Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/26/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte zur humanitären und menschenrechtlichen Situation und internationalen Verantwortung im westlichen Sudan sowie um den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 15/3197 zu erweitern. Für die Beratung sind 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz ({1}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 - Drucksache 15/3175 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Interfraktionell ist vereinbart, dass an dieser Stelle keine Aussprache hierzu erfolgen soll. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags auf Drucksache 15/3175 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelanger Diskussion über eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationsmodelle und mehreren vergeblichen Anläufen legen wir mit dem Gesetzentwurf zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Reformpaket vor, das gute Aussichten hat, das parlamentarische Verfahren erfolgreich zu durchlaufen. Die Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfes bildet das gemeinsame Konzept, das der Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder vor einem Jahr verabschiedet haben und das den Durchbruch bei der bis dahin vergeblichen Suche nach einer gemeinsamen, konsensfähigen Lösung darstellte. Auch die Selbstverwaltung der Rentenversicherung war von Anfang an in die Verhandlungen einbezogen. Das Ziel der Reform ist es, Wirtschaftlichkeit, Effektivität und Bürgernähe der Rentenversicherung zu verbessern und für alle Rentenversicherungsträger dauerhaft stabile Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie wissen, dass die historisch bedingte und gewachsene Trennung von Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung nicht mehr zeitgemäß ist. Dies wurde bereits durch die Vereinheitlichung der Leistungen deutlich. Jetzt ist es höchste Zeit, dass diese Trennung auch organisatorisch überwunden wird. Die überholte Organisation der Rentenversicherung wird an die Erfordernisse Redetext einer modernen und effizienten Verwaltung und an die veränderte Versichertenstruktur angepasst. Damit leistet die Organisationsreform auch einen Beitrag zum Bürokratieabbau, einem wesentlichen Ziel der Agenda 2010 des Bundeskanzlers. Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung werden zur „Deutschen Rentenversicherung“ zusammengeführt. Die Namen der Rentenversicherungsträger setzen sich künftig aus der Bezeichnung „Deutsche Rentenversicherung“ sowie einer angefügten Regionalbezeichnung für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich zusammen: zum Beispiel „Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg“ oder „Deutsche Rentenversicherung Westfalen“ für die Regionalträger sowie „Deutsche Rentenversicherung Bund“ für den Zusammenschluss der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit der VDR. Mit der Namensgebung wird das erforderliche Signal gegeben, dass mit der organisatorischen Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt auch ein Neubeginn der gesamten Rentenverwaltung verbunden ist. Um dauerhaft stabile Rahmenbedingungen für die Träger zu schaffen, wurde mit der Versicherungsnummer ein mathematisches Zuordnungskriterium für die Zuordnung der Versicherten zu den einzelnen Trägern gewählt. Zusätzlich wurde für die Bundesträger ein Versichertenanteil von 45 Prozent und für die Regionalträger eine Quote von 55 Prozent festgelegt. Innerhalb der ersten fünf Jahre soll der Anteil der Verwaltungsausgaben und Verfahrenskosten in der Rentenversicherung um 10 Prozent gesenkt werden; das bedeutet, auf alle Träger gerechnet, circa 350 Millionen Euro. Besondere Bedeutung kommt mit der Organisationsreform auch dem Wettbewerb der Träger um die beste Aufgabenerfüllung zu. Mehr Wirtschaftlichkeit und Effektivität sollen vor allem durch folgende Maßnahmen erreicht werden: Erstens. Die Zahl der Bundesträger wird von vier auf zwei halbiert. Neben der Vereinigung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zur „Deutschen Rentenversicherung Bund“ fusionieren Bundesknappschaft, Bahnversicherungsanstalt und Seekasse zur „Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See“. Darüber hinaus sind Zusammenschlüsse zwischen den derzeit noch 22 Landesversicherungsanstalten geplant. Zweitens. Die Steuerung und Koordinierung der Rentenversicherungsträger wird verbessert. Bei der „Deutschen Rentenversicherung Bund“ werden die wichtigen Grundsatz- und Querschnittsaufgaben gebündelt; ihre Vorgaben sind für alle anderen Träger verbindlich. Drittens. Durch die Einführung eines zielgerichteten Benchmarkings der Leistungs- und Qualitätsdaten werden die vorhandenen Einsparpotenziale bei den Trägern transparent und können ausgeschöpft werden. Viertens. Durch eine Neuordnung der Finanzverfassung werden die Finanzbeziehungen zwischen den Arbeitgebern und den Einzugsstellen sowie den Trägern untereinander optimiert. Resümee: Ich freue mich, dass es gelungen ist, mit Bund und Ländern nach wirklich jahrelangen Diskussionen, die teilweise bis in die 80er-Jahre zurückverfolgt werden können, eine Reform auf den Weg zu bringen, die die Rentenversicherung insgesamt nach vorne bringt und insbesondere zu effektiveren Strukturen führt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön, Frau Ministerin. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, was die Ziele anbelangt, die Sie eben für diese Reform in Anspruch genommen haben - mehr Wirtschaftlichkeit zu erreichen, mehr Effektivität in der Organisation und Verwaltung der Rentenversicherung, mehr Bürgernähe, stabile Administrationsstrukturen; so habe ich das verstanden -, kann man sicherlich d’accord sagen; das sind, glaube ich, unterstützenswerte Zielsetzungen. Was die Teilaspekte der Umsetzung, der Methodik - des Wie-man-diese-Ziele-zu-erreichen-sucht - angeht, darf man vielleicht doch noch das eine oder andere kritisch nachfragen. Sie haben erwähnt, dass die Zuordnung der Versicherten zu ihrer Rentenadministration, zu ihrem Rentenverwaltungsträger per Versicherungsnummer geschehen soll, so gesteuert, dass die einzelnen Versicherungsträger stabile Marktanteile haben werden. Das ist ja nun mehr oder weniger ein Losverfahren, ein Lotteriespiel, das beispielsweise so ausgehen kann, dass in ein und derselben Familie die Frau bei der Deutschen Rentenversicherung Mecklenburg-Vorpommern landet, obwohl sie im Rheinland arbeitet, und ihr Ehemann vielleicht bei der Bundesknappschaft. ({0}) Ist das Verfahren, die Zugehörigkeit zum Rentenversicherungsträger ganz von der Branche und der Region loszulösen, wirklich sinnvoll? Sind Ihrerseits andere Zuordnungssysteme geprüft worden, beispielsweise eine Aufteilung nach Branchen, nach Regionen oder meinethalben auch nach Betriebsgrößen? Warum hat man sich für diese Methode entschieden und nicht für eine der Alternativen, die auch denkbar sind? Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Der VDR, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, soll mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte verschmolzen werden. Durch die bisherige Struktur war sichergestellt, dass es zwei kompetente Stellen im Rentenversicherungssystem gibt, die auch eine gute fachliche Politikberatung durchführen. Wer vorsieht, diese beiden Stellen sozusagen zu einem monolithischen Block zu verschmelzen, dem müsste doch daran gelegen sein, für die Zukunft eine zweite unabhängige und kompetente Stimme zu gewinnen. Ich nenne als Stichwort nur die Sicherung der Qualität der Politikberatung. Daraus leitet sich meine Frage ab: Wäre es nicht sinnvoll, darüber Gerald Weiß ({1}) nachzudenken, den Alterssicherungsrat, den die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ vorgeschlagen hat, als eine solche zweite unabhängige Stimme zur Sicherung der Qualität der Politikberatung zu etablieren?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Weiß, wir haben über viele Zuordnungskriterien beraten. Jedes Zuordnungskriterium ist immer auch ein Zufallskriterium. Sie haben gerade geschildert, dass das neue Verfahren, nach dem zu einem Regionalträger oder Bundesträger zugeordnet wird, dazu führen kann, dass es innerhalb einer Familie verschiedene Zuordnungen gibt. Ein solches Problem wäre bei einer branchenspezifischen Zuordnung aber genauso gegeben, weil Ehepartner bzw. Eltern und ihre Kinder in Deutschland in der Regel nicht in der gleichen Branche tätig sind. Wir haben alle Verfahren durchgespielt. Das war ein sehr langer Prozess, auch nach der Einigung vor einem Jahr. Dabei gab es eine enge Abstimmung mit den Betroffenen in den Landesversicherungsanstalten, aber auch auf Bundesebene und mit den Ländern. Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass die Zuordnung nach einer Versicherungsnummer das einfachste Kriterium ist, weil sie im Laufe des Berufslebens und auch während des Leistungsbezuges keinem Wechsel unterliegt. Für diejenigen, die heute Leistungen beziehen, ändert sich nichts. Das gilt auch für diejenigen, die über 60 Jahre alt sind. Aber auch für die heutigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wird sich wenig ändern. Durch die Neuregelung wird es aber vor allen Dingen für die Neuzugänge Vereinfachungen geben, weil die Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten - auch ein Zufallskriterium, das sich im Laufe des Lebens ändern kann, womit eine Änderung der Zuordnung zum Rentenversicherungsträger verbunden ist - wegfällt. Man wird zukünftig zum Beispiel der Deutschen Rentenversicherung Nord - wir gehen ja davon aus, dass MecklenburgVorpommern zukünftig dazu gehören wird - oder eben der Bundesebene zugeordnet. Es gibt kein Verfahren, das nicht dem Zufall unterliegt. Wir sind der Meinung, dass der bürokratische Aufwand beim Verfahren der Zuordnung nach einer Versicherungsnummer am geringsten ist, weil sich diese im Laufe des Erwerbslebens bzw. während des Leistungsbezugs nicht mehr ändert. Branchenspezifische Kriterien, regionale Kriterien oder andere Kriterien dagegen können sich ändern und müssten immer wieder angepasst werden. Zu Ihrer zweiten Frage: Im Verlauf der Diskussionen zu einer Organisationsreform wurde immer wieder gefordert, die Verwaltungsstruktur zu verschlanken. Zum anderen wurde immer wieder gesagt, dass wir, wenn alle bestehenden Strukturen aufrechterhalten bleiben und aus vier bundesweiten Trägern zwei gemacht werden - dadurch würden wir zu mehr Synergieeffekten und effektiveren Strukturen kommen -, ein Kontrollgremium bräuchten. Ich weiß auch, dass ein Alterssicherungrat gefordert wird. Wir haben im Deutschen Bundestag eine ganze Menge zusätzlicher Instrumente beschlossen - manche im Übrigen mit den Stimmen von Opposition und Regierung, also mit dem ganzen Haus -, damit das Parlament die Arbeit der Rentenversicherungsträger begleiten kann. Ich nenne Ihnen nur den Rentenversicherungsbericht, der in einer 15-jährigen Vorausschau über Entwicklungen und Prognosen berichtet, und die Arbeit des Sozialbeirates und vieler anderer unserer Gremien. Wir haben jetzt im Nachhaltigkeitsgesetz beschlossen, dass dem Deutschen Bundestag zukünftig berichtet wird, wie sich die Erwerbsbeteiligung der älteren Generation verändert und wie wir hier zu einem Ausgleich kommen, um eventuell über die Altersgrenzen entscheiden zu können. Ich glaube, dass es nicht gut wäre, die Einsetzung eines Alterssicherungsrates damit zu verbinden, dass wir aus zwei Bundesträgern einen machen. Wir gehen davon aus, dass die Zusammenführung des VDR mit der BfA zur Deutschen Rentenversicherung Bund dazu führen wird, dass die Arbeit effizienter wird. Der VDR, der bisher insbesondere für allgemeine und organisatorische Fragen, aber auch für Vorschläge im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Rentenversicherung zuständig war - es ist ja ein privatrechtlich organisierter Verein -, wird nämlich durch die Errichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund ganz andere Kompetenzen haben, was sich auch auf die Arbeit der Rentenversicherungsträger insgesamt auswirken wird. Insofern schlagen wir vor, dass wir mit dieser Arbeit erst einmal beginnen und die Aufgabenverteilung dabei sehr genau beachten. Wir gehen davon aus, dass es nicht notwendig ist, zusätzlich einen Alterssicherungsrat einzurichten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Weiß, es tut mir Leid, das waren ganz eindeutig zwei Fragen und auch zwei ausführliche Antworten. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht gestatten. Als Nächster hat der Kollege Peter Dreßen das Wort. Wenn wir nachher noch Zeit haben, komme ich auf Sie zurück. - Bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, handelt es sich um das Ergebnis monatelanger Verhandlungen zwischen dem Bundesrat einerseits und der Bundesregierung andererseits. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass hier noch mehr Effektivität vorhanden wäre, wenn wir das alleine machen könnten. Meine Fragen lauten: Können Sie vielleicht einmal erklären, was sich für den Versicherten durch diese Organisationsreform verändert? Hat er Vor- oder Nachteile? Was verändert sich für den Arbeitgeber? Muss er jetzt an mehrere Stellen abführen? Können Sie noch ein paar Ausführungen dazu machen und darlegen, was sich für die Versicherten einerseits und die Arbeitgeber andererseits ändert?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Dreßen, für die Versicherten bleibt in der Regel alles beim Alten, weil es für den Versicherten zunächst einmal überhaupt keine Rolle spielt, ob er Versicherter der Deutschen Rentenversicherung Bund ist und sein Versichertenkonto dort geführt wird oder ob es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern geführt wird. Für den Versicherten ändert sich aber Folgendes: Um die Finanzen der deutschen Rentenversicherung stabil zu halten, wollen wir nicht nur einen Nachhaltigkeitsfaktor einführen. Wir wollen auch darauf achten, dass das Geld, also die Beiträge der Versicherten, in den Verwaltungsstrukturen optimal eingesetzt wird und dass alle vorhandenen Effizienzreserven genutzt werden. Insofern geht es für die Versicherten dabei zunächst einmal um Beitragssatzstabilität und Beitragssatzentwicklung. Nach Auffassung von Bund und Ländern können in diesem Bereich innerhalb von fünf Jahren 350 Millionen Euro eingespart werden. Diese 350 Millionen Euro setzen sich aus Beiträgen und Steuern zusammen - ein Drittel wird ja über Steuern finanziert - und kommen der deutschen Rentenversicherung zu. Es handelt sich also immer um Steuern oder Beiträge. Für die Arbeitgeber ändert sich schon etwas, da das Verfahren für sie vereinfacht wird. Sie müssen nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheiden, sondern können die Rentenversicherungsbeiträge in cumulo überweisen. Die Verteilung auf die zuständigen Versicherungsträger findet nach einem Prinzip statt, das zwischen dem Bund und den Ländern ausgehandelt wird. Insgesamt wird es auch beim Beitragseinzugsverfahren zu einer wirklichen Vereinfachung kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Herr Kollege Kubatschka das Wort. Bitte.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, eine Frage aus einem etwas anderen Blickwinkel, und zwar dem der Beschäftigten der LVAen - bei mir in Landshut geht es um 2 000 Arbeitsplätze und damit um eine ganze Menge von Schicksalen -: Wer wird für den Zusammenschluss der LVAen zuständig sein? Wird der Zusammenschluss freiwillig erfolgen? Wird man das aushandeln können oder wird das zwangsweise geschehen? Wie wird es um die Arbeitsplätze vor Ort bestellt sein? Im Zeitalter moderner Technik müssten die Arbeitsplätze nicht verlagert werden, weil alles vernetzt werden kann. Insofern könnten die Arbeitsplätze vor Ort erhalten werden.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kubatschka, Zwang wollen wir nicht ausüben. Die Frage der Zusammenschlüsse von LVAen wird von den jeweiligen Ländern und den LVAen gemeinsam behandelt werden. Dort werden auch die Verhandlungen stattfinden. Ein Zwang zu Zusammenschlüssen ist in diesem Gesetzentwurf an keiner Stelle verankert. Wir wissen, dass es Überlegungen gibt, sich regional zusammenzuschließen, zum Beispiel in der Nordregion. Es gibt auch den Wunsch einiger Länder, die LVAen zur mitteldeutschen Region zusammenzuschließen, also Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, um so effizientere Strukturen in der Rentenversicherung aufzubauen. Deshalb wird dieser Prozess auf dieser Ebene verhandelt und auch entschieden. Der vorliegende Gesetzentwurf, dessen Zustandekommen früher daran gescheitert ist, dass es entweder einen völlig zentralistischen oder einen absolut dezentralen Ansatz gab, ist der Versuch, im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu einer ausgewogenen Form von Zentralismus und einer dezentralen Aufgabenverteilung zu kommen. Zur Sicherung der Arbeitsplätze: Die Arbeitsplätze vieler LVAen werden durch diese Reform im Grunde genommen sehr viel stärker gesichert, als das ohne Reform möglich gewesen wäre. Sie wissen, dass der Anteil der Arbeiter immer geringer wird, wohingegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte einen hohen Zuwachs zu verzeichnen hat. Durch die neue quotenregulierte Aufteilung von 45 Prozent für die Bundesebene - 40 Prozent für die bisherige BfA und 5 Prozent für den neuen zweiten Bundesträger - und 55 Prozent für die Landesversicherungsanstalten wird es hier zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen kommen. Diejenigen, die den Gesetzentwurf erarbeitet haben - ich beziehe mich wieder auf Bund und Länder -, gehen davon aus, dass es im Zuge der Reform keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. In den kommenden Jahren werden auch die geburtenstarken Jahrgänge Leistungen beziehen, sodass es eher ein Mehr an Arbeit geben wird. Dennoch wird es zukünftig mit Sicherheit eine sozialverträgliche Veränderung geben; denn nicht alle Stellen, deren Inhaber aufgrund der Erreichung der Altersgrenze ausscheiden, werden eins zu eins wiederbesetzt werden. Das fällt jedoch in die Aufgabenverteilung der jeweiligen Bundes- oder Landesbehörde und muss von diesen entsprechend geregelt werden. Die Beschäftigten selber haben in den kommenden Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen zu erwarten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, die Verteilung von 55 Prozent auf die LVAen und 45 Prozent auf die beiden Bundesträger wurde möglicherweise so getroffen, dass sie den jetzigen Stand ungefähr widerspiegelt. Betrifft dies nur die deutschen Versicherten oder auch die ausländischen Bürgerinnen und Bürger, die in der gesetzlichen Rentenversicherung mitversichert sind? Ich kann von einer Konzentration berichten. So werden beispielsweise bei der LVA Niederbayern-Oberpfalz zu 80 Prozent Bürgerinnen und Bürger aus dem ehemaliMax Straubinger gen Jugoslawien geführt. Diese müssten bei einer solchen Aufteilung zurückgeführt werden. Ist es sinnvoll, auch solche speziellen Dinge dieser Organisationsstruktur zu unterwerfen? Ich denke daran, dass man möglicherweise drei, vier oder fünf Anstalten mit dem Recht der Doppelrentenversicherungsabkommen betrauen muss. Wäre es nicht vielleicht unter dem Gesichtspunkt der schlankeren Verwaltung und der Vereinfachung besser, bestimmte Nationalitäten einzelnen Versicherungsträgern zuzuordnen, um nicht ständig Koordinierungsmaßnahmen zwischen den Rentenversicherungsträgern wegen der speziellen gesetzlichen Gegebenheiten, denen der Verkehr mit ausländischen Versicherungsträgern unterliegt, treffen zu müssen? Ein Zweites: In § 138 des Entwurfs werden Querschnittsaufgaben definiert, die sozusagen von der BfA erledigt werden sollen. Hier gibt es die Klage, zumindest aber die Kritik, dass diese nicht abschließend definiert wurden. Ist das in der jetzigen Fassung des Gesetzentwurfes, der vom Kabinett beschlossen wurde, geändert worden, sodass diese Querschnittsaufgaben als abschließend zu betrachten sind? Ein Drittes: Soll die Zuständigkeit für die Auskünfte zukünftig auf die Länder verlagert werden oder soll dies - Sie sprachen vorhin davon - zentral über eine Stelle erfolgen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Straubinger, bei dem Fall, den Sie geschildert haben, verändert sich nichts. Ich habe gesagt, dass sich in der Regel bei denjenigen, die jetzt schon bei den Versicherungen geführt werden, und bei denjenigen, die über 60 Jahre alt sind und Leistungen erhalten, nichts ändert. Es wird sich nur um einen kleinen Teil der jetzt schon Versicherten handeln, der über die neue Versicherungsnummer eine neue Zuordnung erfährt, weil man einen notwendigen Ausgleich vornehmen muss, wenn es die neue Struktur von 45 : 55 gibt. Mit der Organisationsreform heben wir in Zukunft die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf und finden eine neue Zuordnung. Wir waren der Auffassung, dass alle Versicherten gleich zu behandeln sind. Eine zusätzliche Trennung nach Nationalitäten würde zu weiteren Diskussionen führen, weil das von einem Teil der Bürgerinnen und Bürger als diskriminierend empfunden würde. Eine andere Frage ist, wie man die Arbeitsabläufe organisiert. Es wird ein Benchmarking und einen Wettbewerb zwischen den Sozialversicherungsträgern geben. Es sollen Vorschläge entwickelt werden, wie wir zu wirklich effektiven Strukturen kommen und wie man - das haben Sie in Ihrer dritten Frage angesprochen - die Information der Bürger durch gemeinsame Informationsstellen verbessern kann. Das schließt die Verbesserung der Bürgernähe ein. Ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist. Oft sind bestimmte Nationalitäten in gewissen Regionen konzentriert. Insofern wird es immer eine Bündelung von Aufgaben bei bestimmten Regionalträgern geben, ohne dass wir eine zusätzliche Kennzeichnung nach Nationalität vornehmen würden. Wenn die Menschen ihren Lebensabend in Deutschland verbringen und hier ihre Rente bekommen, ändert sich nichts gegenüber anderen. Was die zweite Frage, die Frage nach der Konkretisierung der gemeinsamen Angelegenheiten der Rentenversicherungsträger und den Grundsatz- und Querschnittaufgaben, angeht: Wir haben im Gesetzentwurf vorgesehen, dass es um die Vertretung der Rentenversicherung nach außen, die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, die Klärung grundsätzlicher Fach- und Rechtsfragen zur Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung sowie um die Fragen geht, wie der von mir schon angesprochene Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitswettbewerb zwischen den Trägern organisiert werden soll, welche Rahmenrichtlinien für den Aufbau und die Durchführung eines zielorientierten Benchmarkings auf den Weg gebracht und welche Leistungs- und Qualitätsdaten erhoben werden sollen. Das muss auf Bundesebene festgelegt werden, damit für die regionalen Träger in diesem Wettbewerb einheitliche Kriterien gelten. Wir haben ferner festgelegt, dass auf Bundesebene Grundsätze für die Aufbau- und Ablauforganisation, das Personalwesen und für Investitionen unter Wahrung der Selbstständigkeit der Träger entwickelt werden sollen. Wir wollen auch die Grundsätze und die Steuerung der Finanzausstattung und -verwaltung im Rahmen der Finanzverfassung für das gesamte System auf Bundesebene entwickeln, sodass nicht länger Finanzströme organisiert werden müssen, sondern in der Regel nur noch Buchungsvorgänge anfallen. Außerdem geht es - das ist sehr wichtig für die Verbesserung der Effizienz - um die Koordinierung und Planung der Rehabilitationsmaßnahmen. Des Weiteren handelt es sich um die Koordinierung der Datenverarbeitung, um die Erstellung von Grundsätzen für die Aus- und Fortbildung und die Organisation und Aufgabenzuweisung der Auskunfts- und Beratungsstellen. Das sind die grundlegenden Aufgaben. Wir gehen davon aus, dass es einen Vorstand und eine Geschäftsführung geben wird. Da wir auch eine Personalvertretung vorsehen, die sowohl auf Landesebene als auch in einem Arbeitskreis auf Bundesebene stattfindet, sind wir der Auffassung, dass auf dieser Grundlage die inhaltliche Ausgestaltung der Aufgabenkomplexe vorgenommen werden kann und wir damit einen entscheidenden Schritt nach vorne gehen. Denn über die Einbeziehung der Selbstverwaltungsorgane und die Koordinierung der Aufgaben werden auch für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande einheitlichere Vorgaben geschaffen und es wird eine effizientere Planung dessen, was in der Rehabilitation und - was wir alle wollen - auch künftig in der Prävention angeboten werden kann, ermöglicht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Kollege Daniel Bahr das Wort. ({0}) - Herr Straubinger, Sie haben Ihre drei Fragen bereits gestellt.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist zu begrüßen, dass bei der Einigung zwischen dem Bundeskanzler und den Bundesländern zur Organisationsreform der gesetzlichen Rentenversicherung das Ziel formuliert worden ist, Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu verbessern und Synergieeffekte zu nutzen. Es ist auch zu begrüßen, dass mit dem Einsparvolumen von 350 Millionen Euro eine Richtung zur Entlastung der Beitragszahler eingeschlagen wird. Ich frage mich aber, ob man in diesem Zusammenhang auch in Erwägung gezogen hat, statt der vorgesehenen Erhaltung von zwei Institutionen - nämlich der BfA, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, zusammen mit dem VDR und den Sonderversicherungsträgern - nur eine Institution zu behalten bzw. in einem zweiten Schritt eine Beschränkung auf eine Institution vorzunehmen. Des Weiteren ist es meines Erachtens im Zusammenhang mit dem Einsparvolumen von entscheidender Bedeutung, wie die Fusions- und Kooperationsvorhaben der Landesversicherungsanstalten verlaufen. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie um eine Beurteilung der bisherigen Bestrebungen und Diskussionen um die Fusions- und Kooperationsbemühungen der verschiedenen Landesversicherungsanstalten. Glauben Sie, dass wir dabei auf einem guten Weg sind und das Einsparziel erreichen werden? ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Zu Ihrer zweiten Frage, danach, wie die Fusionen verlaufen: Es gibt Bestrebungen, die Landesversicherungsanstalten von Berlin und Brandenburg zu fusionieren. Des Weiteren gibt es - das habe ich eben bereits erwähnt - Bemühungen zur Schaffung eines Nordverbunds, mit dem Mecklenburg-Vorpommern, SchleswigHolstein und Hamburg einen gemeinsamen Weg gehen wollen. Von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wird Interesse an der Bildung einer mitteldeutschen Rentenversicherung geäußert. Das sind die Bestrebungen, die bisher bekannt sind. ({0}) - Bayern hat sich bisher dazu nicht geäußert. Allein das würde schon eine Reduzierung von bisher 22 auf 16 LVAen bedeuten. Ihre Frage nach den Zusammenschlüssen stellt sich wahrscheinlich eher im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit und den veränderten Organisationsbedingungen. Wenn die ersten Fusionen vollzogen sind und wenn man im Benchmarkingprozess sieht, dass effizientere Strukturen entstehen, dann wird das sicherlich eine Fusionswelle auslösen. Wir wollen ja einen Wettbewerb um gute Angebote und Wirtschaftlichkeit. Des Weiteren haben Sie, Herr Bahr, danach gefragt, warum es zukünftig zwei Rentenversicherungsträger auf Bundesebene geben wird, warum also die vorhandenen Rentenversicherungsträger nicht zu einer Rentenversicherungsanstalt Bund zusammengeführt werden. Dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen: Ihnen ist sicherlich die Problematik bekannt, dass die Bundesknappschaft nicht nur Rentenversicherung, sondern auch Krankenversicherung ist. Wir konnten also die Bundesknappschaft nicht als Ganzes in die Deutsche Rentenversicherung Bund eingliedern, weil sonst eine Vermischung mit den Aufgaben der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung der Bundesknappschaft stattgefunden hätte. Deshalb haben wir uns auf zwei Rentenversicherungsträger auf Bundesebene geeinigt, nämlich Knappschaft, Bahnversicherungsanstalt und Seekasse auf der einen und die Deutsche Rentenversicherung Bund auf der anderen Seite, zu der VDR und BfA fusionieren werden. Das hat also mit diesen besonderen Bedingungen zu tun.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Matthäus Strebl. Ich glaube, weitere Fragesteller in der Regierungsbefragung wird es nicht mehr geben, da wir sonst die Zeit überschreiten. - Bitte, Herr Strebl.

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin einen Personalabbau nicht ausgeschlossen und haben davon gesprochen, dass die Verwaltungsstruktur entsprechend verschlankt werden solle. Vor dem Hintergrund, dass die beiden Rentenversicherungsträger auf Bundesebene einen Versichertenanteil von 45 Prozent und die regionalen Rentenversicherungsträger einen Anteil von 55 Prozent erhalten sollen, lautet meine Frage: Können Sie uns Näheres über den Stand der Diskussion darüber sagen, wie und mit welcher Geschwindigkeit Personalverschiebungen vorgenommen werden sollen? Mit welchen Personalveränderungen bzw. mit welchem Personalabbau rechnen Sie? Ich gebe zu bedenken, dass eine große Verwaltung nicht automatisch mehr Effizienz bedeutet. Oft arbeiten kleinere LVAen wie zum Beispiel die LVA in Landshut, die für den Bereich Niederbayern/Oberpfalz zuständig ist, sehr kostengünstig. Vielleicht können Sie, Frau Ministerin, etwas Näheres dazu sagen, wie viel Personal die beiden Rentenversicherungsträger auf Bundesebene und die LVAen künftig haben werden.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ich habe vorhin nicht gesagt, dass Personal abgebaut wird - das weise ich zurück -, sondern, dass wir gemeinsam zu der Auffassung gelangt sind, dass die Reform keine betriebsbedingten Kündigungen auslösen wird. Aber selbstverständlich wird es im Laufe der Jahre auch eine Anpassung des Personalbestandes geben, und zwar im Zusammenhang mit „natürlichen“ Abgängen durch Erreichen der Altersgrenze oder Fluktuationen. Im Zusammenhang mit den geplanten Fusionen gehen wir davon aus - so ist das auch vorgesehen -, dass die Arbeitsplätze gesichert sein werden. Wenn aber zum Beispiel Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen einen Fusionsvertrag schließen, dann wird es selbstverständlich eine Rolle spielen, wo sich der Hauptarbeitsort befinden wird. Selbstverständlich können wir nicht gleichzeitig - ich bitte um Verständnis - Reformen durchführen, also für Fusionen, für die Schaffung effiBundesministerin Ulla Schmidt zienterer Strukturen und für das Angebot wohnortnaher Beratungszentren auf regionaler Ebene eintreten, und jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin einen Arbeitsplatz am bisherigen Ort garantieren. Anderenfalls hätten wir erst gar keine Veränderungen vorzunehmen brauchen. Ich glaube, die Frage, ob man den Arbeitsplatz behält, ist für die Betroffenen sicherlich wichtiger als diejenige, ob man seinen Arbeitslatz zukünftig in Halle oder in Merseburg hat. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön, Frau Ministerin. - Wir beenden damit aus Zeitgründen die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 15/3157 Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatssekretär WolfMichael Catenhusen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Gitta Connemann auf: Trifft es nach Auffassung der Bundesregierung zu, dass nach dem geplanten Berufsausbildungssicherungsgesetz diejenigen Ausbildungsbetriebe, deren Auszubildende aufgrund überdurchschnittlicher Leistungen vorzeitig zur Abschlussprüfung zugelassen werden, wodurch die entsprechenden Lehrstellen in diesen Betrieben dann bis zu einem halben Jahr nicht besetzt sein würden, eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen müssten, und wie beurteilt sie vor diesem Hintergrund die sich daraus ergebende Situation der Betriebe und ihrer Auszubildenden? Bitte, Herr Staatssekretär Catenhusen.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete Connemann, eine pauschale Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage ist nicht möglich, da eine Vielzahl von Faktoren für die Abgabepflicht eines Arbeitgebers maßgeblich ist. Zur Finanzierung der nach dem Gesetzentwurf vorgesehenen Förderungsmaßnahmen - Stichwort Ausbildungsplatzumlagefinanzierung - wird im Falle der Auslösung der gesetzlichen Wirkungen durch die Bundesregierung, wie es in § 3 des Gesetzentwurfs vorgesehen ist, eine Berufsausbildungssicherungsabgabe von grundsätzlich allen öffentlichen und privaten Arbeitgebern erhoben. Von der Abgabepflicht sind kraft Gesetzes insbesondere Arbeitgeber befreit, deren individuelle Ausbildungsquote die notwendige Quote von 7 Prozent im Bezugsjahr erreicht oder überschritten hat, sowie Arbeitgeber mit im Bezugsjahr durchschnittlich zehn oder weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Höhe des von einem abgabepflichtigen Arbeitgeber zu entrichtenden Abgabebetrages ergibt sich aus § 11 des Gesetzentwurfs. Sie hängt von der bereinigten Anzahl der bei ihm im Bezugsjahr durchschnittlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, der Anzahl der erforderlichen zusätzlichen Ausbildungsplätze sowie der im Rahmen des Leistungsausgleichs nach § 6 des Gesetzentwurfs bundesweit zu fördernden Ausbildungsleistung ab. Indem auf die bereinigte Anzahl der bei einem Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig Beschäftigten abgestellt wird, wird die Berufsausbildungssicherungsabgabe im Ergebnis nur von Arbeitgebern, die in keiner Weise ausbilden, in voller Höhe entrichtet. Ansonsten wird sie nach der jeweiligen Ausbildungsleistung gestaffelt. Bei einer Gesamtbetrachtung wirkt sich die von Ihnen angesprochene vorzeitige Beendigung von Ausbildungsverhältnissen aufgrund überdurchschnittlicher Leistungen von Auszubildenden bei den betreffenden Arbeitgebern insofern aus, als sich dadurch im Rahmen der Berechnung der jeweiligen individuellen Ausbildungsquote nach § 2 Abs. 6 des Gesetzentwurfes sowohl die Anzahl der im Bezugsjahr durchschnittlich beschäftigten Auszubildenden als auch die Anzahl der im Bezugsjahr durchschnittlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten reduzieren. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Sie könnten diese Frage praktisch nur beantworten, wenn Sie wüssten, um wie viele Monate jemand seine Ausbildung verkürzt. ({0}) Entscheidend ist, ob in demselben Jahr ein neuer Auszubildender eingestellt wird. Falls ja, würde sich möglicherweise eine Anrechenbarkeit dieses Zeitraums im Hinblick auf die Höhe der Ausbildungsplatzabgabe ergeben. Ich sage ganz deutlich: Dieses Problem könnte in der Praxis auftreten, wenn ein Arbeitgeber im Falle einer absehbaren vorzeitigen Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses die Möglichkeit hat, zu gegebener Zeit eine Neubesetzung vorzunehmen. Man muss zwei Dinge gegenüberstellen - wenn Sie diese Frage aufwerfen, dann denken Sie auch daran -: Der Arbeitgeber spart erhebliche Kosten ein, wenn ein Auszubildender seine Ausbildung frühzeitig abschließt; gleichzeitig hätte er im Rahmen der Ausbildungsplatzabgabe möglicherweise einen kleineren Teil der eingesparten Kosten zu entrichten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage, bitte.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich wollte gar keine pauschale Antwort, sondern eine konkrete Antwort auf eine sehr konkrete Frage. ({0}) Die Verkürzung der Lehrzeit wegen überdurchschnittlicher Leistung des Auszubildenden beträgt regelmäßig sechs Monate. Es geht genau um diesen Zeitraum. Ihren Worten entnehme ich jetzt, dass der ausbildende Arbeitgeber für diese sechs Monate eine Ausbildungsplatzabgabe durchaus entrichten müsste, wenn es die Gesamtsituation seines Betriebes nicht anders zulässt. Die Voraussetzung für die Verkürzung einer solchen Lehrzeit ist die Zustimmung des Ausbilders. Aus welchem Grund sollte er diese geben, wenn zwar der Auszubildende davon profitiert, er selbst aber im Ergebnis keine Ausbildungsleistung mehr erhält und sogar noch eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen muss?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich weise Sie darauf hin, dass die Ausbildungsplatzabgabe, die gezahlt würde, nicht diejenigen Kosten umfasst, die dem Arbeitgeber bei einer Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses insgesamt entstehen würden. Das heißt, die Ausbildungsplatzabgabe umfasst nur einen Teil der gesamten Ausbildungskosten. Wie Sie wissen, umfassen sie nämlich nicht nur die Ausbildungsvergütung. Das kann Ihnen jeder Arbeitgeber erklären. In diesem Sinne sage ich: Jawohl, der von Ihnen beschriebene Fall kann eintreten; für den Arbeitgeber ist aber nicht die Frage: „Bezahle ich die Ausbildungsplatzabgabe oder nicht?“ entscheidend; vielmehr wird er eine Gesamtbilanz ziehen, die die ihm durch die Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses entstehenden Kosten berücksichtigt und diese der Ausbildungsplatzabgabe gegenüberstellt. Unter dem Strich wird sich für ihn betriebswirtschaftlich ergeben, dass die Ausbildungsplatzabgabe keinesfalls mit der Höhe der Gesamtkosten der Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses vergleichbar sein wird.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weise ein weiteres Mal darauf hin, dass der Ausbilder in dem einen Fall für diese Zeit eine Leistung des Auszubildenden erhalten würde. Was Sie pauschal und abstrakt beschreiben, wirkt sich in meinem Wahlkreis so aus, dass die Ausbilder einer Klasse von Hotelfachschülern gesagt haben, eine Verkürzung der Lehrzeit komme nicht mehr in Betracht, weil damit nicht unerhebliche Kosten verbunden seien. Meine weitere Frage: Ist es vor diesem Hintergrund nicht kontraproduktiv, Betriebe für eine sehr gute Ausbildungsleistung - damit der Auszubildende früher in die Prüfung gehen kann, muss er überdurchschnittliche Leistungen bringen, die natürlich von den Betrieben bewirkt worden sind - auch noch mit Sanktionen zu belegen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ihre Frage unterstellt, dass der Betrieb, der ein Ausbildungsverhältnis aufgrund der hervorragenden Leistung des jungen Menschen früher beenden könnte, mit der Weiterbeschäftigung des Auszubildenden einen realen Gewinn erzielen könnte. Eine solche Rechnung kenne ich von Arbeitgebern bisher nicht. Sie weisen uns eigentlich immer darauf hin, dass Ausbildung einen Kostenfaktor darstellt. Durch die Verkürzung des Ausbildungsverhältnisses spart ein Betrieb also real Ausbildungskosten ein. Dies müsste man der Ausbildungsplatzabgabe gegenüberstellen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angesichts Ihrer Ausführungen, Herr Staatssekretär, frage ich: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Ausbildungsplatzabgabe einen Beitrag zum Bürokratieabbau darstellt?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Frage des Bürokratieabbaus stellt sich in dem Kontext, den wir jetzt besprochen haben, nicht; denn das An- und Abmelden bedeutet keinen bürokratischen Aufwand. Es geht darum, dass der Betrieb in dem Fall, dass eine Ausbildungsplatzabgabe ausgelöst wird, im Folgejahr zwei Dinge sozusagen zu verbuchen hat: Wenn das Ausbildungsverhältnis nicht in ein Beschäftigungsverhältnis mündet, kommt es für den Betrieb für das Jahr, das dann rückwirkend bewertet wird, bei der Zahl der Ausbildungsverhältnisse zu einem Minus, das heißt, der Betrieb hat, bezogen auf das ganze Jahr, weniger Ausbildungsplätze als vorher. Aber er reduziert damit auch die Zahl seiner sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, das heißt, die Quote wird geringfügig sinken. Von daher ist der Auslöseeffekt generell nicht leicht zu kalkulieren, aber er ist im Einzelfall sehr leicht zu berechnen. Das ist reine Mathematik. Wir müssten das an Modellbeispielen durchrechnen. Das ist leicht möglich. Das ist meines Erachtens kein Fall für eine grundsätzliche Diskussion über Bürokratieabbau. Ich sage Ihnen allerdings Folgendes ganz deutlich: Wenn die Wirtschaft der gesellschaftlichen Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen nicht gerecht wird, stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft das Recht hat, die Wirtschaft finanziell in die Pflicht zu nehmen. Das ist die vorrangige Frage, auf die man eine Antwort geben muss.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Kollege Hartwig Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass die Kosten für die Ausbildung auf den gesamten Ausbildungsabschnitt bezogen berechnet werden und dass bei denen, die eine verkürzte Ausbildung absolvieren, überbetriebliche Ausbildungszeiten, die einen höheren Kostenfaktor darstellen, vorher abgewickelt werden, sodass sich in den letzten sechs Monaten die Kosten deutlich degressiv entwickeln? Das hat bei Ihnen überhaupt keine Berücksichtigung gefunden.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe in meiner Antwort deutlich gemacht, dass die Unternehmen auch hier Kostenbetrachtungen anstellen, es aber nicht automatisch so ist, dass die letzten sechs Monate eine reine Gewinnsituation für die Unternehmen darstellen. Sie wissen, dass sich das auch bei einer Verkäuferin und bei jemandem, der sich in einer sehr hoch qualifizierten beruflichen Vorbereitung mit hohen Anteilen überbetrieblicher Ausbildung - darauf heben Sie ja ab - befindet, sehr differenziert darstellt. Auch diesbezüglich können wir nicht zu einer pauschalen Antwort, die auf jeden Einzelfall zutrifft, kommen, weder nach Ihrer noch nach meiner Theorie. Man müsste das sehr konkret am Einzelfall durchspielen und die Frage klären, welche Entlastungen für den Betrieb bei einer früheren Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses einer möglichen zusätzlichen Belastung durch die Zahlung der Abgabe für dieses halbe Jahr gegenüberstehen. ({0}) - Nein. Meine Damen und Herren, derjenige, der im Folgejahr die Frage zu beantworten hat, welche Ausbildungsquote er hat und ob er damit seinen Ausbildungsverpflichtungen gerecht wird, muss für seinen speziellen Fall eine Bilanz ziehen. Die Kostenfaktoren dieser Bilanz können im Einzelfall leicht beurteilt werden. Es ist nur schwierig, jetzt eine abstrakte Diskussion über alle denkbaren Einzelfälle zu führen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zur Nachfrage hat jetzt der Abgeordnete Uwe Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hält die Bundesregierung es für zielführend, dass mit dem von Ihnen soeben geschilderten Berechnungsverfahren offenkundig schlechte Ausbilder, die für die Ausbildung längere Zeit als vorgesehen brauchen, bevorzugt werden, während gute Ausbilder, die zu einer Verkürzung der Ausbildungszeit beitragen können, offenkundig benachteiligt werden? Dient vor dem Hintergrund der 50 Arbeitsgesetze mit etwa 220 Schwellenwerten, die wir derzeit haben, ein neues Arbeitsgesetz zur Ausbildungsplatzabgabe der auch von der Bundesregierung geforderten Vereinfachung und besseren Durchschaubarkeit des Arbeitsrechtes?

Not found (Staatssekretär:in)

Sie sprechen ein Manko an, das es ja nicht erst seit dem rot-grünen Regierungsantritt gibt. Das ist gar keine Frage. Ich möchte zu Ihrer Frage Folgendes anmerken: Diejenigen, die ihre Auszubildenden länger ausbilden, zum Teil drei oder dreieinhalb Jahre, sind ja nicht die schlechteren Ausbilder, sondern sie kümmern sich um junge Menschen, die zum Teil eine besonders intensive Ausbildung brauchen, um Defizite, die sie etwa aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder in anderen Bereichen haben, zu kompensieren. Sie sind ja nahe an der Praxis und kennen selbst Betriebe, die drei- oder dreieinhalbjährige Ausbildungsgänge an Jugendliche vermitteln, die schwieriger zu einem Berufsabschluss zu führen sind. Deshalb warne ich vor dem pauschalen Urteil: Derjenige, der ganz kurz ausbildet - vielleicht einen Abiturienten -, ist ein guter Ausbilder und derjenige, der einen jungen Menschen ausbildet, dessen Voraussetzungen nicht so gut sind, ihn aber dank der intensiven und vielleicht auch länger dauernden Ausbildung im Unternehmen zu einem vollwertigen Berufsabschluss führt, ist der schlechtere Ausbilder. Ich möchte hier vor Pauschalisierungen warnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das war die Frage des Kollegen Schummer. ({0}) - Nein, Sie haben leider nur eine Frage. Also: Wer die Frage schriftlich gestellt hat, hat zwei Nachfragen, alle anderen eine. Jetzt kommt der Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, bei Ihren Ausführungen kam bei mir die Frage auf: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Ministerium für Bildung und Forschung und wie viele Auszubildende hat es?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir haben eine Ausbildungsquote von über 8 Prozent. Deshalb sehen wir die Diskussion über die Verantwortung öffentlicher Arbeitgeber in unserem Ministerium gelassen. ({0}) - Wir haben etwa 900.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt eine Nachfrage des Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zunächst einmal vielen Dank dafür, dass Sie anders als Ihre Kollegen, als andere Staatssekretäre und auch anders als die Ministerin deutlich gemacht haben, dass die Kosten für den Arbeitgeber von großer Bedeutung sind. Wir hoffen, dass Sie unseren Vorschlag, die Ausbildungsvergütungen in einigen Bereichen abzusenken, unterstützen und dementsprechend in Ihr Haus hineinwirken. Bei durchschnittlich 630 Euro pro Monat in Deutschland ist das schon ein wichtiger Punkt. Außerdem möchte ich Sie gerne fragen, ob für den Einzelfall, den die Kollegin Connemann hier stellvertretend für andere Fälle geschildert hat, eine Sonderregelung gefunden wird - eine ganze Reihe von Betrieben, die nicht ausbilden dürfen, werden ja auch berücksichtigt -, ob das auf unsere Initiative in dieser Fragestunde im Gesetzesvorhaben berücksichtigt wird. Hier geht es ja um ein wichtiges Problem: Während wir über Verkürzung der Ausbildungszeiten reden, besteht die Gefahr, wie wir gerade gehört haben, dass durch das entsprechende Gesetz gerade das Gegenteil erreicht wird. Ich möchte auch noch einmal auf das eingehen, was Herr Koppelin gesagt hat und anmerken, dass die 8 Prozent, von denen Sie sprechen, nicht für Ihr Haus alleine gelten, sondern nur unter Einbeziehung aller nachgelagerten Einrichtungen wie des Bundesinstituts für Berufsbildung erreicht werden. Wir sollten da doch schon bei der Wahrheit bleiben.

Not found (Staatssekretär:in)

Das können wir gerne noch einmal im Detail nachliefern. Ich hüte mich jetzt vor Festlegungen, weil unser Geschäftsbereich sehr groß ist. So zählen zum Beispiel zu ihm auch Forschungseinrichtungen. Sie wissen, dass bei uns wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugrunde gelegt werden und die Beamten nicht einbezogen werden. Die Diskussion darüber kennen Sie. Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Ministerium die Ausbildungsquote erreichen; aber das liefere ich Ihnen gerne schriftlich nach. Zu dem anderen Punkt, den Sie angesprochen haben. Es macht doch keinen Sinn, zu behaupten, es gebe mit der Erhebung der Ausbildungsplatzabgabe keine Schwierigkeiten. Diesen steht aber ein gesellschaftspolitisches Problem gegenüber. Deshalb müssen wir abwägen: Können wir in Extremfällen, wenn die Wirtschaft ihrer Verantwortung nicht nachkommt, wie es in den letzten Jahren geschehen ist, auf ein solidarisches Umlagesystem verzichten? Dabei besteht immer das Problem, dass bestimmte Grundanforderungen auf Einzelfälle angewandt werden müssen. Dass das nicht in jedem Einzelfall zu einer Ideallösung führt, ist die eine Sache. Es gibt aber auch eine andere Seite. Es gibt demnächst auch die zweijährige Berufsausbildung. Die Unternehmen, die nach einer zweijährigen Ausbildung einen Abschluss ermöglichen, haben einen entsprechend geringeren Aufwand und nach Abschluss der Ausbildung in der Zeit danach auch keine Kosten, es sei denn, sie stellen einen neuen jungen Menschen ein. Wenn ein Ausbildungsverhältnis beendet und nicht durch ein anderes ersetzt wird, kann nicht individuell bewertet werden, aus welchen Gründen das Ausbildungsverhältnis geendet hat. In diesem Sinne halte ich - auch in Würdigung Ihrer Argumente - unter den Gesichtspunkten der Belastung und der Gleichbehandlung von Unternehmen eine Lösung für vertretbar, nach der die Unternehmen nach Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses dieses Ausbildungsverhältnis nicht mehr etwa im Sinne einer Entlastung angerechnet bekommen. Man muss in der Politik auch eine Gesamtbilanzierung vornehmen und in diesem Sinne halten wir das für vertretbar.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Keine weiteren Nachfragen? - Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär, der Sie hier quasi als Parlamentarischer Staatssekretär geantwortet haben. Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich. Die Fragen 2 und 3 der Abgeordneten Austermann und Kaster werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen wird der Staatsminister Hans Martin Bury beantworten. Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Petra Pau auf: Welche Kenntnisse konnte der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, während seiner jüngsten Gespräche mit Vertretern der US-Regierung über Folterungen in Guantanamo Bay, in Afghanistan und im Irak gewinnen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, Bundesminister Fischer hat in seinen Gesprächen mit der US-Administration das Entsetzen der Bundesregierung über die Folterungen und Misshandlungen von Gefangenen zum Ausdruck gebracht und gefordert, dass die Vorfälle aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Folter und andere Formen unmenschlicher Behandlung sind nicht nur klare Verstöße gegen das Völkerrecht; sie delegitimieren aus Sicht vieler Menschen auch den Einsatz im Irak. Es liegt daher auch im amerikanischen Interesse, Verstöße aufzuklären und zu ahnden und für die Zukunft sicherzustellen, dass internationales Recht in den Gefängnissen und Camps eingehalten wird. Die amerikanische Regierung hat zugesagt, dass die Verbrechen aufgeklärt werden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage? - Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ich möchte außerdem wissen, welche Kenntnisse die Bundesregierung über die Beteiligung der 205. Brigade des US-Militärgeheimdienstes an Folterungen hat. Diese Brigade ist mit 850 Soldaten und Zivilangestellten im hessischen Wiesbaden-Erbenheim stationiert. Im Fernsehmagazin „Monitor“ wurde - das haben Sie sicher zur Kenntnis genommen - am 6. Mai dieses Jahres der Vorwurf erhoben, dass direkt von dort Folterer entsandt worden seien.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse vor. Genereller Zugang zu den Gefängnissen wird nur dem IKRK gewährt. Im Übrigen befinden sich unter den Gefangenen keine deutschen Staatsangehörigen, weshalb die Bundesregierung auch im Rahmen des konsularischen Schutzes keinen Zugang beanspruchen kann.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich habe eine weitere Nachfrage: Haben Bundeswehrsoldaten bzw. deutsche Polizisten, die im Rahmen des internationalen Kampfes gegen den Terror eingesetzt sind, Gefangene an die US-Streitkräfte in Afghanistan oder anderswo übergeben und inwieweit ist deren Schicksal nachgegangen worden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, mir sind derartige Fälle nicht bekannt, wobei ich sagen muss, dass ich nicht über alle Einsätze umfassend Auskunft geben kann. Ich werde der Frage nachgehen und Ihnen gegebenenfalls schriftlich ergänzende Informationen liefern.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, war Ihnen aufgefallen, dass die Kollegin Pau gefragt hat, welche Kenntnisse der Bundesminister des Auswärtigen Joseph Fischer bei seinen Gesprächen erwerben konnte? Sie hatte nicht danach gefragt, was er gesagt hat. Ich darf Sie also in dem Zusammenhang fragen: Hat das Auswärtige Amt Kenntnisse über Folterungen zum Beispiel in Afghanistan?

Not found (Gast)

Herr Kollege Koppelin, wie ich bereits eben in meiner Antwort auf eine Nachfrage der Kollegin Pau gesagt habe, liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Zustände in US-Gefängnissen vor - das gilt auch für Afghanistan oder Guantanamo Bay -, weil generell nur dem IKRK Zutritt gewährt wird. Unsere Kenntnisse stützen sich daher auf öffentliche Äußerungen des IKRK und in anderen Fällen auf entsprechende Äußerungen von Menschenrechtsorganisationen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister. Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Hartmut Koschyk aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, die Frage 7 der Abgeordneten Sibylle Laurischk aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz sowie die Fragen 8 der Abgeordneten Sibylle Laurischk und 9 des Abgeordneten Jens Spahn aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke beantworten. Ich rufe zunächst die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff auf: Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in Bezug auf noch nicht beglichene Kosten und ausstehende Schadensregulierungen bei den vom Flugzeugunfall am Bodensee vom 1. Juli 2002 betroffenen deutschen Städten, Gemeinden und Landkreisen vor dem Hintergrund, dass der schweizerische Entschädigungsfonds für die Abgeltung der sich aus dem Flugunfall ergebenden Forderungen auch mit Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet worden ist?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Dr. Schockenhoff, ungeachtet der Frage, ob eine Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Schadensersatzansprüche aus der Flugzeugkollision bei Überlingen vom 1. Juli 2002 tatsächlich durchgriffe, hat sich der Bund an dem zur Abgeltung von Ansprüchen eingerichteten Entschädigungsfonds beteiligt. Neben der Vermeidung haftungsrechtlicher Risiken waren hierfür vor allem humanitäre Gründe ausschlaggebend. Hinterbliebenen der getöteten Fluggäste und den am Boden Geschädigten sollte eine schnelle und unbürokratische Hilfe zuteil werden. Die Abgeltung der Forderungen aus den Mitteln des Fonds liegt in den Händen der Schweizer Anwaltskanzlei Schellenberg Wittmer in Zürich, die hierzu von den Trägern des Fonds beauftragt wurde. Nach Mitteilung der mit der Schadensabwicklung betrauten Anwälte ist davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl der von Städten, Gemeinden und Landkreisen geltend gemachten Ersatzansprüche voraussichtlich noch in diesem Monat einvernehmlich geregelt wird.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die deutschen Anspruchssteller, sowohl Privatpersonen als auch öffentliche Körperschaften, vom Bundesverwaltungsamt - dort wurde eine Stelle zur Schadensregulierung eingerichtet - an die von Ihnen genannte Schweizer Anwaltskanzlei verwiesen wurden, diese Schweizer Anwaltskanzlei sie aber wiederum unter Hinweis auf § 33 Luftverkehrsgesetz an die Halter der in den Flugunfall verwickelten Flugzeuge bzw. an deren britische Anwälte verweist?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Davon ist mir nichts bekannt, Herr Kollege.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, welche Möglichkeiten der Einflussnahme unter anderem auf die Feststellung der Anspruchsberechtigung und auf die Verwendung der Mittel aus dem unter Ihrer Beteiligung zustande gekommenen Entschädigungsfonds hat sich die Bundesregierung in der Fondsvereinbarung vorbehalten?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Wir haben in die Fonds eingezahlt. Die Fondsbeteiligten haben vereinbart, dass diese Anwaltskanzlei die einzelnen Ansprüche bearbeitet und uns darüber berichtet. Wie ich gerade dargestellt habe, sind tatsächlich schon einige Zahlungsanweisungen erfolgt. Wir gehen davon aus, dass auch die noch ausstehenden Zahlungen schnellstmöglich erfolgen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Kauder.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind Sie der Meinung, dass grundsätzlich ein Amtshaftungsanspruch privater und öffentlicher Geschädigter aus diesem Unglück besteht, sofern ein Verschulden des Fluglotsen der Skyguide nachgewiesen ist?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege, ob der Bund haftet, hängt unter anderem von der detaillierten rechtlichen Auswertung des am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Untersuchungsberichts der BFU ab, sodass zu dieser Frage zurzeit keine näheren Aussagen getroffen werden können. Angesichts der Tatsache, dass sich der Bund an dem Fonds beteiligt hat und dieser somit für die Entschädigung zuständig ist, besteht jedoch kein Bedarf für die Klärung hypothetischer Rechtsfragen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage des Kollegen Dörflinger.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit, sich für die betroffenen deutschen Kommunen und für die betroffenen deutschen Privatpersonen in der Weise zu verwenden, dass diejenigen, die einen Antrag auf Zahlungen aus diesem Fonds stellen, nicht zum Spielball von Korrespondenzen zwischen internationalen Anwaltsbüros werden?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Dörflinger, ich bin Ihnen und auch dem Kollegen Dr. Schockenhoff für Hinweise auf konkrete Einzelfälle, bei denen es solche Probleme gegeben hat, dankbar. Wir würden uns dann darum kümmern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt kommen wir zur Frage 11 des Abgeordneten Schockenhoff: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass trotz Abgabe der Durchführung der Flugsicherung an die Schweizer Skyguide nach wie vor die eigentliche hoheitliche Aufgabe und auch die Haftung bei der Bundesrepublik Deutschland liegt, und wie bewertet sie die jeweilige Berechtigung privater bzw. öffentlich-rechtlicher Antragsteller auf Kostenerstattung und Schadensregulierung aus dem unter bundesdeutscher Beteiligung aufgestellten Entschädigungsfonds? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Dr. Schockenhoff, grundsätzlich ist die Bundesrepublik Deutschland für die Flugsicherung im deutschen Luftraum verantwortlich. Wird die Flugsicherung von einer ausländischen Einrichtung wahrgenommen, geschieht dies auf der Grundlage nationaler Regelungen bzw. internationaler Vereinbarungen. Von ihnen hängt auch die Beurteilung der Haftung für schadensstiftende Handlungen einer ausländischen Flugsicherung bei der Wahrnehmung der Flugsicherung über deutschem Hoheitsgebiet ab. Die Frage der jeweiligen Berechtigung von Antragstellern ist in jedem Einzelfall zu prüfen und entzieht sich einer allgemeinen Bewertung.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage? - Bitte.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie will die Bundesregierung als die für die Flugsicherung über deutschem Hoheitsgebiet Verantwortliche künftig sicherstellen, dass die von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung empfohlenen und von der Deutschen Flugsicherung bereits erfüllten Sicherheitsstandards, die die Schweizer Skyguide nach dem Untersuchungsbericht eben nicht erfüllt, künftig auch von der Schweizer Skyguide erfüllt werden, die für die Flugsicherung in einem großen Bereich des süddeutschen Raumes verantwortlich ist?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Dr. Schockenhoff, es ist so, dass die Skyguide selbstverständlich den Sicherheitsvorschriften der Eurocontrol unterliegt. Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass Skyguide diese Sicherheitsvorschriften nicht einhält.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies steht so in dem Untersuchungsbericht, den Sie ja bereits angesprochen haben. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wie gedenkt die Bundesregierung künftig die Haftungsfrage zu behandeln, wenn die Schweizer Skyguide die bundesdeutschen Sicherheitsstandards der Flugsicherung nicht erfüllt, so wie es in dem von Ihnen zitierten Untersuchungsbericht dargestellt wurde?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich sagte ja vorhin schon, dass der Untersuchungsbericht seit vergangenen Mittwoch vorliegt. Wir sind also erst dabei, ihn detailliert auszuwerten. Was die Haftung angeht, kommt es natürlich darauf an, welcher konkrete Luftraum betroffen ist und welche internationalen Regelungen hierzu bestehen. Es ist zu unterscheiden, welche Regeln in dem entsprechenden Luftraum gelten - ICAO-Regeln oder bilaterale Betriebsvereinbarungen zwischen Flugsicherungsunternehmen, so genannte Letters of Agreement - und ob es sich um ein Gebiet der faktischen Übergabe handelt. Die Frage nach den Hoheitsbefugnissen kann deshalb nicht pauschal beantwortet werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kauder, eine Nachfrage? - Bitte.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte beantworten, von welcher verantwortlichen Stelle des Bundes diese Letters of Agreement sanktioniert worden sind, und können Sie mir bitte sagen, ob ein deutscher oder ausländischer Pilot der Anweisung eines Fluglotsen von Skyguide nachkommen muss oder nicht? Meines Wissens ist die Missachtung eines Befehls eines Fluglotsen nur dann strafbewehrt, wenn die Anweisung auf einer hoheitlichen Grundlage beruht. Diese besteht im Rechtsverkehr zwischen Skyguide und Deutschland nicht, weil eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden ist und die Verpachtung deutschen Luftraums an Skyguide nach Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungswidrig ist.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Kauder, ich habe gerade gesagt, dass die Letters of Agreement eine Betriebsvereinbarung der beiden Flugsicherungsunternehmen sind. Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, dass ich die rechtliche Bewertung Ihrer Frage nachliefere. Da ich keine Juristin bin, kann ich sie hier nicht so einfach vornehmen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage des Kollegen Dörflinger.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage von Nichtjurist zu Nichtjuristin, Frau Staatssekretärin: Würden Sie mir zustimmen, dass unabhängig von der Frage, ob ein hoheitliches Recht an eine zwischenstaatliche oder ausländische Organisation delegiert worden ist, die Haftungsfrage bei demjenigen verbleibt, der das Hoheitsrecht delegiert?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Dörflinger, ich sagte bereits, dass die Frage der Haftung aufgrund der Tatsache, dass es zu einem Fonds gekommen ist, eine hypothetische Frage ist. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es gibt keine weiteren Nachfragen. Ich danke, Ihnen Frau Staatssekretärin. Wir verlassen damit diesen Geschäftsbereich und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks beantworten. Die Frage 12 des Abgeordneten Hinsken soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe jetzt die Frage 13 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Schmidt-Bank in Bayern 17 000 ihrer Kunden in einer Abwicklungsbank in Hof zusammenfasst, welche einen nicht unerheblichen Teil der üblichen Bankdienstleistungen nicht mehr voll gewährleistet, und, wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Vorgänge im Hinblick auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der Bankenaufsicht, zum Beispiel Kreditwesengesetz?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, der geschilderte Sachverhalt ist der Bundesregierung bekannt. Die Schmidt-Bank GmbH, die so genannte Abwicklungsbank, will künftig nicht mehr als Wettbewerbsbank Marktteilnehmer sein. Infolgedessen wird sie ihren Kunden nicht mehr das übliche Dienstleistungsangebot bereitstellen. Für Kunden, die diese Einschränkungen des Dienstleistungsangebotes nicht akzeptieren können, bleibt die Möglichkeit, zu einem anderen Kreditinstitut zu wechseln. Es bestehen keine bankaufsichtsrechtlichen Regelungen, die einer Einschränkung bestimmter Bankdienstleistungen gegenüber Kunden oder auch der vollständigen Kündigung einer bestehenden Kundenbeziehung nach Maßgabe der einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften entgegenstehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Hofbauer, Sie können nachfragen.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich glaube, uns allen ist bewusst, welcher Sprengstoff hinter diesem Thema steckt. Bisher ist in Veröffentlichungen die Rede davon, dass 11 000 mittelständische Betriebe - das sind einige zehntausend Arbeitsplätze - von dieser notwendigen Entscheidung betroffen sind. Wir als Politiker können es uns nicht einfach machen und darüber hinweggehen. Ich darf schon ein wenig provokativ feststellen: Wenn bei einem Konzern ein paar Tausend Arbeitsplätze in Gefahr sind, dann kommt der Bundeskanzler, aber wenn - wie hier - mittelständische Betriebe betroffen sind, wird man das Gefühl nicht los, dass die Politik darüber hinweggeht. Meine konkrete Frage lautet: Was kann die Bundesregierung tun? Kann sie zum Beispiel über die Bankenaufsicht auf die Übergangsbank - die „bad bank“, wie es so schön heißt - einwirken, damit die Frist verlängert wird, sodass nicht 11 000 mittelständische Unternehmer sich innerhalb von drei Wochen eine neue Bank suchen müssen, sollen, können oder dürfen? Wir müssen etwas unternehmen; denn einige mittelständische Unternehmen haben Probleme, Banken zu finden. Wir stehen hier vor einer großen Herausforderung und ich möchte Sie bitten, Wege aufzuzeigen, wie wir auf die Abwicklungsbank einwirken können - vielleicht ist das über die Bankenaufsicht möglich -, um die Übergangsfrist von drei Wochen zu verlängern.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, ich hatte zuvor in meiner Antwort bereits ausgeführt, dass es keine bankaufsichtsrechtlichen Möglichkeiten gibt, denn den geschäftlichen Beziehungen zwischen einer Bank und einem Kunden liegt das Zivilrecht zugrunde. Darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluss. Ich will kurz auf das von Ihnen selbst im Vorspruch Ihrer Frage als provokativ bezeichnete Moment eingehen: Sie haben sich auf das schon häufig gehörte Wort bezogen, dass dann, wenn ein großes Unternehmen insolvent ist, der Kanzler kommt, wenn aber ein Mittelständler in Schwierigkeiten steckt, er allein da steht. Ich will das erstens zurückweisen ({0}) und zweitens die Zurückweisung begründen. Nach meinem Kenntnisstand hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im vergangenen Jahr mehrere Zehntausend Existenzsicherungsdarlehen an eben solche kleinen mittelständischen Unternehmen vergeben, um deren Existenz zu sichern. Existenzgründungsdarlehen sind etwas anderes, davon spreche ich jetzt nicht; hier geht es um Existenzsicherungsdarlehen. Die genauen Zahlen kann ich Ihnen gern noch schriftlich nachreichen. Um die Summe der Mittelständler und um die vielen einzelnen Mittelständler kümmert sich die Bundesregierung selbstverständlich mit den Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, so zum Beispiel über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das will ich deutlich sagen, um den häufig wiederholten Vorwurf an die Bundesregierung, der - wie Sie selber sagen - provokativ geäußert wird, in aller Form zurückzuweisen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es für die privaten Kundenbeziehungen der Abwicklungsbank, der Schmidt-Bank, nicht eine Übergangsfrist von lediglich drei Wochen gegeben hat. Nach meinem Kenntnisstand sind die Kunden der Abwicklungsbank zum 1. Januar 2004 darüber unterrichtet worden, dass die Einschränkung der Geschäftstätigkeit ab 1. Juni des Jahres 2004 stattfinden soll. Das wären dann fünf Monate. Ich kann nicht beurteilen, ob einzelne dieser Mittelständler in der Zwischenzeit zum Beispiel einen Existenzsicherungskredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau beantragt haben. Ich vermag auch im Einzelnen nicht zu beurteilen, was die Staatsregierung in Bayern zum Beispiel in Form eines Zur-Verfügung-Stellens von Landesbürgschaften unternommen hat. Diese können gegenüber Geschäftsbanken selbstverständlich abgegeben werden. Sollte es sich um Kredite handeln, die nicht dauerhaft notleidend sind, sondern wo die Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens darauf hindeutet, dass es zukünftig wieder aufwärts geht, wäre das Mittel der Wahl in der Tat eine Landesbürgschaft des Freistaates Bayern, wie das auch andere Länder machen. Ich will noch einmal darauf hinweisen - dies war Gegenstand Ihrer Frage -: Bankaufsichtsrechtliche Möglichkeiten gibt es nicht.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch eine zweite Frage stellen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, könnten Sie sich vorstellen, dass sich der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung dieses Themas trotzdem annimmt und in der Region bestimmte Initiativen ergreift, um die Angelegenheit zu klären bzw. noch mehr Hilfe anzubieten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung alles tut, was in seinen Kräften steht. Möglicherweise wird er dies gleich persönlich ergänzen wollen, denn er ist anwesend. Ich bin gern bereit, das Wort weiterzugeben. Herr Kollege Hofbauer, ich muss aber noch einmal darauf hinweisen: Dauerhaft notleidende Kredite können nicht durch öffentliche Verbürgung, auch nicht zum Beispiel der Staatsregierung in Bayern, aber natürlich auch nicht über Existenzsicherungsdarlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, „geheilt“ werden. Wenn ich davon ausgehe, dass die von Ihnen genannten Zahlen stimmen, wonach Sie unter den insgesamt 17 000 Kunden dieser Abwicklungsbank etwa 6 000 Privatkunden und 11 000 Geschäftskunden vermuten, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen, ob sich hinter den 11 000 mittelständischen Unternehmen - und, wenn ja, wie viele - dauerhaft notleidende Kredite verbergen. Prinzipiell muss ich allerdings, auch zum Schutz der Staatsregierung Bayern, sagen: Dauerhaft notleidenden Krediten kann - aus verständlichen Gründen - nicht von öffentlicher Seite geholfen werden. Einfach ausgedrückt: Schlechtem Geld kann man kein gutes hinterherwerfen. Das gilt für die Staatsregierung Bayern ebenso wie zum Beispiel für die Kreditfördereinrichtungen des Bundes, namentlich die Mittelstandsbank und die KfW.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt rufe ich die nächste Frage des Abgeordneten Hofbauer, Frage 14, auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die betroffenen Kunden der Schmidt-Bank beim Wechsel des Kreditinstitutes zu unterstützen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung kann einzelne Kreditinstitute ausdrücklich nicht zur Eröffnung von Girokonten für die betroffenen Kunden anhalten. Allerdings ist es so: Die im Zentralen Kreditausschuss, dem so genannten ZKA, zusammengeschlossenen Verbände der Kreditwirtschaft haben im Juni 1995 die Empfehlung ausgesprochen, grundsätzlich für jedermann auf dessen Wunsch ein Girokonto - gegebenenfalls nur auf Guthabenbasis und ohne Schecks - zu führen, um weiten Teilen der Bevölkerung die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Zudem sehen die Sparkassengesetze bzw. Sparkassenverordnungen von acht Bundesländern, darunter auch die der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen - um diese Regionen geht es ja in diesem Zusammenhang -, einen entsprechenden Kontrahierungszwang vor. Auch die Genossenschaftsbanken in den betreffenden Gebieten werden sicherlich bereit sein, unter den üblichen Bedingungen Neukunden aufzunehmen. Die ZKA-Empfehlungen, die ich Ihnen eben darstellte, wie auch die Länderregelungen für Sparkassen enthalten allerdings Ausnahmetatbestände, nach denen die Gewährung eines Girokontos unzumutbar sein kann. Über die Umstände, warum die betroffenen Kunden der Schmidt-Bank einen so genannten Abwicklungsstatus erhalten haben, und insbesondere darüber, ob hierbei Ausnahmetatbestände eine Rolle spielten, liegen der Bundesregierung keine näheren Informationen vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Anliegen der betroffenen Kunden, einen neuen Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr bei einem anderen Kreditinstitut zu erhalten, durch die genannte Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft hinreichend Rechnung getragen wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, bitte.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich teile Ihre Auffassung, dass man mit Konsolidierungsdarlehen und Ähnlichem in manchen Fällen nicht mehr helfen kann, weil die Schwierigkeiten riesengroß sind. Aber können Sie sich vorstellen, dass die Probleme von 11 000 mittelständischen Unternehmen plötzlich und in ein und demselben Zusammenhang so groß geworden sind, dass man ihnen nicht mehr helfen kann? Ist nicht vielmehr die Befürchtung angebracht bzw. kann man nicht den Eindruck gewinnen, dass sich eine der Nachfolgebanken - die Schmidt-Bank ist ja nicht als Ganzes übernommen worden - die Rosinen herausgepickt hat und viele andere Unternehmen hängen lässt, die jetzt erhebliche Schwierigkeiten haben, eine andere Bank zu finden? Kann hier gesetzlich etwas unternommen werden? Ich will damit zum Ausdruck bringen, Frau Staatssekretärin, dass ich nicht annehme, dass alle 11 000 mittelständischen Unternehmen in so großen Schwierigkeiten sind, dass man ihnen nicht mehr helfen kann.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, aus diesem Grunde habe ich mich vorhin sehr vorsichtig dazu geäußert. Ich persönlich habe keine Kenntnis davon, wie viele der genannten mittelständischen Unternehmen risikobehaftete Kredite haben. In der Tat sollte davon auszugehen sein, dass nicht in allen der 11 000 Fälle eine Zukunftssicherung nicht mehr möglich ist. Aber die genaue Prüfung dieser Frage müsste durch die in der Region bestehenden Einrichtungen unternommen werden. Zum Beispiel hätte es sich angeboten, dass sich die entsprechende Bürgschaftsbank oder die Landesbank Bayern um diese Frage gekümmert hätte, möglicherweise auch mithilfe ihrer Mitgliedsinstitutionen, den Sparkassen oder den Genossenschaftsbanken vor Ort, die in der Bundesrepublik Deutschland typische Mittelstandsfinanzierer sind. Sie können sich vorstellen, dass die Bundesregierung überhaupt keine Kenntnis davon haben kann, wie die Bonitätssituation der dort möglicherweise betroffenen 11 000 Unternehmen im Einzelnen ist. Diese Information ist auch in keiner Weise von irgendeiner regionalen Institution an die Bundesregierung herangetragen worden. Ich muss noch einmal darauf hinweisen: Es gibt keine bankaufsichtsrechtliche Möglichkeit, in diesem Fall einzugreifen. Sollten also bei der KfW Existenzsicherungsdarlehen beantragt worden sein, dann wird sie diese Frage sicherlich bewertet und beurteilt haben. Ich weiß aber nicht, ob solche Anträge überhaupt ergangen sind; sie müssten normalerweise über eine Hausbank ergehen. Mir ist nicht bekannt, ob die dort angesprochenen möglicherweise 11 000 mittelständischen Unternehmen sozusagen aktivisch schon auf der Suche nach einer neuen Hausbank waren und, wenn ja, wem es verwehrt worden ist. Natürlich muss zunächst jeder einzelne selber, wenn er mit der Dienstleistung seiner bisherigen Bank nicht mehr zufrieden ist, den Schritt gehen, eine neue Bank zu suchen - wer soll es denn bitte sonst machen? Als aktiv am Wirtschaftsgeschehen Beteiligter muss er das selber unternehmen. Wenn er eine neue Hausbank hat, kann er natürlich entsprechend seiner Bonität - die wird immer bewertet werden - Existenzsicherungsdarlehen, Bürgschaften des Landes Bayern oder anderes beantragen. Die ersten Schritte aber müssen aktivisch von denen gegangen werden, die mit den Dienstleistungen ihrer bisherigen Bank aus guten Gründen - weil sie eingeschränkt wurden - nicht mehr zufrieden sind. Wie gesagt: Das ist im Januar 2004 mitgeteilt worden. Bis zum Ende des Monats Mai sind somit fünf Monate Zeit gewesen, bis die so genannte Abwicklungsbank ihre bisherigen Tätigkeiten einschränkt. Ich will darauf hinweisen, dass wir nun einmal in einer Marktwirtschaft leben. Dass die Schmidt-Bank in eine Schieflage geraten ist, hatte auch etwas mit ihrer Kundenstruktur zu tun. Eine Bank gerät ja nicht von alleine in eine Schieflage; es gab da noch etwas anderes, über das ich hier jetzt öffentlich aber nicht weiter reden möchte. Wenn man zudem weiß, dass eine andere Bank Teile des Geschäftes erworben hat, dann ist es in einer Marktwirtschaft doch klar: Wenn man wählen kann, wird man das gute Produkt kaufen und nicht das schlechte. Welchen Einfluss soll man denn da rechtlich nehmen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Vielen Dank auch Ihnen, Frau Staatssekretärin. Keine weiteren Nachfragen. Die Abgeordnete Gesine Lötzsch hat für die Frage 15 um schriftliche Antwort gebeten. Wir kommen jetzt zur Frage 16 des Abgeordneten Uwe Schummer: Wie bewertet die Bundesregierung die Differenz von Plätzen in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, die daraus resultiert, dass für das Jahr 2003 die Bundesagentur für Arbeit, BA, 162 692 Eintritte von Teilnehmern in berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen verzeichnet hat und in den öffentlichen Ausschreibungen sowie den freihändig-wettbewerblichen Vergaben der Regionaleinkaufszentren der BA für die Durchführung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach dem neuen Fachkonzept für das Ausbildungsjahr 2004/2005 insgesamt 71 716 Teilnehmerplätze ausgeschrieben werden? Das ist eine Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch wird die Frage beantworten. Bitte, Sie haben das Wort.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, die angesprochene Ausschreibung berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen, die im Regelfall im August/September beginnen, umfasst nicht die gesamte geplante Platzkapazität, sondern nur die zentral eingekauften Maßnahmen nach dem neuen Fachkonzept „Berufsvorbereitung“; das sind rund 75 Prozent der insgesamt geplanten Maßnahmen. Die restlichen 25 Prozent der Plätze können die Agenturen für Arbeit in eigener Zuständigkeit vergeben. Insofern kann aus der geringeren Zahl ausgeschriebener Maßnahmen gegenüber den Eintritten des Jahres 2003 nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit nicht auf eine Kürzung des Gesamtvolumens geschlossen werden. Die Zahlen können darüber hinaus auch deshalb nicht miteinander verglichen werden, weil die Zahl der Eintritte naturgemäß immer deutlich höher ist als die Zahl der Teilnehmerplätze, denn bei Abbrüchen und vorzeitigen Übergängen in Ausbildung sind Nachbesetzungen möglich.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unterstützt die Bundesregierung die Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit, die auch Sie selber gerade geschildert haben, wonach Bildungsmaßnahmen über zentrale Ausschreibungsstellen mit überregionalen Losen vollzogen werden und letztendlich kurzfristige fiskalische Überlegungen maßgebend sind? Wie bewerten Sie die Kritik des Kolpingwerkes, dass hierdurch regionale und gemeinnützige Bildungsträger mit Tarifbindung benachteiligt und Qualitätsstandards unterlaufen werden?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir ist die Kritik des Kolpingwerkes im Einzelnen nicht bekannt. Mir ist aber bekannt, dass es insgesamt Kritik an der Vergabepraxis gibt. Die Kritik wird von uns ernst genommen und die Vergabepraxis wird weiterhin geprüft. ({0}) Wir haben beispielsweise geprüft, ob die Größe der ausgeschriebenen Lose im vorgesehenen Umfang aufrechterhalten werden kann. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass die Größe der Lose möglicherweise revidiert wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich bin überrascht zu hören, dass Sie die massive Kritik des Kolpingwerkes nicht kennen; schließlich sind von der Vergabepraxis ganze Regionen betroffen. Es gibt im Norden, zum Beispiel in der Stadt Paderborn, ein Unternehmen, das eng mit dieser Stadt verbunden ist; Sie werden es vielleicht kennen. Ich möchte zur Frage des Kollegen Schummer nachfragen: Wie schnell wollen Sie reagieren? In der Region, aus der ich komme, gibt es die allergrößten Befürchtungen, dass die Konzepte, die sich dort bewährt haben, in Zukunft nicht mehr funktionieren werden, weil es den Unternehmen, die sich an die Rahmenbedingungen halten, nicht mehr möglich ist, an diesem Markt teilzunehmen. Sie haben eben gesagt, dass Sie sich bemühen, Korrekturen vorzunehmen. Ich frage Sie deshalb: Was ist unternommen worden? Wann wird man zu Ergebnissen kommen? Das Problem besteht schließlich nicht erst seit heute, sondern ist schon seit Monaten bekannt.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, angesichts des Vorhalts, den Sie gemacht haben, möchte ich hier betonen, dass mir die Kritik sehr wohl bekannt ist. Ich wusste nur nicht, dass sie vom Kolpingwerk kommt. Wir haben dieses Thema sogar schon in der Fragestunde erörtert. Ich war anwesend; die Kritik ist mir also sehr wohl geläufig. Natürlich kenne ich die Stadt Paderborn. Sehen Sie es mir aber bitte nach, dass ich mich mit den regionalen Gegebenheiten und der Institution, die Sie angesprochen haben, nicht genauestens auskenne. Ein genauer Einblick in die Gegebenheiten der gesamten Bundesrepublik fehlt mir. Ich weiß aber, dass es diese Kritik gibt, und habe schon gesagt, dass wir sie ernst nehmen. Es gibt von mir nicht nur die Zusage, dass wir die Größe der Lose prüfen, wir haben vielmehr schon darüber nachgedacht - damit verrate ich kein Geheimnis -, die Größe der Lose, die einen unmittelbaren Einfluss auf die gewachsenen örtlichen Strukturen hat, zu revidieren, weil viele Institutionen nicht mehr zum Zuge gekommen sind, da sie die Antragstellung aufgrund der Größe der Lose nicht mehr bewältigen konnten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu Frage 16 gibt keine weiteren Fragen. Die Frage 17 soll schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zu Frage 18 der Kollegin Petra Pau: Wie hat sich der Rüstungsexport der Bundesrepublik Deutschland nach Israel seit 1999 entwickelt? Herr Staatssekretär, bitte.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Zahlen zu den Rüstungsexporten der Bundesrepublik Deutschland nach Israel für die Jahre 1999 bis 2002 sind den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung an den Bundestag für diese Jahre zu entnehmen. Ich möchte die Genehmigungswerte für diese Jahre in diesem Zusammenhang aber benennen: Im Jahre 1999 betrugen sie 244 Millionen Euro, im Jahre 2000 177 Millionen Euro, im Jahre 2001 36,5 Millionen Euro und im Jahre 2002 160 Millionen Euro. Die vorläufigen Genehmigungswerte für 2003 belaufen sich auf circa 131,6 Millionen Euro. Die endgültige Mitteilung erfolgt im Rüstungsexportbericht 2003.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich wüsste gern, wie Sie sich die ungeheuren Sprünge in der Entwicklung der Rüstungsexporte nach Israel erklären, zum Beispiel zwischen den Jahren 2001 und 2002.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Aus meiner Sicht kann nicht von ungeheuren Sprüngen die Rede sein. Sie sehen, dass die Exporte im Jahre 1999 244 Millionen Euro betrugen. Es gibt einen Sprung, nämlich zwischen 2000 mit 177 Millionen Euro und 2001 mit 36,5 Millionen Euro. 2002 waren sie wieder auf einem ähnlich hohen Niveau wie vorher, wobei die Tendenz gegenüber den Jahren 1999 und 2000 abnehmend war. Es gibt also einen Sprung, aber keine Sprünge. Es ist klar - das wissen Sie auch -, dass gemäß den entsprechenden Richtlinien und anhand der vorliegenden Anträge genehmigt wird. Wenn allerdings eine geringere Zahl von Anträgen vorliegt, wie das möglicherweise 2001 der Fall war, dann wird das durchschnittliche Volumen nicht erreicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen schon von den Richtlinien. Heute Morgen musste ich den Nachrichten entnehmen, dass die Bundesregierung offenbar beabsichtigt, zwei U-Boote des Typs U-212 an Israel zu verkaufen. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung diese Absicht unter Anerkennung der Rüstungsexportrichtlinie, aufgrund deren Exporte in Krisenregionen ausdrücklich verboten sind, begründet.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sie werden Verständnis dafür haben, dass ein Antrag, der möglicherweise auf dem Tisch liegt, von dem ich aber keine Kenntnis habe, natürlich nach den entsprechenden Richtlinien, also nach Recht und Gesetz, beschieden würde. Ich kann hier über ein derzeit laufendes Verfahren mit Sicherheit keine definitiven Auskünfte geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 19 soll wiederum schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 20 des Kollegen HansMichael Goldmann: Wann und in welcher Form wird die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gemäß Art. 11 der Verordnung ({0}) Nr. 998/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken und zur Änderung der Richtlinie 92/65/EWG des Rates nachkommen, die Bevölkerung in „leicht zugänglicher“ und „verständlicher“ Weise über die Anforderungen der Verordnung zu informieren? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident! Herr Kollege Goldmann, die Regelungen der EU-Heimtierverordnung treten nach der aktuellen Rechtslage am 3. Juli 2004 in Kraft. Die zur Anwendung erforderlichen Durchführungsbestimmungen wurden erst in den vergangenen Monaten bzw. Wochen erlassen. Nachdem auf dieser Grundlage in erforderlichem Maß Klarheit bestand, hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft entsprechende Informationen auf seiner Website unter der Rubrik „Landwirtschaft“ im Unterpunkt „Veterinärwesen“ eingestellt. Die primär betroffenen Verbände und Organisationen wurden fortlaufend informiert und unter Verweis auf die BMVEL-Website um Unterstützung bei der Verbreitung der Informationen gebeten. Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim Vor wenigen Tagen haben sich die Leiter der Veterinärdienste der Mitgliedstaaten anlässlich einer gemeinsamen Sitzung dafür ausgesprochen, die Anwendung der neuen Regelungen auf den 1. Oktober 2004 zu verschieben. Auch diese Information wurde unverzüglich weitergeleitet. Am 18. Mai dieses Jahres wurde eine Meldung an die Presse weitergegeben, die die neuen Regelungen und ihr voraussichtliches In-Kraft-Treten darstellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, erst einmal herzlichen Dank für die Beantwortung. Es geht hier ja nicht darum, in irgendeiner Frage Recht zu bekommen. Wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, dann soll die Verordnung nun erst zum 1. Oktober 2004 in Kraft treten. Das heißt, dass derjenige, der im Sommer mit einem Tier ins Ausland fährt - ich sage einmal, mit einem Hund oder einer Katze; ich glaube, es gibt 7 Millionen Hunde in Deutschland und einige machen sich mit ihrem Besitzer auf den Weg ins Ausland -, die falschen Papiere hat. Bis jetzt ist den Tierbesitzern gesagt worden, dass der alte Ausweis, in dem eine aufgefrischte Tollwutimpfung vermerkt ist, ausreicht. Ist das zutreffend? Ich möchte noch etwas anderes anschließen, das schon die zweite Frage berührt. Ich habe die Zahl der betroffenen Tiere bewusst in den Raum gestellt. Auch ich habe auf die von Ihnen angesprochene Website geschaut. Ich habe längere Zeit gebraucht, sie zu finden; das liegt bestimmt an mir. Ich habe den Eindruck, dass die Informationen, die aus Ihrem Hause kommen, außerordentlich dürftig sind und dass auch bei den Tierärzten außerordentlich wenig Informationen vorliegen, mit deren Hilfe dieses Problem abgearbeitet werden könnte. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Goldmann, für die Information und die Umsetzung dieser Heimtierverordnung sind grundsätzlich die Länder zuständig. Das heißt, dass Ihre Kritik ein Stück weit die Länder trifft. Zu Ihrer Frage, welche Regelungen jetzt gelten: Es gelten weiterhin die alten Regelungen. Die Impfausweise für die Tollwutimpfung der Tiere, die in der Vergangenheit gültig waren, gelten noch für einen Übergangszeitraum. Nach der neuen Verordnung können die Besitzer ihre Tiere noch mit den alten Ausweisen, sofern deren Gültigkeit nicht abgelaufen ist, ins Ausland mitnehmen. Ich hatte schon deutlich gemacht, dass aufgrund einer Initiative der Mehrheit der Mitgliedstaaten das Datum für die Anwendung der neuen Regelungen auf den 1. Oktober dieses Jahres festgelegt wurde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal nachfragen. Gelten bis zum 1. Oktober weiterhin die nationalen Einreisebestimmungen, die in einigen Staaten - ich nenne als Beispiel nur Großbritannien - gelten? Oder müssen die Reisenden zusätzliche Papiere über die Gesundheit der Tiere nachweisen? Vielleicht könnten Sie noch ein Wort dazu sagen, wie intensiv die Bemühungen der Bundesregierung und der Länder sind, um dieses Problem abzuarbeiten. Dies ist wirklich sehr dringend, weil es sonst an den Grenzen zu Problemen kommen kann. Stellen Sie sich eine Familie mit Hund in einem voll bepackten Auto vor, die wieder umkehren muss, weil die Papiere nicht den notwendigen Gegebenheiten entsprechen. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Regelungen im Zusammenhang mit der Harmonisierung der Grenzkontrollen für die Tiere zu sehen sind. Bisher sind vier Länder in der Europäischen Union tollwutfrei. In der Verordnung ist diesen Ländern die Möglichkeit eingeräumt, dass ihre verschärften Regelungen weiterhin gelten. Insofern haben wir zwar harmonisiert, aber gleichzeitig einigen Ländern die Möglichkeit gegeben, auch in der Zukunft schärfere Regelungen beizubehalten. Bis zum In-Kraft-Treten der neuen Regelung - das war Ihre Frage - gelten noch die alten Regelungen und die entsprechenden Ausweise. Was die Initiativen der Bundesregierung anbelangt, so haben wir den zusätzlichen Aufwand erkannt und - wohlgemerkt auf informeller Basis - das Land Nordrhein-Westfalen, das sich als großes Grenzland angeboten hatte, koordinierend zu wirken, ermuntert, das zu tun. In Nordrhein-Westfalen ist eine Arbeitsgruppe gegründet worden, in der auch die tierärztlichen Fachorganisationen vertreten sind. Ich denke, wir sind bei den Vorbereitungen auf einem guten Stand. Wenn es jetzt zu der Verschiebung kommt, dann geschieht dies nicht auf Initiative der Bundesrepublik, sondern einer Reihe anderer Mitgliedstaaten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir jetzt zur Frage 21 des Kollegen Goldmann: Wann und durch wen werden die entsprechenden Ausweisvordrucke den zur Ausstellung befugten Tierärzten zur Verfügung gestellt werden? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Goldmann, für Unternehmen, die an einer Drucklegung der Ausweismuster interessiert sind, besteht seit März dieses Jahres die Möglichkeit, sich vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz des Landes Nordrhein-Westfalen eine Betriebskennziffer zuteilen zu lassen. Von dieser Möglichkeit haben nach hiesigem Kenntnisstand bisher fünf Unternehmen Gebrauch Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim gemacht. Mit dem Versand der Muster an die niedergelassenen Tierärzte wurde begonnen. Um die erforderliche individuelle Nummerierung der Ausweise zu gewährleisten, hat diese Behörde im Rahmen der Zuständigkeit der Länder Koordinierungsaufgaben übernommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lese das nach, was Sie geantwortet haben, weil ich Sie nicht an allen Stellen richtig verstanden habe. Ich hatte gefragt: Wann und durch wen werden die entsprechenden Ausweisvordrucke den zur Ausstellung befugten Tierärzten zur Verfügung gestellt? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Tierärzte, die die Bescheinigungen ausstellen, müssen die Vordrucke bestellen. Das Problem besteht darin, dass die Vordrucke fortlaufend nummeriert werden müssen, um Verwechslungen und Missbrauch auszuschließen. Aus diesem Grunde ist eine Lizenznummer für die Druckereien notwendig. Es hat eine Ausschreibung gegeben. Die Druckereien, die sich daran beteiligt haben - fünf an der Zahl -, haben die Lizenznummer erhalten. Diese nummerieren ihre Ausweise fortlaufend, um Missbrauch und Verwechslungen auszuschließen. Die Tierärzte kennen über die Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe die Druckereien, sie müssen dort die Vordrucke bestellen und können dann die Tiere entsprechend den Vorschriften untersuchen und die Bescheinigungen ausstellen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön. Wir kommen dann zur Frage 22 des Kollegen Cajus Julius Caesar: Welche Gründe sind für die Bundesregierung maßgeblich, die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel von bisher 17 auf sieben Institute an zwei Standorten zu reduzieren, und wie ist der Sachstand zur Standortfrage der zukünftigen Bundesforschungsanstalt, insbesondere für den Standort Detmold? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Caesar, bereits seit dem Jahre 1997 waren die von der Errichtung der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel betroffenen Bundesforschungsanstalten im Forschungsverbund Produkt- und Ernährungsforschung zusammengeschlossen. Die geänderten Rahmenbedingungen erforderten eine Umorientierung der betroffenen Forschungsanstalten hinsichtlich ihrer fachlichen Ausrichtung und eine Umstrukturierung im Wege der Zusammenführung zu einer Bundesforschungsanstalt. Im Hinblick auf die knapper werdenden Ressourcen müssen Synergieeffekte bestmöglich genutzt werden. Im Übrigen unterstützt der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten zur Ressortforschung die Zusammenlegung der Anstalten. Frau Bundesministerin Künast hat inzwischen entschieden, dass die BFEL ihren Hauptsitz in Karlsruhe haben wird. Im Übrigen ist über die Standortfrage noch nicht abschließend entschieden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Caesar.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal herzlichen Dank für die Antwort. Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass insbesondere die hervorragenden wissenschaftlichen Kooperationen der Bundesforschungsanstalt in Detmold, etwa mit den Fachhochschulen Lippe und Höxter - ich nenne beispielsweise 22 Professoren und 14 Lehrbeauftragte -, Prioritäten für den Standort in Detmold ergeben, wenn man gleichfalls sieht, dass etwa in Karlsruhe nur zwei Professoren angesiedelt sind? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Caesar, bei den Standortentscheidungen werden auch die Berufungen und Doppelberufungen von Professoren sowohl an der Bundesanstalt als auch die Lehraufträge an den Hochschulen des Umfeldes eine Rolle spielen. Gleichwohl haben wir die Notwendigkeit, die ganze Forschungslandschaft im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums neu zu strukturieren und zu straffen. Ich hatte in meiner Antwort deutlich darauf hingewiesen, dass es eine Evaluierung und Anregungen gegeben hat, die noch viel weiter gingen, nämlich die 17 Institute auf sieben Institute und auf zwei Standorte zu reduzieren. Das alles werden wir zu prüfen haben. Die Notwendigkeit der Neustrukturierung besteht jedoch.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will dieser Strukturierung nicht widersprechen. Natürlich wollen wir Synergieeffekte nutzen. Ich denke, ich habe Ihren Worten entnehmen können - gegebenenfalls müssten Sie das noch einmal darstellen -, dass gerade der Standort Detmold in verschiedenen Bereichen Prioritäten hat. Ich habe eben einzelne genannt. Dazu gehören auch die über 100 Mitarbeiter und die hervorragenden Anstrengungen, die es dort im Bereich der Ausbildung gibt. Wir haben eben die Ausbildungsfrage diskutiert. Gerade diese Einrichtung hat sich in diesem Bereich sehr engagiert. All diese Aktivitäten und Standortvorteile sollte man bei der Standortentscheidung berücksichtigen. Ich setze vor diesem Hintergrund auf Ihre Kompetenz und Ihr Einfühlungsvermögen für den Standort Detmold. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Caesar, vielen Dank für die Bewertung und das Vertrauen, das Sie uns an dieser Stelle entgegenbringen. Tatsache ist: Wir werden sowohl die Zukunft der Beschäftigten als auch die Einbindung in der Region zu berücksichtigen haben. Das kann ich an dieser Stelle zusagen. Allerdings müssen am Ende die Ziele, was die stärkere Orientierung der Bundesanstalt im Sinne der Neustrukturierung des Ministeriums in Bezug auf Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anbelangt, aber auch die Frage der Kostenreduzierung durch Synergieeffekte berücksichtigt werden. Unter diesem Blickwinkel wird die Entscheidung letztendlich getroffen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Caesar: Welche Rolle spielt die Stärkung des ländlichen Raums, die ein erklärtes Ziel des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ist, in ihren Umstrukturierungsplänen in Bezug auf die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, und wie sieht die Kostenstudie zum geplanten Umzug bezogen auf den Abbau besonders aufwendiger Versuchsinstrumente, wie zum Beispiel Weizen- und Roggenmühlen - 300 Kilogramm pro Stunde - und Rohwarensilos, aus? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Caesar, die Frage nach der Stärkung des ländlichen Raums stellt sich im Zusammenhang mit der Errichtung der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel bzw. den noch zu treffenden Standortentscheidungen nicht. Die Schaffung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen für die bestmögliche Umsetzung der fachlichen und organisatorischen Konzeption für die BFEL steht im Vordergrund. Haushaltsmäßige Kriterien werden selbstverständlich mitberücksichtigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, bitte.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wann ist aus Ihrer Sicht mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Im Laufe dieses Jahres.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie das konkretisieren? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Goldmann hat eine weitere Frage dazu.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es ist richtig: Die Frage nach der Stärkung des ländlichen Raums stellt sich mit der Neuorientierung nicht. Sehen Sie nicht vielmehr die Gefahr der Entleerung des ländlichen Raumes? Ich denke dabei zum Beispiel an Kulmbach oder Kiel. Könnten Sie sich vorstellen, dass es im Rahmen des Evaluierungsprozesses, den Sie angesprochen haben, zu einer Lösung kommt, die das Institut in Kulmbach und auch die Bundesanstalt für Milchwirtschaft in Kiel qualifiziert am Markt hält? Denn Kulmbach und Kiel sind - das wissen Sie so gut wie ich - in diesem Bereich internationale Topadressen. Gerade unter der Zielsetzung des qualifizierten und vorbeugenden Verbraucherschutzes empfände ich es als dramatischen Verlust, wenn diese Einrichtungen zerschlagen würden. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Goldmann, seitens der Bundesregierung geht es nicht um den Verzicht auf Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus den von Ihnen genannten Anstalten. Es geht vielmehr darum, die Ergebnisse effizienter zu gewinnen. Gegenstand der Frage war in diesem Zusammenhang, ob das letztlich mit der Entwicklung und Förderung des ländlichen Raumes verbunden werden kann. Dazu ist die klare Aussage: Nein. Wir können nicht über eine Strukturentscheidung hinsichtlich der Bundesforschungsanstalten Politik für den ländlichen Raum machen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass auch die jetzigen Entscheidungen auf Prüfungen und Entwicklungen in der Vergangenheit aufbauen, so auf dem Forschungsrahmenkonzept aus dem Jahr 1996. Aus diesem Konzept geht hervor, dass es bereits Strukturentscheidungen gegeben hat, die nach meinem Dafürhalten damals gut begründet waren. Wenn sie nicht in dem vorgesehenen Maße umgesetzt wurden, dann geht das sicherlich auf Einflussfaktoren wie die zurück, die in dieser Debatte schon erwähnt wurden. Aber letztlich stellte sich auch damals die Aufgabe, zu straffen, Einsparungen vorzunehmen und Synergieeffekte zu nutzen. Wir stehen heute vor der gleichen Aufgabe. Für die Entwicklung des ländlichen Raumes müssen wir andere Instrumente nutzen. Im Übrigen würde ich Städte wie Kulmbach und Detmold nicht unbedingt zum ländlichen Raum zählen. Ich denke dabei an etwas kleiParl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim nere Ortschaften und strukturschwache Regionen, von denen ich auf Wunsch viele aufzählen könnte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Thalheim. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Reinhard Grindel auf: Warum wird das einvernehmlich von allen Kommandanten/Leitern der Depots der Bundeswehr entwickelte „Kriegsfelder Modell“, wonach das künftige Materialdepot Hesedorf einen für die Erfüllung seiner Aufgaben zwingend notwendigen Stundensatz von 90 000 Stunden pro Jahr erhalten soll, nicht umgesetzt?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Grindel, das „Kriegsfelder Modell“ ist das Ergebnis interner Überlegungen zur Materialwirtschaft der Bundeswehr unter maßgeblicher Beteiligung der Kommandanten der Materialdepots. Dafür wurde von den Beteiligten der bisher bekannte Umfang der Instandsetzungsstunden der Materialdepots zugrunde gelegt. In der Zielstruktur ab dem Jahre 2010 sind jedoch für das Materialdepot Hesedorf mit dem Artikelkreis Fahrzeuge ABC- und Pioniermaterial sowie Biwak- und Kettenmaterial 30 000 Instandsetzungsstunden für die Erhaltung des eingelagerten Materials vorgesehen. Regionale Instandsetzungsunterstützung, die heute im Materialdepot Hesedorf geleistet wird, wird bereits vom 1. Januar 2005 an in die dafür zuständigen Materialerhaltungseinrichtungen, zum Beispiel Instandsetzungskompanien oder regionale Instandsetzungszentren, verlagert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erste Zusatzfrage, Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Kommandanten aller Depots - sie wissen am besten, welche Aufgaben ihre Depots zukünftig zu erfüllen haben - haben an der Klausurtagung in Kriegsfeld teilgenommen. Wie erklären Sie sich, dass dort eine Reihe von Kommandanten erklärt haben, den einheitlich festgelegten, also für alle gleichermaßen geltenden Stundenansatz von 30 000 brauchten sie gar nicht und könnten deshalb sehr wohl zusätzliche Stunden, und zwar bis zu 90 000, an Hesedorf abgeben? Warum hat man nicht denjenigen vertraut, die die Situation vor Ort am besten einschätzen können, nämlich die Kommandanten der Depots, und hat einen einheitlichen Stundenansatz für alle 27 Depots festgelegt? Wie gesagt, einige Kommandanten sind der Auffassung, so viele Stunden brauchten sie gar nicht.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Auch die Kommandanten wissen, dass die Standortentscheidungen nach zwei Kriterien gefällt werden: zum einen nach betriebswirtschaftlichen Untersuchungen und zum anderen nach militärischen Überlegungen. Wenn die militärische Führung vorschlägt, eine solche Reduzierung vorzunehmen, dann geht die politische Leitung des Ministeriums davon aus, dass das entsprechend abgesichert ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Grindel, bitte.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Tatsache, dass der zuständige Kommandant in Hesedorf auf einer Veranstaltung des Streitkräfteunterstützungskommandos in Lingen am 16. März dieses Jahres gesagt hat, dass das ihm zugestandene Personal, also die Stundenansätze zur Auftragserfüllung, nicht ausreichen werde? Mir hat der Inspekteur außerdem mitgeteilt, dass in Hesedorf zukünftig Arbeiten der Materialerhaltungsstufe III durchgeführt werden sollen, was einen erhöhten Personalaufwand bedeutet. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass man in Hesedorf einen höheren Stundenansatz braucht? Sind Sie gegebenenfalls bereit, darüber noch einmal nachzudenken?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das geht schon fast in die Beantwortung Ihrer zweiten schriftlich eingereichten Frage. In der Tat wird man vom 1. Januar 2005 an nicht alles abrupt zurückfahren. Das würde auch gar nicht gehen; denn das Vorhandene muss erst noch restauriert werden. Die Reduzierung wird also über einen längeren Zeitraum ablaufen. Sie ist natürlich in das Konzept der Strukturreform 2010 eingebettet, das ebenfalls einen erheblichen Abbau ziviler Arbeitsplätze innerhalb der Bundeswehr vorsieht. Auch Depots dieser Art sind natürlich von dem personellen Abbau betroffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Reinhard Grindel auf: Wie verträgt sich die Zusage des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, jedem Mitarbeiter, der im künftigen Materialdepot Hesedorf nicht mehr beschäftigt werden kann, eine adäquate Verwendung in der Bundeswehr anzubieten, mit der Feststellung des zuständigen Personalrats, wonach 70 in der regionalen Instandsetzung eingesetzte Handwerker ab dem 1. Januar 2005 nicht mehr beschäftigt werden können und eine andere Verwendung bei der Bundeswehr in einem Umkreis von mindestens 50 Kilometern nicht möglich ist?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Grindel, ich habe eben angedeutet, dass die neue Organisationsstruktur, aufgrund der sich auch der Personalumfang im Materialdepot Hesedorf verringern wird, vom 1. Januar 2005 an in Angriff genommen wird. In der Ausplanung dieser Struktur ist berücksichtigt worden, dass sowohl die Auftragslage als auch das Personal im Bereich „Materialerhaltung“ nicht zum Stichtag reduziert werden können. Es werden deshalb Dienstposten auf Zeit ausgebracht, welche die Abarbeitung von Aufträgen und den Übergang in die Zielstruktur erleichtern sowie sozialverträgliche Lösungen für den Personalabbau gewährleisten. Die personalbearbeitenden Dienststellen der Wehrbereichsverwaltung werden sich in Verbindung mit dem Kommandanten weiter bemühen, jedem Mitarbeiter, der in Hesedorf nicht mehr beschäftigt werden kann, gemäß dem Tarifvertrag eine adäquate Verwendung in der Bundeswehr anzubieten. Im Übrigen sichert der Tarifvertrag jedem Mitarbeiter Arbeitsplatzschutz bis zum Jahre 2010 zu, wie Sie wissen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erste Zusatzfrage, Herr Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es denn sinnvoll - ich beziehe mich hier auf Informationen des örtlichen Personalrats, die auch dem Minister vorliegen -, dass Dienstposten an weit entfernten Standorten neu besetzt werden, obwohl etwa an den größeren Standorten Hesedorf und Darmstadt Personal vorhanden ist, das die erforderlichen Arbeiten ausführen könnte? Wäre es nicht wirtschaftlicher, so zu verfahren?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Natürlich gehe ich davon aus, dass die zuständigen Stellen die Wirtschaftlichkeit ihrer Überlegungen darstellen können und dass die getroffenen Entscheidungen insofern richtig sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was wird aus den 64 Auszubildenden in der Ausbildungswerkstatt des Materialdepots Hesedorf? Ohne Fachwerkstätten kann die Ausbildung zum Automobilmechatroniker nicht sichergestellt werden, da diese Ausbildung praxisbezogen zu erfolgen hat.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie werden ihre Ausbildung zu Ende führen können. ({0}) - Es werden dann keine neuen Ausbildungsplätze geschaffen; aber die begonnene Ausbildung wird natürlich abgeschlossen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 26 und 27 werden schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 28 der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth auf: Wie viele Kunststoffabfälle wurden in den letzten fünf Jahren von Deutschland nach Asien zum Recycling exportiert?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Liebe Frau Kollegin Dr. Flachsbarth, wenn Sie erlauben, beantworte ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang. ({0}) - Okay, herzlichen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch Frage 29 der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth auf: Welche Konsequenzen erwachsen nach Einschätzung der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit - ökologische, ökonomische und soziale Aspekte - aus dieser Entwicklung? Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Frage 28 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregie- rung verfügt auf der Grundlage der Außenhandelsstatis- tik über konkrete Angaben über den Im- und Export von Abfällen nach Abfallarten und Staaten ab dem Jahr 2001. Hiernach ergeben sich für die drei wichtigs- ten Importgebiete von Kunststoffabfällen in Asien für die Jahre 2001 und 2002 folgende Mengenströme: China in 2001 26 920 Tonnen, in 2002 51 423 Tonnen; Hong- kong 111 906 Tonnen im Jahr 2001, im Jahr 2002 106 144 Tonnen; nach Indien sind in 2001 7 419 Tonnen exportiert worden, in 2002 waren es 8 453 Tonnen. In den Jahren 2001 und 2002 sind insgesamt 147 474 bzw. 167 427 Tonnen Kunststoffabfälle nach Asien exportiert worden. Der Anteil der drei oben ge- nannten Gebiete hieran beträgt etwa 99 Prozent. Gemes- sen an der Gesamtmenge der exportierten Kunststoff- abfälle in den Jahren 2001 und 2002 in Höhe von 331 000 Tonnen bzw. 363 000 Tonnen liegt der Anteil der drei wichtigsten asiatischen Abnehmergebiete bei 44 bzw. 46 Prozent. Mit Abstand am bedeutendsten für den Export von Kunststoffabfällen nach Asien sind die Polyethylen- abfälle gefolgt von Abfällen aus Polypropylen bzw. PET. Der Export von Kunststoffabfällen nach Indien ist bis auf PET genehmigungspflichtig. Für die Verbringung von Kunststoffabfällen in die Volksrepublik China ein- schließlich Hongkong gibt es keine Beschränkungen. Allerdings schreibt die Volksrepublik China eine Vorab- inspektion vor, die von einem in Deutschland ansässigen und von der Volksrepublik China autorisierten Unterneh- men durchgeführt wird. Frage 29 beantworte ich wie folgt: Zur Schätzung der Konsequenzen, die aus der zu beobachtenden Verlage- rung des Kunststoffrecyclings von Europa nach Asien - hier sei noch einmal die Volksrepublik China ge- nannt - erwachsen, sind aus Nachhaltigkeitssicht vor al- lem zwei Fragen von Interesse: Erstens. Welche Produkte werden aus den Kunststoff- abfällen gewonnen? Das Recycling von Kunststoffabfäl- len entlastet die Umwelt in dem Maße, wie die hierbei gewonnenen Produkte zu einer Substitution von Primär- rohstoffen und damit zu einer Vermeidung der hiermit verbundenen Umweltbelastungen beitragen. Die entsprechenden Bedingungen in Ostasien werden wie folgt eingeschätzt: a) Da die Wertstoffe in Ostasien in höherem Maße von Hand sortiert werden, dürfte die Verwertungsquote, das heißt der Anteil der Kunststoffabfälle, die tatsächlich stofflich verwertet werden, höher sein als in Europa. b) Nach den vorliegenden Informationen werden aus den recycelten Kunststoffabfällen vor allem Textilfasern hergestellt. Die durch die Substitution von Primärrohstoffen erzielte potenzielle Umweltentlastung liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie bei einem Recycling zu PET-Flaschen. Das Recycling zu Textilfasern ist somit nach unserer Meinung grundsätzlich als hochwertig einzuschätzen. Was für Sie in diesem Kontext auch von Interesse sein dürfte, ist die Frage: Unter welchen Bedingungen erfolgt das Recycling der Kunststoffe? Der Bundesregierung liegen keine repräsentativen Angaben darüber vor, unter welchen Arbeits- und Umweltbedingungen das Kunststoffrecycling in Ostasien durchgeführt wird. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass diese Bedingungen unter den europäischen Standards liegen, und zwar sowohl bezüglich der gesundheitlichen und Sicherheitsbedingungen am Arbeitsplatz als auch bezüglich der Emissionen und der Einbringung von Schadstoffen in die Umwelt. Die Umweltbelastungen, die sich aus dem Transport der Kunststoffabfälle nach Ostasien ergeben, sind gegenüber den oben angesprochenen Aspekten als geringfügig einzuschätzen. Letzte Bemerkung. Eine umfassende Bewertung der Verlagerung des Kunststoffrecyclings von Europa nach Asien unter Nachhaltigkeitsaspekten hängt vor allem von den Umwelt- und Arbeitsbedingungen in dem jeweiligen Importland ab. Hierzu liegen uns allerdings keine repräsentativen Angaben vor, sodass ich diese Frage leider nicht abschließend beantworten kann. Aber wir teilen Ihnen gern jederzeit unsere Erkenntnisse hierzu mit, zumal ich die Frage wirklich sehr spannend finde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Flachsbarth, Zusatzfragen? - Bitte schön.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin Wolf, herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. Ich habe dennoch einige Zusatzfragen. Erste Zusatzfrage. Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung die Gründe für den steigenden Kunststoffabfallexport gerade nach China?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Da könnte ich leider nur mutmaßen und das will ich nicht. Ich müsste im BMWA nachfragen, wie das im dafür zuständigen Ministerium anhand der Außenhandelsstatistik analysiert wird. Das tue ich gerne.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wäre sehr dankbar für eine solche Ergänzung, insbesondere in Bezug auf die Standards im Arbeits- und Umweltrecht in Deutschland und in China im Vergleich. Eine zweite Nachfrage. Um wie viel ist in den letzten zehn Jahren die Zahl der deutschen Kunststoffaufarbeitungsanlagen zurückgegangen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin, auch das kann ich Ihnen nicht aus dem Kopf sagen. Ich möchte diese Frage schriftlich beantworten.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch dafür wäre ich dankbar. Eine weitere Nachfrage. Stimmt die Bundesregierung mit der Aussage der European Plastic Recyclers, also des europäischen Dachverbands, überein, dass die langfristige Entsorgungssicherheit bei Kunststoffabfällen hier vor Ort, in Europa bzw. in Deutschland, durch die Entwicklung gefährdet wird?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ich kann Ihnen auf Ihre Frage nur so viel sagen: Aus den Vorschriften zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung lassen sich Informationen zur Einschränkung der Einfuhr in verschiedene Staaten ableiten. Ich stelle Ihnen auch das gleich gerne zur Verfügung. Aus den Genehmigungsunterlagen ergeben sich nach den jetzigen Erkenntnissen keine zusätzlichen Exportmengen, die zu den Daten der Außenhandelsstatistik addiert werden müssten. Ich weiß, dass das eine unzureichende Beantwortung Ihrer Frage ist. Den Rest an Informationen hierzu bekommen Sie ebenfalls schriftlich.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, zur letzten Nachfrage, die ich im Rahmen meines Kontingents noch habe. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Standards bezüglich der umwelt-, abfall- und arbeitsrechtlichen Situation in China stark von denen hier in Deutschland abweichen. Unternimmt die Bundesregierung Anstrengungen, um diese Standards anzugleichen?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin Dr. Flachsbarth, wir gehen davon aus. Wir haben, wie gesagt, keine empirischen Daten zu der Frage der Differenz der Arbeits- und Sozialstandards. Sie wissen, dass China Mitglied der Welthandelsorganisation ist. In diesem Kontext verhandeln wir im europäischen Rahmen selbstverständlich auch mit der Volksrepublik China über Arbeits- und Sozialstandards. Im Rahmen der ILO finden ebenfalls solche Verhandlungen statt.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 30 und 31 sollen schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Wolf. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe sogleich die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: 1 Vereinbarte Debatte Zur humanitären und menschenrechtlichen Situation und internationalen Verantwortung im westlichen Sudan 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Im Westsudan ({0}) eine humanitäre Katastrophe verhindern - Drucksache 15/3197 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Staatsministerin Kerstin Müller das Wort.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal sehen wir schreckliche Bilder aus Afrika, diesmal aus dem Westsudan, aus der Region Darfur: Frauen und Kinder auf der Flucht, brennende Häuser, überfüllte Flüchtlingslager. Die internationalen Hilfsorganisationen sprechen bereits von der schwersten humanitären Krise weltweit. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und der UN-Menschenrechtskommissar Ramcharan berichten von Massenvergewaltigungen, Massenvertreibungen, dem Abbrennen ganzer Dörfer, also schwersten Menschenrechtsverletzungen. Aus Darfur sollen mehr als 1 Million Menschen vertrieben worden sein, circa 30 000 sind bereits umgekommen, über 130 000 haben es über die Grenze in den Tschad geschafft, wo es zumindest teilweise gelingt, sie zu versorgen. Ich war vom 4. bis 6. Mai im Tschad und habe mit den Menschen in den Flüchtlingslagern gesprochen. Ich habe die Dörfer an der Grenze, die auf der sudanesischen Seite völlig menschenleer sind, gesehen; Stunden braucht man, um vom letzten Ort im Tschad auf den unwegsamen Straßen diese Camps überhaupt zu erreichen. Das vermittelt einem schon, wie schwierig es sein wird, selbst dort im Tschad die Flüchtlinge zu versorgen. Diese Flüchtlinge sind überwiegend Frauen und Kinder. Sie berichten, dass sie in der Hitze oft monatelang unterwegs waren, ihre Männer und Brüder umgebracht, ihre Häuser niedergebrannt wurden. Sie haben mir auch übereinstimmend davon berichtet, dass die Regierung die Dörfer bombardiert und dann die so genannten Janjaweed-Milizen in diese Dörfer einfallen, um die Menschen zu vertreiben oder umzubringen, und dass sie zwischen den Milizen und der Regierung nicht unterscheiden können. Außerdem finden sich in diesen Flüchtlingslagern nur Menschen der afrikanischstämmigen Bevölkerung, also der Fur, Masaalit und Zaghawa, die von Vertreibungen durch die arabischstämmigen Janjaweed-Milizen berichten. Meine Damen und Herren, ich bin daher zu dem Schluss gekommen, es handelt sich nicht nur um eine der schwersten humanitären Krisen weltweit. Im Ergebnis haben wir es hier mit ethnischen Vertreibungen zu tun. Wir müssen auch sehen, dass die Zeit drängt. In zwei bis drei Wochen beginnt die Regenzeit, dann wird es noch schwerer werden, die Menschen zu versorgen. Daher arbeiten die Hilfsorganisationen an der Grenze zum Tschad mit Hochdruck. Man hat es da mit doppelt so vielen Flüchtlingen zu tun, wie man erwartet hat. Das Problem ist: Nach Darfur kommen eben immer noch kaum Hilfsorganisationen, weil sie durch bürokratische Hürden von der sudanesischen Regierung davon abgehalten werden. Daher lautet unsere vorrangigste Forderung: Die internationalen Hilfsorganisationen müssen sofort Zugang nach Darfur erhalten, damit die Menschen versorgt werden können. ({0}) Das ist ein Wettlauf mit der Zeit; denn wenn es nicht gelingt, diese Menschen rechtzeitig vor der Regenzeit zu versorgen, dann drohen sie zu verhungern. Nach neuesten Schätzungen der International Crisis Group betrifft das bis zu 350 000 in den nächsten Monaten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, das müssen wir gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft zu verhindern suchen. Wir dürfen nicht noch einmal zulassen, dass sich wie in Ruanda vor unseren Augen eine humanitäre Katastrophe in einem afrikanischen Land abspielt, ohne dass etwas geschieht. Das darf nicht noch einmal passieren. Wir alle haben gemeinsam eine Verantwortung für Afrika. ({1}) Wir haben deshalb auf allen politischen Ebenen versucht, Druck zu machen und die sudanesische Regierung zum Einlenken zu bewegen. Ich habe mich entschlossen, unmittelbar nach meinem Aufenthalt im Tschad nach New York zu fliegen und dem Sicherheitsrat von der Lage dort vor Ort zu berichten. Wir haben gedrängt, die Darfurkrise sowohl auf dem G-8-Außenministertreffen als auch beim Rat der EU-Außenminister zum Thema zu machen. Letztere haben am 17. Mai einen sehr deutlichen Beschluss gefasst. Die internationale Gemeinschaft war lange uneins, inwieweit der Darfurkonflikt hochrangig thematisiert und in internationale Gremien, zum Beispiel die EU oder die UN, eingebracht werden sollte. Es gab auch viele kritische Stimmen, die vor einer Gefährdung des gesamtsudanesischen Friedensprozesses, der in den letzten Monaten im kenianischen Naivasha gute Fortschritte gemacht hat, warnten. Die Bundesregierung ist allerdings früh zu der Überzeugung gelangt, dass der gesamtsudanesische Friedensprozess nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn auch die Konfliktherde in Regionen, deren Interessen im Friedensprozess nicht berücksichtigt sind, einbezogen werden. Dazu gehört eben auch der eskalierte Darfurkonflikt. Ich bin der Auffassung, dass es im Sudan keinen nachhaltigen Frieden geben wird - das kann man sich jedenfalls nur schwer vorstellen -, wenn nicht gleichzeitig der Darfurkonflikt gelöst wird, und zwar sowohl die humanitäre Krise als auch die politische Krise, die dahinter steht. Herr Minister Fischer und ich haben seit Mai 2003 in vielen bilateralen Gesprächen mit der sudanesischen Regierung auf eine Lösung der Darfurkrise gedrängt. Es geht uns vor allem darum, dass der Darfurkonflikt im Sicherheitsrat behandelt wird. Diesbezüglich musste bei vielen Mitgliedstaaten erhebliche Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis wir dieses Thema am 2. April dieses Jahres auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates setzen konnten. Am 14. April wurde erneut über die Lage beraten. Am Montag fand auf unsere Initiative hin ein Treffen der Mitglieder des Sicherheitsrates mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zum Thema Darfur statt. Ich begrüße insbesondere, dass in der vergangenen Nacht endlich eine deutliche Erklärung des Sicherheitsrates verabschiedet werden konnte. Sie verurteilt die Gewalt in Darfur und fordert die sudanesische Regierung auf, den internationalen Hilfsorganisationen freien Zugang zu gewähren und ihre Zusagen einzuhalten. Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Ich hoffe, es werden weitere folgen, wenn es nicht gelingt, diese Krise zu deeskalieren. ({2}) Ich begrüße auch, dass erreicht werden konnte, dass die sudanesische Regierung in der letzten Woche endlich erklärt hat, den Zugang zu erleichtern. Aber diesen Worten müssen jetzt auch unmittelbar Taten folgen. Allzu oft sind wir leider von der sudanesischen Regierung enttäuscht worden. Ich habe daher für morgen noch einmal die Hilfsorganisationen eingeladen, damit sie über die aktuelle Lage berichten können. Die Bundesregierung - BMZ und Auswärtiges Amt hat bereits seit Beginn des Konfliktes 5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt. Aber diese Mittel müssen jetzt auch ankommen. Ich bin gespannt, was die Hilfsorganisationen zu berichten haben. Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen endlich erreicht werden kann, dass die Menschen versorgt und die Ankündigungen der sudanesischen Regierung konsequent umgesetzt werden. ({3}) Ich finde es sehr gut, dass sich der Deutsche Bundestag angesichts der Dramatik der Lage entschlossen hat, heute diese Debatte zu führen, und dass es gelungen ist, sich hier auf einen interfraktionellen Antrag zu verständigen. Wir haben es nicht nur mit einer humanitären Krise zu tun; deshalb muss der Konflikt politisch gelöst werden. Dazu nimmt der Antrag klar Stellung. Letztlich geht es um einen sehr alten Konflikt zwischen schwarzafrikanischer Landbevölkerung und arabischstämmigen Nomaden um Land, Wasser und Ressourcen. Schwarzafrikanische Rebellengruppen fordern gleiche Rechte und eine Beteiligung der Region Darfur an den Ressourcen des Landes, wie es der Süden mit dem Norden ausgehandelt hat. Es ist also ein ethnischer Konflikt. Aber dass dieser ethnische Konflikt so eskalieren konnte, liegt daran, dass die sudanesische Regierung ihn politisch instrumentalisiert hat. Deshalb muss dieser Konflikt jetzt politisch gelöst werden; mit Gewalt und militärischen Mitteln ist er nicht zu lösen. Die Voraussetzungen, die dazu erfüllt werden müssen, finden sich als Forderungen in dem gemeinsamen Antrag: Erstens muss der am 8. April geschlossene Waffenstillstand eingehalten werden. Diese Forderung richtet sich an beide Seiten. Zweitens muss die sudanesische Regierung ihren Verpflichtungen nachkommen und die Janjaweed-Milizen entwaffnen und sie aus der Region zurückziehen, damit die Flüchtlinge sicher und freiwillig in ihre Heimatorte zurückkehren können. Offensichtlich ist die Zusammenarbeit sehr eng. Deshalb muss die Regierung auch dafür sorgen, dass die Janjaweed-Milizen entwaffnet werden. Das ist bisher nicht geschehen. Drittens unterstützen wir die Afrikanische Union bei der Einrichtung einer Friedensmission zur Überwachung des Waffenstillstandes. Wir haben uns früh dafür eingesetzt, dass die Europäische Union die neu geschaffene Friedensfazilität für Afrika einsetzt, um einen von der Afrikanischen Union konzipierten Überwachungsmechanismus zu fördern und zu stützen. Bedauerlicherweise sind immer noch keine Monitore vor Ort. Eine Kommission soll morgen und übermorgen in Addis Abeba zusammentreten. Ich kann Ihnen versichern: Deutschland ist bereit, die Einsetzung einer solchen Friedensmission der Afrikanischen Union zu unterstützen. ({4}) Abschließend will ich sagen, dass es sehr viele Bemühungen gegeben hat. Man kann sicherlich davon sprechen, dass wir in gewisser Weise treibende Kraft sind. Entscheidend ist, ob es gelingt, die Menschen zu versorgen. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist. Wir können noch handeln und tun das auch. Allerdings sage ich auch sehr deutlich: Wenn es nicht gelingt, einen freien Zugang für die Hilfsorganisationen zu erreichen, wenn die sudanesische Regierung ihre Zusagen nicht einhält und wenn in zwei bis drei Wochen eine Hungerkatastrophe droht, dann muss die internationale Gemeinschaft, wie es Kofi Annan bereits am 7. April in seiner Rede anlässlich des Gedenkens an den Völkermord in Ruanda gesagt hat, weitere Schritte ergreifen, um diese drohende Katastrophe zu verhindern. Wir alle hoffen, dass wir diese Katastrophe verhindern können. Wenn sie aber droht, müssen wir handeln. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Egon Jüttner von der CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Egon Jüttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sudan ist einer der ärmsten und der am höchsten verschuldeten Staaten der Welt. Circa 90 Prozent der Bevölkerung leben an oder unterhalb der Armutsgrenze. Das Land leidet unter dem längsten Bürgerkrieg auf dem Kontinent. Bislang hat dieser Krieg mehr als 2 Millionen Menschen das Leben gekostet. Die Zahl der Getöteten und Vertriebenen ist die höchste seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit rund 5 Millionen ist der Sudan das Land mit der weltweit höchsten Zahl an Binnenvertriebenen. Trotz zahlreicher Versprechungen der sudanesischen Regierung hat sich die Menschenrechtssituation im westlichen Sudan, nämlich in der Provinz Darfur, drastisch verschlechtert. Schon seit Monaten bekämpfen dort arabische Milizen, bekannt als Janjaweed, die schwarzafrikanische Bevölkerung, die sie foltern und töten und deren Häuser sie niederbrennen, offenbar mit Duldung und Unterstützung der sudanesischen Regierung. Übergriffe auf Flüchtlinge, Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen, Entführungen von Kindern und Plünderungen sind ebenfalls an der Tagesordnung. Augenzeugen berichten, dass sogar ganze Dörfer niedergebrannt und Nahrungsmittel vernichtet werden sowie Vieh erbeutet und abgeschlachtet wird. Allein in Norddarfur sind in den vergangenen Wochen über 300 Dörfer niedergebrannt worden. Diese Vorgehensweise zeigt, dass es sich hier nicht um spontane, sondern um geplante und systematische Zerstörungen und um ethnische Vertreibung und ethnische Säuberung handelt. UN-Menschenrechtskommissar Ramcharan spricht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bezichtigt die sudanesische Regierung der „aktiven Mittäterschaft“. Die schwedische Außenministerin warnte beispielsweise vor der Gefahr eines Völkermordes in Darfur. Allein seit Februar sollen etwa 30 000 Menschen ums Leben gekommen sein. Experten rechnen mit bis zu 350 000 Toten in den kommenden Monaten. Die meisten der Flüchtlinge sterben an Hunger und Krankheit, wie unabhängige Experten der International Crisis Group in einem am Montag veröffentlichten Bericht mitteilten. Wenn nicht bald Entscheidendes geschieht, wird es hier eine menschliche Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes geben. Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es aufgrund der andauernden Kämpfe in der Region Darfur bereits rund 1 Million Flüchtlinge. Mehr als 100 000 Menschen seien über die Grenze in den Tschad geflohen. Hilfsorganisationen korrigierten in den vergangenen Tagen die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge sogar nach oben. Nach jüngsten Schätzungen sind demnach insgesamt 1,2 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 1 Million als Binnenflüchtlinge in Darfur und etwa 200 000 im Tschad. Nach Angaben des Welternährungsprogramms sind in der Region Darfur mittlerweile 2 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Während die sudanesische Regierung leugnet, dass es sich bei dem Konflikt um eine systematische ethnische Säuberung handelt, und stattdessen auf traditionelle Stammesauseinandersetzungen verweist, sprechen der Koordinator der Vereinten Nationen für den Sudan, Mukesh Kapila, und die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch offen von ethnischen Säuberungen. Die Welternährungsorganisation, andere humanitäre Organisationen und UNO-Delegierte warnen deshalb seit Monaten vor der größten humanitären Katastrophe seit dem Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren. Entgegen offiziellen Verlautbarungen erschwert die Regierung in Khartoum den Zugang zur Region Darfur durch bürokratische Hindernisse und Schikanen bei der Erteilung von Sichtvermerken und Reisegenehmigungen. So lagern beispielsweise circa 400 Tonnen Nahrungsmittel der Welthungerhilfe in Khartoum, die noch vor kurzem nicht in die Krisenregion gebracht werden konnten, weil mit fadenscheinigen Argumenten wie „Räuber machen den Transport unsicher“ die Reisegenehmigung hierfür nicht erteilt wurde. Zu befürchten ist, dass nach Beginn der Regenzeit, das heißt von Ende Juni bis Anfang Oktober, solche Transporte gar nicht mehr möglich sind und der Großteil der Bevölkerung nicht mehr mit Hilfsmaßnahmen erreicht werden kann. Auch die jüngsten Ankündigungen der sudanesischen Regierung, den Vertretern von Hilfsorganisationen bei den diplomatischen Vertretungen des Sudan binnen 48 Stunden Einreisevisa für drei Monate auszustellen und auf die bisher erforderliche Reiseerlaubnis zu verzichten, wurden bisher nicht umgesetzt. Trotz dieser schwersten Menschenrechtsverletzungen im Sudan wurde auf der 60. Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission die ursprünglich beantragte Resolution zur Verurteilung des Sudan abgelehnt. Erst nach massivem öffentlichen Druck entschloss sich die Kommission dazu, lediglich eine abgeschwächte Resolution zu verabschieden. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang der Entschluss der afrikanischen Regionalgruppe, den Sudan wieder als Mitglied der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen zu benennen. ({0}) Anstatt Menschenrechtsverletzungen klar beim Namen zu nennen und die betroffenen Staaten auf Einhaltung der von ihnen selbst unterzeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen zu verpflichten, wird hier von afrikanischer Seite falsch verstandene Solidarität geübt. ({1}) Nicht nur Simbabwe, sondern auch der Sudan ist jetzt zur Nadelprobe für Afrikas Bekenntnis zur Einhaltung der Menschenrechte, zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geworden. ({2}) Wenn die Grundsätze und Prinzipien der NEPAD in einigen afrikanischen Ländern weiterhin mit Füßen getreten werden, dann stellt sich die Frage, wie die weitere Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika gestaltet werden soll. Länder wie Südafrika dürfen zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Sudan oder in Simbabwe nicht einfach schweigen. Die Afrikanische Union steht hier in der Verantwortung und die afrikanischen Staaten selbst sind gefordert, ihre Stimme zu erheben und auch zu handeln. Die zivilisierte Welt kann die fortdauernden massiven Menschenrechtsverletzungen im Sudan nicht länger hinnehmen. Es darf hier kein weiteres Ruanda geben. Die Völkergemeinschaft darf nicht ein zweites Mal versagen. Jetzt ist die internationale Gemeinschaft gefordert, die sudanesische Regierung unmissverständlich aufzufordern, die Gewalt in Darfur zu beenden. Die deutsche Bundesregierung ist aufgefordert, sich mit ihrem ganzen politischen Gewicht bei der internationalen Gemeinschaft für ein geschlossenes Handeln einzusetzen. Sie muss im Weltsicherheitsrat und gegenüber der Organisation Afrikanischer Staaten Druck machen. Nur durch eine gemeinsame und eindeutige Verurteilung kann der Druck auf die sudanesische Regierung erhöht werden, die genozidähnlichen Massenvertreibungen und Massentötungen in Darfur zu beenden. Der Regierung in Khartoum muss klar gemacht werden, dass die für den Fall eines Friedensschlusses mit dem Südsudan in Aussicht gestellte Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit nur dann erfolgt, wenn das Morden in Darfur umgehend beendet wird. Meine Damen und Herren, wir unterstützen den interfraktionellen Antrag. Vom Sudan erwarten wir vor allem die sofortige Waffenruhe, die Einhaltung und Kontrolle des Waffenstillstands vom 8. April, die Entwaffnung aller Milizen und die Zulassung einer Friedensmission der Vereinten Nationen, die Annahme des Angebots und die Unterstützung der Afrikanischen Union, die Kontrolle des Waffenstillstandsabkommens vom 8. April zu übernehmen und so genannte Schutzeinheiten aufzustellen, Vorkehrungen zu treffen, dass alle Flüchtlinge sicher in ihre Dörfer in Darfur zurückkehren können, die Beendigung aller Einschränkungen und Behinderungen sowie den freien unbürokratischen Zugang der Hilfsorganisationen nach Darfur, die Einstellung aller Angriffe gegen Zivilisten und effektiven Schutz der Zivilbevölkerung, die Zulassung der Leistung humanitärer Hilfe durch die internationale Gemeinschaft noch vor Beginn der Regenzeit, die Untersuchung aller Menschenrechtsverletzungen durch eine unabhängige internationale Untersuchungskommission und die Zulassung eines Beobachterteams der Vereinten Nationen zur Einhaltung der Menschenrechte in Darfur. Ich appelliere an die Bundesregierung und an die internationale Gemeinschaft, ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen im westlichen Sudan nachzukommen und alles daran zu setzen, dass es in Darfur nicht zu einem zweiten Ruanda kommt. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der UNO-Koordinator für die humanitäre Hilfe im Sudan, Kapila, sagt zur Situation im westlichen Sudan: Das ist mehr als ein Konflikt, das ist der organisierte Versuch, eine Volksgruppe auszulöschen. James Morris, mit dem ich mehrfach gesprochen habe - er ist der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms -, war mit einer UN-Delegation in der Region. Er hat viele Erfahrungen in dieser Frage gesammelt und hat in einem Gespräch mit mir die Situation in Darfur als gegenwärtig schlimmste humanitäre Krise weltweit bezeichnet. Ich habe letzte Woche Vertreterinnen und Vertreter von „Ärzte ohne Grenzen“ getroffen, die aus Darfur kamen. Sie haben mir von bedrückenden Erfahrungen und von Verbrechen berichtet, die sie, wie sie selbst sagten, bisher nur aus Ruanda kannten. In Darfur - die Kollegen und Kolleginnen, die vor mir geredet haben, haben es bereits angesprochen - hat sich der Konflikt zwischen der Regierung in Khartoum und den afrikanischen Darfuris zu einem Krieg der sudanesischen Regierung gegen die Menschen in der ganzen Region entwickelt. Die arabischstämmigen Milizen - die Janjaweed sind erwähnt worden - überfallen Dörfer und setzen sie in Brand, sie ermorden Menschen, vergewaltigen Frauen vor den Augen ihrer Männer und Väter und treiben Menschen in die Flucht. Die Zahlen sind bereits genannt worden, aber man muss sich vorstellen, was das an menschlichem Leid bedeutet. Es schmerzt mich, dass das öffentliche Aufbegehren immer erst dann stattfindet, wenn die Bilder zu sehen sind. Wir haben aber schon vor dem Erscheinen der Bilder immer wieder gesagt, dass 1 Million Menschen auf der Flucht sind und sich etwa 130 000 Menschen in den Tschad geflüchtet haben. Im Westsudan kann 1 Million Menschen nicht mehr für sich selbst sorgen. Sie sind dem Hunger, der sengenden Hitze, den Krankheiten und möglicherweise der Regenzeit, die Ende Mai beginnt, ausgesetzt. Die heutige Diskussion - ich bin froh, dass sie in diesem Hause so einvernehmlich erfolgt - soll das Signal setzen: Wir wollen und werden den Menschen helfen, wir werden dazu beitragen, dass sie gerettet werden. Wir werden alles dafür tun, dass sie gerettet werden. ({0}) Es ist bereits gesagt worden, dass die Gefahr besteht, dass etwa 350 000 Menschen während der Regenzeit nicht mehr erreicht werden können. Es ist jetzt schon schwierig, sie in manchen Regionen mit Transportmitteln zu erreichen. Ich habe mir die Landkarte des Welternährungsprogramms daraufhin angesehen: Es gibt Regionen, die dann einfach nicht mehr zugänglich sind. Es geht also darum, schnell zu handeln. Es ist gut, dass sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages heute auf einen Antrag geeinigt haben und mit dem Beschluss über diesen Antrag deutlich machen: Der Deutsche Bundestag sendet an die sudanesische Regierung das klare und unmissverständliche Signal: Lassen Sie die Helferinnen und Helfer ins Land! Tragen Sie dazu bei, dass der Waffenstillstand endlich eingehalten wird! Tragen Sie dazu bei, dass den Vertreibungen und dem Gräuel ein Ende gemacht wird! Tragen Sie dazu bei, dass die Menschen in ihre Heimatregionen zurückkehren können! Das sagen wir als Bundestag insgesamt an die Adresse der sudanesischen Regierung. ({1}) Laut Amnesty International ist es nämlich keineswegs so, dass die sudanesische Regierung in der Region keine Kontrolle mehr hätte. Sie ist vielmehr offensichtlich aktiv an Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Das zeigt wieder, dass es die Schwächsten trifft, nämlich Frauen und Kinder. Die Regierung in Khartoum muss sich vorwerfen lassen, dass sie ethnisch motivierte Vertreibungsaktionen, Massenmorde und Massenvergewaltigungen billigt und auch fördert. Zwei Drittel aller Kinder über fünf Jahren in dieser Region, die sterben, waren Opfer von Gewalt. Das darf niemanden gleichgültig lassen. Wir können dazu beitragen, dass sie gerettet werden. Das sollten wir immer wieder deutlich machen, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Da wir wissen, dass als erstes die Kinder und danach ihre Eltern sterben werden, lautet der Appell an alle Beteiligten, auch an die internationale Gemeinschaft, alles zu tun, damit wir handeln können und damit dort entsprechend Druck ausgeübt wird. Gestern Abend - die Kollegin Müller hat es angesprochen - hat der UN-Sicherheitsrat in einer entsprechenden Erklärung des Präsidenten die sexuelle Gewalt und die Vertreibung in der Bürgerkriegsregion scharf verurteilt. Der Sicherheitsrat fordert auch dazu auf, die für die Menschenrechtsverletzungen und die Vertreibungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es darf niemand unbelangt bleiben, der solche Verbrechen begeht oder toleriert. ({2}) Diese Erklärung ist auf massiven Druck und massive Einflussnahme der deutschen Bundesregierung zustande gekommen. Man muss an dieser Stelle nicht erzählen, welche Widerstände es zu überwinden galt. Wir als Bundesregierung begrüßen diese Erklärung aber ausdrücklich und insbesondere, dass sie die ethnischen Vertreibungen unmissverständlich verurteilt. Wir sagen - wir tun das auch mit diesem Antrag, den wir hier beschließen -: Der UN-Sicherheitsrat muss den Druck aufrechterhalten. Der internationale Druck muss weiter erhöht werden. Dabei ist auch ein umfassendes UN-Waffenembargo notwendig, wie es heute bereits in der Europäischen Union besteht. Angesichts dessen ist ein Waffenembargo auch innerhalb der Vereinten Nationen doch das Mindeste. ({3}) Das würde deutlich machen, dass die internationale Gemeinschaft den Druck wirklich ernst nimmt. Es ist hier gesagt worden, dass die sudanesische Regierung angekündigt hat, Hilfsorganisationen nicht weiter an der Arbeit zu hindern, sondern die Helfer und Helferinnen ins Land zu lassen. Die Regierung des Sudan hat sich aber bisher als eine Meisterin der unerfüllten Ankündigungen erwiesen. Deshalb steht der Test wirklich erst bevor. Ganz bewusst will ich sagen, dass wir als Bundesregierung die Regierung in Khartoum in die Pflicht nehmen und auch dort, wo es nötig ist, unter Druck setzen. Es besteht hier die Verpflichtung, Menschenleben zu retten. Das verpflichtet uns, den entsprechenden Druck auszuüben. Am 7. April 2004 - Vorredner haben es gesagt -, dem zehnten Jahrestag des Beginns des Genozids in Ruanda, hat die Völkergemeinschaft erklärt, dass sie nie wieder wegschauen wird, wenn Hunderttausende von Menschen in den Tod getrieben werden. John Prendergast von der International Crisis Group hat Anfang Mai dieses Jahres vor dem Ausschuss für internationale Beziehungen des US-Repräsentantenhauses gewarnt: „Sudan is Rwanda in slow motion.“ Tragen wir alles dazu bei, dass sich diese Warnung niemals bewahrheitet. Wir sind in der Verantwortung und auch andere, die sich bisher noch nicht in ausreichendem Maße beteiligt haben, stehen in der Verantwortung, alles zu tun, damit die Menschenleben im Westsudan gerettet werden. Alle zu beteiligen, das ist die wichtigste Forderung. ({4}) Ethnische Vertreibungen dürfen, wo auch immer sie geschehen, nie mehr hingenommen werden; das haben wir für Europa gesagt. Sie dürfen auch in Afrika nicht hingenommen werden. Ebenso darf die Taktik der verbrannten Erde nicht aufgehen. Unser Ziel ist es, den aus dem Sudan Vertriebenen die Wiederkehr in ihr Land zu ermöglichen; darum geht es. Wir werden alles tun, damit die internationalen Hilfsorganisationen ungehindert und ohne Verzögerung in die Region Darfur kommen können, dass die Flüchtlinge zurückkehren können, dass die regierungsnahen Janjaweed-Milizen entwaffnet werden und dass das Waffenstillstandsabkommen eingehalten und international überwacht wird. Wir setzen uns als Bundesregierung ebenfalls dafür ein - das haben wir auch auf europäischer Ebene durchgesetzt -, dass die Mittel, die die EU für die so genannte Afrikanische Friedensfazilität bereitstellt, so schnell wie möglich für den Einsatz afrikanischer Friedenstruppen zur Verfügung gestellt werden. Denn die Afrikanische Union hat ihre eigene Verantwortung immer wieder selbst betont. Es ist wichtig, dass es diese afrikanischen Friedenstruppen gibt und dass die Europäische Union ihre Finanzierung unmittelbar sicherstellt. Dazu hat sie sich auch verpflichtet. Die Bundesregierung hat bisher 5 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Den Umfang dieser Hilfe werden wir - auch das sage ich an dieser Stelle - ausweiten bzw. ausweiten müssen. Durch unsere Unterstützung des Welternährungsprogramms und der Welthungerhilfe tragen wir dazu bei, dass Nahrungsmittelhilfe zu den Flüchtlingen gebracht wird; zum Teil ist sie zwar im Land, aber der Zugang zu den Flüchtlingen wird erschwert. Genauso wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen Zugang zu sauberem Wasser bekommen; denn viele Kinder sterben, weil sie verschmutztes Wasser trinken. Wenn jetzt Möglichkeiten des Zugangs und der Hilfe bestehen, dann ist das eine der wichtigsten Voraussetzungen, um sicherzustellen, dass nicht weiterhin Kinder an verdorbenem Wasser sterben. An dieser Stelle möchte ich den Ärzten ohne Grenzen danken, die mit ihren Helfern und Helferinnen den Menschen dieser Region in dieser schwierigen Situation beistehen. Wir tragen dazu bei, dass ihre wertvolle Arbeit unterstützt wird und ihnen in großem Umfang Zugang in das Land ermöglicht wird, wenn sie ihren Einsatz dort weiterhin ausüben wollen. ({5}) Über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, tragen wir in den Flüchtlingslagern in Tschad dazu bei, den Menschen in ihrem Elend zu helfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen um die Gefahr, dass die dramatische Situation in Darfur den Friedensprozess zwischen dem Norden und dem Süden des Landes gefährdet. Wir sagen aber auch: Ohne eine Lösung der Darfurkrise wird es im Sudan keinen dauerhaften Frieden geben können. Darum unterstützen wir die gesamtsudanesischen Friedensverhandlungen zwischen dem Nord- und Südsudan und drängen alle Konfliktparteien zu einem schnellstmöglichen Abschluss der Verhandlungen. Dort wird vonseiten der Regierung schon seit Wochen nur filibustert. Im Schatten dessen wird ein Teil der Konflikte in Darfur ausgetragen. Es ist immer noch unklar, ob es heute - wie mehrfach angekündigt war - zu einem Ergebnis kommt. Wir wollen dazu beitragen, dass der Friedensprozess im Sudan auch die bisher marginalisierten Regionen umfasst. Ein Sudan, der seinen Nord-Süd-Konflikt durch Vereinbarungen friedlich löst und die marginalisierten Regionen und Bevölkerungsgruppen einbezieht, kann mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft rechnen. Eine Regierung aber, die ethnische Vertreibungen fördert, wird diese Unterstützung niemals erhalten. ({6}) Das deutsche Parlament wird heute und soll heute ein unmissverständliches Zeichen gegen ethnische Vertreibung und für die Solidarität mit den Menschen im Sudan setzen. Ich bedanke mich für Ihr Engagement. Lassen Sie es uns gemeinsam voranbringen und lassen Sie uns dazu beitragen, dass die Menschenleben im Sudan gerettet werden können. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Heinrich von der FDP-Fraktion.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Tagtäglich neue Meldungen über Opfer, über Überfälle, über Gewalt, über Vergewaltigung, über Flüchtlingsströme, die nicht mehr zu versorgen sind, drohende Hungerkatastrophe - das ist das Bild, dass wir derzeit vom westlichen Teil des Sudans bekommen. Zum Glück findet der Sudan in diesen Tagen - in Deutschland zumindest - eine Aufmerksamkeit seitens der Medien, die ich sehr begrüße: Es wird nicht weggeschaut, sondern die Medien berichten sehr aufmerksam; das möchte ich hier ausdrücklich herausstellen. ({0}) Auch wir im Deutschen Bundestag führen Debatten. Ich habe schon am 6. Mai, als wir über Afrikapolitik diskutiert haben, einen Antrag der FDP mit eingebracht und darum gebeten, dass wir einen gemeinsamen Antrag erarbeiten sollten. Um ein Haar wäre das nicht geschehen. Alles war recht kurzfristig und wir hatten eigentlich kaum Möglichkeiten, intensiv mitzuarbeiten. Ich möchte damit die Qualität des Antrages nicht schmälern, aber ich möchte sagen, dass 20 Tage, die seit dem 6. Mai vergangen sind, eigentlich genug Zeit gewesen wären, uns zusammensetzen und gemeinsam einen Antrag zu formulieren. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie ist die Situation im Sudan insgesamt? Das eine, Frau Wieczorek-Zeul, hängt natürlich auch mit dem anderen zusammen, es ist untrennbar damit verbunden. Seit 1983, seit über 20 Jahren, schwelt der Nord-Süd-Konflikt zwischen arabisch-islamisch geprägten Stämmen im Norden und dem schwarzafrikanisch-christlichen Süden. Dieser lange Konflikt hat über 2 Millionen Tote gefordert und 4 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht. Der Kampf um Wasser, um Ressourcen, um Öl, um Land ist in diesem Staat über zwanzig Jahre lang unerbittlich geführt worden. Am heutigen Tag scheint die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens möglich, das Voraussetzung für ein darauf folgendes Friedensabkommen sein kann; das wäre sehr zu begrüßen. Ich hoffe, dass sie so weit kommen. Die bisherigen Berichte sind noch immer gespaltener Meinung. Nach einer Übergangszeit von sechs Jahren soll nach diesem Rahmenabkommen ein Referendum über einen eigenen Südstaat erfolgen. Wir halten es für eine kluge Entscheidung, nicht jetzt sofort die Dinge endgültig regeln zu wollen, sondern dem Sudan eine Übergangszeit einzuräumen. Beobachter gehen davon aus, dass erst nach einer umfassenden Friedensabkommensregelung wirklich Besserung für die betroffenen Menschen in der Region eintreten kann. Parallel zu dieser Lösung des Nord-SüdKonfliktes stehen wir heute hier und diskutieren über die unhaltbaren Zustände in der Region Darfur. Wie im Nord-Süd-Konflikt deutlich geworden ist, möchten die Menschen auch in der Region Darfur an den Ressourcen des Landes teilhaben. Deshalb gibt es dort eine Rebellenbewegung, die sich nicht vertreiben lassen will, die nicht mit dem einverstanden ist, was von Khartoum aus erfolgt. Während bei der Regelung des Konfliktes zwischen dem Norden und dem Süden ein Fortschritt zu erkennen ist, ist die Darfurregion noch immer in Bewegung. Der Beginn war vor etwa anderthalb bis zwei Jahren, als die schwarzafrikanischen Bevölkerungsteile den Kampf mit den arabischen Milizen aufgenommen haben. Seit Februar 2003 sind etwa 30 000 Menschen ums Leben gekommen, etwa 1,2 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Gewalt, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen sind - das unterstreiche ich noch einmal - an der Tagesordnung. Eine humanitäre Katastrophe droht; das ist bereits sehr deutlich zum Ausdruck gekommen. Doch die Regierung in Khartoum schaut zu. Und nicht nur das: Sie unterstützt die arabischen Milizen sogar mehr oder weniger offen, zum Beispiel indem sie ihre Luftwaffe einsetzt, und behindert diejenigen, die in der Region humanitäre Hilfe leisten wollen, obwohl sie immer das Gegenteil behauptet. Die Regierung in Khartoum ist für mich nicht glaubwürdig, auch wenn die neuesten Entwicklungen andeuten, dass sie Erleichterungen zulässt, zum Beispiel bei der Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen. Diese Entwicklungen werden wir aber noch weiter verfolgen. Sie reichen für mich nämlich noch nicht aus, um dem Regime Vertrauen entgegen bringen zu können. ({2}) Die sudanesische Regierung spielt ein doppeltes Spiel: Friedensverhandlungen auf der einen und härtestes und erbarmungsloses Vorgehen gegenüber den Rebellen in Darfur auf der anderen Seite. Wir diskutieren heute natürlich auch über die Maßnahmen, die so dringend notwendig sind. In diesem Zusammenhang wurde bereits die Rolle der Afrikanischen Union angesprochen. Die Afrikanische Union hat es erst in diesen Tagen geschafft, sich einen eigenen Sicherheitsrat zu geben und hat erst in diesen Tagen über die Entsendung von Friedensmissionen in Konfliktgebiete diskutiert und hinsichtlich militärischer Intervention bei Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Veranlassung ausgesprochen. Wenn die AU ihre Verantwortung überhaupt wahrnimmt - ich habe meine Zweifel; die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie nicht besonders aktiv war -, so wird dies sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich glaube deshalb nicht, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten vonseiten der AU eine Strategie der aktiven Konfliktlösung erwarten können, obwohl ich mir das wünschen würde. Ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber realistischerweise müssen wir davon ausgehen, dass die AU dazu nicht in der Lage ist. Ich weiß auch nicht, ob sie schon in der Lage dazu ist, die Waffenstillstandsabkommen zu kontrollieren. Dazu hatte sie sich bereit erklärt. Wir werden sehen, inwieweit sie ihre Rolle übernehmen kann. Für die sofortige humanitäre Hilfe, für die Versorgung der Flüchtlinge in den Lagern im Tschad, für die Versorgung der Bevölkerung im Westen des Sudans mit Lebensmitteln, Medikamenten und allem, was sie braucht, und für die Vorbereitung einer gefahrlosen Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Dörfer wird deshalb die internationale Gemeinschaft gebraucht. In diesem Zusammenhang möchte ich einen besonderen Dank an die Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe, Brot für die Welt oder Ärzte ohne Grenzen und an all die anderen aussprechen, die vor Ort sind und versuchen, die dringend notwendige Arbeit zu erledigen. Obwohl sie daran gehindert werden, lassen sie in ihrem Bemühen nicht nach. Ihnen gebührt unser besonderer Dank. ({3}) Unser gemeinsamer Antrag enthält die Forderung, den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten und sogar noch weiter zu erhöhen. Darin sind wir völlig einer Meinung. Trotzdem müssen wir uns heute auch Gedanken darüber machen, was zu tun ist, wenn das zu nichts führt. Wenn die Menschenrechtsverletzungen nicht gestoppt werden und die Versorgung der Flüchtlinge nicht gewährleistet werden kann, dann muss aktiv eingegriffen werden. Wir dürfen uns von Khartoum nicht an der Nase herumführen lassen. Herr Präsident, ich sehe das Zeichen. Lassen Sie mich bitte noch ein paar Sätze sagen. - Dass sich der UN-Sicherheitsrat heute zu einer sofortigen Entsendung internationaler Beobachter in den Westen Sudans ausgesprochen hat, ist gut, es reicht aber nicht aus. Unsere Erfahrungen aus dem Kongo zeigen, dass wir, wenn wir in solchen Situationen erfolgreich sein wollen, auch ein robustes Mandat benötigen. Vergewaltigungen und das Abbrennen von Dörfern verhindern Sie nicht mit Beobachtermissionen. Hier müssen Sie aktiv hineingehen. Deshalb lautet unsere Forderung letztendlich: Wenn wir hier nicht weiterkommen, dann müssen wir UN-Truppen mit einem robusten Mandat dorthin schicken. Überlegungen darüber stellen wir schon heute an. Ich unterstreiche es noch einmal: Wir dürfen es nicht zulassen, dass hier weiterhin gemordet, geplündert und Menschen gequält werden. Das kann und darf nicht zugelassen werden. Deshalb muss hier im entscheidenden Augenblick mit einem robusten Mandat hineingegangen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hans Büttner von der SPDFraktion.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, jeden von uns berührt es, wenn wir feststellen, dass in bestimmten Gebieten dieser Welt Menschen gefoltert, ermordet und getötet werden. Überall auf dieser Welt - auch das gehört zur Realität -, wo es Krieg gibt, gibt es auch massive Menschenrechtsverletzungen, Mord, Totschlag, Folterungen und Vergewaltigungen. Das entschuldigt diese Tatsache nicht; es ist nur eine ganz realistische Feststellung. Kollege Jüttner und Kollege Heinrich haben darauf hingewiesen: In diesem Land Sudan, das etwa die achtfache Größe von Deutschland hat, gibt es seit 1956 Krieg - unterbrochen nur durch elf Jahre zwischen 1972 und 1983. In diesem Land herrscht seit dieser Zeit ein Bürgerkrieg mit all seinen schrecklichen Folgen. Wenn wir jetzt darüber reden, wie wir handeln wollen und dazu beitragen können, einen solchen Bürgerkrieg zu beenden, dann täten wir bei aller Emotionalität, die auch ich habe, gut daran, ganz realistisch mit unseren Forderungen und Möglichkeiten umgehen. ({0}) - Kollegin Nickels, ich sage Ihnen: Im Irak stehen 150 000 Soldaten und ich sehe nicht, dass dort inzwischen Frieden ist und dass es dort keinen Mord, keinen Totschlag, keine Erschießungen, keine Vergewaltigungen usw. mehr gibt. Ich sage das deswegen, weil ich glaube, dass es nicht genügt, sich einfach nur aufzuregen. Man muss ganz realistisch und ehrlich sagen, was wir wo und wie was tun können. Ich will darauf noch eingehen und auch noch einmal hinweisen. Hier wird ein Vergleich mit Ruanda hergestellt. Das, was derzeit in Darfur geschieht, ist ebenso schrecklich wie die Massenmorde in Ruanda. Es gibt aber einen ganz entscheidenden Unterschied: 1992, als es in Ruanda noch keine Kriegsverbrechen gab, hat die SPD hier in diesem Bundestag den Antrag gestellt, die damals bereitstehenden Truppen der Afrikanischen Union zu finanzieren und in dieses Land zu schicken, um solche Verbrechen zu verhindern. Es ging um einen Beitrag von 20 Millionen DM. ({1}) - Natürlich gab es die OAU. - Es gab dort damals die Bereitschaft verschiedener Länder - Kollege Schuster und Kollege Tappe waren kurz vorher dort unten und haben diese Information mitgebracht -, bewaffnete Einheiten mit insgesamt 5 000 Mann bereitzustellen. Das wurde damals abgelehnt. Heute besteht der Unterschied zu damals darin, dass diese Bundesregierung es durchgesetzt hat, dass nicht nur sie, sondern auch die Europäische Union sofort die erforderlichen Mittel bereitstellt, sobald die AU ihre Truppen, die sie in petto hat, dorthin entsenden kann. Dass dies im Moment nicht möglich ist - vor diesem Hintergrund widersprechen wir uns mit unserem Antrag ein bisschen -, hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass die sudanesische Regierung allein, auch wenn sie es wollte, nicht für Frieden im Darfur sorgen kann. Dass die Regierung des Sudan jede Gelegenheit wahrnimmt, den Bürgerkrieg für sich zu nutzen, ist ebenso wahr; das tun allerdings auch die Rebellen, die einen Aufstand im Süden des Sudan angefangen haben; in einem Bürgerkrieg gibt es nicht nur Gute und Böse, auch das gehört mit dazu. ({2}) Die Regierung in Khartoum ist allein nicht in der Lage, Sicherheit zu schaffen, um Hilfslieferungen in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Das ist ein Faktum. Deswegen müssen wir die Regierung drängen, endlich eine robuste Friedensmacht der AU zuzulassen. Diese Forderung muss an die Regierung gestellt werden, damit sich die afrikanischen Einheiten, die in Südafrika, Namibia und anderen Staaten bereit stehen, schnellstens auf den Weg dorthin machen können. Was sie brauchen, Hans Büttner ({3}) ist die logistische Unterstützung für den Transport, um in den nächsten Tagen so schnell wie möglich dorthin zu gelangen. Nur dann ist sichergestellt, dass dieser Bürgerkrieg eingedämmt werden kann, damit die Menschen vernünftig versorgt werden und langfristig friedlich leben können. Diese Schritte muss man gehen. Ich finde deshalb, dass dieser Antrag im Prinzip völlig richtig ist. Allerdings sage ich ganz klar: Wenn man eine breiter angelegte Ursachenforschung betriebe, würde dies eher eine dauerhafte Lösung ermöglichen. Hinsichtlich der konkreten Maßnahmen bitte ich darum, dass wir etwas ehrlicher zu uns selbst sind. Es ist völlig richtig - das möchte ich unterstreichen -, dass nicht nur für den Sudan, sondern auch für die anderen beteiligten Länder ein Waffenembargo gelten soll. Aber wie lange reden wir schon darüber, um dann festzustellen, dass trotzdem Waffen in diesen Kontinent geliefert werden, egal ob wir ein Embargo fordern oder nicht? Die Staaten, die in der Lage wären, die Einhaltung dieses Embargos zu kontrollieren, sind bis heute nicht bereit, ihre technischen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um zu überwachen, ob Flugzeuge in den entsprechenden Gebieten landen. Das ist der entscheidende Punkt. All das wissen wir und darüber reden wir auch in den Ausschüssen und anderswo ständig. Ich bitte die Bundesregierung, ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen, damit die Einhaltung eines solchen Embargos durch die Technik der USA und anderer Staaten, etwa in Form von Satelliten, unterstützt wird. Das ist die entscheidende Frage. Ob wir nun eine Resolution dazu fassen oder nicht, ist eher zweitrangig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Büttner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Büttner, vor dem Hintergrund Ihrer Darstellung der Möglichkeiten der Regierung in Khartoum frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass die Milizen im West-Sudan nachweislich von der Regierung finanziert und massiv unterstützt werden?

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Fischer, das ist mir bekannt. Ich wollte die Regierung nicht in Schutz nehmen. Mir ist auch bekannt, dass dieser Bürgerkrieg im Sudan in Darfur ausgebrochen ist, nachdem der Friedensprozess zwischen Nord und Süd in Gang gekommen ist. Dort kam es zu den ersten Aufständen, weil es sich herumgesprochen hatte, dass man die Marginalisierung am besten überwinden kann, wenn man zur Waffe greift. Dieses Faktum wird in der ganzen Region sichtbar. Meine Bitte ist deshalb: Wenn ich Lösungen herbeiführen will, dann kann ich mich nicht nur auf eine Konfliktpartei konzentrieren, sondern ich muss auch die anderen auffordern, an der Lösung mitzuwirken. Diese Erfahrung haben wir nicht nur in Afrika, sondern weltweit gemacht. Hinsichtlich der Hilfslieferungen habe ich eine Frage, die mir gestern spontan in den Sinn gekommen ist, als ich Berichte über die Lage im Tschad hörte. Ich frage mich wirklich: Sind wir nicht in der Lage, auf die Schnelle Transportkapazitäten in Form von Flugzeugen oder Hubschraubern zur Verfügung zu stellen, um Dörfer, von denen wir wissen, dass sie aus bestimmten Gründen mit Lastwagen nicht erreichbar sind, zu versorgen? Auch diese Fragen sollten wir verstärkt angehen. Ein Letztes: Gestern war der Afrikatag der afrikanischen Botschafter hier in Berlin. Ich neige dazu, sehr genau zuzuhören. Wir erfahren viel Verständnis und sehr viel Unterstützung für unsere Forderungen, die Menschenrechte zu achten. Auf der anderen Seite bekommen wir aber auch, wie ich meine, einen berechtigten Hinweis, nämlich dass wir in Afrika sehr streng und hart vorgehen, uns aber bei Menschenrechtsverletzungen in Ländern, in denen wir größere wirtschaftliche Interessen haben - es werden China, Tschetschenien oder andere Länder genannt -, vornehm zurückhalten. ({0}) Was will ich damit sagen? Es ist manchmal wirkungsvoller, Menschenrechte nicht durch Resolutionen und große Erklärungen, zu denen wir selbst nur wenig beitragen können, durchsetzen zu wollen, sondern unsere Politik durch permanente Gespräche und Kontakte durchzusetzen und im Dialog unsere Überzeugungen zu vermitteln. ({1}) Ein letzter Satz noch zu Ihnen, Herr Kollege Heinrich. Sie haben Zweifel, ob die AU in der Lage ist, dort etwas zu tun. Ich sage Ihnen: Dort, wo sich die AU in den letzten Jahren stärker eingebracht hat - auch im Kongo -, war sie erfolgreicher als wir zum Teil in Jahrzehnten vorher. Woran es im Moment scheitert, ist die Bereitstellung der logistischen und technischen Mittel. Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, als zu spintisieren. Zu glauben, wir könnten in Regionen wie diese 100 000 oder mehr westliche Soldaten oder europäische Einheiten schicken, ist doch eine Illusion. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir in dieser Richtung helfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Büttner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Büttner, stimmen Sie mit mir überein, dass uns vonseiten der afrikanischen Staatengemeinschaft - ich gebe zu, oft nicht zu Unrecht - vorgeworfen wird, dass wir in der westlichen Staatengemeinschaft Menschenleben in unserem Lebenskreis sehr hoch schätzen und ein einziges Menschenleben sehr beklagen, aber sehr oft wegsehen, wenn Tausende in Afrika sterben? Speziell der sudanesischen Regierung werden von der internationalen Staatengemeinschaft und zahlreichen Hilfsorganisationen massenhaft Hilfsangebote gemacht. Die Hilfsorganisationen sitzen vor Darfur auf 1 000 Tonnen Lebensmitteln. Unser Menschenrechtsausschuss war gerade dort. Diese Regierung finassiert, taktiert, lügt und spielt die Fakten herunter. Wieso versuchen Sie jetzt, diese Regierung zu entschuldigen? Wieso schieben Sie uns, dem Westen, die Schuld zu und sagen, wir würden zu sehr die Menschenrechte einfordern? Wir wollen verhindern, dass mit Beginn der Regenzeit Hunderttausende afrikanischer Muslime sterben müssen, nur weil diese Regierung nicht bereit ist, das taktische Spiel aufzugeben und die Hilfe zuzulassen. ({0})

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollegin Nickels, ich habe Ihnen weder etwas vorgeworfen, noch habe ich die sudanesische Regierung in Schutz genommen. Ich habe nur gesagt: Wenn man Lösungen in Zeiten eines Bürgerkrieges, der in diesem Land seit mehr als 30 Jahren herrscht, herbeiführen will, dann erreicht man diese nicht dadurch, dass man sich nur auf eine Kriegspartei konzentriert und die andere außen vor lässt. Das ist der Punkt. Wenn ich einen Krieg beenden will, muss ich auf beide Parteien gleichermaßen einwirken, nicht nur auf eine. Das ist mein Hinweis aufgrund des gesunden Menschenverstandes und aus den Erfahrungen der Geschichte heraus gewesen. Zum Zweiten: Es geht in der Tat darum, möglichst schnell Hilfslieferungen dorthin kommen zu lassen. Aber dabei stellt sich die Frage: Wenn auf der einen Seite argumentiert wird, man könne keine Hilfslieferungen zulassen, weil dort die Sicherheitslage noch nicht gewährleistet ist - ({0}) - Hören Sie erst einmal zu! Ich sage das deshalb, weil gestern in dem Bericht über das Flüchtlingslager im Tschad von der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ argumentiert wurde, dass die 6 000 Flüchtlinge, die sich zehn Kilometer von der Grenze entfernt aufhalten, nicht versorgt werden können, weil sie sich innerhalb einer 60-Kilometer-Sicherheitszone befinden, die im Tschad liegt. Wenn selbst im Tschad die Sicherheitslage nicht gewährleistet ist, wie wollen Sie dann sicherstellen, dass dies im Darfur der Fall ist? Sie müssen erst einmal dafür sorgen, dass dort Organisationen tätig werden und die Menschen wieder sicher leben können. Deswegen brauchen wir so schnell wie möglich eine robuste Friedenstruppe, die dort dafür sorgt, dass die Sicherheit gewährleistet wird. Denn die sudanesische Regierung ist alleine dazu nicht in der Lage. Das gibt sie zwar nicht zu, aber sie muss dazu gezwungen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen. ({0})

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine letzte Bemerkung: Ich finde es gut, dass wir uns ernsthaft mit dieser Frage befassen. Ich fände es aber - auch angesichts der Größe und Struktur der Länder in dieser Region und der Möglichkeiten, etwas erreichen zu können - auch gut, wenn wir uns mit der gesamten Lage dort noch intensiver befassen würden. Ich meine, wir sollten uns nicht nur dann damit befassen, wenn wir Bilder von Toten sehen und Berichte über menschliche Schicksale und fehlende Nahrungsmittel lesen, sondern schon auch im Vorfeld. Aber leider stelle ich fest, dass sich im Bundestag so gut wie niemand mehr dafür interessiert, wenn eine solche Situation vorüber ist. Das sage ich namens der wenigen „Afrikaner“, die hier sind und für die sich sonst kaum jemand interessiert. Mit den Hintergründen und Zusammenhängen der Entwicklung setzt sich nämlich kaum jemand näher auseinander. Deswegen ist meine Bitte: Lasst uns diese aktuelle Diskussion zum Anlass nehmen, nicht nur schnell dafür zu sorgen, dass wir durch die Entsendung einer afrikanischen Friedensmacht die Versorgung der Menschen sicherstellen können, sondern auch dafür, dass durch eine weitere Unterstützung der Aktivitäten der Afrikanischen Union in der gesamten Region und in ganz Afrika solche Katastrophen in Zukunft nicht mehr möglich sein werden. Denn sonst wird es in Ländern dieser Größenordnung mit ähnlicher ethnischer Zusammensetzung noch häufig zu Bürgerkriegen kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Büttner, ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon um zweieinhalb Minuten überschritten.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zu meinem letzten Satz. Ohne die Voraussetzung einer staatlichen Präsenz ist die Wiederherstellung der Sicherheit in diesen Ländern nicht möglich. Herr Kollege Hedrich hat Recht mit dieser Feststellung. Sie gilt auch für Afrika. Danke.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmgard Karwatzki von der CDU/CSU-Fraktion.

Irmgard Karwatzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Herr Kollege Büttner, angesichts der Not und des Leids der Bevölkerung im Sudan und aufgrund unserer Reise und der Erfahrungen, die wir dort machen mussten, verstehe ich, gelinde gesagt, Ihr In-Schutz-Nehmen der sudanesischen Regierung nicht. ({0}) Ich bin empört und gleichzeitig schockiert, weil ich Sie eigentlich als einen Entwicklungspolitiker kannte, der sich sonst anders geäußert hat. Seit wenigen, doch zugleich viel zu vielen Wochen schockieren uns Meldungen über die unerträglichen und unhaltbaren Gräueltaten im West-Sudan. Immerhin ist der Sudan - wir hörten es bereits - mit 2,5 Millionen Quadratkilometern das flächenmäßig größte Land Afrikas. Wie konnte bloß in einer Welt, die nicht nur als globalisiert gilt, sondern auch durch Kommunikationsmittel international vernetzt ist, erneut ein solch brutaler Bürgerkrieg geschehen? Schließlich ist es - das ist wiederholt gesagt worden - gerade zehn Jahre her, dass die Welt fassungslos vor den Massengräbern von Ruanda stand. Manchmal scheint es heute wieder so, als würde weggeschaut. Allerdings haben Sie Recht damit, Herr Kollege Heinrich, dass gerade die öffentlich-rechtlichen Medien in letzter Zeit die Bevölkerung sehr gut und informativ aufgeklärt haben. Auch dafür möchte ich mich bedanken. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass weder wir, die Abgeordneten dieses Parlaments, noch die Regierung weggeschaut haben. Vielmehr haben wir es auf uns genommen, an den Ort des Schreckens zu gehen und hinzuschauen, und wir haben Hilfen ermöglicht. Es ist - ich formuliere vorsichtig - scheinbar so, dass im Auftrag der sudanesischen Regierung arabischstämmige Janjaweed-Milizen mit brutaler Gewalt gegen die Revolte schwarzafrikanischer Rebellenbewegungen vorgehen. Die Milizen sind für schwerste Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung verantwortlich zu machen. Dabei stellen Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, das Niederbrennen von Dörfern und Städten sowie Plünderungen, die von den sudanesischen Regierungstruppen überwacht werden, nur die gravierendsten Ausschreitungen dar, von denen wir gehört haben. Die Milizen ziehen eine Politik der verbrannten Erde dem direkten Kampf mit bewaffneten Gegnern vor. Mit diesen Methoden sollen seit August 2003 ethnische Gruppen aus weiten, seit langem von ihnen bewohnten Landstrichen - den fruchtbarsten zumal - vertrieben werden. Man kann dem FDP-Politiker und unserem früheren Kollegen Gerhart Baum nur beipflichten, wenn er die offenbar systematisch ausgeführten Massaker als Völkermord bezeichnet. Wie konnte so lange das Elend im größten Land des Schwarzen Kontinents ein weißer Fleck im allgemeinen Bewusstsein sein? - Nun haben wir schon gehört, dass es vielleicht nicht so „interessant“ ist wie manches andere. Zynisch ausgedrückt, bietet Darfur nicht einmal eine Variante jenes „Krieges der Kulturen“, welche den Süden des Sudans „medientauglich“ macht. Was gehen einen die Massaker und das Elend in Darfur an, wenn der Irak brennt? Die meisten Flüchtlinge befinden sich in einem schwer zugänglichen Gebiet entlang der 600 Kilometer langen Grenze zum Tschad. Das haben bereits sowohl Frau Ministerin Wieczorek-Zeul als auch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, dargelegt. Die meisten Flüchtlinge sind Kinder und Frauen. Es mangelt an Wasser, Nahrung und Schutzutensilien. Speziell die Kinder leiden unter den extremen Temperaturschwankungen - wir selbst haben das erfahren müssen -: Am Tage steigen die Temperaturen auf 40 bis 50 Grad Celsius an, um dann in der Nacht bis auf den Gefrierpunkt zu sinken. Der Gesundheits- und Ernährungszustand vieler Kinder ist äußerst bedrohlich, was ich hier nicht näher ausführen möchte. Es ist besonders den „Ärzten ohne Grenzen“ für ihre Hilfe zu danken, die sie dort unter Bedingungen leisten, die nach unserer Meinung das, was sie tun, einzigartig machen. ({1}) Man muss vielleicht auch noch anmerken: Anders als während der Hungersnöte in Äthiopien und Somalia begegnet man im Sudan nicht Menschen, die an wandelnde Skelette erinnern. Die Flüchtlingsfrauen aus Darfur sind farbenfroh gekleidet. Die Männer strahlen eine Würde aus, welche durch Hunger und Armut noch nicht - ich betone: noch nicht - gebrochen ist. Allerdings deuten die in den Nasenlöchern der Kinder herumkriechenden Fliegen sowie die mit Plastikfetzen behängten Dornbüsche, unter denen sich ganze Familienstämme versammeln, auf die Katastrophe hin. Viele Flüchtlinge leiden an Durchfall, doch Latrinen gibt es so gut wie keine. Zu der katastrophalen Regenzeit ist schon einiges gesagt worden. Wir haben an einem Tag erleben müssen, wie ein Wolkenbruch über uns herniederging. Wenn man in Deutschland sagt: „Es schüttet aus Kübeln“, dann kann ich im Hinblick auf den Wolkenbruch, den wir dort erlebt haben, nur sagen: Dort werden ganze LKWLadungen ausgeschüttet. Man kann es eigentlich gar nicht beschreiben! Umso mehr konnte ich nach diesem Wolkenbruch verstehen, dass die vielen Helfer während der Regenzeit nicht mehr in der Lage sein werden, die Menschen mit ihren Hilfslieferungen zu erreichen. Ich begrüße es sehr, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag beschließen. Ich finde, dass die Forderungen, die wir an unsere Regierung stellen, ausgewogen sind. Ich wünsche den Regierungsmitgliedern, die anwesend sind, und darüber hinaus natürlich auch den anderen, dass sie bei der Durchsetzung der Dinge, die wir hier heute beschließen, viel Erfolg haben werden. Allergrößte Eile ist geboten. Wir haben keine Zeit mehr, lange Verhandlungen zu führen; vielmehr geht es jetzt darum, dass das, was wir heute beschließen, umgesetzt wird. Ich habe gehört, dass für die sudanesischen Flüchtlinge im Tschad ab dem heutigen Mittwoch eine Luftbrücke eingerichtet werden soll. Das erste Flugzeug soll in Dänemark starten, ein weiteres morgen in Pakistan. Aus Deutschland werden am 31. Mai mehrere Lastwagen, Wasserbehälter und Generatoren erwartet. Unterm Strich könnte man sagen: Es gibt zarte Ansätze; die Lage ist ernst und dennoch nicht ganz hoffnungslos. Ich möchte den vielen Helfern der Nichtregierungsorganisationen und den Kirchen mit ihren internationalen Werken danken. Ohne sie wäre praktische Nächstenliebe nicht möglich. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege haben erneut um Hilfe gebeten. Ich bitte Sie alle, insbesondere die Damen und Herren, die in Deutschland an den Fernsehschirmen sitzen, diesen Aufrufen zu folgen. Es lohnt sich. Es geht um praktisches, einfaches Leben. Und Leben ist immer lebenswert. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christa Nickels vom Bündnis 90/Die Grünen.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe noch die Gedenkreden vom 7. April im Ohr. In diesen Reden wurde von der westlichen Staatengemeinschaft bis hin zu Kofi Annan - zu Recht durchaus sehr selbstkritisch - zugestanden, dass nicht nur die afrikanische Staatengemeinschaft, sondern auch die Weltgemeinschaft schrecklich versagt hat, wodurch über 1 Million Menschen gestorben ist. Ich finde es gut, dass wir daraus die Lehren ziehen wollen, dass wir eben nicht mehr wegsehen, dass wir genau hinsehen und dass wir uns damit beschäftigen. Unsere Regierung und auch der Deutsche Bundestag tun das seit langem, nämlich seit dem letzten Jahr, Kollege Jüttner. Der Menschenrechtsausschuss hat Anfang Januar eine Reise nach Sudan geplant, speziell in die Region Darfur. Wir haben zusammen mit der sudanesischen Regierung ein sehr ausgefeiltes Programm erarbeitet. Wir hatten Visa, also Einreisegenehmigungen, bis einen Tag, bevor wir die Reise begannen. Dann wurde uns erklärt, die offiziellen Gesprächspartner hätten anderes zu tun. Wir haben darauf bestanden, auch ohne das Zustandekommen von Gesprächen mit Offiziellen einzureisen. Auf dem Flughafen wurden uns die Visa entzogen. Wir sind sitzen geblieben, weil wir finden, dass man mindestens sitzen bleiben muss, wenn man eine Regierung dazu bringen will, dass sie ihren eigenen Menschen Schutz, Hilfe und das nackte Überleben sichert. ({0}) Ich habe in dieser Debatte ähnlich offen den Dialog gesucht. Ich war mir nicht sicher, ob diese Regierung vielleicht nicht mehr Herrin der Lage ist und ob nicht ganz andere, militärische Kräfte, Sicherheitskräfte, das Sagen haben. Wenn das aber so ist, muss eine Regierung die internationale Staatengemeinschaft oder die Afrikanische Union energisch um Hilfe bitten, damit die Grenzen sofort geöffnet werden. Das Gegenteil ist der Fall. Frau Schäuble hat heute für die Welthungerhilfe noch einmal erklärt: Taktieren, Finassieren und bürokratisches Erschweren von Hilfe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Auch CARE hat uns das heute berichtet. Dass die sudanesische Regierung ihre Verantwortung nicht wahrnimmt, kann man durch nichts entschuldigen. ({1}) Die Reserven der Menschen sind auf null. Man hat schon im letzten Jahr die Ernte nicht einbringen können, weil es zu massiven Attacken mit massiver Unterstützung der sudanesischen Regierung kam. Diese Regierung treibt ein machtpolitisches Spiel auf dem Rücken ihrer Zivilbevölkerung. Man konnte die Ernte nicht mehr einbringen. Die Familien unterstützen die Vertriebenen, die Ausgeplünderten. Man hat nichts mehr zu essen. Schon jetzt ist die Aussaat verloren. Das heißt, dass schon jetzt 2 Millionen Menschen in der Region Darfur zwei Jahre lang von der Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft abhängig sein werden, wenn sie nicht verhungern wollen. Angesichts dessen kann man nichts mehr entschuldigen und muss man der Regierung mit Hilfe, mit Angeboten, mit Logistik, mit Geld und Gerät auf den Leib rücken, damit die Menschen diese Hilfe bekommen. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns auch einmal klarmachen müssen, in welchem Zeitfenster wir uns befinden. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt: Wir schließen nicht mehr die Augen. Wir schauen genau hin. - Ich möchte aber nicht erleben, dass in zwei Wochen, vielleicht schon in einer Woche, vielleicht aber auch erst in drei Wochen unter unseren Augen der große Regen losgeht, kein Weg und kein Steg mehr da sind und zusätzlich zur Hungerkatastrophe Seuchen auftreten. Einfache Durchfälle raffen Hunderttausende Menschen hin, zuerst die Kinder, die Frauen und die Alten. Ich möchte nicht erleben, dass dann Cholera, Typhus und andere Krankheiten, schwere Viruskrankheiten ausbrechen. Seuchen warten nicht, bis die Politik zu Potte kommt oder eine Regierung meint, endlich den Zugang für Hilfe schaffen zu sollen. Seuchen kommen, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind. Die Bedingungen sind Not, Elend, Unterernährung, katastrophale hygienische Zustände sowie Wasser, Wasser, Wasser und Hitze. Von daher sehe ich es so wie Lotte Leicht: Die Zeit läuft ab. Aber wir haben noch ein ganz kleines Zeitfenster. Weil wir seit Ruanda nicht mehr wegschauen, sind wir sensibilisiert. Es kommt jetzt darauf an, dass wir in einer konzertierten Aktion durchgreifend handeln - Personal, Geld und Hilfsgüter müssen zur Verfügung gestellt werden -, dass wir wirklich alles tun. Ich möchte mich den Kollegen anschließen, die sagen: Das richtet sich auch an unsere eigene Adresse. Ich wiederhole: Ich bedanke mich bei unserer Regierung, die auch in Europa wirklich mit vorn ist. Ich möchte aber auch an die Arabische Liga appellieren. Ich habe gerade festgestellt, dass viele Kollegen immer noch meinen, das sei ein inszenierter Konflikt entlang der Religionszugehörigkeiten wie im Süden, wo arabischstämmige Muslime gegen christliche oder animistische Schwarzafrikaner kämpfen. Tatsächlich sind es alles Muslime. Das ist noch einmal eine Steigerung der Hassspirale zwischen Menschen. Ich finde, dass wir hier alle entschlossen vorgehen müssen. Ich fordere auch die Arabische Liga, die Organisation Islamischer Staaten, die Afrikanische Union auf, alles, aber auch alles zu tun, wenn sie sich in einer Situation, Herr Kollege Büttner, in der der Sudan am Scheideweg steht, nicht einer neuen Spirale des Hasses schuldig machen wollen. Die Friedensverhandlungen in Naivasha sind weit vorangeschritten. Seit Dezember erwarten wir jeden Tag die Unterschrift. Die wird es aber nicht geben, wenn die Darfuris Angst haben müssen, dass die Truppen der nordsudanesischen Armee, die im Süden abgezogen werden, in Darfur eingesetzt werden, um dort das Abschlachten weiter voranzubringen. Darum muss ein Waffenstillstand her. Afrikanische Friedenskräfte müssen hinein. Ein internationales Monitoring muss stattfinden. Für Hilfe muss sofort jeder Zugang ermöglicht werden. Ich bitte auch Sie alle hier: Die nächsten zwei Wochen dürfen wir nicht nur die Zeitung lesen; wir müssen alles politische Geschick und auch alle Kontakte, die wir haben, einsetzen, um diese Zeit wirklich sinnvoll zu nutzen, um nicht nur zu appellieren, zu analysieren, zu verurteilen oder zu beurteilen, sondern wirklich das Schlimmste zu verhindern. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle, glaube ich, haben in den letzten Tagen und Wochen mit dem Sudan ein trauriges Wechselbad der Gefühle erlebt. Zuerst hat man sich darüber freuen können, dass der über 20-jährige Konflikt zwischen Nord und Süd, der den Sudan gespalten hat, durch die Vermittlung der Amerikaner und Kenias dem Ende entgegengehen könnte. Es konnten wichtige Streitpunkte geklärt werden, über die man sich 20 Jahre lang nicht hat einig werden können. Das hat uns alle mit Hoffnung erfüllt. Nun ist die Freude über das mögliche Zustandekommen eines Friedens purem Entsetzen gewichen. Ich glaube, dass wir alle ziemlich entsetzt vor dem Trümmerhaufen dieser Hoffnungen stehen. Es ist nicht die erste Katastrophe, sondern es ist eine weitere Katastrophe in einer Kette von afrikanischen Katastrophen: von Ruanda über Liberia, Sierra Leone, Somalia, Kongo, Simbabwe bis hin zum Sudan jetzt. Natürlich unterstützen wir mit Nachdruck alle Maßnahmen und Forderungen - das haben auch die Vorredner aus der Union schon deutlich gemacht -, die geeignet sind, den bedrängten Menschen in Darfur schnell zu Hilfe zu kommen. Wir unterstützen alles, was den bedrohten Menschen schnelle humanitäre Hilfe bringt. Wir unterstützen auch nachdrücklich alle Forderungen nach internationalem Druck auf das Regime bis hin zu UN-Sanktionen. Ich muss sagen, dass ich die Rede von Herrn Büttner mit Unverständnis und Empörung aufgenommen habe. Ich glaube, wir sollten wirklich vermeiden, Verständnis für ein Regime zu zeigen, das uns in dieser Frage mit größtem Zynismus an der Nase herumführt. Dafür dürfen wir kein Verständnis haben. ({0}) Wir sind, wie gesagt, auch bereit, ganz konkrete Schritte mitzutragen. Darüber, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, herrscht in diesem Hause Einvernehmen. Wir müssen aber schon fragen, ob wirklich alle konkreten Schritte in der Vergangenheit effizient waren und welche Lehren wir aus unseren Erfahrungen mit Tragödien wie der in Ruanda bzw. aus der Operation Artemis, die einerseits ein Erfolg, aber andererseits auch nicht so perfekt war, dass es darüber keinen Diskussionsbedarf gäbe, gerade auch in Bezug auf den Sudan ziehen können. Ich war 1993 kurz vor dem Genozid in Ruanda und kam zusammen mit Werner Schuster zurück. Ich weiß noch ganz genau, wer wie diskutiert hat und was der damalige UN-Generalsekretär gesagt hat. ({1}) Da hat sich eine Tragödie ereignet, weil auch wir in weiten Teilen nicht bereit waren, den Kopf für entsprechende Maßnahmen hinzuhalten. Ich glaube, dass wir inzwischen international weitergekommen sind, aber ich habe es trotzdem für einen Fehler gehalten, dass man an den Spitzen des BMZ und des AA zu einem Zeitpunkt über einen Einsatz im Sudan spekuliert, an dem wir in letzter Konsequenz genau wie bei Artemis nicht in der Lage sind, konkret zu helfen, weil wir nach wie vor keine effizienten europäischen Krisenreaktionsstreitkräfte mit deutscher Beteiligung haben, die so etwas machen könnten. Das ist der erste Punkt. Zweitens sollten wir uns gut überlegen, ob sich die Bundeswehr noch einmal an einer Alibiaktion wie Artemis beteiligen sollte. Oder war nur an eine Trockenübung in einem Stab in Brüssel gedacht? Ich glaube, hier müssen wir konsequent sein: Wir müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen haben, bevor wir danach rufen. ({2}) Das gilt insbesondere - das sage ich mit aller Vorsicht für einen Einsatz in einem Land wie dem Sudan. Es gibt, wie ich glaube, kaum ein so wichtiges und auch für unsere Sicherheit so bedeutendes afrikanisches Land, von dem wir in Wirklichkeit so wenig wissen. Deswegen halte ich es - das sage ich ganz ehrlich - für einen Fehler, dass die Präsenz unserer NachrichtenDr. Christian Ruck dienste in Afrika so zusammengeschrumpft wurde, dass sie für Afrika vollständig von den Erkenntnissen anderer Nachrichtendienste abhängig sind. Ich halte es auch für einen Fehler, dass wir aus vielen unserer Botschaften in Afrika die Militärattachés abgezogen haben. Ich halte es auch für einen Fehler, dass wir das Goethe-Institut in Khartoum geschlossen haben und seine Bücher öffentlich verscherbelt wurden. Ich halte es im Übrigen auch für traurig, dass die einst so berühmte Afrikakompetenz der Berliner Hochschulen langsam zurückgefahren wurde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Ruck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Ströbele, bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, wie kommen Sie zu der Behauptung, dass die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland für Berichte aus Afrika auf Informationen anderer Dienste angewiesen seien?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zu der Behauptung, Herr Kollege Ströbele, weil sie sich auf Aussagen unserer Nachrichtendienste selbst stützt. Ich darf Sie einfach dazu auffordern, die Nachrichtendienste, mit denen wir reden - die werden ja auch wohl mit Ihnen reden -, ({0}) dasselbe zu fragen. Ich bin sicher, dass Sie - zumindest unter vier Augen - dieselbe Antwort erhalten werden. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Ruck, ich habe gerade an der Reise einer Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in die Demokratische Republik Kongo teilgenommen. Dort war ich auf einem Empfang, den die deutsche Botschaft ausgerichtet hat. Bei diesem Empfang habe ich originäre Vertreter und Informanten des Bundesnachrichtendienstes getroffen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mit Ihrer Aussage zu meiner Aussage keine Probleme. Ich habe auch nicht behauptet, dass es in Afrika überhaupt keinen 007 mehr gibt. ({0}) Ich habe nur bezweifelt - Sie können jederzeit nachfragen; ich war ja nicht der Einzige bei diesen Gesprächen über den Kongo -, dass wir noch eigene Aufklärungskapazitäten in Afrika haben. Ich bitte Sie, diese Frage einmal unter vier oder wie vielen Augen auch immer zu stellen, und bin gespannt, ob Sie dann eine andere Antwort bekommen als ich; das glaube ich aber nicht. Ich möchte, weil ich das für sehr wichtig halte, etwas aufgreifen, was Sie, Frau Ministerin, neulich gegenüber einer Zeitung gesagt haben: dass Sie möchten, dass die Afrikapolitik als Thema nie wieder hinten herunterfällt. Wenn Sie das nicht wollen, darf sich allerdings nicht wiederholen, was letztens geschehen ist, als die Entwicklungspolitiker aller Seiten - auch der Bundeskanzler hat sich dafür ausgesprochen - versucht haben, eine große und grundsätzliche Afrikadebatte - nicht veranlasst durch eine bestimmte Katastrophe - aufzuziehen. Wir haben angeboten, eine solche Diskussion bei Zeitmangel auch zu verschieben. Heraus kam eine dreiviertelstündige Debatte am Donnerstagabend. Damit wird man diesem Thema nicht gerecht; das liegt weder im Interesse Afrikas noch in unserem eigenen Interesse. Deswegen fordere ich uns dringend auf, eine solche grundsätzliche Debatte bei nächster Gelegenheit nachzuholen, und zwar zu einer Zeit, zu der es sich wirklich rentiert. ({1}) - Ja, Frau Kortmann; es ist aber ein Unterschied, ob wir von Katastrophe zu Katastrophe in Afrika diskutieren oder ob wir uns vor den Augen der Öffentlichkeit Zeit für eine grundsätzliche Diskussion über die richtige Afrikapolitik und die Chancen, die dieser Kontinent hat, nehmen. Wir sollten eine solche Debatte wirklich noch einmal ins Auge fassen. ({2}) Wir haben schon öfter zum Ausdruck gebracht, dass die rot-grüne Afrikapolitik aus unserer Sicht mit gefährlichen Widersprüchen verbunden ist, Stichwort: Ruanda. Selbst die Grünen haben in ihrem Länderratspapier vor zwei Wochen festgestellt, dass es keine Afrikapolitik gibt. ({3}) Aber ich möchte noch etwas anderes ansprechen, was ich für wichtig halte; es wurde heute schon erwähnt. Wir fordern unter dem Stichwort NEPAD völlig zu Recht eine Verpflichtung der afrikanischen Staaten, sich eigenverantwortlich um Frieden, die Achtung der Menschenrechte und die Entwicklung ihres eigenen Kontinents zu bemühen. Wenn ich sehe, dass die Arabische Liga bei ihrem Treffen vor wenigen Tagen in Tunis den Sudan wegen seiner brutalen Menschenrechtsverletzungen mit keinem Wort kritisiert hat, bin ich tief enttäuscht; so geht es vermutlich auch anderen. Dasselbe gilt für die Afrikanische Union: Was hat sie denn bisher in politischer Hinsicht unternommen - verbal oder sogar konkret -, um im Sudan etwas Positives auf die Reihe zu bekommen? ({4}) Ich bin der Meinung, dass wir dies den afrikanischen Politikern ebenso wenig durchgehen lassen dürfen wie das Ignorieren des skandalösen Handelns in Simbabwe. Wir müssen unseren afrikanischen Partnern sagen, dass wir von ihnen, wenn sie von uns Hilfe erwarten, eigene politische Anstrengungen einfordern. Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Antrag noch eine Bemerkung machen. Was fehlt und woran wir denken müssen, ist der transatlantische Dialog. Die Amerikaner spielen im Sudan eine ganz entscheidende Rolle, und zwar mehr, als allgemein bekannt ist. ({5}) Deshalb sollten alle, die in diesem Antrag genannt sind, versuchen, mit den Amerikanern eine gemeinsame Linie zu finden; denn sonst wird sich nichts bewegen. Das kann man bedauern oder auch nicht. Aber es ist ein Faktum.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. Wir stimmen dem Antrag zur Hilfe im Sudan, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, mit Überzeugung zu. Die Menschen im Sudan brauchen Frieden. Vor allem diejenigen, die dafür sorgen können, dass es Frieden gibt, brauchen ein unmissverständliches Signal. Dieses Signal sollte der Deutsche Bundestag geschlossen geben. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rudolf Bindig von der SPD-Fraktion.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diejenigen, die vor mir gesprochen haben, haben bereits die Zahlen, Daten und Fakten zur Beschreibung der Notlage in Darfur genannt. Sie haben die Menschenrechtsverletzungen beschrieben und über die humanitäre Katastrophe für die Flüchtlinge berichtet. Ich möchte einige Punkte herausarbeiten, von denen ich meine, dass sie für diesen Konflikt, aber auch darüber hinaus von Bedeutung sein können. Der erste Punkt betrifft die Wahrnehmung eines solchen Konfliktes. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit hat viele Jahre, wie ich finde, die Konfliktherde in der Region, also im Sudan und in den angrenzenden Staaten, nicht hinreichend wahrgenommen. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich zunächst auf Afghanistan und sie richtet sich jetzt intensiv auf die Ereignisse im Irak. Aber die großen Probleme, die es im Südsudan sowie in West-, Süd-, aber auch Norddarfur gibt, werden noch nicht hinreichend wahrgenommen. Die angrenzenden Staaten, nämlich der Tschad, die Zentralafrikanische Republik, der Kongo, Norduganda - dort gibt es eine große Zahl von Flüchtlingen -, Kenia - dort ist die Lage etwas stabiler - sowie im Osten Äthiopien gehören zu den zentralen Krisenherden auf der Welt. In all diesen Ländern gibt es Flüchtlinge und Menschenrechtsverletzungen. Überall dort sind Milizen tätig. Teils schüren die betreffenden Regierungen die Konflikte oder können nicht die Kraft aufbringen, sie zu beenden; teils nehmen sie hin, dass dort bestimmte Stämme die Opfer dieser Konflikte sind. Ich habe in der Region neulich folgende bittere Aussage gehört: Wenn ein Europäer Opfer wird, dann gibt es eine Meldung. Erst 100 palästinensische Opfer sind eine Meldung wert. Aber es muss schon 1 000 schwarze Opfer geben, damit es zu einer Meldung reicht. - Diese bittere Aussage zeigt, dass wir sensibler werden müssen, wenn wir solche Konflikte betrachten. ({0}) Einige haben hier völlig zu Recht gesagt, dass die Aufmerksamkeit in den Medien in den letzten vier bis sechs Wochen gestiegen ist. Ich sage, Gott sei Dank, dass es diese Aufmerksamkeit jetzt gibt, zwar sehr spät, aber hoffentlich noch nicht zu spät. Der zweite Punkt. Wie perzipieren eigentlich Gremien der UN, die für die Verhinderung von Katastrophen zuständig sind, solche Katastrophen? Ich nenne insbesondere die UN-Menschenrechtskommission. ({1}) In der UN-Menschenrechtskommission wurde neulich auch über die Situation im Sudan beraten. Es lag der Bericht des amtierenden UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Bertrand Ramcharan, vor, in dem dokumentiert wird, wie die Lage wirklich ist. Er hat in seinem Bericht die Vertreibungen und die Völkermord ähnlichen Entwicklungen, die sich abzeichneten, realistisch beschrieben. Doch was macht die UN-Menschenrechtskommission? Sie bringt leider nicht mehr die Kraft auf, eine entsprechende Entschließung auf den Weg zu bringen. Die westliche Gruppe, die Europäer zusammen mit einigen anderen Ländern, haben eine Entschließung eingebracht. Aber dann schafft man es nicht, zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen, sondern allenfalls zu einem Chairman Statement, weil die Regierung im Sudan gesagt hat: Wir sind bereit, Beobachter in unser Land zu lassen. - Ich sehe sehr wohl, dass der Sinn der Arbeit in solchen Kommissionen nicht nur die Anklage sein kann. Aber es muss doch wohl möglich sein, die reale Lage zu beschreiben, um darauf aufbauend handeln zu können. ({2}) Der dritte Punkt betrifft die Frage, wie eigentlich die Regierung dieses Landes mit diesen Konflikten und Problemen umgeht. Ist es denn nicht vorderste und erste Aufgabe der Regierung eines Staates, die eigene Bevölkerung von Angst und Not zu befreien, sie zu schützen? ({3}) Was erlebt man? Eine Regierung will teils mit der eigenen Armee, teils mit bewaffneten Milizen ihren Einfluss in einer Region stärken und lässt zu, dass die eigene Bevölkerung bombardiert und außer Landes getrieben wird. Ich bin nicht bereit, dafür erklärende und entschuldigende Worte zu suchen. ({4}) Das möchte ich für die SPD-Fraktion klarstellen. Wie die Regierung des Sudan teilweise mit den Menschen umgeht, konnten wir in einem der Flüchtlingslager sehen: Im Camp für interne Vertriebene in Shekan, ganz in der Nähe von Khartoum, leben über 20 000 Menschen ohne ausreichende Wasserversorgung ({5}) - ja, dorthin fahren nur Wagen mit Wasser -, ohne Elektrizität und ohne medizinische Versorgung. Das gehört doch zu den elementarsten Grundbedürfnissen eines Menschen. Hier ist die Regierung in die Pflicht zu nehmen, internationale Hilfe zu akzeptieren. Ich verweise auf die ganze Bürokratie und die vielen Hindernisse. Da will die internationale Gemeinschaft Hilfsgüter in diese Region liefern und die Regierung dort sagt: Ihr bekommt keine Einreisegenehmigung. Ihr dürft das nicht verteilen. Da ist noch dieses bürokratische Problem zu lösen und jene Abgabe zu machen. - Manchmal hat man das Gefühl, dass die Werte, die in der Menschenrechtserklärung niedergelegt worden sind und die uns umtreiben, dort übersehen, überhaupt nicht so empfunden oder aber von dieser Regierung zynisch mit Füßen getreten werden. Der nächste Punkt betrifft die Frage, was wir daraus politisch lernen können und welche Anstrengungen und Bemühungen wir unternehmen können. Ich kann sagen: Wir haben uns bemüht. Das gilt ausdrücklich für unsere Regierung, für die Entwicklungsministerin, für die Staatsministerin im Auswärtigen Amt und für den Außenminister. Es ist im Wesentlichen Deutschland gewesen, das diese Problematik in den UN-Gremien zur Sprache gebracht hat. Unter der deutschen Präsidentschaft im Weltsicherheitsrat ist dieses Thema auf die Tagesordnung gekommen. Die ersten Anträge sind von Deutschland gestellt worden. Einige mussten die Initiative ergreifen, um die anderen mitzuziehen, damit eine entsprechende Reaktion erfolgt. Wir hoffen, dass dies gelingt. Diese Debatte soll einen Beitrag dazu leisten, aufzurütteln, damit die Regierung des Sudan tätig wird. Hoffentlich hört der Botschafter dieses Landes zu; hoffentlich hören andere zu. Wir hier in Deutschland - das muss das Signal dieser Debatte sein finden die Lage im Sudan unerträglich. Wir erwarten, dass schnell etwas geschieht und eine noch größere Katastrophe vermieden wird. Das soll unsere Botschaft sein, die wir von diesem Hause aus nach außen schicken. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Schockenhoff von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich Ihrer Aufforderung, Herr Kollege Bindig, ausdrücklich anschließen. Wir alle teilen die Bestürzung über die ethnischen Vertreibungen und den Genozid afrikanischer Stämme durch arabische Milizen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben den UNKoordinator für humanitäre Hilfe im Sudan zitiert, der von dem organisierten Versuch, eine Volksgruppe auszulöschen, gesprochen hat. Gerade weil das so ist, reicht es nicht aus, auf den Sudan Druck auszuüben. Wir müssen vielmehr die afrikanischen Staaten insgesamt stärker in die Pflicht nehmen. Die Afrikanische Union wird ihrer Verantwortung in der Union nicht gerecht. Wir müssen den 53 afrikanischen Staaten deutlich machen, dass sie mit ihrer Haltung im Sudankonflikt ihren Ansprüchen, unter anderem aus NEPAD, nicht gerecht werden. Die Afrikanische Union ist erst zwei Jahre alt. Sie hat sich bei ihrer Gründung vorgenommen, eben nicht wegzusehen, sondern auch bei inneren Konflikten und Völkermord einzugreifen. Sie ist als Gegenmodell zur Organisation für Afrikanische Einheit gegründet worden. Ich glaube, der Kollege Büttner hat als Einziger in seiner Analyse gesagt, in Ruanda hätten die OAE-Truppen bereitgestanden, den Genozid zu verhindern, sie hätten nur auf die Erlaubnis der Vereinten Nationen gewartet. Das ist abenteuerlich. Die OAE hat versagt und als Gegenmodell hat sich die Afrikanische Union gegründet. Deswegen müssen wir sie jetzt in die Pflicht nehmen. Sie darf nicht tatenlos zusehen - das ist zu Recht gesagt worden -, wie sie es bisher bei den Konflikten in Westafrika, in Liberia, in Sierra Leone, bei der Staatskrise in der Elfenbeinküste und im Kongo getan hat. Die Afrikanische Union war nicht in der Lage, Frieden zu bringen, geschweige denn die Friedensbemühungen zu überwachen. Wir haben sie so lange in dieser Unfähigkeit belassen, bis wir von Europa aus unterstützend eingreifen oder militärisch tätig werden mussten. Wir müssen die Afrikanische Union auch beim Aufbau einer handlungsfähigen militärischen Eingreiftruppe unterstützen, die humanitäre Interventionen robust durchsetzen kann. Frau Wieczorek-Zeul, Ihre Ansicht hat sich ein wenig gewandelt. Anfang des Monats haben Sie gesagt, man müsse Druck auf die sudanesische Regierung ausüben und Friedenstruppen ins Land schicken. Am 5. Mai haben Sie in der „FAZ“ gesagt, auch deutsche Soldaten könnten an friedensbringenden Maßnahmen beteiligt sein, wir dürften nicht zusehen. Das haben Sie im „Morgenmagazin“ wiederholt. Nachdem das Thema im Bundeskabinett behandelt wurde, haben Sie sich nur noch für afrikanische Friedenstruppen ausgesprochen. Ich will Ihr Verhalten nicht kritisieren, ich weiß, wie schwierig die Situation ist. Übrigens ist die Situation für uns als Opposition genauso schwierig wie für die Regierung. Man kann nicht immer gleich den Einsatz der Bundeswehr fordern; das ist für uns alle sehr schwierig. Frau Staatsministerin Müller, es reicht aber nicht aus, wenn Sie heute sagen, der Konflikt müsse nicht militärisch gelöst werden, wir bräuchten eine Friedensmission der Afrikanischen Union für die Überwachung des Friedens, wenn der Frieden erreicht worden ist. Ich bin froh, dass die Kollegin Nickels auf das Zeitfenster hingewiesen hat. Seit Anfang Mai sind drei Wochen vergangen und dennoch befindet sich der Sudan in der gleichen Situation. Wenn wir - mit „wir“ meine ich ganz abstrakt die internationale Staatengemeinschaft - in einer solchen Situation nicht in der Lage sind, die unabdingbare humanitäre Erstversorgung zu gewährleisten, zum Beispiel weil sich ein Staat weigert, sie zuzulassen, machen wir uns mitschuldig. Wir müssen in einem solchen Fall eine Erstversorgung auch robust, das heißt: mit militärischen Mitteln, durchsetzen können. Deswegen brauchen wir in der Region Handlungsspielraum; wir können für uns nicht völlig ausschließen, dass ein militärischer Einsatz infrage kommt. Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt, das öffentliche Aufbegehren fände erst statt, wenn Bilder zu sehen seien. Morgen verlängern wir das Kosovomandat. Ich habe mich daran erinnert, wie es war, als wir 1999 zum ersten Mal über das Kosovomandat abgestimmt haben. Damals hat Verteidigungsminister Scharping die Bilder am Rednerpult des Plenarsaals des Deutschen Bundestags in die Kameras gehalten. Sie selbst haben das öffentliche Entsetzen organisiert. Ich habe dafür Verständnis, weil die Koalition das öffentliche Entsetzen vielleicht brauchte, um die Akzeptanz für diese Entscheidung in den eigenen Reihen und in der Bevölkerung zu schaffen. Außenminister Fischer hat den Kosovo mit Auschwitz verglichen. Ich habe ihn bei anderer Gelegenheit dafür kritisiert. Ich glaube, er würde das heute nicht mehr tun. Aber angesichts der Dramatik, mit der die Bundesregierung das öffentliche Aufbegehren organisiert hat, kommt es mir ein wenig so vor, als ob wir über die Konflikte in Afrika - leider ist einer heute unser Thema - im Allgemeinen mit analytischer Distanz sprechen. Deswegen bin ich froh, dass einige Kollegen, zuletzt der Kollege Bindig und die Kollegin Nickels, ein wenig Emotionalität in die Debatte gebracht haben. Wir können nicht die humanitären Katastrophen, die unsere Interessen vielleicht noch in anderer Weise berühren, etwa weil dadurch Flüchtlingsströme zu uns ausgelöst werden, mit großer öffentlicher Entrüstung kommentieren, aber, nur weil die Katastrophe woanders stattfindet, beispielsweise tausend schwarzafrikanische Opfer mit hundert palästinensischen Opfern oder auch nur einem einzigen deutschen Soldaten, der ums Leben gekommen ist, gleichsetzen. Wenn die sudanesische Regierung, wie Sie sagen, Frau Wieczorek-Zeul, Meisterin der unerfüllten Ankündigungen bleibt, muss das Druckausüben über das Verbale hinausgehen. Wir müssen die Afrikanische Union zukünftig in vergleichbaren Situationen in die Lage versetzen, durch eine Frieden erzwingende Fähigkeit Genozid zu verhindern und humanitäre Maßnahmen zu ermöglichen. Wir können unsere Beteiligung an solchen Maßnahmen nicht von vornherein ausschließen. Deswegen will ich an den letzten Punkt unseres Antrags, den wir heute gemeinsam stellen, erinnern. Darin fordern alle Fraktionen die Bundesregierung auf, „sich für eine Überwachung der Einhaltung des Friedensprozesses im Südsudan durch die Vereinten Nationen einzusetzen sowie einen möglichen deutschen Beitrag zu prüfen“. Es ist für uns alle schwer, das in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wir dürfen aber auch nicht sagen, dass es für uns nicht infrage kommt. Es geht dabei nicht nur um die Friedensüberwachung. Wenn es ein Zeitfenster für das Verhindern eines massenhaften Genozids gibt und wir nicht bereit sind, dieses Zeitfenster für mehr als diplomatischen Druck zu nutzen, machen wir uns mitschuldig. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der FDP mit dem Titel „Im Westsudan ({0}) eine humanitäre Katastrophe verhindern“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 15/3197? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Mai 2004, 9.30 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.