Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte zur humanitären und menschenrechtlichen Situation und internationalen Verantwortung im westlichen Sudan sowie um
den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 15/3197
zu erweitern. Für die Beratung sind 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung
für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des
Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz
({1}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien
vom 9. Juni 1999
- Drucksache 15/3175 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Interfraktionell ist vereinbart, dass an dieser Stelle
keine Aussprache hierzu erfolgen soll. - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden.
Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags auf
Drucksache 15/3175 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen
Bericht hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach jahrelanger Diskussion über eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationsmodelle und mehreren vergeblichen Anläufen legen wir mit dem Gesetzentwurf zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Reformpaket vor, das gute Aussichten hat, das
parlamentarische Verfahren erfolgreich zu durchlaufen.
Die Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfes bildet das gemeinsame Konzept, das der Bundeskanzler und
die Regierungschefs der Länder vor einem Jahr verabschiedet haben und das den Durchbruch bei der bis dahin
vergeblichen Suche nach einer gemeinsamen, konsensfähigen Lösung darstellte. Auch die Selbstverwaltung der
Rentenversicherung war von Anfang an in die Verhandlungen einbezogen. Das Ziel der Reform ist es,
Wirtschaftlichkeit, Effektivität und Bürgernähe der Rentenversicherung zu verbessern und für alle Rentenversicherungsträger dauerhaft stabile Rahmenbedingungen zu
schaffen.
Sie wissen, dass die historisch bedingte und gewachsene Trennung von Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung nicht mehr zeitgemäß ist. Dies wurde bereits
durch die Vereinheitlichung der Leistungen deutlich.
Jetzt ist es höchste Zeit, dass diese Trennung auch organisatorisch überwunden wird. Die überholte Organisation der Rentenversicherung wird an die Erfordernisse
Redetext
einer modernen und effizienten Verwaltung und an die
veränderte Versichertenstruktur angepasst. Damit leistet
die Organisationsreform auch einen Beitrag zum Bürokratieabbau, einem wesentlichen Ziel der Agenda 2010
des Bundeskanzlers.
Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung werden zur „Deutschen Rentenversicherung“ zusammengeführt. Die Namen der Rentenversicherungsträger setzen sich künftig aus der Bezeichnung „Deutsche
Rentenversicherung“ sowie einer angefügten Regionalbezeichnung für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich
zusammen: zum Beispiel „Deutsche Rentenversicherung
Baden-Württemberg“ oder „Deutsche Rentenversicherung Westfalen“ für die Regionalträger sowie „Deutsche
Rentenversicherung Bund“ für den Zusammenschluss
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit der
VDR. Mit der Namensgebung wird das erforderliche
Signal gegeben, dass mit der organisatorischen Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt
auch ein Neubeginn der gesamten Rentenverwaltung verbunden ist.
Um dauerhaft stabile Rahmenbedingungen für die
Träger zu schaffen, wurde mit der Versicherungsnummer
ein mathematisches Zuordnungskriterium für die Zuordnung der Versicherten zu den einzelnen Trägern gewählt.
Zusätzlich wurde für die Bundesträger ein Versichertenanteil von 45 Prozent und für die Regionalträger eine
Quote von 55 Prozent festgelegt.
Innerhalb der ersten fünf Jahre soll der Anteil der Verwaltungsausgaben und Verfahrenskosten in der Rentenversicherung um 10 Prozent gesenkt werden; das bedeutet, auf alle Träger gerechnet, circa 350 Millionen Euro.
Besondere Bedeutung kommt mit der Organisationsreform auch dem Wettbewerb der Träger um die beste
Aufgabenerfüllung zu.
Mehr Wirtschaftlichkeit und Effektivität sollen vor allem durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
Erstens. Die Zahl der Bundesträger wird von vier auf
zwei halbiert. Neben der Vereinigung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zur „Deutschen Rentenversicherung Bund“ fusionieren Bundesknappschaft,
Bahnversicherungsanstalt und Seekasse zur „Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See“. Darüber
hinaus sind Zusammenschlüsse zwischen den derzeit
noch 22 Landesversicherungsanstalten geplant.
Zweitens. Die Steuerung und Koordinierung der Rentenversicherungsträger wird verbessert. Bei der „Deutschen Rentenversicherung Bund“ werden die wichtigen
Grundsatz- und Querschnittsaufgaben gebündelt; ihre
Vorgaben sind für alle anderen Träger verbindlich.
Drittens. Durch die Einführung eines zielgerichteten
Benchmarkings der Leistungs- und Qualitätsdaten werden die vorhandenen Einsparpotenziale bei den Trägern
transparent und können ausgeschöpft werden.
Viertens. Durch eine Neuordnung der Finanzverfassung werden die Finanzbeziehungen zwischen den Arbeitgebern und den Einzugsstellen sowie den Trägern
untereinander optimiert.
Resümee: Ich freue mich, dass es gelungen ist, mit
Bund und Ländern nach wirklich jahrelangen Diskussionen, die teilweise bis in die 80er-Jahre zurückverfolgt
werden können, eine Reform auf den Weg zu bringen,
die die Rentenversicherung insgesamt nach vorne bringt
und insbesondere zu effektiveren Strukturen führt.
Danke schön, Frau Ministerin.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat
zunächst der Abgeordnete Gerald Weiß.
Frau Ministerin, was die Ziele anbelangt, die Sie eben
für diese Reform in Anspruch genommen haben - mehr
Wirtschaftlichkeit zu erreichen, mehr Effektivität in der
Organisation und Verwaltung der Rentenversicherung,
mehr Bürgernähe, stabile Administrationsstrukturen; so
habe ich das verstanden -, kann man sicherlich d’accord
sagen; das sind, glaube ich, unterstützenswerte Zielsetzungen. Was die Teilaspekte der Umsetzung, der Methodik - des Wie-man-diese-Ziele-zu-erreichen-sucht - angeht, darf man vielleicht doch noch das eine oder andere
kritisch nachfragen.
Sie haben erwähnt, dass die Zuordnung der Versicherten zu ihrer Rentenadministration, zu ihrem Rentenverwaltungsträger per Versicherungsnummer geschehen
soll, so gesteuert, dass die einzelnen Versicherungsträger
stabile Marktanteile haben werden. Das ist ja nun mehr
oder weniger ein Losverfahren, ein Lotteriespiel, das
beispielsweise so ausgehen kann, dass in ein und derselben Familie die Frau bei der Deutschen Rentenversicherung Mecklenburg-Vorpommern landet, obwohl sie im
Rheinland arbeitet, und ihr Ehemann vielleicht bei der
Bundesknappschaft.
({0})
Ist das Verfahren, die Zugehörigkeit zum Rentenversicherungsträger ganz von der Branche und der Region
loszulösen, wirklich sinnvoll? Sind Ihrerseits andere Zuordnungssysteme geprüft worden, beispielsweise eine
Aufteilung nach Branchen, nach Regionen oder meinethalben auch nach Betriebsgrößen? Warum hat man sich
für diese Methode entschieden und nicht für eine der Alternativen, die auch denkbar sind?
Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Der VDR,
der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, soll
mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte verschmolzen werden. Durch die bisherige Struktur war sichergestellt, dass es zwei kompetente Stellen im Rentenversicherungssystem gibt, die auch eine gute fachliche
Politikberatung durchführen. Wer vorsieht, diese beiden
Stellen sozusagen zu einem monolithischen Block zu
verschmelzen, dem müsste doch daran gelegen sein, für
die Zukunft eine zweite unabhängige und kompetente
Stimme zu gewinnen. Ich nenne als Stichwort nur die Sicherung der Qualität der Politikberatung. Daraus leitet
sich meine Frage ab: Wäre es nicht sinnvoll, darüber
Gerald Weiß ({1})
nachzudenken, den Alterssicherungsrat, den die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ vorgeschlagen hat, als eine solche zweite unabhängige
Stimme zur Sicherung der Qualität der Politikberatung
zu etablieren?
Herr Kollege Weiß, wir haben über viele Zuordnungskriterien beraten. Jedes Zuordnungskriterium ist immer
auch ein Zufallskriterium. Sie haben gerade geschildert,
dass das neue Verfahren, nach dem zu einem Regionalträger oder Bundesträger zugeordnet wird, dazu führen
kann, dass es innerhalb einer Familie verschiedene Zuordnungen gibt. Ein solches Problem wäre bei einer
branchenspezifischen Zuordnung aber genauso gegeben,
weil Ehepartner bzw. Eltern und ihre Kinder in Deutschland in der Regel nicht in der gleichen Branche tätig
sind.
Wir haben alle Verfahren durchgespielt. Das war ein
sehr langer Prozess, auch nach der Einigung vor einem
Jahr. Dabei gab es eine enge Abstimmung mit den Betroffenen in den Landesversicherungsanstalten, aber
auch auf Bundesebene und mit den Ländern. Wir sind zu
der Auffassung gekommen, dass die Zuordnung nach einer Versicherungsnummer das einfachste Kriterium ist,
weil sie im Laufe des Berufslebens und auch während
des Leistungsbezuges keinem Wechsel unterliegt.
Für diejenigen, die heute Leistungen beziehen, ändert
sich nichts. Das gilt auch für diejenigen, die über
60 Jahre alt sind. Aber auch für die heutigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wird sich wenig ändern.
Durch die Neuregelung wird es aber vor allen Dingen für
die Neuzugänge Vereinfachungen geben, weil die Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten - auch ein
Zufallskriterium, das sich im Laufe des Lebens ändern
kann, womit eine Änderung der Zuordnung zum Rentenversicherungsträger verbunden ist - wegfällt. Man wird
zukünftig zum Beispiel der Deutschen Rentenversicherung Nord - wir gehen ja davon aus, dass MecklenburgVorpommern zukünftig dazu gehören wird - oder eben
der Bundesebene zugeordnet. Es gibt kein Verfahren, das
nicht dem Zufall unterliegt. Wir sind der Meinung, dass
der bürokratische Aufwand beim Verfahren der Zuordnung nach einer Versicherungsnummer am geringsten
ist, weil sich diese im Laufe des Erwerbslebens bzw.
während des Leistungsbezugs nicht mehr ändert. Branchenspezifische Kriterien, regionale Kriterien oder andere Kriterien dagegen können sich ändern und müssten
immer wieder angepasst werden.
Zu Ihrer zweiten Frage: Im Verlauf der Diskussionen
zu einer Organisationsreform wurde immer wieder gefordert, die Verwaltungsstruktur zu verschlanken. Zum
anderen wurde immer wieder gesagt, dass wir, wenn alle
bestehenden Strukturen aufrechterhalten bleiben und aus
vier bundesweiten Trägern zwei gemacht werden - dadurch würden wir zu mehr Synergieeffekten und effektiveren Strukturen kommen -, ein Kontrollgremium
bräuchten. Ich weiß auch, dass ein Alterssicherungrat
gefordert wird.
Wir haben im Deutschen Bundestag eine ganze
Menge zusätzlicher Instrumente beschlossen - manche
im Übrigen mit den Stimmen von Opposition und Regierung, also mit dem ganzen Haus -, damit das Parlament
die Arbeit der Rentenversicherungsträger begleiten
kann. Ich nenne Ihnen nur den Rentenversicherungsbericht, der in einer 15-jährigen Vorausschau über Entwicklungen und Prognosen berichtet, und die Arbeit des
Sozialbeirates und vieler anderer unserer Gremien. Wir
haben jetzt im Nachhaltigkeitsgesetz beschlossen, dass
dem Deutschen Bundestag zukünftig berichtet wird, wie
sich die Erwerbsbeteiligung der älteren Generation verändert und wie wir hier zu einem Ausgleich kommen,
um eventuell über die Altersgrenzen entscheiden zu können.
Ich glaube, dass es nicht gut wäre, die Einsetzung
eines Alterssicherungsrates damit zu verbinden, dass wir
aus zwei Bundesträgern einen machen. Wir gehen davon
aus, dass die Zusammenführung des VDR mit der BfA
zur Deutschen Rentenversicherung Bund dazu führen
wird, dass die Arbeit effizienter wird. Der VDR, der bisher insbesondere für allgemeine und organisatorische
Fragen, aber auch für Vorschläge im Hinblick auf die
Weiterentwicklung der Rentenversicherung zuständig
war - es ist ja ein privatrechtlich organisierter Verein -,
wird nämlich durch die Errichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund ganz andere Kompetenzen haben,
was sich auch auf die Arbeit der Rentenversicherungsträger insgesamt auswirken wird.
Insofern schlagen wir vor, dass wir mit dieser Arbeit
erst einmal beginnen und die Aufgabenverteilung dabei
sehr genau beachten. Wir gehen davon aus, dass es nicht
notwendig ist, zusätzlich einen Alterssicherungsrat einzurichten.
Herr Kollege Weiß, es tut mir Leid, das waren ganz
eindeutig zwei Fragen und auch zwei ausführliche Antworten. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht gestatten.
Als Nächster hat der Kollege Peter Dreßen das Wort.
Wenn wir nachher noch Zeit haben, komme ich auf Sie
zurück. - Bitte.
Frau Ministerin, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, handelt es sich um das Ergebnis monatelanger Verhandlungen zwischen dem Bundesrat einerseits und der
Bundesregierung andererseits. Insofern könnte ich mir
vorstellen, dass hier noch mehr Effektivität vorhanden
wäre, wenn wir das alleine machen könnten.
Meine Fragen lauten: Können Sie vielleicht einmal
erklären, was sich für den Versicherten durch diese Organisationsreform verändert? Hat er Vor- oder Nachteile? Was verändert sich für den Arbeitgeber? Muss er
jetzt an mehrere Stellen abführen? Können Sie noch ein
paar Ausführungen dazu machen und darlegen, was sich
für die Versicherten einerseits und die Arbeitgeber andererseits ändert?
Herr Kollege Dreßen, für die Versicherten bleibt in
der Regel alles beim Alten, weil es für den Versicherten
zunächst einmal überhaupt keine Rolle spielt, ob er Versicherter der Deutschen Rentenversicherung Bund ist
und sein Versichertenkonto dort geführt wird oder ob es
zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern geführt
wird.
Für den Versicherten ändert sich aber Folgendes: Um
die Finanzen der deutschen Rentenversicherung stabil zu
halten, wollen wir nicht nur einen Nachhaltigkeitsfaktor
einführen. Wir wollen auch darauf achten, dass das Geld,
also die Beiträge der Versicherten, in den Verwaltungsstrukturen optimal eingesetzt wird und dass alle vorhandenen Effizienzreserven genutzt werden. Insofern geht
es für die Versicherten dabei zunächst einmal um Beitragssatzstabilität und Beitragssatzentwicklung. Nach
Auffassung von Bund und Ländern können in diesem
Bereich innerhalb von fünf Jahren 350 Millionen Euro
eingespart werden. Diese 350 Millionen Euro setzen
sich aus Beiträgen und Steuern zusammen - ein Drittel
wird ja über Steuern finanziert - und kommen der deutschen Rentenversicherung zu. Es handelt sich also immer um Steuern oder Beiträge.
Für die Arbeitgeber ändert sich schon etwas, da das
Verfahren für sie vereinfacht wird. Sie müssen nicht
mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheiden, sondern können die Rentenversicherungsbeiträge in
cumulo überweisen. Die Verteilung auf die zuständigen
Versicherungsträger findet nach einem Prinzip statt, das
zwischen dem Bund und den Ländern ausgehandelt
wird. Insgesamt wird es auch beim Beitragseinzugsverfahren zu einer wirklichen Vereinfachung kommen.
Jetzt hat der Herr Kollege Kubatschka das Wort. Bitte.
Frau Ministerin, eine Frage aus einem etwas anderen
Blickwinkel, und zwar dem der Beschäftigten der LVAen
- bei mir in Landshut geht es um 2 000 Arbeitsplätze
und damit um eine ganze Menge von Schicksalen -: Wer
wird für den Zusammenschluss der LVAen zuständig
sein? Wird der Zusammenschluss freiwillig erfolgen?
Wird man das aushandeln können oder wird das zwangsweise geschehen? Wie wird es um die Arbeitsplätze vor
Ort bestellt sein? Im Zeitalter moderner Technik müssten
die Arbeitsplätze nicht verlagert werden, weil alles vernetzt werden kann. Insofern könnten die Arbeitsplätze
vor Ort erhalten werden.
Herr Kollege Kubatschka, Zwang wollen wir nicht
ausüben. Die Frage der Zusammenschlüsse von LVAen
wird von den jeweiligen Ländern und den LVAen gemeinsam behandelt werden. Dort werden auch die Verhandlungen stattfinden. Ein Zwang zu Zusammenschlüssen ist in diesem Gesetzentwurf an keiner Stelle
verankert.
Wir wissen, dass es Überlegungen gibt, sich regional
zusammenzuschließen, zum Beispiel in der Nordregion.
Es gibt auch den Wunsch einiger Länder, die LVAen zur
mitteldeutschen Region zusammenzuschließen, also
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, um so effizientere Strukturen in der Rentenversicherung aufzubauen.
Deshalb wird dieser Prozess auf dieser Ebene verhandelt
und auch entschieden. Der vorliegende Gesetzentwurf,
dessen Zustandekommen früher daran gescheitert ist,
dass es entweder einen völlig zentralistischen oder einen
absolut dezentralen Ansatz gab, ist der Versuch, im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu einer ausgewogenen Form von Zentralismus und einer dezentralen
Aufgabenverteilung zu kommen.
Zur Sicherung der Arbeitsplätze: Die Arbeitsplätze
vieler LVAen werden durch diese Reform im Grunde genommen sehr viel stärker gesichert, als das ohne Reform
möglich gewesen wäre. Sie wissen, dass der Anteil der
Arbeiter immer geringer wird, wohingegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte einen hohen Zuwachs zu verzeichnen hat. Durch die neue quotenregulierte Aufteilung von 45 Prozent für die Bundesebene
- 40 Prozent für die bisherige BfA und 5 Prozent für den
neuen zweiten Bundesträger - und 55 Prozent für die
Landesversicherungsanstalten wird es hier zu einer
Sicherung von Arbeitsplätzen kommen.
Diejenigen, die den Gesetzentwurf erarbeitet haben
- ich beziehe mich wieder auf Bund und Länder -, gehen
davon aus, dass es im Zuge der Reform keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. In den kommenden
Jahren werden auch die geburtenstarken Jahrgänge Leistungen beziehen, sodass es eher ein Mehr an Arbeit geben wird. Dennoch wird es zukünftig mit Sicherheit eine
sozialverträgliche Veränderung geben; denn nicht alle
Stellen, deren Inhaber aufgrund der Erreichung der Altersgrenze ausscheiden, werden eins zu eins wiederbesetzt werden. Das fällt jedoch in die Aufgabenverteilung
der jeweiligen Bundes- oder Landesbehörde und muss
von diesen entsprechend geregelt werden. Die Beschäftigten selber haben in den kommenden Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen zu erwarten.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger.
Frau Bundesministerin, die Verteilung von 55 Prozent
auf die LVAen und 45 Prozent auf die beiden Bundesträger wurde möglicherweise so getroffen, dass sie den
jetzigen Stand ungefähr widerspiegelt. Betrifft dies nur
die deutschen Versicherten oder auch die ausländischen
Bürgerinnen und Bürger, die in der gesetzlichen Rentenversicherung mitversichert sind?
Ich kann von einer Konzentration berichten. So werden beispielsweise bei der LVA Niederbayern-Oberpfalz
zu 80 Prozent Bürgerinnen und Bürger aus dem ehemaliMax Straubinger
gen Jugoslawien geführt. Diese müssten bei einer solchen Aufteilung zurückgeführt werden. Ist es sinnvoll,
auch solche speziellen Dinge dieser Organisationsstruktur zu unterwerfen? Ich denke daran, dass man möglicherweise drei, vier oder fünf Anstalten mit dem Recht
der Doppelrentenversicherungsabkommen betrauen muss.
Wäre es nicht vielleicht unter dem Gesichtspunkt der
schlankeren Verwaltung und der Vereinfachung besser,
bestimmte Nationalitäten einzelnen Versicherungsträgern zuzuordnen, um nicht ständig Koordinierungsmaßnahmen zwischen den Rentenversicherungsträgern wegen der speziellen gesetzlichen Gegebenheiten, denen
der Verkehr mit ausländischen Versicherungsträgern unterliegt, treffen zu müssen?
Ein Zweites: In § 138 des Entwurfs werden Querschnittsaufgaben definiert, die sozusagen von der BfA
erledigt werden sollen. Hier gibt es die Klage, zumindest
aber die Kritik, dass diese nicht abschließend definiert
wurden. Ist das in der jetzigen Fassung des Gesetzentwurfes, der vom Kabinett beschlossen wurde, geändert
worden, sodass diese Querschnittsaufgaben als abschließend zu betrachten sind?
Ein Drittes: Soll die Zuständigkeit für die Auskünfte
zukünftig auf die Länder verlagert werden oder soll dies
- Sie sprachen vorhin davon - zentral über eine Stelle erfolgen?
Herr Kollege Straubinger, bei dem Fall, den Sie geschildert haben, verändert sich nichts. Ich habe gesagt,
dass sich in der Regel bei denjenigen, die jetzt schon bei
den Versicherungen geführt werden, und bei denjenigen,
die über 60 Jahre alt sind und Leistungen erhalten, nichts
ändert. Es wird sich nur um einen kleinen Teil der jetzt
schon Versicherten handeln, der über die neue Versicherungsnummer eine neue Zuordnung erfährt, weil man einen notwendigen Ausgleich vornehmen muss, wenn es
die neue Struktur von 45 : 55 gibt.
Mit der Organisationsreform heben wir in Zukunft die
Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf und
finden eine neue Zuordnung. Wir waren der Auffassung,
dass alle Versicherten gleich zu behandeln sind. Eine zusätzliche Trennung nach Nationalitäten würde zu weiteren Diskussionen führen, weil das von einem Teil der
Bürgerinnen und Bürger als diskriminierend empfunden
würde.
Eine andere Frage ist, wie man die Arbeitsabläufe
organisiert. Es wird ein Benchmarking und einen Wettbewerb zwischen den Sozialversicherungsträgern geben.
Es sollen Vorschläge entwickelt werden, wie wir zu
wirklich effektiven Strukturen kommen und wie man
- das haben Sie in Ihrer dritten Frage angesprochen - die
Information der Bürger durch gemeinsame Informationsstellen verbessern kann. Das schließt die Verbesserung der Bürgernähe ein. Ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist.
Oft sind bestimmte Nationalitäten in gewissen Regionen konzentriert. Insofern wird es immer eine Bündelung von Aufgaben bei bestimmten Regionalträgern geben, ohne dass wir eine zusätzliche Kennzeichnung nach
Nationalität vornehmen würden. Wenn die Menschen ihren Lebensabend in Deutschland verbringen und hier
ihre Rente bekommen, ändert sich nichts gegenüber anderen.
Was die zweite Frage, die Frage nach der Konkretisierung der gemeinsamen Angelegenheiten der Rentenversicherungsträger und den Grundsatz- und Querschnittaufgaben, angeht: Wir haben im Gesetzentwurf
vorgesehen, dass es um die Vertretung der Rentenversicherung nach außen, die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, die Klärung grundsätzlicher Fach- und Rechtsfragen zur Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung
sowie um die Fragen geht, wie der von mir schon angesprochene Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitswettbewerb
zwischen den Trägern organisiert werden soll, welche
Rahmenrichtlinien für den Aufbau und die Durchführung eines zielorientierten Benchmarkings auf den Weg
gebracht und welche Leistungs- und Qualitätsdaten erhoben werden sollen. Das muss auf Bundesebene festgelegt werden, damit für die regionalen Träger in diesem
Wettbewerb einheitliche Kriterien gelten.
Wir haben ferner festgelegt, dass auf Bundesebene
Grundsätze für die Aufbau- und Ablauforganisation, das
Personalwesen und für Investitionen unter Wahrung der
Selbstständigkeit der Träger entwickelt werden sollen.
Wir wollen auch die Grundsätze und die Steuerung der
Finanzausstattung und -verwaltung im Rahmen der
Finanzverfassung für das gesamte System auf Bundesebene entwickeln, sodass nicht länger Finanzströme organisiert werden müssen, sondern in der Regel nur noch
Buchungsvorgänge anfallen. Außerdem geht es - das ist
sehr wichtig für die Verbesserung der Effizienz - um die
Koordinierung und Planung der Rehabilitationsmaßnahmen. Des Weiteren handelt es sich um die Koordinierung
der Datenverarbeitung, um die Erstellung von Grundsätzen für die Aus- und Fortbildung und die Organisation
und Aufgabenzuweisung der Auskunfts- und Beratungsstellen. Das sind die grundlegenden Aufgaben.
Wir gehen davon aus, dass es einen Vorstand und eine
Geschäftsführung geben wird. Da wir auch eine Personalvertretung vorsehen, die sowohl auf Landesebene als
auch in einem Arbeitskreis auf Bundesebene stattfindet,
sind wir der Auffassung, dass auf dieser Grundlage die
inhaltliche Ausgestaltung der Aufgabenkomplexe vorgenommen werden kann und wir damit einen entscheidenden Schritt nach vorne gehen. Denn über die
Einbeziehung der Selbstverwaltungsorgane und die
Koordinierung der Aufgaben werden auch für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande einheitlichere Vorgaben geschaffen und es wird eine effizientere Planung
dessen, was in der Rehabilitation und - was wir alle wollen - auch künftig in der Prävention angeboten werden
kann, ermöglicht.
Jetzt hat der Kollege Daniel Bahr das Wort.
({0})
- Herr Straubinger, Sie haben Ihre drei Fragen bereits
gestellt.
Es ist zu begrüßen, dass bei der Einigung zwischen
dem Bundeskanzler und den Bundesländern zur Organisationsreform der gesetzlichen Rentenversicherung das
Ziel formuliert worden ist, Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu verbessern und Synergieeffekte zu nutzen. Es
ist auch zu begrüßen, dass mit dem Einsparvolumen von
350 Millionen Euro eine Richtung zur Entlastung der
Beitragszahler eingeschlagen wird. Ich frage mich aber,
ob man in diesem Zusammenhang auch in Erwägung gezogen hat, statt der vorgesehenen Erhaltung von zwei
Institutionen - nämlich der BfA, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, zusammen mit dem VDR
und den Sonderversicherungsträgern - nur eine Institution zu behalten bzw. in einem zweiten Schritt eine Beschränkung auf eine Institution vorzunehmen.
Des Weiteren ist es meines Erachtens im Zusammenhang mit dem Einsparvolumen von entscheidender Bedeutung, wie die Fusions- und Kooperationsvorhaben
der Landesversicherungsanstalten verlaufen. In diesem
Zusammenhang bitte ich Sie um eine Beurteilung der
bisherigen Bestrebungen und Diskussionen um die Fusions- und Kooperationsbemühungen der verschiedenen
Landesversicherungsanstalten. Glauben Sie, dass wir dabei auf einem guten Weg sind und das Einsparziel erreichen werden?
({0})
Zu Ihrer zweiten Frage, danach, wie die Fusionen verlaufen: Es gibt Bestrebungen, die Landesversicherungsanstalten von Berlin und Brandenburg zu fusionieren.
Des Weiteren gibt es - das habe ich eben bereits erwähnt - Bemühungen zur Schaffung eines Nordverbunds, mit dem Mecklenburg-Vorpommern, SchleswigHolstein und Hamburg einen gemeinsamen Weg gehen
wollen. Von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
wird Interesse an der Bildung einer mitteldeutschen Rentenversicherung geäußert. Das sind die Bestrebungen,
die bisher bekannt sind.
({0})
- Bayern hat sich bisher dazu nicht geäußert. Allein das
würde schon eine Reduzierung von bisher 22 auf
16 LVAen bedeuten. Ihre Frage nach den Zusammenschlüssen stellt sich wahrscheinlich eher im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit und den veränderten Organisationsbedingungen. Wenn die ersten Fusionen
vollzogen sind und wenn man im Benchmarkingprozess
sieht, dass effizientere Strukturen entstehen, dann wird
das sicherlich eine Fusionswelle auslösen. Wir wollen ja
einen Wettbewerb um gute Angebote und Wirtschaftlichkeit.
Des Weiteren haben Sie, Herr Bahr, danach gefragt,
warum es zukünftig zwei Rentenversicherungsträger auf
Bundesebene geben wird, warum also die vorhandenen
Rentenversicherungsträger nicht zu einer Rentenversicherungsanstalt Bund zusammengeführt werden. Dazu
kann ich Ihnen Folgendes sagen: Ihnen ist sicherlich die
Problematik bekannt, dass die Bundesknappschaft nicht
nur Rentenversicherung, sondern auch Krankenversicherung ist. Wir konnten also die Bundesknappschaft nicht
als Ganzes in die Deutsche Rentenversicherung Bund
eingliedern, weil sonst eine Vermischung mit den Aufgaben der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung der Bundesknappschaft stattgefunden hätte. Deshalb haben wir uns auf zwei Rentenversicherungsträger
auf Bundesebene geeinigt, nämlich Knappschaft, Bahnversicherungsanstalt und Seekasse auf der einen und die
Deutsche Rentenversicherung Bund auf der anderen
Seite, zu der VDR und BfA fusionieren werden. Das hat
also mit diesen besonderen Bedingungen zu tun.
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthäus Strebl. Ich
glaube, weitere Fragesteller in der Regierungsbefragung
wird es nicht mehr geben, da wir sonst die Zeit überschreiten. - Bitte, Herr Strebl.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin einen Personalabbau nicht ausgeschlossen und haben davon gesprochen,
dass die Verwaltungsstruktur entsprechend verschlankt
werden solle. Vor dem Hintergrund, dass die beiden
Rentenversicherungsträger auf Bundesebene einen Versichertenanteil von 45 Prozent und die regionalen Rentenversicherungsträger einen Anteil von 55 Prozent erhalten sollen, lautet meine Frage: Können Sie uns
Näheres über den Stand der Diskussion darüber sagen,
wie und mit welcher Geschwindigkeit Personalverschiebungen vorgenommen werden sollen? Mit welchen Personalveränderungen bzw. mit welchem Personalabbau
rechnen Sie? Ich gebe zu bedenken, dass eine große Verwaltung nicht automatisch mehr Effizienz bedeutet. Oft
arbeiten kleinere LVAen wie zum Beispiel die LVA in
Landshut, die für den Bereich Niederbayern/Oberpfalz
zuständig ist, sehr kostengünstig. Vielleicht können Sie,
Frau Ministerin, etwas Näheres dazu sagen, wie viel Personal die beiden Rentenversicherungsträger auf Bundesebene und die LVAen künftig haben werden.
Ich habe vorhin nicht gesagt, dass Personal abgebaut
wird - das weise ich zurück -, sondern, dass wir gemeinsam zu der Auffassung gelangt sind, dass die Reform
keine betriebsbedingten Kündigungen auslösen wird.
Aber selbstverständlich wird es im Laufe der Jahre auch
eine Anpassung des Personalbestandes geben, und zwar
im Zusammenhang mit „natürlichen“ Abgängen durch
Erreichen der Altersgrenze oder Fluktuationen.
Im Zusammenhang mit den geplanten Fusionen gehen wir davon aus - so ist das auch vorgesehen -, dass
die Arbeitsplätze gesichert sein werden. Wenn aber zum
Beispiel Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen einen
Fusionsvertrag schließen, dann wird es selbstverständlich eine Rolle spielen, wo sich der Hauptarbeitsort
befinden wird. Selbstverständlich können wir nicht
gleichzeitig - ich bitte um Verständnis - Reformen
durchführen, also für Fusionen, für die Schaffung effiBundesministerin Ulla Schmidt
zienterer Strukturen und für das Angebot wohnortnaher
Beratungszentren auf regionaler Ebene eintreten, und jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin einen Arbeitsplatz am bisherigen Ort garantieren. Anderenfalls hätten
wir erst gar keine Veränderungen vorzunehmen brauchen. Ich glaube, die Frage, ob man den Arbeitsplatz behält, ist für die Betroffenen sicherlich wichtiger als diejenige, ob man seinen Arbeitslatz zukünftig in Halle
oder in Merseburg hat.
({0})
Danke schön, Frau Ministerin. - Wir beenden damit
aus Zeitgründen die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/3157 Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatssekretär WolfMichael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Gitta Connemann auf:
Trifft es nach Auffassung der Bundesregierung zu, dass
nach dem geplanten Berufsausbildungssicherungsgesetz diejenigen Ausbildungsbetriebe, deren Auszubildende aufgrund
überdurchschnittlicher Leistungen vorzeitig zur Abschlussprüfung zugelassen werden, wodurch die entsprechenden
Lehrstellen in diesen Betrieben dann bis zu einem halben Jahr
nicht besetzt sein würden, eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen müssten, und wie beurteilt sie vor diesem Hintergrund die
sich daraus ergebende Situation der Betriebe und ihrer Auszubildenden?
Bitte, Herr Staatssekretär Catenhusen.
Frau Abgeordnete Connemann, eine pauschale Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage ist nicht möglich,
da eine Vielzahl von Faktoren für die Abgabepflicht eines Arbeitgebers maßgeblich ist. Zur Finanzierung der
nach dem Gesetzentwurf vorgesehenen Förderungsmaßnahmen - Stichwort Ausbildungsplatzumlagefinanzierung - wird im Falle der Auslösung der gesetzlichen
Wirkungen durch die Bundesregierung, wie es in § 3 des
Gesetzentwurfs vorgesehen ist, eine Berufsausbildungssicherungsabgabe von grundsätzlich allen öffentlichen
und privaten Arbeitgebern erhoben.
Von der Abgabepflicht sind kraft Gesetzes insbesondere Arbeitgeber befreit, deren individuelle Ausbildungsquote die notwendige Quote von 7 Prozent im Bezugsjahr erreicht oder überschritten hat, sowie
Arbeitgeber mit im Bezugsjahr durchschnittlich zehn
oder weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Die Höhe des von einem abgabepflichtigen Arbeitgeber zu entrichtenden Abgabebetrages ergibt sich aus § 11
des Gesetzentwurfs. Sie hängt von der bereinigten Anzahl der bei ihm im Bezugsjahr durchschnittlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, der Anzahl der erforderlichen zusätzlichen Ausbildungsplätze sowie der
im Rahmen des Leistungsausgleichs nach § 6 des Gesetzentwurfs bundesweit zu fördernden Ausbildungsleistung ab.
Indem auf die bereinigte Anzahl der bei einem Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig Beschäftigten abgestellt wird, wird die Berufsausbildungssicherungsabgabe im Ergebnis nur von Arbeitgebern, die in keiner
Weise ausbilden, in voller Höhe entrichtet. Ansonsten
wird sie nach der jeweiligen Ausbildungsleistung gestaffelt.
Bei einer Gesamtbetrachtung wirkt sich die von Ihnen
angesprochene vorzeitige Beendigung von Ausbildungsverhältnissen aufgrund überdurchschnittlicher Leistungen von Auszubildenden bei den betreffenden Arbeitgebern insofern aus, als sich dadurch im Rahmen der
Berechnung der jeweiligen individuellen Ausbildungsquote nach § 2 Abs. 6 des Gesetzentwurfes sowohl die
Anzahl der im Bezugsjahr durchschnittlich beschäftigten
Auszubildenden als auch die Anzahl der im Bezugsjahr
durchschnittlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten reduzieren.
Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Sie
könnten diese Frage praktisch nur beantworten, wenn
Sie wüssten, um wie viele Monate jemand seine Ausbildung verkürzt.
({0})
Entscheidend ist, ob in demselben Jahr ein neuer Auszubildender eingestellt wird. Falls ja, würde sich möglicherweise eine Anrechenbarkeit dieses Zeitraums im
Hinblick auf die Höhe der Ausbildungsplatzabgabe ergeben. Ich sage ganz deutlich: Dieses Problem könnte in
der Praxis auftreten, wenn ein Arbeitgeber im Falle einer
absehbaren vorzeitigen Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses die Möglichkeit hat, zu gegebener Zeit eine
Neubesetzung vorzunehmen.
Man muss zwei Dinge gegenüberstellen - wenn Sie
diese Frage aufwerfen, dann denken Sie auch daran -:
Der Arbeitgeber spart erhebliche Kosten ein, wenn ein
Auszubildender seine Ausbildung frühzeitig abschließt;
gleichzeitig hätte er im Rahmen der Ausbildungsplatzabgabe möglicherweise einen kleineren Teil der eingesparten Kosten zu entrichten.
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich wollte gar keine pauschale
Antwort, sondern eine konkrete Antwort auf eine sehr
konkrete Frage.
({0})
Die Verkürzung der Lehrzeit wegen überdurchschnittlicher Leistung des Auszubildenden beträgt regelmäßig
sechs Monate. Es geht genau um diesen Zeitraum. Ihren
Worten entnehme ich jetzt, dass der ausbildende Arbeitgeber für diese sechs Monate eine Ausbildungsplatzabgabe durchaus entrichten müsste, wenn es die Gesamtsituation seines Betriebes nicht anders zulässt. Die
Voraussetzung für die Verkürzung einer solchen Lehrzeit
ist die Zustimmung des Ausbilders. Aus welchem Grund
sollte er diese geben, wenn zwar der Auszubildende davon profitiert, er selbst aber im Ergebnis keine Ausbildungsleistung mehr erhält und sogar noch eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen muss?
Ich weise Sie darauf hin, dass die Ausbildungsplatzabgabe, die gezahlt würde, nicht diejenigen Kosten umfasst, die dem Arbeitgeber bei einer Weiterführung des
Ausbildungsverhältnisses insgesamt entstehen würden.
Das heißt, die Ausbildungsplatzabgabe umfasst nur einen Teil der gesamten Ausbildungskosten. Wie Sie wissen, umfassen sie nämlich nicht nur die Ausbildungsvergütung. Das kann Ihnen jeder Arbeitgeber erklären. In
diesem Sinne sage ich: Jawohl, der von Ihnen beschriebene Fall kann eintreten; für den Arbeitgeber ist aber
nicht die Frage: „Bezahle ich die Ausbildungsplatzabgabe oder nicht?“ entscheidend; vielmehr wird er eine
Gesamtbilanz ziehen, die die ihm durch die Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses entstehenden Kosten
berücksichtigt und diese der Ausbildungsplatzabgabe
gegenüberstellt. Unter dem Strich wird sich für ihn betriebswirtschaftlich ergeben, dass die Ausbildungsplatzabgabe keinesfalls mit der Höhe der Gesamtkosten der
Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses vergleichbar sein wird.
Ich weise ein weiteres Mal darauf hin, dass der Ausbilder in dem einen Fall für diese Zeit eine Leistung des
Auszubildenden erhalten würde.
Was Sie pauschal und abstrakt beschreiben, wirkt sich
in meinem Wahlkreis so aus, dass die Ausbilder einer
Klasse von Hotelfachschülern gesagt haben, eine Verkürzung der Lehrzeit komme nicht mehr in Betracht,
weil damit nicht unerhebliche Kosten verbunden seien.
Meine weitere Frage: Ist es vor diesem Hintergrund
nicht kontraproduktiv, Betriebe für eine sehr gute Ausbildungsleistung - damit der Auszubildende früher in die
Prüfung gehen kann, muss er überdurchschnittliche
Leistungen bringen, die natürlich von den Betrieben bewirkt worden sind - auch noch mit Sanktionen zu belegen?
Ihre Frage unterstellt, dass der Betrieb, der ein Ausbildungsverhältnis aufgrund der hervorragenden Leistung des jungen Menschen früher beenden könnte, mit
der Weiterbeschäftigung des Auszubildenden einen realen Gewinn erzielen könnte. Eine solche Rechnung
kenne ich von Arbeitgebern bisher nicht. Sie weisen uns
eigentlich immer darauf hin, dass Ausbildung einen
Kostenfaktor darstellt. Durch die Verkürzung des Ausbildungsverhältnisses spart ein Betrieb also real Ausbildungskosten ein. Dies müsste man der Ausbildungsplatzabgabe gegenüberstellen.
Nachfrage des Kollegen Straubinger.
Angesichts Ihrer Ausführungen, Herr Staatssekretär,
frage ich: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die
Ausbildungsplatzabgabe einen Beitrag zum Bürokratieabbau darstellt?
Die Frage des Bürokratieabbaus stellt sich in dem
Kontext, den wir jetzt besprochen haben, nicht; denn das
An- und Abmelden bedeutet keinen bürokratischen Aufwand. Es geht darum, dass der Betrieb in dem Fall, dass
eine Ausbildungsplatzabgabe ausgelöst wird, im Folgejahr zwei Dinge sozusagen zu verbuchen hat: Wenn das
Ausbildungsverhältnis nicht in ein Beschäftigungsverhältnis mündet, kommt es für den Betrieb für das Jahr,
das dann rückwirkend bewertet wird, bei der Zahl der
Ausbildungsverhältnisse zu einem Minus, das heißt, der
Betrieb hat, bezogen auf das ganze Jahr, weniger Ausbildungsplätze als vorher. Aber er reduziert damit auch die
Zahl seiner sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,
das heißt, die Quote wird geringfügig sinken. Von daher
ist der Auslöseeffekt generell nicht leicht zu kalkulieren,
aber er ist im Einzelfall sehr leicht zu berechnen. Das ist
reine Mathematik. Wir müssten das an Modellbeispielen
durchrechnen. Das ist leicht möglich. Das ist meines Erachtens kein Fall für eine grundsätzliche Diskussion
über Bürokratieabbau.
Ich sage Ihnen allerdings Folgendes ganz deutlich:
Wenn die Wirtschaft der gesellschaftlichen Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen nicht gerecht
wird, stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft das Recht
hat, die Wirtschaft finanziell in die Pflicht zu nehmen.
Das ist die vorrangige Frage, auf die man eine Antwort
geben muss.
Der Kollege Hartwig Fischer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass die Kosten für die Ausbildung auf den gesamten Ausbildungsabschnitt bezogen berechnet werden und dass bei denen,
die eine verkürzte Ausbildung absolvieren, überbetriebliche Ausbildungszeiten, die einen höheren Kostenfaktor
darstellen, vorher abgewickelt werden, sodass sich in
den letzten sechs Monaten die Kosten deutlich degressiv
entwickeln? Das hat bei Ihnen überhaupt keine Berücksichtigung gefunden.
Ich habe in meiner Antwort deutlich gemacht, dass
die Unternehmen auch hier Kostenbetrachtungen anstellen, es aber nicht automatisch so ist, dass die letzten
sechs Monate eine reine Gewinnsituation für die Unternehmen darstellen. Sie wissen, dass sich das auch bei einer Verkäuferin und bei jemandem, der sich in einer sehr
hoch qualifizierten beruflichen Vorbereitung mit hohen
Anteilen überbetrieblicher Ausbildung - darauf heben
Sie ja ab - befindet, sehr differenziert darstellt. Auch
diesbezüglich können wir nicht zu einer pauschalen Antwort, die auf jeden Einzelfall zutrifft, kommen, weder
nach Ihrer noch nach meiner Theorie. Man müsste das
sehr konkret am Einzelfall durchspielen und die Frage
klären, welche Entlastungen für den Betrieb bei einer
früheren Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses
einer möglichen zusätzlichen Belastung durch die Zahlung der Abgabe für dieses halbe Jahr gegenüberstehen.
({0})
- Nein.
Meine Damen und Herren, derjenige, der im Folgejahr die Frage zu beantworten hat, welche Ausbildungsquote er hat und ob er damit seinen Ausbildungsverpflichtungen gerecht wird, muss für seinen speziellen
Fall eine Bilanz ziehen. Die Kostenfaktoren dieser Bilanz können im Einzelfall leicht beurteilt werden. Es ist
nur schwierig, jetzt eine abstrakte Diskussion über alle
denkbaren Einzelfälle zu führen.
Das Wort zur Nachfrage hat jetzt der Abgeordnete
Uwe Schummer.
Hält die Bundesregierung es für zielführend, dass mit
dem von Ihnen soeben geschilderten Berechnungsverfahren offenkundig schlechte Ausbilder, die für die Ausbildung längere Zeit als vorgesehen brauchen, bevorzugt
werden, während gute Ausbilder, die zu einer Verkürzung der Ausbildungszeit beitragen können, offenkundig
benachteiligt werden? Dient vor dem Hintergrund der
50 Arbeitsgesetze mit etwa 220 Schwellenwerten, die
wir derzeit haben, ein neues Arbeitsgesetz zur Ausbildungsplatzabgabe der auch von der Bundesregierung geforderten Vereinfachung und besseren Durchschaubarkeit des Arbeitsrechtes?
Sie sprechen ein Manko an, das es ja nicht erst seit
dem rot-grünen Regierungsantritt gibt. Das ist gar keine
Frage.
Ich möchte zu Ihrer Frage Folgendes anmerken: Diejenigen, die ihre Auszubildenden länger ausbilden, zum
Teil drei oder dreieinhalb Jahre, sind ja nicht die
schlechteren Ausbilder, sondern sie kümmern sich um
junge Menschen, die zum Teil eine besonders intensive
Ausbildung brauchen, um Defizite, die sie etwa aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder in anderen Bereichen
haben, zu kompensieren. Sie sind ja nahe an der Praxis
und kennen selbst Betriebe, die drei- oder dreieinhalbjährige Ausbildungsgänge an Jugendliche vermitteln, die
schwieriger zu einem Berufsabschluss zu führen sind.
Deshalb warne ich vor dem pauschalen Urteil:
Derjenige, der ganz kurz ausbildet - vielleicht einen
Abiturienten -, ist ein guter Ausbilder und derjenige, der
einen jungen Menschen ausbildet, dessen Voraussetzungen nicht so gut sind, ihn aber dank der intensiven und
vielleicht auch länger dauernden Ausbildung im Unternehmen zu einem vollwertigen Berufsabschluss führt, ist
der schlechtere Ausbilder. Ich möchte hier vor Pauschalisierungen warnen.
Das war die Frage des Kollegen Schummer.
({0})
- Nein, Sie haben leider nur eine Frage. Also: Wer die
Frage schriftlich gestellt hat, hat zwei Nachfragen, alle
anderen eine.
Jetzt kommt der Kollege Koppelin.
Herr Staatssekretär, bei Ihren Ausführungen kam bei
mir die Frage auf: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Ministerium für Bildung und Forschung
und wie viele Auszubildende hat es?
Wir haben eine Ausbildungsquote von über 8 Prozent.
Deshalb sehen wir die Diskussion über die Verantwortung öffentlicher Arbeitgeber in unserem Ministerium
gelassen.
({0})
- Wir haben etwa 900.
Jetzt eine Nachfrage des Kollegen Kretschmer.
Herr Staatssekretär, zunächst einmal vielen Dank dafür, dass Sie anders als Ihre Kollegen, als andere Staatssekretäre und auch anders als die Ministerin deutlich gemacht haben, dass die Kosten für den Arbeitgeber von
großer Bedeutung sind. Wir hoffen, dass Sie unseren
Vorschlag, die Ausbildungsvergütungen in einigen Bereichen abzusenken, unterstützen und dementsprechend
in Ihr Haus hineinwirken. Bei durchschnittlich 630 Euro
pro Monat in Deutschland ist das schon ein wichtiger
Punkt.
Außerdem möchte ich Sie gerne fragen, ob für den Einzelfall, den die Kollegin Connemann hier stellvertretend
für andere Fälle geschildert hat, eine Sonderregelung gefunden wird - eine ganze Reihe von Betrieben, die nicht
ausbilden dürfen, werden ja auch berücksichtigt -, ob
das auf unsere Initiative in dieser Fragestunde im Gesetzesvorhaben berücksichtigt wird. Hier geht es ja um ein
wichtiges Problem: Während wir über Verkürzung der
Ausbildungszeiten reden, besteht die Gefahr, wie wir gerade gehört haben, dass durch das entsprechende Gesetz
gerade das Gegenteil erreicht wird.
Ich möchte auch noch einmal auf das eingehen, was
Herr Koppelin gesagt hat und anmerken, dass die
8 Prozent, von denen Sie sprechen, nicht für Ihr Haus alleine gelten, sondern nur unter Einbeziehung aller nachgelagerten Einrichtungen wie des Bundesinstituts für
Berufsbildung erreicht werden. Wir sollten da doch
schon bei der Wahrheit bleiben.
Das können wir gerne noch einmal im Detail nachliefern. Ich hüte mich jetzt vor Festlegungen, weil unser
Geschäftsbereich sehr groß ist. So zählen zum Beispiel
zu ihm auch Forschungseinrichtungen. Sie wissen, dass
bei uns wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugrunde gelegt werden und die Beamten nicht einbezogen
werden. Die Diskussion darüber kennen Sie. Ich gehe
davon aus, dass wir in unserem Ministerium die Ausbildungsquote erreichen; aber das liefere ich Ihnen gerne
schriftlich nach.
Zu dem anderen Punkt, den Sie angesprochen haben.
Es macht doch keinen Sinn, zu behaupten, es gebe mit
der Erhebung der Ausbildungsplatzabgabe keine
Schwierigkeiten. Diesen steht aber ein gesellschaftspolitisches Problem gegenüber. Deshalb müssen wir abwägen: Können wir in Extremfällen, wenn die Wirtschaft
ihrer Verantwortung nicht nachkommt, wie es in den
letzten Jahren geschehen ist, auf ein solidarisches Umlagesystem verzichten? Dabei besteht immer das Problem,
dass bestimmte Grundanforderungen auf Einzelfälle angewandt werden müssen. Dass das nicht in jedem Einzelfall zu einer Ideallösung führt, ist die eine Sache.
Es gibt aber auch eine andere Seite. Es gibt demnächst auch die zweijährige Berufsausbildung. Die Unternehmen, die nach einer zweijährigen Ausbildung
einen Abschluss ermöglichen, haben einen entsprechend
geringeren Aufwand und nach Abschluss der Ausbildung in der Zeit danach auch keine Kosten, es sei denn,
sie stellen einen neuen jungen Menschen ein. Wenn ein
Ausbildungsverhältnis beendet und nicht durch ein anderes ersetzt wird, kann nicht individuell bewertet werden,
aus welchen Gründen das Ausbildungsverhältnis geendet hat.
In diesem Sinne halte ich - auch in Würdigung Ihrer
Argumente - unter den Gesichtspunkten der Belastung
und der Gleichbehandlung von Unternehmen eine Lösung für vertretbar, nach der die Unternehmen nach
Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses dieses Ausbildungsverhältnis nicht mehr etwa im Sinne einer Entlastung angerechnet bekommen. Man muss in der Politik
auch eine Gesamtbilanzierung vornehmen und in diesem
Sinne halten wir das für vertretbar.
Danke schön. - Keine weiteren Nachfragen? - Dann
danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär, der Sie hier quasi
als Parlamentarischer Staatssekretär geantwortet haben.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich.
Die Fragen 2 und 3 der Abgeordneten Austermann
und Kaster werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen wird der Staatsminister
Hans Martin Bury beantworten.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Petra Pau auf:
Welche Kenntnisse konnte der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, während seiner jüngsten Gespräche
mit Vertretern der US-Regierung über Folterungen in Guantanamo Bay, in Afghanistan und im Irak gewinnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Pau, Bundesminister Fischer hat in seinen Gesprächen mit der US-Administration das Entsetzen der Bundesregierung über die Folterungen und Misshandlungen von Gefangenen zum Ausdruck gebracht
und gefordert, dass die Vorfälle aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Folter
und andere Formen unmenschlicher Behandlung sind
nicht nur klare Verstöße gegen das Völkerrecht; sie delegitimieren aus Sicht vieler Menschen auch den Einsatz
im Irak. Es liegt daher auch im amerikanischen Interesse, Verstöße aufzuklären und zu ahnden und für die
Zukunft sicherzustellen, dass internationales Recht in
den Gefängnissen und Camps eingehalten wird. Die
amerikanische Regierung hat zugesagt, dass die Verbrechen aufgeklärt werden und die Verantwortlichen zur
Rechenschaft gezogen werden.
Nachfrage? - Bitte.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ich möchte außerdem wissen, welche Kenntnisse die Bundesregierung
über die Beteiligung der 205. Brigade des US-Militärgeheimdienstes an Folterungen hat. Diese Brigade ist mit
850 Soldaten und Zivilangestellten im hessischen Wiesbaden-Erbenheim stationiert. Im Fernsehmagazin „Monitor“ wurde - das haben Sie sicher zur Kenntnis genommen - am 6. Mai dieses Jahres der Vorwurf erhoben,
dass direkt von dort Folterer entsandt worden seien.
Frau Kollegin Pau, der Bundesregierung liegen keine
eigenen Erkenntnisse vor. Genereller Zugang zu den Gefängnissen wird nur dem IKRK gewährt. Im Übrigen befinden sich unter den Gefangenen keine deutschen
Staatsangehörigen, weshalb die Bundesregierung auch
im Rahmen des konsularischen Schutzes keinen Zugang
beanspruchen kann.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Ich habe eine weitere Nachfrage: Haben Bundeswehrsoldaten bzw. deutsche Polizisten, die im Rahmen des
internationalen Kampfes gegen den Terror eingesetzt
sind, Gefangene an die US-Streitkräfte in Afghanistan
oder anderswo übergeben und inwieweit ist deren
Schicksal nachgegangen worden?
Frau Kollegin Pau, mir sind derartige Fälle nicht bekannt, wobei ich sagen muss, dass ich nicht über alle
Einsätze umfassend Auskunft geben kann. Ich werde der
Frage nachgehen und Ihnen gegebenenfalls schriftlich
ergänzende Informationen liefern.
Danke schön.
Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, war Ihnen aufgefallen, dass die
Kollegin Pau gefragt hat, welche Kenntnisse der Bundesminister des Auswärtigen Joseph Fischer bei seinen
Gesprächen erwerben konnte? Sie hatte nicht danach gefragt, was er gesagt hat. Ich darf Sie also in dem Zusammenhang fragen: Hat das Auswärtige Amt Kenntnisse
über Folterungen zum Beispiel in Afghanistan?
Herr Kollege Koppelin, wie ich bereits eben in meiner
Antwort auf eine Nachfrage der Kollegin Pau gesagt
habe, liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Zustände in US-Gefängnissen vor
- das gilt auch für Afghanistan oder Guantanamo Bay -,
weil generell nur dem IKRK Zutritt gewährt wird. Unsere Kenntnisse stützen sich daher auf öffentliche Äußerungen des IKRK und in anderen Fällen auf entsprechende Äußerungen von Menschenrechtsorganisationen.
({0})
Danke schön. - Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister.
Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, die Frage 7 der Abgeordneten Sibylle
Laurischk aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz sowie die Fragen 8 der Abgeordneten
Sibylle Laurischk und 9 des Abgeordneten Jens Spahn
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Gesundheit und Soziale Sicherung werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin
Iris Gleicke beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 10 des Abgeordneten
Dr. Andreas Schockenhoff auf:
Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in Bezug auf
noch nicht beglichene Kosten und ausstehende Schadensregulierungen bei den vom Flugzeugunfall am Bodensee vom
1. Juli 2002 betroffenen deutschen Städten, Gemeinden und
Landkreisen vor dem Hintergrund, dass der schweizerische
Entschädigungsfonds für die Abgeltung der sich aus dem
Flugunfall ergebenden Forderungen auch mit Beteiligung der
Bundesrepublik Deutschland eingerichtet worden ist?
Herr Kollege Dr. Schockenhoff, ungeachtet der Frage,
ob eine Haftung der Bundesrepublik Deutschland für
Schadensersatzansprüche aus der Flugzeugkollision bei
Überlingen vom 1. Juli 2002 tatsächlich durchgriffe, hat
sich der Bund an dem zur Abgeltung von Ansprüchen
eingerichteten Entschädigungsfonds beteiligt. Neben der
Vermeidung haftungsrechtlicher Risiken waren hierfür
vor allem humanitäre Gründe ausschlaggebend. Hinterbliebenen der getöteten Fluggäste und den am Boden
Geschädigten sollte eine schnelle und unbürokratische
Hilfe zuteil werden.
Die Abgeltung der Forderungen aus den Mitteln des
Fonds liegt in den Händen der Schweizer Anwaltskanzlei Schellenberg Wittmer in Zürich, die hierzu von den
Trägern des Fonds beauftragt wurde. Nach Mitteilung
der mit der Schadensabwicklung betrauten Anwälte ist
davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl der von
Städten, Gemeinden und Landkreisen geltend gemachten
Ersatzansprüche voraussichtlich noch in diesem Monat
einvernehmlich geregelt wird.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die Tatsache,
dass die deutschen Anspruchssteller, sowohl Privatpersonen als auch öffentliche Körperschaften, vom Bundesverwaltungsamt - dort wurde eine Stelle zur Schadensregulierung eingerichtet - an die von Ihnen genannte
Schweizer Anwaltskanzlei verwiesen wurden, diese
Schweizer Anwaltskanzlei sie aber wiederum unter Hinweis auf § 33 Luftverkehrsgesetz an die Halter der in
den Flugunfall verwickelten Flugzeuge bzw. an deren
britische Anwälte verweist?
Davon ist mir nichts bekannt, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, welche Möglichkeiten der Einflussnahme unter anderem auf die Feststellung der Anspruchsberechtigung und auf die Verwendung der Mittel
aus dem unter Ihrer Beteiligung zustande gekommenen
Entschädigungsfonds hat sich die Bundesregierung in
der Fondsvereinbarung vorbehalten?
Wir haben in die Fonds eingezahlt. Die Fondsbeteiligten haben vereinbart, dass diese Anwaltskanzlei die einzelnen Ansprüche bearbeitet und uns darüber berichtet.
Wie ich gerade dargestellt habe, sind tatsächlich schon
einige Zahlungsanweisungen erfolgt. Wir gehen davon
aus, dass auch die noch ausstehenden Zahlungen
schnellstmöglich erfolgen.
Zusatzfrage des Kollegen Kauder.
Frau Staatssekretärin, sind Sie der Meinung, dass
grundsätzlich ein Amtshaftungsanspruch privater und
öffentlicher Geschädigter aus diesem Unglück besteht,
sofern ein Verschulden des Fluglotsen der Skyguide
nachgewiesen ist?
Herr Kollege, ob der Bund haftet, hängt unter anderem von der detaillierten rechtlichen Auswertung des am
vergangenen Mittwoch veröffentlichten Untersuchungsberichts der BFU ab, sodass zu dieser Frage zurzeit
keine näheren Aussagen getroffen werden können. Angesichts der Tatsache, dass sich der Bund an dem Fonds
beteiligt hat und dieser somit für die Entschädigung zuständig ist, besteht jedoch kein Bedarf für die Klärung
hypothetischer Rechtsfragen.
Nachfrage des Kollegen Dörflinger.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit,
sich für die betroffenen deutschen Kommunen und für
die betroffenen deutschen Privatpersonen in der Weise
zu verwenden, dass diejenigen, die einen Antrag auf
Zahlungen aus diesem Fonds stellen, nicht zum Spielball
von Korrespondenzen zwischen internationalen Anwaltsbüros werden?
Herr Kollege Dörflinger, ich bin Ihnen und auch dem
Kollegen Dr. Schockenhoff für Hinweise auf konkrete
Einzelfälle, bei denen es solche Probleme gegeben hat,
dankbar. Wir würden uns dann darum kümmern.
Jetzt kommen wir zur Frage 11 des Abgeordneten
Schockenhoff:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass trotz Abgabe der Durchführung der Flugsicherung an die Schweizer
Skyguide nach wie vor die eigentliche hoheitliche Aufgabe
und auch die Haftung bei der Bundesrepublik Deutschland
liegt, und wie bewertet sie die jeweilige Berechtigung privater
bzw. öffentlich-rechtlicher Antragsteller auf Kostenerstattung
und Schadensregulierung aus dem unter bundesdeutscher Beteiligung aufgestellten Entschädigungsfonds?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Dr. Schockenhoff, grundsätzlich ist die
Bundesrepublik Deutschland für die Flugsicherung im
deutschen Luftraum verantwortlich. Wird die Flugsicherung von einer ausländischen Einrichtung wahrgenommen, geschieht dies auf der Grundlage nationaler Regelungen bzw. internationaler Vereinbarungen. Von ihnen
hängt auch die Beurteilung der Haftung für schadensstiftende Handlungen einer ausländischen Flugsicherung
bei der Wahrnehmung der Flugsicherung über deutschem Hoheitsgebiet ab.
Die Frage der jeweiligen Berechtigung von Antragstellern ist in jedem Einzelfall zu prüfen und entzieht
sich einer allgemeinen Bewertung.
Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, wie will die Bundesregierung
als die für die Flugsicherung über deutschem Hoheitsgebiet Verantwortliche künftig sicherstellen, dass die
von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung empfohlenen und von der Deutschen Flugsicherung bereits
erfüllten Sicherheitsstandards, die die Schweizer Skyguide nach dem Untersuchungsbericht eben nicht erfüllt,
künftig auch von der Schweizer Skyguide erfüllt werden, die für die Flugsicherung in einem großen Bereich
des süddeutschen Raumes verantwortlich ist?
Herr Kollege Dr. Schockenhoff, es ist so, dass die
Skyguide selbstverständlich den Sicherheitsvorschriften
der Eurocontrol unterliegt. Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass Skyguide diese Sicherheitsvorschriften
nicht einhält.
Dies steht so in dem Untersuchungsbericht, den Sie ja
bereits angesprochen haben.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wie gedenkt
die Bundesregierung künftig die Haftungsfrage zu behandeln, wenn die Schweizer Skyguide die bundesdeutschen Sicherheitsstandards der Flugsicherung nicht
erfüllt, so wie es in dem von Ihnen zitierten Untersuchungsbericht dargestellt wurde?
Ich sagte ja vorhin schon, dass der Untersuchungsbericht seit vergangenen Mittwoch vorliegt. Wir sind
also erst dabei, ihn detailliert auszuwerten.
Was die Haftung angeht, kommt es natürlich darauf
an, welcher konkrete Luftraum betroffen ist und welche
internationalen Regelungen hierzu bestehen. Es ist zu
unterscheiden, welche Regeln in dem entsprechenden
Luftraum gelten - ICAO-Regeln oder bilaterale Betriebsvereinbarungen zwischen Flugsicherungsunternehmen, so genannte Letters of Agreement - und ob es sich
um ein Gebiet der faktischen Übergabe handelt. Die
Frage nach den Hoheitsbefugnissen kann deshalb nicht
pauschal beantwortet werden.
Herr Kauder, eine Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte beantworten, von welcher verantwortlichen Stelle des Bundes
diese Letters of Agreement sanktioniert worden sind,
und können Sie mir bitte sagen, ob ein deutscher oder
ausländischer Pilot der Anweisung eines Fluglotsen von
Skyguide nachkommen muss oder nicht? Meines Wissens ist die Missachtung eines Befehls eines Fluglotsen
nur dann strafbewehrt, wenn die Anweisung auf einer
hoheitlichen Grundlage beruht. Diese besteht im Rechtsverkehr zwischen Skyguide und Deutschland nicht, weil
eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden ist und die Verpachtung deutschen Luftraums an Skyguide nach Art. 24
Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungswidrig ist.
Herr Kollege Kauder, ich habe gerade gesagt, dass die
Letters of Agreement eine Betriebsvereinbarung der beiden Flugsicherungsunternehmen sind. Ich bitte um Ihr
Verständnis dafür, dass ich die rechtliche Bewertung
Ihrer Frage nachliefere. Da ich keine Juristin bin, kann
ich sie hier nicht so einfach vornehmen.
Eine Nachfrage des Kollegen Dörflinger.
Ich habe eine Frage von Nichtjurist zu Nichtjuristin,
Frau Staatssekretärin: Würden Sie mir zustimmen, dass
unabhängig von der Frage, ob ein hoheitliches Recht an
eine zwischenstaatliche oder ausländische Organisation
delegiert worden ist, die Haftungsfrage bei demjenigen
verbleibt, der das Hoheitsrecht delegiert?
Herr Kollege Dörflinger, ich sagte bereits, dass die
Frage der Haftung aufgrund der Tatsache, dass es zu
einem Fonds gekommen ist, eine hypothetische Frage
ist.
({0})
Es gibt keine weiteren Nachfragen. Ich danke, Ihnen
Frau Staatssekretärin.
Wir verlassen damit diesen Geschäftsbereich und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen. Die Fragen wird die Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks beantworten.
Die Frage 12 des Abgeordneten Hinsken soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe jetzt die Frage 13 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Schmidt-Bank
in Bayern 17 000 ihrer Kunden in einer Abwicklungsbank in
Hof zusammenfasst, welche einen nicht unerheblichen Teil
der üblichen Bankdienstleistungen nicht mehr voll gewährleistet, und, wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese
Vorgänge im Hinblick auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der Bankenaufsicht, zum Beispiel Kreditwesengesetz?
Herr Kollege Hofbauer, der geschilderte Sachverhalt
ist der Bundesregierung bekannt. Die Schmidt-Bank
GmbH, die so genannte Abwicklungsbank, will künftig
nicht mehr als Wettbewerbsbank Marktteilnehmer sein.
Infolgedessen wird sie ihren Kunden nicht mehr das übliche Dienstleistungsangebot bereitstellen. Für Kunden,
die diese Einschränkungen des Dienstleistungsangebotes
nicht akzeptieren können, bleibt die Möglichkeit, zu
einem anderen Kreditinstitut zu wechseln.
Es bestehen keine bankaufsichtsrechtlichen Regelungen, die einer Einschränkung bestimmter Bankdienstleistungen gegenüber Kunden oder auch der vollständigen Kündigung einer bestehenden Kundenbeziehung
nach Maßgabe der einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
Herr Hofbauer, Sie können nachfragen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich glaube, uns allen ist bewusst, welcher Sprengstoff hinter diesem
Thema steckt. Bisher ist in Veröffentlichungen die Rede
davon, dass 11 000 mittelständische Betriebe - das sind
einige zehntausend Arbeitsplätze - von dieser notwendigen Entscheidung betroffen sind. Wir als Politiker können es uns nicht einfach machen und darüber hinweggehen. Ich darf schon ein wenig provokativ feststellen:
Wenn bei einem Konzern ein paar Tausend Arbeitsplätze
in Gefahr sind, dann kommt der Bundeskanzler, aber
wenn - wie hier - mittelständische Betriebe betroffen
sind, wird man das Gefühl nicht los, dass die Politik darüber hinweggeht.
Meine konkrete Frage lautet: Was kann die Bundesregierung tun? Kann sie zum Beispiel über die Bankenaufsicht auf die Übergangsbank - die „bad bank“, wie es so
schön heißt - einwirken, damit die Frist verlängert wird,
sodass nicht 11 000 mittelständische Unternehmer sich
innerhalb von drei Wochen eine neue Bank suchen müssen, sollen, können oder dürfen? Wir müssen etwas unternehmen; denn einige mittelständische Unternehmen
haben Probleme, Banken zu finden. Wir stehen hier vor
einer großen Herausforderung und ich möchte Sie bitten,
Wege aufzuzeigen, wie wir auf die Abwicklungsbank
einwirken können - vielleicht ist das über die Bankenaufsicht möglich -, um die Übergangsfrist von drei Wochen zu verlängern.
Herr Kollege Hofbauer, ich hatte zuvor in meiner
Antwort bereits ausgeführt, dass es keine bankaufsichtsrechtlichen Möglichkeiten gibt, denn den geschäftlichen
Beziehungen zwischen einer Bank und einem Kunden
liegt das Zivilrecht zugrunde. Darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluss.
Ich will kurz auf das von Ihnen selbst im Vorspruch
Ihrer Frage als provokativ bezeichnete Moment eingehen: Sie haben sich auf das schon häufig gehörte Wort
bezogen, dass dann, wenn ein großes Unternehmen insolvent ist, der Kanzler kommt, wenn aber ein Mittelständler in Schwierigkeiten steckt, er allein da steht. Ich
will das erstens zurückweisen
({0})
und zweitens die Zurückweisung begründen. Nach meinem Kenntnisstand hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau
im vergangenen Jahr mehrere Zehntausend Existenzsicherungsdarlehen an eben solche kleinen mittelständischen Unternehmen vergeben, um deren Existenz zu sichern. Existenzgründungsdarlehen sind etwas anderes,
davon spreche ich jetzt nicht; hier geht es um Existenzsicherungsdarlehen. Die genauen Zahlen kann ich Ihnen
gern noch schriftlich nachreichen.
Um die Summe der Mittelständler und um die vielen
einzelnen Mittelständler kümmert sich die Bundesregierung selbstverständlich mit den Möglichkeiten, die ihr
zur Verfügung stehen, so zum Beispiel über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das will ich deutlich sagen,
um den häufig wiederholten Vorwurf an die Bundesregierung, der - wie Sie selber sagen - provokativ geäußert wird, in aller Form zurückzuweisen.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es für die privaten Kundenbeziehungen der Abwicklungsbank, der
Schmidt-Bank, nicht eine Übergangsfrist von lediglich
drei Wochen gegeben hat. Nach meinem Kenntnisstand
sind die Kunden der Abwicklungsbank zum 1. Januar
2004 darüber unterrichtet worden, dass die Einschränkung der Geschäftstätigkeit ab 1. Juni des Jahres 2004
stattfinden soll. Das wären dann fünf Monate.
Ich kann nicht beurteilen, ob einzelne dieser Mittelständler in der Zwischenzeit zum Beispiel einen Existenzsicherungskredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau beantragt haben. Ich vermag auch im Einzelnen
nicht zu beurteilen, was die Staatsregierung in Bayern
zum Beispiel in Form eines Zur-Verfügung-Stellens von
Landesbürgschaften unternommen hat. Diese können gegenüber Geschäftsbanken selbstverständlich abgegeben
werden. Sollte es sich um Kredite handeln, die nicht dauerhaft notleidend sind, sondern wo die Geschäftstätigkeit
des jeweiligen Unternehmens darauf hindeutet, dass es
zukünftig wieder aufwärts geht, wäre das Mittel der
Wahl in der Tat eine Landesbürgschaft des Freistaates
Bayern, wie das auch andere Länder machen.
Ich will noch einmal darauf hinweisen - dies war Gegenstand Ihrer Frage -: Bankaufsichtsrechtliche Möglichkeiten gibt es nicht.
Darf ich noch eine zweite Frage stellen?
Bitte.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie sich vorstellen,
dass sich der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung dieses Themas trotzdem annimmt und in der Region bestimmte Initiativen ergreift, um die Angelegenheit zu klären bzw. noch mehr Hilfe anzubieten?
Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung alles tut, was in
seinen Kräften steht. Möglicherweise wird er dies gleich
persönlich ergänzen wollen, denn er ist anwesend. Ich
bin gern bereit, das Wort weiterzugeben.
Herr Kollege Hofbauer, ich muss aber noch einmal
darauf hinweisen: Dauerhaft notleidende Kredite können
nicht durch öffentliche Verbürgung, auch nicht zum Beispiel der Staatsregierung in Bayern, aber natürlich auch
nicht über Existenzsicherungsdarlehen der Kreditanstalt
für Wiederaufbau, „geheilt“ werden. Wenn ich davon
ausgehe, dass die von Ihnen genannten Zahlen stimmen,
wonach Sie unter den insgesamt 17 000 Kunden dieser Abwicklungsbank etwa 6 000 Privatkunden und 11 000 Geschäftskunden vermuten, vermag ich natürlich nicht zu
beurteilen, ob sich hinter den 11 000 mittelständischen
Unternehmen - und, wenn ja, wie viele - dauerhaft notleidende Kredite verbergen.
Prinzipiell muss ich allerdings, auch zum Schutz der
Staatsregierung Bayern, sagen: Dauerhaft notleidenden
Krediten kann - aus verständlichen Gründen - nicht von
öffentlicher Seite geholfen werden. Einfach ausgedrückt:
Schlechtem Geld kann man kein gutes hinterherwerfen.
Das gilt für die Staatsregierung Bayern ebenso wie zum
Beispiel für die Kreditfördereinrichtungen des Bundes,
namentlich die Mittelstandsbank und die KfW.
Jetzt rufe ich die nächste Frage des Abgeordneten
Hofbauer, Frage 14, auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die betroffenen Kunden der Schmidt-Bank beim Wechsel des Kreditinstitutes zu unterstützen?
Die Bundesregierung kann einzelne Kreditinstitute
ausdrücklich nicht zur Eröffnung von Girokonten für die
betroffenen Kunden anhalten. Allerdings ist es so: Die
im Zentralen Kreditausschuss, dem so genannten ZKA,
zusammengeschlossenen Verbände der Kreditwirtschaft
haben im Juni 1995 die Empfehlung ausgesprochen,
grundsätzlich für jedermann auf dessen Wunsch ein Girokonto - gegebenenfalls nur auf Guthabenbasis und
ohne Schecks - zu führen, um weiten Teilen der Bevölkerung die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr
zu ermöglichen.
Zudem sehen die Sparkassengesetze bzw. Sparkassenverordnungen von acht Bundesländern, darunter auch
die der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen - um
diese Regionen geht es ja in diesem Zusammenhang -,
einen entsprechenden Kontrahierungszwang vor. Auch
die Genossenschaftsbanken in den betreffenden Gebieten werden sicherlich bereit sein, unter den üblichen Bedingungen Neukunden aufzunehmen.
Die ZKA-Empfehlungen, die ich Ihnen eben darstellte, wie auch die Länderregelungen für Sparkassen
enthalten allerdings Ausnahmetatbestände, nach denen
die Gewährung eines Girokontos unzumutbar sein kann.
Über die Umstände, warum die betroffenen Kunden der
Schmidt-Bank einen so genannten Abwicklungsstatus
erhalten haben, und insbesondere darüber, ob hierbei
Ausnahmetatbestände eine Rolle spielten, liegen der
Bundesregierung keine näheren Informationen vor.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Anliegen der betroffenen Kunden, einen neuen Zugang zum
bargeldlosen Zahlungsverkehr bei einem anderen Kreditinstitut zu erhalten, durch die genannte Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft hinreichend Rechnung getragen wird.
Herr Kollege, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich teile Ihre Auffassung, dass
man mit Konsolidierungsdarlehen und Ähnlichem in
manchen Fällen nicht mehr helfen kann, weil die
Schwierigkeiten riesengroß sind. Aber können Sie sich
vorstellen, dass die Probleme von 11 000 mittelständischen Unternehmen plötzlich und in ein und demselben
Zusammenhang so groß geworden sind, dass man ihnen
nicht mehr helfen kann?
Ist nicht vielmehr die Befürchtung angebracht bzw.
kann man nicht den Eindruck gewinnen, dass sich eine
der Nachfolgebanken - die Schmidt-Bank ist ja nicht als
Ganzes übernommen worden - die Rosinen herausgepickt hat und viele andere Unternehmen hängen lässt,
die jetzt erhebliche Schwierigkeiten haben, eine andere
Bank zu finden? Kann hier gesetzlich etwas unternommen werden? Ich will damit zum Ausdruck bringen,
Frau Staatssekretärin, dass ich nicht annehme, dass alle
11 000 mittelständischen Unternehmen in so großen
Schwierigkeiten sind, dass man ihnen nicht mehr helfen
kann.
Herr Kollege Hofbauer, aus diesem Grunde habe ich
mich vorhin sehr vorsichtig dazu geäußert. Ich persönlich habe keine Kenntnis davon, wie viele der genannten
mittelständischen Unternehmen risikobehaftete Kredite
haben. In der Tat sollte davon auszugehen sein, dass
nicht in allen der 11 000 Fälle eine Zukunftssicherung
nicht mehr möglich ist. Aber die genaue Prüfung dieser
Frage müsste durch die in der Region bestehenden Einrichtungen unternommen werden. Zum Beispiel hätte es
sich angeboten, dass sich die entsprechende Bürgschaftsbank oder die Landesbank Bayern um diese Frage
gekümmert hätte, möglicherweise auch mithilfe ihrer
Mitgliedsinstitutionen, den Sparkassen oder den Genossenschaftsbanken vor Ort, die in der Bundesrepublik
Deutschland typische Mittelstandsfinanzierer sind.
Sie können sich vorstellen, dass die Bundesregierung
überhaupt keine Kenntnis davon haben kann, wie die
Bonitätssituation der dort möglicherweise betroffenen
11 000 Unternehmen im Einzelnen ist. Diese Information ist auch in keiner Weise von irgendeiner regionalen
Institution an die Bundesregierung herangetragen worden.
Ich muss noch einmal darauf hinweisen: Es gibt keine
bankaufsichtsrechtliche Möglichkeit, in diesem Fall einzugreifen. Sollten also bei der KfW Existenzsicherungsdarlehen beantragt worden sein, dann wird sie diese
Frage sicherlich bewertet und beurteilt haben. Ich weiß
aber nicht, ob solche Anträge überhaupt ergangen sind;
sie müssten normalerweise über eine Hausbank ergehen.
Mir ist nicht bekannt, ob die dort angesprochenen
möglicherweise 11 000 mittelständischen Unternehmen
sozusagen aktivisch schon auf der Suche nach einer
neuen Hausbank waren und, wenn ja, wem es verwehrt
worden ist. Natürlich muss zunächst jeder einzelne selber, wenn er mit der Dienstleistung seiner bisherigen
Bank nicht mehr zufrieden ist, den Schritt gehen, eine
neue Bank zu suchen - wer soll es denn bitte sonst machen? Als aktiv am Wirtschaftsgeschehen Beteiligter
muss er das selber unternehmen. Wenn er eine neue
Hausbank hat, kann er natürlich entsprechend seiner Bonität - die wird immer bewertet werden - Existenzsicherungsdarlehen, Bürgschaften des Landes Bayern oder
anderes beantragen. Die ersten Schritte aber müssen aktivisch von denen gegangen werden, die mit den Dienstleistungen ihrer bisherigen Bank aus guten Gründen
- weil sie eingeschränkt wurden - nicht mehr zufrieden
sind. Wie gesagt: Das ist im Januar 2004 mitgeteilt worden. Bis zum Ende des Monats Mai sind somit fünf Monate Zeit gewesen, bis die so genannte Abwicklungsbank ihre bisherigen Tätigkeiten einschränkt.
Ich will darauf hinweisen, dass wir nun einmal in einer Marktwirtschaft leben. Dass die Schmidt-Bank in
eine Schieflage geraten ist, hatte auch etwas mit ihrer
Kundenstruktur zu tun. Eine Bank gerät ja nicht von alleine in eine Schieflage; es gab da noch etwas anderes,
über das ich hier jetzt öffentlich aber nicht weiter reden
möchte. Wenn man zudem weiß, dass eine andere Bank
Teile des Geschäftes erworben hat, dann ist es in einer
Marktwirtschaft doch klar: Wenn man wählen kann,
wird man das gute Produkt kaufen und nicht das
schlechte. Welchen Einfluss soll man denn da rechtlich
nehmen?
Vielen Dank auch Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Keine weiteren Nachfragen. Die Abgeordnete Gesine
Lötzsch hat für die Frage 15 um schriftliche Antwort gebeten.
Wir kommen jetzt zur Frage 16 des Abgeordneten
Uwe Schummer:
Wie bewertet die Bundesregierung die Differenz von Plätzen in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, die daraus
resultiert, dass für das Jahr 2003 die Bundesagentur für Arbeit,
BA, 162 692 Eintritte von Teilnehmern in berufsvorbereitende
Bildungsmaßnahmen verzeichnet hat und in den öffentlichen
Ausschreibungen sowie den freihändig-wettbewerblichen Vergaben der Regionaleinkaufszentren der BA für die Durchführung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach
dem neuen Fachkonzept für das Ausbildungsjahr 2004/2005
insgesamt 71 716 Teilnehmerplätze ausgeschrieben werden?
Das ist eine Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch wird die Frage beantworten. Bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, die angesprochene Ausschreibung berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen, die im Regelfall im August/September
beginnen, umfasst nicht die gesamte geplante Platzkapazität, sondern nur die zentral eingekauften Maßnahmen
nach dem neuen Fachkonzept „Berufsvorbereitung“; das
sind rund 75 Prozent der insgesamt geplanten Maßnahmen. Die restlichen 25 Prozent der Plätze können die
Agenturen für Arbeit in eigener Zuständigkeit vergeben.
Insofern kann aus der geringeren Zahl ausgeschriebener
Maßnahmen gegenüber den Eintritten des Jahres 2003
nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit nicht auf
eine Kürzung des Gesamtvolumens geschlossen werden.
Die Zahlen können darüber hinaus auch deshalb nicht
miteinander verglichen werden, weil die Zahl der Eintritte naturgemäß immer deutlich höher ist als die Zahl
der Teilnehmerplätze, denn bei Abbrüchen und vorzeitigen Übergängen in Ausbildung sind Nachbesetzungen
möglich.
Unterstützt die Bundesregierung die Vergabepraxis
der Bundesagentur für Arbeit, die auch Sie selber gerade
geschildert haben, wonach Bildungsmaßnahmen über
zentrale Ausschreibungsstellen mit überregionalen Losen vollzogen werden und letztendlich kurzfristige fiskalische Überlegungen maßgebend sind? Wie bewerten Sie
die Kritik des Kolpingwerkes, dass hierdurch regionale
und gemeinnützige Bildungsträger mit Tarifbindung benachteiligt und Qualitätsstandards unterlaufen werden?
Mir ist die Kritik des Kolpingwerkes im Einzelnen
nicht bekannt. Mir ist aber bekannt, dass es insgesamt
Kritik an der Vergabepraxis gibt. Die Kritik wird von
uns ernst genommen und die Vergabepraxis wird weiterhin geprüft.
({0})
Wir haben beispielsweise geprüft, ob die Größe der
ausgeschriebenen Lose im vorgesehenen Umfang aufrechterhalten werden kann. Ich verrate kein Geheimnis,
wenn ich Ihnen jetzt sage, dass die Größe der Lose möglicherweise revidiert wird.
Herr Kollege Goldmann.
Herr Staatssekretär, ich bin überrascht zu hören, dass
Sie die massive Kritik des Kolpingwerkes nicht kennen;
schließlich sind von der Vergabepraxis ganze Regionen
betroffen. Es gibt im Norden, zum Beispiel in der Stadt
Paderborn, ein Unternehmen, das eng mit dieser Stadt
verbunden ist; Sie werden es vielleicht kennen.
Ich möchte zur Frage des Kollegen Schummer nachfragen: Wie schnell wollen Sie reagieren? In der Region,
aus der ich komme, gibt es die allergrößten Befürchtungen, dass die Konzepte, die sich dort bewährt haben, in
Zukunft nicht mehr funktionieren werden, weil es den
Unternehmen, die sich an die Rahmenbedingungen halten, nicht mehr möglich ist, an diesem Markt teilzunehmen. Sie haben eben gesagt, dass Sie sich bemühen,
Korrekturen vorzunehmen. Ich frage Sie deshalb: Was
ist unternommen worden? Wann wird man zu Ergebnissen kommen? Das Problem besteht schließlich nicht erst
seit heute, sondern ist schon seit Monaten bekannt.
Herr Kollege, angesichts des Vorhalts, den Sie gemacht haben, möchte ich hier betonen, dass mir die Kritik sehr wohl bekannt ist. Ich wusste nur nicht, dass sie
vom Kolpingwerk kommt. Wir haben dieses Thema sogar schon in der Fragestunde erörtert. Ich war anwesend;
die Kritik ist mir also sehr wohl geläufig.
Natürlich kenne ich die Stadt Paderborn. Sehen Sie es
mir aber bitte nach, dass ich mich mit den regionalen
Gegebenheiten und der Institution, die Sie angesprochen
haben, nicht genauestens auskenne. Ein genauer Einblick in die Gegebenheiten der gesamten Bundesrepublik fehlt mir.
Ich weiß aber, dass es diese Kritik gibt, und habe
schon gesagt, dass wir sie ernst nehmen. Es gibt von mir
nicht nur die Zusage, dass wir die Größe der Lose
prüfen, wir haben vielmehr schon darüber nachgedacht
- damit verrate ich kein Geheimnis -, die Größe der
Lose, die einen unmittelbaren Einfluss auf die gewachsenen örtlichen Strukturen hat, zu revidieren, weil viele
Institutionen nicht mehr zum Zuge gekommen sind, da
sie die Antragstellung aufgrund der Größe der Lose nicht
mehr bewältigen konnten.
Zu Frage 16 gibt keine weiteren Fragen.
Die Frage 17 soll schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zu Frage 18 der Kollegin Petra
Pau:
Wie hat sich der Rüstungsexport der Bundesrepublik
Deutschland nach Israel seit 1999 entwickelt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Zahlen zu den Rüstungsexporten
der Bundesrepublik Deutschland nach Israel für die
Jahre 1999 bis 2002 sind den Rüstungsexportberichten
der Bundesregierung an den Bundestag für diese Jahre
zu entnehmen. Ich möchte die Genehmigungswerte für
diese Jahre in diesem Zusammenhang aber benennen: Im
Jahre 1999 betrugen sie 244 Millionen Euro, im Jahre
2000 177 Millionen Euro, im Jahre 2001 36,5 Millionen
Euro und im Jahre 2002 160 Millionen Euro. Die vorläufigen Genehmigungswerte für 2003 belaufen sich auf
circa 131,6 Millionen Euro. Die endgültige Mitteilung
erfolgt im Rüstungsexportbericht 2003.
Zusatzfrage? - Kollegin Pau.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
wüsste gern, wie Sie sich die ungeheuren Sprünge in der
Entwicklung der Rüstungsexporte nach Israel erklären,
zum Beispiel zwischen den Jahren 2001 und 2002.
Aus meiner Sicht kann nicht von ungeheuren Sprüngen die Rede sein. Sie sehen, dass die Exporte im Jahre
1999 244 Millionen Euro betrugen. Es gibt einen
Sprung, nämlich zwischen 2000 mit 177 Millionen Euro
und 2001 mit 36,5 Millionen Euro. 2002 waren sie wieder auf einem ähnlich hohen Niveau wie vorher, wobei
die Tendenz gegenüber den Jahren 1999 und 2000 abnehmend war. Es gibt also einen Sprung, aber keine
Sprünge.
Es ist klar - das wissen Sie auch -, dass gemäß den
entsprechenden Richtlinien und anhand der vorliegenden
Anträge genehmigt wird. Wenn allerdings eine geringere
Zahl von Anträgen vorliegt, wie das möglicherweise
2001 der Fall war, dann wird das durchschnittliche Volumen nicht erreicht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen schon von den
Richtlinien. Heute Morgen musste ich den Nachrichten
entnehmen, dass die Bundesregierung offenbar beabsichtigt, zwei U-Boote des Typs U-212 an Israel zu
verkaufen. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung diese Absicht unter Anerkennung der Rüstungsexportrichtlinie, aufgrund deren Exporte in Krisenregionen ausdrücklich verboten sind, begründet.
Sie werden Verständnis dafür haben, dass ein Antrag,
der möglicherweise auf dem Tisch liegt, von dem ich
aber keine Kenntnis habe, natürlich nach den entsprechenden Richtlinien, also nach Recht und Gesetz, beschieden würde. Ich kann hier über ein derzeit laufendes
Verfahren mit Sicherheit keine definitiven Auskünfte geben.
Die Frage 19 soll wiederum schriftlich beantwortet
werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur
Verfügung.
Wir kommen zur Frage 20 des Kollegen HansMichael Goldmann:
Wann und in welcher Form wird die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gemäß Art. 11 der Verordnung ({0})
Nr. 998/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 26. Mai 2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken und
zur Änderung der Richtlinie 92/65/EWG des Rates nachkommen, die Bevölkerung in „leicht zugänglicher“ und „verständlicher“ Weise über die Anforderungen der Verordnung zu informieren?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Präsident! Herr Kollege Goldmann, die Regelungen der EU-Heimtierverordnung treten nach der aktuellen Rechtslage am 3. Juli 2004 in Kraft. Die zur Anwendung erforderlichen Durchführungsbestimmungen
wurden erst in den vergangenen Monaten bzw. Wochen
erlassen. Nachdem auf dieser Grundlage in erforderlichem Maß Klarheit bestand, hat das Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
entsprechende Informationen auf seiner Website unter
der Rubrik „Landwirtschaft“ im Unterpunkt „Veterinärwesen“ eingestellt. Die primär betroffenen Verbände und
Organisationen wurden fortlaufend informiert und unter
Verweis auf die BMVEL-Website um Unterstützung bei
der Verbreitung der Informationen gebeten.
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Vor wenigen Tagen haben sich die Leiter der Veterinärdienste der Mitgliedstaaten anlässlich einer gemeinsamen Sitzung dafür ausgesprochen, die Anwendung der
neuen Regelungen auf den 1. Oktober 2004 zu verschieben. Auch diese Information wurde unverzüglich weitergeleitet. Am 18. Mai dieses Jahres wurde eine Meldung
an die Presse weitergegeben, die die neuen Regelungen
und ihr voraussichtliches In-Kraft-Treten darstellt.
Zusatzfrage, Kollege Goldmann.
Herr Staatssekretär, erst einmal herzlichen Dank für
die Beantwortung.
Es geht hier ja nicht darum, in irgendeiner Frage
Recht zu bekommen. Wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, dann soll die Verordnung nun erst zum
1. Oktober 2004 in Kraft treten. Das heißt, dass derjenige, der im Sommer mit einem Tier ins Ausland fährt
- ich sage einmal, mit einem Hund oder einer Katze; ich
glaube, es gibt 7 Millionen Hunde in Deutschland und
einige machen sich mit ihrem Besitzer auf den Weg ins
Ausland -, die falschen Papiere hat. Bis jetzt ist den
Tierbesitzern gesagt worden, dass der alte Ausweis, in
dem eine aufgefrischte Tollwutimpfung vermerkt ist,
ausreicht. Ist das zutreffend?
Ich möchte noch etwas anderes anschließen, das
schon die zweite Frage berührt. Ich habe die Zahl der betroffenen Tiere bewusst in den Raum gestellt. Auch ich
habe auf die von Ihnen angesprochene Website geschaut.
Ich habe längere Zeit gebraucht, sie zu finden; das liegt
bestimmt an mir. Ich habe den Eindruck, dass die Informationen, die aus Ihrem Hause kommen, außerordentlich dürftig sind und dass auch bei den Tierärzten außerordentlich wenig Informationen vorliegen, mit deren
Hilfe dieses Problem abgearbeitet werden könnte.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Goldmann, für die Information und die
Umsetzung dieser Heimtierverordnung sind grundsätzlich die Länder zuständig. Das heißt, dass Ihre Kritik ein
Stück weit die Länder trifft.
Zu Ihrer Frage, welche Regelungen jetzt gelten: Es
gelten weiterhin die alten Regelungen. Die Impfausweise für die Tollwutimpfung der Tiere, die in der Vergangenheit gültig waren, gelten noch für einen Übergangszeitraum. Nach der neuen Verordnung können die
Besitzer ihre Tiere noch mit den alten Ausweisen, sofern
deren Gültigkeit nicht abgelaufen ist, ins Ausland mitnehmen. Ich hatte schon deutlich gemacht, dass aufgrund einer Initiative der Mehrheit der Mitgliedstaaten
das Datum für die Anwendung der neuen Regelungen
auf den 1. Oktober dieses Jahres festgelegt wurde.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal nachfragen.
Gelten bis zum 1. Oktober weiterhin die nationalen Einreisebestimmungen, die in einigen Staaten - ich nenne
als Beispiel nur Großbritannien - gelten? Oder müssen
die Reisenden zusätzliche Papiere über die Gesundheit
der Tiere nachweisen?
Vielleicht könnten Sie noch ein Wort dazu sagen, wie
intensiv die Bemühungen der Bundesregierung und der
Länder sind, um dieses Problem abzuarbeiten. Dies ist
wirklich sehr dringend, weil es sonst an den Grenzen zu
Problemen kommen kann. Stellen Sie sich eine Familie
mit Hund in einem voll bepackten Auto vor, die wieder
umkehren muss, weil die Papiere nicht den notwendigen
Gegebenheiten entsprechen.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Regelungen im Zusammenhang mit der Harmonisierung der
Grenzkontrollen für die Tiere zu sehen sind. Bisher sind
vier Länder in der Europäischen Union tollwutfrei. In
der Verordnung ist diesen Ländern die Möglichkeit eingeräumt, dass ihre verschärften Regelungen weiterhin
gelten. Insofern haben wir zwar harmonisiert, aber
gleichzeitig einigen Ländern die Möglichkeit gegeben,
auch in der Zukunft schärfere Regelungen beizubehalten. Bis zum In-Kraft-Treten der neuen Regelung - das
war Ihre Frage - gelten noch die alten Regelungen und
die entsprechenden Ausweise.
Was die Initiativen der Bundesregierung anbelangt, so
haben wir den zusätzlichen Aufwand erkannt und
- wohlgemerkt auf informeller Basis - das Land Nordrhein-Westfalen, das sich als großes Grenzland angeboten hatte, koordinierend zu wirken, ermuntert, das zu
tun. In Nordrhein-Westfalen ist eine Arbeitsgruppe gegründet worden, in der auch die tierärztlichen Fachorganisationen vertreten sind. Ich denke, wir sind bei den
Vorbereitungen auf einem guten Stand. Wenn es jetzt zu
der Verschiebung kommt, dann geschieht dies nicht auf
Initiative der Bundesrepublik, sondern einer Reihe anderer Mitgliedstaaten.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 21 des Kollegen
Goldmann:
Wann und durch wen werden die entsprechenden Ausweisvordrucke den zur Ausstellung befugten Tierärzten zur
Verfügung gestellt werden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Goldmann, für Unternehmen, die an einer Drucklegung der Ausweismuster interessiert sind,
besteht seit März dieses Jahres die Möglichkeit, sich
vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz des Landes Nordrhein-Westfalen eine Betriebskennziffer zuteilen zu lassen. Von dieser Möglichkeit haben nach hiesigem Kenntnisstand bisher fünf Unternehmen Gebrauch
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
gemacht. Mit dem Versand der Muster an die niedergelassenen Tierärzte wurde begonnen. Um die erforderliche individuelle Nummerierung der Ausweise zu
gewährleisten, hat diese Behörde im Rahmen der Zuständigkeit der Länder Koordinierungsaufgaben übernommen.
Zusatzfrage.
Ich lese das nach, was Sie geantwortet haben, weil ich
Sie nicht an allen Stellen richtig verstanden habe. Ich
hatte gefragt: Wann und durch wen werden die entsprechenden Ausweisvordrucke den zur Ausstellung befugten Tierärzten zur Verfügung gestellt?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Tierärzte, die die Bescheinigungen ausstellen,
müssen die Vordrucke bestellen. Das Problem besteht
darin, dass die Vordrucke fortlaufend nummeriert werden müssen, um Verwechslungen und Missbrauch auszuschließen. Aus diesem Grunde ist eine Lizenznummer
für die Druckereien notwendig.
Es hat eine Ausschreibung gegeben. Die Druckereien,
die sich daran beteiligt haben - fünf an der Zahl -, haben
die Lizenznummer erhalten. Diese nummerieren ihre
Ausweise fortlaufend, um Missbrauch und Verwechslungen auszuschließen. Die Tierärzte kennen über die Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe die Druckereien, sie
müssen dort die Vordrucke bestellen und können dann
die Tiere entsprechend den Vorschriften untersuchen und
die Bescheinigungen ausstellen.
({0})
Danke schön.
Wir kommen dann zur Frage 22 des Kollegen Cajus
Julius Caesar:
Welche Gründe sind für die Bundesregierung maßgeblich,
die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel
von bisher 17 auf sieben Institute an zwei Standorten zu reduzieren, und wie ist der Sachstand zur Standortfrage der zukünftigen Bundesforschungsanstalt, insbesondere für den
Standort Detmold?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Caesar, bereits seit dem Jahre 1997 waren die von der Errichtung der Bundesforschungsanstalt
für Ernährung und Lebensmittel betroffenen Bundesforschungsanstalten im Forschungsverbund Produkt- und
Ernährungsforschung zusammengeschlossen. Die geänderten Rahmenbedingungen erforderten eine Umorientierung der betroffenen Forschungsanstalten hinsichtlich
ihrer fachlichen Ausrichtung und eine Umstrukturierung
im Wege der Zusammenführung zu einer Bundesforschungsanstalt.
Im Hinblick auf die knapper werdenden Ressourcen
müssen Synergieeffekte bestmöglich genutzt werden. Im
Übrigen unterstützt der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten zur Ressortforschung die Zusammenlegung der
Anstalten. Frau Bundesministerin Künast hat inzwischen
entschieden, dass die BFEL ihren Hauptsitz in Karlsruhe
haben wird. Im Übrigen ist über die Standortfrage noch
nicht abschließend entschieden.
Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Caesar.
Zunächst einmal herzlichen Dank für die Antwort. Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass
insbesondere die hervorragenden wissenschaftlichen
Kooperationen der Bundesforschungsanstalt in Detmold,
etwa mit den Fachhochschulen Lippe und Höxter - ich
nenne beispielsweise 22 Professoren und 14 Lehrbeauftragte -, Prioritäten für den Standort in Detmold ergeben, wenn man gleichfalls sieht, dass etwa in Karlsruhe
nur zwei Professoren angesiedelt sind?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Caesar, bei den Standortentscheidungen
werden auch die Berufungen und Doppelberufungen von
Professoren sowohl an der Bundesanstalt als auch die
Lehraufträge an den Hochschulen des Umfeldes eine
Rolle spielen. Gleichwohl haben wir die Notwendigkeit,
die ganze Forschungslandschaft im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums neu zu strukturieren und
zu straffen. Ich hatte in meiner Antwort deutlich darauf
hingewiesen, dass es eine Evaluierung und Anregungen
gegeben hat, die noch viel weiter gingen, nämlich die
17 Institute auf sieben Institute und auf zwei Standorte
zu reduzieren. Das alles werden wir zu prüfen haben.
Die Notwendigkeit der Neustrukturierung besteht jedoch.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich will dieser Strukturierung nicht widersprechen.
Natürlich wollen wir Synergieeffekte nutzen. Ich denke,
ich habe Ihren Worten entnehmen können - gegebenenfalls müssten Sie das noch einmal darstellen -, dass gerade der Standort Detmold in verschiedenen Bereichen
Prioritäten hat. Ich habe eben einzelne genannt. Dazu gehören auch die über 100 Mitarbeiter und die hervorragenden Anstrengungen, die es dort im Bereich der
Ausbildung gibt. Wir haben eben die Ausbildungsfrage
diskutiert. Gerade diese Einrichtung hat sich in diesem
Bereich sehr engagiert. All diese Aktivitäten und Standortvorteile sollte man bei der Standortentscheidung berücksichtigen. Ich setze vor diesem Hintergrund auf Ihre
Kompetenz und Ihr Einfühlungsvermögen für den
Standort Detmold.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Caesar, vielen Dank für die Bewertung
und das Vertrauen, das Sie uns an dieser Stelle entgegenbringen. Tatsache ist: Wir werden sowohl die Zukunft
der Beschäftigten als auch die Einbindung in der Region
zu berücksichtigen haben. Das kann ich an dieser Stelle
zusagen.
Allerdings müssen am Ende die Ziele, was die stärkere Orientierung der Bundesanstalt im Sinne der
Neustrukturierung des Ministeriums in Bezug auf Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anbelangt,
aber auch die Frage der Kostenreduzierung durch Synergieeffekte berücksichtigt werden. Unter diesem Blickwinkel wird die Entscheidung letztendlich getroffen
werden.
Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Caesar:
Welche Rolle spielt die Stärkung des ländlichen Raums,
die ein erklärtes Ziel des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ist, in ihren Umstrukturierungsplänen in Bezug auf die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, und wie sieht die
Kostenstudie zum geplanten Umzug bezogen auf den Abbau
besonders aufwendiger Versuchsinstrumente, wie zum Beispiel Weizen- und Roggenmühlen - 300 Kilogramm pro
Stunde - und Rohwarensilos, aus?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Caesar, die Frage nach der Stärkung des
ländlichen Raums stellt sich im Zusammenhang mit der
Errichtung der Bundesforschungsanstalt für Ernährung
und Lebensmittel bzw. den noch zu treffenden Standortentscheidungen nicht. Die Schaffung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen für die bestmögliche Umsetzung der fachlichen und organisatorischen Konzeption
für die BFEL steht im Vordergrund. Haushaltsmäßige
Kriterien werden selbstverständlich mitberücksichtigt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wann ist aus Ihrer Sicht mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Im Laufe dieses Jahres.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage.
Bitte.
Können Sie das konkretisieren?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Nein.
Der Kollege Goldmann hat eine weitere Frage dazu.
Herr Staatssekretär, es ist richtig: Die Frage nach der
Stärkung des ländlichen Raums stellt sich mit der Neuorientierung nicht. Sehen Sie nicht vielmehr die Gefahr
der Entleerung des ländlichen Raumes? Ich denke dabei
zum Beispiel an Kulmbach oder Kiel.
Könnten Sie sich vorstellen, dass es im Rahmen des
Evaluierungsprozesses, den Sie angesprochen haben, zu
einer Lösung kommt, die das Institut in Kulmbach und
auch die Bundesanstalt für Milchwirtschaft in Kiel qualifiziert am Markt hält? Denn Kulmbach und Kiel sind
- das wissen Sie so gut wie ich - in diesem Bereich internationale Topadressen. Gerade unter der Zielsetzung
des qualifizierten und vorbeugenden Verbraucherschutzes empfände ich es als dramatischen Verlust, wenn
diese Einrichtungen zerschlagen würden.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Goldmann, seitens der Bundesregierung
geht es nicht um den Verzicht auf Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus den von Ihnen genannten Anstalten. Es geht vielmehr darum, die Ergebnisse effizienter
zu gewinnen. Gegenstand der Frage war in diesem Zusammenhang, ob das letztlich mit der Entwicklung und
Förderung des ländlichen Raumes verbunden werden
kann. Dazu ist die klare Aussage: Nein. Wir können
nicht über eine Strukturentscheidung hinsichtlich der
Bundesforschungsanstalten Politik für den ländlichen
Raum machen.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass auch die jetzigen Entscheidungen auf Prüfungen und Entwicklungen
in der Vergangenheit aufbauen, so auf dem Forschungsrahmenkonzept aus dem Jahr 1996. Aus diesem Konzept
geht hervor, dass es bereits Strukturentscheidungen gegeben hat, die nach meinem Dafürhalten damals gut begründet waren. Wenn sie nicht in dem vorgesehenen
Maße umgesetzt wurden, dann geht das sicherlich auf
Einflussfaktoren wie die zurück, die in dieser Debatte
schon erwähnt wurden. Aber letztlich stellte sich auch
damals die Aufgabe, zu straffen, Einsparungen vorzunehmen und Synergieeffekte zu nutzen. Wir stehen heute
vor der gleichen Aufgabe.
Für die Entwicklung des ländlichen Raumes müssen
wir andere Instrumente nutzen. Im Übrigen würde ich
Städte wie Kulmbach und Detmold nicht unbedingt zum
ländlichen Raum zählen. Ich denke dabei an etwas kleiParl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
nere Ortschaften und strukturschwache Regionen, von
denen ich auf Wunsch viele aufzählen könnte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Thalheim.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Reinhard Grindel
auf:
Warum wird das einvernehmlich von allen Kommandanten/Leitern der Depots der Bundeswehr entwickelte „Kriegsfelder Modell“, wonach das künftige Materialdepot Hesedorf
einen für die Erfüllung seiner Aufgaben zwingend notwendigen Stundensatz von 90 000 Stunden pro Jahr erhalten soll,
nicht umgesetzt?
Herr Kollege Grindel, das „Kriegsfelder Modell“ ist
das Ergebnis interner Überlegungen zur Materialwirtschaft der Bundeswehr unter maßgeblicher Beteiligung
der Kommandanten der Materialdepots. Dafür wurde
von den Beteiligten der bisher bekannte Umfang der Instandsetzungsstunden der Materialdepots zugrunde gelegt.
In der Zielstruktur ab dem Jahre 2010 sind jedoch für
das Materialdepot Hesedorf mit dem Artikelkreis Fahrzeuge ABC- und Pioniermaterial sowie Biwak- und
Kettenmaterial 30 000 Instandsetzungsstunden für die
Erhaltung des eingelagerten Materials vorgesehen. Regionale Instandsetzungsunterstützung, die heute im Materialdepot Hesedorf geleistet wird, wird bereits vom
1. Januar 2005 an in die dafür zuständigen Materialerhaltungseinrichtungen, zum Beispiel Instandsetzungskompanien oder regionale Instandsetzungszentren, verlagert.
Erste Zusatzfrage, Kollege Grindel.
Herr Staatssekretär, die Kommandanten aller Depots
- sie wissen am besten, welche Aufgaben ihre Depots
zukünftig zu erfüllen haben - haben an der Klausurtagung in Kriegsfeld teilgenommen. Wie erklären Sie sich,
dass dort eine Reihe von Kommandanten erklärt haben,
den einheitlich festgelegten, also für alle gleichermaßen
geltenden Stundenansatz von 30 000 brauchten sie gar
nicht und könnten deshalb sehr wohl zusätzliche Stunden, und zwar bis zu 90 000, an Hesedorf abgeben? Warum hat man nicht denjenigen vertraut, die die Situation
vor Ort am besten einschätzen können, nämlich die
Kommandanten der Depots, und hat einen einheitlichen
Stundenansatz für alle 27 Depots festgelegt? Wie gesagt,
einige Kommandanten sind der Auffassung, so viele
Stunden brauchten sie gar nicht.
Auch die Kommandanten wissen, dass die Standortentscheidungen nach zwei Kriterien gefällt werden: zum
einen nach betriebswirtschaftlichen Untersuchungen und
zum anderen nach militärischen Überlegungen. Wenn
die militärische Führung vorschlägt, eine solche Reduzierung vorzunehmen, dann geht die politische Leitung
des Ministeriums davon aus, dass das entsprechend abgesichert ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Grindel, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Tatsache,
dass der zuständige Kommandant in Hesedorf auf einer
Veranstaltung des Streitkräfteunterstützungskommandos
in Lingen am 16. März dieses Jahres gesagt hat, dass das
ihm zugestandene Personal, also die Stundenansätze zur
Auftragserfüllung, nicht ausreichen werde? Mir hat der
Inspekteur außerdem mitgeteilt, dass in Hesedorf zukünftig Arbeiten der Materialerhaltungsstufe III durchgeführt werden sollen, was einen erhöhten Personalaufwand bedeutet. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass man
in Hesedorf einen höheren Stundenansatz braucht? Sind
Sie gegebenenfalls bereit, darüber noch einmal nachzudenken?
Das geht schon fast in die Beantwortung Ihrer zweiten schriftlich eingereichten Frage. In der Tat wird man
vom 1. Januar 2005 an nicht alles abrupt zurückfahren.
Das würde auch gar nicht gehen; denn das Vorhandene
muss erst noch restauriert werden. Die Reduzierung wird
also über einen längeren Zeitraum ablaufen. Sie ist natürlich in das Konzept der Strukturreform 2010 eingebettet, das ebenfalls einen erheblichen Abbau ziviler Arbeitsplätze innerhalb der Bundeswehr vorsieht. Auch
Depots dieser Art sind natürlich von dem personellen
Abbau betroffen.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Reinhard
Grindel auf:
Wie verträgt sich die Zusage des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, jedem Mitarbeiter, der im künftigen Materialdepot Hesedorf nicht mehr beschäftigt werden
kann, eine adäquate Verwendung in der Bundeswehr anzubieten, mit der Feststellung des zuständigen Personalrats, wonach 70 in der regionalen Instandsetzung eingesetzte Handwerker ab dem 1. Januar 2005 nicht mehr beschäftigt werden
können und eine andere Verwendung bei der Bundeswehr in
einem Umkreis von mindestens 50 Kilometern nicht möglich
ist?
Herr Kollege Grindel, ich habe eben angedeutet, dass
die neue Organisationsstruktur, aufgrund der sich auch
der Personalumfang im Materialdepot Hesedorf verringern wird, vom 1. Januar 2005 an in Angriff genommen
wird. In der Ausplanung dieser Struktur ist berücksichtigt worden, dass sowohl die Auftragslage als auch das
Personal im Bereich „Materialerhaltung“ nicht zum
Stichtag reduziert werden können. Es werden deshalb
Dienstposten auf Zeit ausgebracht, welche die Abarbeitung von Aufträgen und den Übergang in die Zielstruktur erleichtern sowie sozialverträgliche Lösungen für
den Personalabbau gewährleisten. Die personalbearbeitenden Dienststellen der Wehrbereichsverwaltung werden sich in Verbindung mit dem Kommandanten weiter
bemühen, jedem Mitarbeiter, der in Hesedorf nicht mehr
beschäftigt werden kann, gemäß dem Tarifvertrag eine
adäquate Verwendung in der Bundeswehr anzubieten.
Im Übrigen sichert der Tarifvertrag jedem Mitarbeiter
Arbeitsplatzschutz bis zum Jahre 2010 zu, wie Sie wissen.
Erste Zusatzfrage, Herr Grindel.
Herr Staatssekretär, ist es denn sinnvoll - ich beziehe
mich hier auf Informationen des örtlichen Personalrats,
die auch dem Minister vorliegen -, dass Dienstposten an
weit entfernten Standorten neu besetzt werden, obwohl
etwa an den größeren Standorten Hesedorf und Darmstadt Personal vorhanden ist, das die erforderlichen Arbeiten ausführen könnte? Wäre es nicht wirtschaftlicher,
so zu verfahren?
Natürlich gehe ich davon aus, dass die zuständigen
Stellen die Wirtschaftlichkeit ihrer Überlegungen darstellen können und dass die getroffenen Entscheidungen
insofern richtig sind.
Zweite Zusatzfrage, Herr Grindel.
Was wird aus den 64 Auszubildenden in der Ausbildungswerkstatt des Materialdepots Hesedorf? Ohne
Fachwerkstätten kann die Ausbildung zum Automobilmechatroniker nicht sichergestellt werden, da diese Ausbildung praxisbezogen zu erfolgen hat.
Sie werden ihre Ausbildung zu Ende führen können.
({0})
- Es werden dann keine neuen Ausbildungsplätze geschaffen; aber die begonnene Ausbildung wird natürlich
abgeschlossen.
Die Fragen 26 und 27 werden schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 28 der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth auf:
Wie viele Kunststoffabfälle wurden in den letzten fünf
Jahren von Deutschland nach Asien zum Recycling exportiert?
Liebe Frau Kollegin Dr. Flachsbarth, wenn Sie erlauben, beantworte ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang.
({0})
- Okay, herzlichen Dank.
Dann rufe ich auch Frage 29 der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth auf:
Welche Konsequenzen erwachsen nach Einschätzung der
Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit
- ökologische, ökonomische und soziale Aspekte - aus dieser
Entwicklung?
Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit:
Frage 28 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregie-
rung verfügt auf der Grundlage der Außenhandelsstatis-
tik über konkrete Angaben über den Im- und Export von
Abfällen nach Abfallarten und Staaten ab dem
Jahr 2001. Hiernach ergeben sich für die drei wichtigs-
ten Importgebiete von Kunststoffabfällen in Asien für
die Jahre 2001 und 2002 folgende Mengenströme: China
in 2001 26 920 Tonnen, in 2002 51 423 Tonnen; Hong-
kong 111 906 Tonnen im Jahr 2001, im Jahr 2002
106 144 Tonnen; nach Indien sind in 2001 7 419 Tonnen
exportiert worden, in 2002 waren es 8 453 Tonnen.
In den Jahren 2001 und 2002 sind insgesamt
147 474 bzw. 167 427 Tonnen Kunststoffabfälle nach
Asien exportiert worden. Der Anteil der drei oben ge-
nannten Gebiete hieran beträgt etwa 99 Prozent. Gemes-
sen an der Gesamtmenge der exportierten Kunststoff-
abfälle in den Jahren 2001 und 2002 in Höhe von
331 000 Tonnen bzw. 363 000 Tonnen liegt der Anteil
der drei wichtigsten asiatischen Abnehmergebiete bei
44 bzw. 46 Prozent.
Mit Abstand am bedeutendsten für den Export von
Kunststoffabfällen nach Asien sind die Polyethylen-
abfälle gefolgt von Abfällen aus Polypropylen bzw. PET.
Der Export von Kunststoffabfällen nach Indien ist bis
auf PET genehmigungspflichtig. Für die Verbringung
von Kunststoffabfällen in die Volksrepublik China ein-
schließlich Hongkong gibt es keine Beschränkungen.
Allerdings schreibt die Volksrepublik China eine Vorab-
inspektion vor, die von einem in Deutschland ansässigen
und von der Volksrepublik China autorisierten Unterneh-
men durchgeführt wird.
Frage 29 beantworte ich wie folgt: Zur Schätzung der
Konsequenzen, die aus der zu beobachtenden Verlage-
rung des Kunststoffrecyclings von Europa nach Asien
- hier sei noch einmal die Volksrepublik China ge-
nannt - erwachsen, sind aus Nachhaltigkeitssicht vor al-
lem zwei Fragen von Interesse:
Erstens. Welche Produkte werden aus den Kunststoff-
abfällen gewonnen? Das Recycling von Kunststoffabfäl-
len entlastet die Umwelt in dem Maße, wie die hierbei
gewonnenen Produkte zu einer Substitution von Primär-
rohstoffen und damit zu einer Vermeidung der hiermit
verbundenen Umweltbelastungen beitragen.
Die entsprechenden Bedingungen in Ostasien werden
wie folgt eingeschätzt:
a) Da die Wertstoffe in Ostasien in höherem Maße
von Hand sortiert werden, dürfte die Verwertungsquote,
das heißt der Anteil der Kunststoffabfälle, die tatsächlich
stofflich verwertet werden, höher sein als in Europa.
b) Nach den vorliegenden Informationen werden aus
den recycelten Kunststoffabfällen vor allem Textilfasern
hergestellt. Die durch die Substitution von Primärrohstoffen erzielte potenzielle Umweltentlastung liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie bei einem Recycling
zu PET-Flaschen. Das Recycling zu Textilfasern ist somit nach unserer Meinung grundsätzlich als hochwertig
einzuschätzen.
Was für Sie in diesem Kontext auch von Interesse sein
dürfte, ist die Frage: Unter welchen Bedingungen erfolgt
das Recycling der Kunststoffe? Der Bundesregierung
liegen keine repräsentativen Angaben darüber vor, unter
welchen Arbeits- und Umweltbedingungen das Kunststoffrecycling in Ostasien durchgeführt wird. Es deutet
jedoch vieles darauf hin, dass diese Bedingungen unter
den europäischen Standards liegen, und zwar sowohl bezüglich der gesundheitlichen und Sicherheitsbedingungen am Arbeitsplatz als auch bezüglich der Emissionen
und der Einbringung von Schadstoffen in die Umwelt.
Die Umweltbelastungen, die sich aus dem Transport der
Kunststoffabfälle nach Ostasien ergeben, sind gegenüber
den oben angesprochenen Aspekten als geringfügig einzuschätzen.
Letzte Bemerkung. Eine umfassende Bewertung der
Verlagerung des Kunststoffrecyclings von Europa nach
Asien unter Nachhaltigkeitsaspekten hängt vor allem
von den Umwelt- und Arbeitsbedingungen in dem jeweiligen Importland ab. Hierzu liegen uns allerdings keine
repräsentativen Angaben vor, sodass ich diese Frage leider nicht abschließend beantworten kann. Aber wir teilen Ihnen gern jederzeit unsere Erkenntnisse hierzu mit,
zumal ich die Frage wirklich sehr spannend finde.
Frau Kollegin Flachsbarth, Zusatzfragen? - Bitte
schön.
Frau Staatssekretärin Wolf, herzlichen Dank für die
Beantwortung meiner Fragen. Ich habe dennoch einige
Zusatzfragen.
Erste Zusatzfrage. Welches sind nach Ansicht der
Bundesregierung die Gründe für den steigenden Kunststoffabfallexport gerade nach China?
Da könnte ich leider nur mutmaßen und das will ich
nicht. Ich müsste im BMWA nachfragen, wie das im dafür zuständigen Ministerium anhand der Außenhandelsstatistik analysiert wird. Das tue ich gerne.
Ich wäre sehr dankbar für eine solche Ergänzung, insbesondere in Bezug auf die Standards im Arbeits- und
Umweltrecht in Deutschland und in China im Vergleich.
Eine zweite Nachfrage. Um wie viel ist in den letzten
zehn Jahren die Zahl der deutschen Kunststoffaufarbeitungsanlagen zurückgegangen?
Frau Kollegin, auch das kann ich Ihnen nicht aus dem
Kopf sagen. Ich möchte diese Frage schriftlich beantworten.
Auch dafür wäre ich dankbar.
Eine weitere Nachfrage. Stimmt die Bundesregierung
mit der Aussage der European Plastic Recyclers, also
des europäischen Dachverbands, überein, dass die langfristige Entsorgungssicherheit bei Kunststoffabfällen
hier vor Ort, in Europa bzw. in Deutschland, durch die
Entwicklung gefährdet wird?
Ich kann Ihnen auf Ihre Frage nur so viel sagen: Aus
den Vorschriften zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung lassen sich Informationen zur Einschränkung
der Einfuhr in verschiedene Staaten ableiten. Ich stelle
Ihnen auch das gleich gerne zur Verfügung. Aus den Genehmigungsunterlagen ergeben sich nach den jetzigen
Erkenntnissen keine zusätzlichen Exportmengen, die zu
den Daten der Außenhandelsstatistik addiert werden
müssten.
Ich weiß, dass das eine unzureichende Beantwortung
Ihrer Frage ist. Den Rest an Informationen hierzu bekommen Sie ebenfalls schriftlich.
Frau Staatssekretärin, zur letzten Nachfrage, die ich
im Rahmen meines Kontingents noch habe. Sie haben
darauf hingewiesen, dass die Standards bezüglich der
umwelt-, abfall- und arbeitsrechtlichen Situation in
China stark von denen hier in Deutschland abweichen.
Unternimmt die Bundesregierung Anstrengungen, um
diese Standards anzugleichen?
Frau Kollegin Dr. Flachsbarth, wir gehen davon aus.
Wir haben, wie gesagt, keine empirischen Daten zu der
Frage der Differenz der Arbeits- und Sozialstandards.
Sie wissen, dass China Mitglied der Welthandelsorganisation ist. In diesem Kontext verhandeln wir im europäischen Rahmen selbstverständlich auch mit der Volksrepublik China über Arbeits- und Sozialstandards. Im
Rahmen der ILO finden ebenfalls solche Verhandlungen
statt.
Vielen Dank.
Die Fragen 30 und 31 sollen schriftlich beantwortet
werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Wolf.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe sogleich die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
1 Vereinbarte Debatte
Zur humanitären und menschenrechtlichen
Situation und internationalen Verantwortung
im westlichen Sudan
2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Im Westsudan ({0}) eine humanitäre Katastrophe verhindern
- Drucksache 15/3197 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Staatsministerin Kerstin Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder
einmal sehen wir schreckliche Bilder aus Afrika, diesmal aus dem Westsudan, aus der Region Darfur: Frauen
und Kinder auf der Flucht, brennende Häuser, überfüllte
Flüchtlingslager. Die internationalen Hilfsorganisationen
sprechen bereits von der schwersten humanitären Krise
weltweit. Menschenrechtsorganisationen wie Human
Rights Watch und der UN-Menschenrechtskommissar
Ramcharan berichten von Massenvergewaltigungen,
Massenvertreibungen, dem Abbrennen ganzer Dörfer,
also schwersten Menschenrechtsverletzungen. Aus
Darfur sollen mehr als 1 Million Menschen vertrieben
worden sein, circa 30 000 sind bereits umgekommen,
über 130 000 haben es über die Grenze in den Tschad
geschafft, wo es zumindest teilweise gelingt, sie zu versorgen.
Ich war vom 4. bis 6. Mai im Tschad und habe mit
den Menschen in den Flüchtlingslagern gesprochen. Ich
habe die Dörfer an der Grenze, die auf der sudanesischen
Seite völlig menschenleer sind, gesehen; Stunden
braucht man, um vom letzten Ort im Tschad auf den unwegsamen Straßen diese Camps überhaupt zu erreichen.
Das vermittelt einem schon, wie schwierig es sein wird,
selbst dort im Tschad die Flüchtlinge zu versorgen.
Diese Flüchtlinge sind überwiegend Frauen und Kinder.
Sie berichten, dass sie in der Hitze oft monatelang unterwegs waren, ihre Männer und Brüder umgebracht,
ihre Häuser niedergebrannt wurden. Sie haben mir auch
übereinstimmend davon berichtet, dass die Regierung
die Dörfer bombardiert und dann die so genannten
Janjaweed-Milizen in diese Dörfer einfallen, um die
Menschen zu vertreiben oder umzubringen, und dass sie
zwischen den Milizen und der Regierung nicht unterscheiden können.
Außerdem finden sich in diesen Flüchtlingslagern nur
Menschen der afrikanischstämmigen Bevölkerung, also
der Fur, Masaalit und Zaghawa, die von Vertreibungen
durch die arabischstämmigen Janjaweed-Milizen berichten. Meine Damen und Herren, ich bin daher zu dem
Schluss gekommen, es handelt sich nicht nur um eine
der schwersten humanitären Krisen weltweit. Im Ergebnis haben wir es hier mit ethnischen Vertreibungen zu
tun.
Wir müssen auch sehen, dass die Zeit drängt. In zwei
bis drei Wochen beginnt die Regenzeit, dann wird es
noch schwerer werden, die Menschen zu versorgen. Daher arbeiten die Hilfsorganisationen an der Grenze zum
Tschad mit Hochdruck. Man hat es da mit doppelt so
vielen Flüchtlingen zu tun, wie man erwartet hat. Das
Problem ist: Nach Darfur kommen eben immer noch
kaum Hilfsorganisationen, weil sie durch bürokratische
Hürden von der sudanesischen Regierung davon abgehalten werden. Daher lautet unsere vorrangigste Forderung: Die internationalen Hilfsorganisationen müssen
sofort Zugang nach Darfur erhalten, damit die Menschen
versorgt werden können.
({0})
Das ist ein Wettlauf mit der Zeit; denn wenn es nicht gelingt, diese Menschen rechtzeitig vor der Regenzeit zu
versorgen, dann drohen sie zu verhungern. Nach neuesten Schätzungen der International Crisis Group betrifft
das bis zu 350 000 in den nächsten Monaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, das müssen wir gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft zu verhindern suchen. Wir dürfen nicht noch einmal zulassen, dass sich wie in Ruanda vor unseren
Augen eine humanitäre Katastrophe in einem afrikanischen Land abspielt, ohne dass etwas geschieht. Das darf
nicht noch einmal passieren. Wir alle haben gemeinsam
eine Verantwortung für Afrika.
({1})
Wir haben deshalb auf allen politischen Ebenen versucht, Druck zu machen und die sudanesische Regierung
zum Einlenken zu bewegen. Ich habe mich entschlossen,
unmittelbar nach meinem Aufenthalt im Tschad nach
New York zu fliegen und dem Sicherheitsrat von der
Lage dort vor Ort zu berichten. Wir haben gedrängt, die
Darfurkrise sowohl auf dem G-8-Außenministertreffen
als auch beim Rat der EU-Außenminister zum Thema zu
machen. Letztere haben am 17. Mai einen sehr deutlichen Beschluss gefasst.
Die internationale Gemeinschaft war lange uneins, inwieweit der Darfurkonflikt hochrangig thematisiert und
in internationale Gremien, zum Beispiel die EU oder die
UN, eingebracht werden sollte. Es gab auch viele kritische Stimmen, die vor einer Gefährdung des gesamtsudanesischen Friedensprozesses, der in den letzten Monaten im kenianischen Naivasha gute Fortschritte
gemacht hat, warnten. Die Bundesregierung ist allerdings früh zu der Überzeugung gelangt, dass der gesamtsudanesische Friedensprozess nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn auch die Konfliktherde in Regionen,
deren Interessen im Friedensprozess nicht berücksichtigt
sind, einbezogen werden. Dazu gehört eben auch der eskalierte Darfurkonflikt. Ich bin der Auffassung, dass es
im Sudan keinen nachhaltigen Frieden geben wird - das
kann man sich jedenfalls nur schwer vorstellen -, wenn
nicht gleichzeitig der Darfurkonflikt gelöst wird, und
zwar sowohl die humanitäre Krise als auch die politische
Krise, die dahinter steht.
Herr Minister Fischer und ich haben seit Mai 2003 in
vielen bilateralen Gesprächen mit der sudanesischen Regierung auf eine Lösung der Darfurkrise gedrängt. Es
geht uns vor allem darum, dass der Darfurkonflikt im Sicherheitsrat behandelt wird. Diesbezüglich musste bei
vielen Mitgliedstaaten erhebliche Überzeugungsarbeit
geleistet werden, bis wir dieses Thema am 2. April dieses Jahres auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates setzen konnten. Am 14. April wurde erneut über die Lage
beraten. Am Montag fand auf unsere Initiative hin ein
Treffen der Mitglieder des Sicherheitsrates mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zum Thema
Darfur statt.
Ich begrüße insbesondere, dass in der vergangenen
Nacht endlich eine deutliche Erklärung des Sicherheitsrates verabschiedet werden konnte. Sie verurteilt die
Gewalt in Darfur und fordert die sudanesische Regierung auf, den internationalen Hilfsorganisationen freien
Zugang zu gewähren und ihre Zusagen einzuhalten. Das
ist ein sehr wichtiger Schritt. Ich hoffe, es werden weitere folgen, wenn es nicht gelingt, diese Krise zu deeskalieren.
({2})
Ich begrüße auch, dass erreicht werden konnte, dass die
sudanesische Regierung in der letzten Woche endlich erklärt hat, den Zugang zu erleichtern.
Aber diesen Worten müssen jetzt auch unmittelbar
Taten folgen. Allzu oft sind wir leider von der sudanesischen Regierung enttäuscht worden. Ich habe daher für
morgen noch einmal die Hilfsorganisationen eingeladen, damit sie über die aktuelle Lage berichten können.
Die Bundesregierung - BMZ und Auswärtiges Amt hat bereits seit Beginn des Konfliktes 5 Millionen Euro
für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt. Aber diese
Mittel müssen jetzt auch ankommen. Ich bin gespannt,
was die Hilfsorganisationen zu berichten haben. Ich
hoffe, dass in den nächsten Tagen endlich erreicht werden kann, dass die Menschen versorgt und die Ankündigungen der sudanesischen Regierung konsequent umgesetzt werden.
({3})
Ich finde es sehr gut, dass sich der Deutsche Bundestag angesichts der Dramatik der Lage entschlossen hat,
heute diese Debatte zu führen, und dass es gelungen ist,
sich hier auf einen interfraktionellen Antrag zu verständigen. Wir haben es nicht nur mit einer humanitären
Krise zu tun; deshalb muss der Konflikt politisch gelöst
werden. Dazu nimmt der Antrag klar Stellung.
Letztlich geht es um einen sehr alten Konflikt zwischen schwarzafrikanischer Landbevölkerung und arabischstämmigen Nomaden um Land, Wasser und Ressourcen. Schwarzafrikanische Rebellengruppen fordern
gleiche Rechte und eine Beteiligung der Region Darfur
an den Ressourcen des Landes, wie es der Süden mit
dem Norden ausgehandelt hat. Es ist also ein ethnischer
Konflikt. Aber dass dieser ethnische Konflikt so eskalieren konnte, liegt daran, dass die sudanesische Regierung
ihn politisch instrumentalisiert hat. Deshalb muss dieser
Konflikt jetzt politisch gelöst werden; mit Gewalt und
militärischen Mitteln ist er nicht zu lösen.
Die Voraussetzungen, die dazu erfüllt werden müssen,
finden sich als Forderungen in dem gemeinsamen Antrag:
Erstens muss der am 8. April geschlossene Waffenstillstand eingehalten werden. Diese Forderung richtet
sich an beide Seiten.
Zweitens muss die sudanesische Regierung ihren Verpflichtungen nachkommen und die Janjaweed-Milizen
entwaffnen und sie aus der Region zurückziehen, damit
die Flüchtlinge sicher und freiwillig in ihre Heimatorte
zurückkehren können. Offensichtlich ist die Zusammenarbeit sehr eng. Deshalb muss die Regierung auch dafür
sorgen, dass die Janjaweed-Milizen entwaffnet werden.
Das ist bisher nicht geschehen.
Drittens unterstützen wir die Afrikanische Union bei
der Einrichtung einer Friedensmission zur Überwachung
des Waffenstillstandes. Wir haben uns früh dafür eingesetzt, dass die Europäische Union die neu geschaffene
Friedensfazilität für Afrika einsetzt, um einen von der
Afrikanischen Union konzipierten Überwachungsmechanismus zu fördern und zu stützen.
Bedauerlicherweise sind immer noch keine Monitore
vor Ort. Eine Kommission soll morgen und übermorgen
in Addis Abeba zusammentreten. Ich kann Ihnen versichern: Deutschland ist bereit, die Einsetzung einer solchen Friedensmission der Afrikanischen Union zu unterstützen.
({4})
Abschließend will ich sagen, dass es sehr viele Bemühungen gegeben hat. Man kann sicherlich davon sprechen, dass wir in gewisser Weise treibende Kraft sind.
Entscheidend ist, ob es gelingt, die Menschen zu versorgen. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist. Wir können
noch handeln und tun das auch.
Allerdings sage ich auch sehr deutlich: Wenn es nicht
gelingt, einen freien Zugang für die Hilfsorganisationen
zu erreichen, wenn die sudanesische Regierung ihre Zusagen nicht einhält und wenn in zwei bis drei Wochen
eine Hungerkatastrophe droht, dann muss die internationale Gemeinschaft, wie es Kofi Annan bereits am
7. April in seiner Rede anlässlich des Gedenkens an den
Völkermord in Ruanda gesagt hat, weitere Schritte ergreifen, um diese drohende Katastrophe zu verhindern.
Wir alle hoffen, dass wir diese Katastrophe verhindern
können. Wenn sie aber droht, müssen wir handeln.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Egon Jüttner von der CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sudan ist einer der ärmsten und der am höchsten verschuldeten Staaten der Welt. Circa 90 Prozent der
Bevölkerung leben an oder unterhalb der Armutsgrenze.
Das Land leidet unter dem längsten Bürgerkrieg auf
dem Kontinent. Bislang hat dieser Krieg mehr als
2 Millionen Menschen das Leben gekostet. Die Zahl der
Getöteten und Vertriebenen ist die höchste seit dem
Zweiten Weltkrieg. Mit rund 5 Millionen ist der Sudan
das Land mit der weltweit höchsten Zahl an Binnenvertriebenen.
Trotz zahlreicher Versprechungen der sudanesischen
Regierung hat sich die Menschenrechtssituation im
westlichen Sudan, nämlich in der Provinz Darfur, drastisch verschlechtert. Schon seit Monaten bekämpfen dort
arabische Milizen, bekannt als Janjaweed, die schwarzafrikanische Bevölkerung, die sie foltern und töten und
deren Häuser sie niederbrennen, offenbar mit Duldung
und Unterstützung der sudanesischen Regierung. Übergriffe auf Flüchtlinge, Vergewaltigungen von Frauen und
Mädchen, Entführungen von Kindern und Plünderungen
sind ebenfalls an der Tagesordnung.
Augenzeugen berichten, dass sogar ganze Dörfer niedergebrannt und Nahrungsmittel vernichtet werden sowie Vieh erbeutet und abgeschlachtet wird. Allein in
Norddarfur sind in den vergangenen Wochen über
300 Dörfer niedergebrannt worden. Diese Vorgehensweise zeigt, dass es sich hier nicht um spontane, sondern
um geplante und systematische Zerstörungen und um
ethnische Vertreibung und ethnische Säuberung handelt.
UN-Menschenrechtskommissar Ramcharan spricht
von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und bezichtigt die sudanesische Regierung der „aktiven Mittäterschaft“. Die schwedische Außenministerin warnte beispielsweise vor der Gefahr eines Völkermordes in Darfur. Allein seit Februar sollen
etwa 30 000 Menschen ums Leben gekommen sein. Experten rechnen mit bis zu 350 000 Toten in den kommenden Monaten. Die meisten der Flüchtlinge sterben
an Hunger und Krankheit, wie unabhängige Experten
der International Crisis Group in einem am Montag
veröffentlichten Bericht mitteilten. Wenn nicht bald Entscheidendes geschieht, wird es hier eine menschliche
Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes geben.
Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es aufgrund der andauernden Kämpfe in der Region Darfur bereits rund 1 Million Flüchtlinge. Mehr als 100 000 Menschen seien über die Grenze in den Tschad geflohen.
Hilfsorganisationen korrigierten in den vergangenen Tagen die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge sogar
nach oben. Nach jüngsten Schätzungen sind demnach
insgesamt 1,2 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 1 Million als Binnenflüchtlinge in Darfur und etwa
200 000 im Tschad. Nach Angaben des Welternährungsprogramms sind in der Region Darfur mittlerweile
2 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfe angewiesen.
Während die sudanesische Regierung leugnet, dass es
sich bei dem Konflikt um eine systematische ethnische
Säuberung handelt, und stattdessen auf traditionelle
Stammesauseinandersetzungen verweist, sprechen der
Koordinator der Vereinten Nationen für den Sudan,
Mukesh Kapila, und die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch offen von ethnischen Säuberungen. Die Welternährungsorganisation, andere humanitäre Organisationen und UNO-Delegierte warnen
deshalb seit Monaten vor der größten humanitären Katastrophe seit dem Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren.
Entgegen offiziellen Verlautbarungen erschwert die
Regierung in Khartoum den Zugang zur Region Darfur
durch bürokratische Hindernisse und Schikanen bei der
Erteilung von Sichtvermerken und Reisegenehmigungen. So lagern beispielsweise circa 400 Tonnen Nahrungsmittel der Welthungerhilfe in Khartoum, die noch
vor kurzem nicht in die Krisenregion gebracht werden
konnten, weil mit fadenscheinigen Argumenten wie
„Räuber machen den Transport unsicher“ die Reisegenehmigung hierfür nicht erteilt wurde. Zu befürchten ist,
dass nach Beginn der Regenzeit, das heißt von Ende
Juni bis Anfang Oktober, solche Transporte gar nicht
mehr möglich sind und der Großteil der Bevölkerung
nicht mehr mit Hilfsmaßnahmen erreicht werden kann.
Auch die jüngsten Ankündigungen der sudanesischen
Regierung, den Vertretern von Hilfsorganisationen bei
den diplomatischen Vertretungen des Sudan binnen
48 Stunden Einreisevisa für drei Monate auszustellen
und auf die bisher erforderliche Reiseerlaubnis zu verzichten, wurden bisher nicht umgesetzt.
Trotz dieser schwersten Menschenrechtsverletzungen
im Sudan wurde auf der 60. Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission die ursprünglich beantragte Resolution zur Verurteilung des Sudan abgelehnt. Erst nach
massivem öffentlichen Druck entschloss sich die Kommission dazu, lediglich eine abgeschwächte Resolution
zu verabschieden. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang der Entschluss der afrikanischen Regionalgruppe, den Sudan wieder als Mitglied der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen zu benennen.
({0})
Anstatt Menschenrechtsverletzungen klar beim Namen
zu nennen und die betroffenen Staaten auf Einhaltung
der von ihnen selbst unterzeichneten internationalen
Menschenrechtsabkommen zu verpflichten, wird hier
von afrikanischer Seite falsch verstandene Solidarität geübt.
({1})
Nicht nur Simbabwe, sondern auch der Sudan ist jetzt
zur Nadelprobe für Afrikas Bekenntnis zur Einhaltung
der Menschenrechte, zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geworden.
({2})
Wenn die Grundsätze und Prinzipien der NEPAD in einigen afrikanischen Ländern weiterhin mit Füßen getreten
werden, dann stellt sich die Frage, wie die weitere Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika gestaltet
werden soll. Länder wie Südafrika dürfen zu den
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Sudan oder in Simbabwe nicht einfach schweigen. Die
Afrikanische Union steht hier in der Verantwortung und
die afrikanischen Staaten selbst sind gefordert, ihre
Stimme zu erheben und auch zu handeln.
Die zivilisierte Welt kann die fortdauernden massiven
Menschenrechtsverletzungen im Sudan nicht länger hinnehmen. Es darf hier kein weiteres Ruanda geben. Die
Völkergemeinschaft darf nicht ein zweites Mal versagen.
Jetzt ist die internationale Gemeinschaft gefordert, die
sudanesische Regierung unmissverständlich aufzufordern, die Gewalt in Darfur zu beenden. Die deutsche
Bundesregierung ist aufgefordert, sich mit ihrem ganzen
politischen Gewicht bei der internationalen Gemeinschaft für ein geschlossenes Handeln einzusetzen. Sie
muss im Weltsicherheitsrat und gegenüber der Organisation Afrikanischer Staaten Druck machen. Nur
durch eine gemeinsame und eindeutige Verurteilung
kann der Druck auf die sudanesische Regierung erhöht
werden, die genozidähnlichen Massenvertreibungen und
Massentötungen in Darfur zu beenden.
Der Regierung in Khartoum muss klar gemacht werden, dass die für den Fall eines Friedensschlusses mit
dem Südsudan in Aussicht gestellte Wiederaufnahme
der Entwicklungszusammenarbeit nur dann erfolgt,
wenn das Morden in Darfur umgehend beendet wird.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen den interfraktionellen Antrag. Vom Sudan erwarten wir vor allem
die sofortige Waffenruhe, die Einhaltung und Kontrolle
des Waffenstillstands vom 8. April, die Entwaffnung aller Milizen und die Zulassung einer Friedensmission der
Vereinten Nationen, die Annahme des Angebots und die
Unterstützung der Afrikanischen Union, die Kontrolle
des Waffenstillstandsabkommens vom 8. April zu übernehmen und so genannte Schutzeinheiten aufzustellen,
Vorkehrungen zu treffen, dass alle Flüchtlinge sicher in
ihre Dörfer in Darfur zurückkehren können, die Beendigung aller Einschränkungen und Behinderungen sowie
den freien unbürokratischen Zugang der Hilfsorganisationen nach Darfur, die Einstellung aller Angriffe gegen Zivilisten und effektiven Schutz der Zivilbevölkerung, die
Zulassung der Leistung humanitärer Hilfe durch die internationale Gemeinschaft noch vor Beginn der
Regenzeit, die Untersuchung aller Menschenrechtsverletzungen durch eine unabhängige internationale Untersuchungskommission und die Zulassung eines Beobachterteams der Vereinten Nationen zur Einhaltung der
Menschenrechte in Darfur.
Ich appelliere an die Bundesregierung und an die internationale Gemeinschaft, ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen im westlichen Sudan nachzukommen und alles daran zu setzen, dass es in Darfur nicht zu
einem zweiten Ruanda kommt.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
UNO-Koordinator für die humanitäre Hilfe im Sudan,
Kapila, sagt zur Situation im westlichen Sudan: Das ist
mehr als ein Konflikt, das ist der organisierte Versuch,
eine Volksgruppe auszulöschen. James Morris, mit dem
ich mehrfach gesprochen habe - er ist der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms -, war mit einer
UN-Delegation in der Region. Er hat viele Erfahrungen
in dieser Frage gesammelt und hat in einem Gespräch
mit mir die Situation in Darfur als gegenwärtig
schlimmste humanitäre Krise weltweit bezeichnet. Ich
habe letzte Woche Vertreterinnen und Vertreter von
„Ärzte ohne Grenzen“ getroffen, die aus Darfur kamen.
Sie haben mir von bedrückenden Erfahrungen und von
Verbrechen berichtet, die sie, wie sie selbst sagten, bisher nur aus Ruanda kannten.
In Darfur - die Kollegen und Kolleginnen, die vor mir
geredet haben, haben es bereits angesprochen - hat sich
der Konflikt zwischen der Regierung in Khartoum und
den afrikanischen Darfuris zu einem Krieg der sudanesischen Regierung gegen die Menschen in der ganzen Region entwickelt. Die arabischstämmigen Milizen - die
Janjaweed sind erwähnt worden - überfallen Dörfer
und setzen sie in Brand, sie ermorden Menschen, vergewaltigen Frauen vor den Augen ihrer Männer und Väter
und treiben Menschen in die Flucht.
Die Zahlen sind bereits genannt worden, aber man
muss sich vorstellen, was das an menschlichem Leid
bedeutet. Es schmerzt mich, dass das öffentliche Aufbegehren immer erst dann stattfindet, wenn die Bilder zu
sehen sind. Wir haben aber schon vor dem Erscheinen
der Bilder immer wieder gesagt, dass 1 Million Menschen auf der Flucht sind und sich etwa 130 000 Menschen in den Tschad geflüchtet haben. Im Westsudan
kann 1 Million Menschen nicht mehr für sich selbst sorgen. Sie sind dem Hunger, der sengenden Hitze, den
Krankheiten und möglicherweise der Regenzeit, die
Ende Mai beginnt, ausgesetzt.
Die heutige Diskussion - ich bin froh, dass sie in diesem Hause so einvernehmlich erfolgt - soll das Signal
setzen: Wir wollen und werden den Menschen helfen,
wir werden dazu beitragen, dass sie gerettet werden. Wir
werden alles dafür tun, dass sie gerettet werden.
({0})
Es ist bereits gesagt worden, dass die Gefahr besteht,
dass etwa 350 000 Menschen während der Regenzeit
nicht mehr erreicht werden können. Es ist jetzt schon
schwierig, sie in manchen Regionen mit Transportmitteln zu erreichen. Ich habe mir die Landkarte des Welternährungsprogramms daraufhin angesehen: Es gibt
Regionen, die dann einfach nicht mehr zugänglich sind.
Es geht also darum, schnell zu handeln.
Es ist gut, dass sich alle Fraktionen des Deutschen
Bundestages heute auf einen Antrag geeinigt haben und
mit dem Beschluss über diesen Antrag deutlich machen:
Der Deutsche Bundestag sendet an die sudanesische Regierung das klare und unmissverständliche Signal: Lassen Sie die Helferinnen und Helfer ins Land! Tragen Sie
dazu bei, dass der Waffenstillstand endlich eingehalten
wird! Tragen Sie dazu bei, dass den Vertreibungen und
dem Gräuel ein Ende gemacht wird! Tragen Sie dazu
bei, dass die Menschen in ihre Heimatregionen zurückkehren können! Das sagen wir als Bundestag insgesamt
an die Adresse der sudanesischen Regierung.
({1})
Laut Amnesty International ist es nämlich keineswegs so, dass die sudanesische Regierung in der Region
keine Kontrolle mehr hätte. Sie ist vielmehr offensichtlich aktiv an Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Das zeigt wieder, dass es die Schwächsten
trifft, nämlich Frauen und Kinder. Die Regierung in
Khartoum muss sich vorwerfen lassen, dass sie ethnisch
motivierte Vertreibungsaktionen, Massenmorde und
Massenvergewaltigungen billigt und auch fördert. Zwei
Drittel aller Kinder über fünf Jahren in dieser Region,
die sterben, waren Opfer von Gewalt. Das darf niemanden gleichgültig lassen. Wir können dazu beitragen, dass
sie gerettet werden. Das sollten wir immer wieder deutlich machen, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Da wir
wissen, dass als erstes die Kinder und danach ihre Eltern
sterben werden, lautet der Appell an alle Beteiligten,
auch an die internationale Gemeinschaft, alles zu tun,
damit wir handeln können und damit dort entsprechend
Druck ausgeübt wird.
Gestern Abend - die Kollegin Müller hat es angesprochen - hat der UN-Sicherheitsrat in einer entsprechenden Erklärung des Präsidenten die sexuelle Gewalt und
die Vertreibung in der Bürgerkriegsregion scharf verurteilt. Der Sicherheitsrat fordert auch dazu auf, die für die
Menschenrechtsverletzungen und die Vertreibungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es darf niemand unbelangt bleiben, der solche Verbrechen begeht
oder toleriert.
({2})
Diese Erklärung ist auf massiven Druck und massive
Einflussnahme der deutschen Bundesregierung zustande
gekommen. Man muss an dieser Stelle nicht erzählen,
welche Widerstände es zu überwinden galt. Wir als Bundesregierung begrüßen diese Erklärung aber ausdrücklich und insbesondere, dass sie die ethnischen Vertreibungen unmissverständlich verurteilt. Wir sagen - wir
tun das auch mit diesem Antrag, den wir hier
beschließen -: Der UN-Sicherheitsrat muss den Druck
aufrechterhalten. Der internationale Druck muss weiter
erhöht werden. Dabei ist auch ein umfassendes UN-Waffenembargo notwendig, wie es heute bereits in der Europäischen Union besteht. Angesichts dessen ist ein
Waffenembargo auch innerhalb der Vereinten Nationen
doch das Mindeste.
({3})
Das würde deutlich machen, dass die internationale Gemeinschaft den Druck wirklich ernst nimmt.
Es ist hier gesagt worden, dass die sudanesische Regierung angekündigt hat, Hilfsorganisationen nicht
weiter an der Arbeit zu hindern, sondern die Helfer und
Helferinnen ins Land zu lassen. Die Regierung des
Sudan hat sich aber bisher als eine Meisterin der unerfüllten Ankündigungen erwiesen. Deshalb steht der Test
wirklich erst bevor.
Ganz bewusst will ich sagen, dass wir als Bundesregierung die Regierung in Khartoum in die Pflicht nehmen und auch dort, wo es nötig ist, unter Druck setzen.
Es besteht hier die Verpflichtung, Menschenleben zu
retten. Das verpflichtet uns, den entsprechenden Druck
auszuüben.
Am 7. April 2004 - Vorredner haben es gesagt -, dem
zehnten Jahrestag des Beginns des Genozids in
Ruanda, hat die Völkergemeinschaft erklärt, dass sie nie
wieder wegschauen wird, wenn Hunderttausende von
Menschen in den Tod getrieben werden.
John Prendergast von der International Crisis Group
hat Anfang Mai dieses Jahres vor dem Ausschuss für internationale Beziehungen des US-Repräsentantenhauses gewarnt: „Sudan is Rwanda in slow motion.“
Tragen wir alles dazu bei, dass sich diese Warnung niemals bewahrheitet. Wir sind in der Verantwortung und
auch andere, die sich bisher noch nicht in ausreichendem
Maße beteiligt haben, stehen in der Verantwortung, alles
zu tun, damit die Menschenleben im Westsudan gerettet
werden. Alle zu beteiligen, das ist die wichtigste Forderung.
({4})
Ethnische Vertreibungen dürfen, wo auch immer sie
geschehen, nie mehr hingenommen werden; das haben
wir für Europa gesagt. Sie dürfen auch in Afrika nicht
hingenommen werden. Ebenso darf die Taktik der verbrannten Erde nicht aufgehen. Unser Ziel ist es, den aus
dem Sudan Vertriebenen die Wiederkehr in ihr Land zu
ermöglichen; darum geht es.
Wir werden alles tun, damit die internationalen
Hilfsorganisationen ungehindert und ohne Verzögerung
in die Region Darfur kommen können, dass die Flüchtlinge zurückkehren können, dass die regierungsnahen
Janjaweed-Milizen entwaffnet werden und dass das Waffenstillstandsabkommen eingehalten und international
überwacht wird. Wir setzen uns als Bundesregierung
ebenfalls dafür ein - das haben wir auch auf europäischer Ebene durchgesetzt -, dass die Mittel, die die EU
für die so genannte Afrikanische Friedensfazilität bereitstellt, so schnell wie möglich für den Einsatz afrikanischer Friedenstruppen zur Verfügung gestellt werden.
Denn die Afrikanische Union hat ihre eigene Verantwortung immer wieder selbst betont. Es ist wichtig, dass
es diese afrikanischen Friedenstruppen gibt und dass die
Europäische Union ihre Finanzierung unmittelbar sicherstellt. Dazu hat sie sich auch verpflichtet.
Die Bundesregierung hat bisher 5 Millionen Euro für
die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Den Umfang dieser Hilfe werden wir - auch das sage ich an dieser Stelle - ausweiten bzw. ausweiten müssen. Durch unsere Unterstützung des Welternährungsprogramms und
der Welthungerhilfe tragen wir dazu bei, dass
Nahrungsmittelhilfe zu den Flüchtlingen gebracht
wird; zum Teil ist sie zwar im Land, aber der Zugang zu
den Flüchtlingen wird erschwert. Genauso wichtig ist es,
dafür zu sorgen, dass die Menschen Zugang zu sauberem
Wasser bekommen; denn viele Kinder sterben, weil sie
verschmutztes Wasser trinken. Wenn jetzt Möglichkeiten
des Zugangs und der Hilfe bestehen, dann ist das eine
der wichtigsten Voraussetzungen, um sicherzustellen,
dass nicht weiterhin Kinder an verdorbenem Wasser
sterben.
An dieser Stelle möchte ich den Ärzten ohne Grenzen danken, die mit ihren Helfern und Helferinnen den
Menschen dieser Region in dieser schwierigen Situation
beistehen. Wir tragen dazu bei, dass ihre wertvolle Arbeit unterstützt wird und ihnen in großem Umfang Zugang in das Land ermöglicht wird, wenn sie ihren Einsatz dort weiterhin ausüben wollen.
({5})
Über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
und das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen, tragen wir in den Flüchtlingslagern in Tschad
dazu bei, den Menschen in ihrem Elend zu helfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen um die
Gefahr, dass die dramatische Situation in Darfur den
Friedensprozess zwischen dem Norden und dem Süden
des Landes gefährdet. Wir sagen aber auch: Ohne eine
Lösung der Darfurkrise wird es im Sudan keinen dauerhaften Frieden geben können. Darum unterstützen wir
die gesamtsudanesischen Friedensverhandlungen
zwischen dem Nord- und Südsudan und drängen alle
Konfliktparteien zu einem schnellstmöglichen Abschluss der Verhandlungen. Dort wird vonseiten der Regierung schon seit Wochen nur filibustert. Im Schatten
dessen wird ein Teil der Konflikte in Darfur ausgetragen.
Es ist immer noch unklar, ob es heute - wie mehrfach
angekündigt war - zu einem Ergebnis kommt.
Wir wollen dazu beitragen, dass der Friedensprozess
im Sudan auch die bisher marginalisierten Regionen umfasst. Ein Sudan, der seinen Nord-Süd-Konflikt durch
Vereinbarungen friedlich löst und die marginalisierten
Regionen und Bevölkerungsgruppen einbezieht, kann
mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
rechnen. Eine Regierung aber, die ethnische Vertreibungen fördert, wird diese Unterstützung niemals erhalten.
({6})
Das deutsche Parlament wird heute und soll heute ein
unmissverständliches Zeichen gegen ethnische Vertreibung und für die Solidarität mit den Menschen im Sudan
setzen. Ich bedanke mich für Ihr Engagement. Lassen
Sie es uns gemeinsam voranbringen und lassen Sie uns
dazu beitragen, dass die Menschenleben im Sudan gerettet werden können.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Heinrich von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Tagtäglich neue Meldungen über Opfer, über Überfälle, über Gewalt, über Vergewaltigung, über Flüchtlingsströme, die nicht mehr zu versorgen sind, drohende
Hungerkatastrophe - das ist das Bild, dass wir derzeit
vom westlichen Teil des Sudans bekommen.
Zum Glück findet der Sudan in diesen Tagen - in
Deutschland zumindest - eine Aufmerksamkeit seitens
der Medien, die ich sehr begrüße: Es wird nicht weggeschaut, sondern die Medien berichten sehr aufmerksam;
das möchte ich hier ausdrücklich herausstellen.
({0})
Auch wir im Deutschen Bundestag führen Debatten.
Ich habe schon am 6. Mai, als wir über Afrikapolitik
diskutiert haben, einen Antrag der FDP mit eingebracht
und darum gebeten, dass wir einen gemeinsamen Antrag
erarbeiten sollten. Um ein Haar wäre das nicht geschehen. Alles war recht kurzfristig und wir hatten eigentlich
kaum Möglichkeiten, intensiv mitzuarbeiten. Ich möchte
damit die Qualität des Antrages nicht schmälern, aber
ich möchte sagen, dass 20 Tage, die seit dem 6. Mai vergangen sind, eigentlich genug Zeit gewesen wären, uns
zusammensetzen und gemeinsam einen Antrag zu formulieren.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie ist die
Situation im Sudan insgesamt? Das eine, Frau
Wieczorek-Zeul, hängt natürlich auch mit dem anderen
zusammen, es ist untrennbar damit verbunden. Seit
1983, seit über 20 Jahren, schwelt der Nord-Süd-Konflikt zwischen arabisch-islamisch geprägten Stämmen
im Norden und dem schwarzafrikanisch-christlichen Süden. Dieser lange Konflikt hat über 2 Millionen Tote gefordert und 4 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht. Der
Kampf um Wasser, um Ressourcen, um Öl, um Land ist
in diesem Staat über zwanzig Jahre lang unerbittlich geführt worden.
Am heutigen Tag scheint die Unterzeichnung eines
Rahmenabkommens möglich, das Voraussetzung für ein
darauf folgendes Friedensabkommen sein kann; das
wäre sehr zu begrüßen. Ich hoffe, dass sie so weit kommen. Die bisherigen Berichte sind noch immer gespaltener Meinung. Nach einer Übergangszeit von sechs Jahren soll nach diesem Rahmenabkommen ein
Referendum über einen eigenen Südstaat erfolgen. Wir
halten es für eine kluge Entscheidung, nicht jetzt sofort
die Dinge endgültig regeln zu wollen, sondern dem Sudan eine Übergangszeit einzuräumen.
Beobachter gehen davon aus, dass erst nach einer umfassenden Friedensabkommensregelung wirklich Besserung für die betroffenen Menschen in der Region eintreten kann. Parallel zu dieser Lösung des Nord-SüdKonfliktes stehen wir heute hier und diskutieren über die
unhaltbaren Zustände in der Region Darfur. Wie im
Nord-Süd-Konflikt deutlich geworden ist, möchten die
Menschen auch in der Region Darfur an den Ressourcen
des Landes teilhaben. Deshalb gibt es dort eine Rebellenbewegung, die sich nicht vertreiben lassen will, die
nicht mit dem einverstanden ist, was von Khartoum aus
erfolgt. Während bei der Regelung des Konfliktes zwischen dem Norden und dem Süden ein Fortschritt zu erkennen ist, ist die Darfurregion noch immer in Bewegung. Der Beginn war vor etwa anderthalb bis zwei
Jahren, als die schwarzafrikanischen Bevölkerungsteile
den Kampf mit den arabischen Milizen aufgenommen
haben.
Seit Februar 2003 sind etwa 30 000 Menschen ums
Leben gekommen, etwa 1,2 Millionen Menschen sind
auf der Flucht. Gewalt, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen sind - das unterstreiche ich noch einmal - an der Tagesordnung. Eine humanitäre Katastrophe droht; das ist bereits sehr deutlich zum Ausdruck
gekommen. Doch die Regierung in Khartoum schaut
zu. Und nicht nur das: Sie unterstützt die arabischen
Milizen sogar mehr oder weniger offen, zum Beispiel indem sie ihre Luftwaffe einsetzt, und behindert diejenigen, die in der Region humanitäre Hilfe leisten wollen,
obwohl sie immer das Gegenteil behauptet.
Die Regierung in Khartoum ist für mich nicht glaubwürdig, auch wenn die neuesten Entwicklungen andeuten, dass sie Erleichterungen zulässt, zum Beispiel bei
der Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen. Diese
Entwicklungen werden wir aber noch weiter verfolgen.
Sie reichen für mich nämlich noch nicht aus, um dem
Regime Vertrauen entgegen bringen zu können.
({2})
Die sudanesische Regierung spielt ein doppeltes Spiel:
Friedensverhandlungen auf der einen und härtestes und
erbarmungsloses Vorgehen gegenüber den Rebellen in
Darfur auf der anderen Seite.
Wir diskutieren heute natürlich auch über die Maßnahmen, die so dringend notwendig sind. In diesem Zusammenhang wurde bereits die Rolle der Afrikanischen
Union angesprochen. Die Afrikanische Union hat es erst
in diesen Tagen geschafft, sich einen eigenen Sicherheitsrat zu geben und hat erst in diesen Tagen über die
Entsendung von Friedensmissionen in Konfliktgebiete
diskutiert und hinsichtlich militärischer Intervention bei
Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
eine Veranlassung ausgesprochen. Wenn die AU ihre
Verantwortung überhaupt wahrnimmt - ich habe meine
Zweifel; die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie nicht besonders aktiv war -, so wird dies sicherlich noch einige
Zeit in Anspruch nehmen.
Ich glaube deshalb nicht, dass wir in den nächsten
Wochen und Monaten vonseiten der AU eine Strategie
der aktiven Konfliktlösung erwarten können, obwohl ich
mir das wünschen würde. Ich möchte nicht, dass Sie
mich falsch verstehen, aber realistischerweise müssen
wir davon ausgehen, dass die AU dazu nicht in der Lage
ist. Ich weiß auch nicht, ob sie schon in der Lage dazu
ist, die Waffenstillstandsabkommen zu kontrollieren.
Dazu hatte sie sich bereit erklärt. Wir werden sehen, inwieweit sie ihre Rolle übernehmen kann. Für die sofortige humanitäre Hilfe, für die Versorgung der Flüchtlinge in den Lagern im Tschad, für die Versorgung der
Bevölkerung im Westen des Sudans mit Lebensmitteln,
Medikamenten und allem, was sie braucht, und für die
Vorbereitung einer gefahrlosen Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Dörfer wird deshalb die internationale Gemeinschaft gebraucht.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen besonderen Dank an die Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe, Brot für die Welt oder Ärzte ohne Grenzen und
an all die anderen aussprechen, die vor Ort sind und versuchen, die dringend notwendige Arbeit zu erledigen.
Obwohl sie daran gehindert werden, lassen sie in ihrem
Bemühen nicht nach. Ihnen gebührt unser besonderer
Dank.
({3})
Unser gemeinsamer Antrag enthält die Forderung,
den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten und sogar noch weiter zu erhöhen. Darin sind wir völlig einer
Meinung. Trotzdem müssen wir uns heute auch Gedanken darüber machen, was zu tun ist, wenn das zu nichts
führt. Wenn die Menschenrechtsverletzungen nicht gestoppt werden und die Versorgung der Flüchtlinge nicht
gewährleistet werden kann, dann muss aktiv eingegriffen
werden. Wir dürfen uns von Khartoum nicht an der Nase
herumführen lassen.
Herr Präsident, ich sehe das Zeichen. Lassen Sie mich
bitte noch ein paar Sätze sagen. - Dass sich der UN-Sicherheitsrat heute zu einer sofortigen Entsendung internationaler Beobachter in den Westen Sudans ausgesprochen hat, ist gut, es reicht aber nicht aus. Unsere
Erfahrungen aus dem Kongo zeigen, dass wir, wenn wir
in solchen Situationen erfolgreich sein wollen, auch ein
robustes Mandat benötigen. Vergewaltigungen und das
Abbrennen von Dörfern verhindern Sie nicht mit Beobachtermissionen. Hier müssen Sie aktiv hineingehen.
Deshalb lautet unsere Forderung letztendlich: Wenn wir
hier nicht weiterkommen, dann müssen wir UN-Truppen
mit einem robusten Mandat dorthin schicken. Überlegungen darüber stellen wir schon heute an.
Ich unterstreiche es noch einmal: Wir dürfen es nicht
zulassen, dass hier weiterhin gemordet, geplündert und
Menschen gequält werden. Das kann und darf nicht zugelassen werden. Deshalb muss hier im entscheidenden
Augenblick mit einem robusten Mandat hineingegangen
werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Hans Büttner von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich glaube, jeden von uns berührt es, wenn wir feststellen, dass in bestimmten Gebieten dieser Welt Menschen
gefoltert, ermordet und getötet werden. Überall auf dieser Welt - auch das gehört zur Realität -, wo es Krieg
gibt, gibt es auch massive Menschenrechtsverletzungen,
Mord, Totschlag, Folterungen und Vergewaltigungen.
Das entschuldigt diese Tatsache nicht; es ist nur eine
ganz realistische Feststellung.
Kollege Jüttner und Kollege Heinrich haben darauf
hingewiesen: In diesem Land Sudan, das etwa die achtfache Größe von Deutschland hat, gibt es seit 1956
Krieg - unterbrochen nur durch elf Jahre zwischen 1972
und 1983. In diesem Land herrscht seit dieser Zeit ein
Bürgerkrieg mit all seinen schrecklichen Folgen.
Wenn wir jetzt darüber reden, wie wir handeln wollen
und dazu beitragen können, einen solchen Bürgerkrieg
zu beenden, dann täten wir bei aller Emotionalität, die
auch ich habe, gut daran, ganz realistisch mit unseren
Forderungen und Möglichkeiten umgehen.
({0})
- Kollegin Nickels, ich sage Ihnen: Im Irak stehen
150 000 Soldaten und ich sehe nicht, dass dort inzwischen Frieden ist und dass es dort keinen Mord, keinen
Totschlag, keine Erschießungen, keine Vergewaltigungen usw. mehr gibt.
Ich sage das deswegen, weil ich glaube, dass es nicht
genügt, sich einfach nur aufzuregen. Man muss ganz realistisch und ehrlich sagen, was wir wo und wie was tun
können. Ich will darauf noch eingehen und auch noch
einmal hinweisen.
Hier wird ein Vergleich mit Ruanda hergestellt. Das,
was derzeit in Darfur geschieht, ist ebenso schrecklich
wie die Massenmorde in Ruanda. Es gibt aber einen
ganz entscheidenden Unterschied: 1992, als es in Ruanda noch keine Kriegsverbrechen gab, hat die SPD hier
in diesem Bundestag den Antrag gestellt, die damals bereitstehenden Truppen der Afrikanischen Union zu finanzieren und in dieses Land zu schicken, um solche
Verbrechen zu verhindern. Es ging um einen Beitrag von
20 Millionen DM.
({1})
- Natürlich gab es die OAU. - Es gab dort damals die
Bereitschaft verschiedener Länder - Kollege Schuster
und Kollege Tappe waren kurz vorher dort unten und haben diese Information mitgebracht -, bewaffnete Einheiten mit insgesamt 5 000 Mann bereitzustellen. Das
wurde damals abgelehnt. Heute besteht der Unterschied
zu damals darin, dass diese Bundesregierung es durchgesetzt hat, dass nicht nur sie, sondern auch die Europäische Union sofort die erforderlichen Mittel bereitstellt,
sobald die AU ihre Truppen, die sie in petto hat, dorthin
entsenden kann.
Dass dies im Moment nicht möglich ist - vor diesem
Hintergrund widersprechen wir uns mit unserem Antrag
ein bisschen -, hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass
die sudanesische Regierung allein, auch wenn sie es
wollte, nicht für Frieden im Darfur sorgen kann. Dass
die Regierung des Sudan jede Gelegenheit wahrnimmt,
den Bürgerkrieg für sich zu nutzen, ist ebenso wahr; das
tun allerdings auch die Rebellen, die einen Aufstand im
Süden des Sudan angefangen haben; in einem Bürgerkrieg gibt es nicht nur Gute und Böse, auch das gehört
mit dazu.
({2})
Die Regierung in Khartoum ist allein nicht in der Lage,
Sicherheit zu schaffen, um Hilfslieferungen in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Das ist ein Faktum.
Deswegen müssen wir die Regierung drängen, endlich eine robuste Friedensmacht der AU zuzulassen.
Diese Forderung muss an die Regierung gestellt werden,
damit sich die afrikanischen Einheiten, die in Südafrika,
Namibia und anderen Staaten bereit stehen, schnellstens
auf den Weg dorthin machen können. Was sie brauchen,
Hans Büttner ({3})
ist die logistische Unterstützung für den Transport, um in
den nächsten Tagen so schnell wie möglich dorthin zu
gelangen. Nur dann ist sichergestellt, dass dieser Bürgerkrieg eingedämmt werden kann, damit die Menschen
vernünftig versorgt werden und langfristig friedlich leben können. Diese Schritte muss man gehen. Ich finde
deshalb, dass dieser Antrag im Prinzip völlig richtig ist.
Allerdings sage ich ganz klar: Wenn man eine breiter angelegte Ursachenforschung betriebe, würde dies eher
eine dauerhafte Lösung ermöglichen.
Hinsichtlich der konkreten Maßnahmen bitte ich darum, dass wir etwas ehrlicher zu uns selbst sind. Es ist
völlig richtig - das möchte ich unterstreichen -, dass
nicht nur für den Sudan, sondern auch für die anderen
beteiligten Länder ein Waffenembargo gelten soll. Aber
wie lange reden wir schon darüber, um dann festzustellen, dass trotzdem Waffen in diesen Kontinent geliefert
werden, egal ob wir ein Embargo fordern oder nicht?
Die Staaten, die in der Lage wären, die Einhaltung dieses
Embargos zu kontrollieren, sind bis heute nicht bereit,
ihre technischen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um zu überwachen, ob Flugzeuge in den entsprechenden Gebieten landen. Das ist der entscheidende
Punkt. All das wissen wir und darüber reden wir auch in
den Ausschüssen und anderswo ständig.
Ich bitte die Bundesregierung, ihr Gewicht in die
Waagschale zu werfen, damit die Einhaltung eines solchen Embargos durch die Technik der USA und anderer
Staaten, etwa in Form von Satelliten, unterstützt wird.
Das ist die entscheidende Frage. Ob wir nun eine Resolution dazu fassen oder nicht, ist eher zweitrangig.
Herr Kollege Büttner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Ja, gerne.
Herr Kollege Büttner, vor dem Hintergrund Ihrer Darstellung der Möglichkeiten der Regierung in Khartoum
frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass die Milizen im
West-Sudan nachweislich von der Regierung finanziert
und massiv unterstützt werden?
Herr Fischer, das ist mir bekannt. Ich wollte die Regierung nicht in Schutz nehmen. Mir ist auch bekannt,
dass dieser Bürgerkrieg im Sudan in Darfur ausgebrochen ist, nachdem der Friedensprozess zwischen Nord
und Süd in Gang gekommen ist. Dort kam es zu den ersten Aufständen, weil es sich herumgesprochen hatte,
dass man die Marginalisierung am besten überwinden
kann, wenn man zur Waffe greift. Dieses Faktum wird in
der ganzen Region sichtbar. Meine Bitte ist deshalb:
Wenn ich Lösungen herbeiführen will, dann kann ich
mich nicht nur auf eine Konfliktpartei konzentrieren,
sondern ich muss auch die anderen auffordern, an der
Lösung mitzuwirken. Diese Erfahrung haben wir nicht
nur in Afrika, sondern weltweit gemacht.
Hinsichtlich der Hilfslieferungen habe ich eine
Frage, die mir gestern spontan in den Sinn gekommen
ist, als ich Berichte über die Lage im Tschad hörte. Ich
frage mich wirklich: Sind wir nicht in der Lage, auf die
Schnelle Transportkapazitäten in Form von Flugzeugen
oder Hubschraubern zur Verfügung zu stellen, um Dörfer, von denen wir wissen, dass sie aus bestimmten
Gründen mit Lastwagen nicht erreichbar sind, zu versorgen? Auch diese Fragen sollten wir verstärkt angehen.
Ein Letztes: Gestern war der Afrikatag der afrikanischen Botschafter hier in Berlin. Ich neige dazu, sehr genau zuzuhören. Wir erfahren viel Verständnis und sehr
viel Unterstützung für unsere Forderungen, die Menschenrechte zu achten. Auf der anderen Seite bekommen wir aber auch, wie ich meine, einen berechtigten
Hinweis, nämlich dass wir in Afrika sehr streng und hart
vorgehen, uns aber bei Menschenrechtsverletzungen in
Ländern, in denen wir größere wirtschaftliche Interessen
haben - es werden China, Tschetschenien oder andere
Länder genannt -, vornehm zurückhalten.
({0})
Was will ich damit sagen? Es ist manchmal wirkungsvoller, Menschenrechte nicht durch Resolutionen und
große Erklärungen, zu denen wir selbst nur wenig beitragen können, durchsetzen zu wollen, sondern unsere Politik durch permanente Gespräche und Kontakte durchzusetzen und im Dialog unsere Überzeugungen zu
vermitteln.
({1})
Ein letzter Satz noch zu Ihnen, Herr Kollege
Heinrich. Sie haben Zweifel, ob die AU in der Lage ist,
dort etwas zu tun. Ich sage Ihnen: Dort, wo sich die AU
in den letzten Jahren stärker eingebracht hat - auch im
Kongo -, war sie erfolgreicher als wir zum Teil in Jahrzehnten vorher. Woran es im Moment scheitert, ist die
Bereitstellung der logistischen und technischen Mittel.
Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, als zu spintisieren. Zu glauben, wir könnten in Regionen wie diese
100 000 oder mehr westliche Soldaten oder europäische
Einheiten schicken, ist doch eine Illusion. Wir sollten
nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir in dieser
Richtung helfen.
Herr Kollege Büttner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?
Bitte.
Bitte schön, Frau Nickels.
Herr Kollege Büttner, stimmen Sie mit mir überein,
dass uns vonseiten der afrikanischen Staatengemeinschaft - ich gebe zu, oft nicht zu Unrecht - vorgeworfen
wird, dass wir in der westlichen Staatengemeinschaft
Menschenleben in unserem Lebenskreis sehr hoch schätzen und ein einziges Menschenleben sehr beklagen, aber
sehr oft wegsehen, wenn Tausende in Afrika sterben?
Speziell der sudanesischen Regierung werden von der
internationalen Staatengemeinschaft und zahlreichen
Hilfsorganisationen massenhaft Hilfsangebote gemacht.
Die Hilfsorganisationen sitzen vor Darfur auf 1 000 Tonnen Lebensmitteln. Unser Menschenrechtsausschuss war
gerade dort. Diese Regierung finassiert, taktiert, lügt und
spielt die Fakten herunter. Wieso versuchen Sie jetzt,
diese Regierung zu entschuldigen? Wieso schieben Sie
uns, dem Westen, die Schuld zu und sagen, wir würden
zu sehr die Menschenrechte einfordern? Wir wollen verhindern, dass mit Beginn der Regenzeit Hunderttausende
afrikanischer Muslime sterben müssen, nur weil diese
Regierung nicht bereit ist, das taktische Spiel aufzugeben und die Hilfe zuzulassen.
({0})
Kollegin Nickels, ich habe Ihnen weder etwas vorgeworfen, noch habe ich die sudanesische Regierung in
Schutz genommen. Ich habe nur gesagt: Wenn man Lösungen in Zeiten eines Bürgerkrieges, der in diesem
Land seit mehr als 30 Jahren herrscht, herbeiführen will,
dann erreicht man diese nicht dadurch, dass man sich nur
auf eine Kriegspartei konzentriert und die andere außen
vor lässt. Das ist der Punkt. Wenn ich einen Krieg beenden will, muss ich auf beide Parteien gleichermaßen einwirken, nicht nur auf eine. Das ist mein Hinweis aufgrund des gesunden Menschenverstandes und aus den
Erfahrungen der Geschichte heraus gewesen.
Zum Zweiten: Es geht in der Tat darum, möglichst
schnell Hilfslieferungen dorthin kommen zu lassen.
Aber dabei stellt sich die Frage: Wenn auf der einen
Seite argumentiert wird, man könne keine Hilfslieferungen zulassen, weil dort die Sicherheitslage noch nicht
gewährleistet ist - ({0})
- Hören Sie erst einmal zu! Ich sage das deshalb, weil
gestern in dem Bericht über das Flüchtlingslager im
Tschad von der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“
argumentiert wurde, dass die 6 000 Flüchtlinge, die sich
zehn Kilometer von der Grenze entfernt aufhalten, nicht
versorgt werden können, weil sie sich innerhalb einer
60-Kilometer-Sicherheitszone befinden, die im Tschad
liegt. Wenn selbst im Tschad die Sicherheitslage nicht
gewährleistet ist, wie wollen Sie dann sicherstellen, dass
dies im Darfur der Fall ist? Sie müssen erst einmal dafür
sorgen, dass dort Organisationen tätig werden und die
Menschen wieder sicher leben können.
Deswegen brauchen wir so schnell wie möglich eine
robuste Friedenstruppe, die dort dafür sorgt, dass die
Sicherheit gewährleistet wird. Denn die sudanesische
Regierung ist alleine dazu nicht in der Lage. Das gibt sie
zwar nicht zu, aber sie muss dazu gezwungen werden.
Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
({0})
Eine letzte Bemerkung: Ich finde es gut, dass wir uns
ernsthaft mit dieser Frage befassen. Ich fände es aber
- auch angesichts der Größe und Struktur der Länder in
dieser Region und der Möglichkeiten, etwas erreichen zu
können - auch gut, wenn wir uns mit der gesamten Lage
dort noch intensiver befassen würden. Ich meine, wir
sollten uns nicht nur dann damit befassen, wenn wir Bilder von Toten sehen und Berichte über menschliche
Schicksale und fehlende Nahrungsmittel lesen, sondern
schon auch im Vorfeld. Aber leider stelle ich fest, dass
sich im Bundestag so gut wie niemand mehr dafür interessiert, wenn eine solche Situation vorüber ist. Das sage
ich namens der wenigen „Afrikaner“, die hier sind und
für die sich sonst kaum jemand interessiert. Mit den Hintergründen und Zusammenhängen der Entwicklung setzt
sich nämlich kaum jemand näher auseinander.
Deswegen ist meine Bitte: Lasst uns diese aktuelle
Diskussion zum Anlass nehmen, nicht nur schnell dafür
zu sorgen, dass wir durch die Entsendung einer afrikanischen Friedensmacht die Versorgung der Menschen sicherstellen können, sondern auch dafür, dass durch eine
weitere Unterstützung der Aktivitäten der Afrikanischen
Union in der gesamten Region und in ganz Afrika solche
Katastrophen in Zukunft nicht mehr möglich sein werden. Denn sonst wird es in Ländern dieser Größenordnung mit ähnlicher ethnischer Zusammensetzung noch
häufig zu Bürgerkriegen kommen.
Herr Kollege Büttner, ich bitte Sie, jetzt zum Schluss
zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon um zweieinhalb Minuten überschritten.
Ich komme zu meinem letzten Satz. Ohne die Voraussetzung einer staatlichen Präsenz ist die Wiederherstellung der Sicherheit in diesen Ländern nicht möglich.
Herr Kollege Hedrich hat Recht mit dieser Feststellung.
Sie gilt auch für Afrika.
Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmgard Karwatzki
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Herr Kollege
Büttner, angesichts der Not und des Leids der Bevölkerung im Sudan und aufgrund unserer Reise und der Erfahrungen, die wir dort machen mussten, verstehe ich,
gelinde gesagt, Ihr In-Schutz-Nehmen der sudanesischen
Regierung nicht.
({0})
Ich bin empört und gleichzeitig schockiert, weil ich Sie
eigentlich als einen Entwicklungspolitiker kannte, der
sich sonst anders geäußert hat.
Seit wenigen, doch zugleich viel zu vielen Wochen
schockieren uns Meldungen über die unerträglichen und
unhaltbaren Gräueltaten im West-Sudan. Immerhin ist der
Sudan - wir hörten es bereits - mit 2,5 Millionen Quadratkilometern das flächenmäßig größte Land Afrikas.
Wie konnte bloß in einer Welt, die nicht nur als globalisiert gilt, sondern auch durch Kommunikationsmittel international vernetzt ist, erneut ein solch brutaler Bürgerkrieg geschehen? Schließlich ist es - das ist wiederholt
gesagt worden - gerade zehn Jahre her, dass die Welt fassungslos vor den Massengräbern von Ruanda stand.
Manchmal scheint es heute wieder so, als würde weggeschaut. Allerdings haben Sie Recht damit, Herr Kollege Heinrich, dass gerade die öffentlich-rechtlichen Medien in letzter Zeit die Bevölkerung sehr gut und
informativ aufgeklärt haben. Auch dafür möchte ich
mich bedanken.
Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass weder wir,
die Abgeordneten dieses Parlaments, noch die Regierung weggeschaut haben. Vielmehr haben wir es auf uns
genommen, an den Ort des Schreckens zu gehen und
hinzuschauen, und wir haben Hilfen ermöglicht.
Es ist - ich formuliere vorsichtig - scheinbar so, dass
im Auftrag der sudanesischen Regierung arabischstämmige Janjaweed-Milizen mit brutaler Gewalt gegen die
Revolte schwarzafrikanischer Rebellenbewegungen vorgehen. Die Milizen sind für schwerste Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung verantwortlich zu
machen. Dabei stellen Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, das Niederbrennen von Dörfern und Städten
sowie Plünderungen, die von den sudanesischen Regierungstruppen überwacht werden, nur die gravierendsten
Ausschreitungen dar, von denen wir gehört haben. Die
Milizen ziehen eine Politik der verbrannten Erde dem
direkten Kampf mit bewaffneten Gegnern vor.
Mit diesen Methoden sollen seit August 2003 ethnische Gruppen aus weiten, seit langem von ihnen bewohnten Landstrichen - den fruchtbarsten zumal - vertrieben werden. Man kann dem FDP-Politiker und
unserem früheren Kollegen Gerhart Baum nur beipflichten, wenn er die offenbar systematisch ausgeführten
Massaker als Völkermord bezeichnet.
Wie konnte so lange das Elend im größten Land des
Schwarzen Kontinents ein weißer Fleck im allgemeinen
Bewusstsein sein? - Nun haben wir schon gehört, dass
es vielleicht nicht so „interessant“ ist wie manches andere. Zynisch ausgedrückt, bietet Darfur nicht einmal
eine Variante jenes „Krieges der Kulturen“, welche den
Süden des Sudans „medientauglich“ macht. Was gehen
einen die Massaker und das Elend in Darfur an, wenn
der Irak brennt?
Die meisten Flüchtlinge befinden sich in einem
schwer zugänglichen Gebiet entlang der 600 Kilometer
langen Grenze zum Tschad. Das haben bereits sowohl
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul als auch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, dargelegt. Die meisten Flüchtlinge sind Kinder und Frauen.
Es mangelt an Wasser, Nahrung und Schutzutensilien.
Speziell die Kinder leiden unter den extremen Temperaturschwankungen - wir selbst haben das erfahren müssen -: Am Tage steigen die Temperaturen auf 40 bis
50 Grad Celsius an, um dann in der Nacht bis auf den
Gefrierpunkt zu sinken. Der Gesundheits- und Ernährungszustand vieler Kinder ist äußerst bedrohlich, was
ich hier nicht näher ausführen möchte. Es ist besonders
den „Ärzten ohne Grenzen“ für ihre Hilfe zu danken, die
sie dort unter Bedingungen leisten, die nach unserer
Meinung das, was sie tun, einzigartig machen.
({1})
Man muss vielleicht auch noch anmerken: Anders als
während der Hungersnöte in Äthiopien und Somalia begegnet man im Sudan nicht Menschen, die an wandelnde
Skelette erinnern. Die Flüchtlingsfrauen aus Darfur sind
farbenfroh gekleidet. Die Männer strahlen eine Würde
aus, welche durch Hunger und Armut noch nicht - ich
betone: noch nicht - gebrochen ist. Allerdings deuten die
in den Nasenlöchern der Kinder herumkriechenden Fliegen sowie die mit Plastikfetzen behängten Dornbüsche,
unter denen sich ganze Familienstämme versammeln,
auf die Katastrophe hin. Viele Flüchtlinge leiden an
Durchfall, doch Latrinen gibt es so gut wie keine.
Zu der katastrophalen Regenzeit ist schon einiges gesagt worden. Wir haben an einem Tag erleben müssen,
wie ein Wolkenbruch über uns herniederging. Wenn man
in Deutschland sagt: „Es schüttet aus Kübeln“, dann
kann ich im Hinblick auf den Wolkenbruch, den wir dort
erlebt haben, nur sagen: Dort werden ganze LKWLadungen ausgeschüttet. Man kann es eigentlich gar
nicht beschreiben! Umso mehr konnte ich nach diesem
Wolkenbruch verstehen, dass die vielen Helfer während
der Regenzeit nicht mehr in der Lage sein werden, die
Menschen mit ihren Hilfslieferungen zu erreichen.
Ich begrüße es sehr, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag beschließen. Ich finde, dass die Forderungen, die wir an unsere Regierung stellen, ausgewogen
sind. Ich wünsche den Regierungsmitgliedern, die anwesend sind, und darüber hinaus natürlich auch den anderen, dass sie bei der Durchsetzung der Dinge, die wir
hier heute beschließen, viel Erfolg haben werden.
Allergrößte Eile ist geboten. Wir haben keine Zeit
mehr, lange Verhandlungen zu führen; vielmehr geht es
jetzt darum, dass das, was wir heute beschließen, umgesetzt wird. Ich habe gehört, dass für die sudanesischen
Flüchtlinge im Tschad ab dem heutigen Mittwoch eine
Luftbrücke eingerichtet werden soll. Das erste Flugzeug soll in Dänemark starten, ein weiteres morgen in
Pakistan. Aus Deutschland werden am 31. Mai mehrere
Lastwagen, Wasserbehälter und Generatoren erwartet.
Unterm Strich könnte man sagen: Es gibt zarte Ansätze;
die Lage ist ernst und dennoch nicht ganz hoffnungslos.
Ich möchte den vielen Helfern der Nichtregierungsorganisationen und den Kirchen mit ihren internationalen
Werken danken. Ohne sie wäre praktische Nächstenliebe
nicht möglich. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege
haben erneut um Hilfe gebeten. Ich bitte Sie alle, insbesondere die Damen und Herren, die in Deutschland an
den Fernsehschirmen sitzen, diesen Aufrufen zu folgen.
Es lohnt sich. Es geht um praktisches, einfaches Leben.
Und Leben ist immer lebenswert.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christa Nickels vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
noch die Gedenkreden vom 7. April im Ohr. In diesen
Reden wurde von der westlichen Staatengemeinschaft
bis hin zu Kofi Annan - zu Recht durchaus sehr selbstkritisch - zugestanden, dass nicht nur die afrikanische
Staatengemeinschaft, sondern auch die Weltgemeinschaft schrecklich versagt hat, wodurch über 1 Million
Menschen gestorben ist.
Ich finde es gut, dass wir daraus die Lehren ziehen
wollen, dass wir eben nicht mehr wegsehen, dass wir
genau hinsehen und dass wir uns damit beschäftigen.
Unsere Regierung und auch der Deutsche Bundestag tun
das seit langem, nämlich seit dem letzten Jahr, Kollege
Jüttner.
Der Menschenrechtsausschuss hat Anfang Januar
eine Reise nach Sudan geplant, speziell in die Region
Darfur. Wir haben zusammen mit der sudanesischen Regierung ein sehr ausgefeiltes Programm erarbeitet. Wir
hatten Visa, also Einreisegenehmigungen, bis einen Tag,
bevor wir die Reise begannen. Dann wurde uns erklärt,
die offiziellen Gesprächspartner hätten anderes zu tun.
Wir haben darauf bestanden, auch ohne das Zustandekommen von Gesprächen mit Offiziellen einzureisen.
Auf dem Flughafen wurden uns die Visa entzogen. Wir
sind sitzen geblieben, weil wir finden, dass man mindestens sitzen bleiben muss, wenn man eine Regierung dazu
bringen will, dass sie ihren eigenen Menschen Schutz,
Hilfe und das nackte Überleben sichert.
({0})
Ich habe in dieser Debatte ähnlich offen den Dialog
gesucht. Ich war mir nicht sicher, ob diese Regierung
vielleicht nicht mehr Herrin der Lage ist und ob nicht
ganz andere, militärische Kräfte, Sicherheitskräfte, das
Sagen haben. Wenn das aber so ist, muss eine Regierung
die internationale Staatengemeinschaft oder die Afrikanische Union energisch um Hilfe bitten, damit die Grenzen sofort geöffnet werden. Das Gegenteil ist der Fall.
Frau Schäuble hat heute für die Welthungerhilfe noch
einmal erklärt: Taktieren, Finassieren und bürokratisches
Erschweren von Hilfe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Auch CARE hat uns das heute berichtet. Dass
die sudanesische Regierung ihre Verantwortung nicht
wahrnimmt, kann man durch nichts entschuldigen.
({1})
Die Reserven der Menschen sind auf null. Man hat
schon im letzten Jahr die Ernte nicht einbringen können,
weil es zu massiven Attacken mit massiver Unterstützung der sudanesischen Regierung kam. Diese Regierung treibt ein machtpolitisches Spiel auf dem Rücken
ihrer Zivilbevölkerung. Man konnte die Ernte nicht mehr
einbringen. Die Familien unterstützen die Vertriebenen,
die Ausgeplünderten. Man hat nichts mehr zu essen.
Schon jetzt ist die Aussaat verloren. Das heißt, dass
schon jetzt 2 Millionen Menschen in der Region Darfur
zwei Jahre lang von der Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft abhängig sein werden, wenn sie nicht
verhungern wollen. Angesichts dessen kann man nichts
mehr entschuldigen und muss man der Regierung mit
Hilfe, mit Angeboten, mit Logistik, mit Geld und Gerät
auf den Leib rücken, damit die Menschen diese Hilfe bekommen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir uns auch einmal
klarmachen müssen, in welchem Zeitfenster wir uns befinden. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt: Wir schließen nicht mehr die Augen. Wir schauen
genau hin. - Ich möchte aber nicht erleben, dass in zwei
Wochen, vielleicht schon in einer Woche, vielleicht aber
auch erst in drei Wochen unter unseren Augen der große
Regen losgeht, kein Weg und kein Steg mehr da sind und
zusätzlich zur Hungerkatastrophe Seuchen auftreten.
Einfache Durchfälle raffen Hunderttausende Menschen
hin, zuerst die Kinder, die Frauen und die Alten. Ich
möchte nicht erleben, dass dann Cholera, Typhus und
andere Krankheiten, schwere Viruskrankheiten ausbrechen. Seuchen warten nicht, bis die Politik zu Potte
kommt oder eine Regierung meint, endlich den Zugang
für Hilfe schaffen zu sollen. Seuchen kommen, wenn die
Bedingungen dafür gegeben sind. Die Bedingungen sind
Not, Elend, Unterernährung, katastrophale hygienische
Zustände sowie Wasser, Wasser, Wasser und Hitze.
Von daher sehe ich es so wie Lotte Leicht: Die Zeit
läuft ab. Aber wir haben noch ein ganz kleines Zeitfenster. Weil wir seit Ruanda nicht mehr wegschauen, sind
wir sensibilisiert. Es kommt jetzt darauf an, dass wir in
einer konzertierten Aktion durchgreifend handeln - Personal, Geld und Hilfsgüter müssen zur Verfügung gestellt werden -, dass wir wirklich alles tun.
Ich möchte mich den Kollegen anschließen, die sagen: Das richtet sich auch an unsere eigene Adresse. Ich wiederhole: Ich bedanke mich bei unserer Regierung, die auch in Europa wirklich mit vorn ist. Ich
möchte aber auch an die Arabische Liga appellieren. Ich
habe gerade festgestellt, dass viele Kollegen immer noch
meinen, das sei ein inszenierter Konflikt entlang der Religionszugehörigkeiten wie im Süden, wo arabischstämmige
Muslime gegen christliche oder animistische Schwarzafrikaner kämpfen. Tatsächlich sind es alles Muslime.
Das ist noch einmal eine Steigerung der Hassspirale zwischen Menschen. Ich finde, dass wir hier alle entschlossen vorgehen müssen.
Ich fordere auch die Arabische Liga, die Organisation
Islamischer Staaten, die Afrikanische Union auf, alles,
aber auch alles zu tun, wenn sie sich in einer Situation,
Herr Kollege Büttner, in der der Sudan am Scheideweg
steht, nicht einer neuen Spirale des Hasses schuldig machen wollen. Die Friedensverhandlungen in Naivasha
sind weit vorangeschritten. Seit Dezember erwarten wir
jeden Tag die Unterschrift. Die wird es aber nicht geben,
wenn die Darfuris Angst haben müssen, dass die Truppen der nordsudanesischen Armee, die im Süden abgezogen werden, in Darfur eingesetzt werden, um dort das
Abschlachten weiter voranzubringen. Darum muss ein
Waffenstillstand her. Afrikanische Friedenskräfte müssen hinein. Ein internationales Monitoring muss stattfinden. Für Hilfe muss sofort jeder Zugang ermöglicht werden.
Ich bitte auch Sie alle hier: Die nächsten zwei Wochen dürfen wir nicht nur die Zeitung lesen; wir müssen
alles politische Geschick und auch alle Kontakte, die wir
haben, einsetzen, um diese Zeit wirklich sinnvoll zu nutzen, um nicht nur zu appellieren, zu analysieren, zu verurteilen oder zu beurteilen, sondern wirklich das
Schlimmste zu verhindern.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Christian Ruck von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle,
glaube ich, haben in den letzten Tagen und Wochen mit
dem Sudan ein trauriges Wechselbad der Gefühle erlebt.
Zuerst hat man sich darüber freuen können, dass der
über 20-jährige Konflikt zwischen Nord und Süd, der
den Sudan gespalten hat, durch die Vermittlung der
Amerikaner und Kenias dem Ende entgegengehen
könnte. Es konnten wichtige Streitpunkte geklärt werden, über die man sich 20 Jahre lang nicht hat einig werden können. Das hat uns alle mit Hoffnung erfüllt. Nun
ist die Freude über das mögliche Zustandekommen eines
Friedens purem Entsetzen gewichen. Ich glaube, dass
wir alle ziemlich entsetzt vor dem Trümmerhaufen dieser Hoffnungen stehen.
Es ist nicht die erste Katastrophe, sondern es ist eine
weitere Katastrophe in einer Kette von afrikanischen
Katastrophen: von Ruanda über Liberia, Sierra Leone,
Somalia, Kongo, Simbabwe bis hin zum Sudan jetzt. Natürlich unterstützen wir mit Nachdruck alle Maßnahmen
und Forderungen - das haben auch die Vorredner aus der
Union schon deutlich gemacht -, die geeignet sind, den
bedrängten Menschen in Darfur schnell zu Hilfe zu kommen. Wir unterstützen alles, was den bedrohten Menschen schnelle humanitäre Hilfe bringt. Wir unterstützen
auch nachdrücklich alle Forderungen nach internationalem Druck auf das Regime bis hin zu UN-Sanktionen.
Ich muss sagen, dass ich die Rede von Herrn Büttner
mit Unverständnis und Empörung aufgenommen habe.
Ich glaube, wir sollten wirklich vermeiden, Verständnis
für ein Regime zu zeigen, das uns in dieser Frage mit
größtem Zynismus an der Nase herumführt. Dafür dürfen wir kein Verständnis haben.
({0})
Wir sind, wie gesagt, auch bereit, ganz konkrete
Schritte mitzutragen. Darüber, Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul, herrscht in diesem Hause Einvernehmen. Wir müssen aber schon fragen, ob wirklich alle
konkreten Schritte in der Vergangenheit effizient waren
und welche Lehren wir aus unseren Erfahrungen mit
Tragödien wie der in Ruanda bzw. aus der Operation
Artemis, die einerseits ein Erfolg, aber andererseits auch
nicht so perfekt war, dass es darüber keinen Diskussionsbedarf gäbe, gerade auch in Bezug auf den Sudan ziehen
können. Ich war 1993 kurz vor dem Genozid in Ruanda
und kam zusammen mit Werner Schuster zurück. Ich
weiß noch ganz genau, wer wie diskutiert hat und was
der damalige UN-Generalsekretär gesagt hat.
({1})
Da hat sich eine Tragödie ereignet, weil auch wir in weiten Teilen nicht bereit waren, den Kopf für entsprechende Maßnahmen hinzuhalten.
Ich glaube, dass wir inzwischen international weitergekommen sind, aber ich habe es trotzdem für einen
Fehler gehalten, dass man an den Spitzen des BMZ und
des AA zu einem Zeitpunkt über einen Einsatz im Sudan
spekuliert, an dem wir in letzter Konsequenz genau wie
bei Artemis nicht in der Lage sind, konkret zu helfen,
weil wir nach wie vor keine effizienten europäischen
Krisenreaktionsstreitkräfte mit deutscher Beteiligung haben, die so etwas machen könnten. Das ist der erste
Punkt.
Zweitens sollten wir uns gut überlegen, ob sich die
Bundeswehr noch einmal an einer Alibiaktion wie Artemis beteiligen sollte. Oder war nur an eine Trockenübung in einem Stab in Brüssel gedacht? Ich glaube, hier
müssen wir konsequent sein: Wir müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen haben, bevor wir
danach rufen.
({2})
Das gilt insbesondere - das sage ich mit aller Vorsicht für einen Einsatz in einem Land wie dem Sudan.
Es gibt, wie ich glaube, kaum ein so wichtiges und
auch für unsere Sicherheit so bedeutendes afrikanisches
Land, von dem wir in Wirklichkeit so wenig wissen.
Deswegen halte ich es - das sage ich ganz ehrlich - für
einen Fehler, dass die Präsenz unserer NachrichtenDr. Christian Ruck
dienste in Afrika so zusammengeschrumpft wurde, dass
sie für Afrika vollständig von den Erkenntnissen anderer
Nachrichtendienste abhängig sind. Ich halte es auch für
einen Fehler, dass wir aus vielen unserer Botschaften in
Afrika die Militärattachés abgezogen haben. Ich halte es
auch für einen Fehler, dass wir das Goethe-Institut in
Khartoum geschlossen haben und seine Bücher öffentlich verscherbelt wurden. Ich halte es im Übrigen auch
für traurig, dass die einst so berühmte Afrikakompetenz
der Berliner Hochschulen langsam zurückgefahren
wurde.
Herr Kollege Ruck, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ströbele?
Bitte.
Herr Ströbele, bitte schön.
Herr Kollege, wie kommen Sie zu der Behauptung,
dass die Nachrichtendienste der Bundesrepublik
Deutschland für Berichte aus Afrika auf Informationen
anderer Dienste angewiesen seien?
Ich komme zu der Behauptung, Herr Kollege
Ströbele, weil sie sich auf Aussagen unserer Nachrichtendienste selbst stützt. Ich darf Sie einfach dazu auffordern, die Nachrichtendienste, mit denen wir reden - die
werden ja auch wohl mit Ihnen reden -,
({0})
dasselbe zu fragen. Ich bin sicher, dass Sie - zumindest
unter vier Augen - dieselbe Antwort erhalten werden.
({1})
Bitte schön.
Herr Kollege Ruck, ich habe gerade an der Reise einer Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in die Demokratische
Republik Kongo teilgenommen. Dort war ich auf einem
Empfang, den die deutsche Botschaft ausgerichtet hat.
Bei diesem Empfang habe ich originäre Vertreter und Informanten des Bundesnachrichtendienstes getroffen.
Ich habe mit Ihrer Aussage zu meiner Aussage keine
Probleme. Ich habe auch nicht behauptet, dass es in
Afrika überhaupt keinen 007 mehr gibt.
({0})
Ich habe nur bezweifelt - Sie können jederzeit nachfragen; ich war ja nicht der Einzige bei diesen Gesprächen
über den Kongo -, dass wir noch eigene Aufklärungskapazitäten in Afrika haben. Ich bitte Sie, diese Frage
einmal unter vier oder wie vielen Augen auch immer zu
stellen, und bin gespannt, ob Sie dann eine andere Antwort bekommen als ich; das glaube ich aber nicht.
Ich möchte, weil ich das für sehr wichtig halte, etwas
aufgreifen, was Sie, Frau Ministerin, neulich gegenüber
einer Zeitung gesagt haben: dass Sie möchten, dass die
Afrikapolitik als Thema nie wieder hinten herunterfällt.
Wenn Sie das nicht wollen, darf sich allerdings nicht
wiederholen, was letztens geschehen ist, als die Entwicklungspolitiker aller Seiten - auch der Bundeskanzler hat sich dafür ausgesprochen - versucht haben, eine
große und grundsätzliche Afrikadebatte - nicht veranlasst durch eine bestimmte Katastrophe - aufzuziehen.
Wir haben angeboten, eine solche Diskussion bei Zeitmangel auch zu verschieben. Heraus kam eine dreiviertelstündige Debatte am Donnerstagabend. Damit wird
man diesem Thema nicht gerecht; das liegt weder im Interesse Afrikas noch in unserem eigenen Interesse.
Deswegen fordere ich uns dringend auf, eine solche
grundsätzliche Debatte bei nächster Gelegenheit nachzuholen, und zwar zu einer Zeit, zu der es sich wirklich
rentiert.
({1})
- Ja, Frau Kortmann; es ist aber ein Unterschied, ob wir
von Katastrophe zu Katastrophe in Afrika diskutieren
oder ob wir uns vor den Augen der Öffentlichkeit Zeit
für eine grundsätzliche Diskussion über die richtige
Afrikapolitik und die Chancen, die dieser Kontinent hat,
nehmen. Wir sollten eine solche Debatte wirklich noch
einmal ins Auge fassen.
({2})
Wir haben schon öfter zum Ausdruck gebracht, dass
die rot-grüne Afrikapolitik aus unserer Sicht mit gefährlichen Widersprüchen verbunden ist, Stichwort: Ruanda.
Selbst die Grünen haben in ihrem Länderratspapier vor
zwei Wochen festgestellt, dass es keine Afrikapolitik
gibt.
({3})
Aber ich möchte noch etwas anderes ansprechen, was
ich für wichtig halte; es wurde heute schon erwähnt. Wir
fordern unter dem Stichwort NEPAD völlig zu Recht
eine Verpflichtung der afrikanischen Staaten, sich eigenverantwortlich um Frieden, die Achtung der Menschenrechte und die Entwicklung ihres eigenen Kontinents zu
bemühen. Wenn ich sehe, dass die Arabische Liga bei
ihrem Treffen vor wenigen Tagen in Tunis den Sudan
wegen seiner brutalen Menschenrechtsverletzungen mit
keinem Wort kritisiert hat, bin ich tief enttäuscht; so geht
es vermutlich auch anderen. Dasselbe gilt für die Afrikanische Union: Was hat sie denn bisher in politischer
Hinsicht unternommen - verbal oder sogar konkret -,
um im Sudan etwas Positives auf die Reihe zu bekommen?
({4})
Ich bin der Meinung, dass wir dies den afrikanischen
Politikern ebenso wenig durchgehen lassen dürfen wie
das Ignorieren des skandalösen Handelns in Simbabwe.
Wir müssen unseren afrikanischen Partnern sagen, dass
wir von ihnen, wenn sie von uns Hilfe erwarten, eigene
politische Anstrengungen einfordern.
Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Antrag noch
eine Bemerkung machen. Was fehlt und woran wir denken müssen, ist der transatlantische Dialog. Die Amerikaner spielen im Sudan eine ganz entscheidende Rolle,
und zwar mehr, als allgemein bekannt ist.
({5})
Deshalb sollten alle, die in diesem Antrag genannt sind,
versuchen, mit den Amerikanern eine gemeinsame Linie
zu finden; denn sonst wird sich nichts bewegen. Das
kann man bedauern oder auch nicht. Aber es ist ein Faktum.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl.
Wir stimmen dem Antrag zur Hilfe im Sudan, um
eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, mit Überzeugung zu. Die Menschen im Sudan brauchen Frieden.
Vor allem diejenigen, die dafür sorgen können, dass es
Frieden gibt, brauchen ein unmissverständliches Signal.
Dieses Signal sollte der Deutsche Bundestag geschlossen geben.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rudolf Bindig von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diejenigen, die vor mir gesprochen haben, haben bereits
die Zahlen, Daten und Fakten zur Beschreibung der Notlage in Darfur genannt. Sie haben die Menschenrechtsverletzungen beschrieben und über die humanitäre Katastrophe für die Flüchtlinge berichtet. Ich möchte einige
Punkte herausarbeiten, von denen ich meine, dass sie für
diesen Konflikt, aber auch darüber hinaus von Bedeutung sein können.
Der erste Punkt betrifft die Wahrnehmung eines solchen Konfliktes. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit hat viele Jahre, wie ich finde, die Konfliktherde
in der Region, also im Sudan und in den angrenzenden
Staaten, nicht hinreichend wahrgenommen. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich zunächst auf Afghanistan und sie richtet sich jetzt intensiv auf die Ereignisse
im Irak. Aber die großen Probleme, die es im Südsudan
sowie in West-, Süd-, aber auch Norddarfur gibt, werden
noch nicht hinreichend wahrgenommen.
Die angrenzenden Staaten, nämlich der Tschad, die
Zentralafrikanische Republik, der Kongo, Norduganda
- dort gibt es eine große Zahl von Flüchtlingen -,
Kenia - dort ist die Lage etwas stabiler - sowie im Osten
Äthiopien gehören zu den zentralen Krisenherden auf
der Welt. In all diesen Ländern gibt es Flüchtlinge und
Menschenrechtsverletzungen. Überall dort sind Milizen
tätig. Teils schüren die betreffenden Regierungen die
Konflikte oder können nicht die Kraft aufbringen, sie zu
beenden; teils nehmen sie hin, dass dort bestimmte
Stämme die Opfer dieser Konflikte sind.
Ich habe in der Region neulich folgende bittere Aussage gehört: Wenn ein Europäer Opfer wird, dann gibt es
eine Meldung. Erst 100 palästinensische Opfer sind eine
Meldung wert. Aber es muss schon 1 000 schwarze
Opfer geben, damit es zu einer Meldung reicht. - Diese
bittere Aussage zeigt, dass wir sensibler werden müssen,
wenn wir solche Konflikte betrachten.
({0})
Einige haben hier völlig zu Recht gesagt, dass die
Aufmerksamkeit in den Medien in den letzten vier bis
sechs Wochen gestiegen ist. Ich sage, Gott sei Dank,
dass es diese Aufmerksamkeit jetzt gibt, zwar sehr spät,
aber hoffentlich noch nicht zu spät.
Der zweite Punkt. Wie perzipieren eigentlich Gremien der UN, die für die Verhinderung von Katastrophen
zuständig sind, solche Katastrophen? Ich nenne insbesondere die UN-Menschenrechtskommission.
({1})
In der UN-Menschenrechtskommission wurde neulich
auch über die Situation im Sudan beraten. Es lag der
Bericht des amtierenden UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Bertrand Ramcharan, vor, in dem dokumentiert wird, wie die Lage wirklich ist. Er hat in seinem
Bericht die Vertreibungen und die Völkermord ähnlichen
Entwicklungen, die sich abzeichneten, realistisch beschrieben. Doch was macht die UN-Menschenrechtskommission? Sie bringt leider nicht mehr die Kraft auf,
eine entsprechende Entschließung auf den Weg zu bringen.
Die westliche Gruppe, die Europäer zusammen mit
einigen anderen Ländern, haben eine Entschließung eingebracht. Aber dann schafft man es nicht, zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen, sondern allenfalls zu einem Chairman Statement, weil die Regierung
im Sudan gesagt hat: Wir sind bereit, Beobachter in unser Land zu lassen. - Ich sehe sehr wohl, dass der Sinn
der Arbeit in solchen Kommissionen nicht nur die Anklage sein kann. Aber es muss doch wohl möglich sein,
die reale Lage zu beschreiben, um darauf aufbauend
handeln zu können.
({2})
Der dritte Punkt betrifft die Frage, wie eigentlich die
Regierung dieses Landes mit diesen Konflikten und
Problemen umgeht. Ist es denn nicht vorderste und erste
Aufgabe der Regierung eines Staates, die eigene Bevölkerung von Angst und Not zu befreien, sie zu schützen?
({3})
Was erlebt man? Eine Regierung will teils mit der eigenen Armee, teils mit bewaffneten Milizen ihren Einfluss
in einer Region stärken und lässt zu, dass die eigene Bevölkerung bombardiert und außer Landes getrieben
wird. Ich bin nicht bereit, dafür erklärende und entschuldigende Worte zu suchen.
({4})
Das möchte ich für die SPD-Fraktion klarstellen.
Wie die Regierung des Sudan teilweise mit den Menschen umgeht, konnten wir in einem der Flüchtlingslager sehen: Im Camp für interne Vertriebene in Shekan,
ganz in der Nähe von Khartoum, leben über 20 000 Menschen ohne ausreichende Wasserversorgung
({5})
- ja, dorthin fahren nur Wagen mit Wasser -, ohne Elektrizität und ohne medizinische Versorgung. Das gehört
doch zu den elementarsten Grundbedürfnissen eines
Menschen.
Hier ist die Regierung in die Pflicht zu nehmen, internationale Hilfe zu akzeptieren. Ich verweise auf die
ganze Bürokratie und die vielen Hindernisse. Da will die
internationale Gemeinschaft Hilfsgüter in diese Region
liefern und die Regierung dort sagt: Ihr bekommt keine
Einreisegenehmigung. Ihr dürft das nicht verteilen. Da
ist noch dieses bürokratische Problem zu lösen und jene
Abgabe zu machen. - Manchmal hat man das Gefühl,
dass die Werte, die in der Menschenrechtserklärung niedergelegt worden sind und die uns umtreiben, dort übersehen, überhaupt nicht so empfunden oder aber von dieser Regierung zynisch mit Füßen getreten werden.
Der nächste Punkt betrifft die Frage, was wir daraus
politisch lernen können und welche Anstrengungen und
Bemühungen wir unternehmen können. Ich kann sagen:
Wir haben uns bemüht. Das gilt ausdrücklich für unsere
Regierung, für die Entwicklungsministerin, für die
Staatsministerin im Auswärtigen Amt und für den Außenminister. Es ist im Wesentlichen Deutschland gewesen, das diese Problematik in den UN-Gremien zur Sprache gebracht hat. Unter der deutschen Präsidentschaft im
Weltsicherheitsrat ist dieses Thema auf die Tagesordnung gekommen. Die ersten Anträge sind von Deutschland gestellt worden. Einige mussten die Initiative
ergreifen, um die anderen mitzuziehen, damit eine entsprechende Reaktion erfolgt.
Wir hoffen, dass dies gelingt. Diese Debatte soll einen
Beitrag dazu leisten, aufzurütteln, damit die Regierung
des Sudan tätig wird. Hoffentlich hört der Botschafter
dieses Landes zu; hoffentlich hören andere zu. Wir hier in
Deutschland - das muss das Signal dieser Debatte sein finden die Lage im Sudan unerträglich. Wir erwarten,
dass schnell etwas geschieht und eine noch größere Katastrophe vermieden wird. Das soll unsere Botschaft sein,
die wir von diesem Hause aus nach außen schicken.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Schockenhoff
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich Ihrer Aufforderung, Herr Kollege Bindig,
ausdrücklich anschließen. Wir alle teilen die Bestürzung
über die ethnischen Vertreibungen und den Genozid afrikanischer Stämme durch arabische Milizen.
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben den UNKoordinator für humanitäre Hilfe im Sudan zitiert, der
von dem organisierten Versuch, eine Volksgruppe auszulöschen, gesprochen hat. Gerade weil das so ist, reicht es
nicht aus, auf den Sudan Druck auszuüben. Wir müssen
vielmehr die afrikanischen Staaten insgesamt stärker in
die Pflicht nehmen. Die Afrikanische Union wird ihrer
Verantwortung in der Union nicht gerecht. Wir müssen
den 53 afrikanischen Staaten deutlich machen, dass sie
mit ihrer Haltung im Sudankonflikt ihren Ansprüchen,
unter anderem aus NEPAD, nicht gerecht werden.
Die Afrikanische Union ist erst zwei Jahre alt. Sie
hat sich bei ihrer Gründung vorgenommen, eben nicht
wegzusehen, sondern auch bei inneren Konflikten und
Völkermord einzugreifen. Sie ist als Gegenmodell zur
Organisation für Afrikanische Einheit gegründet worden.
Ich glaube, der Kollege Büttner hat als Einziger in
seiner Analyse gesagt, in Ruanda hätten die OAE-Truppen bereitgestanden, den Genozid zu verhindern, sie hätten nur auf die Erlaubnis der Vereinten Nationen gewartet. Das ist abenteuerlich. Die OAE hat versagt und als
Gegenmodell hat sich die Afrikanische Union gegründet. Deswegen müssen wir sie jetzt in die Pflicht nehmen. Sie darf nicht tatenlos zusehen - das ist zu Recht
gesagt worden -, wie sie es bisher bei den Konflikten in
Westafrika, in Liberia, in Sierra Leone, bei der Staatskrise in der Elfenbeinküste und im Kongo getan hat. Die
Afrikanische Union war nicht in der Lage, Frieden zu
bringen, geschweige denn die Friedensbemühungen zu
überwachen. Wir haben sie so lange in dieser Unfähigkeit
belassen, bis wir von Europa aus unterstützend eingreifen oder militärisch tätig werden mussten. Wir müssen
die Afrikanische Union auch beim Aufbau einer handlungsfähigen militärischen Eingreiftruppe unterstützen,
die humanitäre Interventionen robust durchsetzen kann.
Frau Wieczorek-Zeul, Ihre Ansicht hat sich ein wenig
gewandelt. Anfang des Monats haben Sie gesagt, man
müsse Druck auf die sudanesische Regierung ausüben
und Friedenstruppen ins Land schicken. Am 5. Mai haben Sie in der „FAZ“ gesagt, auch deutsche Soldaten
könnten an friedensbringenden Maßnahmen beteiligt
sein, wir dürften nicht zusehen. Das haben Sie im „Morgenmagazin“ wiederholt. Nachdem das Thema im Bundeskabinett behandelt wurde, haben Sie sich nur noch
für afrikanische Friedenstruppen ausgesprochen. Ich will
Ihr Verhalten nicht kritisieren, ich weiß, wie schwierig
die Situation ist. Übrigens ist die Situation für uns als
Opposition genauso schwierig wie für die Regierung.
Man kann nicht immer gleich den Einsatz der Bundeswehr fordern; das ist für uns alle sehr schwierig.
Frau Staatsministerin Müller, es reicht aber nicht aus,
wenn Sie heute sagen, der Konflikt müsse nicht militärisch gelöst werden, wir bräuchten eine Friedensmission
der Afrikanischen Union für die Überwachung des Friedens, wenn der Frieden erreicht worden ist.
Ich bin froh, dass die Kollegin Nickels auf das Zeitfenster hingewiesen hat. Seit Anfang Mai sind drei Wochen vergangen und dennoch befindet sich der Sudan in
der gleichen Situation. Wenn wir - mit „wir“ meine ich
ganz abstrakt die internationale Staatengemeinschaft - in
einer solchen Situation nicht in der Lage sind, die unabdingbare humanitäre Erstversorgung zu gewährleisten,
zum Beispiel weil sich ein Staat weigert, sie zuzulassen,
machen wir uns mitschuldig. Wir müssen in einem solchen Fall eine Erstversorgung auch robust, das heißt: mit
militärischen Mitteln, durchsetzen können. Deswegen
brauchen wir in der Region Handlungsspielraum; wir
können für uns nicht völlig ausschließen, dass ein militärischer Einsatz infrage kommt.
Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt, das öffentliche Aufbegehren fände erst statt, wenn Bilder zu sehen
seien. Morgen verlängern wir das Kosovomandat. Ich
habe mich daran erinnert, wie es war, als wir 1999 zum
ersten Mal über das Kosovomandat abgestimmt haben.
Damals hat Verteidigungsminister Scharping die Bilder
am Rednerpult des Plenarsaals des Deutschen Bundestags in die Kameras gehalten. Sie selbst haben das öffentliche Entsetzen organisiert. Ich habe dafür Verständnis, weil die Koalition das öffentliche Entsetzen
vielleicht brauchte, um die Akzeptanz für diese Entscheidung in den eigenen Reihen und in der Bevölkerung zu schaffen.
Außenminister Fischer hat den Kosovo mit Auschwitz verglichen. Ich habe ihn bei anderer Gelegenheit
dafür kritisiert. Ich glaube, er würde das heute nicht
mehr tun. Aber angesichts der Dramatik, mit der die
Bundesregierung das öffentliche Aufbegehren organisiert hat, kommt es mir ein wenig so vor, als ob wir über
die Konflikte in Afrika - leider ist einer heute unser
Thema - im Allgemeinen mit analytischer Distanz sprechen. Deswegen bin ich froh, dass einige Kollegen, zuletzt der Kollege Bindig und die Kollegin Nickels, ein
wenig Emotionalität in die Debatte gebracht haben. Wir
können nicht die humanitären Katastrophen, die unsere
Interessen vielleicht noch in anderer Weise berühren,
etwa weil dadurch Flüchtlingsströme zu uns ausgelöst
werden, mit großer öffentlicher Entrüstung kommentieren, aber, nur weil die Katastrophe woanders stattfindet,
beispielsweise tausend schwarzafrikanische Opfer mit
hundert palästinensischen Opfern oder auch nur einem
einzigen deutschen Soldaten, der ums Leben gekommen
ist, gleichsetzen.
Wenn die sudanesische Regierung, wie Sie sagen,
Frau Wieczorek-Zeul, Meisterin der unerfüllten Ankündigungen bleibt, muss das Druckausüben über das Verbale hinausgehen. Wir müssen die Afrikanische Union
zukünftig in vergleichbaren Situationen in die Lage versetzen, durch eine Frieden erzwingende Fähigkeit Genozid zu verhindern und humanitäre Maßnahmen zu ermöglichen.
Wir können unsere Beteiligung an solchen Maßnahmen nicht von vornherein ausschließen. Deswegen will
ich an den letzten Punkt unseres Antrags, den wir heute
gemeinsam stellen, erinnern. Darin fordern alle Fraktionen die Bundesregierung auf, „sich für eine Überwachung der Einhaltung des Friedensprozesses im Südsudan durch die Vereinten Nationen einzusetzen sowie
einen möglichen deutschen Beitrag zu prüfen“. Es ist für
uns alle schwer, das in der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Wir dürfen aber auch nicht sagen, dass es für uns nicht
infrage kommt. Es geht dabei nicht nur um die Friedensüberwachung. Wenn es ein Zeitfenster für das Verhindern eines massenhaften Genozids gibt und wir nicht bereit sind, dieses Zeitfenster für mehr als diplomatischen
Druck zu nutzen, machen wir uns mitschuldig.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP mit dem Titel „Im Westsudan
({0}) eine humanitäre Katastrophe verhindern“. Wer
stimmt für den Antrag auf Drucksache 15/3197? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Mai 2004,
9.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.