Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/1/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet. Der Kollege Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker feierte am 25. Juni seinen 65. Geburtstag. Im Namen des Hauses spreche ich ihm nachträglich die besten Glückwünsche aus. ({0}) Gemäß § 93 a Abs. 6 unserer Geschäftsordnung können Mitglieder des Europäischen Parlaments an den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union teilnehmen. Nach der Wahl zum Europäischen Parlament ist die Zahl und Zusammensetzung der Mitwirkungsberechtigten vom Bundestag auf Vorschlag der Fraktionen neu festzulegen. Die Fraktionen haben sich auf insgesamt 15 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Europäischen Parlaments verständigt. Davon entfallen auf die CDU/CSU acht Mitglieder, auf die SPD vier, auf Bündnis 90/Die Grünen zwei und auf die FDP ein Mitglied. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? ({1}) - Ich werde mich erkundigen, wie in diesem Fall zu verfahren ist. ({2}) - Gut. Wie gesagt, ich werde mich erkundigen. Die Amtszeit des derzeitigen Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ endet im August dieses Jahres. Gemäß § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung werden vom Deutschen Bundestag fünf Mitglieder in das Kuratorium entsandt. Hierfür werden von der Fraktion der SPD die Kollegen Dr. Dieter Wiefelspütz und Dietmar Nietan als ordentliche und die Kolleginnen Kerstin Griese und Marga Elser als stellvertretende Mitglieder, von der Fraktion der CDU/CSU der Kollege Wolfgang Bosbach als ordentliches und der Kollege Stephan Mayer ({3}) als stellvertretendes Mitglied, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Volker Beck als ordentliches und der Kollege Jerzy Montag als stellvertretendes Mitglied, von der Fraktion der FDP der Kollege Dr. Max Stadler als ordentliches und der Kollege Dr. Günter Rexrodt als stellvertretendes Mitglied vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch höre ich nicht. Dann sind die genannten Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder in das Kuratorium der Stiftung entsandt. Sodann teile ich mit, dass der Kollege Ulrich Kasparick sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Die Fraktion der SPD benennt als Nachfolgerin die Kollegin Caren Marks. Sind Sie auch damit einverstanden? - Wieder kein Widerspruch. Dann ist die Kollegin Caren Marks als Schriftführerin gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: 1 Vereinbarte Debatte zum Abschluss der Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz 2 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({5}) - Drucksachen 15/420, 15/522, 15/955, 15/1365, 15/3479 Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Joachim Hacker 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({6}), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kurskorrektur bei Verkehrsinvestitionen - Finanzierung des Bundesverkehrswegeplans 2015 sicherstellen - Drucksache 15/3470 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) Haushaltsausschuss 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wirkungsgleichen Übertragung von Regelungen der sozialen Pflegeversicherung sowie der gesetzlichen Krankenversicherung auf dienstrechtliche Vorschriften - Drucksache 15/3444 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Volker Beck ({3}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für Innovationen - Drucksache 15/3452 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth ({5}), Volker Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISESS 90/ DIE GRÜNEN: Urwaldschutz verstärken - Drucksache 15/3464 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Albert Schmidt ({8}), Volker Beck ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2002 - 2012 forcieren - Drucksache 15/3467 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({11}) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen - Drucksache 15/2946 ({12}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({13}) - Drucksache 15/3483 - Berichterstattung: Abgeordnete Dirk Manzewski Marco Wanderwitz Rainer Funke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({15}) - Drucksachen 15/3420, 15/3456 - Berichterstattung: Abgeordnete Astrid Klug Marie-Luise Dött Birgit Homburger c) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP: Ausweitung des Berichts der Bundesregierung zur Zu- sammenarbeit mit den Vereinten Nationen - Drucksache 15/3458 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 133 zu Petitionen - Drucksache 15/3459 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 134 zu Petitionen - Drucksache 15/3460 - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 135 zu Petitionen - Drucksache 15/3461 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 136 zu Petitionen - Drucksache 15/3462 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 137 zu Petitionen - Drucksache 15/3463 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Claudia Nolte, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ordnungsgemäßen Ablauf des Abberufungsreferendums in Venezuela sicherstellen - Drucksache 15/3438 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ungerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Geländewagen abschaffen - Drucksache 15/3468 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine qualifizierte Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Fusionen - Drucksache 15/3466 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rechtsausschuss ({21}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Des Weiteren soll Tagesordnungspunkt 25 - Änderung des Postpersonalgesetzes - ohne Debatte überwiesen und Tagesordnungspunkt 30 - Schutz bürgerschaftlich Engagierter - bereits heute als letzter Tagesordnungspunkt beraten werden. Ferner soll Tagesordnungspunkt 32 k - Europäisches Mahnverfahren - abgesetzt werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt ({22}), Karin Kortmann, Lothar Binding ({23}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck ({24}), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft weiterentwickeln - gemeinsam Armut bekämpfen - Drucksache 15/3327 überwiesen: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({25}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Sind Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte zum Abschluss der Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Volker Beck. ({26})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein Einwanderungsland. Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes wird diese Tatsache anerkannt und heute vom Bundestag sowie in der nächsten Woche vom Bundesrat amtlich besiegelt. Die Logik der Abschottungspolitik wurde durchbrochen; das starre ausländerrechtliche Regelwerk ist in Bewegung gekommen. ({0}) - Herr Grindel, jetzt habe überwiegend ich das Wort, danach vielleicht Sie. Die Union verhinderte aufgrund ideologischer Verbohrtheiten - wie bei Herrn Grindel ({1}) zwar die Durchsetzung des Punktesystems und die generelle Aufhebung des Anwerbestopps für qualifizierte ausländische Fachkräfte. Die Reaktion der Wirtschaft aber war deutlich: BDI und DIHK haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass die geplante Öffnung des Arbeitsmarktes hinter den Erwartungen der deutschen Wirtschaft zurückbleibt. Sie bedauern, „dass wegen des Widerstands der Union das ursprünglich geplante Volker Beck ({2}) ‚Punktesystem’ nicht kommt“, so das „Handelsblatt“ am 18. Juni. ({3}) Die Union konnte aber nicht verhindern, dass wir mit diesem Zuwanderungsgesetz an wesentlichen Punkten aufbrechen und eine Öffnung des Arbeitsmarktes herbeiführen. Wir haben mit diesem Zuwanderungsgesetz die Voraussetzungen geschaffen, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe gut aufgestellt ist. Deshalb ist dieses Zuwanderungsgesetz auch ein Beitrag zum Jahr der Innovationen 2004. ({4}) Wir haben die Zuwanderung von Höchstqualifizierten geregelt. Nun können wir, wie die Vereinigten Staaten, den Höchstqualifizierten eine Daueraufenthaltsperspektive anbieten; zumindest die ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen sind nun so, dass wir uns in punkto Attraktivität nicht verstecken müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Möchten Sie die zulassen? ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, stimmen Sie mir zu, dass der Umstand, dass jedes Jahr 120 000 Akademiker und gut ausgebildete Deutsche ins Ausland gehen, was dazu beiträgt, dass wir den Kampf um die klugen Köpfe verlieren, deutlich macht, dass die Frage, welche Chancen wir in diesem Kampf haben, nicht - zumindest nicht allein - mit dem Aufenthaltsrecht für Ausländer zusammenhängt, sondern vor allem damit, welche wirtschaftlichen Perspektiven etwa Existenzgründer haben, wie gut man in Deutschland forschen kann und wie die Bezahlung für die klugen Köpfe aussieht? ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, Herr Grindel, denn sie zeigt die Malaise der Union: dass Sie die globalisierte Welt nicht verstanden haben. ({0}) Es ist geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass in modernen Wissensgesellschaften ein Teil der akademischen Elite seine Fähigkeiten in anderen Ländern ausbaut und sich dort weiterbildet und dann wieder zurückkommt. ({1}) Das ist überhaupt kein Problem. Bei uns wurde es ein Problem, weil wir gute Leute nur hergegeben, aber keine hergeholt haben. ({2}) In der internationalen, globalisierten Wissensgesellschaft ist der Austausch angesagt und nicht das Abschotten, das Engstirnige. - Das zeigt, warum Sie von der Wirtschaft nicht mehr verstanden werden. Wir haben geregelt, dass die Zuwanderung von Selbstständigen erleichtert wird. Hier ist vielleicht manches zu bürokratisch geraten. Aber es ist ein Schritt nach vorne. Wir haben außerdem dafür gesorgt, dass Studenten, die aus dem Ausland zu uns kommen und die hier ausgebildet werden, in Deutschland bleiben können, wenn sie eine Stelle in ihrem Beruf finden. Damit erreichen wir, dass wir international wettbewerbsfähiger sind. Auch das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. ({3}) Ich muss gestehen, dass ich zu Beginn der Debatte über das Zuwanderungsgesetz sehr besorgt war. Denn im Jahre 2001 hörte man aus Ihren Reihen Töne wie: Es gibt Ausländer, die uns nutzen, und es gibt Menschen, die uns ausnutzen. Wir haben dieser Perspektive immer entgegengestellt: Es gibt Menschen, die wir brauchen, und es gibt Menschen, die uns brauchen, weil sie verfolgt werden. ({4}) Ich bin sehr froh, dass wir diese Perspektive in dem Zuwanderungsgesetz durchsetzen und stärken konnten. Das ist ein Erfolg der rot-grünen Koalition in diesen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz. ({5}) Zum Thema der Anerkennung nicht staatlicher Verfolgung: Welch ideologisch geführte Debatte hatten wir dazu in unserem Land! Wir hätten fast die ganze Bewegung in Europa aufgehalten, bloß weil Sie den Weg nicht mitgehen wollten, der in anderen Ländern schon längst gegangen wurde. Durch die Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz haben wir den Weg frei gemacht und endlich auch für Deutschland garantiert, dass Menschen, die von nicht staatlichen Akteuren verfolgt werden, in unserem Land Schutz vor Verfolgung finden. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Verfolgung aufgrund des Geschlechts als eigenständiges Verfolgungsmerkmal nun im deutschen Flüchtlingsrecht verankert wird. In diesem Punkt sind wir wesentlich weiter als die entsprechende Richtlinie der Europäischen Union. Ich bin stolz, dass wir das gegen Ihre Intervention verteidigen konnten. ({6}) Volker Beck ({7}) Hierfür haben wir das ausdrückliche Lob des UNHCR bekommen, der davon spricht, dass dies eine der wichtigsten Verbesserungen für einen Kernbereich des Flüchtlingsschutzes in Deutschland ist. Wir haben vieles für die Verfolgten gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention erreicht. Wir werden die Kettenduldungen, die fürchterliche Probleme machen - alle Ausländerämter und alle Flüchtlingsorganisationen wissen das -, erheblich beschränken. Es kommt jetzt darauf an - alle, die an diesem Gesetz mitgewirkt haben, sind verpflichtet, dafür zu sorgen -, dass diese Regelung nicht durch eine bürokratische Praxis konterkariert wird. Es muss vielmehr Schluss damit sein, dass Menschen, die hierher geflohen sind, auf Dauer keine Aufenthaltsperspektive haben. Wir haben mit diesem Gesetz die Grundlage dafür geschaffen, dass sich das ändert. ({8}) Wir haben dafür gesorgt, dass in Zukunft im Ausländerrecht auch einmal Gnade vor Recht ergehen kann. Mit den Härtefallkommissionen haben die Länder eine neue Möglichkeit, flexibler zu reagieren. Sie müssen anerkennen, dass der Gesetzgeber nicht an jeden Wechselfall des Lebens denken kann. Ich fordere alle 16 Bundesländer auf: Machen Sie von dieser Möglichkeit, Humanität zu zeigen, Gebrauch! Denjenigen, die davor zurückschrecken, werden wir - das garantiere ich Ihnen - zusammen mit den Flüchtlingsorganisationen und den Kirchen Feuer unter dem Hintern machen. Wir werden dafür sorgen, dass von dieser Regelung in der Bundesrepublik flächendeckend Gebrauch gemacht wird. ({9}) Auch nach Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes gibt es noch Fragen, die wir diskutieren müssen. Eine Bleiberechtsregelung für Menschen, die die Kettenduldungen in den letzten Jahren erlebt haben, wurde noch nicht erreicht. Eine entsprechende Regelung wird vom halben Kohl-Kabinett - angefangen bei Frau Süssmuth über Herrn Blüm bis zu Herrn SchwarzSchilling -, von dem früheren BDI-Präsidenten Olaf Henkel, von „Pro Asyl“ und 40 000 Menschen unterstützt. ({10}) Ich glaube, diese Diskussion sollten wir nach Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes erneut aufnehmen. ({11}) Wir haben bei der Integration einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht, indem wir nun erstmals Integrationsansprüche geregelt haben. Aber wir sollten uns davor hüten, zu glauben, dass Integration allein eine Veranstaltung von Deutschkursen ist. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir haben dafür gesorgt, dass die Neuzuwanderer einen Rechtsanspruch darauf haben und dass diejenigen, die schon länger bei uns sind und die einen besonderen Integrationsbedarf haben, zu Integrationsbemühungen verpflichtet werden können. Aber es drohen ihnen - das war uns Grünen besonders wichtig - keine ausländerrechtlichen Sanktionen. Insofern haben wir das richtige Maß von Fördern und Fordern im Integrationsteil des Gesetzes wahren können und dafür gesorgt, dass Deutschland hier einen erheblichen Schritt vorankommt. ({12}) Am Ende der Veranstaltung rückte das Thema Sicherheit allzu sehr in die Diskussion über das Zuwanderungsgesetz. ({13}) - Nein, Herr Koschyk. Man muss über Sicherheitsfragen in allen rechtlichen Bereichen immer wieder reden und schauen, ob man Sachen besser und effizienter machen kann. Aber man sollte nicht so tun, als ob Sicherheitsprobleme mit Ausländerpolitik gleichzusetzen sind; denn das schürt Ängste vor den Ausländern als Fremde, das schürt Ängste vor dem Islam als Religion. Dagegen haben wir uns in den Verhandlungen und in der öffentlichen Kommunikation immer gestemmt und werden das auch weiterhin tun. Sie gießen damit Öl ins Feuer bei Ausländerfeinden, das sollten wir als demokratische Parteien gemeinsam nicht tun. ({14}) Sicherheit muss man rechtsstaatlich machen! Die Koalition hat mit dem Antiterrorpaket im Jahre 2001 gezeigt, dass sie sicherheitspolitisch handlungsfähig, aber auch besonnen ist. Diese Linie haben wir auch in den Zuwanderungsverhandlungen immer wieder mühsam gegen Sie durchsetzen müssen. Wir wollen kein Guantanamo im Ausländerrecht. Der Verzicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und auf Rechtsstaatlichkeit führt in die Irre, wie wir bei unseren Freunden in den USA gesehen haben. Der Weg von Guantanamo führte direkt in die Foltergefängnisse von Abu Ghureib. Ich bin froh, dass das, was bei uns gilt, auch für die USA gilt, nämlich dass notfalls eine unabhängige Justiz im Rechtsstaat der Politik auch einmal in die Speichen greift und die Verhältnisse klar rückt. ({15}) Wir haben bezüglich der Sicherheitsfragen im Wesentlichen drei Änderungen im Gesetz vorgenommen. Wir haben als rot-grüne Koalition bedeutende Vorschläge zur Verbesserung der Effizienz bei der Abwehr terroristischer Gefahren gemacht. Der Kernpunkt, der in diesem Gesetz wirklich einen Sicherheitsgewinn bringt, geht auf eine rot-grüne Idee zurück, nämlich auf die Idee der Abschiebeanordnung, die der Bundesinnenminister entworfen hat. Dies führt tatsächlich zu einer Beschleunigung und Verbesserung der Verfahren, lässt dabei aber keinen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens Volker Beck ({16}) aufkommen. Deshalb halte ich das für eine richtige und zukunftsweisende Entscheidung. Einiges andere ist im Gesetz nun doppelt und dreifach geregelt. Sie haben darauf bestanden, dass das Ausweisungsrecht sozusagen mit Hosenträger und Gürtel geregelt wird. Die Themen Schleuser und Hassprediger haben wir gleich an drei verschiedenen Stellen geregelt, damit das nun auch wirklich jeder jederzeit im Gesetz findet. Daran, dass das etwas bringt, kann man Zweifel haben, weil die meisten Dinge ohnehin schon rechtlich geregelt waren. Bei einigen Dingen sind wir über die bestehende Linie hinausgegangen. Insofern hoffe ich auf die Verwaltungsgerichte und auf das Bundesverwaltungsgericht, dass sie die gesetzlichen Regelungen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausfüllen bzw. auslegen, sodass das entsprechend umgesetzt wird. Der Fokus auf die Sicherheit am Schluss der Debatte war sicherlich falsch; denn das Zuwanderungsgesetz hat einen anderen Schwerpunkt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Beck, denken Sie bitte an die Redezeit! ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Gestatten Sie mir einen letzten Satz. Dieses Gesetz macht Deutschland fit für das 21. Jahrhundert - ein Jahrhundert, von dem wir wissen, dass es in unserem Land demographische Probleme geben wird. Da muss man sich nicht dümmer stellen, als es die Bevölkerungswissenschaftler sind. Nicht alle Probleme sind mit diesem Gesetz gelöst, aber wir haben mit dem Gesetz eine sehr gute Grundlage geschaffen, um eine Weiterentwicklung im Sinne eines modernen Rechts zu erreichen. Insofern gehen wir gut gerüstet in dieses 21. Jahrhundert. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller. ({0}) Peter Müller, Ministerpräsident ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da das aus den Ausführungen meines verehrten Vorredners nicht erkennbar war, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass wir in dieser Debatte über die Umsetzung eines politischen Kompromisses reden, ({2}) den wir in den letzten Wochen und Monaten erzielt haben. Die Rede des Kollegen Beck war auf Konfrontation angelegt. Das mag daran liegen, dass die Grünen in den letzten Tagen, in denen dieser Kompromiss endgültig geschmiedet worden ist, nicht am Schmieden dieses Kompromisses beteiligt waren. ({3}) Das ist für die Grünen bedauerlich; aber es hat dem Kompromiss gut getan. ({4}) Dieser Kompromiss ist in einem schwierigen, langwierigen Diskussionsprozess zustande gekommen. Der Herr Bundestagspräsident hat am heutigen Vormittag die Dauer dieser Diskussion bedauert. Das ist sicher nachvollziehbar. ({5}) Man hätte sich dieses Ergebnis zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht. Aber Fakt ist, dass dieses Ergebnis, über das wir heute sprechen, in wesentlichen und zentralen Punkten vom Gesetzentwurf der Koalition abweicht, dass dieses Gesetz nur auf der Basis dieser materiell wesentlichen Veränderungen eine Verbesserung des jetzigen Rechtszustands darstellt und damit zustimmungsfähig ist und dass dieses Gesetz nur auf der Basis dieses langwierigen Diskussionsprozesses zu einem Einwanderungsgesetz geworden ist, das so ausgestaltet ist wie alle Einwanderungsgesetze dieser Welt. Alle Einwanderungsgesetze dieser Welt sind Gesetze im Interesse der aufnehmenden Staaten, Gesetze, in denen die aufnehmenden Staaten definieren, wie viele Menschen sie aufnehmen können und nach welchen Kriterien sie diese Menschen auswählen. Alle Einwanderungsgesetze dieser Welt sind Einwanderungsbegrenzungsgesetze. Mit den Veränderungen, die jetzt in dem Kompromiss vereinbart worden sind, ist auch dieses Gesetz ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, ein Gesetz im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und damit ein zustimmungsfähiges Gesetz. ({6}) Lieber Herr Kollege Beck, so richtig Ihr Satz ist, dass Deutschland in der Vergangenheit ein Zuwanderungsland war, heute ein Zuwanderungsland ist und in der Zukunft ein Zuwanderungsland sein wird, so richtig ist dann auch die politische Konsequenz. Die politische Konsequenz heißt: Zuwanderung braucht Begrenzung, Zuwanderung braucht Steuerung. Jedes Land - auch die Bundesrepublik Deutschland - hat das Recht, klar zu sagen, wo die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit sind, wen es aufnehmen, wen es bei sich behalten und wen es wieder aus dem Land verweisen will. Da ist auch und Ministerpräsident Peter Müller ({7}) gerade die Sicherheit eine zentrale Frage, an der wir nicht vorbeischauen dürfen. ({8}) Eine vernünftige Gesamtregelung der Zuwanderung muss vier Ziele erreichen: Sie muss die Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit steuern und begrenzen. Sie muss unseren humanitären Verpflichtungen, die uns heilig sein müssen, Rechnung tragen. ({9}) Sie muss die legitimen Eigeninteressen der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen und sie muss dem Zusammenhang von Zuwanderung und Integration Rechnung tragen. Ich glaube, dass der jetzt gefundene Kompromiss diesen Ansprüchen tatsächlich standhalten kann. ({10}) Erstens, zur Steuerung: Im Bereich der Arbeitsmigration werden wir eine Erleichterung der Zuwanderung für Höchstqualifizierte und Selbstständige erzielen. Die Aufenthaltsrechte, die wir in diesem Gesetz für Höchstqualifizierte vereinbart haben, gehen weit über den internationalen Standard hinaus, auch über den der Vereinigten Staaten. Wir werden damit konkurrenzfähiger im weltweiten Wettlauf um die besten Köpfe. Aber eines ist sicher auch richtig: Nur mit Zuwanderungsregelungen werden wir den Wettbewerb um die besten Köpfe nicht gewinnen; da hat der Kollege Grindel sicher Recht. ({11}) Im Bereich der Nichtqualifizierten und im Bereich der Geringqualifizierten bleibt es beim Anwerbestopp. Auch dies ist eine zentrale Position. Mich beeindruckt dabei die Forderung aus der deutschen Wirtschaft, auch in diesem Bereich unbegrenzt Zuwanderung zu ermöglichen, nicht. Ich habe Verständnis dafür, dass die Vertreter der deutschen Wirtschaft ein möglichst hohes Angebot an Arbeitskräften anstreben, weil dies Rückwirkungen auf den Preis hat, der für die Arbeit bezahlt werden muss. Unsere Aufgabe muss es aber sein, dem Gemeinwohl zu dienen. Das heißt: Solange es in der Bundesrepublik Deutschland weit mehr als 4 Millionen Arbeitslose gibt - demnächst werden es gar 5 Millionen sein -, müssen wir erst alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben, um die Arbeitsplätze, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, mit Menschen in Deutschland, die arbeitslos sind, zu besetzen. Deshalb kann es in diesem Bereich eine Aufhebung des Anwerbestopps nicht geben, meine Damen und Herren. ({12}) Der Anwerbestopp wurde in Deutschland unter Willy Brandt eingeführt. Damals hatten wir eine Arbeitslosenquote von 1,6 Prozent. Wenn es uns gemeinsam gelingt, die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland wieder auf 1,6 Prozent zu reduzieren, mag man über den Anwerbestopp noch einmal diskutieren. Mein Eindruck ist allerdings: Die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung macht uns wenig Hoffnung, dass wir jemals wieder in eine solche Situation kommen können. ({13}) Zweitens. Die Kriterien für die humanitäre Zuwanderung werden verändert. Es ist richtig und von der Sache her auch vernünftig, dass wir im Bereich der Kettenduldungen wesentliche Änderungen vornehmen und den Status derjenigen, die dauerhaft oder langfristig bei uns sind, ohne dass die Dauer des Aufenthaltes durch eigenes schuldhaftes Verhalten verursacht ist, verbessern. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Das Gesetz wird im Übrigen im humanitären Bereich auch eine Härtefallregelung schaffen. Ich will von dieser Stelle aus noch einmal klar und deutlich sagen: Wenn wir in diesem Gesetz, entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, die Möglichkeit von Daueraufenthaltsrechten aus humanitären Gründen schaffen, dann ist das eigentlich mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates nur begrenzt vereinbar. Wenn wir es aus humanitären Gründen trotzdem tun, muss die Konditionierung sein, dass durch diesen Weg nicht erneut jahrelange Rechtswege eröffnet werden. Deswegen darf diese Klausel, so wie sie im Gesetz steht, nicht justiziabel sein. Es liegt in der Verantwortung der Länder, dies jetzt umzusetzen. Verehrter Herr Kollege Beck, da Sie eben mit Blick auf die Bundesratsbank erklärt haben, dass Sie uns, dass Sie mir in Sachen Härtefallklausel „Feuer unter dem Hintern“ machen werden, werde ich darüber nachdenken, ob diese Drohung ausgerechnet von Ihrer Seite mich wirklich beeindruckt. ({14}) Drittens. Wir werden die Integration verbessern und auch den Bereich der nachholenden Integration deutlich intensivieren. Ich halte dies für notwendig und ich glaube, dass es wirklich ein qualitativer Fortschritt in diesem Gesetz ist. Integration ist ein zweiseitiger Prozess. Integration setzt Integrationsangebote voraus - die schaffen wir -, sie setzt aber auch die Bereitschaft derjenigen, die dauerhaft hier leben wollen, sich in diese Gesellschaft wirklich zu integrieren, voraus. Ich meine: Wer dazu nicht bereit ist, muss dann auch mit Sanktionen rechnen; einzelne sind festgeschrieben, über andere wird man weiter diskutieren. Zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren: Natürlich ist die Frage der Sicherheit eine zentrale Frage jeder Zuwanderungsregel. Wie sollen wir denn den Menschen in Deutschland ein Zuwanderungsgesetz erklären, wenn wir nicht gleichzeitig darauf hinweisen können, dass mit diesem Gesetz klare Regelungen verbunden sind, um das Risiko der Zuwanderung von Fundamentalisten und Terroristen in die Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen, wenn wir nicht gleichzeitig erklären können, dass wir neue Möglichkeiten schaffen, Ministerpräsident Peter Müller ({15}) wie sie jetzt im Gesetz stehen, Hassprediger und Sicherheitsgefährder auszuweisen? Wie sollen wir den Menschen erklären, dass wir ein solches Gesetz schaffen, wenn wir die Augen vor Ausländerkriminalität verschließen? ({16}) Wer die Augen vor Ausländerkriminalität verschließt, bereitet der Ausländerfeindlichkeit den Boden. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen. ({17}) Deshalb müssen wir auch über Fragen der Sicherheit reden, wie das während der Gesetzesberatungen geschehen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz hat in einem langen Prozess qualitativ zentrale Veränderungen erfahren. Es ist gelungen, eine Regelung zu finden, die die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland erhöht, die die Zuwanderung nach Deutschland begrenzt und besser steuert, die die Integration fördert. Natürlich ist es ein Kompromiss und natürlich gibt es eine Reihe von Themen, die weiter auf der Tagesordnung stehen werden. Dass es trotzdem gelungen ist, dieses Gesetz zustande zu bringen, ist, glaube ich, ein gemeinsamer Erfolg. Deshalb möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die zu diesem Kompromiss beigetragen haben. Es mag sein, dass es eine jahrelange Diskussion war. Aber auch der Präsident dieses Hohen Hauses wird mir zustimmen, wenn ich sage: Am Ende ist nicht entscheidend, wie lange ein Verfahren gedauert hat, sondern welches Ergebnis das Verfahren gebracht hat. Der Gesetzentwurf ist in einem lange dauernden Verfahren wesentlich verändert worden. Dieses Gesetz ist ein Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung. Es hat Unterstützung verdient, auch wenn es lange gedauert hat. Vielen Dank. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf an das anschließen, was Ministerpräsident Müller am Schluss gesagt hat: Die Arbeit hat sich gelohnt. ({0}) Das neue Zuwanderungsgesetz ist vielleicht kein historischer Kompromiss, es ist aber eine durch und durch vernünftige Neuregelung der deutschen Migrationspolitik. Dieses Gesetz eröffnet große Chancen: Erstens. Es bietet eine vorsichtige Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitnehmer, die uns helfen werden, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und neue zu schaffen. Zweitens. Dieses Gesetz bewahrt die humanitäre Tradition des Grundgesetzes und baut sie sogar aus, etwa mit neuen Regelungen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung und zur nichtstaatlichen Verfolgung. Drittens. Dieses Gesetz ist der Einstieg in eine bessere Integrationspolitik. Es war von Anfang an ein zentraler Aspekt bei diesem Gesetzgebungsvorhaben, dass wir denjenigen, die schon in Deutschland leben, und denjenigen, die neu kommen, mehr Integrationsmöglichkeiten bieten müssen, aber auch von ihnen Integrationsbemühungen verlangen dürfen. Natürlich lässt der Kompromiss manche Wünsche offen. Als FDP kritisieren wir vor allem, dass jetzt ein ungeheuer bürokratisches Verfahren erforderlich ist, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. An manchen Stellen spiegelt sich eine große Ängstlichkeit mancher an den Verhandlungen Beteiligter wider. ({1}) Trotz aller Kritik meine ich aber, dass das, was vereinbart worden ist, insgesamt ein Zeichen für Liberalität, Weltoffenheit und Integrationsbereitschaft in Deutschland ist, ohne falsche Romantisierung und ohne Verdrängung der Probleme, die es natürlich auch zu lösen gilt. Das Gesetz ist auch ein Dokument der Entscheidungsfähigkeit der deutschen Politik, auch wenn es lange gedauert hat. ({2}) Der entscheidende Gesichtspunkt aus meiner Sicht ist folgender: Das Thema „Zuwanderung“ - das haben all diejenigen gespürt, die Versammlungen abgehalten und mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert haben - ist bis zum heutigen Tag bei vielen Bürgerinnen und Bürgern angstbesetzt. Viele meinen, ein Zuwanderungsgesetz bedeute ein unverträgliches Maß an mehr Zuwanderung, und haben Sorge, dass dies nicht bewältigt werden könnte. Dadurch, dass die deutsche Politik es geschafft hat, sich jetzt auf ein solches Gesetz zu verständigen, besteht die Chance, dass wir das Thema „Zuwanderung“ aus der Angstecke herausholen und wir hiermit ein Grundgesetz für eine rationale Zuwanderungspolitik schaffen. Das ist das Entscheidende. ({3}) Die FDP hatte von Haus aus bei diesem Thema einen einfachen Grundgedanken: Zuwanderung ist existent, also liegt es in unserem Interesse, wenn wir sie steuern. Deswegen haben wir die Debatte hier im Deutschen Bundestag mit unserem Gesetzentwurf vom 18. November 1998 angestoßen; lange bevor andere überhaupt beDr. Max Stadler reit waren, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gemeinsam mit der von Ihnen geführten Landesregierung hat die FDP über Rheinland-Pfalz und insbesondere Justizminister Peter Caesar, den ich erwähnen möchte - leider ist er früh verstorben -, weil er große Verdienste erworben hat, ({5}) 1999 einen neuen Versuch unternommen. Schließlich haben wir als FDP im Jahre 2003 mit dem von Frau Werwigk-Hertneck initiierten Gesetzentwurf noch einmal unsere inhaltliche Position hier im Bundestag dargestellt. Weil wir immer eine klare Position hatten, war es möglich, im Spannungsfeld zwischen den Maximalforderungen der Grünen auf der einen Seite und den zu zögerlichen Vorstellungen der CDU/CSU auf der anderen Seite zu vermitteln. Wir freuen uns, dass dies durch die klare Haltung der FDP-Fraktion möglich war und dass Guido Westerwelle mit seinem Gespräch beim Bundeskanzler dazu einen wichtigen Beitrag geleistet hat. ({6}) Die Arbeit für Rita Süssmuth, Cornelia Schmalz-Jacobsen und andere aus der Süssmuth-Kommission hat sich gelohnt, die den Boden dafür bereitet haben, dass es dieses Gesetz überhaupt gibt. ({7}) Die Arbeit - lieber Kollege Bürsch, das Lob wird von mir auf alle Seiten gleichmäßig verteilt - hat sich insbesondere für den Bundesinnenminister Otto Schily gelohnt. Der FDP-Fraktion steht nicht an zu sagen: Wir sind der Meinung, kein anderer als er hätte es geschafft, ein solch schwieriges Gesetz in dieser Verhandlungskonstellation überhaupt durchzusetzen, ({8}) dies natürlich mit der Unterstützung von Peter Müller, der in der entscheidenden kritischen Verhandlungsphase und in der schwierigen Situation, als die Verhandlungsrunde am 1. Mai 2004 auseinander zu brechen drohte - entschuldigen Sie, wenn ich das so sage -, dieselben Vermittlungsvorschläge wie die FDP gemacht hat, sodass am Ende eine Brücke gebaut werden konnte. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns kam es darauf an - das will ich in der Sache doch noch erwähnen -, dass der Zuzug Selbstständiger etwas großzügiger geregelt worden ist als im ersten Entwurf. Nunmehr wird es auch für Menschen mit mittlerer beruflicher Qualifikation möglich sein, nach Deutschland zu kommen, wenn ein Arbeitsplatz mit Inländern nicht besetzt werden kann. Wir haben einen Vorschlag für eine Härtefallregelung gemacht, die nicht zu neuen Rechtswegen führt, sodass auch dieser Punkt allseits akzeptabel geworden ist und eingeführt werden konnte. Bei den Sicherheitsfragen kam es für die FDP darauf an, dass die Regelungen rechtsstaatlich einwandfrei sind. Deswegen war mit uns eine Sicherungshaft auf Verdacht nie zu machen, ({10}) auch nicht eine Ausweisung auf Verdacht, sondern nur aufgrund gerichtsverwertbarer Tatsachen. Ich komme damit zum Schluss und darf noch einen Punkt anführen. Dieses Gesetz legt den Behörden, die es jetzt in die Praxis umzusetzen haben, eine sehr große Verantwortung auf. Es enthält viele Ermessensspielräume und unbestimmte Rechtsbegriffe. Die FDP erwartet und vertraut darauf, dass die praktische Anwendung von Liberalität, Weltoffenheit und zugleich Wahrung unserer eigenen Interessen geprägt sein wird. Vielen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzeskompromiss hat vielfältiges Lob erfahren: Alle Fraktionen des Hauses stimmen zu; die Kommentierung in der Presse ist überwiegend sehr freundlich. Da kann ich nur sagen: Dann ist es ja gut gewesen, dass CDU und CSU dem ursprünglichen Gesetzentwurf nicht zugestimmt haben. ({0}) Zu den bedauerlichen Erfahrungen gehört allerdings, dass wir das Bundesverfassungsgericht bemühen mussten, um einen eklatanten Verfassungsbruch zu verhindern. Ich will nicht mehr nachlegen, ich hätte es auch nicht angesprochen, wenn das Thema nicht heute Morgen um 9.05 Uhr in anderem Zusammenhang erwähnt worden wäre. Was ist denn mehr kritikwürdig, der Verfassungsbruch selber oder die Aufregung darüber, dass er begangen worden ist? Da kann ich die Aufregung besser verstehen. ({1}) Es ist ein guter Kompromiss erzielt worden; das Gesetz ist kein fauler Kompromiss. Es ist gesagt worden: Das war eine schwere Geburt. Mag sein, aber das sind hinterher nicht selten die schönsten Kinder. Ich würde mich aber mit Jubel und mit Euphorie noch etwas zurückhalten, denn Max Stadler hat einen wichtigen Punkt angesprochen. Das, was wir als Gesetzgeber jetzt in Gang setzen, muss zunächst einmal in der alltäglichen ausländerrechtlichen Praxis, insbesondere im Integrationsbereich, umgesetzt werden. Erst dann, wenn alle Wirkungen Wirklichkeit werden, die wir uns von diesem Gesetz erhoffen, besteht Grund zur Zufriedenheit. Insoweit können wir sagen: Die Arbeit ist nicht zu Ende. - In den Ausländerbehörden fängt die Arbeit nämlich jetzt erst an. Dieses Gesetz muss sich in der Praxis erst noch bewähren. Wir haben in einem zähen Verhandlungsprozess vieles an Verbesserungen erreicht. Das ist nicht nur - das gebe ich gerne zu -, aber doch weitestgehend das Verdienst von CDU und CSU. Es wäre ein kapitaler Fehler gewesen, wenn wir den Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer, wie ursprünglich geplant, aufgehoben hätten. ({2}) Wir haben die dramatischste Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit der Nachkriegszeit. Wir verlieren an jedem Tag 2 000 Arbeitsplätze. Im vergangenen Jahr haben wir 623 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, mit einer noch größeren Zuwanderung nach Deutschland dieses Arbeitsmarktproblem lösen zu können? Dass wir uns an dem weltweiten Wettbewerb um die klügsten Köpfe beteiligen müssen, ist eine pure Selbstverständlichkeit. Aber wir müssen doch jetzt alle Kräfte darauf konzentrieren, die Menschen in Brot und Arbeit zu bringen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das sind die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr als ihre deutschen Nachbarn. Der Anteil der ausländischen Arbeitslosen ist doppelt so hoch wie der Anteil der ausländischen Mitbürger an der Bevölkerung. Der Anteil der ausländischen Sozialhilfeempfänger ist drei Mal so hoch wie der Anteil der ausländischen Mitbürger an der Bevölkerung. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, wir könnten diese Probleme mit mehr Zuwanderung lösen? ({3}) Mehr Zuwanderung würde die Probleme verschärfen. ({4}) - Weil wir die Regelungen geändert haben. Ich stimme Herrn Beck zu, dass wir dafür kritisiert worden sind. Aber nicht von Unternehmern. Mir gegenüber hat sich noch kein Unternehmer so geäußert. Wohl gibt es viele Funktionäre von Arbeitgeberverbänden und Industrieverbänden, die sagen, wir bräuchten noch mehr Zuwanderung, obwohl wir im vergangenen Jahr 300 000 Arbeitserlaubnisse an ausländische Arbeitnehmer erteilt haben. Wenn sie sagen: Wir wollen die Arbeitsmarktprobleme lösen, dann rufe ich den gleichen zu: Bringt mehr Menschen in Brot und Arbeit, die jetzt beschäftigungslos sind, schafft mehr Arbeitsplätze in Deutschland und lagert weniger Arbeitsplätze in das Ausland aus! Das ist wichtiger als mehr Zuwanderung nach Deutschland. ({5}) Was den humanitären Bereich angeht, so ist es richtig - Peter Müller hat zutreffend darauf hingewiesen -, dass wir Menschen eine Integrationsperspektive geben müssen, die wir über Jahre, nicht wenige über Jahrzehnte, zwischen Baum und Borke halten. Wir erkennen sie nicht an, geben ihnen kein gesichertes Aufenthaltsrecht, aber wir schieben sie, teilweise aus praktischen, teilweise aus humanitären Gründen, nicht ab; sie wissen nicht, was aus ihnen in ihrem neuen Heimatland Deutschland wird, sie haben keine Hoffnung, sie haben keine Perspektive. Deswegen ist es gut, dass dieses Gesetz eine Änderung bringt. Es ist aber ebenso gut, dass es keine Altfall- und keine Stichtagsregelung gibt. ({6}) Eines dürfen wir nie machen: Wir können doch nicht diejenigen privilegieren, die über ihre Identität, über ihre Nationalität täuschen, die ihre Personalpapiere vernichten, die die Behörden an der Nase herumführen. Am Ende darf in solchen Fällen keine Aufenthaltserlaubnis stehen, denn sonst würden wir diejenigen privilegieren, die rechtswidrig mit allen Mitteln, auch mit verbotenen Mitteln, ihre Rückführung in das Heimatland verhindern. Solche Menschen dürfen durch ein Aufenthaltsrecht nicht privilegiert werden. ({7}) Zum Auswahlverfahren: Es ist richtig, dass wir das Auswahlverfahren nach dem Punktesystem, mit dem Zuwanderung ohne Nachweis eines Arbeitsplatzes ermöglicht werden sollte, gestrichen haben. Angesichts der dramatischen Arbeitsmarktsituation in Deutschland wäre dies unverantwortlich gewesen. Zuwanderung aus rein demographischen Gründen: Wer würde bestreiten, dass wir ein erhebliches demographisches Problem haben? Wir ersetzen die Elterngeneration nur zu zwei Dritteln. Möglicherweise wird die negative demographische Entwicklung in ihren dramatischen Auswirkungen heute noch eher unter- als überschätzt. Das ist aber keine Herausforderung für die Ausländerpolitik, sondern eine Herausforderung für eine bessere Familienpolitik, mit der wir eine kinderfreundliche Gesellschaft schaffen. Das ist der richtige Ansatzpunkt, nicht aber mehr Zuwanderung. ({8}) Als ich in den Plenarsaal kam, hatte ich das Gefühl, dass uns der Kollege Beck vorhalten würde, wir würden Sicherheitsfragen mit der Frage der Zuwanderung verkoppeln. Sie haben uns wild dafür kritisiert, dass wir Ausländerpolitik und Ausländerkriminalität in einen Zusammenhang stellen. Ich zitiere dazu einmal aus der Originalausgabe vom 20. Juli 1997 der „Welt am Sonntag“: Man muss das mal sagen, selbst wenn es manche nicht gern hören: Beim organisierten Autodiebstahl sind Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft mit der Prostitution wird dominiert von der RussenMafia, Drogenkriminelle kommen besonders häufig aus Südosteuropa und Schwarzafrika. … Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell. Das ist keine rechtsradikale Postille, sondern das sind Originalzitate des Wahlkämpfers Gerhard Schröder. Das ist der Gleiche, der jetzt als Bundeskanzler verhindert, dass wir, was wir durchsetzen wollen, ausländische Straftäter schneller abschieben bzw. ausweisen können, als dies nach derzeitiger Rechtslage möglich ist. So geht das nicht. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({9}) Wenn der Bundeskanzler in dieser Weise über ausländische Straftäter spricht, dann ist das ein wichtiger Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit. Wenn wir aber dafür sorgen wollen, dass Hassprediger, Kriminelle und Terrorverdächtige ausgewiesen werden, dann brüllen Sie: latente Ausländerfeindlichkeit. Damit ist jetzt Schluss, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({10}) Letzter Punkt. Wir können das nicht trennen. Sicherheitsfragen mögen nicht das Wichtigste sein, sie sind aber ein wichtiger Bestandteil des Zuwanderungsrechts. Selbstverständlich müssen wir dort regeln, wer kommen darf, wer nicht kommen darf und wer unser Land unter welchen Voraussetzungen wieder verlassen muss. Wir haben in Deutschland etwa 2 000 Moscheen und Gebetshäuser, wovon 100 als nachrichtendienstlich relevant gelten. Niemand denkt daran, alle Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen. Deswegen ist es auch gut, dass wir differenzieren. Wir sprechen von etwa 30 000 bis 31 000 Islamisten und davon, dass 3 000 bis 3 500 als gewaltbereit und -geneigt gelten. ({11}) Darunter gibt es einige so genannte Topgefährder. Wir wollen wenigstens die unter Verdacht stellen dürfen, die verdächtig sind. ({12}) Es gibt Aufzeichnungen von so genannten Freitagsgebeten. Ich zitiere: Amerika ist ein großer Teufel, Großbritannien ein kleiner, Israel ein blutsaugender Vampir. Einst waren die Europäer unsere Sklaven, heute sind es die Moslems. Dies muss sich ändern. Wir müssen die Ungläubigen bis in die tiefste Hölle treiben. Niemand, der dies sagt, kann sich auf religiöse Toleranz und Pluralität berufen. Von denen müssen wir uns eher heute als morgen trennen. Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das wohl zäheste Gesetz der vergangenen fünf Jahre, nämlich über das Zuwanderungsrecht. Außerdem klaffen Anspruch und Lösung selten so weit auseinander wie bei diesem Gesetz. Erinnern wir uns: Angekündigt war ein modernes Einwanderungsrecht. Heraus kam ein Sicherheitsgesetz für bzw. gegen Ausländer. ({0}) Es ist, wie Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ zutreffend schrieb, inzwischen ein „Gesetz mit umgedrehten Vorzeichen“. Die PDS im Bundestag lehnt es deshalb ab. ({1}) Als die Debatte um ein neues und modernes Einwanderungsrecht begann, habe ich das ausdrücklich begrüßt, zumal es galt, uralte Mauern einzureißen. Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Die Opposition zur Rechten wollte dies nicht wahrhaben. Nach der Betrachtung des Ergebnisses wissen wir heute: Sie stemmt sich noch immer dagegen. ({2}) - Herr Kollege Stadler, ich nehme Sie aus, Sie wollten das immer wahrhaben. ({3}) SPD und Grüne versprachen damals den Durchbruch in den Köpfen und auch im Recht. Doch schon nach der ersten großen Runde mehrten sich die Zweifel. Rita Süssmuth, die CDU-Vorsitzende der rot-grünen Regierungskommission, meinte vor zwei Jahren zum damaligen Gesetzentwurf, noch seien wichtige Elemente eines modernen und humanen Rechts vorhanden, aber schon weit zurückgenommen. Inzwischen loben CDU und CSU: Mit der FDP hätten sie niemals ein solch restriktives Gesetz hinbekommen wie mit Bundesinnenminister Schily, der SPD und den Grünen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, klarer kann man sich eigentlich gar nicht vorführen lassen. Die PDS hatte sich mit einem eigenen Modell an den Debatten beteiligt. Dabei ging es um einen Paradigmenwechsel, weg vom Zerrbild des kriminellen Ausländers, der wirtschaftliche Lücken büßt, und hin zu einem Bürgerrecht, mit dem humanen Ansprüchen gefolgt wird. Davon sind wir heute weiter entfernt als 1998 zu Beginn der rot-grünen Ära; denn selbst die wenigen Lichtblicke im Gesetz sind mitnichten hausgemacht. Die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund zum Beispiel ist inzwischen EU-Recht. Andernfalls hätten CDU/ CSU dem sicherlich nicht zugestimmt. Als sich der vorliegende Kompromiss abzeichnete, habe ich erklärt, dass unter diesen Umständen kein neues Gesetz besser wäre als dieses. Das war im Mai, als Bündnis 90/Die Grünen zu einem letzten Kraftakt ausholten und aus den Verhandlungen mit der CDU/CSU ausstiegen. Letztendlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, war es aber eine Befreiungstat für Otto Schily, weil er von da ab in den Verhandlungen unter seinesgleichen war. ({4}) Aber auch die Drohung, den grünen TÜV anzurufen, endete als Fehlanzeige. Nun liegt das Gesetz mit all seinem Rost und seinen Macken vor uns. ({5}) Noch ein Wort zu uns und unserem Selbstverständnis. Heute, um 13.29 Uhr, haben Frau Dr. Lötzsch und ich das Ergebnis auf den Tisch bekommen. Die vom Innenminister in der vergangenen Woche in der Pressekonferenz versprochene sofortige Zuleitung an das Parlament hat zumindest für die PDS im Bundestag bis zu dieser Minute nicht stattgefunden. Wir waren also darauf angewiesen, uns über die Presse und über Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen zu informieren. Die PDS im Bundestag lehnt dieses inhumane Gesetz ab. Es ist weder modern noch human. Es bleibt weit unter dem Niveau dessen, was zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin zwischen Rot-Rot vereinbart wurde. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu verabschiedende Gesetz dient gemäß seinem § 1 - es lohnt sich, den Wortlaut zu zitieren - „der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland“. Es heißt dort wörtlich weiter: Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Union hat dafür gesorgt, dass dieses Gesetzesziel tatsächlich zum Inhalt dieses Gesetzes geworden ist. ({0}) - Ich entschuldige mich nicht dafür, Frau Vorsitzende des Innenausschusses. - Die „Tageszeitung“, die Ihnen näher steht als uns, ({1}) schreibt zu Recht in der Ausgabe vom 18. Juni - das sollten Sie ernst nehmen -, ({2}) dass das heute zu verabschiedende Gesetz mit den ursprünglichen Zielen des rot-grünen Zuwanderungsgesetzes nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat. ({3}) In der Tat: Rot-Grün hat sich entscheidend auf die Union zubewegt. Unsere Linie, den Zusammenhang zwischen Zuwanderung, Integration, Arbeitsmarkt, unseren humanitären Verpflichtungen und innerer Sicherheit beizubehalten, hat sich durchgesetzt. Rot-Grün musste erkennen, dass es für das Ziel einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft keine gesetzgeberische Mehrheit und - das ist viel wichtiger - keine politische Mehrheit in Deutschland mehr gibt. ({4}) So wie die Union das rot-grüne Doppelpassprojekt 1999 gestoppt hat, so hat die Union jetzt ein rot-grünes Zuwanderungserweiterungsgesetz gestoppt. Das lange und harte Verhandeln der Union hat sich gelohnt, vor allem was die Bestimmungen des Gesetzes für mehr Integration, auch verpflichtender und nachholender Integration, und für mehr Sicherheit anbelangt. Nachdem er in dieser Debatte nicht das Wort ergreift, möchte ich namens unserer Fraktion dem bayerischen Innenminister Dr. Günther Beckstein, aber auch seinen Mitarbeitern sehr herzlich dafür danken, dass sie den beim Spitzengespräch der Parteivorsitzenden von CDU und CSU mit dem Bundeskanzler erzielten Kompromiss in ein für die Union zustimmungsfähiges Gesetz umgesetzt haben. ({5}) Für uns, lieber Kollege Beck vom Bündnis 90/Die Grünen, bleibt der Zusammenhang von Zuwanderung und innerer Sicherheit unauflösbar. Es ist vor allem der jetzt ausgehandelte Sicherheitsgewinn im künftigen Ausländerrecht, der entscheidend für die heutige Zustimmung von CDU und CSU zu diesem Gesetz ist. Wir haben übrigens auch dafür gesorgt, dass, wie von der Justiz gefordert, erste Konsequenzen aus dem unsägHartmut Koschyk lichen Fischer/Volmer-Erlass des Auswärtigen Amtes gezogen werden. ({6}) Im Kölner Schleuserprozess - hören Sie gut zu! - kam die Justiz zu dem Ergebnis, dass das Fehlen einer Vieleinlader-Warndatei neben der fragwürdigen Visaerteilungspraxis deutscher Botschaften in den GUS-Staaten aufgrund des Fischer/Volmer-Erlasses die massenhaften gewerbsmäßigen Schleusungen durch die im Prozess Beschuldigten erheblich erleichtert habe. ({7}) Unsere Fraktion hat bereits 1999 hier im Deutschen Bundestag unter Federführung des Kollegen Erwin Marschewski einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer derartigen Warndatei eingebracht. Seinerzeit haben Sie diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Jetzt haben wir in den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz wieder einen Gesetzentwurf für eine solche Datei vorgelegt. Sie haben sich jetzt endlich bereit erklärt, eine solche dringend erforderliche Warndatei auf nationaler Ebene einzuführen, falls sie auf europäischer Ebene bis 2006 nicht zustande kommt. Was die Schaffung eines polizeilichen Abwehrgewahrsams für nicht abschiebbare Topgefährder anbelangt - Bundesinnenminister Schily hatte dies unter dem Begriff der Sicherungshaft vorgeschlagen -, so werden wir den Bundesinnenminister, aber auch den Kollegen Wiefelspütz von der SPD beim Wort nehmen. Beide haben gefordert, dass dieses Thema auch nach dem Kompromiss des Zuwanderungsgesetzes auf der Tagesordnung bleibt und dass in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren dieses notwendige Instrument für mehr Sicherheit geschaffen werden muss. ({8}) Wir bieten Ihnen, Herr Bundesminister Schily, an, gemeinsam mit Ihnen einen Gesetzentwurf zu erarbeiten und in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren auch notwendige verfassungsrechtliche Fragen zu klären. ({9}) Nach dem nun erzielten Kompromiss besteht für uns, das Parlament, kein Anlass, dass wir uns beim Thema Zuwanderung selbstgefällig zurücklehnen. Zum einen müssen wir die strikte Umsetzung des Gesetzes im Auge behalten, zum anderen müssen wir aber auch Fehlentwicklungen bei der Integration in Deutschland lebender Ausländer erkennen und benennen. Ich nenne als ein gravierendes Beispiel die Vorgänge um die König-FahdAkademie in Bonn-Bad Godesberg. Ich meine, diese Bildungseinrichtung hat sich als ein institutioneller Hort von Desintegration in Deutschland erwiesen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass man aus falscher außenpolitischer Rücksichtnahme diese Einrichtung nicht schnellstens schließt. ({10}) Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben die Vorgänge um die König-Fahd-Akademie zum Anlass genommen, eine Anhörung des Bundestagsinnenausschusses über islamistische Einflüsse auf die Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf Integration und Sicherheit zu beantragen, die im September dieses Jahres stattfinden wird. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist das Ergebnis eines langwierigen und zäh ausgehandelten politischen Kompromisses. In diesem Gesetz werden im Interesse unseres Landes und seiner Bürger - deutscher wie nicht deutscher Bürger - die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, die Integration der Neuzuwanderer, aber auch die nachholende Integration der bereits hier lebenden Ausländer ebenso geregelt wie unsere humanitären Verpflichtungen gegenüber Verfolgten und Bedrängten sowie unverzichtbare Sicherheitsaspekte der Zuwanderung nach Deutschland. Das, was aus der Sicht der Union in diesem heute zu verabschiedenden Gesetz nicht befriedigend geregelt ist, bleibt auf der politischen Tagesordnung, sodass wir, der Deutsche Bundestag, beim Thema Zuwanderung auch in Zukunft gefordert bleiben werden. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister des Innern, Otto Schily. ({0})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich habe allen Reden aufmerksam zugehört, da ich die Erwartung habe, dass alle - mit Ausnahme von Frau Kollegin Pau - dem Gesetzentwurf zustimmen werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass diejenigen, die sich am schwersten getan haben, dem Gesetz ihre Zustimmung zu verleihen, am weitläufigsten argumentieren, was ihnen alles an Veränderungen an der ursprünglichen Fassung gelungen sei. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen diskutieren. Ich meine, wenn sich alle als Gewinner sehen, muss das Ergebnis gut sein. ({0}) Das Gesetz ist vor allem ein Gewinn für unser Land, für Deutschland. ({1}) Es stärkt unsere Position im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und dient den wirtschaftlichen Interessen unseres Landes. Es mildert die Folgen der demographischen Entwicklung - der neu gewählte Bundespräsident hat uns gerade heute gemahnt, diese Entwicklung ernst zu nehmen -, es bremst den Zuzug in die sozialen Sicherungssysteme und es gibt uns die Möglichkeit, mit menschlichen Schicksalen auch menschlich umzugehen. Es verbessert die Integration all derer, die zu uns kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Nicht zuletzt erhöht es die Sicherheit unseres Landes, indem es jene, die hier Unfrieden stiften und Hass säen wollen, in die Schranken weist. Meine Damen und Herren, ich zögere nicht mit folgender Aussage: Wie schon die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ist auch das Zuwanderungsrecht eine historische Zäsur. ({2}) Es ist ein weiterer Schritt Deutschlands zu einem modernen, freiheitlichen Staat mit einer weltoffenen Gesellschaft in einem vereinten Europa. Europäische Geschichte war und ist auch Migrationsgeschichte; das haben manche nicht mehr erkennen können. Sie reicht von der Völkerwanderung bis hin zum Massenexodus in die neue Welt im 19. Jahrhundert und endet nicht mit den Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen des vergangenen Jahrhunderts. Heute ist Europa für Menschen aus aller Welt Anziehungspunkt, aber auch Zufluchtsort geworden. Wie viele andere europäische Länder ist Deutschland vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland geworden. Wenn wir uns die konkrete Situation von Einwanderern, die in unser Land kommen, vor Augen führen und uns damit beschäftigen, dann ist es vielleicht hilfreich, sich an die Situation deutscher Auswanderer bzw. Einwanderer in andere Länder zu erinnern. Das neue Zuwanderungsgesetz, meine Damen und Herren Kollegen, ist Ausdruck der Erkenntnis, dass es in Deutschland seit vielen Jahren Zuwanderung gibt und auch in Zukunft geben wird. Es markiert damit eine Grenze. Hinter diese Erkenntnis werden wir nie wieder zurückfallen. ({3}) Es ist Ausdruck der Erkenntnis, dass die Politik diese Tatsache nicht ignorieren kann, sondern die Realität aktiv gestalten muss. Der parteiübergreifende Konsens bzw. die parteiübergreifende Einigung auf den Gesetzestext ist auch ein positives Zeichen politischer Vernunft. Ich bin sehr froh darüber, dass wir für das Reformvorhaben einen so breiten Konsens gefunden haben, weil damit das Thema Zuwanderung der polemischen, bisweilen sogar demagogischen Überspitzung entzogen wird. Wie Herr Kollege Stadler richtig gesagt hat: Es kehrt ein Stück Rationalität in die Debatte ein. Auch das werden wir hoffentlich so weiterführen. ({4}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich - das gehört zum Wesen eines Kompromisses - hat jede Seite Zugeständnisse machen müssen. Das mag der eine triumphal und der andere nüchtern feststellen; es verringert den Wert des Kompromisses und des Reformprojektes jedoch nicht, ({5}) weil in den Verhandlungen - das gestehe ich durchaus zu - auch Verbesserungen des ursprünglichen Entwurfs erreicht worden sind. ({6}) Allen, die konstruktiv an dem Gesetzesvorhaben mitgewirkt haben, sage ich ausdrücklich Dank. Allen voran danke ich dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, ({7}) dass er in der Schlussphase, als die Verhandlungen über den Gesetzentwurf zu scheitern drohten, in den von ihm geführten Spitzengesprächen die letzten Stolpersteine beiseite geräumt hat. - Herr Kollege Koschyk, ohne die Mitwirkung des Bundeskanzlers wäre der Kompromiss nicht zustande gekommen. ({8}) Meiner eigenen Fraktion, insbesondere Dieter Wiefelspütz, möchte ich ebenfalls Dank aussprechen. Ihnen danke ich für Ihre übergroße Geduld sowie für die stets vorhandene Kompetenz in allen Sachfragen. ({9}) Ich nehme für die sozialdemokratische Fraktion in Anspruch, die vernünftigste unter allen beteiligten gewesen zu sein. ({10}) Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für die sozialdemokratischen Innenminister, die sich in der Arbeitsgruppe für das nun vorliegende Ergebnis eingesetzt haben, also die Kollegen Buß, Behrens, Zuber, Thimm und Körting. Ebenso danke ich unserem Koalitionspartner, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ({11}) - nein! -, dass er sich dem Kompromiss nicht verweigert hat, obwohl ihm - das muss man anerkennen - das an der einen oder anderen Stelle nicht leicht gefallen ist. Herr Kollege Müller, ich möchte Ihnen hier deutlich widersprechen. Es stimmt zwar, dass zum Schluss nur noch wir, Sie, Herr Beckstein und ich, verhandelt haben; das war auch ganz gut so. Aber Sie können sicher sein, dass auch in dieser Phase die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eng einbezogen waren. Sie sollten also keine Legenden in die Welt setzen. ({12}) - Nein, nicht nur virtuell! Ich habe sehr gute und hilfreiche Gespräche führen dürfen, für die ich mich ausdrücklich bedanke. ({13}) Auch der FDP, insbesondere dem Kollegen Stadler, danke ich für die stetige, zuverlässige und konstruktive Mitarbeit. ({14}) Ich glaube, Herr Stadler hat in diesem Zusammenhang ein besonderes, persönliches Lob verdient. Ich bedanke mich auch für die freundlichen Worte an meine Adresse. Da ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, kann ich auch Ihnen von der CDU/CSU ein Lob nicht ersparen; ({15}) denn dass Sie sich zu dem Kompromiss durchgerungen haben, ist für Sie sicherlich keine einfache Übung gewesen. Vielen Dank auch an Herrn Ministerpräsidenten Peter Müller und den Kollegen Beckstein. ({16}) Vielleicht verdienen diejenigen am allermeisten Dank, die sich in den gesellschaftlichen Gruppen in den verschiedenen Bereichen aktiv für dieses Projekt eingesetzt haben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an die großartige Arbeit der Kommission unter dem Vorsitz von Frau Kollegin Professor Süssmuth ({17}) sowie an den Einsatz der Kirchen erinnern. Es hat mich sehr gefreut, dass ich jetzt gerade aus dem kirchlichen Bereich viel Post und viele mündliche Erklärungen erhalte, in denen uns allen zu diesem Erfolg gratuliert wird. Ich bedanke mich außerdem für die Unterstützung der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Kommunen. Ich glaube, dass gar nicht genug hervorgehoben werden kann, was an Unterstützung von den Gruppierungen einschließlich der humanitären geleistet worden ist. Erlauben Sie mir ebenfalls, einen besonders herzlichen Dank an diejenigen zu richten, die wirklich herausragende Arbeit geleistet haben. Das ist das Dream-Team unter Leitung von Dr. Lehnguth in meinem Ministerium, dessen Ausdauer und fachlich ausgezeichnete Arbeit ich hier in besonderer Weise loben möchte. ({18}) In Anbetracht der beschränkten Redezeit kann ich nur auf wenige, ausgewählte Punkte des Gesetzgebungsvorhabens noch einmal eingehen. ({19}) - Ich sehe, wie Sie das quittieren. Vielleicht könnte man in der Geschäftsordnung künftig vorsehen, die Redezeit proportional zur Beratungsdauer eines Gesetzes festzulegen. ({20}) Ich will versuchen, die vier Kernbereiche dieses Gesetzes - Arbeitsmigration, humanitäre Regelungen, Integration und Sicherheit - anhand einiger Beispiele zu illustrieren. Die entscheidende Frage ist doch nicht, ob man irgendwo im Gesetzblatt etwas nachlesen kann, sondern: Was wird besser für die Menschen, was wird besser für unser Land? Erstens: Arbeitsmigration. Zunächst einmal ist die Möglichkeit für hoch qualifizierte Menschen, nach Deutschland zu kommen, zu erwähnen. Entgegen manchen Gerüchten, die immer wieder verbreitet werden, zählt Deutschland zu den attraktivsten Ländern. Der hohe Lebensstandard, Wohlstand und Sicherheit, eine dichte, reiche Forschungslandschaft, weltweit führende Industrieunternehmen und nicht zuletzt die Offenheit gegenüber fremden Kulturen, das sind wirklich hervorragende Argumente im Wettbewerb um die weltweit besten Köpfe. Das darf durch bürokratische Hürden nicht konterkariert werden. ({21}) Aber was macht beispielsweise der international angesehene Neurowissenschaftler aus Russland, der nach Berlin kommen möchte, um an der Freien Universität eine Forschungsgruppe zu leiten? Seine Frau ist als Sprachwissenschaftlerin tätig, seine beiden Töchter sind 16 und 17 Jahre alt. Nach geltendem Recht konnte ihm nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. Der Arbeitsmarktzugang der Ehefrau war nur nach einer Wartezeit von einem Jahr möglich und die Töchter durften gar nicht erst mit nach Deutschland kommen, da sie das bisherige Höchstalter für den Familiennachzug überschritten hatten. ({22}) Das waren nicht gerade attraktive Aussichten für einen hoch qualifizierten Wissenschaftler und deshalb würden wir im Wettbewerb unterliegen. In Zukunft aber kann er sofort einen Daueraufenthaltstitel in Form einer Niederlassungserlaubnis erhalten. Seiner Frau wird die Erwerbstätigkeit sofort gestattet und die Töchter dürfen natürlich mit nach Deutschland kommen, weil wir für Hochqualifizierte auch den Kindernachzug verbessert haben. ({23}) Da ist jetzt also der rote Teppich ausgerollt. Ich hoffe, dass viele ihn beschreiten werden. Ebenso erhält die brasilianische Studentin, die ihr Architekturstudium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen mit Bravour beendet hat, nun eine Perspektive, da sie bei einem Architekturbüro eine Festanstellung erhalten könnte. Bisher hätte sie nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen und nach Brasilien zurückkehren müssen. In Zukunft darf sie die Beschäftigung in Deutschland annehmen. Sie erhält sogar ein Jahr lang Zeit, sich einen entsprechenden Job zu suchen. Es wird unserem Land gut tun, dass wir hoch qualifizierte Studentinnen und Studenten nicht nach Hause, zum Beispiel nach Übersee, schicken müssen. ({24}) Das wird sich positiv auswirken. Mit dem Zuwanderungsgesetz wird Deutschland für hoch qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer, die hier leben und arbeiten wollen, deutlich attraktiver. Das gilt auch für Selbstständige, deren Zuzug und Aufenthalt erstmals gesetzlich geregelt wird. Wir haben bei der Arbeitsmigration im Übrigen auch dafür gesorgt, dass niemand, der in Deutschland Arbeit sucht, zurückgesetzt wird. Niemand braucht in Deutschland Angst vor neuer Konkurrenz zu haben. Wir haben das Vorrangprinzip für alle in Deutschland Lebenden im Gesetz, übrigens in der Ursprungsfassung, sichergestellt. Deshalb ist jegliche Propaganda, es werde etwas zulasten des deutschen Arbeitsmarktes bewirkt, falsch. Wir tun etwas für den Arbeitsmarkt, weil Weltoffenheit - nicht das Gegenteil - die Wirtschaft fördert. ({25}) Zweitens. Auch bei den humanitären Regelungen konnten wir nach Überwindung mancher Kontroversen schließlich für eine Vielzahl erheblicher Verbesserungen sorgen. Ein Beispiel ist der Fall einer 17-jährigen Frau, die mit viel Glück in letzter Sekunde dem Gemetzel rivalisierender Clans in Somalia entkommen konnte. Eine Anerkennung als Flüchtling mit einem entsprechenden Status war in Deutschland bisher nicht möglich. Nach dem Zerfall der staatlichen Institutionen und der funktionierenden Zentralgewalt fehlte das Merkmal der staatlichen Verfolgung. Es konnte nur eine Duldung erteilt werden. Diese junge Frau lebte in einem Zustand der beständigen Unsicherheit über ihre Zukunft. Was das gerade für die Seele eines jungen Menschen bedeutet, kann man nur nachvollziehen, wenn man versucht, sich da einmal mit der notwendigen Empathie hineinzufühlen. ({26}) Ich bin wirklich froh darüber, dass es uns gelungen ist, gerade für solche Menschen die Möglichkeit eines verlässlichen Aufenthaltsstatus zu schaffen. Das ist ein großer Schritt nach vorne. Das gilt nicht nur für die nicht staatliche Verfolgung, sondern auch, wie der Kollege Beck richtig hervorgehoben hat, für die geschlechtsspezifische Verfolgung. Wenn man an solche Verfolgungsschicksale denkt, dann, glaube ich, ist ein Moment des Innehaltens notwendig. Man muss sich klar machen, was durch das Gesetz für solche Menschen in der konkreten Situation an neuen Zukunftsperspektiven bewirkt wird. Dass wir die Kettenduldungen, die mit Recht immer als besonders schlimmer Zustand angeprangert wurden, abschaffen, ist, finde ich, ein großer Fortschritt. ({27}) Ich will auch die wichtige Verbesserung ansprechen, die im Gesetz in Form der Härtefallregelung vorgesehen ist. Ich teile die Auffassung, dass wir keine neue Gerichtsinstanz schaffen sollten. Aber die Härtefallregelung wurde gerade von Kirchen und von humanitären Organisationen immer wieder eingefordert. Wir alle kennen die Fälle, in denen der Wortlaut des geltenden Gesetzes nicht zu einem tragbaren Ergebnis führt. Ich schließe mich dem Appell an, dass die Länder von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen. Ich weiß, Herr Kollege Müller, dass ich an Sie nicht appellieren muss; denn in Ihrem Landtag gibt es schon einen einstimmigen Beschluss, nach dem eine solche Härtefallregelung geschaffen werden soll. ({28}) Den dritten Punkt, die Integration, will ich nur kurz ansprechen. Hierbei muss ich schon besonders hervorheben, dass wir als Bund sehr viel an Kosten auf uns genommen haben. Der Bund, der nicht der in erster Linie für die Integration Verantwortliche ist, nimmt hier eine große Kostenlast auf sich. Das ist ein großzügiges Angebot, ohne das der Weg zu einem Kompromiss nicht geebnet worden wäre. Herr Kollege Eichel ist zwar nicht mehr im Hause, aber ich möchte mich bei ihm doch sehr dafür bedanken, dass er daran mitgewirkt hat, dass das Ganze ermöglicht wird. ({29}) Ich bin in diesem Punkt ganz bescheiden und sage: Was wir in dem Bereich jetzt an Kursangeboten zur Verfügung stellen werden, in erster Linie für die Neuankömmlinge, aber in einem bestimmten Ausmaß auch für die so genannten Bestandsausländer - das sind solche Ausländer, die schon hier sind -, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Einstieg in eine systematische Integrationspolitik, die jahrelang versäumt worden ist. Wir dürfen einigermaßen stolz darauf sein, dass wir damit beginnen. ({30}) Wir sind damit auch nicht am Ende. Wir haben in dem Gesetz vorgesehen, dass diese konzeptionelle Arbeit unter Führung des künftigen Bundesamtes für Migration, dem ich für seine neue Aufgabe viel Glück wünsche, fortgesetzt wird. Viertens: Ein Wort zur Sicherheit. Ich glaube nicht, dass man die Sicherheit vernachlässigen darf. Die Sicherheitsaspekte gehören selbstverständlich dazu. ({31}) Ich habe eine Umfrage gelesen, nach der die Bevölkerung zu 80 Prozent der Meinung ist, dass auch die Sicherheitsgesichtspunkte im Ausländerrecht angemessen berücksichtigt werden müssen. Sie haben Recht, meine Damen und Herren. ({32}) Deshalb ist es sinnvoll, dass wir uns in mühsamen Debatten auf vernünftige Regelungen haben einigen können. Zum Teil haben sie rein deklaratorischen Charakter; das muss ich hervorheben: Die Regelung bezüglich der Hassprediger, die wir gebilligt haben und heute mitbeschließen werden, ist nur eine Konkretisierung des schon jetzt geltenden Rechtszustandes, ({33}) dass Personen, die eine Gefahr für die innere Sicherheit unseres Landes darstellen, selbstverständlich unser Land verlassen müssen. Hierbei handelt es sich also um die Konkretisierung eines schon allgemein geltenden Grundsatzes. Ich möchte dabei schon einmal die Länder erinnern: Wenn es ein Gesetz gibt, müssen sie davon auch Gebrauch machen. ({34}) Vielleicht ist in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle versäumt worden, den Vollzug des Gesetzes durchzusetzen. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz hat - wenn man so will - einen langen Leidensweg bzw. einen langen Arbeitsweg hinter sich. Es wurden sehr mühevolle, sehr anstrengende, zum Teil vielleicht auch zu Melancholie Anlass gebende Gespräche geführt. Gleichwohl sage ich: Nach diesen ungewöhnlich langen und äußerst schwierigen Verhandlungen verwirklichen wir heute ein bedeutendes Reformprojekt, das sich dann in der Praxis - das haben viele gesagt; das haben Herr Bosbach, Herr Beck und Herr Müller gesagt - bewähren muss. Es kann sogar sein - das schließe ich nicht aus -, dass sich erweisen wird, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch einmal nachjustieren müssen. Es besteht aber seit Jahren ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass wir Zuwanderung aktiv gestalten müssen und Deutschland zu einem weltoffenen, modernen Land herausputzen müssen. Das Gesetz bietet dafür eine gute Basis. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. ({35})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt noch einmal für den Bundesrat der Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller. Peter Müller, Ministerpräsident ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Bundesministers des Innern veranlassen mich aus Sicht der Länder und auch aus Sicht der Unionsseite, noch einmal das Wort zu nehmen und einige Anmerkungen anzufügen. Erstens nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass, nachdem die Koalition die Debatte zu Beginn ausgesprochen konfrontativ geführt hat, ({1}) Ihr Beitrag, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, durch das Bemühen geprägt war, die Gemeinsamkeiten des Kompromisses darzustellen. Insofern haben Sie dazu beigetragen, die Diskussion auf Rationalität und Sachlichkeit zurückzuführen. ({2}) Ich glaube, dass dies positiv, notwendig und auch der Sache angemessen ist. Es war wohltuend, zu sehen, dass in der Koalition neben Eiferertum am Ende doch auch eine deutliche Tendenz zu der Haltung erkennbar war, einen ausgehandelten Kompromiss gemeinsam zu vertreten. ({3}) Zum Zweiten möchte ich, da Sie, wie ich meine, zu Recht, Dankadressen an eine Reihe von Beteiligten gerichtet haben, von meiner Seite aus auch ein ausdrückliches Wort des Dankes an Sie richten. Sie waren in diesen langwierigen Verhandlungen für uns ein manchmal hartnäckiger, manchmal schwieriger, aber immer ein verlässlicher und einigungsorientierter Gesprächspartner. Auch das war eine Voraussetzung dafür, dass der Kompromiss zustande kommen konnte. Dafür herzlichen Dank! ({4}) Ich glaube aber, dass der Dank unvollkommen wäre, wenn wir ihn nicht auch an andere, die bisher nicht genannt worden sind, adressieren würden. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Dank insbesondere an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion richten, die der Verhandlungsgruppe des Bundestages angehört haben ({5}) Ministerpräsident Peter Müller ({6}) - ja, an alle -, in Sonderheit an den Kollegen Bosbach, der in besonderer Weise bereit war - das sollte in diesem Hause anerkannt werden -, unter Hintanstellung persönlicher Interessen und Anliegen an der Herbeiführung eines Kompromisses mitzuwirken. Dafür ein herzliches Dankeschön! ({7}) Ich möchte zu dem, was Sie, Herr Bundesinnenminister, bezüglich des Dankes an den Bundeskanzler gesagt haben, eine Bemerkung machen. Der Bundeskanzler hat keine Selbstgespräche geführt; an diesen Gesprächen waren andere beteiligt. Vielleicht hat er im Rahmen dieser Gespräche ja wirklich einen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet. Er hat nämlich dafür gesorgt, dass am Ende des Prozesses der Ausgestaltung des Gesetzes diejenigen verhandelt haben, die schon vor drei Jahren in bayerischen Klöstern zusammen waren, um über dieses Thema zu reden: ({8}) Es war das Trio Beckstein, Müller und Schily. ({9}) Dieses Trio hat erfolgreich gearbeitet. Die Grünen waren nicht mit am Tisch, auch nicht - ich habe mich vergewissert - unter dem Tisch. ({10}) Insofern mag der Bundeskanzler wirklich einen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet haben. Ich will keine qualifizierende Bemerkung zu dem machen, was Sie gesagt haben mit Blick auf das Maß an Vernunft, das in dieser Debatte von Ihnen in Ihrer Partei verortet worden ist. Eines wird man mit Sicherheit sagen können: Im Laufe der Debatte ist eine ganze Menge an Vernunft angenommen worden - verehrter Herr Bundesaußenminister, schön, dass auch Sie da sind -, was sich daran zeigt, dass eine ganze Reihe von zentralen Forderungen der Union übernommen worden ist. Lieber Herr Bundesaußenminister, wir freuen uns darüber; denn im Himmel ist über einen reuigen Sünder mehr Freude als über 99 Gerechte. Aufseiten der Koalition scheint es einige reuige Sünder zu geben; das kann nur positiv bewertet werden. ({11}) In der Sache selbst will ich noch einmal ausdrücklich anerkennen, Herr Bundesinnenminister, dass die Kosten der Integrationskurse künftig vom Bund übernommen werden. Aus Sicht der Länder will ich nur darauf hinweisen - das gehört eben auch zu einer Debatte -, dass natürlich der Hauptteil der Integrationskosten in der Vergangenheit von den Ländern getragen wurde, was auch in der Zukunft der Fall sein wird: Die Kosten der Unterkunft, der Lebenshaltung, der Zur-Verfügung-Stellung von Kindergartenplätzen, der Zur-Verfügung-Stellung der schulischen Angebote werden von den Ländern getragen. Deshalb glauben wir, dass es eine faire Kostenverteilung ist, wenn die Kosten der Integrationskurse vom Bund übernommen werden. Herr Bundesinnenminister, in einem Punkt haben wir eine unterschiedliche Auffassung - das will ich noch einmal sagen -: in der Frage, inwieweit die Zuwanderung einen Beitrag zur Lösung der Probleme durch die demographische Entwicklung leisten kann. Ich will gar nicht wiederholen, was schon gesagt worden ist; ich will nur auf einen Punkt hinweisen: Wenn in der Vergangenheit die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland nicht in den Arbeitsmarkt stattgefunden hat, sondern in die sozialen Sicherungssysteme, ({12}) dann zeigt dies, dass mit einer solchen Art der Zuwanderung Probleme, auch demographische Probleme, nicht gelöst, sondern verschärft werden, ({13}) und dass Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden muss. ({14}) Sicherlich haben wir eine Reihe von humanitären Verbesserungen erreicht. Ich will aber an dieser Stelle in aller Offenheit Folgendes sagen: Wir werden die humanitären Probleme nicht ausschließlich auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland lösen können. Viele humanitäre Probleme werden nur in den Heimatländern der betroffenen Menschen gelöst werden können. Wir müssen nicht nur die Frage beantworten, wie wir die humanitäre Zuwanderung gestalten werden, sondern wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Menschen, die aufgrund von Chaos, Anarchie und Verfolgung gezwungen sind, zu flüchten, irgendwann einmal in ihre befriedeten Heimatländer zurückkehren können. Der Bereich der humanitären Zuwanderung ist deshalb mit der Entwicklungspolitik und der Entwicklungshilfe eng verbunden. Ich will noch eine letzte Bemerkung machen. Mit dem heutigen Tag wird die Debatte über die Zuwanderung nicht zu Ende sein. Viele Probleme sind noch ungelöst. Beispielsweise haben wir die Probleme hinsichtlich der integrationsorientierten Steuerung des Kindernachzugs noch nicht gelöst. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im Interesse der Kinder liegt, wenn wir unsere Zuwanderungsregelungen und die entsprechenden Strukturen so gestalten, dass diese Kinder so frühzeitig zu uns kommen, dass sie unsere Schulen besuchen können, eine gute Schulausbildung bekommen und auf dieser Grundlage eine gute Chance auf Integration und auf einen Beruf in unserer Gesellschaft haben. ({15}) Ich sage zum Schluss: ({16}) Ministerpräsident Peter Müller ({17}) Dieses Gesetz ist ein Kompromiss, der die Handschrift der Union trägt. ({18}) Dieses Gesetz ist ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Es macht Schluss mit der Vorstellung, Deutschland könne zu einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft umgestaltet werden. Deshalb ist dieses Gesetz zustimmungsfähig. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({1}) - Drucksachen 15/420, 15/522, 15/955, 15/1365, 15/3479 - Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Joachim Hacker Der Berichterstatter im Bundesrat ist Ministerpräsi- dent Peter Müller. Wird das Wort zur Berichterstattung oder zu Erklä- rungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich teile Ihnen mit, dass es 18 Erklärungen zur Ab- stimmung - unter anderem von den Abgeordneten Roth, Winkler, Tritz, Beck, Müller und Nickels - gibt.1) Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag gemeinsam über die Änderungen abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 15/3479? - Gegenstimmen? ({2}) Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit fast allen Stimmen des Hauses gegen zwei Stimmen aus der Fraktion der CDU/CSU und gegen zwei Stimmen der fraktionslosen Abgeordneten angenommen. ({3}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes 1) Anlagen 4 bis 9 zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes ({4}) - Drucksache 15/1498 ({5}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) - Drucksache 15/3475 Berichterstattung: Abgeordnete Ute Berg Grietje Bettin Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Herr Professor Dr. Peter Frankenberg, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes BadenWürttemberg. Dr. Peter Frankenberg, Minister ({7}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Veränderung des Verfahrens der Hochschulzulassung, das heißt die Veränderung des Auswahlrechts der Hochschulen in den so genannten ZVSStudiengängen, also den Studiengängen mit bundesweitem Bewerberüberhang, ist aus meiner Sicht ein großer Schritt nach vorn für die Stärkung der Hochschulautonomie und dafür, die geeigneten Studierenden auch in diesen Studiengängen für die entsprechenden Studienplätze zu finden bzw. zu gewinnen. Immerhin können 20 Prozent der Studierenden nach Abiturleistung und 60 Prozent nach besonderen Auswahlverfahren ausgewählt werden. 20 Prozent der Studienplätze werden nach Wartezeit vergeben. Damit wird bundesweit in den betreffenden Studiengängen wie etwa Medizin etwas möglich, was weltweit seit jeher üblich ist, und der Anachronismus des bisherigen ZVS-Verfahrens überholt. Positiv ist auch, dass das Gesetz, was die Auswahlkriterien betrifft, nur Regelungsbeispiele enthält, also die Option gibt, dies von Land zu Land nach dem jeweiligen Landesrecht gemäß den Auswahlkriterien unterschiedlich auszugestalten. Wie kam es zu der Gesetzesinitiative des Bundesrates? - Dahinter standen einige Länder wie Hamburg und auch Baden-Württemberg, deren Vertreter von der Überzeugung getragen sind, dass das, was international üblich ist, nämlich dass sich Hochschulen ihre Studierenden selbst auswählen bzw. die Studierenden ihre Hochschulen selbst auswählen sollten, in Deutschland ebenfalls üblich sein sollte, und zwar auch in den Studiengängen, in denen die Studienplätze jetzt noch im Rahmen des ZVS-Verfahrens zugeteilt werden. Minister Dr. Peter Frankenberg ({8}) Wir haben dann in der Kultusministerkonferenz eine Einigung erzielt. Dies spricht für die KMK, spricht dafür, dass die Länder durchaus in der Lage sind, ihre Kulturhoheit wahrzunehmen und zu gemeinsamen Regelungen zu kommen. Es kam zu einer Gesetzesinitiative des Bundesrates, die hier zunächst einmal nicht akzeptiert worden ist. ({9}) - Ich begrüße auch Ihren Sinneswandel, Herr Tauss. Das entspricht dem Sinneswandel von vielen Vertretern auf der Seite der Regierungskoalition, die ganz zu Anfang des Prozesses immer wieder Argumente gegen eine Auswahl von Studierenden durch die Hochschulen vorgebracht haben. ({10}) Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass sich nun auch in der Regierungskoalition die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass das, was weltweit gang und gäbe ist, in Deutschland nicht falsch sein kann. ({11}) - Herr Tauss, ich habe ein gutes, lange Zeit zurückreichendes Gedächtnis. ({12}) - Das muss auch nicht sein. ({13}) Der Streit über die Frage, ob in diesem Gesetz die Worte „bis zu“ stehen sollten oder nicht, zeigt, dass wir offenbar wenig Zutrauen in die Institutionen haben, die ein solches Gesetz durchführen. Die entsprechende Liberalität hätte man durchaus an den Tag legen können. Wir stehen übrigens zu den Zusagen, die wir Länder zu dem noch abzuschließenden Staatsvertrag gemacht haben. Ich meine, dass der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des HRG ein guter Schritt nach vorn ist. Aber er ist eben nur ein Schritt auf dem Weg in die Deregulierung des deutschen Hochschulsystems. ({14}) Wir müssen weitere Innovationshemmnisse beseitigen, wenn wir unsere Hochschulen wirklich in die Freiheit, das heißt in den Wettbewerb und die Wettbewerbsfähigkeit, entlassen wollen. ({15}) Das Hochschulrahmengesetz - das ist eine Aufgabe der Föderalismuskommission - ist eigentlich entbehrlich. Das, was wir an Einheitlichkeit brauchen, können wir durch einen Staatsvertrag regeln. Zu viele Regelungen und Regulierungen behindern den Wettbewerb. Standardisierung führt, wie wir aus der Wirtschaft und aus den Hochschulen wissen, zu Stillstand. Stillstand darf es aber nicht geben, sondern wir müssen durch eine weitgehende Deregulierung, durch eine Rückführung von Regelungen auf das absolut Notwendige, den Wettbewerb weiter entfachen. Dann haben wir ein weiteres großes Hindernis: Das ist das Kapazitätsrecht. Das gibt es weltweit nirgendwo so. Wenn wir Elite wollen, müssen wir an Hochschulen Kleingruppen akzeptieren und bessere Betreuungsrelationen rechtlich möglich machen. Dann müssen wir, um ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Mannheim zu zitieren, das von einer unzulässigen Niveaupflege ausging, Niveaupflege an deutschen Hochschulen möglich machen. Dass man einen solchen Satz überhaupt aussprechen muss, zeigt schon, wohin wir mit unseren Regulierungen letztlich gekommen sind. ({16}) Wenn man dies will, braucht man für die Hochschulen mehr Mittel. Aber wir alle wissen, dass diese Mittel nicht im Rahmen einer staatlichen Finanzierung zur Verfügung stehen. Es ist nicht einzusehen, dass diejenigen, die letztlich einen großen Vorteil vom Studium haben, keinen entsprechenden Beitrag - wenn sie dies von ihrer sozialen Lage her können - leisten. ({17}) Das heißt, Studiengebühren sind eine unabdingbare Voraussetzung für eine bessere Finanzierung der Hochschulen. Zumindest macht das allgemeine Studiengebührenverbot im HRG überhaupt keinen Sinn. ({18}) Es macht genauso wenig Sinn, eine verfasste Studierendenschaft im HRG festzuschreiben. ({19}) Die verfasste Studierendenschaft fördert nicht die Qualität von Forschung und Lehre. ({20}) Das heißt: Um Spitzenhochschulen zu erreichen, brauchen wir in erster Linie eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen und entsprechende Deregulierungen. Erst die Freiheit von Regelungen setzt jenen Wettbewerb frei, aus dem internationale Spitzenhochschulen entstanden sind. Harvard ist in einem Wettbewerb entstanden, und zwar durch Wettbewerb ohne Einfluss der amerikanischen Regierung. Genau diese Möglichkeiten müssen wir unseren Hochschulen geben. - Übrigens wählen natürlich Harvard oder Stanford alle Studierenden in einem sorgfältigen Auswahlverfahren aus. - Natürlich müssen jetzt die Professorinnen und Professoren sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unseren Hochschulen Zeit und Energie in die Auswahl von Studierenden investieren, wie sie überhaupt Minister Dr. Peter Frankenberg ({21}) manchmal etwas mehr Zeit und Energie für die Studierenden aufwenden sollten. ({22}) Es ist nun an den Hochschulen, in den Studiengängen das Beste aus dem Auswahlrecht zu machen, das wir ihnen zugestehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend denjenigen danken, die es als Mitarbeitende in den Arbeitsgruppen ermöglicht haben, dass dieser meiner Ansicht nach gute Kompromiss - ein Kompromiss muss nicht von vornherein schlecht sein - zustande gekommen ist. Ich danke Herrn Staatssekretär Krebs aus Nordrhein-Westfalen, Staatssekretär Catenhusen von der Bundesregierung und Ministerialdirektor Fröhlich aus meinem Hause. ({23}) - Das sind Sie immer, Herr Tauss. Dass es so lange gedauert hat, ist eigentlich entbehrlich gewesen. Wir hätten viel früher zu einem solchen Ergebnis kommen können, wenn es auf der Seite der Regierungskoalition eine größere Offenheit für die Auswahl von Studierenden durch die Hochschulen gegeben hätte. Man kann als Fazit festhalten: Was lange währt, wird endlich gut, auch wenn sich viele lange dagegen gewehrt haben. Ich bitte Sie, der Vorlage zuzustimmen. Vielen Dank. ({24})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Hochschulen sind die zentralen Schnittstellen zwischen Bildung, Forschung und Innovationen. Genau deshalb entscheiden sie in einem ganz bedeutenden Maße über die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft, über ihren Fortschritt und über ihren Wohlstand. Sie sind in einer Wissensgesellschaft, in einer globalisierten Welt sehr wichtig, weil sie einen Beitrag zur Entwicklungsfähigkeit und zur Sicherung der Zukunft unserer Gesellschaft leisten. ({0}) Hochschulen sind Zentren des grenzüberschreitenden Austausches und der internationalen Verständigung. Sie sind Ideenschmieden und Zukunftswerkstätten, die Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit geben und die für einen schnellen Transfer neuen Wissens und neuer Erkenntnisse in die Gesellschaft, in die Wirtschaft und zu den Menschen hin sorgen. Sie sind der Ort, an dem sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Studierende im In- und Ausland ihre Laufbahn nicht nur beginnen, sondern oft auch zu Spitzenkarrieren ausbauen. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Hochschulen unseres Landes weiter stärken müssen, wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe, um exzellente Forschungsergebnisse und um innovative Produkte international konkurrenzfähig bleiben wollen. Mein Ziel sind deshalb lebendige und international attraktive Hochschulen, an denen hervorragend ausgebildet wird, in denen neue Ideen entstehen und in denen sich Kreativität auch wirklich entfalten kann. Mein Ziel sind Hochschulen, an denen sich Studierende und Wissenschaftler aus aller Welt wohl fühlen, an denen sie gerne lehren und forschen und an denen sie Bedingungen vorfinden, die sie zu Höchstleistungen anspornen. ({1}) Dafür ist in den vergangenen Jahren neben der deutlichen Erhöhung der Finanzierung durch die Bundesregierung mit einem Plus von 23 Prozent bereits vieles in Bewegung gesetzt worden. Ein Beispiel für notwendige strukturelle Veränderungen ist das neue Besoldungsgesetz, das eine leistungsgerechtere Bezahlung von Professorinnen und Professoren vorsieht. Ich sage ausdrücklich: Ich bedauere sehr, dass die Länder sich offensichtlich so schwer tun, dieses neue Besoldungsgesetz in Landesrecht umzusetzen. ({2}) Weitere Stichworte sind die Einführung der Bachelorund Masterstudiengänge als Regelstudiengänge im Hochschulrahmengesetz, die Einführung der Juniorprofessur oder auch die Programme zur Nachwuchsförderung wie zum Beispiel das Emmy-Noether-Programm, das wir gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den Weg gebracht haben. Dazu kommen Initiativen wie der hoch dotierte Sovja-KovalevskajaPreis, mit denen wir exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt gewinnen konnten, die hier Forschungsgruppen und Forschungsschwerpunkte aufbauen. Eine kürzlich erschienene OECD-Studie zeigt, dass Deutschland inzwischen zu den Gewinnern der so genannten Brain-Circulation gehört. Dazu trägt im Übrigen auch das professionelle Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland bei, das wir vor vier Jahren gestartet haben. Das ist ein Erfolg, der kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. ({3}) Diesen Modernisierungskurs und diesen Kurs der Stärkung unserer Hochschulen setzen wir konsequent und entschlossen fort. Das heißt vor allem, dass wir den Hochschulen die größtmögliche Autonomie geben. Ich sage ausdrücklich: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir den Hochschulen deutlich mehr Eigenständigkeit und Selbstständigkeit übertragen sollen. Das gilt im Übrigen für alle Bildungseinrichtungen. ({4}) Herr Frankenberg, in dem Zusammenhang muss vor allen Dingen einmal klar und deutlich gesagt werden, dass die meisten Regularien, Vorschriften und Verordnungen im Landesrecht zu finden sind ({5}) und dass es den Hochschulen leider nicht hilft, wenn, wie zum Beispiel in der HRG-Novelle, das gesamte Kapitel zur inneren Organisation der Hochschulen gestrichen wird - hier gibt es keine bundesrechtlichen Vorschriften mehr -, aber die dadurch entstehenden Freiräume durch Landesrecht detailliert wieder ausgefüllt werden, sodass die Hochschulen nichts davon spüren. ({6}) Ich habe hier schon mehrfach angeboten, die bundesrechtlichen Regelungen auf vier Punkte zu konzentrieren: auf die Zulassung, auf die Abschlüsse, auf das Dienstrecht und auf die Verpflichtung, ein internes und externes Qualitätssicherungssystem aufzubauen. Ich erwarte aber - und darum geht es -, dass die Freiräume, die wir als Bundesgesetzgeber schaffen, dann auch direkt an die Hochschulen weitergegeben und nicht wieder durch Landesrecht ausgefüllt werden. ({7}) Durch die Erweiterung ihrer Gestaltungsspielräume - weg von staatlicher Gängelung, hin zu mehr Autonomie - erhalten unsere Hochschulen die Chance, im Wettbewerb mit anderen eigenständig klare Schwerpunkte zu setzen und ein unverwechselbares Profil zu entwickeln. Lieber Herr Rachel, zu Ihrer Frage, die Sie ruhig auch als Zwischenfrage stellen können: Wenn die Länder sich damit einverstanden erklären, bin ich bereit, diesen Gesetzentwurf hier vorzulegen. Das will ich klar und deutlich sagen. ({8}) Diesem Leitziel, nämlich mehr Autonomie und Selbstständigkeit, folgt auch die jetzt vorliegende Verständigung über die Neuregelung des Hochschulzugangs. Ziel der Reform ist es, die Bewerberauswahl in den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen in einem wesentlich größeren Umfang als bisher von der ZVS auf die Hochschulen zu übertragen. Die Hochschulen erhalten damit die Autonomie, die sie seit langem gefordert haben und die sie brauchen, um institutionell gestärkt zu werden und im Wettstreit mit anderen Hochschulen eigene Profile entwickeln zu können. Mehr Autonomie für die Hochschulen bedeutet gleichzeitig aber auch mehr Verantwortung für die Studierenden. Das ist richtig und wichtig, denn dieses Mehr an Verantwortung unterstützt unser Ziel, eine neue Verantwortungskultur zwischen Universität, Hochschule und den Studierenden zu schaffen und damit dazu beizutragen, Studienberatung, Studienbedingungen und Studienerfolg zu verbessern. Herr Frankenberg, Sie sagten: Ich hätte mir auch gewünscht, dass dies schneller geschieht. Da stimme ich Ihnen zu. Aber leider haben sich die Länder nicht auf einen Vorschlag einigen können. Genau das war unser Ziel. Vielmehr wurden vonseiten der Länder zwei unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen. Das aber ist weder für die Hochschulen noch für die Studierenden die richtige Lösung. ({9}) Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, in den Verhandlungen zu einem Vorschlag zu kommen, der ein wirklich gutes Ergebnis darstellt. Mit der Reform wird die Studienplatzvergabe in den besonders nachgefragten ZVS-Fächern für die Bewerberinnen und Bewerber gerechter, chancenoffener und weniger zentralistisch gestaltet. Wer die Abiturgrenznote des Numerus clausus knapp verfehlt hat und bisher lange auf einen Studienplatz warten musste, erhält mit dem neuen Hochschulauswahlverfahren eine zweite Zulassungschance. Die Hochschulen können dabei neben der Abiturdurchschnittsnote insbesondere gewichtete Einzelnoten, Ergebnisse eines fachspezifischen Tests, berufspraktische Tätigkeiten und das Ergebnis eines Auswahlgesprächs heranziehen. Nach Abzug der Sonderquoten, zum Beispiel für soziale Härtefälle, stehen so 60 Prozent der verbleibenden Studienplätze allen Bewerberinnen und Bewerbern offen. Daneben gehen rund 20 Prozent der Studienplätze an die Abiturbesten, die sich die Hochschule, an der sie studieren wollen, selbst aussuchen können. Weitere 20 Prozent der Studienplätze werden nach Wartezeit vergeben. Das Landesrecht kann für das Hochschulauswahlverfahren Vorgaben machen und ergänzend weitere Kriterien wie etwa außerschulische Aktivitäten vorsehen. Sie haben als Landesgesetzgeber aber auch die Möglichkeit, die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens ganz in die Hand der Hochschulen zu legen. Das unterstreiche ich hier noch einmal ganz ausdrücklich. Ich glaube, dass es auch zu der Autonomie der Hochschulen gehört, die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens auf der Grundlage dieser generellen Kriterien wirklich in die Hand der Hochschulen zu geben. Rahmenrechtlich festgelegt ist lediglich, dass die Abiturdurchschnittsnote berücksichtigt werden muss und - darüber waren wir uns alle einig - ein maßgebliches Gewicht bei der Auswahlentscheidung haben muss. Das ist sinnvoll, weil die Untersuchungen zeigen, dass sie ein empirisch gut belegter Indikator für einen späteren Studienerfolg ist. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt die Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom 30. Januar dieses Jahres auf eine überzeugende Art und Weise um: Die Neureglung ist praktikabel, weil sie Hemmnisse beseitigt, die die Auswahl von Studierenden durch die Hochschulen bisher unattraktiv gemacht haben. Sie ist gerecht, weil sie den Bewerberinnen und Bewerbern ein chancenoffenes Verfahren bietet. Sie ist transparent, weil sie die wesentlichen Kriterien für die Auswahl im Hochschulrahmengesetz festlegt und damit bundesweit klar definiert. Also sind all die Ziele, die ich im Namen der Bundesregierung vor gut anderthalb Jahren im Rahmen einer Stellungnahme zu dem Vorschlag des Bundesrates diesem zugeleitet habe, in diesem richtig guten Kompromiss erfüllt. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass diese Neuregelung ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der deutschen Hochschulen ist. Sie ist ein Schritt weg von staatlicher Bevormundung und hin zu mehr Verantwortung, mehr Wettbewerb und Qualität. Damit sind sowohl die Hochschulen als auch die Studierenden klare Gewinner dieser Reform! ({10}) Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir haben in Deutschland viele leistungsfähige Hochschulen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Chancen haben, unsere Universitäten so zu positionieren, dass sie auch in zehn oder 15 Jahren noch weltweit ein hohes Renommee haben und als attraktive Orte gelten, an denen es sich lohnt, zu forschen und aktiv tätig zu sein. Das ist die Zielsetzung, das ist die Chance, die wir den Hochschulen mit dem Wettbewerb, den wir vorgeschlagen haben, einräumen möchten: Wir wollen den Hochschulen durch Wettbewerb die Chance geben, sich in die internationale Spitze zu entwickeln. Wir haben nach intensiven Beratungen am 7. Juni 2004 eine gute Verständigung über die Eckpunkte erzielt, mit einem Ergebnis, das sich sehen lassen kann: Vorgesehen sind ein Wettbewerb um Spitzenuniversitäten, ein Wettbewerb um stärker fachbezogene Exzellenzcluster und ein Wettbewerb um Graduiertenschulen. Ich hoffe sehr, dass diese Chance zur Entwicklung der Universitäten nicht dem parteitaktischen Kalkül geopfert wird, sondern dass diese Chance unseren Universitäten eröffnet wird, damit sie sich weiterentwickeln können und gestärkt werden, sodass sie auch in zehn Jahren noch weltweit eine wichtige Rolle spielen, damit der Wissenschaftsstandort Deutschland, für den es sich wirklich zu arbeiten lohnt, auch in zehn Jahren noch weltweit große Achtung genießt und Attraktivität besitzt. Deshalb hoffe ich, Herr Frankenberg, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Vorschlag, dieser Wettbewerb, auf den wir uns geeinigt haben, auch umgesetzt wird. Vielen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute hier über den Hochschulzugang. Zunächst möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, jemandem zu gratulieren, nämlich dem Neuzugang in die Reihen der Regierungsbank. Herr Kasparick, herzlichen Glückwunsch im Namen des Ausschusses zu Ihrer Ernennung zum Staatssekretär! ({0}) Sie werden es mit uns nicht leicht haben, Herr Kasparick, wir bemühen uns aber. Im Januar dieses Jahres hat Ihr Vorgänger im Amt, Christoph Matschie, einen sehr wichtigen Satz gesagt: Ich glaube, wir können weiter gehen und den Hochschulen die Wahl der Studenten vollständig überlassen. Das ist ein sehr kluger Satz - aus Sicht der FDP -, für den er leider von Ihnen, Frau Bulmahn, sehr heftig gerüffelt wurde. Das, was er vorgeschlagen hat, ist aber richtig: Die deutschen Hochschulen brauchen die Freiheit, sich ihre Studenten selbst auszusuchen, und dies für 100 Prozent der Studienplätze und nicht nur anteilig, wie Sie es uns heute hier vorschlagen. ({1}) Die Einigung, die die Bundesländer und die Bundesregierung nun vorlegen, gesteht den Hochschulen diese Freiheit nicht für 100 Prozent, sondern nur für 60 Prozent der Studienplätze zu. Nach dem geltenden Recht sind es 24 Prozent. Damit haben wir also eine Verbesserung - deswegen werden wir uns gleich enthalten -, aber das Schlimme ist: Das alte Vehikel der Zwangsverteilung durch die ZVS bleibt bestehen. Unser Ziel ist deutlich ambitionierter: Wir wollen die ZVS überflüssig machen und wir wollen mehr Autonomie für die Hochschulen. Der Hochschulzugang muss als ein Mittel für Profilbildung und Wettbewerb der Hochschulen benutzt werden; das ermöglicht Ihr Modell eben nur in ganz kleinen Ansätzen. Die Einigung der Länder ist eine Einigung vor allen Dingen zu ihren eigenen Gunsten, zugunsten der Länder, nicht zugunsten der Hochschulen. Die Länder erhalten das Recht, 60 Prozent der Studienplätze durch die Hochschulen vergeben zu lassen. Da bin ich einmal ganz auf Ihrer Seite, Frau Bulmahn: Wir haben hier wieder den typischen Reflex der Länder, das zu greifen, was der Bund gerade aus seiner Gesetzgebung entlassen hat. Das kann nicht sein. Wenn etwas freigegeben wird, müssen die Hochschulen die Profiteure sein und nicht die jeweiligen Länderministerien. ({2}) Die Neuregelung wird der Hochschullandschaft aus Sicht der Freien Demokraten etwas weiterhelfen, aber nicht weit genug: Das autonome Recht der Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen darf eben weder durch Bundes- noch durch Landesvorschriften eingeschränkt werden. Die Kriterien, nach denen die Hochschulen diese Auswahl vornehmen - Tests, Auswahlgespräche oder aber auch Auswahl nach der Abiturnote -, sollen die Hochschulen nach unserer Meinung eben selbst definieren, nicht aber der Ministerialapparat der jeweiligen Länder. Wenn Sie diesen Kompromiss heute als einen großen Wurf bezeichnen, dann haben Sie, Frau Bulmahn, sich von Ihren selbst gesteckten Zielen sehr weit entfernt. In Ihren bildungs- und forschungspolitischen Schwerpunkten für die 15. Wahlperiode heißt es - ich zitiere -: Wir setzen bei der Weiterentwicklung der Hochschulen auf größtmögliche Autonomie, auf Wettbewerb und auf eigenständige Profilbildung statt auf staatliche Bevormundung. ({3}) An diesem kleinen Beispiel lässt sich sehen, was bei Ihnen Anspruch ist und was im Endeffekt in der Realität dabei herauskommt. ({4}) Wir wissen, dass die Hochschulen bisher eher zurückhaltend auf die Möglichkeit der Selbstauswahl reagiert haben. Das sehen wir genauso wie Sie. Es ist auch nur menschlich, dass sie den Aufwand der Gespräche, der Tests und all dessen, was dabei auf sie zukommt, scheuen, ({5}) weil das viel Zeit kostet, die von Forschung und Lehre abgeht. Es ist aber purer Paternalismus, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf diese Zurückhaltung damit zu reagieren, dass weiterhin der Staat meint, die besten Studierenden selbst auswählen zu müssen. Es ist ein Irrtum, zu meinen, dass der umsorgende Staat die Ungerechtigkeiten bei der Auswahl möglichst korrigieren soll. Die Hochschule selbst kann in ihrer Satzung festlegen, welche Kriterien für die Auswahl gelten sollen. Dabei können soziale Kriterien ebenso eine Rolle spielen wie Begabung oder die Abiturdurchschnittsnote. Warum trauen Sie den Hochschulen nicht mehr zu, liebe Kolleginnen und Kollegen? Sie können es und sie sind genauso an bundesgesetzliche bzw. an grundgesetzliche Regelungen gebunden, wie das jeder von uns in diesem Hause ist. ({6}) Lassen Sie mich zum Abschluss, Frau Bulmahn, noch etwas zum Hochschulrahmengesetz im Allgemeinen sagen; Sie haben es eben wieder erwähnt. Sie legen heute erneut nur Stückwerk vor, erzählen uns aber bei jeder Gelegenheit, dass Sie doch die große Novelle auf den Tisch legen wollen, die aber dann nur zwei bis drei Seiten ausmacht. Liebe Frau Bulmahn, verstecken Sie sich nicht hinter den Ländern! Stimmen Sie dem FDP-Gesetzentwurf zu, der schon seit mehreren Monaten vorliegt! ({7}) Wagen Sie endlich den Sprung nach vorn! ({8}) An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch Folgendes sagen: Wir sind gerade von der Delegationsreise aus einem Land zurückgekommen, in dem man uns gefragt hat, warum die Deutschen so unbeweglich sind. Das deutsche Hochschulrahmengesetz und die Diskussionen um dieses Gesetz zeigen wieder einmal deutlich: Wir sind zu langsam; wir haben keinen Mut; wir bewegen uns nicht an den Stellen, an denen wir es endlich tun müssten. ({9}) Folgen Sie uns! Die FDP hat im Gegensatz zu Ihnen den Mut. Sie hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, lieber Herr Tauss. Es wäre schön, wenn die Bürger dieses Landes das bei den Wahlen demnächst honorieren würden. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ursula Sowa, Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Sowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Bildungsausschuss haben wir uns mit sehr großer Mehrheit auf eine bundesweite Reform des Hochschulzugangs geeinigt, soweit sie zulassungsbeschränkte Studiengänge betrifft. Diese Reform wird Schwung in die Hochschullandschaft bringen. Wir stärken nicht nur das Recht der Hochschulen, indem sie sich den größten Teil der Studierenden in diesen Studiengängen künftig selbst aussuchen können; wir stärken auch die Studierenden, weil die Abiturbesten den Studienort selber frei wählen können. ({0}) Das führt zu einem Wettbewerb unter den Hochschulen um die sehr motivierten Studienanfänger und -anfängerinnen. ({1}) - Sie werden es sehen: Das wird einen Wirbel in dieser Republik auslösen. Da steht These gegen These. ({2}) Einigkeit besteht wohl auch in der Frage, wie es mit der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze weitergeht. Die ZVS soll eine Serviceeinrichtung werden. Sie soll den Hochschulen zur Vereinfachung der Verfahren dienen und aufwendige, zeitraubende Mehrfachbewerbungen der Studierenden vermeiden. Damit haben wir für einen Teil der Studiengänge ein Stück mehr Selbstbestimmung für die Hochschulen und die Studierenden geschaffen. Es geht aber auch um mehr als nur eine Neuregelung der bisherigen Aufgaben der ZVS. Wir brauchen eine umfassende Verbesserung des Übergangs von der Schule, vom Gymnasium, zur Hochschule. Es geht nicht nur um Zulassungsverfahren in Bezug auf bestimmte Studiengänge, sondern auch um die Reform einer Schlüsselstelle des Bildungssystems, nämlich der Übergangsphase zwischen der Schule und den ersten Semestern in der Hochschule. Wir wollen sicherstellen, dass mehr junge Menschen eine Hochschulbildung anstreben und es regelrecht „in“ finden, zu studieren, dass kein junger Mensch aufgrund seiner sozialen Herkunft vom Studium abgehalten wird und dass durch bessere Beratung vor dem Studium mehr Studierende ihr Studium auch wirklich durchhalten und nicht mehr abbrechen, was leider häufig der Fall ist; die Quote ist sehr hoch. Wir können es den staatlichen Hochschulen schon aus diesen Gründen nicht gänzlich überlassen, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen, ({3}) wie es beispielsweise Frau Flach stellvertretend für die FDP fordert. ({4}) Wir wollen die Zahl der Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland weiterhin erhöhen. In Zukunft sollen mehr Menschen ein Studium abschließen. Diese politische Entscheidung haben wir gesamtgesellschaftlich zu verantworten. Aus diesen Gründen können wir es den Hochschulen nicht hundertprozentig freistellen, wie viele Menschen sie aufnehmen und wie sie sie ausbilden wollen. ({5}) - Jetzt ist es hier in diesem Raume ganz klar und ich freue mich über Ihre Resonanz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sollen die Hochschulen und Studiengänge weitestgehend eigene Kriterien für ihre Aufnahmeverfahren aufstellen. Frau Flach, das ist sinnvoll; ich pflichte Ihnen hier bei. Für diese Kriterien brauchen wir aber einen bundesweit geltenden Rahmen von Standards, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten. ({6}) Zu diesen Standards zählen für uns insbesondere: Die Abiturnoten müssen ein angemessenes Gewicht in der Auswahl erhalten. Natürlich dürfen und sollen die Hochschulen auch außerschulische Leistungen der Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigen. 40 Prozent der Studienabbrecherinnen und -abbrecher haben nämlich ein gutes oder sehr gutes Abitur. Das ist also kein Garantieschein dafür, dass man ein Studium auch tatsächlich durchhält. Deswegen kann die Abiturnote für viele Fächer nicht mehr das alleinige Kriterium sein. Auch gute außerschulische Leistungen sollen auf angemessene Weise Eingang in das Auswahlverfahren finden können. Die Hochschulen müssen den Nachweis führen, dass Studierende nicht aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft benachteiligt werden. Die Qualität und die Auswirkungen der Auswahlverfahren müssen in die externe Evaluation der Hochschulen eingeschlossen werden. Die Kriterien der Auswahl durch die Hochschulen müssen offen gelegt und überprüfbar sein. Nur durch Transparenz ist es Bewerberinnen und Bewerbern möglich, zu wissen, was sie erwartet und welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen. Auch die Auswahl muss transparent und nachvollziehbar sein. Das gilt insbesondere für Auswahlgespräche. Sie dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass Professoren und Professorinnen Bewerber nach ihrer jeweiligen Nasenspitze oder nach irgendwelchen Beziehungskisten auswählen. ({7}) Die Hochschulen können alternativ eine Orientierungsphase einführen - das ist in der Tat ein Novum -, die mit einer Eignungsprüfung nach zwei Semestern abschließt. Aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist es aber am wichtigsten, dass in der Phase nach dem Abschluss des Gymnasiums und vor dem Studienbeginn eine wirklich intensive Studienberatung durchgeführt wird. Wie bereits gesagt: Es gibt in Deutschland sowohl im europäischen Vergleich als auch gemessen an den Bedürfnissen unserer Volkswirtschaft zu wenige Studierende und Akademiker. Fatal ist daher die Neigung vieler Bundesländer, die Anzahl der Studienplätze an ihren Hochschulen stetig zu reduzieren. ({8}) Wir müssen daher zu einer bundesweiten Vereinbarung über vorzuhaltende Studienplätze kommen. Es kann nicht sein, dass einige wenige Bundesländer - ich nenne sie hier nicht - und Stadtstaaten - es sind mehrere - weit über ihre Verhältnisse Studierende ausbilden, während andere Bundesländer ihr Kontingent stets verknappen, um Geld zu sparen. ({9}) Aus diesem Grund können wir auch in Zukunft die Kapazitätsordnungen nicht ersatzlos abschaffen. ({10}) Hier sind die Länder am Zug. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich will Sie nicht mit einer Studienplatzumlage in Verwirrung bringen; ({11}) aber dass die akademische Ausbildungsleistung eines Bundeslandes in den Länderfinanzausgleich einfließt, halten wir von Bündnis 90/Die Grünen für überaus gerechtfertigt. ({12}) Bei der Reform des Hochschulzugangs geht es um mehr als nur darum, Angebot und Nachfrage von Studiengängen konkurrenzfähig zu machen. Es geht vielmehr darum, mehr Studierende in Studiengänge zu bringen, die ihren Neigungen und Begabungen am besten entsprechen, und darum, dass sie sich künftig „ihre“ Hochschule aussuchen können. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz werden wir eine neue Kultur und damit Schwung in die deutsche Hochschullandschaft hineinbringen. Davon bin ich überzeugt. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag von Frau Sowa hat noch einmal deutlich gezeigt, worum es geht: Die restlichen Quoten will sie nicht aufheben, beim Auswahlverfahren gibt es zig Dinge, auf die nicht verzichtet werden darf, und die Kapazitätsverordnung will sie schon gar nicht anpacken. Was wir hier von Rot-Grün geboten bekommen, bedeutet auf jeden Fall nicht mehr Freiheit, sondern eine Fortsetzung der Drangsalierung der Hochschulen. ({0}) Ein Schritt vor, zwei zurück - so lautete bislang das Motto der Bundesbildungsministerin bei den Reformen im Bereich Forschung und Hochschulen. Heute geht es immerhin mit einem Schritt vorwärts in die richtige Richtung. Aber, Frau Bulmahn, wir haben viel Zeit verloren. Die Hochschulen haben mehr Verantwortung bei der Studentenauswahl eingefordert. Gerhard Casper - es ist angedeutet worden -, der emeritierte Präsident der Stanford University, hat gefordert - Zitat -: Die freie Auswahl der Studierenden ist die dringlichste Reform in Deutschland. - Er hat mit dieser Aussage Recht. ({1}) Auch die Analyse des Wissenschaftsrates hat gezeigt, dass für eine Reform des Hochschulzugangs dringender Anlass besteht. Weit über die Hälfte der Studienanfänger war bisher zu Studienbeginn nicht ausreichend über Studienfach und Hochschule informiert. Beinahe die Hälfte der Studierenden wählte die Hochschule nach studienfachfremden Kriterien, zum Beispiel Nähe zum Heimatort. ({2}) Ein anderer Punkt sind gravierende Mängel der Studienund Berufsberatung. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Schulabschlussnoten nur begrenzt vergleichbar sind. Die jeweiligen Leistungsniveaus sind nur eingeschränkt transparent. Die genannten Defizite leisten einen erheblichen Beitrag dazu, dass sich die Probleme an den Hochschulen gerade in den ersten Semestern verschärfen. Fast ein Viertel der Studierenden an unseren Hochschulen bricht das Studium ohne einen Hochschulabschluss endgültig ab, ein großer Teil davon in den höheren Semestern. Ein weiteres Viertel bricht den zunächst gewählten Studiengang ab und setzt das Studium in einem anderen Fach fort. Zuvor erbrachte Studienleistungen werden nicht angerechnet. Diese Zahlen zeigen einen Teil der Misere an den deutschen Hochschulen. Deshalb ist eine Reform des Hochschulzugangs dringend überfällig. Mit ihr wollen wir zwei Ziele erreichen: Erstens. Die studierwilligen jungen Leute sollen verstärkt das Fach studieren, in dem ihre wirklichen Fähigkeiten und Neigungen liegen. Ein verbesserter Hochschulzugang muss dazu beitragen, die hohen Studienabbruchquoten künftig zu verringern. ({3}) Zweitens. Ein neuer Hochschulzugang, der gerade die Auswahlmöglichkeiten der Hochschulen verstärkt, ist ein gelungenes Mittel, um die Profilierung der einzelnen Universitäten und Fachhochschulen voranzutreiben. Dies fördert den gesunden Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Nach langer, viel zu langer Zeit hat Frau Bulmahn die Forderungen von Hochschulen und Opposition nach einer Reform des Hochschulzugangs ernst genommen. Die nunmehr zwischen Bund und Ländern vereinbarte NeuThomas Rachel regelung bleibt leider hinter unseren Empfehlungen zur kompletten Übertragung des Auswahlrechts an die Hochschulen zurück. Sie ist aber ein akzeptabler Kompromiss, um endlich den Weg in Richtung einer größeren Autonomie der Universitäten einzuschlagen. 60 Prozent der Studierenden in NC-Fächern sollen ab dem Wintersemester 2005/2006 von den Hochschulen selber in Auswahlverfahren bestimmt werden. Die Wahrheit ist aber auch: Bis vor kurzem wollten die SPDregierten Bundesländer in ihrem Bereich eine Hochschulauswahlquote von nur 25 Prozent zugestehen. Es waren Sozialdemokraten und Grüne, die im Bremserhäuschen saßen. Unser gemeinsamer Druck hat jetzt Bewegung in die Sache gebracht. ({4}) 20 Prozent der Studienplätze werden weiterhin an die Abiturbesten vergeben, die letzten 20 Prozent der übrigen Bewerber unter Berücksichtigung ihrer Wartezeiten. Dieses Kriterium bleibt problematisch. Eine Wartezeit passt nicht in ein wettbewerbsorientiertes Hochschulsystem. Sie gibt keinen ernsthaften Aufschluss über die Eignung eines Bewerbers oder einer Bewerberin für ein Studium. Das beste Kriterium sind und bleiben Auswahlverfahren. Sie verlangen natürlich von Professoren und Hochschulen Einsatz, Arbeit und Zeit; aber sie sind ein sinnvolles Mittel, um junge Leute mit Eignung, Motivation und Leidenschaft für ihre künftigen Arbeitsgebiete herauszukristallisieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte sich eine sehr viel weiter gehende Regelung vorstellen können als das, worauf sich Bundesländer und Bundesregierung heute geeinigt haben. ({5}) Wir treten weiterhin für ein möglichst umfassendes Auswahlrecht für die Hochschulen ein. ({6}) Wir werden den vorliegenden Antrag aber als Schritt in die richtige Richtung unterstützen; denn wir sind eine konstruktive Opposition. Wir werden allerdings an dem Ziel festhalten, die ZVS in ihrer derzeitigen Form überflüssig zu machen und sie in eine Dienstleistungsagentur für die Hochschulen umzuwandeln. Freiheit für die Hochschulen, auch bei der Auswahl der Studierenden - das ist das Motto von uns Christdemokraten. ({7}) Der Bundesregierung aber sagen wir: Ein Schritt nach vorne ist nicht genug. Die bislang praktizierte Hochschulbürokratie ist nur die Spitze eines Eisbergs, sie ist ein Symptom für ein viel tiefer sitzendes Übel. Immer noch sind wir von einer wirklichen Autonomie der Bildungsanstalten weit entfernt. Wir haben ein Korsett von Verordnungen, ein wissenschaftsfremdes Dienstrecht und ein bundesweites Verbot von Studiengebühren, das von Frau Bulmahn selbst gegen Vorbehalte in der SPD verteidigt wird. Es fehlt an Vertrauen und Verlässlichkeit zwischen Politik und Wissenschaft, damit mittelfristig neue Weichenstellungen möglich sind. Weit entfernt ist die Bundesregierung von dem von Bundeskanzler Schröder ausgerufenen Ziel, bis 2010 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Die von Ihnen angegebene Etatsteigerung von 3,6 Prozent für das nächste Jahr ist eine Luftnummer, ja sie ist eine Schönrechnung. Die vorgetäuschte relativ hohe prozentuale Steigerung ergibt sich nämlich in Wirklichkeit erst nach der zuvor vorgenommenen Kürzung des Wissenschaftsetats in diesem Jahr. Sie haben im Jahr 2004 84 Millionen Euro aus dem Bildungshaushalt an die Rentenkasse von Ulla Schmidt überwiesen. ({8}) Die Subventionsstreichliste von Koch und Steinbrück hat ohne Widerspruch von Ihnen zu weiteren Verlusten geführt: 6 Millionen Euro weniger für das Berufsbildungsinstitut und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung. ({9}) In Ihren Haushalt für das nächste Jahr haben Sie 60 Millionen Euro aus der Streichung der Eigenheimzulage eingestellt, obwohl diese überhaupt nicht beschlossen worden ist. Was Sie vorgelegt haben, hat mit Wahrheit und Klarheit überhaupt nichts zu tun. ({10}) - Herr Tauss, Sie sollten sich einmal darum kümmern: Es ist ein Skandal, dass aus dem Haushalt für Bildung und Forschung für das nächste Jahr erneut 168 Millionen Euro herausgenommen werden, um sie dem Rentenetat zuzuschlagen. Das sind die bedauerlichen Realitäten des Bildungs- und Forschungshaushalts dieser Republik. ({11}) Die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen ist zentrale Voraussetzung für ein wettbewerbliches und international konkurrenzfähiges Hochschulsystem. Aber sie ist nur der erste Schritt. Nötig sind weitere Reformfortschritte, die wir seit langem fordern. Unser Ziel ist eine umfassende Autonomie und Freiheit der Hochschulen. Dazu gehören eine größere Freiheit bei der Professorenbesoldung ebenso wie ein Wissenschaftstarifvertrag. ({12}) Dazu gehören auch die Entschlackung des Hochschulrahmengesetzes, Stiftungsuniversitäten und eine reformierte Studienfinanzierung. Wir wollen die deutschen Hochschulen im Wettbewerb um die besten Köpfe stark machen. Das Ausland schläft nicht. Dort geht die Modernisierung der Hochschulen für den internationalen Bildungsmarkt mit Siebenmeilenstiefeln voran. Uns läuft die Zeit davon, um den Wissensstandort Deutschland nach vorne zu bringen. Zeit ist die Ressource, die uns nicht mehr zur Verfügung steht. Wie sagt doch Laotse: „Wer glaubt, am Ziel zu sein, der geht einen Schritt zurück.“ Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion. ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir verständigen uns nämlich auf eine Neuregelung beim Hochschulzugang und erreichen damit zweierlei: Erstens erhalten die Hochschulen mehr Einfluss bei der Auswahl von Studierenden und mehr Verantwortung bei der Vergabe von Studienplätzen. Zweitens ermöglichen wir es den bestqualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern, sich ihre Hochschule selbst auszusuchen. ({0}) Es freut mich sehr, dass in den Verhandlungen Edelgard Bulmahns mit den Ländern dieser Lösungsweg gefunden wurde. Da wir bekanntermaßen nicht darauf zu warten brauchen, dass die Opposition die Bundesbildungsministerin lobt, möchte ich das an dieser Stelle ausdrücklich und mit Nachdruck tun. ({1}) Herzlichen Glückwunsch zu diesem Kompromiss, Frau Ministerin! Mit dem vorliegenden Reformvorschlag läuten wir eine neue Ära an den Hochschulen ein. Im Einzelnen sieht unser Antrag für die Studienplatzvergabe in bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Folgendes vor - das wurde eben schon kurz angesprochen -: 20 Prozent der Studienplätze werden an die Abiturbesten nach ihren Ortswünschen vergeben, weitere 20 Prozent nach Wartezeit und 60 Prozent der Studienplätze besetzen die Hochschulen nach dem Ergebnis eines Auswahlverfahrens. Wir ändern damit, wie Sie wissen, einen Bundesratsentwurf, den wir bereits im Herbst letzten Jahres im Plenum diskutiert haben. Darin wurden zwei alternative Modelle - das so genannte NRW-Modell und das Baden-Württemberg-Modell - vorgesehen, unter denen die Länder eine Auswahl treffen sollten. Wir haben diesen Entwurf damals - ich denke, mit gutem Recht - abgelehnt, weil wir mit zwei parallelen Zulassungsmodellen das Verfahren erheblich verkompliziert hätten, was vor allem für die Studierenden negative Auswirkungen gehabt hätte. ({2}) Wir haben auch dafür plädiert, die Empfehlungen des Wissenschaftsrates abzuwarten, die damals unmittelbar vor der Veröffentlichung standen. Darin wird die Frage des Hochschulzugangs nicht isoliert betrachtet, sondern in einen größeren Zusammenhang gestellt. Die Lösung, die wir jetzt gefunden haben, basiert auf den Empfehlungen dieser Experten. Im Kern wird damit Folgendes erreicht: Die Hochschulen können künftig aktiver an der Zulassung mitwirken. Sie erhalten die Möglichkeit, über Studierfähigkeitstests, Auswahlgespräche und gewichtete Einzelfachnoten oder Nachweise über fachbezogene Vorkenntnisse die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber festzustellen. Die Fähigkeiten von Studienbewerberinnen und -bewerbern und die Anforderungen einzelner Studiengänge werden aufeinander abgestimmt. Die Hochschulen können die Studierendenauswahl dazu nutzen, ihr Profil zu schärfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum ist diese Neuordnung des Hochschulzugangs so wichtig für die Hochschulen und die Studierenden? Fakt ist - darin sind wir uns sicherlich alle einig -, dass es derzeitig beim Übergang von der Schule zur Hochschule gravierende Mängel gibt. So moniert der Wissenschaftsrat vor allem, dass weit über die Hälfte der Studienanfängerinnen und -anfänger nicht hinreichend über Studienfach und Hochschule informiert sind - das hat Herr Rachel treffend dargestellt -, dass Eignungsprofile der Studierenden nicht genügend mit den Anforderungen der Hochschulen abgeglichen werden und dass Schulabschlussnoten nur begrenzt vergleichbar und nicht genügend transparent im Hinblick auf Leistungsniveaus sind. Die Defizite tragen dazu bei - auch das hat Herr Rachel erwähnt; er zieht nur andere Schlüsse daraus -, dass fast ein Viertel der Studierenden an Universitäten und ein Fünftel der Studierenden an Fachhochschulen ihr Studium abbrechen. Auch wenn das nur ein Durchschnittswert ist und es fachspezifisch erhebliche Unterschiede gibt, wird hier doch ganz deutlich, dass offensichtlich etwas schief läuft. Alarmierend ist zusätzlich die Tatsache, dass sich die Studierenden heute im Schnitt erst nach knapp acht Semestern, also fast vier Jahren, exmatrikulieren. Das heißt, sie haben schon vier Jahre studiert und beschließen dann, dass sie ihr Studium nicht zu Ende bringen können oder wollen. Das ist ineffizient. Damit werden Ressourcen vergeudet und die Studierenden verlieren wertvolle Jahre. ({3}) Mit der Neugestaltung des Hochschulzugangs wollen wir hier Abhilfe schaffen. Das kann aber nur gelingen, wenn die jetzt geplante Reform durch weitere Maßnahmen flankiert wird. Eine dieser Maßnahmen betrifft Veränderungen bei den Schulabschlussnoten. Wenn die Abiturnote eine herausragende Rolle bei der Bewerberauswahl spielen soll, dann ist es natürlich ganz wichtig, dass zum Beispiel eine Note 2,0 in Dortmund vergleichbar ist mit einer Note 2,0 in Halle. Deshalb hat der Wissenschaftsrat ebenfalls gefordert bzw. empfohlen, dass die Bundesländer ein Zentralabitur einführen. Zum Beispiel das Bundesland NRW, aus dem ich komme, wird ein solches aller Voraussicht nach 2006/07 durchführen. Vergleichbare Abiturleistungen sind aber auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Schließlich wird mit den neuen Hochschulzugangsregelungen den Abiturbesten ein Zugriffsrecht auf den Studienplatz ihrer Wahl gegeben. Schon deshalb ist klar, dass die Abiturnoten vergleichbar sein müssen. Um die Vergleichbarkeit nicht erst am Schluss der Schullaufbahn zu gewährleisten, brauchen wir auch nationale Bildungsstandards, die für alle Schulen verbindlich sind. Es ist gut, dass wir in diesem Bereich inzwischen eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern haben. Die bisher entwickelten Konzepte werden zurzeit noch erweitert und ergänzt. In den nächsten Wochen schreiben sich wieder Zehntausende Abiturientinnen und Abiturienten an den Hochschulen ein. Viele von ihnen wissen nicht genau, was sie erwartet. Die Beratungsangebote zur Studien- und Berufswahl müssen daher dringend ausgebaut werden, und zwar sowohl an den Schulen als auch bei den Agenturen für Arbeit und vor allem an den Hochschulen selbst. Gerade die Hochschulen müssen die Studienanfängerinnen und -anfänger über die angebotenen Studiengänge umfassend informieren und Orientierung bieten. Sie müssen ihnen vermitteln, was sie erwartet, und - umgekehrt natürlich auch prüfen, ob die Bewerberinnen und Bewerber ihre Erwartungen erfüllen. Es wird aber auch notwendig sein, dass sich die Hochschulen selbst anstrengen, damit sie auch wirklich die jungen Leute bekommen, die zu ihnen passen. Das heißt, die Hochschulen werden ihr Profil künftig deutlicher ausprägen, eigene Schwerpunkte setzen und ihre individuellen Stärken entwickeln müssen. Das erleichtert es ihnen, im nationalen und internationalen Wettbewerb zu bestehen. Wenn wir es letztlich schaffen, durch die Veränderung des Hochschulzugangs die Studieneffizienz zu steigern, die Zahl der Studienabbrecherinnen und -abbrecher zu senken und die Profilbildung der Hochschulen zu schärfen, dann haben wir gemeinsam viel erreicht sowie den Hochschulen und den Studierenden einen großen Dienst erwiesen. Dass wir das Ganze schließlich im Konsens - nur Frau Flach hat sich ein bisschen ausgeklinkt - über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg hinbekommen, stimmt hoffnungsvoll für künftige Reformvorhaben. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. Der Bundesrat möchte den Hochschulen in unserem Land mehr Entscheidungskompetenzen bei der Auswahl der Studierenden geben. Die Regierungsfraktionen folgen weitgehend den Wünschen des Bundesrates. Frau Kollegin Sowa von den Grünen hat allerdings kritische Anmerkungen gemacht, denen ich mich für die PDS anschließe. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen ebenfalls sagen, dass ich Ihren Vorschlag, den Länderfinanzausgleich so zu gestalten, dass auch die Ausbildungsleistungen der Hochschulen berücksichtigt werden, gerade im Interesse meiner Heimatstadt Berlin nur begrüßen kann. Ich denke, auch die Berliner Bundestagsabgeordnete EichstädtBohlig, die momentan hinter Frau Sowa sitzt, wird mich dabei unterstützen. ({0}) - Sie auch! Das ist wunderbar, Herr Schulz. Genug des Lobes. Die Gesetzesänderung hört sich im ersten Augenblick sehr gut an. Wer möchte die Autonomie der Hochschulen nicht stärken? Aber: Bereits 1998 wurde das Hochschulrahmengesetz in diesem Sinne geändert. Die Hochschulen haben in der Folgezeit allerdings nur in Ausnahmefällen von den erweiterten Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Warum also diese erneute Veränderung? Der Pferdefuß steht im Gesetzentwurf unter Punkt D. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: Das Gesetz führt bei den Hochschulen zu einem administrativen Mehraufwand … Dieser Mehraufwand ist von den Hochschulen zu tragen. Damit ist der Ball wieder zurück an die Bundesländer gespielt, die offensichtlich nicht genügend Geld für die Hochschulen bereitstellen oder bereitstellen können, damit das Gesetz in die Praxis umgesetzt werden kann. Ich finde - das ergibt sich auch aus der Debatte -, man sollte nicht verschweigen, dass hinter diesem Gesetz etwas anderes steckt. Dem CDU-dominierten Bundesrat ist das ganze Hochschulrahmengesetz ein Dorn im Auge, insbesondere das Verbot von Studiengebühren. Auch der Kollege Rachel von der CDU hat sich in der heutigen Debatte wieder deutlich für Studiengebühren ausgesprochen. Das Hochschulrahmengesetz soll also mit allen Mitteln sturmreif geschossen werden und die Bundesregierung schaut nur betroffen zu. ({1}) Die CDU und leider auch Teile der SPD wollen Studiengebühren und haben dafür auch starke Verbündete, wie die Hochschulrektorenkonferenz, die sich ebenfalls für diese Gebühren ausgesprochen hat. Mich wundert es überhaupt nicht, dass die Rektorenkonferenz gern Geld von den Studierenden haben möchte. Aber im Gegenzug sollte auch die Frage erlaubt sein, was die Rektorenkonferenz selbst eigentlich anbietet. Warum schlägt sie nicht offensiv vor, die Qualität der Lehre zu stärken oder die Anzahl der Vorlesungsstunden im Monat um eine oder zwei zu erhöhen? Es hat sich eine unheilige Allianz für Studiengebühren gebildet, die vor allem von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ getragen wird, in der sich auch Herr Glotz und Herr Wend von der SPD gern tummeln. Wir, die PDS, wenden uns gegen die mächtige Lobby der Studiengebührenbefürworter. ({2}) Wir unterstützen ausdrücklich die Position der Ministerin Bulmahn in der Frage des Verbots von Studiengebühren. ({3}) Wir lehnen den Gesetzentwurf des Bundesrates und die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab, weil die vorgeschlagenen Änderungen kein Problem der Hochschulen und der Studierenden lösen. Wir lehnen ihn vor allem ab, weil er ein durchschaubares Manöver des CDU-dominierten Bundesrates ist, um das Hochschulrahmengesetz insgesamt infrage zu stellen. Ein solches Vorgehen halten wir für falsch. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marion Seib, CDU/ CSU-Fraktion.

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschlands Massenuniversitäten sind zum Sanierungsfall geworden. Die deutsche Hochschullandschaft braucht dringend Reformen. Sogar die SPD als traditionelle Schutzmacht der ZVS ({0}) sperrt sich deshalb nicht mehr vehement gegen das Auswahlrecht der Hochschulen. Auch Frau Bulmahn möchte nicht mehr an der Behörde festhalten, die sich als Organisation zur Kinderlandverschickung entwickelt hat. Für eine der wichtigsten Reformen, nämlich die Stärkung der Selbstauswahl, wird der Weg nun endlich freigemacht. Die Reform der Studienplatzvergabe ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung; aber sie ist eben nur ein Schritt. Allerdings möchte ich, an die Adresse der Regierung gerichtet, nicht unerwähnt lassen, dass ich mir eine flexiblere als die starre Quotierung von 60 Prozent gewünscht hätte. Studenten auszuwählen ist ein durchaus mühseliges Geschäft. Es kostet die Professoren an US-Hochschulen und auch an den Privatunis hierzulande einige Wochen im Jahr. Deshalb schrecken immer noch viele Hochschulen davor zurück. 87 Prozent der Fakultäten nutzen ihr Auswahlrecht bisher nicht. Sie hatten ja auch nicht die notwendige Freiheit hierzu. Ich bin jedoch sicher, dass diese Entscheidungen künftig in der vorlesungsfreien Zeit freiheitlicher getroffen werden können. Schließlich zahlt sich die eigene Auswahl durch eine größere Motivation und ein klares Bild über die Eignung der Studenten aus. Genauso unsinnig wie die bürokratische ZVS-Auswahl von Medizinstudenten ist das Laisser-faire in den nicht zulassungsbeschränkten Fächern. Jedes Jahr sitzen Zehntausende Studenten in überfüllten Hörsälen und prügeln sich um Seminarplätze, nur um später festzustellen, dass sie sich doch nicht für das Fach interessieren oder dass es ihnen zu schwierig ist. Jeder Vierte der knapp 2 Millionen Studenten schließt sein Studium nicht ab. Laut einer Studie, die vom Bundesbildungsministerium in Auftrag gegeben wurde, wissen 16 Prozent der Abbrecher nicht, wofür sie eigentlich pauken; sie sind demotiviert. Andere haben die Leistungsanforderungen unterschätzt. Dies ist eine wahnsinnige Vergeudung, einmal von Steuergeld und zum anderen - das ist das noch Schlimmere dabei - von Lebenszeit. Dies können und wollen wir uns nicht mehr leisten. Ich bin sicher, dass Studierende ihre Auswahlentscheidung bewusster und auch verantwortungsvoller treffen, wenn sie selbst bestimmen können, an welcher Hochschule sie studieren. Wer die Studierenden im Rahmen eines gezielten Auswahlverfahrens kennen lernt und ihre Motive einstuft, schafft es sicherlich auch, die hohe Abbrecherquote zu senken. Auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt gewinnt die Passgenauigkeit immer größere Bedeutung. Nur wer sich mit dem, was er beruflich tut, wirklich wohl fühlt, wird wirklich gut sein und auch andere von seinen Qualitäten überzeugen können. Wer sich die besten Köpfe sichern will, muss genau hinsehen. Ein hochschulbezogenes Auswahlverfahren wird den Wettbewerb zwischen den Universitäten stärken. ({1}) Das bedeutet aber auch: Die Unis müssen sich anstrengen und so überzeugend sein, dass sich hochkarätige Bewerber, die sich meist auch woanders beworben haben, für sie entscheiden. Die besten Studenten gehen nämlich dorthin, wo die besten Professoren sind; diese profitieren dann wiederum vom Nachwuchs. Es wird also ein sich selbst verstärkendes System gestaltet. Ein Beispiel hierfür ist das bayerische Elitenetzwerk. ({2}) Universitäten, die Elitestudiengänge anbieten, stehen in der besonderen Pflicht, ein entsprechend anspruchsvolles und auch nach internationalem Maßstab exzellentes Lehrangebot neu zu konzipieren und mit einer hohen Betreuungsintensität fortlaufend anzubieten. Nur wenn die Hochschulen das Recht haben, ihre Studenten selbst auszuwählen, können und müssen sie die Verantwortung für den Studienerfolg übernehmen. Die Verantwortung der Professoren endet keinesfalls mit der Auswahl ihrer Studenten. Vielmehr entsteht durch das Auswahlrecht die Verpflichtung, die von ihnen ausgesuchten Studenten auch bestmöglich zu fördern. Die Verpflichtung der Hochschulen beginnt aber bereits im Vorfeld der Auswahl, nämlich bei der Studienberatung. Auch an dieser Stelle sind entscheidende Verbesserungen notwendig. Nur beste Beratung ermöglicht es angehenden Studenten, die für sie interessantesten Studienangebote zu ermitteln. Die Studienberatung erhält hierdurch eine gänzlich neue Bedeutung. Die Umsetzung der Entscheidung, die wir heute treffen, die von den Ländern gemeinsam initiiert worden ist und von diesen mitgetragen wird, ist ein Schritt vorwärts zur Autonomie der Hochschulen und zur Verbesserung der Lehrsituation an den Hochschulen. Unser Ziel bleibt jedoch die komplette Abschaffung einer Quotierung und der ZVS in ihrer derzeitigen Form. Dies ist ein zielführender Weg zu einem wettbewerbsfähigen und effizienten Hochschulsystem. ({3}) Zudem kann die Neuordnung des Hochschulzugangs allein eine umfassende Reform des Hochschulrahmengesetzes nicht ersetzen. Diese bleibt weiterhin notwendig. Daran werden wir arbeiten. Besten Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei einigen Redebeiträgen der Opposition zu dieser Debatte kam es mir etwa so vor wie bei der Zuwanderungsdebatte vorhin: ({0}) Alle sind sich im Grunde einig; man hat einen Kompromiss vereinbart, aber ein paar müssen hier ein parteipolitisches Theater aufführen. - Schade eigentlich! ({1}) Aber nun zum Thema: Mit diesem Gesetz erhalten die Hochschulen Möglichkeiten, sich ihre Studierenden auszusuchen. Das ist die eine Seite. Ich möchte vor allem betonen, welche Vorteile die neuen Regelungen für die Studierenden haben. Zum einen erhalten sie mehr Wahlfreiheit und zum anderen bekommt beim Hochschulzugang die Eignung für das Wunschstudium im Verhältnis zur Abiturdurchschnittsnote ein stärkeres Gewicht. Um diesen Vorteil einmal zu verdeutlichen, will ich hier im Hohen Hause ein Geständnis machen. Ich war ein eher schlampiger Schüler. Damals in der Schule war Fleiß nicht so unbedingt meine Sache. Mein Abitur war dementsprechend durchschnittlich. Aber eines wusste ich ganz genau: Ich möchte Politikwissenschaften studieren. Ich war gesellschaftspolitisch engagiert und bin bereits als 18-Jähriger in die SPD eingetreten - eine hervorragende Entscheidung übrigens. ({2}) Politik war meine Leidenschaft, da wollte ich mehr wissen. An der FU Berlin konnte ich ohne Wartezeit direkt nach dem Abitur studieren; ich hatte somit das Glück, dass mein Wunschstudiengang nicht zulassungsbeschränkt war, sonst hätte ich ihn nicht belegen können. Schließlich habe ich das Studium erfolgreich absolviert. ({3}) Warum sollten auch meine bescheidenen Schulleistungen mich am Politologiestudium hindern? Es ist auch gar nicht einzusehen, warum die gemittelten Schulleistungen einziges Kriterium der Studiereignung für unterschiedliche Fächer sein sollen. Wir wissen von der Unvergleichbarkeit der Noten sogar innerhalb einer Schule oder auch im Verhältnis zu den Bewerbern mit beruflicher Bildung. Wo bleibt da die Chancengerechtigkeit? Untersuchungen zeigen, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen Abiturdurchschnitt und Studienerfolg gibt. Die Schulleistungen sind damit ein wichtiger, aber eben nicht der einzige und schon gar nicht immer der ausschlaggebende Prognosefaktor für den späteren Erfolg an der Hochschule. ({4}) Mit diesem Gesetz wird es den Hochschulen ermöglicht, 60 Prozent der Studienplätze selbst in einem Auswahlverfahren zu vergeben; daneben gilt weiterhin die Vergabequote von 20 Prozent der Studienplätze an Abiturbeste und von 20 Prozent nach Wartezeit. In diesem Verfahren können neben der Durchschnittsnote weitere Kriterien angesetzt werden, nämlich stärkere Gewichtung von Einzelnoten des Schulabschlusses, Ergebnisse eines Tests, Ergebnisse eines Auswahlgesprächs, Art der Berufsausbildung und außerschulische Aktivitäten. Das ist eine Chance für die Hochschulen, aber eben auch und gerade für die Studierenden. ({5}) Denn auf diese Weise können auch diejenigen zum Zuge kommen, die wie ich nicht so gute Noten haben, aber für ein bestimmtes Studium qualifiziert und motiviert sind. Das ist eine wirklich sehr gute Nachricht, insbesondere für diejenigen, die sich lange Wartezeiten schlicht nicht leisten können. ({6}) Es ist ein Baustein dazu, dass alle ihren Fähigkeiten entsprechend Bildungschancen erhalten. Swen Schulz ({7}) Beim Hochschulzugang wird das Abitur weiterhin eine maßgebliche Rolle spielen. Das ist wichtig, um nicht gewissermaßen einer vollkommenen Freihändigkeit der Auswahlentscheidungen Raum zu geben. Die Schule soll ja schließlich nicht entwertet werden. Der neue Weg, den wir jetzt einschlagen, gibt den Hochschulen ergänzend die nötige Freiheit, das eigene Profil zu schärfen, formuliert aber zum Schutz der Schulabgänger notwendige Rahmenbedingungen; daher auch die Quote nach Wartezeit. Wenn Schulabsolventen mit Hochschulreife nicht die Möglichkeit zum Studium erhalten würden, weil sie weder zu den Abiturbesten gehören noch von den Hochschulen ausgewählt werden, würden wir vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen. ({8}) Wer die Hochschulreife erlangt hat, hat ein Recht auf das Hochschulstudium. Wir wenden uns gegen alle Versuche, Menschen von Bildungsangeboten auszuschließen. ({9}) Dem Auswahlgespräch sollte eine besondere Bedeutung zukommen, weil es in der Kombination mit einer verbesserten Beratung zu passgenauen Entscheidungen der Studierenden beitragen kann - das Fach und den Studienort betreffend. Beratung und Qualifikationsfeststellung sind geeignet, die sehr hohe Studienabbrecherquote in Deutschland zu reduzieren. ({10}) Wir wollen den Studierenden nicht nur alle Möglichkeiten eröffnen, sondern ihnen auch helfen, die richtige Entscheidung zu fällen. ({11}) Studierende, die durch ein Auswahlverfahren gegangen sind, sind Untersuchungen zufolge besonders motiviert und identifizieren sich mit ihrer Hochschule übrigens auch umgekehrt die Hochschulen mit ihren Studierenden. Es hat sich gezeigt, dass die Kombination von Abiturdurchschnitt, Studierfähigkeitstes ts und strukturierten Auswahlgesprächen dazu führt, dass bis zu 95 Prozent der Studenten ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit erfolgreich absolvieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine so gute Sache darf auch etwas kosten. Die Hochschulen werden einen entsprechenden Aufwand treiben müssen und wollen. Sie sollten von den Ländern in die Lage versetzt werden, die in dem neuen System der Hochschulzulassung liegenden Chancen auch tatsächlich zu ergreifen ({12}) und die Zulassungsverfahren valide und verlässlich auszugestalten. Wir müssen verhindern, dass die Hochschulen die Auswahl entweder nicht sorgfältig genug gestalten oder die nötigen Ressourcen von der Lehre abziehen. Die Hochschulen dürfen hier nicht alleine gelassen werden, sondern müssen Unterstützung erhalten. ({13}) Es bleibt festzustellen: Der Willensbildungsprozess in dieser Frage ist ein Beispiel für das gelungene Zusammenwirken von Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. Wir reden so viel über Politikverdrossenheit, Blockaden und Verflechtungsfallen, da sollten wir auch einmal solche positiven Beispiele der erfolgreichen Zusammenarbeit selbstbewusst hochhalten. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes auf Drucksache 15/1498. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 15/3475, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt mir eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung der Kollegen Katherina Reiche, Thomas Rachel und zahlreicher anderer Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion vor, der sich auch der amtierende Präsident anschließt. Ich vermute, Herr Tauss, dass Sie nicht darauf bestehen, dass diese Erklärung vorgelesen wird, ({0}) schon gar nicht, wenn das von Ihrer Redezeit abgezogen werden müsste. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der FDP-Fraktion in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Dann ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit bei Enthaltung der FDP-Fraktion und zwei Gegenstimmen der fraktionslosen Abgeordneten angenommen. ({1}) - Herr Kollege Küster, ich bitte um Nachsicht, dass ich der Versuchung widerstehen möchte, vonseiten des Präsidiums zu kommentieren, in welchen Fällen es sich um eine kräftige und in welchen es sich um eine schwache Enthaltung gehandelt haben könnte. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert ({2}) Ich vermute nämlich, dass, sobald wir das einführen, regelmäßig die Parlamentarischen Geschäftsführer hier oben stehen und sich über diese fälschliche Kommentierung beklagen. Wir kommen nun zur Abstimmung über einen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3476 - im Zweifelsfall, Herr Küster, ein starker Entschließungsantrag. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? ({3}) - Das wird aber nicht reichen, fürchte ich. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan- trag ist abgelehnt. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 12 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer ({4}), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU LKW-Mauteinführung zügig voranbringen - Drucksache 15/3314 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({7}), Dirk Fischer ({8}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU Verkehrssicherheit für Kinder - Drucksachen 15/1828, 15/2942 - c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes - Drucksachen 15/1657, 15/1803 ({9}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10}) - Drucksache 15/3412 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Weis ({11}) Peter Hettlich Horst Friedrich ({12}) d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes - Drucksachen 15/1656, 15/1804 ({13}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({14}) - Drucksache 15/3382 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich Albert Schmidt ({15}) Horst Friedrich ({16}) ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({17}), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther ({18}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kurskorrektur bei Verkehrsinvestitionen - Finanzierung des Bundesverkehrswegeplans 2015 sicherstellen - Drucksache 15/3470 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19}) Haushaltsausschuss Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. ({20}) - Die Geschäftsordnung schließt nicht aus, dass an der Beratung dieser Anträge auch Bildungspolitiker teilnehmen. So sie das nicht können oder wollen, wäre es schön, wenn der Schichtwechsel möglichst geräuschlos realisiert werden könnte. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für die Bundesregierung Herr Bundesminister Dr. Stolpe. ({21})

Manfred Stolpe (Minister:in)

Politiker ID: 11005306

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich bedanke mich sehr für Ihre Zwischenbemerkung in Richtung der Bildungspolitiker; denn Verkehrspolitik ist nun wirklich keine Nebensache, sondern geht alle an. Das wird spätestens dann deutlich, wenn man sieht, wie stark das Interesse bei Diskussionen über Ortsumgehungen ist. Tatsächlich geht es bei Verkehrspolitik um die Entwicklung und Stärkung unserer Wirtschaft, es geht um Arbeitsplätze und Innovationen als Zukunftshilfe. Letztlich - nach meiner Überzeugung vor allem - geht es dabei um die Menschen, um ihre Mobilität, um ihre Chancen und - nicht zu vergessen - um ihre Sicherheit im Verkehr. ({0}) Die Verkehrswege - ihr Erhalt und ihr Ausbau - sind die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgaben. Verkehrswegebau ist eine langfristige Aufgabe: Projekte müssen vorbereitet werden, es muss geplant werden, nötige Verfahren müssen begonnen und durchgeführt werden und es muss ein Ausgleich zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen stattfinden, was ja nicht selten spannend ist. Dabei müssen Prioritäten gesetzt werden. Kurz und knapp gesagt: Ein Bundesverkehrswegeplan ist wirklich nötig. Man kann nicht einfach draufloslaufen, sondern muss wissen, wohin die Reise gehen soll. Der Bundesverkehrswegeplan wurde in einem, wie wir glauben, sehr transparenten Verfahren aufgestellt. Sie erinnern sich: Das war auch schon bei einem Vorentwurf der Referenten der Fall; wir haben nicht Verstecken gespielt, sondern alle eingeladen, sich dazu zu äußern. Verbände und Kommunen quer durch Deutschland, nicht zuletzt die Abgeordneten, aber auch die Länder haben sich dazu äußern können. Ich will die Gelegenheit nutzen, allen herzlich zu danken, die daran konstruktiv mitgearbeitet haben. Erlauben Sie mir, dass ich ganz besonders dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann für seine Arbeit danke. ({1}) Es ist so wie meistens im Leben: Auf den Pferden reiten nachher andere. Er aber ist der Motor des ganzen Geschäftes gewesen. Ein herzliches Dankeschön auch für seine Geduld! Ich glaube, man muss Rheinländer sein, um dieses Vorhaben zwischen den Reihen voranzubringen. Wir haben es geschafft - viele im Parlament haben dazu beigetragen -: Der Bundesverkehrswegeplan ist inzwischen aufgestellt und es liegen Ausbaugesetze zur Beratung und zur Entscheidung vor. Mit diesen Gesetzen können wir die Grundlage für die weitere Arbeit schaffen. Quer durch Deutschland fragen uns die Verantwortlichen von Regionen und Städten, die Unternehmer und Investoren sowie Bürgerinnen und Bürger, wie es weitergeht. Sie können an den Gesetzen erkennen, was das Parlament will, was die Regierung will und was die Ziele sind. Das eröffnet - das wissen Sie aus vielen Debatten - Möglichkeiten für neue Entwicklungen und setzt nicht selten Investitionen in Gang. Wenn man weiß, dass eine Strecke gebaut wird, dann denkt man sehr viel positiver über Investitionen an dem betreffenden Standort als vorher. Es besteht die Chance, Ortsumgehungen zu bauen. Wir können den Innenstädten helfen, indem wir dafür sorgen, dass sie revitalisiert werden. Geplagte Anwohnerinnen und Anwohner werden sich über die ersehnte Verkehrsentlastung freuen. Aus meiner 20-monatigen Erfahrung darf ich aber sagen, dass es immer wieder aufs Neue überraschend ist, welche Streitigkeiten sich ergeben können. Der Streit um die Frage, ob die Ortsumgehung südlich oder nördlich verlaufen soll, ist oftmals ein Entscheidungshindernis. Von unserer Seite ist die Freiheit der Entscheidung gegeben. Wir haben vor allen Dingen die Möglichkeit, Gewerbegebiete anzuschließen, sie leichter erreichbar zu machen sowie Betriebsansiedlungen und Betriebserweiterungen in Angriff zu nehmen. Am Ende wird der Erfolg an der Zahl der neu entstandenen Arbeitsplätze und an der Anzahl der Bauaufträge ablesbar sein. Der Satz, dass 1 Milliarde Euro an Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur 25 000 Arbeitsplätze schafft oder sichert, bleibt richtig. Wer sonst als wir, die wir oft gut und manchmal kontrovers diskutieren, kann das von seinem Ressort bzw. Arbeitsgebiet sagen? ({2}) Man muss allerdings anmerken, dass die Ausbaugesetze wahrlich keine Einkaufsliste sind. Ich möchte alle herzlich bitten, nicht so zu tun, als ob wir jetzt alle Maßnahmen sofort in Angriff nehmen und eins zu eins umsetzen könnten. Wir haben eine Prognose, die bis 2015 reicht, zugrunde gelegt. Wir haben dabei nicht knapp gerechnet. In diesem Zusammenhang möchte ich den Begriff „Reserve“ bewusst vermeiden. Wir haben uns aber sorgfältig mit den vorliegenden Zahlen auseinander gesetzt. Es besteht die realistische Möglichkeit, das, was in diesem Plan enthalten ist und was für dringend notwendig gehalten wird, Schritt für Schritt umzusetzen. Die Kollegen auf der rechten Seite werden sicherlich fragen - ich bin ganz sicher, dass das noch kommen wird -: Was nutzt der Plan und was nutzen die Ausbaugesetze, wenn das Geld noch nicht vollständig vorhanden ist? ({3}) Stolpe, wo hast du das Geld? Zeig uns die Euros, damit wir glauben können, dass es gemacht wird! Bedenken Sie aber, dass in Gesetzen beschlossene notwendige Investitionen Realität schaffen. ({4}) Das hat Gewicht in Finanzverhandlungen. Jeder hier im Saal weiß, dass wir nach der Definition von Subventionen vom 19. Dezember des vorigen Jahres - damals wurde die unglückliche Entscheidung getroffen, Verkehrswegeinfrastrukturmaßnahmen als Subventionen einzustufen - mit dramatischen Kürzungen zu rechnen hatten. Nach der Aufstellung des Haushaltes für 2005, die vor wenigen Tagen erfolgt ist, ist unser Ressort um 1 Milliarde Euro besser gestellt worden. ({5}) Dazu haben natürlich die deutlichen Reden an dieser Stelle und nicht zuletzt die deutlichen Erklärungen aus dem Lande zu der Notwendigkeit von Verkehrsbauten beigetragen. Wir können nun im Jahre 2005 zum Glück nicht nur den Bestand sichern oder gar nur etwas ausflicken, sondern auch dringende Vorhaben neu beginnen, können Aufträge auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplans auslösen. Das ist dabei ein entscheidender Punkt. Die Moral von der Geschichte heißt für mich: Die Dringlichkeit überzeugt, wenn sie die Beschlussform des Parlaments erhält, noch viel mehr. Sogar Haushälter können darüber nachdenken, was dann die Prioritäten sind, und sich entsprechend entscheiden. Wir brauchen also die Beschlussfassung. Deshalb bitte ich Sie, trotz allem, was in der Debatte sicherlich noch vorgetragen wird, nicht zu sagen, das sei nur Makulatur, sondern mitzuhelfen, dass wir die notwendigen Beschlüsse bekommen, und in den folgenden Monaten dazu beizutragen, dass wir den Rücken in der Finanzdebatte frei haben. Uns hilft schlicht gesagt nicht ein Lamento über noch fehlende Summen, sondern uns hilft ein klarer Gesetzesauftrag für Straße und Schiene. Auch für die weiteren parlamentarischen Beratungen des Haushalts 2005 brauchen wir natürlich dringend Ihre Unterstützung. Am besten wäre es, wenn Sie mithelfen würden, die unglückselige Definition von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen als Subventionen rückgängig zu machen. ({6}) Der schönste Beschluss wäre eine Revision dessen, was am 19. Dezember im Blick auf Verkehrswege entschieden worden ist. Dann könnten wir noch ein bisschen mehr schaffen als das, was jetzt dringend erforderlich ist. Verkehrspolitik ist mehr als Infrastrukturbau. Wir gehen hierbei auch neue Wege, und zwar insbesondere bezüglich der gerechten Anlastung der Wegekosten im Güterverkehr. Bei LKW wollen wir die Umstellung von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung über die Gebühren erreichen. Wir haben ja eine Phase von acht Monaten hinter uns, in der ich beinahe schon den Beinamen Maut erhalten habe. Inzwischen haben wir eine verbesserte Vertragsgrundlage. Auf der anderen Seite gibt es ein Management, das sich intensiv bemüht, zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich unlängst im Ausschuss darüber berichten konnte und dass dort auch die Vertreter der Unternehmen in verlässlicher Weise über den Stand berichtet haben. Wir haben eine solide Rechtsgrundlage und es gibt ein hartes Controlling, bei dem wir ganz dicht dabei bleiben. Es ist also davon auszugehen, dass das Ziel der Übung zu erreichen ist. Ab 1. Januar werden dann endlich die Kassen in der Größenordnung klingeln, wie wir es erreichen wollen. ({7}) Mit unserer Verkehrspolitik zielen wir auf den Standort Deutschland als Ganzes. Wir konzentrieren uns insoweit auf Innovation, Wirtschaftskraft und Wachstum. Dazu zählen eine leistungsfähige Verkehrswirtschaft und eine innovative Technologiepolitik. Unsere Verkehrswirtschaft in Deutschland hat immense Potenziale. Sie ist dynamisch, sie ist wettbewerbsfähig und sie arbeitet an den logistischen Fragen der Zukunft. In Deutschland gibt es - viele von Ihnen, meine Damen und Herren, haben das selbst ergründet - hervorragende Logistiker. Sie nutzen den zentraleuropäischen Standort in immer stärkerem Maße, und zwar auch gerade nach dem 1. Mai. Sie haben einen Vorlauf im kombinierten Verkehr, sie haben inzwischen große Erfahrung im Einsatz neuer Kommunikationstechniken sammeln können und sie sind als Dienstleister im hohen Maße auch grenzüberschreitend tätig. Darauf können wir stolz sein. Wir müssen das aber auch unterstützen. Wir wollen sowohl im Bereich der Technologie als auch durch das Vorhalten der Verkehrswege die Bedingungen dafür schaffen, dass diese Möglichkeiten der Wirtschaft in Deutschland weiterhin genutzt werden können. Technologiepolitik im Bereich Verkehr ist auch aktive Gestaltung der Zukunft. Auf diesem Feld entscheiden wir über unsere Chancen, die Maßstäbe der Mobilität im 21. Jahrhundert mitzubestimmen. Daher begrüße ich die zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union erzielte Einigung über das europäische Satellitennavigationssystem Galileo. Auch wir haben den Kampf miterlebt und mit erlitten, der nötig war, um uns zunächst einmal innerhalb der Europäischen Union durchzusetzen, auch mit der wirtschaftlichen Führerschaft von deutscher Seite aus, mit den Standorten in Deutschland, und dann schließlich in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten, um zu erreichen, dass das ein gleichberechtigtes System neben GPS ist. Das ist inzwischen geklärt. Das war der wichtigste Erfolg des Gipfels zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union vor wenigen Tagen in Dublin. Das ist eine gute Entwicklung, die uns allerdings auch darin bestätigen muss, dass wir auch im Bereich der Verkehrstechnologie als eines wichtigen Hebels der Industriepolitik dranbleiben müssen. Wir können damit Marktpotenziale erschließen. Sie werden sich an die eindrucksvollen Reden von heute Vormittag erinnern. Unsere Orientierung sollte sein, die Nase vorne zu haben und nicht das nachzubauen, was schon immer gebaut worden ist, sondern Entwicklungen voranzubringen, die dann auch weltweit Akzente setzen können und der deutschen Wirtschaft voranhelfen. ({8}) Deutschland erbringt mit der Qualität seiner Infrastruktur und mit der Leistungskraft seiner Verkehrswirtschaft einen gewichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit auch des Standortes Europa. Wir alle sind geneigt, unsere eigenen Probleme zu sehen, aufzuzählen und dann gelegentlich ein bisschen traurig in die Welt zu schauen. Es macht aber richtig Freude, zu erleben, wie Deutschland im Bereich der Verkehrspolitik und der Verkehrsinfrastruktur von außen gesehen wird. Wir sind für viele in den unterschiedlichsten Bereichen, die wir in der Verkehrspolitik haben, ein Vorbild. ({9}) - Selbst die viel geschmähte Deutsche Bahn ist in Europa zumindest die zweitbeste. Wir werden dazu beitragen müssen, dass sich diese Entwicklung weiter gut gestalten lässt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, Sie bedenken bitte die Anrechnung Ihrer Redezeit auf das Kontingent Ihrer Fraktion.

Manfred Stolpe (Minister:in)

Politiker ID: 11005306

Herr Präsident, ich bin schon ganz nervös. Aber ich will noch meinen Schlusssegen halten, wenn Sie mir dies erlauben. Mir liegt sehr daran, zum Ausdruck zu bringen, wie sehr wir mit öffentlichen und privaten Investitionen vorankommen müssen. Wir werden deshalb die Public Private Partnership deutlich auszubauen haben und in diesem Zusammenhang unsere Netze und Verbindungen mit den Nachbarn, die wir in Mittel- und Osteuropa haben, erweitern. Darin liegen wirklich große Chancen für die Entwicklung der Verkehrswirtschaft in Deutschland. Dies sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Der Bundesverkehrswegeplan und die vorliegenden Ausbaugesetze sind mit eine Grundlage dafür. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie herzlich, uns zu unterstützen und mitzuhelfen, dass wir die Verkehrspolitik in Deutschland offensiv weiterführen können. Es ist zum Nutzen des Landes. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Eduard Oswald das Wort, soweit ihm der Bundesminister nicht tatsächlich seine Rede vorweggenommen hat. Aber das wird er ja sicher jetzt klarstellen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Präsident, keine Angst; er hat sie nicht vorweggenommen. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den von der Koalition vorgelegten Ausbaugesetzen haben die Bundesregierung und die Koalition ihre Chancen nicht genutzt. ({0}) Im Frühjahr 2002 haben Sie die Mobilitätsoffensive auf den Weg gebracht. Dort heißt es: Um Mobilität gewährleisten zu können, muss eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden. Ich frage mich: Warum tun Sie es dann nicht? ({1}) Warum sorgen Sie nicht für die notwendigen Rahmenbedingungen? Warum schaffen Sie nicht die Voraussetzungen zur Sicherung der Mobilität? ({2}) Meine Damen und Herren, rot-grüner Verkehrspolitik ist die Handlungsfähigkeit abhanden gekommen. ({3}) Im Bundesverkehrswegeplan, den Sie im letzten Jahr vorgelegt haben, wird ein Wachstum der Verkehrsnachfrage von 64 Prozent bei Gütern und 21 Prozent bei Personen skizziert. Welche Konsequenz haben Sie daraus gezogen? Genau darauf hätten Sie doch Ihre Ausbaugesetze bezüglich Schiene und Straße ausrichten sollen. Ihr Grundfehler ist es, dass Sie sich bei diesen Gesetzen nicht am festgestellten Bedarf, sondern an einem viel zu engen Finanzrahmen orientiert haben. Das ist das Problem. ({4}) Zunächst das Mautdebakel und dann noch das unseriöse Verfahren im Hinblick auf die nicht vorhandenen Einnahmen! ({5}) - Je lauter es hier wird, umso mehr habe ich mit dem, was ich hier sage, Recht. ({6}) Wenn Sie die Einnahmen aus der LKW-Maut, so wie im Vermittlungsverfahren vereinbart war, zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur verwendet hätten, dann hätten Sie damit alle von der Union geforderten Maßnahmen finanzieren können. Das ist die Realität. ({7}) Dass Sie die Maut dem Haushalt untergruben, war Ihr Fehler. Sie haben sich selbst damit ein Bein gestellt. Meine Damen und Herren, wer nicht baut, baut ab. Tatsache ist: Mehr als 30 Prozent der Bundesstraßen sind nur eingeschränkt gebrauchsfähig. Jede siebte Straßenbrücke ist in einem kritischen bis ungenügenden Bauwerkszustand. Der Bundesminister aber sagt: Wir sind ein Vorbild. Angesichts solcher Zahlen sind wir kein Vorbild. Wir liegen auch in diesem Bereich in Europa nicht vorne, sondern hinten. ({8}) Nahezu jede fünfte der 32 000 Schienenüberführungen ist älter als 100 Jahre, sogar fast jede zweite ist älter als 75 Jahre. Von den 600 Tunnelbauwerken der Bahn ist die Hälfte älter als 127 Jahre, zwei Drittel sind älter als 100 Jahre. Im Netz der Bundeswasserstraßen bestehen erhebliche Engpässe. ({9}) Herr Präsident, ich bin hier nicht in dem von mir selbst geführten Ausschuss, sonst würde ich jetzt für Ruhe sorgen. Aber ich verstehe die Unruhe. Das ist eine geradezu erschreckende Zustandsbeschreibung. Dabei galt das deutsche Verkehrsnetz einst weltweit als vorbildlich. Heute zehren wir von der Substanz. Denken Sie daran: Gute Verkehrswege erzeugen einen Multiplikationseffekt und bieten zugleich Chancen für mehr Arbeit und Lebensqualität.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, ich möchte den Vorschlag machen, dass man sich wechselseitig, sowohl am Rednerpult wie im Auditorium, um die Halbierung der Lautstärke bemüht. Ich glaube, das würde der Verständlichkeit dieser Debatte sehr bekommen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer Haushaltskorrekturen nach dem Motto „Bildung statt Beton“ in die Diskussion bringt, muss wissen: Deutschland braucht im internationalen Wettbewerb beides. Bauinvestitionen sind ebenso Zukunftsinvestitionen wie Bildung. Ohne Bau gibt es keine Zukunft. ({0}) Jeder Verkehrsträger ist seinen spezifischen Vorteilen entsprechend zur Geltung zu bringen. Dabei müssen die Verkehrsnetze enger miteinander verknüpft und die Systeme besser integriert werden. Ihre Gesetze basieren auf falschen Grundlagen. Die Annahme, der Anteil des Schienengüterverkehrs werde sich bis zum Jahr 2015 verdoppeln, wird sich leider nicht verwirklichen lassen. ({1}) - Wir wollen ja alle die Verlagerung von der Straße auf die Schiene, aber mit diesen Gesetzen läuft das nicht. Die Bedeutung Deutschlands als Verkehrsdrehscheibe im geeinten Europa wurde bei der Bedarfsplanung nicht hinreichend berücksichtigt. Auch das ist Realität. Mit Ihren Gesetzen bleibt Deutschland im Stau. ({2}) Heute müssen wir jährlich 4,7 Milliarden ärgerliche und überflüssige Stunden im Stau auf unseren Straßen verbringen, 12 Milliarden Liter Treibstoff werden ungenutzt in die Umwelt geblasen und es entstehen volkswirtschaftliche Schäden in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro. Sie hätten jetzt die Chance gehabt, Deutschland mit voranzubringen. Mit den Gesetzen, die heute zur Abstimmung stehen, werden Sie das jedoch nicht erreichen. ({3}) Wir wollen der Wirtschaftsentwicklung wieder Schwung geben. Wir wollen die Verkehrsinvestitionen mit als Konjunkturmotor nutzen. Wir wollen leistungsfähige Verkehrswege für ein stetiges Verkehrswachstum. Wir wollen den Standortvorteil Deutschlands wiederherstellen und sichern. Dazu brauchen wir eine neue Infrastrukturpolitik. Mit Ihren Gesetzen bleibt Deutschland im Stau. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Herr Kollege Oswald, verehrter Herr Vorsitzender, ich habe gedacht, das Wichtige kommt erst noch, dabei sind Sie schon fertig. Ich bin etwas frappiert. Aber ich werde versuchen, mich auf die Inhaltsarmut Ihrer Ausführungen einzustellen und den Fokus auf das Wesentliche der neuen Ausbaugesetze und des ihnen zugrunde liegenden Bundesverkehrswegeplans zu richten. Sie haben in einem Punkt völlig Recht, Herr Kollege Oswald: Die Ausbaugesetze, die wir heute beschließen sollen, und auch der neue Bundesverkehrswegeplan erfüllen selbstverständlich nicht alle Wünsche, auch nicht alle Wünsche der Grünen, um das klar zu sagen. Wir hätten noch viele Wünsche in verschiedenen Richtungen. Die Gesetze sind letztlich das Ergebnis eines mühsamen, langen und zähen Verhandlungsprozesses, bei dem natürlich auch die Länder eine Rolle gespielt haben, bis hinunter zur Bürgermeisterebene bei den Kommunen. Ich schließe mich gern dem Dank an den lieben Kollegen Achim Großmann an, der den schwierigen Job der Vermittlung mit einer ausgezeichneten Ehrlichkeit und mit einer Transparenz sondergleichen durchgezogen hat, wie ich das während Ihrer Regierungszeit niemals erlebt habe. ({0}) Auch wenn dieser Bundesverkehrswegeplan und die darauf basierenden Ausbaugesetze längst nicht alle Wünsche erfüllen, sollten wir den Blick nicht davor verschließen, dass in mindestens drei Bereichen eine völlig neue und wesentliche Schwerpunktsetzung stattfindet: Erstmals wird mit diesem Bundesverkehrswegeplan der Schwerpunkt der baulichen Maßnahmen eindeutig auf Albert Schmidt ({1}) den Erhalt und die Modernisierung der vorhandenen Infrastruktur, also des Bestandsnetzes sowohl bei der Straße als auch bei der Schiene, gelegt. Man könnte auch einfacher sagen: Vorrang der Bestandsnetzerneuerung vor Neubaumaßnahmen. ({2}) Das ist eine neue Akzentsetzung, die dem geschuldet ist, was Sie hier richtig beschrieben haben, Kollege Oswald, nämlich dass unsere Ingenieurbauwerke, unsere Tunnelbauwerke nicht nur bei der Bahn, sondern auch bei den Straßen längst ins kritische Alter gekommen sind, dass der Erneuerungsbedarf gigantisch ist. Weil wir eines der dichtesten Verkehrsnetze in Europa, wenn nicht gar in der ganzen Welt haben, ist der Aufwand für die schiere Bestandserhaltung und -erneuerung umso größer. Das heißt im Umkehrschluss, dass sich die Wünsche nach Neubaumaßnahmen werden begrenzen müssen. Konkret sollen für die Investitionen in das vorhandene Verkehrsnetz bezüglich Straße und Schiene summa summarum fast 60 Prozent der geplanten Gesamtmittel aufgewandt werden, für Neubaumaßnahmen nur noch 40 Prozent. Damit dürfte es in Zukunft auch weniger Konflikte als bisher bei umstrittenen Neubauprojekten geben. Wie ernst wir es meinen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich daran, dass diese Trendwende bereits im Bundeshaushaltsplan 2005 konkretisiert wird, und zwar durch eine Gewichtsverschiebung. Die Ausgaben für Erhaltungs- und Umbaumaßnahmen einschließlich Lärmschutzmaßnahmen steigen um 20 Prozent, während die Ausgaben für den Neubau von Autobahn und Bundesfernstraßen um 40 Prozent gesenkt werden. Das ist das Ergebnis einer Trendwende, die nicht ideologisch, sondern aus sachlichen Notwendigkeiten heraus begründet ist. Wir müssen Abschied nehmen von illusionären Wunschträumen. Die Verkehrsinvestitionen - diesen Punkt möchte ich vertiefen - für das Jahr 2005 werden im vorliegenden Kabinettsentwurf zum Bundeshaushaltsplan trotz der von Koch und Steinbrück im Vermittlungsausschuss erzwungenen Kürzungsbeschlüsse mit 10,8 Milliarden Euro summa summarum auf dem bisherigen hohen Niveau verstetigt. Das ist eine beachtliche Leistung. ({3}) Eines will ich aber genauso wenig verschweigen: Nach der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, drohen zum Beispiel beim Schienenbau erhebliche Einbußen. Demnach sollen zum Beispiel die Bundesmittel für den Schienenbau von heute noch 3,7 Milliarden Euro - wenn Sie diese Summe jemals erreicht hätten, hätten Sie sich gefreut - bis zum Jahr 2008 auf nur noch 2,3 Milliarden Euro gesenkt werden. Was heißt das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Damit könnte nicht einmal mehr das Bestandsnetz unterhalten werden. Der Aus- und Neubau von Strecken käme zum Erliegen. Fahren auf Verschleiß, Unpünktlichkeit und Modernisierungsstopp wären die Konsequenzen für die Fahrgäste. Eine solch katastrophale mittelfristige Finanzplanung des Bundesfinanzministeriums ist für mich eine Kampfansage an die verkehrspolitischen Ziele dieser Koalition. ({4}) Das sind Zahlen, die wir in gar keinem Fall akzeptieren werden; das muss jeder wissen. Ich bin froh, dass es gelungen ist, in einer Protokollerklärung zum Kabinettsbeschluss zu signalisieren, dass wir aus verkehrspolitischer Sicht eine Verstetigung der Investitionen wollen und nicht ein Abbrechen, unter welchen Voraussetzungen auch immer. Bei solchen Mittelfristzahlen wäre der neue Bundesverkehrswegeplan in der Tat zu großen Teilen Makulatur, kaum dass wir ihn beschlossen haben. Auch aus einem anderen Grund ist eine solche Zahl völlig unverständlich. Wenn 2008 die Investitionen für die Schiene auf 2,3 Milliarden Euro sinken sollen, zugleich aber nach einer gedachten Privatisierung ein Investor angelockt werden soll, muss man sich fragen, welches Signal man damit an den Investor sendet: Wenn du einsteigst, steige ich als Bundesfinanzminister aus. Anders ausgedrückt: Man muss sich schon entscheiden: Will man Investoren für die Bahn anlocken oder abschrecken? Beides zugleich geht nicht. ({5}) Wir machen uns dennoch keine Illusionen über die künftigen Finanzierungslinien. Längst nicht alle Straßenund Schienenprojekte werden im vorgesehenen Planungszeitraum bis 2015 bezahlbar sein. Umso sorgfältiger werden wir aus dem heute verabschiedeten Katalog vordringlicher Verkehrsprojekte in den künftigen Haushaltsplänen die Projekte auswählen müssen, die aus wirtschaftlicher Sicht besonders dringlich und ökologisch vertretbar sind. Der im Bundesverkehrswegeplan neu eingeführte Auftrag, ökologische Konflikte bei Einzelprojekten schon vor der Realisierung des Projektes planerisch zu lösen - mit dem so genannten Ökostern oder ökologischen Fachauftrag -, wird dabei helfen, diese Entscheidungen zu treffen. Was bedeutet dieser so genannte Ökostern, den manche gern verschwinden lassen möchten? Diese so genannten ökologischen Planungsvorbehalte sind keine politische Willkür, sondern folgen einer ganz rationalen Vorgehensweise: 800 Einzelprojekte wurden schon in der Anmeldungsphase einer Umweltrisikoeinschätzung unterzogen - auch das ist eine beispiellose Innovation in diesem neuen Plan -; davon wurden 350 oder 360 Projekte ökologisch besonders konfliktträchtig gekennzeichnet. Dieser Planungsvorbehalt bedeutet: Dieser Konflikt, diese Unvereinbarkeit der ökologischen und der verkehrlichen Bedürfnisse muss beseitigt werden, bevor das Projekt eine Chance zur Realisierung hat. Die Oberaufsicht darüber hat das Bundesamt für Naturschutz; letztlich müssen wir das im Verkehrs- und Umweltausschuss testieren. Das ist eine Innovation; denn damit nimmt der Bundestag seinen eigenen Auftrag ernst, nicht nur den Plan zu erstellen, sondern auch bei der Umsetzung darauf zu schauen, was davon auf Dauer ökologisch vertretbar ist. Albert Schmidt ({6}) Auch das ist eine neue Schwerpunktsetzung, die uns hilft, den Verkehrswegebau künftig wesentlich ökologischer durchzuziehen. ({7}) Das ist übrigens auch ein Vorgriff auf die neue Richtlinie zur strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der vergleichbare Instrumente vorgesehen sind. Ich möchte in aller Kürze noch einen letzten Punkt ansprechen: Wir werden weiterhin darauf achten - auch das ist eine Neuheit in diesem Plan -, dass wir Straße und Schiene streng gleichgewichtig mit Finanzmitteln ausstatten. Das muss nicht nur über die Projekte des Bundesverkehrswegeplans gehen; dazu gehören auch die Projekte, die über Regionalisierungsmittel als Infrastrukturprojekte bezahlt werden, und die Projekte, die über das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, bezahlt werden. Wir werden aber darauf achten, dass der Grundsatz des Verkehrswegeplans, nämlich auch bei der Infrastrukturerrichtung eine Chancengleichheit zwischen Straße und Schiene herzustellen, beibehalten wird. Ich fasse zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der neue Verkehrswegeplan ist kein Evangelium, er ist ein Plan. Es wird schwer sein, alles entsprechend umzusetzen. Aber wir werden dafür sorgen, dass die Grundlinien - ökologische Verträglichkeit, bestandsfreundlicher Ausbau und Chancengleichheit für die Schiene bei der Umsetzung eingehalten werden. Ich danke Ihnen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schmidt, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie beim nächsten Mal die angekündigte Zusammenfassung der Rede noch innerhalb der Redezeit unterbringen könnten. Ich gebe nun das Wort an den Kollegen Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Großmann, ich will mich eingangs auch für die FDP für das durchaus transparente und offene Verfahren der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans bedanken; das war sicherlich anerkennenswert. Leider Gottes - damit hört der Dank dann auch schon auf - ist das Ergebnis sowohl bei der Finanzausstattung als auch bei dem, was verkehrspolitisch an Bedarf zur Aussage gebracht worden ist, nicht mehr so interessant. Ich will einleiten mit einem Zitat von Dr. Peter Fischer, dem jetzigen Präsidenten von Pro Mobilität, dem langjährigen Verkehrsminister von Niedersachsen und - wenn ich richtig informiert bin - immer noch eingeschriebenen Mitglied der SPD: Dem Bundesverkehrswegeplan droht wegen fehlender Investitionen das gleiche Schicksal wie vielen Brücken und Straßen in Deutschland: In der Planung zu knapp bemessen, dann die notwendigen Investitionen in der Betriebsphase unterlassen und schließlich trotz immer restriktiverer Geschwindigkeitsbegrenzungen wegen sicherheitsgefährdender Qualitätsmängel auf den Zusammenbruch zusteuernd. Das sagt Pro Mobilität über den vorliegenden Bundesverkehrswegeplan. Diesem Urteil kann man sich anschließen; denn, Herr Minister Stolpe, Sie wollten ja mit dem Bundesverkehrswegeplan auch Antworten auf die zusätzliche Verkehrsbelastung durch die EU-Osterweiterung geben. Wir müssten mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan natürlich auch die noch immer offenen Lücken aus dem Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands schließen und - insofern gebe ich dem Kollegen Schmidt Recht darauf achten, dass der Bestand der Fernverkehrswege - egal ob Schiene oder Straße - entsprechend gepflegt wird. Nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns sollte man sich um seine Anlagen kümmern. ({0}) Das Problem ist, dass diese Regierung seit der Amtsübernahme die Belastungen für den Straßenverkehr in astronomische Höhen getrieben hat. So hoch war die Abgabenlast für den Autofahrer in Deutschland noch nie. ({1}) Aber der Rückfluss in Investitionen hält damit leider nicht Schritt. ({2}) Deswegen ist - trotz eines Sondereffektes im Zusammenhang mit den Erlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen - die Differenz zwischen dem, was eigentlich angebracht wäre, und dem, was Sie geben, größer geworden als zu unserer Zeit und nicht kleiner. ({3}) Das sagt nicht die Opposition, sondern das sagt Herr Pällmann, und das sagen Ihnen auch andere neutrale Institute. Sie müssen das nur einmal lesen. Das wollen Sie aber nicht hören. Das ist die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün. Das wird auch nicht dadurch besser, dass man durch das Land geht und gebetsmühlenhaft sagt, die Schiene sei benachteiligt. Gemessen an den Verkehrsleistungen sind die Investitionen in den Verkehrsträger Schiene dreimal höher als in den Verkehrsträger Straße. ({4}) - Die Zwischenrufe machen das nicht besser, Herr Kollege. Wenn Sie sich einmal anschauen, wo das Schienennetz und das Straßennetz in welchem Alter und Zustand sind, dann werden Sie feststellen, dass wir schon zu Horst Friedrich ({5}) unserer Regierungszeit sehr viel mehr in die Schiene investiert haben, als Sie glauben. ({6}) - Sie brauchen nicht zu lachen. Lesen Sie einmal in Ruhe den Bericht von Herrn Pällmann, den Sie selbst berufen haben, über den Teil hinaus durch, in dem die Höhe der Maut begründet worden ist! Dann werden Sie selbst darauf kommen und brauchen keine Zwischenrufe zu machen. Das Problem ist, dass Sie einen Verkehrswegeplan vorlegen, der unter falschen Bedingungen aufgestellt worden ist. Sie unterstellen bis 2015 eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene gegenüber jetzt um 100 Prozent. Das nimmt Ihnen noch nicht einmal die Bahn ab. Der zentrale Einkaufschef hat vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung der Parlamentariergruppe Schiene erklärt, nach der jetzigen Situation sei dieses Ziel illusorisch. Das haben wir vorher schon gewusst. Jetzt haben Sie das auch von der Bahn bestätigt bekommen. Sie haben entgegen Ihrer Ankündigung von heute, Herr Minister, die Finanzschere bei der Aufstellung des Bedarfsplans von vornherein im Kopf gehabt und haben den Bedarfsplan daran bemessen, indem Sie in der Mittelfristplanung Zahlen angenommen haben, die von vornherein gedrückt waren. ({7}) Sie haben den Nutzen-Kosten-Faktor so angesetzt, dass einige Bereiche herausgefallen sind, haben dann Luftbuchungen mit weiteren Bedarfen im Planungsrecht vorgenommen, um sich angeblich eine Planungsreserve zu schaffen, die Sie aber gar nicht haben. Jetzt stellen Sie sich hin und beklagen das Ganze. Hinzu kommt, dass Sie sich bei den Verhandlungen über die Maut-Erlöse vom Finanzminister offensichtlich haben über den Tisch ziehen lassen. Was nützt es, wenn im Haushalt des Verkehrsministers Einnahmen aus der Maut in Höhe von 2,1 Milliarden Euro etatisiert sind - so die Maut denn kommt; ich gehe davon aus, dass das zum 1. Januar klappt -, wenn der Finanzminister gleichzeitig bei der Aufstellung des Haushaltes den Etat um 2,2 Milliarden Euro kürzt, und zwar nicht nur einmal, sondern durchgehend? Das ist die Realität. Sie haben den Autofahrern und auch dem deutschen Transportgewerbe vorgegaukelt, Sie würden zusätzliches Geld in die Planung und den Bau von Verkehrswegen stecken, egal ob Schiene oder Straße. Erreicht haben Sie eine weitere Belastung, nicht aber mehr Geld. ({8}) Vor diesem Hintergrund - damit komme ich wieder zu dem eingangs erwähnten Zitat von Pro Mobilität werden wir bei aller Übereinstimmung in Einzelprojekten des Verkehrswegeplans das Gesamtwerk ablehnen. Danke sehr. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin RehbockZureich, SPD-Fraktion.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ging hier bereits um den Dank für einen neuen Bundesverkehrswegeplan. Ich glaube, die Opposition kann uns sehr dankbar sein, dass wir einen neuen aufgestellt haben. ({0}) Sehen wir uns einmal die Resultate des alten Plans an: Die Projektlisten waren bis zum Anschlag aufgebläht und er war mit 50 Milliarden Euro unterfinanziert. Nicht einmal den ersten Fünfjahresplan konnten Sie annähernd erfüllen. ({1}) Bei allen Haushaltsschwierigkeiten, die wir haben, ist es uns auch im Haushalt 2005 gelungen, 10,7 Milliarden Euro für Investitionen anzusetzen. Sie wissen ganz genau, dass diese Zahlen noch viel höher lägen, wenn Ihnen nicht der Mut gefehlt hätte, an wirkliche Subventionen heranzugehen. So leiden wir heute unter der Rasenmähermethode von Koch/Steinbrück. Das heißt: Investitionen im Verkehrsbereich wurden gestrichen und als Subventionen bezeichnet. ({2}) Ich komme jetzt zu den Investitionen in den Verkehrsträger Schiene: Dass 1998 2,9 Milliarden Euro auf der Tagesordnung standen und dass wir 1999 3,6 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt und die Mittel bis auf 4 Milliarden Euro gesteigert haben, ({3}) zeigt ganz deutlich, dass diese Koalition kein einseitiges Interesse an den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gezeigt hat. ({4}) Es geht auch um die Verstetigung der Mittel. Ich bin dankbar, dass es gelungen ist, deutlich zu machen, dass diese Mittel für den Verkehrsträger Schiene bis 2007 und auch für die darauf folgenden Jahre verstetigt werden. Ab 2008 wird 1 Milliarde Euro zusätzlich eingestellt, um alle Verkehrsträger voranzubringen. Sie haben in Ihrem Antrag deutlich gemacht, dass es Ihnen ausschließlich um einen Verkehrsträger geht. Es kann nicht sein, dass die Schiene, wie Sie sagen, eine Randrolle spielt. Wenn Sie wissen, dass der Güterverkehr um mehr als 60 Prozent ansteigen wird, und wenn Sie hier von den Kosten des Staus reden, dann muss Ihnen doch völlig klar sein, dass wir alle Verkehrsträger benötigen. Wenn man sich nicht das Ziel setzt, mehr Güter als bisher auf die Schiene zu bringen, dann wird man dies auch nicht erreichen. Aus diesem Grund haben wir die Investitionsmittel für die Schiene und für die Straße gleichwertig behandelt. ({5}) Es kommt darauf an, das gesamte Netz zu erhalten. Hier ist gerade der Schienenbereich gefragt. In Zukunft werden gemäß dem Bundesverkehrswegeplan 60 Prozent der Mittel in den Erhalt fließen. ({6}) Dies ist auch deswegen dringend notwendig, weil uns durch die Erweiterung der Europäischen Union aufgegeben wurde, den grenzüberschreitenden Güterverkehr insbesondere im Bereich Schiene voranzubringen. Im Schienenwegeausbaugesetz haben wir Schwerpunkte beim grenzüberschreitenden Güterverkehr gesetzt. Beispiele hierfür sind die Strecken in Richtung der Niederlande sowie in Richtung Polen und Tschechien. Ein ganz wichtiger Schwerpunkt für den alpenquerenden Verkehr ist die Strecke nach Süden. Auch die Seehäfenanbindungen spielen eine wichtige Rolle im Bereich des Güterverkehrs auf der Schiene. Es ist uns gelungen, einen wirklich strittigen Punkt im Bereich des Personenfernverkehrs aufzunehmen, indem wir die Belange großer Städte wie Mannheim und Darmstadt im Bundesverkehrswegeplan abgesichert haben. In Zukunft wird der Personenfernverkehr über diese Städte laufen. ({7}) Auch der Bundesrat hat sich zufrieden mit dem Schienenwegeausbaugesetz gezeigt; denn es gab wenig zusätzliche Vorschläge vonseiten des Bundesrates. Wir haben sie in diesem Parlament aufgegriffen und bei den Veränderungen berücksichtigt. Was ich fahrlässig finde, ist, dass Sie ausschließlich auf den Verkehrsträger Straße setzen. In Ihrem Antrag verabschieden Sie sich von einer zukunftsfähigen Mobilität, indem Sie eine Absage an den Verkehrsträger Schiene formulieren. Aus Ihrer Sicht soll in das Schienennetz weniger investiert werden. Nur das Zusammenspiel aller Verkehrsträger sichert Mobilität für die Menschen und vermeidet den Stau. Aus diesem Grund ist dieser Bundesverkehrswegeplan ein zukunftsträchtiger Plan. Dagegen können Sie sagen, was Sie wollen. In Ihrer Sicht der Dinge offenbart sich eine rückwärts gerichtete Verkehrspolitik, die die Zukunft der Menschen verbaut. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Blank, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mobilität ist ein Grundrecht. ({0}) Diese Aussage, die man eigentlich uns zuschreiben würde, kommt von Albert Schmidt von den Grünen. Leider sind dies nur Worte und keine Taten; ({1}) denn der Bundesverkehrswegeplan mit den Ausbaugesetzen für Straße und Schiene ist bereits jetzt Makulatur und ein Dokument verschenkter Potenziale für wirtschaftliches Wachstum. Der halbe Meter Papier, der uns zur Verfügung stand, ist eigentlich schon reif für den Papierkorb. Zu verantworten hat dies alles Minister Stolpe, der Pleiten-, Pech- und Pannenminister der rot-grünen Bundesregierung. ({2}) Ich nenne nur einige Beispiele: Transrapid in NRW, Megaflop Maut, Verhandlungsunfähigkeit in Brüssel hinsichtlich der Dieselbesteuerung und der Harmonisierung für das Transportgewerbe. Die Krönung seiner Pleiten ist jetzt der Bundesverkehrswegeplan, der in keiner Weise einer volkswirtschaftlich orientierten Bedarfsplanung für Investitionen des Bundes in die Verkehrswege entspricht. ({3}) Aber auch die Koalitionsfraktionen haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. In sage und schreibe 13 Ausschusssitzungen wurde über Straßenprojekte, Schienenstrecken und Wasserwege diskutiert. Wir wollten in den Ausschussberatungen mit circa 500 Änderungsanträgen sachgerechte Anpassungen erreichen. ({4}) Mit der prinzipiellen Ablehnung unserer Anträge machten Sie aber deutlich, dass Sie sich von einer mobilen Zukunft verabschieden und die Bedeutung von Mobilität für unsere Gesellschaft völlig ignorieren. Wir hätten nicht in 13 Sitzungen die Zeit verschwenden müssen, um zu so einem mageren Ergebnis rot-grüner Verhinderungspolitik zu gelangen. ({5}) Was nützt Ihre so genannte Transparenz vom Entwurf des Bundesverkehrswegeplans bis zur heutigen Debatte, ({6}) wenn Sie nicht bereit waren, maßgebliche Änderungen, die wir empfohlen hatten, vorzunehmen? Die ganzen Diskussionen mit unseren sach- und fachgerechten Vorschlägen waren doch - salopp ausgedrückt - für die Katz, da Sie in Ihren Köpfen keinerlei Bereitschaft zeigten, eine bedarfsgerechte Infrastruktur für die nächsten Jahre zu planen. ({7}) Stattdessen haben Sie als Mobilitätsverhinderer mit Ihren restriktiven Ausbaugesetzen Dokumente verkehrspolitischen Versagens vorgelegt. Der Verkehrsminister ist wahrlich ein äußerst schwacher Sachwalter unserer mobilen Gesellschaft. ({8}) Aus reiner rot-grüner Ideologie wurden Projekte gestrichen, die in ihren Planungen bereits fortgeschritten waren. Viele von den nun verschwundenen Projekten hatten einen hohen Nutzen-Kosten-Faktor. ({9}) Über Jahre hinweg wurde von den Landesregierungen geplant. Jetzt taugen diese aufwendigen Planungen mit den langwierigen Verfahren nur noch für den Papierkorb. Die Länder bleiben auf den Planungskosten sitzen. Welch eine Geldverschwendung! ({10}) Sie haben diese Verschwendung von Geld und Arbeitskraft zu verantworten. Aber Rot-Grün konnte ja noch nie gut mit dem Geld der Steuerzahler umgehen. ({11}) Die Bundesregierung verabschiedet sich aus der Verkehrsinfrastrukturpolitik. Sie plant den Verkehrskollaps und den Stau auf Deutschlands Straßen. ({12}) Weitere Kürzungen im Bereich der Verkehrsinfrastruktur sind angedacht, obwohl die bisherige Finanzierung des Ausbaus der Infrastruktur in Deutschland durch Rot-Grün bereits völlig unzureichend war. ({13}) Die in der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagten Ausgaben deuten darauf hin, dass die Bundesregierung die Absicht hat, den dem Bundesverkehrswegeplan unterstellten Finanzrahmen nicht einzuhalten. Das ist ein Skandal. Für jedes zweite bis 2015 zur Planung vorgesehene Neu- und Ausbauprojekt bei den Fernstraßen wird dann das Geld fehlen, wenn es bei den vorgesehenen Kürzungen bleiben sollte. Wenn daran festgehalten wird, die Mittel für den Straßenbau weiter drastisch zu kürzen, dann bricht Ihr ganzes Szenario für den Bundesverkehrswegeplan wie ein Kartenhaus zusammen. Der BVWP und das Fernstraßenausbaugesetz sind dann nur ein regierungsamtlicher Beleg verfehlter Infrastrukturpolitik. Die Bundesregierung hat sich außerdem geweigert, neben dem Fernstraßenausbaugesetz und dem Schienenwegeausbaugesetz auch ein Wasserstraßenausbaugesetz vorzulegen, obwohl dies von Rot-Grün immer gefordert wurde. Wir sind der Meinung, dass die Bedeutung der Bundeswasserstraßen wieder gestärkt werden muss. Deshalb brauchen wir ein Bundeswasserstraßengesetz. ({14}) Mit solider Planung hat das alles nichts mehr zu tun. Um unsere Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig zu machen, brauchen wir ({15}) eine auf den tatsächlichen Bedarf ausgerichtete Finanzierungssicherheit. Die Ausbaupläne müssen mit der Finanzplanung einhergehen. Die rot-grünen Ausbaugesetze werden in keiner Weise den Notwendigkeiten gerecht. Ich kann mir vorstellen, dass es jetzt sogar dem Bundeskanzler dämmert, dass Minister Stolpe, dessen Ministerium den größten und wichtigsten Investitionshaushalt des Bundes hat, ({16}) eine zukunftsfähige Infrastruktur eines Industriestaates nicht entwickeln kann. Überreife Früchte fallen im Herbst von den Bäumen und landen als Fallobst auf dem Rasen. ({17}) Es ist die richtige Zeit, den Verkehrsminister abzulösen, da er nicht mehr handlungsfähig ist. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. ({0}) - Aber die Gäste nicht. - Die Fraktion der CDU/CSU hatte ursprünglich eine namentliche Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 12 c, also zum Fünften Gesetz zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, angekündigt bzw. angedroht, um damit ihre besondere Ablehnung zum Ausdruck zu bringen. ({1}) - Ja, was ich alles weiß. Da wundern Sie sich, Herr Oswald. Das glaube ich Ihnen. - Wir, die PDS, werden dieses Gesetz ebenfalls ablehnen, allerdings aus entgegengesetzten Gründen. ({2}) Die CDU/CSU will mehr Autobahnen, die PDS will deutlich weniger. ({3}) Als wir hier im Mai vergangenen Jahres über den Bundesverkehrswegeplan debattiert haben, habe ich - übrigens unter Zustimmung des Kollegen Schmidt von den Grünen - betont, dass wir vor allen Dingen Bedingungen schaffen müssen, dass die Schiene nicht benachteiligt wird. ({4}) Genauso wie ich haben sicher viele von Ihnen in den letzten Wochen Briefe von Bürgerinnen und Bürgern erhalten, die sich über die gestiegenen Benzinpreise beschwert haben. Vielen dieser Bürgerinnen und Bürger und gleichzeitig auch der Umwelt könnte geholfen werden, wenn der öffentliche Personenverkehr gestärkt würde. Zu Frau Blank, meiner Vorrednerin, kann ich nur sagen: Mobilität heißt nicht zwangsläufig Straße, sondern vor allen Dingen Schiene. ({5}) Ich würde mich freuen, wenn sich in dieser Regierung mehr grüne Verkehrspolitik durchsetzen könnte, als das bisher der Fall ist. ({6}) Wenn wir die Ausgaben für Straßenbauinvestitionen und Schieneninvestitionen vergleichen, dann sehen wir ein erhebliches Missverhältnis. Um die Rede der Kollegin Rehbock-Zureich aufzugreifen: Sie haben große Städte erwähnt. Schön wäre es auch, wenn die große Stadt Magdeburg endlich wieder mit dem ICE erreichbar wäre. Ich denke, da können Sie mir zustimmen. ({7}) - Das habe ich extra für Sie, Herr Küster, gesagt. ({8}) Zusammengerechnet werden bis zum Jahr 2015 knapp 14 Milliarden Euro mehr für die Straße als für die Schiene ausgegeben. Wir als PDS meinen, dass dieses Verhältnis verändert werden müsste. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Senkung des Kohlendioxidausstoßes zu erreichen. Dieses Ziel wird allerdings verfehlt, ({9}) ganz im Gegenteil: Bis 2015 wird die Kohlendioxidbelastung steigen. Dabei sollten wir alle doch nach unseren vielfältigen Debatten zum Emissionshandel dazugelernt haben. Zurück zum Fernstraßenausbaugesetz: Wir als PDS lehnen dieses Gesetz auch deshalb ab, weil in ihm Projekte festgeschrieben werden, die nicht den Vereinbarungen zwischen PDS und SPD in der Berliner Regierungskoalition entsprechen. Herr Stolpe, ich meine konkret die Projekte 704 und 706, das heißt die Verlängerung des Berliner Autobahnringes über den Bezirk Neukölln hinaus. Ich lehne dieses Projekt auch persönlich ab. Die angestrebte Autobahnverlängerung würde nämlich quasi durch die Schlafzimmer vieler Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises und auch durch mein eigenes führen. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass das für mich kein amüsanter Gedanke ist. ({10}) Abschließend möchte ich festhalten - ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident -: Wir als PDS unterstützen alle Maßnahmen der Bundesregierung, die zu einer Stärkung der Schiene führen. Für ebenso sinnvoll halten wir die Forderung, die Umsetzung des Nationalen Radwegeplanes zu forcieren. Das habe ich bereits im vergangenen Jahr vorgeschlagen. Damals hat Kollege Scheffler noch protestiert. Gut, dass auch er jetzt an meiner Seite ist. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, nach Ihren Ausführungen ist mir unwillkürlich der Spruch von Bertolt Brecht eingefallen: ({0}) Ja, mach nur einen Plan, Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, Gehn tun sie beide nicht. ({1}) Ich glaube, das kann man als Resümee dessen ziehen, was wir mit diesem Bundesverkehrswegeplan erleben. ({2}) Um mich nicht nur auf meine eigenen Argumente zu beschränken, darf ich aus der „FAZ“ vom 13. April dieses Jahres zitieren: Auch die Deutsche Bahn muß sich bescheiden. Sie kann Aus- und Neubaustrecken aus ihrer Planung praktisch streichen, denn schon der Erhalt des bestehenden Netzes und die laufenden Baumaßnahmen kosten mehr, als der Haushalt mittelfristig hergibt. Mehr ist zu dem Thema, das wir heute beraten, eigentlich nicht zu sagen. Wir befinden uns zurzeit in einer Märchenstunde. Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht sind im Vergleich zu dem vorliegenden Bundesverkehrswegeplan ein Tatsachenbericht. ({3}) Auch muss daran erinnert werden, dass die bevorzugte Förderung des Schienenverkehrs einst das immer wieder demonstrativ präsentierte Paradestück rot-grüner Verkehrspolitik war. Deshalb ist der Scherbenhaufen, vor dem die Bundesregierung heute mit ihrer Verkehrspolitik steht, ein besonders eklatantes Beispiel für ein weiteres Versprechen, das nicht gehalten worden ist. ({4}) Allein die im vorliegenden Bundesverkehrswegeplan als vordringlich, also bis 2015 zu verwirklichenden Projekte bei der Schiene erfordern zusammen mit den laufenden und fest disponierten Vorhaben einen Investitionsbetrag von rund 32 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass bis zum Jahre 2015 jährlich im Schnitt etwa 3 Milliarden Euro allein für Investitionsmaßnahmen im Bereich der Schieneninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden müssten. Hinzu käme der jährliche Aufwand für die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen am Bestandsnetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Insgesamt wären das also jährlich 5,5 Milliarden Euro. Die Bahn selbst beziffert den Bedarf für die Schieneninfrastruktur auf jährlich mindestens 4,2 Milliarden Euro, davon 1,7 Milliarden Euro allein für die Realisierung des Bedarfsplans, das heißt für Neu- und Ausbauten. Tatsächlich werden aber nach Angaben der Deutschen Bahn AG selbst ab 2005 jährlich insgesamt nur etwa 3 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das heißt im Klartext, dass zur Abarbeitung des ehrgeizigen Bundesverkehrswegeplans, den wir heute beschließen wollen, jährlich nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen sind. Bedenkt man, dass noch immense Kostenerhöhungen bei laufenden Projekten wie dem Lehrter Bahnhof verkraftet werden müssen, so bedeutet dies, dass in den nächsten Jahren überhaupt kein neues Projekt bei der Schiene in Angriff genommen werden kann. Damit wird auch das von Rot-Grün immer wieder proklamierte Ziel - heute war davon ebenfalls die Rede -, den Anteil der Bahn im Güterverkehr bis 2015 zu verdoppeln, praktisch ad absurdum geführt, praktisch aufgegeben. ({5}) Schlimmer noch: Es kommt sogar zu spektakulären Stilllegungen wichtiger, fast fertiger Baustellen, wie zum Beispiel auf der Strecke Augsburg-München bei Mering. Das ist eigentlich ein Desaster für die Bahn sowie für den Fern- und den Nahverkehr, den sie dort betreiben will. ({6}) Um es zusammenzufassen: Es ist die bitterste und desaströseste Bilanz, die eine Bundesregierung in der Verkehrspolitik je zu vertreten hatte. ({7}) Dies kann mit Zahlen belegt werden. Herr Minister, ({8}) diese bodenlose Unterfinanzierung hat auch den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen zur Folge, die im Schienenausbau und bei der Infrastrukturausstattungsindustrie bis vor kurzem als sicher galten. Ich fürchte, dass die von Ihnen reklamierten zusätzlichen 25 000 Arbeitsplätze nicht zu realisieren sind. Im Gegenteil: Es wird Tausende von zusätzlichen Arbeitslosen geben, die eigentlich darauf vertrauen durften, dass die ehrgeizigen Pläne, die Sie der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, tatsächlich realisiert werden. Herr Kollege Schmidt, Sie haben heute dankenswerterweise versucht, sozusagen den ehrlichen Makler zu geben. ({9}) Aber mich verwundert, wie still und protestlos die Grünen und ihre Anhänger - jedenfalls in der Öffentlichkeit - diese von der Bundesregierung selbst verschuldete Entwicklung hinnehmen. ({10}) Herr Kollege Schmidt - darüber haben wir schon öfter gesprochen -, die Teilhabe an der Macht ist offenbar viel wichtiger als grüne Grundsatztreue. Das ist eine Erfahrung, die wir heute nicht zum ersten Mal mit Ihnen machen. ({11}) Ich finde aber, dass man das den eigenen Anhängern und der interessierten Öffentlichkeit ehrlich und ungeschminkt sagen sollte. Das ist jedenfalls um der Ehrlichkeit der Politik willen das Mindeste, was man von Ihnen verlangen muss. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat das Wort der Kollege Dirk Fischer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenige Minuten vor den abschließenden Abstimmungen über die Entwürfe der Ausbauänderungsgesetze für Straße und Schiene stehen wir vor dem Scherbenhaufen der rot-grünen Verkehrsinfrastrukturpolitik. ({0}) Daran kann auch eine Märchenstunde à la Stolpe nichts ändern. Das gesamte Verfahren der Bundesverkehrswegeplanung ist ein Paradebeispiel rot-grüner Handlungsunfähigkeit. Hier halten zwei Krücken ein Feigenblatt. ({1}) Auch wenn drei Verkehrsminister in den ersten vier Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung keinen langen Atem hatten, reichte es immerhin für eine Menge heißer Luft. Trotz ständig wiederkehrender Ankündigungen verschleppten es Müntefering, Klimmt und Bodewig, den Bundesverkehrswegeplan von 1992 zügig zu überarbeiten, wie es nach dem Koalitionsvertrag von 1998 bereits für die letzte Legislaturperiode vorgesehen war. ({2}) Die Aktualisierung volkswirtschaftlicher Daten und Verkehrszahlen unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Effekte deutscher Einheit und europäischer Grenzöffnung wurde verantwortungslos auf die lange Bank geschoben. Was lange währt, wird aber nicht zwangsläufig gut. Der von der Bundesregierung am 2. Juli 2003 beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist als belastbares, zukunftsweisendes Planungsinstrument unbrauchbar. ({3}) Bundesverkehrswegeplan und Ausbaugesetze gehen am tatsächlichen volkswirtschaftlichen Bedarf vorbei. Stau und Stillstand sind Stolpes Maximen. Die dem Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegte Annahme einer Verdopplung des Schienengüterverkehrsaufkommens bis 2015 - das wurde schon von anderen Rednern erwähnt ist völlig illusorisch. Die Entwicklung ist, seit dem diese Prognose im Verkehrsbericht 2000 dieser Bundesregierung abgegeben wurde, sogar gegenläufig gewesen. Eine gleichmäßige Verteilung der Investitionsmittel auf Straße und Schiene geht an der Wirklichkeit vorbei. Die Straße bleibt Verkehrsträger Nummer eins. Auf ihr werden 85 Prozent aller Verkehrsleistungen in unserem Lande abgewickelt. ({4}) Wenn man diesem Verkehrsträger die notwendigen Investitionen verweigert, dann weiß man, was man der Volkswirtschaft in unserem Lande, aber auch in Europa antut. ({5}) Mit etwa 500 Änderungsanträgen hat die CDU/CSUBundestagsfraktion im Verkehrsausschuss zu korrigieren versucht, was korrigiert werden musste. ({6}) Zu jeder Zeit beratungsresistent, haben die Regierungsfraktionen aber sachgerechte Änderungen und Ergänzungen prinzipiell niedergestimmt. Dabei hat doch der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau in einer seiner letzten Reden die pauschale Ablehnung von Anträgen der Opposition im Parlament als eines der Grundübel unseres Landes bezeichnet. ({7}) Diese Rede von Johannes Rau hat bei Ihnen keinerlei pädagogische Wirkung erzielt. Der Haushaltsentwurf 2005 manifestiert zusätzlich, dass nicht Verkehrsaufkommen und Ausbaubedarf Maßstab für den Verkehrsetat sind, sondern Fehler und Versagen dieser Bundesregierung, von ausfallender Maut bis zu fehlendem Wirtschaftswachstum usw. usw. Ich erwähne es noch einmal, weil dieser Vorgang wirklich empörend und skandalös ist. Es handelt sich um einen Dirk Fischer ({8}) eklatanten Gesetzesbruch, da gemäß § 11 Mautgesetz, vom Bundestag und vom Bundesrat einstimmig verabschiedet, die - hoffentlich ab 1. Januar 2005 fließenden - Mauteinnahmen abzüglich der Systemkosten zusätzlich zu den 2003 bestehenden Haushaltsansätzen in die Verkehrsinfrastruktur und davon überwiegend in den Straßenbau fließen sollen. ({9}) Die Bundesregierung hat das genaue Gegenteil getan. Sie hat ein Nullsummenspiel veranstaltet, Ansätze herunter und Auffüllung durch Mauteinnahmen, anstatt die Investitionsmittel für den Straßenbau „on top“ bereitzustellen. Herr Minister Stolpe, auch ganz persönlich an Sie gerichtet: Nach einem gemeinsamen Vermittlungsverfahren haben Sie damit gegenüber den Bundesländern einen üblen Wortbruch begangen. Das ist skandalös. ({10}) 10,7 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen, inklusive 72,5 Millionen Euro für den Transrapid, 25 Millionen Euro für Galileo und fast 1,7 Milliarden Euro für das GVFG, existieren bislang nur auf dem Papier und sind alles andere als seriös finanziert. Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2005 ist, wie schon im Jahre 2004, nur Wunsch und Wolke. Der von Rot-Grün bereits in den vergangenen Jahren eingeleitete Kahlschlag bei den Verkehrswegeinvestitionen wird dadurch fortgesetzt. Für einen Abbau des riesigen Investitionsstaus wird keine Lösung angeboten. An eine Beseitigung der Instandhaltungskrise - wir leben immer mehr von der Substanz - ist nicht zu denken. Die Rückkehr zu einer bedarfsorientierten Verkehrsinvestitionspolitik ist von dieser Bundesregierung nach allem, was wir erlebt haben, nicht zu erwarten. Hoffentlich bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, um weiteres Porzellan zu zerschlagen. ({11}) Nur ein Regierungswechsel und ein neuer Bundesverkehrswegeplan können den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden ({12}) und damit Mobilität in Deutschland dauerhaft sichern. Eine dauerhafte Sicherung ist von dieser Bundesregierung allerdings nicht zu erwarten. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Weis, SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Dirk, ich glaube, das Gewitter draußen war eine Reaktion auf deine Rede. ({0}) Im Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswegeplan 1992 haben wir das letzte Mal über Ausbaugesetze debattiert. In der Zwischenzeit sind die Warenströme infolge internationaler Kooperation angewachsen. Die Europäische Union ist größer geworden. Die Mobilität der Menschen ist gewachsen. Für einige Regionen sind die Prognosen, die seinerzeit erstellt wurden, noch heute aktuell. Zum Teil haben sie sich aber als überzogen herausgestellt. Mit Ihrem Entschließungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, beweisen Sie erneut, dass Sie an der Linie völlig überzogener Verkehrsprognosen festhalten wollen. Ich werde darauf noch eingehen. Nach mehr als zehn Jahren war es an der Zeit, den Bedarf an Verkehrswegen, auch den Bedarf an Bundesfernstraßen, aufgrund neuer Verkehrsprognosen auf den Prüfstand zu stellen. Folgerichtig konnte sich der Bedarfsplan zum Fernstraßenausbaugesetz, den wir heute abschließend beraten, nicht in der bloßen Fortschreibung des früheren Bedarfsplans erschöpfen. Zur Erinnerung: 1992 ist das für die alten Bundesländer noch so geschehen. Mit den Projekten des Bedarfsplans wollen wir eine dauerhafte und umweltgerechte Mobilität sichern. ({1}) An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Entschließungsantrag der Union zu sprechen kommen. Sie von der Union wollen den Fernstraßenbau allein am Bedarf orientieren; Kollege Fischer sagte das eben auch. ({2}) Alles andere sind laut Ihrem Entschließungsantrag sachfremde Aspekte. Ökologische Aspekte stellen für Sie bei der Bundesverkehrswegeplanung entbehrliche Instrumente dar. Mit einer solchen Position haben Sie sich von einer seriösen Verkehrspolitik verabschiedet. ({3}) Unsere Ziele möchte ich in sechs Punkten beschreiben: Erstens. Eine seriöse Verkehrspolitik verlangt, dass wir möglichst frühzeitig alle Aspekte, auch die Belange der Umwelt, in die Überlegungen einbeziehen. Sonst entstehen zwangsläufig und zum Nachteil des Steuerzahlers Planungsrisiken, Planungsruinen. Reinhard Weis ({4}) Zweitens. Eine seriöse Verkehrspolitik verlangt auch - das sollten Sie eigentlich wissen -, dass bestehendes EU-Recht beachtet wird, zum Beispiel - um nur ein Rechtsgebiet zu nennen - die FFH-Richtlinie. Drittens. Wir wollen faire und vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsträger schaffen. Es ist unstreitig: Es gibt immer noch Benachteiligungen für den Schienenverkehr, aber auch für die Binnenschifffahrt. Nach meiner Überzeugung braucht die Binnenschifffahrt ebenfalls eine leistungsfähige Infrastruktur. Es ist nicht in Ordnung, von integrierter Verkehrspolitik zu sprechen und einem Verkehrsträger mit Argumenten, die schon widerlegt sind, die erforderliche Beachtung zu verweigern. Wenn wir heute auch nicht über ein Wasserstraßenausbaugesetz sprechen, so haben wir doch mit der Zustimmung der Koalitionsfraktionen zum Bundesverkehrswegeplan der Bundesregierung die darin enthaltenen Wasserstraßenprojekte bestätigt. In der gestrigen Debatte über die deutschen Seehäfen ist auch deutlich gemacht worden, dass wir vom Kabinett noch eine Entscheidung zum Ausbau der seeseitigen Anbindung der Häfen Hamburg und Bremen erwarten. ({5}) Wir wollen viertens Verkehrsengpässe beseitigen und durch Ortsumgehungen die Lebensqualität in den Kommunen verbessern. Nicht zuletzt wollen wir fünftens mit der verbesserten Infrastruktur den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. ({6}) Ich widerspreche deshalb ausdrücklich den Vorschlägen von Herrn von Dohnanyi, der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur abbauen möchte - und das ausgerechnet in den neuen Bundesländern. ({7}) Damit komme ich zum sechsten Punkt. Es gilt nach wie vor, im Rahmen des Aufbaus Ost die innerdeutschen Verbindungen leistungsgerecht auszubauen, zum Teil erst wiederherzustellen und Lücken im Netz der ostdeutschen Verkehrsinfrastruktur zu schließen. ({8}) Die Verbindungen in den ostdeutschen Bundesländern sind auch als Transitstrecken in einer größer gewordenen EU wichtig. ({9}) Ich meine: Der vorliegende Gesetzentwurf wird all diesen Anforderungen gerecht. Dazu bedurfte es umfangreicher Vorbereitungen und Gutachten, zahlreicher Gespräche der Bundesregierung mit Ländern und Verbänden. Auch der Bundestag hat sich ausführlich und sehr intensiv mit den Bedarfsplangesetzen befasst. Allein unser Ausschuss hat 13 Sitzungen darauf verwendet. ({10}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien und im Sekretariat unseres Ausschusses sowie unseren Fraktionsarbeitsgruppen danken, die durch ihre engagierte und detaillierte Vorbereitung unsere Arbeit und die heutige Beschlussfassung erst ermöglicht haben. ({11}) Nachdem wir unserem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann schon mehrfach für seine Arbeit Anerkennung gezollt haben, möchte ich stellvertretend für viele Herrn Referatsleiter Dieter Reschke und dem Leiter der Projektgruppe Bundesverkehrswegeplan, Herrn Reinhard Weber, sehr herzlich danken. Sie haben durch ihre umsichtige Vorbereitung und Begleitung der parlamentarischen Beratungen einen wichtigen Grundstein für unsere heutige Beschlussfassung gelegt. ({12}) Ich möchte auch dem Bundesrat danken. Er ist ganz aktuell unserem Wunsch, eine Fristverkürzung für die Beratung des Bundesverkehrswegeplans zu akzeptieren, nachgekommen. Er wird sich also am 9. Juli mit den im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Ausbaugesetzen befassen. ({13}) Das macht deutlich, wie groß das Interesse der Bundesländer an Planungssicherheit ist, um Aufträge für die Planung vergeben zu können. Sicherlich hätte sich jeder von uns gewünscht, dieses oder jenes Projekt wäre anders bewertet worden. Dafür habe ich großes Verständnis. Angesichts der Endlichkeit der verfügbaren Mittel verbietet sich aber ein großes Wunschkonzert. ({14}) Ein solches Wunschkonzert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, haben Sie angestimmt. Sie erwecken den Eindruck, das Unmögliche möglich machen zu können. Geld spielt keine Rolle bei Ihnen. Ihre Forderungen für die Schiene bringen einen Mehrbedarf in Höhe von 1 Milliarde Euro mit sich. Ihre Forderungen nach Einstufung von mehr Straßenprojekten in den vordringlichen Bedarf bringen einen Mehrbedarf in Höhe von 13,5 Milliarden Euro mit sich. Alle Achtung! Das nenne ich solide Bedarfsplanung. ({15}) Wie ein solcher Bedarfsplan bis 2015 finanziert werden soll, bleibt allerdings Ihr Geheimnis. Wenn Sie uns Reinhard Weis ({16}) vorwerfen, die finanzielle Basis unseres Bundesverkehrswegeplans sei Makulatur, wie soll man denn dann Ihre Vorschläge nennen? ({17}) Ich streite nicht ab, dass auch uns Sorgen drücken, wie der festgestellte Bedarf komplett finanziert werden kann. Das liegt aber in unserer Verantwortung. Es ist unsere Aufgabe, in Zukunft die Voraussetzungen für eine solide Finanzierung zu schaffen. Mit den Veränderungen im Ansatz des Bundesverkehrswegeplans 2005 ist der erste Beleg für die Wahrnehmung unserer Verantwortung vorhanden. ({18}) Dazu gehört auch, dass wir dem Start der LKW-Mauterhebung zum 1. Januar 2005 zuversichtlicher entgegenblicken. Nach den Gesprächen, die wir vorgestern mit den Vertretern von Toll Collect, dem Bundesamt für Güterverkehr und Minister Stolpe im Ausschuss dazu geführt haben, können wir mit Zuversicht - nach meinem Eindruck ist das auch Ihre Auffassung - dem Funktionieren dieses zusätzlichen Finanzierungsinstruments entgegensehen. Wir werden den Beweis antreten und werden unseren Bedarfsplan realisieren. Danke für die Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu diesem Tagesordnungspunkt heute gehört auch eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Kindersicherheit in Deutschland - ein Thema mehr für leise Töne. Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat sich 1988 konstituiert. Seit dieser Zeit sind mehr als 6 000 Kinder in unserem Land im Straßenverkehr tödlich verunglückt; mehr als 750 000 sind verletzt worden, zum Teil haben sie lebenslang die Folgeschäden zu tragen. Eine traurige, Besorgnis erregende Bilanz der letzten 16 Jahre, die nicht hinnehmbar ist. Fast jedes zweite verunglückte Kind unter 15 Jahren starb im PKW, aber hoch gefährdet sind auch Kinder als Radfahrer und Fußgänger. Zwischen 2001 und 2002 verunglückten 12 Prozent mehr Kinder im PKW tödlich. Zwischen 2001 und 2002 ist der Anteil derjenigen PKW-Fahrer, die innerorts Kindersitze für ihre Kinder benutzen, auf 72 Prozent zurückgegangen. Jedes dritte Kind wird nicht mehr gesichert befördert. Weil Prozentzahlen - einige Kollegen unterhalten sich ja auch über andere Themen - oft verharmlosen, will ich einmal sagen, was das bedeutet: Täglich werden in Deutschland 1 Million Kinder nicht gesichert befördert. Dieser Zustand ist unhaltbar. ({0}) Es muss sich immer die Zeit genommen werden, Kindersitze auch zu benutzen. Das ist richtig, Horst. In der Altersgruppe der bis zu 10-Jährigen ist der Anteil der gesichert beförderten Kinder von 37 auf 33 Prozent zurückgegangen. Allein diese Daten belegen, dass es richtig war, nachzufragen, wie es sich mit der Verkehrssicherheit von Kindern in Deutschland verhält und wo es Versäumnisse und Fehler gibt. Kindersicherheit muss nach unserer Auffassung - da sind sich alle einig, die hier im Bundestag Politik machen - in unserer Gesellschaft Vorrang haben. Die Bundesregierung muss ein gesondertes Programm auflegen, das sich der Kindersicherheit annimmt. Wir müssen wieder sensibilisiert werden; denn wir tun für Kinder und deren Sicherheit im Straßenverkehr anscheinend nicht genug. Wir sollten denen dankbar sein, die sich trotz aller Probleme tagtäglich für die Sicherheit der Kinder einsetzen, ob als Polizisten, Erzieher, Pädagogen, Kindergärtnerinnen, in den Verbänden oder auch als Eltern. Der Einwand, wir täten doch genug, schließlich sei die Anzahl der tödlichen Kinderunfälle allmählich zurückgegangen, trifft nur halb zu. 1993 gab es noch 13,3 Millionen Kinder in Deutschland, heute sind es 12,3 Millionen. Dass damit auch die Zahl der tödlichen Kinderunfälle zurückgeht, kann man sich vorstellen. Das individuelle Unfallrisiko ist dadurch aber nicht zurückgegangen. Die Kindersicherungspflicht ist von uns 1992 eingeführt worden. Unsere Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel, Dirk Fischer, Horst Friedrich, die auch heute dabei sind, und andere haben damals gemeinsam dafür gesorgt, dass Kindersitze Pflicht werden. ({1}) Seit dieser Zeit hat sich die Anzahl der tödlichen Kinderunfälle halbiert. Anders ausgedrückt: 1 100 Kinder leben, weil Kindersitze seit damals verpflichtend sind, auch wenn die Anschnallpflicht nicht immer beachtet wird. ({2}) - Durch Ihren Beifall machen Sie deutlich, dass Sie den verantwortlichen Verkehrspolitikern in diesem Haus danken, und das ist richtig so. Die Widerstände gegen die Kindersitze, weil das Fahren im Auto dadurch ein wenig unbequemer wurde, waren seinerzeit nicht einWolfgang Börnsen ({3}) fach zu überwinden. Um dahin zu kommen, bedurfte es viel Courage und eines klugen Verkehrsministers. Aber damit sind wir nicht am Ende; es bleibt weiterhin viel zu tun. Da unser Verkehrsminister heute anwesend ist, möchte ich abschließend noch auf eine Problematik aufmerksam machen: Kinder werden - das ist festgestellt worden - durch die Vielzahl von Verkehrsschildern eher verwirrt, als dass sie dadurch Orientierung erhalten. Wir haben in Deutschland 21 Millionen Verkehrszeichen; vor 20 Jahren waren es noch 14 Millionen. Der Verkehrsschilderdschungel wird immer größer. Herr Dr. Stolpe, wir bitten Sie, mit dazu beizutragen, dass dieser Dschungel einmal durchforstet wird. Weniger ist mehr; jedes fünfte Verkehrsschild gehört weg! ({4}) Damit verbunden ein letzter Appell an Sie: Wir haben vor einigen Monaten beantragt, dass vor Kindergärten und Schulen statt der vielen Altschilder weniger, aber reflektierende Schilder aufgestellt werden, weil diese von Kindern besser beachtet werden. Vielleicht können Sie dafür sorgen, dass das in Ihrem Haus, das diesem Vorschlag gegenüber damals sehr abgeneigt war, geprüft wird. Wir alle müssen mehr für die Kindersicherheit im Verkehr in Deutschland tun. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 12 a. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 15/3314 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 12 c. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, Drucksachen 15/1657 und 15/1803. Zu dieser Abstimmung liegen mir schriftliche Erklärungen von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages vor. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- sen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 15/3412, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten der 1) Anlage 10 bis 16 PDS sowie gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3478. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsan- trag ist mit den Stimmen der Koalition und der beiden fraktionslosen Abgeordneten der PDS gegen die Stim- men der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Tagesordnungspunkt 12 d. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, Drucksachen 15/1656 und 15/1804. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3382, den Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Abgeordneten der PDS angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Bera- tung angenommen. Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3470 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 m sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 d und Tagesordnungspunkt 25 auf: 31 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz- buch - Drucksache 15/3443 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen ({0}) - Drucksache 15/3447 10754 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Januar 2003 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über Bau und Erhaltung einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Rheinfelden ({2}) und Rheinfelden ({3}) - Drucksache 15/3178 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. April 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Änderung des Verlaufs der gemeinsamen Staatsgrenze im Bereich der Autobahnbrücke am Grenzübergang Waidhaus-Rozvadov/Roßhaupt - Drucksache 15/3352 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation vom 21. Mai 2003 zur Eindämmung des Tabakgebrauchs ({5}) - Drucksache 15/3353 Überweisungsvorschlag Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({6}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 19. August 1985 über Gewalttätigkeit und Fehlverhalten von Zuschauern bei Sportveranstaltungen und insbesondere bei Fußballspielen - Drucksache 15/3354 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Sportausschuss g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer der § § 100 g, 100 h StPO - Drucksache 15/3349 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({8}) Innenausschuss h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung der Akademie der Künste ({9}) - Drucksache 15/3350 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({10}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 15/3351 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes - Drucksache 15/2950 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Signaturgesetzes ({12}) - Drucksache 15/3417 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Kultur und Medien l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft ({14}) - Drucksache 15/3405 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({15}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, Brunhilde Irber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({16}), Volker Beck ({17}), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Grünes Band als einzigartigen Biotopverbund und als Erinnerungsstätte der deutschen Teilung sichern - Drucksache 15/3454 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18}) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ZP 4 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wirkungsgleichen Übertragung von Regelungen der sozialen Pflegeversicherung sowie der gesetzlichen Krankenversicherung auf dienstrechtliche Vorschriften - Drucksache 15/3444 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({19}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Volker Beck ({20}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für Innovationen - Drucksache 15/3452 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({21}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta DäublerGmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth ({22}), Volker Beck ({23}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Urwaldschutz verstärken - Drucksache 15/3464 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({24}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Albert Schmidt ({25}), Volker Beck ({26}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2002-2012 forcieren - Drucksache 15/3467 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({27}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss 25 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postpersonalrechtsgesetzes - Drucksache 15/3404 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({28}) Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Zunächst zu den aufgerufenen Punkten ohne Tagesordnungspunkt 25: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 25. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3404 an den Innenausschuss und an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, die Fraktion der CDU/CSU wünscht Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der CDU/CSU abstimmen, also über die Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, also für die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und einer fraktionslosen Abgeordneten der PDS gegen die Stimmen der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 32 a bis 32 j und 32 l bis 32 q sowie den Zusatzpunkten 5 a bis 5 h. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 32 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes - Drucksache 15/3305 ({29}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({30}) - Drucksache 15/3449 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Fograscher Stephan Mayer ({31}) Silke Stokar von Neuforn Gisela Piltz Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3449, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. April 2003 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung - Drucksache 15/3177 ({32}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({33}) - Drucksache 15/3392 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Hofmann ({34}) Norbert Geis Silke Stokar von Neuforn Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3392, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 c: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung - Drucksache 15/3147 ({35}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({36}) - Drucksache 15/3471 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3471, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 d: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Statistiken ({37}) - Drucksache 15/3306 ({38}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Statistiken - Drucksache 15/2416 ({39}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({40}) - Drucksache 15/3474 Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Kristina Köhler ({41}) Silke Stokar von Neuforn Gisela Piltz Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3474, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3474, den Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 32 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({42}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({43}), Albert Schmidt ({44}), Volker Beck ({45}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Tourismus in, an und auf dem Wasser Naturverträglichen Wassertourismus in Deutschland ausbauen und fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Edeltraut Töpfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Wassertourismus in Deutschland entwickeln und stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Angelika Brunkhorst, HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Marketing für Wassertourismus in Deutschland verbessern - Drucksachen 15/2667, 15/933, 15/1595, 15/3469 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3469, den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2667 mit dem Titel „Tourismus in, an und auf dem Wasser - Naturverträglichen Wassertourismus in Deutschland ausbauen und fördern“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/933 mit dem Titel „Wassertourismus in Deutschland entwickeln und stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3469 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1595 mit dem Titel „Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Marketing für Wassertourismus in Deutschland verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({46}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck ({47}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan zur UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ - Drucksachen 15/2758, 15/3472 Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Burchardt Bernward Müller ({48}) Grietje Bettin Christoph Hartmann ({49}) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2758 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({50}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Kortmann, Rudolf Bindig, Lothar Binding ({51}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({52}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Unterstützung der neuen Regierung Boliviens bei der demokratischen Stabilisierung des Landes - zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß ({53}), Dr. Christian Ruck, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Stabilisierung der Lage in Bolivien - Drucksachen 15/2975, 15/1980 15/3484 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Kortmann Peter Weiß ({54}) Thilo Hoppe Markus Löning Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2975 mit dem Titel „Unterstützung der neuen Regierung Boliviens bei der demokratischen Stabilisierung des Landes“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1980 mit dem Titel „Stabilisierung der Lage in Bolivien“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({55}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Kortmann, Ulrich Kelber, Detlef Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, HansChristian Ströbele, Volker Beck ({56}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das Center for International Cooperation ({57}) stärken und weiter ausbauen - Drucksachen 15/2396, 15/3485 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Kortmann Dr. Ralf Brauksiepe Thilo Hoppe Markus Löning Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2396 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({58}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2002 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({59}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({60}) - Drucksachen 15/770, 15/2020, 15/3387 Berichterstattung: Abgeordneter Gerhard Rübenkönig Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, Erteilung der Entlastung für das Haushaltsjahr 2002? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, Aufforderungen an die Bundesregierung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({61}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ({62}) KOM ({63}) 657 endg.; Ratsdok. 14812/03 - Drucksachen 15/2373 Nr. 2.1, 15/3477 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer Abg. Michael Grosse-Brömer Abg. Jerzy Montag Abg. Sibylle Laurischk Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 l: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({64}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele LösekrugMöller, Annette Faße, Brunhilde Irber, weiterer Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({65}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck ({66}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Internationale Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismusentwicklung zügig umsetzen - Drucksachen 15/3219, 15/3437 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller Cajus Julius Caesar Undine Kurth ({67}) Angelika Brunkhorst Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3219 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 32 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({68}) Sammelübersicht 128 zu Petitionen - Drucksache 15/3316 Wer stimmt dafür? - Die Sammelübersicht 128 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({69}) Sammelübersicht 129 zu Petitionen - Drucksache 15/3317 Wer stimmt dafür? - Die Sammelübersicht 129 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({70}) Sammelübersicht 130 zu Petitionen - Drucksache 15/3318 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 130 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({71}) Sammelübersicht 131 zu Petitionen - Drucksache 15/3319 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 131 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({72}) Sammelübersicht 132 zu Petitionen - Drucksache 15/3320 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 132 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Zusatzpunkt 5 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen - Drucksache 15/2946 ({73}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({74}) - Drucksache 15/3483 - Berichterstattung: Abgeordnete Dirk Manzewski Marco Wanderwitz Rainer Funke Zu dieser Abstimmung liegt eine persönliche Erklä- rung der Kollegin Ulrike Höfken vor.1) Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 15/3483, den Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 14/3483 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie- ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 5 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz 1) Anlage 19 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner und Reaktorsicherheit ({75}) zu der Verordnung der Bundesregierung Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({76}) - Drucksachen 15/3420, 15/3456 Berichterstattung: Abgeordnete Astrid Klug Marie-Luise Dött Birgit Homburger Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 14/3420 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Zusatzpunkt 5 c: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Ausweitung des Berichts der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen - Drucksache 15/3458 Wer stimmt für diesen Antrag? - Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 5 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({77}) Sammelübersicht 133 zu Petitionen - Drucksache 15/3459 Wer stimmt dafür? - Die Sammelübersicht 133 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 5 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({78}) Sammelübersicht 134 zu Petitionen - Drucksache 15/3460 Wer stimmt dafür? - Die Sammelübersicht 134 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 5 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({79}) Sammelübersicht 135 zu Petitionen - Drucksache 15/3461 Wer stimmt dafür? - Auch die Sammelübersicht 135 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 5 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({80}) Sammelübersicht 136 zu Petitionen - Drucksache 15/3462 Wer stimmt dafür? - Sammelübersicht 136 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 5 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({81}) Sammelübersicht 137 zu Petitionen - Drucksache 15/3463 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 137 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 9 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Deshalb rufe ich jetzt Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({82}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 15/3499 - Berichterstattung: Abgeordneter Eckart von Klaeden Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 15/3499, die Genehmigung zur Durchführung der Strafverfolgung zu erteilen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz ({83}) - Drucksache 15/1508 ({84}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Röttgen, Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz ({85}) - Drucksache 15/999 ({86}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz ({87}) - Drucksache 15/1491 ({88}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({89}) - Drucksache 15/3482 - Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Hermann Bachmaier Dr. Norbert Röttgen Rainer Funke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({90}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Jürgen Gehb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren - Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofs sicherstellen - Drucksachen 15/1098, 15/3482 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Hermann Bachmaier Dr. Norbert Röttgen Rainer Funke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor ungefähr einem Jahr hat die Bundesregierung das Gesetz zur Modernisierung der Justiz eingebracht, das im September des letzten Jahres die erste Beratung in diesem Hohen Hause erfahren hat. Unser Ziel damals war, zu den Bestrebungen der Bundesregierung zum Bürokratieabbau insgesamt auch im Bereich der Justiz beizutragen. Das erklärte Ziel war, Vorschriften vorzulegen, hinter die sich alle stellen können und die eine Vereinfachung in der Justiz bewirken, ohne gleichzeitig einen Rechtsabbau zu betreiben, ohne Instanzen aufzuheben, ohne Angeklagtenrechte zu beschneiden und Ähnliches mehr. Die Debatte, die wir dann in der Folge gehabt haben, insbesondere auch die Anhörung im November des letzten Jahres, hat gezeigt, dass die Frage, was denn eigentlich Beschleunigung und Modernisierung in der Justiz bedeuten, doch sehr unterschiedlich beantwortet wird. Wir haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Justiz, einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Justiz, der von der Opposition und parallel vom Bundesrat vorgelegt worden war und in dem noch andere Vorschläge enthalten waren, diskutiert. Wie gesagt, die Anhörung hat uns allen gezeigt, dass die Praxis nicht unbedingt der Auffassung ist, der wir sind; vielmehr gab es in vielen Punkten durchaus unterschiedliche Stellungnahmen. In der letzten Zeit hat es ausgeprägte Diskussionen gegeben. Wenn ich jetzt sage, wir alle haben uns den Anforderungen der Praxis gebeugt, dann hört sich das etwas krasser an, als es eigentlich ist. Ich würde eher sagen, wir haben gelernt, dass es sinnvoll ist, die Wünsche der Praxis zu berücksichtigen, wenn es um Vereinfachungen in der Justiz gehen soll. Das hat dazu geführt, dass wir noch zwei Paragraphen aus unserem Gesetzentwurf herausgenommen haben, nämlich die §§ 415 a und 374 ZPO. Da ging es um die Frage, inwieweit Erkenntnisse aus Verfahren in anderen Rechtszweigen verwertet werden können. Insofern haben wir gelernt. Die Opposition hat gelernt, dass viele der Vorschläge, die Sie in Ihrem Entwurf eines Beschleunigungsgesetzes gemacht haben, offenbar doch nicht das Richtige sind, und deshalb darauf verzichtet. Insgesamt hat sich der Rechtsausschuss - ich muss sagen, zu meiner Freude; denn ich finde, es ist eine gute Übung, dass gerade die Justizthemen in diesem Haus im Wesentlichen einvernehmlich geregelt werden - dazu verstanden, das ganze Gesetz „Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ zu nennen und einen gemeinsamen Gesetzentwurf, eine gemeinsame Ausschussempfehlung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP vorzulegen. Das freut mich sehr. ({0}) - Sie von der Union freut das nicht? ({1}) - Doch, Sie freut das auch. Da bin ich aber froh. ({2}) Es täte mir auch leid, wenn Sie sich an Ihre Verabredungen der letzten Tage nicht mehr halten könnten. ({3}) - Der Gegenstand der Freude war der Erkenntnisgewinn. ({4}) Erkenntnisgewinn ist immer ein Gegenstand von Freude. ({5}) Meine Damen und Herren, wesentlicher Inhalt dieses Gesetzes - insofern ist dieser Entwurf wirklich ein Gewinn für die Praxis - sind in der Tat Vereinfachungen sowohl für den Ablauf der Verfahren als auch für die Frage der internen Gerichtsorganisation. Soweit es um den Ablauf der Verfahren geht, werden wir die Regelvereidigung abschaffen, die Vereidigungsregeln insgesamt neuer und übersichtlicher gestalten. Das heißt, Zeugen sind danach nur noch dann zu vereidigen, wenn es das Gericht wegen der Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Bekundung für erforderlich hält. Das spart Arbeit und vor allen Dingen viele mögliche anschließende Verfahren. Der wesentliche Punkt - das ist auch der Punkt, auf den die Länder vor allen Dingen warten - ist die Möglichkeit der Unterbrechung für die Hauptverhandlung im Strafprozess, die Änderung des § 229 StPO. Das ist eine der Regelungen, bei denen viele gesagt haben: Warum ist das eigentlich nicht schon längst Gesetz? Künftig kann die bisher geltende Unterbrechungsfrist von zehn Tagen auf drei Wochen verlängert werden. Damit gibt es für das Gericht die Möglichkeit, auf unvorhergesehene Wendungen in der Hauptverhandlung besser zu reagieren und damit die zeit- und kostenintensiven Schiebetermine oder gar die Neuauflage eines Verfahrens zu vermeiden. Wir werden diese Dauer der Unterbrechungsfrist nicht nur bei der Erkrankung des Angeklagten vorsehen, sondern auch bei Erkrankung eines Richters oder eines Schöffen. Verständlicher und weiter gefasst werden die Vorschriften über die Verlesung von Schriftstücken; das war insoweit unstreitig. Wir werden § 256 StPO insoweit ergänzen, als Erklärungen allgemein vereidigter Sachverständiger sowie Protokolle und Erklärungen von Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen künftig auch verlesen werden können. Das heißt, wir ermöglichen damit, auf die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen zu verzichten. Wir sparen dadurch Kosten und wir beschleunigen die Verfahren, ohne dass - um das zu wiederholen - in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Angeklagten eingegriffen wird. - Dies war der Bereich des Strafprozesses. Aber auch im Amtsgerichtsprozess wollen wir Vereinfachungen ermöglichen. Ein Beitrag dazu ist die Möglichkeit, in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter von der bislang obligatorischen Hinzuziehung von Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzusehen. Richterinnen und Richter sollen darüber frei entscheiden können. Im Strafbefehlsverfahren gibt es künftig eine vereinfachte Möglichkeit, auch im Beschlussverfahren über die Höhe der Tagessätze einer Geldstrafe zu entscheiden, sie entweder heraufzusetzen oder herabzusetzen oder aufrechtzuerhalten. Wir wollen es auch erleichtern, in ein Strafbefehlsverfahren überzugehen. Die Idee dabei ist: Wenn der Angeklagte nicht erscheint, dann soll auch in der Hauptverhandlung auf mündlichen Antrag ein Strafbefehl erlassen werden können; das erleichtert die Verfahren sehr. Im Zivilprozess erhalten die Richterinnen und Richter die Möglichkeit, gerichtliche Sachverständigengutachten aus vorangegangenen Verfahren zu bewerten und in geeigneten Fällen vom strengen Beweis abzusehen. Das heißt, moderne Techniken werden auch insoweit in den Gerichten Einzug halten, als dass Sachverständige gegebenenfalls auch einmal telefonisch oder per E-Mail befragt werden können. Intern, was die Arbeitsabläufe in der Justiz anbelangt - ein Thema, das insbesondere für die Länder wichtig ist -, sollen zukünftig mehr Aufgaben auf die Rechtspfleger übertragen werden können. Das betrifft vor allen Dingen die Nachlasssachen und den Bereich des Handelsregisters; da sollen die Rechtspfleger künftig auch für sämtliche Eintragungen der Kapitalgesellschaften zuständig sein. Auch im Bereich der Strafvollstreckung werden wir die Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwälten und Rechtspflegern neu ordnen. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass der Bundestag eine gute Entscheidung fällt, wenn er diesem Gesetzentwurf heute zustimmt. Er wird für die Praxis in der Tat Erleichterungen bringen. Ich würde gern auf den Anfangsgesichtspunkt zurückkommen: Das Gesetz heißt jetzt „1. Justizmodernisierungsgesetz“. Ich denke, wir alle sollten uns darüber verständigen, dass wir die Bereiche, die wir noch nicht angesprochen haben, wo aber in der Praxis nach wie vor ein Bedürfnis besteht, noch einmal aufgreifen, dass wir uns künftig vielleicht vorher gemeinsam darüber verständigen, was gemacht werden soll, was gemacht werden muss, und das Ganze vielleicht auch durch eine Praxisanhörung begleiten. Es hat sich doch gezeigt, dass es sinnvoll ist, gerade soweit es um konkrete Verfahrensabläufe geht, stärker auf die Praxis zu hören. Da könnte man sich vorstellen, dass man auch einmal im Vorhinein eine Anhörung macht ({6}) und Vorschläge einholt, wo die Gerichtsbarkeit Änderungsbedarf sieht. Mein Interesse wäre es jedenfalls, dass wir nicht bei diesem 1. Justizmodernisierungsgesetz stehen bleiben, sondern dass wir zu einem zweiten kommen, um damit Richterinnen und Richtern mehr Spielraum zu geben, in ihrem Bereich sachgerecht entscheiden zu können. Nicht jeder Prozess ist wie der andere: Es gibt ganz viele verschiedene, differenzierte Formen in den jeweiligen Gerichtsbarkeiten. Die Praxis muss auf diese differenzierten Formen besser reagieren können. Das wäre wenigstens mein Ziel. Wir dürfen nicht glauben, das alles durch strikte gesetzliche Regelungen lösen zu können. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion, die wir über Beschleunigung und Verbesserung der Justiz in diesem Hause immer wieder führen, findet in einem Spannungsfeld statt: Der eine Pol dieses Spannungsfeldes ist der auf der Haushaltslage der Länder beruhende Ruf nach Entlastung und, um es deutlich zu sagen, auch nach Einsparung. Der andere Pol ist der rechtspolitische Anspruch, die rechtsstaatliche Qualität der justiziellen Verfahren in unserem Lande zumindest zu wahren. Diese beiden Ziele müssen wir im Blick haben. So richtig es ist, dass wir uns der Realität der Haushalte nicht einfach verschließen können, so klar ist auch, dass die rechtsstaatliche Qualität der Maßstab von Veränderungen ist. Ich möchte für meine Fraktion diese Debatte nutzen, um auf diesen Maßstab hinzuweisen. Es ist ganz sicher nicht gegen die Landesjustizminister gerichtet, sondern dient eher dazu, ihnen den Rücken auch in den Verteilungskämpfen zu stärken, die in den Kabinetten natürlich stattfinden, wenn wir darauf hinweisen, welche Bedeutung die Justiz für unseren Rechtsstaat, für die Alltäglichkeit des Rechtsstaates, für die Wahrung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger hat. Es geht um effektive, effiziente Justiz, aber auch um die Möglichkeit, gerichtliche Entscheidungen durch eine weitere Instanz überprüfen zu lassen, also um die Bedeutung von Rechtsschutz und Rechtsmitteln. Manches Mal empfinde ich es als Denunzierung, wenn gesagt wird, der Rechtsstaat sei zum Rechtsmittelstaat verkommen. Ein Rechtsmittel ist ein eminent rechtsstaatliches Instrument, auch zur Kontrolle der Justiz. Wir alle sollten das berücksichtigen und uns diesen Maßstab vor Augen halten. Die Justizhaushalte haben nur einen geringen, fast marginalen Anteil an den Landeshaushalten. Wenn man die eigentliche Justiz nimmt und den Justizvollzug herausrechnet, dann sind das nur minimale Anteile an den Landeshaushalten, vom Bundeshaushalt ganz zu schweigen. Bei dem bisschen, das wir fiskalisch gewinnen können, müssen wir sehen, dass der gesellschaftliche, der rechtsstaatliche Preis, den wir dafür bezahlen müssen, überproportional ist, wenn wir Rechtsstaat abbauen. Im Übrigen hat ein funktionierender Rechtsstaat neben dieser bürgerrechtlichen Dimension auch die Funktion eines wichtigen wirtschaftspolitischen Standortfaktors für unser Land. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Gelegenheit, die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit in unserem Land in jeder Beziehung zu unterstreichen. ({0}) Um diese Ziele zu realisieren - das ist bereits von der Bundesjustizministerin gesagt worden -, sind mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden. Die CDU/CSU-Fraktion hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, der Bundesrat hatte einen Gesetzentwurf eingebracht und auch die Bundesregierung hatte einen Gesetzentwurf eingebracht. Ich möchte die parlamentarische Reaktion auf die Anhörung hervorheben, die zu dem Ergebnis von heute geführt hat, hinter dem wir stehen. Wir haben auf diese Anhörung reagiert, wir haben sie ernst genommen. Sie war keine Farce. Wir haben uns zwischen den Fraktionen, insbesondere zwischen CDU/CSU-Fraktion und SPDFraktion, ausgetauscht und eine Bewertung der Argumente und der Kritik, die uns vorgetragen worden ist, vorgenommen. Ein wesentliches Ergebnis war, dass der Vorschlag, der in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und, wenn auch in abgeschwächter Form, in unserem Gesetzentwurf enthalten war, nämlich der zur Überführung von Beweisen aus dem Strafverfahren in das Zivilverfahren, den rechtsstaatlichen Maßstäben nicht gerecht wird. Das war problematisch. Das hätte eine Veränderung bedeutet, die vielleicht - aber auch das wurde infrage gestellt - Effizienzgewinne bringt, für die aber ein zu hoher Preis gefordert worden ist. Darum ist es ein positives Ergebnis, dass dieser Vorschlag nun nicht mehr in dem Gesetzentwurf enthalten ist. Ich möchte - das soll kein Selbstlob sein - die Art und Weise betonen, in der wir uns mit diesen Argumenten auseinander gesetzt haben. Das parlamentarische Selbstbewusstsein, das in der Behandlung dieser Frage zum Ausdruck gekommen ist, ist positiv zu bewerten. Wir haben uns zusammengesetzt und eine Gewichtung vorgenommen. Wir haben gesagt: Jenseits des Streits, der in anderen Fragen besteht, der fortbesteht, den wir weiterführen werden, macht es Sinn, zu dokumentieren, dass es eine Vielzahl von vernünftigen, pragmatischen Schritten gibt, die die Praxis befürwortet, die wir für richtig halten. Vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, einen künstlichen Streit zu führen. Vielmehr entschließen wir uns, gemeinsam diese Schritte zu tun. Wir wollen nicht, dass der Streit über andere Dinge die konkreten pragmatischen Schritte, die der Praxis helfen, verzögert. Darum war es eine vernünftige, selbstbewusste und auch selbstkritische Vorgehensweise, die, so glaube ich, uns allen und den Adressaten dieses Gesetzes zum Vorteil gereicht. Deshalb möchte ich für unsere Fraktion auch die Art und Weise der parlamentarischen Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen hervorheben. Es gibt genug Streitgegenstände und ich bin überhaupt nicht der Auffassung, dass Harmonie das erste Element der Demokratie ist. Ich will also nicht missverstanden werden. Sie haben mit Ihrem Entwurf zum Lebenspartnerschaftsgesetz wieder für einen richtigen Streitgegenstand gesorgt. Einen solchen wird es auch in anderen Bereichen geben. Wir werden diesen Streit mit Freude führen, auch in den grundsätzlichen Aspekten. Dort, wo wir zusammen sind und als vernünftige Parlamentarier zu vernünftigen Ergebnissen kommen, muss man sich aber keinen Zwang antun, sondern für die Realisierung sorgen. Für sich betrachtet sind es kleinere, aber keine unbedeutenden Schritte. Die neuen Unterbrechungsregelungen für die Hauptverhandlung im Strafverfahren, die Erleichterung des Strafbefehlsverfahrens, die Protokollierungsregelungen im Zivilverfahren sowie eine ganze Menge anderer Vorschriften sind von Relevanz. Sieben von zehn Änderungsanträgen aus dem Bundesrat sind ganz oder teilweise übernommen worden. Das zeigt, dass auch die Länder, so ist jedenfalls meine Einschätzung, mit diesem Ergebnis einverstanden sind und dem zustimmen können. Sie müssen das aber selbst entscheiden und artikulieren. Es gibt auch schon Reaktionen, die dies belegen. Darum sind wir zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen. Den Streit werden wir an anderer Stelle fortsetzen. Frau Ministerin, Ihre letzte Bemerkung will ich jetzt gar nicht strittig aufgreifen. Zum Titel dieses Gesetzes, „1. Justizmodernisierungsgesetz“, möchte ich nur zwei Bemerkungen machen. Wir haben nicht mehr lange über den Titel gestritten, weil die Sache entscheidend ist. Bei allem pragmatischen Gehalt, den dieses Gesetz hat, fand ich den Ausdruck „Modernisierung“ ein wenig zu anspruchsvoll. Wir sind im Vokabular eben etwas bescheidener. Darüber muss man aber nicht streiten. Meine Ausführungen dazu, ob dem ersten Gesetz nun bald das zweite folgen soll, möchte ich mit einer Bemerkung auf Ihren Hinweis kombinieren, dass wir darüber auch einmal mit der Praxis reden sollten. Die Gespräche, die ich mit der Praxis führe - teilweise gibt es noch etwas Praxis -, zeigen, dass das Bedürfnis, im halbjährlichen, jährlichen oder auch zweijährlichen Rhythmus mit Verfahrensänderungen, ZPO- und StPO-Reformen, bereichert zu werden, nicht sehr ausgeprägt ist. Es gibt das starke Bedürfnis in der Praxis, auch einmal zur Ruhe zu kommen und Neuregelungen des Verfahrensrechts zur Anwendung kommen zu lassen sowie bewerten zu können. ({1}) Diese hektische Gesetzgebung auf dem Gebiet des Verfahrensrechts wird von der Praxis überhaupt nicht gewünscht, da sie immer wieder einen Mehraufwand bringt. Wir sollten die Praxis ein wenig zur Ruhe kommen lassen. Wir haben jetzt pragmatische Schritte unternommen. Ich will mich Ihrer Ankündigung nicht anschließen, weil ich die Befürchtung habe, dass sie von vielen in der Praxis als Drohung empfunden wird. Für heute haben wir ein paar vernünftige Schritte unternommen. Herzlichen Dank allen, die daran mitgewirkt haben. Danke sehr. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Bundesjustizministerin hat heute in einer schriftlichen Stellungnahme das 1. Justizmodernisierungsgesetz mit den Worten beschrieben: „Das Justizmodernisierungsgesetz vereinfacht gerichtliche Strafverfahren unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.“ Das ist völlig richtig und für rot-grüne Rechtspolitik nichts Neues. Die überraschende und erfreuliche Nachricht des heutigen Tages ist, dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, zum ersten Mal dabei sind. ({0}) Das begrüße ich ganz ausdrücklich und sage: Gut, dass Sie endlich an Bord der rechtsstaatlichen Vernunft sind. Ich hoffe, Sie gehen uns nicht bald wieder von Bord. ({1}) Die Bemerkungen, die Herr Dr. Röttgen hier gemacht hat, veranlassen mich allerdings zu der Überlegung, dass das passieren könnte. ({2}) Hoffentlich passiert es nicht. ({3}) - Leider ist es so. Trotzdem bin ich zugunsten dieses Gesetzentwurfs heilfroh und sehr zufrieden, dass die Vorschläge, die noch bis gestern vonseiten der CDU/CSU zur Diskussion standen, nicht mehr aufrechterhalten werden. Das korrespondiert mit den heutigen Ausführungen des Kollegen Dr. Röttgen als meinem Vorredner und bezieht sich unter anderem darauf, dass die Vorschläge der Opposition, die darauf hinausliefen, Rechtsmittel zu beschränken, von Ihnen völlig zu Recht zurückgenommen worden sind. Danke. Auch dafür, dass Pflichten, wie zum Beispiel die Pflicht, bei der Polizei zu erscheinen, von Ihnen nicht mehr weiterverfolgt werden, danke ich. Da ist Einsicht bei Ihnen eingekehrt. ({4}) Auch bei einem anderen Punkt, über den wir alle miteinander diskutiert haben, freue ich mich, dass das ganze Haus zu einer einheitlichen Bewertung gekommen ist: Es soll keine Bindung der Zivilgerichte an strafgerichtliche Vorentscheidungen geben. Die Verfahren vor dem Straf- und Zivilgericht sind strukturell so unterschiedlich, dass es für den Zivilprozess nicht richtig wäre, die Parteien und das Gericht durch Urteile im strafrechtlichen Verfahren zu binden. ({5}) Dass wir alle zu dieser Einsicht gefunden haben - Sie durch Rücknahme Ihres Vorschlages hinsichtlich § 286 Abs. 3 ZPO und wir hinsichtlich § 415 a ZPO -, begrüße ich ganz ausdrücklich. ({6}) Ich will auf einen Punkt zu sprechen kommen, der bisher noch nicht aufgegriffen worden ist: Es geht um den Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof befindet sich durch vermehrten Arbeitsanfall sowohl bei den Zivil- als auch bei den Strafsenaten in einer äußerst angespannten Situation. Uns, dem Deutschen Bundestag, kann die Situation beim Bundesgerichtshof nicht egal sein. Ganz im Gegenteil: Der Bundesgerichtshof als eines der wichtigsten deutschen Bundesgerichte ist für die Wahrung der Rechtseinheit, die Rechtsfortbildung und als letzte Fachinstanz auch für materielle Gerechtigkeit zuständig und muss in seiner Arbeitsfähigkeit erhalten werden. Aus Gesprächen im Bundesgerichtshof habe ich erfahren, dass die Masse an Rechtsbeschwerden in Zivilsachen und zugelassenen Revisionen, die durch bestimmte landesgerichtliche Vorentscheidungen - darüber können wir heute nicht diskutieren, aber darüber müssen wir einmal diskutieren - beim Bundesgerichtshof landet, zu unglaublicher Mehrarbeit führt, ohne in der Sache die Qualität zu erhöhen und durch die Arbeit des Bundesgerichtshofs zu einem Mehrwert zu führen. Deswegen sind in unserem Gesetzentwurf in § § 552 a und 577 Abs. 6 der Zivilprozessordnung zwei Möglichkeiten festgehalten worden, wie der Bundesgerichtshof in solchen Fällen im Sinne einer großen Arbeitserleichterung handeln kann. Auch im Strafrecht haben wir dem Bundesgerichtshof die Möglichkeit gegeben, in einigen Fällen selbst zu entscheiden und nicht zurückverweisen zu müssen. Dies ist kein Verlust eines Rechtsweges in dem Sinne, in dem Sie, Herr Dr. Röttgen, dies erwähnt haben - dem stimme ich völlig zu -; denn es handelt sich nur um die Fälle, in denen zwar Fehler festgestellt werden, aber im Ergebnis nach Auffassung des Bundesgerichtshofes das Gleiche herauskommen müsste oder bei den Rechtsfolgen eine leichte Ermäßigung zugunsten des Beschuldigten erfolgte. In diesen Fällen kann der Bundesgerichtshof zukünftig selbst entscheiden. Das tragen wir ganz ausdrücklich mit. In der Hauptverhandlung des Strafverfahrens - die Punkte sind bereits angesprochen worden - haben wir das zu verabschiedende Gesetz der Realität angepasst. Bisher wurde immer noch davon ausgegangen, dass jeder Zeuge zu vereidigen ist. In der Realität war das Gegenteil der Fall. Jetzt haben wir in unserem Gesetzentwurf der Realität Rechnung getragen und die Vereidigung zu einer Ausnahmevorschrift gemacht. Ich finde das völlig in Ordnung. Wir haben die Unterbrechungsfrist von zehn Tagen auf drei Wochen verlängert. Ich hoffe sehr, dass die Gerichte dies nicht dazu nutzen, die zehn Tage und die Überbrückungstermine auf drei Wochen plus Überbrückungstermine auszudehnen. Dann würde wirklich der Grundsatz der Unmittelbarkeit leiden. Mit dieser ganz kleinen kritischen Anmerkung will ich schließen und sagen: Wir vom Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es, dass sich alle Fraktionen darauf einigen konnten, dieses Gesetz heute zu verabschieden. Dafür danke ich Ihnen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass wir vor zwei Jahren hier über die Reform des Zivilprozesses miteinander debattiert haben. ({0}) - Im Jahr 2001. Herr Hartenbach, Sie haben Recht. Ich konnte nicht rechnen. Das ist bei mir ungewöhnlich. Im Juni 2001 haben wir hier miteinander beraten. Wir haben damals dieses Reformgesetz verabschiedet. Vor wenigen Monaten ist dieses Gesetz in den Gerichten evaluiert worden, zum Teil erst angewandt worden. Insgesamt haben wir mit diesem so genannten Reformgesetz noch keine hinreichende Erfahrung sammeln können. Die Bundesjustizministerin hat hier ein neues Gesetz, das Justizmodernisierungsgesetz, vorgelegt, dem auch wir heute zustimmen werden. Es wäre uns aber lieber gewesen, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, erst einmal Erfahrungen mit dem Reformgesetz, damals noch von Ihrer Vorgängerin vorgelegt, zu machen. Dies ist uns verwehrt worden. Wir haben einige sicherlich wichtige Änderungen des so genannten Reformgesetzes vorgenommen. Ich möchte aber anregen, dass wir beim 2. Justizmodernisierungsgesetz, das Sie, Frau Ministerin, eben angesprochen haben, etwas mehr Zeit bekommen, um zu evaluieren und mit den Gerichten und Praktikern zu sprechen, ob diese Reformen - zum Teil Reförmchen - angeschlagen haben. ({1}) Die Zustimmung der FDP zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wurde möglich, nachdem zwei ursprünglich vorgesehene Regelungen ersatzlos gestrichen wurden. Es handelt sich dabei um den Beweistransfer vom straf- in das zivilgerichtliche Verfahren. Dieser Vorschlag verkannte völlig die unterschiedlichen Strukturen von Zivil- und Strafprozess und ging damit völlig an der Praxis vorbei. Begrüßt wird von der FDP auch der Verzicht auf Änderungen in § 374 ZPO mit der Wirkung, Zeugenvernehmungen durch die Verwertung richterlicher Vernehmungsniederschriften zu ersetzen. Auch in diesem Punkt ist die Bundesregierung dem Votum der Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschusses gefolgt. Damit liegt im Ergebnis heute ein Gesetzentwurf vor, der in seinen Auswirkungen auf die Zivil- und Strafjustiz zwar eher gering sein wird, der aber in der Summe seiner Maßnahmen durchaus geeignet sein kann, das prozessuale Verfahren zu straffen, ohne grundlegende Rechte der Beteiligten zu beeinträchtigen. Für die FDP-Bundestagsfraktion lege ich jedoch Wert darauf, dass die Bundesregierung trotz der heutigen Abstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf nicht von ihrer Verpflichtung und ihrem Versprechen entbunden werden kann, die ZPO-Reform aus der 14. Wahlperiode sorgfältig zu evaluieren, ({2}) auch wenn heute entsprechende Reparaturgesetze verabschiedet werden. Selbstverständlich muss dies zu einem späteren Zeitpunkt auch für das heute zu verabschiedende Justizmodernisierungsgesetz gelten. Ich bin dankbar, dass die Bundesjustizministerin versprochen hat, die Gespräche mit Vertretern der Praxis umzusetzen. Es hat sich in der Vergangenheit stets bewährt, auf der Grundlage von Zahlen, Fakten und detaillierten Erfahrungsberichten notwendige Reformen aufzubauen und vorzunehmen. Wir sollten an diesem Verfahren festhalten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Funke, ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie angesprochen haben. Dabei handelt es sich um die Frage, warum wir das Reformvorhaben jetzt durchführen, statt die Evaluierung der ZPO-Reform abzuwarten. Darüber, ob sich die einzelnen Maßnahmen der ZPO-Reform nach unseren Vorstellungen entwickelt haben, lässt sich diskutieren. Deshalb haben wir schließlich die Evaluierung vorgenommen und vor Ort mit den Praktikern gesprochen. Unser jetziges Vorhaben steht aber dazu nicht im Gegensatz; es ergänzt sie vielmehr. ({0}) Es geht um praktische Lösungen, die von den Praktikern schon seit Jahren gefordert werden. Man hätte vielleicht damals im Zusammenhang mit der ZPO-Reform zu entsprechenden Regelungen kommen können, aber grundsätzlich haben sie mit der ZPO-Reform nichts zu tun. Darüber hinaus bitte ich als Zivilrechtlerin darauf zu achten, dass in dem Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes vieles enthalten ist, das die StPO, das Rechtspflegergesetz und anderes betrifft. Das Gesetz geht insofern einen Schritt weiter. Von daher hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir werden selbstverständlich auf die Evaluierung reagieren. Ich habe es bereits gesagt: Mit dem Justizmodernisierungsgesetz - Sie haben es „Reförmchen“ genannt geht es uns darum, Interessen der Praktiker aufzugreifen. Herr Dr. Röttgen hat die verschiedenen Interessen aufgezeigt. Dabei handelt es sich um die fiskalischen Interessen der Länder auf der einen Seite und um die Rechtsstaatsinteressen, die man immer im Blick haben muss, auf der anderen Seite. Aber es gibt, wie gesagt, kein Argument dagegen, dem Anliegen aus der Praxis nachzukommen, bestimmte Regelungen zu ändern, von denen niemand - insbesondere diejenigen, die sie tagtäglich anwenden - weiß, warum sie noch gelten. Insofern stellt sich die Frage, warum wir das nicht machen. Diese Frage haben wir uns gestellt und haben einige Maßnahmen vorangebracht, die ich - ich komme aus der Praxis für sehr sinnvoll halte. Die Unterbrechungsregelung in der Hauptverhandlung ist schon angesprochen worden. Die Praxis der Schiebetermine ist uns allen bekannt. Dafür müssen in Zukunft kein Geld und keine Zeit mehr aufgewendet werden. Die Vereidigungspraxis - auch das ist bekannt - wird schon so gehandhabt, wie es jetzt im Gesetzentwurf geregelt ist. Allerdings ist es für die Revision nicht unbedeutend, dass die Regelung bisher nicht in der Form bestand, wie wir sie jetzt vorgesehen haben; im Endeffekt ist so vorgegangen worden, wie man vorgehen sollte, ohne dass eine entsprechende gesetzliche Grundlage dafür gegeben war. Ich will noch einen Punkt ansprechen, der bisher nicht angesprochen wurde. Das Justizmodernisierungsgesetz besteht zwar aus sehr vielen kleinen und interessanten Punkten, bringt aber in der Praxis sehr viel. Ein Beispiel betrifft § 110 StPO. Nach geltender Gesetzeslage ist die Durchsicht von Papieren derzeit noch der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Allein die Formulierung zeigt, dass dieses Gesetz schon sehr lange in Kraft ist; denn inzwischen ist bei beschlagnahmten Gegenständen in der Hauptsache selbst dann, wenn irgendwann Dateien ausgedruckt werden, nicht mehr von Papieren die Rede. Es geht vielmehr um Computer, Festplatten und deren Auswertung. Diese Möglichkeit war bislang der Staatsanwaltschaft vorbehalten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Vertreter der Staatsanwaltschaften mit der modernen Technik umgehen können oder ob es nicht vielmehr darum geht, bestgeschulten Polizeibeamten, die die Technik beherrschen und wissen, worauf sie zu achten haben und wie Dateien wieder hergestellt werden können, nach § 110 StPO die Möglichkeit zu geben, die Durchsicht von Papieren - dieser Begriff muss allerdings weiter gefasst werden - vorzunehmen. Damit wird das schon jetzt übliche Vorgehen gesetzlich geregelt, was für die Praktiker eine große Erleichterung darstellt. Was das Verlesen von Gutachten - beispielsweise Kfz-Gutachten - angeht, sind nach geltender Rechtslage Gutachter im Prozess persönlich zu hören, obwohl sie ihr Gutachten bereits in schriftlicher Form vorgelegt haben. Das ist in Zukunft nicht mehr notwendig; es ist künftig möglich, sich auf das Gutachten zu beziehen, sodass die Vernehmung der Gutachter in der Hauptverhandlung entbehrlich wird. Auch die Möglichkeit des Übergangs ins Strafbefehlsverfahren im beschleunigten Verfahren ist schon angesprochen worden. Das alles sind keine revolutionären Veränderungen. Für Revolutionen ist der Rechtsausschuss auch nicht der richtige Platz. Diese machen wir besser woanders. Aber es ist, wie die Ministerin einmal treffend gesagt hat, Sand aus dem Getriebe genommen und Öl hineingegossen worden. Das ist der Sinn der Sache. Ich glaube, wir können uns darauf verständigen, dass wir uns bei diesen Anforderungen von der juristischen Praxis haben leiten lassen. Wir haben viele Vorschläge von Union und Bundesrat zurückweisen müssen; denn einige Vorschläge hatten nicht die Verbesserung der juristischen Praxis, sondern hauptsächlich die Entlastung der Länderhaushalte zum Ziel. Dieses Ziel durch Beschneidung von Verfahrensrechten zu erreichen ist nicht unsere Sache. Das wollten wir nicht mitmachen. Wir haben uns bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes auf die Ergebnisse der Anhörung bezogen, in der wir auch dazugelernt haben, insbesondere in Bezug auf § 415 a der Strafprozessordnung. Es ist zwar in der Theorie - das ist bereits angesprochen worden - eine sinnvolle Sache, das, was in einem Urteil einmal festgestellt worden ist, zu übernehmen. Aber im tatsächlichen Leben kann die entsprechende Sache mit sehr viel Sprengstoff behaftet sein. Dass wir das herausgenommen haben, ist richtig. Es ist gut, dass wir heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes verabschieden, so wie wir ihn in den Rechtsausschuss eingebracht haben. Ich bin Ihnen insbesondere dafür dankbar und begrüße es, dass Ihre parteipolitische Brille nicht so weit reicht, den Entwurf eines Justizbeschleunigungsgesetzes des Bundesrates zu unterstützen, den Ihr Kollege, der hessische Justizminister, vorgelegt hat, und zwar nachdem wir unseren Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes vorgelegt hatten - das ist die richtige Reihenfolge; nicht wir haben von ihm, sondern er hat von uns in den Punkten abgeschrieben, die von Ihnen mitgetragen werden -, sondern dass sie ihn dorthin gelegt haben, wohin er gehört, nämlich in den Papierkorb. Alle Achtung! Das muss ich schon sagen. ({1}) Ich wünsche mir, dass wir in der nächsten Zeit das eine oder andere noch einmal durchexerzieren werden. Ich bin gespannt, wie weit Sie sich dann durchsetzen werden und wie die Reaktionen aus Hessen auf die heutige Abstimmung aussehen werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass ich jetzt ein bisschen Lügen gestraft worden bin. Gestern im Rechtsausschuss war nämlich Ihre Tonlage, Frau Lambrecht, gänzlich anders. Wahrscheinlich haben Sie sich die ganze Nacht eingeprägt: fortiter in re, suaviter in modo. Für die Oberrealschüler: Hart in der Sache, aber gemäßigt in der Tonlage. Wie groß die Harmoniebedürftigkeit beim Zustandekommen des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung war, zeigt sich schon an dessen Überschrift. Während unser Gesetzentwurf einmal den Titel „1. Justizbeschleunigungsgesetz“ trug, hieß Ihr Gesetzentwurf „Modernisierungsgesetz“. Daraus ist die geradezu geniale Synthese „1. Justizmodernisierungsgesetz“ gemacht worden. Damit kann man in der Öffentlichkeit natürlich gut hausieren gehen. Das macht großen Eindruck. Ich möchte noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, was vorhin angeklungen ist. Herr Montag, bei Ihrer Rede drohte die freundliche Atmosphäre umzuschlagen. Sie haben aber noch schnell die Kurve bekommen. Wir haben übrigens nichts zurückgenommen. So etwas ist nur möglich, wenn es ein Geben und Nehmen gibt. In der gestrigen Ausgabe von „hib“ ist zu lesen, dass wir den Gesetzentwurf auf einer gemeinsamen Grundlage erarbeitet haben. Ich weiß, dass es nicht allzu viel war, was Sie in der letzten Zeit in der Rechtspolitik nach außen verkaufen konnten. Deswegen wären Sie froh, wenn Sie sich die Urheberschaft sozusagen ganz alleine an den Hut heften könnten. Aber es beschließt schließlich der Deutsche Bundestag. Herr Montag, Sie haben eben einen Teilbereich herausgegriffen, nämlich die Revisionsbelastung des Bundesgerichtshofs und den neu geschaffenen § 552 a ZPO. Hier muss man ein bisschen in die Entwicklungsgeschichte gehen. Bisher - das haben wir alle im Jurastudium gelernt - hat sich über dem Landgericht der so genannte blaue Himmel gewölbt. Das heißt, immer dann, wenn gegen ein Urteil eines Amtsgerichtes Berufung vor einem Landgericht eingelegt wurde, war Schluss mit lustig. Es war kein weiteres Rechtsmittel möglich. Nun haben Sie insbesondere in Wohnraummietangelegenheiten dafür gesorgt, dass nunmehr - das Amtsgericht ist weiterhin die erste Instanz; das Landgericht ist das Berufungsgericht - Revision beim Bundesgerichtshof möglich ist. Das führt dazu, dass jetzt in etwa 116 bzw. 120 Landgerichte hinzukommen werden, während sich früher bundesweit nur 25 Oberlandesgerichte mit der Zulassung von Revisionen beschäftigt haben. ({0}) - Alfred, ruf doch nicht immer dazwischen. Setz dich doch lieber auf die Regierungsbank! Wenn du schön ruhig bist, dann lernst du auch etwas. ({1}) Ich wollte nur sagen: Es handelt sich dabei nicht nur um ein quantitatives Phänomen; vielmehr ist auch die Neigung der Landgerichte, die Revision zuzulassen, ungleich höher. Das mag an der Unsicherheit oder an der Rechtsmaterie liegen. Ich verweise jedenfalls auf das, was uns der Gutachter Dr. Dietrich Beyer in der Anhörung gesagt hat. Übrigens, von ihm kommt der Vorschlag in Bezug auf § 552 a ZPO, der die Lösung enthält, die ich gleich nennen werde. Wir haben vor ungefähr einem Jahr, nämlich am 3. Juni 2003, den Antrag gestellt, die Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofs aufrechtzuerhalten. Denjenigen, die mit Erbsenzählerei anfangen - war das Huhn oder war das Ei zuerst; wer hat das Ganze initiiert? -, muss man doch einmal sagen: Das hat der Bundesrichter Beyer dankbar aufgegriffen, indem er gesagt hat, dass das ein ganz wichtiger Aspekt ist. Es gab mehrere Möglichkeiten, das Ganze zu ändern. Der Bundesgerichtshof selbst hat einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Man ist an die Zulassung der Revision an sich gebunden, wie übrigens in allen Verfahrensordnungen. Genauso wie das Bundesverwaltungsgericht an die zugelassene Revision der OVGs oder der VGHs gebunden ist, so ist es auch hier bisher geregelt gewesen. So ist es übrigens noch immer geregelt, allerdings mit einer Ausnahme: Wenn der Bundesgerichtshof einstimmig zu der Auffassung gelangt, dass die Voraussetzungen, unter denen die Berufung zugelassen worden ist, nicht vorliegen, dann kann er sie durch einstimmigen Beschluss zurückweisen, wenn die Revision gleichzeitig auch in der Sache keinen Erfolg hätte. Bisher war es so, dass man mit der „vollen Kapelle“ mündliche Verhandlungen hätte anberaumen und die ganze Geschichte im Urteilsweg entscheiden müssen. Die Änderung an dieser Stelle ist die wesentliche Erneuerung. Damit verbunden ist ein echter Beschleunigungseffekt. Er führt dazu, dass unserem Anliegen, nämlich die Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofs aufrechtzuerhalten, Genüge getan worden ist. Ich erwähne meine früheren Erfahrungen bei der Gerichtsbarkeit. Der § 124 a Abs. 4 Satz 5 - diese Vorschrift ist zwar versteckt, aber nicht ganz unwichtig sieht Folgendes vor: ({2}) - Herr Stünker, Sie wissen doch: Ich lasse Sie nicht dumm sterben. Ich sage Ihnen jetzt, was darin steht. ({3}) - VwGO. Das ist die Prozessordnung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Herr Stünker, ich weiß, dass Sie eine ganze Zeit lang angenommen haben, dass sich hinter dem Begriff „Verwaltungsakt“ der Geschlechtsverkehr eines Beamten verbirgt. Das ist nicht der Fall. - Also: VwGO bedeutet Verwaltungsgerichtsordnung und VA bedeutet Verwaltungsakt. Jetzt will ich Ihnen die Vorschrift in § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO erklären. Bisher ist es so gewesen, dass man, wenn man den Antrag auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgericht gestellt hat, nach einer bestimmten Frist den Zulassungsantrag hat begründen müssen. Das Kuriose ist, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung a quo behandelt wird. Also: Entscheidend ist, woher er kommt. Es gibt einen Richter a quo und einen Richter ad quem. Nachher machen wir noch ein Stündchen Latein und Rechtssprache. ({4}) Der Antrag musste also beim Verwaltungsgericht gestellt werden. In der Zwischenzeit sind die Verfahrensakten an das OVG oder an den VGH gegangen. Der Anwalt hat vom OVG Bescheid bekommen, dass der Berufungszulassungsantrag eingegangen ist. Er oder sein Geschäftsbetrieb hat dann aus der Macht der Gewohnheit die Begründung direkt an den VGH oder an das OVG geschickt. Weil das der falsche Adressat ist, führte das nicht selten dazu ({5}) - Herr Ströbele, endlich bekomme ich von Ihnen einmal Zeichen der Zustimmung -, dass der Antrag verfristet war. In dieser kleinen Vorschrift - § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO - hat man jetzt die Möglichkeit eröffnet, die Begründungen nicht nur an das Verwaltungsgericht, also an das Gericht a quo, sondern auch an das OVG und an den VGH ad quem zu senden. Das hört sich jetzt sehr akademisch an. Das übersteigt das Vorstellungsvermögen vieler. Aber diese kleine Vorschrift ist ganz wichtig, weil wir die Gesetze ja für die Praxis machen. Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung machen. ({6}) Was die Unterbrechungsfrist § 229 StPO angeht - ich glaube, das ist heute schon von jedem angesprochen worden -: Auch da hat sich jeder als der Urheber geriert. In der 13. Legislaturperiode hat der Bundesrat schon einmal den Entwurf eines Strafprozessanpassungsgesetzes vorgelegt. Das ist unter der CDU/CSUFDP-Regierung gescheitert. Ich habe beim damaligen hoch geschätzten Staatssekretär - das war aber nicht mehr, als ich Ihnen entgegenbringe, Herr Hartenbach angefragt, ob man das einmal ändern wolle; das ist in Bundestagsdrucksache 14/6851 auf Seite 9 nachzulesen. Ich habe am 23. August 2001 eine abschlägige Antwort erhalten. Ich habe daraufhin im letzten Jahr in der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ einen entsprechenden Aufsatz veröffentlicht. Inzwischen ist dem Anliegen Rechnung getragen worden. Allerdings muss ich schon einmal die Frage stellen, Frau Zypries, liebe Brigitte: ({7}) Wer hat sich eigentlich die Begründung zu der Änderung einfallen lassen? Das liest sich, als ob das einer Büttenrede entnommen wäre. ({8}) Darin steht nämlich, dass die Frist unter anderem deshalb verlängert werden soll, damit sich die Gerichtsverwaltung, namentlich der Hausmeister, schon darauf einstellt, für die Dauer von drei Wochen die angestammten Sitzungsräume zur Verfügung stellen zu können. Das ist eine Begründung, die nicht verfängt. Wir reden eigentDr. Jürgen Gehb lich nur über die Gesetze, aber wer sich wissenschaftlich damit beschäftigt, liest auch die Begründung. Damit wir uns nicht dem Hohn und Spott der Rechtskundigen aussetzen, rege ich an, dass man dazu auf die Begründung zurückgreift, die in unserem Entwurf steht. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit, nachdem meine Rede ohne die sonst gewohnten Störmanöver über die Bühne gegangen ist. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gehb, die Büttenrede haben wir, glaube ich, eben gehört. ({0}) - Ja, genau. - Herr Präsident, die Kolleginnen und Kollegen in unseren Reihen haben zu Recht gesagt: Wir sollten einmal darauf hinweisen, dass die Parlamentssprache immer noch Deutsch ist, Herr Kollege Gehb. ({1}) Zum Justizmodernisierungsgesetz. Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass wir heute eigentlich wieder am Ausgangspunkt angekommen sind. Wir haben einen kleinen Kreis vollführt. Der Ausgangspunkt ist gewesen, dass sich die Vertreter des Bundesministeriums der Justiz mit denen der Justizministerien der Länder zusammengesetzt und überlegt haben, was denn in den einzelnen Verfahrensvorschriften der verschiedenen Prozessordnungen zu verbessern ist, in welchen Bereichen Sand im Getriebe ist, wo man durch vernünftige Regelungen dafür sorgen kann, dass Klagen der Praxis, die wir schon über Jahre oder Jahrzehnte hören, beseitigt werden. Das führte zu dem Entwurf, der vor gut einem Jahr eingebracht worden ist. Dann kam ein Schuss Politik hinein. Es gab zwei weitere Entwürfe. Zum Schluss haben wir die Politik wieder herausgenommen und haben im Ergebnis einen in der Sache vernünftigen Entwurf erarbeitet, den wir heute gemeinsam beschließen können. Dafür bedanke ich mich. Dafür, denke ich, wird sich auch die Praxis draußen im Lande bedanken. Wir sollten den Gesetzentwurf, den wir heute beschließen, nicht zu sehr kleinreden, Herr Kollege Funke; Sie haben das in ein bisschen übertriebener Weise, so meine ich, getan. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der bisher wenig Beachtung gefunden hat, nämlich die Öffnungsklausel, die wir für das Rechtspflegergesetz heute verabschieden werden. Das ist eine Regelung, die - das sage ich, auch wenn ich Frau Lambrecht nicht gern widerspreche - für die ordentliche Gerichtsbarkeit schon ein Stück weit revolutionären Charakter hat. Das ist das, was ich in diesem Hohen Hause seit 1999 immer mit „Binnenreform der Justiz“ umschrieben habe. Damals konnte sich noch niemand so richtig vorstellen, was ich damit eigentlich meinte. Das heißt nämlich, in der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Bereich von Nachlass- und im Bereich von Handelsregistersachen richterliche Aufgaben, die nicht ausschließlich Aufgaben der Rechtsprechung sind, auf Rechtspfleger zu übertragen. Schon im vorigen Jahr haben wir Aufgaben, die bis dahin Rechtspfleger wahrgenommen haben, auf den mittleren Dienst übertragen. Das sind vernünftige Schritte einer Binnenreform der Justiz, die im Ergebnis dazu beitragen, dass die Länder in die Lage versetzt werden, in der Justiz Kosten sparender zu arbeiten, wenn sie denn von dieser Öffnungsklausel Gebrauch machen. Ich kann nur hoffen, dass in deutschen Landen von dieser Öffnungsklausel möglichst umfassend Gebrauch gemacht wird. Ich habe mir gewünscht, wir hätten das flächendeckend regeln können; denn dann hätten wir nicht den Weg der Öffnungsklausel gehen müssen. Aber das war nicht möglich. Das ist nur der erste Schritt. Den Fuß haben wir in der Tür. Ich kann nur hoffen, dass die Tür weiter aufgemacht wird. Ich habe mich heute auch zu Wort gemeldet, weil wir in dieser Woche noch ein weiteres wichtiges Datum für die Rechtspolitik gehabt haben. Es gab nämlich in dieser Woche eine Anhörung zu der Übertragung der Führung der Handelsregister von den Amtsgerichten auf die Industrie- und Handelskammern. Auch das fällt in den Bereich hinein, den wir heute diskutieren, den Bereich einer Binnenreform der Justiz. Diese Anhörung hat gezeigt, glaube ich, dass der Weg der Teilprivatisierung von Aufgaben dort nicht der richtige Weg ist. Ich glaube, dass der Entwurf des Bundesrates bei dieser Anhörung durchgefallen ist. Ich kann nur hoffen, dass die Vernunft und der Sachverstand, die dazu geführt haben, dass wir jetzt gemeinsam dieses 1. Justizmodernisierungsgesetz verabschieden können, uns gemeinsam dazu bringen, diesen Weg nicht einzuschlagen; denn dieser wäre in der Praxis nicht weiterführend. Andererseits hoffe ich, dass wir die Diskussion aufgreifen, die vor 14 Tagen die Justizministerkonferenz angestoßen hat, indem sie sagte, man müsse im Bereich der öffentlichen Gerichtsbarkeit den Schritt zur Zusammenlegung und Verschlankung gehen. Damit würde man wirklich den Versuch einer Strukturreform wagen; dieser verdient es, von uns mit Nachdruck diskutiert zu werden. Auch die Justiz wartet nämlich, wie der neue Bundespräsident in seiner, wie ich meine, beeindruckenden Rede heute Morgen gesagt hat, auf einen Ruck. Bezug nehmend auf die Ruck-Rede von Roman Herzog fragte er ja, woran es liege, dass alle auf einen Ruck in diesem Land warten. Das liegt in der Tat daran, dass wir uns diesen Ruck nicht geben, sondern auf ihn warten. In der Justiz sollten wir ihn uns aber geben, indem wir in der Zukunft grundlegende Strukturreformen anfassen. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede der Kollegin Petra Pau nehmen wir zu Pro- tokoll.1) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Justiz- modernisierungsgesetzes sowie über den von der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines 1. Justizbeschleunigungsgesetzes, Drucksachen 15/1508 und 15/999. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3482, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und als 1. Justizmodernisierungsgesetz in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der zwei frak- tionslosen Abgeordneten angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist damit mit gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 15/3482 die Ableh- nung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz auf Druck- sache 15/1491. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/ CSU-Fraktion abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses auf Drucksache 15/3482 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren - Entscheidungsfähig- keit des Bundesgerichtshofs sicherstellen“. Der Aus- schuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh- lung, den Antrag auf Drucksache 15/1098 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion angenommen. 1) Anlage 20 Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, rufe ich eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung auf. Die Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau haben beantragt, den Tagesordnungspunkt 14 von der Tagesordnung abzusetzen. Wünscht jemand das Wort zur Geschäftsordnung? - Frau Pau, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich? Unsere Geschäftsordnung legt fest, dass zehn Wochen nach Überweisung einer Vorlage eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Bundestagsmitglieder verlangen können, dass der federführende Ausschuss durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter über den Fortgang der Verhandlungen berichtet. Insoweit ist das Anliegen der Verfasser der Gesetzentwürfe, die unter der großen Überschrift „Graffiti-Bekämpfung“ hier behandelt werden, berechtigt; denn seit über einem Jahr sind die Gesetzentwürfe im parlamentarischen Gang, aber wir haben noch immer keinen Entscheidungsvorschlag auf dem Tisch. Allerdings haben wir uns als Bundestag aus guten Gründen eigene Regeln gesetzt, um sach- und fachkundig über Vorlagen beraten zu können. Dazu gehört die Regel in § 78 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung, die besagt, dass solche Berichte wie auch alle anderen Vorlagen mindestens drei Tage vor Verhandlung im Plenum des Bundestages über die Postfächer jedem Mitglied des Bundestages zugehen müssen. Dies ist in dem vorliegenden Fall nicht geschehen. Der Bericht, über den verhandelt werden soll, ging gestern um 15.05 Uhr dem Parlamentssekretariat zu, uns jedoch erst kurz vor Mitternacht. Deshalb beantragen Frau Dr. Gesine Lötzsch und ich für die PDS im Bundestag die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes. ({0}) Ich möchte noch einen Satz hinzufügen, denn es geht nicht nur um diesen Gesetzentwurf. Wir hätten mindestens bei der Hälfte der Punkte, die auf der heutigen Tagesordnung stehen, eine solche Fristeinrede erheben müssen. Wir haben heute darauf verzichtet. Ich finde aber, wir sollten gelegentlich einmal darüber reden, wie ernst wir unsere eigenen Bestimmungen nehmen, um sachkundig über Gesetzentwürfe verhandeln zu können. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ergreift ein anderer Abgeordneter das Wort zur Geschäftsordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 14. Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Der Geschäftsordnungsantrag ist bei Zustimmung der beiden fraktionslosen Abgeordneten und Ablehnung aller Fraktionen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms abgelehnt. Damit ist gleichzeitig mit der erforderlichen Mehrheit die Fristabweichung akzeptiert. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung - zu dem von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Cajus Julius Caesar, Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Graffiti-Bekämpfungsgesetz - Drucksache 15/302 ({1}) - zu dem von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz des Eigentums - Drucksache 15/63 ({2}) - zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines …Strafrechtsänderungsgesetzes Graffiti-Bekämpfungsgesetz - ({3}) - Drucksache 15/404 ({4}) - Drucksache 15/3473 Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Schmidt ({5}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Daniela Raab von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({6})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Graffiti, des Fortsetzungsromans dritter Teil - oder sollte man besser sagen: des Kasperletheaters dritter Teil? Wie auch immer, im Januar waren wir alle das letzte Mal hier, um darüber zu diskutieren, wie Graffitischmierereien künftig eindeutig und ohne Auslegungsprobleme strafbar gestellt werden können. Was ist seither passiert? Fast ist man geneigt zu sagen: nichts. Das stimmt aber auch nicht ganz. Der Kollege van Essen und ich haben den Kollegen Bachmaier am 11. Februar dieses Jahres schriftlich um ein weiteres Berichterstattergespräch gebeten. Reaktion: keine; wer hätte das gedacht! ({0}) Zumindest die Höflichkeit hätte es erfordert, dass in irgendeiner Weise Stellung genommen wird. Das ist nicht passiert - schade drum! Dem Petitionsausschuss des Hauses liegt bereits seit längerem die Petition eines Bürgers vor, der fordert, Graffiti jeglicher Art endlich als Sachbeschädigung zu bestrafen und dem Eigentum der Bürger den notwendigen Schutz zukommen zu lassen. Natürlich - wer hätte das gedacht? - blockieren Sie auch hier wieder. Noch im Sommer letzten Jahres wurde von Herrn Staatssekretär Hartenbach vollmundig ein Gesetzentwurf aus dem Hause Zypries für die Zeit nach der Sommerpause angekündigt. Wir warten heute noch immer gespannt darauf. ({1}) Apropos Zypries: Die Justizministerin erklärte, ebenfalls vollmundig, in den letzten Wochen vor dem Verband Haus & Grund, man müsse unbedingt gegen Graffitischmierereien vorgehen. Ich weiß nicht, wer sie eigentlich daran hindert! ({2}) Eigentlich weiß ich schon, wer Sie daran hindert: Die SPD würde gern, aber die Grünen wollen wieder einmal nicht. Ziel der Initiativen der Union, der FDP und des Bundesrates ist, eine eindeutige Regelung zu treffen, nach der Graffiti-Verunstaltungen strafbar sind. Aktuell - das wissen Sie alle - wird danach unterschieden, ob eine Schmiererei eine Sache beschädigt oder ob man sie wieder entfernen kann, ohne die Sachsubstanz zu beschädigen. Wir sind der Meinung: Maßgeblich kann einzig und allein sein, ob der Eigentümer der Graffiti-Schmiererei zugestimmt hat oder nicht, ob er sie wollte oder nicht nicht mehr, aber auch nicht weniger! ({3}) - Herr Ströbele, von Ihrer Seite heißt es, durch einen veränderten Sachbeschädigungsparagraphen würden nicht mehr Täter als bisher gefasst. Es ist aber doch so: Die Täter, die man fasst, könnten effektiver als bisher strafrechtlich belangt werden, wenn die Schmiererei als solche für die Strafbarkeit entscheidend ist und nicht - wie nach jetziger Rechtsprechung - die Substanzbeschädigung nachgewiesen werden muss. Wir alle wissen: Für den Beweis der Substanzbeschädigung braucht man in vielen Fällen ein teures Gutachten. Das ist oft der Grund, warum viele Geschädigte davor zurückschrecken, Anzeige zu erstatten. ({4}) - Herr Ströbele, wir können gerne einmal bei einem Kaffee darüber reden. Kein Problem! - Die Beweisführung - das ist der Sinn unseres Gesetzesvorhabens - muss erleichtert werden. Wir fordern, dass das Sprühen von Graffiti eine Straftat darstellt, egal ob die Sachsubstanz verletzt wird oder nicht, weil widerrechtlich und gegen den Willen des Berechtigten Eigentum besprüht wird. Das ist der Punkt, auf den es uns ankommt. Es ist ganz einfach, deshalb verstehe ich die Aufregung hier in der Mitte des Saales definitiv nicht. Die Sache ist - für uns und für die SPD - relativ klar. Was folgt, ist dumpfes Nichtstun vonseiten der SPD und der Grünen. Der Grund für das Nichtstun der SPD ist natürlich Feigheit gegenüber den Grünen. ({5}) - Das macht nichts. Wir sind uns darin einig. - Herr Bachmaier hat vor der letzten Sitzung des Rechtsausschusses gesagt: „Was soll ich denn tun? Ich kann doch die Grünen nicht zum Jagen treiben.“ - Das ist schade! Bei einem Thema, bei dem die große Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, dass man handeln muss, geben Sie von der SPD sich sehenden Auges der Lächerlichkeit preis, in der Hoffnung, dass es keiner merkt. Jetzt könnte man natürlich sagen: Es ist besser, Sie tun nichts, weil man bei Ihnen nie genau weiß, was dabei herauskommt. Das ist grundsätzlich richtig; aber dieses Mal wissen Sie es besser und würden gern handeln, aber Sie dürfen halt nicht. Es ist bemerkenswert - lassen Sie mich auch das noch sagen -, dass sich die Grünen beim großen Thema Zuwanderung widerstandslos an die Wand drücken lassen, aber beim Thema Graffiti - es ist wahrscheinlich ihre letzte Spielwiese - die Muskeln spielen lassen. In den letzten Wochen und Monaten sind wahrscheinlich nicht nur bei mir, sondern auch in Ihren Büros viele Briefe und Stellungnahmen eingegangen, sei es von Städten und Gemeinden, vom Deutschen Städtetag, von Verbänden, von Vereinen oder auch von einzelnen Betroffenen. ({6}) - Bei Ihnen gehen solche Briefe bestimmt nicht ein. Sie sind wahrscheinlich die falsche Adresse. - All diese Schreiben und Stellungnahmen haben eines gemeinsam: den Wunsch nach einer klaren gesetzlichen Regelung gegen Graffiti. Ich halte es für fahrlässig, eine solche Regelung zu verhindern. Es entspricht außerdem nicht dem Rechtsempfinden der Bürger, jemanden straffrei davonkommen zu lassen, nur weil sein zweifelhaftes Kunstwerk unter Mühen und Kosten wieder entfernt werden kann. ({7}) Das wird nicht verstanden, und zwar zu Recht! Alternativ - das sehen natürlich auch wir so - sollte man Flächen bereitstellen, auf denen legal gesprüht werden darf. ({8}) All denjenigen, die einfach gerne sprühen und ihre Kunst zeigen wollen, soll die Möglichkeit dazu gegeben werden; denn auch wir wissen, dass nicht alle Sprayer bewusst den Weg in die Illegalität gehen. Es geht uns nur um diejenigen Täter, die vorsätzlich fremdes Eigentum beschädigen und das auch noch als Kick empfinden. Außerdem wissen wir spätestens seit der letzten Anhörung - auch sie ist oft zitiert worden -, dass die Gefahr der Bandenbildung in diesem Umfeld und die Begleitkriminalität gerade in den Großstädten - die Berliner können davon ein Lied singen - nicht zu unterschätzen ist. ({9}) Deshalb ist eine deutliche Reaktion des Gesetzgebers, also von uns, unumgänglich. Zum wiederholten Male möchte ich die Kollegen von der SPD auffordern, Rückgrat zu zeigen, sich zu überwinden und mit uns zu stimmen. Lassen Sie nicht zu, dass - mit Verlaub - der Schwanz mit dem Hund wedelt! In diesem Sinne: trotzdem auf ein gutes Gelingen! Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPDFraktion. ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal soll ich Grüße des Kollegen Bachmaier ausrichten. Er ist gegenwärtig mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt, nämlich damit, wie wir die bundesstaatliche Ordnung neu regeln können. ({0}) Er hofft, dass wir damit nicht nur hier konstruktivere Debatten bekommen, sondern dass es dort auch zu schnellen Ergebnissen kommt. Das ist ja ganz wichtig. ({1}) Ansonsten haben wir bei der Vorbereitung der heutigen Versammlung über die Frage diskutiert, ob angesichts der Tatsache, dass hier fast immer das Gleiche gesagt wird, dies in Zukunft möglicherweise von verschiedenen Personen getan werden sollte, sodass in die Langeweile ein bisschen Abwechslung kommt. ({2}) Eines ist ganz klar: Es ist notwendig und richtig, dass die Gesellschaft ausdrückt, was sie von Graffiti-Schmierereien und Ähnlichem hält, dass sich das nämlich nicht gehört, ({3}) dass das nicht in Ordnung ist und dass diejenigen, die so etwas tun, damit rechnen müssen, auch strafrechtlich verfolgt zu werden. ({4}) Allerdings gehört dazu auch, dass wir Politik nicht nur virtuell betrachten, sondern auch ein bisschen an der Wirklichkeit ausrichten. ({5}) Es ist doch so, dass die meisten Täter dieser Schmierereien, wenn sie denn entdeckt werden, auch bestraft werden können, nämlich mithilfe der vorhandenen Straftatbestände für Sachbeschädigung. Insofern gibt es keine wirkliche Regelungslücke, die jetzt geschlossen werden muss. ({6}) Da das Thema viele Menschen bewegt, ist es aber schon in Ordnung und richtig, genau hinzuschauen, ob es neben den vorhandenen Straftatbeständen möglicherweise noch ganz wenige kleine Lücken gibt, die geschlossen werden müssen. ({7}) In der Tat haben wir gemeinsam herausgefunden, dass es da für wenige Fälle noch eine ganz kleine Lücke gibt, die man schließen könnte. Diese Lücke hat aber eine Größenordnung im Millimeterbereich. Das ist also nicht ein großes Problem, sondern ein ganz kleines neben dem dort bestehenden eigentlichen Problem. ({8}) Deshalb ist es auch richtig - jedenfalls wenn wir uns als Gesetzgeber ernst nehmen und etwas Vernünftiges tun wollen, also nicht nur Flugblätter als Gesetz beschließen möchten -, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir auch diese Millimeterlücke schließen können. Wir dürfen aber nicht in dem Bemühen, eine Millimeterlücke zu schließen, sozusagen ein großes Plakat darüber hängen und dies als Lösung bezeichnen. ({9}) Insofern ist es richtig, wenn wir uns Gedanken darüber machen, wie das besonders gut gelöst werden kann. ({10}) Die Debatte, die wir jetzt führen, zeigt, dass es bisher nur solche Gesetzesvorschläge gibt, die nichts dazu beitragen, das Problem in der von mir beschriebenen Weise zu lösen. ({11}) Das gilt für das, was von den Fraktionen hier im Hause vorgelegt worden ist, und mit Abstrichen auch für die Vorschläge des Bundesrates. Die Fraktionen hier im Hause haben den Begriff Verunstaltung vorgeschlagen, die strafrechtlich verfolgt werden soll. Die Diskussion bestätigt uns und auch unser eigener großer Sachverstand sagt uns, dass die strafrechtliche Verfolgung der Verunstaltung keinen Beitrag dazu leistet, die von mir beschriebene nur wenige Millimeter große Gesetzeslücke zu schließen. Das ist eher ein riesiger Balken, mit dem ein großes Loch geschlagen und im Übrigen das Empfinden der Menschen gestört würde. Wenn wir dem entsprechenden Vorschlag tatsächlich folgten, dann müssten wir nämlich damit rechnen, dass alles mögliche als Verunstaltung betrachtet würde, und hätten möglicherweise Strafbarkeiten geschaffen, die niemand in diesem Hause, auch Sie nicht, schaffen wollten. Möglicherweise kämen wir somit in die Situation, in der vor Gericht darüber diskutiert würde, ob es sich im gegebenen Fall um eine Verunstaltung oder um eine Verschönerung handelt. ({12}) Angesichts der Tätergruppe kann man sicherlich auch unterstellen, dass sich einige einen Jux daraus machen würden, das Gesetz, das Sie hier im Entwurf vorgelegt haben, dafür zu missbrauchen, zu behaupten, dass es sich im gegebenen Fall nicht um eine Verunstaltung, sondern um eine Verschönerung handelt. Wie wollen Sie verhindern, dass sich die Gerichte dann mit so etwas beschäftigen müssen? ({13}) Deshalb ist das, was Sie hier vorschlagen, nicht geeignet, die bestehenden Probleme zu lösen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Scholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Gehb?

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Dr. Gehb.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, könnte es sein, dass Sie nicht auf dem neuesten Stand unseres heutigen Beratungsgegenstandes sind? Sie befinden sich noch ein bisschen in der Rechtshistorie. Es geht nicht um die Frage des Verunstaltens, sondern darum, das Erscheinungsbild gegen den Willen des Eigentümers zu verändern. Könnte es sein, dass Sie heute in die falsche Schublade gefasst haben? ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nicht in die falsche Schublade gefasst, sondern mich sehr wohl gut vorbereitet. Deshalb weiß ich, dass Sie den Hinweis, dass man hier Rechtshistorie betreibe, schon jeweils in den letzten Beratungen vorgebracht haben. Das ist also nichts Neues. Nein, es gibt einmal die Gesetzesvorschläge, über die ich jetzt gesprochen habe, und dann gibt es diejenigen des Bundesrates. ({0}) - Nein, er kann sich hinsetzen. Auch der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht. Dieser Vorschlag ist viel besser als das, was die Fraktionen vorgelegt haben; das muss man zugestehen. Er geht in eine vernünftige Richtung. Aber er hat zwei Nachteile, die begriffen werden müssen und die deutlich machen: Auch so geht es nicht. Zunächst einmal wird dort mit der Formulierung „gegen den Willen des Eigentümers oder des Berechtigten“ gearbeitet. Wenn man sich diese Formulierung einmal genau anschaut, dann stellt man schnell fest, dass es große Unsicherheit darüber gibt, was das eigentlich bedeuten soll. Es stellt sich die Frage, wer da alles gemeint ist. Es stellt sich noch mehr die Frage, ob dieser Wille eigentlich auf irgendeine Weise festgestellt werden kann. Muss man möglicherweise vorher nach dem Willen fragen? Das wäre ja eine ziemlich lächerliche Vorstellung, wenn man sich den Straftatbestand, das Vorgehen und die Ereignisse anschaut, um die es hier eigentlich geht. Deshalb ist schon festgestellt worden: Das ist eine schlechte Formulierung, die man nicht verwenden kann. Ich glaube, es gibt einen zweiten Gesichtspunkt, der dagegenspricht, so vorzugehen, wie es der Bundesrat getan hat. Er sagt nämlich: All das muss zusammen mit der Sachbeschädigung in einem Atemzug, in einem Satz gelöst werden. Das ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen. Aus diesen Gründen haben wir nach wie vor keine geeigneten Vorschläge. Wir haben das Problem - das werden wir noch lösen müssen; darum wollen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns sehr bemühen -, dass die gesellschaftliche Konsensbildung noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass es auch für eine gesetzgeberische Mehrheitsbildung reicht. Aber ich glaube, wir werden noch zu einer Lösung kommen, die die kleine Gesetzeslücke, die existiert, auch schließt. Schönen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns dem Thema Graffiti zuwenden, müssen wir das Problem aus der richtigen Perspektive betrachten. Das ist die der Opfer. Die FDP stellt die Opfer in den Vordergrund und hat klare Vorschläge gemacht, wie man ihnen helfen kann. Unser Gesetzentwurf bietet eine einfache und praxistaugliche Lösung. ({0}) Er ist ein Signal an die Betroffenen, an die Opfer, deren Eigentum gegen ihren Willen besprüht oder bemalt wird. ({1}) Ich muss feststellen: Es ist doch an den Haaren herbeigezogen, wenn immer wieder behauptet wird, der Gesetzesbegriff des Verunstaltens - Herr Scholz, auch Sie haben das eben getan - sei zu unbestimmt und werde den Anforderungen der Praxis nicht gerecht. Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie diejenigen fragen, die in der Praxis mit diesem Problem zu tun haben, werden Sie die gleiche Antwort bekommen. Man muss schon viel Fantasie aufbringen, um gegen die Strafbarkeit des Verunstaltens oder Umgestaltens ({2}) fremden Eigentums zu argumentieren. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, das scheint mir auch der Grund dafür zu sein, warum Sie einen Vertagungsantrag nach dem anderen stellen und immer wieder neuen Beratungsbedarf reklamieren. Die Geschädigten müssen sich doch verhöhnt vorkommen, ({3}) wenn Sie einerseits wortreich den Vandalismus an Privateigentum beklagen, andererseits aber Vorschläge ablehnen, die das Problem einer Lösung zuführen. Da Sie unsere Lösungsvorschläge ablehnen, frage ich mich: Wo bleiben denn Ihre Initiativen? ({4}) Ihre ständige Vertagung des Problems können die Opfer nur als Teilnahmslosigkeit, als Täterschutz werten. Anstatt konstruktiv an einer Lösung mitzuarbeiten, diskutieren Sie lieber über die Frage des künstlerischen Werts von Graffiti, Herr Ströbele. Aber ich sage Ihnen: Das hat mit dem Problem nicht das Geringste zu tun. Es geht hier einzig und allein darum, einen angemessenen strafrechtlichen Schutz für das Selbstbestimmungsrecht der Eigentümer zu finden. Kollege Wiefelspütz hat Sie, Herr Ströbele, in der letzten Debatte bereits aufgefordert, Ihre Blockadehaltung aufzugeben. Das war ein guter Vorschlag. Ich schließe mich dem nachdrücklich an. Sie müssen sich klar entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen: auf der der Täter oder der der Opfer. ({5}) Dazwischen gibt es keinen Kompromiss, auch wenn Sie das Thema bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagen wollen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine klare Lösung. Wenn Ihre Empörung über Schmierereien an Hauswänden und das Zerkratzen von öffentlichen Verkehrsmitteln mehr als Lippenbekenntnisse ist, dann wird es Zeit, dass wir gemeinsam mit Ihnen eine Lösung finden. Deshalb sollten Sie den Mut aufbringen, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Geben Sie den Richterinnen und Richtern, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten die Mittel an die Hand, die sie benötigen, um wirksam gegen die Täter vorzugehen. Ihre Blockadehaltung ist nicht länger hinnehmbar. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal Graffiti. ({0}) Sie behaupten, ich bekäme keine Briefe. Ich habe eine Sammlung, die einen ganzen Leitz-Ordner füllt. Wahrscheinlich stammen die Briefe von denselben Organisationen, die auch Ihnen schreiben. Vor ein paar Wochen bekam ich wieder einen Brief wie schon viele vorher. Darin wurde mir vorgehalten: Warum wollen die Grünen, dass Graffiti-Sprayer nicht zur Verantwortung gezogen werden? Warum wollen sie, dass die Millionenschäden ohne Konsequenz bleiben? Solche Fragen sind die Konsequenz Ihres ewigen Drängens auf eine neue Gesetzgebung; ({1}) denn Sie sagen natürlich all den Leuten, die auch Ihnen schreiben, nicht, dass das Sprayen von Graffiti und das Zerkratzen von Scheiben in U- und S-Bahnen - auch das wird ja immer wieder angebracht ({2}) nach geltendem Recht strafbar ist, ({3}) dass es nach geltendem Recht schadensersatzpflichtig ist, ({4}), dass alle, die erwischt werden und überführt werden können, zur Verantwortung gezogen werden können. ({5}) In Briefen von „Nofitti“, von „Anti-Graffiti“ und von der Bundesarbeitsgemeinschaft deutscher Immobilienwirtschaft wird mir vorgehalten: Heute kann jemand überhaupt nur dann bestraft und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn am Tatort sechs oder sieben Feststellungen getroffen werden: Wie groß ist das Graffiti? Welcher Kostenaufwand entsteht durch die Beseitigung? Die Bestandteile der Farbe müssen analysiert werden und so weiter. Ich kann nur sagen: Das stimmt alles nicht. ({6}) Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen sich schon einmal vor Gericht mit einem solchen Fall auseinander gesetzt hat. Ich habe eine ganze Reihe von Graffiti-Sprayern verteidigt und weiß, wie das vor Gericht läuft. ({7}) Das Gericht interessiert die Frage: War es die Person oder war sie es nicht? Wenn jemandem die Tat nachgewiesen werden konnte, gab es in allen Fällen eine Verurteilung. ({8}) Deshalb habe ich an „Nofitti“, an „Anti-Graffiti“ und all die anderen Organisationen geschrieben - das sage ich besonders Ihnen, Frau Raab - und die Bitte geäußert: Nennen Sie mir Fälle. Sagen Sie mir, bei welchen Gerichten - nennen Sie das Aktenzeichen - Sprayer vor Gericht standen und zur Verantwortung gezogen werden sollten, aber nicht bestraft werden konnten, obwohl der Nachweis geführt werden konnte, dass sie dieses oder jenes Bild gemacht haben. ({9}) Ich habe zwei oder drei Antworten bekommen, eine aus Bayern. Ich habe zurückgeschrieben und gefragt, ob Rechtsmittel eingelegt wurden, weil das Amtsgericht nicht verurteilt hatte. Die Antwort lautete: Ja. Dann habe ich wieder geschrieben und gefragt: Was ist beim Rechtsmittel herausgekommen? Die Antwort: Die Berufungsinstanz hat ihn verurteilt. Die Fälle, von denen Sie reden und die Sie den Hausund Grundbesitzern, den Kommunen und all den anderen versuchen weis zu machen, gibt es nicht, jedenfalls nicht annähernd in der Zahl, die Sie hier versuchen darzustellen. ({10}) Frau Raab, auch Sie haben hier wieder gesagt: Graffiti-Sprayer bleiben straffrei. Das ist nicht wahr. Nennen Sie mir ein, zwei, drei, vier oder fünf Fälle, dann reden wir im Berichterstattergespräch, im Ausschuss darüber. ({11}) Ich habe Ihnen beim letzten Mal schon gesagt: In meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von GraffitiSprayern. Mit einigen von ihnen bin ich im Kontakt. ({12}) Wir laden sie zu den grünen Ständen auf Festen ein. Beim letzten Fest an der Oberbaumbrücke haben wir große Pappflächen aufgestellt, auf denen sie sprayen konnten. Dann bekommen wir wunderschöne SprayereiGemälde. Beim vorletzten Mal war es so, dass zwei Polizeibeamte in Uniform vorbeigekommen sind, sich das angeschaut haben und so begeistert waren, dass der eine Polizeibeamte einen 5-Euro-Schein aus der Tasche gezogen, ihn uns gegeben und gesagt hat: Geben Sie das den Jungen. Das ist geschehen, damit sie sich Spraydosen kaufen können; ({13}) denn es ist uns lieber, wenn sie sich so betätigen, als wenn sie zu Drogen greifen oder andere, schlimmere Sachen machen. ({14}) Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir einige GraffitiSprayer in den Bundestag einladen und uns von ihnen informieren lassen, durch was sie zu beeindrucken sind und wie wir tatsächlich in der Diskussion, in der Auseinandersetzung dazu kommen können, dass der Vandalismus an S-Bahnen, an U-Bahnen und an öffentlichen Gebäuden aufhört. Dort kommt es zu echten Zerstörungen, die jeden Bürger zu Recht verärgern und die nur deshalb nicht aufhören bzw. deren Verursacher nur deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil man die Täter nicht erwischt. Das liegt nicht daran, dass es an Strafbarkeit fehlen würde. Wir brauchen mehr Wahrheit, Klarheit und Ehrlichkeit in der Debatte, dann kommen wir auch weiter. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Roland Gewalt, CDU/CSUFraktion.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, immer wieder, auch heute, wird von Ihnen behauptet, eine Änderung der §§ 303 und 304 StGB sei gar nicht erforderlich. Wie notwendig eine Ergänzung der Tatbestände ist, um Graffiti-Schmierern das Handwerk legen zu können, zeigt ein Fall, über den die Berliner Presse berichtet hat. Am 13. Januar dieses Jahres titelte die „Berliner Morgenpost“: Hausmeister überwältigte Sprayer und musste vor Gericht. Hintergrund: Ein Hausmeister hatte einen Sprayer auf frischer Tat ertappt und hielt ihn so lange fest, bis die Polizei eintraf. Nach den geltenden Strafvorschriften, Herr Kollege Ströbele, erhebt die Staatsanwaltschaft in solchen Fällen gar keine Anklage, ({0}) wenn auf Glas gesprüht wird. Gegen den Hausmeister kam es sehr wohl zu einer Anklage wegen Nötigung, weil er den Täter festgehalten hat. ({1}) - Das müssen Sie die Staatsanwaltschaft fragen. - Erst in der Hauptverhandlung machte dann der Amtsrichter dem Spuk ein Ende und sprach den Mann frei. Glauben Sie denn ernsthaft, meine Damen und Herren von der rot-grünen Koalition, dass der Bürger so etwas noch versteht? Ich glaube es nicht. ({2}) Nach Auskunft des zuständigen Generalstaatsanwalts bei dem Landgericht Berlin werden in der Hauptstadt Graffiti-Schmierereien auf Glas und Metall regelmäßig nicht verfolgt, ({3}) weil die nach dem Gesetz erforderliche Substanzverletzung entweder nicht vorliegt oder nur schwer nachgewiesen werden kann. Auch bei Graffiti-Schmierereien auf Mauerwerk kommt es oft dann zu Verfahrenseinstellungen - ich kenne ja Ihre Verteidigerqualitäten nicht, Herr Ströbele -, ({4}) wenn der Verteidiger die Substanzverletzung bestreitet, ({5}) weil nämlich die Staatsanwaltschaft und die Gerichte die hohen Gutachterkosten scheuen - ab 5 000 Euro aufwärts. ({6}) Angesichts dieser für die Opfer völlig unbefriedigenden Rechtslage ist es für mich unbegreiflich, dass die SPD-Fraktion hier im Hause aus ausschließlich koalitionstaktischen Gründen eine ergänzende Gesetzesänderung immer wieder verweigert. Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, da fordert am 11. Januar der Berliner Innensenator Dr. Ehrhart Körting von der SPD ({7}) in einer Berliner Boulevardzeitung - zugegeben ein bisschen populistisch, Herr Staffelt -: „Sprayer in den Knast!“ Nur wenige Tage später lehnt die SPD-Fraktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages die fast einstimmig im Bundesrat beschlossene Gesetzesänderung ab. So viel zu Ihrer Kontinuität. Aber damit nicht genug, meine Damen und Herren: Mitte letzten Jahres verspricht der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Kollege Wiefelspütz, auf einer Veranstaltung des Berliner Vereins Nofitti, bis Weihnachten 2003 werde man einen eigenen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben. Als sich dann nichts tat, lud der Verein am 28. Januar dieses Jahres zu einer Podiumsdiskussion ein und fragte beim Kollegen Wiefelspütz nach. Jetzt versprach Kollege Wiefelspütz, die Gesetzesänderung bis Mai dieses Jahres eingebracht zu haben. Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Wieder nichts. Am 3. Juni 2004 schließlich folgt Versprechen Nr. 3 - die haben bei der SPD-Fraktion offenbar inflatorischen Charakter -: Auf einer Anti-GraffitiFachmesse in Dortmund erklärt Kollege Wiefelspütz nun, dass bis zum Jahresende 2004 ein Gesetzentwurf von Rot-Grün vorgelegt werde. Meine Damen und Herren, fast zwei Jahre sitzt die SPD-Fraktion jetzt auf dem von ihren eigenen Parteifreunden im Bundesrat mitbeschlossenen Entwurf für ein Graffiti-Bekämpfungsgesetz und es ist weiß Gott - das wissen Sie genauso gut wie wir - nicht der erste Gesetzentwurf dieser Art. Zuzustimmen trauen Sie sich nicht, weil Sie damit Herrn Kollegen Ströbele verärgern könnten. ({8}) - Ah! - Ablehnen wollen Sie den Gesetzentwurf aber auch nicht, weil die Änderung notwendig ist. So schieben Sie das Problem vor sich her - auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Meine Damen und Herren, das ist mehr als ärgerlich, das ist eine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger. ({9}) Wenn Sie demnächst wieder einmal im stillen Kämmerlein darüber nachdenken, was zu Politikverdrossenheit in der Bevölkerung führt - hier haben Sie ein Paradebeispiel dafür. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt Herr Kollege Michael Hartmann von der SPD-Fraktion.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Herr Kollege Gewalt, Sie haben eben - an einem ganz besonderen Tag - zum Ende Ihrer Ausführungen von der Politikverdrossenheit geredet und Sie haben völlig Recht: Wir müssen aufpassen, dass wir sie nicht schüren, wir müssen aufpassen, dass wir nicht jenen Anlass geben, die sich gern von der Politik abwenden und sie für ein mieses taktisches Geschäft halten. Bis dahin sind wir uns einig. Aber ich sage Ihnen auch: Wenn man an ein Problem nicht rangeht und sich der Problemlösung oder Tamtam von vornherein für das Tamtam entschieden hat, dann befördert man auch Politikverdrossenheit. ({0}) Wenn ich mich richtig an die Worte des heute aus dem Amt geschiedenen Bundespräsidenten - jetzt Altbundespräsidenten - Johannes Rau erinnere, dann hat er doch auch davor gewarnt, in der Auseinandersetzung miteinander zu kleinlich umzugehen. Ich glaube, die erneute Aufsetzung, die Ihnen nach § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung sicherlich zusteht, ist ein Beispiel dafür, wie man kleinlich mit Themen umgehen kann. Sie versuchen, symbolische Politik zu machen, obwohl es darauf ankommt, in der Substanz voranzugehen. ({1}) Sie haben so ein nettes Beispiel genannt: die Geschichte - ich unterstelle, sie hat sich so zugetragen, wie es in der Zeitung abgedruckt war - von dem Hausmeister, der dann am Schluss angeklagt wurde. Das ist nichts Schönes und auch nichts, worüber sich irgendjemand hier im Hause oder anderswo freuen muss. Aber ich frage mich dann zum einen: Was für ein Staatsanwalt war das? Und zum anderen frage ich mich: Hätte sich durch eine Änderung des § 303 StGB oder § 304 StGB in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne daran irgendetwas verändert? ({2}) Gar nichts hätte sich daran verändert. ({3}) Michael Hartmann ({4}) - Herr Dr. Gehb, vielleicht hängt das auch mit einer gewissen Verwirrung zusammen oder mit der nahenden Sommerpause - wir alle sind etwas erschöpft und müde. Diese Verwirrung habe ich auch heute festgestellt: Sie haben dem Kollegen Scholz eine Zwischenfrage gestellt und dann haben wir den Kollegen von der FDP gehört. Wie ist das denn nun? Sind Sie noch bei dem Verunstaltungsbegriff ({5}) oder sind Sie weg davon? - Das war mal so und mal so. - Klären Sie das doch erst einmal, ({6}) bevor Sie weiter das Haus mit dieser Fragestellung belästigen und belasten. ({7}) Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der vielleicht wirklich weiterführt. Natürlich haben wir immer wieder, wenn wir hier arbeiten, wenn wir Politik in diesem Hause oder außerhalb machen, abzuwägen: Sage ich das, was richtig ist, oder sage ich das, was gerade gefällig ist, was ankommt? Nun kann man tatsächlich darüber reden und streiten und diskutieren - das tun wir auch, das tun wir auch mit den geschätzten Grünen, die wir wahrhaftig nicht verärgern wollen, Herr Ströbele! -, ob man bei dieser kleinen Regelungslücke, die es in der Tat gibt, etwas verändern muss. Lassen Sie uns ernsthaft weiter darüber reden, ({8}) um am Schluss zu einem gescheiten Ergebnis zu kommen. Aber ich sage: Wir wollen zu einem gescheiten Ergebnis kommen, nicht zu einem beliebigen. Nun können Sie den § 303 StGB in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne verändern - es bleibt trotzdem dabei, dass sich an der Anzahl der Straftaten nichts ändern wird. Es bleibt übrigens auch dabei, dass keiner von denen, die nur sprayen, deshalb ins Gefängnis wandern wird. Bauen Sie hier doch keinen Popanz auf. Das wird nicht geschehen. ({9}) Glauben Sie, irgendein verantwortungsbewusster Strafrichter wird jemanden, der sprayt, für ein oder zwei Jahre ins Gefängnis schicken? - Nie im Leben! Auch das, was Sie hier betreiben, ist Augenwischerei. ({10}) Unabhängig davon, ob wir am Schluss zu dem Ergebnis kommen, dass hier eine kleine Nachbesserung erfolgen muss oder nicht, bleibt eines wahr, nämlich dass Graffitis so oder so nur mithilfe polizeilicher Mittel erfolgreich bekämpft werden können. ({11}) Dort, wo das geschieht - München wäre ein Beispiel; aber auch andere Städte ließen sich nennen -, sinkt die Zahl der Straftaten nachweislich und die Schadenssummen reduzieren sich. Am Ende geht es also nur mit der Polizei. Sie muss die Arbeit machen. Das ist ein gewiss verdammt schwerer Job in einem Umfeld, in dem uns unsere kommunalen Freunde aus allen politischen Lagern drängen, hiergegen vorzugehen. Wenn Sie ehrlich sind, wenn Sie - vielleicht geläutert - aus der Sommerpause zurückkehren, dann werden Sie uns zustimmen müssen, dass sich an der Schwere und der Notwendigkeit dieser Polizeiarbeit nichts ändern wird, unabhängig davon, ob § 303 StGB nun geändert wird oder nicht. In diesem Sinne und auch im Lichte dessen, was uns der heute ausgeschiedene und auch der neu gewählte Bundespräsident gesagt haben, sage ich: weniger symbolische Politik, mehr Substanz und mehr Ruhe dort, wo es erforderlich ist. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Da es sich um die Aussprache über einen Bericht des Rechtsausschusses nach § 62 Abs. 2 der Geschäftsord- nung gehandelt hat, steht keine Beschlussfassung an. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes ({0}) - Drucksachen 15/3174, 15/3355 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksache 15/3493 Berichterstattung: Abgeordnete Florian Pronold Stefan Müller ({3}) Carl-Ludwig Thiele b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 15/3418 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung ({5}) - Drucksache 15/3419 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen ({7}) - Drucksache 15/3421 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit dem Anlegerschutzgesetz - wie bei fast allen Gesetzen, die den Finanzmarkt Deutschland betreffen über die Fraktionsgrenzen hinweg ein Gesetz zustande gebracht, das den Finanzplatz Deutschland stärken wird, und zwar deswegen, weil wir wirksame Maßnahmen ergreifen, um die schwarzen Schafe, die es auf dem grauen Markt gibt, besser auszumachen und so den Finanzmarkt bzw. Finanzplatz Deutschland durch gute Kontrollen zu stärken. ({0}) Wir haben den Gesetzentwurf nach der Anhörung und nach der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzgebungsvorhaben in einigen Punkten - wie ich denke ganz entscheidend verbessert und dazu beigetragen, dass ein guter Gesetzentwurf der rot-grünen Regierung insgesamt zu einem sehr guten Gesetzentwurf geworden ist. Dafür sage ich vorab Dank den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen. In der Anhörung waren vonseiten der Verbände mehrere Forderungen angesprochen worden, die wir zum großen Teil erfüllt haben. Einer der umstrittensten Punkte betraf die Frage, in welchem Zeitraum und mit welcher Wirkung die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, einen Prospekt, der nun auch für den Bereich des grauen Kapitalmarktess verlangt wird, prüfen muss und ob es so etwas wie eine Genehmigungsfiktion gibt. Übereinstimmend sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Genehmigungsfiktion, die aufgrund der europäischen Prospektrichtlinie im nächsten Jahr für den Wertpapierbereich wegfallen muss, für den dubioseren oder schwierigeren Bereich der vielzähligen unterschiedlichen Produkte des grauen Kapitalmarktes nicht angebracht wäre. Deswegen haben wir versucht, eine Regelung zu finden, die den Emittenten die nötige Sicherheit in der Form gewährleistet, dass auf der einen Seite ihre Investitionsentscheidung in einem vernünftigen Zeitrahmen geprüft wird und dass auf der anderen Seite der Anlegerschutz nicht zu kurz kommt. Wir haben uns dafür entschieden, die BaFin zu verpflichten, die Prospekte innerhalb von 20 Werktagen zu prüfen und eine Entscheidung zu treffen. Sollte dies nicht der Fall sein, entsteht ein Haftungsanspruch gegenüber der BaFin. Die hohen Investitionssummen, die dort im Raum stehen, begründen einen hohen Haftungsanspruch. Ich halte das für die effektivste Regelung, die dazu führen wird, dass die BaFin schon aus Eigeninteresse alles daransetzen wird, diese Prüfung in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen abzuschließen. Ein weiterer Punkt, der am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens sehr strittig war, betrifft die Befugnisse, die die BaFin haben wird. Auch diesbezüglich haben wir den Gesetzentwurf im Einvernehmen mit dem Bundesrat noch einmal verbessert. Wir haben die Voraussetzungen präzisiert, unter denen Produkte des grauen Marktes aus dem Handel genommen werden können. In dem Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland gibt es die Unterscheidung zwischen dem präventiven und dem repressiven Bereich der Strafverfolgung. Nach dem ersten Entwurf wäre die BaFin stärker in den repressiven Bereich eingebunden gewesen. Wir haben in dem Entwurf jetzt Klarheit dahin gehend geschaffen, dass hierfür ausschließlich die Staatsanwaltschaft zuständig ist. Bei einem weiteren Bereich, der debattiert wurde, ging es um Regelungen bezüglich der Marktmanipulationen, die auch von Journalisten ausgehen können. In den letzten Jahren sind ja viele Fälle bekannt geworden, in denen Journalisten, die selbst Papiere besitzen, versucht haben, den Markt über Kursempfehlungen zu beeinflussen. Auch dort sind wir den Forderungen seitens der Journalistenverbände und des Presserats sehr weit entgegengekommen. Wir haben klar gemacht, dass wir die Selbstregulierung der Journalisten, also eigene verbandsrechtliche Regelungen und eigene Kontrollen, befürworten. Dies ist dort in vielen Bereichen schon sehr effizient geregelt und funktioniert gut, bisher aber noch nicht für alle Bereiche. Eine solche Regelung steht noch aus. Wir haben uns sehr eng an das, was durch die EURichtlinie hierzu vorgegeben wird, gehalten. Vor allem haben wir dahingehend Klarheit geschaffen, dass versehentliche Marktmanipulationen oder Berichterstattungen, die zu solchen Manipulationen führen, keine Haftungsansprüche seitens der Journalistinnen und Journalisten auslösen, wenn sie nicht im eigenen Interesse gehandelt haben. ({1}) Wir haben die Offenlegungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen präzisiert und den Anlegerschutz noch einmal nachhaltig dadurch verbessert, indem wir die Grenze, bis wann ein Anteil der Prospektpflicht unterliegt, von 50 000 Euro auf 200 000 Euro deutlich angehoben haben; so lautete auch die Forderung der Verbraucherverbände. Auch das gewährleistet, dass die Anlegerinnen und Anleger zukünftig besser informiert sind und Entscheidungen sicherer und auf einer besseren Grundlage treffen können. Wie wir wissen, ist die Prospektpflicht in Schadensersatzfällen von großer Wichtigkeit für die Anleger, weil sich Haftungstatbestände auch auf die Prospekte beziehen können. Eine weitere wichtige Forderung in der Anhörung war, Klarheit darüber zu schaffen, wann die Einführung der Prospektpflicht denn nun tatsächlich erfolgt. Auch hier haben wir die Anregungen, die wir im Rahmen der Gesetzesberatungen erhalten haben, aufgenommen. Wir werden die Prospektpflicht zum 1. Juli 2005 einführen. Da das Gesetz voraussichtlich im Oktober 2004 in Kraft treten wird, haben die Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer insgesamt fast acht Monate Zeit, um sich auf dieses Datum einstellen zu können. In den Beratungen sind wir in fast allen Punkten übereinstimmend zu diesen Verbesserungen gekommen und haben der Tradition, bei Finanzmarktgesetzen im Interesse des Finanzmarkts Deutschland gemeinsam zu handeln, Rechnung getragen. Der Gesetzentwurf, mit dem eine gute Weichenstellung vorgenommen wird, dient auf der einen Seite dem Finanzmarkt Deutschland, weil damit Kontrolle und mehr Transparenz in einem schwierigen Bereich hergestellt wird, und schützt auf der anderen Seite die Anlegerinnen und Anleger besser vor Missbrauch. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des Anlegerschutzes steht in der guten Tradition der Finanzmarktgesetzgebung der letzten zehn Jahre. Wir haben gut daran getan, die parteipolitischen Streitigkeiten weitestgehend herauszuhalten. Ich halte das insofern für sehr bedeutsam, als es gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung unserer Finanzdienstleistungsbranche für die Volkswirtschaft außerordentlich wichtig ist, solche Gesetze in einem konstruktiven Dialog zu diskutieren und zu beraten. Ich möchte mich noch einmal ganz ausdrücklich für die gute und konstruktive Atmosphäre bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes bedanken. Der Herr Kollege Pronold hat es gerade angesprochen: Wir sind immer einer Meinung bzw. gerne bereit, zusammenzuarbeiten, wenn vernünftige Vorschläge kommen. Das war in diesem Falle ausnahmsweise tatsächlich so. Nach wie vor gelingt es in Deutschland windigen Geschäftemachern, Anleger über den Tisch zu ziehen. Ich glaube nun wirklich nicht alle Zahlen, die aus dem Bundesfinanzministerium kommen, insbesondere zum Bundeshaushalt. Damit muss man insgesamt sehr vorsichtig sein. Aber Frau Staatssekretärin, zumindest eine Zahl möchte ich Ihnen glauben. Sie haben in Ihrem Hause eine Statistik zum Anlegerschutz erstellt und ich gehe davon aus, dass zumindest diese Zahl stimmt: Laut dem Bundesfinanzministerium gab es im Jahr 2002 insgesamt etwa 15 700 Fälle von Anlagebetrug. Offizielle Schadenssummen zu ermitteln ist äußerst schwierig. Schätzungen gehen von circa 290 Millionen Euro aus, wobei die tatsächliche Summe noch sehr viel höher sein dürfte und vieles auch nicht in die Öffentlichkeit dringt. Wir von CDU/CSU haben von vornherein zum Ausdruck gebracht, dass wir jedes Vorhaben unterstützen werden, das dazu angetan ist, den Anlegerschutz in Deutschland zu verbessern. In der Tat haben wir gerade bei diesem Gesetzentwurf noch einige wesentliche Verbesserungen herbeiführen können. ({0}) Ich möchte dies gerne an drei Punkten deutlich machen. Der erste Punkt betrifft die Generalbefugnisnorm in § 4 des Gesetzentwurfes. In der Begründung des ursprünglichen Gesetzentwurfes war dieser Paragraph sehr harmlos formuliert. Wenn man sich die Norm genauer anschaute, stellte man fest, dass die Eingriffs- und Auskunftsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht deutlich erweitert worden wären. Unsere Meinung war, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf in diesem Punkt eindeutig zu weit ging, insbesondere weil das weit über das hinausging, was in der Marktmissbrauchsrichtlinie gefordert wird. Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass endlich damit Schluss sein muss, dass wir als Deutsche immer über EU-Vorgaben hinausgehen, weil wir besonders genau sein wollen. Derartiges führt schlicht und ergreifend zu Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Wirtschaft. Damit muss endlich Schluss sein. ({1}) Insofern war es völlig richtig, die Forderungen des Bundesrates in diesem Punkt aufzunehmen, nämlich die Anordnungsvoraussetzungen für die Untersagung oder Aussetzung des Handels tatsächlich zu konkretisieren und auf genau die Fälle zu beschränken, in denen nach dem Gesetz Handlungsbedarf geboten erscheint. Der zweite Punkt, den ich gerne ansprechen möchte, betrifft das Verbot der Marktmanipulationen. Auch hier hätten die ursprünglichen Vorschläge zur Folge gehabt, dass Entwicklungen neuer Marktpraktiken erschwert worden wären, weil die BaFin schlicht und ergreifend selbst definiert hätte, was neue und zulässige Marktpraxis ist. Es mag gut gemeint sein, aber gut geStefan Müller ({2}) meinter Anlegerschutz darf sinnvolle Kapitalmarktgeschäfte nicht verhindern. ({3}) Ich hoffe, dass wir mit der jetzigen Formulierung die Probleme ausgeräumt haben, wenngleich die Formulierung nicht optimal ist. Wir werden aber in einem Jahr die Möglichkeit haben, das Gesetz daraufhin zu überprüfen, was tatsächlich daraus geworden ist und welche Erfahrungen gemacht wurden. Mein dritter Punkt betrifft die Einführung der Prospektpflicht auch für den grauen Kapitalmarkt, die nicht ganz unstrittig war. Ich sage ganz deutlich: Aus meiner Sicht ist gegen die Einführung der Prospektpflicht am grauen Kapitalmarkt grundsätzlich nichts einzuwenden; ({4}) denn es ist nicht einzusehen, warum am geregelten Markt strengere Regeln als am grauen Kapitalmarkt gelten sollen. Es ist in der Anhörung deutlich geworden, dass gerade die seriösen Initiatoren und die seriösen Finanzdienstleister ({5}) damit überhaupt kein Problem haben. Allerdings war es aus unserer Sicht - wir haben einen Änderungsantrag gestellt - nicht notwendig, auch die Initiatoren mit einer Prospektpflicht zu belegen, die ohnehin schon im Vorfeld einen Prospekt erstellen, dies schon seit langer Zeit machen und zudem diesen Prospekt auch noch zur inhaltlichen Prüfung einem Wirtschaftsprüfer übergeben. Aus unserer Sicht hätte es ausgereicht, wenn dieser Prospekt bei der BaFin hinterlegt worden wäre und ansonsten der Vertrieb hätte beginnen können. ({6}) Sie haben sich diesem Änderungsantrag leider nicht angeschlossen. Nun hoffe ich, dass zumindest die Regelung, die wir gestern einvernehmlich beschlossen haben, den seriösen Fondsinitiatoren hilft. Innerhalb von 20 Werktagen muss eine Entscheidung getroffen werden. Ich möchte an dieser Stelle an die BaFin appellieren, gerade bei bekannten und seriösen Anbietern, die schon seit langer Zeit im Geschäft tätig sind und Fondsprospekte erstellen, diesen zeitlichen Rahmen von 20 Werktagen nicht auszunutzen, sondern zeitnahe Entscheidungen zu treffen. Gesetzliche Regelungen dürfen nicht zu einer Verhinderung von Investitionen dieser Fondsinitiatoren führen. ({7}) Ein kritischer Punkt war die Anhebung des Schwellenwertes bezüglich des Unterliegens der Prospektpflicht von 50 000 Euro auf 200 000 Euro. Wir haben gestern deutlich gemacht, dass wir die fachliche Meinung des Bundesfinanzministeriums in diesem Falle eindeutig teilen. Leider Gottes konnte sich die Bundesregierung hier nicht gegen die Regierungsfraktionen, insbesondere gegen die Grünen, durchsetzen. Herr Ulrich, Sie lachen. Ich halte es für sehr bedauerlich, dass die Bundesregierung in diesem Punkt keine Mehrheit in ihren eigenen Reihen findet. Wir stimmen diesem Gesetz heute zu. Für alle weiteren Gesetze zur Fortentwicklung des Anlegerschutzes muss gelten: Unser Leitbild ist das des mündigen Anlegers. Der Staat und die Politik sollten nicht versuchen, die Bürger vor sich selbst zu schützen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Hubert Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003649, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich reden wir heute über einen Punkt - um Ihren Zwischenruf, Herr Dautzenberg, aufzugreifen -, den wir hier alle relativ einvernehmlich sehen. Das ist auch gut so, gerade in einem so sensiblen Bereich. Im Kern reden wir aber über die Umsetzung des Zehnpunkteplanes von Bundesfinanzminister Eichel. ({0}) Einen Teil dieses Zehnpunkteplanes setzen wir jetzt um, manche Punkte sind bereits umgesetzt. Dieser Zehnpunkteplan - daran muss man erinnern - hat den realen Hintergrund, dass wir in den letzten Jahren sowohl hier in Deutschland als auch auf internationaler Ebene eine Menge Finanzskandale und Unternehmensskandale erleben mussten. Erinnert sei an Unternehmen in Deutschland wie Flowtex oder Comroad. Die einen haben die Banken betrogen, indem Maschinenschilder einfach ausgetauscht wurden, die anderen haben Umsätze erfunden. Ich nenne hier die massiven Betrugsskandale um Enron und Worldcom, die auch von den US-Aufsichtsbehörden nicht aufgedeckt werden konnten. ({1}) Das hat insgesamt zu einer Verunsicherung der Finanzmärkte in Deutschland und auf internationaler Ebene geführt. Deshalb ist es notwendig, die Regeln enger zu fassen. Der Zehnpunkteplan von Minister Eichel sieht über die Dinge, die wir heute besprechen, hinaus auch eine Verbesserung des Klagerechtes der Aktionäre vor. Das ist einer der nächsten Punkte, an die die Koalition noch herangehen wird. ({2}) Er sieht auch eine Verstärkung der persönlichen Haftung von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern vor, die bewusst oder fahrlässig falsche Informationen in Umlauf bringen. Alle diese Dinge müssen noch kommen. Heute reden wir nicht nur über das Anlegerschutzverbesserungsgesetz, das bereits in vielen Punkten beleuchtet wurde, sondern wir beraten auch in erster Lesung das Bilanzkontrollgesetz. Auch hierbei geht es um deutliche Verbesserungen im Hinblick auf den Anlegerschutz. Es geht um eine Art Bilanzpolizei, eine so genannte Enforcementstelle, die in einem zweistufigen Verfahren Verfehlungen in diesem Bereich aufdecken soll. Als erste Stufe ist eine privatrechtliche Regelung vorgesehen. Erst dann, wenn die privatrechtlichen Möglichkeiten erschöpft sind, kommt die staatliche Ebene bzw. die BaFin ins Spiel. Das ist im Prinzip eine sehr sinnvolle Vorgehensweise. Das zweite Gesetz, das wir heute in erster Lesung beraten, ist das Bilanzrechtsreformgesetz. Auch hierbei geht es darum, die internationalen Bilanzierungsregeln aufgrund von EU-Vorgaben in Deutschland einzuführen. Es geht auch darum, die Abschlussprüfung von kapitalmarktorientierten Unternehmen dergestalt besser zu organisieren, dass Abschlussprüfer nach den neuen Regeln im Bilanzrechtsreformgesetz nicht mehr zugleich ein Unternehmen beraten und den Abschlussbericht erstellen können. Das wird jetzt deutlich voneinander getrennt und das ist auch gut so. Wir beraten heute ebenfalls in erster Lesung das Versicherungsaufsichtsänderungsgesetz. Auch hierbei geht es um eine sinnvolle Verbesserung im Sinne des Verbraucherschutzes, indem wir eine Art Einlagensicherungsfonds für Versicherungen einführen. Eine solche Regelung gibt es in Deutschland bisher nur bei den Banken und Sparkassen. Sie soll jetzt auch auf Kranken- und Lebensversicherungen ausgedehnt werden. Des Weiteren verabschieden wir heute - das wurde bereits von meinen Vorrednern ausgeführt - das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in zweiter und dritter Beratung. Dabei geht es um Punkte wie den Insiderhandel, für den die Regelungen deutlich verschärft werden. Bisher war nur der Insiderhandel an sich strafbar. Künftig soll bereits der Versuch des Insiderhandels strafbar sein. Auch die Marktmanipulation ist ein sehr wichtiger Punkt. Bisher musste die Absicht nachgewiesen werden. Nach den neuen gesetzlichen Regelungen würde es bereits reichen, dass der Markt an sich manipuliert wurde. In diesem Fall kann der betreffende Personenkreis von der Staatsanwaltschaft in Regress genommen werden. Ein dritter wichtiger Punkt sind die Offenlegungspflichten, die jetzt auf den Personenkreis ausgeweitet werden, der Finanzanalysen erstellt oder weitergibt. Dazu gehören auch Journalisten. Auch die eben diskutierte Einführung der Prospektpflicht für den grauen Markt ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Uns Grünen war es mit Blick auf die Investoren wichtig, den Anlegerschutz deutlich zu verbessern. Bisher war vorgesehen, einer EU-Vorgabe entsprechend eine Grenze von 50 000 Euro festzulegen. Uns war das viel zu wenig. In den vergangenen Jahren ist es immer wieder dazu gekommen - über die entsprechenden Fälle wurde regelmäßig in der Presse berichtet -, dass Schrottimmobilien, deren Kaufpreis 100 000 Euro deutlich überstieg, von Anlegern gekauft wurden, die sich nicht in den Märkten auskannten und von guten Vertriebsmitarbeitern bequasselt wurden. Durch die Erhöhung der Grenze auf 200 000 Euro wird diese Gefahr zwar nicht ausgeschlossen, aber der Anleger wird dadurch besser geschützt, ({3}) dass ein Prospekt aufgelegt und vor allen Dingen zumindest formal von der BaFin kontrolliert werden muss. ({4}) Ein weiterer Punkt, den wir noch in diesem Jahr angehen werden, betrifft die Verschwiegenheitspflicht der BaFin. Gegenwärtig darf die BaFin im Zivilprozess keine Informationen an geschädigte Anleger weitergeben. Das wollen wir ändern. Die Frage ist, wie die Änderung so vorgenommen werden kann, dass die BaFin nicht mit Anfragen überhäuft wird. Wir stellen uns eine Art Register vor, über das der Anleger gewisse Informationen erhalten kann, die der BaFin vorliegen und die für ihn im Verfahren wichtig sind. Ein weiterer wichtiger Punkt, den die rot-grüne Koalition noch in diesem Jahr angehen wird, sind die Verjährungsfristen. Derzeit betragen die Verjährungsfristen für Anleger ein bis drei Jahre. Diese Fristen sind viel zu kurz. Wir streben an, die Fristen auf die im BGB geltenden Fristen von sieben bis zehn Jahren zu erweitern. Das heißt, dass ein Anleger im Falle einer Verfehlung oder einer falschen Information in einem Prospekt seit Kenntniserlangung sieben bis zehn Jahre Zeit hat, ein Verfahren einzuleiten. Insgesamt haben wir es geschafft, aus dem Anlegerschutz kein Anlegerschutzverwässerungsgesetz, sondern ein echtes Anlegerschutzverbesserungsgesetz zu machen. Darauf können wir als Koalition stolz sein. Ich bin hoch zufrieden damit, dass die Koalition an dieser Stelle voll und ganz mitgezogen hat. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir in einem aus meiner Sicht etwas unüblichen Verfahren abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes sowie in erster Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, den Entwurf eines BilanzrechtsCarl-Ludwig Thiele reformgesetzes und den Entwurf eines Bilanzkontrollgesetzes. Ich hoffe, dass dieses Verfahren die Ausnahme sein wird; denn die erste Lesung ist häufig nicht mehr als eine formale Einbringung. Jeder dieser Gesetzentwürfe ist aber wichtig. Heute treffen wir jedenfalls eine Entscheidung über den Entwurf eines Anlegerschutzverbesserungsgesetzes. Die FDP unterstützt im Grundsatz den Versuch, Unternehmensbilanzen besser zu prüfen und so das nach wie vor gebeutelte Vertrauen der Anleger zu stärken. Die Betrugsfälle Enron, Worldcom, Ahold, Parmalat, Comroad und Flowtex haben bei den Anlegern tiefe Spuren hinterlassen und Vertrauen zerstört. Damit solcher Betrug in Zukunft verhindert wird, müssen die schwarzen Schafe am Kapitalmarkt schärfer bestraft werden. Die Kapitalmärkte brauchen mehr Transparenz bei den Unternehmensbilanzen. Nur durch Offenheit und Transparenz kann sich eine Aktienkultur in Deutschland entwickeln. Nur so kann man erwarten, dass die Bürger Kapital an den Kapitalmärkten anlegen, um für ihr Alter vorzusorgen. ({0}) Ich möchte nun auf einige aus Sicht der FDP wesentliche Punkte des Entwurfs eines Anlegerschutzverbesserungsgesetzes zu sprechen kommen. Hiermit wird im Wesentlichen eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Ich begrüße schon vorab, dass wir trotz kleinerer Differenzen eine einvernehmliche Lösung im Finanzausschuss gefunden haben. Wir haben uns seit den 90er-Jahren bemüht, die Finanzmarktgesetzgebung in unserem Land möglichst überparteilich und problemorientiert zu gestalten. Ich freue mich, dass das auch wieder gelungen ist. ({1}) Die Ziele, die die Bundesregierung mit dem Gesetzespaket verfolgt, begrüßen wir. In weiten Teilen sind sie ja von der EU vorgegeben. Aber die Beratung hat auch gezeigt, dass der Gesetzentwurf in seiner ursprünglichen Fassung etwas über das Ziel hinausschoss. Die Anregungen der Sachverständigen in der Anhörung haben mit dazu beigetragen, dass es im Gesetzgebungsverfahren zu Änderungen gekommen ist. Das zeigt einmal mehr, dass das formale Gesetzgebungsverfahren durchaus inhaltliche Bedeutung hat und gewinnt; denn dadurch können sich auch diejenigen Abgeordneten, die sich nicht jeden Tag mit solchen Themen beschäftigen, sachkundig machen. ({2}) - Es ist richtig, dass das auf zukünftige Anhörungen hoffen lässt, genauso wie auf Erkenntnisgewinn; denn das ist das eigentliche Ziel der Anhörungen. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, relativ weit gehende Eingriffsbefugnisse erhalten, die deutlich über die Formulierungen der EU-Richtlinie hinausgingen. Diese Gesetzespassagen sind deutlich entschärft worden. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir freuen uns, dass das so gekommen ist. ({3}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Genehmigung von Prospekten von geschlossenen Fonds durch die BaFin. Hier wurde den Anbietern in dem ursprünglichen Gesetzentwurf zu wenig Zeit gegeben, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Ich begrüße, dass das Gesetz quasi doppelt in Kraft tritt. Das Gesetz tritt zwar bereits in diesem Jahr in Kraft. Aber die Regelungen bezüglich der Genehmigung von Prospekten durch die BaFin treten erst am 1. Juli nächsten Jahres in Kraft. Das ist ein wichtiger Punkt; denn hohe Investitionen müssen von denjenigen getätigt werden, die Prospekte herausgeben, um Geld für geschlossene Fonds zu sammeln. Wenn Rechtsunsicherheit im Genehmigungsverfahren durch die BaFin geherrscht hätte, dann hätte es ein Investitionshemmnis in unserem Land gegeben. Das kann niemand wollen. Deshalb bedanke ich mich bei der Bundesregierung dafür, dass dieser Aspekt aufgegriffen wurde und dass diese Regelung erst vom 1. Juli nächsten Jahres an gilt. ({4}) Ein weiterer Punkt: Bei der Prüfung der Prospekte handelt es sich nicht um eine inhaltliche, sondern im Wesentlichen um eine formale Prüfung durch die BaFin. Dafür ist eine Frist von 20 Werktagen, also von vier Wochen, gesetzt. Verstreicht diese Frist, soll der Prospekt - so sieht das unser Änderungsantrag vor - automatisch als genehmigt gelten. Das ist bedauerlicherweise abgelehnt worden. Ich appelliere hier aber sowohl an die Anbieter als auch an die BaFin, schon jetzt das Gespräch zu suchen, damit das Verfahren, wenn die neuen Regeln greifen, so transparent und auch technisch zu bewältigen ist, dass es zu keinen Verzögerungen kommt. Ich appelliere an die BaFin auch, die Frist von 20 Werktagen nicht als etwas zu verstehen, was auszuschöpfen ist, sondern so, dass drei, vier oder fünf Tage durchaus ausreichen, um einen Prospekt zu genehmigen, wenn klar ist, dass er den formalen Anforderungen genügt. ({5}) Wenn es zu einem solchen praktischen Umgang kommt, dann herrscht auch Vertrauen. Eine Kontrollinstanz muss kontrollieren. Sie kann aber auch im Vorhinein einfach vertrauensbildend tätig werden. Wenn das der Fall ist, dann ist weniger Kontrolle erforderlich. Das wünschen wir uns. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Olaf Scholz, SPDFraktion.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenwärtig geht es um mehrere Gesetzesvorhaben, die für die Kapitalausstattung der deutschen Wirtschaft sehr wichtig sind. Wer erreichen will, dass Menschen Geld in Unternehmen investieren, der muss sicherstellen, dass sie Vertrauen in ihre Entscheidungen haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Menschen Investitionen in Unternehmen mit Vertrauen tätigen. Aus meiner Sicht ist da etwas zu tun. Wir müssen nämlich feststellen, dass die Kapitalausstattung der deutschen Wirtschaft zu wünschen übrig lässt. Der Kapitalstock und die existierende Börsenkapitalisierung sind zu gering. Für uns ist es deshalb notwendig, Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, die es möglich machen, dass da mehr zustande kommt, dass die Menschen also mehr investieren. Es ist daher richtig, dass wir mit verschiedenen Gesetzen, insbesondere mit dem Bilanzrechtsreformgesetz und dem Bilanzkontrollgesetz - über diese Gesetze will ich sprechen -, die Voraussetzung dafür schaffen, dass das besser geschehen kann. Zu guten Investitionsbedingungen für die Unternehmen gehört aber auch, dass wir begreifen, dass die Finanzmärkte international geworden sind. Es ist angesichts dieser Tatsache richtig und notwendig, dass wir uns in internationale Entwicklungen einbeziehen, die es in diesem Bereich gibt. Die internationalen Finanzmärkte gehen immer mehr dazu über, für bestimmte Formen der Rechnungslegung gemeinsame Standards - wir kennen sie als International Accounting Standards zu entwickeln, was für die europäische und für die deutsche Gesetzgebung jetzt in wachsendem Maße eine Rolle spielt. Dass wir dem hier Rechnung tragen, ist nicht nur Formalismus oder der Glaube daran, es sei eine gute Idee, sich nach anderen zu richten. Es geht vielmehr unmittelbar um die Investitionsbedingungen für deutsche Unternehmen; es geht um die Möglichkeiten, sich zu refinanzieren. Deshalb ist es wichtig, dass der deutsche Kapitalmarkt so organisiert ist, dass er auch für internationale Anleger interessant ist, nachvollziehbar bleibt und dass er den Standards, die sich dort entwickeln, entspricht. ({0}) Ich glaube, es ist richtig, dass wir hier die Entscheidung treffen, dieser Entwicklung zu folgen, obwohl es sowohl bei diesem als auch bei späteren Gesetzgebungsvorhaben ein Problem bleiben wird, dass die Rechnungslegungsstandards, die vor allem für Konzerne gelten, nicht diejenigen sind, die wir sonst etwa nach handelsrechtlichen Kriterien oder steuerrechtlichen Kriterien vorschreiben. Wir werden die Differenz, die sich da auftut, beobachten müssen. Wir können es uns natürlich nicht so einfach machen, indem wir sagen: Wir haben dann eben unterschiedliche Standards, die nebeneinander und zugleich gelten. Vielmehr wird durch das, was als internationaler Rahmen gesetzt wird, Druck auf die verschiedenen nationalen Gesetzgebungen ausgeübt. Sich dem gegenwärtig nicht anzupassen ist eine richtige Entscheidung. Aber es ist eben auch richtig, dafür zu sorgen, dass unsere Konzerne international akzeptierte Rechnungslegungen vorweisen können, weil das aus den von mir geschilderten Gründen für ihre Finanzbedingungen, für ihre Investitionsbedingungen und für ihre Kapitalausstattung von zentraler Bedeutung ist. Parallel zu dieser Entwicklung findet etwas statt, was man als Angleichung im EU-Raum beschreiben kann. Auch das dürfen wir nicht nur als einen legalistischen Vorgang betrachten, also als etwas, das wir mitmachen, weil man es uns vorschreibt. Vielmehr geht es eben auch darum, wie gewährleistet werden kann, dass die sich internationalisierenden Finanzmärkte Vertrauen aufgrund angeglichener Bedingungen haben. Deshalb ist es richtig, sowohl diese EU-Vereinheitlichung durchzuführen, als auch sich in dem Rahmen, den ich eben beschrieben habe, an internationale Standards zu halten. Meine Ansicht ist daher, dass wir hiermit für das Vertrauen, für die Unternehmen und für ihre Investitionsbedingungen etwas Gutes tun. Das gilt auch für die weiteren Angelegenheiten, die im Rahmen der Wirtschaftsprüfung besprochen werden, zum Beispiel das EnforcementVerfahren, das beschrieben wird. Es kennt eine freiwillige Prüfungsmöglichkeit als erste Stufe. Letztlich gibt es auch Zwangsmaßnahmen der BaFin, wenn es darauf ankommt, die freiwillig nicht akzeptierte Lösung doch noch durchzusetzen. Auch das ist für die Kapitalmärkte wichtig. Wir alle sollten dafür werben, dass das nicht als Zwang betrachtet wird, sondern als etwas, das wichtig ist, um mehr Aktienkapital zu generieren, um die Ausstattung der Unternehmen in unserem Land zu verbessern und dazu beizutragen, dass sie nicht mehr in einer solchen Weise, wie das heute festgestellt werden muss, Nachteile gegenüber anderen Unternehmen haben. Der letzte Punkt, der zu diesem Gesetzgebungsvorhaben gehört, ist folgender: Wir tragen etwas dazu bei, dass die Abschlussprüfer unabhängig sind, dass alle Zweifel ausgeräumt werden, die in dieser Hinsicht entwickelt werden könnten, etwa Zweifel daran, ob denn die Wirtschaftsprüfer nicht doch in irgendeiner Weise von den Unternehmen, die sie zu prüfen haben, abhängig sind oder ob ihre Urteile wirklich sorgfältig abgewogen sind. Alles das wirkt ein bisschen trocken, ist aber möglicherweise für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes von großer Bedeutung. Deshalb hoffe ich, dass bei dem, was wir hier in erster Lesung zu beraten haben, das Gleiche gelingen wird, was uns beim Anlegerschutz gelungen ist, ({1}) nämlich dass die Gesetzgebung auf gemeinsamer Basis geschieht und letztlich die Finanzmärkte davon profitieren können. Schönen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSUFraktion. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich in meinem Beitrag zum einen mit der Bilanzrechtsreform und zum anderen mit den Bilanzkontrollgesetzen auseinander setzen, also mit zwei Gesetzentwürfen, die wir heute in erster Lesung beraten. Bei dem ersten Entwurf geht es im Wesentlichen um drei inhaltliche Punkte: Erstens sollen ab 2005 die so genannten kapitalmarktorientierten Firmen - dabei geht es um knapp 1 000 große Firmen - verpflichtet werden, ihren Jahresabschluss nach internationalen Maßstäben - die berühmte Abkürzung lautet: IAS - durchzuführen, während alle anderen Firmen - das ist ein sehr wichtiger Punkt - die Möglichkeit erhalten, zwischen den internationalen und den nationalen Vorschriften, das heißt: HGB, zu wählen. Nun muss man wissen, dass zwischen diesen beiden Vorschriften ein erheblicher Unterschied besteht. ({0}) Während sich die internationalen Vorschriften weitgehend am Zeitwert orientieren, geht es im HGB bekanntlich nach dem Niederstwertprinzip. ({1}) Ich bringe einmal ein Beispiel, das dies verdeutlicht. Nach HGB muss man eine Immobilie mit dem Anschaffungswert minus den laufenden Abschreibungen ansetzen. Das führt in der Praxis häufig dazu, dass eine wertvolle Immobilie mit 1 Euro in der Bilanz steht. Nach IAS würde sie mit dem Zeitwert in der Bilanz stehen. Von daher sind die IAS mit Sicherheit die gerechteren Standards; sie geben besser Auskunft über den aktuellen Wert. Wir müssen nur eines sehen: Sie eignen sich nicht für das Thema Steuer ({2}) und sie eignen sich auch nicht für das Thema Ausschüttung. Deshalb muss es hier bei den HGB-Grundsätzen bleiben. Die Frage, wie weit wir in dem Bereich zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz irgendwann generell etwas verändern müssen, bleibt dahingestellt. Der zweite Punkt ist die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer. Wir stimmen dem Vorschlag, so wie er jetzt lautet, noch nicht unbedingt zu. Es ist zwar, abstrakt gedacht, sehr gut, zu trennen und zu sagen: Wer die Wirtschaftsprüfung macht, darf sonst nichts machen. Nur ist die Praxis in vielen mittleren Firmen doch die: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft macht auch die Steuerberatung usw. Wenn man das auf verschiedene Gesellschaften verlagert, kann das zu erheblichen Kostensteigerungen führen; denn wer Informationen über einen Teil hat, der kann relativ leicht auch den anderen Teil erledigen. ({3}) Wir müssen deshalb die Auswirkungen auf die Firmen und auf die Wirtschaftsprüfer betrachten. Hier besteht, um es klar zu sagen, noch Gesprächsbedarf. Den dritten Punkt begrüßen wir ausdrücklich. Dabei geht es darum, im Zusammenhang mit der Frage „Handelt es sich um eine große, mittlere oder kleinere Unternehmung?“ die Schwellenwerte zu erhöhen. In der Praxis ist beispielsweise die Frage relevant: Muss die Unternehmung im Bundesanzeiger veröffentlichen oder nicht? Dies ist ein guter Beitrag, Bürokratie abzubauen und Kosten zu sparen. Mit mir selber kann man im Rahmen der Diskussion darüber sprechen, ob man die Schwellenwerte noch ein bisschen höher ansetzt. Mit dem anderen vorliegenden Gesetz, dem Bilanzkontrollgesetz, soll außer den beiden heute vorgeschriebenen Prüfinstanzen noch eine dritte installiert werden. Heute ist es bei den großen kapitalmarktorientierten Firmen so, dass der Wirtschaftsprüfer und - wie wir hoffen - der Aufsichtsrat prüfen. Jetzt soll eine dritte Instanz geschaffen werden. Wir begrüßen das ausdrücklich und finden es gut, dass dabei ein zweistufiges Verfahren vorgeschlagen wird. Zunächst einmal soll nämlich der Staat herausgelassen werden und es soll durch eine privatrechtliche Prüfstelle geprüft werden. Wie schnell die Wirtschaft handelt, sehen wir daran, dass die Prüfstelle schon existiert. Banken- und Versicherungsverbände sowie andere haben sie schon gebildet. Diese Prüfstelle soll in Aktion treten, wenn es Anhaltspunkte gibt; sie soll aber auch stichprobenartig vorgehen. Das ist aus meiner Sicht aus folgendem Grunde sehr wichtig: Es spricht sich herum, wenn irgendwo geprüft wird. Bei einer Prüfung, die erhebliche Auswirkungen auf eine Firma haben kann, kann so immer noch der Eindruck verbreitet werden, es handele sich um eine Stichprobenprüfung, die jede 100. oder 80. Firma betrifft. Auch das begrüßen wir. Im Normalfall müsste es so sein, dass, wenn die privatrechtliche - ich hätte fast gesagt: freiwillige - Prüfstelle zu dem Ergebnis kommt, dass etwas nicht in Ordnung ist, und die Firma es dann in einer vorgegebenen Frist beseitigt, die Sache erledigt ist. Wenn eine Firma mit dieser Stelle nicht zusammenarbeiten will oder nicht bereit ist, einen Fehler zu beheben, dann bleibt natürlich nichts anderes übrig, als dass die Finanzmarktaufsicht einschreitet. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Ich glaube, beide Gesetze sind wichtige Beiträge, dass der Finanzplatz Deutschland im internationalen Gefüge eine Spitzenposition halten kann. Außerdem wäre es sehr wichtig - diesbezüglich ist die heutige Debatte sehr erfreulich -, wenn es uns gelingen würde, über einen so sensiblen Bereich wie diesen eine sehr sachliche Diskussion zu führen und zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Ich vermute, dass das möglich ist. Für beide Gesetze ist ein Anhörungsverfahren vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass nach dem Anhörungsverfahren noch bei der einen oder anderen Frage Änderungsbedarf besteht. Deshalb appelliere ich insbesondere an die Kollegen von den Koalitionsfraktionen, die ja die Mehrheit haben, sich ähnlich wie bei dem Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, um einvernehmliche Lösungen zu bemühen. Dies wäre für den Finanzplatz Deutschland und für den sehr sensiblen Kapitalmarkt wichtig. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Danke. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute den Gesetzentwurf eines Anlegerschutzverbesserungsgesetzes in zweiter und dritter Lesung beraten und damit zum Abschluss bringen können. Ich begrüße nachhaltig, dass der Regierungsentwurf in allen Parteien auf breiten Konsens gestoßen ist. Dies zeigt, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages arbeiten gemeinsam daran, den Finanzplatz Deutschland zu fördern. Ich hoffe, dass dieser Konsens auch in Zukunft bei den noch anstehenden Vorhaben bestehen bleibt. Der federführende Finanzausschuss hat am 16. Juni 2004 eine Expertenanhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt. Wir haben die Ergebnisse der Anhörung und die Vorschläge des Bundesrates, obwohl es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, soweit möglich, berücksichtigt. Bezüglich des Inhalts des Gesetzentwurfes lässt sich festhalten, dass dieser im Wesentlichen aus drei Elementen besteht: Erstes Element ist die Umsetzung der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie. Mit der Umsetzung der EUMarktmissbrauchsrichtlinie haben wir weitere wesentliche Schritte unternommen, um die Integrität des Finanzplatzes Deutschland zu stärken. Die parlamentarische Diskussion hat sich in diesem Bereich im Wesentlichen auf drei Elemente fokussiert, und zwar auf eine stärkere Anlehnung des Gesetzentwurfs an die Marktmissbrauchsrichtlinie und die hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen der EU, auf den Umfang, in dem die Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gestärkt werden, und auf die Regelung für Journalisten. Bei den Kompetenzen der BaFin ist es uns gelungen, einen ausgewogenen Kompromiss zwischen dem berechtigten Schutz der Interessen der zu beaufsichtigenden Unternehmen und dem Anlegerschutz zu finden. Bei den Journalisten haben wir den uns durch die EU-Vorgaben gewährten Spielraum im Interesse des Berufsstandes und der Pressefreiheit gänzlich ausgeschöpft. Finanzanalysen von Journalisten werden danach ausschließlich nach den berufsständischen Vorgaben beurteilt. Dies gilt nur dann nicht, wenn Journalisten sich oder einem anderen durch unrichtige Angaben einen Vorteil verschaffen wollen. Es liegt nun an den Journalistenverbänden, adäquate und der gesetzlichen Regelung gleichwertige Regelungen für die Verbreitung und Erstellung von Finanzanalysen zu erarbeiten. Das Bundesministerium der Finanzen ist bereit, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Gleiches gilt selbstverständlich für die BaFin. Das zweite Element ist die Einführung einer Prospektpflicht auf dem so genannten grauen Kapitalmarkt. Wir verbessern damit die Produkttransparenz und erleichtern die Geltendmachung von Haftungsansprüchen. Damit wird der Anlegerschutz entscheidend verbessert. Kontrovers wurde die Frage der Genehmigung durch die BaFin diskutiert. Indem wir für die Emittenten einen Anspruch auf Genehmigungserteilung im Gesetz einräumen, haben wir deren Stellung nachdrücklich gestärkt. Hierdurch wurde ein adäquater Kompromiss zwischen dem Interesse der Emittenten an Planungssicherheit einerseits und dem Anlegerschutz andererseits gefunden. Die Prospektpflicht tritt, wie schon vom Kollegen Pronold ausgeführt wurde, zum 1. Juli 2005 in Kraft. Wir sind bestrebt, dem Bundestag ein Jahr nach InKraft-Treten dieser Regelung ein positives Ergebnis über die Genehmigungspraxis der BaFin vorlegen zu können. Als drittes Element sieht das Gesetz flexible Regelungen zur Zusammensetzung des Börsenrates im Börsengesetz vor. Hierdurch wird den Interessen der Spezialbörsen, aber auch der Repräsentanz ausländischer Marktakteure in Deutschland Rechnung getragen. Dies ist ein weiterer Beitrag zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland im internationalen Wettbewerb. Schließlich hat noch eine Regelung aus dem Bereich der offenen Vermögensfragen Eingang in die Gesetzesvorlage gefunden. Die Geltungsdauer für Grundstücksverkehrsgenehmigungen und Negativatteste ist verlängert worden. Auch dieses Vorhaben ist auf einen breiten Konsens gestoßen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das vorliegende Maßnahmenpaket, mit dem der Anlegerschutz im Bereich der Kapitalmarktinformation und der Schutz vor unzulässigen Marktpraktiken verbessert werden, ist ein weiterer Baustein zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland. Entsprechend seiner Bedeutung freue ich mich über eine breite Zustimmung, die ja von Ihnen allen hier schon angekündigt worden ist. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege KlausPeter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte werden gleich mehrere Gesetzentwürfe beraten. Neben den Themen Bilanzkontrolle, Bilanzrechtsreform und Verbesserung des Anlegerschutzes beraten wir heute auch die Veränderungen im Versicherungsaufsichtsgesetz. Nun wird manch einer sagen: Was habe ich als Normalbürger mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz zu tun? Das betrifft doch nur die Versicherungsgesellschaften und gegebenenfalls die Aufsichtsbehörde. - Nein, dieses Thema kann jeden einzelnen Bürger betreffen. In einem wichtigen Punkt dieses Gesetzes geht es um die Frage: Was passiert mit dem angesparten Vermögen aus einem Lebensversicherungsvertrag, wenn das Versicherungsunternehmen in Konkurs geht? In einem solchen Fall könnte die gesamte Altersversorgung des Einzelnen gefährdet sein. Bei dem Konkurs eines Krankenversicherungsunternehmens würde der volle Versicherungsschutz verloren gehen und gerade Ältere und Kranke hätten keine Chance mehr, einen Versicherungsschutz zu bekommen. Den meisten ist sicher noch der Fall der Mannheimer Lebensversicherung in Erinnerung, die vor kurzem nahezu insolvent war. Die Versicherungswirtschaft in Deutschland hat eine effiziente und freiwillige Selbsthilfe angeboten und die Mannheimer Lebensversicherung aufgefangen. Inzwischen ist auch die Berichtspflicht der Unternehmen verbessert worden. Es sind Stresstests eingeführt worden. Wie die Versicherungsbranche und auch das Versicherungsaufsichtsamt sagen, ist die Situation deutlich besser geworden. Gleichwohl wollen sowohl die Politik als auch die Versicherungswirtschaft aus den gewonnenen Erfahrungen heraus die bisher freiwillige Selbsthilfeorganisation auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Deshalb begrüßen wir seitens der Union diesen Gesetzentwurf. Die so genannten Auffanggesellschaften Protektor für die Lebensversicherungen und Medicator für die Krankenversicherungen können nämlich sicherstellen, dass die betroffenen Kunden ihren Versicherungsschutz behalten. In der ersten Lesung gibt es natürlich eine Reihe offener Fragen und inzwischen auch schon einige Differenzen. Unterschiedliche Meinungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Finanzierung. Die Bundesregierung will einen Sicherungsfonds einrichten und verlangt von den Versicherungsgesellschaften in Deutschland, diesen Sicherungsfonds mit über 500 Millionen Euro zu füllen. Der Bundesrat hat ein anderes Modell vorgeschlagen, nach dem die Versicherungswirtschaft erst bei Eintritt eines Versicherungsfalls entsprechend haftet und für die Sanierung eintritt. Es geht hier, im Grunde wie an vielen anderen Stellen des Versicherungsaufsichtsgesetzes auch, um das Thema der Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen. Es geht um die Frage, ob die Versicherungsbeiträge Eigenkapital sind, ob es sich dabei um eine deckungsstockfähige Kapitalanlage handelt oder ob die Versicherten an den Überschüssen beteiligt sind. Der Gesetzentwurf ist in der heute vorliegenden Form - der Bundesrat hat diesbezüglich eine deutlich abweichende Meinung vertreten - nicht zwingend erforderlich. Außerdem findet er in anderen Staaten keine Entsprechung. In Deutschland kennen wir aus dem Banken- und Wertpapierbereich die Einlagensicherung. Dieser Gesetzentwurf geht aber weit über die im Bankenbereich festgelegten Anforderungen hinaus und sollte deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, überprüft werden. Ich will die Problematik dieses Gesetzentwurfs anhand eines zweiten Beispiels erläutern. Es geht um die so genannten Rückversicherungsunternehmen. Bei Großschäden sind Versicherungsgesellschaften manchmal nicht in der Lage, den Schaden allein zu tragen. Deshalb versichern sich Versicherungsunternehmen bei anderen Gesellschaften, den so genannten Rückversicherern. In Deutschland haben die größten und ältesten Rückversicherungsunternehmen der Welt ihren Sitz. Diese Unternehmen sind allerdings nicht hauptsächlich in Deutschland, sondern weltweit tätig. Deshalb sind diese Unternehmen einem sehr scharfen Wettbewerb ausgesetzt. Wenn wir beim Versicherungsaufsichtsgesetz - das ist das Problem - beispielsweise die anrechenbaren Eigenmittel schärfer definieren, als es die Bestimmungen in der EU-Richtlinie vorsehen - ganz abgesehen von den Bestimmungen im internationalen Wettbewerb bei Nicht-EU-Staaten -, verschlechtern wir die Wettbewerbsbedingungen der in Deutschland niedergelassenen Rückversicherungsunternehmen und gefährden Arbeitsplätze in Deutschland. ({0}) Wir sollten von überzogenen Regulierungen im Versicherungsaufsichtsgesetz Abstand nehmen, wenn sie nur einem Selbstzweck dienen oder, wie bei Versicherungsholdinggesellschaften, bereits anderen Regelungen unterliegen. Im Übrigen sollten nur bedeutende Beteiligungen und keine Minderheitsbeteiligungen der Versicherungsaufsicht unterliegen. Wie bei allen heute zu beratenden Gesetzentwürfen geht es wieder einmal um Grundsätzliches: Was muss im Interesse des Verbraucherschutzes letztlich staatlich geregelt und geprüft werden, was regelt der Markt allein und was behindert den Markt und die wirtschaftliche Entfaltung in Deutschland? Hinsichtlich der Finanzaufsicht will ich zum Schluss noch einen anderen Bereich kurz ansprechen, den die Staatssekretärin im Finanzministerium, Frau Dr. Hendricks, bereits erwähnt hat. Es geht um die Prospektprüfungspflicht bei geschlossenen Fonds. Ich habe im Ausschuss deutlich gemacht, dass ich diesbezüglich eine abweichende Meinung vertrete. Es ist ganz klar, dass wir für die Prospektprüfungspflicht sind. Aber die im Gesetzentwurf vorgesehene Form der Prospektprüfungspflicht seitens der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist meines Erachtens grober Unfug, weil nicht der Anlegerschutz verbessert wird und keine inhaltliche Prüfung stattfindet, sondern ausschließlich die Inhaltsverzeichnisse der Prospekte auf Vollständigkeit geprüft werden. Sie sind unserem Vorschlag leider nicht gefolgt. Diese Regelung bedeutet im übertragenen Sinne, dass wir unsere Autos nicht mehr zum TÜV schicken, sondern die Bedienungsanleitung prüfen, und zwar nicht auf Richtigkeit, sondern auf Vollständigkeit ihrer Gliederung. Damit beschäftigen wir die Aufsichtsbehörden in Deutschland und erlauben ihnen eine 20-tägige Prüfungszeit. Durch diese überzogene Bürokratie verhindern oder verzögern wir letztendlich Großinvestitionen in Deutschland. Bei der weiteren Beratung dieses Versicherungsaufsichtsgesetzes geht es also darum, die Interessen der einzelnen Versicherten abzuwägen und eine vernünftige Aufsicht einzurichten, aber auch darum, das Interesse einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft im Auge zu behalten. Der Abbau von Bürokratie sollte nicht nur als gute Absicht auf dem Papier stehen bleiben. Ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Anlegerschutzes auf den Drucksachen 15/3174 und 15/3355. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3493, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Besetzung des Plenarsaals ist hinreichend übersichtlich, um auf die Gegenprobe verzichten zu können. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 15 b bis 15 d. Interfraktionell ist die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/3418, 15/3419 und 15/3421 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen worden. - Anderweitige Vorschläge dazu höre ich nicht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Siegfried Kauder ({1}), Dr. Norbert Röttgen, Andreas Storm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes - Drucksachen 15/1002, 15/3432 ({2}) Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Kirschner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich stelle dazu Einverständnis fest. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion hat der Kollege Karsten Schönfeld.

Karsten Schönfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003229, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unionsfraktion hat gemäß § 62 unserer Geschäftsordnung einen Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zum Beratungsstand des Änderungsgesetzes zum Opferentschädigungsgesetz beantragt. Die Voraussetzungen für einen solchen Antrag liegen zweifelsohne vor. Es ist also Ihr gutes Recht, diesen Wunsch hier zu äußern; verständlich ist er allerdings nicht. Wenn wir uns den Bericht des Ausschusses vom 28. Juni ansehen, dann stellen wir fest, dass am 10. März dieses Jahres im Ausschuss einvernehmlich beschlossen wurde, die Beratung des Gesetzentwurfs der Union zu vertagen. Seither hat keine der im Ausschuss vertretenen Fraktionen beantragt, die Vorlage erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Eigentlich ist es parlamentarischer Brauch, dass die Fraktion, die einen Antrag stellt oder einen Gesetzentwurf einbringt, auch ihr Recht wahrnimmt, diesen Antrag oder diesen Gesetzentwurf auf die Tagesordnung zu setzen. Sie haben in den letzten Sitzungswochen davon keinen Gebrauch gemacht. Wir haben Sie im Vorfeld der jetzigen Sitzungswoche sogar noch einmal auf diesen Umstand hingewiesen und Ihnen vorgeschlagen, das Thema in dieser Woche im Ausschuss zu beraten. Aber auch das haben Sie abgelehnt. Stattdessen beraten wir den Antrag gemäß § 62 unserer Geschäftsordnung heute Abend hier im Plenum. Das bedeutet: Wir beraten den Gesetzentwurf nicht inhaltlich. Es kommt zu keinem Abschluss im Ausschuss und die Sache zieht sich noch mehr in die Länge. Dem Anliegen selbst wird in keiner Weise Rechnung getragen. Allzu dringlich scheint Ihnen Ihre Gesetzesinitiative ohnehin nicht zu sein. Im Gegenteil: Es drängt sich uns der Verdacht auf, dass Sie hier wieder nur ein parlamentarisches Schaulaufen veranstalten wollen. Ich meine, das ist weder der Sache dienlich noch ist es insgesamt angemessen. Der Bericht des Ausschusses macht Folgendes deutlich: Die mitberatenden Ausschüsse - der Auswärtige Ausschuss, der Haushaltsausschuss, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der EU-Ausschuss - haben den Gesetzentwurf allesamt abgelehnt. Nur der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung haben noch nicht abschließend darüber beraten. Das hat auch seine Gründe. Im vergangenen Jahr haben wir, die Koalitionsfraktionen, einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht mit der Bitte an die Bundesregierung, zu prüfen, inwieweit das Opferentschädigungsgesetz auf deutsche Opfer von Verbrechen, die im Ausland begangen wurden, ausgedehnt oder wie auf andere Weise der Schutz verbessert werden kann. Dieser Antrag liegt federführend beim Rechtsausschuss, der jedoch noch nicht abschließend darüber befunden hat. Ich denke, wir alle - auch Sie von der Union - sollten ein Interesse daran haben, zu einer praktikablen und vielleicht auch einvernehmlichen Lösung zu kommen. Vor einer abschließenden Beratung gibt es eben noch eine Reihe von Fragen und Punkten inhaltlicher Art, die ungeklärt sind. ({0}) - Darauf komme ich jetzt. - Sie versuchen, die heutige Debatte zu nutzen, um uns vorzuwerfen, ({1}) wir würden uns nicht um deutsche Verbrechens- oder Terrorismusopfer im Ausland kümmern. Sie selbst wissen, dass das falsch ist. Jeder weiß, dass mit dem internationalen Terrorismus auch für die in alle Welt Reisenden die Gefahr gestiegen ist. Das haben die fürchterlichen Anschläge in Istanbul oder Madrid gezeigt. Die Bedrohung ist allgegenwärtig und die Gefahr, dass auch deutsche Staatsbürger verletzt werden, ist groß. Die Bundesregierung hat darauf reagiert. Auch in diesem Jahr werden außerplanmäßige Mittel in Höhe von 9 Millionen Euro in einen Hilfsfonds für Opfer von terroristischer Gewalt eingestellt. Aus dem Fonds können finanzielle Hilfen zur Milderung besonderer, unbilliger Härten gewährt werden. Er steht Personen offen, die in Deutschland oder im Ausland durch terroristische Straftaten verletzt wurden, aber auch Eltern, Kindern sowie Ehe- und Lebenspartnern von Opfern solcher Anschläge. Bisher wurden beispielsweise Härtefallleistungen an Opfer und Hinterbliebene der Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgezahlt. Das Gleiche gilt für Opfer und Angehörige der Anschläge auf Djerba am 11. April 2002 und auf Bali am 12. Oktober des gleichen Jahres. Meine Damen und Herren, ich betone es noch einmal: Wir stehen einer Verbesserung des Schutzes deutscher Opfer von Straftaten im Ausland offen gegenüber; das haben wir auch anlässlich der ersten Debatte zu Ihrem Gesetzentwurf erklärt. Aber wenn wir etwas machen, dann machen wir dies richtig. Dazu müssen noch eine Reihe von Fragen geklärt werden. ({2}) Wir müssen uns darüber unterhalten, wie sich eine Ausweitung des Opferentschädigungsgesetzes auf Auslandsstraftaten systematisch in das soziale Entschädigungsrecht der Bundesrepublik einarbeiten lässt. Wir müssen klären, welche Straftaten im Ausland das Gesetz umfassen soll. Begrenzt man die Entschädigung auf schwere Fälle wie Terroranschläge oder Ähnliches? Wie kann man eine sinnvolle Abgrenzung finden? Schließlich müssen wir uns überlegen, wie es mit der Selbstgefährdung aussieht. Muss der Staat die Verantwortung für Touristen übernehmen, die sich selbst in riskante Situationen in gefährlichen Ländern begeben? All diese Fragen sind zu klären. Sie als Opposition geben darauf in Ihrem Gesetzentwurf keine Antwort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?

Karsten Schönfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003229, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich halte die Debatte heute insgesamt für unnötig und will sie nicht noch durch Zwischenfragen unnötig verlängern. ({0}) Ich sagte, eine Reihe von Fragen sei noch zu klären. Sie als Opposition geben in Ihrem Gesetzentwurf darauf leider keine Antworten. Anstatt die Sache im Ausschuss zu beraten, stellen Sie hier im Plenum einen Antrag zur Erstellung eines Berichtes, was nun wirklich überhaupt niemandem nützt. Ihr Verhalten ist durchsichtig. Pünktlich zur Urlaubsund Reisezeit wollen Sie versuchen, mit diesem Thema zu punkten. Aber es wird Ihnen nicht gelingen, uns hier den schwarzen Peter zuzuspielen. Sie haben Ihren Gesetzentwurf eingebracht; dann müssen Sie die Beratungen selbst vorantreiben. Es ist nicht Aufgabe der Koalition, die Initiativen der Opposition vorwärts zu bringen. Wir machen lieber unsere eigenen und die dafür richtig. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schönfeld, nachdem Sie, wohl aus gutem Grund, eine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, können wir das Problem ja mit meinem Redebeitrag klären. Ich empfehle Ihnen, § 2 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes nachzulesen. Dann sehen Sie, dass es dort Versagungsgründe gibt, die auch dann wirksam werden, wenn ein deutscher Tourist in ein Krisengebiet reist. Siegfried Kauder ({0}) Manchmal ist das Lesen eines Gesetzes besser, als Fragen aufzuwerfen, die schon beantwortet worden sind. ({1}) Meine Damen und Herren, die erste Initiative - das sollte man fairerweise auch einmal sagen - ging von der FDP aus. Die FDP hat die Bundesregierung aufgefordert, im Hinblick auf die Attentate in New York, auf Djerba und Bali das Opferentschädigungsgesetz zu überarbeiten. Das war sicherlich nicht populistisch, sondern den damaligen Ereignissen angemessen. Ich erlaube mir daran zu erinnern, was der scheidende Bundespräsident heute Morgen gesagt hat. Er sagte, seine schwierigste Rede sei die nach dem Amoklauf im Gutenberg-Gymnasium in Erfurt gewesen, den Hinterbliebenen dieser Opfer sagen zu müssen, dass das ein schreckliches Ereignis gewesen ist, das keiner hat verhindern können, und dass sie unser aller Mitleid, unser aller Zuwendung und unser aller Fürsorge bedürfen. Die Hinterbliebenen dieses Attentats in Erfurt sind - bei allem Leid, das wir beklagen müssen - besser gefahren als die Hinterbliebenen der Opfer in New York, auf Djerba und Bali; denn nur wenn eine Straftat in Deutschland begangen worden ist, besteht ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz. Warum bekommen die Hinterbliebenen der Opfer der Attentate in New York, auf Djerba und Bali keine Opferentschädigung? Man kann das rechtsdogmatisch damit zu begründen versuchen, dass man sagt, der Entschädigungsanspruch sei daran geknüpft, dass das staatliche Gewaltmonopol versagt habe und der Schutz des Staates vor Attentaten nicht gelungen sei. Das wird immer wiederholt, aber deswegen ist es nicht wahrer. Es ist falsch. Es ist einer Entscheidung des Bundessozialgerichts entnommen. Ich empfehle, das Bundestagsprotokoll der Sitzung vom 21. Juli 1971 nachzulesen. Die Motivation des Gesetzgebers war eine ganz andere. Man hatte nämlich erkannt, dass die Hinterbliebenen und die überlebenden Opfer von Gewalttaten der Hilfe der Solidargemeinschaft bedürfen und man sie aus sozialen Gründen unterstützen muss. Deswegen ist das Opferentschädigungsgesetz beim Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung richtig aufgehoben; es gehört nicht zum Justizministerium. Meine Damen und Herren, vor dramatischen Ereignissen, bei denen viele Menschen ums Leben gekommen sind, verblasst das Einzelschicksal allzu schnell. Am 27. November 2001 verstarb Ruth T. auf den Kapverdischen Inseln. Sie starb keines natürlichen Todes, sie wurde von einem geisteskranken Täter erschossen. Die Tochter überlebte schwer verletzt. Der hinterbliebene Rentner und Vater der Tochter hat sich hilfesuchend an den Petitionsausschuss gewandt. Die Aufzählung der Bedürfnisse dieses hinterbliebenen Ehemannes und Vaters der geschädigten Tochter klingt nahezu makaber: Wer zahlt mir die Kosten für die Überführung des Leichnams meiner Frau? Wer ersetzt mir die unnütz aufgewendeten Flugkosten der Rückreise? Wer kümmert sich um meine traumatisch geschädigte Tochter, die aufgrund dieses Ereignisses nicht mehr arbeiten kann? Fehlanzeige. Da hört die Solidarität des deutschen Staates auf. Es war eine Auslandstat und deshalb besteht kein Entschädigungsanspruch. Was schreibe ich diesem Ehemann und Vater? Seit Monaten liegt diese Akte mit dem Petitionsersuchen auf meinem Schreibtisch. Ich hoffe immer, berichten zu können, dass der Deutsche Bundestag dieses Problem nicht vor sich her schiebt, sondern entscheidet. ({2}) Herr Kollege Schönfeld, ich finde es wenig sensibel, wenn Sie vor diesem Hintergrund glauben, uns und insbesondere mir den Vorwurf machen zu können, wir würden dieses Thema aus populistischen Gründen genau vor der Ferienzeit wieder aufgreifen. Der Hintergrund ist ein ganz anderer, den Sie möglicherweise nicht kennen können. In der Tat war es so, dass wir von der CDU/CSUBundestagsfraktion uns in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses bereit erklärt haben, den Tagesordnungspunkt Opferentschädigungsgesetz wieder einmal zu vertagen, und zwar weil die Regierungskoalition Bedenken angemeldet und erklärt hat, man müsse noch einiges miteinander diskutieren, man werde aber rechtzeitig vor der Sommerpause einen Alternativentwurf vorlegen. Ich sah es als eine Frage der Fairness an, den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen die Gelegenheit zu geben, ihre Bedenken zu artikulieren. Nur, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich höre keine Bedenken. Es gehört dann auch zur Fairness, dass man - vielleicht berechtigterweise vorhandene - Bedenken artikuliert, so wie sie von Herrn Kollegen Montag bei der Debatte im Bundestag vorgebracht worden sind, nämlich dass man auch die europäischen Ausländer, die in Deutschland wohnen, am Opferentschädigungsgesetz partizipieren lassen muss, wenn die Straftat im Ausland stattgefunden hat. Sie wissen es, Herr Kollege Montag: Ich habe Ihr Anliegen sofort in unseren Entwurf eingebaut. Nicht reagieren ist das Hinterhältige, Herr Kollege Schönfeld; darüber bitte ich nachzudenken. Wir sind den Hinterbliebenen der Opfer von Straftaten verpflichtet; wir müssen reagieren. Ich habe mir - ich war bei der Entwicklung dieses Entwurfes federführend - sehr viel Mühe gegeben, das in die bestehende Gesetzessystematik einzubauen; die Versagungsgründe brauchte ich nicht aufzunehmen. Deswegen verletzt mich Ihre Häme, die Sie dabei entwickelt haben. ({3}) Ich habe das Opferentschädigungsgesetz genau verfolgt. Ich lasse mir den Schuh, ich würde die jetzige Debatte aus populistischen Gründen wollen, nicht anziehen. ({4}) Opfer von Straftaten sind nicht nur Opfer terroristischer Angriffe. Ruth T. stand keinem Terroristen gegenüber. Die Sachlage ist nicht anders als bei dem jungen Mann, der mit einer vorgehaltenen Langwaffe das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt gestürmt hat. Der UnterSiegfried Kauder ({5}) schied liegt nur darin, dass der Vorfall auf den Kapverdischen Inseln stattfand und nicht in Deutschland. Ich greife das Angebot meiner Kolleginnen und Kollegen des Rechtsausschusses sehr gerne auf - Herr Kollege Montag, dafür bin ich Ihnen außerordentlich dankbar -, dass wir uns möglichst in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause zusammensetzen. Ich wäre Ihnen allerdings sehr verbunden, wenn Sie mir rechtzeitig die Bedenken anzeigen, die Sie noch haben; denn ich bin der Meinung, die Hinterbliebenen der Opfer von Straftaten und die überlebenden Opfer haben einen Anspruch darauf, dass wir - damit meine ich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages - Solidarität zeigen und nicht den Eindruck erwecken, wir würden Geschäftsordnungsdebatten führen. Das ist nicht mein Anliegen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es gibt bei den Anträgen nach § 62 der Geschäftsordnung, wegen Untätigkeit hier Bericht zu erstatten, solche und solche Anträge. Ihr Antrag bezüglich Graffiti gehörte zu der ersten Sorte; das war der Pausenfüller für die Sommerpause. Herr Kollege Schönfeld, ich bin aber dafür, diesen Antrag etwas nachdenklicher zu diskutieren. ({0}) Ich glaube, dass es Sinn macht, wenn wir alle uns selbstkritisch überlegen, warum das eigentlich so lange dauert. Ein bisschen hängt das damit zusammen - ich will keinem Unrecht tun, aber ich habe das Gefühl, dass es so ist -, dass diejenigen, die sich im Hause bei diesem Thema nach vorne bewegen, eher die Rechtspolitiker sind. ({1}) Die ersten beiden Namen auf dem Antrag von Ihnen, Herr Kollege van Essen, waren von Rechtspolitikern. Der Antrag, den die Koalition eingebracht hat, trägt auch am Anfang die Namen von Rechtspolitikern - der SPD und von uns, den Grünen. Dann passierte etwas, was für die Sachbehandlung nicht so günstig war: Der Gesetzentwurf wanderte zum Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung; da gehört er auch hin. Aber die beiden Anträge, der von Ihnen, Herr Kollege van Essen, von der FDP, und auch der von uns, von der Regierungskoalition, wanderten zum Rechtsausschuss. Das ist keine gute Situation. Ich finde, wir sollten angesichts der Bedeutung dieses Themas zusehen, hier wieder Fahrt aufzunehmen. Wir sollten aber vielleicht auch in einer Diskussion nach § 62 der Geschäftsordnung einige Worte zur Sache verlieren. Ich habe eine gar nicht so alte Stellungnahme der Bundesregierung vom 31. Oktober 2003, in der darauf verwiesen wird, dass das Opferentschädigungsgesetz angeblich nur diejenigen schützen könne, die der deutsche Staat - durch sein Gewaltmonopol schützen könne. Deswegen sei es nicht möglich, Vorfälle im Ausland mit einzubeziehen. Herr Kollege Ströbele hat in der Debatte dazu auf den Fall in Mölln hingewiesen. Da sind Besucher der Familie Genç aus der Türkei in Deutschland Opfer eines Verbrechens geworden. Sie waren in Deutschland, aber der Schutz des deutschen Staates konnte nicht gewährt werden. Das Opferentschädigungsgesetz griff für diese Menschen nicht. Das ist der erste Punkt, den wir im Gesetz haben wollen; er ist bis jetzt nicht im Gesetzentwurf enthalten, auch, wie ich glaube, in Ihrem Vorschlag nicht. Der zweite Punkt: Wir versuchen zwar, Opfern terroristischer Anschläge mit einem eigenen Fonds zu helfen. Aber im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes geht es auch um die normale, gemeine Kriminalität. Da muss man unterscheiden - das kann man nach dem geltenden Recht auch ob sich jemand sehenden Auges in ein Krisengebiet begibt und ihm dann etwa im Dschungel von Borneo irgendein Leid geschieht - tut mir Leid, dem kann man vielleicht nicht so helfen - oder ob jemand, der eine Pauschalreise macht, beim Besuch einer Synagoge im Mittelmeerraum Opfer einer Straftat wird. Die müssen wir gemeinsam klären; das ist bisher noch nicht geschehen. Ich finde, es muss ein anderer Ansatz her; das wäre mein drittes und letztes Argument: Wir sollen im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes dazu kommen, eine letzte Schutzpflicht für diejenigen Opfer zu übernehmen, die in Deutschland als deutsche Staatsangehörige oder mit gesichertem Aufenthaltsstatus - als „faktische Inländer“, wie ich sie nenne - leben und im Auslandsurlaub Opfer von Straftaten werden. Ihre Ausführung, Herr Kollege Kauder, mit dem Hinweis auf das geltende Recht bezieht sich nur auf die Ausländer aus der EU. Ich möchte gerne, dass diejenigen Menschen - egal welcher Staatsangehörigkeit -, die in Deutschland ihre Heimat haben, die hier seit Geburt oder schon sehr lange Zeit leben, wenn sie im Auslandsurlaub Opfer einer Straftat werden, so behandelt werden wie deutsche Staatsangehörige auch. ({2}) Das sind die drei Punkte, die ich gerne in die Neufassung des Opferentschädigungsgesetzes aufnehmen würde. Ich sage es ausdrücklich: Ich bedaure es außerordentlich, dass wir noch nicht weitergekommen sind. Es ist der Sache nicht angemessen, irgendjemandem die Schuld zuzuweisen. Ich fände es gut, wenn wir uns nach der Sommerpause zusammensetzen und gemeinsam an der Sache arbeiten würden. Danke. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erteile ich dem Kollegen Jörg van Essen für die FDP-Fraktion das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des Kollegen Montag hat gezeigt, wie man sich auch aufseiten der Koalition dem Thema widmen kann. Herr Schönfeld, ich habe schon seit langem keine Rede mehr gehört, die einem Thema so wenig angemessen war wie Ihre. Sie haben sich darin gefallen, Vorwürfe gegen die Opposition zu erheben, die völlig unberechtigt sind. Der Kollege Kauder hat die Vorwürfe beeindruckend widerlegt. Weil uns wichtig war, dass Opfer von Terroranschlägen, beispielsweise auf Djerba und Bali, nicht auf Almosen, auf Gnadenentscheidungen, die immer Zahlungen aus einem Fonds zugrunde liegen, angewiesen sind, sondern einen Rechtsanspruch haben, den sie auch einklagen können, haben wir schon vor zwei Jahren die Bundesregierung aufgefordert, tätig zu werden. All die Fragen, die zum Teil berechtigterweise gestellt worden sind, hätten längst beantwortet werden können. ({0}) So kompliziert, wie dies zum Teil in der Debatte angeführt worden ist, muss man das nicht lösen. Unsere österreichischen Nachbarn haben eindrucksvoll vorgemacht, dass man offensichtlich zu Lösungen kommen kann, bei denen sichergestellt ist, dass bei Straftaten im Ausland der gleiche Schutz gewährt wird wie im Inland. Herr Montag, wenn es Ihnen gelingt, innerhalb der Koalition durchzusetzen, dass auch Personen, die über einen verfestigten Aufenthaltstatus verfügen, unter den Schutz fallen, dann haben Sie selbstverständlich unsere Unterstützung; denn auch diese Personen sind Opfer. Ich bin ganz sicher, Herr Kauder, dass auch Sie einer solchen Lösung zustimmen würden. Von daher ein klares Ja zu Ihren Vorstellungen. Wir befinden uns aber in der Verpflichtung, hier schnell zu Ergebnissen zu kommen. ({1}) Djerba und Bali haben gezeigt: Deutsche sind Reiseweltmeister. Wenn irgendwo von islamistischen Fundamentalisten ein Anschlag verübt wird, sind immer auch Deutsche betroffen, und zwar schlimm. Die Opfer solcher Anschläge haben Anspruch darauf, dass wir die Frage, die sich hier stellt, warum sie nämlich nicht in gleicher Weise geschützt werden wie Terroropfer im Inland, beantworten. Wir werden Druck machen. Ich bin ganz sicher, Herr Kauder, dass Sie dabei mitmachen. Es ist das Angebot unterbreitet worden, unmittelbar nach der Sommerpause zu einer Lösung zu kommen. Frau Hendricks vom Finanzministerium ist hier. Ich hoffe, das Finanzministerium macht mit; auch Sie stehen in der Verantwortung. Wenn es tatsächlich so ist, dass wir eine Lösung finden, dann hat sich im Übrigen gezeigt, Herr Schönfeld, dass die heutige Debatte nicht überflüssig war. Vielmehr sind wir ein Stück vorangekommen. Ich bin dankbar, dass wir diese Debatte führen konnten. Die FDP wird kräftig dabei mithelfen, dass in Zukunft Opfer von Straftaten im Ausland genauso geschützt sind wie Opfer von Straftaten im Inland. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/3279 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Daniel Bahr ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes ({3}) - Drucksache 15/2482 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) - Drucksache 15/3486 Berichterstattung: Abgeordnete Anton Schaaf Jutta Dümpe-Krüger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Riemann-Hanewinckel.

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute Abend die zweite und dritte Lesung des Zivildienständerungsgesetzes haben. Das Parlament hat sehr zügig beraten. ({0}) Dafür danke ich ganz herzlich allen Beteiligten. ({1}) - Es lohnt sich, dafür zu klatschen. Die Änderungen, die wir heute Abend auf den Weg bringen, sind sinnvoll und notwendig für die Zivildienstleistenden, genauso aber auch für alle diejenigen, die ihren Zivildienstleistenden dringend brauchen. Die erste und wichtigste Änderung, die wir vornehmen, ist zugleich eine zentrale Forderung der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland“, die die Ministerin Renate Schmidt eingesetzt hat. Am 15. Januar 2004 hatte die Kommission ihre Empfehlungen vorgelegt. Die parlamentarische Begleitgruppe der Kommission und der Bundesrat hatten die gleiche Forderung erhoben: Die Dauer des Zivildienstes darf die Dauer des Grundwehrdienstes nicht überschreiten. In Zukunft dauert der Zivildienst so lange wie der Grundwehrdienst. Das verfassungsrechtlich gebotene Belastungsgleichgewicht von Wehrdienst und Zivildienst erfordert keine längere Zivildienstdauer mehr. Ich möchte aber auch auf die anderen Punkte noch kurz eingehen: Zweiter Punkt. In Zukunft werden die Wehrpflichtigen - das sind Wehrdienst- und Zivildienstpflichtige - in der Regel nur noch bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres einberufen. Die bisher bestehende Regelaltersgrenze von 25 Jahren wird also auf 23 Jahre abgesenkt. Dritter Punkt. Wehrpflichtige, die nach Erlangung der allgemeinen Hochschul- oder Fachhochschulreife eine betriebliche Ausbildung aufgenommen haben, werden auf Antrag zurückgestellt. Vierter Punkt. Die so genannte Dritte-Söhne-Regelung wird ergänzt. Auch dritte Söhne, deren Brüder Zivilschutz oder Katastrophenschutz, einen anderen Dienst im Ausland oder aber ein freiwilliges Jahr nach § 14 c Zivildienstgesetz absolviert haben, sind auf Antrag vom Zivildienst zu befreien. Der im Fachausschuss beschlossene Änderungsantrag geht sogar noch ein Stück darüber hinaus. Zum fünften Punkt. Es gilt außerdem: Wer verheiratet ist, eingetragener Lebenspartner ist oder die elterliche Sorge gemeinsam oder als Alleinerziehender ausübt, wird in Zukunft auf Antrag ebenfalls vom Zivildienst befreit. ({2}) Sechster Änderungspunkt. § 36 a Zivildienstgesetz wird aufgehoben. Inhalte der Seminare werden in die Einführungslehrgänge nach § 25 a Zivildienstgesetz integriert. Wir ermöglichen so die Einführungslehrgänge für alle Zivildienstleistenden. Alle Zivildienstleistende werden künftig eine Woche in politischer Bildung unterwiesen werden. ({3}) Wer will, kann auch in Zukunft privat angebotene Seminare, die dem bisherigen § 36 a Zivildienstgesetz entsprechen, von sich aus besuchen. Zum siebten Änderungspunkt. Zu der bisherigen so genannten Drittel-Regelung ist zu sagen, dass sich eigentlich nichts ändert, sondern dass Klarheit geschaffen wird. Im Fachausschuss ist das noch deutlicher diskutiert und geklärt worden. ({4}) Das heißt, wir werden das in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und der Praxis jetzt auch im Gesetz regeln. ({5}) An dieser Stelle bleibt also alles beim Alten, aber es wird endlich verständlicher. Zum achten Änderungspunkt. Im Bereich der freiwilligen Jahre nach § 14 c Zivildienstgesetz wird der Urlaubsanspruch von 24 Tage auf 26 Tage heraufgesetzt. Zum neunten Änderungspunkt, der aus meiner Sicht einer der wichtigsten ist. Wir werden die freiwilligen Jahre auch in Zukunft über den Kinder- und Jugendplan und über § 14 c Zivildienstgesetz sehr stark fördern. Unser Engagement ist auch im europäischen Vergleich wirklich gut und beispiellos: Derzeit werden etwa 16 Millionen Euro aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes und 11 Millionen Euro aus den Mitteln des Bundesamtes für den Zivildienst für die gesetzlich geregelten Freiwilligendienste „freiwilliges soziales Jahr“ und „freiwilliges ökologisches Jahr“ zur Verfügung gestellt. Bis zum Ende des Haushaltsjahres werden voraussichtlich sogar über 12 Millionen Euro aus Zivildienstmitteln nach § 14 c Zivildienstgesetz für das freiwillige soziale Jahr und das freiwillige ökologische Jahr zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt werden also 18 500 Plätze über den KJP und über § 14 c Zivildienstgesetz gefördert bzw. bezuschusst. Unser Engagement wird an dieser Stelle auch in Zukunft hoch bleiben. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im parlamentarischen Verfahren sind noch weitere Änderungen zum Entwurf der Bundesregierung beschlossen worden. Mein Kollege Andreas Weigel und die Kollegin DümpeKrüger werden noch intensiv darauf eingehen. Uns liegt jetzt eine Gesetzesänderung vor, die von den unterschiedlichsten Seiten gewollt wurde. Es ist ein sinnvoller und notwendiger Gesetzentwurf, er ist ausgewogen und bedacht. Deshalb bitte ich Sie heute Abend um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger, CDU/ CSU-Fraktion.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, es wird Sie überraschen, aber ich stimme mit einer Bemerkung, die Sie gemacht haben, überein, nämlich dass dieses Gesetz bedacht sei. ({0}) Es ist sogar durchdacht. Ich habe bei vielen Debatten zum Zivildienst, die wir in diesem Haus miteinander geführt haben, mehrmals erklärt, dass mir hinter dem, was Sie tun, ein stringentes Konzept fehle. Ich muss diese Aussage am heutigen Tag insoweit korrigieren, als mir mittlerweile aufgegangen ist, dass hinter Ihrem Handeln sehr wohl ein Konzept steckt. Sie versuchen einer Debatte auszuweichen, die Sie seit 1998 längst hätten führen müssen: Sind wir nun für oder gegen die Wehrpflicht? Da Sie diese Debatte aus den bekannten Gründen nicht führen, versuchen Sie über das Vehikel Zivildienst Fakten zu schaffen, die Sie anschließend dieser Debatte entheben. Das ist nicht in Ordnung. ({1}) Wir kennen die unterschiedlichen Positionen in dieser Koalition und auch in diesem Kabinett. Ich nenne beispielsweise den Bundesminister der Verteidigung und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es wäre dem Thema angemessen gewesen, wenn Sie endlich den Versuch unternommen hätten, diese Positionen klar darlegen. Stattdessen schaffen Sie Fakten, die Sie, wie gesagt, dieser Diskussion entheben. Dabei wäre es interessant gewesen, einen Blick in die Begründung zu werfen, die das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil gegeben hat. Es hat dabei eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1993 zitiert. Dort steht, dass „eine erhebliche und andauernde Abnahme des Bedarfs der Bundeswehr an Wehrpflichtigen dem Gesetzgeber für den Fall der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht unter dem Blickwinkel des Gebots der Wehrgerechtigkeit zwingenden Anlass geben“ soll die Wehrdienstausnahmen und zugleich das Verhältnis von Wehr- und Zivildienst … neu zu regeln, um die von der Verfassung gebotene umfassende und gleichmäßige Heranziehung aller Wehrpflichtigen zu einer Dienstleistung sicherzustellen. ({2}) Wohlgemerkt: Es ist die Rede von der Heranziehung aller Wehrpflichtigen; es ist nicht die Rede von einer rechnerischen Gerechtigkeit in Bezug auf diejenigen, die zum Wehrdienst oder Zivildienst herangezogen werden. Denn das ist ein großer Unterschied. Dieser Debatte weichen Sie nach wie vor aus. ({3}) Interessant ist auch Folgendes: Wenn Sie sich an die vielen Debatten erinnern, die wir geführt haben, seit Sie den Zivildienst von damals 13 auf zunächst elf, dann auf zehn und jetzt auf neun Monate verkürzt haben, dann fällt auf, dass sich die Position der Verbände zu der ursprünglichen Verkürzung von 13 auf elf Monate von der heutigen Position insoweit unterscheidet, als die Verbände offensichtlich bereits zur Kenntnis genommen haben und in ihre Planungen einbeziehen, dass der Zivildienst ein Auslaufmodell ist. Dass sich die Verbände nicht massiv gegen diese erneute Kürzung gewehrt haben, mögen Sie der vermeintlichen Tatsache zuschreiben, dass sie Ihre Politik akzeptieren. Tatsache - das werden Sie in Gesprächen in den Wahlkreisen vor Ort feststellen - ist, dass sich die Verbände damit abgefunden haben, dass der Zivildienst ein Auslaufmodell ist und sie deswegen bereits für eine Zukunft ohne Zivildienst planen. ({4}) Wenn man Papiere, die man gelesen hat, nicht wegwirft, sondern aufbewahrt, beispielsweise den Koalitionsvertrag von 2002, und sie noch einmal liest, dann wird man über den Inhalt überrascht sein. Nun ist dieser Vertrag zwar schon zwei Jahre alt, aber ich darf nichtsdestoweniger daraus zitieren. Dort steht: Der Zivildienst als staatlicher Pflichtdienst wird zukünftig stärker als qualifizierender Lerndienst für junge Männer ausgestaltet. Dazu wird den Zivildienstleistenden im Rahmen ihres Dienstes ein breit gefächertes Qualifizierungsangebot in sozialen, ökologischen und politischen Themenfeldern angeboten werden. Die Einführungslehrgänge werden fortgeführt. Nun stellen wir jedoch fest, dass § 36 a des Zivildienstgesetzes gestrichen wird. Das passt wohl nicht ganz zusammen. ({5}) Wir können uns gerne darüber unterhalten, wo wir effizientere Strukturen schaffen und wo wir verschlanken. Aber wenn Sie den Einführungslehrgang und den staatsbürgerlichen Unterricht für Zivildienstleistende - das sind bisher zwei Paar Stiefel - zusammenfassen, dann ist klar, dass sowohl quantitativ als auch qualitativ die neue Regelung mit der alten Regelung nicht identisch sein kann. Sie müssen sich an dem messen lassen, was Sie selbst im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Von dieser Stelle aus hat heute Morgen jemand eine Rede gehalten, die bei allen Fraktionen in diesem Hause zu Recht auf großen Beifall gestoßen ist. Eines ist interessant, vor dem Hintergrund der Reformdiskussion, die wir alle unter den veränderten Bedingungen zu führen haben: Sie verkürzen die Dienstzeit von zehn auf neun Monate, aber - bei allem Respekt vor Zivildienstleistenden - erhöhen gleichzeitig den Urlaubsanspruch von 24 auf 26 Tage. Das passt nicht ganz zusammen. ({6}) Das ist kein guter Tag für den Zivildienst in Deutschland. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dümpe-Krüger, Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dörflinger, ich fange mit einer Berichtigung an. Wenn Sie zugehört hätten, dann wüssten Sie - das hat Frau Riemann-Hanewinckel schon gesagt -, dass künftig alle Zivildienstleistenden an diesen Einführungslehrgängen teilnehmen. Bisher waren das 5 Prozent. Heute ist im Gegensatz zu dem, was Sie gerade dargestellt haben, ein sehr guter Tag für den Zivildienst und auch für die Freiwilligendienste in Deutschland. Heute ist auch ein guter Tag für Rot-Grün, denn wir haben es mit dem Zweiten Zivildienstgesetzänderungsgesetz und drei Änderungsanträgen geschafft, aus einem guten Gesetz ein noch viel besseres Gesetz zu machen. Wir schaffen Rechtssicherheit für viele junge Männer. ({0}) Wir definieren gezielt, wer künftig noch Wehr- oder Zivildienst leisten muss. Damit machen wir Lebenswege planbarer. Wir beginnen zukunftsweisend damit, den Übergang für die Zeit nach dem Wehr- oder Zivildienst zu organisieren. Denn wir wollen den Dreiklang gestalten, besteht aus: Ausbau der freiwilligen Dienste, Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und Innovation durch neue Arbeitsplätze. ({1}) Ein ganz wesentlicher Punkt dieses Gesetzes ist zweifelsohne die Verkürzung des Zivildienstes von zehn auf neun Monate. Damit hat Rot-Grün einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden getan. Wir sind aber bei diesem Ansatz nicht stehen geblieben. Frau RiemannHanewinckel hat zahlreiche Beispiele für weitere Änderungen genannt. Wir haben uns noch mehr vorgenommen und wir haben das auch umgesetzt. Wir haben gesagt, dass wir die Freiwilligendienste stärken wollen. Deshalb erkennen wir bürgerschaftliches Engagement an und bauen es aus. Trotz schwieriger Haushaltslage haben wir die Mittel für die Freiwilligendienste nach § 14 c Zivildienstgesetz gesichert. Damit gewährleisten wir, dass die Einsatzstellen auch weiterhin ihre pädagogisch wichtige Arbeit durchführen können, und stärken auch die wachsende gesellschaftspolitische Akzeptanz dieser Dienste. Wir Grüne werden maßgeblich weiter daran arbeiten, eine lebendige Zivilgesellschaft zu entwickeln. Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um unsere Vision von einer starken Zivilgesellschaft zu verwirklichen. ({2}) Wir wollen größtmögliche Gerechtigkeit bei den Einberufungskriterien. Deswegen haben wir mit unseren Änderungsanträgen dafür gesorgt, dass die Kriterien für junge Männer, die ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium absolvieren, noch genauer definiert wurden, als es der ursprüngliche Gesetzentwurf vorsah. Wir wollen bürgerschaftliches Engagement anerkennen und ausbauen. Deswegen schaffen wir auch für junge Frauen Anerkennung und sagen: Dritte Brüder, deren zwei Geschwister ein freiwilliges Jahr entsprechend den Gesetzen abgeleistet haben, werden nicht mehr eingezogen. ({3}) Das bedeutet: Auch das freiwillige Engagement von jungen Frauen wird in besonderem Maße anerkannt. Das stärkt bürgerschaftliches Engagement und sorgt außerdem für mehr Gleichberechtigung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Präsident. Ich gestatte eine Zwischenfrage. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin, ich freue mich, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen. Meine Zwischenfrage ist auch sehr kurz. Die Grünen sind seit Jahren für ihre Wählerschaft mit dem Ziel angetreten, die Wehrpflicht abzuschaffen. Warum zementieren Sie mit diesem Gesetz die Wehrpflicht? ({0})

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir zementieren nicht die Wehrpflicht, Frau Lenke; vielmehr benennen wir Beispiele und schaffen Rechtssicherheit. Das habe ich eben schon ausgeführt. Das, was Sie in Ihrer gestrigen Pressemitteilung veröffentlicht haben, ({0}) ist nicht richtig. Ich zitiere: Die rot-grüne Bundesregierung will morgen im Deutschen Bundestag die von zwei Verwaltungsgerichten festgestellte rechtswidrige Einberufungspraxis zu Wehr- und Zivildienst per Gesetz festschreiben. Das unterstellen Sie uns ständig öffentlich. Es ist aber Humbug, Frau Lenke, und das wissen Sie selbst. ({1}) Denn Sie schreiben in Ihrer eigenen Pressemitteilung ein paar Zeilen später: Das Koblenzer Gericht rügte, dass nur ein Gesetz des Parlamentes, nicht aber eine bloße Verwaltungsvorschrift Wehrpflichtausnahmen regeln könne. Genau das tun wir heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf: Wir regeln die Wehrpflichtausnahmen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Möchten Sie nun noch eine Zwischenfrage aus Ihrer eigenen Fraktion zulassen, Frau Kollegin?

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich, Anton.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Kollegin Dümpe-Krüger, würden Sie mir Recht geben, dass die Opposition hinsichtlich des Entwurfs zur Änderung des Zivildienstgesetzes, der nun zur Abstimmung vorliegt, Folgendes feststellt: Die einen sagen, dass wir die Wehrpflicht zementieren, während die anderen sagen, dass wir sie aushöhlen. ({0}) Würden Sie mir Recht geben, dass wir mit unserem Gesetzentwurf wahrscheinlich absolut richtig liegen, wenn die Opposition an der Stelle so zerstritten ist? ({1})

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schaaf, ich würde Ihnen von ganzem Herzen und mit großer Freude an dieser Stelle Recht geben. ({0}) Ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, den einen oder anderen an dieser Stelle daran zu erinnern, dass diese Änderung des Zivildienstgesetzes notwendig war. Wir haben sie vorgenommen, weil - das belegen Sie selber, Frau Kollegin Lenke - Ausnahmen von der Wehrpflicht oder dem Zivildienst auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden sollten. Wir wollen - das werden wir auch tun, Herr Dörflinger - die Menschen auf den Weg des Umbaus mitnehmen. Dass das klappt, zeigt die Praxis. ({1}) Im Bereich der Schwerstbehindertenbetreuung gelingt es mehr und mehr, die Zahl der Zivis zu verringern und andere Betreuungsmodelle zu etablieren. In Bremen zum Beispiel werden Kinder mit Behinderungen inzwischen in deutlich überwiegendem Maße von FSJlern statt von Zivis betreut. ({2}) In Hannover werden Zivildienstplätze in Ausbildungsplätze umgewandelt. ({3}) In Stuttgart ist man dabei, neue Berufsbilder auch für ältere Menschen zu schaffen. Genau das wollen wir. Diesen Weg gehen wir auch. Genau das macht die Bundesregierung: Wir gehen mit den Menschen vor Ort diesen neuen Weg. Das unterscheidet uns leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie nur rückwärts blickend jammern. Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Eine kurze Bemerkung zu den Grünen: Sie verstummen in dieser Koalition. ({0}) Von innovativen Ansätzen zur Abschaffung der Wehrpflicht ist keine Rede. Sie zementieren die Wehrpflicht und werden den Wählern untreu. Die FDP hat bereits im Februar einen eigenen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Zivildienstzeit auf neun Monate in den Bundestag eingebracht. Obwohl die Regierung seit der Vorlage des Kommissionsberichts „Impulse für die Zivilgesellschaft“ verspricht - Ina Lenke ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, je lauter es wird, desto mehr Zeit muss ich dem Redner einräumen, damit er das, was er sagen will, auch tatsächlich vermitteln kann.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Schaaf, machen Sie weiter so! ({0}) - Herr Kollege, bitte melden Sie sich zu einer Zwischenfrage, wenn Sie etwas von mir wissen wollen. Die Koalition unterbindet eine gründliche Beratung. Die FDP hat eine Anhörung beantragt. Die Koalition und leider auch die CDU/CSU haben eine Anhörung verhindert. Die CDU/CSU hat unseren Antrag aus zeitlichen Gründen abgelehnt. Bei Ihnen geschah das aber aus inhaltlichen Gründen. Unstrittig zwischen FDP und Regierung ist eine zeitliche Angleichung von Wehr- und Zivildienstzeit. Die FDP fordert dies seit vielen Jahren. Strittig ist aber ein großer Teil des restlichen Gesetzentwurfes, dessen Verfassungsmäßigkeit äußerst fragwürdig ist. Da dies auch der Koalition bewusst ist, hat sie keine Anhörung zugelassen. Der Gesetzentwurf wurde bereits am 2. April dieses Jahres dem Bundesrat zugeleitet und kurz vor dessen erster Lesung am 10. Juni - das ist noch gar nicht so lange her - in den Bundestag eingebracht. Er soll jetzt unter Zeitdruck beschlossen werden. Das zeigt die ganze scheinheilige Argumentation auf, die von Rot-Grün geführt wird. Es wäre nämlich jederzeit möglich gewesen, ein normales Gesetzgebungsverfahren mit einer Anhörung durchzuführen. ({1}) Experten und Expertinnen sind allerdings bei Rot-Grün unerwünscht. Das wird an dieser Stelle überdeutlich. Besonders durch die Änderungen des Wehrpflichtgesetzes, die die Heranziehung zum Wehr- und Zivildienst betreffen, wird die Wehr- und Zivildienstungerechtigkeit manifestiert; das wissen Sie ganz genau. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der verzweifelte Versuch, so viele Männer wie möglich per Gesetz aus der Wehrpflicht zu entlassen, damit die Gesamtzahl der heranzuziehenden wehrpflichtigen jungen Männer verringert wird. Allerdings werden damit die Vorgaben des Art. 3 des Grundgesetzes - das wissen auch Sie - nicht erfüllt. Darauf hat schon mein Kollege von der CDU/CSU hingewiesen. Die damals von Verteidigungsminister Struck erlassenen Regelungen zur Heranziehung Wehrpflichtiger waren und sind eindeutig rechtswidrig, was folgerichtig dazu geführt hat, dass Einberufungsbescheide vom Verwaltungsgericht in Köln außer Vollzug gesetzt wurden. Auch das Koblenzer Verwaltungsgericht hält diese Regelungen der Wehrverwaltung für rechtswidrig. Nun meint Rot-Grün, diesen Mangel durch die Einbindung der bisherigen administrativen Vorschriften in ein Gesetz zu heilen, anstatt die Konsequenz für die Wehrpflicht, also deren Aussetzung, zu ziehen. Von Wehrgerechtigkeit kann doch heute nicht mehr im Geringsten die Rede sein. ({2}) Nur jeder zweite junge Mann wird heute zum Zivildienst oder zum Wehrdienst herangezogen. Das spiegelt den Schlingerkurs bei der Wehrpflicht innerhalb der Regierungskoalition wider. Dabei gehen SPD und Grüne nicht nur an den sicherheitspolitischen Notwendigkeiten der Bundeswehr der Zukunft vorbei, sondern auch an den Bedürfnissen junger Männer, die einen zügigen Ausbildungsabschluss anstreben, und zwar ohne Unterbrechung durch einen nicht mehr zu rechtfertigenden Wehr- und Zivildienst. Meine sehr geehrten Damen und Herren

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie kommen jetzt sicherlich zum Schluss.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- ich komme zum Schluss, Herr Präsident -, der vorliegende Gesetzentwurf ist hochgradig unfair. Neun Monate Zwangsdienst werden von Rot-Grün zu einem Schicksal ausgebaut, das ein Lotteriespiel ist. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist das nicht in Einklang zu bringen und wird deshalb von den Liberalen kategorisch abgelehnt. Unser Gesetzentwurf ist eine Zwischenlösung; denn unser grundsätzliches Ziel sind die Aussetzung der Wehrpflicht und das Ende des Zivildienstes. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Andreas Weigel für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Weigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003656, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zivildienst und Wehrdienst müssen gleich behandelt werden. Darum geht es in der heutigen Debatte. Wenn ich sehe, worüber aufseiten von CDU/CSU und FDP diskutiert wird, dann muss ich feststellen, dass das eine Missachtung des Zivildienstes und der Zivildienstleistenden ist. ({0}) Wir können über die Wehrpflicht an anderer Stelle intensiv streiten und diskutieren. Aber heute geht es um das Zivildienstgesetz. Wir sollten an dieser Stelle einmal würdigen, was Zivildienstleistende in unserem Land geleistet haben und noch immer leisten. ({1}) Die Diskussion über die Dauer von Zivil- und Wehrdienst wird seit Einführung des Ersatzdienstes in der Bundesrepublik geführt. Es gab Zeiten, in denen der Zivildienst vier Monate länger als der Wehrdienst war. Es wird wirklich Zeit, hier eine Angleichung herbeizuführen. Die Zeit, in der behauptet wurde, Zivildienstleistende seien Drückeberger, die sich nur vor der Wehrpflicht drücken, ist Gott sei Dank vorbei. ({2}) Rund 2,5 Millionen Kriegsdienstverweigerer haben seit Einführung des Ersatzdienstes eindrucksvoll gezeigt, dass sie sehr wohl bereit sind, sich für die Gesellschaft einzusetzen. ({3}) Sie haben über all diese Jahre mit großem Engagement gezeigt, wie wichtig der Zivildienst in unserer Gesellschaft ist. ({4}) Sie haben gezeigt, dass dieser Dienst genauso anspruchsvoll wie der Wehrdienst ist. Man kann es auch als den Abschluss einer Entwicklung betrachten, dass der Zivildienst nach Verabschiedung des heutigen Gesetzentwurfes endlich genauso lang wie der Wehrdienst dauern wird. Ich möchte auf die Kritik eingehen, die vonseiten der CDU/CSU geäußert worden ist. Herr Scheuer kritisierte in seiner zu Protokoll gegebenen Rede in einer vergangenen Debatte, dass der Zivildienst nur noch neun statt zehn Monate dauert. Er meinte, dass damit eine - ich zitiere - „Demontage einer tragenden Säule des Sozialstaates“ stattfindet. ({5}) Das klingt dramatisch und ist für mich nicht nachvollziehbar. Außerdem wollen Sie doch nicht ernsthaft behaupten, der Zivildienst müsse länger dauern, weil unsere Sozialdienste einen längeren Zivildienst brauchten? Eines muss doch klar sein: Wir können die Dauer des Zivildienstes nicht nach den Anforderungen unseres Sozialstaates ausrichten. In welche Richtung würden solche Überlegungen denn führen? Wenn wir zu der Auffassung kämen, unser Sozialstaat brauchte einen 15 Monate langen Zivildienst, dann bedeutete das, dass wir infolgedessen auch die Wehrpflicht auf 15 Monate ausdehnen müssten. Das kann doch in der Tat überhaupt niemand wollen. Die Dauer des Zivildienstes muss sich an der Dauer des Wehrdienstes orientieren und nicht umgekehrt. ({6}) Wir müssen uns also etwas anderes einfallen lassen, wenn durch die Verkürzung des Zivildienstes tatsächlich Versorgungslücken entstehen. ({7}) Dann müssen wir andere Dienste - ich denke hier insbesondere an die Freiwilligendienste - stärken. ({8}) Die heutige Debatte über die Änderung des Zivildienstgesetzes bietet die Gelegenheit zu Maßnahmen, die einer Förderung von Freiwilligendiensten zugute kommen. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen setzt hier ein ganz deutliches Zeichen. Zunächst geht es um eine Erweiterung der so genannten Dritte-Söhne-Regelung. Bisher war ein junger Mann von der Wehrpflicht befreit, wenn er zwei ältere Brüder hatte, die entweder Wehr- oder Ersatzdienst geleistet haben. Mit dem Regierungsentwurf wird diese Regelung bereits ausgedehnt. Unser Änderungsantrag geht aber noch weiter: Wir machen aus der Dritte-Söhne-Regelung eine Dritte-Geschwister-Regelung. ({9}) Das heißt, ein junger Mann, der zwei ältere Geschwister hat, die Wehrdienst, Zivildienst oder auch einen Freiwilligendienst geleistet haben, wird von der Wehrpflicht befreit. Damit stärken wir eindeutig die Freiwilligendienste. Wir stärken mit unserem Änderungsantrag aber ebenso die finanzielle Grundlage dieser Dienste. Auch auf Empfehlung des Bundesrates wurde noch einmal diskutiert, ob die Herabsetzung des Zuschusses für FSJStellen, die mit einem Pflichtdienstleistenden besetzt sind, sinnvoll ist. ({10}) Eine solche Verminderung des Zuschusses ist eigentlich die Konsequenz eines kürzeren Zivildienstes. Um aber ein deutliches Zeichen für die Stärkung der Freiwilligendienste zu setzen, wollen wir mit unserem Änderungsantrag die Zuschüsse für die Träger des freiwilligen sozialen Jahres konstant halten. ({11}) Wir freuen uns, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, dass Sie diesem Änderungsantrag im Familienausschuss zugestimmt haben. Das zeigt uns, dass es im Deutschen Bundestag eine breite Basis für bürgerschaftliches Engagement gibt. ({12}) Mit dem Zivildienst verbindet man heute Begriffe, die für unsere Bürgergesellschaft von hohem Wert sind. Engagement und Gemeinsinn der Zivildienstleistenden sind beispielhaft. Mit der Gleichsetzung der Dauer des Zivildienstes und des Wehrdienstes erkennen wir diese Leistungen an. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Kollege Weigel, ich möchte zunächst an das anknüpfen, was Sie zum Schluss gesagt haben, und den Vorwurf, dass unsere Fraktion die Zivildienstleistenden oder den Zivildienst missachtet, in aller Form zurückweisen. ({0}) Im Gegenteil, wir haben Respekt vor der Diensterfüllung unserer Zivildienstleistenden, all derer, die in entsprechenden Organisationen des Zivildienstes oder Katastrophenschutzes Dienst für die Gemeinschaft leisten, aber genauso - ich darf das hinzufügen - vor unseren Wehrpflichtigen, die ihren Dienst für dieses Land tun. Dies sollten wir festhalten. ({1}) Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht vordergründig um die Verkürzung des Zivildienstes um einen Monat, die Herabsetzung der Regelaltersgrenze für die Einberufung zur Bundeswehr und für die Heranziehung zum Zivildienst von 25 auf 23 Jahre sowie um eine Ausweitung der Befreiungstatbestände des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben es in diesem Gesetz gelesen: Es gibt eine ganze Latte von Ausnahme- und Befreiungstatbeständen. Darin steht, weshalb man nicht Wehrdienst und weshalb man nicht Zivildienst leisten muss. ({2}) Der Rest der Betroffenen, der nicht darunter fällt, fragt sich zu Recht: Warum soll ich dann eigentlich noch diesen Dienst leisten? Ich habe mein ganzes Leben lang mit jungen Leuten zu tun gehabt. Ich unterstreiche, dass sie bereit sind, Pflichten zu übernehmen, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, aber dass sie im Grunde ein sehr feines Gefühl für Ungerechtigkeit haben. ({3}) Sie sagen: Ich bin gerne dazu bereit, aber ich bin nur dann dazu bereit, wenn es alle tun und wenn ich nicht der Einzige bin, den diese Pflicht trifft. ({4}) In Wirklichkeit geht es um einen gesetzlich festgeschriebenen Schrumpfungsprozess der so genannten Pflichtdienste in diesem Land, hinter dem meiner Einschätzung nach die pure Finanznot steht, möglicherweise aber auch die grundsätzliche Abneigung gegen die Wehrpflicht und die daraus resultierenden übrigen Pflichten. Der Entwurf setzt Vorschläge der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ vom Januar dieses Jahres um, deren Gehalt erkennbar auf die Zeit nach der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zielt. ({5}) - Lieber Kollege, das war ein Zitat. Nach diesem Kommissionsbericht ist das Ende der Zivildienstpflicht absehbar. Ich verkenne nicht, dass in den Köpfen unserer jungen Menschen entgegen allen einschlägigen gegenteiligen Urteilen des Verfassungsgerichtes längst die Vorstellung vorherrscht, zwischen Wehr- und Zivildienst bestehe ein Wahlrecht. ({6}) Ich verkenne auch nicht, dass einige Begründungen für eine längere Dauer des Zivildienstes - nicht alle, aber einige - entfallen sind. So sind zum Beispiel die Wehrübungen anders zu gewichten als früher, nachdem in der Reservistenkonzeption das Prinzip Freiwilligkeit festgelegt ist. Dass der Zivildienst vier Wochen länger dauert, wird wohl niemand mehr ernsthaft als Prüfstein für die Echtheit der Gewissensentscheidung anführen. Dennoch wurde dies bei der Abschaffung der so genannten Gewissensprüfung so festgelegt. Ich zitiere das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das zur Dauer von Wehr- und Zivildienst Folgendes festgestellt hat: Das normative Ziel des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG besteht darin, ein Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Ersatzdienstleistenden sicherzustellen; der Ersatzdienstleistende darf im Vergleich zum Wehrdienstleistenden weder besser noch schlechter gestellt werden. Danach ist es ausgeschlossen, die tatsächliche Dauer von Wehr- und Ersatzdienst völlig schematisch gleich zu bemessen. ({7}) Der Zivildienstleistende erledigt seinen Dienst zusammenhängend und abschließend, ist in der Regel einem weniger strengen Dienstverhältnis unterworfen und befindet sich typischerweise in einer weniger belastenden Lebenssituation. Die nunmehr erstrebte Gleichstellung beider Dienste offenbart, dass es mit der Wertschätzung des originären Wehrdienstes nicht mehr weit her ist. Auch wenn es schon beinahe verpönt ist, möchte ich an dieser Stelle festhalten: Die Wehrpflicht ist nach der Verfassung die Regel, der Zivildienst die Ausnahme. Wenn die Bundeswehr angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage weniger Wehrpflichtige braucht, so gilt dies bezüglich des Bedarfs an Zivildienstleistenden nicht. Es mangelt nur an Geld für die erforderlichen Plätze. Darüber sind wir uns, wie ich glaube, einig. ({8}) Ernst-Reinhard Beck ({9}) Der „Auswahlwehrpflicht“ folgt die „Auswahldienstpflicht“, die die Dienstungerechtigkeit - da gebe ich der Kollegin Lenke Recht - so offenkundig macht, dass die Abschaffung nur noch eine Frage der Zeit ist. ({10}) Ich würde Sie, verehrter Namenskollege Beck, doch sehr herzlich bitten, einem nicht ganz so parlamentserfahrenen Neuling das Vergnügen zu gönnen, Sie im Sitzen anzusprechen. ({11}) Lassen Sie mich noch einen Vorschlag kurz aufgreifen, den der Kommissionsbericht gemacht hat und der leider keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat. Es geht um die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes analog der freiwillig länger dienenden Grundwehrdienstleistenden. Dies würde nicht nur den jungen Männern helfen, Zeiten bis zum Ausbildungs- bzw. Studienbeginn sinnvoll zu überbrücken, sondern auch zu einer kontinuierlicheren Besetzung der Zivildienstplätze beitragen. Das war ein Zitat aus der Stellungnahme des Bundesrates. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin?

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, wenn Sie auch meine Zeit anhalten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das tue ich, sage Ihnen aber zugleich, dass Ihre Redezeit vorbei ist. Sie können die Beantwortung also noch mit einer eleganten Schlussphrase verbinden.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie die Möglichkeit einräumen wollen, Zwangsdienste bzw. Pflichtdienste - der Zivildienst ist und bleibt ein Zwangsdienst - freiwillig zu verlängern. Ist Ihnen bewusst, dass das rein rechtlich überhaupt nicht möglich ist? ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies scheint mir im Vergleich zu den Grundwehrdienstleistenden, die die Möglichkeit dazu haben, eine Benachteiligung der Zivildienstleistenden darzustellen. Es wäre in beiderseitigem Interesse, wenn so etwas vorgesehen würde. Aber es steht in diesem Gesetz ja nicht drin. ({0}) - Sie dürfen gerne.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Haben Sie den Bericht der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst“ aufmerksam gelesen und könnten Sie mir benennen, was in dem Gutachten steht?

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe aus diesem Gutachten eine Möglichkeit zitiert, die ich sehr wohl analog zu den Möglichkeiten, die Grundwehrdienstleistende haben, gerne Zivildienstleistenden eröffnen würde. Diesen Wunsch haben auch Zivildienstleistende in Gesprächen geäußert. Das habe ich hier weitergegeben, liebe Frau Kollegin, nichts weiter. ({0}) Ich darf zum Schluss kommen. Ich möchte auch daran erinnern, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass der Sold für Soldaten und für Zivildienstleistende seit 1999 nicht mehr erhöht wurde. Diese beiden Personengruppen sind nicht die am besten Begüterten in unserer Gesellschaft. Unsere Wertschätzung für die Dienste sollte sich meiner Einschätzung nach nicht nur in schönen Worten, sondern vielleicht auch in einer Erhöhung des Soldes niederschlagen. Meine Damen und Herren, der Entwurf widerspricht der gesetzgeberischen Praxis der letzten Jahre. ({1}) Er relativiert die verfassungsmäßigen Unterschiede von Wehr- und Zivildienst.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er schafft nicht ein Mehr an Dienstgerechtigkeit, sondern verschärft im Gegenteil die schon jetzt bestehenden Ungerechtigkeiten. Er trägt zu einer weiteren Entpflichtung in unserer Gesellschaft bei. Er ist letztlich ein weiterer Schritt auf dem Weg, an dessen Ende auch das Ende der Wehrpflicht steht. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3486, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung angenommen worden, mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/3486 die Ablehnung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Zivildienstgesetzes auf Drucksache 15/2482. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Hartmann ({1}), Gudrun Kopp, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Bergschäden regulieren - kohlepolitische Wei- chenstellung vornehmen - Drucksachen 15/475, 15/2278 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer Die Kollegen Grasedieck, Pfeiffer, Hustedt und Hartmann haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu können.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung: Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/2278 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Bergschäden regulieren - kohlepoli- tische Weichenstellung vornehmen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/475 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen 1) Anlage 21 die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes - Drucksachen 15/3168, 15/3214 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) - Drucksachen 15/3455, 15/… Berichterstattung: Abgeordnete Winfried Hermann Ulrich Petzold Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Renate Jäger. ({4})

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn einige Bilder des Hochwassers vom Sommer 2002 in Erinnerung rufen. Ich denke da an die Stadt Weesenstein. Das Schloss, über allem thronend, hatte das Hochwasser überstanden. Der Schlossgarten war total verwüstet, weil die Menschen die sonst so idyllische Müglitz in ein liebliches Flussbett legten, das die tosenden Wassermassen nach den langen Regenfällen nicht aufnehmen konnte. Ein Ortsteil unterhalb des Schlosses, in dem Menschen schon seit Generationen siedeln, wurde völlig weggespült. Wir erinnern uns alle an die aufregenden Fernsehbilder des Mauerrestes, auf dem Menschen stundenlang auf Rettung warteten, unter ihnen Schlamm, Geröll und Möbeltrümmer. Natürlich fragten manche, die ihr Haus dort verloren hatten, bereits nach wenigen Tagen, ob sie auf der Heimatscholle wieder bauen könnten. Alle, die in Ämtern und Behörden für Vorsorge und Schutz der Bevölkerung mitverantwortlich sind, hatten schon ihre Probleme damit. In dem kleinen Städtchen Tharandt hatte die Weißeritz im Forstwirtschaftlichen Institut der TU Dresden unter anderem die gesamte Technik vernichtet, die sich in den unteren Räumen befand. Dresden selbst wurde gleich zweimal Opfer des Wassers: zuerst durch den sonst sehr kleinen Fluss Weißeritz, der sich reißend quer durch die Stadt über Schienen, den Hauptbahnhof, die Theaterwerkstätten und anderes sein altes Flussbett zurückeroberte, und danach noch einmal durch den allmählich ansteigenden Elbepegel, der auch den Zwinger und die Semperoper unter Wasser setzte. Ich sehe die Häuserreste in den Fluten und die abgerissenen Öltanks vor mir. Ich erinnere mich auch an die Schilderung eines Bürgermeisters, der abgerissene Gastanks wie Torpedos durchs Wasser flitzen sah, die weitere mechanische Zerstörungen verursachten. In vielen der betroffenen Regionen sind zur Schadensminderung bereits Maßnahmen beschlossen, zum Teil auch schon umgesetzt worden. Angesichts der vor Ort unterschiedlichen Bedingungen kann dies richtigerweise nur vor Ort geschehen. Wenn der Bund seinerseits durch bundeseinheitliche Regelungen die Regionen in ihren Bemühungen unterstützt, kann das nur ein Mehr an Schadensminderung bedeuten. Eine wissenschaftliche Einrichtung darf ihre wertvollen technischen Geräte in diesen Gebieten nicht mehr in den Kellerräumen installieren. Unser Gesetzentwurf stärkt der Stadt Dresden in ihrem Bemühen den Rücken, der Weißeritz so viele Flächen wie möglich vom alten Flussbett zurückzugeben. ({0}) Er unterstützt die Bürgermeister bei ihren Entscheidungen, wo verantwortungsvoll gebaut werden kann und wo es untersagt werden muss. Wie notwendig unser Gesetz ist, soll ein Beispiel zeigen, das in der „Mittelbayerischen Zeitung“ vom 26. Juni 2004 zu lesen war: Zwei Paringer Bürger wollten Baugrund auf einer Fläche ausgewiesen haben, die das Wasserwirtschaftsamt als nicht geeignet ansieht. 1988 und 1999 war hier ein so genanntes Jahrhunderthochwasser zu verzeichnen. Das Wasserwirtschaftsamt hatte von einer Bebauung der Talaue aus Gründen des Hochwasserschutzes abgeraten. Das Gutachten eines Ingenieurbüros, das die Gemeinde in Auftrag gegeben hatte, kam zu dem gleichen Ergebnis. Trotzdem stimmte der Gemeinderat dem Antrag mit 16 zu einer Stimme zu. Mit unserem Gesetz hat das nunmehr gefragte Landratsamt, das als nächste Behörde eine Entscheidung zu treffen hat, ein Instrument für eine klare Entscheidung gegen eine Neubaubebauung im Hochwasserschutzgebiet in der Hand. ({1}) Einige Regelungen des Gesetzentwurfs, den wir in der vorigen Sitzungswoche diskutiert und den ich in meiner damaligen Rede in wesentlichen Teilen vorgestellt hatte, sind aufgrund in der Anhörung vorgebrachter Argumente und aufgrund von Anregungen von außen geändert worden. In diesem Zusammenhang ist zuerst der Hauptstreitpunkt einer Einstellung des Ackerbaus bis 2012 zu nennen. Da die Opposition, wie die gestrige Diskussion im Ausschuss zeigte, diese Änderung noch nicht ganz begriffen hat, möchte ich ausdrücklich darauf verweisen, dass die Bewirtschaftungsgrundsätze bezüglich der ganzjährigen Bodenbedeckung und der Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nur dort durch die Länder zu regeln sind, wo Erosionen oder erheblich nachteilige Auswirkungen auf Gewässer zu erwarten sind. ({2}) Dies ist voll und ganz den Ländern überlassen und bedeutet kein generelles Ackerbauverbot. Die neue Regelung sieht eine Einstellung der ackerbaulichen Nutzung nur noch in den erosionsgefährdeten Flächen der Abflussgebiete vor. ({3}) Soweit Landwirte durch die Einstellung des Ackerbaus in den erosionsgefährdeten Abflussbereichen unzumutbar hart getroffen sind, regeln die Länder die Ausgleichszahlungen. Dieser Kompromiss gewährleistet einerseits den Schutz der Gewässer vor Schadstoffeinträgen und entspricht andererseits den berechtigten Anliegen der Landwirte. Da bis 2015 auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie umgesetzt werden muss und die neue europäische Reform der gemeinsamen Agrarpolitik greift, ist den Landwirten ausreichend Zeit gegeben, sich auf die neuen Bedingungen im Hochwasserschutz einzustellen. Des Weiteren haben wir sichergestellt - das ist neu -, dass Neubauten in bereits existierenden Baugebieten, zum Beispiel bei einer Lückenbebauung, hochwasserangepasst zu errichten sind. Von den Sachverständigen wurde in der Anhörung eine koordinierte Bewirtschaft und Steuerung von Rückhalteräumen innerhalb einer Flussgebietseinheit angemahnt. Wir haben dies in das Gesetz aufgenommen. Dadurch können die Interessen von Ober- und Unterliegern besser aufeinander abgestimmt werden. ({4}) Ziel des Gesetzentwurfs ist es auch, die Bevölkerung für Hochwassergefahren stärker zu sensibilisieren. Dazu sollen die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten durch Information und Beteiligung einbezogen werden. Damit tragen wir erstens den Anforderungen der Aarhus-Konvention Rechnung, schaffen zweitens die Voraussetzungen für eine bundeseinheitliche Vorgehensweise und erreichen drittens eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung für die Ziele des Hochwasserschutzes. Im Übrigen können Auseinandersetzungen mit betroffenen Bürgern schon im Beteiligungsverfahren geklärt werden, ohne dass später Gerichte beschäftigt werden müssen. Neu ist auch, dass wir den Gemeinden ein Vorkaufsrecht für den Flächenerwerb bzw. Flächentausch eingeräumt haben, das sie auch für einen wirksamen HochRenate Jäger wasserschutz bzw. für ihre städtebaulichen Planungen im Zusammenhang mit Hochwasserschutzplänen nutzen können. Insgesamt bringt der vorliegende Gesetzentwurf eine deutliche Verbesserung bei der Schadensminderung bei Hochwasser mit sich. Ich bedauere sehr, dass die Opposition bereits im Ausschuss signalisiert hat, dem Gesetzentwurf nicht zustimmen zu wollen, und stattdessen einen Entschließungsantrag eingebracht hat, der hinter den mit dem Gesetzentwurf zu beschließenden Maßnahmen aber weit zurückbleibt. ({5}) Es erscheint schon sehr kurios, wenn der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion zu dem Gesetzentwurf, Herr Petzold, bemängelt, dass dieser Gesetzentwurf viel zu spät komme, die Berichterstatterin zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion aber verlangt, man solle mit einem Gesetzentwurf noch warten, bis die Europäische Kommission ihr Aktionsprogramm zum Hochwasserschutz vorgelegt habe. Da kann man wohl berechtigterweise fragen, ob das noch etwas mit Sachpolitik zu tun hat.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kollegen, die Sie sich dort vorne aufhalten, es ist eigentlich nicht üblich, in einer parlamentarischen Debatte der Rednerin das Hinterteil zu zeigen. ({0})

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. ({0})

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Kolleginnen wollten reden. Sie hätten die Tagesordnung entzerren können, aber Sie wollten es nicht. ({0}) Man kann also wohl berechtigterweise fragen, ob das noch etwas mit Sachpolitik zu tun hat oder ob wider besseres Wissen Gründe für eine Ablehnung gesucht werden. Auch ohne europäisches Aktionsprogramm ist der vorliegende Gesetzentwurf europäisch eingebunden, und zwar unter anderem aufgrund der Vereinbarkeit mit Fristen und Zielen zum Beispiel bei der Wasserrahmenrichtlinie. Die meisten Befürchtungen, die in dem CDU/CSUAntrag nochmals aufgeführt werden, sind durch den Gesetzentwurf obsolet, zum Beispiel die Ackerbauproblematik oder das Problem um die städtebauliche Entwicklung. Am besten wäre es, Sie zögen Ihren Antrag zurück und stimmten unserem Gesetzentwurf zu. ({1}) Täten Sie Letzteres, so gäbe es überall gleichermaßen die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser zu ergreifen. Ich hoffe, dass die Bilder, die ich zu Beginn meiner Rede in Erinnerung gerufen habe, nicht noch einmal Wirklichkeit werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die deutsche Flusslandschaft ist eine seit Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft. Die durch Sedimentation entstandenen fruchtbaren Alluvialböden werden ackerbaulich genutzt, Siedlungen mit Gewerbe und Industrie nutzen die Flüsse als Verkehrswege. Hochwasser, auch ein extremes Hochwasser, sind, wie die Anhörung gezeigt hat, natürliche Vorgänge. Gerade extreme Hochwasser sind in ihrem absoluten Ausmaß und in ihrer Höhe nicht maßgeblich durch die Nutzung der Flusstäler durch den Menschen bestimmt. ({0}) Zugleich ist nicht zu bestreiten, dass Flussbegradigungen und der Verlust von Retentionsflächen entlang der Flüsse die Häufigkeit der Hochwasserereignisse und auch die Geschwindigkeit ihres Eintretens maßgeblich beeinflussen. Insbesondere das Elbhochwasser von 2002 hat uns allen gezeigt, dass es beim Hochwasserschutz Defizite und Grenzen gibt. Daher ist eine kritische Revision der gesetzlichen Vorgaben zum Hochwasserschutz notwendig. ({1}) Nach zwei Jahren des Abwartens hat die Bundesregierung nunmehr den Entwurf eines Hochwasserschutzgesetzes vorgelegt, das nach der Anhörung im zuständigen Ausschuss in der vergangenen Woche wieder einmal im Eilverfahren durch das Plenum gehetzt werden soll. Soll da ein Gesetz, das insbesondere in der SPD-Fraktion auf vielerlei Widerstand gestoßen ist, noch schnell vor der Sommerpause versenkt werden? ({2}) Apropos schnell: Zur Einbringung des Gesetzentwurfes gab es eine Debattendauer von 30 Minuten und heute - zudem zu dieser exponierten Tageszeit - noch einmal 30 Minuten. Noch knapper geht es wohl kaum! ({3}) Dann soll das Gesetz auch noch am Bundesrat vorbei geschleust werden. Aus Sicht meiner Fraktion und auch Sicht des Bundesrates, der sich mit großer Mehrheit gegen das Gesetz ausgesprochen hat, gibt es keinen Zweifel daran, dass es zustimmungspflichtig ist, ({4}) schon allein deswegen, weil die Umsetzung nach vorsichtigen Schätzungen einiger Länder pro Land 25 Millionen bis 40 Millionen Euro kosten dürfte. ({5}) Jetzt noch ein kurzes Wort an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: ({6}) Offenbar verfügen Sie über die Gabe der Prophetie. Wenn nicht, sollten Sie sich einmal mit Ihrem Demokratieverständnis beschäftigen. ({7}) Der Respekt vor diesem Hohen Hause sollte es nämlich geboten erscheinen lassen, Pressemitteilungen über diese Debatte erst dann herauszugeben, nachdem diese Debatte tatsächlich stattgefunden hat. Ich habe hier eine von 19.35 Uhr aus dem Internet. ({8}) Nun zu einigen Kernforderungen des Gesetzes: In dem Entwurf werden die Länder aufgefordert, innerhalb von fünf Jahren flächendeckend Überschwemmungsgebiete auszuweisen. Das geht nach Aussagen der Sachverständigen überhaupt nicht. In den erosionsgefährdeten Abflussgebieten ist der Ackerbau bis zum 31. Dezember 2012 einzustellen. Ursprünglich sollte es ein nahezu grundsätzliches Ackerbauverbot in Überschwemmungsgebieten geben. Meine Damen und Herren, das hat - um im Bild zu bleiben - eine Flut von Einwänden der Betroffenen und Experten ausgelöst. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass Sie durch ein Ackerbauverbot keinen Erosionsschutz erzielen. ({9}) Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Umnutzung hochwertigster Ackerflächen zu Grünland bei den derzeitigen Marktbedingungen jegliche wirtschaftliche Perspektive fehlen lässt. ({10}) Sie nehmen damit hin, dass 900 000 Hektar Ackerfläche auf nasskaltem Wege enteignet werden und Kapital vernichtet wird. ({11}) Damit zerstören Sie wirtschaftlich tragfähige Strukturen in ohnehin wirtschaftsschwachen Gegenden wie zum Beispiel an der Mittelweser. ({12}) Deshalb haben Sie jetzt einen Änderungsantrag vorgelegt. Sie sagen, ein Ackerbauverbot solle es nur in Abflussgebieten geben. In Überschwemmungsgebieten solle Ackerbau nur mit massiven Einschränkungen möglich sein. ({13}) Das entspricht nicht den in der Anhörung von den Experten dargelegten Positionen. Was bedeuten diese Einschränkungen für den Landwirt? Pflanzenreste bei einer pfluglosen Bodenbearbeitung werden nach der Ernte nicht mehr in den Boden eingearbeitet, sodass sich Pilzsporen an der Bodenoberfläche, im Mulch, ansammeln können. Pflanzen erkranken dadurch häufiger. ({14}) Ein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist nicht erlaubt. Dadurch kann es zu einer Verseuchung der Ernte mit Pilzgiften kommen, was Untersuchungen der Uni Kiel aus dem letzten Jahr eindeutig beweisen. Da Mykotoxine aber sehr gefährlich für Mensch und Tier sind, gibt es Höchstmengen. Der Grenzwert von 500 Mikrogramm pro Kilogramm Getreide wurde im letzten - trockenen Sommer an der schleswig-holsteinischen Westküste bei Weizen, der versuchsweise unter Ökolandbaubedingungen angebaut wurde, um bis zu 30-fach überschritten. Was bedeutet das für den Landwirt? Für ihn ist der Anbau von Getreide in Überschwemmungsgebieten ein Vabanquespiel, da er ein nicht unerhebliches Risiko eingeht, mit großem Aufwand ein nicht marktfähiges Produkt zu erzeugen, das er nicht verkaufen kann. Die von Ihnen angeblich im Änderungsantrag festgeschriebene Aufhebung des Ackerbauverbots ist reine Augenwischerei. Faktisch bleibt es bestehen. ({15}) Sie zerstören damit mutwillig die Kooperationsbereitschaft der Landwirte, auf deren Mitwirkung wir angewiesen sind. ({16}) Dabei gibt es zahlreiche Beispiele für eine hervorragende Zusammenarbeit, zum Beispiel im Raumordnungsverband Rhein-Neckar, wo in Kooperation mit Landwirten mehr als 40 Millionen Quadratmeter als Polderfläche ausgewiesen werden. Verhaltensmaßregeln an Flusseinzugsgebieten, an Oberläufen regeln Sie hingegen nicht. Das haben die Gutachter tatsächlich gefordert. Ganz anders wird es im Moment in Sachsen gemacht. Neben der Landwirtschaft hat das Hochwasserschutzgesetz auch noch gravierende Auswirkungen auf die Kommunen in Überschwemmungsgebieten, wo Sie ein Bauverbot vorsehen. Sie haben auf der anderen Seite aber versäumt, den Vorschlag des Bundesrates aufzunehDr. Maria Flachsbarth men, bei Innenbereichen Überschwemmungsgebiete nachrichtlich in die Flächennutzungs- und Bebauungspläne aufzunehmen, ({17}) und es so zu ermöglichen, dass sich die Öffentlichkeit frühzeitig auf Hochwassergefahren einrichten und Risikovorsorge betreiben kann. Lassen Sie mich noch kurz ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Dort sind drei kleine Kommunen - Hemmingen, Laatzen und Pattensen - betroffen. Alle drei Stadträte, übrigens alle SPD-dominiert, haben sich fraktionsübergreifend sehr besorgt bis ablehnend über den Gesetzentwurf geäußert. ({18}) Zur Erläuterung: In Laatzen wurde erst vor wenigen Jahren mit einem Millionenaufwand an öffentlichen Geldern in einem Überschwemmungsgebiet - mitten in der Stadt, nahe der Leine - ein Schwimmbad errichtet. In Zukunft sind alle Erweiterungs- und Umbauten ausgeschlossen. Das ist für die Kommune ein weiterer schwerer Schlag aus Berlin. ({19}) Meine Damen und Herren, getroffene Hunde bellen; das sage ich hier einmal als Tierärztin. ({20}) Ein bürgernaher und effektiver Hochwasserschutz, der auf Selbstvorsorge und Kooperation setzt, sieht anders aus. ({21}) Wir lehnen Ihr Gesetz inklusive der Änderungsanträge ab. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

So spät, so wenige Leute und so viel Leidenschaft in der Debatte! - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann. ({0})

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Vor zwei Jahren waren das Entsetzen und das Erschrecken über das Hochwasser sehr groß, und zwar nicht, weil es ein natürliches Ereignis war, wie die Frau Kollegin gerade ausgeführt hat, sondern weil man sich in einem Gebiet, wo man Hochwasser gewohnt war, ein solch großes Hochwasser nicht vorstellen konnte. Das war die außergewöhnliche Erfahrung vor zwei Jahren. Außer dem Entsetzen über die Schäden und die Folgeschäden gab es aber auch ein Erschrecken über das, was wir in den vergangenen Jahren in den hochwassergefährdeten Gebieten alles gemacht haben. Man hat gefragt: Wie konnten wir eigentlich in solchen Zonen bauen? Wie konnten wir zulassen, dass in hochwassergefährdeten Gebieten Ölheizungen und Anlagen betrieben werden, die bei einem Unfall nachhaltig Gewässer schädigen? All diese Einsichten gab es vor zwei Jahren, sogar bei Ihnen von der Opposition. ({0}) Wenn man heute Ihre Reden und Einwände hört, muss man feststellen, dass die Einsicht von damals Lobbyinteressen und Einzelinteressen gewichen ist. Es läuft nach dem Motto: Lasst uns Hochwasserschutz treiben, aber keinem wehtun. Sie wollen keine Einschränkungen, Sie wollen nichts wirklich Handfestes tun. Es werden wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Argumente angeführt, um ja nichts zu tun. Meine Damen und Herren von der Opposition, das ist komplett daneben. ({1}) Wir, die Rot-Grünen, haben Konsequenzen gezogen. Wir haben mit diesem Artikelgesetz viele Maßnahmen ergriffen, die in andere Gesetzesbereiche wie Bauplanung, Bebauungsrecht oder Wasserhaushaltsgesetz eingreifen, ({2}) also in alle Bereiche, in denen es relevante Maßnahmen zu tätigen gilt. Das eindeutige Ziel war, so viel Vorsorge zu betreiben, dass zukünftig bei weiterhin zu erwartenden Hochwassergefahren wenigstens die Schäden minimiert werden. Was sind die wichtigsten Punkte? Wir wollen den Schadstoffeintrag, der auch über die Landwirtschaft kommt, verringern. Ihre Geschichte ist geradezu absurd: Sie behaupten, der ökologische Landbau treibe in hochwassergefährdeten Gebieten mehr Schadstoffe in die Gewässer als die herkömmliche Landwirtschaft, in der viele Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. ({3}) Wir wollen die Bodenerosion vermeiden. Wir wollen erreichen, dass zukünftig weniger Schäden an Gebäuden entstehen und dass wenigstens keine neuen Gebäude in hochwassergefährdeten Gebieten gebaut werden. Ich komme zu den drei wichtigsten Punkten im Einzelnen: Erstens. Wir wollen in Hochwasserüberschwemmungsgebieten ein Verbot von neuen Ölheizungen und von Anlagen, die bei Überschwemmunfen schadstoffgefährlich sind. Ich habe mich schon sehr gewundert, als ich in Ihrem Antrag las, dass Sie gewissermaßen als Anwalt des Menschenrechts auf Ölheizungen in Überschwemmungsgebieten auftreten. ({4}) Es ist unglaublich, dass Sie nicht einmal diese bescheidene Konsequenz ziehen, wenigstens auf solche Anlagen zu verzichten. Ich muss Ihnen sagen, mit Verlaub: Das ist öldumm. ({5}) Zweitens. Auflagen gegenüber der Landwirtschaft. Natürlich machen wir mit diesem Gesetz Einschränkungen, aber es ist doch eine der großen Einsichten, dass man nicht weiter machen kann wie bisher, dass man etwas tun muss gegen Erosion. Wir haben die Kritik der Landwirte, aber auch anderer Fachwissenschaftler angenommen und gesagt: ({6}) Schaut euch das einmal genau an. Könnt ihr das nicht wirklich differenzierter und präziser machen? Die Einschränkungen waren eine Konsequenz aus der Anhörung und aus der Kritik. Gleichzeitig haben wir aber gesagt: Wir müssen die Landwirtschaft in Überschwemmungsgebieten mit Auflagen versehen. Sie kann dort nicht beliebig wirtschaften. ({7}) Es muss durch ganzjährige Begrünung sichergestellt werden, dass es nicht zu Erosion kommt. Ackerbauverbot muss es ganz eng begrenzt in den wirklich erosionsgefährdeten Abflussgebieten geben. ({8}) Wenn Sie heute wieder mit Ihrer alten BauernlobbyLeier kommen, dass das die Enteignung von Hunderttausenden von Landwirten bedeuten würde, dann ist das so gnadenlos überzogen, dass es einfach völlig unglaubwürdig ist. ({9}) Das trifft wirklich nur ganz wenige, die dann auch Ausgleich bekommen. Sie haben im Übrigen lange Zeit zur Umstellung. Übrigens ergeben sich aus den Wasserrahmenrichtlinien sowieso genügend Aufträge an uns, unsere Gewässer und auch die naturnahe Landschaft um die Gewässer umzugestalten. ({10}) Die Europäische Union zwingt uns ohnehin, in diesem Bereich etwas zu tun. Tun Sie doch nicht so, als müssten wir gar nichts machen und könnten weitermachen wie bisher! ({11}) Sie beklagen, dass man in Überschwemmungsgebieten nicht weiter bauen kann. Wir haben das tatsächlich nicht zugelassen. Es hat keinen Sinn, in Gebieten zu bauen, wenn man weiß, dass es dort wieder Hochwasser geben wird. Ansonsten wollen anschließend die Leute das Geld für die Schäden, die sie erlitten haben, vom Staat erstattet bekommen. Wir sagen: Wenn schon in historisch bebauten Situationen, zum Beispiel in Altstädten an der Mosel und am Rhein, eine Lücke ist und gebaut werden soll, dann ist es möglich, aber nur unter der Auflage, dass hochwasserangepasst gebaut wird, sodass das Hochwasser durchfließen kann und nicht durch Verbauung eine Aufstauung entsteht. Zugleich muss das Gebäude so beschaffen sein, dass der Schaden hinterher nicht zu groß ist. Das ist hochwasserangepasstes Bauen, das ist eine kluge Lösung. Weitermachen wie bisher entbehrt aber, glaube ich, jeder Einsicht und ist blödsinnig. ({12}) Meine Damen und Herren, wir haben das Gesetz im parlamentarischen Verfahren deutlich, wie ich meine, in der Summe positiv verändert. ({13}) Die Maßnahmen sind differenziert und sind trotzdem ökologisch sinnvoll und verantwortlich.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken Sie bitte ans Ende der Redezeit.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Was wir den Leuten zumuten, ist wirklich notwendig und auch zumutbar. Dies ist insgesamt eine Vorsorgemaßnahme für zukünftige Hochwasser. Ich sage auch dazu: Die wirkliche Vorsorge vor Hochwasser gibt es nicht; man kann aber eine ambitionierte Klimaschutzpolitik machen, die zukünftig dafür sorgt, dass wir tendenziell nicht mehr solche katastrophalen Hochwasser bekommen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst an Sie wenden, Herr Kollege Hermann: Das, was Sie hier eben als Rede zum Thema Hochwasserschutz geboten haben, ist wirklich eine Frechheit gegenüber der Opposition und den Wissenschaftlern, die wir in der Anhörung gehört haben. ({0}) Das, was Sie hier machen, ist nichts anderes als Polemik auf gebrochenen Deichen. Sie spielen mit den Ängsten der Menschen in diesem Land. ({1}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie hier erklären, die Aussagen der Kollegin Flachsbarth, die hier Experten aus der Anhörung zitiert hat, ({2}) seien nicht in Ordnung gewesen, dann hört sich das so an, als hätten Sie die Weisheit und die Wissenschaft gepachtet, und wer Ihnen nicht nach dem Mund redet, hat offensichtlich keine Ahnung. So geht es nicht, Herr Hermann. ({3}) Ich will Ihnen ganz klar sagen: Mit diesem Gesetzentwurf schöpft die Bundesregierung und auch die rotgrüne Koalition die Möglichkeiten zum Hochwasserschutz überhaupt nicht aus. Wir haben als FDP-Bundestagsfraktion bereits vor einem Jahr einen Antrag hier eingebracht und klar beschrieben, wie ein Hochwasserschutzgesetz aussehen müsste. Davon haben Sie wenige Dinge übernommen. Sie haben beispielsweise die Kooperation in Flussgebietseinheiten übernommen, was wir sehr begrüßen, aber da, wo es wirklich darauf ankommt, nämlich von Seiten des Umweltministers, der heute in der Debatte nicht einmal redet, grenzüberschreitend die Initiative zu ergreifen, fehlt es hinten und vorne. Es wird nichts, aber auch gar nichts gemacht. ({4}) Hochwasserschutz wird nicht dadurch gemacht, dass Sie irgendetwas zusätzlich in ein Gesetz hineinschreiben, was sowieso schon irgendwo anders geregelt ist. Das sagen Ihnen auch die Experten. Man muss selber initiativ werden und Hochwasserschutzkonferenzen anregen. ({5}) Wir haben - auch das wissen Sie - das Problem, dass dieser Gesetzentwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde. Sie haben jetzt zwei Jahre gebraucht, bis Sie den Gesetzentwurf hier vorgelegt haben. Trotzdem sagen uns die Experten, und zwar auch Experten, die von Ihnen eingeladen worden sind, dass wir erhebliche Unklarheiten bei den Begrifflichkeiten haben. Was ist denn eigentlich ein „Abflussbereich“ ({6}) oder, was der Herr Hermann gesagt hat, ein „erosionsgefährdetes Abflussgebiet“? ({7}) Nur da gelte die Sache mit der Landwirtschaft. Wie ist denn das überhaupt definiert? Was ist denn ein „überschwemmungsgefährdetes Gebiet“? ({8}) All das sind Dinge, die offen geblieben sind. Die Experten haben uns klar gesagt, dass wir hier - ({9}) - Nein, das muss man nicht in den Landesgesetzen klar machen, Herr Hermann. Es ist nämlich genau die Aufgabe dieses Deutschen Bundestages, wenn er in ein Gesetz solche Begriffe hineinschreibt, dass er diese Begriffe auch definiert und nicht sagt: Wir überlassen das den 16 Ländern. ({10}) Deswegen sagen wir Ihnen zum Thema Ackerbauverbot: Klar, es ist kein generelles Ackerbauverbot mehr, aber wenn ich nicht mehr umpflügen darf, wenn ich flächendekkend Begrünung haben muss, dann kann ich keinen Ackerbau mehr betreiben; ({11}) das ist doch schlicht und ergreifend das, was da drinsteht. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben, keine Korrektur in der Sache, sondern eine kosmetische Korrektur, dass Sie sagen können, Sie hätten etwas getan. ({12}) Zur Frage der Ölheizung kann ich Ihnen nur sagen: Kein einziger Experte hat gesagt, dass ein Verbot von Ölheizungen nötig ist. Die FDP plädiert dafür, Vorschriften zu machen, damit die Häuser, die in diesen Gebieten liegen, technisch so sind, dass durch Ölheizungen kein Schaden entstehen kann; aber ein Verbot für Ölheizungen ist dafür jedenfalls nicht notwendig. ({13}) Meine Damen und Herren, all diese Themen in drei Minuten abzuhandeln ist äußerst schwierig, deswegen möchte ich Ihnen nur eines noch sagen: Hätte mehr Zeit zur Verfügung gestanden, hätte man vielleicht fraktionsübergreifend einen Konsens finden können. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte daran, obwohl Sie viel in Ihre Minuten hineinpacken: Die Zeit ist doch vorbei. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, der letzte Satz. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Minister zwei Jahre gebraucht hat und Sie dann Ende April gemerkt haben, dass dem gemeinsam vereinbarten Terminplan, die Beratungen im September abzuschließen, besser nicht gefolgt wird, weil sich das Hochwasser im August nämlich zum zweiten Mal jährt, haben wir jetzt die Situation,

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, ich muss Sie jetzt wirklich bitten, Schluss zu machen.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- dass aufgrund der Schnelligkeit eine völlig unklare Lage entstanden ist; deswegen können wir auch nicht zustimmen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Petzold.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen, ich brauche, glaube ich, nicht mehr auf die Worte von Frau Jäger einzugehen. Frau Jäger, die Bundesregierung hat zwei Jahre gebraucht, um einen Gesetzentwurf vorzulegen. ({0}) Das ist eindeutig Bummelei. Wenn man jetzt einen Zeitdruck schafft, ist das, glaube ich, den zwei Jahren nicht angemessen. Das ist der Punkt. Liebe Kollegen, ich hatte gestern im Ausschuss genügend Zeit, detailliert auf die verschiedenen Paragraphen des vorliegenden Gesetzentwurfes einzugehen und die Änderungsanträge auch der Koalition zu bewerten. Im Plenum kann ich mich aufgrund der Zeit nur auf wenige Kernaussagen beschränken. Man kann nur noch einmal unterstreichen, was Frau Dr. Flachsbarth gesagt hat: Zeitpunkt und Zeitrahmen, die uns hier zu diesem Tagesordnungspunkt eingeräumt werden, weisen deutlich darauf hin, wie wichtig Sie dieses Hochwasserschutzgesetz nehmen. ({1}) Andernfalls könnte man nur vermuten, dass die Bundesregierung ihre Fehlleistungen im Dunkel der Nacht verstecken will. ({2}) Dass ein Hochwasserschutzgesetz notwendig wurde, darüber gibt es zwischen uns überhaupt keinen Streit. Koordinierung der Handlung zum Hochwasserschutz von Anliegerstaaten an grenzüberschreitenden Gewässern, integriertes Flussgebietsmanagement und Richtlinienvorgabe im Bereich der Bundeskompetenz waren notwendig und werden von uns auch begrüßt. Das populistische Getöse, mit dem die schleppende Gesetzgebung allerdings von Seiten des Bundesgesetzgebers begleitet worden ist, hat eher zur Verunsicherung und zu unnötigem Streit beigetragen. Es wurden potemkinsche Dörfer, Pappkameraden aufgebaut, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Hochwasserschutz oder Hochwasservorsorge zu tun hatten. ({3}) Dieses fing schon bei dem Fünfpunkteprogramm zur Flusskonferenz im September 2002 an. Wider besseres Wissen der Fachleute wurde eine sofortige Einstellung der Strombaumaßnahmen an der Elbe verfügt. Indirekt wurde dadurch suggeriert, Baumaßnahmen in der Nähe von Flüssen hätten zur Verschärfung der Hochwassersituation beigetragen. ({4}) Durch Gutachten gerade auch der Bundesanstalt für Wasserbau wurde dieser Nonsens dann in aller Deutlichkeit widerlegt. ({5}) Alle bisherigen Flussbaumaßnahmen, die seit der Wende durchgeführt wurden, hatten nachweislich keinen Einfluss auf den Hochwasserspiegel. Dass das Bundesumweltministerium diese Blamage lieber totschweigen will, kann ich verstehen. Die Wiederaufnahme der Baumaßnahmen ist in aller Heimlichkeit und Stille erfolgt. Der nächste Pappkamerad, der kam, war die Ausweitung von Rückhalteflächen durch Deichrückverlegungen. Wenn der NABU wie auch in der Anhörung ausführt, dass die Überschwemmungsflächen der Elbe um 87 Prozent reduziert wurden, verschweigt er, dass er sich auf einen Zeitpunkt vor über 1 000 Jahren, also vor der Besiedlung des Elbegebietes, bezieht. ({6}) Außerdem erscheint die Fläche auch nur deshalb so groß, weil sich der Lauf der Elbe seit dieser Zeit mehrfach verändert hat. Doch wenn wir die tatsächlichen Fachleute, wie die Fachleute von der Bundestanstalt für Wasserbau oder die Sachverständigen bei unserer Anhörung, die Sie benannt haben, Professor Quast und Professor Rodriguez, zu Wort kommen lassen, dann kommt übereinstimmend zum Ausdruck, dass Deichrückverlegungen die Höhe des Hochwasserscheitels nur unwesentlich beeinflussen. Die im Gesetzentwurf geforderten Deichrückverlegungen sind daher aus Naturschutzgründen schön, aber für den Hochwasserschutz bestenfalls zweite Wahl ({7}) und gegenüber der Wirkung von gesteuerten Poldern absolut zu vernachlässigen. Der dritte Pappkamerad, der dann kam, ({8}) war das Ackerbauverbot, jetzt abgemildert auf Ackerbaubeschränkungen in Überschwemmungsgebieten. Erosion und Stoffabtrag sollen als Begründung herhalten, um die Landwirtschaft in ein Korsett zu zwängen. Doch schlüssige Begründungen konnten bei allen Anstrengungen nicht erbracht werden. Wenn nicht einmal mehr der Vertreter des NABU in der Anhörung den Feststellungen von Professor Quast und Professor Rodriguez widerspricht, dass Ackerbau in Überschwemmungsgebieten nicht zur Erosion führt, spricht dies Bände. ({9}) Das sollte Sie, liebe Kollegen von der Koalition, veranlassen, auch diesen Pappkameraden endlich zu versenken. Wenn man denn eigentlich Naturschutz will, dann muss man auch Naturschutz dazu sagen und darf es nicht mit dem Mäntelchen des Hochwasserschutzes umhängen. ({10}) Wenn Sie mit der Angst der Menschen vor dem Hochwasser spielen, um Ihre politischen Ziele im Naturschutz durchzusetzen, dann macht dies Sie eines Tages unglaubwürdig. Das Schlimme dabei ist, dass dadurch nicht nur Sie unglaubwürdig werden, sondern dass Sie dadurch unser gesamtes politisches System unglaubwürdig machen. ({11}) Ich fordere Sie eindringlich auf: Gestalten Sie ein klares Hochwasserschutzgesetz! Bauen Sie keine Pappkameraden auf! Nur so schaffen wir wieder Glaubwürdigkeit in den Augen unserer Bürger. Danke schön. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Auch ich danke Ihnen und schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes auf Drucksachen 15/3168 und 15/3214. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegen- stimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koa- litionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge- gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3480? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Ent- haltung der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3481? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/ CSU abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Marlene Mortler, Peter H. Carstensen ({0}), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Situation des ökologischen Landbaus in Deutschland - Drucksachen 15/1385, 15/2128 - b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus ({1}) - Drucksache 15/775 10810 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3}) - Drucksache 15/2059 - Berichterstattung: Abgeordnete Gustav Herzog Ulrike Höfken Dr. Christel Happach-Kasan Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, die wir aber nicht benötigen, weil die Abgeordneten Herzog und Goldmann ihre Reden zu Protokoll geben möchten.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Marlene Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der ökologische Landbau nimmt mit seinen klar definierten Richtlinien eine Sonderstellung innerhalb der verschiedenen Landbewirtschaftungsformen ein. Das ist ein Grund für unsere Große Anfrage. Der ökologische Landbau verzichtet auf chemischsynthetische Produktionsmittel und auf den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen sowie deren Derivate. Mit den Richtlinien ist auch die Grundlage für eine artgerechte Tierhaltung geschaffen worden. Dies ist über alle Fraktionen hinweg unbestritten. Unbestritten ist auch, dass die Ausdehnung dieser Landbewirtschaftungsform positiv gesehen wird. Der ökologische Landbau ist ebenfalls ein wichtiges Standbein für die touristische Entwicklung der ländlichen Räume. So kaufen Landtouristen lieber Lebensmittel aus der Region als Massenware aus dem Regal. ({0}) Das gilt aber nicht nur für ökologisch, sondern auch für konventionell erzeugte Lebensmittel. Die Region ist hier wichtig. Frau Ministerin Künast hat sich zwar die Förderung der ökologischen Landwirtschaft auf die Fahnen geschrieben, ich fordere und erwarte von ihr aber, dass sie für alle landwirtschaftlichen Betriebe und Bauernfamilien unabhängig von ihren Wirtschaftsweisen Verantwortung trägt. ({1}) - Die Antwort ist sie bis heute schuldig geblieben, Herr Herzog. - Wird der ökologische Landbau in Deutsch- land von der Bundesregierung nun wirklich besonders gefördert? Letztendlich geht es nicht um das „Ob“, son- 1) Anlage 22 dern darum, „wie“ gefördert wird. Dieses „Wie“ war der Kern unserer Großen Anfrage. Ich komme zum Beispiel Biosiegel. Als Oppositionspolitikerin, aber auch als Bäuerin sehe ich es grundsätzlich positiv. Erstens ist es transparent und zweitens ist das Ganze unbürokratisch organisiert. Frau Ministerin Künast hat auf der „Biofach“ in Nürnberg gesagt, dass das Biosiegel zurzeit auf rund 20 000 verschiedenen Ökoprodukten zu finden ist. Das beantwortet aber nicht die Frage, welcher Anteil der mit dem Biosiegel gekennzeichneten und verkauften Produkte von heimischen Ökobauern stammt und welcher Anteil aus dem Ausland kommt. Ein hoher Beamter des BMVEL hat erklärt, dass rund 92 Prozent der Produkte mit dem deutschen Biosiegel auch von deutschen Bauern stammen. Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wie hat Ihr Haus diese Zahlen eigentlich ermittelt? In der Antwort auf unsere Anfrage sagen Sie nämlich, dass es zum Ökomarkt keine Daten aus der amtlichen Statistik, sondern nur Schätzungen gibt. Unklar bleiben auch die Antworten auf die Fragen, wie viele Ökoprodukte, die in Deutschland hergestellt werden, ausländische Rohstoffe beinhalten und wie viele Produkte auf diese Weise ein Etikett mit dem deutschen Kontrollstempel bekommen. Tatsache ist, dass sich viele deutsche Biobauern täglich beklagen, dass ihnen Ökopreisdumping und die Austauschbarkeit, das heißt die Beliebigkeit des Biosiegels, enorme wirtschaftliche Probleme bereiten. ({2}) Ich frage Sie, Herr Staatssekretär: Erhalten Sie diese Botschaften, diese Hilferufe eigentlich nicht? Da ich selbst ökologische Produkte in meinem Betrieb verarbeite, kann ich aus Erfahrung sagen, dass auf dem Ökomarkt der eisige Wind des knallharten Wettbewerbs bläst. Das heißt, Frau Ministerin hat es erst mit der Einführung des Biosiegels ermöglicht, dass jeder ausländische Anbieter Zugang zu den Märkten in Deutschland hat, wenn Konformität nach EG-ÖkoVerordnung 2092/91 besteht. ({3}) Mit ihren bekannten Worthülsen hat Frau Ministerin Wein gepredigt und Wasser trinken lassen. Sie hat die höheren deutschen Standards faktisch ausgehebelt. ({4}) Sie haben zwar in der Antwort auf die Große Anfrage richtig erkannt, dass damit auch unsere Erzeuger Kostenvorteile haben können, wenn sie nur nach den Vorgaben der EG-Öko-Verordnung produzieren. Allerdings haben Sie keine konkreten Lösungsvorschläge vorgelegt, um die Wettbewerbsverzerrung für die deutschen Ökobauern zu beseitigen. Ihr Memorandum zur Weiterentwicklung der EGÖko-Verordnung in Ehren, aber der Zuspruch der anderen EU-Mitgliedstaaten ist - höflich ausgedrückt - sehr verhalten. Die anderen EU-Mitgliedstaaten dagegen bauen auf eigene Wettbewerbsvorteile und insbesondere auf die hausgemachten Wettbewerbsnachteile in Deutschland. In Frankreich steht bei PR-Aktionen für Ökoprodukte das nationale Gütesiegel „Agriculture Biologique“ an erster Stelle. In Großbritannien ist es entsprechend. Ihr Ziel, Bioimporte in engem Konsens mit dem Lebensmitteleinzelhandel so weit wie möglich durch heimische Produkte zu ersetzen und die Nachfrage zu fördern, ist sicherlich ein Grund, warum sich die Exportmärkte für unsere Bioprodukte unter anderem in Frankreich und Großbritannien rückläufig entwickeln. Auch bei uns sind die Absatzmärkte unzureichend. Vor allem im Bereich Biomilch mussten im letzten Jahr nach Informationen der ZMP 30 Prozent der gesamten Produktionsmenge wieder konventionell vermarktet werden. ({5}) Die Großabnehmer reiben sich die Hände; denn Überschüsse bedeuten Preisdruck. Die Störung des Marktgleichgewichts zulasten der Landwirte zeigt, dass man Ökoanbau nicht verordnen darf. ({6}) Mittelfristig werden Länder aus Osteuropa mit erheblichen Mengen auf unsere Märkte drängen. Drittländer werden weiter auf unsere attraktiven, weil großen Märkte drücken. Der Absatz über Direktvermarktung, also ab Hof oder auf Bauernmärkten, ist fast ausgereizt. Biosupermärkte allerdings sind besser dran. Hier sehe ich durchaus einen Lichtblick. Das Potenzial für den Absatz in Kantinen und Großküchen ist hoch, wird aber kaum genutzt. Der Lebensmitteleinzelhandel und die Discounter werden ihr Ökoangebot sicherlich ausweiten. Aber nach der Ideologie von Ministerin Künast müsste man logischerweise von Masse statt Klasse sprechen. Soll denn nicht das Biosiegel für unsere deutschen Bauern zur Erfolgsstory werden? Ich frage mich an dieser Stelle: Was nun, Frau Künast, stellvertretend Herr Staatssekretär? Ich denke, wir als Union haben das bessere Konzept. Deutsche Ökoprodukte haben beim deutschen Verbraucher einen hohen Stellenwert. Deshalb liegt es auf der Hand, dass der deutsche Verbraucher dies beim Einkauf deutlich erkennen muss. Nur so und nicht anders wird das Biosiegel zur Erfolgsstory für Bauern und Verbraucher. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedrich Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr über so viel Interesse der CDU/CSU-Fraktion am ökologischen Landbau. Es ist ein sehr detailliertes Interesse, wie die 72 Fragen Ihrer Großen Anfrage zeigen, Frau Mortler. Wie ich sehe, ist Herr Carstensen, der mit Ihnen die Anfrage gestellt hat, leider gar nicht da. Stimmt ja: Er ist beim Spanferkelessen bei den Schweinehaltern in Niedersachsen, von wo er nicht weg kann. Ich hoffe aber auch, dass Herr Carstensen als Agrarsprecher der Unionsfraktion genug Zeit hat, um die Antworten der Bundesregierung, Herr Staatssekretär, auf seine Fragen gründlich zu studieren. Wie man hört, beschäftigt er sich vor allem mit der Beantwortung der über die „Bild“-Zeitung initiierten Hochzeitsofferten. ({0}) Der ökologische Landbau ist ein sehr ernsthaftes Geschäft. Seit 21 Jahren bewirtschaften meine Frau und ich unseren Hof biologisch. Damit wir wirtschaftlich überleben konnten, mussten wir uns unseren eigenen Markt hart erarbeiten, so wie es alle mussten, die sich für diesen Schritt entschieden haben. Wir Biobetriebe waren auf uns allein gestellt, die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte hat uns schlicht nicht vorgesehen. Ja, wir haben unsere Betriebe und Märkte gegen die frühere Agrarpolitik entwickelt, für die die Union über Jahrzehnte verantwortlich war. ({1}) Mit Renate Künast hat sich dieses Verhältnis geändert und normalisiert, wie in vielen anderen EU-Staaten vorher auch schon. Die Leistungen des ökologischen Landbaus wurden endlich auch bei uns von der Bundespolitik anerkannt. Diese neue Wertschätzung durch die Politik entsprach und entspricht im Übrigen auch der gesellschaftlichen Anerkennung der Biobetriebe. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Ökolandbau den Wünschen der Bevölkerung nach Transparenz, Offenheit, nach Umwelt- und Tierschutzqualität offensiv entgegenkam. Frau Mortler, wir sollten auch festhalten - Sie haben viel aus den „ZMP-Nachrichten“ zitiert, die heute auf den Tisch kamen -, dass oben in den Nachrichten stand, dass der Ökomarkt eine Steigerung von 5,5 Prozent im Jahr 2003 zu verzeichnen hatte. ({2}) Ich wäre froh gewesen, wenn Sie auch dieses zitiert hätten. Andere im Lebensmittelmarkt wären froh über solche Zahlen. ({3}) Im ökologischen Landbau verdichten sich eben die Werte der bäuerlichen Landwirtschaft, die glücklicherweise auch noch in vielen konventionell wirtschaftenden Betrieben vorhanden sind und gelebt werden. Liebe Kolleginnnen und Kollegen, der Deutsche Bauernverband hat damit die Deutungshoheit und das Meinungsmonopol über die Agrarpolitik in Deutschland verloren und andere Kräfte wurden gestärkt. Es ist gut, dass wir dabei sind, das alte Geflecht von früherer Agrarpolitik, Wissenschaft und Beratung zu überwinden, denn dieses Geflecht hatte alles getan, um diese positiven und gesellschaftlich geschätzten Werte zu zerstören. ({4}) Es ist auch gut, dass sich viele Bäuerinnen und Bauern auch im ökologischen Landbau dem beharrlich und aktiv widersetzt haben. Auf diesen Fundamenten bauen wir nun auf, im ökologischen Teil wie im allgemeinen Teil der Landwirtschaft. Bestes aktuelles Beispiel ist die Reform der europäischen Agrarpolitik. ({5}) Wir formen das System der staatlichen Direktzahlungen um und machen es insgesamt gerechter. Mit der einheitlich hohen Flächenprämie beenden wir eine langjährige Benachteiligung von Grünland gegenüber Silomais. Weil ökologische wie auch viele bäuerliche Milchviehbetriebe einen höheren Anteil an Grünland haben, hilft ihnen diese Reform, denn sie müssen nicht mehr gegen die einseitigen Prämien für Ackerland ankämpfen. ({6}) Auch unser neues Gentechnikgesetz ist ein Beispiel dafür, wie wir durch Setzen allgemeiner Rahmenbedingungen der besonders nachhaltigen Landwirtschaft helfen. ({7}) Wir haben ein Gesetz beschlossen, das diejenigen so weit wie möglich schützt, die auch in Zukunft gesunde Lebensmittel ohne Gentechnik erzeugen wollen. ({8}) Wenn es nach Ihnen von der Union ginge, Frau Mortler, dann würde dagegen diese Technologie im Anbau Einzug halten und die Folgekosten würden der Mehrheit der Landwirte aufgebürdet, die weiterhin keine Gentechnik will. ({9}) Gut, dass Sie von der Union sich auch hier nicht durchgesetzt haben. Meine Damen und Herren, an den Zielen einer Politik macht sich ihre Ausrichtung sichtbar. Das Ziel, 20 Prozent Ökolandbau in zehn Jahren zu erreichen, ist ein gutes Beispiel dafür. ({10}) Denn es zeigt, das wir das Mögliche in Bewegung setzen, um die Rahmenbedingungen so zum Guten zu verändern, dass diese Ziele wahr werden können. Ich muss sagen: Wer hätte gedacht, dass wir auf diesem Weg so erfolgreich sind, beharrlich und nachhaltig, eben auf bäuerliche Art und Weise, und das in einer Zeit, wo allenthalben „Geiz ist geil“ angesagt ist? Auch die „ZMPNachrichten“ titelten heute: „Ökomarkt wieder auf dem Wachstumspfad“. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat das Wort der Kollege Helmut Heiderich. ({0})

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vorgabe der Bundesregierung, die Ökolandwirtschaft auf einen Anteil von 20 Prozent zu pushen, ist schlicht und einfach unrealistisch. Sie ist für die Bauern ebenso negativ wie die gesamte Künast-Agrarwende. Im vierten Jahr hintereinander - das ist die Realität - verlieren die deutschen Landwirte wegen dieser falsch ausgerichteten Politik an Einkommen. Das trifft die Ökobranche trotz aller ministeriellen Bevorzugung ebenso wie die anderen Höfe. ({0}) Herr Ostendorff, wenn Sie das mit ausgleichender Gerechtigkeit meinen, dann muss ich Ihnen entgegenhalten, dass Sie damit eine Gerechtigkeit schaffen, die eher schädlich ist. Ministerin Künast hat allein für die Biosiegel-Werbung in den letzten beiden Jahren Steuermittel in Höhe von 14 Millionen Euro ausgegeben. ({1}) Was hat das gebracht? Zunächst sind dadurch die Ökoqualitätsstandards in Deutschland erheblich gesenkt worden. ({2}) Das hat die Ökolandwirtschaft nachhaltig verändert, und zwar zu ihrem Nachteil, weil die hohen deutschen Standards abgesenkt worden sind. ({3}) Wie stellt sich die Situation heute dar? Von den kleinen, in sich geschlossenen und überschaubaren Betrieben im Ökobereich, die Sie immer wieder anführen, kann doch längst nicht mehr die Rede sein. Ein großer Teil aller Betriebe - schauen Sie doch in Ihre eigene Statistik! - ist inzwischen größer als 200 Hektar; in Mecklenburg-Vorpommern sind sie sogar größer als 500 Hektar. ({4}) Ich kann mich noch daran erinnern, dass Sie in diesem Hause von Agrarfabriken gesprochen hatten. Damit war jeder Betrieb gemeint, der mehr als 100 Hektar hatte. Jetzt sind es plötzlich keine Agrarfabriken mehr. Ein großer Teil des Futters wird doch längst nicht mehr im eigenen Betrieb erzeugt, sondern im internationalen Handel beschafft. Das haben wir im Zusammenhang mit dem Nitrofenskandal lange genug diskutiert. Auch von den Vorteilen hinsichtlich der Qualität, Tiergerechtigkeit oder Nachhaltigkeit kann nicht mehr die Rede sein. Darüber liegen genug Forschungsergebnisse aus Ihren eigenen Bundesforschungsanstalten vor. Das brauche ich hier nicht weiter auszuführen. Vor allem hat der von Ihnen geschaffene Niedrigstandard - das hat Frau Kollegin Mortler bereits ausgeführt zu hohen Importen und damit zu Preisdruck auf den eigenen Märkten geführt. Das trifft die Ökobauern genauso wie alle anderen. ({5}) Deshalb ist es falsch, wenn die Bundesregierung die Ökobranche ständig als eine Art Vorbildlandwirtschaft darzustellen versucht. Was wir statt dieser Differenzierung der Landwirtschaft brauchen, sind bessere Bedingungen für die gesamte deutsche Landwirtschaft. Dabei sind Sie gefordert. ({6}) Wer wie Frau Künast den Bauern ständig mehr Auflagen macht und damit den Betrieben höhere Kosten verursacht, der muss auch dafür sorgen, dass dies durch ein höheres Einkommen ausgeglichen wird, und verhindern, dass ausländische Billigkonkurrenz bei uns zu Produktionsbedingungen verkaufen darf, die den deutschen Bauern - ob sie Ökobauern sind oder nach guter fachlicher Praxis arbeiten - verboten sind. Das kann doch nicht das Ergebnis einer vernünftigen Agrarpolitik sein. ({7}) So werden vielmehr der Verbraucher in die Irre geführt und der Landwirt letztendlich geschädigt. Die Bundesregierung sollte lieber - das hat Frau Mortler eben auch schon ausgeführt - die regionale Direktvermarktung für alle stärken, ({8}) statt mit unrealistischen 20-Prozent-Zielen und einseitigem Eingreifen in den Markt den Preisverfall und das Höfesterben weiter zu fördern. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2059, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Volker Beck ({1}), Claudia Roth ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler, Günter Nooke, Bernd Neumann ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg - Drucksachen 15/2974, 15/986, 15/3431 Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner Dr. Peter Gauweiler Claudia Roth ({4}) Hans-Joachim Otto ({5}) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden keine Reden mehr hören, ich vermute: dank des Fußballs. ({6}) - Auch dank der Geschäftsführer. - Nun haben wir einen Abstimmungsmarathon vor uns. Tagesordnungspunkt 21: Die Kolleginnen Krüger- Leißner, Roth und Dr. Lötzsch sowie der Kollege Dr. Gauweiler bitten, ihre Reden zu Protokoll geben zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 15/3431. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2974 mit dem Titel „Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2005“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucksache 15/3514, vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der FDP? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/2974 in der Ausschussfassung anzunehmen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/986 mit dem Titel „Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lothar Mark, Gert Weisskirchen ({7}), Hans Büttner ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Thilo Hoppe, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine schnelle Überwindung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela - Drucksache 15/3453 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Claudia Nolte, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ordnungsgemäßen Ablauf des Abberufungsreferendums in Venezuela sicherstellen - Drucksache 15/3438 Hier haben die Kollegen Mark, Hedrich, Weiß ({9}), Ströbele und Leibrecht gebeten, ihre Reden 1) Anlage 23 zu Protokoll geben zu dürfen.2) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann kommen wir als Erstes zur Abstimmung über den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine schnelle Überwindung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela“, Drucksache 15/3453. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/3438. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine nachhaltige Rohstoff- und Energie- politik der Weltbank - Drucksache 15/3465 - Hier haben die Kollegen Dr. Raabe, Hoppe und Löning sowie die Kollegin Dr. Mayer gebeten, ihre Re- den zu Protokoll geben zu dürfen.3) - Ich sehe, dass Sie einverstanden sind. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 15/3465. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- men der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenom- men. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ungerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Geländewagen abschaffen - Drucksache 15/3468 - Die Kollegin Wright, die Kollegen Seiffert, Hermann und Solms sowie die Staatssekretärin Gleicke bitten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.4) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Ungerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Gelände- 2) Anlage 24 3) Anlage 25 4) Anlage 26 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer wagen abschaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine qualifizierte Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Fusionen - Drucksache 15/3466 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Kollegin Barnett und die Kollegen Röttgen, Fritz Kuhn und Brüderle haben gebeten, die Reden zu Pro- tokoll geben zu dürfen.1) - Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie die Fraktion der FDP wünschen die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht die Federführung beim Rechtsausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der CDU/CSU - Federführung beim Rechtsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP - Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG ({11}) - Drucksache 15/3441 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12}) 1) Anlage 27 Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die Kolleginnen Lösekrug-Möller, Dött und Homburger sowie Kollegen Bollmann und Obermeier und der Bundesminister Trittin haben gebeten, ihre Re- den zu Protokoll geben zu dürfen.2) - Ich sehe, Sie sind einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3441 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich soll der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen - Drucksache 15/3439 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({13}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Die Kolleginnen Kaupa, Bender und Lenke sowie die Kollegen Dreßen und Weiß ({14}) und der Staatssekretär Thönnes haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.3) - Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3439 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich soll der Gesetzentwurf an den Sportausschuss und an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2. Juli 2004, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.