenn Sie alle Familienangehörigen berücksichtigen und die Kosten dann aufteilen, kommen Sie auf nur 4,30 Euro - das haben die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen schon in der damaligen Anhörung bestätigt -, aber je Beitragszahler sind es über 6 Euro. Vor drei Wochen, am 13. August 2004, hat der Chef der Barmer Ersatzkasse, Herr Fiedler, auf einer großen Pressekonferenz erläutert, die Prämie für den Zahnersatz werde im kommenden Jahr inklusive Verwaltungskosten voraussichtlich 6,70 Euro pro Monat betragen. Dieser Betrag entspricht ziemlich exakt den Erwartungen, die man auch im Rahmen der Konsensgespräche des vergangenen Jahres hatte. Voraussetzung für diese Prämienhöhe wäre aber gewesen, dass die Prämien für Rentner und Arbeitslose im Quellenabzugsverfahren eingezogen worden wären. Das hatten wir Ihnen, Frau Ministerin, im Mai dieses Jahres vorgeschlagen. Ihre Antwort lautete damals - ich zitiere -: Ich sehe derzeit keine Regelungslücken, die unverzüglich geschlossen werden müssten. ({17}) Frau Ministerin, Sie haben monatelang bewusst eine unbürokratische Regelung verschleppt. Die organisatorischen Schwierigkeiten sind einzig und allein dadurch entstanden, dass die Bundesregierung es nicht geschafft hat, rechtzeitig die Voraussetzungen für einen unbürokratischen Beitragseinzug zu schaffen. ({18}) Aber in Wirklichkeit ging es Ihnen um etwas anderes: Sie haben seit Monaten alles getan, damit der Kompromiss beim Thema Zahnersatz nicht rechtzeitig umgesetzt werden kann. ({19}) Damit ist auch klar: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Neuregelung beim Zahnersatz nicht rechtzeitig zum 1. Januar 2005 in Kraft treten kann und dass daher auch die angestrebte Beitragssatzsenkung ausbleiben muss. Meine Damen und Herren, trotz allem sind wir für alternative Vorschläge offen. ({20}) Aber nur unter zwei Voraussetzungen: Eine Neuregelung beim Zahnersatz muss besser sein als die Lösung, die wir letztes Jahr gemeinsam vereinbart haben. ({21}) Zweitens muss sie zugleich besser sein als die derzeitige Lösung im System der GKV. ({22}) Ihr heute vorgelegter Gesetzentwurf erfüllt beide Voraussetzungen erkennbar nicht. ({23}) Wir wollten mit der Gesundheitsreform gemeinsam den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten für ihren Schutz beim Zahnersatz geben. Rot-Grün will jetzt, dass die Versicherten mehr bezahlen, ({24}) aber nicht selbst über Art und Umfang ihrer Versicherung entscheiden können. ({25}) Schon der Durchschnittsverdiener wird bei Ihrem Vorschlag deutlich höher belastet als bei unserer Prämienlösung: Gegenüber den 6,70 Euro würde der Durchschnittsverdiener bei einem prozentualen Beitrag von 0,4 Prozent bereits mit 9,60 Euro belastet. Eine solche Mehrbelastung ohne Ziel und Konzept und ohne Vorteil für den Versicherten kommt für uns so nicht in Betracht. Deshalb werden wir Ihren heutigen Gesetzentwurf ablehnen. ({26}) Wie wenig Berechenbarkeit und Verlässlichkeit die Politik dieser Bundesregierung aufweist, hat erst am Wochenende der Bundesfinanzminister verdeutlicht. In einem Interview hat er nahe gelegt, dass angesichts der einbrechenden Tabaksteuereinnahmen der Bundeszuschuss an die Krankenkassen zur Abgeltung versicherungsfremder Leistungen wieder infrage gestellt werden müsse. Die Koalition debattiert ja seit zwei Tagen wieder darüber, ob man diese Gelder im Bundeshaushalt nicht einsparen kann. Es wäre ein weiterer Weg, erneut die Beitragszahler zu belasten. Was ist eigentlich ein Konsensergebnis wert, wenn Sie noch nicht einmal ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Reform ein wesentliches Stück wieder außer Kraft setzen wollen? ({27}) Die Menschen haben genug von diesem ständigen Hickhack; sie wollen eine Politik, die berechenbar ist und Vertrauen verdient. Nur dann werden die dringend notwendigen Reformen in der Sozial- und in der Gesundheitspolitik auch gelingen. ({28})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Storm, Sie haben heftige Kritik an der Regierung geübt. Wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, haben Sie kritisiert, es mangele an Klarheit, an Berechenbarkeit und an einer Konzeption. Das sind schwer wiegende Vorwürfe. Ich frage mich allerdings, ob diese Vorwürfe vielleicht weniger über unsere Regierung aussagen als über die Zerrissenheit in der Union, die Sie mit diesem Getöse zu übertönen versuchen. ({0}) Schauen wir uns doch an, wie es bei Ihnen aussieht, meine Damen und Herren von der Union. ({1}) Nehmen wir das Beispiel Zahnersatz; Herr Storm hat es ja auch schon erwähnt. Rot-Grün stellt fest: Die Lösung, wie sie damals im Kompromiss vereinbart wurde, ist nicht umsetzbar, ist ein bürokratisches Monstrum. ({2}) Wir machen deswegen den Vorschlag, das zu verändern. Was passiert dann? Frau von der Leyen aus Niedersachsen, die am Kompromiss beteiligt war, sagt: Das ist eigentlich wahr. Lassen wir doch die Lösung so, wie sie jetzt ist. - Als Nächster sagt Herr Böhmer, der auch am Kompromiss beteiligt war: Ja, da könnte man auch wieder etwas ändern, es ist eigentlich nicht gar so geschickt. Als Dritter lässt Herr Seehofer streuen: Ich war ja noch nie dafür. - Da muss man zugeben: Sie sind noch der Berechenbarste in der ganzen Truppe; das ist immerhin wahr. ({3}) Dann sagt Frau Merkel: Wir sind gesprächsbereit. Bitte legt doch einmal einen Gesetzentwurf vor. Es folgt der zweite Akt: Wir haben einen Gesetzentwurf auf dem Tisch. Was passiert? Die Union versinkt in Schweigen. Dann tagt das Präsidium und sagt: Wir sind dagegen. Jetzt ist interessant, was dann kommt - Stichwörter: Klarheit, Berechenbarkeit und Konzeption -: Es wechseln die Begründungen für das Dagegensein! Herr Wissmann sagt, es sei schlimm, weil die Arbeitnehmer belastet würden - so, als sei die Entlastung der Arbeitgeber und damit die Senkung der Lohnnebenkosten noch nie ein gemeinsames Anliegen gewesen. ({4}) Herr Seehofer sagt: Der Gesetzentwurf ist zu kompliziert. - Ich wusste gar nicht, Herr Seehofer, dass Sie keine Gesetzestexte lesen können. Herr Kauder schließlich sagt, das sei ganz schlimm, weil die Ministerin jetzt den Kompromiss aufgegeben habe. ({5}) Das ist wahr, darum ging das Ganze ja. Auf Deutsch: Das, was Sie hier aufführen, erinnert wesentlich mehr an ein Kasperletheater als an Klarheit, Berechenbarkeit und eine Konzeption. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Bender, Sie haben gerade gesagt, dass Kollege Seehofer vielleicht Schwierigkeiten mit Gesetzestexten hat. Ich habe heute Ihren Gesetzesvorschlag erhalten und zitiere einfach einmal den ersten Satz daraus. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn mir erklären könnten. Es geht um die Änderung des GKV-Modernisierungsgesetzes, Nr. 36. Dort heißt es: In Absatz 1 Satz 1 werden die Wörter „Die Krankenkasse hat in ihrer Satzung nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7“ durch die Wörter „Versicherte haben nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf“ und die Wörter „für die Fälle vorzusehen“ durch die Wörter „in den Fällen“ ersetzt. ({0})

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen durchaus helfen. Wir können das ja mal im Ausschuss machen. In solchen Fällen nimmt man die alte Regelung im geltenden SGB V zur Hand, legt den Gesetzentwurf daneben und schaut sich an, welche Wörter gestrichen und ersetzt werden und wie sich die Bedeutung verändert. ({0}) Ich bin mir ganz sicher, dass Ihnen ein ehemaliger Gesundheitsminister hier auch noch Nachhilfe geben kann. ({1}) Jetzt sage ich einmal etwas zur Konzeption und zu dem Kompromiss. Wir alle wissen doch, dass ein fairer Wettbewerb zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenkasse, den Frau Merkel so gerne gehabt hätte, eine Schimäre ist. Das ist schlichtweg nicht umsetzbar. Es kann keinen Wettbewerb zwischen zwei Systemen geben, die nach völlig verschiedenen Regeln funktionieren. ({2}) Auf der einen Seite gibt es die gesetzlichen Krankenversicherungen mit einer Kontrahierungspflicht - das heißt, sie müssen jeden aufnehmen -, mit dem Solidarprinzip und mit dem Sachleistungsprinzip. ({3}) Auf der anderen Seite gibt es die privaten Krankenversicherungen, die die Menschen nur nach entsprechender Risikoselektion aufnehmen, die einkommensunabhängige Prämien verlangen und die im Übrigen nach dem Kostenerstattungsprinzip arbeiten und somit keinerlei Möglichkeit haben, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung zu beeinflussen. Zwischen diesen verschiedenen Systemen kann es keinen Wettbewerb geben. ({4}) Die Lösung, die wir des nächtens ausgehandelt hatten, bedeutete obendrein eine Stillstellung des Wettbewerbs unter den gesetzlichen Krankenkassen, weil für alle die gleichen Preise gelten sollten. Angesichts der Tatsache, dass man dann auch noch festgestellt hat, dass der Anteil für die Verwaltungskosten bald so hoch ist wie der Beitrag selbst, muss man sagen: Diese Lösung ist nicht gut. ({5}) Ich kann mich hier den Worten der Ministerin nur anschließen: Wenn die Lösung schlecht ist, sollte man den Mut haben, sie besser zu machen. Was ist der Vorteil des Gesetzentwurfs, den wir Ihnen vorlegen? ({6}) Es gibt wieder Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen. Das heißt, beim Zahnersatz wird es wieder um Qualität und Wirtschaftlichkeit gehen. Gleichzeitig ist diese Lösung, nach der der Zahnersatz in der GKV verbleibt, sein Beitragsanteil aber alleine von den Versicherten getragen wird, für die Versicherten billiger als die Pauschale - das müssen Sie sich nur einmal anschauen - und verteilungsgerechter. ({7}) - Frau Widmann-Mauz, wenn Sie mir das nicht glauben, dann sage ich Ihnen: Jemand mit einem Einkommen von 1 000 Euro zahlt in Zukunft 4 Euro als Beitragsanteil für den Zahnersatz. Das bedeutet eine Zusatzbelastung von 2 Euro. Die 6,50 Euro, die man sonst bezahlt hätte, erreicht man erst, wenn man ein Einkommen nahe an der Beitragsbemessungsgrenze hat. ({8}) Vorteile für die Versicherten gibt es auf jeden Fall. Wie gesagt: Es gibt dann auch wieder Wettbewerb und mehr Qualität. ({9}) - Ich glaube, das Problem der fehlenden Klarheit und der mangelnden Konzeptionsfähigkeit sollten Sie einmal untereinander lösen. Ich sehe ja, dass Sie schon lebhaft ins Gespräch vertieft sind. Herr Kollege Storm, Sie haben hier in Ansätzen auch über die Rente gesprochen. Angesichts dessen, was die Union zu unserem Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz vorgelegt hat, frage ich mich, was bei Ihnen klar und konzeptionell überzeugend sein soll. Sie waren doch der Meinung, man müsse die Beitragsentwicklung in dem Sinne festschreiben, dass der Beitrag nicht über 20 Prozent steigt. Das ist niedriger als das, was wir vorsehen. Gleichzeitig haben Sie verlangt, dass das Rentenniveau am Ende höher sein soll und dass man die Kindererziehungszeiten stärker berücksichtigt. Dieses politische Konzept nennt man für gewöhnlich die Quadratur des Kreises. ({10}) Insofern kann ich Ihnen Qualität Ihrer Oppositionsarbeit leider nicht bescheinigen. ({11}) Im Übrigen haben Sie erklärt, die Riester-Rente sei ein Flop. Das sehen wir nicht so. Allerdings muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber wenn sie denn, Herr Storm, ein Flop wäre, dann ist es doch keine Antwort, den „Flop“ für alle verpflichtend zu machen. ({12}) Das ist doch nun wirklich nicht überzeugend. Außerdem führen Sie doch - genau wie wir - seit langem eine Diskussion über Eigenverantwortung. Ich verstehe Eigenverantwortung so, dass man selber Entscheidungen trifft. Insofern passt es doch nicht zusammen, wenn man vom Staat gezwungen wird, per obligatorischer Entgeltumwandlung privat vorzusorgen. ({13}) Das kann es ja nun auch nicht gewesen sein. Meine Damen und Herren von der Union, wenn sich der Pulverdampf ein bisschen verzieht, dann sieht man doch, dass es in wesentlichen aktuellen Fragen so große Differenzen zwischen Rot-Grün auf der einen Seite und Union auf der anderen Seite - sofern Sie selber irgendwann mit sich einig werden - nicht gibt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bender, darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Storm entgegennehmen möchten?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ist Ihnen nicht der Unterschied zwischen der Entgeltumwandlung als Form der betrieblichen Altersvorsorge und der Riester-Rente bekannt? Weil die Riester-Rente so nicht angenommen wird, habe ich gerade vorgeschlagen, einen anderen Weg zu gehen, der bisher sehr gut funktioniert hat, nämlich als Regelfall die Entgeltumwandlung vorzusehen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich ist das in der Konstruktion ein Unterschied. Viele Menschen, durch tarifliche Regelungen angeregt, entscheiden sich für die Entgeltumwandlung. Aber wenn man von Eigenvorsorge und Eigenverantwortung spricht, gleichzeitig jedoch die Eigenverantwortung per Entgeltumwandlung für alle verpflichtend machen will, halte ich das für einen Widerspruch in sich. Dieses Problem haben Sie nicht gelöst. Ich schaue mir einmal an, was zurzeit vorliegt. Da gibt es zum Beispiel die Organisationsreform in der Rentenversicherung. Es hat zwar lange gedauert, bis man sich mit den Ländern geeinigt hat, aber immerhin ist das jetzt der Fall. Wir werden gemeinsam eine Reform auf den Weg bringen, die Verwaltungsvereinfachungen ermöglicht und hilft, 350 Millionen Euro im Jahr einzusparen. Auch das sollte man einmal im Auge behalten. Schauen wir uns einmal die Nachbesserungen beim Preissystem für die Krankenhäuser an. Dass Sie dazu einen eigenen Antrag vorlegen, ist okay. Aber die Differenzen sind doch nicht unüberbrückbar. Wir sind uns jedenfalls einig, dass durch das Fallpauschalensystem in den Krankenhäusern erstmals das Leistungsgeschehen transparent wird, Preisvergleiche möglich werden und damit auch die Qualität und Wirtschaftlichkeit in den Krankenhäusern steigt. Das ist uns ein gemeinsames Anliegen. Oder nehmen wir die Pflege. Den großen Wurf, die große Strukturreform, von der wir alle wissen, dass sie notwendig ist, legen auch Sie nicht vor. ({0}) Was die Umsetzung des Urteils zur Entlastung von Familien angeht, so kann man sich über die Ausgestaltung streiten. Auch bei uns in der Koalition besteht noch Gesprächsbedarf. Sie aber halten uns auf der einen Seite entgegen, wie schrecklich es sei, manche Menschen stärker zu belasten, schlagen auf der anderen Seite jedoch selber vor, erst einmal einen erhöhten Beitrag von allen zu erheben und dann Eltern mit Kindern wieder etwas zurückzugeben, was ja letztlich auch nichts anderes bedeutet als eine Belastung aller, wobei ein Teil der Entlastungen von den Entlasteten selbst finanziert wird. Wissen Sie: So schrecklich überzeugend ist auch das nicht und vor allem in der Wirkung nicht so unterschiedlich. Bei den aktuellen Fragen liegen nicht unbedingt Welten zwischen Rot-Grün auf der einen Seite und der Opposition auf der anderen Seite. ({1}) Anders sieht es allerdings bei den längerfristigen Reformoptionen aus. Da sind wir manchmal Horst Seehofer näher als der Union insgesamt. Immerhin hat die Debatte um den Zahnersatz deutlich gemacht - das ist vielleicht das Verdienst dieser Debatte -, dass wir in der Gesundheitsversorgung zwei Systeme nebeneinander haben, die ganz unterschiedlich funktionieren, und in dem diejenigen, die gut verdienen, nur ihr privates Risiko absichern, sich der Solidarität legal entziehen und damit die Nachhaltigkeit der Finanzierung infrage stellen. Deshalb werden wir über die Frage „Kopfgeld nach Frau Merkel oder Bürgerversicherung als eine Versicherung für alle mit Wettbewerb?“ noch heftig streiten müssen. ({2}) Also: nicht kleinliche Streitereien, sondern Debatten über die Grundlinien der Sozialpolitik, das halten wir für wichtig und notwendig. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Daniel Bahr von der FDP-Fraktion.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schmidt hat gerade gesagt, sie fordere eine Politik nach den Regeln der Mathematik. Bei den Annahmen, nach denen diese Bundesregierung Gesundheits- und Sozialpolitik betreibt, frage ich mich, ob diese Regierung eigentlich noch nach den Regeln der Mathematik handelt. Bei der Tabaksteuererhöhung hatten Sie eine viel zu hohe Erwartung, die Beitragssätze, die Sie versprechen, sind viel zu niedrig, die Pauschale für den Zahnersatz haben Sie mit 6 Euro kalkuliert und erst ein Jahr später haben Sie festgestellt, dass auch das zu gering ist. Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung betreibt eine Politik gegen alle Regeln der Mathematik und deswegen beteiligt sich die FDP-Opposition nicht an dieser Politik. ({0}) Betrachten wir einmal die Zahlen der Pflegeversicherung. Wir haben heute etwa 1,9 Millionen Pflegebedürftige und werden im Jahre 2030 vermutlich 3 Millionen Pflegebedürftige haben. Wir haben heute einen Beitragssatz von 1,7 Prozent, im Jahre 2050 wird er im schlimmsten Fall bei 6 Prozent liegen. Obwohl die Pflegeversicherung vor ein paar Monaten erst zehn Jahre alt geworden ist, erleben wir, dass die Probleme immer weiter steigen, weil die Leistungen nicht weiter angepasst werden. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, wird weiter steigen. Die Pflegeversicherung ist einmal eingeführt worden, um gerade das zu verhindern. Meine Damen und Herren, die Probleme in der Pflegeversicherung werden weiter zunehmen. Seit 1999 jagt Daniel Bahr ({1}) ein Rekorddefizit das nächste. Vermutlich wird das Defizit in diesem Jahr erstmals 1 Milliarde Euro betragen, aber diese Regierung erkennt immer noch nicht, dass bei dieser Pflegeversicherung ein akuter Reformbedarf besteht. ({2}) Die Reform ist dringend nötig. Die Pflegeversicherung muss auf eine neue, solide finanzielle Basis gestellt werden, damit wir den Pflegekollaps verhindern und damit wir auch künftigen Pflegebedürftigen noch eine solide finanzierte Pflegeversorgung gewährleisten können. Meine Damen und Herren, es lohnt nicht, die Reform der Pflegeversicherung immer weiter aufzuschieben, nicht mit einem Basta des Kanzlers und nicht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der die notwendige Reform nur in die Zukunft schieben will. Im Ergebnis ist Ihr Gesetzentwurf, liebe rot-grüne Bundesregierung, doch nichts anderes als eine Beitragserhöhung für alle mit Ausnahme derjenigen, die Kinder erziehen, und der Rentnerinnen und Rentner. Sie wollen damit nur ein paar Jahre Zeit gewinnen und die Reform auf die Zeit nach der Wahl schieben, weil Sie selbst nicht mehr die Kraft für die Reform der Pflegeversicherung haben und das einer anderen Bundesregierung überlassen wollen. ({3}) Meine Damen und Herren, mit dem Gesetz, das Sie hier vorgelegt haben, setzen Sie doch gar nicht das Urteil des Verfassungsgerichts um. Dieses Gesetz ist nichts anderes als ein Kinderlosenbelastungsgesetz. ({4}) Das Bundesverfassungsgericht, Frau Schmidt, hat - ich kann Ihnen nur vorschlagen, es einmal nachzulesen - in seinem Urteil betont - ich zitiere -: Die Regelung muss den Eltern während der Zeit zugute kommen, in der sie Kinder betreuen und erziehen. - Dann machen wir das doch genauso: Führen wir eine spürbare Entlastung derjenigen ein, die in der Zeit der Kindererziehung eine besondere Belastung zu schultern haben! Die FDP hat eine spürbare Entlastung von 150 Euro pro Jahr in den ersten drei Lebensjahren des Kindes vorgeschlagen, die über Steuermittel finanziert wird. ({5}) Das ist finanziell für den Haushalt zu schultern. Es kostet im ersten Jahr 100 Millionen Euro. Schon im letzten Haushaltsjahr haben wir genug Gegenvorschläge für Einsparungen gemacht und die FDP wird auch bei den kommenden Haushaltsberatungen wieder Einsparvorschläge machen, anders als andere Oppositionsparteien. Warten Sie auf die Haushaltsberatungen! ({6}) 100 Millionen Euro im ersten Jahr kostet dieser Vorschlag, der unbürokratisch und einfach ist und der für Familien eine spürbare Entlastung bringt. Das ist etwas anderes als weitere Beitragserhöhungen, wie sie die Regierung vorschlägt. Tun Sie, Frau Schmidt, nicht so, als sei eine steuerfinanzierte Lösung nur ein Hirngespinst der FDP. Ihr eigener Regierungsberater Rürup hat eine steuerfinanzierte Lösung vorgeschlagen, die Pflegekassen haben eine steuerfinanzierte Lösung vorgeschlagen, alle Wirtschaftswissenschaftler, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, haben eine steuerfinanzierte Lösung vorgeschlagen. Der VdK hat sich ebenfalls für eine steuerfinanzierte Lösung ausgesprochen und auch der Deutsche Familienverband hat dafür plädiert, eine spürbare Familienentlastung über die Steuer zu erreichen. Wir haben doch nichts anderes in der Rentenversicherung. Die Kindererziehungszeiten, die eine besondere Berücksichtigung und Anerkennung der Familienleistung sind, sind ebenfalls über einen Haushaltszuschuss steuerfinanziert. Warum gehen wir diesen Weg, der finanziell beherrschbar ist, nicht auch in der Pflegeversicherung, damit es wirklich eine spürbare Entlastung für Familien gibt? Das ist unbürokratisch, einfach und kommt den Familien in der Zeit zugute, in der sie die höchsten Belastungen haben. ({7}) Ich kann auch dem CDU-Vorschlag nicht viel abgewinnen. Letztlich schlagen auch Sie von der CDU/CSU nichts anderes als Beitragserhöhungen vor, nur dass Sie die Familien erst in einem zweiten Schritt entlasten wollen. Herr Kollege Seehofer, Sie haben noch am 30. Januar in der Aktuellen Stunde selbst Frau Schmidt vorgeworfen, dass man nicht die Rentnerinnen und Rentner belasten kann, die früher einmal einen Beitrag erbracht haben, indem sie Kinder erzogen haben. Ich zitiere wörtlich: Aber, Frau Schmidt, eines kann man nicht machen, nämlich Familien, die in der Vergangenheit Kinder großgezogen haben und deren Kinder aus dem Haus sind, jetzt einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag zumuten, wie Sie es beabsichtigt haben. Denn diese Familien hatten niemals den Vorteil eines Kinderbonus in der Vergangenheit. ({8}) Genau das ist der Vorschlag der CDU/CSU, den Sie jetzt vorlegen. Sie entlasten nur die Familien und schaffen eine Beitragserhöhung für alle. Das lehnt die FDP ab. Daran wollen wir uns nicht beteiligen. ({9}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, vor noch nicht einmal zwei Monaten haben Sie selbst in Presseerklärungen erklärt, dass Sie gegen Beitragserhöhungen seien. Ich verweise auf die Presseerklärung von Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz vom 5. Juli 2004: Daniel Bahr ({10}) Um die Einnahmen der Pflegeversicherung zu stabilisieren, will Rot-Grün nun das Karlsruher Urteil zur Beitragsentlastung von Familien als Deckmantel für Beitragserhöhungen missbrauchen. Diese Verknüpfung ist nicht akzeptabel. ({11}) Ich stelle fest: Sowohl die CDU/CSU als auch die rotgrüne Regierung missbrauchen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Beitragserhöhungen, ({12}) um den Reformbedarf in der Pflegeversicherung zwei Jahre hinauszuschieben. Die Probleme in der Pflegeversicherung löst das nicht. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von der SPD-Fraktion.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in unserem Land brauchen auch in Zukunft soziale Sicherheit, die von der Gemeinschaft finanziert wird. Alles, was wir zurzeit tun, dient diesem Zweck. Die Agenda 2010 ist kein Angriff auf den Sozialstaat. Im Gegenteil: Sie schützt ihn, sie gibt ihm und den Menschen in unserem Land Zukunft. Sicher, sie bringt manche Veränderung, aber ein „Weiter so!“ würde den Sozialstaat ernsthaft in Gefahr bringen. ({0}) Herr Storm, Ihr Beitrag war an einer Stelle an Scheinheiligkeit wirklich nicht mehr zu überbieten. Was wollen Sie jetzt? Eine pauschale Kürzung im Haushalt von 5 Prozent, wie in diesen Tagen von Herrn Stoiber vorgetragen? Das hieße nämlich: 5 Prozent weniger für die Rentnerinnen und Rentner. Oder wollen Sie, dass wir insgesamt mehr ausgeben? Da müssen Sie sich klar entscheiden und Ihre Entscheidung deutlich machen. ({1}) Wir erwarten 2005 Steuereinnahmen in Höhe von 194,5 Milliarden Euro. Den größten Teil davon, mehr als 125 Milliarden Euro - das sind 64 Prozent aller Steuereinnahmen -, geben wir für soziale Leistungen aus. Von 100 Euro Steuern, die wir einnehmen, geben wir 64 Euro für soziale Leistungen aus. Das zeigt doch, wie absurd der Vorwurf in diesen Tagen ist, die Bundesregierung unter Gerhard Schröder betreibe eine Politik der sozialen Kälte. ({2}) Ist es soziale Kälte, wenn wir rund 78 Milliarden Euro für die Rentenversicherung ausgeben, wenn wir 30 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt ausgeben, ({3}) wenn wir 3,4 Milliarden Euro für die Familienpolitik ausgeben, wenn wir 3 Milliarden Euro für Kriegsopferleistungen bereitstellen, wenn wir 3,6 Milliarden Euro für Sozialleistungen an die Landwirte, 850 Millionen Euro für Wohngeld, 521 Millionen Euro für die Wohnungsbauprämie oder 760 Millionen Euro für den Zivildienst ausgeben? ({4}) Noch einmal: Insgesamt geben wir im Haushalt für das Jahr 2005 rund 125 Milliarden Euro für soziale Leistungen aus. Soziale Kälte sieht wohl anders aus. Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie soziale Kälte wirklich aussieht, der sollte sich die Politik der CDU/CSU genauer ansehen. Würden nämlich die sozialpolitischen Vorstellungen Ihrer Parteivorsitzenden, Frau Merkel, umgesetzt, dann hätten wir in der Tat eine soziale Klimaverschärfung in unserem Land zu erwarten. ({5}) Einen Vorgeschmack darauf, was Frau Merkel und ihre Mitstreiter wirklich wollen, haben wir bei den Verhandlungen zu Hartz IV sehr konkret und belegbar erfahren können. Wäre es nach ihren Vorstellungen gegangen, dann hätten die Langzeitarbeitslosen bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe deutlich schärfere Einschnitte hinnehmen müssen. Wenn sie sich durchgesetzt hätten, dann wären die Bezieher von Arbeitslosengeld II vom nächsten Jahr an nicht mehr rentenversichert. Wir haben das verhindert. Wenn sich die Union durchgesetzt hätte, würden Eltern und ihre Kinder bei längerer Arbeitslosigkeit künftig grundsätzlich gegenseitig haftbar gemacht. Das haben wir verhindert. Wenn sich die Union durchgesetzt hätte, dürften Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern zukünftig noch ganze 256 Euro auf ihrem Sparbuch haben. Das haben wir verhindert. Aber nicht nur bei der Arbeitsmarktreform hat Frau Merkel gezeigt, wohin die Reise mit der Union wirklich geht. ({6}) Bei der Krankenversicherung planen Sie mit der Einführung einer Kopfpauschale einen Radikalumbau. Die bewährte solidarische Krankenversicherung wäre damit am Ende. Frau Merkel hält es für richtig, wenn ein Generaldirektor genauso viel bezahlt wie sein Fahrer, wenn eine Ärztin genauso viel bezahlt wie ihre Arzthelferin. Soziale Gerechtigkeit sieht nach den Vorstellungen von Frau Merkel so aus, dass derjenige, der mehr verdient, zukünftig weniger und derjenige, der wenig verdient, künftig mehr bezahlt. ({7}) In diesem Sinne hat auch die „Süddeutsche Zeitung“ diese Politik gestern zutreffend als „sozialpolitische Gefrierschock-Politik“ bezeichnet. Die Allerschwächsten der Gesellschaft sollen nach dem Willen der CDU eine steuerfinanzierte Unterstützung bekommen. Aber wie dieser soziale Ausgleich, der 40 Milliarden Euro kosten würde, finanziert werden soll, wird von Ihnen nicht verraten. Da wird nicht vorgeschlagen, dass wir die Umsatzsteuer erhöhen müssen oder dass durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer jeder noch einmal kräftig zufassen muss. Dabei müssten Sie nur einmal über den Zaun blicken, um zu sehen, wie wenig praxistauglich Ihre Vorschläge sind. In der Schweiz gibt es die Kopfpauschale. Sie sollten einmal hinfahren und sich darüber informieren. ({8}) - Ich war in der Schweiz und berichte Ihnen, was man uns dort gesagt hat. Man beneidet uns in der Schweiz darum, dass wir Strukturveränderungen durchgeführt haben, und hält die Kopfpauschale für die größte Bremse, um Strukturveränderungen zu erreichen. ({9}) Das schweizerische System ist übrigens das zweitteuerste der Welt. Wir verfolgen einen anderen Weg. Wer viel zahlen kann und breitere Schultern hat, der zahlt auch mehr, und zwar jeder nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Sozialstaat heißt nicht nur, dass der Staat für Menschen zahlt, die Hilfe brauchen. Er sorgt vielmehr auch dafür, dass sich die Starken und Reichen stärker und umfassender beteiligen. Deshalb setzen wir auf die Bürgerversicherung. Deshalb nehmen wir Strukturveränderungen in der Krankenversicherung vor. Der merkelsche Grundsatz und ihr Einsatz in der Gesundheitspolitik hieß Privatisierung des Zahnersatzes. Das sollte ihr Einstieg in das große CDU-Reformprojekt Kopfpauschale sein. Aber auch die meisten Gesundheitspolitiker Ihrer Partei - auch wenn sie sich das im Moment nicht mehr zu sagen trauen - haben sehr wohl begriffen, dass eine Kopfpauschale ein bürokratisches und sozial unausgewogenes Monster wäre, und haben den Rückzug angetreten. ({10}) Wir bleiben klar und ehrlich. Wir sagen Ja zum Sozialstaat. Wir belegen das mit Inhalten, genauso wie mit Zahlen. In den Haushalt 2005 sind so viele Mittel für soziale Leistungen eingestellt worden wie niemals zuvor. Er wird dem Anspruch der Menschen, dann Hilfe zu bekommen, wenn sie sie brauchen, mehr als gerecht. Wir finden das gut so; das ist so; das soll auch so bleiben. Wir werden nicht nur dafür sorgen, dass wir hier ebenfalls Spitzenreiter in Europa sein werden, sondern auch absichern, dass dies so bleiben wird. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Lehn, wenn Sie von einem bewährten System sprechen und davon, wie wunderbar sich alles in dieser Bürgerzwangsversicherung organisieren lasse, dann müssen Sie sich schon fragen lassen: Wenn alles so wunderbar ist, warum sind dann, seit Sie an der Regierung sind, eigentlich die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung Jahr für Jahr gestiegen - wahrscheinlich weil Sie die bewährten Instrumente so gut einsetzen - und warum laufen Ihnen die Experten selbst aus Ihren eigenen Kommissionen davon und sind der Meinung, dass ein solches Monstrum auf keinen Fall realisierbar wäre? Sie wissen, dass eine Bürgerzwangsversicherung keine Arbeitsplätze schafft, sondern vernichtet. Ich frage mich, wie Sie das den Menschen angesichts von 350 000 Arbeitslosen mehr im August dieses Jahres im Vergleich zum August 2002 zumuten können. Das erfordert schon eine ganze Portion Mut. Ich kann Ihnen nur sagen, was für die Union gilt: Was Arbeit schafft, das ist sozial. Diesen Anspruch haben Sie schon längst aufgegeben. ({0}) Wer den Sozialstaat will, muss Änderungsprozesse einleiten, … und zwar auf der Basis von Sicherheit und Bezahlbarkeit. Das waren Ihre Worte im Juni letzten Jahres an dieser Stelle, Frau Ministerin Schmidt. Was wir heute haben, sind nervöses Verändern und Nachbessern, Verschieben und Korrigieren, und zwar auf der Basis totaler Verunsicherung und zunehmender Unbezahlbarkeit. Das ist bei Hartz der Fall, das ist bei der Gesundheitsreform der Fall, insbesondere bei der Reform der Pflegeversicherung, und - das entsprechende Gesetz wollen Sie heute ändern - das ist bei den Fallpauschalen der Fall. Es ist die Politik der Bürgerverunsicherung, die die Menschen auf die Straßen treibt, und nicht die Uneinsichtigkeit der Menschen, wie es Herr Benneter nach jeder verlorenen Wahl erneut behauptet. Die Menschen wissen, worum es in diesem Land geht. Sie wissen auch, dass die SPD es nicht kann. Bei der SPD verbindet sich Orientierungslosigkeit mit handwerklichen Fehlern und persönlichen Führungsschwächen. Das ist exekutive Politik jenseits der Zumutbarkeit. ({1}) Hinzu kommt die Unglaubwürdigkeit von Frau Schmidt, insbesondere dann, wenn es ums Geld geht. Das haben Sie heute wieder in eindrucksvoller Weise bestätigt. Vor der Bundestagswahl 2001 haben Sie angekündigt, in der gesetzlichen Krankenversicherung werde es 2002 ein ausgeglichenes Finanzergebnis geben. Ergebnis: Im Dezember wies die gesetzliche Krankenversicherung ein Minus von 2,5 Milliarden Euro auf. Das gleiche Spiel wiederholte sich im Jahr 2003, nur mit dem Unterschied, dass diesmal nicht erst im Dezember, sondern schon im Frühjahr klar war, dass es ein Defizit in der gleichen Größenordnung geben wird. Im Jahr 2004 und insbesondere heute verbreiten Sie wieder Optimismus. Die Kassen hätten die Schulden halbiert und 2,5 Milliarden Euro Überschüsse erzielt. Sie kommen also zu dem Ergebnis, dass Beitragssatzsenkungen anstünden. Frau Schmidt, die Menschen glauben Ihnen das nicht mehr, und das aus gutem Grund. Denn auch 2004 ist die Lage wieder einmal angespannter, als Sie es den Menschen weismachen wollen. Erst zum 31. August - es ist also gerade einmal ein paar Tage her - haben die Kassen beim Bundesversicherungsamt erste Pläne zur Entschuldung vorgelegt. Es sind noch keine Schulden beglichen, Frau Schmidt. Ihre Zuversicht, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte könnten nochmals Überschüsse in Höhe von 2,4 Milliarden Euro erzielt werden, entbehrt doch jeglicher Grundlage. Selbst der Chef der Barmer, Fiedler, warnt im „Handelsblatt“: Auf keinen Fall können wir den Erfolg des ersten Halbjahres wiederholen. ({2}) Frau Schmidt, solche Zahlen, wie Sie sie auch heute wieder vorgelegt haben, können eben nur bei Milchmädchenrechnungen herauskommen. Stichwort Tabaksteuer: Ihr Kollege Eichel stellt die Subventionen aus der Tabaksteuer zugunsten der gesetzlichen Krankenkassen infrage. Statt der erwarteten Mehreinnahmen gab es im ersten Halbjahr ein Minus. Das heißt, es steht doch in den Sternen, ob die zusätzlichen 500 Millionen Euro in diesem Jahr, die 2,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr und die 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2006 überhaupt noch fließen werden. Frau Bender - Sie haben sich gemeldet -, auch Frau Hermenau, Ihre Fraktionskollegin, hat es heute auf den Punkt gebracht, als sie sagte, das Konzept der Bundesregierung müsse komplett überarbeitet werden. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bender?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie bezweifeln, dass sich die Finanzlage der Kassen infolge der Gesundheitsreform durchgreifend verbessert. Ich darf Sie daher fragen, was Sie von folgendem Zitat halten: Die Kassen werden 2006 finanziell top dastehen. Sie werden ihre Schulden bewältigt haben und deutlich niedrigere Beiträge als heute verlangen. Das Zitat ist aus einem Interview mit Herrn Seehofer im „Spiegel“ vom 30. August 2004.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Bender, würden Sie bitte stehen bleiben.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, auch an dieser Stelle muss klar gesagt werden: Wir haben diese Prognosen nicht abgegeben. Wir stehen auch dazu, dass wir die Einsparungsreserven mobilisieren wollen. ({0}) Aber so zu tun, als gäbe es in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Probleme, als sei alles schon in Butter und als müssten wir nur warten, bis das Heu in der Scheune ist, ist schlichtweg falsch. Sie nähren damit Hoffnungen, die Sie am Jahresende nicht halten können, ({1}) und Sie verunsichern die Bürgerinnen und Bürger von Jahr zu Jahr aufs Neue. Da müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Menschen auf die Straße gehen. ({2}) Sie wissen doch selbst ganz genau, Frau Kollegin Bender, dass es zur Jahresmitte hin etwa 3 Millionen Versicherte gibt, die die Belastungsobergrenze erreicht haben. Im zweiten Halbjahr werden es natürlich mehr Menschen werden, die von der Zuzahlung befreit sind. ({3}) - Das ist ja auch in Ordnung. - Aber dann so zu tun, als ob die Einnahmen an dieser Stelle gleich blieben und die Ausgaben so niedrig blieben, wie sie sind, ist doch einfach nicht redlich. Sie wissen genau, dass der Umfang der Zuzahlungen zurückgehen wird und dass die Leistungsausgaben im selben Umfang steigen werden. ({4}) Deshalb stimmen Ihre Rechnungen nicht. Hören Sie auf, die Menschen zu verunsichern und sie mit falschen Zahlen zu täuschen! Bleiben Sie auf dem Boden der Realität! Ich glaube, dass haben die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler verdient. ({5}) Viel dramatischer ist, dass die Bundesministerin heute kein Wort zu dem Wegbrechen der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gesagt hat. Die Mehreinnahmen der GKV gehen doch ausschließlich darauf zurück, dass die Lebensversicherungen und die Betriebsrenten stärker verbeitragt wurden. Man hört kein Wort mehr von der Arbeitslosigkeit, also von den Problemen der arbeitslosen Menschen in diesem Land, die Sie nicht lösen. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle: 350 000 Arbeitslose mehr, das sind die Hypotheken, mit denen unsere gesetzliche Krankenversicherung zu kämpfen hat. Kein Schönrechnen hilft an dieser Stelle. ({6}) Das jüngste Beispiel Ihrer Unzuverlässigkeit ist der Zahnersatz. Noch vor einem Jahr haben Sie, Frau Schmidt, an dieser Stelle gesagt - Zitat -: Wir werden alles tun, um den Strukturwandel einzuleiten. Wir stellen den mündigen Patienten und die mündige Patientin in den Mittelpunkt unserer Bemühungen. Doch Mühe reicht eben nicht. Sie brauchen auch den Willen dazu. ({7}) Weder Frau Schmidt noch Herr Müntefering haben diesen Willen gezeigt. Sie wollen keine Wahlfreiheit und Sie wollen keinen Wettbewerb mit der privaten Krankenversicherung. Sie wollen die Finanzstruktur nicht verändern. Deshalb boykottieren Sie Ihren eigenen Beschluss. Sie haben seinerzeit im Parlament die Hände gehoben. Sie täuschen seit Monaten mit falschen Zahlen, so auch heute wieder. Frau Schmidt, wie kommen Sie überhaupt zu dieser Zahl von 10 Euro für die Pauschale? Es wäre doch einmal interessant, wenn dem Parlament aufgezeigt würde, wie Sie zu dieser Zahl gekommen sind; dann könnte man das nachrechnen. Sie verunsichern und verunglimpfen, aber reale Zahlen legen Sie nicht vor. 6,20 Euro für die Leistungsausgaben und 50 Cent für die Verwaltungskosten bei der unbürokratischen Regelung, das sind die Fakten und nicht das, was Sie hier darlegen! ({8}) - Mein lieber Herr Dreßen, wenn Sie immer sagen, die Pauschale sei so teuer, dann rechne ich Ihnen das einmal vor, nachdem ja Frau Bender in ihrer Aufregung die Beitragsbemessungsgrenze vorhin sehr weit heruntergesetzt hat: Bei einem Einkommen von 2 000 Euro beträgt die Pauschale 6,70 Euro und nach Ihrem Vorschlag 8 Euro. Für einen Durchschnittsverdiener beträgt die Pauschale 6,70 Euro und nach Ihren Vorstellungen 9,60 Euro. So geht es weiter. Für ein Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze - die liegt noch deutlich über 3 000 Euro, liebe Frau Bender - beträgt die Pauschale 6,70 Euro und nach Ihren Vorstellungen 13,60 Euro. Was Sie den Menschen da abnehmen wollen, ist also mehr als doppelt so viel. ({9}) Bleiben Sie an dieser Stelle redlich! ({10}) Seit neun Monaten ist das Gesetz in Kraft. Die Bevölkerung hat sich darauf eingestellt. Viele Menschen haben bereits Privatverträge geschlossen. „Rein und raus, rein und raus“, das ist die Devise im Hause Schmidt, weil Sie, Frau Schmidt - das will ich Ihnen sagen -, es nicht können und weil Sie es auch nicht wollen. ({11}) Sie sind erstens nicht in der Lage, ein handwerkliches Problem, nämlich den Beitragseinzug, zu lösen, und zweitens wollen Sie die Prämie gar nicht. Seit Mai haben wir Sie aufgefordert, den Beschluss umzusetzen und die notwendigen Fragen zu klären. Antwort aus dem Hause Schmidt: kein Handlungsbedarf. Statt zu handeln, sitzen Sie aus und torpedieren den gemeinsam gefundenen Kompromiss. Sie haben mit dem Hintertreiben schon früh begonnen. Der erste Arbeitsentwurf sah die Ausgliederung überhaupt nicht vor. Herr Müntefering hat schon im letzten Juli die gemeinsame politische Verantwortung abgelehnt. Das alles zeigt, Frau Schmidt, dass Sie den gemeinsam geschlossenen Vertrag nicht umsetzen wollen. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf kündigen Sie den Kompromiss in diesem Bereich auf. Sie spielen hier ein politisches Spiel auf dem Rücken der Versicherten. Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({12}) Ich kann Ihnen sagen: Der Kompromiss, den wir gefunden haben, ist allemal besser als jeder der Vorschläge, die Sie in der letzten Woche gemacht haben, und auch besser als der Vorschlag, den Sie heute eingebracht haben; denn Ihre Verschiebemodelle senken die Arbeitskosten nicht. Sie verschieben sie nur auf die Arbeitnehmer. Aber dort bleiben es Arbeitskosten. Bei jedem prozentualen Beitrag gilt: Von jedem Euro mehr an Verdienst bleibt netto weniger übrig. So schafft man keine Arbeit, wenn überhaupt, dann nur im Bereich der Schwarzarbeit. Ihr Kniff mit dem Zusammenlegen der Regelungen für das Krankengeld und den Zahnersatz bedeutet unter dem Strich sogar eine weitere Mehrbelastung für die Versicherten. Statt 6,70 Euro Pauschale verlangen Sie ab 1. Juli nächsten Jahres vom Durchschnittsverdiener 21,60 Euro. Das sind die Zahlen! Das ist die Wahrheit, mit der wir Sie am heutigen Tag konfrontieren müssen! Wir haben im Gesundheitskonsens gemeinsam einen Zeitplan entwickelt. Der war uns sehr, sehr wichtig. Warum? Wir haben Ihnen gesagt, dass den Belastungen, die wir den Menschen durch höhere Zuzahlungen oder durch einen Sonderbeitrag aufbürden, Entlastungen gegenüberstehen müssen, zum Beispiel über die Einnahmen aus der Tabaksteuererhöhung. ({13}) Sie wissen, dass das ein langsames Aufwachsen ist. Aber wenn Sie in dem Jahr, in dem die vollen Steuereinnahmen noch gar nicht eingehen, wenn sie überhaupt eingehen, bei den Beiträgen die volle Last auferlegen wollen, dann hat das mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun und dann stellen Sie auch diesen wichtigen Bestandteil des Kompromisses in Frage. Das ist mit uns nicht zu machen. Sie haben den Kompromiss auch bereits in vielen weiteren Bereichen aufgekündigt. Ich nenne nur das Stichwort Verwaltungskosten. Da haben Sie bei den Krankenkassen schon wieder zig Ausnahmeregelungen vorgesehen. Ich nenne ein weiteres Stichwort: Bürgerversicherung durch die Hintertür. Das ist ja ein Gesetz, mit dem wir uns in diesem Haus ebenfalls noch befassen müssen. Unglaubwürdig und unzuverlässig sind Sie auch bei der Pflegeversicherung. Auch hier spalten Sie die Gesellschaft mit Ihrem jüngsten Last-Minute-Gesetzesvorschlag zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Ein Beitragszuschlag nur für Kinderlose kommt eben einer Strafabgabe gleich. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer kinderlos geblieben sind, werden rein zum Stopfen der Löcher in der Pflegekasse, die Sie durch die Absenkung der Beiträge für die Arbeitslosenhilfebezieher aufgerissen haben, herangezogen und damit abgezockt. Vor allem aber wird mit diesem Strafbeitrag für Kinderlose der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt. Dieses hat nämlich eine Entlastung der Familien angemahnt. Diese erfolgt aber durch Ihren Vorschlag nicht. Keine Familie wird nach Ihrem Vorschlag auch nur 1 Euro weniger als heute bezahlen. Von daher kommt ja auch die Kritik der Pflegekassen an Ihrem Gesetzentwurf, die wir heute vernehmen konnten. Wer Kinder erzieht, erbringt eine wertvolle Leistung für unsere Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine echte Entlastung der Familien in der Zeit der Erziehungstätigkeit. Statt Kinderlosigkeit zu bestrafen, wollen wir Familien während der Erziehungsphase entlasten. Wir erreichen dieses dadurch, dass wir den Versicherten, die Kinder unter 18 Jahren erziehen, einen wirklichen Beitragsbonus von 5 Euro pro Kind und Monat gewähren: je mehr Kinder in der Familie, desto höher also die Entlastung. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Durchschnittseinkommen halbiert sich so nach unseren Vorstellungen der Beitrag zur Pflegeversicherung. Gemäß dem Gesetzesvorschlag von Rot-Grün zahlen Familien mit einem Durchschnittseinkommen so wie heute 17 Euro; gemäß dem Vorschlag der CDU/CSU werden es 9 Euro sein. Diese Zahlen sprechen für sich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, schauen Sie bitte auf Ihre Redezeit. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. ({0}) Es bleibt wenig Zeit, auch noch den Bereich der Fallpauschalengesetzgebung in diesem Land den Menschen darzustellen. Wir werden die Zeit im Ausschuss dafür nutzen. Aber auch dieses Gesetz ist ein Beispiel dafür, dass diejenigen, die sich auf den Gesetzgeber und die Gesetze in unserem Land verlassen, am Ende diejenigen sind, die dafür bestraft werden. Wir wissen: Wer sich auf Rot-Grün verlässt, der hat von Anfang an verloren. ({1}) Dieser Zustand muss schleunigst ein Ende haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Kampfrhetorik, bei der man davon spricht, wer hier wen verunsichert, und davon, wer sich in die Büsche schlägt, wenn es eng wird, möchte ich hier eigentlich nicht fortsetzen. Im Rahmen der heutigen Sitzung möchte ich zu zwei Dingen Stellung nehmen: zum Kinder-Berücksichtigungsgesetz in der Pflegeversicherung und zum Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz. Lassen Sie mich eingangs einige Worte zum Fallpauschalenänderungsgesetz sagen: Die deutsche Krankenhauslandschaft wird in den nächsten Jahren durch die Umstellung von Krankenhausbudgets auf landesweite Fallpauschalen einen ungeheuren Wandel erfahren. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass den Kliniken durch hohe Anpassungsanforderungen große Leistungen abgefordert werden. Dennoch wurden in der Vergangenheit und wird auch jetzt konstruktiv und an der Sache orientiert debattiert. Dieser Diskussionsprozess ist sehr wichtig. Nur so kann es gelingen, letztendlich zu einem tragfähigen Ergebnis zu kommen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir auch das zentrale Vorhaben des Entwurfs, die Übergangsphase hin zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem von drei auf vier Jahre zu verlängern, denn fast alle Akteure sind zu der Einsicht gelangt, dass die Einführung des DRG-Systems mehr Zeit braucht. Auch ich glaube, dass eine Verzögerung über Gebühr dadurch nicht stattfindet. Wir Grüne sehen durchaus an manchen Stellen Diskussionsbedarf. So ist zum Beispiel zu prüfen, ob die spezielle Versorgung von Kindern im DRG-System sachgerecht abgebildet werden kann, denn Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene. ({0}) - Da schauen wir noch einmal drüber. - Auch die Bereiche reiner Epilepsiezentren und Palliativmedizin müssen wir uns noch einmal genau anschauen. ({1}) Insgesamt bezweifelt kaum noch ein Akteur, dass die Umstellung auf das DRG-System grundsätzlich richtig ist. Wir müssen nämlich wegkommen von den ineffizienten und verkrusteten Finanzierungsstrukturen. Dann werden, wie ich glaube, in Zukunft Patientinnen und Patienten die Nutznießer eines solchen Umstellungsprozesses sein. Ich denke, dass wir hier zusammen mit der Opposition zu einer guten Lösung kommen werden. Wesentlich schwieriger erscheint mir der momentane Weg in der sozialen Pflegeversicherung. ({2}) Um hier aber gleich einer Legendenbildung über eine Koalitionskrise vorzubeugen: Es ist selbstverständlich, dass wir dieses Gesetz zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils noch in diesem Jahr beschließen werden. ({3}) Die rot-grüne Regierung wird das gemeinsam tun. ({4}) Da braucht sich hier niemand falsche Hoffnungen zu machen; denn wir sind uns der Verantwortung bezüglich der Pflegeversicherung sehr wohl bewusst und werden dieses System, von dem viele Pflegebedürftige profitieren, nicht an die Wand fahren. ({5}) Ich möchte dennoch ganz offen sagen, dass uns Grünen der vorgelegte Gesetzentwurf einige Bauchschmerzen bereitet. ({6}) Das zu sagen bin ich meinem politischen Selbstverständnis einfach schuldig; außerdem kämpfe ich gern mit offenem Visier. Wir sind der Ansicht, man sollte sich das Urteil wirklich genau ansehen. Denn ob jemand Kinder gezeugt hat oder nicht, war nicht das entscheidende Kriterium für das Karlsruher Urteil. Entscheidend war das Kriterium, ob jemand Kinder erzieht oder nicht. ({7}) Aber tun wir hier doch bitte nicht so, als hätten wir einen gordischen Knoten durchschlagen oder eine Superlösung für alle Probleme gefunden! Die Frage ist: Wie können wir Erziehung auf möglichst gerechte und unkomplizierte Art und Weise bemessen? In keinem der Vorschläge finde ich darauf eine richtige Antwort. ({8}) - Dazu komme ich noch. In einem zentralen Punkt der Umsetzung des Urteils sind wir uns mit der SPD völlig einig: Wir werden in Anbetracht der Finanzsituation der Pflegeversicherung nicht anders können, als die geforderte Besserstellung relativ zu erreichen. Entscheidend ist, dass bestimmte Gruppen von Versicherten mit einem höheren Beitrag belastet werden müssen. Alle anderen Konzepte, die durch die Lande schwirren, sind leider nur fromme Wünsche. Eine wirkliche Entlastung Erziehender ist über einen geringeren Beitragssatz in der Pflegeversicherung oder auch über das Steuersystem - man schaue sich bitte einmal den Haushalt an - schlicht und einfach nicht zu bezahlen und wir werden das auch nicht tun. ({9}) Sie sagen, Herr Bahr, bei Ihnen bekomme jedes Kind 150 Euro und das sei ganz billig. Aber erstens muss das Geld ja irgendwo herkommen. Die Steuern müssen ebenfalls bezahlt werden und dazu sagen Sie wie immer nichts, kein Wort zur Gegenfinanzierung. ({10}) Wir spielen doch hier nicht „Wünsch dir was“! ({11}) Zweitens wäre es nur deswegen einigermaßen günstig, weil Sie diesen Bonus nur in den ersten drei Lebensjahren des Kindes gewähren wollen, weil da angeblich die Familie durch die Erziehung am meisten belastet sei. So ein lebensfremder Quatsch kann wirklich nur von Politikern der FDP oder von jemandem kommen, der noch keine Kinder erzogen hat. ({12}) Bei meinen drei Kindern waren die ersten drei Lebensjahre, in denen in erster Linie Windeln und Babynahrung anfielen, wesentlich günstiger, als es die jetzigen sind, da sie in der Pubertät sind und für Schule und Versorgung mehr anfällt. ({13}) Die CDU/CSU will den Erziehenden einen Bonus für jedes Kind geben. Lobenswert - das möchte ich wirklich sagen - finde ich an dem Konzept, dass Sie eingestehen, dass wir um eine Erhöhung des Beitragssatzes nicht umhinkönnen. Für diese Ehrlichkeit vielen Dank; das meine ich ernst.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr?

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0}) - Mal schauen, was er bringt; aber der Vorschlag bezüglich der ersten drei Lebensjahre ist witzig.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Selg, ich frage Sie, wie Sie dann erklären, warum in die gesetzliche Rentenversicherung ein steuerlicher Zuschuss aus dem Haushalt für drei Jahre Kindererziehungszeiten gezahlt wird. Nach Ihrer Logik müssten es 18 Jahre sein. Hier geht es um die Würdigung und Anerkennung der Erziehungsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Bahr, wie immer vermischen Sie einfach Äpfel mit Birnen. ({0}) Das passt nicht zusammen. Die Anerkennung in der Rentenversicherung ist gewährleistet, damit die Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben können. ({1}) - Oder natürlich die Väter. - Aber Sie können nicht wirklich glauben, dass Erziehung in den ersten drei Jahren teurer wäre als später. Sie haben keine Kinder; aber Windeln und Babygläschen sind billiger als die Versorgung von drei schulpflichtigen Kindern, wie ich sie habe; da kommen ganz andere Kosten auf einen zu. Ihr Vorschlag ist lebensfremd und Ihr Vergleich passt nicht. ({2}) Zurück zur CDU/CSU. Herr Seehofer sagte, man solle sich Zahlen und Fakten nicht schönrechnen. Deshalb möchte ich Sie bitten: Tun Sie doch nicht so, als unterscheide sich Ihr Vorschlag elementar von unserem Ansatz! Letztendlich belegen auch Sie Nichterziehende mit einem höheren Beitragssatz als Erziehende; die Erziehenden bekommen dann quasi hintenherum von ihrem Beitrag etwas wieder. Da kann man doch zu Recht fragen: Wozu dieser Aufwand? Dann muss doch gleich gesagt werden, dass ich den Bonus für mich zum Teil selber finanzieren muss. Was mich wirklich ärgert: Ihr Modell berücksichtigt nicht die schwierige und defizitäre Lage der Pflegeversicherung. Dieser Vorschlag wird nicht zur Stabilisierung der Finanzen der Pflegeversicherung beitragen. Im Gegenteil: Er beschleunigt die Destabilisierung. Das finde ich sehr verwerflich. Ich möchte jetzt zu einem anderen entscheidenden Punkt kommen. Wir Grüne haben immer gesagt - ich wiederhole das an dieser Stelle -, dass uns die alleinige Umsetzung des Urteils nicht ausreicht. Sie löst nicht den Reformbedarf in der Pflegeversicherung. Ich denke, dass die bekannten Reformbedarfe für demenziell erkrankte Menschen, eine Dynamisierung der Leistungen, eine Stärkung des ambulanten Sektors sowie vor allem eine nachhaltige Finanzstruktur - mit Sicherheit nicht nur kapitalgedeckt, Herr Bahr - unbedingt von uns angegangen werden müssen, aber nicht, weil wir Grüne das wollen, sondern weil Leistungserbringer und Pflegebedürftige samt ihren Familien dringend darauf warten. ({3}) - Genau, das kostet Geld. Die demographische Entwicklung war schon bei Einführung der Pflegeversicherung bekannt. ({4}) Es reicht eben nicht aus, die Probleme immer nur zu benennen. Bei allen weiteren Stufen der Reformen müssen wir ganz klar sagen, dass sie Geld kosten werden und dass sie mit finanziellen Belastungen verbunden sind. Aber diese Tatsache nimmt die Opposition nie zur Kenntnis. An keinem Ihrer Reformvorschläge hängt ein Preisschild. Sie fordern immer nur, ohne zu sagen, woher das Geld eigentlich kommen soll. ({5}) Deshalb mein Appell: Lassen Sie uns bitte offen mit dieser Situation umgehen! Ich bin es einfach leid, die Verantwortung für die seit zehn bis 15 Jahren in dem System der sozialen Sicherung gemachten Fehler immer zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hin und her zu schieben. Es ist wichtig, dass man den Menschen draußen im Land jetzt sagt, dass weitere Reformen dringend notwendig sind und dass wir sie umsetzen werden. Eines kann ich Ihnen sagen: Wir in der Koalition werden weiter daran arbeiten und - da bin ich mir ganz sicher - zu einem Ergebnis kommen. Wir waren in den letzten Jahren bei allen Reformen mehr als standhaft. Heute hü und morgen hott oder Wackelmännchen ist im Moment eher bei der Opposition, vor allem bei der CDU/CSU, zu finden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Thomae, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 2,4 Milliarden Euro an Einsparungen sind eigentlich ein stolzer Betrag. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. ({0}) Wenn man die andere Seite betrachtet, dann muss man feststellen, dass dieser Überschuss dadurch erzielt wurde, dass Sie die Betriebsrenten - das ist ein großer Block - herangezogen haben. Ich sage für die FDP sehr deutlich: Das war ein unfaires Verfahren. ({1}) Eine solche Änderung kann man nur durchführen, wenn man eine vernünftig lange Übergangsfrist einbaut. ({2}) - Nein, da waren wir nicht mehr dabei. Wir haben das nicht mitgemacht; wir sind vorher ausgestiegen. ({3}) Das Thema Betriebsrenten werden wir noch im Ausschuss behandeln. Sie werden feststellen, dass man mit den Bürgern so nicht umgehen kann. ({4}) Die Bürger haben für die Betriebsrenten gearbeitet und sie rechnen damit. Jetzt werden sie aber belastet. Ein zweiter wichtiger Punkt, über den ebenfalls nicht gesprochen wird, umfasst die gesamte Thematik rezeptfreier Arzneimittel. Sie haben gesagt, dass Sie Einsparungen in Höhe von 800 Millionen Euro erzielen würden. Erstaunlich ist, dass Sie gegenwärtig darüber nachdenken, weitere Ausnahmen zu gestatten, weil Sie bei bestimmten Indikationen feststellen, dass die Ausgaben in anderen Arzneimittelbereichen erheblich steigen. Für uns war es nie ein Thema, rezeptfreie Arzneimittel aus dem Leistungskatalog herauszunehmen. Ich halte es für ausgesprochen falsch, diese Arzneimittel, die kaum Nebenwirkungen haben, aus der Erstattungspflicht herauszunehmen. Das ist in meinen Augen ein falsches Verständnis von Therapie. ({5}) Der nächste Punkt. Wenn Sie ganz sachlich mit Selbsthilfegruppen diskutieren, dann müssen Sie feststellen, dass es in manchen Bereichen schon Ansätze der Rationierung gibt. Diesem Vorwurf können Sie nicht entkommen. Sprechen Sie mit Stoma-Patienten oder mit anderen Patienten. Dieses Thema ist nicht wegzudrücken. Sie können doch angesichts dessen nicht stolz sagen: Wir sind glücklich darüber, eine hohe Einsparquote zu erzielen. Denn die medizinische Versorgung dieser Patienten ist eindeutig nicht gesichert. ({6}) Ich spreche gar nicht von den Themen Härtefälle, Praxisgebühr und Altenheime. Wie Sie dies organisiert haben, war nicht korrekt. ({7}) Das ist nicht machbar. Das hat die FDP nicht mitgemacht. Wir sind für Zuzahlungen und für vernünftige Härtefallregelungen; das bekenne ich. Aber wie Sie dies alles geregelt haben, ist nicht akzeptabel. ({8}) Jetzt sagen Sie: Wir sind sehr stolz. Ich weise Sie auf Folgendes hin: Wir werden in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten Wochen und Monaten ganz große Probleme haben; denn die Krankenkassen haben gegenüber einem großen Teil der Leistungserbringer, vor allen Dingen gegenüber den Krankenhäusern, hohe Verbindlichkeiten, die sie nicht bezahlen. Die Zahlungsfristen laufen drei bis vier Monate und länger. Gehen Sie einmal in regionale Krankenhäuser und sprechen Sie mit den dortigen Verwaltungsdirektoren! Die sagen Ihnen: Thomae, ({9}) die Kreditlinien sind fast überzogen. Wir bekommen keine Kredite mehr von unseren Banken. Sie sollten genau überlegen: Wollen Sie die Arbeitsplätze in den Krankenhäusern sichern oder wollen Sie auf diese Art und Weise Krankenhäuser in den Ruin treiben? Ich habe einmal in einem Bundesland die Zahl, in welcher Höhe Rechnungen von Leistungserbringern nicht bezahlt werden, recherchiert und auf die Bundesrepublik hochgerechnet. Dabei kommt man auf eine Zahl von mindestens 2,5 Milliarden Euro. Das ist eine Summe, die meiner Meinung nach zuerst beglichen werden muss, bevor man überhaupt über Beitragssenkungen nachdenkt. ({10}) Denn so sind Arbeitsplätze zu sichern. Lassen Sie mich ganz kurz auf das Gesetz zur Einführung von Fallpauschalen eingehen. Sie alle wissen: Wir waren für die Einführung der Fallpauschalen. Wir sind auch heute noch der Meinung, dass das Geld der Leistung folgen muss. Darüber gibt es nichts zu diskutieren. Denn die Fallpauschalen sind nach unserer Auffassung der Schlüssel dafür, von der Budgetierung wegzukommen. Die Einführung der Fallpauschalen war aber zu hektisch. Wir haben immer wieder gesagt: Sie können die Leistungen nicht zu 100 Prozent in Fallpauschalen überführen. ({11}) Maximal 80 Prozent können erreicht werden; das wäre ein großer Erfolg. - Jetzt zeigt sich, dass ein Wert von 100 Prozent nicht erreichbar ist. Von daher werden wir natürlich eine Verlängerung der Konvergenzphase um ein Jahr akzeptieren. Ich halte das für richtig. Aber ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Sie haben in dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, meiner Meinung nach eine Menge bürokratische und stark dem Budgetdenken anhaftende Formulierungen verwendet. ({12}) Wir sollten ernsthaft darüber diskutieren, ob es nicht landesweite Basisfallwerte mit dem Charakter von Referenzwerten geben kann, sodass man auf Landesebene weiterhin nach oben und nach unten verhandeln kann. Es gibt gute Argumente dafür, so vorzugehen. Ich denke, darüber zu diskutieren wird Aufgabe der nächsten Beratungen sein. Ich könnte mir vorstellen, dass wir, wenn wir uns in diesen Punkten näher kommen würden, einer solchen Konzeption zustimmen würden. Leider habe ich nicht mehr viel Redezeit. Es wurde viel von der Bürgerversicherung und der Kopfpauschale gesprochen. Die FDP sieht ein Prämienmodell mit sozialem Ausgleich vor. Ich denke, wir werden diese Thematik in absehbarer Zeit intensiv behandeln können und unsere Konzepte abwägen können. Jeder hat das Recht, ausgiebig darüber zu diskutieren. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Lotz, SPDFraktion. ({0})

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Thomae, ich frage mich ab und zu, ob Ihre Wähler bzw. Wählerinnen es Ihnen immer danken, dass Sie aus dem Vermittlungsverfahren um das GMG ausgestiegen sind. Denn die Chance, das eine oder andere zu verändern, haben Sie damit nicht wahrgenommen. ({0}) Sie haben es sich einfach gemacht, sich weggeduckt und damit war es erledigt. ({1}) Frau Widmann-Mauz, ich habe mich bei Ihrem Beitrag vorhin gefragt, für was Ministerin Ulla Schmidt nicht verantwortlich ist; denn es blieb ja kaum etwas übrig, was die Ministerin nicht zu verantworten hat. ({2}) Es war wieder einmal eine echte Widmann-Mauz. Sie haben gebissen, um von der Uneinigkeit abzulenken, die in der Union herrscht. Beispielsweise sprachen Sie die Beitragshöhe an und gingen zur Bürgerversicherung über. Wir wollen die Bürgerversicherung, aber bisher haben wir sie noch nicht. ({3}) - Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Das wäre etwas Schönes und Gutes, auf jeden Fall wäre es besser als die Kopfpauschale. ({4}) Ich wende mich nun an Herrn Storm. Auch bei ihm gab es das gleiche Szenario: Erst wurde die Katastrophe an die Wand gemalt und dann versucht, das Heil zu präsentieren. Ich habe das Heil aber noch nicht gesehen. Stattdessen haben Sie wieder einmal einen ordentlichen Beitrag dazu geleistet, die Rentnerinnen und Rentner zu verunsichern. Thema Altersarmut: Diese Bundesregierung und diese Koalition haben die bedarfsabhängige Grundsicherung auf den Weg gebracht. ({5}) Ich finde es nicht in Ordnung, wenn jetzt so getan wird, als wenn es sie gar nicht gäbe. In diesem Zusammenhang will ich noch etwas zu Ihrem Angebot, die Entgeltumwandlung verpflichtend zu gestalten, sagen. Ich kann mich noch gut an unsere Diskussion über die RiesterRente erinnern; damals waren wir noch in Bonn. Der Aspekt des Zwangssparens kam nach meiner Erinnerung aus Ihren Reihen. Das hat eine lebhafte Debatte in der Bevölkerung ausgelöst. Damals wurde es verhindert. Heute müssen Sie allerdings schon die Antwort darauf geben, was es für die Einnahmenseite der Rentenversicherung und der Krankenversicherung bedeutet, die Entgeltumwandlung verpflichtend einzuführen. Das bedeutet, dass vorher verzichtet werden muss. Ich denke, das ist nicht der richtige Weg. Aber natürlich - das möchte ich betonen - verschließen wir uns der Diskussion nicht. Ich möchte noch einige Worte zur Pflegeversicherung sagen. Frau Widmann-Mauz, Sie haben die Menschen angesprochen, die ungewollt oder aus welchen Gründen auch immer kinderlos sind. Das Bundesverfassungsgericht nimmt darauf überhaupt keinen Bezug. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass die Menschen, die Kinder erziehen, entlastet werden sollen. Wir machen das mit dem Gesetzentwurf, den wir auf den Weg bringen. ({6}) Wir haben dabei gleichzeitig die Kassenlage der Pflegeversicherung im Auge. Aus Ihren Reihen kommt doch die Frage: ({7}) Wie sieht die Kassenlage der Pflegeversicherung aus? An dieser Stelle schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Der zweite Punkt ist, dass man an eine Entlastung nicht zu hohe Erwartungen knüpfen darf. Wie sieht der Höchstbeitrag zur Pflegeversicherung aus? Das sind noch nicht einmal 30 Euro im Monat. Es kann also kein großer Betrag herauskommen, wenn um die Erziehungsleistung entlastet wird. Das möchte ich noch einmal betonen. Herr Bahr hat von den Familienleistungen gesprochen. Diese Bundesregierung und diese Koalition haben die Familien entlastet und Reformen auf den Weg gebracht. Ab dem nächsten Jahr werden den Kommunen 1,5 Milliarden Euro zur Betreuung von Kindern zur Verfügung stehen. Das kommt doch den Familien zugute. ({8}) Es geht darum, Beitragszahler, die Kinder erziehen, besser zu stellen als kinderlose Beitragszahler. Dem kommen wir mit diesem Gesetz nach. Dabei haben wir letztendlich auch die Einhaltung des Generationenvertrags im Auge. In der Vergangenheit gab es die Diskussion über die Beitragsbelastung der Rentnerinnen und Rentner. Wir wurden gefragt: Wieso wollt ihr im Alter meinen Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen? Ich habe doch Kinder erzogen. Diesem Argument entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf. Jetzt möchte ich noch ein paar Worte zu Ihren Vorschlägen sagen. Der Teilvorschlag der CDU/CSU, Herr Storm, bedeutet doch nur: linke Tasche, rechte Tasche. Sie erhöhen die Beiträge und es müssen dann 5 Euro gezahlt werden. Zum einen denke ich, dass dies nicht unbürokratisch ist, wie Sie hier sagen, sondern dass damit Verwaltungsaufwand verbunden ist. Das ist der eine Teil. ({9}) Der andere Punkt, Herr Bahr, betrifft die von Ihnen genannten 150 Euro im Jahr. Kollegin Selg hat ja schon gefragt, wo dieses Geld herkommen soll. Die Antwort bleiben Sie schuldig. ({10}) Ich denke, dass dies nicht der richtige Weg ist. Dann noch ein paar Worte zum Zahnersatz, dessen Finanzierung jetzt anders geregelt werden soll: Sie haben der Ministerin vorhin herbe Vorwürfe gemacht, dass das, was wir im Kompromiss beschlossen haben, nicht umgesetzt wird. ({11}) Wenn sich nach den Beratungen herausstellt, dass dadurch ein riesengroßer Verwaltungsaufwand notwendig wird - es bedeutet Kosten, die in keinem Verhältnis stehen, und das eingenommene Geld landet nicht zur besseren Versorgung bei denjenigen, die den Zahnersatz brauchen, und auch nicht bei den Zahnärzten oder Zahntechnikern, sondern es wird für die Verwaltung ausgegeben -, dann kann das nicht so bleiben. Wenn wir so etwas bemerken, dann müssen wir einen neuen Weg gehen. Ich darf Sie ganz herzlich bitten, sich das mit dem Vermittlungsausschuss noch einmal zu überlegen. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn er jetzt schon angekündigt wird. Wir haben den Vorschlag noch nicht einmal miteinander beraten und schon wird wieder mit Ketten gerasselt und der Vermittlungsausschuss angedroht. Dadurch setzt eine Verunsicherung der Menschen ein. Wir gehen nicht hin und sagen, dass alles beim Alten bleibt, sondern wir stehen dazu: Entlastung der Lohnnebenkosten, letztendlich Entlastung der Arbeitgeber. Das zu vertreten ist nicht für jeden von uns leicht. Aber wir machen es und stehen auch weiterhin dazu. Wir ducken uns nicht weg, wie manche, die den Kompromiss erst mit beschlossen haben, danach auf Tauchstation gehen und dann sogar die Spitze der Gegenbewegung anführen. Ich denke, das ist ein schlechter Stil. Ich fordere Sie noch einmal auf, über den Gesetzentwurf mit uns ordentlich zu verhandeln und nicht schon von vornherein mit dem Vermittlungsausschuss zu drohen. Ich habe die herzliche Bitte: Lassen Sie das wirklich uns, das Parlament, entscheiden und nicht nachher wieder einen kleineren Kreis, der es letztendlich zu verantworten hat. Ein Stück weit haben wir später wieder damit zu tun. Daher an dieser Stelle meine herzliche Bitte und Aufforderung: Es ist eine gute Vorlage vorhanden, lassen Sie es uns gemeinsam machen. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. Sie, Frau Gesundheitsministerin Schmidt, feiern die Einsparungen bei den Krankenkassen und erklären unermüdlich, dass die Gesundheitsreform jetzt greifen würde. Ja, die Gesundheitsreform greift, sie greift vor allem kranken Menschen in die Tasche. Derweil lassen die versprochenen Entlastungen durch Senkung der Krankenkassenbeiträge weiter auf sich warten. Die Gesundheitsreform hat bisher keinen einzigen Menschen gesünder gemacht, aber viele ärmer. Ich kann Ihnen an einem Beispiel konkrete Zahlen liefern: In Berlin-Neukölln, dem größten Sozialamt Deutschlands, ging die Zahl der Arztbesuche im Vergleich zum Vorjahr im ersten Quartal um fast 16 Prozent zurück. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin kommt zu dem Schluss: ({0}) Die regionalen Unterschiede zeigen, dass es Menschen in ärmeren Gebieten offenbar wesentlich schwerer fällt, die Praxisgebühr zu bezahlen, und sie deshalb häufiger als andere Patienten auf einen Arztbesuch verzichten, so der Vorsitzende Richter-Reichhelm. Die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Frau Dr. Angelika Prehn, berichtet, dass einige ihrer Patienten aus Kostengründen sogar auf therapeutisch notwendige Behandlungen wie Krankengymnastik verzichten. Ich habe diese beiden Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung so ausführlich zitiert; denn wenn wir, die PDS-Abgeordneten, das Gleiche sagen, wird uns von der Regierung gern Populismus vorgeworfen. Herr Eichel hat sich heute Morgen schon unrühmlich damit hervorgetan. ({1}) Sie müssen endlich aufhören - damit meine ich die gesamte Bundesregierung -, jeden des Populismus zu beschuldigen, der Sie sachlich auf die unsozialen Wirkungen Ihrer Politik hinweist. ({2}) Die Praxisgebühr und die Zuzahlungen für Medikamente und Behandlungen haben, wie es die Bundesregierung vorausgesagt hat, eine Steuerungsfunktion. Aber sie steuern in die falsche Richtung: Sie steuern sozial Schwache aus dem Gesundheitssystem heraus. ({3}) Wenn Sie eine soziale Gesundheitspolitik machen wollen, dann müssen Sie die Praxisgebühr abschaffen und die Zuzahlungsregelung entschärfen. ({4}) Wenn die Bundesregierung und auch die CDU die Umsetzung guter Vorschläge, zum Beispiel zur Vermögensteuer oder zur Ausbildungsabgabe, verhindern wollen, dann begründen sie das oft mit der Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen. Aber ich frage einmal ganz nebenbei: Hat jemand im Gesundheitsministerium ausgerechnet, wie viele Arbeitsplätze durch die Gesundheitsreform bereits verloren gegangen sind und wie hoch der Anteil der Frauen ist, die ihren Job im Gesundheitswesen verloren haben? An einer Stelle will ich die Gesundheitsministerin ausdrücklich loben. ({5}) Sie hat sich gegenüber Frau Merkel und gegenüber dem Kanzler durchgesetzt und die Kopfpauschale auf Zahnersatz gekippt. Wir, die PDS, wollen, dass der Zahnersatz wieder in den Leistungskatalog aufgenommen wird. Damit wollen wir zurück zu einer paritätischen Finanzierung. Aber ich will die Leistung von Frau Ministerin Schmidt nicht überbewerten; denn sie hatte mächtigen Rückenwind durch die Anti-Hartz-Demonstrationen. Erst die massiven Proteste gegen die Praxisgebühr und die Anti-Hartz-Demonstrationen haben der SPD und der CDU klar gemacht, dass die Kopfpauschale auf Zahnersatz bei den Bürgerinnen und Bürgern im Augenblick nicht durchsetzbar ist. Ich möchte allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich die Anti-Hartz-Demonstrationen bis jetzt am Fernseher anschauten und glaubten, dass sie nicht direkt betroffen wären, sagen: ({6}) Der Protest der Menschen in Leipzig und anderen Städten richtet sich nicht nur gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes, sondern auch gegen die unsoziale Gesamtausrichtung der Politik der Bundesregierung, und dazu gehört die unsoziale Gesundheitspolitik. ({7}) Meine Damen und Herren, die Kollegin Lehn hat vorhin in ihrer Rede über die Bürgerversicherung gesprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie es mit der Bürgerversicherung ernst meinen, dann legen Sie noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode ein Modell auf den Tisch und bringen Sie einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, sagen Sie aber nicht, dass Sie das erst nach 2006, also in der nächsten Legislaturperiode, machen wollen. ({8}) Wenn Sie es mit der Bürgerversicherung ernst meinen, arbeiten Sie ein Modell aus und legen Sie es auf den Tisch des Bundestages. Unsere Unterstützung hätten Sie. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Haushälter erlaube ich mir, in der Haushaltsdebatte etwas zum Haushalt zu sagen. ({0}) Lassen Sie mich mit einer globalen Aussage beginnen: Uns liegt der Entwurf des Haushalts 2005 vor. Ich glaube, auch dieser Haushalt ist nicht das Papier wert, auf dem er steht. ({1}) All die Risiken, die, wie wir alle wissen, noch nicht eingearbeitet sind, müssen im Laufe des Beratungsverfahrens eingearbeitet werden. ({2}) Ich vermute, dass es wie in den letzten Jahren sein wird: dass wir zwar irgendeinen Haushalt verabschieden, aber ein Jahr später feststellen, dass er mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Herr Eichel hat heute angekündigt, dass nach der Steuerschätzung im November dieses Jahres ein NachDr. Michael Luther tragshaushalt aufgestellt wird. Das heißt, dass die Neuverschuldung aufgestockt wird. Das werden wir 2005 wieder zu tun haben. Aus meiner Sicht ist dieser Haushalt in seiner jetzigen Form verfassungswidrig. Das liegt daran, dass zum einen die Neuverschuldung zu hoch und zum anderen die Investitionsquote, die Investitionen in Bildung, Forschung, Straßenbau und Wirtschaftsförderung, zu gering ist. Woran liegt das? Ich glaube, dass sich die Haushaltsstruktur in den sechs Jahren unter Rot-Grün dramatisch verschlechtert hat. Schuld daran sind zum einen die hohen Zinsen, die wir mittlerweile zu zahlen haben, zum anderen liegt das aber auch ganz besonders am Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Er ist mit einem Volumen von 84,7 Milliarden Euro der größte Haushalt. Im Übrigen ist für das nächste Jahr im Vergleich zu diesem Jahr eine Erhöhung um 1,2 Milliarden Euro geplant. Aber davon hat das Bundesministerium recht wenig, denn 81 Milliarden Euro gehen als Zuschüsse an die Sozialversicherungen: 2,5 Milliarden Euro an die gesetzliche Krankenversicherung und 78,2 Milliarden Euro an die Rentenversicherung. Ich habe mir einmal die Frage gestellt: War das immer so? Oder hat sich das erst so entwickelt? Ich bin die Haushaltsjahre durchgegangen und stelle fest: 1998, also im Jahr der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, war es so, dass der Zuschuss an die Rentenkasse 22 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes ausgemacht hat. Jetzt, sechs Jahre später, sind es 30,3 Prozent. Mich wundert dann nicht, dass wir kein Geld für Investitionen haben. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lehn?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich nicht abschlagen.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Luther, wenn Sie richtigerweise feststellen, dass der Zuschuss, den wir zur Rentenversicherung leisten, sowohl prozentual als auch absolut permanent ansteigt, können Sie mir dann auch die Frage beantworten, wie Sie, wenn Sie an der Regierung gewesen wären, das Problem anders hätten lösen wollen?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen das gerne beantworten und mache das auch gleich in meiner Rede, aber um der Kontinuität willen möchte ich es nicht jetzt isoliert machen, wenn es gestattet ist. ({0}) Ich will noch einen anderen Gedanken hinzufügen, um die Dramatik zu verdeutlichen: 1998 betrug die Schwankungsreserve noch eine Monatsrate, 2004 werden es nur noch 0,2 Monatsraten sein. ({1}) Eine Monatsrate entspricht 15,8 Milliarden Euro. Demzufolge ist der Rentenversicherung in den letzten sechs Jahren eine Finanzierungsreserve von 12,6 Milliarden Euro - ich drücke es einmal so aus - geklaut worden. ({2}) - Die Rentenkasse hat sie nicht mehr. ({3}) Ohne diese Maßnahme müsste der Bundeszuschuss heute 2 bis 3 Milliarden Euro höher sein. Das ist die Dramatik. Deshalb haben wir kein Geld für Investitionen in die Zukunft. Deshalb sinkt die Beschäftigung und deswegen haben wir keine Beitragszahler. Das ist der Unterschied gegenüber der Politik, die wir gemacht hätten, wenn wir hätten weitermachen dürfen. ({4}) Sie haben 1998 einen Wahlkampf geführt - das vergesse ich nicht - nach dem Motto „Was die Union vorlegt ist unsozial“. Wir haben die blümsche Rentenreform zurückgenommen und das Erste und Zweite Krankenkassenneuordnungsgesetz. Das hat zwei fatale Signale mit sich gebracht: Das eine fatale Signal war, dass die Menschen glauben konnten, es geht so weiter. Sie gehen jetzt natürlich zu Recht auf die Straße, weil sie plötzlich feststellen: Alles wird völlig anders. ({5}) Das zweite fatale Signal war das Signal an die Wirtschaft, die selbstverständlich gesehen hat, dass es so nicht weitergeht, und sich natürlich entsprechend eingestellt hat. Die Abwanderung von Wirtschaft aus Deutschland hat etwas mit der Politik der letzten sechs Jahre zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass wir heute eine so schlechte Beschäftigungsstruktur in Deutschland haben: weniger Beitragszahler und natürlich gerade diese dramatische Situation der Rentenkasse. Liebe Waltraud Lehn, deine Rede vorhin hat mich schon ein bisschen gewundert; ({6}) deshalb will ich an dieser Stelle auch darauf eingehen. Du hast gesagt: „In den Haushalt 2005 sind so viele Mittel für soziale Leistungen eingestellt worden wie niemals zuvor.“ ({7}) Was mich dabei allerdings wundert, ist, dass die Leute das nicht merken; sie bekommen nämlich, obwohl mehr geleistet wird, immer weniger. ({8}) Das ist die Wahrheit und das muss man den Leuten auch deutlich sagen. ({9}) Nach sechs Jahren Rot-Grün stellt sich für mich die Frage: Wie geht es denn weiter? ({10}) Wie wird die Finanzierung der Rentenkassen in Zukunft sichergestellt? Die Schwankungsreserve ist aufgebraucht. Normalerweise müsste der Bundeshaushalt Ende des Jahres, weil die Schwankungsreserve nicht ausreicht, für die Finanzierung der Rente herangezogen werden. Das ist deshalb nicht notwendig, weil in diesem Jahr die GAGFAH-Immobilien verkauft werden und damit eine Finanzspritze zur Verfügung steht. Wir haben der Privatisierung der GAGFAH-Immobilien zugestimmt. Das ist vom Grundsatz her richtig. Diese Reserve hätte normalerweise aber dazu genutzt werden müssen, um wieder eine Schwankungsreserve aufzubauen. ({11}) Diese wird gleichwohl nur dafür genutzt, das Haushaltsloch der Rentenkasse am Jahresende zu schließen. ({12}) Für mich stellt sich deshalb natürlich die Frage, was 2005 passiert. ({13}) Was wird dann angeboten und verkauft? Ich weiß es nicht. Ich denke, wir werden dieses Thema in den Haushaltsberatungen ansprechen und diskutieren müssen. Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Zuschüssen für die gesetzliche Krankenversicherung sagen. Niemand von der Regierung hat hier etwas dazu gesagt. Ich stelle mir die Frage, ob es 2005, wie vereinbart, Zuschüsse an die gesetzlichen Krankenversicherungen geben wird oder nicht. Herr Eichel hat das infrage gestellt - das ist heute auch schon gesagt worden -, ({14}) weil die Tabaksteuer nicht in der geplanten Höhe anfällt. Auch das muss geklärt werden. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle einmal auf die Gefährlichkeit hinweisen, die sich ergibt, wenn man bestimmte Steuereinnahmen für bestimmte Ausgaben vorsieht. Was ist, wenn die Leute plötzlich keine Lust mehr haben, zu rauchen, was zur Folge hat, dass die Tabaksteuer und somit auch der Zuschuss wegfallen, ({15}) oder wenn sie andere Wege suchen? ({16}) Dasselbe Problem gibt es noch einmal, da die Leute für die Rente rasen sollen. Was tun sie aber? Sie gehen, wenn es geht, ins Ausland, um dadurch die Zahlung der Mineralölsteuer in Deutschland zu umgehen. Daneben nenne ich auch die Öffentlichkeitsarbeit in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Es gibt die Besteuerung der Alcopops. Im Verhältnis zu den Beträgen, die ständig genannt werden, ist dieser Betrag - es sind 12 Millionen Euro - klein. Sie werden für die Aufklärungsarbeit bei der BZgA eingesetzt. Was ist, wenn das passiert, was wir alle eigentlich wollen, dass nämlich gar keine Alcopops mehr verkauft werden? ({17}) Lassen Sie mich noch einige Sätze zu einem anderen Bereich sagen. Zum Bundesgesundheitsministerium gehört eine Reihe von Instituten. Ich habe mich in diesem Jahr auf den Weg gemacht und viele von ihnen besucht. Dort gibt es zwei Klagen, die ich ernst nehme. Die eine Klage lautet: Die Politik überträgt den Instituten mehr und mehr Aufgaben, weil sie notwendig sind. Allerdings folgt nicht in gleicher Weise die Finanzausstattung - weder für die dafür notwendigen materiellen Dinge noch für das Personal -, weil die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen. Daneben wird den Instituten auch nicht in gleicher Weise gesagt, welche Aufgaben vielleicht nicht mehr geleistet werden sollen, was sie also weniger machen müssen. Ich denke, dieser wichtigen Sache müssen wir uns gemeinsam stellen. Ich nenne das einmal Aufgabenkritik. Wie können wir uns in Anbetracht der Haushaltslage auf das beschränken, was wichtig ist? Eine zweite Bemerkung von verschiedenen Instituten war folgende: Es gibt bei dem einen oder anderen Institut die Möglichkeit, Dienstleistungen anzubieten, die auch von der Wirtschaft nachgefragt würden und für die die Nachfrager Geld ausgeben würden, weil diese Dienstleistung als sehr wertvoll empfunden wird. Die Institute müssen aber in die Lage versetzt werden, diese Dienstleistungen anbieten zu können. Das heißt, man braucht eine Investition in Infrastruktur und natürlich auch in Personal. Dafür gibt es kein Geld. Deswegen bin ich sehr für Folgendes: Wenn von den Instituten Geld für eine Dienstleistung eingenommen wird, dann sollten sie zumindest einen Großteil dieses Geldes behalten können, um diese Dienstleistung auch weiterhin leisten zu können. Hiermit stehen wir und die Institute im Widerspruch zu dem, was das BMF will. Das BMF möchte das Geld komplett einsammeln und dann nach Gutdünken wieder ausreichen. Ich denke, so schafft man keine Anreize, um beispielsweise die Institute dafür zu begeistern, selbst Initiativen zu ergreifen und sich dadurch finanzielle Einnahmen zu verschaffen. ({18}) Lassen Sie mich noch kurz auf ein letztes Thema eingehen. Es ist dieser Tage wieder in der Kritik gewesen - ich sage das mit voller Ernsthaftigkeit -: Wir müssen darüber nachdenken, ob wir mit dem Doppelstandort Bonn/Berlin so weitermachen können wie bisher. Wenn man den Menschen sagt, dass zwar die Regierung seit fünf Jahren in Berlin ist, aber gleichzeitig die meisten Beamten des Bundesgesundheitsministeriums nach wie vor in Bonn sitzen, dann fragen sie sich, ob das richtig sein kann. ({19}) Jetzt soll auch noch ein Neubau in Bonn für mittlerweile „nur noch“ 28 Millionen Euro errichtet werden. ({20}) Es wäre gut, vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen Entwicklung unseres Landes darüber nachzudenken, ob all das, was einmal vereinbart worden ist, noch richtig ist und ob es für das Bundesministerium nicht vielleicht hilfreicher wäre, wenn es wesentlich mehr Personal hier vor Ort hätte, sodass die Kommunikation im Ministerium selbst besser klappt. Das ist durchaus lohnenswert und darüber kann auch im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutiert werden. Recht herzlichen Dank. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion. ({0})

Gudrun Schaich-Walch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001939, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde hier vorhin angemahnt, man solle doch einmal sagen, was denn in diesem Land Sache ist, Frau Widmann-Mauz. Wenn wir das besprechen, werden wir hoffentlich dazu kommen, den Menschen zu sagen, was Sache ist und was unsere Vorstellungen sind. Vielleicht schaffen Sie es, in Ihrem letzten Beitrag deutlich zu machen, was Ihre Vorstellungen dazu sind. Ich hoffe, dass Sie diese Debatte nicht nur dazu benutzen, Ihre Klage von vorhin zu verstärken, nämlich die Verunsicherung der Menschen. Ich will einfach einmal mit den Ursachen beginnen. Wir haben seit etwa drei Jahren ein Nullwachstum. ({0}) Wir alle wissen, dass dies zu einer Minderung der Beitragseinnahmen führt. Wir haben ein niedriges Lohnniveau. Wir haben leider weiterhin sehr viele Arbeitslose. ({1}) Ich möchte aber auch daran erinnern, dass diese hohe Arbeitslosenzahl schon vor 1998 existierte. Daher frage ich Sie zurück: Woher kam denn diese Hinterlassenschaft? ({2}) Die Defizite der letzten Jahre haben wir im Wesentlichen durch Bundeszuschüsse, durch Beitragssatzerhöhungen und jetzt durch die Gesundheitsreform - so schwer sie auch allen gefallen ist - mit Zuzahlungen und Leistungsveränderungen aufgefangen. Ich bin der festen Überzeugung: Wir haben sie zu Recht aufgefangen, weil es einen Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Arbeitsmarktsituation gibt. Dem wollen wir Rechnung tragen. Wir haben beschlossen, dies gemeinsam zu tun. Aber es bringt nichts, zu sagen, wir wollen diese Systeme zerstören. Das habe ich Ihrem Beitrag entnommen. Er war so negativ gefärbt, dass es niemandem klar und deutlich werden kann, warum wir die sozialen Sicherungssysteme in diesem Land unbedingt brauchen. Wir brauchen sie aber gerade in schwierigen Zeiten, um den sozialen Zusammenhalt dieser Gesellschaft zu garantieren und ihn abzusichern. ({3}) Wir brauchen sie ganz speziell als Signal an die Menschen, die jetzt besonders verunsichert sind, weil sich in diesem Land auf einmal sehr viel verändert. Daher müssen wir deutlich machen, dass niemand mit den Lebensrisiken in dieser Gesellschaft alleine gelassen wird, sondern dass diese Risiken weiterhin kollektiv abgesichert werden. ({4}) Wenn man den Menschen dieses Vertrauen geben will, dann muss man ihnen auch sagen, dass unsere umlagefinanzierte Rente ein sicheres System ist, und zwar sicherer als eine Aktie. Da gibt es keine Kursverluste. Aber wir müssen ihnen auch klar machen, dass wir das, was wir jetzt an Rente haben, in der Zukunft werden erweitern müssen. Wir werden den Menschen erklären müssen, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung in diesem Land nur dann sicherstellen können, wenn wir nicht das gesundheitliche Risiko privatisieren, sondern wenn wir bei der solidarischen Krankenversicherung in diesem Lande bleiben. ({5}) Es muss weiterhin gelten, dass Junge für Alte, Gesunde für Kranke, Singles für Familien und Gutverdienende für Schlechterverdienende einstehen. Ich hoffe, dass in der Zukunft nicht nur ein Teil unserer Gesellschaft füreinander einsteht, sondern dass in der Zukunft alle für alle in dieser Gesellschaft einstehen. ({6}) Das Gleiche gilt für die Umlagefinanzierung der Pflegeversicherung. Vor zehn Jahren haben die Menschen praktisch aus dem Stand sofort Leistungen erhalten zu den Aufwendungen für die Pflege. Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung. So war sie nie angelegt. Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen. Aber wir müssen ihnen natürlich auch ehrlich sagen, dass es Veränderungen in diesem System geben muss. Und da haben wir zum Teil eben eine andere Auffassung als Sie. Ich bin nicht der Überzeugung, dass kapitalgedeckte Systeme im gleichen Maße wirkungsvoll sind wie Umlagesysteme. ({7}) Wenn das so wäre, hätten wir eine andere Situation in der PKV. Man muss doch ehrlich sagen: Auch die PKV ist ein Umlagesystem, sie beinhaltet nur Momente der Kapitaldeckung. Trotz dieser Momente der Kapitaldeckung haben die privaten Krankenversicherungen mit jährlichen Beitragssatzsteigerungen von nahezu 10 Prozent zu kämpfen. ({8}) Niemand kann mir sagen, dass wir das unbedingt anstreben müssen. ({9}) Wie ich vorhin schon sagte, bin ich davon überzeugt, dass von uns das Signal ausgehen muss: Wir brauchen die sozialen Sicherungssysteme, aber die sozialen Sicherungssysteme müssen verändert werden. Wir müssen sie den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Wir müssen hinhören, um zum Beispiel zu erfahren, wo und wie die Menschen im Alter anders versorgt werden möchten, als es jetzt der Fall ist. Wir müssen vielleicht die Arbeit anders als bisher über den Lebenszyklus verteilen. Wir müssen den Menschen aber auch sehr klar sagen, dass wir auch wirtschaftliche Notwendigkeiten zu berücksichtigen haben. Wir dürfen bei der Änderung dieser Systeme nicht nur an diejenigen denken, die jetzt Beiträge zahlen und Leistungen bekommen, sondern wir müssen auch die Entwicklung in 10, 20 oder 30 Jahren berücksichtigen und entsprechend kalkulieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir sehr viel auf den richtigen Weg gebracht haben. Jetzt wird es unsere Aufgabe sein, zumindest dort, wo wir Änderungen gemeinsam beschlossen haben, auch dafür Sorge zu tragen, dass wir diese Änderungen gemeinsam letztendlich zu einem Erfolg bringen. Herr Bahr, lassen Sie mich kurz etwas zu Ihnen sagen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Zitate, ({10}) weil Sie damit noch einmal gegenübergestellt haben, wie schnell sich doch Ansichten und Einsichten innerhalb der CDU/CSU ändern. Ich glaube, wir müssen über diese Änderungen ganz ernsthaft und ehrlich miteinander reden. Dazu gehört auch, dass wir einmal über Ihre Vorstellungen zur Fortschreibung der Gesundheitsversorgung und zur Privatisierung des Systems reden. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht trägt. Wir lehnen es ab. ({11}) Es kann einfach nicht sein, dass wir solidarische Systeme zerstören, dass wir der Solidarität in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr geben und dass wir letztendlich Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, überfordern und in einem hohen Maße verunsichern. ({12}) Deshalb glaube ich, dass der Weg, den Sie dort gehen wollen, der absolut falsche Weg ist. Wir haben, wie ich schon sagte, bei der Rentenversicherung den richtigen Weg eingeschlagen. Ich glaube, unsere ergänzenden Maßnahmen sind gut. Ich erwähne die für die spätere Zukunft vorgesehene Besteuerung der Renten und die steuerliche Entlastung bei den Beitragszahlungen. Damit schaffen wir bei den jungen Menschen Kapazitäten, die es ihnen ermöglichen, Zusatzversicherungen abzuschließen. Herr Luther, in einem Punkt muss man einfach ehrlich sein. Niemand hat dieser Rentenversicherung durch die Absenkung der Schwankungsreserve 15 Milliarden Euro geklaut. Dieses Geld haben die Rentnerinnen und Rentner bekommen, denn wir haben damit verhindert, dass ihre Renten gekürzt werden mussten. ({13}) Auf der anderen Seite haben wir das Geld dazu benutzt, Beitragssteigerungen zu verhindern, weil wir sonst größere Probleme am Arbeitsmarkt bekommen hätten. Niemand hat dieses Geld weggenommen. Dieses Geld ist da, auf Heller und Pfennig. ({14}) Ich fordere Sie wirklich auf, Ihre Aussage zu korrigieren, weil die Rentnerinnen und Rentner das Geld bekommen haben. Wenn Ihre Vorstellung hinsichtlich des Beitragssatzes Wirklichkeit werden würde, könnte ich ganz einfach nur sagen: Gute Nacht! Der Vorschlag von Herrn Stoiber, der 5 Prozent pauschal kürzen will - die Kollegin Lehn hat es schon gesagt - bedeutet ganz schlicht und einfach entweder eine Erhöhung der Beitragssätze um 0,2 Prozent oder aber eine Kürzung der Renten um 1 Prozent. ({15}) Das kann doch in einer Situation, in der Sie Belastungen beklagen, niemand wollen. ({16}) Mein zweiter Punkt, den ich ansprechen wollte, ist der Verkauf der GAGFAH. Der Verkauf der GAGFAH wird dazu dienen, die Rentenversicherung liquide zu halten und auf eine Bundesüberbrückung verzichten zu können. Zur Gesundheitsversorgung möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wir hätten gerne mehr Strukturelemente in ihr gehabt. Wir haben sie nicht. Das tut uns sehr Leid. Vielleicht wären dann die Erfolge, die die Ministerin jetzt vorweisen kann, noch größer. Wir haben wirklich gut begonnen, indem wir zur Verbesserung der Qualität der Versorgung beigetragen haben. Zwei Punkte will ich herausstreichen. Wir haben ein Plus von 25 Prozent bei den Ausgaben zur Vorsorge. Das sollte uns gemeinsam freuen. Wir haben ein Plus bei den Ausgaben für Schutzimpfungen in Höhe von 10 Prozent und somit eine Zunahme der Zahl der Schutzimpfungen. Alles das sind Dinge, die richtig und wichtig sind. Zur Tabaksteuer sei nur so viel gesagt: Falls die Menschen wirklich weniger rauchten, wäre es ein Segen. Falls die Menschen und besonders die Jugendlichen weniger Alcopops trinken würden, wäre es ein Segen. Aber es ist genauso richtig, Familienleistungen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, steuerzufinanzieren. Das ist ein richtiger Weg für die Zukunft. ({17}) Wir sind diesen Weg an einer Stelle gegangen und müssen schauen, wie es bei der Pflegeversicherung in der Zukunft aussieht. Wir haben das Gesetz gemeinsam beschlossen. Ich glaube, dass der Weg, den wir in der Pflegeversicherung gegangen sind - die Kollegin hat es gesagt -, ein richtiger Weg ist. Es ist aber auch wichtig, den Menschen deutlich zu machen, dass es das nicht gewesen sein kann. Wir werden darüber diskutieren müssen, dass zehn Jahre Beitragssatzstabilität dazu geführt haben, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im Prinzip weniger geworden sind. Wir werden also über die Dynamisierung reden müssen. Wir werden aber auch darüber reden müssen, dass Menschen in der Zukunft anders leben wollen und wie wir das Verhältnis von ambulanter und stationärer Pflege anders gestalten. Wir werden den Menschen in diesem Land auch deutlich machen, dass sie entscheiden - nicht nur das Parlament und Signale geben müssen, wie viel ihnen die Pflege im Alter letztendlich wert ist. Diesen Diskussionsprozess werden wir beginnen. Diese Diskussion gemeinsam mit der Gesellschaft wird am Ende zu einer Verbesserung führen. Jetzt noch einige wenige Worte zum Zahnersatz. Sie können hier rechnen, wie Sie wollen. 8,50 Euro von jemandem zu verlangen, der ein Einkommen von 1 000 Euro hat, und 8,50 Euro von jemandem, der ein Einkommen von 10 000 Euro hat, zu erheben, bedeutet eine soziale Schieflage, die durch nichts schöngeredet werden kann. ({18}) Das ist das erste Beispiel dafür, dass die Kopfpauschalenkiste nicht funktionieren kann. Sie haben es noch nicht einmal in diesem kleinen Segment geschafft, einen sozialen Ausgleich herzustellen. ({19}) Wir haben darüber lange diskutiert und das im Rahmen des Kompromisses übernehmen müssen, was Sie gerne wollten, damit wir die Verbesserungen machen konnten, die notwendig waren. Jetzt bitte ich Sie darum, sich nicht einfach hinzusetzen und zu sagen: Nein danke. Wenn Sie dabei bleiben, dann machen wir es alleine. Wir haben den Kompromiss aber gemeinsam gefunden. ({20}) Wir bieten Ihnen an, das Problem gemeinsam zu lösen, an dem Sie ersticken werden. Das garantiere ich Ihnen. Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel. ({21}) Lassen Sie es uns gemeinsam lösen. Wenn Sie es nicht mit uns gemeinsam machen wollen, dann machen wir es alleine. ({22})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Wenn ich höre, was Sie, Frau Schaich-Walch, hier geboten haben, dann habe ich die Befürchtung, dass Sie Ursache und Wirkung verwechselt haben. Ich möchte einige Anmerkungen machen, wie die Diskussionslage über die Gesundheitsreform momentan ist. Wir waren uns damals alle einig, dass wir gemeinsam eine Reform beschließen wollten, die das Gesundheitssystem modernisieren sollte. Wir wollten die Defizite der Kassen abbauen und die Eigenverantwortung der Beteiligten stärken. Wir wollten mit Strukturmaßnahmen eine Effizienzsteigerung im System erreichen. Wir wollten die Beiträge und damit auch die Lohnzusatzkosten senken. Aber ein Punkt kommt meines Erachtens in der Diskussion zu kurz: Wir wollten mit dieser Reform auch erreichen, dass die am System Beteiligten endlich wieder über Jahre hinweg Planungssicherheit haben, damit sie auch im Hinblick auf Investitionen in die Zukunft ordentlich planen können. Planungssicherheit und Verlässlichkeit sind für mich Voraussetzungen für Vertrauen. Vertrauen ist die Voraussetzung für die Akzeptanz einer Reform. Ich habe mich über all diejenigen geärgert, die schon kurz nach der Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt von der Notwendigkeit neuer Reformen sprachen. Jetzt zeigen die ersten Ergebnisse, dass die gemeinsam beschlossene Reform greift. Man könnte die Notwendigkeit der Maßnahmen eigentlich mit guten Argumenten untermauern. Umso schlimmer ist die jetzige Diskussion über die Zurücknahme von Einzelmaßnahmen. ({1}) Rot-Grün kündigt den in mühsamen Verhandlungen gemeinsam gefundenen Konsens über den Zahnersatz auf. ({2}) Unter den heute vorgetragenen Argumenten ist kein einziges, das nicht auch schon damals in den Konsensverhandlungen vorgebracht wurde. ({3}) Die AOK hat bereits im Mai mitgeteilt, dass es, wenn eine gesetzliche Regelung, die eine unbürokratische Einzugsvariante umfasse, ausbliebe, zu einem erheblichen Bürokratieaufwand kommen würde. Deshalb hätten die Spitzenverbände der Krankenkasse einen konkreten Formulierungsvorschlag entwickelt, wie das Problem des Beitragseinzugs im Rahmen einer Gesetzesinitiative gelöst werden könnte. Sie aber wollten das nicht. Das ist der gravierende Unterschied. ({4}) Sie haben das Gesetz mitbeschlossen, wollten es aber nicht umsetzen. Es ist unredlich, mit einem Konsens so umzugehen. ({5}) Wir stehen zu dem Konsens, weil - das ist so sicher wie das Amen in der Kirche - demnächst irgendeine Gruppierung vorschlagen wird, auch noch einmal über die Regelung des Krankengeldes zu reden. Auch das stellt eine Belastung dar. Diese Woche hat Finanzminister Eichel die Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen zumindest infrage gestellt. Auch ich kann gerne ein paar Einzelmaßnahmen nennen, bei denen ich mir eine andere Regelung vorstellen könnte. Wir könnten über die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel und über die Besteuerung der Betriebsrenten reden. Das wäre aber unredlich. Wenn man einen Konsens gefunden hat, dann sollte man auch dazu stehen, statt sich im Nachhinein die Rosinen herauszupicken und nur aus wahltaktischen Gründen das eine oder andere Thema noch einmal aufzugreifen. ({6}) Wir haben damit eine große Chance vertan, den Bürgern anhand von Ergebnissen - statt des 2003 bestehenden Milliardendefizits der gesetzlichen Krankenkassen ist 2004 ein Milliardenüberschuss zu verzeichnen - die Notwendigkeit der Reformschritte wesentlich näher bringen zu können und sie nachvollziehbar zu machen. Sie werden von mir keinen Rat annehmen, aber ich darf vielleicht eine Feststellung treffen. Rot-Grün hat zwei Reformen gemeinsam mit der Union durchgeführt. Ich darf an die Minijobs und die Gesundheitsreform erinnern. Beide Reformen haben zu positiven Ergebnissen geführt. Deshalb wäre es unklug, diesen Weg leichtsinnig zu verlassen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutieren wir heute auch über das so genannte Kinderberücksichtigungsgesetz. Wenn man ehrlich ist, dann ist das eigentlich eine Bankrotterklärung von Rot-Grün, was Ihre Reformbereitschaft und Reformfähigkeit bezüglich der Pflege angeht. ({7}) Mich ärgert es durchaus, dass wir seit 1999 konstruktive Vorschläge - in Verbindung mit Finanzierungsvorschlägen - unterbreitet haben, die von Ihnen immer wieder mit der Begründung abgelehnt wurden, Sie würden demnächst selbst ein Gesamtkonzept vorlegen. Seit 1999 nehmen Sie entweder die brisante Lage der Pflegeversicherung nicht ernst oder Sie ignorieren einfach die Bedürfnisse der Bürger. ({8}) Ich hoffe, dass Letzteres nicht der Fall ist. Nach meiner Auffassung ist der heute von Ihnen eingebrachte Gesetzentwurf nicht ganz durchdacht, obwohl Sie genügend Zeit hatten, ihn zu erarbeiten; denn Sie wurden bereits im Jahr 2001 vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, eine verfassungsgemäße Regelung zu finden. Eltern leisten mit der Erziehung ihrer Kinder einen tatsächlichen Beitrag zur Pflegeversicherung. Dieser Erziehungsbeitrag ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts „innerhalb des Systems“ auszugleichen. Es fordert deshalb explizit eine Entlastung der Familien während der Zeit der Betreuung und der Erziehung. Jetzt schlägt Rot-Grün eine einseitige Belastung der Kinderlosen vor. Aber es gibt keine spürbare Entlastung für Familien in der Erziehungsphase. Das, was Sie vorschlagen, ist nichts anderes als eine Rundummehrbelastung für Kinderlose, die einen horrenden VerwaltungsWolfgang Zöller aufwand zur Folge haben wird. Dagegen entspricht das Kinderbonusmodell der Union voll und ganz den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und ist familienfreundlich, und dies alles bei einer Beitragssatzerhöhung, die sogar geringer ist als diejenige, die Sie vorschlagen, und unter Vermeidung unnötiger Bürokratie. Deswegen sind wir der Meinung, dass unsere Lösung besser ist. Lassen Sie mich dies an einem Zahlenbeispiel deutlich machen. Nehmen wir als Beispiel das für 2004 angesetzte Durchschnittseinkommen eines Versicherten, das derzeit - monatsbezogen - bei etwa 2 450 Euro liegt. Bisher zahlt ein solcher Versicherter einen Pflegeversicherungsbeitrag von 20,80 Euro. Nach Ihrem Modell müsste ein kinderloser Versicherter 27 Euro zahlen. Für einen Versicherten mit einem oder mehreren Kindern bliebe es bei 20,80 Euro, das heißt, für diesen Versicherten würde sich nichts ändern. Nach unserem Modell müssten ein kinderloser Versicherter im Ergebnis 23,30 Euro, ein Versicherter mit einem Kind 18,30 Euro und ein Versicherter mit zwei Kindern 13,30 Euro zahlen. Das bedeutet, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zur heutigen Belastung wesentlich besser gestellt würden. Den anderen Versicherten ist es zuzumuten, 0,1 Prozent mehr zu zahlen; denn es gibt eine gravierende Entlastung der Familien. ({9}) Bei Versicherten mit niedrigen Einkommen kommt es sogar dazu, dass der Beitrag zur Pflegeversicherung ganz vom Bonus getragen wird. Das ist familienfreundlich und auch sozial gerecht, weil Besserverdienende weniger entlastet werden als Menschen mit niedrigem Einkommen. Dieser Vorschlag müsste Ihnen eigentlich entgegenkommen. ({10}) Wir sind uns aber auch darüber einig, dass eine solche Sofortmaßnahme uns nicht davon entbindet, eine längst überfällige Reform der Pflegeversicherung in Angriff zu nehmen. Wir diskutieren auch heute wieder - insbesondere die Rednerinnen und Redner der Grünen haben das angesprochen - über den Grundsatz „ambulant vor stationär“ und die Notwendigkeit einer rechtssicheren Abgrenzung von Kranken- und Pflegeversicherung. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie Folgendes fragen: Im Gesetzentwurf steht, dass die medizinische Behandlungspflege zum 1. Januar 2005 gesetzlich neu geregelt werden muss. Wo bleibt hier Ihr Gesetzentwurf? Wird es wieder so sein, dass am 24. Dezember etwas vorgeschlagen wird, das am 1. Januar gültig sein muss? Diese Hausaufgabe haben Sie ebenfalls noch nicht gemacht. Wir sind des Weiteren der Meinung, dass die geriatrische Rehabilitation, die Prävention - hier sind wir uns Gott sei Dank einig - und die Situation der Demenzkranken verbessert werden müssen. Aber wir können reden, so viel wir wollen, eines ist klar: Wir werden das Gesundheitssystem ohne kapitalgedeckte Elemente nicht zukunftssicher gestalten können. ({11}) Wir müssen den Mut haben, dies rechtzeitig anzugehen. Wir bitten die Bundesregierung, endlich eine grundlegende Struktur- und Finanzreform im Bereich der Pflegeversicherung in Angriff zu nehmen. Es gilt, hier keine Zeit mehr zu verlieren. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3671, 15/3672, 15/3450, 15/3673, 15/3654, 15/3681 und 15/3682 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 15/3450 zusätzlich an den Verteidigungsausschuss überwiesen werden soll. Die Vorlage auf Drucksache 15/3683 - Zusatzpunkt 5 - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 15/3682 - Zusatzpunkt 2 - überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Otto Schily. ({0})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten jetzt den Einzelplan 06. Ich will vorweg sagen: Dieser Haushaltsentwurf ist der Ausweis für eine solide und erfolgreiche Innenpolitik. ({0}) Er ist zugleich die Grundlage dafür, dass wir diese solide und erfolgreiche Innenpolitik fortsetzen werden und können. Deshalb bitte ich Sie, diesem Haushalt zuzustimmen. Ich glaube, es ist ganz sinnvoll, einmal über die Einzelpositionen zu reden. Selbstverständlich hat sich auch das Bundesinnenministerium an den Konsolidierungsbemühungen des Bundesfinanzministers solidarisch beteiligen müssen. Gleichwohl ist es auch unter den sehr schwierigen Bedingungen restriktiver Ansätze im Bundeshaushalt gelungen, die Ansätze im Einzelplan meines Hauses gerade im wichtigsten Aufgabenfeld, nämlich dem der inneren Sicherheit, so zu gestalten, dass erfolgreiche Arbeit geleistet werden kann. Lassen Sie mich eines einmal mehr feststellen: Deutschland gehört im internationalen Vergleich zu einem der sichersten Länder in der Welt. Darauf können wir einigermaßen stolz sein. ({1}) Ich finde, es besteht zuallererst Anlass, unseren Polizeibeamten in Bund und Ländern für diese große Leistung, für ihre hervorragende Arbeit Dank zu sagen. ({2}) In diesen Dank möchte ich auch diejenigen einbeziehen, die in anderen Sicherheitsinstitutionen tätig sind: den Feuerwehren, dem Technischen Hilfswerk. In beiden Einrichtungen wird partiell ehrenamtliche Tätigkeit erbracht. Aber es gibt auch eine Reihe von Hilfsorganisationen, die rein ehrenamtlich tätig sind. Gerade dieses System, das wir in Deutschland entwickelt haben, hat sich als sehr effizient erwiesen. Heute sollten wir auch einmal den Hilfsorganisationen, dem Deutschen Roten Kreuz, dem Arbeiter-Samariter-Bund, dem Malteser Hilfsdienst, der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und vielen anderen, Dank sagen. ({3}) Es hat sich in diesem Zusammenhang übrigens als sehr hilfreich erwiesen, dass wir beim Bundesministerium des Innern einen Beirat ins Leben gerufen haben, in dem diese Organisationen zu Wort kommen und ihr Fachwissen und ihre Kompetenz in die Konzeptionierung von Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit einbringen können. Wenn Sie sich den Haushaltsentwurf anschauen, dann werden Sie feststellen, dass knapp 70 Prozent der Ausgaben dieses Einzelplanes mit 2,8 Milliarden Euro auf den Sicherheitsbereich entfallen. Gegenüber dem Soll 2004 konnten die Ausgaben für die innere Sicherheit insgesamt um rund 1,7 Prozent gesteigert werden. Wenn ich mir einmal die Zahlen in meiner Amtszeit von 1999 bis ins Haushaltsjahr 2005 hinein vor Augen führe, dann stelle ich fest, dass die Ausgaben im Sicherheitsbereich um 22 Prozent erhöht worden sind. Das ist solide, erfolgreiche Innenpolitik der Bundesregierung. ({4}) Wenn man das dann für die einzelnen Bereiche betrachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis: Das gilt insbesondere für den Bundesgrenzschutz, dessen Haushaltsansatz 2005 gegenüber dem Soll 2004 eine Erhöhung um rund 44 Millionen Euro erfährt. Das bezieht sich insbesondere auf die Personalausgaben. Wir haben auf diese Weise die Planstellenstruktur im Bundesgrenzschutz erheblich verbessern können. Ich kann Ihnen wirklich mit voller Überzeugung berichten: Die Stimmung im Bundesgrenzschutz ist gerade auf der Grundlage einer solchen soliden und guten Politik so gut wie noch nie zuvor. ({5}) Darauf bilde ich mir einiges ein. Ich will nicht verhehlen, Kollege Diller - der Staatssekretär ist ja anwesend -, dass das manchmal ein hartes Ringen mit dem Bundesfinanzministerium war. ({6}) Aber wir haben uns immer einigen können. Ich bin dem Bundesfinanzministerium dankbar dafür, dass das gelungen ist. Gleiches gilt für den wichtigen Bereich des Bundeskriminalamts, für das wir auch eine Erhöhung der Etatansätze vorsehen. Selbstverständlich will ich Ihnen aber nicht verschweigen, dass wir in einigen Bereichen - auch bei der inneren Sicherheit -, was Sachbeschaffungen angeht, bestimmte Einschränkungen hinnehmen mussten. Das war angesichts der Notwendigkeit für alle Haushalte, Beiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten, unausweichlich. Eine besondere Bedeutung haben in der modernen Welt die Maßnahmen, die wir für die Sicherheit in der Informationstechnik ergreifen müssen. Wir haben erfreulicherweise eine Erhöhung des Ansatzes für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Wenn man auch in dem Bereich die Zahlen von 1999 bis 2005 betrachtet, dann stellt man fest, dass wir dort eine Steigerung der Ausgaben um rund 77 Prozent erreicht haben. Das ist eine gewaltige Steigerung. Auch das ist Anlass zur Zufriedenheit. Ich will an der Stelle allerdings darauf hinweisen, dass die Gefahren in der Informationstechnik, auch was die Informations- und Kommunikationstechnik in den jeweiligen exekutiven Bereichen angeht, deutlich zunehmen. Wir werden uns mit der Konzeptionierung in diesem Bereich noch intensiver beschäftigen müssen. Ich muss leider ankündigen, dass wir angesichts der Gefahren, die sich dort auftun, die Mittel vermutlich noch aufstocken müssen. Ich bitte dafür dann um die Bereitschaft zu einer offenen und konstruktiven Debatte. Ich glaube, dass wir diese Gefahren nicht ernst genug nehmen können. Selbstverständlich hat auch die internationale Arbeit im Sicherheitsbereich eine hohe Bedeutung. Deshalb freue ich mich darüber, dass im Haushaltsentwurf auch für den Bereich die notwendigen Mittel bereitgestellt werden können. Ich möchte aber doch einen Hinweis geben, gerade mit Blick auf den Debattenverlauf heute Vormittag, weil manche im Haus meinen, sie hätten ein Monopol auf Kompetenz im Bereich der inneren Sicherheit. ({7}) - Mitunter wird das gerne in Anspruch genommen. ({8}) - Ich könnte das schon für mich in Anspruch nehmen, aber - ({9}) - Richtig, Herr von Klaeden, nur weiter so! Ich bin ja für eine konstruktive Diskussion. Es ist schön, dass ich Sie einmal zur Heiterkeit bringe. Ich freue mich darüber, auch einmal in lachende Gesichter der Opposition zu schauen. ({10}) Ich will nun an das anknüpfen, was der Kollege Eichel heute Vormittag angesprochen hat, nämlich die Vorschläge aus Bayern. In Bayern wird der Haushaltsansatz für den Sicherheitsbereich um 3 Prozent gekürzt. ({11}) Das ist ja schon ganz interessant. Interessant ist aber auch der Vorschlag des Kollegen Stoiber, den Bundeshaushalt in allen Bereichen generell um 5 Prozent zu kürzen. Ich will Ihnen kurz erläutern, was das beim BGS bedeuten würde. Es würde bedeuten, dass wir den Etat um 100 Millionen Euro kürzen müssten. Das ginge nur durch eine Reduzierung des Personalkörpers der Polizeivollzugsbeamten um bis zu 1 500 Beamtinnen und Beamte; die Luftsicherheitskontrollen durch Private könnten nicht mehr im erforderlichen Umfang geleistet werden; die Beschaffung und Bewegung von Fahrzeugen des Bundesgrenzschutzes könnte nicht mehr in dem aus polizeifachlicher Sicht erforderlichen Umfang geleistet werden usw. Ähnliches gilt für den Bereich des Bundeskriminalamtes. Ich glaube also, es ist schon die Zeit wert, einmal in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, welche Vorschläge da in München im Moment im Schwange sind. ({12}) Vielleicht hat ja jemand Einfluss darauf. Herr Koschyk, Sie könnten ja einmal um ein Gespräch bitten und nachfragen, ob das so ganz ernst gemeint war, was da vorgeschlagen wurde. ({13}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich bietet eine Etatdebatte auch die Gelegenheit, über die Arbeit zu sprechen. Das würde aber meine Redezeit jetzt bei weitem überschreiten. Ich will nur einige Fragen ansprechen, die mir besonders aktuell erscheinen. ({14}) - Sehen Sie, in diesem Zwischenruf zeigt sich leider Ihre Unkenntnis über den eigentlichen Sachverhalt. Es ist nämlich nicht so, verehrter Herr Kollege, dass die Einführung des Digitalfunks an der Frage des Geldes scheitert, sondern sie scheitert an der mangelnden Bereitschaft der Länder, dem Beschaffungsprozess ein Tempo zu geben, das frühere Entscheidungen zulässt. ({15}) Diese Frage möchte ich nämlich nicht allein auf Bundesebene entscheiden, sondern solidarisch mit den Ländern gestalten, damit am Ende bundesweit ein technisches Konzept zur Umsetzung gelangt und nicht ein Fleckerlteppich, wie man in Bayern sagen würde, entsteht. Deshalb nimmt dieses Projekt so viel Zeit in Anspruch. ({16}) Ich bin daran nicht schuld. Sie können sich gerne bei mir genauer erkundigen; wir können das auch in einer Ausschusssitzung debattieren. Ich will Ihnen dann gerne darüber Bericht erstatten. Ich möchte außerdem einen Punkt ansprechen, der in den Sommermonaten für eine lebhafte Debatte gesorgt hat. Ich habe gehört, dass aus dem Bereich des Innenausschusses der Wunsch geäußert worden ist, darüber Näheres zu erfahren. Dem Wunsch, dass wir noch vor der informellen Sitzung des Justiz- und Innenrates zusammenzukommen, will ich gerne entsprechen. Ich werde Ihnen dann erläutern, welche Vorstellungen es gibt. Frau Verdonk, die holländische Ministerin für Migration und Vertreterin der holländischen EU-Präsidentschaft, hat mich ausdrücklich eingeladen, in der JI-Konferenz meine Vorstellungen zusammen mit Herrn Lubbers, dem Kommissar für das Flüchtlingswesen bei der UNO, der EU-Kommission darzulegen. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich heute dieses Thema nicht in allen Einzelheiten anspreche. Ich will Sie vorweg nur mit zwei Sachverhalten bekannt machen, damit Sie sich auf diese Debatte einstellen können. Ich verweise zum einen auf ein Dokument - ich habe es jetzt leider nicht dabei, sodass ich darüber aus dem Kopf referieren muss; das tut mir Leid -, das die EU herausgegeben hat und in dem es um den verbesserten Schutz vor illegaler Migration im Mittelmeerraum geht. Wenn Sie dieses Dokument studieren, werden Sie entdecken, dass dort eine Passage enthalten ist, in der gefordert wird, dass in den Ländern, von denen aus Schleuserboote ihren Weg genommen haben, Aufnahmeeinrichtungen geschaffen werden. Das ist also ein Vorschlag, der bereits von der EU gemacht worden ist. ({17}) Im Übrigen gibt es, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben, die Ausarbeitung einer Expertengruppe, die sich mit dem Thema beschäftigt, wie unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb der Mitgliedstaaten Asylanträge entgegengenommen und entschieden werden können. Ich glaube, dass diese beiden Hinweise für eine Versachlichung der Debatte ganz nützlich sind. Aber ich will nicht vorwegnehmen, was wir dann in der Ausschusssitzung zu debattieren haben werden. Jetzt folgt ein etwas harter Sprung; ich mache sozusagen einen Exkurs, der mit diesem Thema nicht unmittelbar etwas zu tun hat, der mir aber am Herzen liegt. Ich bin ja schon einmal dafür getadelt worden, dass ich mich in der Etatdiskussion nicht zum Thema Sport äußere. Das will ich heute einmal tun, auch deshalb, weil ich ein paar Tage in Athen sein durfte und mich sehr darüber freue, dass sich unsere Athletinnen und Athleten - das möchte ich an den Anfang stellen - dort als gute Botschafterinnen und Botschafter unseres Landes erwiesen haben ({18}) und mit herausragenden sportlichen Leistungen aufgetreten sind, wobei ich betone, dass auch ein fünfter, sechster oder siebter Platz eine großartige, grandiose sportliche Leistung ist. ({19}) Wir sollten nicht immer nur auf die Medaillen schauen. Deshalb meine ich auch, dass wir das Geld, das wir in diesem Bereich aufgewendet haben, richtig eingesetzt haben. Das wird uns nicht daran hindern, nach Abschluss der Olympischen Spiele gemeinsam mit den Sportorganisationen noch einmal sehr genau zu schauen, wie wir die Mittel anders und effizienter einsetzen können. Wir haben uns eine umfassende und vertiefte Debatte über die Förderrichtlinien, das Förderprogramm und die Straffung der entsprechenden Trainings- und sonstigen Institutionen vorgenommen. Wir werden mit den Sportorganisationen in einen fairen Dialog eintreten. Es ist erfreulich, dass eine lebhafte Diskussion darüber in Gang gekommen ist, wie die Sportorganisationen sich selber wirkungsvoller und effizienter gestalten können. Ich unterstütze diesen Prozess mit allen Kräften und mit Entschiedenheit. ({20}) - Den Beifall können Sie doch spenden; das war doch eine vernünftige Aussage. ({21}) Damit Sie noch mehr Beifall hören, sage ich: Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, eine sehr erfolgreiche Sportpolitik betrieben zu haben. ({22}) Damit Sie das nicht nur von mir hören müssen, will ich Herrn Kotter zitieren, den Sie sicher kennen; er ist der wirklich verehrungswürdige Präsident eines der großen Wintersportverbände, der sein Amt kürzlich nach vielen Jahrzehnten abgegeben hat. Er hat mir in Bad Endorf freundlicherweise gesagt: Einen so guten Sportminister wie diesen hat die Bundesrepublik lange nicht gesehen. Danke schön! ({23}) Sie können jetzt ruhig wieder klatschen, denn der, der das gesagt hat, kommt eher aus Ihren Reihen. Lassen Sie mich in den beiden letzten Minuten zu einem sehr ernsten Thema zurückkehren. Wir haben heute Morgen der Geschehnisse in Beslan gedacht. Ich glaube, unter uns wird niemand sein, den diese Bilder je wieder verlassen werden, mich jedenfalls nicht. Dieser brutale Kindermassenmord ist ein neuer Höhepunkt des blutrünstigen islamistischen Terrorismus. Ich denke, wir alle haben das mit Entsetzen und mit Abscheu wahrgenommen. Diese Bluttat beweist einmal mehr, welche abgrundtiefen Gefahren uns mit dem islamistischen Terrorismus gegenüberstehen. Dieser Terrorismus beruft sich sogar noch in gotteslästerlicher Weise auf Allah. Als die Attentäter in die Schule stürmten, haben sie ihren Gott angerufen. Eine schlimmere Gotteslästerung kann ich mir gar nicht vorstellen. Da wir diesem schauerlichen islamistischen Terrorismus gegenüberstehen, dürfen wir uns nicht in feuilletonistischen Betrachtungen verlieren. Wir müssen wissen: Menschen, die solche Mordtaten verüben, verdienen unsere tiefste Verachtung und die härteste Gegenwehr, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. ({24}) Deshalb bin ich dafür, dass wir an dieser Stelle zusammenstehen und sagen, dass wir diesem Terrorismus nicht weichen werden. Ich empfehle eines - da bin ich mit Günther Beckstein völlig einig; das will ich an dieser Stelle dankbar hervorheben -: Man muss die Gefahren nüchtern und klar beschreiben; man darf sie nicht bagatellisieren. Es besteht eine reale und ernste Gefahr auch für unser Land. Diese Gefahr existiert nicht nur fern unserer Grenzen. Deshalb müssen auch die Anstrengungen eher größer werden, um dieser Gefahr entgegenzuwirken. Wenn es um Neuerungen geht, auch um Neuerungen im Rahmen der Föderalismusdebatte, bitte ich, nicht mit Vorurteilen in eine solche Debatte hineinzugehen. Ich bin dankbar, dass der Kollege Behrens jetzt erkennen lässt, dass er in diesem Punkt durchaus gesprächsbereit ist. Wir dürfen auf der anderen Seite nicht die Gelassenheit aufgeben. Wenn wir uns selber sozusagen in einen Zustand der ewigen Nervosität oder erst recht der Panik versetzen würden, dann hätte der Terrorismus gewonnen. Äußerste Wachsamkeit und Anstrengungen, die wir noch erhöhen müssen - möglicherweise mit mehr Geld, als wir bisher aufgewendet haben - auf der einen Seite und der aufrechte Gang der Gelassenheit auf der anderen Seite sind die Voraussetzungen dafür, dass wir in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus bestehen werden. Vielen Dank. ({25})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben mit einem sehr ernsten Thema geendet, mit einem Thema, das sich für eine Behandlung in diesem Rahmen kaum eignet. Trotzdem will ich sagen, dass wir Ihnen in der Bewertung völlig zustimmen. Wir teilen auch Ihre Nachdenklichkeit. Sie haben von Verachtung und Gegenwehr gesprochen. Die Möglichkeit zur Gegenwehr ist, wie Sie selber zum Schluss auch gesagt haben - wir stehen hier am Beginn der Haushaltsberatungen -, ein wesentliches Kriterium bei der Bewertung Ihres Haushalts. Es ist menschlich schon verständlich, wenn Sie in Ihrer Rede den Eindruck zu erwecken versuchen - bei dem einen oder anderen werden Sie damit vielleicht Erfolg gehabt haben -, dass alles in bester Ordnung ist und dass Sie alles im Griff haben. Wir teilen uneingeschränkt Ihr Lob und die Anerkennung für die Arbeit des Bundesgrenzschutzes, der Polizeien und der Hilfsorganisationen. Selbst bei der Bewertung der Leistung der deutschen Olympioniken können wir uns sicherlich einigen. Aber das alles ist ja eigentlich nicht das Thema, weswegen wir hier in diesem Kreis zusammengekommen sind. Sie haben zu dem bekannten Hilfsmittel gegriffen, die Steigerungen der Mittel von 1999 bis 2005 zum Maßstab Ihrer erfolgreichen Arbeit zu machen und von den in den letzten sechs Jahren vorgenommenen Erhöhungen um mehr als 22 Prozent zu sprechen. Zur Wahrheit gehört einfach, dass sich, wie alle wissen, die Sicherheitssituation in unserem Lande in diesen sechs Jahren dramatisch verändert hat. So dramatisch sind die Steigerungsraten vor diesem Hintergrund dann auch wieder nicht. Sie relativieren sich schon erheblich. ({0}) Ehrlich gesagt, Herr Minister, uns interessieren die Durchschnittszahlen der letzten Jahre und auch die Erhöhungen in dieser Zeit wenig. Uns interessiert vielmehr ganz konkret - darauf hinzuweisen muss natürlich heute gestattet sein -, wie es im kommenden Jahr aussieht. Alles andere, das, was in den letzten fünf Jahren war, können wir einmal in einer gemütlicheren Runde besprechen. Heute steht der Haushalt des Jahres 2005 an. Das muss ich noch quitt werden: Ihren Exkurs in den heutigen Vormittag und Ihren Ausflug nach Bayern fand ich zwar bemerkenswert, für die Beratung des Einzelplans 06 des Bundeshaushalts aber wenig geeignet. ({1}) Wenn Sie wirklich Bayern zum Vorbild nehmen, dann wäre ein Gespräch mit Herrn Koschyk oder Frau Mantel hilfreich. Den Begriff „Lernen“ darf man ja nicht verwenden; aber wenn Sie Bayern zum Beispiel nehmen, dann könnte ich Ihnen andere Aspekte des bayerischen Haushalts, etwa die Ausgeglichenheit zwischen Einnahmen und Ausgaben, nennen. Wenn man etwas lernen will, dann sollte man schon genauer hinschauen. Ansonsten wollen wir uns ja mit dem Haushalt für das kommende Jahr befassen. Einen Wunsch habe ich dann doch: Wenn Sie schon Exkurse machen, Herr Minister, dann hätte ich mir natürlich schon gewünscht, dass Sie einen deutlicheren Hinweis in Richtung Ihres Kollegen Fischer gegeben hätten, Schluss mit der jetzigen unsäglichen Visapolitik zu machen. ({2}) Vielleicht hilft Ihnen ja der Kollege Beckstein bei der Formulierung eines entsprechenden Briefes. Auch wir sind gerne dazu bereit. Aber ich meine es jetzt ganz ernst: Wir bitten Sie dringend darum, dort tätig zu werden und nicht zuzuwarten, bis sich irgendjemand im Auswärtigen Amt vornehm-diplomatisch bewegt. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Sicherheit und dies betrifft das Ministerium des Innern. Wir erwarten von Ihnen ganz konkret eine Maßnahme zusammen mit Ihrem Kollegen Fischer. Wie gesagt, Sie erhalten von uns jede Unterstützung. Ich hatte das Gefühl, mich ein wenig auf das beziehen zu müssen, was Sie eben ausgeführt haben, darf aber jetzt auf den Haushalt 2005 zu sprechen kommen. Ich will das in aller Sachlichkeit tun. Wie gesagt, es ist menschlich verständlich, zu sagen, es sei alles in Ordnung. Aber es gibt eben doch erhebliche Schwachstellen in diesem Haushalt. Über grundsätzliche Aspekte haben bereits heute Morgen der Kollege Austermann und weitere Fraktionskollegen gesprochen. Der Haushalt ist offenkundig verfassungswidrig, verstößt gegen die Maastricht-Kriterien usw. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich ein „besonderes Vergnügen“, wenn man sich nun auch noch mit den Einzelplänen auseinander setzen muss. Wenn man dann noch sieht, dass fast alle Ansätze innerhalb eines Einzelplanes gegenseitig deckungsfähig sind, habe ich so langsam das Gefühl, man sollte die Etatberatungen vereinfachen. Über ein solches Verfahren könnte man vielleicht einmal sprechen. Zweifellos sollten wir uns in diesem Hause einig darin sein, dass die Sicherheit der Menschen in unserem Lande eindeutig ein Schwerpunkt in diesem Haushalt sein muss. Sie haben das auch angekündigt. Trotzdem meine ich, dass man bei genauerem Hinsehen feststellen muss, dass das, was Sie ganz zum Schluss gesagt haben, nämlich dass man vielleicht mehr Geld in die Hand nehmen muss, schon im Haushalt 2005 hätte geschehen müssen. Herr Minister, meine Damen und Herren, jede Haushaltsplanberatung auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und auf Bundesebene ist - vielleicht haben Sie, Herr Kollege, das noch nicht mitgemacht; ich weiß, wie das geht - in erster Linie keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Prioritätensetzung. Deswegen müssen wir schauen, ob die Prioritäten in dem Haushalt, der jetzt ansteht, richtig gesetzt worden sind. An einigen Stellen - ein paar Beispiele werde ich nennen - sind wir der Auffassung, dass sie nicht richtig gesetzt worden sind. ({3}) Vielleicht vorher noch ein paar Worte dazu, was mich sehr belastet; wir haben das einmal ansatzweise im Innenausschuss besprochen. Wir befinden uns immer in der Situation des Re-agierens auf Terrorakte. Wenn man darüber nachdenkt, warum das so ist, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass das sicherlich damit zu tun hat, dass uns die Vorstellungskraft für das, was sich diese Menschen ausdenken, fehlt. Es ist, glaube ich, auch neu, dass wir es mit Menschen zu tun haben, denen das eigene Leben überhaupt nichts wert ist, die bereit sind, ihr eigenes Leben einzusetzen, und denen auch das Leben von Hunderten oder Tausenden von Kindern und Erwachsenen nichts wert ist. Vor diesem Hintergrund müssen wir alles Menschenmögliche - wirklich alles Menschenmögliche - im Bereich der Terrorismusbekämpfung tun. Wir müssen uns auch fragen, ob wir alles dazu Notwendige getan haben. Sie haben natürlich mit Recht darauf hingewiesen - das geschieht meiner Ansicht nach viel zu selten -, dass wir in besonderem Maße eine Fürsorgepflicht für diejenigen Menschen haben, die jeden Tag ihren Kopf für unsere Sicherheit hinhalten. Ich wünsche mir, dass die Berichterstattung in den Medien weniger intensiv - zwar auch, aber weniger intensiv - über die Behandlung von möglicherweise dort angetroffenen Verbrechern stattfindet und stattdessen mehr auf die Ausstattungsbedingungen eingeht, unter denen Polizeien, Hilfsorganisationen usw. arbeiten müssen. Vielleicht können wir uns in diesem Sinne auch einmal zusammenfinden. Ganz konkret - Herr Minister, das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Großereignisse - das wissen wir alle bedürfen besonderer Maßnahmen, und das schon im Vorfeld. Da nenne ich als Beispiel die Fußballweltmeisterschaft, das Ereignis mit der größten Zuschauerresonanz weltweit. Die Ausrichtung dieses Ereignisses ist eine große Ehre, aber eben auch eine große Herausforderung. Man müsste eigentlich sagen können, dass wir ein gutes Gefühl haben; denn noch bis zum Ende des Jahres 2003, Herr Minister, haben Sie gesagt, dass Sie die für die Weltmeisterschaft zuständigen Sicherheitseinrichtungen mit einem digitalen Funksystem ausrüsten würden. Nun hören wir: Erst 2008 ist damit zu rechnen. Es ist ein Skandal, dass es nur noch zwei europäische Staaten ohne jeden Digitalfunk gibt: Albanien und Deutschland. ({4}) - Kennen Sie noch einen? Die Situation wird aber nicht besser, wenn wir auf drei oder vier Staaten kommen. Jedenfalls sind wir in einer Reihe mit Albanien anzutreffen, weil wir keinen Digitalfunk haben. Herr Minister, mir ist es auch - ich sage das einmal etwas locker - relativ wurscht, wie viele Staaten es sind. Wir haben rechtzeitig und immer wieder - ich weiß nicht, ob Sie sich daran nicht erinnern - hier und im Ausschuss darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Vorbereitungen zu treffen. Wie gesagt, Sie haben selbst noch bis Ende letzten Jahres darauf hingewiesen, dass der Digitalfunk kommt. Im November letzten Jahres, Herr Minister, haben Sie uns beschwichtigt bzw. zu beschwichtigen versucht. ({5}) - Herr Wiefelspütz, bei Ihnen scheint es ja gelungen zu sein. - Ich zitiere jetzt aus der Haushaltsrede vom 27. November 2003 den Minister höchstpersönlich. ({6}) - Das werden Sie jetzt sehen. Da mache ich Ihnen ja eine Freude, das freut mich aber. - Der Minister sagte: Deutschland würde sich entsetzlich blamieren, wenn es uns nicht gelingen sollte, das zu schaffen, was Finnland in relativ kurzer Zeit zustande gebracht hat … Dass man im Zusammenhang mit PISA von Finnland lernen kann, haben inzwischen alle SPD-regierten Bundesländer kapiert. Vielleicht könnte ja die SPD-Bundesregierung von Finnland lernen, wenn es um die Einführung des Digitalfunks bzw. um die Zeit, die man dafür braucht, geht. ({7}) Es stehen immer noch lediglich 5 Millionen Euro im Haushalt. ({8}) - Der Hinweis auf die Bundesländer interessiert mich nicht. ({9}) - Dann muss man aber auch einmal darüber nachdenken, woran das liegt. - Der Minister setzt sich bei Herrn Eichel nicht durch; denn eigentlich müsste er mehr Geld haben. Er hat eben davon gesprochen, dass das nicht so gelungen ist und dass er sich den solidarischen Sparmaßnahmen hat fügen müssen. Auch bei den Ländern setzt er sich nicht durch, sodass wir im Endeffekt bei der Fußballweltmeisterschaft keinen Digitalfunk haben werden. ({10}) - Wenn Sie dem widersprechen, dann rolle ich mich wieder zusammen. Wenn Sie sagen, dass der Digitalfunk rechtzeitig kommt, dann brauchen wir dieses Thema hier nicht weiter zu vertiefen; das werden wir dann im Ausschuss machen. Meine Damen und Herren, den nächsten Coup in Sachen Weltmeisterschaft hat Rot-Grün bei den Bereitschaftspolizeien der Länder gelandet. Im Schwerpunktepapier zum Einzelplan 06 wird zwar richtig ausgeführt - ich zitiere -: Die Bereitschaftspolizei ist nach wie vor mit ihrer spezialisierten Einsatz- und Organisationsform das tragende Element bei der Bewältigung von Großlagen … Die Aktivitäten im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland als nationales Großereignis, für das die Bundesregierung u. a. auch Sicherheitsgarantien übernommen hat, … unterstreichen die Notwendigkeit zum Einsatz modern ausgestatteter und professionell handelnder Bereitschaftspolizeien, um die innere Sicherheit gewährleisten zu können. Nun denke ich, dass sich dies im Haushalt niederschlagen müsste. Es nutzt ja nichts, das in ein Schwerpunktepapier zu schreiben. Aber weit gefehlt, im Haushalt ist um 2 Millionen Euro gekürzt worden. Damit erreichen die Zuwendungen für die Bereitschaftspolizeien der Länder den historischen Tiefststand von ganzen 13,542 Millionen Euro. Das passt nicht unbedingt zu den zweifellos notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und -paketen. Es passt vor allem dann nicht - deswegen sprach ich gerade von Prioritäten -, wenn für die Fußballweltmeisterschaft 20,65 Millionen Euro im Bereich der Sportförderung für eine Auftaktveranstaltung und für eine offizielle Eröffnungsveranstaltung einen Tag später zur Verfügung gestellt werden. Nun wird mir niemand sagen, dass ich gegen Feiern wäre. Aber wenn ich auf der einen Seite quasi zwei Eröffnungsveranstaltungen durchführe und dafür 20 Millionen Euro ausgebe und auf der anderen Seite um 2 Millionen Euro kürze, dann passt das nicht zusammen, dann sind die Prioritäten meiner Ansicht nach falsch gesetzt. ({11}) Das dritte Thema, das ich in aller Kürze in der mir zur Verfügung stehenden Zeit anspreche ({12}) - ich würde mich ja, wie Sie wissen, Herr Wiefelspütz, viel länger mit Ihnen auseinander setzen, aber es geht leider nicht -, ist der Bereich der inneren Sicherheit im 21. Jahrhundert. Ich sage das so pointiert, weil es sich um Telekommunikation und unsere Kommunikationsgesellschaft handelt. Es wird viel über E-Government und onlinefähige Dienstleistungen geredet. Für den Informationsverbund Berlin-Bonn, der vor allem in Krisenfällen eine sichere Kommunikation gewährleisten soll, weil er zum Beispiel unabhängig vom öffentlichen Telefonnetz funktioniert, wird eine Erhöhung zweifellos für unstrittig und erforderlich gehalten, wenn man ins Schwerpunktepapier schaut. Aber im Haushalt werden die Investitionen um 18,212 Millionen Euro gekürzt, was einer Mittelkürzung von fast 50 Prozent entspricht. Die tolle Begründung hierfür - man findet sie übrigens häufiger im Haushalt - zitiere ich aus dem Einzelplan, Herr Minister: „Weniger wegen Verschieben von Maßnahmen“. Das ist ganz toll. Wir werden im Ausschuss - das wissen Sie von uns - genau nachfragen, welche Maßnahmen nun verschoben worden sind und warum. Ganz sicherlich finden Sie auch eine Möglichkeit, uns eine Begründung dafür zu liefern. Mit dem Hinweis auf das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik werden eigentlich immer wieder kritische Nachfragen von allen, die sich durch Computerviren, terroristische Hackerangriffe usw. beunruhigt fühlen, beantwortet. Dieses Bundesamt bekommt eine ständig größere Bedeutung, nicht nur im Schwerpunktepapier, sondern eigentlich auch in den Köpfen der Menschen. Ich zitiere aus dem Schwerpunktepapier: Um sich den wachsenden Herausforderungen durch zukünftige Bedrohungsszenarien stellen zu können, wird für die Zukunft im Rahmen des haushalterisch Möglichen ein Personalaufwuchs im BSI angestrebt. Weiter steht dort: Der Haushaltsentwurf sieht noch keine zusätzlichen Stellen vor. Deswegen, Herr Minister, darf ich noch einmal nachfragen: Wenn bereits ein Personalfehl von 22,5 Stellen gegenüber dem durch die Personalbedarfsermittlung anerkannten Funktionsbedarf festgestellt wird, wüsste ich gern, warum beim BSI auch weiter noch eine lineare Stellenkürzung von 1,5 Prozent vorgesehen ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit anderen Worten: Ich habe nur relativ wenige Beispiele nennen können. ({0}) - Herr Wiefelspütz, Sie in einem ganz besonderen Maße haben das Vergnügen, in den Beratungen weiteren Ausführungen von mir und meiner Fraktion folgen zu dürfen. Das Vergnügen haben wir ja nicht immer mit dem Minister. ({1}) Ich wollte nur ein paar Beispiele dafür bringen, dass genau das, was jetzt im Haushalt für den Bereich des Bundesministers des Innern steht, unserer Ansicht nach in vielen, vielen Fällen eine falsche Prioritätensetzung zur Ausgangslage hatte. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/ Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Philipp, ich habe Ihren Ausführungen zum Thema Polizei sehr interessiert zugehört. Ich will Ihnen etwas aus Niedersachsen, dem Bundesland, aus dem ich komme, erzählen. ({0}) Ihr Innenminister Schünemann ist gerade dabei, die Verbesserungen, die mit Rot-Grün begonnen haben und von der SPD fortgesetzt wurden, ({1}) zum Beispiel die Einführung der zweigeteilten Laufbahn für die Polizei, rückgängig zu machen und die hohen Ausbildungsstandards wieder abzusenken. ({2}) Zu Recht sagt die Polizei in Niedersachsen: Wir wollen keine bayerischen Verhältnisse. ({3}) Angesichts dessen sollten Sie zuerst in Ihren eigenen Zuständigkeitsbereich schauen, bevor Sie auf diese Art und Weise die Innenpolitik der Bundesregierung angreifen. ({4}) Ich kann und will keine Worte der Beschreibung des Terroranschlags in Beslan finden. Ich habe einfach nur gesehen, bis heute aber nicht begriffen und realisiert, dass Menschen in der Lage sind, Kinder zu erschießen bzw. ihnen in den Kopf oder Rücken zu schießen. Mir ist erneut klar geworden, dass dieser Terrorismus Hemmschwellen überschreitet und dass wir große Schwierigkeiten haben, damit umzugehen. Es reicht mir nicht, erneut auszudrücken, wie betroffen und entsetzt wir sind. Zwar teile ich die Gefährdungsanalyse, die der Bundesinnenminister hier dargestellt hat. ({5}) Weil ich allerdings glaube, dass dieser Ansatz falsch ist, möchte ich davor warnen, dass wir in Deutschland jetzt darüber diskutieren, wie nah oder fern dieser Terrorismus unserem Land ist. ({6}) - Sie haben mit dieser Diskussion begonnen. Die Zivilbevölkerung jedes Landes ist von diesem Terrorismus betroffen und bedroht. Es ist unsere Aufgabe, auf nationaler und internationaler Ebene alle Anstrengungen zu unternehmen, um diesem Terror ein Ende zu setzen. Mich hat - auch das möchte ich zu Beginn meiner Rede sagen - die kulturelle Geschlossenheit beeindruckt, mit der in Frankreich auf die Entführung der französischen Journalisten reagiert wurde. Diese gesellschaftliche Geschlossenheit, dieses Zusammenspiel und diese Unterstützung in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wünsche ich mir auch bei uns. Es ist zu Recht gesagt worden, dass beim Einsatz der Mittel Prioritäten gesetzt werden müssen. Ich möchte jetzt nicht nur über die Prioritäten innerhalb des Einzelplans 06 reden; denn ich denke, dass sich auch international die Erkenntnis durchgesetzt hat - das geht auch aus dem 9/11-Bericht aus den USA hervor -, dass es für eine Lösung mit polizeilichen und militärischen Mitteln Grenzen gibt. Deswegen ist eine meiner Forderungen an einen rotgrünen Bundeshaushalt, genau darauf zu achten, mit welchen Mitteln der Repression und des Militärs, aber eben auch mit welchen Mitteln der Außenpolitik wir diesem Terrorismus begegnen. Für mich ist dabei ein sehr wichtiger Punkt, dass der Bundeskanzler öffentlich zugesagt hat, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bis 2006 auf mindestens 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Diese Zusage müssen wir auch konkret im Haushalt wiederfinden. ({7}) Meine Damen und Herren, wir Grüne - das kann ich hier nur anreißen - treten für ein umfassendes und nachhaltiges Sicherheitskonzept ein. Wir gehen davon aus, dass wir in Europa nur dann in einem Raum der Freiheit und Sicherheit leben können, wenn wir auch den Menschen in den Armutsregionen eine Lebensperspektive - in einigen Teilen der Welt spricht man sogar von einer Überlebensperspektive - geben. Ich glaube, dass ein solcher Gesamtansatz im Bereich der Sicherheit noch stärker herausgestellt werden muss. Der Herr Innenminister hat hier die Sommerdiskussion über die Einrichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika angesprochen. Ich möchte nur sehr kurz darauf eingehen, jedoch aus Sicht meiner Fraktion dazu zwei Dinge sagen: Ja, wir tragen Verantwortung dafür, dass Tausende Menschen auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrinken. Ich habe keine Lösung für dieses Problem, aber wir tragen hier eine europäische Verantwortung und können nicht wegschauen, wenn diese Menschen vor unseren Küsten, vor unseren Grenzen ertrinken. Wir werden hier über Konzepte reden müssen. ({8}) Auch der andere Punkt ist aus Sicht meiner Fraktion ganz klar und eindeutig: In Europa wird Flüchtlingen ein Mindestmaß an Schutz gewährt und wir sind an die Standards des internationalen Völkerrechts gebunden, was wir auch sein wollen. ({9}) Unter diesen Rahmenbedingungen sind wir offen für Information. Ich möchte in der Kürze der Redezeit auf ein paar andere Punkte des Haushaltes oder Punkte, die mit diesem Haushalt im Zusammenhang stehen, eingehen. ({10}) Wir wollen mehr Transparenz in der öffentlichen Verwaltung. Deswegen werden wir in Kürze ein Informationsfreiheitsgesetz schaffen. ({11}) - Ja, es hat sechs Jahre gedauert, dafür wird es jetzt richtig gut und darüber freue ich mich einfach. - Wir gehen davon aus, dass eine moderne öffentliche Verwaltung die Aktendeckel nicht zuklappt, sondern den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang per Mausklick ermöglicht. Der Zugang zur Information soll grundsätzlich offen sein; das ist ein ganz neuer Weg. Dabei sollen schutzwürdige Belange natürlich gewahrt bleiben. ({12}) Ich glaube, dass dieser Weg in eine offene und transparente Verwaltung auch ein Beitrag für mehr und transparentere Demokratie in unserem Lande ist. ({13}) Wir haben in den vergangenen Jahren auch den Datenschutz modernisiert und ausgebaut. Ich freue mich sehr darüber, dass der deutsche Datenschutz wieder eine Stimme in Europa hat. ({14}) Dies ist angesichts des unübersichtlich gewordenen Informationsaustauschs auf europäischer und internationaler Ebene auch von großer Bedeutung. Die Bürgerinnen und Bürger sind durchaus bereit, im Interesse von mehr Sicherheit Daten bekannt zu geben. Aber die Bürgerinnen und Bürger wollen auch wissen, was mit diesen Daten geschieht. Sie wollen sich auf eine vernünftige Datenschutzkontrolle verlassen können und sie wollen Rechtssicherheit. Ich will gar nicht verhehlen, dass ich es in diesem Zusammenhang sehr begrüßt habe, dass das CAPPS-IISystem in Amerika gescheitert ist - auch am Widerstand dortiger Bürgerrechtler und Datenschützer - und dass der geplante ausufernde Datenaustausch und Datenverbund jetzt erst einmal nicht realisiert werden kann. Im Bereich Datenschutz wollen wir das Datenschutzauditgesetz sowie die überfällige Reform des Bundesdatenschutzgesetzes auf den Weg bringen. ({15}) Meine Damen und Herren, ich möchte, da wir als Parlament diejenigen sind, die in den Ausschussberatungen noch Einfluss auf den Haushalt nehmen werden, zwei Punkte ansprechen, die mir sehr wichtig sind: Rot-Grün steht dafür, die Zivilgesellschaft zu stärken. Ich kann es daher nicht mittragen, dass in diesem Haushalt die Ansätze für Projekte gegen rechte Gewalt, die Ansätze im Bereich „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, die Ansätze im Bereich der politischen Bildung und auch die Ansätze zu Integrationsmaßnahmen, die nicht zum Zuwanderungsgesetz gehören, in hohem Maße gekürzt werden sollen. Ich kündige hier meinen Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion Verhandlungs- und Beratungsgespräche an. ({16}) Angesichts der Wahlerfolge der NPD, die für mich in erster Linie immer eine politische Herausforderung gewesen sind, wäre es kurzsichtig, die Mittel in diesem Bereich der zivilgesellschaftlichen Prävention zu streichen. ({17}) Wir stellten uns auch unserer Verantwortung für die deutsche Geschichte. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Für meine Person möchte ich sagen: Die Stiftung zur Aufarbeitung der SPD - ({18}) - Ich bitte um Entschuldigung. - Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur findet unsere Unterstützung genauso wie die Arbeit der Birthler-Behörde. Wir treten auch künftig dafür ein, dass die Behörde, wie im Gesetz vorgesehen, dezentral arbeiten kann. ({19}) Das heißt konkret: Wir wollen das Außenstellenkonzept sichern. Ich denke, ich habe die Ansätze hier sehr deutlich gemacht. In dem einen oder anderen Punkt können Sie mich ja durchaus unterstützen. Zur Stiftung für ehemalige politische Häftlinge will ich ganz deutlich sagen: Ich weiß, dass ich mir hier mit meinem Koalitionspartner noch nicht einig bin. ({20}) Ich habe hier mehrfach gesagt, dass der Zeitpunkt für eine Auflösung dieser Stiftung noch nicht gekommen ist. ({21}) Ich stehe dazu mit meinem Wort. Die Verhandlungen werden ergeben, ob ich das durchhalte. Wir haben die Gültigkeit des Gesetzes bezüglich dieser Stiftung bis 2007 verlängert. Ich verfolge den Ansatz, die Entschädigung für die Opfer des SED-Regimes in kleinen Schritten zu verbessern. Etwas anderes können wir nicht und habe ich auch nie zugesagt. ({22}) Meine Damen und Herren, ich wünsche mir muntere Beratungen im Innenausschuss. Ich denke, wir haben eine Reihe von Dingen zu diskutieren. ({23}) Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Wir, die Fraktionen, haben die Hoheit über diesen Haushalt. Ich gehe davon aus, dass der eingebrachte Haushaltsgesetzentwurf von uns gemäß unserer Prioritätensetzung weiter gestaltet wird. Ich danke Ihnen. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der aus unserer Sicht erfreulichen Zusammenarbeit beim Zuwanderungsgesetz hat die FDP-Fraktion heute erneut Anlass, dem Bundesinnenminister Anerkennung zu zollen, und zwar aus folgendem Grund: ({0}) In der nächsten Woche, am 17. September 2004, wird Otto Schily im Hotel Adlon in Berlin mit einem Preis ausgezeichnet, der seine besonderen Verdienste bei der Pflege der transatlantischen Beziehungen würdigt. Wir finden es wichtig und richtig, dass es in dieser Bundesregierung wenigstens einen Minister gibt, der die guten Beziehungen zu den USA pflegt. ({1}) Ich erwähne dies aber auch noch aus einem anderen Grund: Die Laudatio wird der amerikanische Minister für Heimatschutz, Tom Ridge, halten. Herr Minister, das gibt mir den Anlass dafür, zu erwähnen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland natürlich unsere eigenen rechtsstaatlichen Traditionen zu bewahren haben. Das ist für uns das Kernthema der Innenpolitik im Jahre 2004. ({2}) Wie gelingt es uns, angesichts der von Ihnen beschriebenen Bedrohung unserer Sicherheit alles zu tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren, zugleich aber trotzdem auch den freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes und die klassische Rechtsstaatlichkeit zu bewahren? Das ist das Kernthema. ({3}) Über die Differenzen, die wir an manchen Stellen mit den amerikanischen Freunden haben, will ich nicht zu lange reden. An dem einen Thema, dem sich mein Kollege Ernst Burgbacher sehr stark angenommen hat, nämlich der Übermittlung von Fluggastdaten, ({4}) lässt sich dieser Grundkonflikt aber sehr deutlich aufzeigen, Frau Kollegin Philipp. Es geht darum, einerseits zu akzeptieren, dass die Amerikaner bestimmte Sicherheitsbedürfnisse haben, andererseits aber auch deutlich zu machen, dass für uns bei der Übermittlung an persönlichen Daten vieles zu weit geht. ({5}) Ich erwähne dies auch noch aus einem anderen Grund. Frau Kollegin Stokar von den Grünen hat uns schon in Verwirrung gestürzt. ({6}) Daniel Cohn-Bendit hat dies im Europawahlkampf zu einem seiner Hauptthemen gemacht. ({7}) Als wir aber im Bundestag vorgeschlagen haben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union gegen die überzogene Übermittlung von Passagierdaten wenden solle, haben die Grünen gegen unseren Antrag gestimmt. Das müssen Sie einmal erklären, Frau Stokar. ({8}) Selbstverständlich haben auch wir unsere Sicherheitsinteressen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hat in letzter Zeit zu Recht auf einige Punkte hingewiesen. Es ist nicht verständlich, dass zu einer Zeit, in der alle von einer wachsenden Bedrohung sprechen, die Polizeidichte, also das Verhältnis der Polizeibeamten zur Anzahl der Bürgerinnen und Bürger, sinkt statt steigt, und zwar auch in Bundesländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen. ({9}) Damit sehen wir uns vonseiten eines erfahrenen Praktikers und Gewerkschafters in unserer Grundposition bestätigt: Die Hauptsache bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit ist ausreichend Personal, modernste Technik - Stichwort Digitalfunk - und natürlich genügende Finanzen für die Polizei und die sonstigen Sicherheitsbehörden. Dies allein ist aber nicht das Thema. Herr Minister, es ist keine Frage des Feuilletons, darüber nachzudenken, ob nicht doch manche Vorschläge der letzten Zeit mit erschreckender Leichtigkeit von Grundrechtstraditionen abweichen, die wir in Deutschland 50 Jahre lang gepflegt haben. ({10}) Ich nenne einige Beispiele: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zum großen Lauschangriff getroffen. Demnach steht die Neuregelung dieses Instruments an. Übrigens wird es interessant sein, wie die Grünen im Bundestag abstimmen werden, aber das sei nur am Rande bemerkt. ({11}) Von Ihrer Kollegin Brigitte Zypries von der Bundesregierung kommt als Erstes ein Entwurf, der einen Kernpunkt dieses Themas, nämlich die Sicherung der Berufsgeheimnisse von Anwälten, Ärzten und auch von Journalisten im Verhältnis zu ihren Informanten, in völlig unzureichender Weise regelt. Es gibt zu denken, wenn das die Reaktion der Bundesregierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist. Wir erleben auch in den Ländern, dass im polizeilichen Bereich die klassische Vorgehensweise, an eine konkret begangene Straftat Verfolgungsmaßnahmen anzuknüpfen oder bei konkret bestehenden Verdachtsmomenten einzugreifen, immer mehr in Vergessenheit gerät und man stattdessen in die so genannten Vorfeldermittlungen mit der Folge hineinrutscht, dass polizeiliches Eingreifen gar nicht mehr richtig abgrenzbar ist. Dazu gehört für mich zum Beispiel die präventive Telefonkontrolle, wie wir sie jetzt aus einigen Bundesländern kennen lernen. Es handelt sich dabei um eine Telefonkontrolle, wenn jemand noch gar keine Straftat begangen hat, sondern sie möglicherweise begehen wird. Mein Kollege Jörg van Essen bemüht sich immer, das Ausufern der Telefonüberwachung in Deutschland mit seinen Anträgen zu beschneiden. Stattdessen erfahren wir aus den Bundesländern, dass es eine gegenteilige Tendenz gibt. Ich nenne ein nächstes Beispiel, das zeigt, dass Politik - das wissen wir alle - natürlich ein Kampf um die Begriffe ist. Der Bundesinnenminister hat im Laufe der Zuwanderungsdebatte die so genannte Sicherungshaft vorgeschlagen, sie aber zu Recht gegen unseren, aber auch gegen den Widerstand anderer, nicht durchsetzen können. ({12}) - Ich will Sie gerade zitieren, lieber Herr Kollege Koschyk. Nun hat der Kollege Koschyk dafür eine neue Begrifflichkeit gefunden. Herr Koschyk spricht jetzt vom „polizeilichen Abwehrgewahrsam für Topgefährder“. ({13}) Das ist sehr geschickt formuliert, Herr Kollege Koschyk; denn jeder möchte sich gegen Topgefährder schützen. Dass die Polizei hier Abwehrmaßnahmen ergreifen soll, ist vermutlich ebenso unstreitig. Gewahrsam hört sich auch ein wenig schonender an als Sicherungshaft. Aber in beiden Fällen wird vorgeschlagen, Personen für längere Zeit, für ein, zwei Jahre, zu inhaftieren. ({14}) - Das ist in Ihren eigenen Vorschlägen enthalten. Es geht darum, Personen, denen man nichts nachweisen konnte, was zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hätte, für längere Zeit zu inhaftieren. Auch in Zeiten der von uns ernst genommenen Bedrohung muss man doch darüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist. Wir glauben, dass er das nicht ist. ({15}) Meine Damen und Herren, es kommt noch schlimmer. Mit den Beispielen, die ich Ihnen nenne, will ich versuchen, Nachdenklichkeit zu erzeugen. Es ist eigentlich egal, ob sie von der einen oder der anderen Seite kommen. Das nächste Beispiel stammt aus einem Antrag der CDU/CSU, der hier im Bundestag gestellt worden ist. Darin insinuieren Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland sich notfalls aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschieden soll. Es geht um Ihren Antrag auf der Drucksache 15/1239 mit dem Ziel, Abschiebungen zu erleichtern. Wir wissen alle, dass es manchmal durchaus schwer fällt, Abschiebungsschutz zu gewähren, weil Todesstrafe oder Folter drohen. Aber es gehört zu einem Rechtsstaat, sich zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu bekennen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Koschyk. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich habe noch Redezeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Auf die Zeit achte ich. Das ist nicht Ihre Aufgabe. Keine Sorge. ({0})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stadler, sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag, aus dem Sie gerade zitiert haben, das Ziel verfolgt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich mit anderen Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammensetzt und darüber diskutiert, wie man mit dem Phänomen umgehen muss, dass Topgefährder, die eine Gefährdung der Sicherheit nicht nur für unser Land, sondern auch für andere Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten, zwar rechtskräftig ausgewiesen, aber nicht abgeschoben werden können? Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch eine Persönlichkeit wie Professor Heilbronner in mehreren Zeitungsinterviews und Fachaufsätzen dies als Problem geschildert hat und dass wir es begrüßen, Herr Kollege Stadler, dass mehrere Kollegen mit Herrn Minister Schily auf einer informellen Tagung in Bayern, zu der Herr Minister Schily mehrere Innenministerkollegen aus der Europäischen Union eingeladen hat, eine Arbeitsgruppe eingerichtet haben, in der darüber beraten wird, wie man mit diesem Problem umgeht? Und sind Sie denn nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies eine Herausforderung ist und dass wir nicht die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrem Kerninhalt infrage gestellt wissen wollen, dass aber das Problem, wie wir mit dieser Frage umgehen, gelöst werden muss?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Koschyk, würde ich jetzt mit Ja antworten, wäre es problematisch, denn Sie haben einmal gefragt, ob ich bereit wäre, und einmal, ob ich nicht bereit wäre, ({0}) sodass ich etwas länger ausholen muss. Dass dieses Problem, das Sie sehr treffend beschrieben haben, besteht, steht außer Zweifel. Gerade deswegen haben wir in den interfraktionellen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz nach einer Lösung für das Problem gesucht - Sie sagten es -, dass jemand rechtskräftig ausgewiesen ist, wir ihn aber nach unseren rechtsstaatlichen und humanitären Maßstäben nicht abschieben können, weil ihm dann Folter oder Todesstrafe drohen. Zunächst muss man klar sagen, ob es bei diesem Grundprinzip bleiben soll. ({1}) Wir als FDP sagen ja und ich begrüße es sehr, wenn Sie hier klarstellen, dass dies auch Ihre Meinung ist. Ihren Antrag lese ich allerdings anders. ({2}) - Ich zitiere ihn. Ich bin jetzt dabei, Ihnen zu antworten und Sie müssen die Antwort bitte mir überlassen. Ich komme Ihrem Wunsch sowieso nach und zitiere aus Ihrem Antrag. Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Abschiebungsvoraussetzungen müssten den aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Abschiebungsvoraussetzung ist bisher, dass im Heimatland weder Todesstrafe noch Folter drohen. Was soll denn da wie angepasst werden? Da gibt es jetzt wirklich nur ein Ja oder Nein. Entweder bleibt es bei dieser Voraussetzung oder nicht. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Koschyk, Sie haben eine sehr ausführliche Frage gestellt, die in viele Unterfragen unterteilt war. Jetzt müssen Sie dem Kollegen Stadler die Möglichkeit geben, in Ruhe zu antworten, und dürfen ihn nicht unterbrechen. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist eine komplizierte Frage. In den Kompromissverhandlungen zum Zuwanderungsgesetz haben wir versucht, eine Lösung zu finden, nämlich dass solche Personen Meldeauflagen bekommen, Residenzpflichten überwacht werden und - das hat es meines Wissens im deutschen Polizeirecht noch nie gegeben - dass ihnen die Benutzung von Kommunikationsmitteln verboten werden darf. Mit anderen Worten: Es gibt ein ganz dichtes Kontrollnetz. Jetzt sollten wir erst einmal das, was in diesem Kompromiss vereinbart worden ist, in der Praxis probieren. Ich habe nur meine Sorge zum Ausdruck gebracht, die sich aus folgendem Satz Ihres Antrags speist: Die Bundesregierung muss darum prüfen, wie … die Schutzpflichten, die sich aus … der Europäischen Menschenrechtskonvention ({0}) ergeben, in Übereinstimmung mit den Sicherheitserfordernissen Deutschlands gebracht werden können. Diese Prüfung ist richtig, aber ich habe die große Sorge - das ergibt sich aus dem Gesamtduktus Ihres Antrags -, dass Sie der Meinung sind, wir könnten uns von Grundsätzen verabschieden, die wir bisher gemeinsam getragen haben. ({1}) Wenn Sie das heute damit korrigiert haben, ist es mir umso rechter. ({2}) Ich komme zum Schluss. Ich möchte für die FDPFraktion feststellen, dass die FDP die Frage, die ich eingangs gestellt habe, nämlich ob es möglich ist, in Zeiten einer terroristischen Bedrohung den Freiheitsgehalt des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren und trotzdem zugleich die Sicherheit optimal zu gewährleisten, eindeutig mit Ja beantwortet. ({3}) Es ist nicht nur möglich, sondern es ist sogar unsere Pflicht, die wir als Gesetzgeber erfüllen müssen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hartmann von der SPD-Fraktion. ({0})

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Innenpolitik! Nach diesem ernsten und bedeutenden Schlagabtausch zwischen Union und FDP erlauben Sie mir bitte, zu Beginn zu sagen, dass ich mich ausdrücklich freue, Sie alle so frisch und erholt wiederzusehen. Ich freue mich darauf, dass jetzt die zweite Halbzeit dieser Legislaturperiode in der Innenpolitik angepfiffen wird und bin gespannt, wie das Spiel laufen wird. ({0}) Da haben Sie es nicht ganz einfach. Das war eben deutlich zu spüren und zu hören. Unsere Mannschaft ist gut aufgestellt. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Ich freue mich auf die Diskussion in den kommenden zwei Jahren, ({1}) denn in Wirklichkeit gehen wir zumindest im Ausschuss, wenn weniger Fernsehen und andere Öffentlichkeit anwesend sind, sehr manierlich miteinander um. ({2}) Sie haben es nicht leicht, habe ich gesagt. Ich wiederhole das gerne, geschätzte Frau Kollegin Philipp. Ich habe Ihnen sehr gerne und aufmerksam zugehört. Es war schon zu spüren, dass Sie vor der Frage stehen, was man eigentlich macht, wenn man eine Politik, die richtig und in Ordnung ist, vorgelebt bekommt und diese medial erfährt, trotzdem aber noch Opposition sein will. In dieser Situation befinden wir uns. ({3}) Wir haben einen Innenminister, der eines der schwierigsten Politikfelder in Deutschland und weltweit mit Erfolg bearbeitet und hohe Anerkennung in der Bevölkerung genießt. Das macht es für Sie schwer und ist für uns gut. Dafür sind wir dankbar. ({4}) Sie müssen schon auf solche Nebenkriegsschauplätze und Dauerkriegsschauplätze wie den Digitalfunk ausweichen, um überhaupt noch einen Anknüpfungspunkt zu finden. Ein Blick ins Grundgesetz - wir haben auch eine Föderalismuskommission, die kompetent über alle diese Fragen diskutiert - genügt jedoch, um klar zu machen: Der Bund ist bereit, seine Verpflichtung zu erfüllen. Jetzt sind die Länder dran. Das sind überwiegend unionsregierte Länder. Gehen Sie also hinaus und überzeugen Sie Ihre Leute davon, dass der Digitalfunk finanziert wird. ({5}) Wir stehen nicht nur unter dem Eindruck der schrecklichen Kindermorde, die der Bundesinnenminister am Schluss seiner Rede erwähnt hat. Wir schreiben heute den 7. September. Sehr nahe an dem heutigen Datum, am 11. September vor drei Jahren, mussten wir erleben, wie durch die Anschläge auf das World Trade Center albtraumhafte Vorstellungen Realität wurden. Wir wurden aus unserer vermeintlichen Sicherheit wachgerüttelt. Seit dieser Zeit wissen wir sehr genau, dass auch beim internationalen und islamistischen Terrorismus auf brutale Weise die Globalisierung Einzug gehalten hat. Wir stehen vor einer epochalen Herausforderung, die sowohl bei der internationalen Zusammenarbeit als auch bei der Sicherheitsstruktur in Deutschland eine neue Ausrichtung verlangt. Sie verlangt Wehrhaftigkeit unter Demokraten. Wir müssen die wehrhafte Demokratie engagiert und klar nach außen präsentieren und wir müssen auch nach innen neue Überlegungen anstellen, was die Behörden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht. Ziel muss es sein, Anschläge zu verhindern. Ich glaube, an dieser Stelle trennt uns nichts, meine Damen und Herren von der Opposition. Ziel muss es auch sein, frühzeitig aufzuklären. Deutschland ist - das hat der Innenminister mit Recht festgestellt - ein sicheres Land, wiewohl nach wie vor eine abstrakte Gefährdung besteht. Die Anschläge in Madrid haben gezeigt, dass wir innerhalb Europas ebenfalls der Gefahr ausgesetzt sind. ({6}) - Geschätzte Frau Kollegin Philipp, ich bin beim Haushalt, wenn ich über die Gefährdungen durch den Terrorismus rede. Wo denn sonst? ({7}) Wir haben in diesem Haushalt die Ausgaben in diesem Jahr um 51 Millionen Euro erhöht. Die innere Sicherheit stellt einen Schwerpunkt dar. Der Haushalt umfasst rund 4 Milliarden Euro, von denen 70 Prozent für die innere Sicherheit eingestellt sind. Der überwiegende Teil davon ist für Personalausgaben vorgesehen; denn für die innere Sicherheit werden Profis benötigt, ob beim Michael Hartmann ({8}) BGS, bei den Polizeien der Länder, dem THW, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BKA oder anderen Dienststellen. Es ist richtig, dass wir, während einzelne Länder deutliche Kürzungen beim Personal der Polizei vornehmen, die Personalausgaben für den Bundesgrenzschutz erhöhen. Dort ist im Haushalt, den wir derzeit beraten, eine Erhöhung des Personalbestands auf 31 600 vorgesehen. Das bedeutet 44 Millionen Euro mehr, die zum Teil für Neueinstellungen, aber auch für Beförderungen vorgesehen sind. Eine solche Sicherheitspolitik ist zukunftsweisend, weil sie in die Menschen investiert, die für uns den Buckel hinhalten, meine Damen und Herren. ({9}) Auch das Bundeskriminalamt wird in seiner Funktion als Zentralstelle eine Verstärkung erfahren und ebenfalls mehr Geld für Personal erhalten. Indes zeigt ein Blick in den Haushalt des Innenministers, dass im Ministerium selbst in den letzten Jahren Einsparungen beim Personal vorgenommen wurden. Es wird quasi beim Häuptling gespart, während die Indianer an der Front mit mehr Geld für mehr Personal und Beförderungen ausgestattet werden. ({10}) Wenn wir den genialen Vorschlägen von Ministerpräsident Stoiber folgen würden - Sie haben nach mir das Wort, Frau Mantel, und werden vielleicht den Knoten auflösen -, ({11}) dann würde jetzt eine 5-prozentige Kürzung greifen. Das würde bedeuten, dass wir auch im Innenhaushalt Kürzungen vornehmen müssten. An welchen Stellen wäre das denn möglich? Beim Personal oder bei der technischen Ausstattung der Polizei? Oder sollen wir es wie das rühmliche Bundesland Hessen machen und bei der Polizei insgesamt 1 000 Stellen einsparen? Das ist nicht unser Weg. Ich bin gespannt, wie Sie das, was Ihnen Ihr Ministerpräsident gerade zu dieser Debatte eingebrockt hat, auflösen werden. Lassen Sie mich noch eine weitere Anmerkung machen, die nicht unbedingt mit dem Haushalt in Verbindung steht. Ich habe bereits die Föderalismuskommission erwähnt und möchte noch einmal darauf zu sprechen kommen. Ich glaube, dass sich die Reformfähigkeit Deutschlands im Wesentlichen auch dadurch beweisen wird, dass wir hinsichtlich der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern eine Neuregelung hinbekommen. ({12}) Es geht nicht nur um die großen sozialen Sicherungssysteme, die wir neu organisieren müssen, sondern auch um diesen Bereich. Es geht um wichtige Fragestellungen, auch was die innere Sicherheit anbelangt. Deshalb hoffe ich, dass wir mit dem Engagement der Bundesjustizministerin, des Bundesinnenministers und der Kolleginnen und Kollegen aus unserer Fraktion erreichen werden, dass nicht jeder über die Reform des Föderalismus redet, aber dann, wenn es darum geht, tatsächlich etwas zu ändern, sozusagen seinen Wurstzipfel bis aufs Messer verteidigt. Damit meine ich ganz konkret, dass wir das BKA auch gesetzlich stärken müssen; denn es braucht unbedingt eine Ermittlungsbefugnis im Vorfeld. ({13}) Da die Gefahrenabwehr derzeit Ländersache ist, kann beispielsweise das BKA gegen einen ermittelten Gefährder nicht weiter vorgehen und muss die Länder bitten, die weitere Verfolgung der Spuren zu übernehmen. Dort sind die Ressourcen ebenfalls begrenzt und ist der Wille nicht immer so stark ausgeprägt. Der Aufwand der Abstimmung ist außerdem sehr hoch. Deshalb ist da und dort schon auf eine dringend gebotene Observation verzichtet worden. Das ist ein Beispiel - ich könnte noch andere nennen -, das deutlich macht, dass es großen Reformbedarf gibt. Wir müssen, wie gesagt, das BKA stärken. Unsere Fraktion ist dazu bereit. ({14}) Wenn wir in den nächsten Wochen über den Einzelplan 06 diskutieren, sollte dies trotz aller notwendigen Kontroversen so verlaufen, dass wir unserer Gesamtverantwortung gerecht werden. Ich bin mir sicher, dass der Wille dazu auf Ihrer Seite genauso ausgeprägt ist wie auf unserer Seite; denn letztendlich geht es bei der Sicherung der inneren Sicherheit auch um die Stiftung und die Gewährung des innergesellschaftlichen Friedens. Sosehr wir uns über einzelne Punkte streiten mögen, so sehr sollten wir gemeinsam dafür sorgen, innergesellschaftlichen Frieden zu stiften und zu bewahren. Danke sehr. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Mantel von der CDU/CSU. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben wie Herr Hartmann wieder einmal Bayern angesprochen. Das freut mich natürlich besonders. Abgesehen von der Neiddebatte, die ständig von all denjenigen geführt wird, die nicht in Bayern leben, geben Sie, Herr Minister, mir sicherlich Recht, wenn ich sage, dass wir beide - ich schließe Sie einfach mit ein - im sichersten Bundesland Deutschlands wohnen. Das ist natürlich ein großes Verdienst von Günther Beckstein, den Sie an dieser Stelle schon gelobt haben. Die Haushaltsdebatte dient auch immer der Bestandsaufnahme, wie es um ein Ressort bestellt ist. In der Gesamtwürdigung ergibt sich leider das Fazit, dass die innere Sicherheit für Rot-Grün keine Priorität hat. In allen denkbaren Bereichen wird verhindert und blockiert. Die Ideologen in den rot-grünen Reihen ({0}) - der erste hat schon wieder laut geschrien, Herr Edathy ({1}) - danke, Herr Wiefelspütz; ich werde meine Aussage an dieser Stelle noch belegen - nehmen dabei auch die Beschädigung des Bundesinnenministers in Kauf. Dieses Bild zeigt leider auch der Haushalt. Lob für den Etat ist fehl am Platz; denn nicht nur die Höhe des Etats ist entscheidend, sondern auch, wie der Etat eingesetzt wird. ({2}) Dabei ist festzuhalten, dass die Etatmittel in Ausgaben für Umzüge und Standortverlegungen mit allen Folgekosten sicherlich nicht gut angelegt sind. Konkrete Zahlen beispielsweise über die Kosten des Umzugs des BND wurden zwar trotz mehrmaliger Aufforderung unsererseits nie genannt. Aber die geschätzten Kosten für Neubau und Umzug liegen bei circa 1 Milliarde Euro. ({3}) Der Umzug des BND und auch die vom Bundesinnenminister noch vor einiger Zeit geplante Verlagerung des BKA zeigen eines ganz deutlich: Es soll eine Zentralisierung um jeden Preis geben. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. 1 Milliarde Euro allein für den BND-Umzug! Dieser Betrag verteilt sich zwar über mehrere Jahre. Aber in der absoluten Höhe ist dies ein Viertel des gesamten Haushalts des Bundesinnenministeriums. Fairerweise muss man zugeben, dass es bei dieser Debatte nicht nur Verlierer gab, Herr Minister. Zumindest die Möbelpacker in Deutschland waren für Ihre Vorschläge sehr dankbar. ({4}) - Ihre Zwischenrufe sind das Allerniveauloseste. Deswegen machen wir jetzt ernsthaft weiter. ({5}) - So kennen wir unsere Kollegen von der SPD. Der Drang der Bundesregierung zur Zentralisierung wird auch in kleinen Dingen sichtbar und kostet ebenfalls Geld, das dann nicht mehr für wichtigere Aufgaben zur Verfügung steht. Ein Beispiel ist die eigene Eröffnungsfeier für die Fußball-WM 2006 in Berlin, obwohl das Eröffnungsspiel bekanntlich in München stattfinden wird. Aber auf diesen Skandal wird mein Kollege Norbert Barthle später noch näher eingehen. Im Großen und im Kleinen fließt viel Geld für unnötige Zentralisierung und an anderer Stelle fehlt dann dem Bund das Geld, auch bei der Vorbereitung der FußballWM 2006. ({6}) Auch wenn es schon mehrmals angesprochen wurde, möchte ich noch einmal betonen, dass es bei der WM 2006 in Deutschland kein flächendeckendes Digitalfunksystem geben wird. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile auch bei der Bundesregierung durchgesetzt. Wir von der Opposition teilen die Einschätzung des Bundesinnenministers, dass es sich beim Digitalfunk um eine, so Herr Minister wörtlich, „sicherheitspolitische Notwendigkeit“ handelt. Doch wenn es eine Notwendigkeit ist, dann muss man dafür auch die notwendigen Mittel bereitstellen. ({7}) Nicht zu begrüßen ist die Tatsache, dass die Optionen für die Sicherheit bei der Fußball-WM 2006 schon jetzt eingeengt werden. Den Einsatz von NATO-Überwachungsflugzeugen hält der Bundesinnenminister für relativ ausgeschlossen. Da die Bedrohungsszenarien heute aber nicht bekannt sind, müssen wir uns alle Optionen offen halten. Das betrifft auch den Einsatz der Bundeswehr bei der WM 2006, beispielsweise zum Objektschutz.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mantel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich mag ihn persönlich zwar wahnsinnig gern; aber ich würde meine Rede gern am Stück halten. ({0}) Herr Minister Schily, ich biete Ihnen aber gerne ein Vieraugengespräch an. ({1}) Ich will jetzt nicht nur über die falsche Prioritätensetzung im Haushalt sprechen, weil viele Fehler und Versäumnisse der Bundesregierung mit der Finanzierung nichts zu tun haben. Der Wille, die innere Sicherheit zu verbessern, wird vielfach nicht vom mangelnden Etat gebremst, sondern, wie bereits erwähnt, Herr Edathy, von den Ideologen in der eigenen Koalition. In der SPD-Fraktion ist es nicht zum Besten bestellt, was die Sicherheitspolitik betrifft. ({2}) - Herr Edathy, Ihnen würde ich so etwas nie anbieten. ({3}) Ich muss es ganz einfach einmal sagen: Da spricht der reine Neid aus Ihnen. Ein Beispiel ist die Sicherungshaft für Terrorverdächtige. Bundesinnenminister Schily schlug sie im Rahmen der Gesetze zum Zuwanderungsgesetz vor. ({4}) - Wir sind jetzt bei einem ernsten Thema, meine Herren. Wenn Sie es noch nicht gemerkt haben, dann möchte ich Sie darauf hinweisen. - Die Sicherungshaft sollte letztes Mittel sein, wenn eine Abschiebung bei terrorverdächtigen Personen nicht möglich ist. Die Union hat diesen Vorschlag unterstützt, Herr Minister. Doch Schily scheiterte, wie so oft, an Rot-Grün. Die Aussage von Franz Müntefering dazu hört sich schon eher nach einer Drohung als nach einer Unterstützung der Fraktion an. Er hat nämlich wörtlich gesagt: Ich verlasse mich ganz auf Otto Schily. Er ist ein Mann, der die nötige Sensibilität hat. ({5}) Ein weiteres Beispiel: die Verschärfung des Versammlungsrechts. Im Juni 2004 wurde bekannt, dass es im Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf gibt. Verboten werden sollten solche Demonstrationen, die an Mahngedenkstätten stattfinden und im inhaltlichen Widerspruch zu den Gedenkstätten stehen. Verboten werden sollten auch die Verherrlichung und die Verharmlosung von Terrorakten und terroristischen Organisationen als Inhalt von Demonstrationen. Die Union hätte diese Regelungen unterstützt; ({6}) doch es war wiederum so, dass die rot-grüne Koalition nicht mitgespielt hat. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mantel, Herr Kollege Hartmann möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen. Es könnte sein, dass auch er einen Vieraugentermin haben möchte. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hartmann, gleiches Recht für alle bei der Nichtzulassung von Zwischenfragen, aber nicht das Recht auf ein weiteres Gespräch mit mir. Da es nicht so ausschaut, als ob Sie irgendwann einmal in den nächsten Jahren Bundesinnenminister werden, wird Ihnen ein solches Gespräch auch nicht zuteil werden. ({0}) - Jetzt seien Sie einmal wieder ruhig! Wenn ich den Kollegen Wiefelspütz zitiere, wird es offensichtlich: Ich weiß nicht, woher der Innenminister seine Mehrheit im Bundestag nehmen will. Von der SPD bekommt er die nicht. Das hat der Kollege Wiefelspütz am 23. Juni 2004 gegenüber der „taz“ gesagt. Der Kollege Volker Beck hat das Ganze in derselben Ausgabe als „ziemlich abwegig“ bezeichnet. Da zeigt sich wieder, dass die innere Sicherheit für Rot-Grün anscheinend nicht wichtig ist. ({1}) Ein weiteres sehr wichtiges Beispiel: der Schleuserskandal und die Ausstellung von Visa. Obwohl das Bundeskriminalamt Bedenken gegen einzelne Antragsteller erhoben hat, wurden die Visa erteilt. Der Zusammenhang zwischen Zuwanderung und innerer Sicherheit wurde von Rot-Grün schon seit jeher mit Hartnäckigkeit negiert. ({2}) Das ist eine gefährliche Fehleinschätzung; denn gerade bei der Erteilung von Visa besteht die Gefahr, sich Gefahrenpotenziale ins Land zu holen. Diese laxe Handhabung der Erteilung von Visa zeigt: Hier besteht noch immer dringender Handlungsbedarf. Der Bundesinnenminister muss dem Auswärtigen Amt deutlicher entgegentreten, um den Erfordernissen der inneren Sicherheit und auch seinem Amt gerecht zu werden. ({3}) Herr Minister, eine scharfe Rüge mag zwar aufrütteln, aber für die Sicherheit ist damit noch nichts gewonnen. Vor allem ist der Bundesaußenminister in dieser Angelegenheit selbst gefragt und nicht bloß eine Antwort auf Staatssekretärsebene. Nur ein Beispiel, das im Juli hohe Wellen geschlagen hat: Ein Algerier, der im Schengener Informationssystem und auch in den öffentlich zugänglichen EU-Listen mit einem Hinweis auf Terrorverdacht erfasst ist, erhielt ein Visum. Der Fall dieses mutmaßlichen Islamisten ist nur die Krönung einer Reihe von Fehlern im Auswärtigen Amt. Der Volmer-Erlass gilt trotz aller Fortschreibungen weiterhin. Es gilt noch immer: „im Zweifel für die Reisefreiheit“, obwohl offenkundig ist, dass Deutschland damit die Einreise für terroristische Gefahrenpotenziale erleichtert. Der Bundesinnenminister darf es nicht dulden, wenn das Außenministerium vorsätzlich gegen die geltende Rechtslage und gegen alle Gefährdungshinweise handelt. Gerade heute hat die „Welt“ wieder darüber berichtet, dass es eine explosionsartige Zunahme der Zahl von Strafanzeigen wegen der Erschleichung von Visa gab und gegen fünf Bedienstete des Auswärtigen Amts Ermittlungsverfahren anhängig sind. ({4}) Der Bundeskanzler muss in dieser immer noch ungelösten Frage eingreifen und diesen Skandal beenden. Tut er das nicht, zeigt er, dass auch für ihn die innere Sicherheit keine Priorität besitzt. ({5}) Um eines möchten wir den Kanzler bitten. Er soll das nicht zur Chefsache machen, weil das eine Garantie dafür wäre, dass es nicht funktioniert. ({6}) Es ist also kein Wunder, dass bei der inneren Sicherheit in der Koalition niemand auf den Bundesinnenminister hört. Wie wir wissen, gibt es fast keine Diskussion, in der sich nicht ein anderes Kabinettsmitglied oder ein Mitglied der Koalition für kompetenter hält als der zuständige Minister. Das mussten wir den ganzen Sommer ja auch in der Wirtschafts- und Steuerpolitik miterleben. Folgendes Fazit lässt sich ziehen: Egal ob der Bundesinnenminister bei seinen Forderungen Unterstützung von der Union erhält oder nicht - die Unterstützung in den eigenen Reihen fehlt. Genau das ist das Kernproblem der Innenpolitik in Deutschland. Eines muss man deutlich sagen: Herr Schily macht in vielen Bereichen gute Ankündigungen, in manchen Bereichen sehr gute Ankündigungen, doch allein davon verbessert sich die innere Sicherheit noch nicht. Man muss diese Ankündigungen auch durchsetzen. Aber die Forderungen von ihm verhallen leider bereits an der Pforte des eigenen Ministeriums. Sie verhallen in Ihrem Geschrei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition; Ihnen ist sicherheitspolitisches Denken völlig fremd. Das Zuwanderungsgesetz ist allein dem Verhandlungswillen von CDU und CSU zu verdanken. ({7}) Seit den Anti-Terror-Paketen im Jahr 2001 hat der Bundesinnenminister keine nennenswerten sicherheitsrelevanten Vorschläge mehr durchsetzen können. Über ein drittes Anti-Terror-Paket redet in der Regierungskoalition niemand mehr. Auch wenn es jetzt für Sie traurig ist, meine Damen und Herren von Rot-Grün: Herr Schily mag noch so viele gute Ideen haben, bei denen wir ihn unterstützen würden - Sie tun es leider nicht. Der Volksmund sagt: Außer Spesen nix gewesen. Wir sagen hinsichtlich vieler Bereiche: Außer Ankündigungen nix gewesen. Das tut uns weh. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Sebastian Edathy von der SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer, immer! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen die Rede von Frau Mantel gehört haben. Ein besseres Argument dafür, dass Fragen der inneren Sicherheit und der Innenpolitik allgemein bei der Koalition in besseren Händen sind als bei der größten Oppositionsfraktion, hätten wir selber gar nicht präsentieren können. Danke schön dafür! ({0}) Es ist das zutage getreten, was man schon erwarten konnte, als der Bundesinnenminister zu Beginn dieser Debatte sagte, es sei verwunderlich, dass einerseits der heimliche Führer der Opposition von CDU und CSU, Herr Stoiber, pauschale Kürzungen von 5 Prozent einfordert und Sie wohl andererseits bei Ihren Ausführungen zum Einzelplan 06 - das haben Sie ja gemacht - eher höhere Ausgaben fordern würden gegenüber denen, die wir angesetzt haben. ({1}) Wir hätten in diesem Einzelplan 200 Millionen Euro weniger zur Verfügung, wenn wir der Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten nach einer pauschalen Kürzung um 5 Prozent nachkommen würden. ({2}) Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister ist auch Sportminister: Wenn widersprüchliches Verhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, olympische Disziplin in Athen gewesen wäre, hätten Sie eine zusätzliche Goldmedaille für Deutschland errungen. ({3}) Der Haushaltsentwurf spiegelt die Wahrnehmung politischer Verantwortung wider. Das gilt mit Blick auf die innere Sicherheit - der Kollege Hartmann hat das ausgeführt - ebenso wie mit Blick auf gesellschafts- und integrationspolitische Fragen. ({4}) Mit der deutlichen Aufstockung der Mittel für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterstreichen wir beispielsweise, dass wir die Aufgaben der Gestaltung von Zuwanderung und der Heranführung von Migrantinnen und Migranten an unsere Gesellschaftsordnung sehr ernst nehmen. Lange Zeit war eher die geballte Faust als die ausgestreckte Hand das Sinnbild deutscher Migrationspolitik. Dieser Haushalt unterstreicht schwarz auf weiß mit mehr Mitteln für Integrationsmaßnahmen, dass wir diese konservative Tradition aufgegeben haben und konstruktive rot-grüne Politik im Interesse dieses Landes machen. ({5}) Ein weiterer Meilenstein in Bezug auf die Integration von Minderheiten in Deutschland wird die Verabschiedung des zur Beratung anstehenden Antidiskriminierungsgesetzes sein. Das liegt zwar federführend nicht im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers. Ich denke aber, dass wir uns als Innenpolitiker im Deutschen Bundestag daran intensiv und konstruktiv beteiligen sollten. Wir wollen, dass Schluss damit gemacht wird, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe der Weg in die Diskothek verbaut wird. Wir wollen, dass Schluss damit gemacht wird, dass Menschen wegen eines ausländischen Nachnamens der Abschluss eines Versicherungsvertrages erschwert wird. Auch das wird wie das Zuwanderungsgesetz ein Baustein für ein weltoffenes und tolerantes Deutschland sein, das vom Respekt vor dem einzelnen Bürger und der einzelnen Bürgerin geprägt ist. ({6}) Dass sich diese Koalition der Verantwortung für die Verteidigung unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung stellt, in der Vielfalt nicht als Problem oder Risiko, sondern als Bereicherung und Chance angesehen wird, ist dem Haushaltsentwurf zu entnehmen. Das geht, um ein Beispiel zu nennen, aus den Mitteln hervor, die im Rahmen des vor einem Jahr ratifizierten Staatsvertrages dem Zentralrat der Juden für die Unterstützung der Entwicklung der jüdischen Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Ich glaube, dass wir hier sicherlich einvernehmlich feststellen und uns darüber freuen können ({7}) - Herr Koschyk, dazu wollte ich gerade etwas sagen -, dass eine Einigung zwischen dem Zentralrat der Juden und den nicht dem Zentralrat angehörenden jüdischen Gemeinden in Deutschland erzielt wurde. ({8}) Verantwortliches Handeln in dem Sinne, wie ich es aufgezeigt habe, wird auch deutlich bei der Fortsetzung der Finanzierung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz. Aus Mitteln des Bundeshaushaltes, nicht nur aus denen des Bundesinnenministeriums, wurden in den Jahren 2001 bis 2004 über 80 Millionen Euro für die Prävention bzw. Bekämpfung von Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt. Lassen Sie mich deutlich sagen: Wir dürfen hierbei nicht nachlassen. Im Gegenteil, wir brauchen eine Verstetigung unseres Engagements; denn es geht bei dieser Frage um nichts weniger als um die demokratische Kultur in Deutschland, es geht um nichts weniger als um den Kern der Demokratie in Deutschland. ({9}) Auch deshalb ist es falsch und unverantwortlich, wenn im Nachgang zu den Wahlen im Saarland die Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion die deutsche Sozialdemokratie mitverantwortlich macht für das erschreckend starke Abschneiden der NPD im Saarland. ({10}) Ich weise das für meine Fraktion nicht zuletzt angesichts der Geschichte meiner Partei, aber auch, weil diese Behauptung völlig abwegig ist, auf das Schärfste zurück. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, statt solchen Unsinn in die Welt zu setzen, hoffe ich, dass Sie in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen auf etwas verzichten, was Sie in den letzten beiden Jahren leider gemacht haben, nämlich zu beantragen, die Mittel für die Rechtsextremismusbekämpfung zu streichen. ({12}) In Anlehnung an das, was Frau Kollegin Mantel hier gesagt hat: Frau Kollegin Mantel, ich bin sehr dafür, dass wir ohne Emotionen in aller Sachlichkeit darüber diskutieren, ob das Demonstrationsrecht in Deutschland ausreichend ausgestaltet ist. Aber mindestens so wichtig, wie diese Debatte zu führen, ist doch, im Bereich der Vorbeugung solcher Entwicklungen tätig zu werden und diese nicht sträflich zu vernachlässigen. Dafür steht diese Koalition auch mit ihrem Haushaltsentwurf. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Edathy, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Edathy, ich höre Ihre Worte wohl, was die Frage angeht, einem wichtigen Problem, das in diesem Staate nicht wieder auftreten darf, vorzubeugen und den Rechtsradikalismus an der Wurzel zu packen. Wie beurteilen Sie aber vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass die entsprechenden Titel in den verschiedensten Einzelplänen des Bundeshaushaltes von Ihrer Regierung und mit Unterstützung der Koalition seit Jahren zurückgeführt werden?

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Mittel für die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die wir im Bundeshaushalt haben, sind im Wesentlichen im Einzelplan der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verankert. Wenn Sie sich die Entwicklung in den letzten Jahren dort anschauen, werden Sie feststellen, dass wir, 2001 auf einem hohen Niveau beginnend, eine stetige Förderung betrieben haben. Ich gebe Ihnen aber Recht - das betrifft mit Blick auf den Einzelplan 06 auch den Etatansatz für den Bereich der politischen Bildung -, dass wir die Zeit, die wir als Parlament und als diejenigen haben, die über diesen Haushalt in der Endfassung zu beschließen haben werden, dazu nutzen sollten, uns sehr genau mit der Frage zu beschäftigen, ob wir es uns in der heutigen Zeit leisten können, weniger politische Bildung zu betreiben. Ich glaube, wir brauchen eher mehr politische Bildung, Herr Kollege. ({0}) Ich hoffe, dass wir da konstruktiv zusammenarbeiten können. Ich darf in dem Zusammenhang, weil ich, wie auch andere Kollegen, aus Niedersachsen komme, darauf hinweisen, dass die dortige CDU-geführte Landesregierung, nämlich die Regierung Wulff, als erste Landesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland überhaupt auf den Gedanken gekommen ist, eine Landeszentrale für politische Bildung zu schließen; das soll zum Jahresende geschehen. ({1}) Ich glaube, bei allen unterschiedlichen Positionen, die es zwischen den Fraktionen und den Parteien gibt, ({2}) sollten wir gemeinsam gemäß der Überzeugung handeln, dass wir in diesem Bereich in unserem Engagement nicht nachlassen dürfen, Herr Kollege Grindel. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Edathy, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Edathy, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass die jetzige niedersächsische Landesregierung bis ins Jahr 2007 gezwungen sein wird, nicht verfassungsgemäße Haushalte vorzulegen, weil sie bei Amtsantritt einen Haushalt übernommen hat, der so voll von Schulden war, dass es kaum noch Spielraum für Sparmaßnahmen gibt, und würden Sie mir die Frage beantworten, ob Sie der Auffassung sind, lieber die Mittel für Frauenhäuser, Aidsaufklärung oder andere Dinge zu streichen, als diese zugegebenermaßen schwierige Entscheidung zu treffen, zu der es aber keine Alternative gibt? ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Grindel, ich glaube, dass es immer politische Alternativen gibt, wenn man sie denn wollte. ({0}) Wir sind ja hier nicht im niedersächsischen Landtag. Ich wollte nur an einem Beispiel deutlich machen, dass wir gemeinsam darauf achten sollten, keiner Entwicklung Vorschub zu leisten, die in die falsche Richtung geht. Wir sprechen hier auch nicht über den Landeshaushalt von Niedersachsen; aber ich finde es, um ein Beispiel zu nennen - wenn Sie schon auf Niedersachsen Bezug nehmen -, sehr bezeichnend, dass im letzten Jahr der Regierung Gabriel 700 000 Euro für 180 Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen zur Verfügung standen - ({1}) - Darf ich im Zusammenhang ausführen, Herr Kollege, und können Sie vielleicht stehen bleiben, denn sonst geht das von meiner Redezeit ab, obwohl ich gerade Ihre Frage beantworte. - Dann halten Sie bitte noch einen Moment die Uhr an, Herr Präsident, damit ich die Beantwortung der Frage des Kollegen Grindel abschließen kann. Wenn für knapp 200 Initiativen, die in Niedersachsen vor Ort demokratische Kultur stärken und entwickeln geholfen haben, im letzten Jahr der SPD-geführten Landesregierung 700 000 Euro zur Verfügung standen, jetzt aber nur noch 40 000 Euro zur Verfügung stehen sollen, dann ist das eine Prioritätensetzung der neuen Landesregierung, die den Bereich der Demokratiestärkung und der politischen Bildung auf das Sträflichste vernachlässigt. ({2}) Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur Heimkehrerstiftung und zum Bund der Vertriebenen sagen. Sie werden bei einem Blick in den Haushaltsentwurf feststellen, dass trotz aller Sparnotwendigkeiten eine Fortschreibung der Ansätze aus dem Jahre 2004 erfolgt. Zusätzlich werden die Heimkehrerstiftung ebenso wie die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge noch einen Zuschuss aus dem laufenden Haushalt bekommen. Das hält die SPD-Fraktion für richtig. Ich sage aber zugleich, dass der deutsche Steuerzahler erwarten können muss, dass sich sowohl der Bund der Vertriebenen wie auch der Verband der Heimkehrer von revanchistischen und geschichtsrevisionistischen Positionen klar distanzieren. ({3}) Ich erlaube mir, aus einem gestern erschienenen Interview mit dem polnischen Außenminister zu zitieren. Er sagte: Die Tätigkeiten des Bundes der Vertriebenen und der Preußischen Treuhand verursachen einen riesigen Schaden in den deutsch-polnischen Beziehungen. Er sagte weiter mit Blick auf Äußerungen aus der Union zu der Rede von Bundeskanzler Schröder anlässlich des Jahrestags des Aufstandes im Warschauer Getto: Es wäre in politischer und menschlicher Hinsicht wesentlich besser und klüger, wenn die Erklärung des Kanzlers auch von der Opposition in Deutschland, der CDU und CSU, unterstützt worden wäre. ({4}) Beim Umgang mit der deutschen Geschichte darf man nicht relativieren und verzerren. Wenn man sich verschiedene Initiativen der Union im Innenausschuss anschaut - die beispielsweise auf ein einheitliches Gedenkstättenkonzept für Einrichtungen aus der NS- und SED-Diktatur sowie die Gleichsetzung der von Deutschen und Ausländern geleisteten Zwangsarbeit abzielen -, dann muss man Zweifel haben, ob dieser Konsens nach wie vor besteht. ({5}) Ich sage abschließend: Es ist gut, dass in diesem Land SPD und Grüne für die Regierung und damit für die Innenpolitik Verantwortung tragen. Dass wir unter federführender Zuständigkeit des Innenministers dieser Verantwortung gerecht werden, zeigt sich nicht zuletzt im Entwurf des Einzelplans 06 für das Jahr 2005. Danke sehr. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Barthle. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Edathy, Ihre Ausführungen kommentiere ich lieber nicht; das erspare ich Ihnen und auch mir. ({0}) Das gilt übrigens für das meiste, was ich von Ihnen zu lesen und zu hören bekomme. ({1}) Ich möchte Herrn Minister Schily ansprechen. Herr Schily, ich würdige es ausdrücklich, dass Sie sich heute zum Sport geäußert haben. Mein Appell hat gewirkt. Wenn meine jetzige Rede genauso wirkt, dann bin ich sehr zufrieden. Sie sind ein Sportminister, der sich bei vielen großen Sportveranstaltungen sehen lässt. Das ist in Ordnung. Ich vermute, Sie werden morgen Abend beim Fussballländerspiel ebenfalls präsent sein. Ob das nun zu der Wertung „bester Sportminister aller Zeiten“ führen muss, will ich unkommentiert lassen. Ich vermute einmal, dass der Präsident des betreffenden Sportverbandes, den auch ich sehr gut kenne und der ein cleverer Mann ist, diesen Titel schon Ihrem Vorgänger und Ihrem Vorvorgänger verliehen hat. Er sei Ihnen insofern gegönnt. Ich möchte an dieser Stelle meiner Fraktion und meiner Kollegin Susi Jaffke dafür Dank sagen, dass wir die Gelegenheit bekommen haben, zum Sport und zur Sportpolitik dieser Bundesregierung zu sprechen; denn die vergangenen großen Sportereignisse - die Fußball-EM in Portugal, die Tour de France und die Olympischen Spiele in Athen - geben uns allen Anlass dazu. Ich will Ihre Bewertung zwar nicht in Zweifel ziehen, Herr Minister Schily. Aber ich muss schon sagen, dass die Menschen draußen im Lande sehr wohl den Eindruck haben, dass es mit der Situation unseres Spitzensports nicht zum Allerbesten bestellt ist. Es gibt Licht und Schatten. Ich meine aber, dass der Schatten dominiert. Die Menschen nehmen wahr, dass es eine kontinuierliche Abwärtsbewegung gibt und dass wir immer mehr Gefahr laufen, von der Weltspitze abgehängt zu werden. Das deckt sich eigenartigerweise mit dem Erscheinungsbild dieser Regierung. Nun zum Sporthaushalt. Auf dem Papier sieht die betreffende Titelgruppe eigentlich gut aus: Die Mittel für die Sportförderung steigen von 119 Millionen auf 128 Millionen Euro. Aber die wichtigen Kennzahlen - nämlich die Mittel für zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports, die Projektförderung für das FES und das IAT, die Mittel zur Erhaltung von Sportstätten und für die Ausstattung des BISp - bewegen sich etwa auf der gleichen Höhe wie im Vorjahr. Da wir nun alle wissen, dass Stagnation angesichts steigender Kosten für Personal und Mobilität Rückschritt bedeutet, kann man diese Entwicklung nicht unbedingt loben. Ich möchte ein weiteres Kapitel, den „Goldenen Plan Ost“, ansprechen. Getreu der alljährlich wiederkehrenden Zeremonie in dem Film „Dinner for one“ erscheint mir die Aussage „The same procedure as every year, Herr Minister“ gerechtfertigt. Zuerst wird dieser Haushaltstitel auf null gestellt, dann gibt es aus allen Ecken, und zwar sowohl von der Opposition als auch von der Regierungskoalition, Protest ({2}) und zuletzt entscheidet der Bundeskanzler aus seiner höheren Weisheit heraus, dass nun doch wieder Mittel eingestellt werden sollen; so jedenfalls war es in der „Berliner Zeitung“ zu lesen. Ich halte dieses Vorgehen für ziemlich unzumutbar; denn Investitionen in die Sportinfrastruktur bedürfen der Stetigkeit und der Verlässlichkeit. ({3}) Dieses von der Lust und Laune des Regierungschefs abhängende Hin und Her ist unwürdig. ({4}) Kommen wir jetzt zum eigentlichen Schatten, der über Ihrem Sportetat hängt. Das ist die Tatsache, dass trotz der Schieflage des Haushaltes zunächst einmal ein Aufwuchs festzustellen ist, ein Aufwuchs allerdings, der ausschließlich mit den enormen Ausgaben für die Fußballweltmeisterschaft zusammenhängt. Der Ansatz für das kulturelle Begleitprogramm ist in diesem Jahr mit 10 Millionen Euro ausgestattet. Insgesamt sollen 30 Millionen Euro in dieses Programm fließen. Wir Haushälter haben einstimmig beschlossen, dass im ersten Jahr um 1 Million Euro gekürzt wird. Dennoch beträgt diese Summe wieder 30 Millionen Euro. Herr Schily, das entspricht nicht dem Willen des Parlaments. ({5}) Schon deshalb, aber nicht nur deshalb, sondern auch aus Gerechtigkeitsgründen empfehle ich Ihnen, wenn Sie Kürzungsvorschläge suchen, an diesem Programm anzusetzen. Denn zu Recht sagen Vertreter anderer Sportarten: Warum bekommt eigentlich nur der Fußball Mittel und nicht wir? Schon im kommenden Jahr findet in Deutschland die Skiweltmeisterschaft und im Jahr 2007 findet in Deutschland die Handballweltmeisterschaft statt. Dafür gibt es kein Geld. Deshalb ist diese Frage gerechtfertigt. Vollkommen aus dem Ruder läuft aber ein anderer Titel. Das sind die geplanten 22 Millionen Euro für die gesonderte Eröffnungsveranstaltung in Berlin am Vorabend der eigentlichen WM-Eröffnung in München. ({6}) 22 Millionen Euro für ein von André Heller konzipiertes Spektakel sozusagen am Vorabend der Bundestagswahl; sagen wir es doch einmal deutlich. ({7}) 22 Millionen Euro für eine Fete der Bundesregierung auf Kosten der Steuerzahler - und das bei diesen Haushaltszahlen. 22 Millionen Euro, das ist mehr, als wir für das gesamte Leistungssportpersonal in allen Sportarten in diesem Lande ausgeben. 22 Millionen Euro, das ist fast so viel, wie wir für alle Olympiastützpunkte und Bundesleistungszentren zusammen ausgeben. 22 Millionen Euro, das ist doppelt so viel, wie wir für zentrale Trainingsmaßnahmen und Lehrgänge in allen Sportarten ausgeben. 22 Millionen Euro, Herr Schily, das ist fast zehnmal so viel, wie wir für die Förderung unserer behinderten Sportler ausgeben. ({8}) 22 Millionen Euro, das ist einfach zu viel. Wenn ich mir nicht nur diese Summe, sondern auch anschaue, wofür diese Mittel ausgegeben werden sollen, dann entstehen bei mir wirklich Fragen; denn besonders „erhellernd“ - wenn ich mir diesen Kalauer erlauben darf - war ein Interview, dass Herr Heller im „Spiegel“ vom 30. August dieses Jahres gegeben hat. Meine Frage an die Bundesregierung, wie es um die Details dieser Eröffnungsveranstaltung steht, blieb unbeantwortet. Meine Antworten finde ich im „Spiegel“. O-Ton Heller - ich zitiere mit der Erlaubnis der Präsidentin -: Er treibt uns alle stets an, das Kühnste zu wagen. Wenn ich den Korb gelegentlich ein bisserl tiefer hängen will, kommt der Herr Minister und sagt: Warum ein Kompromiss? Herr Heller spricht von Ihnen, Herr Schily. Da klingt ein Hang zum Gigantismus durch, den man Ihnen so eigentlich nicht zutraut. „Das Kühnste wagen“, eine schöne Formulierung. Warum nicht in der Haushalts- und Finanzpolitik? Das, denke ich, wäre angemessen. Bei der Fußball-WM-Eröffnungsfeier ist mir das etwas zu viel Gigantismus. Dann soll diese Veranstaltung unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ stattfinden. Herr Heller beabsichtigt, eine Veranstaltung mit internationalen Künstlern und Tausenden ausländischen Akteuren durchzuführen. Diese sollen aus Afrika, Asien und Südamerika, also von überallher, kommen. ({9}) Stimmt da das Motto noch? Müsste es nicht heißen: „Die Welt zu Gast bei Fremden“ oder „Deutschland zu Gast bei Gästen“? ({10}) Das, denke ich, wäre angemessener. Meine Damen und Herren, jede andere Nation auf dieser Welt nutzt die Gelegenheit, sich selbst, seine Menschen, seine Kultur, seine Identität und seine Künstler darzustellen. Diese rot-grüne Regierung meint, mit einem Multikulti-Spektakel könnten wir uns der Welt besser präsentieren. Das halte ich für nicht angemessen; da kann ich nur den Kopf schütteln. ({11}) Bei allem Respekt: Ein selbstbewusstes Verhältnis zur eigenen Nation, zur eigenen Nationalität gestehe ich dem Minister zu, das hat er. Deshalb wundert mich diese Konzeption so sehr. Es soll übrigens noch etwas Weiteres geschehen: Ausgerechnet der Künstler Hans Haacke, dessen Werk wir tagtäglich hier im Reichstag bewundern dürfen, ({12}) wurde damit beauftragt - ich zitiere noch einmal aus dem Interview -, einen „unmissverständlichen Kommentar“ zur „historischen Hypothek von Hitlers Olympischen Spielen 1936“ im Berliner Olympiastadion zu erarbeiten. Wenn ich den Kommentar meiner Besuchergruppen höre - den sollten auch Sie einmal hören -, ({13}) dann sehe ich im Nachhinein diejenigen bestätigt, die damals gegen dieses Kunstwerk gestimmt haben. Dass sich Herr Heller als Sporthasser outet und bekennt, dass er vom Fußball wenig hält, will ich hier nur am Rande erwähnen, das ist nicht so wichtig. Ich finde es aber schon interessant, dass er sagt, am Fußball interessierten ihn eher die Verlierer. Vielleicht erklärt das ja das besondere Interesse der Bundesregierung an Herrn Heller - und umgekehrt. ({14}) Noch etwas: Im selben Interview antwortet Herr Heller auf die Frage, ob denn nicht die Gefahr bestehe, dass die Eröffnungsveranstaltung von der Regierung als Öffentlichkeitsarbeit missbraucht werde, klar und deutlich, dass das aus professionellen Gründen gar nicht anders gehe. In der Mathematik sagt man: Quod erat demonstrandum. ({15}) Ich glaube, die rot-grünen Haushaltspolitiker haben es mit der Mathematik nicht so sehr, deshalb übersetze ich diesen Ausspruch auch: Was zu beweisen war. Ich fordere Sie auf, Herr Schily: Greifen Sie ein in dieses falsche Konzept! Verabschieden Sie sich von dieser Politshow mit fragwürdigen Inhalten! Wenn schon eine gesonderte Eröffnungsveranstaltung stattfinden soll, dann allenfalls am Ort des Eröffnungsspiels und zu erheblich niedrigeren Kosten. Das wäre unser Anliegen. ({16}) - Dass von Ihrer Seite Schwachsinn kommt, das wussten wir schon. Ich will das gar nicht aufgreifen. ({17}) Abschließend ein Appell an Sie, Herr Minister, der nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich gehört. Wenn ich richtig lese, heißt es in einem Beitrag von Bärbel Krauß in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 1. September, dass im Bereich der Bundeswehr ein erheblicher Stellenabbau von 12 Prozent für die Sportlerstellen geplant ist. 95 der 744 Sportlerstellen sollen angeblich gestrichen werden. Von 25 Sportförderkompanien blieben dann nur noch 15 übrig. Herr Minister, sollte dies stimmen, dann bricht uns eine der wichtigsten Stützen des Spitzensports weg. Ich appelliere an Sie: Reden Sie mit Ihrem Kabinettskollegen Herrn Struck und verhindern Sie, dass das Wirklichkeit wird! Denn ich befürchte, dass wir ansonsten im Spitzensport bald ganz weg sind vom Fenster. Vielleicht ist das aber auch die Parallele zu der rot-grünen Bundesregierung, die ich anfangs angesprochen habe. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Kollegin Petra Pau hat gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu dürfen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. ({0}) Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Das Wort hat zunächst Frau Justizministerin Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht nur Zeit für den Haushalt, sondern auch für die Halbzeitbilanz der 15. Legislaturperiode dieses Bundestages. Ich denke, diese Halbzeit kann sich, was den Bereich des Justizministeriums angeht, durchaus sehen lassen. ({0}) Wir haben - das wissen Sie - unsere Arbeit im BMJ, weil sie so vielfältig ist, in drei Bereiche aufgegliedert. Den ersten Bereich haben wir genannt: Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten und die Verbesserung der Opferrechte. Der zweite Bereich ist der große Bereich des Wirtschaftsrechtes und der Sicherung des Standortes Deutschland und der Verbraucherrechte. Den dritten Komplex könnte man mit „Modernisierung des Rechtsstaats in unserer Gesellschaft insgesamt“ charakterisieren. Im Hinblick auf den ersten Bereich möchte ich Sie daran erinnern, dass wir hier das Opferrechtsreformgesetz verabschiedet haben, das am 1. September dieses Jahres in Kraft getreten ist. Es ist ein echter Fortschritt beim Opferschutz. Wir alle können gemeinsam stolz darauf sein, dass dies diesem Hause gelungen ist. ({1}) Mit dem Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechts haben wir ganz konkret den Schutz der Opfer von sexuellem Missbrauch verbessert. Durch die Anhebung der Strafrahmen und die Einführung neuer Tatbestände in diesem Bereich ebenso wie beim Handel mit kinderpornographischem Material im Internet ist der Schutz jetzt noch besser und lückenloser geworden. Sie wissen, dass seit dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. April letzten Jahres jede Sexualstraftat ausreichend ist - natürlich beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen -, damit eine DNA-Analyse und -Speicherung angeordnet werden kann. Das ist ein erheblicher Fortschritt bei der Verfolgung gerade dieser Taten. Wir haben uns auch - dafür möchte ich allen Beteiligten danken - sehr schnell auf eine Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung geeinigt. Dazu waren wir durch das Bundesverfassungsgericht aufgefordert. Ich meine, wir haben ein Gesetz geschaffen, mit dem wir angemessen auf Straftäter reagieren können, deren Gefährlichkeit sich erst im Verlauf der Haft zeigt. Bei diesem Gesetz haben wir aber auch die rechtsstaatlichen Standards zugunsten dieser Täter in einer Weise abgesichert, wie es, so meine ich, nicht besser geht. Es bedarf zweier Gutachter mit entsprechender Prognose und das Gericht hat in einer Hauptverhandlung darüber zu entscheiden. Im Bereich der Terrorismusbekämpfung sind der EUHaftbefehl und der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung umgesetzt worden. Damit haben wir das Instrumentarium insoweit ergänzt. Ein Ziel unserer Rechtspolitik ist es auch, den Rahmen für Innovationen und für die Weiterentwicklung der Innovationen in Deutschland zu schaffen. Dabei ist der Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter natürlich ganz besonders wichtig. Deswegen haben wir bereits in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode das Urheberrecht der digitalen Welt angepasst. Wir haben, was auch in den Bereich der Entwicklung des Wirtschaftsrechts und zur Standortentwicklung in Deutschland gehört, das Zehnpunkteprogramm für mehr Anlegerschutz und Unternehmensintegrität aufgelegt. Ich bin zuversichtlich hinsichtlich der Einführung von mehr Transparenz. Ein wesentlicher Punkt dabei betrifft das Einkommen von Managern und die Offenlegung ihrer individuellen Bezüge, über die wir gerade diskutieren und die wir fordern. ({2}) Schließlich ist es uns auch mit dem Ersten Justizmodernisierungsgesetz gelungen, das aus dem Getriebe der Justiz zu entfernen, was man gemeinhin als Sand bezeichnet, und stattdessen etwas Öl hineinzugießen. Viele kleine und große Hemmnisse sind beseitigt worden. Das gängigste Beispiel ist die Verlängerung der zehntägigen Unterbrechungsmöglichkeit im Strafprozess. Nach der Verabschiedung des Gesetzes haben uns übrigens viele Anfragen von Strafrichtern erreicht, die das Gesetz so schnell wie möglich im Bundesgesetzblatt sehen wollten und darauf warteten. Dieser Wunsch konnte Ende letzten Monats erfüllt werden. Seitdem ist das Gesetz in Kraft. ({3}) Ein weiteres Gesetz, das die Arbeit der ersten zwei Jahre kennzeichnet und bei dem mein Dank für die Mitarbeit nicht nur an die Regierungsfraktionen geht, sondern auch an die Opposition und hier namentlich an die Herren Röttgen und Funke, befasst sich mit der Einführung eines neuen Kostenrechts bei der Anwaltschaft und bei den Gerichten. Wir haben es in gemeinsamer Aktivität geschafft, eine angemessene Gebührenerhöhung für Rechtsanwälte einzuführen. Wir haben damit neue Strukturen geschaffen, die es ermöglichen, weg von den Gerichten und hin zu vorgerichtlicher Einigung zu kommen. Deshalb hoffen wir sehr, dass das Gesetz zu einer strukturellen Entlastung der Gerichte beitragen wird. Natürlich werden wir uns nicht auf diesen Lorbeeren - Sie sehen, es war schon ein erhebliches Programm, das wir durchgesetzt haben - ausruhen. ({4}) - Herr Röttgen, jetzt schmälern Sie Ihre eigenen Verdienste, die ich gerade gelobt habe, nicht. ({5}) Wir haben auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode noch eine Menge vor. Ich möchte dazu jetzt nur einige Stichpunkte nennen, die wieder in die anfangs genannten drei Rubriken einzuteilen sind. Zunächst geht es um die Änderung der Wohnraumüberwachung, ein Thema, das uns in dieser Form vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben wurde. Wir brauchen bis Mitte nächsten Jahres eine klare und rechtsstaatliche Antwort auf seine Entscheidung. Das lässt uns nicht allzu viel Zeit für ein nicht einfaches Thema. Aber die Diskussion hat begonnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem breiten Konsens kommen können. In diesem Bereich werden wir das Begonnene also vollenden. Das gilt auch für das Wirtschaftsrecht. Hier werden wir die Reform des Bilanzrechts vorantreiben, ({6}) die Haftung von Vorständen für falsche Kapitalmarktinformationen verschärfen und die Durchsetzung von Klagen geschädigter Anleger erleichtern, ein Ziel, das gerade durch die Skandale der Vergangenheit besonders dringlich geworden ist. Zum Bereich des Wirtschaftsrechts gehört auch die Reform des Versicherungsvertragsrechts, die wir anpacken werden. Hierzu liegen Empfehlungen einer Expertenkommission vor. Im Ministerium wird derzeit der entsprechende Gesetzentwurf erarbeitet. Ganz oben auf die Tagesordnung gehört - hier bitte ich das ganze Haus um Mithilfe - die Umsetzung der Biopatentrichtlinie; ({7}) denn Deutschland ist schon in der Verfristung. Hier appelliere ich an alle Fraktionen; denn das ist, wenn ich das einmal ganz offen sagen darf, kein Problem der Regierungsfraktionen. Vielmehr ist es so, dass die Konflikte bei diesen Themen quer durch alle Fraktionen gehen. Daher muss auch niemand mit dem Finger auf den anderen zeigen. ({8}) Deswegen wäre ich sehr froh, wenn nach der Anhörung, die für Ende dieses Monats geplant ist, zügig eine Entscheidung getroffen werden könnte. Denn es macht gar keinen Sinn, dass wir uns wegen Nichtumsetzung der Richtlinie auf Schadenersatz verurteilen lassen, um sie dann doch umzusetzen. ({9}) Meine Damen und Herren, alle Fraktionen werden sich noch um die Reform des Betreuungsrechts zu kümmern haben, ein Vorhaben, das uns vor allen Dingen die Länder angetragen haben und das sie besonders berührt, weil sie die Kosten zu tragen haben. Auch hier müssen wir bald und zügig zu einem Ergebnis kommen. Ich werde Ihnen ferner eine Reform des Unterhaltsrechts und des Versorgungsausgleichs vorlegen, mit der wir auch in diesen Bereichen Ungerechtigkeiten, die sich eingeschlichen haben, bereinigen wollen. Wir werden den Vorschlag machen, ein „großes Familiengericht“ einzuführen. Außerdem werden wir das Lebenspartnerschafts-Ergänzungsgesetz noch vorlegen. Ein weiteres Thema ist die Stärkung der Patientenautonomie. Sie wissen, dass eine Debatte darüber begonnen wurde, wie weit Patientenverfügungen reichen sollen. Auch in dieser Diskussion verlaufen die unterschiedlichen Meinungen quer durch alle Fraktionen. Diese Debatte werden wir im zweiten Halbjahr dieses Jahres mit größerer Intensität zu führen haben. Ich bin froh, dass die Enquete-Kommission dazu einen Vorschlag gemacht hat. Auch unser Haus hat hierzu eine hochrangig zusammengesetzte Arbeitsgruppe eingesetzt. Somit haben wir genug Material, um über dieses Thema belastbar zu diskutieren. Das Rechtsberatungsgesetz habe ich, wie Sie heute in den Zeitungen lesen können, gestern der Presse vorgestellt. Dieser Gesetzentwurf wird ebenso wie der Diskussionsentwurf zur Strafprozessordnung, der im Beratungsverfahren steht, auf dem kommenden Juristentag in Bonn debattiert werden. Ich bin froh, dass über diese beiden großen Gesetzgebungsvorhaben, insbesondere über die Änderung der Strafprozessordnung, mit vielen Fachleuten sachgerecht diskutiert werden kann. ({10}) Ein anderer Punkt, an dem wir noch in diesem Jahr hart werden arbeiten müssen, ist die Reform des föderalen Systems. Sie wissen: Alle verfolgen das Ziel, Deutschland europatauglicher zu machen; alle verfolgen das Ziel einer Entflechtung der Zuständigkeiten von Bundestag und Bundesrat. Wir meinen, dass wir dieses Ziel auch weiter verfolgen sollten. Wir sollten es auch mit aller Macht durchsetzen. Deswegen sollten wir nicht allzu sehr auf die Ideen der Länder eingehen und andere Verflechtungen schaffen, indem wir das Zustimmungserfordernis in Art. 84 des Grundgesetzes durch ein Zustimmungserfordernis in Art. 104 ersetzen und die Zuweisung von echten Kompetenztiteln durch Zugriffsrechte ergänzen, die teilweise, wie die Länder fordern, unmittelbar in die Verfassung geschrieben und teilweise einfachgesetzlich geregelt werden sollen. Das ist nur eine neue Form von Vermischung im Recht, die es dem Rechtsanwender nachgerade unmöglich macht, das Recht, das in seinem Bundesland gerade gilt, zu finden. So etwas können wir, glaube ich, nicht unterstützen. Eines ist ganz sicher: Die Bevölkerung in diesem Lande will das alles nicht. ({11}) Die Bevölkerung in diesem Lande möchte klare und einheitliche Regeln und es kann nicht sein - diese Gefahr besteht nach der letzten Entscheidung aus Karlsruhe -, dass es künftig einfacher ist, als Professor von Berlin nach Madrid zu wechseln als von Berlin nach Saarlouis. Das, meine Damen und Herren, müssen wir, meine ich, zu vermeiden suchen. ({12}) - Da gibt es keine Universität? Aber in Saarbrücken gibt es eine. Ich wäre dankbar, wenn sich alle Beteiligten dieses Hauses darauf verständigen könnten, dass die Interessen des Bundestages insoweit gegenüber den Ländern gewahrt werden müssen. Diese Frontenstellung, wenn ich das einmal so nennen darf, erscheint mir manchmal nicht richtig gewährleistet und es wäre schön, wir könnten da stärker zueinander finden. ({13}) Lassen Sie mich noch ein Wort zur zeitnahen Justizgewährung sagen. Das ist ein wichtiges Thema und gleichzeitig auch ein wichtiger Standortfaktor. Es macht keinen Sinn, Gesetze zu machen, die gut und richtig sind, die dann aber nicht umgesetzt werden können. Deshalb braucht die Justiz die erforderlichen Ressourcen, um in der Kürze der Zeit möglichst richtige Urteile zu fällen. Dazu gehört nicht nur, dass die Themen, die wir jetzt behandeln, in kürzerer Zeit abgearbeitet werden, sondern dazu gehört auch, dass für die neuen Aufgaben, die wir im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses übernehmen - ich weise hier nur auf die neuen AufBundesministerin Brigitte Zypries gaben im Zusammenhang mit der Brüssel-IIa-Verordnung im Kindschafts- und Familienrecht hin -, die erforderlichen finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Entwurf für den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz im Jahr 2005, der Ihnen jetzt vorliegt, ist ein Beleg dafür, meine ich wenigstens, dass wir beides sinnvoll miteinander verbunden haben. Wir haben auf der einen Seite 7 Millionen Euro eingespart und damit zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes beigetragen, andererseits haben wir es geschafft, die erforderliche Personal- und Sachmittelausstattung zu gewährleisten. Aufgrund einer sparsamen, umsichtigen und effizienten Mittelverwendung der Justiz - wofür ich insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken habe, die darauf ja am meisten achten - war es möglich, die Gesamtausgaben gegenüber dem Vorjahr abzusenken. Mit Ausgaben von weniger als 339 Millionen Euro beträgt der Anteil des Justizhaushaltes an den Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes jetzt nicht mehr wie beim letzten Mal 0,14 Prozent, sondern nur noch 0,13 Prozent. Das Wort vom kleinen, aber feinen Justizhaushalt bewahrheitet sich also einmal mehr. Es ist sehr erfreulich, dass sich dieser Haushalt nahezu selbst finanziert: Den Ausgaben, die ich eben genannt habe, stehen Einnahmen von über 322 Millionen Euro gegenüber. Das ist eine Deckungsquote von 95 Prozent. Diese erreichen wir vor allen Dingen durch das Deutsche Patent- und Markenamt. Ich wäre dankbar, wenn der Kollege Götzer, der nach mir für die CDU/ CSU reden wird, darstellen könnte, wie der Einsparvorschlag des Ministerpräsidenten Stoiber in Höhe von 5 Prozent im Haushalt des BMJ umgesetzt werden soll. Das macht exakt 17 Millio-nen Euro, die wir bei der Struktur des Haushaltes wirklich nur beim Deutschen Patent- und Markenamt einsparen könnten, einem Amt, das wir jetzt endlich, in unserer Regierungszeit - begonnen durch meine Vorgängerin, weitergeführt von mir -, durch mehr Personal und vor allen Dingen die Einführung von sehr guter EDV in die Lage versetzt haben, zeitnah und schnell zu entscheiden. Dass die Patente wichtig sind für den Standort Deutschland, ist, glaube ich, unstreitig. ({14}) Ich denke, dass wir mit diesem Haushalt auch im Jahre 2005 unsere Aufgaben bewältigen können; ich denke aber auch, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass den Einsparbemühungen im Justizhaushalt, wenn man den Grundsatz der effizienten Justizgewährung beachten will, irgendwann Grenzen gesetzt sind. Über die sollten wir dann auch einmal gemeinsam reden. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt erteile ich dem schon genannten Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer das Wort.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Justizministerin hat diese Haushaltsdebatte zu einer kleinen Zwischenbilanz genutzt. Das liegt in der Mitte der Legislaturperiode ja nahe. Auch ich will das tun. Es wird Sie nicht überraschen, dass sie ein bisschen anders ausfallen wird. ({0}) - Keine Sorge. Ich werde die Wahrheit sagen. Sie ist nicht immer angenehm, aber das ist fair. Vor einem Jahr hatten wir noch Probleme, überhaupt Ansatzpunkte für eine Beurteilung zu finden. Es war mangels Gesetzentwürfen und Initiativen aus den Reihen der Regierungskoalition wirklich schwierig, selbst nur Kritikpunkte zu finden. Das hat sich inzwischen quantitativ ein bisschen gebessert, inhaltlich allerdings kaum. Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zu unserem Arbeitsbereich: Uns allen ist klar, dass die Rechtspolitik in der Öffentlichkeit nach wie vor kein großes Interesse findet. Dass wir im Rahmen der Haushaltsdebatte heute wieder zeitlich als Letzte an der Reihe sind, spricht wie so oft Bände. Wir wissen aber gleichwohl, dass die Rechtspolitik sowohl in der Breite als auch in der Tiefe wie kaum ein anderes Themenfeld bewusstseinsprägend und auch ordnungsstiftend wirkt, wenn es sie denn gibt. Soweit sie überhaupt stattfindet, fehlt ihr bei dieser Regierung jedenfalls jegliche Konzeption. Wir erleben eine Abfolge von Gesetzesinitiativen aus unterschiedlichen Bereichen, die keine durchgehende Linie oder eine über den Tag hinausweisende Zielrichtung in der Rechtspolitik erkennen lassen. ({1}) Das, was vorgelegt wird, ist entweder lustlos fabriziert, mit heißer Nadel genäht oder im Ankündigungsstadium stecken geblieben. ({2}) Auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses muss man Initiativen der Regierungskoalition immer noch mühsam suchen. Meist geht es um die Kenntnisnahme irgendwelcher Berichte, mitberatende Voten oder, immer häufiger, um europäische Richtlinien und Rahmenbeschlüsse sowie deren Umsetzung oder auch Nichtumsetzung. ({3}) Als konservativer Oppositionspolitiker ist es mir natürlich lieber, dass weniger passiert, bevor Rot-Grün die Rechtspolitik als ideologische Spielwiese zur Gesellschaftsveränderung nutzt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Rechtspolitik so wenig Vorweisbares auch nicht verdient hat. ({4}) Sie sollte aus dem Schattendasein in dieser Bundesregierung heraustreten, ({5}) was allerdings schwierig ist, weil die ganze Bundesregierung ja nicht gerade von der Sonne verwöhnt ist. Ich will aber auch nicht mit Lob sparen. Gelegentlich war es möglich, Sie dazu zu bringen, mit uns zusammen gemeinsame Gesetze zu formulieren und zu verabschieden. ({6}) Immerhin gehen die meisten der beschlossenen Gesetze auf Initiativen der CDU/CSU oder des Bundesrats zurück. ({7}) So viel zum Lob. Frau Ministerin, Sie haben die nachträgliche Sicherungsverwahrung erwähnt. Ich muss nicht noch einmal auf die Einzelheiten dieses Themas eingehen, das uns lange genug beschäftigt hat: jahrelange Verweigerungshaltung, Untätigkeit; dann waren Sie durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezwungen, tätig zu werden; anschließend ein Schnellschuss mit großen Lücken und Fehlern, dem wir nur aufgrund der Zwangssituation, die ansonsten entstanden wäre, zugestimmt haben. Wie sich das im Sommerinterview der Frau Justizministerin mit der „NJW“-Redaktion liest, möchte ich hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren: In nur fünf Monaten haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat die Vorgaben des BVerfG zu diesem lang umstrittenen Problem umgesetzt. ({8}) So kann man es auch darstellen. ({9}) - Ja, leicht verkürzt. Es ist nicht unklar, aber leicht verkürzt. Ein weiteres eher trauriges Kapitel ist das Thema Graffiti. Auch das möchte ich hier weiß Gott nicht mehr inhaltlich erwähnen, weil es uns lang genug beschäftigt hat. ({10}) Die Verhinderer sind bekannt. Sie sitzen hier mitten unter uns. Sie haben ihren Platz in der Mitte dieses Hauses, wo sie ideologisch überhaupt nicht hingehören. ({11}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben Sie doch wenigstens den Mut, unseren Gesetzentwurf abzulehnen! ({12}) Sie lassen ihn liegen und behandeln ihn nicht. Das ist ein ganz schlechter parlamentarischer Stil. ({13}) Wir sollten das zum Anlass nehmen, endlich eine Änderung der Geschäftsordnung zu verlangen, damit so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist. Nichtbehandlung durch liegenlassen ist kein guter parlamentarischer Stil. ({14}) Auch bei der Reform des Sanktionensystems zeigt sich die grundsätzlich problematische Einstellung von Rot-Grün gerade zum Strafrecht. Künftig sollen kurze Haftstrafen in gemeinnützige Arbeit umgewandelt werden. ({15}) Wir sehen ganz klar: Kurze Haftstrafen werden von den Gerichten nur dann ohne Bewährung ausgesprochen, wenn diese aus guten Gründen für den Täter nicht bzw. nicht mehr infrage kommen. Für diesen Täterkreis ist gemeinnützige Arbeit keine angemessene Sanktion, zumal in diesem Entwurf vorgesehen ist, dass die Umsetzung der Haftstrafe in Arbeit nicht eins zu eins erfolgt. Eine solche Verharmlosung der Strafandrohung zerstört jede präventive Wirkung des Strafrechts. ({16}) Andererseits schießt die Bundesregierung bei anderer Gelegenheit weit über das Ziel hinaus, so etwa bei dem kürzlich durch die Medien geisternden Referentenentwurf zur Erweiterung der heimlichen Gesprächsüberwachung. Mit diesem Entwurf, der offensichtlich zwischen BMI und BMJ abgestimmt war, sollte das Abhören von Ärzten, Journalisten, Rechtsanwälten und sogar Pfarrern im Beichtstuhl in großem Umfang zugelassen werden. ({17}) Damit wir uns recht verstehen: Wir sind dafür, das Strafmaß für bestimmte Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität so zu erhöhen, ({18}) dass das Abhören auch nach dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts weiter möglich ist. Wir sind bei jeder Verbesserung der Verbrechensbekämpfung an Ihrer Seite, nicht aber, wenn rechtsstaatliche Grundsätze über Bord geworfen werden. ({19}) Wir sind ja froh, wenn einmal von Ihrer Seite Überlegungen zur schärferen Bekämpfung von Terror und organisierter Kriminalität angestellt werden und es nicht immer heißt: Die geltenden Gesetze reichen aus. Aber dann beschäftigen Sie sich bitte einmal mit unseren sicherheitspolitischen Forderungen. Da finden Sie eine ganze Menge von sinnvollen und notwendigen Vorschlägen. Führen Sie beispielsweise die Kronzeugenregelung wieder ein! ({20}) - Das ist kein alter Hut, wie ein Oberlandesgericht vor wenigen Monaten festgestellt hat. Weiten Sie vor allem die Möglichkeiten der DNAAnalyse aus, die sich immer mehr als eine der wirksamsten Waffen im Kampf gegen das Verbrechen herausstellt. ({21}) - Nur sehr halbherzig haben Sie das gemacht, Herr Kollege. Bayern liefert inzwischen rund ein Fünftel aller DNA-Datensätze bundesweit. ({22}) Ich kann dem bayerischen Innenminister Beckstein nur zustimmen, ({23}) wenn er fordert, dass die DNA-Analyse nicht auf die jetzigen Deliktbereiche beschränkt bleiben darf, sondern Standard bei der erkennungsdienstlichen Behandlung werden muss. Entschieden zu weit gehen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, mit der von Ihnen geplanten Zulassung der Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Sinn und Zweck des Adoptionsrechts ist der Schutz der Interessen des Kindes, nicht der Eltern. ({24}) Die vorgesehene Neuregelung hingegen - dies wird ganz klar angesichts des gesellschaftspolitischen Kontextes, in dem dies gerade die Befürworter des Gesetzes sehen und sehen wollen - soll ein weiterer Schritt hin zur völligen Gleichstellung homosexueller Paare sein. Um deren Interessen geht es in diesem Gesetz, nicht um das Kindeswohl. ({25}) Das Kind wird lediglich instrumentalisiert, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD. ({26}) Es wird seines zentralen Rechtes beraubt, nämlich des Rechts auf Vater und Mutter. ({27}) Damit wird die Grenze überschritten, die der in unserer Verfassung verankerte besondere Schutz von Ehe und Familie setzt. ({28}) - Da könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen nennen, mit denen Sie Art. 6 des Grundgesetzes systematisch aushöhlen. Das gilt vor allem für Ihren Koalitionspartner. Diese Vorstöße kommen weniger von der SPD. Aber Sie sitzen schließlich in einem Boot und Sie lassen es sich ja gefallen, was Ihr Koalitionspartner seit Jahren beharrlich vorhat. Kein Ruhmesblatt erwerben Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, mit Ihrem Gesetzentwurf zum Thema Menschenhandel. Trotz völkerrechtlicher und europarechtlicher Vorgaben aus den Jahren 2000 und 2002, die Deutschland bis zum 1. August dieses Jahres hätte umsetzen müssen, hat die Bundesregierung bis jetzt gebraucht, um schließlich einen Entwurf vorzulegen. Auf die Idee, dabei auch die so genannten Freier zu bestrafen, die wissentlich die Lage von zwangsweise nach Deutschland gebrachten und hier zur Prostitution gezwungenen Frauen ausnutzen, ist RotGrün überhaupt nicht gekommen. Der Gesetzentwurf enthält hierzu kein Wort. Erst wir haben dieses Problem thematisiert und einen entsprechenden Entwurf für einen neuen Straftatbestand vorgelegt. Bis heute nicht umgesetzt sind zwei EU-Antidiskriminierungsrichtlinien, weswegen die Europäische Kommission inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat. ({29}) Die Biopatentrichtlinie haben Sie, verehrte Frau Ministerin, vorher ja schon angesprochen. Das ist auch ein Thema, das uns offensichtlich Jahr für Jahr begleitet und nicht vom Tisch kommt. ({30}) - Was die Antidiskriminierungsrichtlinie angeht, Herr Kollege, ist meine Begeisterung durchaus begrenzt, ({31}) aber wir wollen natürlich ein ordnungsgemäßes Verfahren haben. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Europäischen Haftbefehl zu sprechen kommen, den ja auch Sie, Frau Justizministerin, erwähnt haben. Wir haben uns einer Harmonisierung letztlich nicht verschlossen und deshalb dem Gesetzentwurf im Ergebnis zugestimmt. Die Bedenken sind bereits geäußert worden, ich brauche sie nicht mehr zu erwähnen. Ich habe dieses Thema nicht deswegen angesprochen und auch nicht wegen der verspäteten Umsetzung, sondern um auf die grundsätzliche Problematik im Zusammenhang mit den aus Brüssel kommenden Richtlinien und Rahmenbeschlüssen hinzuweisen: Ich halte diesen Bereich für höchst unbefriedigend und dringend lösungsbedürftig. Die Bundesregierung schenkt meines Erachtens den aus Brüssel kommenden Vorgaben zu wenig und zu spät Beachtung. ({32}) Sie versäumt es, rechtzeitig - das heißt: im Vorfeld - auf die geplanten Vorhaben Einfluss zu nehmen und die deutschen Interessen auch in der Rechtspolitik nachhaltig zu vertreten. Auf der parlamentarischen Ebene ist darüber hinaus festzustellen: Für uns Abgeordnete - ich glaube, das empfinden alle, die damit befasst sind - besteht vor allem und zuerst nach wie vor ein Informationsdefizit. Daran hat auch die Einsetzung des Unterausschusses Europarecht vor vielen Jahren nichts Wesentliches geändert. Nach wie vor erfahren wir häufig zu spät von Brüsseler Initiativen, um noch ausreichend diskutieren und angemessen handeln zu können. Was hier dringend Not tut, ist eine Art Frühwarnsystem, um rechtzeitig agieren zu können. ({33}) Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang auch eine frühzeitige Unterrichtung der parlamentarischen Gremien durch die Bundesregierung, Frau Ministerin. ({34}) - Das ist gut, wenn es denn so ist. Vielleicht sind wir noch unterschiedlicher Auffassung, was „frühzeitig“ und „umfassend“ angeht. Ich denke, hier lässt sich noch das eine oder andere verbessern. Wir nehmen jedenfalls zur Kenntnis, dass das Problem bereits erkannt ist. Notwendig ist aber auch eine bessere Informationspolitik der EU-Organe und es ist höchste Zeit für ein eigenes Büro des Deutschen Bundestages in Brüssel. ({35}) Neben dem Informationsdefizit haben wir weiter ein Umsetzungsdefizit. Beispiele auch aus dieser Legislaturperiode habe ich bereits genannt. Auch hierfür müssen Vorkehrungen getroffen und Instrumentarien eingeführt werden, um die Zeitpläne einzuhalten. Die Bundesregierung müsste sich beispielsweise verpflichten, dem Deutschen Bundestag spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es kann doch nicht sein, dass Deutschland bei der Umsetzung von Richtlinien in der EU - vor der Erweiterung den zwölften Platz einnimmt. Ich will von diesem Vorwurf übrigens frühere Bundesregierungen keineswegs ausnehmen. ({36}) Aber nur, weil es in diesem Punkt eine offensichtlich langjährige Verhaltenskontinuität von Bundesregierungen unterschiedlicher Zusammensetzung gibt, sollten wir es trotzdem nicht einfach so hinnehmen und dabei belassen. ({37}) Hier besteht dringender Bedarf, gemeinsam nach Lösungswegen aus dieser Situation zu suchen. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2005, das für die Mitgliedstaaten wieder umfangreiche Änderungen gerade im Bereich des Zivilrechts und auch des Strafrechts vorsieht, wäre ein geeignetes Betätigungsfeld dafür. Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit dabei ausdrücklich an. So weit eine kurze Zwischenbilanz der Rechtspolitik dieser Bundesregierung aus Sicht der Union in dieser ersten Lesung. Die zweite und dritte Lesung des Haushalts wird Gelegenheit bieten, weitere Felder anzusprechen. Bis dahin könnten Sie, sehr verehrte Frau Ministerin, und Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, die Zeit schon einmal sinnvoll nutzen und über Verbesserungen bei Ihrer Arbeit nachdenken. Eine gute Gelegenheit - ich möchte fast sagen: eine Pflichtveranstaltung - ist der 65. Deutsche Juristentag, der in der übernächsten Woche in Bonn stattfindet und sich bekanntlich dem Thema widmet: „Was ist gute Gesetzgebung?“ Ich denke, dort können Sie eine Menge lernen. Ich bedanke mich. ({38}) ({39})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jerzy Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Götzer, wir diskutieren am Abend über den Justizhaushalt. Aber schauen Sie auf die Ränge! Bürgerinnen und Bürger sind noch da. So schlecht ist die Zeit für unsere Debatte nicht. Wir werden draußen gehört. ({0}) Die Besetzung der Fraktionen ist vielleicht nicht gar so gut. Ich aber freue mich, dass in unserer Fraktion sogar eine Außenpolitikerin zu uns Rechtspolitikern gefunden hat und dass Marianne Tritz bei uns ist während dieser Debatte. Danke schön. ({1}) Ich halte meine dritte Rede zum Haushalt und stelle folgende Zahlen fest: Der Bundesjustizhaushalt - ich nehme den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts hinzu - hat ein Volumen von 355 Millionen Euro. Im Vergleich zum Gesamthaushalt von 255 Milliarden Euro befinden wir uns hier im Bereich von 0,13 Promille. Wir haben Ausgaben in Höhe von 338 Millionen Euro und Einnahmen in Höhe von 322 Millionen Euro. Damit werden die Ausgaben zu 95 Prozent von innen heraus gedeckt. Bei einem solchen Haushaltsansatz brauchen wir in der zweiten und dritten Lesung an einzelnen Punkten nicht mehr groß herumzukritteln. Bei einem solchen Haushaltsansatz ist es richtig, dem Bundesjustizministerium Anerkennung und Dank für diese Haushaltsführung auszusprechen. ({2}) So klein der Haushalt auch ist, so wichtig ist das für unser Land, was mit diesem Haushalt finanziert wird. Vom Bundespatentgericht und dem Deutschen Patentund Markenamt bis zum Bundesverfassungsgericht leisten die Institutionen ganz hervorragende Arbeit. Ich will, ohne die anderen hintanzustellen, ganz besonders die Bundesgerichte erwähnen. Sie praktizieren den Rechtsstaat, den die Verfassung und wir, das Parlament, mit unserer Arbeit vorgeben. ({3}) Von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, gerade der aus dem letzten Jahr, will ich ganz gerne aus aktuellem Anlass das Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung hervorheben. Dieses Urteil war mutig, weil es scheinbar und vordergründig den Strafverfolgern Steine in den Weg gelegt hat; ({4}) es war unbequem, weil für uns Parlamentarier eine verfassungsgemäße Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung sicherlich nicht einfacher geworden ist. Aber mit diesem Urteil war das Bundesverfassungsgericht ganz unbestechlich auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger und ihrer in ihrem Kern unantastbaren Grund- und Menschenrechte. Ich finde, dass dieses Urteil - wie auch die Urteile des Bundesgerichtshofes zu den Terroristenverfahren in Hamburg - beweist, dass der Rechtsstaat bei den Institutionen, die mit den Mitteln dieses Haushalts bezahlt werden, in den besten Händen ist. Zu sparen, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es bei einem Haushalt von 0,13 Promille nichts. ({5}) Das Geld, das wir haben, brauchen wir für eine solide Finanzierung und, so weit es nur möglich ist - davon bin ich überzeugt -, für einen Aufwuchs im Justizbereich. Ich will einen Gedanken aus meiner letzten Haushaltsrede aufgreifen und sagen: Dank und Anerkennung an die Institutionen der Bundesgerichte und anderer im Bereich des Justizministeriums ist das eine; wir müssen aber für Geld, für Personal und für eine moderne Ausstattung auf diesem Gebiet sorgen, damit der Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger sehr nah und effektiv vollzogen werden kann. Gerade durch die Institutionen im Bereich des Justizhaushalts - ich greife gerne das auf, was Sie, Herr Kollege Götzer, gesagt haben - wird die Arbeit geleistet, mit der wir uns in den europäischen Einigungsprozess einbringen. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch in diesen Bereichen nicht nachlassen, dafür zu sorgen, dass das Geld vorhanden ist, damit die Qualität stimmt, mit der Rechtsstaat und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ausgestattet sind. Ich denke, man kann nicht den Bundesgerichten ein Lob aussprechen, ohne gleichzeitig über die aktuelle Debatte zur möglichen Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten zu diskutieren. Es gibt dazu die verschiedensten Modelle und Zielvorgaben. Ich glaube, eines ist für meine Fraktion bzw. die rot-grüne Koalition klar: Es darf keine Zusammenlegung von Fachgerichten geben, bei der die Unabhängigkeit der Richter angetastet und in Mitleidenschaft gezogen wird. ({6}) Das fängt bei der Versetzbarkeit an. Die Versetzbarkeit wird zur Verschiebbarkeit. Das ist der Anfang vom Ende jeglicher Unabhängigkeit der Richter. Deswegen meinen wir, dass der Einsatz der Richter in ihren konkreten Arbeitsfeldern nicht in die Hände der Politik gehört, sondern der Präsidien der Gerichte selber. In diesem Rahmen bewegt sich auch unser Vorschlag zur so genannten Zusammenlegung der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit: beide Gerichtsbarkeiten unter ein gemeinsames Dach mit einem gemeinsamen Präsidium zu stellen. Ich will darauf hinweisen, dass die Fünfgliedrigkeit der Fachgerichtsbarkeit in Deutschland zwar im Grundgesetz festgeschrieben ist; sie steht aber nicht unter einer Ewigkeitsgarantie. Deswegen meine ich, dass wir sehr wohl eine Diskussion darüber führen müssen, welche Verbesserungen zu erwarten sind und welche Einbußen wir dem gegenüberstellen müssen. ({7}) Ich hoffe, dass wir gemeinsam - wir brauchen eine gemeinsame Abstimmung des Bundestages dafür - zu einer Lösung finden können, die in die Zukunft weist, sachgerecht ist und die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland aufrechterhält. ({8}) Alles zusammen genommen ist meine Zwischenbilanz: Die rot-grüne Rechtspolitik - Frau Bundesministerin Zypries hat Bilanz und Ausblick vor Ihnen ausgebreitet - ist voll in Fahrt. ({9}) Sie beschweren sich, dass wir Ihnen jetzt zu viele Gesetzentwürfe vorlegen, meine Damen und Herren von der Opposition. ({10}) Während es Ihnen vor einem Jahr zu wenige waren, müssen Sie jetzt schwitzen und nacharbeiten, um das, was wir Ihnen zur Bearbeitung vorlegen, zumindest zu lesen. ({11}) Ich hatte im Rahmen der Haushaltsdebatte über diese Frage einen Disput mit dem werten Kollegen Fricke von der FDP. Wir haben uns über die Frage des Jugendstrafvollzuggesetzes unterhalten. ({12}) Seit April liegt Ihnen ein Gesetzentwurf vor. ({13}) Dazu haben wir noch nichts gehört. Dabei handelt es sich um den ersten Gesetzentwurf zu diesem Thema seit vielen Jahren. Er stammt von uns, nicht von Ihnen. Sie werden sich aber damit auseinander setzen müssen. ({14}) Zum Schluss will ich noch etwas zu der Frage ausführen, was wir in unserer Rechtspolitik von der Opposition übernehmen. Aus der Fülle der Beispiele, die sich dafür anbieten, will ich das Justizmodernisierungsgesetz herausgreifen. Wir haben in diesem Zusammenhang vernünftige Vorschläge unterbreitet, vernünftig und ruhig mit Ihnen diskutiert und Ihnen klar gemacht, dass Ihr Justizbeschleunigungsgesetz nicht praktikabel und sinnvoll ist. Daraufhin haben Sie Ihren Entwurf zurückgezogen und unser Justizmodernisierungsgesetz unterstützt. Wir haben es als „Erstes Justizmodernisierungsgesetz“ bezeichnet und sind so zu einem Ergebnis gekommen. Eine solche Mitarbeit von Ihrer Seite wünsche ich mir auch für die zweite Hälfte. Danke schön. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Montag, es ist richtig und es ist auch gut, dass das Gesetz zustande gekommen ist. Wir haben aber noch weitere Projekte im Strafvollzug vor uns, bei denen es auch zu Ergebnissen kommen muss. Aber dazu werden Sie - davon haben Sie uns ja überzeugt - sicherlich entsprechende Vorschläge vorlegen, um uns zum Schwitzen zu bringen. Die FDP-Fraktion ist froh, wenn sie ob möglichst vieler vernünftiger rechtspolitischer Vorlagen der Regierungskoalition oder der Regierung zum Schwitzen kommt. Denn das wäre im Sinne unseres Rechtsstaats und es wäre besser als das, was bisher passiert ist. ({0}) Als Haushälter kann man eine einfache Frage stellen: Wie viel kostet den Bundesbürger das Bundesjustizministerium in seinem Einzelplan? Es kostet jeden Bundesbürger 20 Cent bezogen auf das ganze Jahr. Das sind 20 Cent für den Rechtsstaat und kein einziger Cent mehr. Die von Ihnen beschriebene gute Entwicklung, Frau Ministerin, dass die Höhe der Einnahmen inzwischen nahezu der Höhe der Ausgaben entspricht, mag zwar nett sein, aber Sie wissen genau, dass wir die gute Einnahmesituation nur einer Cash Cow zu verdanken haben, die ihren Sitz in München hat. Dabei handelt es sich um das Deutsche Patent- und Markenamt, das diese Mittel auswirft. Ob wir das auf Dauer halten können, ist im Hinblick auf die europäische Rechtsprechung fraglich. Wenn die Einnahmen aus diesem Bereich wegbrechen sollten, dann sehe ich nicht, dass Herr Diller das aus seinem Haushalt bezahlen wird. Vielmehr wird dann Druck auf unseren Einzelplan ausgeübt werden. Ob er diesen Druck angesichts eines so knapp genähten Haushaltes aushalten wird, wage ich - mit Verlaub - zu bezweifeln. Wenn man über den Justizhaushalt diskutiert - Herr Kollege Montag, hier komme ich auf das zurück, was Sie gesagt haben -, dann muss man auch über diejenigen reden, die Justiz betreiben, beispielsweise die Gerichte. Da ich bei den Fachgerichtsbarkeiten eine ähnliche Sichtweise habe, bitte ich die Koalition, noch einmal in sich zu gehen und darüber nachzudenken, warum zwei Fachgerichtsbarkeiten außerhalb des Justizministeriums angesiedelt sind. Denn man darf nicht vergessen: Je mehr Fachgerichtsbarkeiten außerhalb des Justizministeriums angesiedelt werden, desto mehr werden sie Überlegungen anheim fallen, die nicht unbedingt etwas mit dem Rechtsstaat zu tun haben und allgemeinen Einsparmöglichkeiten geschuldet sind. Herr Kollege Götzer, ich glaube, Sie haben selber eingesehen, dass man nicht 5 Prozent des Justizhaushalts einsparen kann. ({1}) Ich bin mir nicht sicher, wie Herr Stoiber seinen Vorschlag gemeint hat. Ich sehe hier jedenfalls eine Gefahr für den Rechtsstaat. Denn wenn man knapp kalkuliert, wenn man klare Kanten festlegt, wo sollen dann noch 5 Prozent eingespart werden? Da Rechtsschutz nur aufgrund guter Rechtsberatung möglich ist, möchte ich kurz das Rechtsberatungsgesetz ansprechen, das uns mit Sicherheit noch in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird. Es ist richtig, dass wir dieses Gesetz modernisieren wollen. Das ist sicherlich auch notwendig. Wir müssen uns in diesem Bereich bestimmt von einigen althergebrachten Dingen trennen. Aber eines möchte ich ganz klar und deutlich sagen: Wir müssen wissen, wen wir mit diesem Gesetz schützen wollen. Ich hatte in der Sommerpause wieder Gelegenheit, ein wenig meinem Beruf als Anwalt nachzugehen. ({2}) - Das ist eine Frage, wie viel Zeit man aufwendet, liebe Kollegin. - Als Anwalt sage ich, dass wir es angesichts der Anwaltsschwemme nie und nimmer schaffen werden, Anwälte durch das Rechtsberatungsgesetz zu schützen. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig; denn ein Anwalt kann angesichts der großen Konkurrenz nicht mehr dadurch geschützt werden, dass er „kleinere Dinge“ in einer vernünftigen Einnahme-ÜberschussRechnung darstellt. Das klappt einfach nicht mehr. Was wir aber von einer guten Rechtsberatung, einer guten Rechtsdienstleistung erwarten dürfen, ist ein Verbraucherschutz, der zwei Dinge ermöglicht: Der Verbraucher muss erstens wissen, an welchen Anwalt er sich vertrauensvoll wenden kann, und muss zweitens sicher sein, dass er nicht ins Leere fällt, wenn der Anwalt irrt, an den er sich gewendet hat. Ich bitte Sie, genau zu prüfen, ob die von Ihnen geforderte Haftpflichtversicherung hier wirklich ausreicht; denn wenn im Rechtsschutzbereich ein Bürger ins Leere fällt und auf seinem Schaden sitzen bleibt, dann ist das zum Schaden des gesamten Rechtsstaates. ({3}) Ich möchte noch einen anderen Punkt im Zusammenhang mit dem Rechtsberatungsgesetz ansprechen. Ich möchte im Rechtsberatungsbereich keine Interessenkollision; denn das zeichnet den Beruf des Anwalts aus. Das mag zwar auch andere Berufsgruppen auszeichnen. Aber ich sage Ihnen ganz klar: Eine Bank, eine Versicherung oder ein Automobilklub wie der ADAC haben immer eigene Interessen. Wenn wir nicht klarstellen, dass es keine Kontroversen gibt, dann wird das Rechtsdienstleistungsgesetz im Zweifel nicht den Effekt erzielen, den wir haben wollen. Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei dem wir von der FDP in den nächsten zwei Jahren noch Reformbedarf sehen. Das ist die Telefonüberwachung, die heute noch gar nicht erwähnt worden ist. Hier erwarten wir einiges mehr. Hier wird sicherlich viel harte Arbeit notwendig sein. Aber hier muss sich etwas tun. Ich bin gespannt, wie die Koalition das lösen wird. ({4}) Die Reform des Jugendstrafvollzugs ist auf dem Weg. Im Bereich der Untersuchungshaft ist der Weg der Reformen noch nicht beschritten worden. Das wird aber erforderlich sein. Im Bereich Graffitibekämpfung tut sich noch immer nichts, wobei ich es wichtig finde, dass wir regelmäßig alle zehn Sitzungswochen über das Thema Graffiti reden. Vielleicht höhlt der stete Tropfen selbst den ströbeleschen Stein irgendwann einmal aus. ({5}) Zum Abschluss noch Folgendes: Das Buch, welches ich hier in der Hand halte, werden Sie sicherlich kennen, Frau Ministerin, es ist das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“. Ein Justizhaushalt mit wenig Geld bedeutet, dass man beim Personal auf das beschränkt ist, was noch möglich ist. Das momentane Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat sowie die handwerklichen Mängel, die wir bei Gesetzen feststellen, deuten für mich an, dass die Rechtsförmlichkeitsprüfung im Endeffekt nicht mehr richtig erfolgt. Beim Verfassungsrecht und beim Völkerrecht erfolgt sie zumindest nach außen - ob sie nach innen durchgeführt wird, kann ich nicht beurteilen; das findet sich auch in dem Handbuch, das Ihre Vorgängerin in zweiter Auflage herausgegeben hat - überhaupt nicht mehr. Als Haushälter darf ich Sie nur bitten - auch im Hinblick auf den Schadensersatz, der uns bei der Biopatentrichtlinie droht, und den Verstoß gegen alle möglichen Stabilitätsrichtlinien, die für uns gelten -: Prüfen Sie genau und prüfen Sie auch fordernder! Lassen Sie sich im Zweifel nicht - siehe Caroline-Urteil - durch unjuristischen Rat in die falsche Richtung drängen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat eine eindrucksvolle Bilanz der ersten zwei Jahre dieser Legislaturperiode vorgelegt. Sie hat einen Ausblick auf das gegeben, was wir in den kommenden zwei Jahren noch alles vor uns haben. Herr Kollege Götzer, was Sie hier vorgetragen haben, hatte mit der Realität wenig zu tun. Die Gespenster rot-grüner Rechtspolitik, die Sie heute Abend hier durch den Reichstag haben reiten lassen, waren nichts anderes als schwarze Ideologie. Das will ich Ihnen dazu einmal sagen. ({0}) Ich denke, mehr ist dem nicht hinzuzufügen. Der Kollege Fricke hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Ihr ehemaliger Kanzlerkandidat Stoiber den Vorschlag gemacht hat, bei diesem Haushalt noch einmal 5 Prozent einzusparen. Das Volumen des Einzelplans des Bundesministeriums der Justiz beträgt 339 Millionen Euro. Würden wir dem Vorschlag von Stoiber folgen, müsste der Justizhaushalt um 17 Millionen Euro gekürzt werden. Sie sollten uns bis zur zweiten und dritten Lesung sagen, wo wir das im Ergebnis machen sollen. Ihre Diskussionsbeiträge und vor allen Dingen Ihre Novellierungsvorhaben - wir treffen uns diese Woche wieder und wollen über Ihr Begehren, Herr Montag, und unser Begehren reden, etwas beim Opferentschädigungsgesetz zu machen - wären glaubwürdiger, wenn Sie uns auf der anderen Seite sagten, wo wir weitere 17 Millionen Euro einsparen sollen. Wenn wir nämlich unser gemeinsames Vorhaben umsetzen, dann werden diese 17 Millionen Euro, die auf der einen Seite eingespart werden, auf der anderen Seite gleich wieder ausgegeben. Handeln und Reden müssen also irgendwie in Übereinstimmung gebracht werden. Das ist genau das, was bei Ihnen auf der Strecke bleibt. Herr Kollege Fricke, Sie haben ein Jugendstrafvollzugsgesetz angemahnt. Sie haben uns dafür gelobt, dass es jetzt da ist. Sie haben dieses schöne Beispiel mit den 20 Cent gebracht. Es bezog sich wohl auf den Bundeshaushalt. Beim Jugendstrafvollzugsgesetz wird man wieder einmal eines der großen Probleme der Rechtspolitik erleben: 16 Länder werden bei uns auf der Matte stehen, sie werden uns sagen, wie teuer die Umsetzung all der guten Vorschläge der Bundesjustizministerin ist, und man wird erklären, warum man das so nicht wird machen können. Herr Kollege Götzer, dann sind wir wieder bei den Realitäten der Rechtspolitik. Denen sollten wir uns dann einmal zuwenden. Ich kann Ihnen heute Abend hier nur sagen: Wir, RotGrün, sind - um einen größeren Bogen zu spannen - stolz auf das, was wir in der Rechtspolitik seit 1998 erreicht und auf den Weg gebracht haben. Wir haben nämlich den Stillstand von 16 Jahren Kohl-Regierung überwunden. ({1}) Ich sage Ihnen: Seit 1998 hat die Rechtspolitik kein Mauerblümchendasein mehr geführt, sondern sie steht wiederholt im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Diskurses. ({2}) Ich muss mich ein bisschen beeilen, weil mir meine Vorredner ein bisschen Zeit weggenommen haben, wie mir gesagt wurde. ({3}) - Nein, nein. - Wir Sozialdemokraten haben heute Abend noch ein Hoffest. Dahin wollen wir gleich noch. Ein Punkt ist mir ganz wichtig. Ich bin dankbar dafür und finde es gut, dass es uns gelungen ist - das haben wir 1998 angestoßen -, dafür zu sorgen, dass die seit langem überfällige Reformdebatte in der Justiz jetzt endlich auch in einem breiteren Feld und mit einem breiten Konsens eröffnet worden ist. Kein anderes Thema beschäftigt die Rechtspolitik in Bund und Ländern seit 50 Jahren nämlich so sehr wie die Modernisierung der Justiz. Wir alle wissen, wie weit wir in 50 Jahren gekommen sind. Letzten Endes ist man im Schneckentempo vorangekommen. Auch wir, Rot-Grün, haben seit 1998 lernen müssen, wie zähflüssig in der Justiz Reformen voranzubringen sind. Dabei ist die Judikative die dritte Säule der Gewaltenteilung in unserem Verfassungsaufbau. Deshalb ist eine effektive, effiziente und transparente Gerichtsbarkeit eine der Grundvoraussetzungen für gesellschaftlichen Frieden in einem demokratisch verfassten Staatswesen. Dies gilt umso mehr in Zeiten wie denen, in denen wir leben, nämlich in Zeiten des Wandels und des Umbruchs. Die Justizgewährungspflicht des Staates im Privatrechtsverkehr der einzelnen Rechtssubjekte hat - die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen - ebenso Verfassungsrang wie der Rechtsweg gegen hoheitliche Entscheidungen des Staates. Sorge macht uns, dass wir zunehmend feststellen müssen, dass wir das nicht mehr so zügig umsetzen können, wie das in unserer Gesellschaft notwendig wäre. Das ist ein Problem, das uns im Ergebnis alle gemeinsam angeht und bei dem wir als Deutscher Bundestag gemeinsam, wie ich meine, an Lösungen zu arbeiten haben. Deshalb ist nach meiner Überzeugung eine große Justizreform unumgänglich; ich betone: unumgänglich. Wir sollten gemeinsam über die Frage der großen Justizreform reden. Diese große Justizreform muss meines Erachtens drei wesentliche Ziele erreichen: Wir wollen entscheiden, was zukünftig wichtig ist. Das ist die Frage der Konzentration. Wir wollen einfach und klar arbeiten, damit die Bevölkerung die Justiz versteht. Das ist die Frage der Deregulierung. Wir wollen abgeben, denke ich, was andere ökonomischer erledigen können. ({4}) Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir vor der Sommerpause gemeinsam schon ein so genanntes Erstes Justizmodernisierungsgesetz haben verabschieden können. Aus der Erfahrung der guten Zusammenarbeit dabei, Herr Kollege Röttgen, bitte ich Sie, dass wir die Arbeit und die Diskussion aufnehmen, um in dieser Legislaturperiode möglichst noch zu einem Zweiten Justizmodernisierungsgesetz zu kommen. ({5}) Ich möchte den Gedanken aufnehmen, den Herr Montag schon geäußert hat. Ich bin der Justizministerkonferenz sehr dankbar dafür, dass sie auf ihrer Tagung vom 17. bis 18. Juni dieses Jahres in Bremen einen, wie ich finde, wirklich wichtigen Ansatz für eine grundlegende Strukturreform beschlossen hat. Zum Thema der Errichtung einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit hat die Konferenz wie folgt beschlossen: Wir sprechen uns für die Schaffung einer bundesrechtlichen Länderöffnungsklausel aus, die es den Ländern ermöglichen soll, Fachgerichtsbarkeiten zusammenzuführen. - Es geht nicht darum, zusammenzulegen, sondern darum, zusammenzuführen, das heißt im Ergebnis, kooperativ zu führen. Das ist der entscheidende Unterschied dabei. ({6}) Die Länder Baden-Württemberg und Sachsen, Herr Kollege Röttgen, haben in Vollzug dieses Beschlusses zwischenzeitlich einen entsprechenden Vorschlag im Bundesrat eingebracht. Dieser Ansatz einer Strukturreform ist nach meiner festen Überzeugung zu unterstützen. Ich betone das mit Nachdruck und sage das im Wissen um die Probleme und auch im Wissen um die Gegner einer solchen Reform. Wir haben in Deutschland circa 20 900 Richterinnen und Richter. Hiervon arbeiten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit 15 456, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2 316, in der Sozialgerichtsbarkeit 1 274 und in der Finanzgerichtsbarkeit 661. Dass die kooperative Zusammenfügung dieser drei zuletzt genannten Gerichtsbarkeiten unter einem organisatorischen Dach personalwirtschaftliche Vorteile für die Länder hat ({7}) und auch Synergieeffekte mit sich bringt, ist letztlich unabweisbar; das kann niemand bestreiten. Deshalb bedauere ich sehr, Herr Kollege Röttgen, dass Sie am 8. Juli dieses Jahres mit einigen Sprecherkollegen Ihrer Fraktion diesen Vorschlag der beiden Länder bereits in Bausch und Bogen abgelehnt haben, bevor die Diskussion überhaupt begonnen hat. ({8}) Ihre Begründung war vordergründig populistisch - wir stehen vor wichtigen Landtagswahlen - und nichts anderes, Herr Kollege Röttgen. ({9}) Sie war in sich auch nicht stimmig. Die Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen: Wenn Sie im Rahmen unserer Diskussion in der Föderalismuskommission verfassungsunmittelbare Zugriffe der Länder befürworten, dann können Sie einer solchen Öffnungsklausel inhaltlich nicht widersprechen. ({10}) Das hat keine Stringenz und macht auch keinen Sinn, Herr Kollege Röttgen. ({11}) Es ist einfach schädlich und schade, wenn wir die Fragen der Modernisierung der Justiz dem Populismus aussetzen und der Alltagspolitik überlassen; denn dann kommen wir in der Modernisierung nicht weiter.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röttgen? An sich ist Ihre Redezeit schon abgelaufen.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich. Herrn Röttgen gestatte ich das immer gern.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist eine solidarische Aktion, um Ihre Redezeit etwas zu verlängern. ({0}) Herr Kollege Stünker, wir haben Argumente für diese Position vorgetragen und in die Diskussion eingebracht. Ich glaube, es ist legitim, wenn jeder seine Position vertritt. Es kann aber nicht sein, dass die einen Gesetzesentwürfe einbringen und die anderen dazu keine Meinung haben dürfen. Wir haben argumentativ Position bezogen. Die Neigung, eine solche vorschnell als populistisch oder sonst was zu verurteilen, sollte man vielleicht eher unterdrücken. Nun komme ich zu meiner Frage. In der Föderalismusdebatte, die Sie angesprochen haben, haben Sie ja große Vorbehalte gegenüber den Zugriffsrechten geäußert. Sie machen ja auch keinen Vorschlag, wie das Gerichtswesen in der Bundesrepublik Deutschland bundeseinheitlich organisiert werden kann, sondern Sie unterstützen und befürworten den Vorschlag der Länder, eine Öffnungsklausel einzuführen, also dass jedes Land für sich selbst entscheiden soll, wie es das öffentlich-rechtliche Gerichtswesen organisiert. Sind Sie nun der Auffassung, dass wir das Gerichtswesen föderalisieren, also die entsprechende Gesetzgebungskompetenz den Ländern übertragen sollen, oder sind Sie nicht dieser Auffassung?

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin natürlich nicht dieser Auffassung, Herr Kollege Röttgen. Ich habe erstens darauf hingewiesen, dass es nicht stimmig ist, wenn Sie im Zusammenhang mit der Öffnungsklausel eine gewisse Zersplitterung beklagen, ({0}) obwohl sich eine ganz andere Zersplitterung durch die Einführung der von Ihnen befürworteten verfassungsunmittelbaren Zugriffsrechte im materiellen Recht ergäbe. Natürlich wünsche ich mir keine Zersplitterung. Das Zweite ist - das wissen Sie genauso gut wie ich -, dass eine Öffnungsklausel immer der erste Fuß in der Tür ist, um auf lange Sicht zu dem Ergebnis zu kommen, das man sich letztendlich wünscht. So verstehe ich die Funktion von Öffnungsklauseln, von denen wir ja auch schon in anderen Bereichen Gebrauch gemacht haben. Lassen Sie mich von daher noch einmal sagen: Mir liegt es wirklich am Herzen, hier in diesem Parlament bei der Diskussion über eine Modernisierung der Justiz voranzukommen. Wir sind in den letzten Jahren ein gutes Stück weit vorangekommen, nachdem wir 50 Jahre hinterhergehinkt und im Grunde keine großen Ergebnisse erzielt haben. Es wäre eine große Leistung, wenn wir gemeinsam zumindest die ersten Schritte gehen würden. Diese sind einfach dringend notwendig vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung, die wir heute haben bzw. die wir noch vor uns haben. Schönen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat noch einmal der Kollege Norbert Barthle das Wort.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass ich heute zum Abschluss eines langen Tages der Debatten über den Bundeshaushalt 2005 als Haushälter zum Justizhaushalt reden darf. Ich nehme nämlich an, das gibt einen doch etwas versöhnlicheren Abschluss. Es war heute ja viel die Rede von einem offenkundig verfassungswidrigen und unsoliden Haushaltsentwurf sowie von Makulatur. Von daher ist es ganz gut, am Abend dieses Tages über ein kleines feines Ministerium mit unbeugsamen Staatsdienern zu sprechen, das sich wie Asterix standhaft dem Trend zu immer höherer Staatsverschuldung widersetzt. Da, Frau Zypries, ist es wohl am besten, wenn ich die Zahlen sprechen lasse, denn sie sprechen für sich. Ihre Einnahmen, die rund 95 Prozent des Etats abdecken, sollen 2005 von 312 auf 322 Millionen Euro steigen. Gleichzeitig ist ein Rückgang der Gesamtausgaben von 340 auf 338 Millionen Euro vorgesehen. ({0}) Vorausgesetzt, dass Ihre Zahlen stimmen und nicht wie bei Herrn Eichel die Ausgaben heruntergerechnet und die Einnahmen hochgerechnet wurden, ({1}) möchte ich Sie auch im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz herzlich zu Ihrem Musterhaushalt beglückwünschen. Ich meine sogar, es wäre ganz gut, wenn der Herr Diller Ihren Haushalt allen Kabinettskollegen als Bettlektüre zur Verfügung stellen würde. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit, davon zu lernen. ({2}) Wenn man sich den Haushalt anschaut, stellt man fest, dass sich kaum Veränderungen gegenüber dem Vorjahresentwurf ergeben haben. Das ist so in Ordnung. Bei vielen Ansätzen - sächliche Ausgaben, Personalausgaben usw. - sind wir nämlich sozusagen am Rande dessen, was machbar ist. Es gibt nurmehr wenige Möglichkeiten für Einsparvorschläge. Ich denke an IT-Ausgaben und Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. Wir werden dementsprechende Vorschläge machen. Für die Öffentlichkeitsarbeit haben Sie 263 000 Euro vorgesehen. Das ist im Vergleich zu anderen Ministerien wohltuend wenig. Viel sparen lässt sich da sicherlich nicht, ({3}) denn der Etat ist nicht hoch. Aber auch Kleinvieh macht bekanntlich Mist. ({4}) Wenn ich mir den Haushalt des Generalbundesanwalts anschaue, finde ich allerdings schon noch einen kleinen Schönheitsfleck in Ihrem Etat. Seit ich Haushälter bin, genau seit zwei Jahren, argumentiere ich immer gegen einen bestimmten Titel, und zwar gegen den Titel „Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer Gewalt“. Ich meine nach wie vor, dass dieser Titel Ausdruck einer ideologisch bedingten Einäugigkeit der rotgrünen Bundesregierung ist. Die Ausführungen des Kollegen Edathy, der nicht mehr unter uns ist, haben mich in dieser Auffassung bestätigt. ({5}) Wenn ich allerdings sehe, dass Sie für diesen Titel nur noch 500 000 Euro vorgesehen haben, für den ursprünglich einmal 5 Millionen Euro angesetzt waren, dann bin ich zuversichtlich, dass er im nächsten Haushalt vollends ausläuft. Und seien wir ehrlich: Eigentlich war er schon immer als Steinbruch für die Umsetzung der globalen Minderausgabe vorgesehen. Insofern war es vielleicht ganz gut, dass es ihn gab; aber der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit dient das nicht. Auch dieses Jahr droht dem Justizetat eine globale Minderausgabe von 3 Millionen Euro. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge, Frau Ministerin. Ich sehe, wie gesagt, nur wenige Bereiche, in denen Sie noch sparen können. Beim Deutschen Patent- und Markenamt können wir mit Sicherheit nicht sparen; denn damit würden Sie die Kuh schlachten, von deren Milch Sie leben. Das DPMA hat - das wurde schon gesagt - im kommenden Jahr erhöhte Einnahmen zu erwarten. Deshalb muss es unser Bemühen sein, die Arbeitsmöglichkeiten des DPMA kontinuierlich und stetig zu verbessern. Ich bin froh, dass Sie unseren diesbezüglichen Anregungen auch immer gefolgt sind. Ein Blick auf die Zahl der Patentanmeldungen zeigt, dass in den ersten sieben Monaten des Jahres 2004 gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 5 Prozent zu verzeichnen ist. ({6}) Das heißt, in diesem Land gibt es nach wie vor Kreativität und ein hohes Potenzial an Erfindungsgeist. ({7}) Nebenbei bemerkt liegt Baden-Württemberg da ganz vorne und in Baden-Württemberg liegt mein Heimatkreis, der Ostalbkreis, ganz vorne. Wir sind das Land der Tüftler und Denker, eine Region für Patente und Talente, und so soll es auch bleiben. ({8}) Dass das Deutsche Patent- und Markenamt auch ein Exportschlager ist, wissen wir. Wir konnten uns erst unlängst in China davon überzeugen, dass viele uns in dieNorbert Barthle sem Bereich nacheifern. Deshalb kann ich Sie nur bestärken, dort nicht zu sparen. Insofern glaube ich, dass der Entwurf des Einzelplans 07 eine gute Beratungsgrundlage darstellt. Dennoch darf ich Ihnen zusichern, dass wir von der Union uns an allen Bemühungen, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen, konstruktiv beteiligen werden. Wir von der Union werden auch zu Ihrem Haushalt Einsparvorschläge machen, wenn auch nicht in der Größenordnung von 3 Prozent, wie es dem Beschluss unserer Arbeitsgruppe entsprechen würde. Es ist klar, dass das in Ihrem Etat nicht machbar ist. Aber wenn man sparen will, kann man ein bisschen auch bei Ihnen sparen. Wo ernsthaft gespart werden soll, finden sich auch Bereiche, in denen Einsparvorschläge realisiert werden können. Das gilt auch für Ihr so mustergültiges Ministerium. ({9}) In diesem Sinne wünsche ich uns erfolgreiche Beratungen. Ich bedanke mich für die Geduld nach diesem langen Tag und wünsche noch einen schönen Abend vielleicht bei den Bayern, denn die feiern heute den Einstieg ins Oktoberfest. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich glaube, an diesem schönen Sommerabend gibt es ein paar Angebote. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 8. September, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Schönen Abend!