Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
für heute vorgesehene Beratung des Tagesordnungspunktes 8 - Für eine nachhaltige Rohstoff- und Energiepolitik der Weltbank - auf Donnerstag, nach Tagesordnungspunkt 23, verschoben werden. Außerdem sollen
von der verbundenen Tagesordnung Tagesordnungspunkt 22 - Sozialgerichtsgesetz - und Tagesordnungspunkt 24 - Ratsvorschlag zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in
Strafverfahren - abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung der Verordnung der Bundesregierung
Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({0})
- Drucksache 15/3420 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Interfraktionell ist vereinbart, dass keine Aussprache
erfolgen soll. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen damit gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3420 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Hans Georg Wagner. Bitte
schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem heute vom Kabinett beschlossenen Entwurf eines
Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, dem Soldatinnen-und-Soldaten-Gleichstellungs-Durchsetzungsgesetz
- die unmögliche Abkürzung dieses Gesetzes möchte ich
nicht nennen -, ist die Bundesregierung dem von den
Koalitionsfraktionen auf Bundestagsdrucksache 14/7074
vom 10. Oktober 2001 initiierten Beschluss des Deutschen Bundestages vom 11. Oktober 2001 nachgekommen. Damals hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich den Entwurf eines
Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von
Frauen und Männern in der Bundeswehr zu erarbeiten
und dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Der Gesetzentwurf sollte insbesondere verbindliche Maßnahmen
zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten sowie
zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst in den Streitkräften enthalten. Diesen Maßgaben
ist die Bundesregierung bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs gefolgt: Er schafft gesetzliche Regelungen für
die Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr.
Der als Artikelgesetz konzipierte Entwurf enthält als
Kernbestandteil das Soldatinnen-und-Soldaten-Gleichstellungsgesetz. Es lehnt sich, wo immer möglich, eng
an das Bundesgleichstellungsgesetz an. Allerdings waren wegen der besonderen Erfordernisse der Streitkräfte
und deren Funktionsfähigkeit gewisse Abweichungen
von den Regelungen im Bundesgleichstellungsgesetz erforderlich. Sie festzustellen und innerhalb der Bundesregierung abzustimmen war nicht ganz einfach sowie zeitaufwendig.
Zu erwähnen sind vor allem die Aufnahme einer
Vorschrift in den Gesetzentwurf des Soldatinnen-undSoldaten-Gleichstellungsgesetzes, die den Vorrang der
Redetext
Funktionsfähigkeit der Streitkräfte unterstreicht, die
Nichtanwendbarkeit des Soldatinnen-und-SoldatenGleichstellungsgesetzes im Spannungs- und Verteidigungsfall sowie die nur eingeschränkte Anwendung des
Gesetzes bei besonderen Auslandsverwendungen.
Ganz wichtig war die Schaffung der Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung für Soldatinnen und Soldaten;
denn dies stellt eine wesentliche Voraussetzung für die
bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den
Streitkräften dar. Durch eine Änderung des Soldatengesetzes wird hierfür die Rechtsgrundlage geschaffen. Die
konkrete Ausgestaltung der Teilzeitbeschäftigung wird
jedoch in einer Rechtsverordnung geregelt werden, in
der auch bestimmte Verwendungen oder Truppenteile
festgelegt werden können, für die eine Teilzeitbeschäftigung nicht infrage kommt. Anders als im zivilen Bereich
wird eine Teilzeitbeschäftigung aus Ausbildungsgründen
grundsätzlich erst nach einer vierjährigen Dienstzeit und
nur aus familienbedingten Gründen für eine Gesamtzeit
von höchstens zwölf Jahren ermöglicht.
Die Definition der Unterrepräsentanz der Soldatinnen
im Soldatinnen-und-Soldaten-Gleichstellungsgesetz war
nicht ganz leicht. Bezüglich der Frage, bis zu welchem
Prozentsatz Soldatinnen in den Streifkräften als unterrepräsentiert anzusehen sind, ist für die Unterrepräsentanz
in den Laufbahnen außerhalb des Sanitätsdienstes eine
Quote von 15 Prozent und in der Laufbahn des Sanitätsdienstes eine Quote von 50 Prozent festgesetzt worden.
Diese Quoten orientieren sich an der mittelfristigen Planung zur Verwendung von Soldatinnen in der Bundeswehr und an der oberen Grenze des Frauenanteils in den
Streitkräften der NATO-Staaten.
Der Gesamtanteil der Berufssoldatinnen und der Soldatinnen auf Zeit in den Streitkräften betrug Ende 2003
rund 5 Prozent. Seit der Öffnung aller Laufbahnen für
Frauen ab dem Jahre 2001 steigt die Anzahl der Soldatinnen im Truppendienst kontinuierlich. Die Festlegung
von 15 Prozent ist im Hinblick auf die faktische Erreichbarkeit eine realistische Zielvorgabe. Im Sanitätsdienst
liegt der Anteil der Soldatinnen im Durchschnitt etwa
bei einem Drittel. Der Anteil der Sanitätsoffiziersanwärterinnen stieg sogar auf 54 Prozent. Daher ist in Bezug
auf den Sanitätsdienst die Festlegung der Unterrepräsentanz auf 50 Prozent angemessen. Insgesamt werden mit
den Quoten zum Soldatinnen-und-Soldaten-Gleichstellungsgesetz zum einen keine unrealistischen Vorgaben
gemacht und zum anderen anspruchsvolle Ziele im Hinblick auf die Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten in den Streitkräften gesetzt.
Ganz wichtig ist der Hinweis - dies wird häufig übersehen -, dass die Quoten keine generelle Bevorzugung
von Soldatinnen bedeuten, sondern nur im Falle gleicher
Qualifikation greifen. Der verfassungsrechtlich verbriefte Grundsatz, dass die oder der Leistungsstärkere
vor der oder dem Leistungsschwächeren gefördert wird,
wird durch die Gleichstellung also nicht angetastet.
In dem Gesetzentwurf ist die Verpflichtung vorgesehen, dem Deutschen Bundestag spätestens nach fünf
Jahren zu der Frage Bericht zu erstatten, ob die Quoten
dem Ziel der Förderung der Gleichstellung angemessen
Rechnung tragen. Spätestens nach zehn Jahren soll der
Bundestag über die Notwendigkeit der Änderung der
Quoten entscheiden.
Schönen Dank.
Danke schön. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem
Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet
wurde. - Zunächst Kollegin Lenke, dann Kollegin
Widmann-Mauz.
Vielen Dank für Ihren Bericht, Herr Staatssekretär.
Eines aber habe ich vermisst, nämlich Ihr besonderes
Eingehen auf die Problematik der Jugendoffiziere. Bei
einer Kleinen Anfrage der FDP hat sich ja herausgestellt,
dass es fast keine weiblichen Jugendoffiziere als Ansprechpartner für junge Frauen gibt. Ich bitte Sie, Auskunft darüber zu geben, was Sie in diesem Bereich tun
wollen. Das ist das Erste.
Zweitens. Ich hätte auch gerne eine Auskunft darüber,
ob die Zahl der Ansprechstellen - derzeit gibt es wohl
acht -, zu denen die Soldatinnen in der Bundeswehr mit
ihren spezifischen Problemen, kommen können, im
Gleichstellungsgesetz so erhöht wird, wie die Bundesregierung das versprochen hat.
Zunächst einmal: Die Bundesregierung hält ihr Versprechen. Wir werden die Zahl der Gleichstellungsbeauftragten, also der Ansprechpartnerinnen für die weiblichen Mitglieder der Bundeswehr, auf insgesamt 40
aufstocken.
Zweitens. Im Rahmen des Verfahrens wird überlegt
werden müssen, wie wir dieses Problem im Bereich der
Jugendoffiziere lösen. Ich halte es zunächst einmal nicht
für notwendig, dies im Gesetz zu verankern; man sollte
das in der Praxis realiseren.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, so ganz habe ich das nicht verstanden. Es geht hier um die Jugendoffiziere, die in
Schulen und anderen Einrichtungen verstärkt weibliche
Soldaten anwerben sollen. Momentan gibt es für diese
Aufgabe fast keine. Wie wollen Sie das im nächsten oder
übernächsten Jahr bewerkstelligen? Das muss ja möglichst schnell gehen. Können Sie mir dazu bitte eine
Auskunft geben?
Wir stellen zunächst einmal klar, dass Jugendoffiziere
keine Nachwuchswerbung betreiben, sondern im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit tätig sind. Solche Jugendoffiziere können auch weiblichen Geschlechts sein. Wir
werben darum, dass sie diese Aufgabe auch übernehmen
und versichern zurzeit, den Frauenanteil zu erhöhen.
Diese können dann auch in den Schulen im Rahmen der
Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden. Aber auch die
jetzt in diesem Bereich tätigen Offiziere sind fähig,
Frauen sachgerecht über die Bundeswehr zu informieren.
Danke schön. - Bitte jetzt Kollegin Widmann-Mauz.
Herr Staatssekretär, wir freuen uns, dass die Bundesregierung endlich einen solchen Gesetzentwurf verabschiedet hat und in den Deutschen Bundestag einbringt.
Wir haben insbesondere Nachfragen zu der Quotenregelung von 15 Prozent, die Sie vorsehen. Ist sich die
Bundesregierung sicher, dass in allen Laufbahnen der
Bundeswehr diese Quote von 15 Prozent weiblicher Mitglieder erreicht werden kann, und besteht nicht im
Grunde die Gefahr, dass bei Nichterreichen dieser Quote
die Auslegung erfolgen könnte, es gebe nicht genügend
qualifizierte Soldatinnen in unseren Streitkräften?
Andersherum gefragt: Sind Sie sich der Tatsache bewusst, dass durch diese Quotenregelung in den kommenden 18 Monaten im Bereich des Heeres nur noch Frauen
zu Unteroffizieren befördert würden, weil der Anteil an
Frauen dort bisher nicht die 15-Prozent-Quote erreicht,
und nehmen Sie damit nicht in Kauf, dass dies in der
Truppe, insbesondere bei den Soldaten, zu erheblichem
Unmut führen wird?
Vielleicht können Sie uns auch erklären, warum Sie
gerade zu dieser Form der Quotierung gekommen sind
und keine flexiblere Quotierung vorgesehen haben. Welche Gründe haben die Bundesregierung dazu bewogen,
in diesem Bereich diese starre 15-Prozent-Quote einzuführen? Können Sie uns sagen, welche Länder in der
Welt Vorbild für diese strikte Quote waren? Oder hat bei
dieser Quotierung der Blick über die Grenzen hinweg
überhaupt keine Rolle gespielt? Unseres Wissens sind
solche starren Quotierungen in anderen Ländern nicht
gegeben. Vielleicht können Sie uns über diese Sachverhalte aufklären.
Gerne. Natürlich haben wir auch hier über die Bundesrepublik Deutschland hinausgeschaut, so wie wir das bei
allen Fragen tun. In den USA beträgt der Anteil der
Frauen rund 15 Prozent, in Frankreich 13 Prozent, in
Großbritannien 8,8 Prozent, in den Niederlanden 8,5 Prozent und in Dänemark 6,5 Prozent. Wir wollen die Quote
bei 15 Prozent festlegen. Damit würden wir mit den Amerikanern gleichliegen. Dabei kommt es nicht nur auf den
Bedarf, sondern auch auf die Nachfrage an, also darauf,
wie viele Anwärterinnen sich bei uns melden. Dann wird
man entsprechend den Qualifikationen sehen, wo sie eingeordnet werden.
Sie haben noch danach gefragt, ob dadurch nicht in
vielen Dienstgradgruppen sämtliche Frauen auf Jahre hinaus an den meisten ihrer männlichen Kollegen vorbeibefördert werden. Das wird nicht der Fall sein. Es gilt in
der Tat das Qualitätsprinzip. Wer am besten ist, wird in
die entsprechende Gruppierung eingewiesen.
Eine Nachfrage. Bitte schön.
Wenn ich Sie richtig verstehe, heißt das, dass in Verwendungsbereichen, in denen Frauen von der Anzahl her
gering vertreten sind, zum Beispiel im Heer - die Öffnung der Bundeswehr für Frauen in den kämpfenden
Truppen besteht noch nicht so wahnsinnig lange und wir
gehen davon aus, dass die Soldatinnen sehr qualifiziert
sind -, in den nächsten Jahren ausschließlich Frauen befördert werden. Nach dem Grundsatz werden Frauen bei
gleicher Eignung so lange bevorzugt, bis ihr Anteil
15 Prozent beträgt. Wenn die Soldatinnen also entsprechend befähigt sind, dann müssten ausschließlich Frauen
befördert werden. Halten Sie das für sachgerecht auch
angesichts der Moral der Truppe insbesondere in den
Bereichen, in denen der Anteil der Frauen eher gering
ist?
Sie haben meine Frage nach einer flexibleren Quote,
mit der berücksichtigt wird, wie hoch der Frauenanteil in
den entsprechenden Verwendungsbereichen ist, noch
nicht beantwortet.
Könnten Sie zu den Beispielen aus dem Ausland, die
Sie genannt haben, noch sagen, wie hoch der Frauenanteil insgesamt in den Streitkräften ist? Erst dann kann
nämlich eine wirkliche Relation hergestellt werden.
Schließlich ist der Anteil der Frauen in den US-Streitkräften wesentlich höher als in der Bundesrepublik
Deutschland.
In Deutschland tun fast 10 000 Frauen Dienst in der
Bundeswehr, - mit steigender Tendenz - was sehr zu begrüßen ist. Deren Qualifikationen werden im Wettbewerb mit denen ihrer männlichen Kollegen stehen. Das
wird bei der Beförderung ausschlaggebend sein. Keine
Frau wird befördert, weil sie eine Frau ist, sondern es
kommt auf die Qualifikation an. Genauso wenig wird ein
Mann befördert, weil er ein Mann ist. Vielmehr hat er die
entsprechenden Befähigungen mitzubringen.
Die Zahlen, die ich Ihnen vorhin bezogen auf das
Ausland genannt habe, geben die Anteile der Soldatinnen in den Streitkräften an. Weltweit liegt dieser Anteil
bei insgesamt 10 Prozent. Wir liegen mit 15 Prozent
ganz gut. Wenn sich zeigen sollte, dass die Bewerbungen
von Frauen 15 Prozent übersteigen, dann sind wir flexibel genug, auch 18 oder 20 Prozent zuzulassen. Wenn
die Qualifikation vorhanden ist, werden wir jeden übernehmen, für den ein Dienstposten zur Verfügung steht.
Kollegin Brüning.
Der große Schwachpunkt des SDGleiG ist, dass es
keinerlei Regelungen zu Auslandseinsätzen enthält. In
Abschnitt 1 „Allgemeine Vorschriften“, § 3 Abs. 5 heißt
es dazu lediglich:
Im Rahmen von besonderen Auslandsverwendungen gilt dieses Gesetz, soweit das Bundesministerium der Verteidigung es für anwendbar erklärt.
Es steht somit unter völligem Vorbehalt seitens des
BMVg, was nicht akzeptabel ist. Wie steht das BMVg
dazu?
Man wird die Frauen, die es wünschen und die sich
freiwillig dazu bereit erklären, selbstverständlich zu
Auslandseinsätzen mitnehmen, weil sie die gleichen
Qualifikationen wie die Männer aufweisen. Die Frage
stellt sich eigentlich in diesem Zusammenhang nicht; das
ist geklärt. Wir müssen aber im Einzelfall prüfen, ob
Teilzeitarbeit mit Auslandsverwendungen vereinbar ist,
da Teilzeitarbeit eine Auswirkung auf die gesamte
Truppe hätte.
Bitte schön.
In der Begründung des Referentenentwurfes wird
ausgeführt, dass Auslandsverwendungen, die als Einsatz
der Streitkräfte in Krise und Krieg außerhalb Deutschlands zu bewerten sind, vergleichbar mit denen im Spannungs- und Verteidigungsfall seien, in dem das SDGleiG
naturgemäß nicht gilt. Dieses hebelt die berechtigten Erfordernisse einer Familienbetreuung bei Auslandseinsätzen völlig aus. Warum tut das BMVg für Soldatenfamilien in Auslandseinsätzen in Bezug auf Kinder- und
Familienbetreuung nicht ansatzweise genug?
Das ist eine Frage der Bewertung. Nach unserer Ansicht ist die Betreuung der Familien, die zu Hause geblieben sind, hervorragend. Das wird von den Familien
bestätigt. Wir haben in der gesamten Bundesrepublik
Deutschland Betreuungsstellen eingerichtet. Wir würden
bei Bedarf noch mehr einrichten. Jedenfalls ist die Zufriedenheit mit der Betreuung spürbar und hörbar.
Danke schön. - Gibt es weitere Fragen? - Kollegin
Lenke, dann Kollege Koppelin.
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne an die Frage
meiner Kollegin anknüpfen. Es gibt vermehrt Soldatenehen mit Kindern. Wie ist es da mit den Auslandseinsätzen? Gibt es diesbezüglich klare Grundsätze? Wenn es in
dem Gleichstellungsgesetz keine speziellen Vorschriften
gibt, kann es dann im Extremfall sein, dass Mutter und
Vater gemeinsam in einen Auslandseinsatz geschickt
werden, oder wird auf die Familie Rücksicht genommen?
Natürlich wird auf die Familie Rücksicht genommen.
Wenn Kinder zu erziehen sind, wird ein Elternteil in
Deutschland bleiben können, um die Erziehung der Kinder sicherzustellen. Wenn beide ohne Kinder sind, kann
es durchaus sein, dass sie ihren Fähigkeiten entsprechend im Ausland eingesetzt werden.
Kollege Koppelin.
Herr Staatssekretär, angesichts der positiven Entwicklung in der Bundeswehr, was den Anteil der weiblichen
Soldaten angeht, darf ich Sie fragen: Wäre es nicht gut,
wenn es in der Führung des Ministeriums selber Frauen
gäbe? Können Sie einen Kommentar dazu abgeben, dass
wir in der letzten Legislaturperiode eine Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium hatten, die durch Sie abgelöst wurde, wodurch die Führung
nur noch männlich ist?
Herr Kollege Koppelin, ich danke für diese schöne
Frage. Ich habe nicht abgelöst, sondern ich bin berufen
worden. Insofern bin ich völlig unschuldig an dieser Entwicklung. Da in diesem Gesetzentwurf steht, Herr Kollege Koppelin, dass dem Deutschen Bundestag in fünf
Jahren Bericht erstattet werden muss, würde ich Sie bitten, in fünf Jahren nachzuschauen, wie dann die Führungsspitze des Ministeriums aussieht.
Die Kollegin Eichhorn hat sich zu Wort gemeldet. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie verhält es sich bei Auslandseinsätzen von Alleinerziehenden? Wird darauf Rücksicht genommen, dass es innerhalb der Familien bestimmte Phasen gibt, in denen es äußerst schwierig ist,
die Kinder von den Eltern zu trennen? Welche Regelungen sehen Sie diesbezüglich vor? Welche Regelungen
gibt es, wenn die Kinder zwar älter sind, es sich aber als
äußerst problematisch erweist, eine Betreuung für sie zu
finden?
Auf Alleinerziehende wird man Rücksicht nehmen
müssen; denn sie sind kein Sonderfall, sondern das ist
heutzutage an der Tagesordnung. Auch bei der Prüfung
von Fähigkeiten, die im Ausland nachgefragt werden,
wird darauf Rücksicht genommen werden. Wie die Regelungen im Einzelnen aussehen, bleibt abzuwarten. Die
Betreuung von Kindern muss aber in jedem Fall sichergestellt werden.
Kollege Beck, dann Kollegin Widmann-Mauz.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund der vorletzten Frage, in der ausdrücklich betont
wurde, wie wichtig die Gleichstellung der Frauen ist,
dass die Zusammensetzung mancher Fraktionen des
Hauses - insbesondere die des Fragestellers - hinsichtlich des Gleichstellungsansatzes noch einige Möglichkeiten offen lässt?
Herr Kollege Beck, ich glaube, dass die Fraktion der
Grünen nachahmenswerte Voraussetzungen geschaffen
hat, und appelliere an die anderen Fraktionen, sich genau
anzusehen, wie die Grünen das gemacht haben.
({0})
Jetzt die Kollegin Widmann-Mauz.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die Frage meiner Kollegin Eichhorn ausgeführt, dass bei
Auslandseinsätzen die besondere Situation von Alleinerziehenden zu berücksichtigen ist. Ich gehe aber sicherlich recht in der Annahme, dass Sie im Gleichstellungsgesetz keine Regelungen bzw. Ansprüche für allein
erziehende Mütter in der Familienphase vorgesehen haben, um zum Beispiel von einem Auslandseinsatz zurückgestellt zu werden, bis ihre Kleinkinder in einem Alter sind, in dem sie außerhäuslich betreut werden
können. Es ist also willkürlich und liegt im Ermessen der
Spitze des Hauses, ob eine Genehmigung erteilt wird
oder nicht. Es gibt aber keine rechtliche Besserstellung
von Frauen - insbesondere von Alleinerziehenden - bei
der Einziehung zu Auslandseinsätzen.
Frau Kollegin, Sie wissen, dass sich diese Bundesregierung hinsichtlich der Kinderfreundlichkeit von niemandem übertreffen lässt. Wir werden dafür sorgen, dass
dieses Problem entsprechend gelöst wird; es bleibt nicht
der Willkür des Hauses überlassen.
Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass in
dem in Kürze beginnenden parlamentarischen Verfahren
durchaus die Chance besteht, solche Fragen aufzugreifen.
Kollegin Lenke.
Herr Staatssekretär, wenn Frauen in der Bundeswehr
tätig sind, sind sicherlich auch Sie dafür, dass sie dort
Karriere machen können. Eine Führungskraft in der
Bundeswehr hat mir stolz mitgeteilt, welche Position er
erreicht hat; dabei sei er 24-mal umgezogen. Ich habe
mich dann nach der Situation in den vergangenen Jahren
erkundigt und festgestellt, dass eine Karriere in der Bundeswehr mit vielen Umzügen verbunden ist. Das ist sicherlich unstreitig.
Gibt es angesichts der Tatsache, dass immer mehr
Frauen bzw. Familien in der Bundeswehr sind, Überlegungen hinsichtlich einer Neuorganisation oder Umstrukturierung, um die zahlreichen Umzüge auf ein Mindestmaß zu begrenzen? Welche Erfahrungen haben Sie
bisher gemacht? Wollen Sie mit dem Gleichstellungsgesetz einige Strukturen modernisieren und verändern?
Die von Ihnen dargestellten Erfahrungen kann ich bestätigen. Es trifft zu, dass viele Umzüge notwendig sind.
Aber bei der Bahn und bei der Post war das früher auch
der Fall. Wir werden uns genau informieren, wie dort
vorgegangen wurde. Wenn ein Mann und eine Frau bei
der Bahn, bei der Post oder auch beim Bundesgrenzschutz gearbeitet haben, mussten sie ebenfalls damit
rechnen, jederzeit versetzt werden zu können. Darüber
wollen wir uns exemplarisch informieren und entsprechend handeln.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? Kollegin Brüning.
In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden
den Gleichstellungsbeauftragten mehr Rechte zugesprochen als den Personalvertretungen der Soldatinnen und
Soldaten. Ist es im Sinne einer sozialdemokratischen Regierung, den Vertrauenspersonen nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz und dem Bundespersonalvertretungsgesetz, BPersVG, nicht die gleichen Rechte wie den
Gleichstellungsbeauftragten zuzusprechen, und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass diese schon seit Jahren
für die Truppe tätig und engagiert sind?
Natürlich wird man auf die Erfahrungen der Personalräte, insbesondere des Hauptpersonalrates, zurückgreifen. Das tun wir schon jetzt, und zwar im engen Einvernehmen mit diesen. Hier gibt es eigentlich keine
Probleme.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? Ich sehe niemanden, der ein Frage stellen möchte. Gibt
es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettsitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es sonst noch Fragen
an die Bundesregierung? - Das ist ebenfalls nicht der
Fall. Dann beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/3425 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Verlauf der ersten
Ausschreibung zum europäischen Satellitennavigationssystem Galileo bezüglich des Erfolges deutscher Unternehmen
und welchen Einfluss hat dabei die geringe finanzielle Ausstattung in den entsprechenden nationalen Programmen?
Sehr geehrter Herr Kollege Kretschmer, ich beantworte Ihre erste Frage nach dem Verlauf der Ausschreibung zum europäischen Satellitenprogramm Galileo wie
folgt: Bei dem ersten Aufruf zu Galileo ging es vor allem um Anwendungsbereiche, das heißt um Verkehrslenkung, Automobil, maritime Anwendungen, Kartenindustrie und Endgerätehersteller, weniger um die
Raumfahrtindustrie selbst. Deutsche Antragsteller haben
dabei im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm Antragmittel in Höhe von knapp 2 Millionen Euro erreicht.
Gespräche mit den am Aufruf beteiligten deutschen
Unternehmen haben ergeben, dass sie sich wegen des
starken Anwendungsbezuges der Ausschreibung erst bei
größerer zeitlicher Nähe des Starts von Galileo stärker
beteiligen wollen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die
Interessenbekundungen deutscher Antragsteller für die
zweite Ausschreibung voraussichtlich höher sein werden. Die Nationale Kontaktstelle für Raumfahrt im Forschungsrahmenprogramm der EU veranstaltet besondere
Informationstage für die Industrie, um Antragsteller gezielt für die zweite Runde vorzubereiten.
Einen Zusammenhang zwischen der Ausstattung des
nationalen Programms und dem Ergebnis der genannten
Ausschreibung ist nicht erkennbar. Die von der Industrie
bei der Teilnahme an EU-Projekten aufzubringenden
50 Prozent Eigenmittel müssen nach den EU-Regularien
aus dem nicht öffentlichen Bereich stammen, sodass dafür staatliche Mittel nicht genutzt werden können.
Für die deutsche Industrie bestehen bis zur operationellen Phase von Galileo noch zahlreiche Möglichkeiten, an vorbereitenden EU-Maßnahmen teilzunehmen.
Die Bundesregierung wird die deutsche Industrie dabei
mithilfe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt auch in Zukunft tatkräftig unterstützen.
Kollege Kretschmer.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Antwort. In der Tat gibt es aber in diesem Jahr eine Überbuchung
in dem nationalen Programm des BMWA und des
BMBF für Luft- und Raumfahrt. Können Sie bestätigen,
dass der geringe Anteil deutscher Firmen in Höhe von
8 Prozent bei dem ersten Call darauf zurückzuführen ist,
dass in Deutschland nicht mehr genügend Technologieforschung betrieben wird?
Ich kann diesen Zusammenhang nicht bestätigen. Ich
weise noch einmal darauf hin, dass es bei der ersten Ausschreibung nicht so sehr um die Raumfahrtindustrie
selbst als vielmehr um Anwenderbereiche ging. Deshalb
kann hier kein Zusammenhang zwischen dem nationalen
Raumfahrtprogramm und der Teilnahme deutscher Firmen an dieser Ausschreibung bestehen. Ich wiederhole
ebenfalls, dass die deutschen Unternehmen, die sich beteiligt haben, signalisiert haben, dass sie sich dann, wenn
das System insgesamt zur Anwendung kommt - Sie wissen, dass das etwa 2010 der Fall sein wird -, also mit
größerer Nähe zum Start des Systems, stärker an den
Ausschreibungen beteiligen werden.
Zweite Nachfrage.
Können Sie uns sagen, welche Industriezweige, den
Mittelstand oder eher die Großindustrie, das im Einzelnen betrifft und wie die neuen Bundesländer, die durch
eine besondere Initiative Ihres Kollegen Staffelt im Bereich Luft- und Raumfahrt gefördert werden sollen, davon partizipieren?
Zur Struktur der teilnehmenden Unternehmen kann
ich Ihnen im Moment keine konkrete Antwort geben.
Das müsste ich noch einmal nachschauen. Das gilt auch
für die Frage, ob daran ostdeutsche Unternehmen beteiligt waren. Ich kann Ihnen die Antwort gern schriftlich
nachliefern.
Damit kommen wir zu Frage 2 des Kollegen
Kretschmer:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, die finanzielle Ausstattung des 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramms auf 40 Milliarden Euro auszuweiten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Der Europäische Rat hat in Barcelona im Jahr 2002
beschlossen, die Gesamtausgaben für Forschung und
Entwicklung in der Union bis 2010 auf nahezu 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts der EU zu steigern. National
hat sich auch die Bundesregierung dieses Ziel zu Eigen
gemacht.
Auch die Ausgaben der EU für Forschung, Entwicklung und Innovation müssen dem 3-Prozent-Ziel angemessen Rechnung tragen. Da zwei Drittel des 3-ProzentZiels von den Unternehmen verwirklicht werden sollen,
muss das Forschungsrahmenprogramm auch Impulse für
eine Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Unternehmen geben.
Die finanzielle Ausstattung des 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramms muss der im Schreiben der
Staats- und Regierungschefs von Schweden, Frankreich,
Großbritannien, Österreich, der Niederlande und von
Deutschland vom 15. Dezember 2003 dargestellten Verhandlungsposition zur Agenda 2007 in vollem Umfang
entsprechen. Danach setzt sich die Bundesregierung gemeinsam mit den fünf anderen großen Beitragszahlern
dafür ein, die Ausgaben der EU auf durchschnittlich
nicht mehr als 1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung zu
begrenzen.
Der finanzpolitische Hintergrund, insbesondere der
Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt, macht eine
solche Begrenzung zwingend. Durch die Kopplung des
Ausgabenwachstums an das nominale Wirtschaftswachstum der EU bleiben ausreichende Spielräume, um
die EU-Politikbereiche wachstums- und zukunftsorientiert auszurichten.
Festlegungen für einzelne Politikbereiche können
deshalb nur im Gesamtzusammenhang getroffen werden.
Auch Mehrausgaben in prioritären Bereichen wie Forschung und Bildung sind innerhalb der 1-Prozent-Ausgabenobergrenze zu finanzieren. Wird für einen prioritären Politikbereich eine höhere Mittelausstattung für
erforderlich gehalten, muss auch diese innerhalb des
1-Prozent-Ziels aus dem Aufwuchs finanziert oder zulasten anderer Politikbereiche gegenfinanziert werden.
Eine Präjudizierung der Verhandlungen über die
Agenda 2007 ist strikt zu vermeiden.
Die konkrete Positionierung auch hinsichtlich der
Schwerpunktsetzung wird die Bundesregierung im Verlauf und im Lichte der Verhandlungen des förmlichen
Vorschlags zum 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramm vornehmen.
Kollege Kretschmer, erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wenn man in solche Verhandlungen geht, dann muss man wissen, ob man dem Vorschlag, um 70 Prozent oder um 100 Prozent zu erhöhen,
folgen will. Man muss wissen, ob man überhaupt
möchte, dass der Aufwuchs in Europa so stark ist. Ich
wiederhole meine Frage: Sind Sie sich mit Ihren Kollegen im Finanzministerium über das Ziel eines Aufwuchses auf circa 40 Milliarden Euro einig?
Herr Kollege, Sie wissen, dass Forschung und Innovation zu den Prioritäten der Bundesregierung gehören.
Wir glauben, dass das auch in der EU eine Priorität sein
muss. Allerdings weise ich noch einmal darauf hin, dass
sich Aufwüchse in diesem Bereich innerhalb des 1-Prozent-Rahmens bewegen müssen und dass darüber nur im
Gesamtzusammenhang entschieden werden kann, weil
gegebenenfalls Mittel aus anderen Bereichen für diesen
Bereich verwendet werden müssen. Eine konkrete Entscheidung kann es dazu erst geben, Herr Kollege, wenn
Vorschläge der EU zum 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramm auf dem Tisch liegen. Erst dann kann
man über die Finanzausstattung entscheiden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Hans-Joachim Otto
({0}) auf:
Welchem Haushaltstitel entstammen die zusätzlichen Zuwendungen in Höhe von jährlich rund 1,4 Millionen Euro an
die Stiftung Weimarer Klassik und von 500 000 Euro für die
Ausstellung „Ihre kaiserliche Hoheit - Maria Pawlowna“, deren Bereitstellung die Beauftragte der Bundesregierung für
Kultur und Medien, Staatsministerin Dr. Christina Weiss, in
einer Pressemitteilung vom 10. Juni 2004 angekündigt hat,
bzw. an welcher Stelle des Bundeshaushaltes werden die genannten Mittel eingespart?
Frau Staatsministerin Weiss, bitte schön.
Herr Otto, im Jahre 2004 werden für diese zusätzlichen Mittel von 1,4 Millionen Euro in Kap. 04 05 folgende Haushaltsstellen in Anspruch genommen:
Aus Tit. 894 22 „Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Ostdeutschland“ wird ein Betrag von
350 000 Euro eingesetzt. Aus dem Tit. 894 11 „Substanzerhaltung und Restaurierung von unbeweglichen Kulturdenkmälern von nationaler Bedeutung“ wird ein Betrag
von 270 000 Euro bewilligt. Außerdem werden Selbstbewirtschaftungsmittel aus dem früheren Programm
„Kultur in den neuen Ländern“ in Höhe von
795 000 Euro in Anspruch genommen. - Das betrifft das
Jahr 2004.
Für 2005 und 2006 ist bei Tit. 685 21, der die Zweckbestimmung „Kulturelle Einrichtungen und Aufgaben
im Inland“ hat, eine Erhöhung der institutionellen Förderung der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen vorgesehen. Die genauen Erhöhungsbeträge sind
für 2005 1,374 Millionen Euro und für 2006 1,517 Millionen Euro.
Die Ausstellung zu Maria Pawlowna wird 2004 aus
Tit. 684 12 mit der Zweckbestimmung „Projektförderung
im Rahmen der deutschen Vereinigung und internationaler sowie nationaler Repräsentation“ gefördert.
Kollege Otto, bitte.
Frau Staatsministerin, teilen Sie meine Einschätzung,
dass sich für einen Abgeordneten dieses Hauses, der Ihren Haushalt 2004 gelesen hat, daraus überhaupt keine
Anhaltspunkte dafür ergeben, welchen Haushaltstiteln
das nunmehr entnommen wurde, und teilen Sie meine
Einschätzung, dass das Verfahren nicht besonders transparent ist?
Die Haushaltstitel haben entsprechende Bezeichnungen - ich habe sie eben vorgetragen - und gestatten es,
das Geld nach bestimmten Prioritäten an bestimmte Einrichtungen zu geben. Es hat etwas mit der Verteilung an
- zugegebenermaßen - miteinander konkurrierende
Institutionen zu tun.
Bitte schön, Kollege Otto.
Trifft es zu, dass in diesen Haushaltstiteln weder die
Ausstellung zu Maria Pawlowna - das ist eine schöne
Ausstellung; das will ich gar nicht in Abrede stellen noch die Stiftung Weimarer Klassik in irgendeiner Weise
erwähnt werden?
Die Titel sind etwas allgemeiner gehalten. Ich habe
sie vorgelesen. Wenn Sie möchten, kann ich sie gern
wiederholen.
Nein, nein. Ich werde das dem Protokoll entnehmen.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Otto ({0})
auf:
Welches Konzept verfolgt die Bundesregierung bei der
Konsolidierung der Stiftung Weimarer Klassik und welche
Strukturveränderungen hält sie für geboten?
Auf die Frage 4 antworte ich Ihnen wie folgt:
Mit der Konsolidierung soll die seit 2003 bestehende
Unterfinanzierung der Stiftung Weimarer Klassik und
Kunstsammlungen dauerhaft beseitigt werden. Die Konsolidierung kann aber nur gelingen, wenn zusätzlich zur
Erhöhung der Fördermittel, die bisher nur auf Bundesseite erfolgt ist, auch die Strukturen verändert werden.
Die Bundesregierung enthält sich inhaltlicher Vorgaben
zu den notwendigen Strukturveränderungen der Stiftung.
Entscheidend ist, dass mit den Organen der Stiftung und
den anderen Zuwendungsgebern Einvernehmen über die
Notwendigkeit einer inhaltlichen Neubestimmung besteht.
Es liegt auf der Hand, dass es sich angesichts der
finanziellen Situation dabei nicht um eine Ausweitung
der Aufgaben handeln kann, sondern dass es in erster
Linie darum geht, festzulegen, wie die Konzentration auf
Kernaufgaben erreicht werden kann. Das ist die Aufgabe
des Stiftungsrates. Er wird darüber zu entscheiden haben. Er kann sich bei dieser Entscheidung auf den Evaluierungsbericht des Wissenschaftsrates stützen, der
Mitte Juli 2004 vorgelegt werden wird.
Kollege Otto, bitte.
Laut einem Bericht im Deutschlandfunk vom 10. Juni
haben Sie, Frau Dr. Weiss, Ihre Ungeduld über den derzeitigen Zustand der Stiftung Weimarer Klassik zum
Ausdruck gebracht. Es würde mich interessieren, welche
konkreten Schritte Sie für notwendig oder für sinnvoll
erachten, um diesen Zustand der Stiftung zu verbessern.
Ungeduld ist durchaus auch einmal zulässig. Wenn
man merkt, dass etwas verändert werden muss, und
wenn man auch zusätzliche Mittel dafür zur Verfügung
stellen kann, dann darf man Veränderungen anmahnen.
Dass Veränderungen notwendig sind, liegt noch in der
Wendezeit begründet. Die Umwandlung der nationalen
Forschungs- und Gedenkstätten der ehemaligen DDR in
eine öffentlich-rechtliche Stiftung im Jahr 1991 wurde
auf der Basis der alten Strukturen vorgenommen und
war in allererster Linie von dem Motiv der Erhaltung geprägt.
Die Erhaltung haben wir inzwischen größtenteils auf
den Weg gebracht und dabei befriedigende Ergebnisse
erreicht. Wir haben die Bauwerke erhalten; alle Liegenschaften werden oder wurden saniert. Bislang haben wir
aber die Reform der inneren Strukturen noch nicht angepackt. Diese Strukturveränderung muss jetzt, nachdem
die Erhaltung gesichert ist, im Grunde folgen. Ich habe
eben ausgeführt, dass ein inhaltliches Konzept für alle
Einrichtungen noch nicht vorliegt und es jetzt Aufgabe
des Stiftungsrates ist - er wird dabei durch den Wissenschaftsrat beraten - Strukturen zu entwickeln, die der
Stiftung ein überzeugendes Profil verleihen, und natürlich auch die Einnahmesituation - damit hängt meine
Ungeduld zusammen - durch Erhöhung der Attraktivität
für das Publikum zu verbessern.
Eine Nachfrage des Kollegen Barthel.
Frau Staatsministerin, Sie unterstützen die Stiftung ja
auch finanziell mit Bundesmitteln. Welche Beiträge leisten denn das Land und auch die Stadt für diese Stiftung?
Das ist eine sehr berechtigte Frage. Der Bund tritt,
verbunden mit einer impliziten Forderung an die Partner,
in Vorlage. Er finanziert im Augenblick 38 Prozent und
ist bestrebt, wie dargelegt, seinen Finanzierungsanteil zu
erhöhen. Er erwartet mittelfristig, dass auch der Freistaat
Thüringen und die Stadt Weimar ihren Beitrag in erforderlichem Umfang erhöhen. Wichtig ist natürlich, dass
die Stadt, die selbst enorme Vorteile durch die Stiftung
hat, ihre Beteiligung auf Dauer aufrechterhält. Wir koppeln in dieser Strukturdebatte die Erhöhung unseres Anteils durchaus an die feste Partnerschaft mit Land und
Stadt.
Danke schön. - Wir kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 5 und 6
des Kollegen Koschyk werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Dr. Lötzsch auf:
Wird die Bundesregierung das Zusatzprotokoll zur UNAnti-Folter-Konvention, das bereits von Albanien, Argentinien, Österreich, Costa Rica, Kroatien, Dänemark, Finnland,
Guatemala, Island, Italien, Madagaskar, Malta, Mexiko, Norwegen, Neuseeland, Rumänien, Senegal, Serbien und Montenegro, Sierra Leone, Schweden und dem Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde, unterzeichnen und, wenn nein,
warum nicht?
Beantwortet wird sie von Staatssekretär Hartenbach.
Bitte schön.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Kollegin Lötzsch, das Zusatzprotokoll
zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Formen von
Behandlung vom 10. Dezember 1984 ist am 8. November 2002 durch die Generalversammlung der Vereinten
Nationen in New York angenommen worden. Es wurde
bislang von 24 Staaten gezeichnet; vier Staaten - darunter drei der 25 EU-Mitgliedstaaten - haben das Zusatzprotokoll bereits ratifiziert. Es ist bislang noch nicht international in Kraft getreten, da es hierzu der
Ratifikation durch 20 Vertragstaaten bedarf.
Die Bundesrepublik Deutschland hat aktiv bei der
Ausarbeitung des Zusatzprotokolls mitgewirkt und begrüßt dessen Ziele uneingeschränkt. Sie hat sich durch
Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens zur
Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe bereits der Kontrolle
durch den Antifolterausschuss des Europarates unterworfen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat das UN-Zusatzprotokoll bislang noch nicht gezeichnet. Die Bundesregierung kann derzeit auch keine Aussage darüber treffen, wann die Zeichnung erfolgen wird. Dies hängt mit
dem umfassenden Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls und dessen Umsetzung in der föderalen Ordnung
der Bundesrepublik Deutschland zusammen.
Ziel des Zusatzprotokolls ist nach Art. 1 die Einrichtung eines Systems regelmäßiger Besuche von unabhängigen internationalen und nationalen Gremien „an
Orten, an denen Personen die Freiheit entzogen ist“. Es
fordert damit die unabhängige Kontrolle aller Einrichtungen, in denen Menschen die Freiheit aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Entscheidung entzogen ist.
Als Gegenstand des nationalen und internationalen
Präventionsmechanismus kommen demzufolge Strafvollzugseinrichtungen, psychiatrische Einrichtungen,
Gewahrsamseinrichtungen der Polizei der Länder und
des Bundesgrenzschutzes sowie auch Pflege- und Altenheime in Betracht. Im Falle der Zeichnung und Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Antifolterkonvention
durch die Bundesrepublik Deutschland müssten für diese
verschiedenen, der Antifolterkonvention unterfallenden
Einrichtungen ein oder mehrere unabhängige Beobachtungsgremien als nationaler Präventionsmechanismus
geschaffen werden.
Aufgrund der in unserer Verfassung geregelten Gesetzgebungszuständigkeiten ist der Bund für die Gesetzgebung im Bereich des Bundesgrenzschutzes und im Bereich des Strafvollzugs zuständig, während die
Bundesländer für Psychiatrie ausschließlich und für den
Bereich der Polizei überwiegend zuständig sind. Wegen
dieser Kompetenzverteilung ist nach der so genannten
Lindauer Absprache das Einverständnis aller Bundesländer vor der Ratifikation des Zusatzprotokolls durch die
Bundesrepublik Deutschland erforderlich. Die Bundesländer begrüßen sämtlich die Ziele des Zusatzprotokolls,
haben jedoch wegen der damit verbundenen Strukturänderungen und Kosten bislang Bedenken gegen die Zeichnung und die Ratifikation des Zusatzprotokolls erhoben.
Bitte schön, Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr
Staatssekretär. - Nun haben ja, wenn ich das am Wochenende richtig verfolgt habe, die Fraktionen der SPD
und der Grünen die Bundesländer aufgerufen, dieses Zusatzprotokoll zu unterzeichnen; das ist natürlich ein sehr
löblicher Aufruf. Vielleicht können Sie darstellen, welche Bundesländer diesem Zusatzprotokoll - ungeachtet
des grundsätzlichen Begrüßens dieses Protokolls - nicht
zustimmen. Ich weiß, dass mein Heimatland, Berlin,
dem Protokoll zustimmt. Wie sieht die Lage bei den anderen Bundesländern aus?
Es gibt bisher, soweit mir bekannt ist - das muss ich
hinzufügen, verehrte Frau Kollegin -, keine durchgängig
erkennbare klare Haltung. Ich habe gesagt, die Bundesländer begrüßen die Ziele des Zusatzprotokolls, sodass
ich davon ausgehe, dass sie alle in absehbarer Zeit diesem Zusatzprotokoll zustimmen werden. Gegenteiliges
liegt mir nicht vor. Wir werden uns allerdings über die
Bedenken der Bundesländer, die wir als Bundesgesetzgeber bzw. als Bundesregierung sehr ernst nehmen, bei
einer Ressortbesprechung demnächst mit den zuständigen Ministern und Vertretern der Bundesressorts noch
einmal unterhalten.
Bitte schön, Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr
Staatssekretär. - Nun ist ja vom Bund und von den Ländern sowie soeben von Ihnen in Namen der Bundesregierung übereinstimmend bekundet worden, dass erreicht werden soll, dass dieses Zusatzprotokoll ratifiziert
wird und damit zur Anwendung gebracht werden kann.
Wenn das alle wollen, wie sieht die Konzeption der Bundesregierung aus, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, und - auch wenn Sie nicht genau sagen können,
wann das sein wird - welchen ungefähren Zeitrahmen
stellen Sie sich vor?
Frau Kollegin Lötzsch, ich habe bereits eben erklärt,
dass wir uns selbstverständlich in ständigen Gesprächen
mit den Bundesländern befinden und auch weiterhin mit
den Bundesländern darüber reden werden. Aber wir haben keine Befugnis - und wollen sie auch nicht -, die
Bundesländer in irgendeiner Form zu drängen oder gar
zu zwingen. Hier können nur gemeinsame Gespräche
helfen. Die Entscheidung müssen wir den Bundesländern überlassen; sie müssen frei entscheiden. Vielleicht
kann Berlin da als Vorbild dienen.
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Lötzsch auf:
Trifft es zu, dass es für Michael Wolffsohn, Professor an
der Münchner Bundeswehruniversität, der Anfang Mai in einem Fernsehinterview gesagt hatte, „als eines der Mittel gegen Terroristen“ halte er „Folter oder die Androhung von Folter für legitim“ - die „Welt“ vom 21. Mai 2004 -, keine
dienstrechtlichen Konsequenzen geben wird, und gab es in
der bundesrepublikanischen Geschichte Fälle, in denen Hochschullehrer im Verantwortungsbereich der Bundesregierung
disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wurden, weil deren Meinungsäußerungen im Konflikt zum Grundgesetz standen?
Bitte, Herr Staatssekretär Wagner.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Lötzsch, zum ersten Teil Ihrer Frage, die sich auf etwaige dienstrechtliche Konsequenzen bezieht, nehme ich
wie folgt Stellung:
Ihr starkes Befremden über die Äußerungen von Professor Wolffsohn im Zusammenhang mit der Anwendung von Folter im Kampf gegen den Terrorismus teile
ich voll und ganz. Bundesminister Dr. Peter Struck hat
mehrfach und unmissverständlich deutlich gemacht,
dass die Überlegungen von Herrn Wolffsohn nicht akzeptabel sind und der Bundeswehr schaden. Die Bundeswehr achtet die Menschenwürde und das Völkerrecht.
Dies gilt selbstverständlich auch bei Auslandseinsätzen.
In einem persönlichen Gespräch des Ministers mit
Professor Wolffsohn am 18. Mai hat dieser seine Äußerungen zur Folter bedauert und versichert, dass er diese
insbesondere bei Lehrveranstaltungen der Bundeswehruniversität nicht wiederholen wird.
Eine sorgfältige Prüfung der Rechtslage in unserem
Ministerium hat im Übrigen ergeben, dass Professoren
an einer Bundeswehrhochschule die gleiche Forschungsfreiheit wie Professoren an anderen Hochschulen genießen. Hierbei wurde berücksichtigt, dass es in der Rechtswissenschaft durchaus eine Diskussion über den Einsatz
von Foltermethoden im Kampf gegen Erpresser und Terroristen gibt und dass einige namhafte Grundgesetzkommentatoren diesen Einsatz in Extremsituationen als zulässig erachten.
Es bleibt festzustellen, dass die Freiheit der Wissenschaft hier weiter reicht als das, was die Bundesregierung politisch noch für akzeptabel hält. Aus diesem
Grund kommen dienstrechtliche Konsequenzen nicht in
Betracht.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, ob es in der bundesrepublikanischen Geschichte Fälle gab, in denen Hochschullehrer disziplinarisch zur Verantwortung gezogen
wurden, weil deren Meinungsäußerungen im Konflikt
zum Grundgesetz standen, liegen der Bundesregierung
keine Erkenntnisse vor. Von ganz wenigen Ausnahmen
abgesehen - ich nenne zum Beispiel Fachhochschulen
des Bundes - handelt es sich bei den Hochschulen in
Deutschland - abgesehen von den privaten Hochschulen - im Übrigen nicht um Einrichtungen des Bundes, sondern der Länder. Diese bzw. die Landeshochschulen üben auch das Disziplinarrecht gegenüber den
jeweiligen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern
aus. Eine bundesweite Erhebung unter den Bundesländern zu der gestellten Frage war aufgrund des zur Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeitfensters nicht zu
realisieren.
Bitte schön, Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben dargestellt, dass es ein Gespräch zwischen
dem Bundesminister Dr. Struck und Herrn Professor
Wolffsohn gab. Herr Dr. Struck hat nach diesem Gespräch eine Presseerklärung abgegeben - Sie haben das
referiert -, in der es hieß, Herr Wolffsohn habe seine Positionen bedauert.
Nun ist aber in der Presse, zum Beispiel in der „Welt“
vom 21. Mai, nachzulesen, dass sich Herr Wolffsohn
vom Ministerium hintergangen fühlt. Er sagte - ich darf
mit Erlaubnis des Präsidenten aus der „Welt“ zitieren -:
Struck
- Wolffsohn sagt: Struck; ich würde sagen: Dr. Struck und ich hatten vereinbart, gleichzeitig über die
Pressestelle des Ministeriums eine jeweils eigene
Presseerklärung zu verbreiten, um die Debatte abzuschließen. Entgegen der klaren Vereinbarung hat
die Pressestelle des Bundesministeriums der Verteidigung meine Presseerklärung nicht verbreitet.
Dieser Darstellung entnehme ich, dass das Gespräch
zwischen Herrn Dr. Struck und Herrn Wolffsohn doch
nicht so einvernehmlich abgelaufen sein kann, wie Sie es
vorhin dargestellt haben, dass vielmehr Herr Wolffsohn
an seinen Positionen augenscheinlich festhält.
Ich habe schon bei der Beantwortung des ersten Teils
Ihrer Frage dargestellt, dass Herr Dr. Struck diese Aussagen als nicht akzeptabel bezeichnet hat. Bei der Einschätzung ist es in diesem Gespräch geblieben.
Bitte schön, Kollegin Lötzsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Verhältnis zwischen der Freiheit der Wissenschaft und dem Grundgesetz dargestellt. Stimmen Sie mit mir darin überein, dass
die Freiheit der Wissenschaft dort ihre Grenze hat, wo
sie unser Grundgesetz verletzt? Wie will die Bundesregierung verhindern, dass Herr Wolffsohn seine Ansichten über die Legitimität von Folter weiterhin an Studenten vermittelt?
Herr Wolffsohn hat erklärt, dass er bei seinen Lehrveranstaltungen an der Bundeswehruniversität diese
Auffassung nicht wiederholen wird.
Das Grundgesetz gilt für alle. Die Würde des Menschen ist die Grenze, die nicht überschritten werden darf.
Daher teile ich Ihre Auffassung, dass sich die Forschung
tunlichst danach zu richten hat, was nach dem Grundgesetz möglich ist. Man muss natürlich hinzufügen: Die
Meinungsfreiheit, die in der Verfassung verankert ist, ist
ebenfalls ein hohes Gut. Wenn die Position vertreten
wird, über die wir hier sprechen - nach meiner Auffassung ist sie falsch -, dann kann man dagegen nicht einschreiten. Aber auch die Forschungsfreiheit hat dort ihre
Grenze, wo die Würde des Menschen verletzt wird.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Frage 9 der Kollegin Gitta Connemann sowie die
Fragen 10 und 11 des Kollegen Ernst Burgbacher werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Tanja Gönner auf:
Ist dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, BMU, bekannt, dass die von der Arbeitsgemeinschaft für Verpackung und Umwelt e. V., AGVU, „in
die Welt gesetzten Zahlen“ bezüglich des Importanteils von
Einweggetränken - Pressemeldung des BMU vom 21. Juni
2004 - aus einer Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mbH, GVM, stammen - AFP, 21. Juni 2004,
bzw. „Handelsblatt“, 21. Juni 2004 -, welche wiederum auf
Zahlen und Berechnungen basieren, die mathematisch auf der
Grundlage des gleichen Verfahrens durchgeführt werden wie
die Statistik des BMU, und, wenn ja, warum zieht dann die
Bundesregierung diese Zahlen in Zweifel?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kollegin Gönner, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten: Dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ist die Studie der Gesellschaft für
Verpackungsmarktforschung mbH, kurz: GVM, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Verpackung und Umwelt, AGVU, auf die sich die zitierten Pressemeldungen
beziehen, nicht bekannt. Die GVM hat das BMU hinsichtlich der Zuleitung der Studie auf die Arbeitsgemeinschaft für Verpackung und Umwelt verwiesen. Die
AGVU hat uns, dem BMU, am 21. Juni 2004 zunächst
die Zusendung der angesprochenen Studie zugesagt. Die
Zusendung ist bislang nicht erfolgt. Auf erneute Nachfrage am 29. Juni teilte die AGVU mit, dass die Studie
noch nicht freigegeben sei.
Dem BMU ist daher auch nicht bekannt, ob die in der
besagten Studie der AGVU verwendete Berechnungsmethode genau der Berechnung entspricht, die die GVM
bei der Ermittlung der Einweg- bzw. Mehrweganteile
nach § 9 Abs. 2 Verpackungsverordnung für die Bundesregierung anwendet. Das BMU geht jedoch davon aus,
dass dies nicht der Fall ist. Sie wissen, für die Ermittlung
der Mehrweganteile nach § 9 Abs. 2 Verpackungsverordnung sind umfangreiche Daten heranzuziehen, insbesondere auch Daten der Außenhandelsstatistik, die der
Bundesregierung von der GVM immer erst im letzten
Quartal des dem Berechnungszeitraum folgenden Kalenderjahres zur Verfügung gestellt werden konnten. Das
BMU geht daher davon aus, dass die GVM zur Erstellung dieser Studie zum Teil prognostische Abschätzungen getroffen hat.
Soweit in den Pressemeldungen vom 21. Juni 2004
laut der GVM-Studie im Jahr 2003 ein Rückgang der importierten Mineralwässer dargestellt wird, widersprechen diese Aussagen dem Ergebnis einer Studie der
GVM für das BMU von September 2003. In dieser Studie hatte die GVM im Jahr 2003 einen Anstieg der importierten Mineralwässer im Vergleich zum Vorjahr um
11,5 Prozent und bezogen auf die stillen Mineralwässer
sogar um 15 Prozent dargelegt.
Bitte schön, Kollegin Gönner.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
eine Nachfrage: Einerseits bezieht sich das BMU in seiner Pressemitteilung auf Zahlen eines Instituts, das das
BMU regelmäßig einsetzt. Andererseits hält es für den
Fall, dass dieses Institut ein Gutachten für Dritte erstellt,
diese Zahlen für nicht richtig. Halten Sie es nicht für
wahrscheinlich, dass das Institut jeweils die gleiche Methodik anwendet, und besteht insofern nicht die Frage,
ob die Zahlen möglicherweise doch stimmen, insbesondere für den Fall, dass Sie sich möglicherweise auf
- verzeihen Sie - veraltete Zahlen, was den Import von
Mineralwässern angeht, beziehen?
Frau Kollegin Gönner, wir könnten diese Frage natürlich hinreichend beantworten, wenn uns die Studie, wie
zunächst zugesagt, vorliegen würde. Sie ist aber noch
nicht freigegeben. Daher können wir zur Beurteilung der
angesprochenen Studie, einer Phantomstudie, nur die üblichen Methoden, die wir kennen, heranziehen. Wie ich
ausgeführt habe, hat das Institut in der Vergangenheit die
Daten der Außenhandelsstatistik immer erst im letzten
Quartal des dem Berechnungszeitraum folgenden Kalenderjahres zur Verfügung stellen können. Von daher gehen wir davon aus, dass in dieser Studie mit Prognosen
gearbeitet wurde.
Zu Ihrer Information: Im Bereich Bier stellen wir fest,
dass im Gesamtjahr 2003 durch die Einlistung von Bier
der belgischen Brauerei Martens in PET-Einwegflaschen
beim Discounter Aldi die Zahlen der Importe positiver
beeinflusst wurden, als dies die GVM in der Studie 2003
für uns geschätzt hat. - So viel zu dieser Nachfrage.
Bitte schön, Kollegin Gönner.
Zweite Nachfrage: Ich kann mich jetzt natürlich nur
auf die unterschiedlichen Pressemitteilungen, die mir
vorliegen, beziehen. Für mich ist zum Ersten interessant,
dass darauf hingewiesen wird, dass die Studie methodisch nach dem gleichen Verfahren durchgeführt wird
wie die Statistik des Bundesumweltministeriums. Zum
Zweiten möchte ich den Hinweis geben, dass es natürlich schwierig ist, Einzelfirmen herauszugreifen: Ich
glaube, das bringt uns nicht weiter.
Eine Frage: Wäre das BMU bereit, die Frage nach Erhalt der Studie nochmals schriftlich zu beantworten?
Selbstverständlich sind wir dazu bereit.
Die GMV - dies vielleicht als Bemerkung zum Abschluss - kommt in ihrer Studie vom September 2003
zum Ergebnis:
Prima vista darf man die Vermutung aussprechen,
dass die ausländischen Einwegimporte nicht im
größeren Maß durch die Bepfandung zurückgegangen sind als der konkurrierende Inlandsabsatz.
Dass wir die methodische Arbeit erst dann tatsächlich
beurteilen können, wenn uns die angesprochene Studie
vorliegt, leuchtet ein. Auch mir liegt lediglich die Pressemitteilung der AGVU vom 21. Juni vor. Sobald uns
die Studie vorliegt, werden wir sie selbstverständlich
analysieren und Ihnen danach zugänglich machen.
Ich rufe die Frage 13 der Abgeordneten Tanja Gönner
auf:
Bedeutet die Infragestellung der Zahlen der GVM in diesem Zusammenhang auch, dass die für das BMU erhobenen
Zahlen der GVM, auf deren Basis die Auslösung der Pfandpflicht erfolgt, ebenfalls angezweifelt werden, und was bedeutet dies für die Pfandpflicht?
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Die Pressemeldung des BMU vom 21. Juni 2004 kritisiert nicht die
Studie der GVM, die dem BMU bis heute gar nicht zur
Verfügung gestellt worden ist, wie ich es auch bei der
Beantwortung der vorherigen Frage schon angesprochen
habe. Das BMU hat vielmehr die undifferenzierte Darstellung über die Importentwicklung durch die AGVU
kritisiert. Unabhängig davon, dass es zuvorderst die Mitglieder des Handels in der AGVU sind, die über die Einlistung bzw. Auslistung von Produkten aus dem In- und
Ausland entscheiden, trifft diese Darstellung der AGVU
entsprechend der Untersuchung der GVM für den BMU
aus September 2003 nicht zu.
Im Übrigen ist bei den in Rede stehenden Untersuchungen der GVM klar zwischen der Ermittlung der
Mehrweganteile nach § 9 Abs. 2 Verpackungsverordnung und vorzeitigen Prognosen zu unterscheiden. Auch
das habe ich schon deutlich gemacht. Bereits in der Vergangenheit musste die GVM Prognosen zur Entwicklung
der Einweg- und Mehrweganteile in Ausarbeitungen für
die AGVU, die auf eine geringere Datenmenge gestützt
waren als in Ausarbeitungen für uns, korrigieren. Etwaige Zweifel an prognostischen Abschätzungen der GVM
bedeuten mithin aber nicht, dass die auf solider Basis erParl. Staatssekretärin Margareta Wolf
mittelten Mehrweganteile nach § 9 Abs. 2 der Verpackungsverordnung infrage gestellt werden müssten.
Kollegin Gönner, haben Sie eine Nachfrage?
Ja. - Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir überein, dass es nicht nur in der AGVU-Pressemitteilung,
sondern auch in der BMU-Pressemitteilung eine undifferenzierte Darstellung gibt? Ich finde es immer schwierig,
jemandem eine undifferenzierte Darstellung vorzuwerfen, wenn man selber keine Zahlen hat.
Weil Sie jetzt bewusst zweimal auf die Studie von
September 2003 eingegangen sind, habe ich in dem Zusammenhang auch die Frage: Stimmen Sie mit mir in der
Einschätzung überein, dass man seinerzeit, als gerade
die Erkenntnisse aus dem ersten Halbjahr 2003 vorlagen,
noch davon ausging, man bekomme eine Lösung des
Rücknahmesystems hin, und die Auswirkungen des
Pfandes auf Importe noch nicht abzusehen waren?
Ich stimme Ihnen zu.
Vielen Dank.
Danke schön. - Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen werden beantwortet von Staatsministerin Kerstin Müller.
Zunächst rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten
Harald Leibrecht auf:
Zu welchen Kenntnissen ist die Bundesregierung - vergleiche Antwort des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt
Dr. Klaus Scharioth vom 25. August 2003 auf meine schriftliche Frage 12 auf Bundestagsdrucksache 15/1513 - bei der
Überprüfung der möglichen vertragswidrigen Nutzung von
Schiffen der Nationalen Volksarmee in Indonesien gekommen?
Herr Kollege Leibrecht, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: Die Bundesregierung hat die Frage des Einsatzes ehemaliger NVA-Schiffe durch die indonesischen
Streitkräfte kontinuierlich und intensiv weiter verfolgt.
Sie hat zu diesem Zweck auch den Leiter der zuständigen politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes im
September 2003 zu Gesprächen mit der indonesischen
Regierung nach Jakarta entsandt, der dort Gespräche unter anderem mit dem Außenminister Dr. Wirayuda, dem
stellvertretenden Minister für Politik und Sicherheit und
dem Mitglied der staatlichen Menschenrechtskommission Billah geführt hat.
Die Bundesregierung hat dabei, wie auch bei vorhergehenden Gelegenheiten, klargestellt, dass sie auf einem
vertragskonformen Einsatz der aus Deutschland nach Indonesien gelieferten ehemaligen NVA-Schiffe besteht.
Die indonesische Seite hat bei den genannten Gesprächen in Jakarta bestätigt, dass die gelieferten Schiffe vertragskonform eingesetzt werden. Insgesamt hat die Prüfung bisher keine Nachweise eines vertragswidrigen
Einsatzes der Schiffe ergeben.
Bitte schön, Kollege Leibrecht.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Staatsministerin, dass von indonesischer Seite bestätigt
wurde, dass die Schiffe nicht vertragswidrig eingesetzt
werden, glaube ich gern. Wir werden aber immer wieder
durch Berichterstattungen im Fernsehen aufgeschreckt,
in denen gezeigt wird, dass Schiffe sehr wohl vertragswidrig eingesetzt werden. Sehen Sie seitens der Bundesregierung Möglichkeiten, direkte Kontrollen - natürlich
in Zusammenarbeit mit der indonesischen Regierung durchzuführen?
Mir persönlich sind keine Fernsehbilder bekannt, die
auf einen vertragswidrigen Einsatz der Schiffe hinweisen. Kontrollen halte ich für schwierig. Der Vorgang ist
aber noch nicht abgeschlossen und unsere Botschaft
wurde angewiesen, unverzüglich zu berichten, wenn sich
neue Erkenntnisse ergeben. Außerdem setzen wir uns
vehement und sehr deutlich für eine friedliche Lösung
des Konflikts ein, weil wir der Auffassung sind, dass der
Konflikt in Aceh nicht mit militärischen Mitteln zu lösen
ist.
Bitte schön.
Ich habe eine zweite Nachfrage. Liegen Ihnen Erkenntnisse bezüglich der Lieferung von Ersatzteilen vor
oder gibt es eine Anfrage Indonesiens nach weiteren
Waffenlieferungen? Wie werden Ersatzteillieferungen in
Zukunft aussehen? Werden hierbei kontinuierlich Prüfungen stattfinden?
Weitere Anfragen sind mir nicht bekannt. Die Ersatzteillieferungen dienen der Funktionsfähigkeit der
Schiffe; das erfolgte im Rahmen der Vertragserfüllung.
Folge ist aber nicht, dass wir im Einzelfall kontrollieren können, wie die Schiffe eingesetzt werden. Wir können - das tun wir auch weiterhin - nur intensiv und kontinuierlich politisch darauf bestehen, dass die NVASchiffe, die zur Bewachung der Küste eingesetzt werden, vertragskonform eingesetzt werden. Das ist uns sehr
wichtig.
Ich rufe nun die Frage 15 der Kollegin Pau auf:
Trifft es zu, dass seit dem Regierungswechsel 1998 Lageberichte und Einzelauskünfte des Auswärtigen Amts mit dem
Einleitungssatz „Darüber hinaus weist es vorsorglich darauf
hin, dass die unbefugte Weitergabe dieser Informationen einen Verstoß gegen berufliches Standesrecht darstellt ({0}) und entsprechend geahndet
werden kann“ versehen werden, und, wenn ja, welchen
Zweck verfolgt die Bundesregierung mit diesem Einleitungssatz?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Asyllageberichte und Einzelstellungnahmen in Asylsachen werden mit der Maßgabe an Behörden und Gerichte weitergeleitet, dass sie strikt vertraulich zu verwenden sind. Nur bei Einhaltung dieser Vertraulichkeit
können die Gutachten ohne außenpolitische Rücksichtnahme erstellt werden, nur so können Quellen in den
Herkunftsländern, zum Beispiel dort tätige Menschenrechtsorganisationen, dafür gewonnen werden, kontinuierlich Informationen zur Verfügung zu stellen, die in die
Gutachten einfließen.
Die Vertraulichkeit der Asyllageberichte und Einzelstellungnahmen ist somit Voraussetzung für ihre unbeeinflusste Sachlichkeit und sollte daher im Interesse aller
Verfahrenbeteiligten liegen. In Einzelfällen kann die
Vertraulichkeit zudem auch im Interesse der persönlichen Sicherheit der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes
geboten sein. Asyllageberichte sind deswegen stets als
„Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft, und zwar mit einem ausführlichen Hinweis hierauf
im Vorwort.
Der Hinweis auf die Anwaltliche Berufsordnung
wurde nach Prüfung der Rechtslage im Jahre 2002 aufgenommen, nachdem mehrere Fälle aufgetreten waren,
in denen Asyllageberichte und Einzelstellungnahmen öffentlich bekannt gemacht worden waren.
Kollegin Pau, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, ich
frage Sie, ob die Bundesregierung beabsichtigt, berufsrechtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte anzustrengen,
die diese Lageberichte beruflich an Kolleginnen und
Kollegen weitergeben, bzw. ob Sie solche Verfahren in
der Vergangenheit angestrengt haben.
Meines Wissens können wir solche Verfahren gar
nicht selbst betreiben. Das Auswärtige Amt hat aber im
Herbst 2002 die Bundesrechtsanwaltskammer angeschrieben und gebeten, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen - das ist ihre Aufgabe -, dass die Anwaltliche Berufsordnung diesbezüglich eingehalten wird und
bei zukünftigen Verstößen entsprechende Maßnahmen
eingeleitet werden. Ein entsprechender Hinweis in der
nächsten BRAK-Mitteilung wurde angeregt.
Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer hat
mit Schreiben vom 2. Oktober 2002 an alle Anwaltskammern darauf hingewiesen, dass die Weitergabe dieser Informationen an Verfahrensunbeteiligte unzulässig
ist, und um Mitteilung an die Anwaltschaft gebeten. Ich
will noch einmal deutlich machen: Die Vertraulichkeit
der Asyllageberichte ist für mich von eminenter Bedeutung. Nur dann können wir wirklich im Sinne der Sache
auf die Lage vor Ort eingehen. Nur dann können die Berichte im Sinne der Anwälte und auch der laufenden Prozesse wirklich sachdienlich sein.
Kollegin Pau, bitte.
Frau Staatsministerin, mir ist eine ganze Reihe von
Fällen bekannt, in denen Lageberichte und auch Einzelauskünfte des Auswärtigen Amtes falsche Angaben zuungunsten von Asylbewerberinnen und -bewerbern enthielten. Wie will die Bundesregierung Chancengleichheit
für die im Asylverfahren tätigen Anwälte schaffen, wenn
sie die Weitergabe vertraulicher Informationen in der Anwaltschaft mit Sanktionen bedroht?
Zu Ihrer generellen Aussage, dass Ihnen Lageberichte
vorliegen, die falsche Angaben beinhalten, kann ich
nicht Stellung nehmen oder eine Auskunft erteilen. Dazu
müssten Sie das für Einzelfälle konkret benennen.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir die Asyllageberichte mit großer Sorgfalt erstellen und dass dazu unsere
jeweils betroffene Botschaft Stellung nimmt. Wir ziehen
sämtliche zur Verfügung stehende Materialien hinzu,
auch von Menschenrechtsorganisationen und humanitären Organisationen. Dazu gehören auch Informationen
anderer Länder. Wir versuchen, diese Lageberichte wirklich sehr sorgfältig vorzubereiten. Sie sind ja auch nur
ein Teil des Materials, das in Asylprozessen eingeführt
wird. Die Anwälte tragen dort natürlich auch andere
Dinge vor.
Danke schön.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen von Klaeden:
Ist der Bundesregierung der Bericht des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika vom Juni 2004 über
den internationalen Menschenhandel bekannt - vergleiche
dpa vom 15. Juni 2004, 13.48 Uhr -, in dem Deutschland als
Transit- und Bestimmungsland für die sexuelle Ausbeutung
von Frauen aus den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion und Mitteleuropa bezeichnet wird?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Herr Kollege von Klaeden, mit Ihrer Zustimmung
möchte ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 17 des Kollegen von
Klaeden auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage in dem
Bericht, wonach ein neueres Gerichtsverfahren gegen ukrainische Schleuser ernsthafte Fragen hinsichtlich der Visumerteilungspolitik der Bundesregierung in Osteuropa in den Jahren
2000 bis 2003 aufgeworfen habe?
Der angesprochene Bericht des US-Außenministeriums ist der Bundesregierung bekannt. Der Bericht bewertet weltweit die Situation aller Länder, aus denen relevante Informationen erhältlich sind, nach von dem USamerikanischen Gesetz zum Schutz der Opfer von Menschenhandel definierten Maßstäben und teilt die Staaten
auf dieser Basis in die Kategorien 1 - Staaten erfüllen
die Mindeststandards des Gesetzes voll - bis 3 - Staaten
erfüllen die Mindeststandards nicht und lassen auch
keine entsprechenden Anstrengungen erkennen - ein.
Zunächst ist festzuhalten: Deutschland wird - wie
auch die Mehrzahl unserer EU-Partner - von dem Bericht in die Kategorie 1 eingeordnet. Außerdem werden
alle in dem Bericht behandelten westeuropäischen Staaten als Bestimmungsländer des Menschenhandels genannt, aber auch mit dem Transit von geschmuggelten
Menschen in Verbindung gebracht.
Hinsichtlich der von Ihnen angesprochen Passage des
Berichts gilt, was wir in dieser Sache immer gesagt haben: Bei der Visumerteilung bewegen sich unsere Botschaften und Generalkonsulate in einem Spannungsfeld:
Einerseits hat unser Land großes Interesse am regelmäßigen persönlichen Austausch mit dem Ausland. Dieses
Interesse kommt auch in den sehr häufigen Schreiben
von Mitgliedern aller Fraktionen des Deutschen Bundestages an das Auswärtige Amt oder deutsche Auslandsvertretungen zum Ausdruck, mit denen Abgeordnete die
Anträge einzelner ausländischer Visabewerber unterstützen.
Andererseits müssen wir den zahlreichen Versuchen
der illegalen Einreise nach Deutschland und Europa effektiv begegnen und insbesondere unserer inneren Sicherheit Rechnung tragen. Bei über 3 Millionen Visaanträgen, die unsere Auslandsvertretungen jährlich bearbeiten, können Fehler nicht ausgeschlossen werden.
Wenn es zu einem konkreten Missbrauchsverdacht
kommt, hat die Bundesregierung selbst das größte Interesse an einer umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes und arbeitet dabei eng und aktiv mit den entsprechenden Ermittlungsbehörden zusammen.
Herr von Klaeden.
Frau Staatsministerin, seit wann ist der Bundesregierung der Bericht bekannt?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wann er erschienen ist,
aber dieser Bericht ist uns unmittelbar nach Erscheinen
bekannt geworden.
Das hatte ich vermutet.
Hier steht: „June 2004“. Wir kennen den Bericht, seitdem er veröffentlicht wurde.
Wenn Sie es genauer wissen, teilen Sie mir das doch
bitte mit.
Ist die Bundesregierung vor oder während der Erstellung des Berichts in irgendeiner Weise konsultiert oder
befragt worden?
Nein.
Frau Staatsministerin, in dem Bericht ist davon die
Rede, dass ein neueres Gerichtsverfahren gegen ukrainische Schleuser ernsthafte Fragen hinsichtlich der Visumerteilungspolitik der Bundesregierung in Osteuropa in
den Jahren 2000 bis 2003 aufgeworfen habe. Welches
Verfahren ist denn in dem Bericht der amerikanischen
Regierung angesprochen?
Erstens. Ich habe den Bericht gelesen. Welches Verfahren damit gemeint ist, geht aus diesem Bericht nicht
genau hervor. Zweitens. Der Bundesregierung ist kein
Gerichtsverfahren bekannt, das sich gegen die Visumpolitik richtet. Wie gesagt: Bei der Visumerteilung bewegen sich die Auslandsvertretungen in diesem Spannungsfeld. Wir prüfen daher kontinuierlich die
bestehenden Verfahren, um einerseits im Interesse gesetzestreuer Visumbewerber - das ist die große Mehrzahl ein möglichst unbürokratisches Verfahren zu gewährleisten und andererseits den immer neuen Formen des Missbrauchs zu begegnen.
Frau Staatsministerin, die Verfahren richten sich natürlich nicht formell gegen die Visumspolitik der Bundesregierung, sondern gegen ukrainische Schleuser. Im
Rahmen dieser Verfahren aber wird die Visumspolitik
kritisiert. Jetzt findet diese Kritik sogar Eingang in einen
Bericht der amerikanischen Regierung. Sie sagen, Sie
wüssten nicht, um welches Verfahren es geht. Haben Sie
die Gelegenheit genutzt, sich bei der amerikanischen
Regierung zu erkundigen, welches Verfahren gemeint
ist?
Nein. Der Bericht beleuchtet den Menschenhandel
weltweit und ist von der US-Administration in eigener
Verantwortung - auf der Basis eines nationalen, USamerikanischen Gesetzes - erstellt worden. Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, den Bericht von sich aus
gegenüber der US-Administration zu thematisieren. Im
Hinblick auf die Diskussion über Missbrauch in der
Ukraine möchte ich auf die vergangenen Fragestunden
verweisen, in denen wir ausführlich dargestellt haben,
wie wir in dieser Sache vorgehen und wie wir gehandelt
haben, sobald uns Missbrauchsvorfälle bekannt geworden sind.
Herzlichen Dank.
Die beiden Fragen 18 und 19 des Kollegen Uhl werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Beantwortung erfolgt
durch Staatssekretär Karl Diller. Zunächst Frage 20 des
Kollegen Peter Weiß:
Trifft es zu, dass sich die Bundesregierung gegenüber der
Europäischen Kommission für eine zukünftige Beschränkung
der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an
den Außen- und Binnengrenzen der Europäischen Union ausgesprochen hat, und, wenn ja, wie begründet die Bundesregierung diesen Standpunkt?
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung setzt sich,
wie Sie wissen, gemeinsam mit fünf anderen Mitgliedstaaten, nämlich Frankreich, Großbritannien, Schweden,
den Niederlanden und Österreich, dafür ein, die Ausgaben der EU auf durchschnittlich nicht mehr als 1 Prozent
der EU-Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Wir werden
darin dankenswerterweise unterstützt, sowohl vom Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union - und
zwar einstimmig - als auch vom Haushaltsausschuss.
Durch die Koppelung des Ausgabenwachstums an
das nominale Wirtschaftswachstum der EU werden ausreichend Spielräume geschaffen, um die EU-Politikbereiche wachstums- und zukunftsorientiert auszurichten.
In diesem Rahmen können auch die erheblichen Herausforderungen, vor denen die europäische Strukturpolitik
insbesondere im Hinblick auf die Integration der neuen
Mitgliedstaaten steht, gemeistert werden.
Die Europäische Kommission hat ihre Vorstellung zur
zukünftigen EU-Strukturpolitik für den Zeitraum von
2007 bis 2013 im Dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt dargelegt. In ihrer
Stellungnahme zu diesem Bericht hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie für eine stärkere Konzentration der Förderung auf die bedürftigsten Regionen
in der erweiterten Union eintritt. Der Kommissionsvorschlag, der eine massive Mittelaufstockung - um rund
100 Milliarden Euro gegenüber dem laufenden siebenjährigen Förderzeitraum - vorsieht, wird dagegen dem
Erfordernis der Konzentration nicht gerecht.
Dies gilt auch für den Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die die Kommission an allen
Binnen- und Außengrenzen der Gemeinschaft fördern
will. Demgegenüber spricht sich die Bundesregierung
für eine Beschränkung der Förderung auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an den neuen Außengrenzen und an den neuen Binnengrenzen der Gemeinschaft
aus. Diese Beschränkung der Förderung entspricht dem
besonderen Bedarf an diesen Grenzen, an denen logischerweise die grenzüberschreitende Kooperation noch
nicht etabliert ist. Zugleich trägt dieser Ansatz der notwendigen Konzentration der Mittel Rechnung.
Bitte schön, Kollege Weiß.
Herr Staatssekretär Diller, muss die Position der Bundesregierung hinsichtlich der Entwicklung des EUHaushaltes zwingend dazu führen, dass ausgerechnet die
Bundesrepublik Deutschland als eines der wenigen Länder fordert, an den so genannten alten Außen- und Binnengrenzen der EU keine grenzüberschreitenden Projekte mehr zu fördern, sondern diese Förderung
ausschließlich für Projekte an den so genannten neuen
Außen- und Binnengrenzen zu gewähren? Wie verhalten
sich andere europäische Mitgliedstaaten, die von der
gleichen Problematik betroffen sind und die, wie Sie
vorgetragen haben, die Position der Bundesrepublik
Deutschland hinsichtlich der künftigen Entwicklung des
EU-Haushaltes teilen?
Herr Kollege Weiß, ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen, dass uns der Haushaltsausschuss in dieser Position über alle Fraktionsgrenzen hinweg vor allem
deswegen unterstützt, weil dort bereits die Erkenntnis
darüber verankert ist, welche zusätzlichen finanziellen
Belastungen es für den Bundeshaushalt bedeuten würde,
wenn die Vorstellungen der Kommission ab 2007 Wirklichkeit werden würden: Da die Beiträge, die Deutschland an die EU abliefert, auf der Einnahmeseite des Bundeshaushaltes gebucht werden, gäbe es bei einem
entsprechenden Vorgehen im Haushalt 2007 nicht, wie
gegenwärtig, eine Steigerungsrate von etwas über 1 Milliarde Euro gegenüber 2006, sondern es käme zu einem
Sprung von über 6 Milliarden Euro. Das würde natürlich
all unsere finanziellen Handlungsmöglichkeiten auf der
Bundesebene strangulieren. Deswegen treten wir für
eine Konzentration der Mittel ein.
Wir sind der Auffassung, dass an den alten Binnengrenzen - mein Wahlkreis grenzt an Luxemburg; ich bin
also auch Anrainer einer alten Binnengrenze - in den zurückliegenden Jahren genug Zeit war, entsprechende
Strukturen aufzubauen, durch die vor allem auch planungsrechtliche Vorhaben vorangebracht wurden. Deswegen ist es unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität
und Konzentration jetzt geboten, den Regionen die Förderung zugute kommen zu lassen, die an dieser Förderung bisher nicht partizipieren konnten und die jetzt an
den neuen Binnen- bzw. Außengrenzen der EU liegen.
Kollege Weiß.
Kollege Staatssekretär Diller, bei allem Verständnis
für Ihre grundsätzlichen Vorträge zur künftigen Haushaltsentwicklung der Europäischen Union verwundert es
mich doch sehr, dass uns in den Gesprächen, die vor Ort
geführt werden, die Vertreter der französischen Seite bezüglich der Kooperation am Oberrhein und die Vertreter
der österreichischen Seite bezüglich der Kooperation am
Bodensee und im Alpenraum sagen - beide teilen die
grundsätzliche Haltung der Bundesrepublik Deutschland
zur künftigen Entwicklung des EU-Haushaltes -, dass
ihre nationalen Regierungen die bisherige Praxis der
Förderung von grenzüberschreitenden Projekten aus EUMitteln auch künftig fortführen wollen. Warum wollen
wir Deutsche einseitig darauf verzichten, obwohl zum
Beispiel diese beiden genannten Mitgliedstaaten solche
grenzüberschreitenden Projekte weiterhin aus EU-Mitteln mitfinanzieren wollen?
Herr Kollege Weiß, ich kenne die Position des zuständigen französischen Ministers, ich kenne aber auch die
Position des früheren Kommissars Barnier, der an dem
jetzigen Bericht wesentlich mitgearbeitet hat.
({0})
Als neuer Außenminister hat er kürzlich vor dem Dritten
Europäischen Kohäsionsforum in Brüssel deutlich darauf hingewiesen, dass seine Regierung den Haushalt der
EU auf Sparsamkeit hin ausrichten will. Insofern denke
ich, dass das weiterer Verhandlungen bedarf.
Es gibt zwei Nachfragen; zunächst von Kollegin
Mayer, dann vom Kollegen Adam.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
trifft es zu, dass der Bund, wie die Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Caspers-Merk in der „BZ“ vom
23. Juni verkündete, die Kooperationsprojekte von Interreg an Oberrhein und Bodensee künftig direkt bezuschussen wird? Gibt es hinsichtlich dieser Vorgehensweise schon eine Abstimmung mit Frankreich?
Frau Kollegin, ich höre gerade von der zuständigen
Quelle, die Sie eben zitiert haben, dass sie das prüfen
wird.
({0})
Ich darf ergänzend darauf hinweisen, dass in Regionen wie zum Beispiel Pamina noch Restmittel vorhanden sind, mit denen vielleicht das eine oder andere Projekt bis 2008 gefördert werden kann.
Kollege Adam.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort auf die
Frage des Kollegen Weiß so verstehen, dass die Förderung undifferenziert erfolgen wird? Das betrifft nämlich
auch die neuen Länder. Bekanntermaßen - ich komme
aus Mecklenburg-Vorpommern - werden die neuen Länder noch nicht so lange von der EU gefördert. Mittlerweile ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit - ich
darf das Beispiel Pomerania nennen - gerade im kommunalen Bereich sehr gut. Wird es hier zu einem Umlenken kommen oder wie ist das zu verstehen?
Sie sehen hier den Spannungsbogen zwischen Ihnen
und dem Kollegen Weiß. Der Kollege Weiß beklagt,
dass seine Region etwas zurücktreten muss, weil wir die
Mittel in Ihre und andere Regionen im Grenzbereich zu
Polen und Tschechien lenken wollen. Das meinte ich mit
Konzentration auf die neuen Binnengrenzen der EU.
Was mit den neuen Außengrenzen gemeint ist, ist klar.
Kollege Goldmann.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, in diesem Bereich gibt es eine Menge Spannungsbogen. Die
Region, aus der ich komme, grenzt an die Niederlande.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Regionen wie die
EDR - sie ist relativ bekannt und erfolgreich - Ihrer
Meinung nach genügend Zeit hatten, die Dinge zu
regeln, und dass sie zukünftig keine Mittel mehr zur Verfügung haben, um das fortzusetzen, was aufgebaut worden ist? Wenn Ihre Antwort das bedeutet, dann kann ich
nur dringend empfehlen, einmal in eine solche Region
zu fahren. Dann werden Sie feststellen, dass dort noch
eine Menge zu tun ist. Jeder sieht ein, dass hier neu gewichtet werden muss. Aber es muss auch die Möglichkeit geben, im Rahmen der altnachbarschaftlichen Beziehungen die Dinge weiterzuentwickeln, die dort
entstanden sind.
Regionalpolitik ist in erster Linie Aufgabe der Länder. Die bisherigen EU-Programme sind durch die Länder kofinanziert worden. Ich gehe davon aus, dass die
Länder, denen diese Zusammenarbeit nach wie vor
wichtig sein wird, ihrerseits die Anstrengungen fortsetzen werden, die Gemeinden und Gebietskörperschaften
darin zu unterstützen, damit sie die bewährte Zusammenarbeit auch künftig weiterführen können.
Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Peter Weiß:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg der im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Interreg in der Vergangenheit durchgeführten grenzüberschreitenden Projekte und welche Folgen eines plötzlichen Wegfalls der Förderung
grenzüberschreitender Zusammenarbeit für den Oberrheinraum sieht die Bundesregierung im Hinblick auf den weiterhin vorhandenen Bedarf an grenzüberschreitenden Kooperationsvorhaben im Oberrheinraum?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Weiß, die im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Interreg geförderten grenzüberschreitenden Projekte haben einen wichtigen Beitrag für die
Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der jeweiligen Region geleistet; das wissen Sie und
das weiß auch ich als Anrainer. Die Förderung durch die
Europäische Union ist jedoch keine Daueraufgabe; das
müssen Sie und ich zur Kenntnis nehmen. Sie kann nur
jeweils Hilfe zur Selbsthilfe sein. Auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit - ich habe es vorhin schon gesagt - bleibt nach dem Grundsatz der Subsidiarität primäre Aufgabe der jeweiligen Regionen.
Kollege Weiß.
Herr Staatssekretär, eingedenk dessen, was Sie so-
eben geantwortet haben, und Ihrer Antwort auf die
Nachfrage der Frau Kollegin Mayer möchte ich Sie fra-
gen: Wenn es Ihnen mit der Sorge um die Haushaltsent-
wicklung wirklich ernst ist - ich teile diese Sorge -, wel-
chen Sinn soll es dann machen, dass Sie offensichtlich
bereit sind, auf die Förderung grenzüberschreitender
Projekte durch EU-Mittel auf deutscher Seite zu verzich-
ten und diesen Verzicht durch Mittel aus dem Bundes-
haushalt zu kompensieren - offensichtlich haben Sie
reichlich Mittel; Frau Staatssekretärin Caspers-Merk hat
Ihnen ja zugerufen: „Das prüfen wir!“ -, während unsere
Nachbarn, zum Beispiel Frankreich und Österreich, ih-
ren komplementären Beitrag für diese Projekte aus den
von uns mitfinanzierten EU-Mitteln bereitstellen wol-
len? Welcher haushaltspolitische Sinn steckt hinter die-
sem offensichtlichen Vorhaben der Bundesregierung?
Herr Kollege, ich muss darauf hinweisen, dass Sie
jetzt dem Ergebnis von Verhandlungen vorgreifen und
eine Interpretation eines Ergebnisses vornehmen, das
überhaupt noch nicht vorliegt. Das ist nicht statthaft.
Ich sage noch einmal: Wir sind zusammen mit Frank-
reich der Auffassung, dass sich die EU bei ihren Ausga-
ben an einem Prozentpunkt des Bruttonationaleinkom-
mens der EU der 25 orientieren muss. Dies bedeutet,
dass man neue Prioritäten setzen muss. Neue Prioritäten
setzen heißt auch, neue Posterioritäten zu setzen. Die
deutsche Seite will, dass die Prioritäten auf die neuen
Binnengrenzen der EU gesetzt werden, also auf Meck-
lenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen, die
Grenzen mit Polen haben, und auf Sachsen und Bayern,
die Grenzen mit Tschechien haben, weil diese Regionen
anders als die westlichen Grenzregionen noch nicht die
ganze Zeit über in einer vergleichbaren Weise und in
vergleichbarem Umfang von der Förderung profitieren
konnten.
Was die französische Seite vorhat, muss abgewartet
werden. Es muss auch abgewartet werden, a) auf wel-
chen finanziellen Rahmen und b) auf welche Programme
man sich auf der EU-Ebene verständigt.
Kollege Weiß.
Herr Kollege Diller, können Sie mir denn bestätigen,
dass zum Beispiel das Interreg-Programm, das aus EUMitteln finanziert wird, von seiner Zielsetzung her nie
als ein Programm zur Angleichung von Lebensverhältnissen, wie das vielleicht für Gebiete an den neuen
Außengrenzen der Fall ist, sondern immer als ein Instrument zur Integration Europas gedacht war, und dass auch
von dem von der Bundesregierung erneut vorgeschlagenen EU-Kommissar Verheugen ein großes Interesse an
solchen Beispielen modellhafter Kooperation an europäischen Binnengrenzen geäußert worden ist und es deswegen durchaus eine sachliche Rechtfertigung gibt, auch an
den so genannten alten Binnen- und Außengrenzen
grenzüberschreitende Projekte, zu denen die Europäische Union einen Finanzierungsbeitrag leistet, fortzuführen?
Dass die Projekte fortgeführt werden sollen, steht
außer Zweifel. Die Frage ist, ob die EU sie weiter fördern muss. Werfen wir doch einmal gemeinsam einen
Blick auf die Fakten.
Im Bereich des Oberrheins, der Sie besonders betrifft,
gibt es folgende Interreg-Programme für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Es gibt den Bereich „Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein“. Betroffen sind Österreich, Deutschland, die Schweiz und Liechtenstein.
Dafür sind insgesamt 36,2 Millionen Euro veranschlagt.
Diese 36,2 Millionen Euro sind aber nicht für ein Jahr,
sondern für den Zeitraum 2000 bis 2006, mithin sieben
Jahre, veranschlagt. Davon finanziert die EU über
EFRE-Mittel - ich runde kaufmännisch - 17,5 Millionen
Euro.
Vom Programm Interreg III A „Oberrhein Mitte-Süd“
sind Deutschland, Frankreich und die Schweiz betroffen.
Dafür sind 70,6 Millionen Euro veranschlagt. Die
EFRE-Mittel betragen 31,6 Millionen Euro für eine
lange Zeitachse.
Im Bereich des Bundeslandes, aus dem ich komme,
gibt es das Programm „Pamina“ für die Region SüdParl. Staatssekretär Karl Diller
pfalz, Oberrhein Mitte, nördliches Elsass. Davon sind
Frankreich und Deutschland betroffen. Dafür sind
29,5 Millionen Euro veranschlagt, davon EFRE-Mittel
in Höhe von 14,8 Millionen Euro.
Ich bin in der Tat der Auffassung, dass in Abwägung
dessen, was prioritär ist, die Regionen zusammen mit ihren Bundesländern ihrerseits Anstrengungen unternehmen können, um diese Programme fortzusetzen.
Kollegin Mayer, bitte.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie, ob Sie sich der widersprüchlichen Haltung der Bundesregierung bewusst
sind, nämlich dass Staatssekretärin Caspers-Merk einerseits verkündet, der Bund wolle die Kooperationsprojekte weiterführen und finanzieren, während Sie andererseits zwar angeben, man wolle die Projekte
weiterführen, aber keine Zusage machen können bzw.
offensichtlich nicht wissen, wie die Finanzierung weiterhin erfolgen soll.
Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, zu dieser Frage mit
meiner Kollegin in Kontakt zu treten?
({0})
Danke schön. - Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wenn sich im Sinne Ihrer Ausführungen die Förderung
bis zu den neuen EU-Binnen- und Außengrenzen erstrecken soll, ist dann auch sichergestellt, dass die Mittel der
Europäischen Union weiterhin in unveränderter Höhe in
die Bundesrepublik Deutschland fließen werden?
Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, dass
uns ein Positionspapier der Kommission vorliegt, zu
dem es eine Stellungnahme der Bundesregierung gibt,
und dass wir noch in die Verhandlungen über das weitere
Prozedere und alle damit verbundenen Konsequenzen
eintreten werden. Insofern ist es verfrüht, eine Aussage
zu treffen, auf welche gemeinsame Grundlage man sich
einigen wird und welche Mittel in welcher Größenordnung in welche Region fließen können. Das alles wird
man erst dann festlegen können, wenn der Programmrahmen einvernehmlich beschlossen worden ist. Es tut
mir Leid, aber das ist Faktum. Gedulden Sie sich noch!
In zwölf Monaten wissen wir vielleicht mehr.
({0})
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Gehb und die
Fragen 24 und 25 der Kollegin Noll werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen damit zu Frage 26 des Kollegen Niebel:
Wie bewertet der Bundesminister der Finanzen, Hans
Eichel, dass Mitarbeiter seines Ministeriums im Tagungshotel
des Tax Competition Roundtable der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Heritage Foundation, des Center for Freedom and
Prosperity und der Stiftung Marktwirtschaft vorgesprochen
haben, um über den nach Auffassung der Mitarbeiter eher dubiosen Charakter von Veranstaltung und Veranstaltern zu informieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Niebel, Ihre Frage unterstellt, dass Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen im
Tagungshotel des Tax Competition Roundtable der
Friedrich-Naumann-Stiftung, der Heritage Foundation
und des Center for Freedom and Prosperity vorgesprochen hätten, um über den nach ihrer Auffassung eher dubiosen Charakter von Veranstaltung und Veranstaltern zu
informieren. Dies trifft nicht zu.
Bitte schön, Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie vor dem Hintergrund Ihrer Antwort, dass die Mitarbeiter und die Leiter
des Tagungshotels exakt das Gegenteil behaupten?
({0})
Herr Kollege, mir liegt eine schriftliche Äußerung
vor, die besagt, dass die Besprechung nicht den Zweck
hatte, die Gegenveranstaltung zu diskreditieren. Sie
wurde von den Vertretern des BMF weder als von „eher
dubiosem Charakter“ bezeichnet noch in sonstiger Weise
in Verruf gebracht. Mehr kann ich Ihnen nicht berichten.
Kollege Niebel noch einmal.
Vielen Dank. - Aufgrund dieser Antwort ist immerhin klar, dass Mitarbeiter des BMF in dem Tagungshotel
gewesen sind. Von daher frage ich Sie, Herr Staatssekretär: Ist es - wenn politische Stiftungen und Thinktanks
Podiumsdiskussionen oder Roundtable-Gespräche organisieren - üblich, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen im Vorfeld
einer derartigen Veranstaltung in den jeweiligen Tagungshotels über deren Inhalt informieren?
Die Unterstellung, die in Ihrer Frage enthalten ist, ist
falsch, Herr Kollege. Die Kollegen des BMF waren mit
logistischen Fragen im Zusammenhang mit der Unterbringung der Teilnehmer des vom Bundesministerium
der Finanzen verantworteten Global Forum beschäftigt.
Sie führten mit allen Hotels, in denen die Teilnehmer am
Global Forum untergebracht waren, Gespräche. Anlässlich des Gesprächs mit Mitarbeitern des Hotels Radisson
haben sie im Interesse einer reibungslosen Durchführung
der Konferenz auf den Zusammenhang zwischen der im
Hotel stattfindenden Gegenveranstaltung und dem Global Forum aufmerksam gemacht.
({0})
Danke schön. - Wir kommen zu Frage 27 des Kollegen Hermann Otto Solms:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen,
Dr. Barbara Hendricks, in der Fragestunde vom 16. Juni 2004,
der von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Zusammenarbeit
mit der Heritage Foundation, dem Center for Freedom and
Prosperity und der Stiftung Marktwirtschaft veranstaltete Tax
Competition Roundtable habe den Zweck gehabt, „Geldwäsche und kriminelle Aktivitäten an den Finanzmärkten“ zu
schützen, und die Auffassung, „dass die Zielrichtung der Gegenkonferenz ist, dass auf gesetzlicher Basis keine Auskünfte
erteilt werden, und dass diese Intention natürlich darin begründet ist, Steuerverkürzer, Steuerhinterzieher, Geldwäscher
und andere letztlich zu schützen“ - Plenarprotokoll 15/113,
Seiten 10292 B, 10294 B -, und, wenn ja, auf welchen Tatsachen ist diese Meinung der Bundesregierung begründet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Solms, die OECD hat im Jahr 1998
einen Bericht zum Problem des schädlichen bzw. unfairen Steuerwettbewerbs in einem globalen Umfeld herausgegeben. Ziel dieses Berichts, dem alle OECD-Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Schweiz und
Luxemburgs zugestimmt haben, ist es, schädlichen bzw.
unfairen Steuerwettbewerb einzudämmen. Nach dem
Bericht handeln Staaten oder Gebiete unfair, die Rahmenbedingungen schaffen oder beibehalten, die es nicht
ansässigen Personen ohne weiteres ermöglichen, der Besteuerung in ihrem jeweiligen Ansässigkeitsstaat zu entgehen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Finanzgeschäfte über Briefkastengesellschaften abgewickelt
werden können, über deren tatsächliche Eigentümer auf
Ersuchen ausländischer Steuerbehörden keine Auskunft
erteilt wird, oder wenn für Besteuerungszwecke kein Zugang zu Bankinformationen besteht. Staaten und Gebiete, die solche Rahmenbedingungen zur Verfügung
halten, erschweren es anderen Staaten, ihre Steuergesetze durchzusetzen, und sie begünstigen damit bewusst
oder unbewusst - das sei dahingestellt - Steuerhinterziehung und andere kriminelle Aktivitäten und verweigern
sich einem fairen Steuerwettbewerb.
Das Center for Freedom and Prosperity, dessen Veranstaltung am 2. Juni 2004 in Berlin die FriedrichNaumann-Stiftung unterstützte, versucht seit Jahren, die
OECD-Bemühungen zur Eindämmung des unfairen
Steuerwettbewerbs zu diskreditieren und Staaten und
Gebiete davon abzuhalten, die OECD-Grundsätze zu
Transparenz und Auskunftsaustausch zu akzeptieren.
Darüber hinaus unterstellt das Center for Freedom and
Prosperity der OECD, nach Steuerharmonisierung zu
streben, fairen Steuerwettbewerb zu unterbinden und
ihre Steuerpolitik anderen Staaten diktieren zu wollen.
Das kann man im Einzelnen auf der Website des Centers
nachlesen. Wer sich die Mühe macht, die Arbeit der
OECD zur Eindämmung des schädlichen Steuerwettbewerbs zu verfolgen, und sich mit den diesbezüglichen
Berichten befasst, der wird feststellen, dass die Behauptungen des Centers falsch sind.
Wir sind uns aber mit der großen Mehrheit der
OECD-Mitgliedstaaten, darunter beispielsweise Australien, Frankreich, Italien, Kanada, Japan, die USA und
das Vereinigte Königreich, einig, dass der Missbrauch
des internationalen Finanzsystems für kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche und Steuerhinterziehung nicht
hinnehmbar ist. Dabei ist Steuerhinterziehung keine
minderschwere kriminelle Aktivität. Transparenz und
Auskunftsaustausch sind eine wesentliche Voraussetzung, um diesen kriminellen Aktivitäten entgegenzuwirken. Herr Kollege Solms, dazu haben sich mittlerweile
33 Staaten und Gebiete außerhalb der OECD, die
Finanz- und Dienstleistungszentren unterhalten, bereit
erklärt. Sie haben dabei das berechtigte Anliegen, dass
nicht nur sie, sondern auch alle anderen bedeutenden
Finanzzentren innerhalb und außerhalb der OECD die
Grundsätze von Transparenz und Auskunftsaustausch
akzeptieren.
Wer dagegen wie das Center for Freedom and Prosperity versucht, die Durchsetzung von Transparenz und
Auskunftsaustausch zu verhindern, der unterstützt damit
indirekt auch Steuerhinterziehung und andere kriminelle
Aktivitäten durch Missbrauch des internationalen
Finanzsystems. In diesem Kontext sind die Ausführungen meiner Kollegin Dr. Hendricks in der Fragestunde
vom 16. Juni 2004 zu verstehen.
Die diesbezüglichen Ziele des Centers kamen nach
Presseberichten auch in der Berliner Veranstaltung zum
Ausdruck. So wird Herr Dan Mitchell von der „FAZ“
vom 7. Juni 2004 wie folgt zitiert:
Zudem sei der Informationsaustausch entgegen den
Darstellungen der OECD stets ein erster Schritt zur
Ausschaltung des Steuerwettbewerbs …
Richtig ist das Gegenteil. Transparenz und Auskunftsaustausch verhindern nicht fairen Steuerwettbewerb,
sondern sind Voraussetzung dafür. Darüber hinaus sei erwähnt, dass selbst die Einladung für den Roundtable in
Berlin unzutreffende Angaben enthält. Es heißt dort
- übersetzt aus dem englischen Text -, die OECD habe
das Global Forum veranstaltet, um die teilnehmenden
Staaten und Gebiete, die nicht der OECD angehören, davon zu überzeugen, dass ein Level Playing Field zwischen ihnen und den OECD-Mitgliedstaaten bestehe, obwohl zahlreiche Mitgliedstaaten der OECD keine
steuerlichen Auskünfte erteilen.
Das Gegenteil ist richtig. Die OECD-Staaten erkennen ausdrücklich an, dass an einem Global Level
Playing Field noch gearbeitet werden muss. Darauf hat
auch mein Minister in seiner Eröffnungsrede vor dem
Global Forum hingewiesen. Deshalb stand im Mittelpunkt der Diskussion des OECD-Global-Forum die
Frage, wie in überschaubarer Zeit ein Level Playing
Field erreicht werden kann, sodass kein Finanzzentrum
Wettbewerbsnachteile befürchten muss, weil es die
Grundsätze fairen Steuerwettbewerbs akzeptiert.
Schließlich ist die Feststellung unzutreffend, zahlreiche OECD-Mitgliedstaaten erteilten keine steuerlichen
Auskünfte. Richtig ist, dass alle OECD-Mitgliedstaaten
Auskünfte erteilen, jedoch einige wenige die OECDStandards in diesem Bereich nur teilweise erfüllen.
({0})
Bitte schön, Kollege Solms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
sind Sie also bereit, zu bestätigen, dass bei einer Podiumsdiskussion, an der verschiedene Initiatoren teilnehmen, natürlich unterschiedliche Meinungen dargetan
werden - das ist ja der Sinn einer Podiumsdiskussion und dass nicht alle Teilnehmer für die Äußerungen anderer Teilnehmer verantwortlich gemacht werden können?
Sind Sie in diesem Zusammenhang bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Podiumsdiskussion auf Initiative der Heritage Foundation zustande gekommen ist? An
dieser Diskussion haben natürlich auch das von Ihnen angesprochene Center for Freedom and Prosperity, aber
auch die Stiftung Marktwirtschaft und die FriedrichNaumann-Stiftung teilgenommen. Die Heritage Foundation ist ein hoch angesehener Thinktank in den Vereinigten Staaten und steht außerhalb jeder Diskussion.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass aufgrund dieser Zusammensetzung und aufgrund der Beteiligten, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung entsandt
worden sind, nämlich hoch angesehene Finanzwissenschaftler, beispielsweise von der Humboldt-Universität
oder vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität
Kiel, die Verdächtigungen, die Frau Hendricks gegenüber der Friedrich-Naumann-Stiftung ausgesprochen
hat, völlig fehl am Platze waren?
Herr Kollege Solms, dem ersten Teil Ihrer Frage ist
im Grundsatz zuzustimmen. Was den zweiten Teil Ihrer
Frage angeht, möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass die Kollegin Dr. Hendricks die Friedrich-NaumannStiftung in keiner Weise angegriffen hat. Sie hat vielmehr auf das hingewiesen, was mit den Aussagen und
den Zielen dieses Centers verbunden ist. Wenn Sie mit
Ihren Ausführungen durchblicken lassen wollen, dass
Sie die Zielsetzungen dieses Centers nicht teilen, dann
bin ich sehr zufrieden.
Bitte schön, Herr Kollege Solms.
Herr Staatssekretär, wären Sie um der Wahrheit willen bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die von der
Friedrich-Naumann-Stiftung entsandten Finanzwissenschaftler dort auch zum Ausdruck gebracht haben, dass
eine EU-weite Vereinheitlichung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen völlig legitim und sinnvoll ist, dass
sie aber darüber hinaus für freien Wettbewerb, insbesondere der Steuersätze, zwischen den verschiedenen Staaten eingetreten sind?
Herr Kollege Solms, ich möchte darauf hinweisen,
dass wir zusammen mit Frankreich - mein Minister hat
mit dem französischen Finanzminister Sarkozy entsprechende Initiativen entwickelt - in diesem Bereich arbeiten. Wir treffen da bei Kommissar Frits Bolkestein auf
Zustimmung; er zieht am selben Strang. Wir versuchen
auf der europäischen Ebene eine Harmonisierung der
Bemessungsgrundlagen zustande zu bringen.
Wenn wir das geschafft haben, dann kann ein Wettbewerb der Steuersätze von großem Interesse sein. Voraussetzung ist, dass er sich - so ähnlich wie die EU-Vereinbarung über die Umsatzsteuer - in gewissen Bandbreiten
entfaltet.
Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zu bestätigen,
dass die Äußerungen der Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks - nachzulesen im Plenarprotokoll 15/113,
Seiten 10 292 B, 10 294 B -, dass die Veranstaltungen,
unter anderem der Friedrich-Naumann-Stiftung, den
Zweck gehabt hätten, „Geldwäsche und kriminelle Aktivitäten an den Finanzmärkten“ zu schützen, und „dass
die Zielrichtung der Gegenkonferenz ist, dass auf gesetzlicher Basis keine Auskünfte erteilt werden, und dass
diese Intention natürlich darin begründet ist, Steuerverkürzer, Steuerhinterzieher, Geldwäscher und andere
letztlich zu schützen“, nicht richtig sind?
Herr Kollege, ich weise noch einmal auf das hin, was
ich gerade gesagt habe: Ob das eine beabsichtigte oder
nicht beabsichtigte Konsequenz ist, es ist leider Gottes
die Konsequenz. Wenn ich gegen Informationsaustausch
bin, wenn ich gegen Auskunftsersuchen bin, dann hindere ich einen Staat daran, im Sinne der Gleichmäßigkeit
der Besteuerung seiner Bürger vorzugehen.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Solms auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die herrschende
Meinung in der modernen Ökonomie davon ausgeht, dass
Steuerwettbewerb zu mehr Wohlstand und Wachstum in den
Staaten führt als eine Vereinheitlichung der Steuersysteme,
verbunden mit einem freiheitseinschränkenden und administrativ aufwendigen Überwachungs- und Informationssystem?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort auf diese Frage ist kürzer. - Herr Kollege, in Ihrem Bericht 2001 über Fortschritte bei der Eindämmung des unfairen Steuerwettbewerbs führt die
OECD unter anderem aus - ich übersetze aus dem englischen Originaltext -: „Die OECD ist bestrebt, durch Bereitstellung eines Rahmens, innerhalb dessen die Länder,
große und kleine, reiche und arme, OECD- und NichtOECD-Länder, bei der Beseitigung schädlicher Steuerpraktiken zusammenarbeiten können, einen Steuerwettbewerb zu fördern, der zur Verwirklichung ihrer übergeordneten Ziele, dass heißt zur weltweiten Förderung von
Wirtschaftswachstum und Entwicklung, beiträgt. Das
OECD-Projekt dient nicht dem Zweck, den Ländern die
Höhe ihrer Steuersätze oder die Struktur ihrer Steuersysteme zu diktieren. Es soll vielmehr zur Schaffung eines
Umfelds beitragen, in dem ein freier und fairer Steuerwettbewerb möglich ist.“
Die Bundesregierung hat dem genannten Bericht und
damit auch dieser Aussage zugestimmt. Ein freier und
fairer Steuerwettbewerb bedeutet jedoch nicht, die Erfassung der im Ausland nicht oder niedrig versteuerten Einkünfte eines Steuerpflichtigen zu vernachlässigen; denn
dies würde, wie ich gerade ausgeführt habe, gegen das
Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.
Kollege Solms, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
sind Sie bereit, zuzugestehen, dass es durchaus vernünftige alternative Konzeptionen dazu gibt, wie die Steuererhebung ohne große Lücken, effizient und effektiv stattfinden kann, die nicht auf Kontrollmitteilungen und
administrative Verfahren zurückgreifen, sondern sich
beispielsweise bei Zins- und Kapitaleinkünften des
Quellensteuerabzugsverfahrens bedienen? Dabei wäre
die Steuerhinterziehung ausgeschlossen und es bedürfte
eines Kontrollmitteilungsverfahrens nicht.
Ein solches Verfahren würde gewiss seinen Ertrag
bringen. Aber gegenwärtig ist es in der Bundesrepublik
so, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen zum übrigen
Einkommen hinzugerechnet werden und von daher einer
anderen Progression unterliegen. Wenn man also zu diesem Systemwechsel käme, käme es in der Tat zu einer
Vereinfachung. Generell ist die Aussage insofern richtig.
Bitte schön, Kollege Solms.
In Ergänzung nur noch Folgendes: Können Sie mir
bestätigen, dass sich der Vorbehalt der Länder Schweiz
und Luxemburg genau darauf bezieht, weil sie ein europaweites Quellensteuerabzugsverfahren bevorzugt hätten und dann auch bereit wären, sich daran zu beteiligen?
Wir haben uns auf europäischer Ebene durch die Initiative von Kommissar Frits Bolkestein darum bemüht,
ein Abkommen zu erreichen. Dieses Abkommen ist zustimmungsfähig. Es muss jetzt noch auf der Schweizer
Seite geklärt werden, ob es eine Volksabstimmung darüber geben kann und muss. Ich hoffe, dass dann, wenn
es dazu kommt, eine Zustimmung erfolgt, damit wir in
diesem Bereich einen großen Schritt weiterkommen.
Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
sie haben mehrfach über unfairen Steuerwettbewerb ge-
sprochen. Nach dem Beitritt der zehn Staaten zur Euro-
päischen Union kam sowohl vom bayerischen Minister-
präsidenten als auch von Bundeskanzler Schröder der
Vorschlag, dass die neuen Mitgliedstaaten ihre Steuer-
sätze - sie liegen bei 15 bis 19 Prozent - den unsrigen
anpassen müssen, sprich: erhöhen müssen, damit wir
wettbewerbsfähig bleiben.
Meine Fragen: Erstens. Verstehen Sie das unter einem
fairen Steuerwettbewerb? Zweitens. Sie sprachen von ei-
ner „Gegenveranstaltung“ zur OECD-Veranstaltung. Ha-
ben Sie Erkenntnisse darüber, dass sich irgendwer bei
der OECD-Veranstaltung von dem Roundtable gestört
gefühlt hat?
Zum letzten Teil der Frage kann ich Ihnen überhaupt
keine Auskunft geben, weil wir die Teilnehmer nicht da-
nach gefragt haben.
Der erste Teil Ihrer Frage ist im Prinzip schon in der
Diskussion, die wir eben hatten, beantwortet worden. Ich
weise noch einmal darauf hin - ich hoffe, dass Sie da
mitziehen -: Auf europäischer Ebene versuchen
Deutschland und Frankreich zusammen mit Kommissar
Bolkestein eine Harmonisierung der Bemessungsgrund-
lagen zu erreichen. Wenn wir diese Harmonisierung der
Bemessungsgrundlagen haben, kann sich bei den Steuer-
sätzen ein Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten der
EU entfalten. Dann wäre noch zu prüfen - das ist der
französische Vorschlag -, ob wie bei der Umsatzsteuer
dafür gesorgt werden soll, dass sich dieser Wettbewerb
in einer bestimmten Bandbreite bewegt.
Danke schön. - Die Frage 29 des Kollegen
Michelbach wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Auf die Fra-
gen antwortet Staatssekretär Ditmar Staffelt.
Die Frage 30 des Kollegen Hans Michelbach und
auch die Frage 31 des Kollegen Austermann werden
schriftlich beantwortet.1)
Damit kommen wir zur Frage 32 des Kollegen
Leibrecht:
Werden weitere Anfragen von Indonesien nach Waffen,
inklusive Dual-Use-Güter, genehmigt und, wenn ja, hat sich
aus Sicht der Bundesregierung die Lage in der Provinz Aceh
deutlich gegenüber den letzten Jahren verbessert?
Herr Staatssekretär, bitte.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Ausfuhrgenehmigungsanträge für Rüstungs- und Dual-Use-Güter, die
von deutschen Exporteuren gestellt werden, werden auf
der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes, der Außenwirtschaftsverordnung, der EG-Dual-Use-Verordnung, gegebenenfalls des
Kriegswaffenkontrollgesetzes sowie der politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern geprüft.
Nach denselben Kriterien wird auch über Verkäufe von
ausgesondertem Bundeswehrmaterial an ausländische
Streitkräfte entschieden. Bei den jeweiligen Entscheidungen werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, wobei die innere Lage und die Beachtung der
Menschenrechte im Empfängerland eine wichtige Rolle
spielen. Diese Grundsätze werden auch bei Anfragen
von Indonesien beachtet.
({0})
Über Einzelfälle können aus rechtlichen Gründen
- Geheimhaltungspflicht gemäß § 30 - keine Auskünfte
gegeben werden. Insofern wird auf den jährlich erschei-
nenden Rüstungsexportbericht verwiesen, in dem nach
Empfängerländern aufgeschlüsselte Angaben über er-
teilte Ausfuhrgenehmigungen einschließlich der jeweili-
gen Genehmigungswerte gemacht werden. Die Lage in
1) Die Antworten lagen bei Redaktionsschluss nicht vor und werden
zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Aceh gibt auch nach Aufhebung des militärischen Ausnahmezustandes im Mai 2004 weiterhin Grund zur
Sorge. Von einer dauerhaften Verbesserung kann erst gesprochen werden, wenn eine politische Konfliktlösung
erzielt wurde.
Zusatzfrage, Kollege Leibrecht?
Ja, vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gesagt, dass die innere Sicherheit und die
Menschenrechtssituation in einem Lande dafür ausschlaggebend sind, ob Waffen aus deutscher Produktion
dorthin exportiert werden dürfen. Sie haben die Provinz
Aceh angesprochen. Es gibt aber auch andere Regionen
in Indonesien wie zum Beispiel Sulawesi. Ich habe Indonesien selbst erst kürzlich bereist und konnte verschiedene Regionen nicht bereisen, weil es da Unruhen gibt.
Es ist also durchaus die Gefahr da, dass diese Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden. Wäre es
nicht sinnvoller, generell von deutscher Seite einen Waffenexportstopp für Indonesien auszusprechen?
Ich habe Ihnen gesagt, dass es eine sorgfältige Prüfung durch die entsprechenden gesetzlich vorgesehenen
Gremien seitens der Bundesregierung zu diesem Thema
gibt. Wenn Sie sich den Rüstungsexportbericht der Jahre
2001 und 2002 anschauen - wir haben ihn gerade heute
im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit miteinander besprochen -, werden Sie feststellen, dass die Anzahl der
Genehmigungen für Exporte nach Indonesien auf einem
sehr geringen Niveau liegt, nämlich bei jährlich jeweils
vier Genehmigungen, im Wesentlichen für Schiffe und
Schulungsflugzeuge bzw. für den Defensivbereich.
Vor diesem Hintergrund dürfen Sie davon ausgehen,
dass diese Bundesregierung sorgfältigst alle Ereignisse
auf die Waagschale ihrer Entscheidung legt und dass in
solchen Konfliktgebieten betont restriktiv verfahren
wird.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Hat der Terroranschlag in Bali die Genehmigungsfreudigkeit in Bezug auf eventuelle Lieferungen, vor allem von Dual-Use-Gütern, nach Indonesien erhöht oder
wird das so restriktiv wie bisher gehandhabt? Ich habe
den Eindruck, dass seit dem Terroranschlag auch mehr
Dual-Use-Güter nach Indonesien exportiert werden.
Ich habe schon in der verlesenen Antwort gesagt, dass
wir über Einzelfälle aus rechtlichen Gründen hier nicht
reden können. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen,
dass wir vor dem Hintergrund der angesprochenen Lage
in Indonesien selbstverständlich auch bezüglich der
Dual-Use-Güter besonders enge Maßstäbe setzen.
Danke schön.
Wie kommen dann zur Frage 33 des Kollegen Klaus
Hofbauer:
Welche jährliche Mittelausstattung für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
GA, in den alten Bundesländern beabsichtigt die Bundesregierung bis zum Jahr 2008, insbesondere vor dem Hintergrund
der Haushaltsentscheidung, für die GA in den neuen Bundesländern jährlich 700 Millionen Euro bis zum Jahr 2008 zur
Verfügung zu stellen?
Bei mir steht, die Fragen 33 und 34 sollen gemeinsam
beantwortet werden. Ist das so gedacht?
Wenn der Herr Kollege Hofbauer einverstanden ist,
ja. - Dann rufe ich auch die Frage 34 auf:
Wie wird sich die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Union für größere Spielräume in der Regionalpolitik
einsetzen, insbesondere für eine entsprechende Gestaltung der
europäischen Regelungen für die Regionalbeihilfen?
Die Bundesregierung hat am 23. Juni 2004 den Entwurf des Bundeshaushaltes 2005 vorgelegt und die
mittelfristige Finanzplanung bis 2008 beschlossen. Der
Etatentwurf sieht für die GA-Investitionsförderung Barmittel in Höhe von 694 Millionen Euro vor, die in gleicher Höhe in der Finanzplanung bis 2008 fortgeschrieben werden. Die Verteilung der Barmittel auf die Länder
erfolgt in Höhe der in den Vorjahren auf Basis der Verpflichtungsermächtigungen erteilten Bewilligungen, die
zu Auszahlungen in den Folgejahren führen.
Die Verteilung der im Regierungsentwurf 2005 vorgesehenen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von
687 Millionen Euro erfolgt in Anlehnung an den im Vorjahr vom Deutschen Bundestag vorgeschlagenen und
vom Bund-Länder-Planungsausschuss konkretisierten
Verteilungsmodus. Die verbindlichen Titelerläuterungen
sehen vor, dass davon Verpflichtungsermächtigungen in
Höhe von 589 Millionen Euro in den neuen Ländern und
Berlin sowie in Höhe von 98 Millionen Euro in den, wie
es hier heißt, westdeutschen Ländern mit strukturschwachen Gebieten eingesetzt werden sollen. - Ich
schmunzle deshalb, weil der Begriff „westdeutsch“
eigentlich ein klassischer Westberliner Ausdruck ist. Gemeint sind sicher die alten Bundesländer, nicht nur das
geographische Westdeutschland.
Zu Frage 34: Die Europäische Kommission hat mit
Schreiben vom 30. April 2004 ein Konsultationspapier
vorgelegt, das konkrete Vorschläge für eine Neuordnung
des Regionalbeihilferechts enthält. Sie hat die Mitgliedstaaten gebeten, zu diesen Vorschlägen bis zum 1. Juli
2004 Stellung zu nehmen. Die Neukonzeption sieht eine
stärkere Orientierung an Lissabon-, Göteborg- und
Barcelona-spezifischen Zielen vor - unter anderem die
Reduzierung der Beihilfen, die Ausrichtung auf horizontale Ziele, Wettbewerbsfähigkeit, die nachhaltige Entwicklung, die Kohäsion - und strebt eine stärkere Kohärenz zwischen Regionalleitlinien und künftiger EUStrukturpolitik an.
Die Europäische Kommission schlägt vor, die Regionalförderung nach Art. 87 Abs. 3 Buchstabe c des EGVertrages in den alten Bundesländern einzustellen. Stattdessen verweist sie die alten Bundesländer auf den regional fokussierten Einsatz insbesondere neuerer horizontaler Beihilfeinstrumente. Diese neuen Instrumente sind
bekannt geworden unter den Kürzeln LET - Limited Effect on Trade - und LASA - Lesser Amount of State
Aid. Sie zielen darauf ab, das Notifizierungsverfahren
abzukürzen, wenn mit einer staatlichen Beihilfemaßnahme ein horizontales Ziel, zum Beispiel die Förderung
von KMU, verfolgt wird. Voraussetzung ist allerdings:
Die Beihilfemaßnahme darf nur geringe Auswirkungen
auf den innergemeinschaftlichen Handel haben.
Im Hinblick auf den Lissabon-Prozess begrüßt die
Bundesregierung im Grundsatz diese Neuausrichtung
der Beihilfeinstrumente auf horizontale Ziele. Allerdings
sind die neuen Instrumente bislang noch nicht einmal
verabschiedet, geschweige denn in der Praxis erprobt
worden. Es steht zu befürchten, dass der Einsatz der Instrumente einen erheblichen administrativen Aufwand
bedeutet. Daher setzt sich die Bundesregierung dafür
ein, den Status nach Art. 87 Abs. 3 Buchstabe c auch in
Westdeutschland grundsätzlich beizubehalten, zumindest so lange, bis sich die neuen Instrumente in der Praxis bewährt haben.
Weiteres Ziel der Bundesregierung bei der Überarbeitung der Regionalleitlinien ist es, der Gefahr einer
beihilfebedingten Standortverlagerung von Unternehmen vorzubeugen. Die Bundesregierung verlangt daher, das Fördergefälle zu den neuen Mitgliedstaaten zu
verringern. Dazu sind erstens die Förderintensitäten in
kleineren Schritten als den von der Kommission vorgeschlagenen 10 Prozent abzustufen. Zweitens müssen
Sonderregelungen für Regionen geschaffen werden, die
ein starkes Fördergefälle zu angrenzenden Regionen
aufweisen. Hierfür wird sich die Bundesregierung nachdrücklich einsetzen.
Nachfrage, Herr Kollege Hofbauer.
Herr Staatssekretär, ich bin zunächst sehr dankbar,
dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, die Strukturförderung auch in den alten Bundesländern in Zukunft
zu erhalten.
Da Sie meine beiden Fragen sehr ausführlich beantwortet haben, möchte ich mich auf eine Nachfrage konzentrieren. Sie bezieht sich auf die Auszahlung der GAMittel im Jahre 2004, bei der es ein paar Schwierigkeiten
gegeben hat. Kann man davon ausgehen, dass alle Mittel, die in Anspruch genommen werden, auch ausbezahlt
werden?
Nach meinem Kenntnisstand ist es so, dass durch die
weiteren Anstrengungen um die Konsolidierung in Bezug auf dieses Thema die Ausfinanzierung für die Folgejahre - auch für das Jahr 2004 - entsprechend den jeweiligen Schritten, die die Verpflichtungsermächtigungen
vorsehen, gewährleistet sein wird.
Danke.
Wir kommen zur Frage 35 der Kollegin Petra Pau:
Mit welcher Begründung und mit welchen zu erwartenden
und gewollten Wirkungen wurde das Sonderprogramm des
Bundes „Arbeit für Langzeitarbeitslose“ auf den 31. Dezember 2004 verkürzt?
Das Sonderprogramm des Bundes zum Einstieg von
Langzeitarbeitslosen ab 25 Jahren in Beschäftigung,
„Arbeit für Langzeitarbeitslose“, soll zum 31. Dezember
2004 vorzeitig beendet werden, da für diese Maßnahmen
ab 1. Januar 2005 das Regelinstrumentarium des SGB II
zur Verfügung steht.
Mit der vorgesehenen Änderung werden die Laufzeiten der beiden Sonderprogramme zur Überleitung der
bisherigen kommunalen Arbeitsfördermaßnahmen in das
neue System des SGB II, nämlich „JUMP Plus“ und
„Arbeit für Langzeitarbeitslose“, zeitlich synchronisiert.
Darüber hinaus sollen die auf diese Weise frei werdenden Haushaltsmittel zur teilweisen Deckung der Ausgaben des Sonderprogramms der Bundesregierung zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher herangezogen werden.
Nachfrage, Kollegin Pau.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben eben das Auslaufen des Sonderprogramms bestätigt.
Wie bewertet daher die Bundesregierung die heute um
11.12 Uhr über die Agenturen verbreitete Ankündigung
des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, dass das Volumen der bestehenden Maßnahmen für Langzeitarbeitslose bis zum Jahresende erheblich ausgebaut wird, um die unsozialen
Folgen der Hartz-IV-Gesetze abzufedern? Welche Programme sollen ausgeweitet werden, wenn schon das
Sonderprogramm zum 31. Dezember beendet wird?
Soweit ich weiß, ist der Kollege Wilhelm Schmidt
nicht Mitglied der Bundesregierung. Er ist Gesetzgeber
und damit auch Haushaltsgesetzgeber. Ich bitte Sie,
diese Frage an den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion zu richten. Mir sind nähere Details dieser Aussage nicht bekannt.
Dann nehme ich zur Kenntnis, dass der Staatssekretär
und Parlamentarier Ditmar Staffelt diese Aussage nicht
kennt. Ich frage aber an dieser Stelle nach, welche Maßnahmen ab dem 1. Januar 2005 Langzeitarbeitslosen
über 25 Jahre zu einem - wenn auch befristeten - Einstieg in das Arbeitsleben angeboten werden.
Die Bundesregierung wird sich zum einen dafür einsetzen, dass diese Maßnahmen auch vor dem Hintergrund der Planungssicherheit der Beschäftigungsträger
so durchgeführt werden, wie sie bewilligt worden sind.
Das heißt, alle angefangenen Maßnahmen werden weiter
durchgeführt. Zum anderen sind - das ist, glaube ich,
ganz wichtig - im Rahmen der Regelförderung des
SGB II Förderabschnitte, die zwar innerhalb der sechsmonatigen Förderzeit, aber bereits im Jahre 2005 liegen,
weiterhin möglich.
Das heißt, dieses Instrumentarium bleibt, sofern Ansprüche geltend gemacht worden sind, erhalten, wird
allerdings durch die von mir genannten neuen Förderinstrumente im Rahmen des SGB II ergänzt und letztendlich, wie ich sagte, synchronisiert werden können.
Wir kommen zur Frage 36 der Kollegin Dr. Conny
Mayer:
Welches Signal verspricht sich die Bundesregierung davon, zwar einerseits die Verwirklichung von Eurodistrikten
am Oberrhein durch die gemeinsame deutsch-französische Erklärung anlässlich des 40. Jahrestages des Élysée-Vertrages zu
unterstützen, andererseits aber der EU zu empfehlen, sich bei
der „Förderung grenzüberschreitender Projekte auf den Osten
Deutschlands“ - „Badische Zeitung“, 23. Juni 2004 - zu konzentrieren?
Gemeinsam mit fünf anderen Mitgliedstaaten setzt
sich die Bundesregierung dafür ein, die Ausgaben der
Europäischen Union auf durchschnittlich nicht mehr als
1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Sie
haben ja vorhin meinen Kollegen Diller zu diesem
Thema bereits ausführlich gehört. Sie werden von mir
nicht sehr viel Neues dazu hören können; das wird Sie
kaum erstaunen.
Die europäische Strukturpolitik steht angesichts der
Erweiterung der Europäischen Union vor erheblichen
Herausforderungen. Diesen Herausforderungen muss
mit einer stärkeren Konzentration und nicht, wie von der
Kommission vorgeschlagen, durch eine massive Mittelaufstockung Rechnung getragen werden. Vor diesem
Hintergrund tritt die Bundesregierung für eine stärkere
Konzentration der Förderung auf die strukturschwächsten Regionen und im Bereich der von der Kommission
vorgeschlagenen europäischen territorialen Zusammenarbeit für eine Beschränkung der Förderung auf die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit an den neuen
Außen-, aber vor allem an den neuen Binnengrenzen ein.
Angesichts dieser Sachlage bleibt die Idee der Eurodistrikte bedeutend, da sie geeignet ist, Pilotvorhaben
bzw. Projekte mit europäischem Mehrwert zu initiieren.
Mit welchen sonstigen Förderinstrumenten Pilotvorhaben bzw. Projekte in diesem Bereich unterstützt werden
könnten, muss im Einzelfall geprüft werden.
Zusatzfrage, Frau Mayer.
Das waren nicht viele neue Erkenntnisse. Ich habe
trotzdem neue Fragen dazu.
Na gut.
Herr Staatssekretär, welche Kenntnisse hat die Bundesregierung ganz konkret über die Pläne der EU-Kommission zur Erhöhung der Strukturfondsmittel und wie
bewerten Sie diese?
Sie kennen ja den bisherigen Stand der Dinge. Es gibt
seitens der Europäischen Kommission sozusagen eine
Idee, die im Moment in den einzelnen Mitgliedsländern
erörtert wird. Die Bundesregierung hat sich darauf verständigt - auch das wurde vorhin bereits erörtert -, die
Position einzunehmen, die Fördermöglichkeiten der EU
letztendlich auf 1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung zu
reduzieren. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, dass wir
natürlich davon ausgehen, dass wir hierbei auf nationaler
Ebene Spielräume gewinnen können, die bisweilen sinnvoll sein können.
Wir befinden uns im Moment in einem Meinungsbildungsprozess. Ich selbst habe an Gesprächen mit den jeweiligen Wirtschaftsministern der verschiedenen Bundesländer teilnehmen dürfen. Auch hier gibt es einen
Meinungsbildungsprozess, der noch nicht abgeschlossen
ist. Es gibt noch keine endgültige gemeinsame nationale
Position in dieser Frage. Die wird erarbeitet.
Vor diesem Hintergrund ist für uns Folgendes wichtig: Erstens muss die Sparsamkeit, die wir uns selbst aufbürden, auch für die EU gelten.
Zweitens. Wir müssen immer wieder überprüfen, ob
nicht gewisse nationale Spielräume sinnvoll sind oder ob
es für uns tatsächlich der richtige Weg ist, ganz ausschließlich regionale Struktur- und Förderpolitik der
Europäischen Union zu 100 Prozent zu übertragen.
Eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, hat denn die Bundesregierung
Kenntnis über die Haltung der EU-Kommission bezüglich ihrer Position und wie bewerten Sie diese Haltung
der EU-Kommission?
Die EU-Kommission hat natürlich - das ist ja ganz
selbstverständlich - von der Position der Bundesregierung Kenntnis. Gleichwohl darf man nicht vergessen:
Wir sind in einem sehr frühen Stadium. Wir erwarten für
2005 bis Anfang 2006 erst tatsächliche und endgültige
Entscheidungen im Zuge des Prozesses.
Ich will noch einmal sagen: Wir stehen hier am Beginn eines Meinungsbildungsprozesses, bei dem - das
hat der Kollege Diller vorhin auch schon gesagt - wir
zurzeit natürlich noch nicht wissen, wie sich am Ende
die Meinungsbildung innerhalb der Europäischen Union
in den Mitgliedsländern darstellen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, der EU-Kommissar Verheugen
hat bereits großes Interesse an den Modellregionen und
Best-Practise-Beispielen an Oberrhein und Bodensee bekundet. Vor diesem Hintergrund frage ich: Hält die Bundesregierung die dort bereits verwirklichten oder noch in
der Realisierung befindlichen Interreg-Projekte nicht für
geeignet, sie als Vorbild für andere Regionen darzustellen?
Wir sind immer an Best-Practise-Modellen interessiert und ich bin ganz sicher, dass auch andere Gebiete in
Europa und in Deutschland sich sehr gerne den Mehrwert, den solche Projekte mit sich gebracht haben, anschauen. Wir haben vorhin von dem Kollegen Diller gehört, dass die Projekte ja nicht von einem Tag auf den
anderen gekappt werden. Erst einmal laufen sie bis 2007
- ich glaube, er sagte vorhin, sogar bis 2008 - weiter. Da
gilt es noch eine Menge zu tun. Sie wissen, dass die
Bundesregierung wie jede Landesregierung immer wieder auch über Benchmark-Verfahren überprüfen muss,
ob bestimmte Förderprojekte auf diese Weise weitergeführt werden können oder nicht.
Nun handelt es sich bei den genannten Regionen
- das sollte Sie eigentlich stolz machen - ja nicht gerade
um Regionen, die man als unterstrukturiert bezeichnen
könnte. Baden-Württemberg ist ein wirtschaftsmäßig
sehr kräftiges Land; darüber freuen wir uns alle. Gerade
hier muss natürlich eine solche Frage zulässig sein. Also
glauben Sie bitte an den Prozess, der erforderlich ist und
in dem wir uns im Moment befinden.
Wir kommen jetzt zur Frage 37 der Kollegin Conny
Mayer:
Hat die Bundesregierung Kenntnis über Stellungnahmen
von Frankreich, der Schweiz und Österreich zu dem InterregProgramm und wie bewertet die Bundesregierung gegebenenfalls diese Stellungnahmen?
Der Bundesregierung ist bekannt, dass sich Vertreter
Frankreichs, der Schweiz und Österreichs und insbesondere der betroffenen Regionen für eine weitere Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit
EU-Strukturfondsmitteln aussprechen. In meiner Antwort auf die vorhergehende Frage habe ich die finanziellen und sachlichen Gründe erläutert, warum die Bundesregierung dagegen für eine stärkere Konzentration der
Förderung auf die strukturschwächsten Regionen und im
Bereich der von der Kommission vorgeschlagenen europäischen territorialen Zusammenarbeit für eine Beschränkung der Förderung auf die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit an den neuen Außen- und vor allem an
den neuen Binnengrenzen eintritt.
Bitte schön, eine Nachfrage, Frau Mayer.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich habe eine konkrete Nachfrage: Hält die Bundesregierung den Dialog
mit den genannten Partnerländern im Südwesten für
sinnvoll und wo gegebenenfalls findet dieser Austausch
statt?
Soweit mir bekannt ist, gibt es mit diesen befreundeten Ländern auf vielfältige Weise einen dauerhaften
Meinungsaustausch sowohl über wirtschaftliche als auch
über andere gemeinsam interessierende Fragen. Ich weiß
von sehr vielen Begegnungen beispielsweise im Bereich
der Verkehrspolitik. Es ist ganz selbstverständlich, dass
auch mit diesen Regierungen geredet wird. Ich vermute,
dass auch die Landesregierung von Baden-Württemberg
und die Vertreter der Regionen mit ihren Partnerregionen
in einem dauerhaften Dialog bleiben und weiter daran
arbeiten, wie sie die angeschobenen Projekte in dem im
Moment genehmigten Zeitrahmen fortsetzen und letztlich positiv abschließen können.
Eine weitere Nachfrage, bitte schön.
Im Sinne einer Planungssicherheit für die an InterregProjekten beteiligten Partner oder potenziellen Partner:
Wann muss aus Sicht der Bundesregierung endgültig
entschieden werden, wie die weitere Förderungsphase ab
2007 konkret aussieht?
Wenn Sie mich so fragen, kann ich nur antworten:
Wir können definitiv erst dann entscheiden, wenn die
Europäische Union ihre Entscheidung darüber getroffen
hat, wie die regionale Strukturförderung in Zukunft aussehen wird. Deshalb erklärte ich vorhin, dass wir die
nächste Zeit für diesen Meinungsbildungsprozess benötigen. Die Position der Bundesregierung hierzu habe ich
Ihnen genannt, gleichwohl handelt es sich um einen Prozess, den wir abwarten müssen. Das geht übrigens nicht
nur der Bundesregierung und der Bundesrepublik so,
sondern das gilt ebenso für andere Staaten, die in diesem
Zusammenhang Fördermaßnahmen planen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 38 des Kollegen Jens
Spahn auf:
Wann wird die Bundesregierung die erste Übersicht nach
§ 73 Abs. 1 Arzneimittelgesetz, welcher so seit dem 1. Januar
2004 in Kraft ist, über die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union und die anderen Vertragsstaaten des Europäischen
Wirtschaftsraumes, in denen für den Versandhandel und den
elektronischen Handel mit Arzneimitteln dem deutschen
Recht vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen, veröffentlichen, und wie sieht bis zu einer Veröffentlichung die rechtliche Situation für ausländische Versandhändler aus?
Die rechtlichen Verpflichtungen für die ausländischen
Versandhändler ergeben sich aus § 73 Abs. 1 Nr. 1 a des
Arzneimittelgesetzes. Die Veröffentlichung der Übersicht dient der Information der Bürgerinnen und Bürger,
sie ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit des Versandes von Arzneimitteln aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Veröffentlichung dieser Liste kann von der Bundesregierung erst dann vorgenommen werden, wenn von
den Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union die dafür notwendigen Informationen geliefert
wurden. Diese Informationen liegen derzeit noch nicht
vor. Wir haben auch deshalb abgewartet, weil erst durch
den Beitritt der zehn neuen Staaten zur EU die rechtlichen Voraussetzungen dafür bestehen, dass die Behörden
der Beitrittsländer die an sie gerichteten Fragen beantworten.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Spahn, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
das GMG ist Mitte Oktober im Bundesrat endgültig verabschiedet worden und zum 1. Januar in Kraft getreten.
Wir haben jetzt fast Juli 2004, und unabhängig davon,
dass zehn neue Länder zum 1. Mai der EU beigetreten
sind, wäre es durchaus möglich gewesen, mit den alten
EU-Ländern einen entsprechenden Abgleich durchzuführen. Warum dauert es also so lange, eine solche Liste
zu erstellen? Die Zahl der Länder, mit denen zurzeit der
Versandhandel stattfindet, ist doch recht überschaubar.
Laufen die Gespräche mit den Nachbarländern in der EU
so schlecht oder geht es in Ihrem Ministerium so langsam voran?
Zunächst einmal weise ich zurück, dass im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung irgendetwas langsam geht, Herr Kollege Spahn.
({0})
- Herr Kollege von Klaeden, wenn Sie eine Frage haben,
melden Sie sich bitte ordnungsgemäß. Ich bin gern bereit, sie zu beantworten.
({1})
Herr Kollege Spahn, ich verstehe Ihre Fragestellung
nicht. Wir haben den Versandhandel in einem parteiübergreifenden Konsens im GKV-Modernisierungsgesetz zugelassen. Wir waren uns darüber hinaus einig, dass wir
Regelungen für den europäischen Versandhandel mit
Medikamenten brauchen, die den gleichen Sicherheitsstandard wie in Deutschland sichern. Die Liste stellt eine
Information für die Patientinnen und Patienten und die
Bürgerinnen und Bürger dar. Sie ist nicht notwendig, um
den Versandhandel zu erlauben. Deswegen liegen uns
auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Umsetzung des Versandhandels rechtlich schwierig ist.
Zweite Nachfrage, Herr Kollege Spahn.
Selbst wenn sie nur - in Anführungsstrichen - der Information der Patientinnen und Patienten diente, wäre es
doch schön, wenn es diese Liste gäbe; denn auch die Information der Patientinnen und Patienten liegt uns allen
gemeinsam am Herzen. Ich möchte insbesondere mit
Blick darauf, wie lange dieses Gesetz schon in Kraft ist,
sehr darum bitten, zumindest einen ersten Entwurf dieser
Liste endlich zu veröffentlichen.
Meine Zusatzfrage lautet: Wie bewertet die Bundesregierung europa- und kartellrechtlich den Umstand, dass
insbesondere den ausländischen Versandapotheken der
Herstellerrabatt von 16 Prozent von großen Teilen der
Pharmaindustrie im Moment nicht gewährt wird, und die
Absprache des Großhandels, die ausländischen Versandapotheken nicht zu beliefern?
Herr Kollege Spahn, ich will zunächst sagen: Das Gesetz ist seit dem 1. Januar 2004 in Kraft. Das ist jetzt gerade einmal ein halbes Jahr her. Erst seit diesem Zeitpunkt kann man sich an die benachbarten Staaten
wenden. Die Erweiterung der EU ist gerade einmal zwei
Monate her. Wir haben eine generelle Abfrage zur Information vorgenommen. Sobald uns die Listen vorliegen,
werden wir sie Ihnen zuleiten und auch veröffentlichen;
das ist überhaupt keine Frage. Wir können andere Staaten aber nicht dazu zwingen, unsere Anfrage innerhalb
einer bestimmten Frist zu beantworten, und halten das
auch für die falsche Vorgehensweise.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage: Uns liegen derzeit
keine Erkenntnisse vor, dass es bei der Lieferung oder
auch bei der Auslieferung irgendwelche Probleme gibt.
Wir wären auch der falsche Ansprechpartner, denn für
die Umsetzung des Gesetzes sind die Länder zuständig.
Dann kommen wir zur Frage 39 des Kollegen Spahn:
Wie viele Apotheken aus dem In- und Ausland beteiligen
sich derzeit in nennenswertem Umfang am Versandhandel mit
Arzneimitteln und worin liegen nach ersten Erfahrungen jeweils die größten Hemmnisse?
Der Bundesregierung liegen weder belastbare Zahlen
über den Umsatz und den Umfang des Versandhandels
von Apotheken noch über die Anzahl der Apotheken, die
Betriebserlaubnisse für den Versandhandel besitzen, vor.
Nach Schätzungen sind das über 800 Apotheken. Die
Bundesregierung hat keine Erkenntnis über größere
Hemmnisse beim Versandhandel.
Nachfrage? - Bitte schön, Herr Spahn.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
können Sie uns erste Zahlen über das mögliche oder
schon erwiesene Einsparpotenzial, das sich aus dem Versandhandel ergibt, nennen? Damit verbunden sind die
Fragen, inwieweit es Direktverträge der Krankenkassen
mit Versandhändlern gibt, und ob Sie mit mir übereinstimmen, dass es unabhängig von möglichen Einsparpotenzialen schon ein großer Schritt ist, dass es den Bürgerinnen und Bürgern nun überhaupt möglich ist, auch
jenseits der offiziellen Apotheke im Versandhandel Medikamente zu bestellen, also nicht nur Einsparpotenziale
zu sehen sind, sondern auch Serviceleistungen für den
Bürger.
Herr Kollege Spahn, ich stimme Ihnen sehr gerne zu.
Ein Grund für die Einführung des Versandhandels war,
dass es für schwer oder chronisch Kranke von Vorteil ist,
nicht mehr auf den Gang zur Apotheke angewiesen zu
sein, da die Möglichkeit besteht, dass das Medikament
ins Haus geliefert wird. Ich bin im Übrigen sehr froh,
dass sich jetzt auch deutsche Apotheken in diesem Bereich stärker serviceorientiert verhalten. Hier eröffnet
sich eine Chance, die ergriffen werden kann und auch ergriffen wird.
Ich bin sehr froh darüber, dass Sie das so positiv bewerten, denn gerade aus Ihrer Fraktion kamen die größten Bedenken gegen die Öffnung und den Versandhandel. Es ist sehr schön, wenn man im weiteren Verlauf seit
In-Kraft-Treten des Gesetzes zu neuen Erkenntnissen
kommt.
Weitere Nachfrage?
Jawohl. - Last, not least: Frau Staatssekretärin, wie
bewertet die Bundesregierung die jetzt aufgekommenen
Meldungen, dass Drogerieketten zu Rezeptsammelstellen - die Apothekerkammer Nordrhein sagt sogar: illegale Rezeptsammelstellen - werden, dass dort Rezepte
ähnlich wie Filme, die entwickelt werden müssen, gesammelt werden? Wie ist das rechtlich zu bewerten?
Die Bundesregierung sieht diese Entwicklung sehr
kritisch. Mit gutem Grund untersagt das Apothekenrecht, Rezepte in gewerblichen Betrieben zu sammeln.
Ein Grund besteht darin, den Bürgern das Bewusstsein
zu geben, dass es sich beim Arzneimittel um ein Produkt
besonderer Art handelt, bei dem die Beratung Bestandteil der Abgabe des Medikamentes ist.
Infolgedessen spricht es gegen die Arzneimittelsicherheit, wenn dem Bürger das Gefühl vermittelt wird,
dass er Arzneimittel ebenso wie Gemüse, Fotoarbeiten
oder Genuss- und Gebrauchsmittel von der gleichen
Stelle zur Verfügung gestellt bekommt. In diesem Fall ist
das deutsche Recht ebenso anzuwenden wie insgesamt
bei der Versorgung mit Arzneimitteln aus dem Ausland.
Die Bundesregierung steht in dieser Angelegenheit
mit den zuständigen Behörden in Verbindung - für die
Aufsicht sind die Länder zuständig -, um zu prüfen, welche geeigneten Maßnahmen eingeleitet werden können,
um die notwendige Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten.
Die Frage 40 der Kollegin Gitta Connemann soll
schriftlich beantwortet werden.
Damit bedanke ich mich bei der Frau Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt noch zu weiteren Fragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Zunächst die Frage 41 der Kollegin Hannelore
Roedel:
Wie hoch ist der finanzielle Mehraufwand an Personalund Verwaltungskosten, der den Sozialhilfeträgern durch die
Ausgabe von Chipkarten zur Krankenbehandlung an Sozialhilfeempfänger im Rahmen der Gesundheitsreform am
1. Januar 2004 entstanden ist?
Verehrte Kollegin Roedel, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Krankenversicherungskarten werden nicht
von den Sozialhilfeträgern, sondern von den Krankenkassen ausgegeben. In § 264 Abs. 7 SGB V heißt es:
Die Aufwendungen, die den Krankenkassen durch
die Übernahme der Krankenbehandlung … entstehen, werden … von den … zuständigen Sozialhilfeträgern vierteljährlich erstattet. Als angemessene
Verwaltungskosten einschließlich Personalaufwand für den Personenkreis
- in diesem Falle die Sozialhilfeempfänger …werden bis zu fünf vom Hundert der abgerechneten Leistungsaufwendungen festgelegt.
Nachfrage, Frau Roedel?
Ich danke für die Antwort. Sie wissen aber vielleicht:
Es gibt Schätzungen eines Kollegen, der SPD-Gesundheitsreferent bei der Stadt München ist, dass alleine für
den Personenkreis von 15 000 Sozialhilfeempfängern in
München für eine einmalige Umtauschaktion bei den
Krankenkassen Kosten von über 110 000 Euro angefallen sind.
Ich hatte ja schon im Januar eine ähnliche Frage gestellt. Damals wurde mir zugesichert, dass man sich um
praktikable Lösungen bemühen werde. Jetzt zeichnet
sich aber ab, dass zum 1. Januar 2005 aufgrund veränderter Bedingungen - ALG II - die nächste Umtauschaktion stattfinden muss und ein Jahr später, wenn wir die
elektronische Gesundheitskarte haben, eine weitere Umtauschaktion ansteht. Ich suche noch immer nach einer
praktikablen und nicht teuren Lösung. Darauf habe ich
bisher keine Antwort bekommen.
Sie haben ja in der Frage 42 nochmals einen ähnlichen Bezug hergestellt. Es geht ja darum, wie diese Kosten erstattet werden. Ich habe gerade ausgeführt, dass jeweils bis zu fünf vom Hundert der abgerechneten
Leistungsaufwendungen übernommen werden. Ich kann
die Daten aus München, die Sie genannt haben nicht bestätigen.
Weitere Nachfrage?
Bei der letzten Beantwortung durch Ihr Haus hat es
folgendermaßen geklungen: Es ist keine Neuausgabe;
damit fallen keine neuen Kosten an. - Jetzt zeichnet sich
aber ab, dass erneut Karten ausgestellt werden müssen.
Damit fallen diese Kosten jetzt doch wohl unbestritten
mehrmals an.
Die Karten müssen jetzt neu ausgestellt werden, weil
wir einen erweiterten Personenkreis haben, der unter
diese Regelung fällt. Diese Personen hatten bisher keine
Karte.
Kommen wir zur Frage 42 der Kollegin Roedel:
Wie hoch werden - auf der Basis der durch die erste Umtauschaktion zum 1. Januar 2004 entstandenen Kosten - die
Personal- und Verwaltungskosten der öffentlichen Kassen geschätzt, die durch zwei weitere Umtauschaktionen der Chipkarten, zum einen zum 1. Januar 2005 mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II
und zum anderen durch den Austausch der Chipkarten aller
Versicherten gegen eine elektronische Gesundheitskarte im
Rahmen der Gesundheitsreform zum 1. Januar 2006, entstehen?
Wie bereits in der Antwort auf Ihre Frage vom
28. Januar 2004 dargelegt, hängt die Notwendigkeit der
Ausgabe einer neuen Krankenversichertenkarte durch
die Krankenkassen davon ab, in welchem Umfang der
von § 264 SGB V betroffene Personenkreis durch den
Bezug von Arbeitslosengeld II Mitglied der gesetzlichen
Krankenversicherung wird und hierdurch eine Änderung
der Statusbezeichnung auf der Krankenversichertenkarte
erforderlich wird.
Schätzungen über den möglichen Verwaltungsmehraufwand aufgrund einer gegebenenfalls erforderlichen
Umstellung der Krankenversichertenkarte zum
Januar 2005 sind daher derzeit nicht möglich. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
hat durch einen Erlass vom 16. Januar 2004 sichergestellt, dass die Kosten im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte die
Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen
nicht belasten. In der Kontengruppe 69 wird nach Kontenart 696 ab 1. Januar 2004 ein eigenes Konto eingerichtet,
nämlich das Konto 6970 - Ausgaben für die elektronische Gesundheitskarte.
Die gesamte Einführung der elektronischen Gesundheitskarte wird je nach Ausgestaltung Investitionen von
voraussichtlich 0,7 bis 1,4 Milliarden Euro erfordern,
die überwiegend in den Jahren 2005 und 2006 anfallen
werden.
Hinsichtlich der Finanzierung und Kostenverteilung
sind jedoch auch alternative Konzepte vorstellbar: So
könnten zum Beispiel private Anbieter die Infrastruktur
aufbauen, den Datenfluss sichern und die Kartenerstellung übernehmen. Ihre Investitions- und Betriebskosten
könnten sie dann zum Beispiel über eine transaktionsabhängige Gebühr aus ersparten Aufwendungen refinanzieren. So würden die Systembeteiligten von der Vorfinanzierung entlastet werden.
Diesen einmaligen Investitionskosten stehen jährliche
Einsparungen durch die elektronische Gesundheitskarte
in Höhe von 1 Milliarde Euro gegenüber. Diese ergeben
sich insbesondere durch Erleichterungen bei der administrativen Abwicklung der Rezepte, durch die Verminderung behandlungsbedürftiger Wechsel- und Nebenwirkungen von Arzneimitteln, durch die Verringerung von
Doppelbehandlungen, durch die schnellere Verfügbarkeit von Notfall- und sonstigen Behandlungsdaten und
durch die Verringerung von Missbrauch.
Das genaue und das über den unmittelbaren Karteneinsatz hinausgehende Einsparpotenzial, das sich aus der
mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
verbundenen Standardisierung ergibt, ist derzeit nicht
bezifferbar. Die Einspareffekte werden schrittweise entsprechend der Einführung der jeweiligen Anwendung erreicht werden.
Können Sie sich auf eine Nachfrage beschränken,
weil wir eigentlich mit der nachfolgenden Debatte beginnen müssten?
Ja.
Bitte schön.
Mir geht es um die Umtauschaktionen am
1. Januar 2004 und am 1. Januar 2005. Durch das
ALG II verändern sich die Bedingungen zum großen
Teil für den gleichen Personenkreis.
Die AOK Bayern hat geäußert, sie sei der Auffassung,
dass all diese Empfänger und Versicherten durch den Sozialhilfeträger noch einmal neu befragt werden müssten,
welche Kasse sie wählen. Es entsteht also trotzdem ein
erheblicher Aufwand. Könnte Ihr Haus sich nicht darum
bemühen, diesen neuen, zusätzlichen Aufwand für den
Sozialhilfeträger, der noch einmal nachfragen muss,
welche Kasse gewählt wird - dadurch entstehen ihm
Kosten -, zu vermeiden?
Ich glaube, es muss nun neu festgestellt werden, wer
bei der Einführung des Arbeitslosengeldes II von dem
Bereich der Bundesagentur für Arbeit erfasst wird und
- im Laufe des heutigen Tages wird im Vermittlungsausschuss vielleicht ein Konsens hergestellt - inwieweit
Kommunen vom Optionsrecht Gebrauch machen können.
Wenn dadurch zusätzliche Kosten entstehen, dann
werden sie zum einen über diesen Fünf-vom-HundertAnteil im Rahmen der Verwaltungs- und Personalkosten
erstattet, wie ich gerade ausgeführt habe. Andererseits
gilt natürlich, dass es durch die Einführung der Gesundheitskarte mittelfristig auch zu Entlastungen kommen
wird. Das habe ich gerade bereits gesagt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich beende die
Fragestunde.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung
der Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann
- Drucksachen 15/2500, 15/2630 Nr. 1.2, 15/3274 Berichterstattung:
Abgeordnete Simone Violka
Stefan Müller ({1})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Simone Violka von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute ein Thema, welches nicht
zum ersten Mal auf der Tagesordnung des Deutschen
Bundestages steht.
Im Jahre 2002 haben wir eine Entschließung zum
Thema „Girokonto für jedermann“ beschlossen. Darin
wurde die Bundesregierung aufgefordert, alle zwei Jahre
einen Bericht zur weiteren Umsetzung der Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses zu dieser Problematik vorzulegen, und zwar unter anderem zur Wirkung
der Beschwerdestellen und der Struktur der Inhaber von
Girokonten.
Dieser Bericht liegt dem Bundestag jetzt vor. Aus ihm
geht eindeutig hervor, dass es zwar Verbesserungen gegeben hat, dass es für die Betroffenen aber noch immer
zu keinem endgültig befriedigenden Zustand gekommen
ist. Noch immer erleben Menschen aufgrund von Kontolosigkeit Diskriminierungen im normalen gesellschaftlichen Leben; denn wenn immer mehr Filialen geschlossen werden und der bargeldlose Zahlungsverkehr zur
Normalität wird, bleiben Menschen ohne Konto außen
vor. Nicht zu unterschätzen ist auch der finanzielle Aufwand der öffentlichen Hand bei Zahlungen von Kindergeld, Transferleistungen, Sozialleistungen usw., wenn
kein Konto zur Verfügung steht. Für viele Familien ist es
auch schwierig, das Geld zu verwalten, wenn eine Kontobefugnis nicht erteilt werden kann, weil es kein Konto
gibt.
Natürlich gibt es einzelne Fälle, in denen es Geldinstituten nicht zuzumuten ist, Konten zu eröffnen bzw. weiterzuführen. Leider gibt es vonseiten der Banken zu wenige aussagekräftige Daten, die eindeutig darstellen, ob
die Kreditinstitute ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung
ausreichend nachgekommen sind oder nicht. Doch die
Auswertung der Arbeit von Verbänden und Schuldnerberatungen legt die Vermutung nahe, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland unverschuldet kein
Konto besitzen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die Kreditwirtschaft um einen verbesserten Zugang zum bargeldlosen
Zahlungsverkehr bemüht. Auch möchte ich an dieser
Stelle die öffentlich-rechtlichen Geldinstitute loben,
die ihrer besonderen Verantwortung nachkommen. Viele
haben sogar besondere Verpflichtungen in ihre Sparkassenverordnungen aufgenommen. Aber flächendeckend
reicht das nicht. Es ist auch nicht ausreichend, wenn sich
nur ein einzelner Zweig an diese Vorgaben hält und seiner Verpflichtung nachkommt.
Wir erwarten daher, dass alle Kreditinstitute die Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses flächendeckend anwenden. Dazu gehört auch die Bereitstellung
verwertbarer und aussagekräftiger Daten, damit ersichtlich ist, wie oft und weshalb Anträge auf Girokonten abgelehnt oder Konten gekündigt werden. Außerdem muss
von den Kreditinstituten sichergestellt werden, dass sie
bei Kündigung oder Ablehnung jeden Betroffenen auf
die Möglichkeit der kostenlosen Inanspruchnahme einer
Schlichtungsstelle bei Streitfällen hinweisen. Die Praxis
zeigt, dass dies häufig nicht der Fall ist und viele Menschen aus Angst vor eventuellen Gebühren und Kosten
auf eine solche Möglichkeit verzichten.
Ich freue mich, dass wir mittlerweile in allen Fraktionen bei der Behandlung dieses Themas einer Meinung
sind. Das halte ich für die betroffenen Bürgerinnen und
Bürger für einen wichtigen Fortschritt. Noch im
Jahr 2002 sah die CDU/CSU-Fraktion im Hinblick auf
dieses Thema leider keinen Handlungsbedarf. Im Ausschuss bezeichneten Abgeordnete dieser Fraktion damals
die Betroffenen sogar als „statistische Restgrößen“. Für
mich ist dies nach wie vor eine ungeheuerliche Bezeichnung für Menschen. Aber offensichtlich hat bei Ihnen in
diesem Punkt ein Umdenken stattgefunden. Deshalb bin
ich über diese gemeinsame Beschlussempfehlung sehr
erfreut.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam dazu beitragen können, die persönliche Lage von Menschen bei dieser Problematik zukünftig zu verbessern. Wenn man sich die
Einzelfälle anschaut, dann stellt man fest, dass häufig
Frauen unverschuldet in eine solche Lage kommen, weil
sie für ihren Ehegatten Kreditverträge mit unterschreiben und sich dann, wenn die Ehe - aus welchen Gründen
auch immer - zerbricht, an der Kreditabzahlung beteiligen müssen, wozu sie aber nicht fähig sind. Selbst wenn
sie Rente beziehen, verweigern die Kreditinstitute häufig
aufgrund der Altschulden, die diese Frauen mit sich herumtragen, ein Konto. Das führt dazu, dass diese
Menschen ihr gesamtes Geld bei sich zu Hause - ob nun
unter der Matratze, im Schrank oder im Sparstrumpf aufbewahren müssen, was die Sicherheit dieser Bürgerinnen und Bürger nicht gerade erhöht.
Es kommt erschwerend hinzu - das habe ich schon
ausgeführt -, dass Dienstleistungen von Versandhäusern
oder Angebote aus dem Internet einfach nicht angenommen werden können, weil dafür ein bargeldloser Zahlungsverkehr Voraussetzung ist. In einer Zeit, in der die
bargeldlose Zahlung immer mehr an Bedeutung gewinnt, können wir es nicht hinnehmen, dass es noch immer Menschen in diesem Land gibt, die von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Ich glaube, in diesem
Hause sind auch viele junge Zuhörer, die sich sicherlich
nicht vorstellen können, dass das Konto, das sie schon
lange besitzen und mit dem sie selbstverständlich umgehen, später aufgrund einer misslichen Lage nicht mehr
zur Verfügung steht. Jeder sollte sich einmal vorstellen,
wie es wäre, kein eigenes Konto zu besitzen, und wie
dann der eigene Lebensprozess ohne Konto gestaltet
werden müsste.
Ich denke, diese Beispiele machen jedem bewusst,
wie wichtig dieses Thema ist, auch wenn es natürlich
nicht die Mehrheit unserer Bevölkerung betrifft; das ist
richtig. Aber es ist im Interesse eines vernünftigen Miteinanders in der Gesellschaft nötig, dass man sich trotzdem mit diesem Thema beschäftigt und allen Menschen
in dieser Richtung Hilfe versprechen kann.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Frau Violka, Sie haben natürlich Recht: Es gibt
Schätzungen - genaue Daten oder Zahlen kann man
schwer ermitteln -, dass etwa eine halbe Million Menschen in unserem Lande ohne ein eigenes Girokonto
über die Runden kommen muss. Dabei lässt sich trefflich darüber philosophieren, welches die Gründe dafür
sind - sie sind sicherlich vielfältig -, warum diese Menschen kein eigenes Girokonto haben.
Ohne Zweifel - in diesem Punkt sind wir einig - ist
die Verfügung über ein eigenes Girokonto eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Wer kein Girokonto
hat, hat zumindest Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu
bekommen, er bekommt Schwierigkeiten bei der Anmietung einer Wohnung und selbst der Bezug von Sozialleistungen ist ohne ein Girokonto erheblich erschwert.
Das heißt, es ist wichtig, dass jeder Verbraucher und jeder Bürger in Deutschland die Möglichkeit hat, ein eigenes Girokonto - und sei es nur auf Guthabenbasis - zu
eröffnen. Zweifellos ist es aber auch richtig und wichtig,
dass wir bei klaren Missbrauchsfällen oder aus Gründen
der Unzumutbarkeit den Kreditinstituten die Möglichkeit geben, eine Kontoeröffnung abzulehnen.
Es ist unstrittig, dass sich die Kreditwirtschaft in unserem Lande ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und
der Bedeutung dieses Themas bewusst ist und bereit ist,
insbesondere für sozial schwächere Personen ein Girokonto zu eröffnen und diesen den bargeldlosen Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses von 1995 ist dafür ein Beispiel.
1995 haben sich Banken und Sparkassen in einer Selbstverpflichtung dazu verpflichtet, jedem Verbraucher auf
Wunsch zumindest ein Konto auf Guthabenbasis bereitzustellen.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich hervorheben,
dass wir die flächendeckende Umsetzung der Empfehlung durch die einzelnen Kreditinstitute, Kundenbeschwerdeverfahren einzurichten, sehr begrüßen. Diese
Verfahren können bei Streitfällen von den Verbrauchern
kostenlos genutzt werden, um bei Ablehnungen den
Sachverhalt zu klären. Diese Kundenbeschwerdestellen
arbeiten mit oberster Priorität sämtliche Beschwerden
ab, die im Zusammenhang mit dem Girokonto für jedermann stehen. Die Praxis dieser Kundenbeschwerdeverfahren zeigt, dass sich zahlreiche Beschwerden schon im
Vorfeld über den Ombudsmann, den die Kreditwirtschaft eingerichtet hat, klären lassen. Insofern bleibt
festzuhalten, dass die Kreditwirtschaft der Forderung, in
Zweifelsfällen eine zügige Klärung herbeizuführen,
nachgekommen ist.
Nun hat das Bundesfinanzministerium im Frühjahr
dieses Jahres den dritten Bericht zum Girokonto für jedermann vorgelegt. In diesem Bericht ist ausgeführt
worden, dass es immer noch Probleme gibt, aber eine gesetzliche Regelung zumindest im Augenblick für nicht
notwendig erachtet wird. Wir haben gemeinsam im Finanzausschuss diese Punkte in einem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag aufgegriffen. Ich möchte
an der Stelle betonen, dass es uns, der CDU/CSU-Fraktion, sehr wichtig war, dass wir bei allen Bemühungen,
allen Menschen in unserem Lande ein Girokonto zu ermöglichen, die Kreditwirtschaft nicht mit noch mehr Bürokratie überziehen.
Als durchgängiges Problem hat sich - Frau Violka,
Sie haben es gerade angesprochen - die fehlende Dokumentation erwiesen. Man mag das beklagen; ich persönlich bin aber der Überzeugung, dass wir dieses Problem mit einem vertretbaren Aufwand nicht in den Griff
bekommen können. Es ist aus meiner Sicht in der Praxis
völlig unmöglich, die genaue Zahl der Verweigerungen
von Kontoeröffnungen zu erheben. Warum? Sie berufen
sich immer wieder auf die Zahlen, die die Verbraucherschutzverbände nennen. Das Problem liegt aus meiner
Sicht schlicht und ergreifend darin, dass jede Bank jede
einzelne Ablehnung einer Kontoeröffnung erfassen
müsste. Wenn die Eröffnung eines Kontos bei der ersten,
der zweiten und der dritten Bank, zu der ein Verbraucher
geht, abgelehnt wird, dann werden alle Einzelfälle gezählt und die Statistik wird aufgebauscht, weil tatsächlich sehr viel weniger Verbraucher von dem Problem betroffen sind.
Insofern muss man schon die Frage stellen, ob dieses
Problem als solches tatsächlich erfasst werden kann. Das
Stefan Müller ({0})
würde sich nur dadurch lösen lassen können, dass sich
die Banken untereinander abstimmen, was aus meiner
Sicht schon aus datenschutzrechtlichen Gründen ein Problem darstellen und in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen Ergebnis stehen würde. Insofern werden wir,
so glaube ich, dieses Problem nicht in den Griff bekommen und es werden alle diesbezüglichen Bestrebungen
ins Leere laufen.
({1})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung
machen. Der aktuelle Bericht kommt zu dem Ergebnis,
dass die ZKA-Empfehlung im Großen und Ganzen von
allen Kreditinstituten berücksichtigt wird. Deshalb sollten wir für die Zukunft in Betracht ziehen, dass der
Deutsche Bundestag diese regelmäßige Dauerbeschäftigung sowohl der Kreditwirtschaft als auch der Verbände,
der Ministerien und der nachgeordneten Behörden auf
den Prüfstand stellen muss. Aufgrund des vorliegenden
Berichts sollten wir erwägen, die regelmäßige Berichterstattung einzustellen und erst dann wieder einen Bericht
vorzusehen, wenn nachgewiesene Missstände bei der
Umsetzung der ZKA-Empfehlung zum Girokonto für jedermann spürbar werden. Das lässt sich aus meiner Sicht
durchaus rechtfertigen und auch klarstellen. Beispielsweise anhand der Zahl der Kundenbeschwerdeverfahren wird deutlich erkennbar, ob tatsächlich Missstände
bestehen. Darüber sollten wir nachdenken. Im Übrigen
gibt es in unserem Land sicherlich viel größere Probleme, die wir lösen müssen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Gegensatz zu dem Kollegen Müller meine
ich, dass gerade die Berichtspflicht eine positive Wirkung entfaltet. Unter anderem haben wir uns dadurch auf
einen gemeinsamen Antrag geeinigt.
Ein großes Problem im Zusammenhang mit der sozialen Gerechtigkeit, das zu lösen ist, betrifft meines Erachtens das Girokonto für jedermann und seine Umsetzung,
über die wir heute diskutieren. Ich begrüße es, dass
durch den Bericht eine große Öffentlichkeit hergestellt
wurde und eine große Sensibilität für das Thema entstanden ist.
Zahlreiche Beispiele machen das Problem deutlich.
Die Deutsche Bank in Homburg/Saar verweigert jemandem grundsätzlich die Einrichtung eines Guthabenkontos und erklärt, die ZKA-Empfehlung sei nicht bekannt.
Die Sparkasse Ostunterfranken verweigert einem Kunden die Eröffnung eines Guthabenkontos mit dem Hinweis auf ein soeben eröffnetes Insolvenzverfahren,
obwohl eine Kontopfändung im gerichtlichen Insolvenzverfahren nicht zu erwarten ist. „90 Prozent der Kontoverweigerungen sind unberechtigt“, hat die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände in einer
Studie festgestellt, der auch die genannten Beispiele entstammen.
Der Bericht der Bundesregierung zieht eine ähnlich
kritische Bilanz. Die vor neun Jahren eingegangene
Selbstverpflichtung der Kreditinstitute zur Einrichtung von Girokonten für jedermann wird nur mangelhaft
umgesetzt. Der Bericht kritisiert insbesondere das nur
eingeschränkt bewertbare Datenmaterial.
Herr Kollege Müller, Sie haben vielleicht Recht, dass
es bei der Beschaffung von Datenmaterial Probleme geben kann; aber ich meine, dass man sie innerhalb von
neun Jahren gelöst haben könnte.
({0})
Eine sichtbare Verbesserung der Situation kann nämlich
nicht bestätigt werden.
Umfragen und Stichproben, die die Verbraucherverbände durchgeführt haben - die auf dieser Ebene übrigens anderes Datenmaterial zusammentragen konnten -,
lassen vermuten, dass Tausende von Bürgerinnen und
Bürgern in Deutschland unverschuldet kein Girokonto
besitzen. Meine Kollegin Violka hat eben dargelegt, dass
das Girokonto ein Teil des modernen wirtschaftlichen
Lebens ist. Über das Internet kann man nichts beziehen,
wenn man kein Girokonto besitzt; in anderen Bereichen
wird es dadurch sehr erschwert. Insofern handelt es sich
um eine massive Ausgrenzung von Menschen aus dem
normalen Wirtschaftsleben. Das kann nicht im Sinne von
uns allen sein. Ich nehme an, dass wir uns auch aus diesem Grund auf einen gemeinsamen Antrag einigen
konnten.
Es geht uns darum, dass jemand, der Schulden, einen
negativen Schufa-Eintrag oder eine Kontopfändung vorweist, nicht mit demjenigen gleichgestellt wird, der ein
Konto missbraucht. Diesen Generalverdacht erheben die
Banken nämlich. Auf diese Art und Weise entledigen sie
sich Kunden, an denen sie nicht allzu viel verdienen
können. Das geht nicht an.
Selbstverpflichtungen können zwar ein gutes Instrument sein; aber eine Selbstverpflichtung, die sozusagen
ihrem eigenen Anspruch nicht genügt, konterkariert meines Erachtens dieses Instrument und macht es unglaubwürdig. Der Wirtschaft müsste klar sein, dass es auch ein
schlechter Weg ist, wenn man nicht zu den eigenen Versprechen steht.
Auch für uns ist eine gesetzliche Lösung nur die
zweitbeste; denn wir wissen, dass sich mit einem
Kontrahierungszwang rechtliche Auseinandersetzungen nicht immer verhindern ließen und dass solche Auseinandersetzungen für die Betroffenen - das sind zumeist Menschen, die nicht gerade zu den Gewinnern
gehören - nicht leicht wären. Vor diesem Hintergrund
möchten wir das Instrument der Selbstverpflichtung weiter nutzen und stärken, aber auch einfordern.
Auf Initiative der Fraktion der Grünen liegt deshalb
ein interfraktioneller Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, auf die Kreditwirtschaft in
geeigneter Weise einzuwirken, die notwendigen Daten
wie gefordert vorzulegen oder Vorschläge zu machen,
wie sie diese auf andere Weise erhalten kann, falls es
Probleme gibt, und alle Elemente der Selbstverpflichtung umzusetzen. Wir freuen uns, dass die Opposition
diesmal mitmacht und damit endlich einmal eine lebensnahe Position eingenommen hat. Die Kreditwirtschaft ist
gut beraten, die Zeit bis zum nächsten Bericht zur Umsetzung zu nutzen. Wir machen ebenfalls deutlich, dass
dies die letzte Chance der Kreditwirtschaft ist, ihre eigene Selbstverpflichtung endlich umzusetzen. Sollte
dies weiterhin nur unzureichend erfolgen, werden wir
uns auf jeden Fall dafür einsetzen, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Recht auf ein Girokonto
gesetzlich eingeräumt wird.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Andreas
Pinkwart von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Vorredner haben in ihren Ausführungen
deutlich gemacht, dass der zur Beratung stehende Tagesordnungspunkt, der auch Gegenstand des Berichts der
Bundesregierung ist, für viele und insbesondere für die
Schwächsten in diesem Land wichtig ist. Umso bedauerlicher finde ich es angesichts der Tragweite - diese ist
auch bei den Rednern der Koalitionsfraktionen zum
Ausdruck gekommen -, dass die Bundesregierung noch
nicht einmal mit Parlamentarischen Staatssekretären an
dieser Debatte teilnimmt, und zwar weder das Verbraucherschutz- noch das Finanzministerium. Das zeigt, wie
wichtig die Bundesregierung diesen Tagesordnungspunkt offensichtlich nimmt.
({0})
Wir nehmen ihn jedenfalls sehr ernst und haben das
wiederholt zum Ausdruck gebracht. Wir tragen auch den
gemeinsamen Antrag mit, und zwar insbesondere deshalb, weil er eine freiwillige Selbstverpflichtung zum
Gegenstand hat. Wir begrüßen sehr, dass in diesem Falle
auch die Koalitionsfraktionen - jedenfalls bis jetzt - einer freiwilligen Selbstverpflichtung den Vorrang gegeben haben. Schließlich darf man nicht vergessen, dass
die SPD-Fraktion mit Unterstützung der Grünen Mitte
der 90er-Jahre eine gesetzliche Regelung beantragt hatte.
Die damalige Regierung hat dann der Vernunft zum
Durchbruch verholfen und darauf gedrungen, zu einer
Selbstverpflichtung zu kommen.
Wir können heute feststellen, dass sicherlich Fortschritte auf diesem Gebiet erzielt worden sind, dass wir
aber weitere Fortschritte sehen wollen. Wer jedoch Fortschritte erzielen will - das wollen wir -, der muss auch
sicherstellen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen
durch das Parlament kontrollierend begleitet werden, damit der Erfolg gewährleistet ist. Insofern begrüßen wir
das, was im Bericht positiv festgehalten worden ist, und
die Aufforderung zur Dokumentation.
Ich möchte noch hinzufügen - auch das hat der Antrag zum Gegenstand -, dass wir keine weitere Bürokratie wollen, sondern dass wir eine effektive Berichterstattung erwarten und verlangen - das haben wir schon
während der Ausschussberatungen deutlich gemacht -,
dass die Bundesregierung, die dem Parlament einen zusätzlichen Bericht vorlegen soll, im Gegenzug alles dafür tut, um die Kreditwirtschaft und auch andere Branchen von Bürokratie an anderer Stelle wirksam zu
entlasten, wie das etwa mit einer Quellenbesteuerung
möglich wäre.
Angesichts der Wichtigkeit des nun folgenden Punktes, die ich in diesem Zusammenhang deutlich machen
möchte, bedauere ich erneut, dass kein Vertreter der
Bundesregierung an dieser Beratung teilnimmt.
({1})
- Sie sitzen überall, das ist sehr schön. Aber Sie merken
ja selber, wie eindrucksvoll die Präsenz ist. Sie dürfen
nicht vergessen, dass Sie den Bericht eingebracht und zu
vertreten haben.
Sie haben vor allen Dingen einen anderen Sachverhalt
zu vertreten - das möchte ich hier mit einer abschließenden Bemerkung deutlich machen -: Die Vorlagen, über
die wir heute beraten, stehen im Kontext mit einer wachsenden Zahl von privaten Haushalten, die überschuldet
sind, und einer wachsenden Zahl privater Insolvenzen.
Das ist - das steht in einem jüngst erschienenen Bericht
von Creditreform - insbesondere das Ergebnis einer zu
hohen Arbeitslosigkeit in diesem Land. So wichtig die
Schaffung der Voraussetzungen dafür ist, dass Menschen
in dieser Weise am Wirtschaftsleben teilnehmen: Die
Grundvoraussetzung dafür, dass sie das dauerhaft aus
eigener Kraft machen können, ist, dass sie eine Beschäftigung in diesem Lande finden. Hier steht die Bundesregierung allemal noch im Wort.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine
Frage: Geldinstitute nehmen eine wichtige Stellung im
Marktgeschehen ein. Sie sind die Schlüsselzentralen im
bargeldlosen Zahlungsverkehr. Wir können zwar zwischen den einzelnen Banken wählen; doch zum bargeldlosen Zahlungsverkehr selbst gibt es keine Alternative.
Banken bestimmen darüber, wer ein Girokonto bekommt
und wer nicht. Sie tragen damit eine große soziale Verantwortung; denn wer in unserer Gesellschaft kein
Girokonto besitzt, ist deutlichen Benachteiligungen und
Diskriminierungen ausgesetzt.
Wird die Kreditwirtschaft ihrer sozialen Verantwortung gerecht? Nein, das wird sie nicht.
({0})
Kunden werden je nach Einkommenslage unterschiedlich behandelt. Wohl dem, der hohe, regelmäßige Einnahmen auf seinem Konto hat. Banken belohnen dies
mit großzügigen Überziehungsrahmen und niedrigen
oder überhaupt keinen Kontoführungsgebühren.
Weniger wohlhabende Menschen werden hingegen oft
mit höheren Kontogebühren belastet. Auf den Punkt gebracht: Wer arm ist, muss für die gleiche Leistung oft
mehr zahlen. Das allein ist schon ungerecht und schlimm
genug. Hinzu kommt, dass Kreditinstitute Kundinnen und
Kunden mit geringen und unregelmäßigen Einkommen
oder verschuldeten Verbraucherinnen und Verbrauchern
häufig sogar schon die Einrichtung eines Girokontos ohne
Überziehungsrahmen schlichtweg verweigern. Privatbanken scheinen hier besonders wenig Skrupel zu haben.
Hat man kein Girokonto, so führen Bareinzahlungen
und Überweisungen zu spürbaren finanziellen Nachteilen. Nach Schätzung der Arbeitsgemeinschaft der
Schuldnerberatungen der Verbände gibt es in Deutschland über eine halbe Million Menschen, die unverschuldet kein Girokonto hat.
Die Verweigerung eines Kontos hat nicht nur finanzielle Auswirkungen für die Betroffenen, sondern bringt
im gesamten Alltagsleben erhebliche Probleme, zum
Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Ein Arbeitnehmer ohne
Girokonto? Das ist heute undenkbar und zwingt Menschen in oft folgenschwere Erklärungsnöte gegenüber
dem Arbeitgeber. Benachteiligt sind auch Menschen im
ländlichen Raum. In der Stadt hat man vielleicht noch
die Chance, sein Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen. Auf dem Land gibt es aber in der Regel nur eine,
nicht mehrere Banken.
Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen
schätzen: 90 Prozent der Kontokündigungen sind unzulässig. Wie kann das angehen? Viele Banken halten mit
wichtigen Kundeninformationen hinter dem Berg. Oder
wussten Sie, dass es die Möglichkeit eines außergerichtlichen kostenfreien Beschwerdeverfahrens für Kundinnen und Kunden gibt?
Auch an anderer Stelle erschweren es die Banken ihren Kunden, zu ihrem Recht zu kommen: Wird ein Girokonto gekündigt oder gar nicht erst eingerichtet, so erfahren dies die Kundinnen und Kunden in der Regel nur
mündlich. Deshalb gibt es bisher keine genauen Zahlen
und Fakten, sondern nur Schätzungen über das Ausmaß
der Kontoverweigerungen und Vermutungen über die
Gründe dafür.
Damit muss Schluss sein! Wir werden die politischen
Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich Banken ihrer Verpflichtung in unserer Gesellschaft nicht länger
entziehen können. Benachteiligung und Diskriminierung
von armen und verschuldeten Bevölkerungsschichten an
dieser Stelle darf es nicht länger geben.
({1})
Unsere Forderungen an die Banken lauten: Kommt
eurer Selbstverpflichtung nach und legt endlich alle
Zahlen und Fakten zum Girokonto für jedermann lückenlos auf den Tisch! Klärt eure Kundinnen und Kunden umfassend über die Möglichkeit der kostenlosen Inanspruchnahme der Schlichtungsstellen auf, wenn ein
Konto gekündigt oder gar nicht erst eingerichtet wird!
Mündige Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein
Anrecht auf schriftliche Begründungen. Das fordern wir!
Die Schlichtungsstellen müssen unabhängig besetzt sein.
Sie dürfen Beschwerden nicht ablehnen und müssen sie
zeitnah behandeln.
Unsere Forderung an die Bundesregierung lautet: Mache den Banken Druck und setze unsere Forderungen
durch!
Ich freue mich darüber, dass sich alle Fraktionen einig
sind und es gelungen ist, eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung zu erarbeiten.
Meine Fraktion wird die Umsetzung unserer Forderungen sehr genau im Auge behalten. Sollte sich die
Selbstverpflichtung der Kreditinstitute weiterhin als
stumpfes Schwert erweisen, so werden wir nicht zögern
und eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer kein Girokonto hat, ist benachteiligt. Dieser Befund
ist Allgemeingut und scheint auch im Bundestag unumstritten zu sein. Wenn dem aber so ist, dann gilt auch die
Umkehrung: Wer Girokonten verweigert, grenzt aus.
({0})
Genau darum geht es heute. Besser gesagt: Es geht um
sinnvolle Maßnahmen gegen Ausgrenzung und Benachteiligung Hunderttausender durch Banken und andere.
Die These, dass Girokonten gewissermaßen Lebensmittel sind, wird übrigens durch die Geldinstitute selbst
bestätigt. So wirbt zum Beispiel die Sparkasse junge
Kunden mit dem Slogan „Ohne Girokonto läuft nichts“.
Andere Kunden, vornehmlich solche aus ärmeren oder
verschuldeten Verhältnissen, gehen aber leer aus. Ihnen
wird das Konto gekündigt oder von vornherein verweigert. Das kommt sowohl die Betroffenen als auch die
Kommunen oder Sozialämter teuer zu stehen; denn der
Bargeldverkehr ist erheblich aufwendiger als der bargeldlose Zahlungsverkehr.
Über alle diese Probleme haben wir hier im Plenum
schon ernsthaft diskutiert, zuletzt im Januar 2002. Die
PDS-Fraktion im Bundestag hatte seinerzeit eine gesetzliche Regelung gefordert. Jede und jeder sollte einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto erhalten. Die
Regierungsfraktionen lehnten das seinerzeit genau wie
heute ab. Sie verwiesen auf die freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Kreditwirtschaft. Die SPD
wollte den Fortgang beobachten und - ich zitiere die
Kollegin Violka - eine gesetzliche Regelung erst verabschieden, wenn es keine weitere spürbare Verbesserung
gibt. - Ich finde: Dieser Punkt ist heute erreicht.
({1})
Es gab keine weitere spürbare Verbesserung.
Sie alle kennen die Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. Demnach ist die freiwillige Lösung gescheitert. Sie kennen auch die Einschätzung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen.
Darin heißt es wörtlich: Wir haben es bei der Kontolosigkeit mit einem nach wie vor erheblichen Problem mit
wieder steigender Tendenz zu tun. - Das ergab übrigens
auch eine aktuelle Blitzumfrage der Berliner Schuldnerberatungsstellen in den vergangenen 14 Tagen. Umgekehrt mehren sich Fälle, in denen Kreditinstitute gegen
Regeln der eigenen Verpflichtung verstoßen. So widersprechen 90 Prozent der Kontokündigungen und 93 Prozent der -verweigerungen den selbst gestellten Kriterien.
Auch das spricht für eine gesetzliche Regelung.
Schließlich möchte ich noch auf ein Urteil des Landesgerichts Berlin vom 24. April letzten Jahres verweisen. Demnach kommt die Selbstverpflichtung der Geldinstitute einem Rechtsanspruch auf ein Girokonto für
jede und jeden gleich. Wenn das so interpretierbar ist,
dann kann und sollte der Bundestag das auch eindeutig
in die Form eines Gesetzes fassen. Die PDS rät dringend
dazu. Das würde Klarheit für alle und Hilfe für die vielen Ausgegrenzten schaffen.
Danke.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Bernhardt von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über
99 Prozent der Deutschen, die ein Konto haben wollen,
haben auch ein Konto. Damit sind wir Spitzenreiter in
der Welt. Ich glaube, mit dieser Feststellung sollte man
beginnen und der deutschen Kreditwirtschaft ein Dankeschön dafür sagen, dass sie bereits vor zehn Jahren
eine Selbstverpflichtung eingegangen ist,
({0})
die letztlich dazu geführt hat - ich wiederhole es -, dass
mehr als 99 Prozent der Deutschen ein Konto haben.
({1})
Ich habe den Eindruck gehabt, dass mancher, der hier
vorne geredet hat, den Bericht nicht gelesen hat und die
meisten, die geredet haben, die Praxis nicht kennen.
Wenn gut 99 Prozent ein Konto haben, gibt es selbstverständlich knapp 1 Prozent, die kein Konto haben. Niemand kann genau sagen, wie groß die Zahl ist, weil häufig jemand, der bei der Bank A kein Konto bekommt,
zur Bank B oder auch noch zur Bank C geht. Solche
Fälle sorgen natürlich für eine Verfälschung der Statistik
der Verbraucherzentralen. In der Tat müssen wir aber davon ausgehen, dass einige hunderttausend Deutsche ein
Konto wollen, aber kein Konto haben. Das ist ein bedauerlicher Zustand, denn Sie haben Recht: Ohne Konto ist
man in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland
in einer schwierigen Situation.
Ich sage Ihnen jetzt als Praktiker - wahrscheinlich bin
ich einer der wenigen hier im Hause -, woran das liegt.
Was soll eine Bank machen, wenn auf einem Konto von
ihr jede Woche drei Verpfändungen kommen? Von dem
Konto aus können keine Bewegungen mehr stattfinden.
Wenn Sie hier wirklich eine Regelung schaffen wollen,
dann müssen Sie das deutsche Pfandrecht verändern.
Ich warne hier Neugierige. Die Banken haben erhebliche
Kosten damit, wenn keine Bewegungen mehr auf einem
Konto stattfinden können. Wir können froh sein, dass die
Banken das alles überhaupt mitmachen. Deshalb sage
ich: Selbst durch eine gesetzliche Regelung werden Sie
nicht erreichen - so bedauerlich das im Einzelfall ist -,
dass jeder ein Konto bekommen kann. Vorher müssten
Sie das Pfandrecht verändern.
Ich finde es gut, dass es gelungen ist, zwischen den
vier Fraktionen in diesem Hause zu einer einvernehmlichen Empfehlung zu kommen.
({2})
Wir sind uns hier im Hause in drei Punkten einig:
Erstens. Wir lehnen gemeinsam eine gesetzliche
Regelung ab. Das finde ich prima. Dabei sollte es bleiben, denn wenn wir eine gesetzliche Regelung schaffen,
so werden wir, wie ich glaube, die Türen bei den Banken
nicht weiter öffnen, sondern eher das Gegenteil erreichen.
Zweitens. Die Dokumentation soll besser werden.
Auch in diesem Punkt hat sich der Sachverstand durchgesetzt, indem wir in einem Halbsatz die Aussage „aber
nicht mit sehr viel zusätzlichem bürokratischen Aufwand“ aufgenommen haben. Lassen Sie es mich klar sagen: Um herauszubekommen, ob es sich um 204 000
oder 210 000 Betroffene handelt, lohnt sich ein bestimmter Aufwand nicht mehr. Dennoch sollte die Dokumentation insgesamt verbessert werden. Das ist ein
wichtiger Punkt.
Drittens wollen wir den Kreditinstituten - das verursacht noch erhebliche Arbeit, aber wir tragen dieses Anliegen mit - empfehlen oder es ihnen vielleicht auch vorschreiben, in Zukunft jede Ablehnung schriftlich zu
begründen und in dem Schreiben auf die kostenlose
Schlichtung hinzuweisen. Das könnte uns in den wenigen Fällen - ich sage es noch einmal -, in denen eine
Ablehnung unberechtigt ist, etwas weiterhelfen. Aber
der Glaube, man könnte dafür sorgen, dass 90 Prozent
von den 200 000 bis 300 000, um die es hier geht, ein
Konto bekommen können, geht an den Realitäten vorbei.
Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich abschließend den Banken nochmals ein Dankeschön dafür,
dass über 99 Prozent ein Konto haben. Ich bitte sie zugleich, unsere Empfehlung, die wir jetzt einstimmig verabschieden werden, ernst zu nehmen. Die Situation für
Kontoinhaber in Deutschland ist nicht schlecht, kann
aber natürlich noch verbessert werden.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung zur
Umsetzung der Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann, Drucksachen
15/2500 und 15/3274. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen bei
Enthaltung einer fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2003 - Vorlage der Haushaltsund Vermögensrechnung des Bundes ({0}) - Drucksache 15/2884 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Brigitte Schulte von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regelmäßig im März stellt die Bundesregierung den Antrag
an den Bundestag, die Haushalts- und Vermögensrechnung des Vorjahres parlamentarisch zu beraten. Dies geschieht, wenn der Bundesrechnungshof seine Bemerkungen dazu erstellt hat, was zum Beispiel für das
Haushaltsjahr 2002 erst im November 2003 erfolgte.
Heute hätten wir normalerweise die Entlastung für
das Jahr 2002 vorgenommen. Wir hätten über die Kritikpunkte des Rechnungsprüfungsausschusses und des
Haushaltsausschusses berichtet und dann die Entlastung
erteilt. Das werden wir nun - untypisch - zu einem anderen Zeitpunkt nachholen;
({0})
denn die sorgfältige und zum Glück noch von Partnerschaft geprägte Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses verdient eine eigene Debatte. Hätten wir diese in dieser Woche geführt, dann wäre anschließend der Antrag
des Bundesministers der Finanzen vom 31. März 2004
auf Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2003 an den Haushaltsausschuss und den Rechnungsprüfungsausschuss überwiesen worden, zumal ja
die Vorlage des Bundesrechnungshofes - das ist ganz
wichtig - noch nicht vorliegt. Grundlage unserer Beratungen über die Entlastung der Bundesregierung für ein
Haushaltsjahr sind nämlich immer die Anmerkungen des
Bundesrechnungshofes und die kommen regelmäßig im
Herbst, wenn das Parlament seine Haushaltsberatungen
zum aktuellen Haushalt gerade beendet hat.
Wir wissen natürlich, dass 2002 wie 2003 und leider
auch 2004 die Steuereinnahmen niedriger und die Ausgaben für den Arbeitsmarkt höher waren, dass die
Nettokreditaufnahme in allen drei Jahren die Investitionen überschritt und dass das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht dadurch - das haben wir anerkannt - gestört ist. Aber dass daraus eine Rabatzveranstaltung gemacht wird, heute Nachmittag die wichtige Arbeit des
Haushaltsausschusses unterbrochen wird und wir eine
ganze Reihe von Mitarbeitern der Ministerien warten
lassen,
({1})
nur damit Sie etwas feststellen, was wir alle schon wissen, das ist erstaunlich.
Im Haushaltsausschuss des Bundestages haben wir
wieder einmal erlebt, dass Sie überhaupt keine Ideen zur
Sanierung der Finanzen des Bundes, der Länder und
der Kommunen haben
({2})
und nichts anderes vorhaben, als uns die Zeit zu stehlen.
Dabei sind uns die Sorgen der Bürgermeister, Landräte
und kommunalen Parlamente in unseren Wahlkreisen,
auch den Ihrigen, natürlich nicht verborgen geblieben.
Uns belasten auch die Steuerausfälle in den CDU- und
CSU-geführten Ländern. Ich darf nur daran erinnern,
was die CSU in Bayern vor den Wahlen im letzten Jahr
alles versprochen hatte und was dort jetzt an Kürzungen
vorgenommen wird, damit sie mit ihrem Haushalt klarkommt.
Diese Umstände verlangen, dass wir gemeinsam vernünftig darüber nachdenken, wie wir wichtige Reformen voranbringen. Aber Sie wollen ja gar nicht handeln.
({3})
Brigitte Schulte ({4})
Die Vorschläge, die Sie vorgelegt haben, sind Luftnummern, Herr Kollege.
({5})
In die Abteilung Täuschen und Tarnen gehören die
Debatte über eine einfache Steuergesetzgebung, für deren Durchführung Sie 16 Jahre lang Zeit gehabt hätten,
und das Geschrei nach weiteren Steuersenkungen - dies
alles vor dem Hintergrund, dass wir eine niedrige
Steuer- und Abgabenquote haben, wodurch wir die
Wirtschaft und die Verbraucher entlastet haben, allerdings auf Kosten der öffentlichen Haushalte.
Ich wünsche mir deshalb, dass Sie so schnell wie
möglich zur Sacharbeit zurückfinden und wir miteinander darüber nachdenken, wie wir die Investitionen in
Deutschland erhöhen und die Verschuldung herunterfahren können.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Kollegin Schulte hat gerade gesagt, dass
eine öffentliche Debatte über die unsoliden Staatsfinanzen, über die Täuschung der Öffentlichkeit,
({0})
über die Zukunft der öffentlichen Haushalte und über die
Rekordverschuldung nach dem Zweiten Weltkrieg Zeitstehlen sei. Der wirtschaftliche Rückschlag, den dieses
Land durch Ihre Regierungspolitik ereilt, wird uns Jahre
stehlen und uns um Jahre zurückwerfen.
({1})
Die Union hat beantragt, von der üblichen Art und
Weise, den Haushalt nachträglich zu behandeln, abzuweichen. Denn mit dem Haushaltsentwurf 2003 hat ein
neues Zeitalter begonnen, nämlich das Zeitalter der Täuschungen in der Haushaltspolitik durch die Bundesregierung.
({2})
Wir erleben bei jeder Beratung eines Haushaltsentwurfs, wie der Bundesfinanzminister das Haushaltsjahr
in rosa Zahlen malt. Er nimmt ein hohes Wachstum und
niedrige Ausgaben an. Mit der Arroganz der Macht
weist er die Anregungen und Hinweise aus der Opposition ob dieser unsoliden Annahmen zurück. Im Laufe
des Jahres gelangt die Wahrheit nach und nach an die
Öffentlichkeit. Schritt für Schritt gesteht der Bundesfinanzminister ein, dass die Annahmen, die wir schon bei
den Beratungen des Haushalts kritisch hinterfragt haben,
offensichtlich nicht so zutreffend sind, wie er es vermutet hat.
({3})
Zum Jahresende geht der Bundesfinanzminister dann auf
die Forderungen der Opposition ein und bringt einen
Nachtragshaushalt ein, was wir schon Monate zuvor
als richtig erkannt haben.
Die Union ist nicht mehr bereit - deshalb haben wir
diese Debatte beantragt -, diese vorsätzlichen Täuschungen des deutschen Parlaments und der deutschen
Öffentlichkeit hinzunehmen. Wir wollen daher von der
üblichen Art und Weise abweichen, den Haushalt nachträglich zu betrachten. Wir wollen, dass die Wahrheit vor
der deutschen Öffentlichkeit deutlich ausgesprochen
wird.
({4})
Eine solch unsolide Haushaltspolitik führt auch dazu,
dass der Haushaltsausschuss nicht mehr das gestaltende
Gremium der deutschen Haushaltspolitik ist, sondern
dass er zu einer Versammlung von Konkursverwaltern
wird, dessen Mitglieder - insbesondere auf der Mehrheitsseite - nur noch Befehlsempfänger der rot-grünen
Bundesregierung mit ihren falschen Vorgaben sind.
({5})
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich
zu Beginn dieser Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss mit den Wahltäuschungen beschäftigen
musste
({6})
und dass das Verbreiten von falschen Informationen hier
zum Prinzip erhoben wird.
Ich will außerdem darauf hinweisen, dass der Bundesfinanzminister versucht hat, uns in Bezug auf den Haushalt 2003 zu täuschen, indem er erklärte, man könne mit
einer Nettokreditaufnahme in Höhe von 15 Milliarden
Euro auskommen. Wir haben schon vor der Bundestagswahl gesagt, dass 40 Milliarden Euro realistischer seien.
Er hat dies abgestritten. Aber bereits zwei Monate nach
Verabschiedung des Haushaltes 2003 musste er eingestehen, dass er die Öffentlichkeit getäuscht hatte. Der Abschluss des Jahres 2003 mit einer Nettokreditaufnahme
in Höhe von knapp 40 Milliarden Euro ist eines der besten Beispiele für eine unsolide Haushaltspolitik. Das
wollen wir heute darlegen.
({7})
Der Bundesfinanzminister hat ignoriert, dass seine
Wachstumsannahmen zu hoch waren. Er hat unsere Auffassung ignoriert, dass die Steuereinnahmen nicht so
hoch sein werden. Er hat den Einwand weggewischt,
dass die Bundesagentur für Arbeit einen höheren Zuschuss braucht. Er darüber hinweggesehen - wir hatten
es schon zum Zeitpunkt der Haushaltsberatung eindeutig
ausgerechnet -, dass wir Milliarden Euro mehr brauchen
für die Ausgaben des Arbeitsministeriums. Er hat darüber hinaus in ignoranter Art und Weise Mittel eingestellt - ich nenne beispielsweise die Steuer auf Kapital,
das auf der so genannten Brücke in die Steuerehrlichkeit
zurück nach Deutschland transferiert wird -, von denen
er schon wusste, dass sie nicht entsprechend fließen werden, als der Haushalt vom Parlament beraten wurde.
Wir haben darauf bereits im Mai des Jahres 2003 mit
unserem Vorschlag eines Nachtragshaushalts hingewiesen, indem wir gesagt haben: Wir müssen jetzt umsteuern, damit die Ausgaben reduziert werden und die Schuldenaufnahme im Interesse der Bürgerinnen und Bürger
geringer ausfällt. Hans Eichel hat diesen Vorschlag zurückgewiesen. Erst im November, als das Kind schon in
den Brunnen gefallen war, hat er gleichsam als Notar einen Nachtragshaushalt vorgelegt und unter dieses elendige Kapitel mit einer Aufnahme von knapp
40 Milliarden Euro Schulden einen traurigen Schlussstrich gezogen. Dies möchten Sie, Frau Kollegin
Schulte, gerne verschweigen. Das lassen wir Ihnen aber
nicht durchgehen.
({8})
Wir erwarten, dass bei der Überprüfung durch den
Rechnungsprüfungsausschuss auch die Anregungen, ja
die fordernden Hinweise der Rechnungshofpräsidentinnen und -präsidenten aller Bundesländer und des Bundes
aufgenommen und diskutiert werden. Sie schlagen vor
- dieser Vorschlag wurde vor wenigen Tagen an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages verschickt -, die
Planung der öffentlichen Haushalte realitätsnäher zu
gestalten. Ich zitiere: Es sei nicht akzeptabel, wenn
Haushalts- und Finanzpläne bereits kurz nach ihrer Verabschiedung riesige Haushaltslöcher in Form von Einnahmeausfällen und Mehrausgaben aufwiesen und sich
hinterher hierdurch die bereits eingeplanten Finanzierungslücken noch einmal drastisch erhöhten.
Die Rechnungshofpräsidenten aller 16 Bundesländer
und des Bundes teilen vollinhaltlich die Kritik der Union
an Ihrem Etatbegehren. Die Kritik muss vom Rechnungsprüfungsausschuss wahrgenommen und in einen
entsprechenden Beschlussvorschlag an das Parlament
umgesetzt werden.
({9})
Unsolides Haushalten ist ein Verrat insbesondere an
der jungen Generation, die die Schulden abbezahlen
muss.
({10})
Der unsolideste Haushälter dieser Bundesregierung,
Hans Eichel, ist verantwortlich für den Etat 2003. Wir
werden seine politische Verantwortlichkeit deutlich machen, obschon die Leere der Regierungsbank darauf hindeutet, dass all diejenigen, die jetzt nicht anwesend sind,
feiern, dass einer der wenigen kompetenten Staatssekretäre der Bundesregierung, der ein wirklicher Haushaltsstaatssekretär war, heute in den Ruhestand gegangen ist.
Viele hoffen, dass jetzt noch unsolidere Zeiten anbrechen.
({11})
Die Union steht für stabile Finanzen und für niedrige
Defizite.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden die Jahresrechnung 2003 heute zur weiteren Beratung überweisen. Das ist auch richtig. In dieser Debatte kann man durchaus zugestehen: Fakt ist,
dass die Jahresrechnung keine wunderbaren Zahlen enthält und die Nettokreditaufnahme im Jahr 2003 deutlich
angestiegen ist.
({0})
Fakt ist, dass dieser Entwicklung eine konjunkturelle Situation zugrunde liegt, die mit einem Wachstum von minus 0,1 Prozent zu beschreiben ist.
An dieser Stelle ist es mir wichtig, zu erwähnen, dass
der Haushalt im Wesentlichen an zwei Stellschrauben
aus dem Ruder gelaufen ist - diese Stellschrauben
schränken die Worte „aus dem Ruder laufen“ deutlich
ein -: Wir haben im Bereich Arbeitsmarkt große zusätzliche Ausgaben und auf der Steuerseite eine eklatante
Einnahmeschwäche zu verzeichnen. Das ist für die Beurteilung der Haushaltspolitik im engeren Sinne wichtig.
({1})
Daran erkennt man, dass ein solides und sehr knappes
Wirtschaften in den anderen Bereichen wichtig war.
Dazu haben Sie in der Regel keinen Beitrag geliefert.
Das kann man an Ihren Anträgen, die Sie zum Haushalt
stellen, deutlich ablesen. Aber Selbstkritik ist auf Ihrer
Seite ja nicht sehr ausgeprägt. Wir werden Ihnen das
aber noch in diesem Herbst beibringen.
({2})
Schlicht falsch ist, zu behaupten, dass Hans Eichel
seit zwei Jahren die Situation schönmale.
({3})
Nein, Hans Eichel hat deutlich gesagt: Wir sind in einer
ganz schwierigen haushalterischen Situation.
({4})
Auch wir von den Regierungsfraktionen haben das gesagt. Wir hatten nämlich Grund dazu. Wir mussten auf
der Oppositionsseite um staatspolitische Verantwortung
werben, darum, dass Sie mit Ihrer Verantwortung im
Bundesrat die Haushaltslage ernst nehmen und beim
Subventionsabbau mitmachen. Da haben Sie im Jahr
2003 und erst recht im Jahr 2004 eklatant versagt.
({5})
Wenn Sie es unheimlich klasse finden, wenn Unionspolitiker sagen, wir würden abkassieren, dann nehmen Sie
doch einmal ernst, was der von Ihnen sehr geschätzte
neue Präsident der Bundesbank sagte: Wir hätten die
Steuern gesenkt, wir werden zum Jahr 2005 weiter Steuern senken, aber das verpflichtet auch, gerade mit Blick
auf die junge Generation, beim Subventionsabbau nicht
zu blockieren. Wir haben Vorschläge gemacht, aber Sie
von der CDU/CSU müssen mitmachen.
({6})
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen, Herr
Kampeter. Ich finde es direkt ein bisschen witzig, wenn
Sie von dem gestaltenden Gremium Haushaltsausschuss sprechen. Wir tragen dort eine große Verantwortung. In diesem Zusammenhang muss ich daran erinnern, was Sie als Unionsfraktion im letzten Herbst im
Haushaltsausschuss abgeliefert haben. Da hat sich die
Opposition verabschiedet. Sie haben zum Schluss keine
Anträge, sondern weiße Blätter eingebracht.
({7})
Das hat die FDP, die jetzt zu Recht interveniert, etwas
anders gehandhabt.
({8})
Die große Oppositionsfraktion aber hat sich bei der letzten Haushaltsberatung verabschiedet mit der Begründung, erst müsse der Bundesrat entscheiden und dann
müsse im Vermittlungsausschuss verhandelt werden.
({9})
Ihre Ministerpräsidenten müssen Ihnen erst einmal sagen, wo es längs geht. Da sieht man, was aus Ihnen geworden ist. Die Haushalthälter der CDU/CSU haben
keine eigene Gestaltungsmacht, noch nicht einmal als
Oppositionskraft.
({10})
Das ist schade. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Vertreter im Haushaltsausschuss.
({11})
Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf. Im Herbst
wird diese Republik neben dem Haushalt bei einem weiteren wichtigen Thema beweisen müssen, ob sie trotz
mancher politischer Konkurrenz zu großen Reformschritten fähig ist. Auch Sie werden daran gemessen
werden, wie konstruktiv Sie sich ab heute, nach Abschluss der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss,
bei der Umsetzung der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe beteiligen werden. Diese
rot-grüne Regierung packt nämlich eine ganze Menge
von dem an, was 16 Jahre liegen geblieben ist.
({12})
Damit sind manchmal auch handwerkliche Fehler verbunden. Aber wenn handwerkliche Fehler als Ausrede
benutzt werden, eine Hängepartie daraus zu machen, ist
das unverantwortlich. Ihre Verantwortung wächst weiter.
Wir geben den Ton an und ich hoffe, Sie begleiten uns
kritisch weiterhin in der Opposition.
Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin schon etwas erstaunt. Das sage ich, nachdem ich nun
diese Debattenbeiträge gehört habe, als jemand, der zehn
Jahre Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss ist.
Normalerweise wird unter dem Tagesordnungspunkt
„Entlastung der Bundesregierung“ - in diesem Falle ist
es eine Überweisung, aber es träfe auch zu, wenn wir
heute auch die Entlastung für 2002 behandeln würden in erster Linie die Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsausschuss gelobt, die wirklich hervorragend ist.
Die Debattenbeiträge spiegeln unsere Zusammenarbeit
im Rechnungsprüfungsausschuss nicht wider, wenn ich
das einmal sagen darf.
Es kommt etwas anderes hinzu und das sage ich jetzt
an alle, die bisher gesprochen haben. Bisher war es eigentlich nicht üblich, zu diesem Tagesordnungspunkt
eine Haushaltsdebatte zu führen. Für diejenigen, die,
was diesen Tagesordnungspunkt angeht, nicht ganz im
Stoff sind, was ich verstehen kann, möchte ich sagen,
worum es geht. Es geht eigentlich um die Frage: Ist ein
chaotischer Haushalt buchhalterisch richtig geführt worden?
({0})
Niemand wird sagen können, es seien buchhalterisch
Fehler gemacht worden. In der Politik sind Fehler gemacht worden. Aber das ist heute nicht unser Thema.
Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um die buchhalterische Entlastung der Bundesregierung. Deshalb sollten wir zur Sachlichkeit zurückkehren.
Kollegin Hajduk, zu Beginn Ihrer Rede habe ich noch
gedacht: tolle Rede. Es hätte eine Oppositionsrede sein
können und unsere Zurufe machten das ja auch deutlich.
Sie gehören aber der Koalition an. Das ist übrigens das
Talent der Grünen: Sie gehören der Koalition an und tun
draußen so, als wären sie in der Opposition. Nachdem
Herr Eichel seinen Haushaltsentwurf für 2005 vorgelegt
hat, haben alle Haushälter von den Grünen regelrecht
krakeelt - die Kollegin Hermenau an der Spitze der Bewegung - wie furchtbar dieser Haushalt sei.
({1})
Dann kam Fritz Kuhn. Aber anschließend haben Ihre
Minister dem Haushalt im Kabinett zugestimmt. Da
wundert man sich schon. Aber das ist die Strategie der
Grünen. Die Sozialdemokraten leiden darunter. Wir haben jedoch kein Mitleid mit ihnen; das wissen Sie.
({2})
Man kann sich nur fragen: Warum sind keine Haushaltssperren eingeführt worden? Warum sind bestimmte Empfehlungen nicht berücksichtigt worden? Ich
denke dabei an Empfehlungen, die uns bereits zu unserer
Koalitionszeit gegeben wurden.
Mich ärgert schon, dass der Rechnungsprüfungsausschuss jedes Mal - so wird es auch für 2003 geschehen beschließen muss, Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entscheidung
des Ausschusses einzuleiten. Seit zehn Jahren beschließen wir das, egal wer die Regierung gestellt hat. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie haben sich wenig darum
gekümmert; das sage ich in alle Richtungen. Hier gibt es
erhebliche Mängel.
({3})
Kollegin Schulte, Sie haben aufgefordert, zur Sacharbeit zurückzukehren. Dazu muss ich Ihnen wegen der
Art und Weise, in der Sie Ihre Rede gehalten haben, sagen: Sie können von uns nicht erwarten, dass wir Ihre
Arbeit als Sacharbeit bezeichnen und einen Bundesfinanzminister unterstützen, der in seiner Amtszeit fast
200 Milliarden Schulden gemacht hat. Das können Sie
doch nicht als Sacharbeit bezeichnen. Dafür werden Sie
unsere Unterstützung nicht bekommen.
({4})
Einfach ausgedrückt heißt das - damit komme ich
zum Schluss - : Kommende Generationen werden schon
Mühe haben, unsere Renten zu bezahlen. Mit der Politik
von Rot-Grün, mit der Haushaltspolitik und mit den
Schulden von Eichel wird ihnen auch noch die Mühe
aufgeladen, die Schulden abzutragen, und das wird nur
durch höhere Steuern gehen. Das ist eine unsolide Politik. Insofern bitte ich Sie: Kommen Sie zur Sacharbeit
zurück, damit wir in Deutschland ein Stück weiter kommen! Den Bürgern kann man nur sagen: Die nächste Regierung kommt bestimmt und sie wird nicht Rot-Grün
sein. Haltet so lange durch!
({5})
Das Wort hat der Kollege Walter Schöler von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
geht hier nicht um die Entlastung für das Haushaltsjahr
2003, wie es der Kollege Koppelin gerade glauben machen wollte, sondern um die Überweisung eines Antrags
der Regierung. Erst dann erfolgt die Beratung in den
Fachausschüssen. Um mehr geht es heute nicht.
Ich teile aber die Kritik des Kollegen Koppelin am
Verfahren der Union, die aufgrund dieses Überweisungsantrags eine haushaltspolitische Debatte führen will,
({0})
Aber ich sage Ihnen: Der Schuss wird nach hinten losgehen.
Es war Scheinheiligkeit, mit der der Kollege
Kampeter einen heute ausscheidenden Staatssekretär bedacht hat.
({1})
Es handelt sich um einen Staatssekretär, der schon unter
Franz Josef Strauß, Gerhard Stoltenberg, Theo Waigel
und bis jetzt auch unter Hans Eichel gedient hat und den
Sie 20-mal gern in die Wüste geschickt hätten,
({2})
und das jeden Monat.
({3})
Einen solchen Staatssekretär für diese Debatte zu benutzen halte ich schlichtweg für scheinheilig. Es ist ein starkes Stück, was Sie sich hier erlauben. Das hat Herr
Dr. Overhaus nicht verdient.
({4})
Sie beantragen eine Finanzdebatte und wissen ganz
genau, dass Sie für die finanzielle Situation, in der sich
die öffentlichen Haushalte, in der sich Bund, Länder und
Gemeinden befinden, in hohem Maße Verantwortung
tragen. Ich rede nicht nur von Ihrer Hinterlassenschaft
im Jahre 1998. Sie haben die Blockadehaltung im Bundesrat als Ihr Konzept ausgegeben. Sie haben den Abbau
von Steuersubventionen aus kleinkalibrigem Parteikalkül torpediert. Sie haben unserem Land geschadet, Sie
wollen es nur nicht zugeben. Durch Ihre Blockade sind
Maßnahmen zur Haushaltsverbesserung, die der Finanzminister vorgeschlagen hatte, überhaupt nicht ins Gesetz
gekommen. Das hatte auch Auswirkungen auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien.
({5})
- Je lauter Sie schreien, Kollege Kampeter, umso mehr
beweisen Sie mir, dass ich Recht habe und Sie Unrecht.
Ich will Ihnen vor der Öffentlichkeit die Größenordnung vor Augen führen, die Sie ausschließlich beim
Steuervergünstigungsabbaugesetz zu verantworten haben.
({6})
- Kollege Fromme, ich hatte eben gehört, Sie würden
noch reden. Dürfen Sie jetzt nur noch Zwischenrufe machen? Sehr interessant!
Von dem Abbauvolumen in Höhe von 15,6 Milliarden
Euro im Entstehungsjahr, das wir auf den Weg gebracht
hatten, haben Sie nur magere 2,4 Milliarden Euro im
Vermittlungsverfahren passieren lassen. Der Bund hat
dadurch 5,5 Milliarden Euro verloren; bei den Ländern
waren es 5,3 Milliarden Euro und bei den Gemeinden
2,4 Milliarden Euro. Dank der Union! Das muss man der
Öffentlichkeit sagen.
({7})
Unsere finanzpolitischen Grundsätze lauten: Zukunftsinvestitionen statt Subventionen,
({8})
weniger Steuern, für mehr Wachstum und eine sparsame
Haushaltspolitik.
({9})
Wir haben das in den letzten Jahren belegt.
({10})
Wir haben mehr Mittel für Forschung und Bildung, für
die Betreuung und für die Familien ausgegeben. Wir haben überkommene Subventionen abgebaut;
({11})
Sie können sich demnächst bei der Eigenheimzulage beweisen. Ein anderes Beispiel ist die Kohle. Wir haben innerhalb von zehn Jahren, von 1998 bis zum Ende der Finanzplanung in 2008, eine Kürzung der Subventionen
um rund 55 Prozent vorgesehen. Hätten Sie das in den
Jahren gemacht, in denen Sie Regierungsverantwortung
trugen,
({12})
und hätten Sie in anderen Politikbereichen, zum Beispiel
in der Landwirtschaft oder im Bereich der Sozialsysteme, Ähnliches geleistet,
({13})
stünde der Bundeshaushalt heute ganz anders da. Sie
aber waren dazu nicht in der Lage.
Der Personalbestand beim Bund liegt heute, mit
82 Millionen Einwohnern, unter dem vor der deutschen
Einheit mit 53 Millionen Einwohnern.
({14})
Wir haben also auch Personalausgaben eingespart.
Weitere steuerliche Entlastungen in Höhe von
7 Milliarden Euro erfolgen zum 1. Januar. Diese hätten
wir ein Jahr früher haben können. Sie haben es abgelehnt, diese Entlastung bereits 2004 einzuführen.
Wir haben den Eingangssteuersatz und den Spitzensteuersatz auf ein Rekordtief von 15 bzw. 42 Prozent gesenkt.
({15})
Das haben Sie nie geschafft, Herr Fromme.
({16})
Unsere Steuerquote von 22 Prozent ist im internationalen Vergleich die niedrigste; das wissen Sie ganz genau.
({17})
Der Finanzminister hat Ihnen im Haushaltsausschuss
noch einmal deutlich gemacht, dass das Ausgabenwachstum bis 2008 auf durchschnittlich ein Viertel Prozent pro Jahr begrenzt wird. Nach den Vereinbarungen
könnte es bis zu 1 Prozent steigen. Wir aber setzen den
Konsolidierungskurs auch in schwierigen Zeiten, die Sie
mit zu verantworten haben, fort.
({18})
Ich komme noch einmal zur Ausgabenseite und hier
insbesondere zum Subventionsabbau: Wir haben die
Subventionen von 1998 bis heute um 40 Prozent gekürzt. In der Finanzplanung bis 2008 ist eine Reduzierung um weitere 20 Prozent vorgesehen.
Zur Streichung der Eigenheimzulage: Ihr Vizefraktionsvorsitzender hat verkündet, das seien im Jahr 2005
insgesamt bloß 250 Millionen Euro und entspreche der
Höhe der Zinszahlungen für zwei Tage. Er soll doch einmal sagen, was das für die Jahre 2006, 2007, 2008 oder
2012 und 2013 sowie die darauf folgenden Jahre bedeutet. Dann sind es Milliardenbeträge. Sie und niemand anderes haben das bisher verhindert. Schauen Sie in den
Spiegel!
({19})
Wir finanzieren Zukunftsinvestitionen:
({20})
700 Millionen Euro bis 2008 an zusätzlichen Mitteln für
die Spitzenuniversitäten,
({21})
4 Milliarden Euro bis 2008 für bis zu 10 000 Ganztagsschulen, Unterstützung der Kommunen bei der Kinderbetreuung mit 6 Milliarden Euro, Azubiplätze usw.
Einen Tag vor dieser Debatte habe ich gelesen:
Haushalt: Union will Regierung im Bundestag nicht
entlasten.
Der Kollege Austermann kann gleich begründen, warum
er das nicht tun will. Ich vermute aber, er wird keine
Haushaltsrede zu den Jahren 2002 oder 2003 halten wollen, sondern zu den Jahren 2004, 2005 und für die Zukunft.
({22})
Lieber Kollege Austermann, überlegen Sie sich ganz genau, was Sie sagen, wenn Sie von „betrügerischem
Haushalt“ reden. Der Untersuchungsausschuss hat etwas
anderes festgestellt
({23})
und das müssen Sie wahrnehmen.
Im gleichen Presseartikel in der „Welt“ werden
Gründe aufgezählt. Es geht dabei um die Förderung des
Erwerbs von Appartements mithilfe von Bundesmitteln,
in denen Gäste eines Zuwendungsempfängers untergebracht werden sollten, was auch der Bundesrechnungshof kritisiert hat. Ich zitiere:
Die Appartements wurden jedoch als Ferienwohnungen vermietet.
- Das sollte eine Bildungseinrichtung sein. Im Bereich des Innenministeriums kam es zu einem
ähnlichen Vorgang. Für den Erwerb einer Bildungsstätte erhielt eine Stiftung 4,2 Milliarden Euro. Die
Bildungsstätte wurde in Wirklichkeit als Hotel geführt.
({24})
Ich würde mir genau überlegen, was ich sage. Wenn
ich bereit bin, zu helfen, diese Dinge aus der Welt zu
schaffen, dann nennen Sie in diesem Fall auch Ross und
Reiter und sagen Sie, dass eine solche Stätte mit Konrad
Adenauer und der Union in Verbindung stehen könnte,
dass eine solche Bildungsstätte irgendwo am Comer See
liegen könnte usw. Seien Sie bitte ehrlich!
Wir bemühen uns hier in einem hohen Maß, mit Ihnen
Kompromisse zu finden. Aber bemühen Sie sich bitte
auch, zur Sachlichkeit zurückzukehren und diese Debatte dort zu führen, wo sie hingehört, nämlich im Haushaltsauschuss.
({25})
Als letzter Redner - ({0})
- Sie haben sich nicht angemeldet. Sie möchten anscheinend eine Kurzintervention machen und wollen, dass ich
das genehmige? Dann müssen Sie mich schon fragen.
({1})
- Der Geschäftsführer hätte das anmelden können. Das
ist, mit Verlaub gesagt, der übliche Weg.
Aber bitte schön, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.
({2})
- Sehr kurz.
Bitte schön.
Herr Präsident, ich danke für die Großzügigkeit, dass
ich auf den Kollegen Schöler, der mich direkt angesprochen hat, erwidern kann. Er hat die Tagesordnung kritisiert und die Tatsache, dass wir das Thema Jahresrechnung hier zur Debatte stellen.
Herr Kollege Schöler, Sie sind im Volkshandbuch als
Mitglied einer Fülle von Vereinen ausgewiesen und wissen als Mitglied jedes dieser Vereine, dass man am Ende
des Jahres eine Jahresrechnung vorlegt und dass dann
die Hauptversammlung dem Vorstand Entlastung erteilt.
Wenn nun in einem der zahlreichen Vereine, in dem
Sie sind, die Jahreshauptversammlung zur Kenntnis nehmen müsste, dass der Vorstand entgegen dem Beschluss
der Jahreshauptversammlung im vergangenen Jahr statt
250 000 sagen wir 350 000 Euro ausgegeben hat, können Sie sich dann vorstellen, dass die Mitgliederversammlung sagt: Das ist okay? Würde die Mitgliederversammlung nicht genauso reagieren wie wir, wenn die
Regierung, die einen Haushalt aufstellt, der mit der Realität nichts zu tun hat, nach Ablauf des entsprechenden
Zeitraums ankommt und sagt: Wir haben leider ganz andere Daten, als wir beabsichtigten. Aber lassen wir das
einmal unter den Tisch fallen.
({0})
- Moment einmal: Eben wurde doch gesagt, wir würden
Rabatz machen. Nein, es handelt sich um einen ganz
normalen Vorgang, der in jedem Taubenzüchterverein
üblich ist: dass man sich nach Ablauf des Jahres damit
befasst, wie die Regierung gewirtschaftet hat. Er hat
konkrete Beispiele angeführt, wie die Regierung gewirtschaftet hat. Wenn die Regierung so wirtschaftet, dann
sagen wir: In diesem „Taubenzüchterverein“ stinkt der
Fisch offensichtlich vom Kopf. Deswegen gibt es von
uns keine Entlastung, damit das ganz klar ist.
({1})
Zur Erwiderung hat der Kollege Schöler das Wort.
Lieber Kollege Austermann, wenn ich die Debattenbeiträge der Kollegen Ihrer Fraktion höre, fühle ich mich
manchmal wirklich - ohne diese Vereine beleidigen zu
wollen - in einen Taubenzüchterverein versetzt. Aber
wir sind hier im Deutschen Bundestag; das will ich Ihnen als Erstes sagen.
Zur Klarstellung will ich noch auf das Volkshandbuch
hinweisen: Da steht nicht, dass ich Mitglied zahlreicher
Vereine bin, sondern dass ich ehrenamtlich tätig bin bei
der Allgemeinen Wohnungsgenossenschaft Tönisvorst
- damit hatte ich die Chance, dieses gemeinnützige
Wohnungsbauunternehmen hier bekannt zu machen -,
({0})
dass ich ehrenamtlich stellvertretender Beiratsvorsitzender des Deutschen Medikamentenhilfswerkes action medeor, Tönisvorst, bin - es hat vorige Woche sein 40-jähriges Jubiläum gefeiert
({1})
und leistet im Übrigen an 9 000 Stellen dieser Welt segensreich Hilfe; für mich springt dabei im Rahmen der
Beiratssitzungen eine Tasse Kaffee heraus - und dass ich
auch noch stellvertretender Vorsitzender des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e. V.
bin, auch das ehrenamtlich. 22 Millionen Deutsche sind
in Genossenschaften organisiert,
({2})
im Übrigen - soweit ich weiß - mehr Unionsmitglieder
als SPD-Mitglieder.
Aber zur Sache selbst: Das Verfahren, das über Jahre
gegolten hat, ist, dass die Bundesregierung nach dem
Vorlegen der Jahresrechnung einen Entlastungsantrag
stellt. Dieser Entlastungsantrag wurde in all den Jahren
in einem Parlamentsverfahren ohne Debatte an die zuständigen Ausschüsse überwiesen
({3})
und die zuständigen Ausschüsse haben dann eingehend
beraten. Das soll auch in Zukunft so geschehen. Sie wollen aber schon jetzt über diese Punkte diskutieren; das
haben auch die Wortbeiträge der Vorredner der Oppositionsfraktionen gezeigt.
({4})
Sie wollen hier ganz einfach eine vorgezogene Haushaltsdebatte für das Jahr 2005 führen. Das darf Ihnen
nicht gelingen; das machen wir nicht mit.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Schulte, natürlich ist das eine besondere
Debatte; denn erstmalig wird die Entlastung durch die
Opposition verweigert und das hat gute inhaltliche
Gründe.
({0})
Meine Damen und Herren, wir reden heute über das
Verhalten und die Wirtschaftsführung der Regierung und
nicht über das Verhalten der Opposition; das ist der erste
Punkt.
({1})
Zweiter Punkt: Wenn Sie schon über das Haushaltsberatungsverfahren reden,
({2})
dann muss ich doch deutlich sagen, dass die gesamte Beratung ausschlaggebend ist und nicht nur die Anträge.
An der Beratung haben wir uns kräftig beteiligt.
Herr Kollege Fromme, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Im Moment nicht.
Drittens. Wenn hier bemängelt wird, wir hätten keine
Reformvorschläge gemacht, kann ich nur darauf verweisen, dass wir mit den Petersberger Beschlüssen die weitreichendsten Reformvorschläge vorgelegt haben, die es
hier jemals gab.
({0})
Sie haben sie blockiert; daran muss man Sie jedes Mal
erinnern.
Herr Kollege Schöler, ich weiß gar nicht, warum Sie
hier eine Ihrer Mitgliedschaften verschwiegen haben: die
bei Verdi. Verdi hat die Regierung wegen ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung kräftig kritisiert.
({1})
Entlastung heißt Anerkennung der Wirtschaftsführung. Wer die Entlastung erteilt, der erkennt damit an,
dass sich eine Regierung rechtmäßig verhalten hat. Das
können wir wahrlich weder für 2002 noch für 2003, weil
wir uns dann nämlich mit Ihren inhaltlichen Fehlern
identifizieren würden.
({2})
Überall dort, wo Menschen handeln, gibt es Fehler;
das ist gar keine Frage. Man muss sich aber bemühen,
die Fehler zu korrigieren und in Zukunft zu vermeiden.
Sie verweigern sich einer derartigen Haltung. Sie wollen
Fehler gar nicht vermeiden. Ganz im Gegenteil: Wenn
ich mir den Haushaltsplan 2005 anschaue, dann erkenne
ich, dass er der beste Beweis dafür ist, dass Sie nichts
gelernt haben. Sie setzen die Einnahmen weiterhin zu
hoch und die Ausgaben zu niedrig an, um so formal zu
türken und zu täuschen, wie es die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ gesagt hat.
({3})
Schätzfehler kommen vor. Sie haben die Schätzfehler
aber nicht nur zur Methode gemacht, sondern Sie haben
sie von Jahr zu Jahr sogar vergrößert, sodass inzwischen
riesige Dimensionen zwischen den Schätz- und den
wirklichen Werten liegen.
Es gibt sechs Gründe dafür, warum wir die Haushaltsentlastung verweigern müssen: erstens wegen der bewussten und vorsätzlichen Fehleinschätzung.
Zweitens. Trotz des Vorliegens der notwendigen Erkenntnisse im frühen Jahresablauf haben Sie sich verweigert, einen Nachtragshaushalt vorzulegen.
({4})
Das ist verfassungswidrig.
({5})
Drittens. Sie haben Kredite aufgenommen, für die Sie
gar keine Ermächtigung hatten; auch das ist verfassungwidrig.
({6})
Im Nachtrag haben Sie die Dinge zwar korrigiert, aber
maßgeblich für die Zulässigkeit der Kreditaufnahme ist
der Zeitpunkt der Aufnahme. Im November, als Sie die
Kredite aufgenommen haben, lag keine Ermächtigung
vor. Das hat der Bundesrechnungshof bestätigt.
({7})
Viertens. Durch Parkgeschäfte stellen Sie Nebenhaushalte auf. Sie verlagern Haushaltsausgaben und
Schulden aus dem Haushalt in die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das ist unseriös und hat mit Nachhaltigkeit
nichts zu tun. Sie werden sagen, wir hätten das auch gemacht. Es ist aber ein Unterschied, ob man etwas in kleinem Maße, also im Umfang von 1 Milliarde, oder im
Umfang von zig Milliarden tut.
Fünftens. Zu den Post- und Telekomaktien.
({8})
Diese Aktien waren für die Abdeckung der Pensionslasten gedacht. Wer dies verschenkt, der macht einen Fehler
in der Haushalts- und Wirtschaftsführung und kann dafür nicht entlastet werden.
({9})
Sechstens. Sie haben mehrfach gegen Art. 115 des
Grundgesetzes verstoßen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, zur Abwehr eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts mehr Kredite aufzunehmen als Investitionen zu
tätigen. Das setzt aber voraus, dass man diese Kredite
gezielt zur Bekämpfung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts einsetzt. Wenn Sie einen Nachtrag aber erst im
Dezember oder, wie im letzten Jahr, sogar erst im Februar machen, dann können Sie diese Mittel nicht mehr
gezielt zur Bekämpfung der schwachen Konjunktur einsetzen. Deshalb war diese Veranschlagung verfassungswidrig. Wir haben Sie mehrfach darauf hingewiesen.
Herr Eichel hat im Oktober selbst einmal gesagt, das
Parlament könne darüber entscheiden. Im November hat
er dann den Nachtrag vorgelegt, sodass keine Möglichkeit mehr bestand, inhaltlich tätig zu werden. Dieses
Verhalten ist nicht hinnehmbar und in keinem Fall zu
billigen. Weil das so ist, müssen wir Ihnen die Entlastung verweigern.
({10})
- Wir kündigen das an.
Wer nicht freiwillig lernt, der muss es spüren. Der
freiwillige Lernprozess sähe so aus, dass man sich berät,
sich anstrengt und sein Verhalten korrigiert. Sie haben
sich aber nicht angestrengt, sondern - im Gegenteil alle Fehler potenziert.
Herr Kollege Fromme, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?
Aber bitte.
({0})
Frau Kollegin Hajduk.
Werter Kollege Fromme, würden Sie in Ihrem weiteren Redefluss bitte berücksichtigen, dass heute nicht die
Entlastung der Bundesregierung zur Abstimmung steht?
Wir sind jetzt bei der Überweisung des Antrags auf Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2003,
über die ich mit Ihnen zusammen im Rechnungsprüfungsausschuss lange und entsprechend ernst beraten
darf. Die Entscheidung zur Entlastung steht erst morgen
an. Ich bitte Sie, das bei Ihrer Rede zur Kenntnis zu
nehmen; denn sonst erhält man den Eindruck, dass Reden falsch gezogen bzw. vertauscht wurden.
Frau Hajduk, zwei Antworten: Erstens. Auf der Tagesordnung steht der Antrag auf Entlastung für das
Haushaltsjahr 2003.
({0})
Dazu, ob das nun heute oder morgen erfolgt, komme ich
gleich.
Zweitens. Wir sind in unserem Verhalten kalkulierbar.
Wir geben Ihnen schon heute die Marschrichtung für die
Diskussion 2003 mit auf den Weg, damit Sie sich darauf
einstellen können.
({1})
Wenn Sie nun sagen, dass wir nicht heute, sondern
morgen über die Entlastung für das Haushaltsjahr 2003
entscheiden, dann frage ich mich: Warum entscheiden
wir nicht heute? Wir hätten sofort entscheiden können.
({2})
Offensichtlich haben Sie in Ihren eigenen Reihen Probleme und müssen über Nacht noch Überzeugungsarbeit
leisten, damit diesem Mist alle von Ihnen zustimmen.
Deswegen kann erst morgen darüber entschieden werden.
({3})
Das ändert aber nichts daran, dass mein Redebeitrag
richtig ist.
Ich sage es noch einmal: Sie haben gegen die Verfassung verstoßen. Das kann von uns nicht gebilligt werden. Mit der Vorlage für 2005 liefern Sie uns den Beweis für Ihr Fehlverhalten. Im Haushalt sind für die
Kommunen im Rahmen der Hartz-IV-Reform 1,8 Milliarden Euro enthalten. Schon vor dem Kabinettsbeschluss haben Sie 2,5 bzw. 3 Milliarden Euro versprochen. Was hat es mit Haushaltswahrheit und -klarheit zu
tun, wenn man einen objektiv falschen Haushalt vorlegt
und hinterher sagt „Wir korrigieren das durch die globale Minderausgabe“? Sie entmachten das Parlament,
weil es darüber nicht mitentscheiden kann. Das sollen
wir dann noch billigen?
({4})
Sie brauchen die rote Karte. Vielleicht ändert das etwas
an Ihrem Verhalten.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Jürgen Koppelin.
Ich möchte Ihnen, Kollege Fromme, sagen, dass der
politische Inhalt Ihrer Rede von uns im Großen und Ganzen geteilt wird. Ich habe mich aber gemeldet, weil Sie
etwas gemacht haben, was mir nicht gefällt.
Sie haben gesagt, die Opposition werde die Entlastung ablehnen. Ich stelle für die FDP fest, dass Sie nicht
für uns sprechen können. Wir werden unser Abstimmungsverhalten selber bestimmen. Wir haben uns entschieden, der Entlastung des Haushalts 2002 zuzustimmen. Es ist Tradition in diesem Hause, dass alle
Fraktionen der Entlastung zustimmen, egal wer die Regierung stellt. Da wir, Kollege Fromme, demnächst sowieso wieder die Regierung stellen, erwarte ich dann allerdings auch von der SPD und den Grünen, dass sie der
Entlastung unseres Haushaltes zustimmen werden. Das
ist nun einmal Tradition.
Wir entlasten nicht politisch - ich darf Sie in diesem
Punkt aufklären -, sondern buchhalterisch. Ich habe es
vorhin gesagt: Eine chaotische Haushaltspolitik kann
buchhalterisch in Ordnung sein; daran ist nichts zu beanstanden.
Ich bitte Sie, wenn Sie zukünftig von der Opposition
sprechen, nur für die Union zu sprechen. Wir sprechen
für uns.
({0})
Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Fromme.
Herr Kollege Koppelin, ich bedanke mich, dass Sie
mich mit einem kleinen Hinweis daran erinnert haben,
dass auch die FDP zur Opposition gehört und ich nicht
für sie sprechen kann. Aber ich war vielleicht ein bisschen schneller als Sie;
({0})
denn ich habe zu Ende gedacht. Nach Ihrem Redebeitrag, mit dem Sie unsere Position unterstützt haben,
konnte für mich eigentlich nur die Ablehnung der Entlastung stehen. Da Sie eigentlich logisch handeln, kam
für mich gar nichts anderes infrage.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Es geht nicht nur um
die buchhalterische Frage, sondern auch um die Frage
der inhaltlichen Kontrolle und der Einhaltung des Rechtes. Das ist ein bisschen mehr als nur das Buchhalterische.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2884 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Versorgung bei besonderen AuslandsVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
verwendungen ({0})
- Drucksache 15/3416 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die im besonderen Auslandseinsatz wahrzunehmenden Aufgaben
sind nicht mit den normalen Tätigkeiten im Inlandsdienst oder mit Tätigkeiten im Ausland gleichzusetzen,
die nicht im Rahmen von internationalen und humanitären, Frieden sichernden und Frieden schaffenden Einsätzen erfolgen. Dies hat auf tragische Weise das in Kabul
auf Angehörige des deutschen ISAF-Kontingents verübte Sprengstoffattentat vom 7. Juni 2003 gezeigt, bei
dem vier Soldaten getötet und 29 Soldaten verletzt wurden. Diesen neuen Herausforderungen wird die bisherige
Unfallversorgung nicht in vollem Umfang gerecht.
Mit dem Einsatzversorgungsgesetz werden wir unserer Verantwortung gegenüber denen, denen wir besondere Gefahren zumuten müssen, und ihren nächsten Angehörigen gerecht. Ohne diese Frauen und Männer
könnten wir unsere internationalen Verpflichtungen
nicht wahrnehmen. Sie haben daher Anspruch auf angemessene Hilfe und Unterstützung. Die Versorgungsleistungen für die Soldatinnen und Soldaten sowie die Beamtinnen und Beamten und ihre Angehörigen dürfen
weder an fiskalischen noch an bürokratischen Hürden
scheitern.
({0})
Das ist das Anliegen des Einsatzversorgungsgesetzes. Es
berücksichtigt die besonderen Gefahren und Belastungen von Auslandseinsätzen. Daraus folgt eine verbesserte Versorgung bei Einsatzunfällen im Ausland. Zugleich werden langwierige und oftmals bürokratische
Untersuchungsverfahren in Zukunft vermieden.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung auf Folgendes
hinweisen: Ein Einsatzunfall liegt vor, wenn ein Soldat
oder Beamter bei einer Verwendung im Ausland aufgrund einer internationalen Vereinbarung auf Beschluss
der Bundesregierung oder bei einer Verwendung im
Ausland mit vergleichbar gesteigerter Gefährdungslage
aufgrund eines im Dienst eingetretenen Unfalls oder einer Erkrankung gesundheitlich geschädigt wird. Damit
werden die Einsätze im Ausland typisiert, denen eine generell höhere Gefährdung des Dienstes geradezu immanent ist.
({1})
Bei diesen Einsatzunfällen wird die erhöhte Unfallversorgung gewährt, das heißt 80 Prozent der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der übernächsten Besoldungsgruppe. Ferner wird eine einmalige
Unfallentschädigung in Zukunft bereits bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert statt bisher 80 vom Hundert gewährt. Dies gilt im Übrigen auch
für qualifizierte Dienstunfälle im Inland. Für Witwen
und versorgungsberechtigte Kinder wird die einmalige
Unfallentschädigung von 38 500 Euro auf 60 000 Euro
erhöht. Diese einmalige Soforthilfe wird gewährt, wenn
der Einsatz zum Tode eines Soldaten oder Beamten geführt hat. Sie ist dringend erforderlich. Die Hinterbliebenen bedürfen einer angemessenen Fürsorge und Absicherung.
({2})
Soweit zu den bedeutsamen Regelungen dieses Gesetzentwurfs.
Der Bundesrat hat die Notwendigkeit einer verbesserten Absicherung der Soldatinnen und Soldaten, Beamtinnen und Beamten sowie der sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Auslandseinsatz und
der engsten Angehörigen anerkannt. Er hat die auf Anträge der Länder Bayern und Hessen zurückgehenden
Ausschussempfehlungen abgelehnt, die gegen die materiellen Verbesserungen gerichtet waren und mit denen
diese Länder an den bürokratischen Verfahren festhalten
wollten.
Vom Land Hessen wurde noch der Antrag gestellt,
das In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht auf den
1. Juli 2003, sondern bereits auf den 1. Dezember 2002
festzusetzen. Damit soll erreicht werden, dass der Hubschrauberabsturz nahe Kabul am 21. Dezember 2002 bereits von der Neuregelung erfasst wird. Dazu kann ich
Ihnen sagen, dass der Unfall in Kabul nach bisherigem
Recht als qualifizierter Dienstunfall mit entsprechend erhöhten Leistungen behandelt wird.
({3})
Inwieweit es einer weiter reichenden Rückwirkung des
Gesetzes in diesem Punkte bedarf, wird die Bundesregierung entsprechend ihrer Zusage in der Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates prüfen.
Der Bundesregierung kommt es darauf an, dass eine
der gestiegenen Außenverantwortung der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Absicherung der Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen und Beamten im
Auslandseinsatz und deren engsten Angehörigen verwirklicht wird. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Helmut Rauber, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundeswehr war bis Ende der 80er-Jahre
bzw. bis zu Beginn der 90er-Jahre, als die Mauer fiel und
der Warschauer Pakt nicht länger fortbestand, eine Armee des Kalten Krieges mit mehr oder weniger klar kalkulierbaren Fronten. Auf diese Lage waren Strategie,
Taktik, Ausrüstung und auch Ausbildung ausgerichtet.
Abschreckung hieß das alles dominierende Prinzip, das
deshalb funktionierte, weil alle Akteure diesseits und
jenseits des Eisernen Vorhanges rational handelten.
Diese bipolare Welt, in der es trotz aller Explosivität zu
keinen Kampfeinsätzen unserer Soldaten kam, existiert
nicht mehr.
Heute sind wir mit einer Vielzahl von Gefahren konfrontiert, die es in dieser Intensität bisher nicht gab.
Dazu zählen ethnische Spannungen ebenso wie die neue
Qualität des internationalen Terrorismus oder der religiöse Fanatismus, die zu viel Leid in der Welt geführt
haben.
Die Welt hat sich verändert und deshalb müssen auch
neue Antworten auf die neuen Herausforderungen gegeben werden. Eine dieser neuen Antworten ist das Einsatzversorgungsgesetz, das wir heute in erster Lesung
diskutieren. Wer wie wir als Parlamentarier die Bundeswehr in gefährliche Auslandseinsätze schickt, der muss
dies nicht nur politisch schlüssig begründen und unsere
Soldaten bestens ausstatten und ausbilden, sondern ihnen auch dann materielle Sicherheit geben, wenn es zu
einem Unfall mit schlimmen Folgen kommt.
({0})
Wir als CDU/CSU haben Mitte Januar dieses Jahres
im Verteidigungsausschuss dem vorliegenden Gesetzentwurf ohne Gegenstimmen zugestimmt und wir werden
dies auch heute tun. Dennoch sehen wir einige Schwachstellen bzw. offene Fragen, die korrigiert und geklärt
werden sollten.
Ein wesentlicher Beschleuniger dieses Gesetzes war
der schon angesprochene Absturz eines CH-53 Hubschraubers am 21. Dezember 2002 - kurz vor Weihnachten - in Kabul. Wenn es bei der ursprünglichen Absicht
der Bundesregierung bleibt, dass das Gesetz rückwirkend am 1. Juni 2003 in Kraft tritt, dann würden gerade
die Angehörigen der Absturzopfer vom Dezember 2002
nicht mehr unter die Regelung des jetzigen Gesetzes fallen. Sie haben das klargestellt, Herr Staatssekretär; wir
werden das prüfen. Wir legen Wert darauf, dass das Gesetz, so wie vom Bundesrat am 11. Juni dieses Jahres beschlossen, bereits am 1. Dezember 2002 rückwirkend in
Kraft tritt. Wir gehen davon aus, dass die von der Bundesregierung zugesagte Prüfung positiv ausfällt.
Der zweite Kritikpunkt besteht nach unserer Meinung
in der nach wie vor ungleichen Behandlung zum Beispiel von Reservisten und Wehrpflichtigen gegenüber
Zeitsoldaten. Ein Soldat auf Zeit, der sich für zehn Jahre
verpflichtet hat, erhält zum Beispiel bei einem Unfall
45 000 Euro, während der Reservist, der drei Monate im
Einsatz war, bei demselben Unfall nur 15 750 Euro
- sprich: fast 30 000 Euro weniger - bekommt. Entscheidend ist nach unserer Meinung nicht die Dienstzeit,
die im Übrigen auch völlig ungefährlich verlaufen kann,
sondern die Gleichbehandlung nach einem Unfall.
Wir sind des Weiteren der Meinung, dass der Ausschluss der Einsatzversorgung im Falle grober Fahrlässigkeit nicht zu mehr, sondern zu weniger Rechtssicherheit und eventuell zu einer Konterkarierung der
positiven Regelungen führen kann. Nach höchstrichterlicher Entscheidung handelt derjenige grob fahrlässig,
der einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht
anstellt und das unbeachtet lässt, was jedem einleuchten
müsste. Nicht berücksichtigt bleibt bei dieser Definition,
dass es in Kampfeinsätzen Situationen gibt, in denen der
einzelne Soldat unter extrem hohem Stress steht, und
dass sich deshalb Fehler einschleichen können, die unter
normalen Bedingungen als grob fahrlässig zu bezeichnen wären.
Wir sind des Weiteren mit dem Bundeswehrverband
und seiner speziellen Interessenvertretung - unter anderem die Hubschrauberverbände - der Meinung, dass die
geplanten Verbesserungen bei der Einmalentschädigung
nicht nur für Strahlenflugzeugführer, Kampfschwimmer
und Minenuntersuchungspersonal gelten sollten, sondern für alle Soldaten, das heißt auch für Hubschrauberbesatzungen, die einen besonders gefährlichen Dienst
verrichten.
({1})
Nicht vom Gesetz erfasst ist ein weiterer Punkt, der
schon einige Male Gegenstand von Erörterungen im Verteidigungsausschuss war. Es geht dabei um die Entlassung von durch Unfälle behinderten Soldaten und Soldatinnen aus der Bundeswehr. Wir bitten zu prüfen, ob ein
Verbleib solcher Personen per eigenen Antrag in der
Bundeswehr oder an anderer Stelle des öffentlichen
Dienstes möglich gemacht werden kann.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Fortschritt.
Aber wir bitten darum, dass die genannten Bedenken
ernst genommen werden und dass sie sich in der endgültigen Fassung des Gesetzes positiv niederschlagen. Wir
hoffen, dass das Gesetz nie zur Anwendung gelangt.
In diesem Sinne stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf in erster Lesung zu.
({2})
Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zurzeit sind mehr als 7 000 Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr sowie - bald - 400 Polizistinnen und
Polizisten von Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt
und Länderpolizeien im Ausland im Einsatz, beispielsWinfried Nachtwei
weise in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Georgien, in Mazedonien, am Horn von Afrika und in Afghanistan. Sie alle tragen in diesen Regionen zur
Gewalteindämmung bei. Zugleich sind sie aber erheblichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt. Deshalb
sind wir ausgesprochen erleichtert, dass die Bundesregierung heute den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Einsatzversorgung in den Bundestag einbringt.
Vor fünf Jahren verunglückte der Oberstabsarzt Sven
Eckelmann in Albanien tödlich. Er stürzte mit seinem
Transportpanzer von einer Brücke herab. Um die Einordnung, die Bewertung dieses Unfalls hat es einen sehr
unerfreulichen Rechtsstreit zwischen Ministerium und
den Hinterbliebenen gegeben. Hieran ist sehr deutlich
geworden, dass das bisherige Versorgungsrecht ganz erhebliche Lücken aufweist, die auch das Vertrauen in den
Dienstherrn schädigen. Aus diesem Anlass erhob nicht
zuletzt der Deutsche Bundeswehr-Verband die Forderung, alle Schädigungen im Einsatz als qualifizierten
Dienstunfall anzuerkennen und die Versorgung im Schädigungsfall für Soldaten auf Zeit an die Regelungen für
die Berufssoldaten anzupassen. Der Hubschrauberabsturz kurz vor Weihnachten 2002 - er ist schon angesprochen worden - hat dieses Thema regelrecht in das
Parlament und in das Ministerium hineingetragen.
Es war gut, dass sowohl alle Fraktionen im Verteidigungsausschuss als auch der Minister nicht nur den
Handlungsbedarf gesehen und die Situation einmütig beurteilt haben, sondern auch entsprechende Forderungen
erhoben haben. Im Verteidigungsausschuss ist dann am
15. Januar 2003 ein entsprechender Beschluss gefasst
worden. Uns allen ist klar: Wenn der Dienstherr und
wenn die Politik, das heißt wir, von Beamten und Soldaten verlangen, ein besonders hohes Risiko einzugehen,
dann haben die betroffenen Beamten und Soldaten
selbstverständlich auch einen Anspruch auf verlässliche
und beste Fürsorge.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf sorgt für die geforderte Anpassung. Beamte und Soldaten in besonderen Auslandsverwendungen erhalten danach im Schadensfall deutlich verbesserte Versorgungen. Dabei geht
man von der völlig richtigen Feststellung aus, dass die
Risiken und Unbilden bei besonderen Auslandsverwendungen nicht mit denen in der deutschen Heimat gleichzusetzen sind. Die einzelnen Regelungen sind ja bereits
aufgeführt worden. Herr Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, hat hierzu festgestellt:
Damit sind wir einen großen Schritt weiter auf dem
Weg zur Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen für Soldaten und Soldatinnen in Auslandseinsätzen.
Zu ergänzen ist noch: von Beamtinnen und Beamten
ebenfalls.
Vor ungefähr einem Monat gab es im Bundesrat - das
ist vom Staatssekretär schon angesprochen worden sehr eigenartige und unverständliche Manöver: Auf Initiative der Länder Hessen und Bayern wurden Beschlüsse des Ausschusses für Innere Angelegenheiten
und des Finanzausschusses formuliert, mit deren Umsetzung die notwendige Erneuerung im Grunde völlig zurückgeschraubt worden wäre. Das ist Gott sei Dank nicht
durchgekommen.
Dieser Gesetzentwurf enthält - Kollege Rauber hat es
eben zu Recht angesprochen - als Ausschlussklausel
„grobe Fahrlässigkeit“. Hier muss in der Tat sehr darauf geachtet werden, dass diese Klausel so angewandt
wird, dass sie den Intentionen dieses Gesetzes eben nicht
zuwiderläuft oder diese sogar unterläuft.
Ich will es am Beispiel Verkehrsverhalten deutlich
machen. Ein angepasstes Verkehrsverhalten in Kabul bedeutet für die Polizisten und Soldaten - auch aus Sicherheitsgründen - sehr schnell, sehr offensiv zu fahren. Ein
solches Verhalten wäre hier möglicherweise als „fahrlässig“ oder „grob fahrlässig“ zu werten. Da muss man
wirklich sehr genau aufpassen.
Zusammengefasst: Der Werdegang dieses Gesetzes
ist ein gutes Beispiel dafür, wie alle Fraktionen und die
Bundesregierung zum Wohle der betroffenen Beamten,
Soldaten und ihrer Angehörigen zusammenwirken.
Danke schön! Ich bin mir sicher, dass das auch in den
weiteren Lesungen der Fall sein wird.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion kann ich mich bei diesem
Thema relativ kurz fassen, nicht etwa, weil es ein unbedeutendes Thema ist - ganz im Gegenteil, ein sehr wichtiger Gesetzentwurf ist zu beraten -, sondern deswegen,
weil kein politischer Streit über die Notwendigkeit der
Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen besteht.
Zwar hat bereits die damalige Koalition von FDP und
CDU/CSU im Jahr 1995 eine Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen herbeigeführt; aber angesichts der höheren Risiken, die mit den
Auslandseinsätzen von Soldaten, Beamten und sonstigen
Angehörigen des öffentlichen Dienstes verbunden sind,
besteht eine allgemeine Einigkeit darüber, dass die damaligen Regelungen heute nicht mehr ausreichen. Aus
diesem Grund ist, wie schon erwähnt, im Verteidigungsausschuss einstimmig beschlossen worden, dass man
eine Neuregelung auf den Weg bringen muss. Wir finden, dass die jetzt gemeinsam gefundene Lösung eine
angemessene Verbesserung der Versorgungssituation
darstellt.
({0})
Die einzige kritische Frage, die man stellen muss, lautet: Aus welchem Grund hat es eigentlich so lange gedauert, warum beraten wir diesen Gesetzentwurf erst
heute? Diese Frage ist selbstkritisch an uns alle gerichtet. Eine vermehrte Anzahl an Auslandseinsätzen mit hohen Risiken gibt es schließlich nicht erst seit gestern,
sondern schon längere Zeit. Wir von der FDP finden gemeinsam mit allen anderen, dass es die selbstverständliche Fürsorgepflicht des Gesetzgebers ist, für diejenigen, die im Auftrag des Bundestages solche Risiken für
Leib und Leben auf sich nehmen, eine angemessene Absicherung in finanzieller Hinsicht sicherzustellen.
Das geschieht jetzt. Man kann eigentlich nur noch
darüber sprechen, ob dieses Gesetz, wie es die Bundesregierung wünscht, rückwirkend zum 1. Juni 2003 oder
wegen des Hubschrauberabsturzes im Dezember 2002 in
Afghanistan schon zum 1. Dezember 2002 in Kraft zu
setzen ist. Ich muss schon sagen: Es wäre etwas schäbig,
wenn die finanziellen Folgen dieses Absturzes nicht vernünftig aufgefangen würden. Was da passiert ist, ist ohnehin schlimm genug. Ich werte die Aussage von Staatssekretär Körper von heute so, dass die Bundesregierung
bereit ist, dies noch einmal zu prüfen, und dass eine einstimmige Verabschiedung dieses Gesetzes an diesem
einen Punkt am Ende nicht scheitern sollte.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Petra Heß für die SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Einsatzversorgungsgesetz
wird das Versorgungsrecht unserer Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen an die veränderten Anforderungen angepasst und auch verbessert. In den letzten
zehn Jahren hat sich die Bundeswehr in zunehmendem
Maße an zahlreichen internationalen Einsätzen beteiligt.
Für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeuten diese
Auslandseinsätze eine deutlich höhere Gefährdung für
Leib und Leben, als dies bei Einsätzen im Inland der Fall
ist. Das Aufgabenspektrum bei Auslandseinsätzen ist
nicht mit den Tätigkeiten im Inlandsdienst zu vergleichen. Dies hat sich besonders bei dem tragischen Attentat in Kabul gezeigt, bei dem tote und verletzte Soldaten
beklagt werden mussten.
Der Verteidigungsausschuss hat bereits am 15. Januar
2003 einen Antrag auf Anpassung des Versorgungsrechts an die veränderten Anforderungen für Soldatinnen
und Soldaten bei Auslandseinsätzen einstimmig verabschiedet. Es ist gerade für unsere Soldatinnen und Soldaten sowie vor allem für ihre Angehörigen ein wichtiges
Signal, denke ich, dass alle Fraktionen im Deutschen
Bundestag hinter dem Einsatzversorgungsgesetz stehen
und auf diese Art und Weise die gefährliche Arbeit der
Bundeswehr bei den verschiedenen Auslandseinsätzen
anerkennen.
({0})
Es sollte in diesem Zusammenhang aber nicht unerwähnt bleiben, dass es im Bundesrat nicht von Anfang
an Einstimmigkeit gab. Bayern und Hessen standen dem
Gesetzentwurf zuerst ablehnend gegenüber. Dass insoweit eine Änderung eingetreten ist, ist unter anderem
dem lobenswerten Engagement des Bundeswehr-Verbands zu verdanken, der bei den Ländern nachdrücklich
und letztlich erfolgreich für eine Zustimmung zum Einsatzversorgungsgesetz warb. Ich halte es für sehr bedenklich - das möchte ich persönlich anmerken -, dass
Bayern und Hessen unseren Soldatinnen und Soldaten
sowie ihren Angehörigen die im Einsatzversorgungsgesetz geplanten Verbesserungen aus parteipolitischen
Gründen vorenthalten wollten.
({1})
Die vom Bundesrat erhobene Forderung, das rückwirkende In-Kraft-Treten des Einsatzversorgungsgesetzes
vom 1. Juni 2003 auf den 1. Dezember 2002 vorzuverlegen, wird ausdrücklich begrüßt und findet auch die Zustimmung des gesamten Verteidigungsausschusses. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt,
diese Forderung in den noch anstehenden Beratungen
umzusetzen.
Durch diese Änderung werden dann auch die Hinterbliebenen der am 21. Dezember 2002 bei dem tragischen
Hubschrauberabsturz in Kabul verunglückten Soldaten
erfasst. Dabei ist uns sehr bewusst, dass durch eine materielle Entschädigung der Schmerz über den Tod eines
Menschen nicht gelindert werden kann.
Mit dem Einsatzversorgungsgesetz werden für unsere
Soldatinnen und Soldaten sehr umfangreiche Leistungsverbesserungen geschaffen, wird eine größere Rechtssicherheit im Hinblick auf die Voraussetzungen für die
einzelnen Versorgungsleistungen erreicht und werden in
bestimmten Fällen bestehende Unterschiede zwischen
der Versorgung der Soldaten auf Zeit, der freiwillig länger Wehrdienstleistenden und der Berufssoldaten angeglichen. Damit endet eine Phase der Unsicherheit. Gerade auch die Sorge um die Zukunft der Familie wird
gelindert.
Als Grundzugangsvoraussetzung zu den einzelnen
Versorgungsleistungen genügt stets das Vorliegen eines
Einsatzunfalls. Um der Tatsache Rechnung zu tragen,
dass militärischer Dienst bei einem Auslandseinsatz regelmäßig gefährlicher ist als sonstiger Dienst, ist im Einsatzversorgungsgesetz festgelegt, dass jeder schwere
Dienstunfall im Rahmen eines besonderen Auslandseinsatzes oder eines Einsatzes mit vergleichbar gesteigerter
Gefährdungslage als Einsatzunfall gilt. Durch diese Definition entfallen die bisherige unsägliche Begrifflichkeit
des qualifizierten Dienstunfalls und die damit einhergehenden, zum Teil unterschiedlichen Voraussetzungen für
einzelne Versorgungsleistungen sowie die oft langwierigen Prüfungen der Unfallursachen.
Die Entschädigungen für Betroffene erhöhen sich in
allen Bereichen, wobei ich insbesondere die Erhöhung
für hinterbliebene Ehepartner und versorgungsberechtigte Kinder hervorheben möchte.
Herr Kollege Rauber, ich habe wirklich großes Verständnis für Ihr Engagement für die Reservisten. Ich
teile auch Ihre Sorge. Wir alle wissen aber, dass es sich
um einen Gesetzentwurf handelt, der in der jetzigen
Ausgestaltung ein Kompromiss mit der Länderkammer
ist. Nach diesem Kompromiss verbessert sich auch die
Situation der Reservisten spürbar und deshalb kann man
sagen, dass es letztlich ein guter Kompromiss ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wird das Versorgungsrecht unserer
Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen an die
veränderten Anforderungen angepasst. Die Soldatinnen
und Soldaten sowie ihre Angehörigen haben damit die
Gewissheit, dass sie im Falle eines Unfalls die ihnen
zustehenden Leistungen schnell und unbürokratisch erhalten. Ich bin mir sicher, dass die Verabschiedung des
Einsatzversorgungsgesetzes auch einen deutlichen Motivationsschub innerhalb der Truppe bewirken wird.
Abschließend möchte ich allen danken, die am Zustandekommen des Gesetzes beteiligt waren, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsund Innenausschuss, und im besonderen Maße unserem
Verteidigungsminister Struck, dem ich von hier aus
nochmals beste Genesungswünsche übermitteln möchte.
Ich danke Ihnen.
({2})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Thema, mit
dem wir uns in der heutigen Debatte beschäftigen, ist mit
Sicherheit nicht besonders angenehm und erfreulich,
aber es handelt sich um eine außerordentlich wichtige,
entscheidende und vor allen Dingen praxisrelevante
Thematik. Es geht darum - in diesem Bemühen sind
sich, wie ich glaube, alle Fraktionen in diesem Hause
einig -, die Unfallversorgung bei Auslandseinsätzen von
Soldaten der Bundeswehr, Polizeibeamten des Bundes
und der Länder sowie sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes qualitativ erheblich zu verbessern.
Deutschland muss und wird auch in Zukunft seiner in
den letzten Jahren gestiegenen weltpolitischen Verantwortung durch einen auch quantitativ erhöhten Einsatz
von Bundeswehrsoldaten und Polizeibeamten im Ausland Rechnung tragen. Nicht zuletzt werden durch diese
Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten sowie von
Polizeibeamten auch originäre deutsche Sicherheitsinteressen vertreten und der Friede in Deutschland gewahrt.
Der bisher schwerste Terroranschlag gegen die Bundeswehr im Ausland am 7. Juni 2003 in Kabul, bei dem
leider vier Bundeswehrsoldaten starben und 29 weitere
teils schwer verletzt wurden, sowie der hinterhältige und
menschenverachtende Anschlag auf den Konvoi der
deutschen Botschaftsangehörigen zwischen Amman und
Bagdad am 7. April 2004, bei dem leider zwei BGS-Beamte ums Leben kamen, deren Trauerfeier erst gestern in
Bonn stattgefunden hat, sind nur zwei Beispiele, die uns
auf ernüchternde und erschreckende Art und Weise vor
Augen führen, dass diese Auslandsverwendungen mit
erheblich höheren und teilweise auch nicht kalkulierbaren Risiken und Gefährdungen für Leib und Leben verbunden sind. So sind seit Beginn der Bundeswehreinsätze im Ausland allein 51 deutsche Soldaten ums Leben
gekommen.
Wie die Erfahrungen in der Vergangenheit leider gezeigt haben, ist die bisherige Unfallversorgung bei
Auslandseinsätzen nicht in vollem Umfang geeignet,
den geänderten Herausforderungen, tatsächlichen Gegebenheiten und Risiken der besonderen Auslandsverwendungen von Soldaten der Bundeswehr und Polizeibeamten des Bundes und der Länder in ausreichendem Maße
Rechnung zu tragen. Deshalb ist es nur recht und billig,
dass mit dem heute in erster Lesung debattierten Einsatzversorgungsgesetz eine besondere Dienstunfallfürsorge
für Beamte und Soldaten und beispielsweise auch für die
Angehörigen des Technischen Hilfswerks geschaffen
wird, die im ursächlichen Zusammenhang mit der besonderen Auslandsverwendung erkranken oder geschädigt
werden.
So ist es nur sachgerecht, dass vorgesehen ist, dass für
Beamte und Berufssoldaten bei Einsatzunfällen, die eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens
50 Prozent zur Folge haben, stets die erhöhte, das heißt
die qualifizierte Unfallversorgung von 80 Prozent der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der
übernächsten Besoldungsgruppe gewährt wird.
Es ist auch richtig, dass die Beträge für die einmalige
Entschädigung nach dem Beamtenversorgungsgesetz
und dem Soldatenversorgungsgesetz deutlich, wie zum
Beispiel durch Anhebung auf 80 000 Euro statt bisher
38 500 Euro im Todesfall, erhöht werden und die Zahlung der einmaligen Entschädigungsbeträge bereits ab
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 Prozent
anstatt bisher 80 Prozent erfolgt.
Ferner ist es sachgerecht, dass mit dem Einsatzversorgungsgesetz geplant ist, die Regelungen zum vermögensrechtlichen Schadensausgleich in besonderen Fällen zu erleichtern. In diesem Zusammenhang ist es als
unbürokratisch und bedarfsgerecht zu bezeichnen, dass
hinsichtlich der vom Dienstherrn auszugleichenden Lebensversicherungsleistungen, wenn die Lebensversicherungen aufgrund der so genannten Kriegsklausel Zahlungen an die Angehörigen der Versicherungsnehmer
verweigern, ohne weitere Prüfung bis zu 250 000 Euro
als angemessen gelten.
In puncto Anwenderfreundlichkeit und Transparenz
des Einsatzversorgungsgesetzes möchte ich jedoch eine
kritische Anmerkung machen. Ich halte es alles andere
als für ideal, dass in Art. 11 in den Absätzen 1 bis 3 drei
verschiedene Zeitpunkte des In-Kraft-Tretens verschiedener Vorschriften vorgesehen sind. Ich möchte
nicht falsch verstanden werden. Ich unterstütze es nachdrücklich und entschieden, dass ein Großteil der gesetzlichen Regelungen im Wege der echten Rückwirkung
bereits zum 1. Juni 2003, vielleicht, wie wir eben gehört
Stephan Mayer ({0})
haben, sogar noch früher, nämlich zum 1. Dezember
2002, in Kraft treten soll, um vor allem den Hinterbliebenen der bei den jüngsten Anschlägen ums Leben gekommenen Soldaten die verbesserten Versorgungsleistungen zukommen lassen zu können.
Allerdings halte ich es gesetzessystematisch und ordnungspolitisch für fragwürdig, wenn noch zwei weitere
Zeitpunkte des In-Kraft-Tretens anderer Vorschriften,
nämlich der 1. Januar 2004 und der 1. Januar 2005, beabsichtigt sind. Dann sollen bitte schön sämtliche Vorschriften des Einsatzversorgungsgesetzes rückwirkend
zum 1. Juni 2003 oder, wie gesagt, zum 1. Dezember
2002 in Kraft treten.
({1})
Für besonders unterstützenswert hält es die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, dass nun einzelne Versorgungsleistungen einheitlich definiert und bestehende,
nicht nachzuvollziehende Versorgungsunterschiede zwischen den verschiedenen Statusgruppen, das heißt zwischen Soldaten, Beamten und Arbeitnehmern, ausgeglichen werden sollen. Damit dürfte ein größeres Maß an
Rechtssicherheit erreicht werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte bereits im
Jahr 2001 versucht, die Regelungen über den qualifizierten Dienstunfall praxistauglich zu gestalten, was allerdings leider Gottes an der Mehrheit von Rot-Grün in diesem Haus gescheitert ist. Gleichwohl ziehen wir uns
nicht in die Schmollecke zurück und verweigern uns
nicht sinnvollen Gesetzesnovellierungen, sondern unterstützen vom Grundsatz her den Entwurf des Einsatzversorgungsgesetzes der Bundesregierung.
Dennoch werden wir in den weiteren parlamentarischen Verhandlungen darauf drängen, bestimmte Unebenheiten und Ungenauigkeiten des Gesetzentwurfes
zu korrigieren. So ist unserer Auffassung nach beispielsweise darauf zu achten, dass die vorgesehene Definition
des Begriffes der groben Fahrlässigkeit - ein juristisch
sehr dehnbarer Begriff, wie man sich vorstellen kann in der Praxis nicht zum Instrument der Leistungsverweigerung werden kann.
Natürlich ist mir vollkommen bewusst, dass auch das
beste Einsatzversorgungsgesetz die Ängste und Sorgen
der Angehörigen von im Ausland eingesetzten Soldaten
und Beamten nicht mindert und auch die Risiken, die mit
einem Auslandseinsatz verbunden sind, nicht reduziert.
Allerdings bin ich sehr wohl der Überzeugung, dass dieses Einsatzversorgungsgesetz ein nicht zu unterschätzender Beitrag auf dem Weg zur Verbesserung der sozialen
Rahmenbedingungen für Soldaten und Polizeibeamte im
Auslandseinsatz sein wird und sich positiv auf die Motivation der Soldaten und Beamten in ihrem täglichen harten und schwierigen Dienst im Ausland auswirken wird.
Denn die Soldaten und Polizeibeamten werden künftig
mit der Sicherheit in Auslandseinsätze gehen können,
dass sie bzw. ihre Angehörigen im Falle von schweren
Verletzungen oder möglicherweise des Todes bessere
Versorgungsleistungen erhalten.
Trotzdem möchte ich abschließend der Hoffnung
Ausdruck verleihen, dass dieses Einsatzversorgungsgesetz in der Praxis möglichst selten zur Anwendung
kommt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 15/3416 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Anderweitige Vorschläge dazu werden nicht gemacht. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({0}), Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunftsfähigkeit deutscher Häfen
- Drucksachen 15/2037, 15/3254 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Häfen sind das Tor zur Welt. Für die deutschen
Häfen trifft dieser Grundsatz in ganz besonderem Maße
zu: Über die Hälfte unseres Außenhandels wird über unsere Seehäfen abgewickelt. Allein im Jahr 2003 waren es
über 250 Millionen Tonnen. Mehr als 95 Prozent aller
Güter im deutschen interkontinentalen Verkehr laufen
heute über den Seeweg.
Die Schlechtwetterlage in der deutschen Wirtschaft
scheinen die Häfen selbstbewusst zu umfahren, denn in
den letzten zehn Jahren nahm der Güterumschlag um
durchschnittlich 3 Prozent jährlich zu. Die deutsche Hafenwirtschaft ist eine Schlüsselbranche für mehr
Wachstum in unserem Land, und dies weit über die Küstenregionen hinaus. Über 300 000 Arbeitsplätze hängen
von den Häfen direkt ab. Zur Lösung der Beschäftigungsprobleme in Deutschland kann die Seehafenwirtschaft direkt wie indirekt einen bedeutenden Beitrag
leisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
({0})
Das stetige Wachstum in unserer nationalen Seehafenwirtschaft kommt nicht von ungefähr. Es ist der Lohn
für ein verantwortungsbewusstes und effizientes Management, für zuverlässige, qualifizierte und flexible
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wolfgang Börnsen ({1})
Doch das allein ist noch kein Garant für zukünftigen
Erfolg. Um wirtschaftliche Herausforderungen auch
weiter meistern zu können, müssen die nationalen Maßnahmen an die sich ständig ändernden internationalen
Rahmenbedingungen angepasst werden. Das versteht die
CDU/CSU unter anderem als Aufgabe eines hafenorientierten Maßnahmenkonzepts. Die Konkurrenz
schläft eben nicht.
Unter den sechs wichtigsten europäischen Frachthäfen - Rotterdam, Antwerpen, Hamburg, Marseille,
Amsterdam und Le Havre - befindet sich nur ein deutscher Hafen. Allein Rotterdam schlägt 70 Millionen
Tonnen mehr um als alle deutschen Häfen zusammen.
Unsere großen Häfen an Nord- und Ostsee steigern zwar
ihre Umschläge, unsere Nachbarn jedoch - zugespitzt
formuliert - verdoppeln sie. Es gilt, Deutschlands Häfen
für dieses Jahrhundert fit zu machen. Wir müssen Abwanderung von Wirtschaft verhindern.
({2})
Doch nicht nur durch eine dynamische Seehafenpolitik der anderen Nordseeanrainer geraten unsere Seehäfen
unter Druck, sondern auch durch die EU-Osterweiterung. Die neuen Partner sind mit aller Macht dabei, ihren
Hinterlandverkehr zu den neuen Märkten auszubauen.
Noch haben Ostseehäfen wie Lübeck, Sassnitz und
Rostock von 2000 auf 2002 Zuwachsraten gemeldet.
Doch Kiel, Puttgarden und Wismar verzeichnen bereits
Minuszahlen. Ich finde, diese Entwicklung macht besorgt.
Derzeit tritt bei uns die Seehafenpolitik auf der Stelle.
Trotz großartiger Ankündigungen auf maritimen Konferenzen, in Eckpunktepapieren und in der Koalitionsvereinbarung gibt es keine Entscheidung erstens über die
Anpassung der Unterelbe, zweitens über die Vertiefung
der Außenweser, drittens über den Bau der Hafenquerspange Hamburg und viertens über die Art und den Umfang der Finanzierung der 15 vorrangigen Ausbaumaßnahmen für die Anbindung unserer Häfen.
({3})
Ein entscheidender Grund für diese neue Hafeneiszeit
ist - so Insider - die Konfliktlage innerhalb der Bundesregierung. Der Bundesumweltminister Trittin hat die
Bremse gezogen.
({4})
Er befürchtet, der Ausbau - ob zu Wasser oder Land gehe zulasten der Umwelt. Seitdem zögert und zaudert
Bundesverkehrsminister Stolpe.
({5})
Seit Monaten warten wir auf Entscheidungen. Als neue
Keule, um Wasserstraßenprojekte zu stoppen, soll deren
FFH-Verträglichkeit jetzt ausgetestet werden. Wer
Wasserwege großflächig unter radikalen Schutz stellt,
gefährdet die maritime Wirtschaft und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dazu darf es nicht kommen.
({6})
Doch unterhöhlt wird die Zukunft der Seehäfen nicht
nur von innen, sondern auch von außen. Es gibt keine
fairen Wettbewerbsbedingungen innerhalb Europas.
Wettbewerbsnachteile haben unsere Seehäfen bei Trassenentgelten, der zukünftigen LKW-Maut sowie bei der
Mineralölsteuer. Hier nutzt die Bundesregierung nicht
die vorhandenen Harmonisierungsspielräume. Auch hier
zögert und zaudert Bundesminister Stolpe, weil Bundesminister Trittin Ausnahmen aus Umweltschutz- und
Energiespargründen blockiert.
Wettbewerbsnachteile gibt es insbesondere bei der Erhebung von Trassenentgelten im Hinterlandverkehr auf
der Schiene. Diese Entgelte sind in Deutschland zehnmal höher als in den Niederlanden.
({7})
Aber auch in Belgien und in Polen kostet der Zugkilometer weit weniger. Die Folge: Es kommt zu weiteren
Verlagerungen von Güterbahnverkehr weg von deutschen Seehäfen. Die Deutsche Bahn und der zuständige
Fachminister müssen an einen Tisch. Wir brauchen eine
verträgliche Lösung.
Auch bei der Mineralölsteuer für Dieselkraftstoff bestehen weiter Wettbewerbsnachteile. Unsere Nachbarn
Holland und Belgien haben reduziert, wir nicht. Damit
entstehen für die deutschen Seehäfen höhere Kosten. Die
Folge: Reeder suchen Alternativen im Ausland.
Unsere Forderung nach gleichen Bedingungen im
europäischen Hafenwettbewerb gilt auch für die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Hafenbetreibern. Nach dem Scheitern des „Port Package“, der
Marktzugangsrichtlinie für Hafendienste, muss die Europäische Kommission endlich klare und verbindliche
Beihilferichtlinien für alle Hafenbetriebe in Europa
schaffen.
({8})
Eine staatliche Ungleichbehandlung auf europäischer
Ebene ist nicht akzeptabel.
({9})
Das gilt insbesondere auch für den ab 1. Juli 2004 in
Kraft tretenden ISPS-Code, für die neuen Antiterrormaßnahmen in Bezug auf Schiffe und Hafenanlagen. Allein auf die Hafenbetreiber in Deutschland kommen
Kosten von jährlich 50 Millionen Euro zu. Wir haben
uns hier im Deutschen Bundestag für eine gerechte Verteilung der Kosten eingesetzt und einen Antrag dazu eingebracht. Er wurde von der rot-grünen Regierungskoalition abgelehnt, obwohl man weiß, dass in den
Nachbarländern anders entschieden worden ist. Jetzt
wird den Häfen, aber auch den Reedern zusätzlich der
Aufwand für rein staatliche Verpflichtungen aufgedrückt, zum Beispiel für die Risikobewertung und die
Planerstellung zur Gefahrenabwehr im Rahmen von Antiterrormaßnahmen. Das, finde ich, ist nicht vertretbar.
({10})
Wolfgang Börnsen ({11})
Deutschland befindet sich auch hier in einem nationalen
Alleingang zulasten von Wirtschaft und Arbeit.
Die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat aber auch in anderen Bereichen Entscheidungsbedarf aufgedeckt. So ist die Zukunft der Häfen im
Norden von den Perspektiven der beiden größten Universalhäfen, Hamburg und Bremen/Bremerhaven,
abhängig. Sie allein sichern zurzeit fast 230 000 Arbeitsplätze. Sie sind Arbeitsbeschaffer - dies auch deswegen, weil der Containerverkehr boomt. Jahr um Jahr
steigt er zwischen 7 und 8 Prozent.
Die von der Bundesregierung bis 2015 prognostizierte Zahl von 10,3 Millionen Containern wird bereits
in diesem Jahr übertroffen. Damit stehen wir kurz davor,
dass dieser Seeverkehr trockenläuft. Immer größere
Schiffe werden geordert. Containerschiffe von mehr als
8 000 TEU und einem Tiefgang von 14,5 Metern sind
schon jetzt Standard im internationalen Seeverkehr.
Sowohl Hamburg als auch Bremerhaven können gegenwärtig von Schiffen dieser Größe nur unter erheblichen zeitlichen Beschränkungen und nicht voll beladen
angelaufen werden. Für die Reeder ist ein derartiges
tideabhängiges Anlaufen auf lange Zeit hin nicht vertretbar. Andere Standorte, zum Beispiel Rotterdam, gewinnen damit an neuer Attraktivität.
Das Fahrwasser in Unterelbe und Außenweser ist den
Erfordernissen des modernen Containerverkehrs anzupassen. Elbe und Weser verbinden diese Häfen mit den
Weltmeeren. Dabei darf es nach unserer Auffassung
nicht um eine Ausbaggerung um jeden Preis gehen.
Deichsicherung, Hochwasserschutz und Umweltverträglichkeit sind verantwortungsbewusst zu beachten. Der
Schutz der Menschen an der Küste muss Vorrang behalten.
({12})
Davon wird auch in den zwei von der Bundesregierung eingeforderten aktuellen Studien zur Elbe und Weser ausgegangen. Sie bestätigen: Eine Fahrrinnenverbesserung ist technisch realisierbar, wirtschaftlich
sinnvoll und ökologisch vertretbar. Seit Anfang dieses
Jahres liegen die Resultate vor. Konkret passiert ist
nichts.
Das gilt auch für die Finanzierungsidee aus dem
Hause Stolpe - der Staatssekretär wird ja gleich dazu
Stellung nehmen -, außerhalb des Bundesverkehrswegeplans Sondermittel für die Fahrrinnenverbesserung auszuweisen.
({13})
Für beide Vorhaben gibt es keine Kabinettsbeschlüsse,
weil sich zwei Bundesminister nicht einigen können.
({14})
Die Häfen warten dringend auf eine Grundsatzentscheidung.
({15})
Dieser latente Konflikt zwischen zwei rivalisierenden
Ministerien hat offensichtlich dazu geführt, dass die
Bundesregierung nach Informationen aus der EU-Zentrale den Ausbau der beiden Wasserwege noch nicht in
Brüssel angemeldet hat.
({16})
Die EU fördert solche Maßnahmen im Rahmen der
TEN-Projekte mit erheblichen Mitteln. Da die EU aber
auch für die Umsetzung der FFH-Richtlinie zuständig
ist, meidet man die mögliche Blamage, zwei gegenläufige Konzepte zu präsentieren. Das bedeutet in der Konsequenz mehr Eigen- und weniger Fremdmittel. Der
deutsche Steuerzahler zahlt die Zeche. Unverantwortlich!
({17})
Auch die betroffenen norddeutschen Bundesländer
warten auf einen entsprechenden Beschluss aus Berlin.
Ihre vor einigen Tagen getroffene Absichtserklärung, die
Fahrrinnenvertiefung, den Bau des Jade-Weser-Ports
und die Sicherung der Elbehäfen gemeinsam in Angriff
zu nehmen, ist zu begrüßen; da sind wir uns einig.
Ich gehe davon aus, dass jetzt auch die Bündnisgrünen in Kiel, Herr Kollege Steenblock, die bisher zu den
Bedenkenträgern einer Ausbaggerung gehörten, diesen
Beschluss mittragen.
Damit besteht endlich die Hoffnung, dass auch hier in
Berlin Jürgen Trittin von der Bremse tritt.
Unsere Seehäfen in Ostsee wie in Nordsee nehmen
eine Schlüsselfunktion für das Exportland Deutschland
ein. Wer ihre Hinterlandanbindung optimiert und ihren
Seezugang sicherstellt, stärkt damit auch ihre Wettbewerbsfähigkeit. Wir von der Union halten an diesem Ziel
fest, um Wachstum zu erreichen und Arbeit für die Menschen in unserem Land zu sichern und zu schaffen.
Ich bedanke mich dafür, dass Sie zugehört haben.
({18})
Angesichts dieses kraftvollen Auftritts liegt ja die
Vermutung nahe: Wenn das den deutschen Häfen nicht
hilft, dann ist ihnen wahrscheinlich nicht weiterzuhelfen.
Letzte Zweifel werden nun sicher ausgeräumt durch
den Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann,
dem ich hiermit das Wort erteile.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
beginne mit dem Teil, in dem Herr Börnsen und ich uns
sicherlich völlig einig sind: Kaum ein anderer Bereich
der Wirtschaft wird heute noch so sehr unterschätzt wie
der Bereich der Binnen- und der Seehäfen. Deshalb gilt:
Zunächst einmal herzlichen Dank an Herrn Börnsen und
an die CDU/CSU für die Große Anfrage; denn sie gibt
uns Gelegenheit, heute noch einmal unsere Meinungen
auszutauschen.
Häfen sind logistische Dienstleistungszentren. Sie
sind Industriestandorte. Sie sind Schnittstelle zwischen
Wasser und Land. Sie haben regionale und volkswirtschaftliche Bedeutung und - das ist für unsere exportorientierte Volkswirtschaft besonders wichtig - sie sind
Drehscheibe des internationalen Güterverkehrs. Sie sind
aber noch mehr. Die Hafenwirtschaft und die maritime
Wirtschaft insgesamt ist ein Hightech-orientierter Wirtschaftszweig, hochmodern und mit enormer Innovationskraft.
Die Wertschöpfungsketten der Branche reichen weit
in das Land hinein. Allein in den deutschen Seehäfen
sind direkt oder indirekt circa 300 000 Menschen beschäftigt. Diese Zahl hat auch Herr Börnsen schon genannt. Wir hoffen auf den pädagogischen Effekt der
Mehrfachnennung eines Tatbestandes, damit sich dieser
in den Köpfen einprägt.
({0})
Die Häfen erbringen Dienstleistungen mit immer höherem Differenzierungsgrad. Insgesamt kann man also
feststellen: Die Häfen sichern und stärken Beschäftigung, Einkommen und Steuerkraft der Bundesrepublik
Deutschland.
Zu den Seehäfen: Wir haben 1999 eine gemeinsame
Plattform zur deutschen Seehafenpolitik beschlossen.
Sie wurde im Rahmen der maritimen Konferenzen konkret mit Projekten unterlegt, so geschehen beispielsweise in Rostock mit der Identifizierung der notwendigen land- und seeseitigen Zufahrten der Seehäfen.
Im Bundesverkehrswegeplan sind diese 15 Projekte
als Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen wiederzufinden. Sie sind bis auf ein Projekt alle im vordringlichen Bedarf. Hier kann also Vollzug gemeldet
werden,
({1})
wenn das Parlament, wovon wir ausgehen, morgen in
zweiter und dritter Lesung den Ausbaugesetzen zustimmt. Nun wissen wir, dass über die wasserwirtschaftlichen Projekte nicht abgestimmt wird,
({2})
aber sie sind Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans.
Ich bin sicher, dass wir morgen darüber noch einmal reden und dann auch im Bundestag grünes Licht für diese
Projekte geben.
Die beiden von der Freien und Hansestadt Hamburg
und der Freien Hansestadt Bremen beantragten Vorhaben zur Fahrrinnenvertiefung in Unterelbe und
Außenweser konnten aus zeitlichen Gründen nicht im
BVWP berücksichtigt werden. Das kann man dort nachlesen, Herr Börnsen. Sie wurden außerhalb des Bundesverkehrswegeplans, aber nach BVWP-Methodik, untersucht und sind jetzt auf dem Weg zu der notwendigen
Kabinettsentscheidung.
Ich habe den Ausschuss darüber informiert, kurz
nachdem die entsprechenden Unterlagen erarbeitet worden waren, und kann Ihnen in Ihrer Einschätzung zu diesem Thema überhaupt nicht zustimmen, Herr Börnsen.
Bei gewissen Passagen Ihrer Rede wirkten Sie ein bisschen wie Käpt’n Blaubär. Wir wissen ja: Käpt’n Blaubär
ist sehr sympathisch; nur deshalb ziehe ich den Vergleich. Ich kann Ihnen überhaupt nicht zustimmen, wenn
Sie meinen, große Konflikte zwischen BMU und
BMVBW erkennen zu können. Jeder Minister dieser Regierung hat ein eigenes Ressort und eine eigene Zuständigkeit und es macht Sinn, dass wir uns vernünftig miteinander darüber einigen, in welchem Rahmen wir
Projekte weiter betreiben. Das alles ist auch im Bundesverkehrswegeplan festgelegt worden, der Ausschuss ist
informiert und wir sind auf dem Weg zur Kabinettsentscheidung.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Entwicklung in den deutschen Seehäfen ist also sehr positiv. Das Wachstum ist rasant. Auch hier kann ich Ihre
Zahlen bestätigen. Die Umschlagszahlen im Containerverkehr, die wir im Jahre 2000 für den Zeitraum 2010 bis
2015 prognostiziert hatten, wurden von Hamburg und
den bremischen Häfen schon 2003 fast erreicht. Diese
Häfen stehen in harter Konkurrenz zu den anderen europäischen Häfen. Sie haben sich sehr gut behauptet.
Herr Steenblock, jetzt komme ich zu einem Punkt, wo
wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind. Weil die
bremischen Häfen und der Hamburger Hafen in Konkurrenz zueinander stehen, sind sie so gut geworden. Deshalb ist es falsch, davon zu reden, man müsse sich für
Bremen oder Hamburg entscheiden.
({4})
Wir brauchen diese Standorte und die Konkurrenz untereinander. Der Wettbewerb hilft uns sehr dabei, uns gegen
andere europäische Hafenstandorte durchzusetzen.
Ich spreche sicher für das ganze Haus, wenn ich sage,
dass wir alles unternehmen sollten, damit wir uns auch
weiter im europäischen Wettbewerb durchsetzen können. Dazu gehört auch, dass es zwischen den europäischen Häfen fair zugeht. Leistung muss vor Subvention
stehen.
Beim Thema Subventionen kann man aber nicht das
Stichwort Trassenpreise zitieren. Es kommt mir sowieso
zu häufig vor. Wir sollten den ausländischen Subventionen nicht deutsche Subventionen hinterherwerfen,
sondern den umgekehrten Weg gehen und Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Bei der Novellierung der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung haben wir die
Möglichkeit geschaffen, die Trassenpreise für die Betreiber der Schienenwege zu differenzieren.
Nun reicht die Zeit leider nicht aus, um alle Aspekte
der Hafenpolitik zu beleuchten. Aber ich will noch auf
das Short-Sea-Shipping-Promotion-Center aufmerksam
machen. Das ist ein PPP-Projekt von Bund, sechs Ländern und der Privatwirtschaft. Es ist ein sehr erfolgreiches Projekt. Es hat dem Straßennetz in den letzten drei
Jahren 44 Millionen Tonnenkilometer erspart - eine
enormer logistischer Erfolg.
({5})
Meine Damen und Herren, wir werden auf der Vierten
Maritimen Konferenz unsere erfolgreiche Politik zielgerichtet weiterführen. Frau Staatssekretärin Mertens - die
eigentlich diese Rede halten sollte und leider verhindert
ist, weil sie im Haushaltsausschuss „vorsingen“ muss fühlt sich bei den Terminen, die sie auf Veranstaltungen
der maritimen Wirtschaft wahrnimmt, wohl, weil es da
keinen höflichen Applaus, sondern breite Zustimmung
zu der Politik der Bundesregierung gibt.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Michael Goldmann,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Antwort auf die umfangreiche, gründliche und interessante Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ist eher
dürftig und bescheiden. Sie ist in der „DVZ“ schon entsprechend gewürdigt worden.
Ich freue mich aber, dass unsere Häfen gut aufgestellt
sind, was nicht zwingend etwas mit der Leistung der
Bundesregierung für die Häfen zu tun hat, sondern eine
Leistung der Hafenwirtschaft insgesamt ist.
({0})
Damit wird die Hafenwirtschaft als zentraler Wirtschaftsfaktor in Deutschland der besonderen Bedeutung
der Häfen gerecht.
Unsere Häfen werden jetzt durch die EU-Osterweiterung und die Globalisierung vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Sie werden diesen Herausforderungen
nur gerecht werden können, wenn die Zufahrtswege sowohl zur See als auch aus dem Binnenland deutlich verbessert werden.
Ich war bei der Maritimen Konferenz in Rostock dabei, als gleich nach der Sitzung verkündet wurde, was
jetzt alles ganz schnell komme. Ich freue mich, dass das
meiste davon im Bundesverkehrswegeplan im vordringlichen Bedarf verankert ist, bin aber traurig darüber, dass
die Finanzmittel, die bis jetzt in Aussicht gestellt sind,
bei weitem nicht ausreichen, um diese Maßnahmen, die
dringend geboten sind, auch nur annähernd umzusetzen.
({1})
Deshalb, Herr Staatssekretär: Lassen Sie uns nicht gegenseitig Sand in die Augen streuen oder Wasser in die
Augen spritzen, sondern gemeinsam daran arbeiten, dass
der Bundesverkehrswegeplan möglichst schnell umgesetzt wird! Da brauchen wir uns überhaupt nicht auseinander zu dividieren.
Es besteht ein Riesenkonflikt zwischen Ihrem Haus
und dem Umweltministerium. Dieser Konflikt wird von
Herrn Trittin auch ganz bewusst geschürt. Wir wissen
doch alle, dass das Hochwasser an der Elbe nichts mit
der Schiffbarkeit zu tun hatte. Die Durchführung der
notwendigen Verbesserungsmaßnahmen bzw. das Herstellen der alten Situation hat endlos lange gedauert und
auch jetzt herrscht an der Elbe noch Stillstand.
Die IHK Oldenburg und die IHK Bremen haben mir
einen Schriftsatz zugeleitet, der sicher auch an andere
gegangen ist. Darin stellen sie die umweltpolitischen Regelungen und geplanten Maßnahmen zusammen, die
sich auf die Verkehrspolitik mit Schwerpunkt Schifffahrt
auswirken. Das tun sie doch nicht, weil sie nichts Besseres zu tun haben, sondern weil sie in großer Sorge sind.
Ich will die Stichworte aufzählen: FFH-Richtlinie, EGVogelschutzrichtlinie, Wasserrahmenrichtlinie, Artikelgesetz zum Hochwasserschutz, Hochwassertestate,
ökologische Hochwasservorsorge, trilaterale Wattenmeerkonferenz, Kompensationsmodell niedersächsisches Wattenmeer, der im Bundesverkehrswegeplan verankerte Wunsch, ein Wasserstraßenausbaugesetz zu
bekommen. Diese Fülle an Punkten macht deutlich, dass
erheblicher Arbeitsbedarf besteht, um die anderen europäischen Häfen auch nur andeutungsweise zu erreichen.
Über Ihre Ausführungen zu einem anderen Punkt,
Herr Staatssekretär, bin ich besonders froh - lassen Sie
uns auch in dieser Frage Gemeinsamkeit üben -: Es gibt
kein Gegeneinander der Bremer Häfen gegen den Hamburger Hafen und es gibt kein Gegeneinander Bremens
und Hamburgs gegen den Jade-Weser-Port. Es gibt nur
ein Miteinander, um gemeinsam etwas für die Binnenund die Seehäfen in Deutschland zu tun.
({2})
Morgen, am 1. Juli, tritt der ISPS-Code in Kraft.
Dazu müssen wir schlicht und ergreifend sagen: Hier
sind wir gescheitert. Diejenigen, die in dieser Frage
keine zusätzlichen Belastungen wollten, sind gescheitert.
Es ist eigentlich ein Skandal, dass eine Staatsaufgabe
wie die der Terrorabwehr, die an allen anderen Stellen
als eine selbstverständliche Leistung der gesamten Gesellschaft verstanden würde und somit über Steuermittel
zu finanzieren wäre, jetzt wieder unseren Häfen angelastet wird. Einige aber werden sich darüber freuen: Das
sind die „Dicken“ in anderen europäischen Ländern.
Diese werden sich wieder einmal darüber amüsieren,
dass die deutsche Politik den Häfen bei uns vor Ort zusätzliche Belastungen aufbürdet.
Trotzdem herzlichen Dank für die Anfrage. Sie hat
dazu beigetragen, die Situation unserer Häfen ein bisschen mehr in das Bewusstsein zu rücken.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte mich bei dem Kollegen Börnsen und
seinen Fraktionsfreundinnen und -freunden dafür bedanken, dass sie diese Anfrage gestellt haben. Es ist schon
wichtig, über die Situation und die Perspektive der deutschen Seehäfen hier in diesem Hohen Hause zu sprechen. Denn das Arbeitsplatz- und Wirtschaftspotenzial,
welches dort an der Küste aufgebaut worden ist, ist für
dieses Land ökonomisch und verkehrspolitisch von
enormer Bedeutung. Leider spiegelt sich diese Bedeutung nicht in der Repräsentanz - das betrifft alle Fraktionen; das muss man deutlich sagen - bei der heutigen Debatte wider. Es ist ein bisschen schade, dass sich die
ökonomische Bedeutung dieser hafenpolitischen Fragen
im Interesse dieses Hohen Hauses nicht mehr niederschlägt. Ich glaube, wir alle haben in unseren Fraktionen
viel zu tun, um dafür eine größere Sensibilität herzustellen.
Die deutschen See- und Binnenhäfen sind für uns als
Wirtschaftsstandort unverzichtbar. Sie sind einer der
zentralen Motoren, um unsere Wirtschaft am Laufen zu
halten. Für eine Exportnation wie Deutschland ist es
wichtig, eine solche Basis zu haben; aber natürlich dienen die Häfen auch dazu, die Güter aus aller Welt hierher nach Deutschland zu importieren.
Die Häfen sind die Schnittstellen des nationalen und
internationalen Güterverkehrs. Trotz des harten internationalen Wettbewerbs haben sich die deutschen Seehäfen
gut behauptet. Die zunehmenden Umschlagszahlen machen das deutlich. Auch in Konkurrenz zu Rotterdam,
wenn man das einmal vergleicht, sind Häfen wie Hamburg gut aufgestellt.
Unsere Aufgabe ist es, die Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten und sie vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen auszubauen. Wir sind allerdings der Auffassung, dass eine verstärkte Koordinierung staatlicher Initiativen dabei dringend geboten ist.
Dieses hat schon die „Gemeinsame Plattform des
Bundes und der Küstenländer“ vom Februar 1999 so
festgestellt; dort ist schon darauf hingewiesen worden.
Im Grunde haben wir uns drei Aufgabenblöcken zu stellen: Das ist einmal, dafür zu sorgen, dass die Hinterlandanbindung unserer Häfen vernünftig ausgebaut
wird. Für diese Hinterlandanbindung ist - der Staatssekretär hat es gesagt - im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans Erhebliches geleistet worden. Ich würde mich
freuen, wenn diese Maßnahmen auch in dem avisierten
Zeitraum umgesetzt würden.
({0})
- Wir freuen uns schon, wenn wir zumindest die Elektrifizierung der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck verwirklichen können; das ist für den Ostseeverkehr von zentraler
Bedeutung. Wegen der Y-Trasse werden wir dann einmal
zusammen bei der Bahn vorstellig.
({1})
- Ich habe damit keine Probleme, Herr Goldmann, nie
gehabt.
({2})
Da können Sie alle Pressemitteilungen von mir gerne
nachlesen; da haben wir keinen Dissens.
Die zweite große Herausforderung ist die Beschleunigung und Vereinfachung des Umschlags in den Häfen;
dabei sind im Wesentlichen die Hafenbetriebe selber gefordert. Die dritte - aus meiner Sicht vielleicht größte Herausforderung stellen wegen der Entwicklung der Infrastruktur für den Zulauf auf die Häfen die neuen großen Containerschiffe dar.
Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund
knapper Haushaltsmittel muss die verkehrspolitische
Notwendigkeit der Ausbauvorhaben sehr sorgfältig
überprüft werden. Das gilt insbesondere für den Bau des
Jade-Weser-Ports und die Vertiefung der Außenweser
und der Unterelbe. Bereits in Anbetracht der Überschneidungen der geographischen und ökonomischen
Einzugsgebiete der Häfen drängt sich die Frage nach einem arbeitsteiligen Zusammenwirken der Nordseehäfen
auf. Ganz besonders deutlich wird das an den in der
Machbarkeitsstudie zu den Ausbauvorhaben aufgezeigten ökonomischen Potenzialen: Das Nutzen-Kosten-Verhältnis beider Vorhaben reduziert sich drastisch, um
75 Prozent, wenn beide Vorhaben umgesetzt werden,
also der Jade-Weser-Port gebaut und die Unterelbe vertieft wird. Die Machbarkeitsstudien zeigen, dass es eine
deutliche Interdependenz zwischen unseren Nordrangehäfen gibt; das zeigt auch, dass an der These, dass Konkurrenz das Mittel ist, um hier neue Potenziale zu entwickeln, zumindest Zweifel bestehen. Die Zahlen sagen für
mich sehr eindeutig: Die Verwirklichung aller Maßnahmen führt zu einer erheblichen Einschränkung der Wirtschaftlichkeit jeder einzelnen Maßnahme. Wenn wir ehrlich sind, bedeutet das in der Konsequenz: Wir können
nicht allen alles versprechen, sondern wir müssen uns
für einzelne Maßnahmen entscheiden.
Ich will an dieser Stelle gar nicht verhehlen, dass eine
weitere Vertiefung der Unterelbe besonders aus ökologischen Gründen und aus Gründen der Deichsicherheit für
mich ein ausgesprochen problematisches Unterfangen
ist. Wir haben noch längst nicht alle im Zusammenhang
damit zu überprüfenden Fragen abgehandelt. FFH-Verträglichkeitsprüfungen sind notwendig, um an dieser
Stelle überhaupt eine Investitionssicherheit für mögliche
Investoren bzw. den Bund herzustellen. Es gibt Unstimmigkeiten im Baggergutkonzept. Grundwasserleiter in
Elbnähe werden stärker versalzt als bisher angenommen.
Die Deichsicherheit ist alles andere als gegeben; die
Uferabbrüche und Deichverformungen entlang der Unterelbe nach der letzten Elbvertiefung zeigen das.
Deshalb glaube ich, dass sich die Leistungsfähigkeit
unserer Häfen nur dann sicherstellen lässt, wenn wir auf
eine Hafenkooperation lossteuern, die anhand der verkehrspolitischen Notwendigkeiten erfolgt. Es geht nicht
darum, Hafenstandorte dichtzumachen, sondern es geht
darum, eine Arbeitsteilung, eine Kooperation zwischen
einem möglichen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven
und den anderen Universalhäfen Bremerhaven und
Hamburg herzustellen.
({3})
Das ist eine verantwortliche Politik. Da muss man sich
aber entscheiden. Man kann nicht, lieber Herr
Goldmann, allen alles versprechen, das Geld dazu haben
wir überhaupt nicht.
({4})
- Ich habe immer kritisiert, dass die Hamburger, also die
HALA, sich in Wilhelmshaven nicht beteiligt haben. Ich
bin derjenige, der dafür kämpft, dass wir ein gemeinsames Konzept bekommen, dann auch für Wilhelmshaven:
Das ist der Tiefwasserhafen, den wir brauchen. Aber wir
brauchen keine zwei Tiefwasserhäfen; das kriegen wir
nicht hin.
Vielen Dank.
({5})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Heitmann, auch ich freue mich, dass uns die
CDU/CSU mit ihrer Anfrage Gelegenheit gibt, die Situation der deutschen Häfen heute zu - ({0})
- Herr Goldmann, er ist vom ZDS. Falls Sie Herrn
Heitmann noch nicht gesehen haben: Er sitzt da oben.
({1})
- Ja, natürlich, klar, in diesem Fall schon. Es geht um die
Zukunft der deutschen Häfen. Deshalb setze ich auch
das Interesse der Hafenbetriebe voraus.
({2})
Herr Börnsen, Sie haben die Situation der deutschen
Häfen ein bisschen zu negativ dargestellt. Wir müssen
auch ein wenig daran denken, dass sich der Handel mit
China und auch mit Russland praktisch explosionsartig
entwickelt hat. Unsere deutschen Häfen gehören zu den
Hauptgewinnern des zunehmenden Handels. Sie haben
sich in der Nordrange hervorragend behauptet.
Die Häfen sind auch absolut nicht nur zum Laden,
Löschen und Transportieren da. Die Häfen sind der
Schlüssel und die Drehscheibe im globalen Wettbewerb. Import, Export, logistische Dienstleistungen,
Finanz- und Versicherungswirtschaft, Informationsund Kommunikationswirtschaft, Forschung, technische
Dienstleistung, das alles macht Häfen aus, ganz zu
schweigen von der direkten maritimen Industrie und
Dienstleistung. Es ist schon mehrfach gesagt worden
und auch ich darf es wiederholen, damit man es weiß:
Allein im deutschen Küstenbereich haben wir
300 000 Arbeitsplätze, ganz zu schweigen von denen,
die im Hinterland in den anderen Bundesländern noch
dazugehören.
({3})
Die Maritimen Konferenzen und der Maritime Koordinator geben der maritimen Wirtschaft und ihrer
Wertschöpfungskette auch im nach- und vorgelagerten
Bereich neuen Schub, aber auch nachhaltige Unterstützung. Die Häfen werden deshalb Schwerpunkt der Vierten Nationalen Maritimen Konferenz in Bremen sein, die
zu Beginn des nächsten Jahres stattfindet.
({4})
Um auf unsere aktive Hafenpolitik zurückzukommen:
Im Bundesverkehrswegeplan wurden die 14 wichtigsten Hinterlandanbindungen der Seehäfen und der Ausbau der dortigen Verkehrsknoten mit höchster Priorität
versehen. Wir wollen alles daransetzen, dass es eine
schnellstmögliche Realisierung gibt.
({5})
Der Bund fördert den kombinierten Verkehr auch zum
Nutzen der Häfen. Das Short-Sea-Shipping-PromotionCenter, ein Projekt einer öffentlich-privaten Partnerschaft von Bund, Ländern und Wirtschaft, kann auf
sichtbare Erfolge besonders auch in den Ostseehäfen
stolz sein. Der kontinuierliche Zuwachs an Personenverkehren zeigt das große Entwicklungspotenzial für Fährschifflinien und den Ostseetourismus.
Eine Daueraufgabe bleibt allerdings - das muss man
zugeben - die Harmonisierung der ordnungs- und fiskalpolitischen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs in
den europäischen Häfen.
({6})
Sie ist durch die konjunkturelle Lage und den fehlenden
finanziellen Spielraum, aber auch durch die EU-Osterweiterung nicht gerade einfacher geworden.
Mit dem Scheitern der europäischen Hafendienstrichtlinie bleiben beihilferechtliche Fragen in den finanziellen Beziehungen zwischen den Staaten und den Hafendienstleistern zweifellos offen. Wir sind uns völlig
einig darin, dass die europäischen Seehäfen gleiche
Wettbewerbsbedingungen untereinander brauchen. Das
muss die EU regeln. Sie soll aber nicht in die nationalen
Seehäfen hineinregieren. Deshalb wird der von der EUKommission angekündigte Neustart der Beratungen über
die Hafendienstrichtlinie wieder unseren vollen politischen Einsatz fordern.
({7})
Die CDU/CSU hat im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit auch nach dem deutsche Lotswesen
gefragt. Die verladende Wirtschaft, die in unseren Tidegewässern ganz besonders auf absolute Pünktlichkeit angewiesen ist, kann sich darauf verlassen, dass sie jederzeit, das heißt ohne Wartezeit, erfahrene, hoch
qualifizierte Lotsen bekommt. Unser staatlich geregeltes
Lotswesen garantiert auch aufgrund der wirtschaftlichen
Unabhängigkeit der Verlader Sicherheit und Preisgünstigkeit für alle Beteiligten.
Zwei abschreckende Gegenbeispiele: Australien hat
für das Great Barrier Reef die Lotsenannahme verpflichtend gemacht, das Lotswesen aber privatisiert. Die Folgen sind: 400-prozentiger Anstieg der Unfälle, dramatische Probleme beim Nachwuchs und Fatigue - bei
einem Revier von 400 Seemeilen kein Wunder. Ein anderes Beispiel ist der Welthafen Singapur. Dort sind die
Folgen: Zwölf Stunden Voranmeldung, stundenlange
Wartezeiten, wenn das Schiff unpünktlich ist, und dramatische Ausfallkosten. Unser System ist auch hier
weltweit vorbildlich.
Geradezu beispielhaft sind meines Erachtens die Kooperationen zwischen Bund, Ländern und maritimer
Wirtschaft. Ich nenne nur die gemeinsame Plattform
zur Seehafenpolitik, die internationalen Konferenzen
rund um die Ostsee, die Nordsee- und die Ostseehafenstudie der Bundesregierung, die Entwicklung länderübergreifender Transportlösungen, die gemeinsame Forschung und Entwicklung optimaler Logistik und - ganz
aktuell - die unglaublich schnelle Umsetzung des ISPSCodes. Unsere deutschen Häfen sind zertifiziert. Damit
sichern sie den Wettbewerb im internationalen Verkehr.
({8})
- Herr Goldmann, man muss auch einmal das Positive
sehen. Das ist einfach so. Sie sind ganz im Gegensatz zu
vielen anderen fit für den Wettbewerb. Die IMO hat gerade beklagt, dass erst 16 Prozent der Häfen zertifiziert
sind. Unsere Häfen gehören alle dazu.
Die Vielfalt unserer Häfen ist besonders im Blick auf
ihre Kooperationsfähigkeit und Vernetzung weiter entwicklungsfähig. Für die Ostseehäfen bringt das europäische Binnenmeer mehr Verkehr. Ihre Kooperation mit
den Nordseehäfen - ich nenne als Beispiel nur die Kooperation zwischen Lübeck und Hamburg - verbindet
die skandinavischen, baltischen und russischen Anrainer
mit der Weltschifffahrt, aber nur wenn dies die verladende Wirtschaft als Vorteil erkennt und annimmt.
({9})
Die gleiche Kooperation, aber auch wechselseitige
Akzeptanz ist bei den Nordseehäfen notwendig, um
sich langfristig gegenüber der Konkurrenz in Rotterdam
und Antwerpen zu behaupten. Hamburg hat seine ganz
besondere Stärke als kontinentales Tor zur Welt. 40 Prozent des Güterumschlags verbleiben - anders als in allen
anderen vergleichbaren Häfen - im Nahbereich. Rotterdam und Antwerpen sind reine Transithäfen, denen unsere norddeutschen Häfen und in wenigen Jahren auch
der neue Tiefwasserhafen - damit meine ich eindeutig
Wilhelmshaven, nicht Hamburg - hoffentlich bald gemeinsam mit gebündelter Kraft unter Einsatz der jeweiligen Vorteile erfolgreich Konkurrenz machen.
Dazu gehört auch, dass der Start Wilhelmshavens gemeinsam zum Erfolg gemacht wird. Ich setze hier sowohl auf die Verantwortung des Bundes als auch auf die
Einsicht Hamburgs und die bewährte Kooperationsfreudigkeit der maritimen Wirtschaft, damit die Erfolgsstory
„deutsche Häfen“ zu einem Dauerbrenner und Kassenschlager wird.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 - der Tagesordnungspunkt 8 wird morgen behandelt - auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Internationalen Druck auf die Regierung in
Simbabwe aufrechterhalten
- Drucksache 15/3446 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Brigitte Wimmer, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle Berichte, die uns aus Simbabwe erreichen - ob von
Nichtregierungsorganisationen, den kirchlichen Organisationen, der Friedrich-Ebert-Stiftung oder von Menschen aus Simbabwe -, haben eine furchtbare und erschreckende Entwicklung in Simbabwe zum Inhalt.
Oder um den Bundeskanzler zu zitieren: Die Situation in
Simbabwe ist inakzeptabel.
Zwei Aussagen aus dem AI-Jahresbericht 2004 untermauern dies. AI berichtet von Verfolgungen, Folterungen und davon, dass Journalisten eingeschüchtert und
eingesperrt werden. Zudem wird auch ein aktueller Fall
eines Kollegen von uns im Jahresbericht 2004 behandelt
- dazu muss man sagen: Es gibt nahezu keinen Kollegen
der Opposition in Simbabwe, der nicht schon verfolgt,
eingesperrt oder geschlagen wurde -:
Brigitte Wimmer ({0})
Am 15. Januar nahm die Polizei den MDC-Abgeordneten Job Sikhala, den für das Forum der nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen in Simbabwe … tätigen Rechtsanwalt Gabriel Shumba
und drei MDC-Anhänger - Bishop Shumba, Taurai
Magaya und Charles Mutama - fest. Nach vorliegenden Berichten wurden die fünf Männer im Polizeigewahrsam gefoltert. Aus medizinischen Gutachten ging hervor, dass Job Sikhala und Gabriel
Shumba Verletzungen an den Genitalien, dem
Mund und den Füßen davongetragen hatten, deren
Merkmale typisch für Elektroschocks sind. Beide
sollen zudem gezwungen worden sein, ihren Urin
zu trinken. Im Februar wies das Obere Gericht in
Harare die auf Hochverrat lautende Anklage gegen
die fünf Männer aus Mangel an Beweisen ab.
Von der Regierung in Simbabwe und von einigen Unbelehrbaren hier wird all das als Propaganda abgetan.
Deshalb möchte ich einer Stimme aus Simbabwe hier
Gehör verschaffen. Es handelt sich um einen offenen
Brief, der in Nr. 2 von „afrika süd“ abgedruckt wurde.
Er stammt von einer Frau aus Simbabwe, die für die
Menschenrechte und insbesondere die der Frauen eintritt.
Die Überschrift lautet: „Ihr lasst uns im Stich“. Der
Brief ist an die Frauen in der Regierung Südafrikas gerichtet. Ich zitiere in Auszügen:
Schwestern, ihr lasst uns im Stich. Die Frauen Simbabwes leiden. Tausende von uns sind körperlich
missbraucht und vergewaltigt worden, sind unfähig,
den nächsten Tag zu überleben …
Verehrte Zuma, ich spreche nicht von den britischen „kith and kin“, über die du so gerne sprichst.
Ich spreche nur von deinesgleichen. Schwarze
Frauen, Frauen, die weder in der vor- noch nachkolonialen Zeit Land besessen haben und die immer
noch nicht von dem gefeierten Land erhalten haben,
das umverteilt wurde. …
Hunderte Krankenschwestern und Lehrerinnen sind
nach den Wahlen 2000 bis heute aus ländlichen Gebieten geflohen. Grund war die politisch motivierte,
organisierte Gewalt, die über das Land schwappte.
Bis heute sind die meisten von ihnen immer noch
ohne Arbeit. … Die Zurückgebliebenen erleiden
weiterhin emotionale und physische Gewalt von so
genannten Kriegsveteranen und den Green Bombers. Junge Mädchen, einige erst neun oder zehn
Jahre alt, sind von plündernden, vom Staat bezahlten Schlägertrupps vergewaltigt und dadurch mit
HIV infiziert worden. …
Ihr kennt genauso gut wie ich den Preis, den Frauen
zahlen, wenn sie öffentlich über erlittene Menschenrechtsverletzungen sprechen. … Im Fall von
Simbabwe … lauten die Fragen ein wenig anders:
Welcher Partei gehört sie an? Wurde sie etwa von
den Briten bezahlt? Ist es wirklich wahr, dass
Robert Mugabe, Führer eines Befreiungskrieges, so
etwas tun kann? Und im Fall der sozioökonomischen Krise: Diese Zahlen sind doch sicherlich
übertrieben? Ist das alles nicht westliche Propaganda?
Darum, meine lieben Schwestern, habe ich gesagt,
dass ihr uns im Stich gelassen habt. Wir sind entsetzt über die Kommentare, die einige von euch
über unsere gegenwärtige Situation in Simbabwe
gemacht haben. …
Eure öffentlichen Verleumdungen und Anklagen
gegenüber denjenigen, die es wagen, offen zu sprechen, schmerzen. Uns zu sagen, dass das, was wir
durchmachen, „britische Propaganda“ sei, ist genauso schlimm, wie eine südafrikanische Frau, die
vergewaltigt wurde, als Lügnerin zu bezeichnen. …
Redet mit uns. ... Während unsere Rechte weiter im
Namen der nationalen Souveränität missachtet werden, bitten wir euch nur um das eine: Verleugnet
unseren Schmerz nicht! Stellt uns nicht ruhig und
sprecht uns nicht den Raum ab, um unsere Leiden
und Täter beim Namen zu nennen! Möge nichts von
dem, was wir gerade erleben, jemals euch oder einer anderen Frau in Südafrika zustoßen. …
Warum habe ich das so ausführlich zitiert? Ich denke, es
ist wichtig, solch einer Stimme Gehör zu verschaffen. Es
ist aber auch wichtig, zu sagen: Wir halten solche Debatten und stellen solche Anträge auch, um klar zu machen,
dass wir nicht vergessen, was in Simbabwe passiert.
({1})
Damit diese Entwicklung in Simbabwe beendet wird
und die Menschen dort eine Zukunftsperspektive haben,
müssen wir uns die Frage stellen, wie wir über Nothilfe
und humanitäre Hilfe hinaus einen Beitrag leisten können. Die Frage ist aber erst recht, welchen Beitrag die
europäischen Staaten vor allem zusammen mit den afrikanischen Staaten leisten können und wie die SADC und
die Afrikanische Union selber zur Lösung beitragen können.
Im Moment müssen im Vordergrund - darin waren
der Kollege Vaatz und ich uns über die Parteigrenzen
hinweg schon bei unserem Besuch einig - die Vorbereitungen für freie und faire Wahlen im Frühjahr 2005
stehen. Die SADC-Staaten haben am 25. März 2001
Normen und Standards für freie und faire Wahlen beschlossen. Diese Normen und Standards müssen bei der
Vorbereitung und Durchführung der Wahlen in Simbabwe gelten. Die internationale Gemeinschaft muss die
SADC-Staaten ermuntern, unterstützen und erinnern, damit dieser Beschluss auch in Simbabwe Gültigkeit hat,
und zwar nicht nur für den Wahltag, sondern schon jetzt
in Vorbereitung auf den Wahlkampf selber, damit die
Wahlen frei und fair sein können.
Kenia, Malawi, Botswana, Ghana, Senegal und andere Staaten des südlichen Afrika sind bereits deutlich in
ihren Äußerungen und in ihrer Kritik an der Situation in
Simbabwe. Sambia und Mosambik nehmen die enteigneten simbabwischen Farmer mit offenen Armen auf. In
Südafrika haben sich Erzbischof Tutu und viele andere
eindeutig geäußert. Ich denke und hoffe, dass Präsident
Mbeki zur Kenntnis genommen hat, dass sich seine
Brigitte Wimmer ({2})
Hoffnung, bis Ende Juni 2004 sei das Problem
Simbabwe gelöst, nicht erfüllt hat.
Deshalb richte ich zum Schluss das klare Angebot an
die Afrikanische Union und die Staaten des südlichen
Afrika: Nehmt die Lösung dieser Probleme in eure eigenen Hände! Nehmt eure Beschlüsse ernst, die ihr selber
gefasst habt! Wir versuchen schließlich nicht, aus einem
Überlegenheitsgefühl heraus und in einer Überfliegermanier den Staaten etwas überzustülpen. Vielmehr haben sich die Staaten der Afrikanischen Union bzw. die
Staaten des südlichen Afrika eigene Regeln gegeben.
Wir wollen, dass sie ihre eigenen Regeln einhalten und
im Falle von Simbabwe auch durchsetzen.
Wir, die Bundesrepublik, die Europäische Union und
die Vereinten Nationen helfen ihnen und unterstützen sie
gerne. Aber wir wollen, dass die afrikanischen Staaten
um der Zukunft der Menschen in Simbabwe willen endlich die Lösung des Problems Simbabwe in Angriff nehmen.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jedes
Wort, das die Frau Kollegin Wimmer hier gesagt hat,
möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Genauso verheerend, wie sie es beschrieben hat, war unser Eindruck
von Simbabwe, den wir bei unserer jüngsten Reise in das
südliche Afrika gewinnen mussten. Dass wir auf die
Weigerung des Regimes Mugabe, die Frau Kollegin
Wimmer und mich nach Simbabwe einreisen zu lassen,
nun mit einem gemeinsamen Antrag reagieren, ist ein
unmissverständliches und auch notwendiges Signal. Ich
möchte auch begründen, warum das der Fall ist.
Trotz allen rassistischen Wortgeklingels des Dikators
Mugabe gegenüber der demokratischen Weltöffentlichkeit ist seine eigene Eitelkeit zutiefst beschädigt, wenn
er in der Öffentlichkeit nicht als allseits geachteter
Staatsmann, sondern eher als ein kritisch betrachteter
und verachteter Diktator angesehen wird. Demzufolge
darf man nicht nachlassen, ihm die Verfehlungen, die er
sich tatsächlich zuschulden kommen lässt, auch vorzuhalten.
Mit diplomatischer Routine allein ist es nicht getan.
Ich bin dankbar dafür, dass die Bundesregierung reagiert
hat und wie sie es getan hat. Aber die Lage in Simbabwe
ist, wie gesagt, trotz einer leichten Entspannung der Inflations- und Treibstoffsituation noch genauso trübe und
perspektivlos wie vor einem Jahr. Auch wenn wir das
Land nicht bereisen konnten - Frau Kollegin Wimmer
hat es bereits angesprochen -, haben wir Gespräche mit
simbabwischen Oppositionellen geführt und sie gefragt, wie wir ihnen helfen können. Das ist insofern
wichtig, als auf diese Weise der Vorwurf entkräftet werden kann, dass wir von dem hohen europäischen Ross
aus ständig Ratschläge geben. Vielmehr haben wir das,
was wir hier ausführen, vorher mit denjenigen besprochen, die in Simbabwe in der Opposition sind. Bisher ist
nichts gesagt worden, das nicht den Ratschlägen und
Bitten unserer Freunde dort entspricht. Das heißt, wir
versuchen, nichts anderes zu tun, als den Stimmen, die
sich in Simbabwe aufgrund der dortigen Lage kein Gehör verschaffen können, im Deutschen Bundestag Aufmerksamkeit zu verschaffen, um die europäische Öffentlichkeit auf dieses Problem hinzuweisen.
Auf die Frage, wie wir helfen können, hat man uns regelmäßig geantwortet, Europa solle der südafrikanischen
Regierung deutlicher machen als bisher, dass es den beeindruckenden internationalen Ruf Südafrikas und die
Freundschaft der europäischen demokratischen Staaten
mit Südafrika durchaus beeinträchtigen könnte, wenn
sich Thabo Mbeki im südlichen Afrika weiter als ein
Verteidiger von Mugabe profiliert.
Einige Stimmen wiesen sogar daraufhin, dass sie sehr
wenig Hoffnung haben, dass es im südlichen Afrika tatsächlich eine Bewegung der Anrainerstaaten gibt, die erfolgreich auf einen Wechsel des Regimes hindrängen
könnte. Denn die ehemaligen Befreiungsbewegungen
FRELIMO, ZANU-PF, MPLA, SWAPO und ANC verbindet aus geschichtlichen Gründen eine sehr enge Solidarität. Die Befürchtung ist sehr groß, dass diese enge
Solidarität dazu führt, auch solchen Mitgliedern der Solidaritätsgemeinschaft wie Mugabe Schutz zu gewähren,
obwohl er ihnen inzwischen eigentlich nicht mehr zusteht, weil sie ihn innenpolitisch verspielt haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Europäer sagen: Wir nehmen dies zur Kenntnis. Es darf uns keine politische
Korrektheit davon abhalten, darüber hinwegzusehen;
denn gerade Leute wie Mugabe würden das als europäische Naivität betrachten und im eigenen Land lustvoll
ausnutzen.
Im Gespräch mit dem Bundeskanzler im Januar dieses Jahres hat Thabo Mbeki gesagt, dass er weiter auf
stille Diplomatie setze und dass die Krise in Simbabwe
am 30. Juni 2004 gelöst sein werde. Dass es richtig war,
dass wir schon damals skeptisch in Bezug auf dieses Datum und den Optimismus waren und dass wir diese Aussage Thabo Mbekis eher als einen Versuch der Beschwichtigung der Weltöffentlichkeit betrachtet haben,
zeigt sich heute, am 30. Juni 2004; denn tatsächlich ist
nichts geschehen.
Es gibt allerdings einige positive Signale, von denen
ich berichten möchte. Jüngst gab es in einer sehr bekannten Talkshow im südafrikanischen Fernsehen eine Umfrage, in deren Rahmen sich 94 Prozent der Anrufer
eindringlich gegen die Fortsetzung Mbekis stiller Diplomatie ausgesprochen haben. Der Chefdemagoge aus Mugabes Kabinett, der Informationsminister Moyo, war
kürzlich von der Regierung in Mosambik eingeladen
worden, um Journalisten über die Lage in Simbabwe vorzutragen. Die Journalisten haben ihn mehr als eine Stunde
nicht zu Wort kommen lassen, weil sie nicht an seinen
Ausführungen interessiert waren. Die Pressekonferenz
musste abgebrochen werden. Die simbabwische Regierung hat daraufhin an die Adresse der mosambikanischen
Regierung eine Protestnote geschickt, weil man den Informationsminister dort so schlecht behandelt habe. Das
sind zwar hoffnungsvolle Signale, die man nicht unterschlagen darf. Aber die Lage hat sich de facto nicht verändert.
Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung, Südafrika, dessen Weg aus der Apartheid, wie gesagt, uns
höchsten Respekt abnötigt, auch darauf hinzuweisen,
dass es im südlichen Afrika eine Verpflichtung gegenüber den afrikanischen Nachbarn hat. Machen Sie deutlich, dass Sie von Südafrika nach dem Scheitern der stillen Diplomatie auch klare Worte der Distanz zu
Mugabe erwarten! Ich glaube, alles andere führt dazu,
dass die von Robert Mugabe systematisch kaputtgemachte und psychisch drangsalierte Opposition in Simbabwe möglicherweise so weit entmutigt wird, dass ihr
eine vernünftige politische Arbeit nicht mehr möglich ist
und dass ihre Kraft bei den anstehenden Wahlen im
März nächsten Jahres so weit erschöpft ist, dass sie
selbst dann, wenn die Wahlen formal korrekt und transparent verlaufen sollten, am Wahltag nicht mehr die
Chance hat, gewählt zu werden, weil sie sich nicht darauf vorbereiten konnte.
Wir appellieren an die SADC-Staaten, die eine Regelung haben, die wir akzeptieren und die europäischen
Maßstäben vollkommen genügt - ich wiederhole das,
was Frau Wimmer gesagt hat -: Nehmt eure Worte ernst!
Aber das darf sich nicht auf den Wahltag selber beschränken. Wenn Mugabe nun „gläserne Wahlurnen“
verspricht, ist damit überhaupt nichts gelöst. Es geht um
die Möglichkeit zur Vorbereitung auf die Wahlen, das
Umfeld - werden beispielsweise Green Bombers zur
Einschüchterung der Wähler benutzt oder nicht? - und
die Durchführung. Wenn es uns gelingt, deutlich zu machen, dass wir als Europäer nicht über die Resultate der
weiteren Entwicklung hinwegsehen werden, dann,
glaube ich, haben wir unseren Job getan. Das erwarte ich
insbesondere von der Bundesregierung.
Vielen Dank, Herr Präsident und meine Damen und
Herren.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
Anlass der heutigen Debatte über diesen Antrag ist, dass
mehrere Kollegen nach Simbabwe nicht einreisen durften. Ich finde es richtig, dass wir das zum Anlass nehmen, heute darüber zu diskutieren; denn das darf nicht
Schule machen. Delegationen des Deutschen Bundestages sind auch dazu da, sich über die ökonomischen und
über die Menschenrechtsverhältnisse vor Ort zu informieren. Wenn das, was in Simbabwe geschehen ist,
Schule macht, dann wäre diese Arbeit in Zukunft unmöglich.
Der eigentliche Hintergrund dieser Debatte ist aber
sicherlich die sich verschärfende Situation in Simbabwe.
Die ökonomische Situation dort ist nach wie vor katastrophal, auch wenn es mit der Versorgung mit Benzin
und anderen Gütern manchmal ein bisschen auf und ab
geht.
Die Menschenrechtssituation, vor allen Dingen für
Oppositionelle, Journalisten und Politiker, ist - darüber
sind wir uns einig - desaströs. Deshalb ist es richtig,
dass wir die Bundesregierung in diesem Antrag auffordern, bei den SADC-Staaten eine nachhaltige Veränderung in der Region zu erreichen und sich mit den anderen europäischen Staaten weiter dafür einzusetzen, dass
sich die Situation in Simbabwe entscheidend verändert.
Wir können allerdings nicht so tun, als wenn das Problem einer Lösung auch nur näher gebracht würde, wenn
wir hier jetzt - die Bundesregierung tut das ohnehin - erneut diese Forderungen stellen. Ich selber war mit einigen der Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen, im
letzten halben Jahr auch im Rahmen von zwei Ausschussreisen in einer ganzen Reihe von Staaten in der
Nähe von Simbabwe: in Sambia, in Mosambik, in Namibia, in Ruanda und zuletzt im Kongo.
Wir haben natürlich nicht nur die Bundesregierung
aufgefordert, etwas zu tun. Wir haben in jedem der Gespräche dort, vor allen Dingen mit Außenministern, also
mit höher gestellten Persönlichkeiten, auch das Problem
Simbabwe angesprochen. Wir haben gesagt: Da müsst
ihr etwas tun; das kann doch so nicht weitergehen. Auch
die Bundesregierung handelt entsprechend. Wir hören
von der Bundesregierung immer wieder - der Einsatz
geht bis hin zum Bundeskanzler -: Sei es laut oder leise,
diplomatisch oder weniger diplomatisch. Wir müssen
heute allerdings feststellen: Genützt hat es bisher fast
nichts.
({0})
Das muss man einfach klar sehen.
Wir haben uns in den Ländern informiert. Wir haben
beispielsweise erlebt - Frau Kollegin, daran erinnern wir
uns -, dass sich Herr Mugabe in Sambia - das ist ganz
anders als das, was Sie, Herr Vaatz, von Journalisten in
Mosambik geschildert haben - höchster Beliebtheit erfreut. Uns wurde Folgendes berichtet: Er war zu Besuch
in Sambia und hat an einer Veranstaltung teilgenommen.
Dazu waren alle Honoratioren des Landes eingeladen;
fast 1 000 Leute waren im Saal. Erst hat der Staatspräsident von Sambia gesprochen. Er bekam höflichen Beifall. Dann trat Herr Mugabe ans Mikrofon. Als er seine
Rede begann, wurde er mit Standing Ovations überschüttet, und zwar offenbar von der ganzen oberen
Klasse, jedenfalls von allen, die da versammelt waren.
Ähnliche Meldungen haben wir aus Mosambik
({1})
und auch aus Teilen von Südafrika.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass große
Teile der Bevölkerung in den umliegenden Ländern - ich
fürchte, dass das auch für Regierungsstellen gilt, auch
wenn sie uns das nicht offen sagen -, gerade in denen,
die Sie, Herr Vaatz, genannt haben, eine andere Sicht der
Dinge als wir haben. Deshalb werden diese Appelle
zwar hingenommen, aber anschließend passiert nicht
sehr viel. Wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen, dann
argumentieren wir ins Leere. Uns beruhigen solche Resolutionen wie die vorliegende vielleicht; aber wir erreichen mit ihnen wenig in diesen Ländern.
Was ist da zu tun?
Erstens. Wir müssen zur Kenntnis nehmen - das haben auch Sie, Herr Vaatz, gesagt -: In diesen Ländern
gibt es traditionelle Verbindungen der jetzt Regierenden und auch großer Teile der Bevölkerung aus der Zeit
der Befreiungskriege mit Mugabe und seiner Bewegung.
Daran erinnert man sich. Da gibt es viele Beziehungen
bis hin zu verwandtschaftlichen Verbandlungen.
Aber es gibt auch ein ganz zentrales Problem, das
Mugabe angeblich zu regeln versucht: die Landreform.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Problem der
Landreform auch in den umliegenden Ländern nach wie
vor virulent schwer zu bewältigen ist. Ich glaube, dass
wir in diesen Ländern, auch hinsichtlich der Situation in
Simbabwe, mehr Einfluss gewinnen können, wenn wir
diese Probleme - sie sind Überbleibsel aus der Kolonialzeit - ernst nehmen. Wir müssen einsehen, dass sich in
diesen Bereichen in all diesen Ländern, auch in Simbabwe, etwas ändern muss.
Wir müssen sagen: Wir sind bereit, vernünftige, gerechte und demokratisch zustande gekommene Landreformen massiv zu unterstützen. - Wenn wir so handeln,
dann gewinnen wir vielleicht Glaubwürdigkeit und dann
können wir den Vorwurf, den auch Sie, Herr Vaatz, erwähnt haben, widerlegen, dass wir dort vielleicht noch
jetzt koloniale oder nachkoloniale Interessen verfolgen,
wenn wir sagen: Wir sehen diese Probleme. Wir wollen
euch helfen, Veränderungen herbeizuführen. Wir stellen
uns nicht quer.
Wir können nicht immer nur so weitermachen, alle
halbe Jahre eine solche Resolution verabschieden und
beklagen, vielleicht bis zu Mugabes Tod, vielleicht darüber hinaus, dass sich nichts verändert, sondern wir müssen neue Wege gehen. Hilfe bei der Landreform wäre
vielleicht ein Weg. Lassen Sie uns gemeinsam darüber
nachdenken!
Diese Resolution werden wir gemeinsam verabschieden, aber ohne die Illusion, dass sich dadurch sofort
durchgreifend etwas ändert.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Funke, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke
Frau Wimmer für ihre Darstellung der Situation in Simbabwe ausdrücklich. Sie hat uns deutlich gemacht, dass
es sich dort nicht um ein normales Regime handelt. Es
ist ein Verbrecherregime und das muss man auch als solches geißeln. Deswegen ist der interfraktionelle Antrag,
der hier vorliegt, richtig.
Der Antrag ist aus zwei Gründen richtig, erstens aus
unserem Selbstverständnis heraus. Es kann nicht richtig
sein, dass sich Mitglieder dieses Hohen Hauses im Ausland nicht über die dortige Situation informieren können.
Wir sind gefordert, mit allem Nachdruck deutlich zu machen, dass Mitgliedern dieses Parlaments, insbesondere
des Menschenrechtsausschusses, die beobachten und
Gespräche führen wollen, die Einreise genehmigt werden muss.
Zum Zweiten hat dieser Antrag die innere Situation
Simbabwes, die systematische Aushöhlung der bürgerlichen und politischen Rechte der Einwohner Simbabwes
zum Gegenstand. Durch den sich abzeichnenden politischen Missbrauch der Nahrungsmittelengpässe durch
die Regierung Robert Mugabes droht die Gefahr einer
menschenrechtlichen und humanitären Katastrophe
in Simbabwe. Schon jetzt steht fest, dass durch das autokratische Regime Mugabes die Fortschritte in dem einstigen Musterland Simbabwe systematisch zunichte gemacht wurden. Dieser Verfall muss sowohl aus
humanitären als auch aus menschenrechtlichen Gründen
aufgehalten werden.
Mit diesem Antrag bekräftigen wir unseren Willen,
uns über die deutschen und europäischen Grenzen hinaus für eine weltweite und nachhaltige Sicherung der
Menschenrechte auch in Simbabwe einzusetzen. Wenn
man die Menschenrechte nicht ständig einklagt, dann
sind sie irgendwann nichts mehr wert.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen aus den
anderen Fraktionen dafür, dass sie unseren ursprünglichen Antrag sozusagen noch verfeinert und mit übernommen haben. Der Bundestag gibt ein gutes Beispiel,
wenn wir geschlossen die Menschenrechte in Simbabwe
einfordern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Professor Jüttner, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach wie vor ist die humanitäre und menschenrechtliche Lage in Simbabwe besorgniserregend. Staatlich organisierte Gewalt gegen Oppositionelle
kennzeichnet die politische Situation im Lande. Willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen, Folter, ja sogar
Mord sind Instrumente des Regimes im Kampf gegen
die Opposition. Der britische Rundfunksender BBC
berichtete erst kürzlich wieder über Camps, in denen
Kinder und Jugendliche in Folter- und Tötungsmethoden
ausgebildet werden, um dann entsprechend gegen Oppositionelle vorzugehen.
Die einzige unabhängige Tageszeitung im Land, die
„Daily News“, wurde zum Schweigen gebracht. Das
Einklagen der in der Verfassung verankerten Grundrechte ist kaum noch gewährleistet, weil Richter und
Staatsanwälte eingeschüchtert werden. Repressive Gesetze wie der Public Order and Security Act und der
Access to Information and Protection of Privacy Act
ermöglichen willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen Oppositioneller. Die Nahrungsmittelversorgung
wird politisiert. Beispielsweise müssen alle Maisfarmer
ihre Ernte an die staatliche Getreidekommission verkaufen. Diese hortet ihrerseits den Mais - offensichtlich in
der Absicht, diesen bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2005 gezielt zum Fang von Wählerstimmen einzusetzen.
Meine Damen und Herren, bereits im Frühjahr des
vergangenen Jahres haben wir uns hier im Plenum zweimal mit Simbabwe befasst. Zwar hat sich die wirtschaftliche Krise, wie auch der Kollege Vaatz schon gesagt
hat, seither leicht entspannt, aber die politische Situation hat sich eher verschärft. Weder die Einstellung der
bilateralen Entwicklungszusammenarbeit noch die teilweise sogar verschärften Sanktionen der EU gegen
Mugabe und seine Führungsriege in Regierung und Partei haben Entscheidendes bewirkt. Weder hat Südafrika
die Situation in Simbabwe positiv beeinflusst noch hat
die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen
in Genf die andauernden schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Vielmehr wurde der Resolutionsentwurf der Europäischen Union durch einen von afrikanischen Staaten unterstützten Nichtbefassungsantrag
erneut zu Fall gebracht. Meine Damen und Herren, da
müssen wir auch unseren afrikanischen Freunden deutlich sagen: Dies war das falsche Signal an ein menschenverachtendes Regime!
({0})
Trotz dieser bitteren Rückschläge dürfen wir uns
nicht entmutigen lassen. Die fortdauernden, massiven
Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe kann die zivilisierte Welt nicht länger hinnehmen. Unser Einsatz für
eine Verbesserung der politischen und menschenrechtlichen Lage in Simbabwe muss weitergehen. Ich begrüße es deshalb, dass wir in einem gemeinsamen Antrag fordern, einer internationalen Delegation Zugang
zum Land zu gewähren, die Parlamentswahlen nach demokratischen Prinzipien durchzuführen und international überwachen zu lassen, reformwillige Kräfte im
Lande zu unterstützen und nichtstaatlichen Stellen humanitäre Hilfe bei der Versorgung der Bevölkerung anzubieten.
Ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Demokratisierung
des Landes sind die für März 2005 vorgesehenen Parlamentswahlen. Dabei ist nicht nur die Durchführung der
Wahl selbst von Bedeutung, wie das meine Vorredner
schon gesagt haben. Vielmehr muss auch sichergestellt
werden, dass bereits im Vorfeld der Wahl, nämlich schon
jetzt, Kandidaturen Oppositioneller ohne Behinderung
und ohne Einschüchterung möglich sind. In dieser Hinsicht verheißen die jüngsten Äußerungen Mugabes auf
einem Gipfeltreffen in Mosambik, er wolle nur - ich zitiere - seine „Freunde in der Dritten Welt“ als Beobachter zulassen, nichts Gutes. Genau dies nämlich würde
den Statuten der SADC widersprechen. Hier muss die
internationale Gemeinschaft bei den SADC-Staaten vorstellig werden und deutlich machen: Die Wahlen in Simbabwe werden auch für die SADC-Staaten zur Nagelprobe, was Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie betrifft.
({1})
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, müssen
die Konsultationen zwischen Südafrika und den europäischen Regierungen verstärkt werden. Südafrika als Protagonist von NEPAD muss sich seiner Verantwortung für
das südliche Afrika bewusst werden. Falsch verstandene
Solidarität ist hier völlig fehl am Platz. Nicht Solidarität
mit einem undemokratischen, menschenverachtenden
Regime ist gefordert, sondern Solidarität mit den Menschen in Simbabwe.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP mit dem Titel
„Internationalen Druck auf die Regierung in Simbabwe
aufrechterhalten“. Wer stimmt für diesen Antrag auf
Drucksache 15/3446? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich der Stimme enthalten? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Nooke, Bernd Neumann ({0}), Renate
Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Abriss des „Palastes der Republik“ nicht verzögern
- Drucksache 15/3315 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diesen Tagesordnungspunkt eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt ist es
zwei Jahre her, dass der Deutsche Bundestag die
Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses unter
Berücksichtigung der historischen Fassaden mit großer,
fraktionsübergreifender Mehrheit beschlossen hat. Der
Deutsche Bundestag hat begrüßt, dass der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Schlossareal“ an der
Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses unter Berücksichtigung der historischen Fassaden und an der
Nutzungsvariante des Humboldt-Forums festhält.
Jetzt müssen wir feststellen, dass die Bundesregierung der Aufforderung des Deutschen Bundestages vom
13. November 2003, den Abriss des Palastes der Republik öffentlich auszuschreiben, zu beauftragen und gemeinsam mit dem Land Berlin für eine Übergangsgestaltung des gesamten Areals zu sorgen, bisher nicht nachgekommen ist.
Meine Damen und Herren, ein Parlamentsbeschluss
ist keine unverbindliche Empfehlung. Wir sollten als
Parlamentarier davon ausgehen können, dass Beschlüsse
dieses Hauses auch ihre Umsetzung finden. So betrachtet ist es nicht selbstverständlich, dass wir uns zum dritten Mal in Folge jeweils in der letzten Sitzungswoche
vor der Sommerpause
({0})
mit Berlins Mitte beschäftigen oder beschäftigen müssen. Wir haben den Eindruck, dass die Bundesregierung
hier nicht mit dem gebotenen Nachdruck tätig ist.
({1})
Der Bund tut sehr viel für die Kultur in der Hauptstadt, unbestritten, auch wenn dabei ein roter Faden immer weniger erkennbar ist.
({2})
Ein so wichtiges Signal für die Baukultur in Berlin, wie
es das Bekenntnis zur Gestaltung des zentralen Ortes in
der Mitte ist, muss dabei auch immer erfolgen. Eine
Rücksichtnahme auf die derzeitige politische Konstellation in Berlin ist fehl am Platze.
Es stellt sich für uns natürlich die Frage, warum die
Bundesregierung unserer gemeinsamen Aufforderung
bisher nicht nachgekommen ist. Ein Punkt ist jedenfalls,
dass das Land Berlin mit seinem vor kurzem zurückgetretenen Bausenator Strieder, der den Abriss, aus welchen Gründen auch immer, nicht wollte, ein schwieriger
Gesprächspartner war.
({3})
Das dürfte sich jetzt doch hoffentlich geändert haben,
zumal der Regierende Bürgermeister von Berlin den
schnellen Abriss sehr befürwortet. Aber es scheint, dass
die Staatsministerin für Kultur, Frau Dr. Weiss, im Gegensatz zum Regierenden Bürgermeister von Berlin den
Abriss des Palastes der Republik gerne etwas verzögern
möchte. Wie anders ist es zu erklären, dass ihr zwar die
von ihr eingesetzte Kommission empfohlen hat, für eine
Zwischennutzung keine öffentlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, sie aber rund 200 000 Euro für die
Jahre 2003 und 2004 zur Verfügung stellt?
({4})
- Dann ist es umso schlimmer.
Eine finanzielle wie ideelle, direkte oder indirekte
Unterstützung einer Nutzung des Palastes der Republik
durch den Bund lehnen wir ab. Auch hier war die fraktionsübergreifende Einigkeit in der Sache groß. Eines aber
geht sicher nicht: Man kann nicht beteuern, dass eine
Nutzung des Palastes nur ohne öffentliches Geld möglich sei, und gleichzeitig Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds für Projekte im Palast zur Verfügung stellen.
({5})
Das mag ja ganz schön trickreich sein; ich nenne es aber
eine misslungene Täuschung,
({6})
denn zumindest wir haben nicht vergessen, dass der
Hauptstadtkulturfonds zu 100 Prozent vom Bund ausgestattet wird.
({7})
Mit staatlicher Einflussnahme auf Entscheidungen
des Fördergremiums hat das im Übrigen nichts zu tun,
denn auch ein Hauptstadtkulturfonds ist an die Vorgabe
gebunden, kein öffentliches Geld für die Nutzung bereitzustellen. Darauf sollten wir als Parlamentarier Wert legen. Herr Kollege Ströbele, ich empfehle Ihnen, das einmal nachzulesen, damit auch Sie informiert sind.
({8})
Neben der wankelmütigen Haltung von Staatsministerin Weiss ist auch bekannt, dass der PDS-Kultursenator
des Landes Berlin, Thomas Flierl, die Zustimmung zur
Finanzierung des Abrisses in einem Schreiben infrage
gestellt hat. Wenn Thomas Flierl meint, dass durch eine
kulturelle Nutzung das Gebäude „endlich im Heute ankomme“, dann kann man ihn nur als Ewiggestrigen bezeichnen.
({9})
Der Palast der Republik war neben seiner äußeren Hässlichkeit immerhin das Schaufenster einer Diktatur.
({10})
In der Presse dieser Tage ist nachzulesen, dass nun
auch der PDS-Senator erkannt hat, dass er nicht auf dem
richtigen Weg ist. „Vom leeren Palast haben wir nun
lange genug Abschied genommen“, hat der Senator am
21. Juni 2004 verlauten lassen. Ich werte das gern
freundlich, da ich jeden unterstützte, der die Zeichen der
Zeit zu deuten lernt. Nun ist es aber an der Zeit, aus
dieser Erkenntnis auch die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Der Deutsche Bundestag kann dem Senator dabei helfen,
indem er nachdrücklich auf die Beschlusslage in diesem
Hause verweist.
Zurzeit wird viel Zirkus um das Gebäude veranstaltet.
Man schwelgt in Nostalgie und vergisst dabei die Grausamkeiten eines unerbittlichen Regimes. Dass der BDI
in Honeckers altem Protzgebäude tagte, zeugt nicht gerade von einer übergroßen Sensibilität.
({11})
Aber daraus den Schluss zu ziehen, nach dem kurzzeitigen Einzug des BDI in den Palast sei dieser gewissermaßen neutralisiert,
({12})
wäre in der Tat ein Winkelzug einer Geschichtsschreibung, die mit „Geschichtsvergessenheit“ wohl am treffendsten bezeichnet wird.
Damit nicht weiter nostalgisch geschwärmt werden
kann, sondern mit Berlins Mitte sorgsam umgegangen
wird, wollen wir mit unserem Antrag unter anderem sicherstellen, dass der Abriss des Palastes der Republik
Anfang des Jahres 2005 erfolgt und die dafür notwendigen Vorarbeiten ohne Verzug durchgeführt werden. Ich
hoffe, dass dies immer noch gemeinsame Meinung ist.
({13})
- Herr Kollege Ströbele, ich glaube, Ihre Meinung ist in
diesem Hause nicht ganz so maßgebend.
({14})
Die Meinung der Mehrheit ist wichtig. - Auch sind uns
Planungen für die gestalterische Zwischennutzung der
Fläche im Herbst 2004 vorzulegen.
Die Bundesregierung muss sich auch verstärkt dafür
einsetzen, dass ein Areal auf der Schlossfreiheit/Unter
den Linden als Ort für die im Bericht der Expertenkommission vorgesehene Einwerbung von privaten Mitteln
zur Wiedererrichtung des Schlosses zur Verfügung gestellt werden kann und keine weiteren öffentlichen Mittel für die Nutzung des Palastes der Republik zur Verfügung stehen.
Wir haben einen Beschluss, an den wir uns halten
sollten. Wir sollten das bürgerschaftliche Engagement,
für das wir uns in der Kultur noch viel stärker als bisher
einsetzen müssen, nicht dadurch gängeln, dass wir ihm
keinen Raum geben. Im Gegenteil: Das Schlossareal ist
geradezu ein beispielhafter Ort, an dem sichtbar gemacht
werden kann, welche Mobilisierungskräfte das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland hat.
({15})
Hier, in der Mitte der Hauptstadt, müssen wir einen Ort
ermöglichen, an dem sich das Engagement, einmal überregional beachtet, offenbaren kann. Wenn es hier gelingt,
private Mittel zu mobilisieren, werden anderenorts nicht
Mittel entzogen, sondern es wird ein Beispiel und ein
Vorbild gegeben, wie wirkungsvoll sich jeder Bürger
einbringen kann. Für diesen Ort haben wir das Mandat
dazu und die Empfehlung der Expertenkommission.
Der Vorbildcharakter gilt indes nicht nur für den in
unmittelbarer Nachbarschaft geplanten und von privater
Seite aus betriebenen Wiederaufbau der schinkelschen
Bauakademie, der damit an zusätzlichem Rückhalt gewinnen kann, sondern er gilt auch außerhalb Berlins.
Über eines sollten wir uns in diesem Zusammenhang
bewusst sein: Nicht die durch bürgerschaftliches Engagement verstärkten Bemühungen zur Wiedererrichtung
des Berliner Stadtschlosses binden andernorts Mittel,
sondern die Verlagerung öffentlichen Geldes in Projekte
in der Palastruine; denn jeder Steuereuro, der in Projekte
im Palast fließt, fehlt innovativen Projekten in Berlin,
und zwar genau bei den Einrichtungen und Initiativen,
bei denen der Bund mit vollem Recht innovative Kultur
in der Hauptstadt fördern kann, soll und müsste.
({16})
Wir sollten uns gemeinsam die Situation ersparen,
dass wir im nächsten Jahr vor der Sommerpause noch
immer mit leeren Händen dastehen
({17})
und vor einer Ruine, die zu nichts anderem taugt als zum
Sinnbild für verschenkte Chancen.
({18})
- Die Staatsministerin für Kultur kann ja ohne weiteres
unseren gemeinsamen Auftrag umsetzen und das in Gesprächen erledigen. Im Jahr 2005 kann der Abriss beginnen und bis zur Errichtung des Schlosses können wir auf
dem Gelände eine Zwischennutzung mit bürgerschaftlichem Engagement ermöglichen. - Ich habe das erwähnt,
weil der Kollege Kubatschka erst jetzt gekommen ist.
({19})
- Entschuldigung, Herr Kubatschka.
Die Klärung der Anwesenheiten verlängert die Redezeit nicht. Deswegen empfehle ich, sie wegzulassen.
({0})
Herr Präsident, ich glaube, meine Redezeit ist noch
ausreichend. Deswegen konnte ich auf den Zuruf antworten.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Wir sollten uns gemeinsam die Situation ersparen, dass wir im
nächsten Jahr vor der Sommerpause wieder mit leeren
Händen dastehen, vor einer Ruine, die zu nichts anderem
taugt als zum Sinnbild für verschenkte Chancen: verschenkt für das Stadtbild, verschenkt für das bürgerschaftliche Engagement und verschenkt für die Kulturförderung in Berlin.
Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
setzt sich für die Kulturförderung des Bundes in der
Hauptstadt Berlin ein, und zwar für eine - im besten
Wortsinn - nachhaltige Kulturförderung. Unser Antrag
bringt dies in seiner Knappheit auf den Punkt und er enthält in seiner Knappheit keine die bisherigen Beschlüsse
dieses Hauses ergänzenden oder übersteigenden Sachverhalte.
({0})
- Sehr gut. Dann können Sie auch zustimmen.
({1})
- Das macht nichts. Man muss die Bundesregierung ab
und zu auffordern, dass sie endlich handelt.
Das mag dem einen oder der anderen vielleicht ungewöhnlich erscheinen; Kollege Barthel, Sie haben sich ja
gerade entsprechend geäußert. Aber nach den Erfahrungen der nunmehr vergangenen, von unserem Beschluss
her gesehen tatenlosen Jahre ist unser Antrag ein Appell,
der uns nötig erscheint und der uns, das Parlament, daran
erinnert, dass wir nicht nur Worte wechseln. Denn: „Der
Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich
Taten sehn“, möchte ich mit Goethe schließen.
({2})
Es muss - so endet auch bei Goethe der Reim - „etwas
Nützliches geschehn“.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nun hat der Kollege Barthel Gelegenheit, seine Zurufe in einem geordneten Zusammenhang vorzutragen.
({0})
Meine Damen und Herren! Liebe Frau Blank, wenn
ich an Bayern denke, fällt mir nur ein: Es ist zwar alles
gesagt, aber noch nicht von allen. Insofern hat das letzte
Mal zum gleichen Thema Herr Nooke mit den gleichen
Aussagen gesprochen, heute Sie. Sie machen das wesentlich freundlicher; das gebe ich gerne zu.
Ich wäre sehr traurig, wenn in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im nächsten Jahr nicht zum
vierten Mal dasselbe Thema mit den gleichen Aussagen
und den gleichen Beschreibungen auf die Tagesordnung
gesetzt würde.
({0})
Dies wäre ein Verlust für dieses Hohe Haus.
Wie sind denn die Rahmenbedingungen? Wir haben
am 4. Juli 2002 den Beschluss gefasst, dass der Palast
der Republik abgerissen wird, dass ein Gebäude in der
Kubatur des Schlosses mit einer Barockfassade, genannt
Schloss, gebaut wird und dass auch das ganze Areal geplant wird, also nicht nur das Schloss.
({1})
- Lieber Herr Otto, ich sage das aus einem ganz bestimmten Grund: Ich hatte damals eine andere Position.
({2})
Aber wir haben diesen Beschluss gefasst und er ist gültig.
({3})
Daran wird nicht gerührt.
Wir haben - wenn ich einmal darauf hinweisen darf im vorigen Herbst ein Zweites beschlossen: ein Moratorium. Es ist vielleicht nicht ganz uninteressant, einmal
daran zu erinnern, dass es dieses Moratorium gibt. Warum haben wir dieses Moratorium für zwei Jahre eingeführt? Der eine Grund ist, dass für dieses Riesenprojekt
nicht nur das Geld fehlt; es handelt sich immerhin um
670 Millionen Euro. Auch die Vermittlung, dieses Geld
einsetzen zu wollen, ist angesichts der Gesamtsituation
nicht möglich. Wir haben dieses Moratorium zudem beschossen, weil diese zwei Jahre dafür genutzt werden
sollen, belastbare Planergebnisse vorzulegen.
({4})
Das war im Herbst vorigen Jahres.
({5})
- Ich spreche jetzt von der Planung, liebe Frau Blank.
({6})
Ich bitte darum, nicht zu vergessen, dies mit einzubeziehen.
Was ist bisher in Bezug auf den Abriss geschehen?
Ich habe mich informiert, das können übrigens nicht nur
wir von den Regierungsfraktionen, sondern auch Sie. Ich
habe mich über den Iststand bei der Frage des Abrisses
informiert und erlaube mir, Ihnen aus einer Information
vorzutragen, die ich aus dem Ministerium erhalten habe.
Diese Information hätten auch Sie erhalten können. Ich
darf zitieren:
Eckhardt Barthel ({7})
Im Januar 2004 wurden die Planungsleistungen für
die Vorbereitung der Abrissarbeiten EU-weit offen
ausgeschrieben. Aus den Bewerbungen wurde eine
engere Wahl von sechs Ingenieurbüros gebildet, die
im Juni dieses Jahres ihre Konzeptionen zum Rückbau darlegten. Der Auftrag an ein ausgewähltes Ingenieurbüro soll nach Auskunft des Landes Berlin
bis Mitte Juli erteilt werden.
Liebe Frau Blank, da die Frage „Was ist eigentlich geschehen?“ Ihr wichtigster Punkt war, würde ich mich
freuen, wenn Sie zumindest diese Information zur
Kenntnis nehmen würden, die Ihnen offenbar nicht bekannt war, denn sonst hätten Sie hier eine andere Rede
gehalten. Ich zitiere weiter:
Bis zum Jahresende liegt die erforderliche Genehmigungsplanung für den Rückbau vor. Anfang
2005 soll die Ausschreibung der Bauarbeiten nach
EU-weitem öffentlichen Teilnehmerwettbewerb erfolgen. Nach Auftragsvergabe können die Rückbauarbeiten im Frühjahr 2005 beginnen. Die Dauer
der Arbeiten ist sehr stark von der Abbruchmethode
abhängig und wird voraussichtlich bis Mitte 2006
abgeschlossen werden können.
Das ist der Sachstand. Jetzt frage ich: Warum führen
wir diese Debatte? Es steht alles im Einklang mit dem,
was wir beschlossen haben. Ich bin bewusst am Anfang
auf diese beiden Punkte eingegangen. Man sieht, dass
das, was wir beschlossen haben, umgesetzt wurde.
Herr Kollege Barthel, der Kollege Otto möchte gern
Ihre Redezeit durch eine Zwischenfrage verlängern.
({0})
Nein, er darf nicht reden. - Lieber Herr Kollege
Barthel, Sie haben eben die Frage gestellt, warum wir
hier debattieren. Ich möchte Ihnen die Antwort in Form
einer Frage geben, und zwar zitiere ich aus einem Protokoll des Ausschusses für Kultur und Medien vom
15. Oktober 2003. Ich würde Sie bitten, in Ihrer Rede
dazu Stellung zu nehmen.
Ich darf Ihre wie immer klugen Worte zitieren:
({0})
Solange der Palast noch stehe, habe er - gemeint sind
Sie, Herr Barthel - nichts gegen eine Zwischennutzung,
unter der Bedingung, dass dort keine öffentlichen Mittel
hinein fließen werden.
Das ist der Punkt und deswegen haben wir die Debatte.
Ich möchte den Kollegen Otto darauf hinweisen,
({0})
dass es der Geschäftsordnung bezüglich der Zwischenfragen noch besser entsprechen würde, wenn eine angemeldete Frage nicht als Antwort angekündigt würde.
({1})
Jetzt kommt die Frage, Herr Präsident: Lieber Herr
Kollege Barthel, würden Sie bitte zu dieser Aussage im
Laufe Ihrer Rede auch noch Stellung nehmen?
Ich habe verstanden, hätte ich beinahe gesagt. Ich
gehe gern darauf ein. Ich komme noch zu Ihrer Frage.
({0})
- Sie dürfen sich setzen, ja.
Das, was Sie angesprochen haben, ist ja nur ein Punkt
neben vielen anderen - das werden Sie feststellen, wenn
Sie den Antrag lesen -; ich wollte aber gern zu allen
Punkten etwas sagen. Die erste Frage war, wenn ich es
richtig verstanden habe, die entscheidende: Wird das
Ding jetzt abgerissen oder nicht? Weil es hauptsächlich
um diese Frage geht, habe ich mir erlaubt, aus der Information, die wir alle hätten bekommen können, hier zu
zitieren. Vor dem Hintergrund dieser Informationen sehe
ich keinen Grund, jetzt überhaupt diese Debatte zu führen. Aber der Antrag hat wohl andere Gründe - welche,
erschließt sich mir nicht. Vielleicht ist das Sommerloch
vor der Tür oder man muss Fahne zeigen.
Wenn man den Antrag liest, fallen einem manche Begriffe auf. Da wird nicht gefordert, sondern es werden
Begriffe wie „Der Senat soll sich verstärkt dafür einsetzen“ benutzt. Schon diese Formulierung zeigt mir und
jedem, der noch der deutschen Sprache mächtig ist: Hier
läuft ja bereits etwas. Weil man das nicht in Frage stellen
kann, gibt es in diesem Antrag Formulierungen wie
„verstärkt einsetzen“ oder „stärker als bisher“. Obwohl
man sieht, dass etwas läuft, glaubt man, noch nachhaken
zu können.
Ich möchte jetzt zur Frage der Nutzung kommen,
weil das in der Tat eine wichtige Frage ist. Ich sage Ihnen meine Position vorweg: Sie wissen, dass ich für einen möglichst schnellen Abriss dieses Palastes bin. Zum
einen finde ich ihn total hässlich, zum anderen sprechen
auch mehrere andere Gründe für den Abriss, die hier bereits genannt wurden. Aber ich vertrete genauso die Meinung: Solange er nicht abgerissen wird und es eine
Nachfrage gibt, sowohl von Leuten aus dem künstlerischen Bereich, die ihn bespielen wollen, als auch von
Leuten, die hingehen und diese Angebote annehmen,
wäre es nicht nachvollziehbar, wenn man diese Möglichkeit der Nutzung dieses Hauses ausschlägt.
({1})
Eckhardt Barthel ({2})
Das Schärfste ist ja nun in der Tat - so ist gesagt worden -, dass der BDI dort eine Veranstaltung durchgeführt
hat.
({3})
- Lügen Sie sich doch nichts in die Tasche! Ihnen geht es
doch nicht um die Subventionsfrage.
({4})
Ihnen geht es darum, dass das Gebäude überhaupt genutzt wird. Die Frage der Mittel aus öffentlicher Hand
schieben Sie lediglich vor. Diese Debatte hatten wir
doch schon. Insofern habe ich aus ihr etwas gelernt.
Es ist wirklich schön zu sehen, dass der BDI dem
Charme des Verfallenden erlegen ist und dort eine Veranstaltung abgehalten hat. In diesem Gebäude finden in
der Tat hochwertige Veranstaltungen statt.
({5})
Ich finde auch die Aktion des Berliner Kultursenators
- Palastnutzung vom 20. August bis zum 31. Oktober richtig. Denn ich möchte, dass das Gebäude bespielt
wird.
Um welche Gelder geht es? Nehmen wir den Hauptstadtkulturfonds.
({6})
Aus ihm fließt Geld für Projekte. Jetzt wird es problematisch: Soll er ein innovatives und kreatives Projekt nur
deshalb nicht unterstützen, weil der Palast leer steht? Er
bietet doch die besten Möglichkeiten dafür? Ich bin Kulturpolitiker und möchte keine Ablehnung aus diesem
Grund.
({7})
Das Geld wird nicht für den Palast, sondern für Projekte
zur Verfügung gestellt. Dorthin gehört es.
({8})
Aber man lernt nicht nur vom BDI. Auch sonst geschehen die merkwürdigsten Geschichten mit dem Palast
der Republik. Liebe Kollegen von der CSU, es ist toll,
wer sich alles an den Palast anhängt. Sie sollten sich einmal das Impressum auf der Homepage von Norbert Geis
angucken:
Verantwortlich:
Norbert Geis MdB
Als Adresse ist angegeben:
Palast der Republik
11011 Berlin
Es wird immer schöner, was Sie alles mit dem Palast machen - ohne öffentliche Mittel übrigens.
Jetzt zu einem viel ernsthafteren Punkt. Wir haben die
Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals diskutiert. In diesem Haus gab es dazu eine Debatte, die
meine Meinung geändert hat. Ich bin überrascht, dass die
Antragsteller darauf nicht eingegangen sind.
Meine Meinungsänderung begann damit, dass die
Bürgerrechtler aus der DDR uns ganz deutlich ins
Stammbuch schrieben: Es kann nicht „Einheits- und
Freiheitsdenkmal“ heißen, es müsste schon „Freiheitsund Einheitsdenkmal“ heißen; denn erst war die Freiheit
da und dann die Einheit.
({9})
Das war eine tief gehende Diskussion, die viel gebracht hat. Jetzt kommt wieder ein Antrag von der CDU/
CSU, als wäre nichts gewesen.
({10})
Wieder kommt die falsche Reihenfolge vor. Was war
denn zuerst? Das finde ich sehr bedauerlich.
Bei der Planung, die spätestens in zwei Jahren vorliegen muss, ist auch das verschüttete Gewölbe zu bedenken - ein phänomenales Areal, das genutzt werden muss.
Darüber redet schon kein Mensch mehr. Die Planungsgruppe, die jetzt noch anderthalb Jahre Zeit hat - ich
hoffe, dass sie dann etwas Gutes vorlegt -, sollte sowohl
das Gewölbe als auch das Denkmal - wie auch immer
man dazu steht - berücksichtigen.
Ich habe von Bürgerrechtlern gelernt, dass wir auf das
Denkmal verzichten sollten. Auch das haben sie uns ins
Stammbuch geschrieben: Es ist nicht gut, wenn wir, die
wir diese friedliche Revolution gemacht haben, uns
praktisch selbst ein Denkmal setzen. - Herr Weißgerber
aus Leipzig, der auf der Montagsdemonstration gesprochen hat, hat uns gewarnt.
Eine letzte Bemerkung. Wir können nicht über dieses
Thema reden, ohne über die Finanzen zu sprechen.
Schon das Moratorium hatte den Grund, dass wir die
670 Millionen Euro nicht bekommen. Nun hat sich aber
die Bürgerinitiative, für die Sie hier sprechen - ich
nehme an, das ist der Grund dieses Antrages -,
({11})
verpflichtet, 80 Millionen Euro einzubringen. Der Beschluss, das Schloss zu bauen, steht. Ich hoffe daher, die
Initiative schafft das. Zurzeit ist sie vielleicht bei 5 oder
6 Millionen Euro. Aber die 80 Millionen Euro sind Teil
der Gesamtkonzeption. Woher die 670 Millionen Euro
aus Bundesmitteln kommen sollen, ist mir bis heute auch
nicht klar.
Ich bitte, mit dieser Frage ehrlich umzugehen. Wenn
wir das Geld haben, ist zwar das finanzielle Problem gelöst; aber wir werden weiterhin ein Problem haben. Wir
müssen in unserer finanziell angespannten Situation vermitteln, dass so hohe Mittel für ein solches Projekt ausgegeben werden sollen. Das sollte jeder wissen.
Eckhardt Barthel ({12})
Ich sage abschließend: Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, ist inhaltlich unbegründet, weil alles genau
so läuft, wie es beschlossen wurde. Sie sind unzufrieden
darüber, dass das Gebäude für viele Künstler und Kulturschaffende sehr attraktiv ist und dass viele in der Bevölkerung Interesse daran zeigen. Dabei beziehe ich mich
nicht auf den BDI, sondern auf die kulturelle Nutzung.
Darüber sind Sie frustriert. Wegen dieses Frustes aber
sollte man im Deutschen Bundestag keinen Antrag stellen.
Ich bedanke mich.
({13})
Wenn man die letzte Empfehlung ernst nähme, könnten möglicherweise sehr viele Anträge entfallen.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Markus Löning für die
FDP-Fraktion das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Barthel,
die Argumentation, mit der Sie begründet haben, warum
das Geld - weil es öffentliches Geld ist - doch für die
Nutzung des Palastes verwendet werden kann, war
schon ein wenig philisterhaft und nicht wirklich redlich.
Der Antrag und der Beschluss sind doch wirklich eindeutig. Zu sagen, dass der Palast der Republik vielleicht
doch erhalten bleiben kann, finde ich nicht in Ordnung.
Das Geld könnte man besser für etwas Vernünftiges verwenden.
({0})
Damit könnten zum Beispiel die Anwerbung der Mittel,
die Infobox oder ähnlich Sinnvolles wie richtig gute, innovative Projekte finanziert werden, die es nicht nur in
dieser Gegend Berlins gibt.
({1})
Zum Thema Bürokratie haben Sie geschildert, wie
lange es dauert, um überhaupt einen Plan aufzustellen,
damit dann vielleicht irgendwo ein Auftrag erteilt werden kann. Genau das ist das Berliner Problem. Deswegen ist es richtig, dass der Antrag hier gestellt worden
ist. Der Senat pennt von vorne bis hinten. Es kann doch
nicht wahr sein, dass die Bürokratie zwei Jahre damit beschäftigt werden muss, um diesen Kasten abzureißen.
({2})
Das ist doch unerträglich. Herr Barthel, ich finde es
furchtbar, dass wir hier allen Ernstes über den Abriss
dieses Kastens und über eine Zwischennutzung diskutieren, anstatt darüber, was dort entstehen soll.
({3})
Warum reden wir nicht darüber, was dort entstehen soll?
({4})
- Herr Barthel, genau das ist das Problem: Es fehlt hier
an politischer Führung.
Die Kollegin Blank hat die fehlende Führung seitens
der Bundesregierung angesprochen. Das ist richtig, aber
man muss auch fragen: Wo ist der Senat? Beim Senat
besteht das gleiche Problem.
({5})
Hier summieren sich zwei, die nichts tun und nicht vorwärts gehen. Das ist an dieser Stelle und auch an vielen
anderen Stellen Berlins das Problem. Es ist einfach
symptomatisch: Herr Wowereit hat sich geäußert. Er ist
für einen Abriss. Aber hat er irgendetwas getan? Nichts
hat er getan.
({6})
- Über Herrn Flierl braucht man doch gar nicht mehr
ernsthaft zu reden. Das ist in dieser Stadt doch kein ernst
zu nehmender Senator mehr.
Herr Barthel, ich würde mir wünschen, dass sowohl
die Bundesregierung als auch der Senat sagen: Wir orientieren uns am Beispiel Dresden.
({7})
Dresden ist ein gutes Beispiel dafür, wie man die Kombination von Bürgerengagement, von Unterstützung seitens der privaten Wirtschaft und der politischen Seite,
die den Weg freimacht, schafft. An dieser Stelle ist es
Ihre Aufgabe, den Weg freizumachen.
({8})
Ich weiß nicht, ob Sie in letzter Zeit in Dresden gewesen sind.
({9})
- Es ist wirklich beeindruckend. Ich finde es bewegend,
die Fortschritte zu sehen. Vor einigen Jahren lagen dort
nur die Steine. Inzwischen steht die Kirche und jetzt ist
das Kreuz draufgesetzt worden.
Was ist dagegen hier passiert? Nichts ist passiert. Es
fehlt hier an politischer Führung und an dem Willen,
wirklich etwas umzusetzen. Das muss geändert werden.
Hier müssen die Bundesregierung und der Senat Hand in
Hand arbeiten.
Danke.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Palast der Republik wurde spät und aufwendig vom
Asbest befreit. Nun steht er - außen verstaubt und innen
bereinigt - im Herzen Berlins. Seit Monaten wird er wieder angenommen: bei Besichtigungen, bei Ausstellungen, bei Kongressen.
Berlins Kultursenator Thomas Flierl hat diese Zwischennutzung ausdrücklich begrüßt,
({0})
nicht im Blick zurück, nicht in ideologischer Konfrontation, sondern - ich zitiere - als „diesseitige Utopie“. Ich
finde, diese vielfältige Öffnung ist das Beste, was dem
Palast, was diesem Platz und auch Berlin und seinen Besuchern derzeit passieren kann.
({1})
Jeder hier im Haus weiß es doch: Ein Schloss ist derzeit nicht zu haben. Niemand hat das Geld dafür: Der
Bund nicht, Berlin nicht und auch private Sponsoren stehen nirgendwo Schlange, oder haben Sie sie heute mitgebracht, Frau Kollegin Blank? Es muss also andere
Gründe geben, warum die CDU/CSU erneut auf den Abriss des Palastes drängt und seine Zwischennutzung zu
verhindern sucht.
Bei der Vorbereitung auf die heutige Debatte habe ich
eine Antwort darauf in einem Brief, den die CDU-Abgeordnete Lengsfeld an ehemalige Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Palastes der Republik schrieb, gefunden.
Darin heißt es wörtlich:
Der Palast der Republik hat nie Anziehungskraft …
besessen … Die Restaurants waren teuer und deshalb meistens leer.
({2})
Im Foyer … fehlte alles, was zu einem Treffpunkt
für Menschen gehört …
Kurzum - immer noch Frau Lengsfeld -:
Der Palast gehört abgerissen, selbst wenn er nicht
asbestverseucht wäre.
({3})
Ich weiß nicht, warum ich dann so lange vor dem Jugendtreff angestanden habe, um in die Disco gehen zu
können, und warum andere - übrigens auch Besucherinnen und Besucher aus dem Westteil der Stadt - die Restaurants so gern genutzt haben und dafür auch eine
Stunde Wartezeit in Kauf genommen haben.
({4})
Sie können da nie gewesen sein.
Mit Verlaub, wer so wie Frau Lengsfeld falsch Zeugnis redet und wessen Galle derart überläuft, der verrennt
sich gegen den Palast, aber auch gegen das achte Gebot;
beides ist übrigens ungesund, vielleicht können Sie das
der Kollegin ausrichten.
({5})
Aber in diesem Antrag steht ja noch etwas anderes
- der Kollege Barthel ist schon darauf eingegangen -:
Sie versuchen nun im x-ten Anlauf, sich oder - besser Bürgerrechtlern und ihren Mitstreitern aus der DDR
ein Denkmal auf dem Schlossplatz zu setzen. Kein Bürgerrechtler - Sie haben sich damals in der Debatte dazu
geäußert - aus DDR-Zeiten, der auch heute, im vereinten
Deutschland, Bürgerrechtler geblieben ist, verfolgt ein
solches Ansinnen, wie es in Ihrem Antrag steht. Und es
gibt sie noch, die auch heute couragiert in der Bundesrepublik für Menschenrechte, für Bürgerrechte, für Gerechtigkeit und Frieden streiten. Die Antragsteller allerdings gehören in dem Fall nicht dazu.
({6})
Noch einmal ganz kurz zur Zwischennutzung durch
Kunst und Kultur aus Ost und West zurück: Sie machen
in der Tat aus der Not eine Tugend, womit Sie übrigens
etwas im Sinne unserer Beschlüsse - der Beschlüsse des
Bundestages - leisten: Denn wir haben schon vor Jahren
hier beschlossen, dass der Schlossplatz öffentlich bleiben und belebt werden muss und dass er den Bürgerinnen und Bürgern gehört.
Stellen Sie sich schließlich einmal eine Frage: In welchem Gebäude, an welchem Platz der Bundesrepublik
wird der Bundeskanzler eigentlich noch gelobt? Jüngst
veranstaltete der BDI dort seinen Kongress und lobte die
Reformen des Bundeskanzlers. Das hätten wir nicht getan, aber ich fand es ausgesprochen interessant.
({7})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
Frau Dr. Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist ja nun fast schon zu einem Ritual geworden, dass wir
uns hier in regelmäßigen Abständen als kleiner Rest versammeln und uns noch einmal daran erinnern, was wir
an dieser Stelle am 4. Juli 2002 in einer riesigen Runde
mit überraschender und Aufsehen erregender Klarheit
- und übrigens auch einem erstaunlichen Ergebnis - beschlossen haben: nämlich dass das Berliner Stadtschloss
an ursprünglicher Stätte wieder aufgebaut werden soll.
Als Demokratin erinnere mich sehr gern an diese Debatte:
({0})
denn es war eine offene, anspruchsvolle Debatte ohne
Fraktionsdisziplin und auch eine Debatte, der die Öffentlichkeit wirklich zugehört hat. Aber ehrlich gesagt freue
ich mich auch, dass wir in einem Jahr um dieselbe Zeit
dieses Debattenritual nicht mehr nötig haben werden; da
bin ich mir sicher. Ich warte geradezu auf den Moment,
wenn nach dem Abriss die Neugestaltung des Herzens
Berlins realer wird und die Vorfreude auf das Neue und
nicht mehr die Nostalgie für das Gruftige hier Platz findet.
({1})
Der Palast der Republik wird dann einen teilweise
würdevollen und einen teilweise skurrilen Abschied hinter sich haben - skurriler als es sich selbst seine größten
Fans wünschen konnten und auch die Fans der Zwischennutzung wünschen konnten. So ist das nun einmal:
Man setzt die Idee für die Zwischennutzung in die Welt,
und der Bundesverband der Deutschen Industrie kommt.
Das hat auch mich sehr erstaunt
({2})
und vom Stilgefühl und Geschichtsverständnis des BDI
nicht wirklich überzeugt. Dieses Erstaunen will ich bei
dieser Gelegenheit wirklich ausdrücken. Die Herren haben merkwürdige Phantasien.
Den finalen Höhepunkt dieses langen letzten Sommers wird es dann im August geben: Künstler aller Sparten werden dann den Palast der Republik mit ihren Projekten bespielen. Wer den schönen Schauer des
Gebäudes liebt, darf sich also ausgiebig ausleben. Ich
finde, da kann man dann auch großzügig sein. Das sollte
es dann aber auch gewesen sein.
Jetzt ist es an der Zeit, den Beschluss des Bundestages
umzusetzen. Es ist beruhigend, zu sehen, dass die nostalgischen Äußerungen des Berliner Kultursenators, der
sich regelrecht zum Organisator der Zwischennutzung
gemacht hat, auch bei seinen Senatskollegen auf keine
Gegenliebe gestoßen sind. Ich glaube, dass er dafür kein
richtiges Mandat hatte. Manchmal wünschte ich mir, er
hätte sich mehr um die Opernstiftung gekümmert.
({3})
Der Berliner Senat steht aber wie der Deutsche Bundestag zu seiner Entscheidung für den Abriss.
Allen ist klar, dass der Palast der Republik alles andere als ein utopisches Zukunftsmodell ist. Was ist er?
Er ist eine Ruine, die das historische Zentrum Berlins im
Augenblick städtebaulich verstellt.
({4})
Die Unzufriedenheit, die Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen, drückt uns aber wieder einmal kräftig in
die von uns längst ohne viel Aufsehens beschrittenen
Wege: Im Januar wurden die Planungsleistungen für die
Vorbereitung des Abrisses EU-weit offen ausgeschrieben. Eine engere Auswahl von sechs Ingenieurbüros hat
im Juni ihre Konzeptionen für den Rückbau vorgelegt.
Nach Auskunft des Landes Berlin soll der Auftrag für
den Abriss bis Mitte Juli erteilt werden.
({5})
Es ist also alles auf dem richtigen Weg und von den dafür Zuständigen organisiert. Ich weiß also nicht, wo das
Problem liegt.
({6})
Anfang 2005 soll dann die Ausschreibung der Bauarbeiten nach einem EU-weiten öffentlichen Teilnehmerwettbewerb erfolgen, sodass die Abrissarbeiten nach
meiner Rechnung im Frühjahr 2005 beginnen und, wenn
alles nach Plan läuft, bis Mitte 2006 abgeschlossen werden können.
({7})
Dann hätten wir endlich auch Platz für Phantasien und
für die Planungen, die wir dann brauchen. Wir hätten
dann vor allen Dingen einen Anlass, Geld für die Gestaltung der offenen Flächen von denjenigen, die sich dafür
engagiert haben, einzuwerben und wir brauchen vor allen Dingen eine Planung bezüglich des Humboldt-Forums.
Das sind die Dinge, die jetzt wirklich anstehen. Mir
würde es übrigens Spaß machen, daran teilzunehmen.
Ich glaube, der Reiz der hier immer wiederholten Debatten ist einigermaßen ausgeschöpft. Lasst uns doch endlich einmal ein paar neue Gedanken diskutieren!
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 15/3315 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist sichergestellt, dass hier nach Rückkehr aus den Ausschüssen die
nächste Debatte zu diesem Thema stattfindet.
({0})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe den Deutschen Bundestag zur gemeinsamen Sitzung mit dem Bundesrat anlässlich der Vereidigung des Bundespräsidenten auf morgen, Donnerstag,
den 1. Juli 2004, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.