Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat vereinbart, dass in der Haushaltswoche vom 2. Dezember 2002 keine Regierungsbefragung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden
stattfinden sollen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten
Gesetzentwurfs zur Einbeziehung beurlaubter Beamter in
die kapitalgedeckte Altersversorgung zu erweitern und
jetzt gleich als Zusatzpunkt 9 ohne Aussprache aufzurufen.
Sie sind damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 sowie den soeben aufgesetzten
Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Günter
Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Korrektur des Versorgungsänderungsgesetzes 2001
- Drucksache 15/45 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Finanzausschuss
({0})
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung beurlaubter Beamter in die kapitalgedeckte Altersversorgung
- Drucksache 15/97 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Finanzausschuss
({1})
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 15/45 und 15/97 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen die Feder-
führung beim Finanzausschuss, die Fraktion der CDU/CSU
wünscht die Federführung beim Innenausschuss.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion der CDU/CSU - Federführung beim Innen-
ausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen, also für die Feder-
führung beim Finanzausschuss? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Dieser Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen. Damit liegt
die Federführung beim Finanzausschuss.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe
gegen die USAauf der Grundlage des Art. 51 der
Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({3}) und 1373 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 15/37, 15/67 Präsident Wolfgang Thierse
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({5})
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/70 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Jürgen Koppelin
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Deutsche Bundestag wird heute mit großer Mehrheit dem
Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des deutschen Beitrags für die Mission Enduring Freedom zustimmen. Auch die SPD-Fraktion wird dies mit großer
Einmütigkeit tun. Aber auch diesmal hat es sich keiner
von uns leicht gemacht. Wir haben eine intensive und
sorgfältige Beratung hinter uns und das ist auch notwendig; denn der Einsatz in Afghanistan ist der komplizierteste und der gefährlichste, den die Bundeswehr zurzeit
durchführt.
Was ist Enduring Freedom? Es ist und bleibt die militärische Antwort auf den 11. September 2001. An diesem
Einsatz sind 70 Länder beteiligt. Er steht auf der sicheren
völkerrechtlichen Grundlage der beiden Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373.
Dieser Einsatz richtet sich gegen die Täter des 11. September 2001, gegen das Netzwerk von al-Qaida, gegen
die Organisations- und Ausbildungszentren der Terroristen und gegen ihre Beschützer, das Regime der Taliban.
Zu dieser militärischen Antwort auf den 11. September
2001 gab und gibt es keine Alternative.
({0})
Attentäter brachten 3 000 Menschen den Tod. Sie haben Millionen von Menschen geschockt und verunsichert.
Dabei gab es keinerlei Vorankündigung. Es geschah, ohne
dass irgendeine erfüllbare Forderung gestellt wurde, und
es gab keinerlei Verhandlungschance, weder vorher noch
nachher. Das Regime der Taliban war nicht bereit, die
Tätigkeit der terroristischen Netzwerke zu unterbinden
und die Befehlshaber für den Mord an Tausenden von unschuldigen Zivilisten auszuliefern. Der Begriff Selbstverteidigung ist in der Geschichte oft missbraucht worden. In
diesem Fall aber wenden ihn die Vereinten Nationen mit
Recht an.
({1})
Enduring Freedom ist die Wahrnehmung unserer
Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung, gegenüber
potenziellen künftigen Opfern. Dieser Pflicht entsprechend hat Enduring Freedom einen klar umrissenen Auftrag und ein klar umrissenes Ziel, nämlich neue Anschläge
von dort zu verhindern, wo sie vorbereitet und organisiert
wurden, in Afghanistan die logistische Basis von al-Qaida
zu zerschlagen und das Regime, das die Terroristen unterstützt hat, zu entmachten, zu verjagen und an jeder Rückkehr zu hindern.
Ein Jahr ist vorbei. Es ist Zeit, eine nüchterne und ehrliche Bilanz zu ziehen. Es hat Erfolge gegeben. In Afghanistan sind die Basen der Terroristen zerstört, aus den Jägern sind Gejagte geworden. Sie haben ihre Beschützer,
das Regime der Taliban, verloren. Erst Enduring Freedom
hat die Voraussetzungen für einen politischen Neuanfang
im Lande geschaffen und dabei einen 22 Jahre dauernden
Bürgerkrieg beendet. Dies hatte einen hohen Preis: Zerstörungen im Lande und zahlreiche zivile Opfer.
Doch trotz all dieser Anstrengungen konnte der Auftrag bisher noch nicht vollständig erfüllt werden. Die
wichtigen Führer Osama Bin Laden und Mullah Omar
sind bisher nicht gefasst worden. Es gibt im Lande nach
wie vor Reststrukturen und auch noch handlungsfähige
Einheiten von al-Qaida. Es gibt Reorganisationsversuche
der Taliban. Dies macht sich bemerkbar durch Anschläge
auf die neue Interimsregierung, auf die Einheiten von
Enduring Freedom und auch die Schutztruppe ISAF. Dies
sind Anschläge auf das neue Afghanistan.
Die Netzwerke des Terrors beweisen auch sonst weltweit ihre Handlungsfähigkeit - ich nenne hier die Stichworte Djerba, Bali und den Tanker „Limburg“ -, ohne
dass wir genau wissen, wo diese Anschläge geplant oder
organisiert werden. Dies für sich genommen ist schon ein
ausreichender Grund, den bewaffneten Druck auf die
Reststrukturen von al-Qaida und Taliban vor Ort in Afghanistan aufrechtzuerhalten und fortzusetzen. Dies ist
unser Schutzauftrag, unsere Verpflichtung, um jede Wiederholungstat zu vermeiden.
Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb Enduring Freedom fortgesetzt werden muss. Warum ziehen
sich denn diese Resteinheiten nicht zurück und riskieren
nach wie vor Anschläge auf die Neuordnung in Afghanistan, auf den Wiederaufbau? Sie machen dies auch deshalb, weil die Netzwerke des Terrorismus hierin eine
exemplarische Auseinandersetzung sehen. Die Augen
vieler Länder sind darauf gerichtet, was aus diesem Testfall Afghanistan wird.
Es gibt den Weg der internationalen Gemeinschaft. Er
setzt auf eine Gesellschaft der Partizipation aller ethnischen Gruppen, auf Versöhnung, auf die Rückkehr der
Flüchtlinge, auch auf die Rückkehr aus dem Exil und
langfristig auf die Perspektive einer demokratischen
Gesellschaft, aber nicht eine durch Oktroi oder durch
Zwang, sondern in Form einer Selbstfindung Afghanistans, in Form einer Wiedergeburt der afghanischen Identität.
Deutschland hat wichtige Beiträge zum Erreichen dieses Ziels geleistet, zum Beispiel durch humanitäre Hilfe,
die nach wie vor geleistet werden muss, durch seine
Beiträge zu dem so genannten Post-Taliban-Prozess - das
ist in dem so genannten Petersberg-Agreement besonders
deutlich geworden, das bis heute die Grundlage für den
neuen, hoffnungsvollen Weg Afghanistans darstellt - und
durch viele Hilfen, die es beim Wiederaufbau besonders
der Polizei und des Bildungswesens - darauf wird in dieser Debatte noch eingegangen werden - geleistet hat.
({2})
Wir erklären, dass wir die Botschaft, die Kofi Annan
von diesem Rednerpult aus an uns gerichtet hat, verstanden haben: Nur ein andauernder, nachhaltiger Einsatz
wird auch zu einem nachhaltigen Frieden in Afghanistan
führen. Wir rufen auch alle anderen Länder auf, in ihren
Bemühungen, diesen Einsatz zu einem Erfolg zu machen,
nicht nachzulassen.
({3})
Denn wir wissen, welche Bedeutung dieser Einsatz hat und
was es bedeuten würde, wenn es zu einem späten Triumph
der Terroristen in dem Sinne käme, dass in Afghanistan eine
Gesellschaft des Fanatismus, des Hasses, der Unterdrückung, der inneren Gewalt und womöglich auch der Logistik des Terrorismus zurückkehren würde. Die Menschen
in Afghanistan müssen wissen, dass es richtig war, sich von
al-Qaida und den Taliban abzuwenden. Aber dafür brauchen
sie fortdauernd unseren Schutz und unsere Unterstützung.
Das bedeutet, dass wir weiter die Mission Enduring Freedom brauchen; denn sie alleine kann einen späten Triumph
der Terroristen, der völlig inakzeptabel wäre, verhindern.
({4})
Dieser Einsatz ist die einzige Überlebenschance für
eine politische Antwort auf den Terrorismus. Wir befinden hier nicht über irgendeine militärische Mission,
sondern darüber, ob die politische Antwort auf die globale
Herausforderung des Terrorismus, die am 11. September
letzten Jahres begonnen hat, eine Chance bekommt. In
diesem Sinne tun wir heute das, was wir tun können, indem wir dem gefährlichen Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten in Afghanistan eine möglichst breite parlamentarische Unterstützung geben. Ich verbinde das abschließend mit dem Dank und der Anerkennung für diesen Einsatz. Ich kann nur sagen: Glück und Sicherheit auf
allen Wegen für die Bundeswehr in Afghanistan!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es
noch eines Beweises bedurft hätte, dass unsere eigene Sicherheit durch den transnationalen Terrorismus bedroht ist, dann hat ihn das Tonband vom vergangenen
Mittwoch geliefert, das mutmaßlich von Osama Bin
Laden stammt. Es enthält nämlich auch Drohungen gegen
Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada und Australien. Es waren ja auch Deutsche unter den Toten von
Djerba und Bali.
Die Botschaft der Terroristen war die gleiche wie
schon am 11. September: Unser Hauptfeind sind die USA.
Haltet euch raus; dann geschieht euch nichts! - Es wäre
fatal, wenn dieser Botschaft gefolgt würde, wenn es Bin
Laden gelingen würde, unsere Antiterrorallianz zu spalten
und damit zu schwächen. Über kurz oder lang würden wir
dann erst recht zum Ziel terroristischer Anschläge. Es gibt
gegenüber Terroristen kein Appeasement. Mit ihnen gibt
es nichts zu verhandeln. Nur gemeinsam in der internationalen Antiterrorkoalition können wir den transnationalen Terrorismus besiegen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt deshalb
dem Antrag der Bundesregierung zur weiteren Beteiligung deutscher Soldaten an Enduring Freedom zu. Wir
danken unseren Soldaten dafür, dass sie seit nunmehr einem Jahr auch in diesem gefährlichen Einsatz so erfolgreich für unsere Sicherheit eintreten.
({0})
Ich möchte daran erinnern, dass es kaum ein Jahr her ist,
da wäre die Bundesregierung an dieser Frage fast gescheitert. Scharenweise haben sich Abgeordnete der Grünen
und der SPD von dieser Linie abgesetzt. Der Bundeskanzler musste die Notbremse der Vertrauensfrage ziehen;
sonst wäre seine Regierung vor die Wand gefahren.
Damit das nicht wieder passiert, haben Sie die Debatte
diesmal möglichst niedrig gehängt und haben gesagt, es
handle sich um ein unverändertes Mandat. Das haben Sie
immer wieder betont, nach dem Motto: Ihr habt damals
zugestimmt, also könnt ihr auch jetzt zustimmen. Es ist
richtig: Es handelt sich um ein unverändertes Mandat. Allerdings haben wir es mit einer deutlich veränderten Sicherheitslage zu tun: in Afghanistan selbst, aber auch in
der Region und vor allem vor dem Hintergrund der Irakkrise. Eine weitere Zuspitzung dort hätte unzweifelhaft
Auswirkungen auf die Einsätze im Rahmen von Enduring
Freedom.
Der Bundeskanzler und der Außenminister haben gesagt, es gebe keine deutsche Beteiligung an militärischen
Maßnahmen gegen den Irak. Aber es gibt Überlappungen
bei den Einsatzgebieten, insbesondere für unsere Marine
und möglicherweise auch für die in Kuwait stationierten
ABC-Spürpanzer. Außerdem könnte es Rückwirkungen
auf unsere KSK-Kräfte in Afghanistan haben, wenn sich
die USA verstärkt auf den Irak konzentrieren würden. In
den Unterlagen, die wir zur Abstimmung bekommen haben, heißt es, die KSK-Kräfte sollten „eine eigenständigere Rolle“ übernehmen.
Damit bin ich beim Irakdilemma der Bundesregierung.
Der Bundeskanzler hat die UN-Resolution begrüßt, für
deren Zustandekommen die Bundesregierung nichts, aber
auch gar nichts getan hat; das Gegenteil ist vielmehr der
Fall.
({1})
Das Lob aus Bagdad, Herr Außenminister, sollte die Bundesregierung wenigstens nachdenklich machen.
Bezeichnend für deren Schlingerkurs in der Irak-Frage
ist das Hin und Her um die ABC-Spürpanzer. Sie sind im
Rahmen von Enduring Freedom in Kuwait stationiert.
Aber was soll mit diesen ABC-Abwehreinheiten geschehen, wenn es zu militärischen Maßnahmen gegen den Irak
kommt? Der Bundeskanzler im Frühjahr: Die Spürpanzer
bleiben, auch im Fall eines einseitigen Vorgehens der
Amerikaner. Ihr Abzug hätte nicht absehbare Folgen für
das deutsch-amerikanische Verhältnis der nächsten 30 bis
50 Jahre. - Verteidigungsminister Struck im Wahlkampf:
Die Spürpanzer werden zurückgezogen. - Verteidigungsminister Struck nach der Wahl: Die Spürpanzer bleiben;
ihr Abzug wäre außenpolitisch fatal. - Verteidigungsminister Struck Anfang November: Die Frage ist rein theoretischer Natur; niemand weiß, ob es einen Angriff auf
den Irak gibt.
({2})
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen,
Herr Kollege Beck, hat vorgestern gesagt, falls Amerika
den Irak angreife, müsse in jedem Fall ein neuer Beschluss des Bundestages darüber herbeigeführt werden,
was aus den deutschen Fuchs-Panzern werden solle.
({3})
Nur, Herr Kollege, was passiert in der Zeit zwischen einem möglichen Kriegsbeginn und der Verabschiedung eines solchen Bundestagsbeschlusses? Sollen die deutschen
Soldaten in Kuwait so lange die weiße Fahne hissen, so
wie 1991 weiße Betttücher aus deutschen Wohnzimmerfenstern hingen, als die internationale Koalition gegen
Saddam Husseins Überfall auf Kuwait vorging?
({4})
Wären die deutschen Abwehrkräfte nicht zur Nothilfe
verpflichtet, wenn Saddam Hussein chemische oder biologische Waffen gegen unsere Verbündeten einsetzen
würde? Präzise gefragt, Herr Außenminister: Was geschieht, wenn der Sicherheitsrat nach der Feststellung eines ernsthaften Verstoßes gegen die UN-Resolution die
angedrohten ernsthaften Konsequenzen zieht und die
Weltgemeinschaft dann mit militärischen Mitteln gegen
den Irak vorgeht? Die Bundesregierung muss hier rechtzeitig Klarheit schaffen, nicht erst dann, wenn militärische Auseinandersetzungen begonnen haben. Das ist sie
auch unseren Soldaten schuldig.
({5})
Die fehlende Klarheit in der Irakpolitik der Bundesregierung kann auch für die Kräfte der Marine zu Problemen führen. Im Rahmen von Enduring Freedom gehören
alle Seegebiete zu ihrem Einsatzgebiet, die an die Arabische Halbinsel und an Nordostafrika angrenzen. Zu den
Aufgaben unserer Marinekräfte zählt auch, anderen
Schiffen Geleitschutz gegen terroristische Angriffe zu geben. Ich frage Sie, Herr Außenminister: Gilt dieser Auftrag auch dann fort, wenn diese Schiffe im Fall einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak Nachschub
für die gegen den Irak kämpfenden Streitkräfte transportieren? Hier müssen Sie endlich Klarheit schaffen.
Typisch für den außenpolitischen Nebel, den Sie hier
verbreiten, waren die Aussagen Ihres früheren Adlatus
Volmer am vergangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss.
({6})
Herr Volmer, zunächst haben Sie die UN-Resolution gelobt
und gesagt - ich habe es mir aufgeschrieben -: Auf dieser
Basis wollen wir jetzt gemeinsam handlungsfähig werden.
Ergänzend haben Sie gesagt: Aber die militärische Eskalationsschwelle darf nicht überschritten werden. - Trotzdem haben Sie gehofft - ich habe es mir wörtlich aufgeschrieben -, „dass die UN die Kraft haben, Saddam
Hussein zu nötigen, alle Bedingungen zu erfüllen“. Wenn
die Bundesregierung jetzt endlich dazu beitragen will,
dann muss sie erklären, dass sie eventuell erforderliche
ernste Konsequenzen der Weltgemeinschaft gegen Saddam
Hussein unterstützt. Es geht nicht, dass Sie im Sicherheitsrat zustimmen und danach weiterhin abseits stehen.
Lassen Sie mich noch zu einem zweiten Themenkomplex kommen, der ebenfalls im Zusammenhang mit dem
internationalen Terrorismus steht, nämlich Tschetschenien. Die bekannte russische Korrespondentin Anna
Politkowskaja, die auch jetzt noch kritische Berichte aus
dem Kriegsgebiet liefert, hat in dieser Woche im „Spiegel“ wörtlich gesagt:
Die Zahl möglicher Selbstmordattentäter ist sprunghaft angestiegen, weil die Armee in diesem Jahr auf
besonders brutale Art so genannte Säuberungsaktionen durchgeführt hat - so, als wolle man den Terrorismus geradezu hervorrufen. Das hat auch bislang
gemäßigte Kräfte radikalisiert.
Herr Bundeskanzler, diese Problematik haben Sie bei
Ihrem Treffen mit Putin in Oslo offensichtlich nicht angesprochen.
({7})
Die Schlagzeilen zu den Artikeln, in denen über dieses
Treffen berichtet wird, lauten allesamt so oder ähnlich:
„Schröder lobt Putins Tschetschenien-Politik“; er habe
„gute Ansätze“ gesehen. Herr Bundeskanzler, Memorial
und andere Menschenrechtsorganisationen waren entsetzt.
({8})
Sie haben - daran möchte ich erinnern - die Kritik an
Ihren Äußerungen zur amerikanischen Irakpolitik zurückgewiesen und der Opposition Leisetreterei vorgeworfen,
mit der man in der Irakfrage gegenüber den Amerikanern
nichts erreiche. Sie haben die amerikanische Regierung
als Abenteurer bezeichnet und das damit gerechtfertigt,
dass man sich unter Freunden schließlich auch offen die
Meinung sagen können müsse.
({9})
Herr Bundeskanzler, wenn man Sie mit Putin in der
Talkshow mit Alfred Biolek gesehen hat oder wenn man
die Berichte über Ihre gemeinsame Schlittenfahrt mit dem
russischen Präsidenten noch in Erinnerung hat, dann
kommt man zu der Erkenntnis, dass der Eindruck eines
freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Ihnen und dem
russischen Präsidenten vermittelt werden sollte.
({10})
Wo sind denn nun die klaren Worte von Schröder zur
Tschetschenien-Politik seines Freundes Putin geblieben?
({11})
Gegenüber Präsident Bush und den USA hat der Bundeskanzler als Tiger die Zähne gefletscht und gebrüllt;
gleichzeitig hat er sich Putin als Bettvorleger angedient.
({12})
Es wird höchste Zeit, dass die Außenpolitik der Bundesregierung Maß und Orientierung zurückgewinnt.
({13})
Ich erwarte von der Bundesregierung auch, dass sie
den Protest, den der Presseattaché der russischen Botschaft gegen die Berichterstattung der ARD im Zusammenhang mit der Geiselnahme jetzt vorgebracht hat - von
diesem hat die ARD das Außenministerium informiert -,
zurückweist und sich hinter die freie und ungehinderte
Berichterstattung der ausländischen Korrespondenten in
Russland stellt und damit wenigstens ein Zeichen dafür
setzt, dass man sich in Sachen Pressefreiheit und Tschetschenien-Politik Russlands nicht alles diktieren lässt, wie
es der russische Präsident offensichtlich möchte.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der internationale Terrorismus ist die größte Gefahr für unsere Sicherheit. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung,
dass wir, eingebunden in das Bündnis mit unseren Partnern, zusammenstehen. Es ist sicherlich allen klar, wie
wichtig der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, der
Bundeswehr, aber auch vieler anderer ziviler Helfer in
diesem Zusammenhang ist.
Wenn es auch keinen formellen Zusammenhang gibt,
ist der Wiederaufbau in Afghanistan doch ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes gegen den Terrorismus.
Das humanitäre Engagement in Afghanistan und die
Fähigkeit, den Wiederaufbau unter schwierigsten Bedingungen voranzubringen, stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Mandat, das wir heute beschließen wollen.
({0})
Insofern möchte ich mich im Namen der Bundesregierung
bei der größten Oppositionsfraktion recht herzlich für die
Zustimmung bedanken.
Lassen Sie mich dennoch die gestrige Debatte, in der
Sie Deutschlands Rolle und unser Verhältnis zur NATO
beschrieben haben, und Ihre heutigen Ausführungen - ich
sehe darin durchaus einen Zusammenhang - vergleichen.
Wir stellen im Rahmen von Enduring Freedom die meisten Truppen nach den USA und leisten damit auch unter
dem Gesichtspunkt, dass wir die Risiken gemeinsam
schultern wollen, einen entsprechenden Beitrag. Unsere
Leistungen im Zusammenhang mit der Friedensmission
der Vereinten Nationen, ISAF, und unser umfassendes
Engagement finden breite Unterstützung. Daher stelle ich
fest, dass das, was Sie gestern dargestellt haben, nicht
stimmt, Herr Schäuble.
({1})
Die Union ist mit uns einer Meinung, dass der internationale Terrorismus die größte Gefahr darstellt. Sie haben
aber gestern im Zusammenhang mit der Frage, wie diesen
Bedrohungen zu begegnen ist, im Plenum so getan, als sei
die Bundesregierung nicht seit dem 11. September 2001
zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen
Union in die Staatengemeinschaft - unter anderem steht
der deutsche Innenminister mit dem amerikanischen Innenminister in Verbindung - eingebunden. Ich konnte
mich kürzlich bei meinem Besuch in Spanien davon überzeugen, wie wichtig das ist. Sie aber tun so, als ob keine
Vorsorge getroffen würde, als wenn ich nicht seit Monaten die Ausschüsse, vor allem den Auswärtigen Ausschuss, darüber unterrichten und den Abgeordneten unsere Sorge darstellen würde.
Sie bleiben in einem entscheidenden Punkt völlig unpräzise - auch Herr Polenz hat das heute getan -: Wenn
der internationale Terrorismus die Gefahr Nummer eins
ist und diese Gefahr heute mitnichten als erledigt betrachtet werden kann - wir befürchten im Gegenteil, dass
der Terrorismus wieder zuschlagen kann, wie es in
Djerba und Bali der Fall war -, dann müssen Sie mir eine
Prioritätensetzung in Bezug auf den Irak erklären. Wenn
Sie meinen, dass dabei die Frage der Massenvernichtungsmittel im Vordergrund steht, halte ich Ihnen entgegen, dass Sie eine Bedrohungsanalyse zur Frage der
Trägersysteme und der Nuklearprogramme vornehmen
müssen, und frage Sie in diesem Zusammenhang, ob Sie
nach einer solchen Analyse tatsächlich auf den Irak kommen. Die entscheidende Frage ist doch, ob eine solche
Prioritätensetzung nicht vielmehr zu dem kontraproduktiven Ergebnis einer Stärkung der terroristischen Gefahr
statt zu ihrer Schwächung führen würde. Das ist meine
große Sorge, meine Damen und Herren.
({2})
- Bitte, Herr Kollege Schäuble.
Herr Schäuble, Sie haben die Gelegenheit zu einer
Zwischenfrage.
Herr Bundesaußenminister, würden Sie mir zustimmen, dass das Thema Irak auf dem NATO-Gipfel vermutlich eine zentrale Rolle spielen wird, und können Sie mir
vor diesem Hintergrund erklären, warum Sie gestern in
Ihrer Regierungserklärung zum Thema NATO-Gipfel das
Wort Irak nicht in den Mund genommen haben?
({0})
Natürlich habe ich das Thema Irak angesprochen, nämlich gerade vor ein paar Sekunden, Herr Schockenhoff.
Herr Schäuble, es ist ganz einfach so: Am vergangenen
Donnerstag fand die erste Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Verlängerung des Mandats für Enduring
Freedom statt.
({0})
- Langsam! Sie haben gefragt, ich antworte. - Am vergangenen Donnerstag, als wir über die Verlängerung des
Mandats für Enduring Freedom diskutiert haben, habe ich
ausdrücklich auch unsere Bedenken im Zusammenhang
mit dem Irak vorgetragen und erklärt, weshalb wir der
Meinung sind, dass diese Prioritätensetzung falsch ist. Sie
können dazu gerne anderer Meinung sein. Aber unter dem
Gesichtspunkt Kampf gegen den Terrorismus ist das eine
falsche Prioritätensetzung. Darüber haben wir letzten
Mittwoch gesprochen. Heute ist die dritte und abschließende Lesung zu Enduring Freedom. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang nur sagen: Beim NATOGipfel wird der Irak eine Rolle spielen. Unsere Position
ist unzweifelhaft. Der Bundeskanzler hat sie in seiner Regierungserklärung vorgetragen. Auch andere haben mehrmals im Plenum auf sie verwiesen: Wir halten dies für
eine falsche Prioritätensetzung. Unsere Position ist an diesem Punkt ganz klar.
({1})
Die Lösung von Regionalkonflikten ist für mich die
zweite Priorität. Sie müssen sich dazu die Ursachenentwicklung anschauen. Gerade gestern haben wir eine besonders wichtige Entscheidung getroffen. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine nicht unmaßgebliche Rolle
dabei gespielt, dass es schließlich zu einer positiven Entscheidung bei der Biowaffenkonvention gekommen ist.
Sie stand kurz vor dem Scheitern.
Ich frage mich: Wenn die Gefahr der Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen als zentrales Sicherheitsrisiko
angesehen wird, haben wir gerade als ein Staat, der alle einschlägigen Konventionen unterschrieben hat, ein Interesse
an einem schärferen Nichtverbreitungsregime, oder haben
wir ein Interesse daran, dass das vorhandene Nichtverbreitungsregime letztendlich völlig in die Blockade gerät? Ich
sage Ihnen: Wir haben ein Interesse an einer schärferen
Nichtverbreitungspolitik. Am gestrigen Tag hat die Bundesrepublik Deutschland Entscheidendes dazu beigetragen.
({2})
Sie wissen doch, wie die internationale Lage bei den
Chemiewaffen und den Biowaffen ist, verehrter Herr
Schäuble. Wenn man diese Waffensysteme als zentrales Risiko darstellt, dann verstehe ich nicht, warum man eine Verschärfung, einen Ausbau und eine effizientere, punktgenauere Form dieses Regimes nicht an die erste Stelle setzt.
Auch diese Diskussion müssen wir im Bündnis führen.
({3})
Denn wenn ich der Meinung bin, dass dies ein Hauptrisiko darstellt, dann muss ich entsprechende vorbeugende
Strukturen haben. Sie sind im internationalen Vertragsregime vorhanden. Dies muss fortentwickelt werden, wofür
wir uns stark engagieren.
Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schmidt?
Gerne.
Herr Außenminister, halten Sie es für eine Verschärfung des Regimes über Biowaffenkontrolle und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, von der Sie
gerade gesprochen haben, wenn jemand Massenvernichtungswaffen hat, von den Vereinten Nationen deswegen
sanktioniert wird, diese Sanktionen nicht einhält und missachtet und dann ungestraft davonkommt?
({0})
Herr Kollege Schmidt, ich will Ihnen Ihre Frage gerne
beantworten. Wann waren Sie der Meinung, dass das
Sanktionsregime nicht mehr ausreicht? Noch Ende Mai
- das wissen Sie nur zu gut - hat der VN-Sicherheitsrat
die so genannten Smart Sanctions beschlossen. Parallel
dazu begann die Debatte. Bis dahin habe ich von Ihnen
nicht gehört, dass schärfere Maßnahmen bis hin zum Militärschlag ins Auge gefasst werden sollten. Erst als an anderer Stelle diese Debatte begann, waren auch Sie dieser
Meinung.
({0})
Ich sage ganz klar meine Position: Ich bin nicht
der Meinung, dass seit 1991/92, also zu der Zeit, als die
CDU/CSU die Regierungsverantwortung hatte, gegenüber Saddam Hussein eine Appeasement-Politik gemacht
wurde - eindeutig nein. Die Sanktionen haben gewirkt - ich
will jetzt nicht in die Zukunft schauen -, aber daraus können eine Reihe von Problemen erwachsen. Für mich ist
der entscheidende Punkt: Das Sanktionsregime hat gewirkt. Wir haben Ende Mai verbesserte Sanktionen beschlossen, die mehr Möglichkeiten bieten, der Bevölkerung im Rahmen des Oil-for-Food-Programms mit
größeren Lieferungen zu helfen. Auf der anderen Seite
wurde eine schärfere Kontrolle bei Dual-Use-Gütern, bei
Gütern, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, und bei Beschaffungsaktivitäten des Irak
durchgesetzt. Ich nehme die UN-Resolution ernst und
hoffe, dass das Regime in Bagdad diese Resolution erfüllen wird. Was Sie damit nicht erreichen, ist die Ablösung
dieses Diktators. Das steht außer Zweifel. Das ist also die
Antwort.
({1})
- Sie dürfen sich setzen.
({2})
Für mich ist die Prioritätensetzung klar. Für mich ist
die erste Priorität der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus. Die zweite Priorität ist für mich, dass wir uns
an die Lösung der Regionalkonflikte machen. Wenn mich
etwas im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen
besorgt macht, dann ist es vor allem der indisch-pakistanische Konflikt als Regionalkonflikt, der wirklich die Gefahr in sich birgt, nuklear zu eskalieren. Dazu gehört der
Nahostkonflikt. Dazu, Herr Polenz, gehört auch der Kaukasus, und zwar der nördliche wie der südliche Kaukasus.
Ich frage mich nur, ob Sie mit Ihrer Strategie, die Sie
sozusagen subkutan permanent nach vorn schieben, der
Prioritätensetzung „Die Hauptgefahr für uns ist der internationale Terrorismus“ gerecht werden oder nicht. Ich
meine, dass Sie ihr nicht gerecht werden.
({3})
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir im
Kampf gegen den Terror nicht nachlassen, und zwar auf
beiden Ebenen nicht nachlassen: auf der militärischen, der
polizeilichen und der geheimdienstlichen Ebene sowie
bei der Beförderung von Modernisierungsprozessen,
beim Wiederaufbau und bei der humanitären Hilfe. Es
geht darum, dass eine große Region eine Perspektive bekommt, dass sich Menschen nicht ausgegrenzt fühlen,
sodass der Terrorismus bei ihnen keinen Nährboden
findet.
Das ist auch die entscheidende Diskussion im Zusammenhang mit dem Irak. Da stellt sich die Frage - diese
Frage stellen Sie sich doch genauso wie wir -, ob die USA
dann, wenn sie ihre militärischen Machtmittel einsetzen,
was sie ohne jeden Zweifel können, tatsächlich bereit
sind, in dieser hochgefährlichen Region dauerhaft mit einer großen Militärmacht für Frieden und Stabilität einzustehen.
Darüber, welche Konsequenzen es hat, wenn die USA
das nicht tun, haben wir im Ausschuss gesprochen. Herr
Polenz, gerade Sie wissen nur zu gut, welche Risiken es
beinhaltet, wenn die USAvor der Zeit abziehen oder wenn
sich dort ein lang schwelender Konflikt, vor allem auf der
Terrorismusebene, entwickelt. Darüber haben wir im Ausschuss öfter gesprochen.
Das sind die Gründe dafür, dass wir eine andere Prioritätensetzung vornehmen. Wenn wir die Prioritäten so
wie wir setzen, dann müssen wir auch wissen: Beim internationalen Terrorismus wird es kein Verhandeln geben.
Mit Osama Bin Laden und seinen selbstmörderischen
Mörderbanden wird es kein Verhandeln geben können.
Das ist die bittere Wahrheit.
({4})
Deswegen werden wir gemeinsam mit unseren Partnern den Terrorismus dort, wo er entsteht, niederkämpfen
müssen, die Terrorstrukturen zerstören müssen, aber
gleichzeitig den Menschen ein Angebot zum Wiederaufbau, eine Zukunftsperpektive geben müssen, damit der
Nährboden für Terrorismus trockengelegt wird. Genau
das ist die zentrale Aufgabe, über die wir im Zusammenhang mit Enduring Freedom heute zu entscheiden haben.
Ich bitte um Ihre Unterstützung.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, würde ich gern zum
Thema Enduring Freedom zurückkommen.
({0})
Ich habe vernommen, dass wieder krampfhaft versucht
wird, die Brandmauer zu errichten bzw. zu erhalten zwischen der Terrorismusbekämpfung
({1})
und dem, was möglicherweise an militärischer Konfrontation mit dem Irak bevorsteht. Die Realitäten der nächsten Monate könnten zeigen, dass es nicht mehr möglich
sein wird, so einfache Brandmauern zu erhalten.
({2})
Aus der Vorbereitung des NATO-Gipfels - wir haben
gestern über die Veränderung und Weiterentwicklung der
NATO-Strategie gesprochen - wissen wir, dass dort die
Bekämpfung des Terrorismus ein entscheidender Punkt
ist. Deswegen werden Sie diese Form der Trennung durch
die Errichtung von Brandmauern aus rein innenpolitischem, koalitionspolitischem Kalkül nicht lange durchhalten können.
({3})
Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
stehen die Völker dieser Welt Seite an Seite. Wir Deutschen stehen bisweilen ein wenig an der Seite, wenn nicht
im Abseits. Aber insgesamt kann man wohl doch festhalten, dass in der Frage von Enduring Freedom, also im
Kampf gegen den Terrorismus im Zusammenhang mit Afghanistan, eine große Mehrheit in diesem Hause zustande
kommen wird. Das halte ich auch für sehr gut. Um es vorwegzunehmen: Die FDP-Fraktion wird dem Antrag der
Bundesregierung zustimmen.
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist
für Liberale in allererster Linie auch ein Freiheitsthema.
Die Freiheitsrechte nicht nur der Staaten, sondern auch
des einzelnen Menschen werden doch zunehmend berührt
von dem, was uns international, national oder wie auch
immer organisierte Terroristen antun. Wenn ich zum Beispiel höre - dies betrifft auch Parlamentarier dieses Hauses -, dass sich die Bundesregierung gezwungen sah, die
Botschafterkonferenz in Ostafrika, zu der viele Parlamentarier eingeladen waren, aus Sorge vor terroristischen Angriffen abzusagen, dann zeigt das doch, wie stark die Freiheitseinschränkung für alle von uns mittlerweile
geworden ist.
({4})
Wenn Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, Angehörige des Auswärtigen Amtes und andere aus Sicherheitsgründen nicht zu dieser Konferenz reisen können,
was bedeutet denn das für Millionen von deutschen
Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die frei und sicher
irgendwo in der Ferne ihren Urlaub verbringen wollen
und auch ein Recht darauf haben?
Also, meine Damen und Herren, es handelt sich hierbei weiß Gott um ein Freiheitsthema. Eine wehrhafte Demokratie muss darauf eingehen. Wir tun das. Deshalb
stimmen wir zu.
({5})
Allerdings wird uns das nicht davon abhalten, Kritik zu
äußern, und zwar insbesondere deshalb, weil die Bundeswehrangehörigen einen Anspruch darauf haben, dass wir
ihre Probleme auch hier artikulieren. Denn - hoffentlich
sind wir uns auch darin einig - die Angehörigen der Bundeswehr leisten sowohl in Afghanistan als auch in anderen Regionen einen hervorragenden Beitrag im Kampf
gegen den Terrorismus und zur Wiedererlangung des Friedens. Dafür sollten wir ihnen allen unseren Dank sagen.
({6})
In diesen Dank sollten wir ihre Familien einschließen, die
einen riesigen Beitrag leisten, ihre Freunde und nicht zuletzt auch die Angehörigen der Bundeswehr, die zu Hause
bleiben. Denn auf ihnen wird ein Teil der Last abgeladen,
der sonst auf denjenigen liegen würde, die jetzt nach Afghanistan oder in andere Regionen der Welt geschickt
worden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Kritik angeht, möchte ich mich auf drei Bereiche konzentrieren:
den Einsatz am Horn von Afrika, die ABC-Spürtruppen
in Kuwait und die Frage der Finanzierung der Bundeswehr.
Zunächst möchte ich auf den Einsatz am Horn von
Afrika zu sprechen kommen. Wir haben dort Marineeinheiten stationiert. Auch diese leisten unter katastrophalen und schwierigsten Bedingungen einen hervorragenden Einsatz. Aber diese Soldaten werden dorthin
geschickt mit Material, das für Operationen unter solchen
Temperaturbedingungen nicht geeignet ist. Darüber hinaus handelt es sich auch noch um Material, das mit dem
unserer Verbündeten so inkompatibel ist, dass nicht einmal ein Ersatzteilaustausch möglich ist. Eine effektive Arbeit ist so nur begrenzt möglich. Das ist natürlich nicht das
Beste für die Motivation.
Wenn dies allein für die Marinesoldaten nicht schon
frustrierend genug ist, die nationalen Einsatzrichtlinien
sind es allemal. Wie demotivierend muss es sein, einen
begründeten Verdacht gegen ein das Horn von Afrika passierendes Schiff zu haben, die Überprüfung dieses Verdachtes jedoch Soldaten anderer Nationen überlassen zu
müssen? Das ist nicht zu begreifen. Durch reine Präsenz
und die wertvolle Auflistung von Bewegungen in dieser
Region, ohne aber weitere Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten kann dem internationalen Terrorismus nicht
Einhalt geboten werden. Das wirkt fast lächerlich. Das
Mandat erlaubt mehr, aber der Bundesregierung fehlt
offensichtlich die Kraft, es verantwortungsvoll auszufüllen.
({7})
Das liegt wahrscheinlich weniger an der Kraft als an
dem Spagat zwischen Regierungsverantwortung und Parteipolitik, den wir hier seit Monaten miterleben dürfen.
Nach außen zeigen wir „Wir sind ja dabei“, aber nach innen kann man argumentieren „Keine Sorge, handeln können unsere Soldaten sowieso nicht“. Auf Dauer geht das
nicht gut.
({8})
Bedeutend schwerwiegender könnte sich diese Regierungsschwäche bei der Ausgestaltung der ABC-Schutztruppe erweisen. Kollege Polenz ist ausdrücklich darauf
eingegangen. Ich möchte es auf den Punkt bringen. Es ist
schon eine geradezu absurde, wenn nicht schizophrene Situation: Einerseits dürften unsere ABC-Soldaten zwar im
Falle einer terroristischen A-, B- oder C-Bedrohung in
Kuwait tätig werden. Aber sie könnten dies nicht, weil
80 Prozent des Personals auf 96 Stunden Rufbereitschaft
in Deutschland gebunden sind. Das ist zwar sehr schnell,
aber in einem solchen Fall nicht schnell genug. Andererseits könnte das deutsche Kontingent im Falle eines Irakkrieges nach entsprechender Komplettierung einen wirksamen Beitrag leisten, dürfte dies aber aus politischen
Gründen nicht.
Das muss man sich einmal ganz konkret vorstellen.
Deutschland verfügt über das weltweit technologisch anspruchsvollste und beste Material für den ABC-Schutz sowie über hervorragend ausgebildete und ausgerüstete Soldaten. Falls Soldaten - zum Beispiel amerikanischer,
britischer oder auch anderer Herkunft - im Zusammenhang mit einem Irakkrieg in eine lebensbedrohliche Situation geraten, könnten deutsche Soldaten sie retten.
Aber wir sagen Nein. Das halten wir nicht aus.
({9})
Wir werden sehen, Herr Kollege Ströbele, was die
Bekenntnisse der Koalition wert sind.
({10})
Sowohl der Kollege Erler als auch Herr Struck haben in
ihren Ausführungen ein Hintertürchen geöffnet. Die Bundesregierung verweist darauf, dass ein Bundestagsbeschluss erforderlich ist. Selbst wenn der Bundestag in
Rekordzeit handelte, könnte es zur Rettung von Menschenleben zu spät sein.
({11})
Da wir die Situation vorhersehen, in der das Handeln
der Bundesregierung gefragt ist, betonen wir: Verantwortungsbewusste Politik muss jetzt handeln und nicht erst
dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir sollten über die Sinnhaftigkeit unserer Entscheidungen konkret und schnörkellos nachdenken; denn das Risiko in
Kuwait und das Risiko um den Irak herum ist enorm hoch.
Als Letztes möchte ich etwas zur Finanzierung von
Enduring Freedom sagen. Minister Struck hat im Verteidigungsausschuss darauf hingewiesen - ich hoffe, das
ist mir korrekt berichtet worden -, dass die Finanzierung
der zusätzlichen Lasten aus dem Einzelplan 60 gewährleistet ist, sodass wir nicht davon ausgehen müssen, dass
der Einzelplan 14 zusätzlich belastet wird. Das sind Good
News. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen
hier in drei Wochen sehen, was diese Äußerungen wert
sind und wo die Grenzen dessen sind, was wir einer schon
jetzt bis an die Schmerzgrenze belasteten Bundeswehr eigentlich noch zumuten und aufbürden können, wenn sich
die Finanzierung und die Ausstattung der Bundeswehr
nicht nachhaltig verbessern.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich erteile Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Debatte ist ein Anlass, ein Jahr nach der Entscheidung über Enduring Freedom und nach der historischen
Konferenz auf dem Petersberg eine positive Zwischenbilanz zur Entwicklung in Afghanistan zu ziehen. Ich
denke dabei auch an die internationale Unterstützung. Ich
sage das, obwohl wir wissen, dass die Entwicklung vor
Rückschlägen nicht gefeit ist.
Die Taliban sind zurückgedrängt und sie sind weitgehend entmachtet. Unter dem durch die Loya Jirga gewählten Präsidenten Karzai sind eine Rechtskommission,
eine Menschenrechtskommission und eine Verfassungskommission eingesetzt worden. Außerdem ist eine unabhängige Zentralbank institutionalisiert worden. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Ernstfall: der
demokratische und wirtschaftliche Aufbau; dieses erfordert ein langfristiges Engagement und eine langfristige
Unterstützung. Das entscheidende Signal geht von der
Beantwortung der Frage aus, ob es gelingt, dem Terrorismus dauerhaft die Basis zu entziehen.
({0})
Die Menschen in Afghanistan haben mit unglaublicher
Energie und Kraft mit dem Wiederaufbau begonnen. Sie
werden dabei und müssen auch dauerhaft von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden; denn Afghanistan hat eine lange Erfahrung damit, wie es ist, wenn die
internationale Gemeinschaft wegsieht.
An dieser Stelle möchte ich sowohl den Soldaten dort
im Land als auch den für Nichtregierungsorganisationen
in der humanitären Hilfe Tätigen als auch denjenigen, die
dort zum Zwecke der Förderung der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, ein Dankeschön sagen für die Arbeit,
die sie vor Ort beim demokratischen, wirtschaftlichen und
sozialen Wiederaufbau leisten.
({1})
Wir haben als Bundesregierung Wort gehalten, wir haben 80 Millionen Euro Finanzhilfen zugesagt. In diesem
Jahr haben wir angesichts der Bewältigung zusätzlicher
Aufgaben die Mittel sogar aufgestockt, sodass im Jahr
2002 insgesamt 126 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden sind. Und das heißt auch Aufbau der Polizei
zum Beispiel. Wir leisten nicht nur einen militärischen
Beitrag, sondern wir haben auch dazu beigetragen, dass
Polizeiausbilder ausgebildet werden. Wir haben dazu beigetragen, dass die Ausrüstung, die Schulung der Polizei,
die Bereiche Ausbildung, Information, Kenntnisse über
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit vorangebracht
worden sind. Wir haben dazu beigetragen, dass Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen - allein
34 mit deutschen Finanzhilfen - wiederhergestellt wurden, sodass es den Menschen dort, zumal auch den
Frauen, denen bisher der Zugang zum Gesundheitssystem
verwehrt wurde, wieder möglich wurde, Krankenhäuser
aufzusuchen. Es ist doch ein großartiger Erfolg, dass so
Frauen- und Kindersterblichkeit verringert werden
konnte. Ich finde, das sollte in dieser Debatte eine Rolle
spielen und nicht das Klein-Klein zwischen Opposition
und Regierung in diesen Fragen.
({2})
Sagen wir doch klar, dass das ein Riesenerfolg ist. Dieses
Engagement erwarten ja auch die Menschen in Afghanistan von uns.
Mit den Mitteln deutscher Entwicklungszusammenarbeit und durch viele Nichtregierungsorganisationen haben
wir 80 Schulen wiederhergestellt, sodass 80 000 Kinder
allein auf diese Finanzierungsmöglichkeit hin, insbesondere Mädchen, heute wieder Schulen besuchen können.
Das ist ein großartiger Erfolg. Ein Zurückdrängen der Koranschulen und eine Förderung des öffentlichen Schulsystems, in dem auch Mädchen Chancen haben und in dem
keine Hetze von islamistischen Kräften stattfindet, wirken
dem Terrorismus dauerhaft entgegen.
({3})
Wir wissen - und das war ja auch ein wichtiger Grund
für die Zurückdrängung der Taliban -, dass die Frauen
von ihnen entrechtet worden sind. Unsere Entwicklungszusammenarbeit hat dazu beigetragen - ich habe vor zwei
Tagen mit der zuständigen stellvertretenden Frauenministerin gesprochen -, dass mittlerweile im Land selbst
34 Frauenzentren bzw. Netzwerke, in denen Frauen beraten und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Rechte geholfen
wird, eingerichtet worden sind, davon 16 in Kabul selbst.
Das ist doch eine wunderbare Leistung.
({4})
Die Frauen in Afghanistan danken uns, dass ihnen solch
große Zukunftschancen eröffnet werden. Wir diskutieren
hier doch das Schicksal von Menschen und nicht um irgendwelche abstrakten Prinzipien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aber auch
- und das tun wir auch schon - zum einen den Menschen
helfen, den dramatischen Winter zu überstehen. Zum anderen wollen wir durch die Schaffung von Verbindungen
in abgelegenen Provinzen wie Farah, Badghis oder Ghor
und mithilfe von Programmen zur Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, dass Kommunikationskanäle
zwischen diesen Regionen und der Zentralregierung
Karzai, die ja gestärkt und unterstützt werden muss, geschaffen werden, um dazu beizutragen, dass regionalen
Warlords das Handwerk gelegt und die Zentralregierung
gestärkt wird.
Ich komme zurück auf die Frauen: In der Verfassungskommission, die jetzt eingesetzt worden ist - das ist
vielleicht für uns schwer vorstellbar, aber für Afghanistan
ist das ein Riesenfortschritt -, sind fünf Männer und zwei
Frauen, Juristinnen, vertreten. Das ist ein wichtiger Anfang, denn wir wollen dazu beitragen, dass die Rechte der
Frauen auch in der Verfassung garantiert werden, und unterstützen die afghanische Regierung dabei. Wir wissen
aber auch, dass die Frauen in Afghanistan ihren Teil dazu
beitragen. Das ist ein wichtiger Anfang. Wir werden die
weitere Entwicklung sehr genau verfolgen und begleiten.
({5})
Afghanistan ist aber auch - da wende ich mich noch
einmal an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ein Beispiel dafür, dass es im Kampf gegen den Terrorismus ein langfristiges Engagement braucht. Zu glauben,
Nation Building, also ein demokratisches Staatswesen im
Nahen Osten aufzubauen, ginge einfach einmal so in einem halben Jahr, ist unrealistisch;
({6})
demokratischer Staatsaufbau erfordert vielmehr Konzentration. Afghanistan sollte auch weltweit ein Beispiel
dafür werden, dass sich die Abkehr von Gewalt und Terrorismus lohnt, dass sich Frieden für die Menschen lohnt.
({7})
Aber - genau das habe ich auch in der Debatte vor einem Jahr gesagt - der Terrorismus braucht auch weiter
gehende Antworten. Ihm muss eine weltweite Koalition,
die für Gerechtigkeit und Solidarität eintritt und die globale Armut bekämpft, entgegengesetzt werden. In Bezug
auf Freiheitsrechte sage ich: Freiheitsrechte sind wichtig.
Aber sind die 1,2 Milliarden Menschen wirklich frei, die
weniger als 1 Dollar pro Tag verdienen? Der Kampf gegen die globale Armut wird dem Terrorismus langfristig
die Basis entziehen.
({8})
Es ist wichtig, zu betonen, dass wir uns in mehreren
internationalen Konferenzen diesen Aufgaben gestellt
haben. Die dort eingegangenen Verpflichtungen setzen
wir um: In Doha wurde eine neue Welthandelsrunde eingeläutet; in Monterrey wurde eine höhere Entwicklungsfinanzierung beschlossen und - nicht zuletzt - in Johannesburg wurden die Weichen für eine nachhaltige
Energiezukunft und globale Klimaziele gestellt. Wir sind
dieser Politik verpflichtet und setzen die notwendigen
Maßnahmen um.
Wir beharren aber auch darauf - in diesem Punkt gibt
es bei Ihnen Widersprüche -, dass die Finanzmittel international genau auf diese Aufgaben konzentriert werden. Die knappen öffentlichen Mittel der Welt müssen in
Wachstum, in Entwicklung und in Armutsbekämpfung investiert werden, aber nicht noch auf andere Bereiche ausgeweitet werden.
Die internationale Gemeinschaft darf es nicht zulassen,
dass durch weltweit steigende Militärausgaben die Handlungsspielräume verengt werden.
({9})
Schon jetzt leiden die Entwicklungsländer stärker noch
als die Industrieländer unter der weltwirtschaftlichen
Krise und steigenden Ölpreisen. Die OECD hat gerade in
jüngster Zeit in einem Bericht darauf hingewiesen - so hat
das „Handelsblatt“ berichtet; manchmal ist es wichtiger,
den Wirtschaftsteil der Zeitungen zu lesen -, dass die Militärausgaben weltweit das Wachstum bremsen. Das schadet gerade den Entwicklungsländern. Deshalb müssen wir
darauf achten, die Mittel auf die wichtigen Bereiche zu
konzentrieren. Wir müssen auf politische Lösungen setzen und von der Androhung von Krieg wegkommen.
Auch diese Schlussfolgerung ist für die Bekämpfung des
Terrorismus wichtig.
Frau Ministerin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Jawohl, Herr Präsident! Ich bin sofort fertig.
({0})
- Bei einem Verteidigungsminister Struck fällt mir das
durchaus leicht.
Ich komme zum Schluss. Nach dem 11. September haben wir die Schaffung globaler Rechtsstaatlichkeit gefordert. Dazu leistet der Internationale Strafgerichtshof einen Beitrag. Wer versucht, ihn zu delegitimieren, der
schadet dieser globalen Rechtsstaatlichkeit, die so notwendig ist.
Lassen Sie uns zusammenstehen und uns dafür engagieren, dass wir Schritte in Richtung auf eine gerechtere
Weltordnung unternehmen! Das ist für die Sicherheit,
auch für unsere Sicherheit, die wichtigste Aufgabe für die
Zukunft. Darüber sollten wir uns einig sein.
Ich bedanke mich sehr.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Raidel,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einsatz von Truppen, die Entsendung der Bundeswehr in internationale Einsätze, darf niemals zur Routine werden. Deswegen ist es wichtig und notwendig, dass
wir uns heute mit diesem Einsatz in ganz besonderer
Weise wieder beschäftigen. Wir von der CDU/CSU stellen uns dieser Frage besonders, weil die Fürsorgepflicht
gegenüber unseren Soldaten für uns im Mittelpunkt steht.
Wir alle haben der Bundeswehr für ihre Einsätze gedankt. Es genügt aber nicht, nur Danke schön zu sagen.
Man muss gleichzeitig dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Bundeswehr stimmen. Diese Rahmenbedingungen sind verbesserungsbedürftig. Deswegen fordere ich hier und heute für die Soldaten, dass einige Dinge
künftig verbessert werden.
Das bedeutet erstens, die Überbelastung von Soldatinnen und Soldaten zu mildern sowie die Situation deren Familien durch Flexibilisierung der Einsatzdauer und durch
eine flächendeckende professionelle Familienbetreuungsorganisation zu verbessern.
Zweitens fordern wir die Verbesserung des Besoldungs- und Zulagenwesens sowie der Beförderungsmöglichkeiten für Soldaten im Einsatz unter Berücksichtigung
besonderer Situationen, beispielsweise einem Einsatz in
der KSK.
({0})
Wir fordern darüber hinaus die Anpassung des Soldatenversorgungsgesetzes. Schließlich hat sich mit der Veränderung der Gefährdungslage auch das Berufsbild des
Soldaten geändert. Ich nenne als Stichwort nur die Wehrdienstbeschädigungen.
Wer angesichts solch schwieriger Einsätze ständig die
Notwendigkeit der Bundeswehr beteuert, der muss natürlich ins Kalkül ziehen, dass die Fähigkeiten - Mittel, Ausbildung usw. - nicht unverändert bleiben dürfen. Deshalb
sagen wir nach wie vor: Der Verteidigungshaushalt ist unterfinanziert. Mit dem Haushalt 2003 hat die Regierung,
hat das Parlament die Möglichkeit, diese massive Unterfinanzierung bei Personal, Betrieb und Investitionen zu
korrigieren.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich ist
das Thema Enduring Freedom insgesamt eingebettet in
die derzeitige weltpolitische Diskussion - Schlüsselwort
Irak. Ich bin der Meinung, dass die Regierung aufgefordert bleibt, Klarheit zu schaffen und die Bundeswehr aus
der Grauzone - das gilt für die Marine, das gilt für KSK,
das gilt auch für den Einsatz von Spürpanzern im Irak zu holen, was neue Aufträge und neue Einsatzgebiete angeht.
Der Außenminister macht es sich zu leicht, wenn er nur
feststellt: „Wir werden uns nicht aktiv beteiligen.“ Was
bedeutet das denn? Selbstverständlich muss Deutschland
seinen anderen Verpflichtungen nachkommen. Selbstverständlich werden wir nicht abseits stehen, wenn von
Deutschland aus logistische Unterstützung geleistet werden muss, wenn wir im medizinischen Bereich - Stichwort Medivac - unseren Beitrag leisten müssen. Wir können nicht einerseits die Resolution im Weltsicherheitsrat
begrüßen, es andererseits aber vermeiden, uns bei deren
aktiver Durchsetzung zu beteiligen, zum Beispiel, indem
wir Fachleute - wie jetzt bei der Entsendung von Inspektoren - zur Verfügung stellen.
All dies wird hier mit großer Geste beiseite geschoben.
Wenn wir die Dinge auf den Punkt bringen, dann sehen
wir, dass wir an einer aktiven Beteiligung nicht vorbeikommen - und das ist auch gut so. Ich wäre sehr dankbar,
wenn seitens Rot-Grün endlich einmal zwischen Wunsch
und Wirklichkeit unterschieden würde und wenn man die
Realitäten so sähe, dass sie uns nützen, statt uns außenund sicherheitspolitisch weiter zu schaden.
({2})
Stellen wir noch einmal fest: Nach dem 11. September 2001 verspricht Schröder die „uneingeschränkte Solidarität“. Was ist daraus geworden? - Jämmerlich,
mickrig! Dieser Bundeskanzler sagt, man lasse auch künftig keinen im Regen stehen. Sein Handeln aber bedeutet:
Wir lassen jeden im Regen sitzen.
({3})
Das ist eine Haltung, die Deutschland nicht angemessen ist.
Der Bundeskanzler musste seinerzeit die Vertrauensfrage stellen, weil er ansonsten im eigenen Lager keine eigene Mehrheit gehabt hätte. Kein Ruhmesblatt für uns,
eher eine Verzweiflungstat! Draußen hat man das sehr
wohl registriert.
({4})
Die unsägliche Irakpolitik belastet nach wie vor unser
Verhältnis zu den USA, zerstört Vertrauen und isoliert
Deutschland in Europa, bei der NATO und der UNO. Unser Einfluss sinkt. Die Welt nimmt uns nicht mehr ernst.
Die Wirtschaftsmisere verstärkt diesen freien Fall. Unser
verteidigungs-, sicherheits- und außenpolitischer Abstieg
in die zweite Liga ist vorprogrammiert. Wir sitzen weltpolitisch am Katzentisch. Wir brauchen eine Umkehr.
({5})
- Lieber Herr Kollege Erler, Sie haben mit großer Geste
die Probleme beschrieben, die außerhalb von Deutschland
bestehen.
({6})
Sie haben gesagt: Wir sollten, wir müssten, wir könnten, wir
dürften. Aber Sie sind nie von einer realistischen Grundlage
in unserem Lande ausgegangen. Wenn Sie das getan hätten,
hätten Sie ganz andere Maßstäbe anwenden müssen, damit
wir in diesen Fragen nicht weiter isoliert sind.
Dabei erkenne ich durchaus an, was die Bundeswehr
in diesem Zusammenhang leistet. Ich erkenne auch die
außenpolitischen Bemühungen an. Aber die innere Verfasstheit von SPD und Grünen ist schwankend, was uns
nicht erlaubt, einen konsequenten, angemessenen deutschen Beitrag zu leisten.
({7})
Hier haben Sie Nachholbedarf.
({8})
Eigentlich sollten wir heute Folgendes tun: Wir sollten
uns entweder der Stimme enthalten oder dagegen stimmen, damit wir Sie wieder zum Offenbarungseid zwingen.
({9})
Wir tun es nicht. Warum? - Weil die Bundeswehr uns
braucht, weil sie Rückhalt benötigt und weil sie insbesondere in unsere Fraktion Vertrauen setzt.
({10})
Auch unsere internationalen Partner brauchen in besonderer Weise ein Zeichen des Goodwill von unserer Seite.
Wir müssen wettmachen, was Rot-Grün, was Schröder/
Fischer in dieser Frage verbocken.
({11})
Wir stimmen nicht deswegen zu, um einer lahmenden Regierung zu helfen, sondern aufgrund unserer besonderen
Verantwortung.
({12})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohungsgefühle in der Bevölkerung im Hinblick auf den internationalen Terrorismus sind deutlich
zurückgegangen. Das ist normal. Die objektive Bedrohungslage hat sich nicht reduziert. Deshalb ist es unsere
besondere Verantwortung, im Hinblick auf die Bedrohung
durch den internationalen Terrorismus wachsam zu sein.
Heute wird der Bundestag über die weitere Teilnahme
der Bundeswehr an Enduring Freedom befinden. Uns ist
bewusst: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist primär eine politische Aufgabe. Die direkte Verfolgung der Täter und ihrer Hintermänner, die Gefahrenabwehr, das alles muss einhergehen mit dem strategischen
Kampf um Köpfe und Herzen der Menschen, mit der Eindämmung und Austrocknung von Nähr- und Resonanzböden des Terrorismus. Dabei ist die Wahrung und Stärkung
der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Standards von
elementarer Bedeutung.
({0})
Ein Jahr nach Beginn der deutschen Beteiligung an
Enduring Freedom stellt sich selbstverständlich die
Frage: Was hat sie gebracht?
({1})
Bin Laden ist noch nicht gefangen, al-Qaida noch weiter
aktionsfähig. In Afghanistan herrschen immer noch viel
Unfriede und Gewalt. Wir müssen nüchtern feststellen:
Auf die Frage nach der Wirksamkeit der Terrorismusbekämpfung und des Militärischen lassen sich nur zum
Teil eindeutige Antworten geben. Denn diese Bedrohung
ist zu komplex, zu undurchsichtig sowie zäh und deshalb
schwierig zu bewerten.
Aber es gibt offenkundige Ergebnisse. Afghanistan
- das sollten wir nicht vergessen - war der wesentliche
Ausbildungs-, Rückzugs- und Operationsraum für terroristische Strukturen, wo mindestens 20 000 Kämpfer ausgebildet und von wo diese dann entsandt wurden. Dieses
primäre Basislager hat al-Qaida weitestgehend verloren,
allerdings nicht aufgegeben, wie Reorganisationsversuche von al-Qaida und Taliban zeigen.
Eingedämmt wurde das 23-jährige Kriegschaos, aber
längst noch nicht beendet. Noch zu stark sind Warlords
und kriminelle Banden. Die für den letzten Winter befürchtete große humanitäre Katastrophe konnte gerade
noch verhindert werden. Das heißt, vielen Tausend Menschen in Afghanistan wurde tatsächlich das Leben gerettet.
Den 20 Millionen geschundenen Afghanen wurde eine
einmalige Friedenschance eröffnet. Diese ist noch sehr
gefährdet und sie wird von den zivilen Opfern überschattet, die die alliierten Militäraktionen gefordert haben.
Trotzdem, das Land hat eine Friedenschance, wie sie vor
Jahren in keiner Weise für möglich gehalten wurde.
Weitere Ergebnisse sind: Die Bewegungs- und Aktionsfreiheit der Terrornetzwerke wurde behindert. Somalia
wurde nicht zum befürchteten Rückzugsgebiet für diese
Terroristen. Allerdings ist nur zum Teil nachweisbar, inwieweit auch Anschläge verhindert werden konnten.
Aber - das müssen wir ebenfalls feststellen - es gab
auch deutliche Rückschläge. Dazu gehört der Einsatz unverhältnismäßiger und unterschiedslos wirkender militärischer Gewalt. Dazu gehört die beunruhigende Tendenz
bei einigen Partnern der Antiterrorkoalition, bei der Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte zu relativieren,
ja massivst zu verletzen.
({2})
Extrembeispiel dafür ist der Terrorkrieg in Tschetschenien. Dieser fördert den Terrorismus, statt ihn auszutrocknen. Völlig zu Recht hat Bundespräsident Rau gefordert, die Allianz gegen den Terror müsse mit einer
Allianz für die Menschenrechte einhergehen.
({3})
Die deutschen Beiträge zu Enduring Freedom sind
qualitativ hochwertig und wichtige Elemente der militärischen Terrorismusbekämpfung. Ohne sie verharmlosen
zu wollen: Insgesamt hat der deutsche militärische Beitrag überwiegend einen unterstützenden, vorbeugend
überwachenden Charakter. Die Bundeswehrsoldaten sind
dabei an Recht und Gesetz gebunden, woran sie sich auch
halten.
Wider manche Befürchtungen machte die Bundesregierung zurückhaltenden Gebrauch von dem Mandat
und passte die Einsatzstärken der jeweiligen Lage an.
Völlig falsch ist der Vorwurf, die Bundesrepublik setze
auf eine militärische Lösung des Problems Terrorismus.
Gerade wurden uns noch neueste bilanzierende Gesamtberichte der Bundesregierung vorgelegt. Darin wurde
sehr deutlich und sehr konkret nachgewiesen - Vorrednerinnen und Vorredner haben es plastisch dargestellt -, was
die Bundesrepublik alles zu dieser umfassenden Terrorismusbekämpfung, also der Ursachenbekämpfung, geleistet hat im Rahmen des Wiederaufbaus in Afghanistan, der
Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der
Stabilisierung von schwachen Staaten insgesamt, des Dialogs der Kulturen.
Die Bundesrepublik beteiligt sich in umfassender und
eigenständiger Solidarität an der Allianz gegen den internationalen Terror, primär politisch, unbedingt multilateral
und im Rahmen des Völkerrechts, begrenzt auch militärisch. Die damals verbreitete Befürchtung, die Bundesrepublik unterstütze einen „Krieg gegen Afghanistan“
oder gerate in ein Kriegsabenteuer, hat sich nicht bewahrheitet. Die Bundesrepublik leistet im Gegenteil entscheidende und führende Beiträge zur Eindämmung von Terrorismus und Krieg, ganz besonders in Afghanistan.
Deshalb können etliche derjenigen, die die Teilnahme an
dem Einsatz vor einem Jahr ablehnten, diesem heute zustimmen.
({4})
Der heute zu fassende Beschluss macht deutlich: Die
bei Enduring Freedom eingesetzten Bundeswehrkräfte
dürfen nur im Rahmen von Enduring Freedom eingesetzt
werden, also nicht im Rahmen eines möglichen Irakkrieges. Die Beibehaltung der bisherigen Beiträge ist notwendig und unverzichtbar. Hier ganz oder teilweise auszusteigen hieße, den Reorganisationsversuchen und
Umtrieben von al-Qaida und Unterstützern dort freien
Lauf zu lassen, wo polizeiliche und geheimdienstliche
Maßnahmen nicht hinreichen.
Der Ausstieg eines Landes vom Gewicht der Bundesrepublik würde die internationale Antiterrorallianz massiv
schwächen. Ein solcher Ausstieg würde zugleich der klaren deutschen Haltung gegenüber einem möglichen Krieg
gegen den Irak alle internationale Glaubwürdigkeit und
Autorität entziehen, zumal die Bundesrepublik Deutschland in Kürze einen Sitz im Sicherheitsrat haben und
eine besonders wichtige Rolle für die internationale
Sicherheitslage spielen wird. Das gilt besonders dann,
wenn sie die Präsidentschaft in diesem Gremium innehaben wird.
Die Einsatzrealität der Bundeswehrsoldaten auf den
Schiffen der Marine und in Afghanistan ist äußerst strapaziös und entbehrungsreich. Das gilt indirekt auch für
ihre Angehörigen. Diese Einsatzrealität ist teilweise mit
hohen Risiken verbunden. Wir dürfen uns nichts vormachen: Diese Risiken werden in der nächsten Zeit wahrscheinlich noch erheblich zunehmen.
Die politische und militärische Führung der Bundeswehr und dieser Bundestag stehen in der Pflicht, diese Risiken sehr sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat in den letzten
Wochen sehr intensiv über die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung an Enduring Freedom debattiert. Es war
für uns in keiner Weise ein Routinevorgang. Wir sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung an Enduring Freedom im Sinne der
internationalen Sicherheit sachlich geboten, unverzichtbar und verantwortbar ist. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Arnold Vaatz,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Aussprache hat gezeigt, dass es in diesem Haus unstrittig ist, dass der Antiterrorkampf und der Einsatz für
die Wiederherstellung der Menschenrechte zwei Seiten
derselben Medaille sind. Ich muss hinzufügen: Die Wiederherstellung der Menschenrechte ist kein erfreuliches
Nebenprodukt des Antiterrorkampfes, sondern ein Wert
an sich.
({0})
Wir müssen uns bei der heutigen Debatte schon vor
Augen führen, was geschähe, wenn wir die Bemühungen
im Antiterrorkampf abbrächen, und welche Konsequenzen das für die Menschenrechtslage hätte. Als Erstes wäre
das eine ungeheure Ermutigung für die fundamentalistischen angeblichen Koranlehrer von Marokko bis Indonesien und die Zerstörung des Menschenrechtsbewusstseins
im Kopf schritte weiter voran; denn ein Rückzug der demokratischen Staaten vor dem Problem des Terrorismus
könnte ganz leicht als Sieg des Terrorismus interpretiert
werden.
Nach der Zerstörung des Menschenrechtsbewusstseins
im Kopf käme die Zerstörung der Menschenrechte in der
Gesellschaft. Es käme zu einer wesentlich stärkeren Manipulierbarkeit der Gesellschaft und das würde den Nährboden für menschliche Bomben bereiten. Diese menschlichen Bomben träfen nicht nur die Menschen in den
Staaten des Fernen und Mittleren Ostens, sondern sie träfen auch uns. Das gilt es zu vermeiden.
({1})
Gestern fand eine Feier anlässlich des 40. Geburtstages
der Deutschen Welthungerhilfe statt. An dieser Feier hat
Siba Shakib mitgewirkt, eine Schriftstellerin und Journalistin, die im Iran geboren ist. Sie hat es auf einen Nenner
gebracht, indem sie gesagt hat:
Wenn es nicht gelingt, den Frieden in Afghanistan zu
sichern, ist auch der Frieden in Deutschland und damit in Europa nicht zu sichern.
({2})
Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, wie viele Beiträge geleistet worden sind, um eine
globale Rechtsstaatlichkeit herbeizuführen. Sie haben
gesagt, es dürfe nicht hingenommen werden, dass
Beiträge zu einer globalen Rechtsstaatlichkeit delegitimiert werden. Das ist richtig. Wo Sie Recht haben, haben
Sie Recht. Nur, für die Delegitimierung dieser Beiträge
zur globalen Rechtsstaatlichkeit haben Sie selbst bereits
entscheidende Beiträge geleistet. Das möchte ich Ihnen
genauer erklären: Sie können nicht sagen, wir werden
al-Qaida bekämpfen, aber im Falle des Irak schließen wir
von vornherein jede Beteiligung aus, egal was wir über
dieses Land noch feststellen müssen. Diese Haltung ist
unlogisch und zeigt letzten Endes, dass Sie bereit sind, inkonsequent zu sein, dass Sie bereit sind, vor der Bedrohung zurückzuweichen. Damit schaffen Sie eine neue Bedrohungslage.
Herr Kollege Nachtwei, Ihre Aussage von vorhin kann
ich nicht nachvollziehen. Sie haben gesagt, dass das Bedrohungsgefühl in diesem Land und auch die reale Bedrohung zurückgegangen seien. Jedenfalls habe ich Sie so
verstanden.
({3})
- Oder sie sei geblieben; gut. Ich kann Ihnen nur sagen:
Vielleicht ist die globale Bedrohung auch stärker geworden. Das, was wir jetzt aus Verfassungsschutzkreisen
- Stichwort Tonbänder - gehört haben, weist eher darauf
hin.
Es kommt auch darauf an, den Unterschied zwischen
dem Bedrohungsbewusstsein und der realen Bedrohung in diesem Land abzubauen. Sie haben diesen Unterschied im Wahlkampf verstärkt, und zwar um billiger
politischer Ziele willen, weil Sie erkannt haben, dass wir
in Ostdeutschland noch eine Partei namens PDS haben,
um deren Wähler Sie sich bemühen wollten. Was haben
Sie getan? Sie haben festgestellt, dass diese Partei, die
PDS, seit sie keine Panzer mehr zur Verfügung hat, den
Pazifismus entdeckt hat. Dies ist übrigens genau die umgekehrte Entwicklung wie die, die die Grünen genommen
haben. Die Grünen haben in dem Moment, in dem sie eine
Armee zur Verfügung hatten, den Pazifismus abgelegt.
({4})
Jetzt wollen Sie sich um diese Wähler bemühen und daraufhin haben Sie diesen Unterschied gemacht.
Dieser Unterschied hat eine ganz konkrete Folge: Er
hat das Regime im Irak ermutigt und dieses Regime darauf hingewiesen, dass Deutschland die weiche Flanke
der demokratischen Welt im Kampf gegen den Fundamentalismus und die Diktatoren ist. Dies ist das Problem.
({5})
Indem Sie Deutschland zur weichen Flanke machen,
verschärfen Sie die Sicherheitslage in Deutschland selbst
und in Europa; denn ein Zurückweichen oder ein Wohlverhalten gegenüber menschenverachtenden Systemen
bewirkt niemals, dass diese menschenverachtenden
Systeme einen dafür belohnen. Sie erkennen ganz im Gegenteil darin ein Merkmal der Schwäche. Dies bedeutet
eine zusätzliche Gefährdung. Dies ist die wahre Unverschämtheit gegenüber unseren Soldaten, die in diesen
Ländern einen gefährlichen Dienst tun.
({6})
Wenn die Befehlshaber im eigenen Land erklären,
dass sie sich im Zweifelsfall zurückziehen wollen, nimmt
der Druck auf diese Menschen, die ihr Leben aufs Spiel
setzen, unaufhörlich zu. Außerdem entsteht eine Verwirrung in der Gesellschaft selbst. Die Menschen auf der
Straße verstehen nicht, weshalb Sie Unterschiede zwischen al-Qaida einerseits und dem Irak andererseits machen.
({7})
In letzter Konsequenz - jetzt komme ich auf die Menschenrechte zurück - tun Sie noch etwas anderes. Die Teilung der Argumentation in diesen beiden Feldern der Bedrohung ist identisch mit dem Zurückkommen auf den
Gedanken der Teilbarkeit der Menschenrechte. Dies war
von Anfang an falsch und wird es auch in Zukunft sein.
Das ist ein Irrweg. Korrigieren Sie ihn, bevor es zu spät ist!
({8})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Arnold,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Seit zwölf Monaten beteiligt sich Deutschland zusammen mit über 70 Staaten an einer weltweiten Antiterrorkoalition. Herr Polenz, bisher habe ich gedacht, dass wir
alle im November des letzten Jahres nicht schnell und
leichtfertig die Hand gehoben haben; denn wir wissen
doch, dass wir die Soldaten einem hohen Risiko aussetzen, und wir wissen auch um die Belastungen für ihre
Familien genau Bescheid. Wir sagen deshalb: Wir können solche Einsätze wie Enduring Freedom nur verantworten, wenn wir mit ihnen ein hohes Ziel verfolgen,
nämlich schwerste Menschenrechtsverletzungen verhindern, die Freiheit durchsetzen und sie auch bei uns bewahren, und dies immer im Schulterschluss mit der Völkergemeinschaft.
Im Gegensatz zu Ihnen bin ich froh, dass im Parlament
kritische Fragen gestellt werden. Schließlich gibt es solche auch in der Gesellschaft.
({0})
Wenn wir es als Politiker nicht schafften, sorgsam abgewogene Antworten zu geben, sodass wir die Menschen
mitnehmen, dann wären solche Einsätze auch nicht verantwortbar.
({1})
Wir haben bisher - das wissen auch Sie - solche Einsätze
gut begründet. Auch heute wird das ganz deutlich
werden.
Die letzten zwölf Monate haben gezeigt, dass Enduring
Freedom unsere strengen Maßstäbe in besonderem Maß
erfüllt. Dieser Einsatz ist ein wichtiger militärischer Baustein im Kampf gegen den Terror, den wir - das wissen wir
alle - nur gewinnen können, wenn wir über die militärische Komponente hinaus auch politische, wirtschaftliche,
soziale, polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen
auf den Weg bringen. Aber eines ist klar: Nur durch diese
militärische Absicherung und Unterstützung können
überhaupt zivile Antiterrormaßnahmen zum Tragen kommen. Das ist die eine der Grundvoraussetzungen.
({2})
Eine andere Grundvoraussetzung, dass wir den Kampf
gegen den Terror gewinnen, ist - das ist in der Tat das
Thema -, dass wir die Prioritäten im Blick behalten. Ich
habe, nachdem alle Redner der Union in den letzten Wochen bei jedem außen- und sicherheitspolitischen Thema
schnell auf den Irak zu sprechen gekommen sind, langsam
den Eindruck, dass hinter Ihren Forderungen etwas ganz
anderes steckt.
({3})
Sie glauben ganz offensichtlich, dass Sie die Bundestagswahl deshalb verloren haben, weil die Bundesregierung
und die sie tragenden Koalitionsfraktionen die Fragen, die
die Menschen zur Irakpolitik gestellt haben, klar beantwortet haben.
({4})
Diese Einschätzung ist falsch. Sie haben die Wahl verloren, weil die Menschen in den letzten Wochen vor der
Wahl wieder begonnen haben, über Politik zu diskutieren.
Das war der eigentliche Grund.
({5})
Es mag ja sein, dass Ihr Umgang mit diesem Thema
Ihre spezifische Trauerarbeit ist. Das könnte ich ja noch
nachvollziehen. Ich kann aber nicht mehr nachvollziehen,
dass Sie noch immer - das hat auch Herr Schäuble heute
wieder getan - Fragen an die Bundesregierung zu diesem
Thema stellen.
({6})
Diese Fragen sind deutlich und sorgsam beantwortet.
({7})
Ich befürchte, dass Sie es bisher nicht geschafft haben
- diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man dem
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Schäuble und dem
ehemaligen Kanzlerkandidaten Stoiber genau zuhört -, die
Fragen, die die Menschen bewegen, ebenso klar und präzise zu beantworten. Das ist doch Ihr eigentliches Problem.
({8})
Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie bei der notwendigen Ernsthaftigkeit der Debatte über Enduring Freedom
dieses Thema immer wieder hochziehen wollen. Das ist
wirklich falsch.
({9})
Wir wissen, dass wir heute dieses Mandat mit großer
Mehrheit verlängern. Wir werden dieses Mandat auch
nicht verändern, weil wir schon vor zwölf Monaten sorgfältig abgewogen haben. Es werden unverändert
3 900 Soldatinnen und Soldaten einen wichtigen Beitrag
zur Sicherheit der internationalen Gemeinschaft leisten.
Manche Befürchtungen, das Mandat sei zu groß und
das regionale Einsatzgebiet sei nicht präzise genug formuliert, hat die Bundesregierung sehr deutlich ausgeräumt. Es wurde nie mehr als ein knappes Drittel der
möglichen Soldatinnen und Soldaten tatsächlich eingesetzt. Es ist aber richtig, die jetzige Gesamtstärke beizubehalten, damit der notwendige Handlungsspielraum und
die Flexibilität gewahrt bleiben.
Wenn man sich die fünf Module, die wir schon beschlossen haben und über die wir heute erneut abstimmen
werden, genauer ansieht, wird sehr deutlich, dass Sie mit
Ihrer Einschätzung, die Bundeswehr leiste hier keinen
wichtigen Beitrag und habe Mängel, nicht Recht haben.
({10})
Schauen wir uns das einmal genauer an. Erstens. Wir
haben See- und Seeluftstreitkräfte am Horn von Afrika.
Die Schiffe haben keine Klimaanlage; das stimmt. Aber
Sie konnten vor 20 Jahren auch nicht wissen, dass die
Schiffe nicht mehr nur in der Nord- und der Ostsee eingesetzt werden. Doch der Beitrag, den die Schiffe dort in den
letzten zwölf Monaten für die Völkergemeinschaft geleistet haben, ist sehr wichtig. Das will ich quantifizieren: Es
gab 4 000 Kontakte. 150 Flüge wurden durchgeführt, bei
denen Meldungen abgegeben wurden. 36 Mal wurden
Schiffe eskortiert und geschützt. Es sind übrigens auch
unsere Waren, die auf den Weltmeeren jetzt auch von unseren Soldaten geschützt werden müssen.
({11})
Bei meinem zweiten Punkt wird noch deutlicher, dass
die Bundeswehr einen großen Beitrag leistet. Kein anderes
Land in der NATO verfügt über so exzellente Sanitätsevakuierungsmöglichkeiten mit Flugzeugen wie die
Deutschen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir unseren Airbus bereitstellen. Er wurde zum Beispiel nach dem
schlimmen Unfall in Kabul eingesetzt, er wurde eingesetzt, um die schwer verletzten deutschen Touristen aus
Tunesien auszufliegen oder um französische Staatsbürger
aus Karatschi zurückzuholen. Das ist eine Fähigkeit, die
wichtig ist.
({12})
Drittens. Ich kann Ihre Kritik an der Stationierung der
ABC-Abwehrkräfte in Kuwait überhaupt nicht verstehen. Ich glaube, dass Sie, wenn Sie sagen, diese Kräfte
wie auch die Schiffe dürften dort nicht sein, eines nicht
verstanden haben: Wir befinden uns in einem Kampf gegen Terror. Es gelten aber natürlich das Völkerrecht und
das deutsche Grundgesetz. Wir sind nicht im Krieg. Deshalb halten sich unsere Soldaten strikt an das Mandat, das
sie von uns erhalten haben. Das ist richtig und wird auch
so bleiben. Ich halte es für leichtfertig, jetzt darüber zu
spekulieren, was deutsche ABC-Abwehrkräfte im Fall eines Krieges in Kuwait machen. Sie haben ein Mandat.
Wenn wir das verändern wollen oder verändern müssen,
dann werden wir hier darüber diskutieren und entscheiden. An dem Grundsatz unserer Verfassung hierzu werden
wir natürlich nicht rütteln.
({13})
Mein letzter Punkt. Es sind Spezialkräfte auch in der
Nähe von Kabul im Einsatz, deren Spektrum in den letzten Tagen neu ausgerichtet wurde. Das wird sicherlich
helfen, Synergien zu gewinnen, um den Schutz der ISAFSoldaten zu verstärken. Wir wissen: Der Einsatz dieser
Kommandospezialkräfte ist besonders gefährlich und
deshalb besonders belastend für deren soziales Umfeld
und deren Familien. Deshalb bin ich sehr froh, dass auch
der Bundesrat, wie sich gestern Nachmittag gezeigt hat,
den Schritt mitgeht, nämlich den Einsatz von Kommandosoldaten, ob bei Tauchern, Spezialkräften oder Jetpiloten, finanziell etwas mehr zu honorieren. Dabei geht es
nicht nur um Geld, sondern auch um Anerkennung. Sie
liegen mit Ihrer These, wir würden zu wenig für unser Personal tun, also falsch. Wir haben das Thema angepackt.
Gestern hat der Bundesrat dem ein Stück zugestimmt.
({14})
Wir werden den Weg, die Möglichkeiten des Personalstärkegesetzes auszufüllen und den Beförderungs- und
Verwendungsstau bei der Bundeswehr kleiner zu machen,
in den nächsten Monaten konsequent weitergehen.
Herr Kollege Arnold, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.
Ich komme zum Ende.
Ihre Diskussion um den Haushalt trägt nicht. Reden Sie
einmal nicht über das Bruttoinlandsprodukt, sondern über
absolute Zahlen. Dann wird sehr schnell deutlich, dass
wir, wenn man die Spezialaufgaben der Franzosen und
Briten, die wir nicht leisten können und nicht leisten wollen, abzieht, mit diesen beiden großen europäischen Ländern exakt gleichauf liegen. So wird erkennbar: Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit auch
innerhalb des Bündnisses. Deshalb werden wir mit unserem Ja deutlich sichtbar machen, dass wir unseren Beitrag
auch in den nächsten zwölf Monaten leisten werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Andreas Schockenhoff,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn der Debatte hat der Kollege Erler
die Linie der Koalitionsfraktionen vorgegeben. Er hat
mehrfach wiederholt, es gehe heute lediglich um eine Antwort auf den 11. September 2001; die Gefahr, die von
Massenvernichtungswaffen ausgeht, hat er ausgeblendet. Keiner der bisherigen Redner aufseiten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen hat eine Antwort
auf den Beitrag des Kollegen Hoyer gegeben. Stattdessen
haben sie versucht, den Eindruck zu erwecken, als hätte
der Kampf gegen den Terrorismus nichts mit dem Schutz
vor ABC-Waffen zu tun.
Vor einem Jahr musste der Bundeskanzler eine eigene
rot-grüne Mehrheit für das Mandat von Enduring Freedom mit der Vertrauensfrage erzwingen. Acht grüne Abgeordnete wollten trotzdem nicht zustimmen und mussten
auslosen, wer Friedensfreund bleiben darf und wer den
Kanzlerfreund spielen muss.
({0})
Die Kollegen Ströbele und Hermann haben angekündigt,
heute dagegen zu stimmen; andere werden ihren Widerspruch in persönlichen Erklärungen darlegen.
Herr Außenminister, wie schwer es für Sie ist, Ihre eigene Fraktion auf Linie zu bringen, zeigt Ihr Gerede von
einer anderen Prioritätensetzung. Ihre krampfhafte Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus
und dem Schutz vor Massenvernichtungswaffen hat
nichts mit der Sicherheit unserer Bürger und Soldaten,
sondern ausschließlich etwas mit der Befindlichkeit der
Grünen zu tun.
({1})
Die Irakresolution des Sicherheitsrates hat uns allen
klargemacht, wie verändert die Sicherheitslage in der gesamten Region ist: Sie kann sich zuspitzen; der Einsatz
kann gefährlicher werden. Das Kommando Spezialkräfte
hat in Afghanistan künftig einen eigenen Einsatzraum, der
bis an den Stadtrand von Kabul heranreicht. Man kann
ISAF und Enduring Freedom politisch nicht trennen,
auch wenn es rechtlich unterschiedliche Mandate sind.
Die Gefährdung deutscher Soldaten in Afghanistan ist
größer geworden. Wenn im Interesse auch unserer Sicherheit ein militärisches Vorgehen gegen Saddam
Husseins Waffenprogramme erforderlich wird, hat für die
Vereinigten Staaten der Einsatz im Irak höchste Priorität.
Dadurch wird sich der Charakter des Einsatzes unserer
KSK-Truppe in Afghanistan verändern; auch für die
ISAF-Einheiten wird die Sicherheitslage schwieriger.
Das Mandat für die Einheiten zur Aufspürung von
ABC-Kampfstoffen in Kuwait und für die Dekontaminierungskräfte, die in Deutschland in Rufbereitschaft stehen, bleibt formal unverändert. Faktisch hat sich die Situation für diese Kräfte aber erheblich verändert. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung Streitkräfte angeboten,
die man auf dem Parteitag der Grünen als nicht
schießende Truppe verkaufen konnte. Weil in Afghanistan
keine ABC-Kräfte benötigt wurden, hat man sie, sozusagen als symbolische deutsche Beteiligung, nach Kuwait
geschickt.
Heute droht ein bewaffneter Konflikt im Irak, in dem
Soldaten unserer Verbündeten und die Zivilbevölkerung
in der Region mit biologischen und chemischen Waffen
angegriffen werden könnten. Was soll in einem solchen
Fall mit unseren ABC-Einheiten, die weltweit als die besten gelten, geschehen? Kann sich irgendeine oder irgendeiner in diesem Haus vorstellen, dass sie in Kuwait stehen
bleiben und zuschauen müssen, wie Soldaten unserer
Bündnispartner mit Giftgas angegriffen werden? Die
Bundesregierung kann sich das zu Recht nicht vorstellen
und hat deshalb längst umgeschwenkt; der Kollege
Polenz hat das vorhin dargelegt.
Im Wahlkampf sagte Verteidigungsminister Struck:
Wenn die Gefahr besteht, dass unsere 52 Soldaten in
eine kriegerische Auseinandersetzung gegen den
Irak verwickelt würden, wäre das durch den Bundestagsbeschluss nicht mehr gedeckt. Dann müssten sie
abgezogen werden.
Am Montag dieser Woche sagte er in der ntv-Sendung
„Maischberger“, dass die deutschen Fuchs-Panzer im
Falle eines Irakkrieges natürlich nicht abgezogen würden.
Wörtlich sagte er:
Sie bleiben dort. Nur dann, wenn der Krieg auf Kuwait übergreifen würde, hätten wir eine neue Situation. Dann müsste der Bundestag neu beschließen.
({2})
- Natürlich stimmt das. Selbstverständlich brauchten wir
in diesem Fall ein neues Mandat. Wenn wir aber heute beschließen, die ABC-Panzer dort zu belassen, können wir
ein solches Mandat später nicht mehr verweigern; dann
sind wir in unserer Entscheidung nicht mehr frei. Das
muss jeder, der nachher hier seine Stimme abgibt, wissen.
({3})
Wir dürfen unsere Soldaten und die deutsche Öffentlichkeit nicht über die Konsequenzen unserer Entscheidung im Unklaren lassen. Das Mandat für Enduring
Freedom kann in den kommenden zwölf Monaten gefährlicher und riskanter werden als in den vergangenen zwölf
Monaten.
({4})
Die Terrorgefahr erhöht sich im gesamten Einsatzgebiet.
Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen bedrohen
auch Deutschland und Europa. Beides können wir nicht
voneinander trennen.
({5})
Die Irakresolution des UN-Sicherheitsrats hat bewiesen, dass die Bundesregierung eine falsche Politik betrieben hat. Nicht ihr „deutscher Sonderweg“ hat dazu geführt, dass jetzt wieder Waffeninspektoren im Irak tätig
werden dürfen, sondern allein die Entschlossenheit der
USA und ihrer Partner. Wir fordern die Bundesregierung
auf, die Resolution in allen Punkten umzusetzen und auch
die dem Irak angedrohten ernsthaften Konsequenzen voll
mit zu tragen.
({6})
Die CDU/CSU ist dazu bereit. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes
und unserer Soldaten. Wir werden der Verlängerung des
Mandats für Enduring Freedom zustimmen.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Dr. Schockenhoff, manchmal bin ich nicht ganz sicher,
worin eigentlich der Sinn Ihrer Äußerungen liegt.
({0})
Wenn nun schon die Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrats vorliegt, dann sollten wir vielleicht die Hoffnung daran knüpfen, dass der damit in Gang gekommene
Prozess dazu führt, einen Krieg im Irak zu vermeiden.
Das ist doch der entscheidende Punkt, auf den es ankommt.
({1})
Wenn wir uns darin einig sind, dann malen Sie doch nicht
ein Szenario aus, das wir alle vermeiden möchten. Die
Vereinigten Staaten -
Herr Kollege Weisskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Polenz?
({0})
Herr Kollege Polenz, bitte.
Herr Kollege Weisskirchen, würden Sie mir zustimmen, dass es zur Erfüllung dieser Hoffnung ganz entscheidend darauf ankommt, dass die angedrohten ernsten
Konsequenzen, die dem Irak drohen, wenn er der Resolution nicht entspricht, von möglichst allen Staaten der
Völkergemeinschaft mitgetragen und unterstützt werden,
und dass die Bundesregierung bis heute nicht klar gemacht hat, ob sie zu diesen Staaten der Völkergemeinschaft gehört?
({0})
Herr Kollege Polenz, wenn Sie die Resolution 1441
genau lesen - ich unterstelle, dass Sie das tun -, dann wissen Sie, dass sie nirgends einen verborgenen Schlüssel,
wie die Fachleute sagen, enthält, der dazu führt, dass es
automatisch zum Krieg kommt. Das ist der entscheidende
Punkt. Einen Krieg wollen wir doch alle - so habe ich Sie
verstanden - verhindern. Deswegen verstehe ich Ihre
Frage nicht. Fragen müssen dann gestellt werden, wenn
eine bestimmte Situation eingetreten ist. Eine solche Situation ist nicht eingetreten. Wir müssen alle dafür sorgen,
dass Saddam Hussein einlenkt und den Forderungen der
Weltstaatengemeinschaft endlich nachkommt. Das und
nichts anderes ist unser Ziel.
({0})
Diese Debatte hat gezeigt, dass die Formulierung in der
gestrigen Ausgabe der „Zeit“, der Bundestag bilde ein
„nervöses Beschweigekartell“, nicht zutrifft. Wir kennen
die Gefahren, unter denen die Soldatinnen und Soldaten
arbeiten. Uns ist wohl bekannt, wie hart Hamid Karzai
kämpfen muss, um das Anwachsen der Ungeduld in der
Bevölkerung einzudämmen. Wer aber den November dieses Jahres mit dem des letzten Jahres vergleicht, wird
doch eines feststellen müssen, Herr Dr. Hoyer: Damals
ging es darum, dass die Diktatur der al-Qaida und der
Taliban militärisch zerbrochen werden musste. Im Unterschied dazu wird der Kampf heute politisch geführt. Karzai
führt einen politischen Kampf, um den Friedensprozess in
Afghanistan zu stabilisieren. Das ist ein Erfolg von Enduring Freedom. Ohne diesen Erfolg müsste Hamid Karzai in
einer viel größeren Gefahr leben. Immer noch wird er von
Streitkräften der USA persönlich geschützt. Das schränkt
seine Autorität ein. Noch immer ist es so, dass zum Beispiel
von Islamisten oder von al-Qaida und Taliban Versuche gestartet werden, sich zu regruppieren. Das bedeutet, dass die
Zentralität des Staates, das Gewicht der Regierung Karzai
geschwächt wird. Noch immer ist es so - wir schauen bitte
einmal nach Pakistan -, dass die Islamisten wieder versuchen könnten, politische Macht zurückzuerobern.
Diese Gefahren sehen wir alle sehr wohl. Wir wissen,
dass es Anschläge in Afghanistan gibt. Wir wissen, dass
auch die Bundeswehr, die dort im Rahmen von ISAF tätig
ist, einer hohen Gefahr ausgesetzt ist. Im Bundestag ist
kein „Beschweigekartell“ versammelt, sondern wir wissen sehr genau um die Gefahren. Aber es kommt darauf
an, dass diese Gefahren eingedämmt werden. Dafür brauchen wir Enduring Freedom. Deshalb werden wir diesem
Antrag der Bundesregierung zustimmen.
({1})
Wenn man sich eine Sekunde überlegt - ich spreche den
Kollegen Hermann und den Kollegen Ströbele direkt an -,
was wäre, wenn man mit Nein stimmen würde, liebe Kollegen - wenn Sie mit Nein stimmen, müssen Sie damit rechnen, dass Ihr Nein die Mehrheit in diesem Hause fände -,
dann müssen Sie sich fragen, was Ihr Nein bedeutet. Es bedeutet, dass Enduring Freedom nicht fortgesetzt wird.
Was würde ein Nein noch bedeuten? Es würde bedeuten, dass Hamid Karzai geschwächt würde. Es würde
bedeuten, dass die Versuche, die innerhalb eines Jahres
gestartet worden sind, vergeblich waren, dass die 80 Millionen Euro, die die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stellt, damit der Friedensprozess von innen und
von unten an Stabilität gewinnt, nichts gebracht haben.
Ich kann Sie nur herzlich darum bitten: Werden Sie Ihrer
Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan
gerecht und stimmen Sie hier und heute nicht mit Nein.
({2})
Präsident Karzai hat die vordringlichen Aufgaben seiner Regierung sehr plastisch beschrieben: Die Kriegsherren in den Provinzen sind zu entmachten. Der Anbau von
Schlafmohn ist drastisch zu verringern. Der Korruption ist
der Boden zu entziehen. Damit stellt er in seinem eigenen
Land die Machtfrage. Entschieden ist diese Machtfrage
noch längst nicht. Noch immer muss er von den USA persönlich geschützt werden. Es schüchtert ein, dass es Dostum
noch immer gibt, dass Kriegsherren dort noch immer
Macht ausüben und Einfluss besitzen. Das lässt bei den
Menschen in Afghanistan Ängste explodieren.
Auch das ist ein Teil der furchtbaren Realität: Immer
noch stirbt eines von vier Kindern, bevor es fünf Jahre alt
wird. Noch immer sterben bei 1 000 Geburten 16 Mütter.
Trotz alledem sind die Zeichen der Hoffnung unübersehbar. 700 000 Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr dieses
Jahres zurückgekehrt. 1,3 Millionen Menschen sind neu
an die Trinkwasserversorgung angeschlossen worden.
23,8 Millionen Quadratmeter Land sind von Minen
geräumt worden. 2,9 Millionen Kinder haben sich neu in
die Schulen eingeschrieben. Wir wissen sehr genau: Das
sind erst zaghafte Zeichen. Aber die Zahl dieser Zeichen
muss sich vermehren, wenn der Friedensprozess vorankommen soll.
Dieser Prozess - das wissen wir alle - kann stocken,
Seitwärtsbewegungen einschlagen oder an der einen oder
anderen Stelle rückläufig sein. Das ist so. Je mehr Menschen in Afghanistan aber ihre eigene Sache in die Hand
nehmen, desto stabiler wird der Prozess des Friedens werden. Wir brauchen jetzt die Verlängerung von Enduring
Freedom, damit Afghanistan zu einem Modell gegen
den internationalen Terrorismus wird. Die Menschen in
Afghanistan brauchen eine Zukunft. Wir stimmen für
Enduring Freedom, damit die Menschen eine Zukunft für
ein selbst gestaltetes Leben in Freiheit haben.
({3})
Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
PDS im Bundestag hat vor einem Jahr gegen einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt - mit guten
Gründen. Heute soll das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert werden. Wir werden wieder Nein sagen.
Ich habe bereits vor Wochenfrist in der ersten Lesung
gesagt: Aus Sicht der PDS geht es keineswegs nur darum,
einen militärischen Auftrag aufrechtzuerhalten. Es geht
um eine neue Qualität. Es geht nunmehr auch offiziell um
Kampfeinsätze. Das ist ein weiterer Grund dafür, mit
Nein zu stimmen.
({0})
Die Bundesregierung hatte eine Woche Zeit, einschlägige Medienberichte und meine Befürchtung zu widerlegen. Sie hat das nicht getan; im Gegenteil. Die Diskussion
der ersten Lesung war kaum verhallt, da meldeten die
Agenturen: Verteidigungsminister Struck will die Einsatzkräfte der Bundeswehr in Afghanistan noch weiter
aufstocken. - Auch das spricht für unsere Ablehnung.
Nun umfasst das Mandat für Enduring Freedom keineswegs nur das Einsatzgebiet Kabul und Umgebung, also in
Afghanistan; dazu gehören deutsche Spürpanzer in Kuwait
genauso wie deutsche Flottenverbände, die am Horn von
Afrika patroullieren; darauf komme ich gleich noch zurück.
Dies alles wird mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet - ein Argument, das seit gestern noch bedrohlicher klingt. Sie erinnern sich sicherlich: Der Abgeordnete Schäuble von der CDU/CSU-Fraktion hat hier
ziemlich unverblümt für eine Erstschlagoption der
NATO und damit auch für eine Erstschlagoption der Bundeswehr plädiert. Ich danke Ihnen, Herr Schäuble, für das
offene Wort und sage zugleich: Mir graut vor dieser Option und damit auch vor Ihnen.
Die PDS bleibt dabei: Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnen werden, ein Krieg gegen den Terrorismus hingegen nicht.
({1})
Diese Überzeugung haben vor einer Woche Hunderttausende aus ganz Europa in Florenz demonstriert. Sie sollten ihre Befürchtungen ernster nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gehört zum
Gesamtbild: Man muss kein Insider sein, um die Aktion
Enduring Freedom und den weiterhin drohenden Irakkrieg zusammenzudenken. Ich nehme sehr wohl zur
Kenntnis, dass sich die Bundesregierung weiterhin gegen
einen Irakkrieg ausspricht - wie zu hören ist, sehr zum
Groll der Opposition zur Rechten -; gleichwohl bleibt
auch heute eine Glaubwürdigkeitslücke. Sie bleibt so
lange bestehen, wie Sie die deutschen Spürpanzer und die
vorgeschobenen Kriegsschiffe nicht zurückziehen.
({2})
Oder wollen Sie uns hier weismachen, Sie würden es
tatsächlich tun, falls es doch noch zu einem Krieg der
Gert Weisskirchen ({3})
USA gegen den Irak kommt? Jeder möge sich einmal
ausmalen, wie das dann funktionieren soll. Deshalb, liebe
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen, appelliere ich noch einmal an Sie: Lehnen Sie
wenigstens diesen Teil des Mandats ab, ehe es zu spät
ist!
({4})
Noch ein weiterer Punkt verdient mehr Aufmerksamkeit, als Sie ihm zubilligen. Seit Tagen haben wir hier ein
großes Wehklagen über die katastrophale Haushaltslage
der Bundesrepublik. Erklären Sie vor diesem Hintergrund
der Öffentlichkeit doch bitte einen Satz aus dem Bericht
des Haushaltsausschusses. Ich zitiere:
Der Haushaltsausschuss hält den Antrag einvernehmlich für mit der Haushaltslage des Bundes vereinbar.
Von welcher Haushaltslage sprechen Sie eigentlich? Was
ist da vereinbar? Wie uns gestern illustriert wurde, wissen
Sie ja nicht einmal, wie viel Euro tatsächlich im Bundessäckel sind. Aber Sie beschließen heute forsch über Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe, noch dazu für gefährliche Militäreinsätze.
Wenn es um die Finanzen geht, dann bleibt auch noch
die hilflose Prophetie des Bundesfinanzministers festzuhalten. Er meinte: Wenn es 2002 bis 2006 Krieg im Irak
gibt, dann bleibt ohnehin alles unberechenbar. - Stimmt!
Aber auch das ist Politik aus dem Tollhaus und lässt uns
unser Nein bekräftigen.
({5})
Nun habe ich heute sehr wohl die Worte der Entwicklungsministerin gehört. Sie meinte, die weltweit steigenden Rüstungsausgaben dürften nicht die Mittel für die
Entwicklungshilfe beschränken. Das ist diplomatisch ausgedrückt; denn wir wissen alle: Sie tun es - leider. Auch
das kritisieren wir.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/67 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte
bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/37 anzunehmen. Es
ist namentliche Abstimmung verlangt.
Zur Abstimmung liegen schriftliche Erklärungen von
28 Kolleginnen und Kollegen vor.1 Eine mündliche Erklärung zur Abstimmung wird im Anschluss an die namentliche Abstimmung vorgetragen werden.
Bitte beachten Sie, dass die von Ihnen benutzten Stimmkarten Ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das geschehen? Dann können wir beginnen. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich stelle fest, dass alle
ihre Stimme abgegeben haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2
Jetzt gebe ich dem Kollegen Winfried Hermann zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute wie vor einem Jahr - genauso wie Kollege Christian Ströbele - mit Nein gestimmt. Wir haben
uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich möchte
dies begründen. Zunächst möchte ich Folgendes deutlich
machen: Heute ist manches so dargestellt worden, als
ginge es um eine Routineentscheidung; es ist aber nach
wie vor eine sehr ernste Entscheidung. Für viele andere
und für mich ist es eine Gewissensentscheidung.
Wir müssen - das sagen wir als Gegner ganz offen die Situation selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, indem
wir uns die Frage stellen: Was ist eigentlich geschehen?
Wir bekennen gern, dass wir uns in einem Punkt geirrt haben. Wir haben vor einem Jahr gesagt: Vermutlich gibt es einen langjährigen, blutigen Guerillakrieg, in den die Bundeswehr hineingezogen wird - davor haben wir Angst -; das
können wir nicht mitverantworten. Heute können wir sagen: Gott sei Dank haben wir uns in diesem Punkt bis
heute geirrt. Das müssen wir anerkennen. Ich betone: bis
heute. Ob es für die Bundeswehr wirklich so friedlich weitergeht, das wissen wir nicht. Die USA haben das Talibanregime jedenfalls mit großem technischen und militärischen Aufwand schneller beseitigen können, als wir
vermutet haben; sie haben aber in Afghanistan zugleich
keinen Frieden geschaffen.
Meine Damen und Herren von der SPD und zum Teil
auch von meiner eigenen Fraktion, es ist schon erstaunlich, dass man immer wieder die gleichen wenigen Beispiele heranziehen muss, um zu zeigen, dass dieser Krieg
angeblich so viel gebracht hat. Man verweist nämlich immer wieder auf die verbesserte Situation von ein paar
Mädchen und ein paar Schulen. Aber Sie müssen doch zur
Kenntnis nehmen, dass in weiten Teilen Afghanistans Zustände wie vor dem Krieg herrschen, dass dort immer
noch die Nordallianz und Warlords das Sagen haben, dass
man dort von einem Rechtsstaat und von Demokratie also
weit entfernt ist.
Nicht wenige sagen: Karzai, der Präsident der Übergangsregierung, sei eigentlich nicht mehr als ein Regierender Bürgermeister von Kabul. Ich will anerkennen,
dass auch das schon etwas ist. Aber es ist einfach zu we666
1 Anlagen 2 bis 6 2 Seite 667 D
nig. Der eingeschlagene Weg hat nicht wirklich zum Erfolg geführt.
Dieser Weg war übrigens auch nicht so sauber. Man
muss heute sagen: Die Amerikaner haben zwar schnell zugeschlagen, aber auch brutal: Mindestens 5 000 bis 10 000
Menschen - so unabhängige Sachverständige - sind in
diesem Krieg ums Leben gekommen. Dazu kommen weitere Tausende tote - vermeintliche oder tatsächliche - Talibankämpfer. Sie sind in der Regel einfach erschossen
oder, wie es in der Sprache der Militärs heißt, vernichtet
worden. Das halten wir für problematisch.
({0})
Kommen wir nun zur Beteiligung der Bundeswehr.
Natürlich sehen auch wir, dass große Teile des Mandats
eher einen symbolischen Charakter hatten. Tatsächlich
war die Bundeswehr an den Einsätzen nicht annähernd so
stark beteiligt, wie es hier beschlossen worden ist. Auch
das wollen wir anerkennen. Die Bundeswehr hat einen
klaren Auftrag gehabt, der lautete: Terroristen bekämpfen, gefangen nehmen und vor Gericht stellen. Einen solchen Auftrag haben wir heute wieder beschlossen. Wir
müssen uns einmal selbstkritisch fragen: Wo wurde dieser
Auftrag erfüllt? Wo sind die gefangen genommenen Terroristen? Wo, bitte schön, sind Bin Laden und seine Helfershelfer? Gar nichts von diesem Auftrag ist in diesem
Sinne eingelöst worden.
Man muss dazusagen - das wissen Sie sehr wohl, Herr
Weisskirchen -, dass es für das KSK heißt: Spürt die
Kämpfer auf! Gebt danach entsprechende Zeichen an die
Amerikaner und verschwindet so schnell wie möglich,
weil ihr dann nicht mehr da sein dürft! Wenn deutsche
Soldaten da wären, müssten sie diese Soldaten nach
rechtsstaatlichen Prinzipien behandeln und tatsächlich
vor einen Gerichtshof bringen. Aber genau das wird vermieden. Das ist, wie ich meine, insbesondere aus grüner
Sicht sehr ärgerlich, weil viele Grüne hauptsächlich deswegen zugestimmt haben, weil sie wollten, dass die Taliban-Kämpfer gefangen genommen werden und etwaige
Terroristen vor einen Gerichtshof kommen und ihnen ein
ordentlicher Prozess gemacht wird. Wir treten tatsächlich
für globale Rechtsstaatlichkeit ein, Frau Kollegin Ministerin; auch Sie haben diese eingefordert.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der im vergangenen Jahr weit im Vordergrund stand. Das ist die Frage, ob
man mit militärischen Mitteln diese neue Form von Terrorismus wirklich bekämpfen kann. Sie haben immer
wieder Beispiele gebracht wie Bali oder Djerba. Ich
glaube, dass gerade diese Beispiele zeigen, dass man mit
Kriegsschiffen, Panzern und viel militärischem Gerät,
also grobschlächtig, nicht gegen diese filigran und intelligent in Netzwerken und in unseren Gesellschaften arbeitenden Terroristen wirklich erfolgreich vorgehen kann.
Unsere Waffen sind viel zu grob. Die einzige Antwort
wäre ein konsequent rechtsstaatliches und meinetwegen
auch geheimdienstliches Vorgehen und eine Verbesserung
der Kooperation mit der Polizei.
Im Übrigen stünde es der Bundesrepublik Deutschland
gut an, wenn wir uns auf das konzentrieren würden, was
wir gut können, nämlich mit politischen, ökonomischen
und kulturellen Mitteln die Ursachen zu bekämpfen, um
so dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Man kann
viel eher friedlich im Kampf gegen den Terrorismus bestehen als mit teuren militärischen Mitteln; in der Summe
übersteigen die Ausgaben hierfür dann doch die finanziellen Hilfen, die wir im zivilen Bereich gewähren.
Ich bedanke mich.
({1})
Ich kann nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt geben:
Abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 573,
mit Nein haben gestimmt 11; es gab fünf Enthaltungen.
Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 573
nein: 11
enthalten: 5
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann
({10})
Iris Hoffmann ({11})
Frank Hofmann ({12})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({13})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({14})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({15})
Christian Müller ({16})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({17})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({18})
Michael Roth ({19})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({20})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({21})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({22})
Ulla Schmidt ({23})
Silvia Schmidt ({24})
Dagmar Schmidt ({25})
Wilhelm Schmidt ({26})
Heinz Schmitt ({27})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({28})
Reinhard Schultz
({29})
Swen Schulz ({30})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({31})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({32})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({33})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({34})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({35})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({36})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({37})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({38})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({39})
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({40})
Dirk Fischer ({41})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({42})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder
({43})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({44})
Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({45})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({46})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({47})
Stephan Mayer ({48})
Cornelia Mayer
({49})
Dr. Martin Mayer
({50})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({51})
Doris Meyer ({52})
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({53})
Bernward Müller ({54})
Bernd Neumann ({55})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({56})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({57})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({58})
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({59})
Andreas Schmidt ({60})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({61})
Michael Stübgen
Michaela Tadjadod
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Angelika Volquartz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({62})
Gerald Weiß ({63})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({64})
Volker Beck ({65})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({66})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Anja Hajduk
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({67})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({68})
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({69})
Krista Sager
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({70})
Werner Schulz ({71})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({72})
FDP
Daniel Bahr ({73})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({74})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({75})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({76})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Gudrun Kopp
Wolfgang Kubicki
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({77})
Eberhard Otto ({78})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({79})
Leo Dautzenberg
Willy Wimmer ({80})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
FDP
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
fraktionslos
Petra Pau
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens
({81})
Axel E. Fischer
({82})
Susanne Jaffke
Norbert Schindler
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Irmingard Schewe-Gerigk
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/68. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der gesamten Opposition angenommen
worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b sowie
Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
11. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/25 ({83})
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/26 ({84})
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Jobs
({85})
- Drucksache 15/23 ({86})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar
Wöhrl, Wolfgang Börnsen ({87}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum optimalen Fördern und Fordern in
Vermittlungsagenturen ({88})
- Drucksache 15/24 ({89})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({90})
- Drucksache 15/77 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Brandner
Karl-Josef Laumann
Dirk Niebel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({91}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 15/78, 15/79, 15/80, 15/81 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Jürgen Koppelin
Volker Kröning
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({92}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Dirk Niebel, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Handeln für mehr Arbeit
- Drucksachen 15/32, 15/77 Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Daub, Helga Dr. Lamers ({93}), Karl A. Rossmanith, Kurt J.
FDP CDU/CSU CDU/CSU
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Brandner
Karl-Josef Laumann
Dirk Niebel
ZP 6 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Fördern und Fordern in der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe
- Drucksache 15/46 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({94})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Arbeitnehmerüberlassung
- Drucksache 15/55 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({95})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Entwurfs
eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt, über den wir später namentlich abstimmen
werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit, das sind 302 Stimmen, erforderlich ist. Zu
diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP vor.
Zum Entwurf eines Ersten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP, ein Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie drei Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/
CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann verfahren wir auch so.
Ich eröffne die Aussprache; das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Klaus Brandner, SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir verabschieden heute zwei Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Sie
stellen die größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland dar.
({0})
Dies, meine Damen und Herren, gilt es einmal festzuhalten, bevor sich die Nörgler wieder in ihren alten Positionen einmauern.
Lothar Späth, bekanntlich der Kandidat für das Superministerium von CDU/CSU, hat noch am 10. September
gesagt: Es gibt in Deutschland keinen Mangel an Vorschlägen und Kommissionen, sondern einen Mangel an
Taten. Wir tun etwas: schnell, konkret und keineswegs
überhastet, also nicht hopplahopp, wie es Herr Merz von
der CDU vor kurzem darstellen wollte. Denn das Ministerium hat die Zeit der Wahlkämpfe und der Regierungsbildung für die Vorarbeiten an den Gesetzentwürfen genutzt.
({1})
Es liegt nun ein schlüssiges Gesamtpaket vor.
({2})
Die Hartz-Gesetze sind in unsere beschäftigungspolitische Strategie eingebettet.
({3})
Sie wirken zusammen mit der großen Steuerreform, der
Rentenreform und der Reform im Gesundheitswesen. Wir
sind ein reformfreudiges Land.
({4})
Wir wissen: Politische Reformen bedeuten fast immer
auch Schmerzen. Aber im Endergebnis wird es mehr
Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose geben. Das ist die
politische Auseinandersetzung wert.
Es geht um einen Aufschwung am Arbeitsmarkt,
aber auch um einen Stimmungsumschwung bei Unternehmern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Wir dürfen trotz der unbefriedigenden Arbeitsmarktlage
nicht in Lethargie verfallen. Unterschiedliche Interessen
schließen einen Konsens am Ende nicht aus. Das hat Peter
Hartz in eindrucksvoller Weise gezeigt. Von diesem
Grundgedanken lassen wir uns nicht abbringen.
({5})
Unsere Gesetze werden dazu beitragen, dass sich die
Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum verbessern und dass das Wachstum insgesamt beschäftigungsintensiver ausfällt. Ich fordere die CDU/CSU auf, aus ihrer
Verweigerungsecke herauszukommen. Wir dürfen nämlich keine weitere Zeit verlieren und keinesfalls bis zu den
Wahlen in Hessen und Niedersachsen warten.
({6})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Die Theaterinszenierung von Herrn Koch im Bundesrat
ist allen noch in schlechter Erinnerung.
({7})
Um es deutlich zu sagen: Sachliche Kritik gibt es an
dem Gesetz nur an ganz wenigen Stellen. Ich werde darauf noch im Einzelnen eingehen.
Beide Gesetze spiegeln den Geist der Hartz-Kommission wider. Es geht schlicht darum, die Flexibilität für die
Unternehmen mit der Sicherheit für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu verbinden. In einer hoch entwickelten, exportorientierten Volkswirtschaft mit scharfem internationalem Wettbewerb brauchen die Unternehmen
viel Flexibilität. Das ist wichtig.
Genauso wichtig ist aber eine stabile Basis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sonst können wir unsere Wettbewerbsvorteile an Produktivität und Qualität
der Arbeit nicht halten. Den Konkurrenzwettlauf mit den
Billiglohnländern können wir nie gewinnen. Natürlich
brauchen wir auch mehr Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten. Aber Hartz können Sie nicht als Vehikel für einen
Niedriglohnsektor missbrauchen - genauso wenig für den
generellen Abbau der Sozialstandards. Das muss Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, deutlich
gesagt werden. Wir sind nicht bereit, diesen Weg mitzugehen.
({8})
Die Gesetze sind ein wichtiger Beitrag zur Schaffung
von Arbeitsplätzen. Konkret geht es um Personal-ServiceAgenturen, haushaltsnahe Dienstleistungen, Ich-AGs und
die Förderung von Existenzgründern. Darüber hinaus tragen die schnelle Arbeitsvermittlung, der vorbeugende
Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente und ein kundennaher Service der Arbeitsämter, die sich zu Jobcentern
entwickeln, zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei.
Eine große Neuerung, geradezu eine Kulturrevolution
in der Arbeitsmarktpolitik, gibt es bei der Zeitarbeit. In
jedem Arbeitsamt wird mindestens eine Personal-Service-Agentur eingerichtet, die - um es Ihnen auch in diesem Hohen Hause zu sagen - privat betrieben wird. Nur
für den Fall, dass kein privater Betreiber gefunden wird,
wird das Arbeitsamt die Vermittlung selbst in die Hand
nehmen müssen.
Ziel ist die vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung. Für die Unternehmen bedeutet das, dass der
Kündigungsschutz faktisch nicht zum Tragen kommt,
weil sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der PSA
jederzeit zurückgeben können. Für den Mitarbeiter selber
bleibt es beim Kündigungsschutz; denn er hat einen ganz
normalen Arbeitsvertrag mit allen Rechten und Pflichten.
Das ist ein sozialverträglicher Ausweg aus einem Dilemma, wo sich scheinbar gegensätzliche Interessen gegenüberstehen - ein Musterbeispiel für die Versöhnung
von Arbeit und Kapital. Die Behauptung, hiermit werde
der Staatsapparat noch ausgebaut, ist so absurd, dass es
sich gar nicht lohnt, darauf noch näher einzugehen.
({9})
Mit den neuen Bestimmungen holen wir die Leiharbeit
insgesamt aus der Schmuddelecke.
({10})
Wir schaffen, entsprechend dem niederländischen Vorbild, auch neue Arbeitsplätze. Die gesetzlichen Grundlagen sind jetzt gelegt. Ich bin zutiefst davon überzeugt,
dass Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre Zusage einhalten und schon bald vernünftige Tarifverträge abschließen werden.
({11})
Natürlich werden diese auch Abweichungen nach unten
und Einstiegstarife vorsehen. Jedem ist doch klar, dass
überzogene Forderungen Langzeitarbeitslosen oder auch
sonstigen Arbeitslosen, die entsprechende Qualifikationen haben, nicht helfen. Über diesen Grundsatz sind wir
uns hoffentlich alle einig.
In der Ausschussberatung gab es noch wichtige Änderungen. Die Personal-Service-Agenturen sollen schnell
anfangen können. Deshalb können sie bereits auf bestehende Tarifverträge aus der Zeitarbeit zurückgreifen.
Sie brauchen jetzt keine neuen Tarifverträge abzuschließen. Für die Zeitarbeitsbranche insgesamt gilt eine
verlängerte Übergangsfrist bis zum Jahre 2004. In gut einem Jahr muss es für alle möglich sein, sachgerechte und
flexible tarifvertragliche Lösungen zu finden. Ich sage Ihnen: Das wird auch so kommen. Die Gewerkschaften haben bereits eine Tarifgemeinschaft gebildet. Die Verhandlungen können also ab sofort starten. Es steht nichts im
Wege. Alle wollen, dass Personal-Service-Agenturen ein
voller Erfolg werden und dass die Vermittlung von Arbeitslosen möglichst schnell erfolgt.
Ab 2004 fallen auch alle anderen Beschränkungen des
bisherigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Auch
hiervon können Tarifverträge schon vorher abweichen.
Die Tarifvertragsparteien haben das Heft voll in der
Hand. Der Gesetzgeber zieht sich dann weitgehend
zurück. Nicht mehr, sondern weniger Staat - das ist doch
genau das, was Sie von der Opposition immer wieder fordern ({12})
bieten wir mit dieser Regelung an.
Was wir allerdings nicht wollen - um auch das deutlich zu sagen -, ist Lohndumping und ist die Verdrängung von Teilen der Stammbelegschaft durch Zeitarbeitnehmer.
({13})
Das würde auch gar keine zusätzlichen Arbeitsplätze
schaffen. Die SPD ist zusammen mit Peter Hartz der
vollen Überzeugung, dass wir in Deutschland die Tarifvertragsparteien brauchen. Sie sind näher am Ball und
können schneller und differenzierter reagieren als der Gesetzgeber. Auch das ist Hartz „eins zu eins“.
Die Alternativen wären nämlich: entweder eine Überregulierung oder eine Schwächung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Einseitige Lösungen sind zumin672
dest mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht zu machen.
Deshalb gilt: Wer jetzt den Zwang zu Tarifverträgen kritisiert, möchte anscheinend doch den Drehtüreffekt. Die
Koalition hingegen begrüßt, dass sich die Gewerkschaften jetzt stärker um die Gruppe der Zeitarbeitnehmerinnen
und -arbeitnehmer kümmert.
Unbestritten gibt es in Deutschland noch Arbeitsplatzpotenzial, zum Beispiel bei den haushaltsnahen Dienstleistungen. Darauf wird meine Kollegin Doris Barnett
näher eingehen. Sie wird deutlich machen, dass wir mit
den jetzt vorgelegten Gesetzen auch dieses Feld so beackern werden, dass sich neue Beschäftigungschancen ergeben.
Mit der Ich-AG gibt es außerdem ein ganz neues Mittel zur Existenzgründungsförderung. Arbeitslose sollen
einen Zuschuss erhalten. Damit wollen wir vor allem Beschäftigungschancen in einem Bereich erschließen, der
einfache, dem Handwerk ähnliche Dienstleistungen umfasst. Wenn die steuerlichen Regelungen, die noch abschließend verhandelt werden müssen, mit Beginn des
neuen Jahres hier im Hohen Haus beraten werden, dann
wird auch diese Regelung eine runde Sache werden.
Was bereits läuft - auch darauf muss man hinweisen -,
ist das Programm „Kapital für Arbeit“. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau vermeldet hier bereits erste Erfolge. Ich sehe darin Chancen vor allen Dingen für die
neuen Länder, weil es hier um eine eigenkapitalähnliche
Förderung geht. Der Anteil der Selbstständigen liegt dort
mit 8,4 Prozent immer noch deutlich unter dem Wert der
alten Bundesländer in Höhe von 10,3 Prozent.
Die Chancen liegen überwiegend im Bereich qualifizierter Arbeit. Die berufliche Qualifizierung ist und
bleibt deshalb der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die
massive Förderung der Qualifizierung bleibt daher eine
unverzichtbare Daueraufgabe. Das gilt auch für Ältere
und diejenigen, die die erste Ausbildung nicht richtig bewältigt haben. Innerhalb der Qualifizierung gibt es allerdings erheblichen Reformbedarf. Die kleine Revolution
im Hartz-Konzept ist noch viel zu wenig bekannt; denn
Bildungsgutscheine und eine Zertifizierung der Bildungsträger werden eine ganz erhebliche Bewegung in
die Bildungslandschaft bringen. Das wird das Verfahren
beschleunigen, die Bildungsträger eindeutig auf die Integration in den Arbeitsmarkt ausrichten und Qualifizierung sowie Vermittlung verdoppeln.
Nicht akzeptabel ist allerdings das, was ich aus einigen
Arbeitsämtern höre: Mit dem Hinweis auf das neue Zertifizierungsverfahren würden die Qualifizierungsmaßnahmen vorerst gestoppt.
({14})
Wir wollen, dass die so wichtige Qualifizierung natürlich
auch in der Übergangsphase erfolgt.
({15})
Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit ist eingeleitet.
Erste Schritte zu Jobcentern sind getan. Die Rahmenbedingungen für eine rasche und nachhaltige Vermittlung in
Arbeit werden erneuert. Wir verbessern dafür die Serviceund Vermittlungsqualität und bauen überflüssige Bürokratie sowie verkrustete Strukturen ab. Das bringt uns
auch eine finanzielle Entlastung. Allein für diesen Effizienzgewinn lohnt es sich zu kämpfen. Denn unser Ziel
bleibt, mittelfristig auch die Beiträge zur Bundesanstalt
für Arbeit wieder senken zu können. Die Hartz-Gesetze
sind ein Signal zum Konsens und zum Aufbruch. Was der
Superministerkandidat Späth gestern noch als revolutionär bezeichnet hat, kann doch heute kein Pfusch sein.
({16})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben fachlich keine Alternative vorgelegt. Mit Nörgeln
müssen wir leben. Aber dass Sie damit die Stimmung in
der Wirtschaft kaputtmachen, das haben Sie zu verantworten.
({17})
Im Übrigen machen Sie damit eines: Sie verbauen die Zukunftschancen für Unternehmen und Arbeitslose.
Blockieren Sie nicht den Fortschritt am Arbeitsmarkt!
Stimmen Sie dieser fortschrittlichen Regelung zu!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl,
CDU/CSU.
({0})
Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brandner hat von der Jahrhundertreform auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Bloß, was Sie
sich bei der Umsetzung dieses Gesetzentwurfes geleistet
haben, ist des deutschen Parlamentes - zumindest nach
unserem Verständnis; ich weiß nicht, welches Sie haben unwürdig.
({0})
Einmal beschließen Sie dies, dann beschließen Sie das,
dann verkündigen Sie jenes. Herr Clement spricht abends
mit den Betroffenen, trifft sich mit den Vertretern der Zeitarbeitsfirmen und kommt zu Einigungen. Am nächsten
Tag steht in den Änderungsanträgen etwas vollkommen
anderes.
({1})
Es geht nicht darum, dass man sich auf der Suche nach
einem richtigen Weg einmal verirrt. Aber Sie haben inzwischen einen riesigen Irrgarten aufgebaut. Ihr Problem
ist, dass Ihre ganze Richtung nicht stimmt. Ihnen ist es
vollkommen egal, was Wirtschaftsexperten sagen; dass
sie sagen, so geht es nicht. Ihnen ist es egal, dass in der öffentlichen Anhörung zum Beispiel der Arbeitsmarktexperte Dr. Walwei vom IAB meint, es sei nicht realistisch, dass im Rahmen des neuen Gesetzes Arbeitsplätze
geschaffen würden, und dass die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten sagen, das Ziel des
Hartz-Konzeptes, die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen zu
senken, sei eine Illusion. Wenn Sie ehrlich sind, geben Sie
das sogar indirekt zu; ansonsten würden Sie in Ihrer Prognose für das nächste Jahr nicht noch von 4,1 Millionen
Arbeitslosen ausgehen.
Was hat denn der Sachverständigenrat diese Woche
gesagt? - Dass Ihre Reformen am Kernproblem des
Arbeitsmarktes vollkommen vorbeigehen und dass strukturelle Reformen notwendig sind; denn nur mit strukturellen Reformen kann man die Massenarbeitslosigkeit
abbauen.
({2})
Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren von der
Koalition, dass das 20-Punkte-Programm, das diese Woche vom Sachverständigenrat auf den Tisch gelegt worden ist, bei Ihnen wieder in der Schublade verschwindet.
Sie gehen immer nach der Schubladentaktik vor: Schublade auf, Gutachten rein, Schublade zu. Die Schublade
wird erst dann wieder aufgemacht, wenn ein neues Gutachten kommt. Aber das ist doch nicht die richtige Politik, um ein Land wirtschaftlich wieder nach vorne zu
bringen!
({3})
Ich glaube, wir sind uns einig, dass das ursprüngliche
Hartz-Konzept gute Ansätze enthalten hat;
({4})
darüber besteht sicherlich Konsens im ganzen Hause.
Aber ich denke, wir sind uns auch darin einig, dass keine
generellen Anreize für die Unternehmen, für die Betriebe,
neue Arbeitsplätze zu schaffen, darin enthalten waren, geschweige denn im jetzigen Gesetzentwurf. In dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt Hartz überhaupt nicht
mehr vor. Ich habe gerade von Herrn Brandner gehört,
dass der Geist von Hartz noch enthalten sei, wenigstens
also das.
({5})
Herr Rürup muss sehr aufpassen, dass, wenn in der
Rentenkommission, der er zukünftig vorstehen soll, etwas
beschlossen wird, was hinterher mit seinem Namen in
Verbindung gebracht wird, in dem entsprechenden Gesetzentwurf nicht etwas ganz anderes steht.
Aber nun haben wir den Gesetzentwurf zu den Neuregelungen für die Zeitarbeit vorliegen. Welche Folgen
wird die Umsetzung dieses Gesetzentwurfs haben? Sie
bedeutet das faktische Aus der jetzt bestehenden Zeitarbeit. Aber anscheinend wollen Sie das.
Ich habe einmal in Ihrem Parteiprogramm nachgelesen, das ja noch gültig ist. Darin steht der Satz: „Leiharbeit ist zu verbieten“!
({6})
Nun versuchen Sie, unter dem Pseudonym „Hartz“ diesen
Weg zu realisieren.
Dabei übersehen Sie vollkommen, was Zeitarbeit bis
jetzt für unsere Volkswirtschaft leistet. Allein im Jahr 2001
wurden von 500 000 Arbeitslosen - ich spreche jetzt nur
von Arbeitslosen, nicht von den Festangestellten in den
Zeitarbeitsfirmen -, die in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt
worden sind, 180 000 in feste Jobs bei den Kunden vermittelt. Das ist eine Erfolgsgeschichte!
({7})
Ein Grund dafür ist die Entgeltsituation, die wir momentan haben. Ein weiterer Grund ist teilweise auch die
Tariflosigkeit. Das sage nicht ich und das sagt nicht die
Opposition, sondern das sagt Herr Gerster von der Bundesanstalt für Arbeit. So ganz Unrecht scheint er hier nicht
zu haben.
Jetzt haben wir eine Übergangsfrist von einem Jahr;
das ist auch richtig so. Aber in dem Gesetzentwurf heißt
es auch: gleicher Lohn für Leiharbeiter wie für die eingearbeitete Stammbelegschaft vom ersten Tag an. Wenn
Herr Brandner als Beispiel die Niederlande anführt, muss
ich dazu sagen: Equal Pay gibt es in den Niederlanden
erst nach 18 Monaten. Vielleicht sollten Sie das bei einem
internationalen Vergleich einmal deutlich machen.
({8})
Das ist auch ein Grund dafür, dass die Vermittlungszahlen
dort höher sind als bei uns.
Ab dem ersten Tag gleicher Lohn, das klingt natürlich
gut. Bloß, Herr Brandner, meine Damen und Herren, Sie
müssen auch eines bedenken: 30 Prozent derjenigen, die
hier vermittelt werden, sind Hilfskräfte und die Hälfte von
allen Vermittelten sind Geringqualifizierte.
({9})
- Ich habe das Gesetz gelesen, Herr Stiegler, da können
Sie sicher sein. ({10})
Diese Geringqualifizierten bringen nicht vom ersten Tag
an die Leistung und die Produktivität wie die eingearbeitete Stammbelegschaft.
Wozu wird das führen? - Die Zeitarbeit wird weiter bestehen bleiben, das ist nicht das Thema, aber sie wird sich
ändern. Für die Geringqualifizierten und die Langzeitarbeitslosen wird zukünftig keine Chance mehr bestehen,
einen festen Job zu bekommen, denn sie werden nicht
mehr vermittelt werden. Es werden nur noch die Hochqualifizierten und die Facharbeitskräfte in die Zeitarbeit
vermittelt werden. Die anderen fallen aus dem Markt heraus; Sie nehmen ihnen die letzte Chance, einen dauerhaften Job zu bekommen.
({11})
Es ist nicht nur so, dass Sie gleichen Lohn für gleiche
Arbeit ab dem ersten Tag fordern, sondern es sollen
zukünftig auch noch die gleichen Arbeitsbedingungen
gelten. Das heißt, wenn ein Zeitarbeiter bei der Lufthansa
beschäftigt wird, und wenn es nur für sechs Wochen oder
für fünf Tage ist, stehen ihm Freiflüge zu, und jemand, der
bei Daimler-Benz beschäftigt wird, bekommt dort Rabatt
beim Autokauf. Das sind nur Beispiele, vielleicht sind sie
sogar ein bisschen überzogen.
({12})
Aber man muss darstellen, dass Sie auf dem falschen Weg
sind; denn das kann sich keine Zeitarbeitsfirma leisten,
weder finanziell noch organisatorisch.
Es gibt in Deutschland über 54 000 Tarifverträge und
Sie können von niemandem, von keiner Zeitarbeitsfirma
und keinem Vermittler, verlangen, dass er in allen 54 000
Tarifverträgen fit ist.
({13})
Sie sagen: Das ist nicht so schlimm, man kann ja Ausnahmemöglichkeiten schaffen. Die Ausnahmemöglichkeiten
gestehen Sie allerdings nur dann zu, wenn die Zeitarbeitsfirmen einen Tarifvertrag abschließen. Das ist ein Tarifdiktat, auch wenn Sie hundertmal etwas anderes behaupten. Die Zukunft der Branche liegt in den Händen der
Gewerkschaften
({14})
und die Arbeitgeber können das nur noch abnicken, mehr
können sie nicht tun. Hier ist der Gesetzgeber gefordert,
aber Sie trauen sich nicht, ein klares Bekenntnis zur Leiharbeit abzugeben.
Ich komme jetzt kurz auf die Minijobs zu sprechen.
Hier haben Sie eine Mickymaus-Minireform auf den Weg
gebracht. Was ist denn mit den vielen Minijobs in der Gastronomie? Erklären Sie mir, warum zum Beispiel die Bedienung im Biergarten, beim Italiener um die Ecke oder in
Ihrer Stammwirtschaft auf einmal von der Minijobförderung ausgenommen werden soll! Erklären Sie mir einmal,
warum Sie die steuerliche Ausgestaltung der Ich-AGs immer noch nicht geregelt haben! Die Gesetzentwürfe liegen
auf dem Tisch, aber bis heute ist noch keine Regelung gefunden worden. Das alles sind unausgegorene Vorschläge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt ist für uns
wichtig:
({15})
Wachstum. Ohne Wachstum geht es nicht.
({16})
Hier müssen die Hebel angesetzt werden. Sie gehen den
falschen Weg. Ihre Politik hilft nicht weiter. Denn das ist
Politik ohne Richtung und ohne Kompass. Dieses Herumirren - ob Sie dabei das Hartz-Lied singen oder nicht führt nur in die Sackgasse.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Thea Dückert,
Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Frau Wöhrl, nach Ihrer Rede muss ich sagen: lieber den Geist von Hartz als das Dies und Das der
CDU.
({0})
Heute setzen wir nicht Herrn Hartz, aber das HartzKonzept auf das arbeitsmarktpolitische Laufband. Damit
ist endlich eine Zeit vorbei, in der die Faulenzerdebatte
immer wieder hochgeschwappt ist.
({1})
Erinnern Sie sich noch an den März letzten Jahres, als
Herr Merz hier über Essensmarken für arbeitsunwillige
Arbeitslose schwadroniert hat? Ich bin froh, dass diese
unwürdige Debatte durch eine Konzeptdiskussion ersetzt
worden ist.
({2})
Nach 20 Jahren Massenarbeitslosigkeit in diesem Land
wissen die Menschen ganz genau, dass wir es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben, das
wir nicht bei den Arbeitslosen abladen können. Sie wissen, dass die alten Konzepte nicht mehr tragen und wir
neues Denken brauchen. Sie wissen auch, dass wir neue
Instrumente brauchen und schon in den 90er-Jahren, Frau
Wöhrl, vom Ausland hätten lernen können; damals lagen
Sie aber noch im Dornröschenschlaf der arbeitsmarktpolitischen Konzeptlosigkeit.
({3})
Mit den Hartz-Vorschlägen gehen wir Stück für Stück
voran. Heute werden wir das Konzept „Fördern und
Fordern“ verankern. Wir führen heute eine spannende
Debatte, die wir ohne die Hartz-Vorschläge nicht hätten
führen können; denn für die wesentlichen Veränderungen am Arbeitsmarkt, die so viele Arbeitslose und Unternehmen betreffen, muss es einen Konsens in unserer
Gesellschaft geben. Dieser musste zunächst erarbeitet
werden.
({4})
Deshalb stellt das Hartz-Konzept, welches einen Konsens zwischen vielen unterschiedlichen Denkansätzen gefunden hat, einen Weg dar, um zu einer vernünftigen
Runderneuerung in der Arbeitsmarktpolitik zu kommen.
({5})
Wir reden heute über neue Instrumente, zum Beispiel
darüber, wie wir mit den Personal-Service-Agenturen
die Zeitarbeit von einem Trampelpfad zu einem guten
Weg für Langzeitarbeitslose entwickeln können, damit sie
in den ersten Arbeitsmarkt hineinkommen.
Über die einzelnen Schritte können wir uns streiten,
das ist richtig. Wir reden darüber, aber wir setzen es auch
um. Wir reden darüber, wie wir mit Minijobs endlich der
Schwarzarbeit zu Leibe rücken können, und zwar in einem ganz zentralen Bereich, nämlich dem haushaltsnahen
Bereich, wo es viel Schwarzarbeit gibt, wo viele Arbeitsverhältnisse - gerade auch von Frauen - illegal sind.
({6})
Wir reden über Kapital für Arbeit, wo der Arbeitslose
sozusagen Kapital im Rucksack in die kleinen Unternehmen mitbringt, wenn er dort einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat. Wir reden über die Ich-AG als Hebamme für
kleine selbstständige Unternehmen in diesem Lande. Wir
reden über Bildungsgutscheine, mit denen Arbeitslose in
größerer Selbstbestimmung Qualifikationsangebote für
sich selbst in Anspruch nehmen können. Wir reden endlich über Jobcenter als eine gemeinsame Institution zur
Beratung von Langzeitarbeitslosen, anderen Arbeitslosen
und Arbeitssuchenden.
Wir machen Angebote an Junge, an Frauen, an Ältere,
an Langzeitarbeitslose. Wir machen Angebote zur aktiven
Integration in den Arbeitsmarkt, wobei allerdings - dies
gehört zum Konzept des Förderns und Forderns dazu - für
die Arbeitslosen die Verpflichtung besteht, aktiv mitzuwirken.
Denn für uns als Grüne ist es eine der zentralen arbeitsmarktpolitischen Aufgaben in dieser Gesellschaft,
Zugangsgerechtigkeit herzustellen, weil Massenarbeitslosigkeit ein Gerechtigkeitsproblem ist.
({7})
Mit dem Hartz-Konzept gehen wir auf einem Weg weiter, den wir begonnen haben, einen Weg des Paradigmenwechsels, der die Integration in den Arbeitsmarkt will,
diese vorbereitet und der die Ausgrenzung endlich beendet.
Das Herz von Hartz - dies wurde vorhin vorgetragen ist die Personal-Service-Agentur, ist die Zeitarbeit. Darüber gibt es den großen Streit. Diesen haben wir in den
letzten Tagen und auch heute wieder in der Presse verfolgen können. Es ist wichtig festzustellen: Der Startschuss
für die Personal-Service-Agenturen fällt am 1. Januar
2003. Das ist wichtig, denn oberstes Ziel dieser PersonalService-Agenturen ist es, der Langzeitarbeitslosigkeit zu
Leibe zu rücken. Das ist bedeutsam, weil heute 20 Prozent
der Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, diese aber
75 Prozent des Volumens der Arbeitslosigkeit ausmachen.
Das bedeutet: Wenn es uns über verschiedene Instrumente
und gerade auch über die Zeitarbeit gelingt, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren, werden wir auch dem Volumen der Arbeitslosigkeit erheblich zu Leibe rücken
können. Das ist ein ganz zentrales Ziel.
Deswegen haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, wie diese Personal-Service-Agenturen arbeiten
können. Hierbei gab es Konflikte, aber wir sind in den
letzten Tagen zu einem - wie ich finde - sehr guten Kompromiss gekommen. Es gibt drei Bedingungen, unter denen diese Personal-Service-Agenturen funktionieren können:
Erstens. Damit die Zeitarbeit angenommen wird, muss
sie aus der Schmuddelecke heraus. Sie muss gesellschaftlich akzeptiert werden.
({8})
Dazu gehört die tarifliche Orientierung, lieber Herr Kollege Singhammer, auch wenn Sie das nicht glauben.
({9})
Zweitens. Die Langzeitarbeitslosen brauchen besondere Einstiegsbedingungen, wenn es gelingen soll, ihnen
mithilfe der Zeitarbeit Brücken in den Arbeitsmarkt zu
bauen. Sie brauchen dies, weil sie vom ersten Arbeitsmarkt entfernt sind. Auch diese Bedingungen werden wir
sicherstellen.
Drittens. Damit die Zeitarbeit akzeptiert wird, darf sie
innerbetrieblich nicht zum Kampfinstrument gegen die
Stammbelegschaften werden.
({10})
Mit dem Kompromiss der letzten Tage haben wir diese
drei Punkte abgedeckt. Die Zeitarbeitsfirmen haben in der
Anhörung vorgetragen, dass sie große Angst davor haben,
am 1. Januar 2003 mit neuen Bedingungen konfrontiert zu
werden, denen sie nicht gerecht werden können. Deswegen haben wir beschlossen - und zwar in Absprache mit
den Zeitarbeitsfirmen und auch mit den Gewerkschaften -,
dass eine Übergangsfrist von einem Jahr gilt und dass die
Zeitarbeitsfirmen zusammen mit den Personal-ServiceAgenturen am 1. Januar 2003 unter den Bedingungen der
heute geltenden Tarifverträge in das Geschäft der Leiharbeit einsteigen können. Die Befürchtung, dass die Zeitarbeitsfirmen in irgendeiner Weise beeinträchtigt würden
und dass sie Beschäftigte entlassen müssten, ist also vom
Tisch. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Zeitarbeitsfirmen haben nun die Chance, genauso wie die PersonalService-Agenturen in den sich erweiternden Markt der
Leiharbeit einzusteigen.
({11})
Wir haben des Weiteren vereinbart, im nächsten Jahr
das Prinzip des Equal Pay durch vernünftige Tarifverträge vorzubereiten. Solche Tarifverträge wollen auch die
Zeitarbeitsfirmen, jedenfalls die vernünftigen, die eine
Marktchance haben wollen. Denn sie wollen von dem
Image der Vergangenheit weg, dass sie immer nur Dumpinglöhne zahlen. Auch die Gewerkschaften haben Interesse an solchen Tarifverträgen. Bei der Anhörung und
den anschließenden Gesprächen haben die Gewerkschaften sehr deutlich gesagt - das ist mir sehr wichtig -, dass
sie bereit seien, Einstiegsregelungen für Langzeitarbeitslose zu vereinbaren. Natürlich haben auch die Gewerkschaften - ihnen wird ja ständig das Gegenteil unterstellt
- ein maximales Interesse daran, dass wir Regelungen für
die Zeitarbeit finden, die geeignet sind, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu bringen.
({12})
Ich finde die jetzige Diskussion, die von Herrn Göhner
angeführt wird - er ist ja nicht nur Hauptgeschäftsführer
der BDA, sondern auch CDU/CSU-Bundestagsabgeordneter, also Mitglied Ihrer Fraktion -, sehr vordergründig.
Man sollte sich vielleicht auch einmal Gedanken über den
Einfluss der Verbände in den Fraktionen machen.
({13})
Hier ist die Rede von Tarifdiktat und stark ausgeprägten
staatsmonopolistischen Strukturen in der Zeitarbeit. Zum
Glück gibt es nicht nur die Meinung von Herrn Göhner.
Der Markt ist sehr heterogen. Ich denke, es ist sehr deutlich geworden, dass die Zeitarbeitsfirmen selber Tarifverträge wollen. Sie streiten dagegen ab, dass es diesen
Wunsch gibt. Ich denke, Sie sollten endlich mit Ihrer
Kampfrhetorik aufhören und sich auf den Wagen schwingen, der jetzt abfährt, also unser Konzept unterstützen,
das hilft, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu
bringen.
({14})
Heute - ich habe leider nicht mehr genug Zeit, um das
in Gänze auszuführen ({15})
kann man eine absurde Debatte in den Zeitungen nachlesen. Eine Zeitung behauptet beispielsweise, dass unser
Konzept nicht bezahlbar sei und dass sich 7 Millionen Arbeitslose in den Personal-Service-Agenturen wiederfänden, wenn dieses Konzept umgesetzt werde. Ich kann Ihnen nur eines sagen - ausführlicher kann ich darauf nicht
eingehen -: Das hat mit Sachkenntnis über das, was wir
heute tun, überhaupt nichts zu tun. Diese Leute sind mit
ideologischen Vorurteilen gepudert.
({16})
Wir wollen - darauf habe ich bereits hingewiesen - mit
unserer Regelung der haushaltsnahen Dienstleistungen
der Schwarzarbeit zu Leibe rücken. Wir wollen eine solche Regelung auch für alle Dienstleistungen, die rund um
den Haushalt herum erbracht werden, wie zum Beispiel
Gartenpflege, Kinderbetreuung und Altenpflege. Wir
werden im Frühjahr prüfen, ob die Regelung der Minijobs
nicht auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden kann.
({17})
Wir werden mit den Ich-AGs im Alltag erworbene Fertigkeiten von Arbeitslosen nutzen, deren Talente bis jetzt
zum Beispiel im Hobbykeller verkommen, um ihnen zu
helfen, mit ihren Fertigkeiten in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. Damit werden wir die Selbstständigkeit fördern. Wir werden außerdem das Qualifikationssystem mit
praxisbezogenen Modulen modernisieren. Ich war letztens in einer solchen Einrichtung. Dort sagte mir jemand:
Gebt mir einen Hammer, lasst mich arbeiten und textet
mich nicht immer zu.
({18})
Das ist genau der Punkt: Wir müssen Module entwickeln,
durch die Menschen, die sehr praktisch veranlagt sind,
eine Chance bekommen, wieder am Arbeitsmarkt teilzuhaben.
({19})
Ich komme zum Schluss. Wir gehen Schritt für Schritt
weiter. Ich kann hier keine Versprechungen dazu abgeben,
wie stark die Regelungen im nächsten Jahr greifen werden. Wir alle wissen: Die Situation am Arbeitsmarkt wird
auch im nächsten Jahr hart sein. Aber gerade deswegen
müssen wir beherzt zu den neuen Instrumenten greifen,
die uns das Hartz-Konzept liefert.
Danke schön.
({20})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Göhner
das Wort.
({0})
Frau Kollegin Dückert, da Sie mich direkt angesprochen haben, möchte ich Ihnen zunächst sagen: Sie werden
schon ertragen müssen, dass in dieses Haus neben zahlreichen Gewerkschaftsfunktionären auch einige Vertreter
der Wirtschaft gewählt worden sind.
({0})
Sie haben meinen Vorwurf eines Tarifdiktates zurückgewiesen. Dabei haben Sie hier selbst vorgetragen, dass
ab 1 Januar kommenden Jahres die gewerblichen Zeitarbeitsfirmen zusammen mit den PSAs nur dann tätig sein
können, wenn sie einen Tarifvertrag einhalten. Tarifzwang und Tarifdiktat sind das Gegenteil von Tariffreiheit.
({1})
Sie haben Probleme damit, zu akzeptieren, dass es in
Deutschland Unternehmen gibt, die keinen Tarifvertrag
wollen. Die negative Koalitionsfreiheit, dieTariffreiheit,
enthält aber nicht nur die Freiheit, Tarifverträge abzuschließen und tarifgebunden sein zu wollen, sondern auch
die Freiheit, das nicht zu wollen.
({2})
Diese schaffen Sie faktisch ab: Ab dem 1. Januar wird
die Situation bestehen, dass die staatlich subventionierten
PSAs auf dem gleichen Markt wie die nicht tarifgebundenen Zeitarbeitsunternehmer tätig sein werden, die dann
künftig bei Beschäftigung eines Arbeitslosen nach der
sechsten Woche nicht nur den Grundsatz des Equal Pay
einzuhalten haben,
({3})
sondern auch den Grundsatz des Equal Treatment, das
heißt, dass sie die wesentlichen Bedingungen des entleihenden Unternehmens einhalten müssen. Damit schaffen
Sie eine Ungleichbehandlung im Wettbewerb. Natürlich
wird es Zeitarbeitsunternehmen geben, die das Geschäft
der staatlich subventionierten PSAs betreiben. Das ist verständlich, wenn der Gesetzgeber ein solches Gesetz beschließt. Aber dass dies ein faktisches Tarifzwanggesetz
ist, ist außer Zweifel.
({4})
Frau Dückert, dieses Gesetz beinhaltet auch aus einem
zweiten Grund ein Tarifdiktat. Das sage ich Ihnen als jemand, der Anhänger der Branchentarifverträge und der
Flächentarifverträge ist und der selbst über 100 Tarifverträge ausgehandelt und unterschrieben hat. Durch die Regelungen, die Sie jetzt schaffen, sollen Zeitarbeitsunternehmen Tarifverträge aushandeln. Das wäre in meiner
größten Fantasie nie denkbar gewesen. Die Gewerkschaften werden, wenn der Arbeitgeber nicht akzeptiert, was
sie vorschlagen, eben keinen Tarifvertrag abschließen.
Dann gilt das Equal Treatment, dann gilt die Regelung,
dass die wesentlichen Bedingungen des entleihenden Betriebes einzuhalten sind. Diese Verhandlungssituation beinhaltet einen Zwang.
Sie begrenzen also die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, weil Sie die Wirtschaft unter diesen doppelten Tarifzwang stellen. Die PSAs, staatlich subventioniert
und teuer, werden boomen. Die private gewerbliche Zeitarbeit außerhalb der PSAs, die auch bei Problemgruppen,
nämlich den Arbeitslosen, den Langzeitarbeitslosen und
den Geringqualifizierten, vermittelt, machen Sie kaputt.
Das ist die Folge Ihres Zwangs.
({5})
Herr Göhner, auf Ihre Rede, die Sie hier als Kurzintervention getarnt haben, möchte ich kurz antworten und
zwei Dinge ansprechen.
({0})
Erstens. Ich akzeptiere sehr wohl, dass Sie als Hauptgeschäftsführer der BDA auch Bundestagsmitglied sein
können. Was mir aber wichtig war, ist, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer, diejenigen, die diese Debatte verfolgen, wissen, wer für was redet. Sie haben in den letzten
Tagen eine Kampffront gegen das Instrument für die Integration von Langzeitarbeitslosen, das wir hier einführen
wollen und müssen, aufgebaut.
({1})
Man muss wissen, dass das nicht nur von der CDU/CSU,
sondern eigentlich von der BDA kommt.
({2})
- Da Sie sich offensichtlich erst unterhalten wollen, warte
ich noch ein wenig; ich habe noch einen Moment Zeit. Es
scheint Sie doch sehr zu treffen, dass hier deutlich etwas
zu Ihren Argumenten vorgetragen wird.
({3})
Zu Ihren inhaltlichen Ausführungen nenne ich noch ein
kurzes Argument; vielleicht wollen Sie ja zuhören:
({4})
Mit diesem Gesetz werden wir ab dem 1. Januar 2004 die
gesamten Reglementierungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes abschaffen. Herr Göhner, das geht sehr
viel weiter als das, was Ihre Fraktion jemals gefordert hat.
Diese hat nämlich gefordert - da Sie hier mit dem Tarifdiktat argumentieren, sollten Sie gut zuhören -, dass die
Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes für
Unternehmen, die sich in der Tarifbindung befinden, abgebaut werden. Wir bauen sie für sämtliche Zeitarbeitsunternehmen ab.
({5})
Wenn Sie hier redlich argumentieren und nicht mit dieser Kampfrhetorik auftreten würden, müssten Sie auch
sagen, was Abgeordnete Ihrer Fraktion - zum Beispiel
denke ich an Herrn Laumann und andere Abgeordnete, die
die tarifliche Bindung in diesem Bereich sehr wohl als
sinnvoll und notwendig erachten - hier vertreten. Sie vertreten hier eine Eigenmeinung.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mit einem Zitat von Professor Porter beim Weltwirtschaftsforum beginnen. Er sagte dieser Tage:
Es gibt zahlreiche Anzeichen, dass Deutschland seine
eigene Position unterhöhlt. Schwachstellen sind die
Ausbildung, die Wettbewerbsverzerrung durch Regierungsinterventionen und die hohe Arbeitslosigkeit. Es
scheint keinen politischen Willen zu geben, die Grundprobleme anzugehen. Das ist sehr beunruhigend.
({0})
Dies ist ein Beleg dafür, wie man die Politik für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft in Deutschland von außen
einschätzt.
Ich zitiere noch einmal, diesmal aus dem grün-roten
Koalitionsvertrag. Dort heißt es wörtlich:
Mit der vollständigen Umsetzung der Vorschläge der
Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ beginnen wir die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte.
Dies ist ein Satz mit zwei Lügen:
Erstens. Sie setzen Hartz nicht entsprechend den Vorschlägen, die die Kommission damals gemacht hat, um.
Mitglieder der Hartz-Kommission wenden sich von dem,
was Sie hier präsentieren, öffentlich ab.
Zweitens. Es ist nicht die größte Arbeitsmarktreform,
sondern Sie praktizieren derzeit die größte Versäumung
und Nichtwahrnehmung von Chancen. Sie regieren nicht,
Sie werden durch die Gewerkschaftsseite regiert.
({1})
Fatal ist: Wenn Sie weiterhin nicht an die wahren
Grundprobleme herangehen, fahren Sie die Wirtschaft an
die Wand.
({2})
Wir befinden uns praktisch schon in der Stagnation. Die
Deutsche Bank spricht von Rezession. Sie haben nicht
den Mut, an die Kernprobleme heranzugehen.
({3})
Statt die Einstellungshemmnisse für die kleinen Betriebe
im Land zu mindern, führen Sie die Konstruktion der Personal-Service-Agenturen ein. Statt den Kündigungsschutz für die Kleinen zu lockern, damit sie jemanden einstellen können, verstaatlichen Sie die Probleme durch
Mega-Beschäftigungsgesellschaften. Sie leihen Leute aus
und buchen sie aus der Arbeitslosenstatistik in die PSA
um; damit entlasten Sie die Statistik. Die Anhörung hat es
deutlich ergeben. Dabei handelt es sich um den größten
statistischen Trick: Auch wenn sie keine Arbeit haben, fallen sie aus der Arbeitsmarktstatistik heraus. Das ist nicht
in Ordnung!
({4})
Sie wollen befristete Arbeitsverträge im Alter ermöglichen, setzen aber gleichzeitig Anreize zur weiteren
Frühverrentung.
({5})
Sie wollen die Brückenfunktion der Zeitarbeit ermöglichen, machen sie aber gleichzeitig durch den Tarifzwang
unmöglich.
Das Problem besteht darin, dass Sie die Schwierigkeiten kostümieren. Statt sie wirklich zu korrigieren und den
Menschen im Land eine Chance zu geben, kommen Sie
nur mit Teillösungen. Sie gehen nicht an den Kern heran.
Dadurch, dass sie die Problemstrukturen indirekt fortsetzen, machen Sie die Lösung der Probleme unmöglich. Sie
werden die Arbeitslosigkeit nicht entscheidend senken.
Ihr erster Schritt - die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge und der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, die Sie heute ebenfalls beschließen werden - wird mehr als 100 000 Arbeitsplätze kosten. Diese
Arbeitsplätze gehen verloren, weil Sie die Lohnnebenkosten nach oben treiben, statt sie zu senken.
({6})
Sie kennen sicherlich das Bild der potemkinschen
Dörfer.
({7})
Dabei handelt es sich um Dörfer, die es gar nicht gibt. Sie
schaffen ein neues Bild: die Nürnberger Arbeitsplätze.
Das sind nämlich Arbeitsplätze, die es gar nicht gibt und
die Sie nur durch Umbuchungen in der Statistik schaffen.
({8})
Aber Umbuchungen sind nicht die Lösung. Die Lösung ist einfach; Sie müssen sie nur umsetzen. Nehmen
Sie das Gutachten des Sachverständigenrats - inzwischen
haben Sie ja viele SPD-nahe Wissenschaftler berufen,
Wissenschaftler, von denen einige sogar Ihr Parteibuch
haben; insofern können Sie nicht mehr behaupten, er sei
ein Hort der Opposition -, das in 20 Punkten darstellt, wie
grottenfalsch Ihr Kurs ist und dass Sie höhere steuerliche
Belastungen herbeiführen, statt eine Entlastung zu bewirken. Sie kommen mit dem Pseudoargument, die Steuerlastquote sei niedrig. Dieser Tatbestand ist doch Ausdruck
dessen, dass viele keine Steuern mehr zahlen können, weil
sie keine Gewinne erzielen. Sie würden mehr Steuern einnehmen, wenn Sie Gas gegeben hätten.
({9})
Was Ihre Bedenken angeht, Herr Brandner, wir sollten
das Land nicht schlechtreden, versichere ich Ihnen: Sie
haben das Land schlecht regiert. Wir hören in jeder Beratung, dass alles prima sei und dass Sie eine tolle Politik
betrieben, nur die Opposition sei nicht in der Lage, Ihre
- falsche - Politik zu bejubeln. Es ist aber nicht unsere
Aufgabe, Ihre falsche Politik noch zu beweihräuchern.
({10})
Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit auszusprechen, einen
Wettbewerb der Ideen in die Diskussion zu bringen und zu
verhindern, dass die deutsche Wirtschaft gegen die Wand
gefahren wird.
({11})
Auch nach Aussage der Sachverständigen behält
Deutschland den letzten Platz in Europa bei. Wir kommen
in keinem Punkt nach vorne. Wir können von dem kleinen
Finnland und dem kleinen Irland lernen, wie man Bewegung hineinbringt. Weil Sie den Menschen zu viel wegnehmen, können sie nichts ausgeben oder investieren. Es
kommt zu einer Konsum- und Investitionsschwäche.
Weil Ihnen ständig etwas Neues einfällt, haben die Menschen kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kann sich die Wirtschaft aber nicht entwickeln. Deshalb ist der von Ihnen
eingeschlagene Kurs so fatal falsch.
({12})
Korrigieren Sie Ihren Kurs! Dieses Land hat bessere
Chancen verdient. Sie werden die Wirtschaft nur in Gang
bekommen, indem Sie den Menschen mehr belassen und
ihnen die Möglichkeit geben, Geld auszugeben. Wenn sie
nichts mehr haben, können sie auch nichts mehr ausgeben. Wenn die Wirtschaft nicht mehr kalkulieren kann,
sind auch keine Investitionen möglich. Die Folge Ihrer
fatalen Politik schlägt sich jetzt in den Zahlen nieder:
Stagnation und rezessive Tendenzen.
({13})
So kommen wir aus der Wirtschaftsmisere nicht mehr heraus.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Barnett.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Brüderle, wir zeigen politischen Willen und
auch politischen Mut. Warum beteiligen Sie sich nicht daran? Sie wollen an den Kern herangehen, unter dem Sie
allerdings die Abschaffung des Kündigungsschutzes und,
wenn möglich, den Wegfall der betrieblichen Mitbestimmung verstehen.
({0})
Sagen Sie das den Menschen im Lande doch endlich
einmal ehrlich! Ihre Gesetzentwürfe und Ihr Antrag zeigen, dass Sie prinzipiell Nein sagen. Das können Sie nach
außen nicht vertreten. In der Sache liegen wir nämlich
nicht so weit auseinander. Ihnen geht es aber nicht um die
Sache. Ihnen geht es auch nicht um die Arbeitslosen, sondern Ihnen geht es um das Schlechtreden. Sie wollen lieber einen Crash als einen Grip.
({1})
Sie wollen die Konjunktur lieber gegen die Wand fahren,
als sie endlich in Fahrt zu bringen.
Sie wollen eine Anhebung der Verdienstgrenze für die
über 4 Millionen registrierten geringfügig Beschäftigten
auf 400 Euro im Monat. Das machen wir, allerdings für
einen begrenzten Bereich, nämlich für die Haushaltsdienstleistungen. In diesem Bereich gehen wir sogar auf
500 Euro. Damit bereinigen wir endlich einen Markt, in
dem bisher fast ausschließlich illegal gearbeitet wurde
und der hauptsächlich von Frauen bedient wurde. Wir
machen diese Beschäftigungsverhältnisse legal. Wir
schaffen sowohl für die so beschäftigten Frauen als auch
für die Haushalte Anreize. Das wird unserer Gesellschaft
gut tun.
3,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse werden dann
auch für ihre Arbeitgeber legal. Die beschäftigten Personen - meist Frauen - haben es dann in der Hand, ob sie in
Haushalten bis zu 500 Euro verdienen, ob sie sozialversicherungspflichtig im Haushalt angestellt sein wollen oder
ob sie sozialversicherungspflichtig bei einer Dienstleistungsagentur oder zum Beispiel einem Reinigungsunternehmen arbeiten möchten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Nein, ich möchte meine Rede zu Ende führen. Sie kann
sich ja nachher in einer Kurzintervention zu Wort melden.
Der Haushalt bekommt das je nach Beschäftigungsform honoriert. Klarstellen möchte ich an dieser Stelle:
Auch Tagesmütter fallen unter diese haushaltsnahen
Dienstleistungen, wenn sie die Kinder in ihrem Haushalt
betreuen.
Damit diese Regelungen größtmögliche Wirkung haben, wird der Haushalt diese Dienstleistungen nicht über
Werbungskosten bei den Steuern geltend machen, weil
gerade die Haushalte, die diese Dienstleistungen wöchentlich nur drei bis vier Stunden abrufen, oft nicht über die
Werbungskostenpauschale hinauskommen. Wir haben
uns für den Abzug von der Steuerschuld entschieden. Davon profitieren nämlich alle. Dass der Abzug bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen höher ausfällt, halte ich insbesondere im Interesse der Frauen
für richtig. Insoweit sind die Forderungen der Union eigentlich erfüllt, allerdings verbunden mit pauschalen
Beiträgen zur Sozialversicherung.
Was wir nicht wollen, ist eine generelle Ausweitung
aller sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse; denn diese geht immer zulasten der regulären
Arbeitsplätze, der Sozialkassen und - wie immer - der
Frauen.
({0})
Sie fordern gestaffelte Sozialversicherungsbeiträge für
einen Einkommensbereich von 400 bis 800 Euro. In
Rheinland-Pfalz machen wir das. Wir nennen es dort
Mainzer Modell, womit wir Erfolg haben. Wir gehen sogar noch weiter als Sie, weil bei Ihnen die Frage der Sozialversicherung nicht eindeutig geklärt ist. Wir haben
dieses Problem gelöst. Zudem tun wir etwas für Familien
und Alleinerziehende, weil wir für sie einen gestaffelten
Zuschlag für Kindergeld vorgesehen haben.
Schließlich werden wir dafür sorgen, dass unser sozialer Rechtsstaat, der nach dem Krieg Wohlstand für viele
gebracht hat, auch weiterhin bestehen bleiben kann. Deshalb haben und werden wir die Funktionstüchtigkeit der
Sozialsysteme nicht infrage stellen, sondern dafür sorgen,
dass sie bei allem Reformbedarf auch weiterhin funktionieren.
Sie fordern, den Ländern Abweichungen von Zumutbarkeitskriterien und Sperrzeitregelungen zu erlauben. Wir verändern beide. Wir wissen sehr wohl, dass wir
insbesondere allein stehenden Arbeitslosen eine größere
Mobilität abverlangen können und müssen. Aber wir sind
der Ansicht, dass diese Kriterien im gesamten Bundesgebiet einheitlich sein müssen. Es kann doch nicht sein, dass
in Bayern eine andere Tätigkeit als in Schleswig-Holstein
zumutbar ist.
({1})
Wie soll man das denn den Arbeitslosen vermitteln? Vielleicht liegt Ihnen ja weniger an den Arbeitslosen als an einem Verdrängungswettbewerb zwischen den Bundesländern. Diese Methode kennen wir: Bayern hygienisch rein,
NRW die Schmuddelecke. Aber das wird mit uns so nicht
laufen.
({2})
Das gilt im Übrigen auch für Ihre Vorschläge zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion, wollen eine grundlegende Reform der Arbeitsverwaltung. Das machen wir, und zwar so, wie es uns die
Hartz-Kommission vorgeschlagen hat. Allerdings braucht
das ein wenig Zeit. Ohne die aktive Mitwirkung der Beschäftigten in den Arbeitsämtern wird es nicht gelingen. Sie
müssen motiviert werden. Ihnen müssen wir danken, was
wir mit einer entsprechenden Einkommensregelung tun.
Deshalb werden wir in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt die Reformen im kommenden Jahr angehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen sogar
noch viel weiter als Sie. Die Gesetzesvorlagen der
CDU/CSU handeln nur von Einzelaspekten: kleine Jobs
und Jobcenter. Damit ist es aber nicht getan. Wir haben
bereits jetzt die Chance, viel für die Arbeitslosen in
Deutschland, aber auch für die Arbeitgeber zu tun. Wir
wollen ältere Arbeitnehmer durch eine Entgeltsicherung
fördern und ihnen den Ausstieg aus dem Arbeitsleben,
wenn sie ihn denn wollen, durch ein Brückengeld erleichtern. Wir wollen Arbeitgeber, die ältere Mitarbeiter einstellen, von Sozialversicherungsbeiträgen entlasten und
damit die Chance Älterer auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.
Dass es inzwischen Arbeitgeber gibt, die begriffen haben, wie wichtig die Weiterbeschäftigung ihrer älteren
Mitarbeiter für den Betrieb ist, zeigt ein Beispiel aus meinem Wahlkreis. Die Firma KSB in Frankenthal unternimmt große Anstrengungen, um ältere Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Die Firma jammert nicht über
Facharbeitermangel, weil sie sich die Facharbeiter selbst
beschert. Die Älteren geben dort ihr Wissen und ihre Erfahrung an die Jungen weiter - zum Wohl des Unternehmens. Dafür braucht die Firma nicht einmal monetäre
Hilfe. Diese Vorgehensweise erspart ihr letztlich viel Geld.
Solche Beispiele müssen Schule machen. Aber bis dahin müssen wir bei den meisten Unternehmen in unserem
Land noch viel Entwicklungshilfe leisten. Deshalb auch
unsere besonderen Anstrengungen für diese Altersgruppe.
Lassen Sie mich zum Schluss darauf hinweisen, dass
wir keine Zeit mehr haben.
({3})
Lassen Sie uns keine Zeit verlieren! Lassen Sie uns zusammen ans Werk gehen! Deswegen: Unterstützen Sie
unsere Gesetzesvorhaben!
Vielen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Ina
Lenke das Wort.
Liebe Frau Barnett, es ist schon sehr erstaunlich, dass
Sie noch nicht einmal Zwischenfragen zulassen. Es scheint
so zu sein, dass Sie sich Ihrer Sache überhaupt nicht sicher
sind.
({0})
Im Familienausschuss haben wir zum Beispiel über die
Liste der Tätigkeiten gesprochen, die eine Haushaltshilfe
im Haushalt ausüben darf. Das ist eine Ausschließlichkeitsliste. Sie ist sehr dürftig. Dass eine Haushaltshilfe
zum Beispiel im Supermarkt für die Familie Lebensmittel
kauft oder zur Reinigung fährt, um dort Sachen abzuholen, ist in dieser Liste nicht vorgesehen.
Sie wissen ganz genau, dass bei Prüfungen durch die
Sozialversicherungen auch auf die Begründung von Gesetzen geachtet wird. Auch darauf werden die Möglichkeiten einer Betriebsprüfung im Privathaushalt abgestellt.
Vor diesem Hintergrund hätte ich Sie gern gefragt, ob
solche Tätigkeiten außerhalb dieser Ausschließlichkeitsliste von einer Haushaltshilfe ausgeübt werden dürfen. Sie
haben mir leider nicht ermöglicht, eine entsprechende
Zwischenfrage zu stellen.
Ich sehe darin einen großen Schwachpunkt der Gesetzgebung. Ich als FDP-Politikerin werde niemandem einen 500-Euro-Job zumuten und auch niemandem zureden, einen solchen anzunehmen, weil es in der
Begründung sehr große Löcher gibt. Daher wird es sowohl für einen privaten Arbeitgeber als auch für die Haushaltshilfe selbst große Schwierigkeiten geben.
({1})
Kollegin Lenke, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie
aufhören würden, ein Gesetz, noch bevor es in Kraft getreten ist, schon wieder schlechtzureden und damit für
Verunsicherung zu sorgen.
({0})
Was Sie behaupten, stimmt nicht. Sie sind doch alle so
große Gesetzeskenner. Zeigen Sie mir, wo das im Gesetz
steht! Das, auf was Sie sich beziehen, steht in der Begründung. Begründung ist nicht Gesetzestext. Vielleicht
haben Sie das noch nicht begriffen.
Vielleicht haben Sie mir auch nicht zugehört, als ich etwas zur Kinderbetreuung ausgeführt habe. Wenn da steht
„Betreuung von Kindern“, dann - so habe ich gesagt gehört selbstverständlich auch dazu, dass die Kinder zur
Tagesmutter gebracht werden. Auch das ist haushaltsnah.
Ich sage Ihnen jetzt zum zweiten Mal: Genau das ist der
Wille des Gesetzgebers. Wenn jemand in einen Haushalt
kommt, um dort Betreuungsarbeit zu leisten, dann gehört
auch das Einkaufen dazu, dann gehört auch dazu, dass er
in die Apotheke geht oder etwas in die Reinigung bringt.
Wissen Sie, wie lang die Begründung würde, wenn man
alles das im Einzelnen aufzählen wollte? Machen Sie sich
doch nicht lächerlich!
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Pfeiffer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich bin neu in diesem Haus, aber ich muss schon
sagen: Kein Dorfgemeinderat würde sich das bieten lassen, was die Bundesregierung und Rot-Grün hier in den
letzten Wochen veranstaltet haben.
({0})
Im Schweinsgalopp werden Gesetze eingebracht. Die
Halbwertszeit der Vorlagen beträgt nur wenige Stunden.
Ständig und bis zuletzt gibt es Nachbesserungen. Im Ausschuss werden noch kurz vor der Abstimmung Zettel verteilt, auf denen „xxx“ zu lesen ist. Das ist nicht nur unwürdig; das ist dilettantisch.
({1})
Das führt zu dem, was Sie heute hier zur Abstimmung stellen: zu einem unausgegorenen, mit heißester Nadel gestrickten Gesetz, das mehr schadet als nützt.
({2})
Wenn dieses Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet wird, wird es in der Praxis zum genauen Gegenteil dessen führen, was eigentlich beabsichtigt ist: Es wird
nicht Arbeitsplätze schaffen oder sichern, sondern Arbeitsplätze vernichten.
({3})
In der Anhörung im Ausschuss wurde eindeutig dargelegt
- ich weiß nicht, wo Sie da waren -, dass, wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, 75 000 bis 100 000 Arbeitsplätze
allein in Zeitarbeitsunternehmen vernichtet werden.
({4})
Das heißt, die gewerbliche Zeitarbeit, die bisher einer der
Beschäftigungsmotoren in diesem Land war, wird massiv
beeinträchtigt.
Ich will versuchen, an einigen Beispielen handwerkliche Fehler aufzuzeigen, die belegen, warum das nicht
funktionieren wird.
Die Personal-Service-Agentur mit Equal Pay wird
nicht nur zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen und
vor allem diejenigen benachteiligen, die eine Förderung
besonders notwendig haben - Frau Wöhrl hat dies angesprochen -, nämlich die Gering- und Wenigqualifizierten.
Die Personal-Service-Agentur ist auch ordnungspolitisch
mehr als fragwürdig. Sie macht - Herr Göhner hat darauf
hingewiesen - den privaten Zeitarbeitsunternehmen Konkurrenz. Sie kann nämlich durch mögliche Zuschüsse
oder Abschläge günstigere Angebote machen als die privaten Unternehmen.
({5})
Dies führt faktisch zu einer Verstaatlichung der Zeitarbeit.
({6})
Mit der PSA schaffen Sie quasi einen VEB Zeitarbeit. Das
ist das Ergebnis, das Sie mit diesem Gesetz erzielen werden.
({7})
Anstatt einen privatwirtschaftlichen Ansatz zu stärken,
versucht Rot-Grün, dieses private Erfolgsrezept als quasi
öffentliches Unternehmen zu kopieren. Gleichzeitig wird
der private Bereich so stark reguliert, dass er nicht mehr
auf dem Markt bestehen kann. Wissen Sie, was das ist? Sozialismus in Reinkultur!
({8})
Das hat nämlich mit sozialer Marktwirtschaft nichts, aber
auch gar nichts mehr zu tun.
({9})
Wenn Sie so weitermachen, dann können wir unsere Plakate von 1976 aus dem Keller holen - „Freiheit statt Sozialismus“-: denn sie sind aktueller denn je.
({10})
Das Brückengeld: Die Einführung des Brückengeldes
wird eine neue Vorruhestandswelle vor allem in Großunternehmen auslösen. An sich ist das Brückengeld nicht besonders attraktiv. Es werden gerade einmal 50 Prozent des
Arbeitslosengeldes gewährt. Es steht aber zu befürchten
- ich bin mir da eigentlich sicher -, dass insbesondere
Großunternehmen dieses Instrument zum Personalabbau
auf Steuerzahler- bzw. Beitragszahlerkosten nutzen werden. Sie werden nämlich einfach eine Aufstockung um
diese 50 Prozent vornehmen oder dies in Sozialplänen
vereinbaren. Das ist das falsche Signal, meine Damen und
Herren. Das Brückengeld führt nicht zur Schaffung von
Arbeitsplätzen, sondern vernichtet solche. Darüber hinaus
führt es dazu, dass die Regelaltersgrenze von 65 Jahren
weiter unterminiert wird.
Die Minijobs: Es wird zu Abgrenzungs- und Missbrauchsproblemen kommen - diese Probleme würden
nicht auftreten, wenn der von uns eingebrachte Entwurf
eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Jobs, es geht um
400-Euro-Jobs in allen Bereichen, verabschiedet würde -,
weil Sie es nicht schaffen werden, die Schwarzarbeit zu
unterbinden, und weil die geschaffenen steuerlichen Anreize viel zu gering sind. Ein steuerlicher Anreiz in Höhe
von gerade einmal 360 Euro im Jahr ist ein Witz. Das wird
überhaupt nichts bewirken in Sachen Bekämpfung der
Schwarzarbeit.
({11})
Die Ich-AG: Sie schlagen einen Existenzgründerzuschuss für Arbeitslose vor. Das ist grundsätzlich sinnvoll
und gut; denn jeder Selbstständige schafft früher oder später neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Insofern: Kompliment! Gleichzeitig machen Sie aber Beitragszahlungen
in die gesetzliche Rentenversicherung zur Pflicht. Rechnen Sie einmal aus, was das bedeutet! Ein großer Teil des
Zuschusses, der mit der rechten Hand gegeben wird, wird
mit der linken wieder genommen. Im ersten Jahr wird
mehr als ein Drittel des Zuschusses genommen, im zweiten
Jahr sind es mehr als zwei Drittel und im dritten Jahr geht
der gesamte Zuschuss für die Zahlung des Rentenversicherungsbeitrags drauf. Der Zuschuss ist also wirkungslos;
denn er verpufft. Das Ganze ist ein Nullsummenspiel.
({12})
Die Zumutbarkeits- und Beweislastregelungen: Die
individuelle Erwerbsbiografie eines Hilfebeziehers wird
überhaupt nicht berücksichtigt. Jemand, der 20 Jahre lang
gearbeitet hat, bevor er arbeitslos geworden ist, wird genauso behandelt wie jemand, der 20 Jahre arbeitslos war.
Die Vermögensobergrenze wird von 33 800 Euro auf
13 000 Euro gesenkt. Für jemanden, der längere Zeit arbeitslos war, könnte das dazu führen, dass das Kapital seiner Lebensversicherung verwertet werden muss, obwohl
sich diese Person, was die Zahlungen in diese Lebensversicherung angeht, noch in der Ansparphase befindet. Dies
konterkariert die Bemühungen an anderer Stelle, die private Altersvorsorge zu fördern.
Auch die angesprochenen Einsparpotenziale werden
Sie nie und nimmer realisieren. 5,87 Milliarden Euro wollen Sie im Jahr 2003 einsparen. 3,39 Milliarden Euro wollen Sie allein im Etat der Bundesanstalt für Arbeit und
2,48 Milliarden Euro im Bundeshaushalt einsparen. Dahinter steckt bestenfalls das Prinzip Hoffnung. Was Sie
vorhaben, beruht weitestgehend auf Luftbuchungen. Allein 1,85 Milliarden Euro sollen aufgrund einer beschleunigten Vermittlung durch die PSA eingespart werden.
Dazu kann ich nur sagen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
({13})
Wo es nichts zu vermitteln gibt, da nützt auch eine Beschleunigung nichts. Angesichts der gegenwärtigen
Wachstums- und Wirtschaftskrise, die durch Ihre Politik
verursacht wurde, stellt die Wirtschaft niemanden ein.
Also gibt es nichts zu vermitteln.
Vieles von dem, was Sie hier beschließen wollen, funktioniert nur über Geld. Zum Beispiel sind Zuschüsse an
die privaten Arbeitsvermittler nötig, damit die Vermittlung von Zeitarbeit überhaupt noch attraktiv ist. Was Sie
vorhaben, wird ein Milliardengrab nach sich ziehen. Sie
werden es sehen.
Ich habe nur an einigen Beispielen versucht, Ihnen
deutlich zu machen, weshalb wir von der Union diesem
Murks nie und nimmer zustimmen werden. Die Kernprobleme des Arbeitsmarktes lösen Sie nicht. Sie werden es
nicht schaffen, die Anzahl der Arbeitslosen um zwei Millionen zu reduzieren.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, kommen
Sie zur Besinnung! Zeigen Sie sich nicht länger beratungsresistent! Stimmen Sie unseren Gesetzentwürfen
zur Aktivierung kleiner Jobs und zum optimalen Fördern
und Fordern in Vermittlungsagenturen zu! Wir haben
klare Alternativen vorgelegt. Das haben Sie immer eingefordert. Nur durch die Umsetzung unserer Pläne
kommt der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder in
Schwung.
Vielen Dank.
({14})
Herr Kollege Pfeiffer, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause; deswegen gratuliere ich Ihnen im Namen aller.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kollege Pfeiffer, der gerade hier seine erste
Rede gehalten hat, kann eines nicht wissen: In der letzten
Legislaturperiode ging das ganz genauso los:
({0})
Gesetzgebung mit einer Mischung aus Murks und
Marx, eine Kette von so genannten Nachbesserungen,
die das Wort, was darin enthalten ist, nicht einmal im
Ansatz getroffen haben. Nachbesserung bedeutet ja, das
man etwas, was grundsätzlich gut ist, nachher noch besser macht. Aber es war ja von Anfang an falsch und
schlecht.
Sie machen wieder genau das Gleiche: Sie reden schon
gar nicht mehr davon, das Hartz-Konzept eins zu eins
umzusetzen, sondern es wabert nur noch ein Geist von
Hartz durch die Geschichte. Im Ergebnis kommt genau
das heraus, was ich schon bei der ersten Lesung dieses
Gesetzes gesagt habe: Es bleibt beim eins zu null für Frau
Engelen-Kefer und die Gewerkschaften.
({1})
Sie, Herr Clement, werden, auch wenn Sie sich als
Stellvertreter von Hartz in diesem Hause sehen - es
scheint, als ob Herr Hartz schon etwas Gottähnliches für
die SPD darstellt und Sie die Funktion des Papstes ausüben dürfen -, die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht
verbessern. Sie werden faktisch keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen, sondern die Statistik nur auf
Kosten bestehender Arbeitsverhältnisse in der privaten
Zeitarbeitsbranche bereinigen.
({2})
Sie wollen mit den jetzt hier vorliegenden Gesetzen die
Zeitarbeitsbranche, zumindest die kleinen und mittleren
privaten Firmen und das Segment der Geringqualifizierten, der Langzeitarbeitslosen und derjenigen, die besondere Hilfe brauchen - darüber unterhalten wir uns hier ja
jetzt -, verstaatlichen. Mit Beitragsgeldern werden Sie
funktionierende Arbeitsverhältnisse vernichten, indem
Sie mit Ihrer Gesetzgebung dafür sorgen, dass Zeitarbeit
in diesem Lande - das wollten die Gewerkschaften ja
schon immer - keine Chance hat. Damit wird eine Brücke
in den Arbeitsmarkt einfach abgerissen.
Sie werden in der Arbeitslosenstatistik einen positiven Effekt erzielen, weil jeder Arbeitslose, der einer PSA
zugewiesen wird, natürlich bei dieser PSA beschäftigt ist;
damit ist er nicht mehr arbeitslos und fällt aus der Statistik heraus. Das werden Sie uns wahrscheinlich in einem
Jahr, spätestens in anderthalb Jahren als enormen Erfolg
verkaufen und wie Herr Hartz von einer Halbierung der
Arbeitslosenzahl schwärmen. Das wird aber so leider
nicht funktionieren. Das ist schade, denn im Hartz-Konzept waren gute Ansätze enthalten.
Jobcenter sind der richtige Weg, da hier Menschen,
die unsere Unterstützung brauchen, ein umfassendes
Dienstleistungsangebot unterbreitet werden kann. Richtig
ist auch, mehr von den Arbeitssuchenden zu fordern, weil
Solidarität keine Einbahnstraße ist. Von daher wäre auch
die Umkehr der Beweislast richtig.
({3})
Erinnern Sie sich aber bitte noch einmal daran - Sie, Herr
Clement, können das nicht, weil Sie neu in diesem Hause
sind, aber die Kollegen der die Regierung tragenden Fraktionen können es -, wie sehr Sie uns gescholten haben, als
wir exakt das beantragt haben. Von Sodom und Gomorrha
wurde gesprochen, das Ende des Abendlandes wurde beschworen. Jetzt sind auch Sie bei diesem Punkt in der
Realität angekommen. Das finden wir gar nicht schlecht.
Leider gehen Sie aber den Weg nicht weiter, Sie geben
Menschen, die in den Arbeitsmarkt zurückwollen, keine
Chancen und nehmen auch nicht die Diskriminierung von
bestimmten Arbeitsplätzen zurück. Diese tragen Sie ja
schon seit Jahrzehnten wie eine Monstranz vor sich her:
Dienstmädchenprivileg hieß das bei Ihnen, als man Aufwendungen für Haushaltshilfen noch von der Steuer
absetzen konnte. Was machen Sie jetzt, nach vielem handwerklichen Hin und Her? - Sie schaffen eine 500-EuroRegelung, mit der die Schwarzarbeit eingedämmt werden
soll und die es dem Arbeitgeber erlaubt, sage und schreibe
360 Euro pro Jahr von der Steuerschuld abzuziehen. Bei
einer sozialversicherungspflichtig voll beschäftigten
Haushaltshilfe kann man sage und schreibe 1 200 Euro
pro Jahr abziehen. Und das soll die Schwarzarbeit massiv
in diesem Land bekämpfen?
({4})
Sie müssen andere Wege gehen; Sie müssen den Arbeitgeber Haushalt mit anderen Arbeitgebern gleichstellen.
Warum ist der Arbeitgeber privater Haushalt, der jemanden aus der Arbeitslosigkeit holt und sozialversicherungspflichtig beschäftigt, auch nur einen Deut schlechter
als der Arbeitgeber Handwerksmeister, Gastronom,
Daimler-Chrysler oder VW? Wir brauchen Arbeitsplätze
in diesem Land!
({5})
Weil Sie den Weg nicht konsequent verfolgen und weiter mit Ihrem ideologieverbrämten Denken Politik machen,
({6})
finden Sie in diesem Land kaum noch jemanden, der
schon kurze Zeit nach der Wahl Rot-Grün gewählt haben
will. Kehren Sie um, geben Sie den Menschen eine
Chance und sorgen Sie dafür, dass Arbeitsplätze in diesem
Land geschaffen und die entsprechenden Potenziale ausgeschöpft werden! Geben Sie Ihre Ideologie auf! Sie setzen Hartz nicht eins zu eins um. Deshalb fordere ich Sie
auf: Hören Sie auf, den Weg zu gehen, der ein Eins-zuNull für die Gewerkschaften bedeutet! Dieses Denken
wird unser Land nicht voranbringen.
Herr Clement, Sie müssen mehr sein als nur der Stellvertreter eines Managers. Sie müssen dafür sorgen, dass
der Arbeitsmarkt insgesamt reformiert wird.
Herr Kollege Niebel, Ihre Redezeit!
Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. - Sie könnten das
erreichen, wenn Sie unserem Antrag „Handeln für mehr
Arbeit“ zustimmen. Er beinhaltet exakt das, was Ihnen der
Sachverständigenrat gestern ins Stammbuch geschrieben
hat.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Wolfgang
Clement.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße
sehr, dass Sie bereits heute über das erste große Gesetzespaket, mit dem die Vorschläge der Hartz-Kommission realisiert werden sollen, entscheiden. Ich weiß, dass diese
Beratungen unter einem ungewöhnlich großen Zeitdruck
standen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass die Mehrheit
dieses Hauses die Bereitschaft zum schnellen Handeln hat
und dass dieses Gesetzespaket - vorausgesetzt Sie lassen
es heute passieren und der Bundesrat stimmt ihm zu - zum
1. Januar 2003 in Kraft treten kann. Das ist überaus wichtig.
Ich gehöre zu denen, die davon überzeugt sind, dass
wir unter äußerstem Zeitdruck stehen, was den Arbeitsmarkt angeht. Wir haben keine Zeit zu verlieren und sollten daher bereit sein, diese Reform schnell in Kraft zu setzen, die den Arbeitsmarkt in Deutschland von Grund auf
erneuern wird.
({0})
Ich habe die Diskussion sehr aufmerksam verfolgt und
habe viele interessante Hinweise aufgenommen. Frau
Kollegin Wöhrl, Sie werden mir die Bemerkung erlauben,
dass ich auch alte Klischees wiedererkannt habe. Herr
Kollege Pfeiffer, auch ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten
Rede. Ich hätte aber nicht gedacht, dass ein junger
Mensch wie Sie mit einer „alten Tante“ wie „Freiheit statt
Sozialismus“ durch die Gegend ziehen würde.
({1})
Es sei Ihnen gegönnt.
Herr Kollege Brüderle, auch zu Ihrer Rede möchte ich
eine Bemerkung machen. Was das Ausland an uns zurzeit
fasziniert, ist unsere Fähigkeit, uns vor allen Dingen mit
uns selbst zu beschäftigen und in Deutschland alles in den
Keller zu reden, was in den Keller zu reden ist.
({2})
Unsere ausländischen Wettbewerber und Konkurrenten
gönnen uns im Moment diese Beschäftigung mit uns
selbst. Aber Sie werden sehen, Herr Kollege Brüderle:
Wir werden handeln und die Beschäftigung mit uns selbst
beenden. Wir werden in Deutschland die notwendigen
Reformen umsetzen. Dieses Gesetzespaket ist der erste
große Schritt auf diesem Weg.
Es kommt in dieser Debatte ein wenig zu kurz - erlauben Sie mir bitte diese Bemerkung -, worum es eigentlich
geht. Was sind die Fakten, über die wir diskutieren? Die
Jobcenter, die wir jetzt anstelle der alten klassischen Arbeitsämter einrichten, werden wirkliche Vermittlungsarbeit leisten. Die Arbeit dieser Jobcenter beginnt sofort,
wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer die
Kündigung erhalten hat, und nicht erst nach einigen Monaten, wenn man sozusagen schon in der Arbeitslosigkeit
versunken ist.
Wir überprüfen die Zumutbarkeitsregeln nicht nur,
sondern wir erneuern sie. Insbesondere - das hat der Kollege Niebel gerade zu Recht erwähnt - kehren wir die Beweislast in diesem Bereich um. Wir äußern nicht nur die
Erwartung an junge Menschen, sondern fixieren sie gesetzlich, dass sie mobil sein müssen, wenn es um Ausbildungs- und Arbeitsplätze geht. Wir fordern diejenigen, die
familiär ungebunden sind, auf, sich zu bewegen, wenn es
um einen neuen Arbeitsplatz geht.
Wir erneuern den Weiterbildungssektor durch Zertifizierung von Grund auf und schaffen damit klare Rahmenbedingungen für die Qualifizierung; denn die Weiterbildung ist für die Zukunft des Arbeitsmarktes in
Deutschland von außerordentlicher Bedeutung. Wir sehen
für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue
Möglichkeiten der Rückvermittlung in den Arbeitsmarkt
vor, wie es das Hartz-Konzept vorsieht.
Das sind Einzelschritte. Hinzu kommt die Schaffung
von Minijobs im haushaltsnahen Bereich. Da bedarf es
keiner langen Diskussion: Frau Kollegin, was Sie oder ich
im Haushalt tun könnten, könnten auch Haushaltshilfen
leisten. Auch das Anstreichen der Haustüren von innen
und außen ist vereinbar mit dem Begriff der haushaltsnahen Dienstleistung.
({3})
Wir schaffen die Grundlagen für das Kleinstgewerbe,
nämlich die so genannten Ich- und Familien-AGs, die von
der Hartz-Kommission vorgeschlagen wurden. Mit der
Zeit- und Leiharbeit schlagen wir einen Weg ein, der aus
meiner Sicht geboten ist. Ich werde dazu gleich noch
einige Bemerkungen machen.
Das Programm „Kapital für Arbeit“ der Kreditanstalt
für Wiederaufbau haben wir bereits auf den Weg gebracht.
Niemand von den Mittelständlern, die bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anrufen - verzeihen Sie mir diese
Bemerkung -, hat offensichtlich den Sozialismus vor
Augen. Den Mittelständlern geht es vielmehr darum, ihre
Eigenkapitalbasis zu verstärken.
({4})
Bereits mehr als 7 000 Mittelständler hatten sich bis gestern bei der KfW gemeldet, um diese Kreditmöglichkeit,
die die Schaffung von Eigenkapital fördert, zu nutzen. All dies wird realisiert.
Darüber hinaus sind wir dabei, den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu konsolidieren und den Zuschuss
des Bundes sowie die Arbeitslosenhilfe in den Griff zu bekommen. Wir konsolidieren die Mittel in diesem Sektor
um immerhin 6 Milliarden Euro. Wenn ich von Wissenschaftlern höre, dass das noch nicht genug sei, dann bitte
ich uns alle, dass wir uns ernsthaft mit denen beschäftigen, die von diesen Kürzungen betroffen sind. Das geht
nämlich ziemlich nah an den Nerv von Familien heran, die
nicht mit allem Guten gesegnet sind, was diese Welt zu
geben hat. Was wir an Konsolidierungsmaßnahmen vornehmen, wird mit aller Sorgfalt erörtert und dann verantwortlich beschlossen werden.
({5})
Die ganze Diskussion wurde - das finde ich auch gut vielfach mit enormem öffentlichen Interesse geführt. Ich
will jetzt nur zwei Aspekte herausgreifen. Mit den
Ich-AGs schaffen wir eine neue Möglichkeit des Kleinstgewerbes. Für die nächsten Monate, das heißt das erste
Vierteljahr 2003, haben wir uns vorgenommen, für dieses
Instrument neue steuerrechtliche Möglichkeiten, neue
buchführungsrechtliche Möglichkeiten und neue handwerksrechtliche Möglichkeiten zu schaffen. Mit diesem
Kleinstgewerbe wird für Arbeitslose eine neue Chance
der beruflichen Selbstständigkeit eröffnet werden. Das ist
ein, wie ich glaube, sehr spannender Prozess.
Was die Änderung der Handwerksordnung, die davon
betroffen sein kann, angeht, so sind wir in einem nach
meinem Empfinden sehr konstruktiven Gespräch mit dem
deutschen Handwerk. Wir haben mit unserem Entwurf auf
die weit reichenden Bedenken reagiert, die das Handwerk
auf diesem Sektor hat. An diesen Reformen führt angesichts der Europäisierung und der Globalisierung kein
Weg vorbei. Ich bitte deshalb darum, den Dialog darüber
sehr konstruktiv fortzusetzen. Ich werde mich sehr engagiert daran beteiligen, diesen Prozess der Reform des
Handwerks, der mit den Leipziger Beschlüssen vom
Handwerk eingeleitet worden ist, in aller Ruhe, aber auch
in aller Konsequenz fortzusetzen.
({6})
Wir werden die Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich
über dieses Kleinstgewerbe auftun, nutzen. Damit werden
übrigens manche Diskussionen, die derzeit im Zusammenhang mit den 325-Euro-Jobs geführt werden, faktisch außer Kraft gesetzt werden. Denn dies ist faktisch
eine sinnvollere Möglichkeit der beruflichen Tätigkeit,
als sich in solchen Minijobs - die Sie ja alle ausweiten
wollen, allerdings ohne zu sagen, wie Sie die Sozialversicherungssysteme vernünftig betreiben wollen, wenn so
langsam, aber sicher alle Menschen in diesen 325-EuroJobs beschäftigt sind - zu betätigen. Deswegen ist der
Weg, den wir beschreiten, richtig.
({7})
Nun zu den Personal-Service-Agenturen sowie zur
Zeit- und Leiharbeit. Ich habe in diesem Zusammenhang
von staatlicher Subvention und Ähnlichem gehört. Dazu
muss ich Ihnen ganz offen sagen: Man darf die Öffentlichkeit auch nicht verballhornen.
({8})
Zunächst ein Wort an Sie, Herr Kollege Göhner. Unmittelbar nach der Anhörung habe ich Sie gemeinsam mit
allen Vertreterinnen und Vertretern der Zeitarbeitsunternehmen und der Gewerkschaften zu Gesprächen eingeladen. Wir haben ein intensives und, wie ich finde, sehr konstruktives Gespräch geführt - mit dem Ergebnis, das sich
heute in der Gesetzesvorlage wiederfindet. Sie haben bei
diesem Gespräch Bedenken geäußert. Wenn ich es richtig
wahrgenommen habe, haben Sie dieses Gespräch dann verlassen, um in Einzelgesprächen zu versuchen, die Verbände
von Zeitarbeitsunternehmen zu bewegen - ich sage das
jetzt sehr diplomatisch -, diesen Weg nicht mitzugehen.
({9})
Da Sie von „Tarifdiktat“ sprechen, könnte ich ja auf die
Idee kommen - auch wenn mir das natürlich fern liegt -,
dass Sie versuchen, eine Art Verbändediktat gegenüber
Zeitarbeitsfirmen auszuüben.
({10})
Das wäre nicht gut.
Sie werden sich mit einem abfinden müssen, Herr Kollege Göhner: Sie werden mich nicht los. Ich werde zu jedem Gespräch kommen. Ich werde zu jedem Gespräch
mit den Verbänden der Zeitarbeitsunternehmen gehen, zu
jedem Kongress, der für mich erreichbar ist. Denn ich
möchte, dass sich aus diesem Prozess etwas Konstruktives, etwas Positives entwickelt.
({11})
- Frau Kollegin Wöhrl, Sie sprechen über die Zeitarbeit
- das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Brüderle -,
als könnten Sie bei diesem Thema etwas vorweisen, das
besonders gut ausgestaltet ist. Tatsächlich wissen Sie und
ich, dass es, wenn wir über Zeitarbeit sprechen, um etwa
9 000 Unternehmen in Deutschland geht, die eine solche
Zeit- und Leiharbeitserlaubnis haben. Von diesen 9 000
beschäftigen etwa 3 000 überhaupt niemanden. Von den
anderen beschäftigen die meisten etwa zehn oder 15 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, teilweise unter solchen Bedingungen, Herr Kollege Brüderle, dass Sie ihnen
nicht offenen Auges ins Gesicht schauen würden. Das
sind Bedingungen, die Sie bestimmt nicht haben wollen.
({12})
Ich habe so manche Bemerkung über die Gewerkschaften gehört. Die Marktwirtschaft ist hier mehrmals
beschworen worden. Ich erinnere mich dunkel - damals
war ich noch etwas jünger -, dass Ludwig Erhard sehr
wohl wusste, dass Gewerkschaften in einer sozialen
Marktwirtschaft unverzichtbar sind und nicht ständig als
Beelzebub herhalten sollten.
({13})
Die Gewerkschaften sind kein Beelzebub. Sie werden
sich reformieren, genauso wie Sie sich als Partei reformieren müssen.
({14})
Wir alle tun das. Wir befinden uns in dieser Hinsicht in einem Prozess.
Aber deshalb ständig in die Ecke gestellt zu werden,
das ist nun wirklich absurd, erst recht dann, wenn wir darüber diskutieren, wie wir die Zeit- und Leiharbeitsunternehmen tatsächlich aus der Schmuddelecke - da sind sie
aus meiner Sicht zu einem Teil und nach dem Eindruck
vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer komplett herausholen. Das müssen wir leisten, wenn dieses Instrument von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angenommen werden soll. Es muss nämlich nicht von uns
angenommen werden, sondern von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. Denen muss man
dazu realistische, klare Bedingungen anbieten.
({15})
Nun haben Sie, Herr Kollege Pfeiffer und Frau Kollegin
Wöhrl, von Sozialismus gesprochen. Ich frage Sie: Was ist
Sozialismus? Die Bundesanstalt für Arbeit in Gestalt der
künftigen Jobcenter wird in Bezug auf die Personal-ServiceAgenturen einen Wettbewerb unter Zeitarbeitsunternehmen
ausschreiben, soweit sie tarifliche Bindungen eingegangen
sind. Diese tariflichen Bindungen sind die heutigen. Es wird
daran nichts geändert. Ob Adecco, Randstad, DIS oder welches Unternehmen auch immer, soweit es einen Tarifvertrag
hat, kann es sich um die Wahrnehmung der Aufgaben einer
Personal-Service-Agentur bewerben,
({16})
um privat - wie es sich gehört - Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Arbeit zu vermitteln. Nun sagen Sie mir
einmal ernsthaft: Wollen Sie mir wirklich ins Auge
schauen und hier von Sozialismus sprechen? Das kann
nicht Ihre Auffassung sein.
({17})
Das ist die erste Vereinbarung. Herr Kollege Göhner,
Sie waren ja dabei; das sollten Sie vielleicht einmal erwähnen.
({18})
- Ich wüsste nicht, warum es ein Diktat ist, wenn wir vorsehen, dass sich Unternehmen bewerben können, die einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Wollen Sie jetzt sagen, dass auch Tarifverträge unzulässig, Sozialismus
sind?
({19})
Wie soll ich das verstehen?
Zum Zweiten sind wir auf eine Bitte der Zeitarbeitsunternehmen eingegangen und haben gesagt: Wir beginnen
damit erst nach einem Jahr bzw. geben ihnen ein Jahr Zeit,
sich auf die neuen Grundlagen der Zeit- und Leiharbeit
einzustellen. Ist das falsch? Das ist die Bitte der Unternehmen. In anderen Staaten hat dies teilweise 18 Monate
gedauert. In diesem Prozess befinden sich jetzt die betroffenen Unternehmen.
Dann haben wir beide Seite aufgefordert - ich habe das
eindringlich getan -: Springen Sie über Ihren Schatten
und versuchen Sie, eine tarifvertragliche Regelung der
Zeit- und Leiharbeit in Deutschland zu finden; das ist
nämlich allemal besser, als wenn dies der Gesetzgeber tun
muss. - Dieser Prozess findet ab jetzt statt. Die Gewerkschaften haben dies sofort aufgenommen, Zeitarbeitsunternehmen ebenfalls und auch Verbände der Zeitarbeit.
Noch nicht alle; die anderen treffe ich nächste Woche und
führe mit diesen weitere Gespräche. Wir werden zu tarifvertraglichen Regelungen kommen, die Einarbeitungszeiten, Überbrückungszeiten und unterschiedliche Tarife
für Langzeitarbeitslose und andere betreffen.
Das ist genau das, was die Zeit- und Leiharbeit in
Deutschland braucht. Das wird dazu führen, dass wir in
Zukunft auf diesem Sektor wesentlich mehr Beschäftigte
haben werden als heute. Denn was die Zeit- und Leiharbeit angeht, sind wir in Europa wirklich Schlusslicht. Deshalb haben wir diesen Prozess eingeleitet und werden ihn
zum Erfolg führen.
({20})
Die Sorge bzw. die Angst mancher Zeitarbeitsunternehmen im Hinblick auf das Prinzip des Equal Pay, des
gleichen Lohns, ist aus meiner Sicht - um das klar zu sagen - wirklich nicht gerechtfertigt. Zunächst einmal kann
ich kaum verstehen, dass man gleichen Lohn für alle als
etwas Diskriminierendes, etwas Verwerfliches ansieht.
Wir schaffen für die Tarifparteien ausdrücklich die Möglichkeit, für schwer zu vermittelnde Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, für Langzeitarbeitslose, für Junge, für
Ältere, für Helferinnen und Helfer, Sonderregelungen zu
vereinbaren. Genau das geschieht. Das ist allemal besser,
als wenn dies der Gesetzgeber täte.
Sie sprechen ununterbrochen von Freiheit statt Sozialismus.
({21})
Sie diskreditieren genau das, was hier stattfindet und was
wir mit den Tarifverträgen anstreben, wobei ich auch von
hier aus die Zeit- und Leiharbeitsunternehmen auffordere
und bitte, das zu tun. Wenn dies den Tarifparteien gelingt
- davon bin ich überzeugt - und wir uns vierteljährlich
treffen und darüber sprechen, dann werden wir die Möglichkeit haben - so ist es im Gesetz vorgesehen -, die wesentlichen Regulierungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - das Synchronisationsverbot, das besondere
Befristungsverbot, das Wiedereinstellungsverbot, die Beschränkung der Beschäftigungsdauer - aufzuheben.
({22})
Das verstehen wir unter einer vernünftigen Deregulierungspolitik und diesen Prozess werden wir auf die Dauer
fortsetzen.
({23})
Herr Kollege Göhner, ich möchte Sie von hier aus direkt ansprechen und sagen, woran mir liegt. Die einen
sprechen in dieser Debatte von Tarifdiktat, die anderen
üben - ich sage es einmal sehr vornehm - faktisch Verbändedruck aus. Ich empfinde das als kalten Krieg, der
auf diesem Feld ausgetragen wird. Wir befinden uns in einem Gewöhnungsprozess, den wir überwinden müssen
und in dem wir zu vernünftigen Gesprächen kommen
müssen. An diesen Gesprächen werde ich mich ununterbrochen beteiligen. Ich bin überzeugt, dass wir dann auch
zu einem Erfolg kommen werden.
Weil wir die Hartz-Vorschläge eins zu eins umsetzen
wollen, werden wir im Januar das fortsetzen, was in
Wolfsburg aufgenommen worden ist. Natürlich kann
man Zweifel haben, ob es innerhalb von drei Jahren gelingt, 2 Millionen Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu
bringen. Man darf an allem zweifeln in Deutschland; das
ist die Hauptbeschäftigung eines freiheitlichen Staates:
Zweifel zu haben und Selbstkritik zu üben. Aber in
Wolfsburg habe ich mit großem Interesse wahrgenommen, wie dort innerhalb von vier Jahren die Arbeitslosigkeit halbiert worden ist, und zwar nicht nur durch VW,
sondern durch den Einsatz von über 2 000 Menschen in
dieser Stadt, die der Bundeskanzler und ich gemeinsam
mit Herrn Hartz dort getroffen haben. Diese Menschen
sind zusammengekommen, weil sie der Überzeugung
sind, dass Arbeitslosigkeit nicht allein durch Politik zu
beseitigen ist, auch nicht allein durch Maßnahmen der
Bundesregierung, sondern dass man dazu Unternehmer,
Manager, Gewerkschafter, Betriebsräte, Personalräte
und viele andere braucht, die sich mitverantwortlich
fühlen.
({24})
Das ist das Kernstück, über das wir heute sprechen: in
Deutschland ein anderes Verständnis von Arbeit, Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit durchzusetzen. Wir müssen
endlich wieder ernst nehmen, dass hinter der Arbeitslosigkeit menschliche Schicksale stehen und dass wir nicht
nur Sonntagsreden halten dürfen, sondern unsere Vorhaben durchsetzen und realisieren müssen.
Deshalb ziehen wir ab Januar durch die Republik; wir
kommen nach Bayern - wo ich Sie gerade sehe, Herr Kollege Seehofer -, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, ganz besonders in die Länder Ostdeutschlands;
überall werden wir sein
({25})
und dafür werben, dass sich Menschen bereit finden, im
Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mitzumachen, statt sich
an die Seite zu stellen und nur zu nölen und zu kritisieren.
Darum geht es mir im Kern. Hier wird gehandelt.
({26})
Weitere gesetzliche Schritte folgen. Das nächste Gesetzespaket betrifft die Ich-AGs. Das Steuerrecht wird
vereinfacht, das Buchführungsrecht wird vereinfacht, das
Handwerksrecht wird modernisiert. Dann folgt die Neugestaltung der Bundesanstalt für Arbeit. Am 1. Januar 2004
erfolgt dann die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe in einem neuen Konstrukt Arbeitslosengeld II.
So realisieren wir das, was wir uns vorgenommen haben und was für den Arbeitsmarkt und damit für die Wirtschaft, was für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung
in Deutschland notwendig ist. Das werden wir fortsetzen.
({27})
Ich setze darauf, dass Sie uns dabei weiterhin mit aller
Aufmerksamkeit begleiten.
Schönen Dank.
({28})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir stehen am Ende einer Woche, die so voller
Hiobsbotschaften über die Lage der deutschen Volkswirtschaft war wie selten eine Woche in den letzten Jahren und
Jahrzehnten in Deutschland.
({0})
- Ja, meine Damen und Herren, dass Sie das nicht gerne
hören, kann ich verstehen. Aber noch wird hier im deutschen Parlament offen darüber gesprochen, wie die
tatsächliche Lage ist, und nicht nur darüber, wie Sie sie
gerne hätten.
({1})
Zur Wahrheit gehört, dass wir ein Desaster in den öffentlichen Haushalten erleben. Große Teile der Bundesregierung haben vorher gewusst, was in diesen Tagen öffentlich geworden ist: Die Sachverständigen haben zum
wiederholten Mal die Wachstumsraten und die Erwartungen für das Wachstum nach unten korrigieren müssen.
Wir werden eine Verletzung des Maastricht-Vertrags erleben, die vor der Wahl bestritten und nach der Wahl in einem Umfang festgestellt wurde, den wir alle nicht für möglich gehalten hätten. Dies wird im nächsten Jahr seine
Fortsetzung nehmen und auch die Arbeitslosenzahl wird im
nächsten Jahr durchschnittlich bei über 4 Millionen liegen.
Es ist nun wahrlich ein Befund, der zu jeder Kraftanstrengung für eine bessere Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Anlass gibt. Herr Clement, ich bitte Sie darum, dass Sie das ernsthafte Bemühen, an diesem Ziel
mitzuarbeiten, um gemeinsam etwas zu erreichen, niemandem in diesem Haus absprechen.
({2})
Jeder von uns weiß um die große gesellschaftspolitische Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn wir sie
nicht gemeinsam angehen, wird es nicht nur ein weiteres
Abrutschen des Wohlstandes in unserem Land geben, sondern dann wird es über kurz oder lang auch zu einer Destabilisierung der politischen Ordnung in diesem Land
kommen. Deswegen gibt es allen Grund, nüchtern und
sachlich die Kritik anzunehmen, die in diesen Tagen am
Konzept der Bundesregierung geäußert wird.
({3})
Herr Bundeskanzler, es sind doch nicht die Kettenhunde der Verbände - so apostrophieren Sie sie, seit Sie
nicht mehr mit ihnen klarkommen -, es ist doch nicht die
deutsche Opposition, sondern es war in dieser Woche der
Sachverständigenrat, der zu Recht eine Reihe von sehr
kritischen Anmerkungen zu dem gemacht hat, was wir
heute an Gesetzgebung zu verabschieden haben.
Ich trage Ihnen nun etwas vor, was im Grunde genommen alles aussagt:
Wir halten es für verfehlt,
- so sagt der Sachverständigenrat dass alle Leiharbeitsnehmer nach den für das Entleihunternehmen geltenden Entgeltbedingungen bezahlt werden sollen. Erstens werden dadurch die
Vermittlungs- und Integrationschancen für die Arbeitslosen verringert. Zweitens entsteht ein Druck,
Tarifverträge abzuschließen. Und drittens wird der
privaten Leiharbeit Lohnflexibilität genommen. Auch
wenn dafür Regulierungen wie das Synchronisationsverbot fallen sollen - der Preis dafür ist zu hoch.
({4})
Ich werde gleich noch einmal auf diesen Sachverhalt zu
sprechen kommen.
Lassen Sie mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, vorher - wir sehen uns in den nächsten beiden Wochen nicht
im Bundestag ({5})
aber noch auf einen weiteren Sachverhalt eingehen, über
den Sie in der nächsten Woche im Kabinett zu entscheiden haben. Sie haben heute Morgen das Programm „Kapital für Arbeit“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau gelobt. Es ist wahr, es wird vom Mittelstand sehr umfassend in Anspruch genommen. Ich sage: Der Mittelstand
braucht Eigenkapital und nicht neue Kredite.
({6})
Wenn er jedoch nur eines bekommen kann, dann nimmt er
in der Lage, in der er sich befindet, natürlich Kredite auf.
Aber in diesen Tagen irrlichtert ein Gesetzentwurf
des Bundesfinanzministers durch die Öffentlichkeit, der
in der nächsten Woche zur Entscheidung im Kabinett
ansteht. In diesem Gesetzentwurf werden insgesamt
48 Steuererhöhungen vorgeschlagen. Eine davon - deswegen spreche ich es an - ist eine Veränderung in der Besteuerung der Gewinne bei der Veräußerung von
Grundstücken. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich
möchte Sie bitten - ich sage das hier mit allem Ernst und
mit allem Nachdruck -, darauf hinzuwirken, dass diese
Entscheidung in der nächsten Woche nicht getroffen wird.
({7})
Ich will begründen, warum: Eine große Zahl von mittelständischen Arbeitgebern in Deutschland - wir sprechen hier über Arbeitsplätze und über die Fähigkeit, zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen - hat den
Banken privat gehaltene Grundstücke als Sicherheit übereignet, um damit Betriebsmittelkredite zu erhalten. Wenn
die Veräußerung dieser Grundstücke in Zukunft steuerpflichtig wird, wenn also auf diesen Grundstücken eine
latente Steuerpflicht liegt - wie wir alle wissen, liegt diese
in Deutschland bei knapp 50 Prozent -, ist damit die Kreditbasis für die mittelständische Wirtschaft glatt halbiert.
({8})
Herr Bundeswirtschaftsminister, das bedeutet im Klartext, dass Sie insbesondere kleine und mittlere Banken,
auf die sich Ihr Fokus zu Recht richtet, wenn es darum
geht, die wirtschaftliche Lage in Deutschland zu verbessern, in eine umfassende Wertberichtigung und damit in
die Krise hineintreiben. Das bedeutet im Klartext, dass
Sie viele mittelständische Unternehmen in den Konkurs
treiben, und es bedeutet im Klartext, dass vielen älteren
Menschen in Deutschland Altersarmut droht, insbesondere denjenigen, die etwas getan haben, was wir alle wollen, die nämlich private Altersvorsorge betrieben haben.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bitte darum, dass
diese Entscheidung in der nächsten Woche auf Ihren entschiedenen Widerstand stößt.
({9})
Ich komme zurück auf das
({10})
Gesetz oder die Gesetze, die wir heute hier verabschieden. - Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, in einem
größeren Zusammenhang über Wirtschaftspolitik zu sprechen und hier im Parlament zu diskutieren, ist es kein
Wunder, dass wir uns in Deutschland in einer solch katastrophalen Lage befinden, wie dies gegenwärtig der Fall
ist. Sie haben immer noch nicht verstanden, was hier notwendig ist.
({11})
Ich komme gleichwohl auf den konkreten Gesetzgebungsvorgang zurück und spreche hier insbesondere die
Minijobs und die Tarifbindung der Zeitarbeit an. Durch
diese Gesetze, wenn sie denn verabschiedet werden,
kommt es auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu einem fundamentalen Wandel in der Tarifpolitik.
Ich will dies begründen: Heute unterliegen
Zeitarbeitsunternehmen der Tarifpflicht, wenn die Beteiligten es wollen. Dies ist Ausdruck der Vertragsfreiheit,
wie sie in Art. 9 unseres Grundgesetzes zum Ausdruck
kommt. Diese umfasst die positive Freiheit, Tarifverträge
abzuschließen, und - und darauf hat der Kollege
Reinhard Göhner völlig zu Recht hingewiesen gleichrangig die negative Freiheit, Tarifverträge nicht abzuschließen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, an dieser Stelle eine
Fußnote: Wenn Sie in Zukunft Kooperationsverträge nur
mit solchen Zeitarbeitsunternehmen zulassen, die Tarifverträge abgeschlossen haben, kommen Sie damit nach
meiner Auffassung bedenklich nah an die Grenze zur Verfassungswidrigkeit, nah an einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit.
({12})
Denn Sie versperren den Unternehmen und den Arbeitnehmern, die sich ausdrücklich entschlossen haben, von
der negativen Koalitionsfreiheit Gebrauch zu machen,
den Weg in die Zusammenarbeit mit den staatlichen
PSAs, die Sie jetzt errichten wollen. - Dies ist nur eine
Fußnote.
({13})
Der viel wichtigere Aspekt ist, dass Sie die Tarifvertragsfreiheit von den Zeitarbeitsunternehmen vollständig
auf das entleihende Unternehmen übertragen. Dies unterliegt nicht der Freiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmern, sondern mit dem, was wir hier heute verabschieden
sollen, schreiben Sie dies ins Gesetz. Dies ist nach meiner
Überzeugung die zweite Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit, die in unserem Grundgesetz verankert ist.
Damit wird eine Tarifbindung - natürlich ist der Begriff
des Tarifdiktats ein polemischer Begriff - ausgelöst, die
das Grundgesetz für unsere Arbeitsmarktverfassung ausdrücklich nicht gewollt hat, Herr Clement.
({14})
Dies hat natürlich Konsequenzen: Nach dem, was wir
hier heute beschließen sollen, werden sich die Gewerkschaften in Zukunft entspannt zurücklehnen. Im Jahre
2003 werden sie darauf warten, ob es irgendwo eine Abweichung von einem solchen Tarifvertrag gibt. Natürlich
wird es diese nicht geben, weil die Tarifvertragsparteien
- ich habe versucht, Ihnen dies am Mittwoch in unserem
ansonsten sehr offenen und kollegialen Gespräch deutlich
zu machen - damit rechnen können, dass ohne jedes eigene Dazutun ab dem 1. Januar 2004 in Deutschland eine
Regelung in Kraft treten wird, die die Tarifbindung in
Deutschland weiter erhöht. Dies wird geschehen, ohne
dass sich die Gewerkschaften in irgendeiner Weise hin zu
mehr Flexibilität auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen müssen. Wir halten diese Grundsatzentscheidung, die
mit diesem Gesetz verbunden ist, für falsch. Dies ist der
falsche Weg, wenn man zu mehr Beschäftigung kommen
will.
({15})
- Ich verstehe die Zwischenrufe der Sozialdemokraten
sehr gut. Was Sie hier machen, entspricht lückenlos dem,
was Sie vor einigen Jahren im Grundsatzprogramm der
SPD beschlossen haben. Es ist ja nicht etwa so, als ob wir
uns im luftleeren Raum bewegten. Die Sozialdemokraten
haben schon vor langer Zeit in ihrem Grundsatzprogramm
von Dezember 1989, das sie „Berliner Programm“ genannt haben und das durch die Beschlüsse von Leipzig
1998 geändert worden ist, wörtlich festgestellt - ich möchte
Ihnen das vortragen, damit Klarheit besteht, worüber wir
reden -:
Ungeschützte Arbeitsverhältnisse darf es nicht geben.
({16})
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Leiharbeit ist zu verbieten.
So steht es in Ihrem Grundsatzprogramm. Faktisch wird
durch den vorliegenden Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll, genau das eintreten, was Sie in
Ihrem Grundsatzprogramm festgeschrieben haben.
({17})
Uns wird als eine größere Verbesserung dargestellt,
dass jetzt eine Reihe von Restriktionen, die Sie in früherer
Zeit eingeführt haben, aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gestrichen werden soll. Das ist zwar im Prinzip richtig. Aber die Einschränkungen des Geltungsbereichs des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die jetzt
gestrichen werden sollen, haben überhaupt keine Bedeutung mehr, wenn an die Stelle der freien Aushandlung der
Arbeitsbedingungen Tarifverträge treten.
({18})
Deswegen ist es für Sie natürlich ein Leichtes, an dieser
Stelle nachzugeben; denn faktisch werden Sie damit das
Gegenteil erreichen.
Wenn Sie uns bzw. mir das nicht glauben wollen, dann
möchte ich Ihnen das vorlesen, was Uwe Jean Heuser, einer der leitenden Redakteure der „Zeit“, vor einigen Tagen geschrieben hat - Sie betrachten Ihren jetzigen Gesetzentwurf ja als einen Akt der Liberalisierung des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes -:
Also bleibt die Arbeit in Deutschland so teuer, wie es
die Tarifpartner der einzelnen Branchen für richtig
halten. Nur wenn die Gewerkschaften ... zustimmen,
darf der Leiharbeitnehmer weniger kosten. Zur Wiedergutmachung hat die Regierung einige Fesseln für
die Leiharbeit gelockert. Deshalb nannte irgendein
rot-grüner Scherzkeks das Ganze eine „Liberalisierung“.
({19})
Es ist in der Tat keine Liberalisierung. Vielmehr wird
der Weg der Regulierung des Arbeitsmarktes fortgesetzt.
An dieser Stelle haben wir beide, Herr Clement, grundlegend unterschiedliche Auffassungen darüber, wie der
Arbeitsmarkt in Deutschland wieder in Gang gebracht
werden kann, und auch über das, was in Deutschland
möglich und notwendig ist. Noch einmal: Niemand von
uns bestreitet doch, dass wir hier vor großen Problemen
stehen. Aber sind Sie ernsthaft der Auffassung, dass mit
immer mehr Regulierung, immer mehr Tarifbindung und
immer mehr staatlichen Interventionen der Arbeitsmarkt
in unserem Land wieder in Ordnung kommt? Wir haben
nicht zu wenig, sondern zu viel Bürokratie. Es gibt in
Deutschland zwar genügend Arbeit, aber nicht zu bezahlbaren Preisen im ersten Arbeitsmarkt. An diesem Sachverhalt ändert der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen,
rein gar nichts.
({20})
Zum Abschluss möchte ich noch auf zwei weitere Details des jetzigen Gesetzgebungsverfahrens zu sprechen
kommen. Herr Clement, Sie haben gerade die Regelung
der so genannten Minijobs, der haushaltsnahen Dienstleistungen, lobend herausgestellt. Es ist wahr: Die privaten
Haushalte in Deutschland sind vermutlich der größte Teil
der vorhandenen Schattenwirtschaft. In diesem Bereich
fehlt fast allen Menschen das Unrechtsbewusstsein. Hier
wird einfach schwarz beschäftigt. Einen Teil dieser
schwarzen Beschäftigung zurück in die legale Beschäftigung zu bringen ist ein ehrenwertes Ziel. Wenn Sie diesen
Bereich nicht mit dem Begriff des Dienstmädchenprivilegs diskreditiert hätten, dann wären wir schon heute diesem Ziel ein Stück näher gekommen.
({21})
Vor lauter Angst, dass dort wirklich Beschäftigung
entstehen könnte, reguliert die Bundesregierung dieses
Segment umfassend, das ein wichtiger Teil unseres Arbeitsmarktes ist. Dabei kommen Wortschöpfungen zustande, über die man nur lachen kann. Wer als Außenstehender das, was dazu geschrieben worden ist, liest, der
muss am Verstand derer zweifeln, die das zu Papier gebracht haben.
({22})
Ich trage Ihnen einen Satz vor. In der Begründung zu
§ 35 a des Einkommensteuergesetzes steht wie in Stein
gemeißelt der Satz:
Haushaltsnah ist das Beschäftigungsverhältnis oder
die Dienstleistung, wenn es eine haushaltsnahe Tätigkeit zum Gegenstand hat.
({23})
Der Beamte, der das aufgeschrieben hat, hat die nächst
höhere Stufe des Bundesverdienstordens verdient. Das ist
eine fundamentale Erkenntnis, die den Arbeitsmarkt in
Deutschland wirklich nach vorne bringt.
({24})
Nun wäre das nicht die rot-grüne Bundesregierung,
wenn sie diesen inhaltsschweren Satz nicht noch mit weiterem Leben erfüllen würde. Dies tut sie im darauffolgenden Satz der Begründung. Dort heißt es:
Haushaltsnahe Tätigkeiten sind:
- es folgt eine abschließende, enumerative Aufzählung die Zubereitung von Mahlzeiten im Haushalt, die
Reinigung der Wohnung des Steuerpflichtigen, die
Gartenpflege und die Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, Kranken, alten Menschen und
pflegebedürftigen Personen.
Meine Damen und Herren, das wird Teil der Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung. Die Arbeitsgerichtsprozesse, die auf dieser Begründung fußen, führe
ich in Zukunft gerne. Was ist denn zum Beispiel mit der
Reinigung der Dachrinne am Hause meiner Eltern? Ist das
eine haushaltsnahe Dienstleistung - ja oder nein? Was ist
mit dem Einkauf von Lebensmitteln für gesunde Erwachsene? Kranke und Kinder sind dabei, aber gesunde Erwachsene fehlen in dieser Aufzählung.
({25})
Herr Bundeswirtschaftsminister, nachdem wir gemeinsam den Tierschutz im Grundgesetz verankert haben: Was
ist mit der Versorgung von Haustieren? Sind das haushaltsnahe Dienstleistungen - ja oder nein?
({26})
Wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre dies wirklich
Gegenstand weiterer vertiefender Erörterungen von dieser Stelle aus.
Ich will damit sagen, Herr Clement: Mit einer solchen
Regulierungsorgie, die Sie hier auslösen, schaffen Sie
allenfalls neue Arbeitsplätze in der Bürokratie und bei
den Arbeitsgerichten, aber keinen einzigen produktiven
Arbeitsplatz in der Volkswirtschaft der Bundesrepublik
Deutschland.
({27})
Ich komme zum Schluss. Ein drittes wesentliches Element dieser Gesetzgebung ist das so genannte Bridgesystem.
({28})
Mit diesem Ausdruck versuchen Sie, deutlich zu machen,
dass hier eine Brücke aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand hinein gebaut werden soll und dass dies mit
entsprechenden Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit
begleitet werden soll. Ab 55 Jahren sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben,
dieses System in Anspruch zu nehmen. Was ist eigentlich
in die rot-grüne Bundesregierung gefahren, dass wir heute
eine solche Entscheidung treffen sollen, obwohl wir uns
doch an anderer Stelle darin einig sind, Herr Bundeskanzler, dass wir nicht durch eine weitere Verkürzung,
sondern nur durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit das Ziel der Stabilisierung unserer Sozialversicherungsbeiträge und des Arbeitsmarktes erreichen können?
Herr Clement, die Entscheidungen in dem Gesetz, das Sie
hier heute vorgelegt haben, sind wirtschaftspolitisch und
arbeitsmarktpolitisch grundfalsch.
({29})
Da muss aus den Reihen der Grünen niemand über
Rente mit 70 reden. Es würde ausreichen, wenn wir in
Deutschland, wo das Alter der durchschnittlichen Verrentung, das in der gewerblichen Wirtschaft gegenwärtig bei
59 Jahren und im öffentlichen Dienst bei 57 Jahren liegt,
in der Lage wären, gemeinsam das zu tun, was nötig ist,
nämlich in beiden Bereichen den tatsächlichen Eintritt in
den Ruhestand um ein Jahr zu erhöhen statt ihn weiter herabzusetzen.
({30})
Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Es ist in Ordnung, dass Sie die Bestimmungen zur
Handwerksordnung aus den Regelungen zur Ich-AG und
Familien-AG herausgenommen haben. Damit hätten Sie
eine Schmutzkonkurrenz zum Handwerk geschaffen, die
Sie an anderer Stelle völlig zu Recht kritisiert haben. Es
wäre aber gut gewesen, wenn Sie uns wenigstens heute
Ihre Vorstellungen zur steuerlichen Behandlung mitgeteilt
hätten. Wie soll das Ganze besteuert werden? Sie legen
uns hier im Schweinsgalopp einen Gesetzentwurf vor, wir
aber wissen an ganz entscheidender Stelle dieses Gesetzgebungsverfahren noch nicht einmal, wie das steuerlich
behandelt werden soll.
Herr Clement, Kritik an dem Gesetz, das Sie hier heute
vorstellen, ist keine Mäkelei und auch keine Nörgelei der
Opposition oder der Kettenhunde der Verbände.
({31})
- Nein, meine Damen und Herren. - Sie wissen genauso
gut wie wir, dass die eigentlichen strukturellen Probleme
unseres Landes mit diesem Gesetz nicht gelöst werden.
Spätestens in einem Jahr stehen wir wieder hier. Dann
werden wir von Ihnen wieder ein Jobwunder, eine Wunderwaffe, eine größte Reform aller Zeiten präsentiert bekommen. Wieder einmal wird dann der Beweis zu führen
sein, dass das, was Sie mit diesen Superlativen beschreiben, eine Verfallszeit von weniger als einem Jahr hat.
({32})
Das ist das Problem dieser Bundesregierung. Sie können nicht in langfristigen Kategorien denken und Sie können keine ordnungspolitisch fundierte Wirtschaftspolitik
für dieses Land machen. Das beweist auch der Gesetzentwurf, den wir heute vorliegen haben, eindrucksvoll.
Herzlichen Dank.
({33})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat
die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Für die Besucherinnen und Besucher darf ich
sagen, dass ich Abgeordnete der PDS bin.
({0})
Der Vorstandschef von Opel, Herr Carl-Peter Forster,
weiß schon jetzt, wie er mit dem Hartz-Gesetz umgehen
will: 10 Prozent der Stammbelegschaft wird durch Leiharbeiter ersetzt. Mit den Leiharbeitern sollen Produktionsspitzen flexibel abgedeckt werden. Einstellen will
der Vorstandsvorsitzende die Leiharbeiter allerdings nicht.
Das ist im jüngsten „Stern“ - in der Ausgabe 47 dieses
Jahres - nachzulesen.
Es ist also nicht einmal ein Nullsummenspiel; es ist für
alle ein Verlustgeschäft: für die Leiharbeiter, für die
Stammbelegschaften und für die sozialen Sicherungssysteme. Es ist ein Minusgeschäft, weil dieses Konzept
nicht neue Arbeitsplätze schafft, sondern gute Arbeitsplätze durch unsichere und billige ersetzt werden.
({1})
Auch wenn Tarifverträge für Leiharbeiter verhandelt werden - das finde ich gut und richtig -, kann man nur hoffen, dass die Rechte der Leiharbeiter wirklich gestärkt
werden.
Allerdings hat Herr Clement heute in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ und auch in seiner Rede hier ganz
deutlich unterstrichen, dass er davon ausgeht, dass die Bezahlung der Leiharbeiter wesentlich schlechter ausfallen
wird. Ich erinnere mich noch daran, wie die Kolleginnen
und Kollegen von den Koalitionsfraktionen in der letzten
Woche hier getönt haben: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies wurde - vielleicht in der Hoffnung, dass es nicht
jeder versteht - lieber auf Englisch gesagt: Equal Pay.
Deshalb wundere ich mich darüber, dass man es zugelassen hat, dass diese Forderung, auf die man so stolz war,
innerhalb einer Woche derart verändert wurde.
({2})
Auch der Staat wird verlieren, wenn die ehemals gut
Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit geraten und Arbeitslosengeld ausbezahlt bekommen müssen. Die ehemals
Arbeitslosen, die dann billigere Arbeitsplätze erhalten,
werden natürlich weniger in die Krankenkassen und in die
Rentenversicherung einzahlen.
Ich habe dazu in dieser Woche eine entsprechende
Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Mir wurde mitgeteilt, dass die Rentenversicherung im Jahre 2003 mit
Mindereinnahmen von 0,3 Milliarden Euro und im
Jahre 2004 mit Mindereinnahmen von mehr als einer halben Milliarde Euro rechnet. Die Krankenkassen erwarten
ebenfalls Mindereinnahmen von ungefähr 1 Milliarde Euro
pro anno. Es ist also auch ein Minusgeschäft für die sozialen Sicherungssysteme.
Der Austausch von guten Arbeitsplätzen, also die Umwandlung in Billigjobs, ist keine Gruselgeschichte, das
erleben wir bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben
unentwegt. Sie können sich überall umschauen: Ob es
Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, Reinigungskräfte
oder Postboten sind - sie werden in der Regel schlechter
bezahlt als die Menschen, die diese Aufgaben vorher im
öffentlichen Auftrag erfüllt haben.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen, wie das Gesetz bei Opel umgesetzt werden
soll, haben wir bereits gelesen. Unklar ist jedoch, welche
Antworten das Gesetz für den Osten bereithält. An dieser
Stelle wären Änderungen am Gesetzentwurf dringend erforderlich gewesen. Hier habe ich die Stimmen der Abgeordneten aus den neuen Ländern vermisst, die doch angeblich diese Lücke schließen wollten, ausweislich der
Debatte von vor einer Woche.
({3})
Die von der Bundesregierung geforderte höhere Mobilität der Arbeitslosen heißt für Ostdeutschland Wegzug
von jungen Leuten in die alten Bundesländer. Damit werden im Osten die demographischen Strukturen völlig kaputt gemacht und der Osten wird zum Altersheim. Wenn
Sie das wollen, meine Damen und Herren, dann müssen
Sie solche Gesetze beschließen.
Abschließend möchte ich noch einmal den Hauptpunkt
der Kritik am Hartz-Konzept betonen: Das Grundproblem
sind fehlende Arbeitsplätze. Das Hartz-Gesetz schafft keine
Arbeitsplätze, sondern es organisiert lediglich den Tausch
von Arbeitsplätzen. Vor allem aber bringt es Arbeitslose in
Bewegung mit dem Ziel und dem Ergebnis, dass sie weniger haben werden als zuvor. Wir schlagen deshalb vor, dass
man das Hartz-Gesetz in Bernstein-Gesetz umbenennt,
denn vom alten Sozialdemokraten Bernstein stammt der
Satz: „Bewegung ist alles; das Ziel ist nichts.“
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Zunächst gebe ich bekannt, dass eine größere Zahl von
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben worden ist, die zu Protokoll genommen werden.1
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auf
Drucksache 15/25.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen.
({0})
- Ich darf darauf hinweisen, dass vor der namentlichen
Abstimmung eine Reihe von anderen Abstimmungen
durchzuführen sind. Ich bitte Sie deshalb, Ihre Plätze einzunehmen, damit ich den Überblick behalten kann, wie
das Abstimmungsergebnis aussieht.
Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/92 vor, über den wir
zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der FDP? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung von FDPund CDU/CSU-Fraktion und Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und
der FDP und der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. ({1})
Gegenstimmen? - Enthaltungen? ({2})
- Entschuldigung, wir befinden uns in der Abstimmung,
Herr Kauder.
({3})
- Natürlich kann auf der Regierungsbank nicht abgestimmt werden. Das habe ich nicht gezählt. Das Abstimmungsergebnis wird vom Präsidium nicht bestritten. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen Stimmen in dritter Lesung angenommen.
({4})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 15/98? Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen Stim-
men angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/90? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei
Zustimmung der CDU/CSU und Gegenstimmen aller an-
deren Fraktionen und der beiden fraktionslosen Abgeord-
neten abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/93? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei
Zustimmung von CDU/CSU und FDP und Gegenstim-
men der Koalitionsfraktionen und der beiden fraktionslo-
sen Abgeordneten abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/94? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
1 Anlagen 7 bis 11
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP und der
beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ent-
wurf eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistun-
gen am Arbeitsmarkt, Drucksache 15/26. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen
Stimmen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund-
gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute
Mehrheit - das sind 302 Stimmen - erforderlich. Es ist na-
mentliche Abstimmung verlangt. Bitte kontrollieren Sie
Ihre Stimmkarten, bevor Sie sie einwerfen.
Die Schriftführer haben ihre Plätze eingenommen. Ich
eröffne die Abstimmung.
Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich
schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nun wieder
Platz zu nehmen. Wir haben noch weitere Abstimmungen
vorzunehmen.
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 15/95 ab. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Gesetzentwurf zur Aktivierung kleiner
Jobs auf Drucksache 15/23. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/77, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
CDU/CSU zum optimalen Fördern und Fordern in Ver-
mittlungsagenturen auf Drucksache 15/24. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe d sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthal-
tung der FDP abgelehnt. Damit entfällt die weitere Bera-
tung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/77
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Han-
deln für mehr Arbeit“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 15/32 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP und Enthal-
tung der CDU/CSU angenommen.
Zusatzpunkte 6 und 7. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/46 und
15/55 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung ({5})
- Drucksache 15/28 ({6})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung ({7})
- Drucksache 15/73 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Helga Kühn-Mengel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/75 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Otto Fricke
Waltraud Lehn
Anja Hajduk
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch ({9})
- Drucksache 15/27 -
1 Seite 697 C
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung ({10})
- Drucksache 15/74 -
Berichterstattung:
Abg. Annette Widmann-Mauz
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/76 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Otto Fricke
Waltraud Lehn
Anja Hajduk
Zu dem Entwurf eines Beitragssatzsicherungsgesetzes,
über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
({12})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um eine gerechte
und faire Aufteilung von Lasten in schwierigen Zeiten.
({0})
Es geht darum, Ausgaben zu begrenzen, Beiträge bezahlbar zu halten, die Lohnnebenkosten zu stabilisieren, und
letztlich auch darum, wieder mehr Menschen in Arbeit zu
bringen.
({1})
Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass in schwierigen Zeiten alle an einem Strang ziehen müssen, damit es
wieder aufwärts geht, und vor allem, dass alle am selben
Ende ziehen müssen. Deshalb fordern wir von allen einen
Solidarbeitrag ein, ohne den Einzelnen dabei zu überfordern: in der Rentenversicherung von den Jungen und
den Alten, im Gesundheitswesen von den Versicherten,
den Pharmaunternehmen, den Apotheken, dem Großhandel und auch den Ärztinnen und Ärzten.
An dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: Den Ärztinnen und Ärzten wird kein Geld weggenommen. Sie
werden im kommenden Jahr lediglich auf einen Honoraranstieg von durchschnittlich 160 Euro pro Monat verzichten müssen. Dadurch wird niemand in seiner Existenz
gefährdet - kein Arbeitsplatz wird gefährdet - und die Patientenversorgung bleibt gewährleistet.
({2})
Erstmalig erschließen wir Sparpotenziale, ohne medizinische Leistungen zu kürzen und die Zuzahlungen für
die Kranken weiter zu erhöhen.
({3})
Wir sorgen mit den Einsparungen dafür, dass die Beitragssätze im Jahr 2003 so niedrig wie möglich bleiben
können und Beitragssatzanhebungen auf zwingend erforderliche Ausnahmen beschränkt bleiben.
({4})
Zu dieser einmaligen „Erste-Hilfe-Maßnahme“ gibt es
momentan keine Alternative; das haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen in der Anhörung
bestätigt.
({5})
Ich verstehe die besorgten Stimmen der Kolleginnen
und Kollegen aus den neuen Ländern. Sie haben im Hinblick auf die flächendeckende Versorgung größere Herausforderungen zu bewältigen als wir in Westdeutschland.
Darauf haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode
mit der Einführung des Wohnortprinzips und der Sicherung und Weiterentwicklung der Gesundheitszentren reagiert. Ich sage es ganz deutlich: Wenn die Möglichkeit
besteht, die Vergütung der Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen und stationären Bereich im Osten rascher voranzubringen und damit die Angleichung von Ost an West,
die bis 2007 vorgesehen ist, zu beschleunigen, werden wir
sie ergreifen. Wir sehen die Probleme, die sich unter
anderem aus einer verstärkten Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten aus den neuen Bundesländern ergeben
würden.
({6})
- Im Gegensatz zu Ihnen haben wir in unserer Regierungszeit gehandelt.
Das ist einer der Gründe, warum wir zeitgleich zu diesem Sparprogramm eine Strukturreform auf den Weg
bringen, die sich vorrangig mit der Ausgabenseite der gesetzlichen Krankenversicherung befassen wird. Wir werden Effizienzreserven erschließen, damit die Ausgaben
sinken und die Qualität der Versorgung steigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die ständige Debatte
über Geld lässt manchmal vergessen, dass die Hauptprobleme unseres Gesundheitswesens
({7})
mangelnde Qualität, mangelnde Transparenz und mangelnde Prävention sind.
({8})
Uns fehlt zurzeit etwa 1 Prozent der Einnahmen, die wir
brauchen. Nach Angaben des Sachverständigenrates fehlen 25 Prozent der Qualität, die wir eigentlich haben
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
sollten. Da liegt das wahre Defizit in der Gesundheitsversorgung.
({9})
Wir können es uns nicht länger erlauben, dass Untersuchungen parallel und mehrfach durchgeführt werden
und dass teure Medikamente ohne therapeutischen Zusatznutzen verordnet werden; denn das geht nicht nur zulasten der Patienten und Patientinnen, sondern es ist ineffizient. Es gibt viele Beispiele für solche Ineffizienzen in
unserem Gesundheitssystem: Jede dritte Röntgenuntersuchung ist medizinisch nicht notwendig; 50 Prozent der
Röntgenuntersuchungen sind technisch unzureichend;
({10})
140 000 Menschen sterben jedes Jahr an Medikationsfehlern und aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Wir haben nicht hingenommen, dass bei Frauen pro
Jahr zwischen 2 Millionen und 4 Millionen Mammographien ohne Qualitätssicherung durchgeführt werden,
({11})
dass fälschlicherweise rund 200 000 positive Befunde gestellt werden und dass 100 000 Frauen unnötig operiert werden. Deshalb haben wir eine Qualitätsoffensive eingeleitet,
deshalb haben wir die Programme zur besseren Versorgung
chronisch kranker Menschen auf den Weg gebracht und deshalb sind wir fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass
schwere Krankheiten gemäß medizinischer Behandlungsleitlinien behandelt werden. Wir werden das Tempo, mit
dem wir vorgehen, beschleunigen. Dazu werden wir ein
Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin einrichten,
({12})
das einen wichtigen Beitrag dazu leisten soll.
({13})
Wir stärken den Wettbewerb. Die Qualität wird steigen. Der Wettbewerb wird organisiert. Wir werden dafür
sorgen, dass gute Qualität gut bezahlt wird. Das geht nur,
wenn gleichzeitig schlechte Qualität aus der Versorgung
verschwindet.
({14})
Wir werden dafür sorgen, dass sich Leistung und regelmäßige Fortbildung wieder lohnen. Deshalb müssen
Ärzte und Krankenkassen über gute Qualität informieren
dürfen, deshalb müssen Krankenkassen Direktverträge
schließen können, deshalb werden wir das Vertragsrecht
flexibilisieren und deshalb werden wir die Rolle der
Hausärzte stärken.
({15})
Weil gute Qualität und Wirtschaftlichkeit zusammengehören, liberalisieren
({16})
und modernisieren wir die Arzneimittelversorgung. Wir
werden dafür sorgen, dass die Rabatte, die in diesen Systemen fließen, endlich den Versicherten zugute kommen,
damit die Beiträge gesenkt werden können.
({17})
Ziel unserer Reformen ist die Gesundheit der Menschen. Wir stellen die Patienten in den Mittelpunkt.
({18})
Wir stärken ihre Rechte.
Aber wir fordern auch Eigenverantwortung ein. Dazu
werden wir die Prävention zur vierten Säule im Gesundheitswesen ausbauen. Jede Krankheit, die nicht entsteht,
ist die beste Entlastung für die gesetzliche Krankenversicherung.
({19})
Dass Krankheiten vermieden werden, ist aber auch für jeden Einzelnen von uns das Beste. Eines ist klar: Jeder und
jede von uns hat nur ein Leben; deshalb werden wir dafür
sorgen, dass die Menschen so lange wie möglich gesund
bleiben.
Dabei nehmen wir uns ein Beispiel an anderen Ländern. Die Finnen haben ein Programm auf den Weg gebracht, mit dem Herzkrankheiten besser vorgebeugt werden kann. Durch dieses Programm wurde die Häufigkeit
des Auftretens von Herzkrankheiten halbiert. Etwas Ähnliches in Deutschland zu schaffen, ist unser gesundheitspolitisches Ziel. Die Keimzelle für solche Programme ist
das Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung. Es hat seine Arbeit bereits aufgenommen und wir
werden diese Arbeit weiterhin fördern.
({20})
Damit die Menschen erkennen können, was das System für sie leistet, setzen wir auf Transparenz.
({21})
Wir werden die elektronische Gesundheitskarte und die
Patientenquittung einführen.
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesundheitspolitik hat ein klares Konzept:
({23})
Qualität, Transparenz und Prävention statt Zweiklassenmedizin
({24})
und Resignation vor den Widerständen der Lobbygruppen, die demonstrieren und den Untergang der Welt beschwören.
({25})
Wir werden deshalb diese Reformpolitik fortsetzen. Wir
setzen auf eine Qualitätsreform. Sie wird kommen und ist
der wichtigste Beitrag dafür, dass gute Gesundheitsversorgung für alle bezahlbar bleibt.
({26})
Wir werden uns auch mit der langfristigen Sicherung
der Einnahmesituation aller sozialen Sicherungssysteme
befassen. Wir werden eine Kommission einberufen, die
Vorschläge zur nachhaltigen Finanzierung und Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme machen
soll.
({27})
Diese Vorschläge bauen auf der Rentenreform auf, die wir
in der letzten Legislaturperiode gemacht haben
({28})
und die sich dadurch auszeichnet, dass sie für die jetzt
junge Generation die Einkünfte im Alter und jetzt den Lebensstandard der älteren Generation sichert. Darauf wird
auch die Gesundheitsreform aufbauen.
Die Koalition von SPD und Grünen im Deutschen
Bundestag wird dafür sorgen, dass unsere sozialen Sicherungssysteme modernisiert und zukunftsfähig gemacht
werden und nach dem Prinzip der Generationengerechtigkeit funktionieren.
Danke.
({29})
Bevor ich das Wort weitergebe, gebe ich Ihnen das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/26 und 15/77, bekannt:
Abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 305,
mit Nein haben gestimmt 280, eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 305
nein: 280
enthalten: 1
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({14})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({15})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({16})
Christian Müller ({17})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({18})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({19})
Michael Roth ({20})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({21})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({22})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Heinz Schmitt ({28})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({29})
Reinhard Schultz
({30})
Swen Schulz ({31})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({32})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({33})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({35})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({36})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({37})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({40})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Anja Hajduk
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({41})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({42})
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({43})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({44})
Werner Schulz ({45})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({46})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({47})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({48})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({49})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({50})
Peter H. Carstensen
({51})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({52})
Dirk Fischer ({53})
Axel E. Fischer
({54})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({55})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder
({56})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({57})
Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({58})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({59})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({60})
Stephan Mayer ({61})
Cornelia Mayer
({62})
Dr. Martin Mayer
({63})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({64})
Doris Meyer ({65})
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({66})
Bernward Müller ({67})
Bernd Neumann ({68})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Helmut Rauber
Christa Reichard ({69})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({70})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({71})
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({72})
Andreas Schmidt ({73})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({74})
Michael Stübgen
Michaela Tadjadod
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Angelika Volquartz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({75})
Gerald Weiß ({76})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({77})
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({78})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({79})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({80})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({81})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Wolfgang Kubicki
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({82})
Eberhard Otto ({83})
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
fraktionslos
Petra Pau
Enthalten
SPD
Ottmar Schreiner
({84})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Seehofer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 4 Millionen Menschen erbringen täglich als
Mediziner, als Pflegekräfte, als Zahntechniker, als Apotheker einen humanen und sehr kompetenten Dienst für
die kranken Menschen. Die Bundesgesundheitsministerin
stellt sich aber hier vor die deutsche Öffentlichkeit und erklärt, das Hauptproblem des deutschen Gesundheitssystems
sei, dass die Qualität dieser Tätigkeiten mangelhaft sei.
({0})
Das ist eine Schande, Frau Ministerin. Ich fordere Sie auf,
diese Beleidigung der Beschäftigten im Gesundheitssystem künftig zu unterlassen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Täuschung beginnt bei
den Begriffen. Mit „Beitragssatzsicherung“ wird suggeriert, die bestehenden Beiträge würden stabilisiert. Das
Gegenteil findet heute statt.
({2})
Der Rentenversicherungsbeitrag steigt von 19,1 auf
19,5 Prozent, der Krankenversicherungsbeitrag von
14,0 auf 14,3 Prozent. Hinzu kommt eine massive Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen, eine gigantische
Abgabenerhöhung in bisher nicht gekanntem Ausmaß
({3})
und eine Erhöhung der Arbeitskosten, die Jobs vernichtet und Einnahmeausfälle von morgen erzeugt. Allein
dieses Beitragssatzsicherungsgesetz, das in Wahrheit ein
Beitragserhöhungsgesetz ist, zeigt: Diese Regierung löst
nicht Probleme, sondern diese Regierung ist das Problem.
({4})
Eine klägliche Rolle haben in den letzten Tagen die
Grünen gespielt. Sie predigen pausenlos Nachhaltigkeit
und knicken - wie immer in den letzten Jahren - ein. Keines der bestehenden Probleme wird gelöst, sondern sie
werden in die Zukunft verschoben und damit der nachfolgenden Generation aufgebürdet. Das ist genau das Gegenteil einer nachhaltigen Gesellschaftspolitik.
({5})
Frau Schmidt, ich kann ja verstehen, dass Sie zur Rente
und zur gesetzlichen Altersversicherung, also zu dem Bereich, in dem Sie das größte Desaster angerichtet
({6})
und in dem Sie allein durch Ihre Politik der letzten Tage
und Wochen die größten Sorgen und Zukunftsängste ausgelöst haben,
({7})
vor der Verabschiedung des Gesetzes keinen Satz gesagt
haben.
({8})
Ich kann das verstehen; denn alles, was wir hier erlebt haben, ist ein Tollhaus und ein Trauerspiel.
Die Sachverständigen haben am Mittwoch die Situation zutreffend beschrieben. Diese Maßnahmen bei der
Rentenversicherung stellen letztlich nur konzeptionslose
Notoperationen dar und stehen im Widerspruch zu einer
verlässlichen und langfristig orientierten Rentenpolitik.
({9})
Zur ehemaligen Riester-Rente - das Produkt gibt es ja
nicht mehr; dieser Begriff muss sozusagen verschrottet
werden ({10})
haben die Sachverständigen gesagt, das komplizierte Gesetzeswerk führe dazu, dass der Anleger und selbst die Finanzberater Schwierigkeiten hätten, alle Fördermöglichkeiten und Förderkombinationen zu überblicken.
Ich habe vor kurzem eine Veranstaltung in RheinlandPfalz besucht. Als ich abends ins Hotel zurückgekehrt bin,
haben mich zwei junge Leute gefragt, ob sie noch kurz mit
mir reden könnten. Sie hatten ausschließlich Fragen zur
Riester-Rente und deren Anwendung. Nach dem Gespräch habe ich ihnen die Frage gestellt, was sie beruflich
machen. Ihre Antwort war, dass sie Versicherungsberater
bei einer Bank bzw. Berater bei einer Versicherung sind.
Das zeigt, dass meine Feststellung „Herr Riester ist ein
begnadeter Murkser“ durch die Realität bestätigt wurde.
Frau Schmidt setzt diese Tradition von Herrn Riester gnadenlos fort. Es ist Murks!
({11})
Murks und ein Tollhaus: Erst geben Sie falsche Prognosen über die Situation der Rentenversicherung ab,
dann machen Sie unhaltbare Wahlversprechen hinsichtlich der Alterssicherung.
({12})
Schließlich entwerfen Sie ein Gesetz, das widersinnige
Notoperationen enthält und das Sie heute mit Ihrer Mehrheit verabschieden. Zu guter Letzt soll eine Kommission
eingesetzt werden, die all diese Fehler wieder ausbügeln
soll. Der Vorsitzende der Kommission soll derjenige Wissenschaftler werden, der in der Öffentlichkeit erklärt hat,
dass die Riester-Rente eine Jahrhundertreform sei. Das
zeigt, dass es zugeht wie im Tollhaus.
Die Alternative ist klar; sie stand schon 1998 im Bundesgesetzblatt. Der Kardinalfehler dieser Regierung war,
dass sie unsere Rentenreform aus dem Jahre 1998 zurückgenommen hat.
({13})
Wenn sie das nicht getan hätten, wäre die Rentenversicherung nicht in dieser akuten Finanzkrise.
({14})
Hauptbestandteil der damaligen Rentenreform war die
Einführung des demographischen Faktors. An die
Adresse der Grünen will ich sagen: Dieser Faktor ist genau die Antwort auf die Frage, die Sie in den letzten Tagen immer zu Recht gestellt haben:
({15})
Wie verteilen wir die finanzielle Last, die aus der veränderten Altersstruktur unserer Bevölkerung erwächst?
1960 gab es noch vier Beitragszahler auf einen Rentner.
Im Moment beträgt das Verhältnis zwei zu eins. In 25 Jahren wird es ein Verhältnis von eins zu eins sein. Deshalb
muss die Politik die Antwort auf die Frage geben, wer die
finanziellen Lasten trägt, die sich aus der veränderten Altersstruktur und aus der längeren Rentenlaufzeit aufgrund
einer steigenden Lebenserwartung ergeben.
Diese Antwort haben wir 1998 im Bundestagswahlkampf gegeben. Mit der Einführung des demographischen Faktors wollten wir die finanziellen Lasten aus der
steigenden Lebenserwartung gerecht auf die ältere und
auf die junge Generation verteilen. Auch die ältere Generation hat nämlich ein Interesse daran, dass ihre Kinder
nicht immer durch ständig steigende Beiträge überfordert
werden. Wir haben in der Rentenformel den demographischen Faktor berücksichtigt, um Verlässlichkeit in der Alterssicherung zu schaffen. Wir haben ihn der Bevölkerung
im Wahlkampf 1998 erklärt. Ihr Fehler bestand darin, dieses Gesetz zurückgenommen zu haben. Jetzt müssen Sie
Ihren großen Fehler ausbaden, den Sie vor vier Jahren begangen haben.
({16})
Was Sie machen, wird zur Fortsetzung der Unruhe in
der Rentenversicherung beitragen.
({17})
Sie umkurven seit vier Jahren mit aller Konsequenz den
demographischen Faktor, weil Sie Ihren Fehler nicht eingestehen wollen.
({18})
Ein Jahr nach der Bundestagswahl haben Sie ins Gesetz geschrieben, dass die Renten gekürzt werden. Sie haben diese Regelung unter der Annahme geschaffen, dass
100 Prozent der Menschen private Altersvorsorge betreiben.
({19})
Nun machen es von 40 Millionen Berechtigten aber nur
2 Millionen. Deshalb handelt es sich um einen Willkürakt,
der am 1. Juli des nächsten Jahres bei der Rentenanpassung ansteht.
({20})
Sie werden ein großes Jammern über die Rentenanpassung im nächsten Jahr erleben. Sie haben das Vertrauen
der Bevölkerung in die Verlässlichkeit unserer Alterssicherung zerstört.
({21})
Die Alternative ist die Wiedereinführung der demographischen Formel. Wenn wir diese seit 1999 gehabt hätten,
wäre ein Großteil der Alterslast bewältigt.
Wir brauchen darüber hinaus eine Reform der RiesterRente. Dieses Produkt, das am 1. Januar auf den Markt gekommen ist, ist viel zu bürokratisch und die Förderung ist
viel zu ungerecht. Frau Bender, ich danke Ihnen, dass Sie
in diesen Tagen öffentlich erklärt haben: „Wir brauchen
eine Reform der Riester-Rente.“ Noch vor acht Wochen,
im Wahlkampf, war dies Panikmache. Jetzt hat Sie die
Realität eingeholt. Ich gratuliere Ihnen dazu.
({22})
Lassen Sie mich jetzt noch etwas sagen zu der aktuellen Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Es war unsere Entscheidung - Sie haben diese
Regelung, die wir eingeführt haben, 1998 bekämpft, sie
letztlich aber im Gesetz belassen -, dass bei einem vorzeitigen Renteneintritt ein versicherungsmathematischer
Abschlag erfolgt, damit nicht diejenigen, die weiter arbeiten, die Renten von Frühpensionären mitzufinanzieren
haben. Das steht im Gesetz und das halten wir auch für
richtig. Schritt für Schritt wird sich so - Kollege Merz hat
das heute gesagt - das tatsächliche Renteneintrittsalter
nach oben entwickeln. Wir wollen allerdings, dass Sie
endlich Ihren Widerstand dagegen aufgeben, dass eine andere Gruppe von Menschen ebenfalls einen Abschlag hinnehmen muss, nämlich diejenigen, die 45 Jahre und länger Beiträge für diese Solidargemeinschaft entrichtet
haben.
({23})
Angesichts dessen halte ich die Diskussion über die
Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus, die jetzt öffentlich stattfindet, für geradezu
lächerlich.
({24})
Lassen Sie uns doch erst einmal das machen, was ich gerade beschrieben habe! Es ist unglaubwürdig, wenn der
Vorsitzende der von Ihnen berufenen Kommission erklärt,
eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus sei unumgänglich, obwohl gerade ein Gesetz verabschiedet wurde, mit dem die Regierung die über
55-Jährigen generell aus dem Arbeitsmarkt herausnimmt.
Das ist doch widersinnig.
({25})
Und an die Adresse der deutschen Wirtschaft sage ich:
Wer öffentlich für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit
über das 65. Lebensjahr hinaus eintritt, kann nicht im alltäglichen Handeln die über 50-Jährigen entlassen bzw.
sich deren Wiedereinstellung verschließen.
({26})
Wenn in der Zukunft die Verlängerung der Lebensarbeitszeit erforderlich sein sollte, dann bin ich dafür, dass
wir am Beginn des Arbeitslebens ansetzen, nämlich indem wir die Ausbildungszeiten verkürzen und dafür sorgen, dass unsere jungen Leute nicht erst durchschnittlich
mit dem 28. Lebensjahr in das Arbeitsleben eintreten. Das
wäre der richtige Ansatzpunkt.
({27})
Einführung des Demographiefaktors, Beibehaltung
des Renteneintrittsalters, Streichung des Abschlags für
diejenigen, die 45 Jahre und länger eingezahlt haben, sowie eine radikale Reform der privaten Altersvorsorge und
der Betriebsrente - das ist das, was jetzt geschehen muss.
Im Übrigen: Noch mehr Leute in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen, würde nur dann etwas bringen, wenn jene aufgenommen würden, die mehr einzahlen, als sie herausbekommen. Nun wissen wir, dass die
Beamten eine in diesem Sinne ungünstige Altersstruktur
haben: Zwei Drittel sind 40 Jahre oder älter, nur ein Drittel ist jünger als 40. Wer diese Gruppe in die gesetzliche
Rentenversicherung aufnehmen will, verschärft die Probleme dieses Umlagesystems. Allerdings ist es ohnehin
unlogisch, noch mehr Menschen in ein sanierungsbedürftiges System aufnehmen zu wollen, wenn dieses bereits in
Schwierigkeiten ist. Besser wäre es, wenn alle anderen
eine private Altersvorsorge betreiben würden. Das wäre
die richtige Antwort.
({28})
Jetzt zur Krankenversicherung. Frau Schmidt, Sie
werden das Kunststück fertigbringen - da gehe ich jede
Wette ein -, als erste Ministerin in der Geschichte der deutschen Gesundheitspolitik überhaupt drei Negativziele
gleichzeitig zu erreichen: Die Qualität der medizinischen
Versorgung wird sinken, die wirtschaftlichen Grundlagen
vieler Leistungserbringer werden zerstört werden und die
Beiträge werden gleichwohl steigen. Dieses Kunststück,
alle theoretisch denkbaren Negativwirkungen gleichzeitig
zu erreichen, hat im Ministeramt noch nicht einmal Walter
Riester fertig gebracht - Ulla Schmidt ist die Erste, der das
gelungen ist.
({29})
Jetzt wird von den Apothekern, den Pflegekräften, den
Zahntechnikern und von der gesamten Ärzteschaft ein
Sonderopfer verlangt.
Gerade habe ich eine persönliche Erklärung von Abgeordneten der SPD auf das Pult gelegt bekommen, die die
ganze Heuchelei dieser Diskussion beweist. Diese Abgeordneten sagen:
Es ist nicht hinnehmbar, dass dieser Bereich des
Handwerks
- gemeint sind die Zahntechniker gleichzeitig durch eine Mehrwertsteuererhöhung
und außerdem durch eine gesetzliche Absenkung seiner Preise um 5 Prozent belastet werden soll.
Jetzt kommt es:
Dabei würde unserer Meinung nach in Kauf genommen, dass hier zahlreiche Arbeits- und Ausbildungsplätze in Handwerksbetrieben zerstört oder
zumindest gefährdet werden und dass es zu erheblichen Abwanderungsprozessen und zu einer weiteren Stärkung von Grauimporten bei Zahnersatz
kommt.
Wenn man das liest, denkt man, dass diese Abgeordneten konsequent sein und sagen müssten: Wir stimmen
nicht zu, weil wir nicht die Verantwortung dafür mittragen
wollen, dass durch eine solch stümperhafte Politik massenhaft Arbeitsplätze zertrümmert werden.
Sie aber sagen:
Obwohl wir diese Bedenken haben, stimmen wir
dem Gesetz zu.
({30})
Das zeigt die ganze Heuchelei.
Eine zweite Heuchelei: Im gesamten Wahlkampf ist
unser Vorschlag, Versicherten Wahlleistungen zu ermöglichen und über den Leistungskatalog und die Leistungskonditionen mitentscheiden zu können, kritisiert worden.
Es hieß dann immer: Jetzt kommt die Auflösung der Solidargemeinschaft. Bei jedem Fernsehgespräch, bei jedem
Streitgespräch war dies ein Gegenargument von Frau
Schmidt, wobei diese Möglichkeit für mich ein Stück
mehr Freiheit und ein Stück mehr Selbstbestimmung der
Versicherten bedeuten würde.
({31})
Jetzt halbiert die Regierung das Sterbegeld und just zur
gleichen Zeit bekomme ich von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Verdi e. V., einen Brief. Darin wird das
Angebot einer Sterbegeldversicherung gemacht. Hierzu
gehören auch Angebote zur Vorsorge. Sie schreibt, dass
keine Gesundheitsprüfung nötig ist, bis zum 90. Lebensjahr aufgenommen wird und bis zu 2 500 Euro ausgezahlt
werden. Das Angebot gelte auch für Familienangehörige.
Für diese Sterbegeldversicherung seien günstige Beiträge
zu zahlen.
Das ist genau der Gedanke, den wir immer vertreten
haben. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit eröffnen, Leistungen zu wählen und dafür einen geringeren
Beitrag zu zahlen. Den verordnet die Regierung jetzt per
Gesetz - das hat sie noch im Wahlkampf kritisiert - und
die Gewerkschaften, die die Regierung unterstützt haben,
machen Angebote zum Abschluss einer Sterbegeldversicherung. Was ist das für eine Glaubwürdigkeit?
({32})
Ich sage Ihnen: Arbeitsplätze werden zertrümmert. Die
Qualität der Versorgung wird durch die Budgetierungen
zurückgehen und die Beiträge werden trotzdem steigen.
Wenn ich einem Krankenhausmanager einen Rat geben
dürfte, dann würde ich sagen: Melden Sie sich bis zum
15. Dezember dieses Jahres für die Abrechnung über
Fallpauschalen an. Denn wenn er das tut, dann gibt es für
sein Krankenhaus keine Nullrunde. Ein Krankenhausmanager, der sich jetzt nicht bis zum 15. Dezember zur Abrechnung über Fallpauschalen anmeldet, der begibt sich in
ein haftungsrechtliches Problem.
({33})
Denn so schlau, wie der Gesetzgeber auf der linken Seite
ist, sind die Menschen, die die Gesetze vollziehen müssen, schon längst.
Deshalb sagen die Krankenkassen mit Recht - das zeigt
die ganze Stümperhaftigkeit dieses Gesetzeswerks -, dass
aus den im Krankenhausbereich geplanten Einsparungen
in Höhe von 1 Milliarde Euro Mehrkosten in Höhe von
400 Millionen Euro entstehen. Das heißt, wir haben die delikate Situation: Für viele im Gesundheitswesen, die der
Nullrunde nicht ausweichen können, gibt es Arbeitsplatzabbau und Qualitätsverlust. Bei der anderen Hälfte führt
die Inanspruchnahme von Ausnahmen zu Mehrausgaben
und diese führen wieder zu Beitragserhöhungen. So etwas
hat bisher noch niemand zustande gebracht.
Wenn die Menschen aufgrund dieser Politik auf die
Straße gehen, bezeichnet das Frau Schmidt als unverantwortliche Panikmache und der Bundeskanzler als Gejammere. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Menschen
in diesem Lande zu einer Erneuerung, zu Reformen bereit
sind. Sie jammern nicht wegen der Erneuerung, wegen
nötiger Reformen oder Veränderungen, sondern deswegen, weil sie noch nie so stümperhaft regiert wurden wie
von dieser rot-grünen Bundesregierung.
({34})
Herr Kollege Seehofer, kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine letzten Sätze. - Frau Schmidt, ich fordere Sie zum
Schluss auf: Schauen Sie einmal den Pflegekräften, die am
Brandenburger Tor demonstrieren und um ihre Arbeitsplätze fürchten, ins Gesicht! Sprechen Sie einmal mit Zahntechnikern, die unter großen Schwierigkeiten eine eigenständige Existenz aufgebaut haben und jetzt den
Treppenwitz erleben, dass Sie die Erstattungen für zahntechnische Leistungen um 5 Prozent absenken und gleichzeitig die Mehrwertsteuer verdoppeln, damit Eichel seinen
Bundeshaushalt sanieren kann. Die Krankenversicherungsbeiträge sind nicht dazu da, dass der Bundesfinanzminister
seinen Haushalt in Ordnung bringt, sondern sie dienen dazu,
dass die kranken Menschen in diesem Lande versorgt werden. Kümmern Sie sich wieder um die kranken Menschen!
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
- Ich bitte Sie, Herr Wodarg, die Kurzintervention von
Ihrem Platz aus zu machen.
({1})
Herr Seehofer, dass Sie das hier sagen, macht mich wütend. Ich will Ihnen einmal den Rest des Absatzes vorlesen, den Sie eben zitiert haben. Da steht:
Bereits während der Zeit der Kohl-Regierung
- das war die Zeit, zu der Sie Gesundheitsminister waren kam es in diesem Handwerksbereich
- der Zahntechniker zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen durch
eine zweimalige gesetzliche Preisabsenkung sowie
durch einen Nachfrageeinbruch nach Einführung
von Festzuschüssen für Zahnersatz.
25 Prozent der in diesem Handwerk Tätigen haben durch
Ihre Festbeträge ihren Job verloren.
({0})
Das hat dazu geführt, dass die Leute Angst um ihren
Arbeitsplatz hatten. Wenn Sie jetzt hier so etwas sagen,
dann ist das sehr heuchlerisch und zynisch. Das müssen
wir in diesem Hause mitteilen.
Zu einem anderen Punkt, zu dem ich mich während Ihrer Rede gemeldet hatte, bei dem Sie aber Angst hatten,
gestört zu werden.
({1})
Sie haben die Ministerin gebeten, sich dafür zu entschuldigen, dass sie von schlechter Qualität gesprochen hat. Sie hat von schlechter Qualität gesprochen im
Zusammenhang mit zu viel gemachten Röntgenaufnahmen,
({2})
mit mangelnder Prävention, mit dem System. Sie haben
die ganze Zeit von dieser schlechten Qualität gewusst,
aber nichts getan. Wir haben durch unsere Gesetze in der
vorigen Legislaturperiode bereits dafür gesorgt, dass darangegangen werden kann. Wir sind nicht zufrieden damit, dass die Regelungen von der Selbstverwaltung bisher
nicht umgesetzt wurden; das muss unverzüglich geschehen. Aber Sie haben die ganzen Jahre nichts gemacht und
sich an jeder Röntgenaufnahme, die zu viel gemacht
wurde, mitschuldig gemacht.
({3})
Nur zur Information einiger Kollegen: In § 27 Abs. 2
der Geschäftsordnung finden Sie ausgeführt, dass Zwischenbemerkungen vom Saal aus gemacht werden.
({0})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
- Ich erkläre Ihnen doch nur die Geschäftsordnung.
Herr Kollege Seehofer, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Wodarg, die Frau Ministerin hat eindeutig gesagt: Das Hauptproblem der deutschen Krankenversicherung ist nicht das Geld, sondern die Qualität.
({0})
Niemand wird bestreiten wollen, dass es da und dort noch
Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung gibt. Das ist ein
ständiger Prozess. Aber hier im Deutschen Bundestag in
dieser Pauschalität 4 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu sagen, das Hauptproblem sei die Qualität
ihres Tuns, ist eine Unverschämtheit.
({1})
Herr Wodarg, auch wir haben Sparmaßnahmen aufgelegt. Bei den Zahntechnikern war es immer in einer
Boomphase, in der wir den Zuwachs begrenzt oder Einsparopfer abgefordert haben. Sie aber gehen in einer Zeit
an das zahntechnische Handwerk heran, in der die Ausgaben für Zahnersatz in der gesetzlichen Krankenversicherung seit vier Jahren nachweislich rückläufig sind. Deshalb sind die Zahntechniker nicht selber die Verursacher
ihres Problems, sondern Sie sind die Verursacher durch
die Verschiebebahnhöfe der vergangenen vier Jahre. Wie
können Sie den Zahntechnikern erklären, dass Sie sie auf
der einen Seite in ihrer Existenz gefährden und auf der anderen Seite die deutsche Krankenversicherung mit dem
Gesetz von heute wieder mit 1,5 Milliarden Euro belasten? Das ist unfair; denn Sie können nicht der Krankenversicherung finanzielle Probleme auflasten und dann die
Menschen, die in den letzten Jahren nicht zu Ausgabensteigerungen beigetragen haben, zu einem Sonderopfer
heranziehen. Das geht nicht.
({2})
Die Zahntechniker bringen ein doppeltes Sonderopfer:
für Eichel und durch die Senkung der Bewertung ihrer
handwerklichen Leistungen. Es ist zynisch, Herr Wodarg,
dass Sie trotz der Feststellung in Ihrer persönlichen Erklärung, dass Sie die Gefahr des massenhaften Arbeitsplatzabbaus - die erkennen Sie zu Recht - sehen, dem Gesetz zustimmen.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Seehofer, wenn Sie hier versuchen, sich zum Anwalt der
Beschäftigen im Gesundheitswesen zu machen, ist das
nicht sehr glaubwürdig.
({0})
Sie stellen sich dümmer, als Sie sind.
({1})
Sie wissen ganz genau, dass wir in Deutschland mit hohem und höchstem Mitteleinsatz nur mittelmäßige Qualität im Gesundheitswesen erreichen. Das ist keine Frage
des hohen Arbeitseinsatzes und des guten Willens der Beteiligten, sondern eine Frage struktureller Mängel. Sie täten gut daran, sich dem zu stellen.
({2})
Herr Seehofer, Sie sagen, es ist stümperhaft, bei einem
Rentenbeitragssatz von 19,5 Prozent zu landen. Ich
frage Sie: Was ist dann ein Rentenbeitragssatz von
20,3 Prozent?
({3})
Diesen haben wir 1998 vorgefunden. Das war das Erbe
der Regierung Kohl.
({4})
Jetzt schauen wir einmal genauer hin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wir haben gehört,
die CDU/CSU wolle nicht zustimmen. Gut, aber auch sie
will niedrigere Beitragssätze. Im Ausschuss hieß es, die
Schwankungsreserve abzusenken wäre ganz falsch. Gerade haben wir gehört, die Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze sei auch ganz falsch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das alles falsch ist, landen wir
am 1. Januar 2003 aber bei einem Beitragssatz von
19,9 Prozent.
({5})
Jetzt nehmen wir noch Ihre Wahlkampfsprüche - Ökosteuer gleich K.o.-Steuer - dazu. Die Ökosteuer führt inzwischen dazu, dass der Rentenbeitragssatz um 1,6 Prozent niedriger liegt, als er sonst liegen müsste.
({6})
Jetzt rechnen wir das zusammen: Was macht 19,5 Prozent
plus 1,6 Prozent? Das sind 21,1 Prozent. Das ist der Satz,
auf den wir kämen. Sie haben nichts anderes anzubieten
als zu sagen, da war doch noch etwas mit dem demographischen Faktor. Den gibt es aber nicht und den können
Sie zum 1. Januar auch gar nicht einführen. Ansonsten beten Sie für den Aufschwung. Das ist als politisches Konzept nicht ernst zu nehmen.
({7})
Die Entscheidung der Koalition, jetzt mit den genannten Maßnahmen bei einem Beitragssatz von 19,5 Prozent
zu landen, war kontrovers. Das wissen Sie alle. Aber was
wäre gewesen, wenn sich Rot-Grün zum Beispiel entschieden hätte, die Rentenanhebung um ein halbes Jahr
zu verschieben? Dann hätten wir mit dem Beitragssatz ein
wenig runtergehen können, aber was hätten dann CDU
und CSU getan, Herr Seehofer?
({8})
Hätte es dann nicht mit Blick auf das Wählerpotenzial der
Rentnerinnen und Rentner eine Kampagne gegeben? Sie
wären doch die Ersten gewesen, die uns vorgeworfen hätten, wir würden die alten Menschen ausbeuten. Deswegen
lassen wir uns von Ihnen in Sachen Generationengerechtigkeit keine Nachhilfe erteilen.
({9})
Seien Sie versichert: Wir werden die Kommission
zur Nachhaltigkeit in den sozialen Sicherungssystemen einsetzen. Es wird eine breite gesellschaftliche Debatte auch über die Fortführung einer Rentenreform geben.
({10})
Diese Kommission wird die private Absicherung, die Generationengerechtigkeit und die Beitragssenkung im
Blick haben. Dann werden wir sehen, wer bereit ist, die
Zumutungen, die immer mit solchen Reformschritten verbunden sind, zu vertreten.
Für die Grünen jedenfalls gilt: Wir werden niemandem
versprechen, dass allen wohl und niemandem weh getan
wird.
({11})
Wir werden notwendige Zumutungen auch formulieren.
({12})
Damit komme ich zum Gesundheitssparpaket. Man
kann nicht von denjenigen, die zum Sparen herangezogen
werden, Begeisterung erwarten.
({13})
Aber wenn man all dies, was ich so höre, wie: die Pharmaindustrie wandert ab, die Apotheken machen zu, die
Zahntechniker gehen kaputt, die Ärzte - nein, sie
schließen nicht - gehen in den Bummelstreik, die Krankenhäuser entlassen massenweise Personal, addiert,
({14})
sieht man, wie schwer es in Deutschland ist, nicht alles allen zu geben und nicht allen alles zu lassen.
({15})
Es muss möglich sein, Einsparungen vorzunehmen, um
einen Beitragssatzanstieg auf breiter Front zu verhindern;
ein Interesse, das ja auch Sie formulieren.
({16})
Durch Ihre Jammerarie - Einsparungen ablehnen, aber
Beitragssatzerhöhungen beklagen - entsteht kein politisches Konzept.
({17})
Wir haben die ursprünglichen Vorschläge im Laufe des
Beratungsprozesses etwas modifiziert
({18})
und sind damit auch auf Einwände eingegangen. Es gibt
nunmehr eine weite Öffnungsklausel für Krankenhäuser.
Dadurch steigt der Innovationsdruck. Herr Seehofer, es
wundert mich, dass Sie dies beklagen.
Bei den Zahntechnikern sind wir mit den Rabatten heruntergegangen. Im Gegenzug haben wir das Sterbegeld
stärker gekürzt.
({19})
Schließlich haben wir bei den Apothekern die Rabattstaffelung und das Inkassoverfahren bei gleicher Einsparungssumme vereinfacht.
({20})
Das alles ist ein Notprogramm.
({21})
Es dient dazu, einen Anstieg der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung auf breiter Front zu verhindern. Ansonsten sage ich: Wir sehen uns bei der Debatte über die Strukturreform wieder.
({22})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Volksmund würde das, was uns heute von Rot-Grün zur
Beratung vorgelegt worden ist, mit den drastischen Worten kommentieren: Lügen haben kurze Beine.
({0})
Ich will es etwas parlamentarischer ausdrücken:
({1})
Nur sieben Wochen nach der Bundestagswahl wird RotGrün mit voller Härte von der Realität eingeholt. Nach einem rot-grünen Wahlkampf des Täuschens und Tarnens
sind die Probleme heute umso drängender und gravierender,
({2})
wie die Horrormeldungen der letzten Tage beweisen: Das
Wirtschaftswachstum bricht dramatisch ein!
({3})
Die Steuereinnahmen brechen in zweistelliger Milliardenhöhe weg! Die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung explodieren regelrecht!
({4})
Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wann, wenn nicht jetzt,
wäre der Zeitpunkt für längst überfällige Strukturreformen? Sie aber kneifen, wie Sie hier in Ihrer Rede eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben. Nein, es ist wirklich frustrierend, diesen Kleinmut und diesen
Aktionismus zu beobachten, die die rot-grüne Politik dominieren, wo der große Wurf und die strukturelle Reform
vonnöten wären.
({5})
Das Beitragssicherungsgesetz ist nichts anderes als eine
schriftliche Kapitulationserklärung von Rot-Grün angesichts der Finanzprobleme der Renten- und der Krankenversicherung.
({6})
Wenn Sie, Frau Schmidt, hier sagen, die Maßnahmen,
die Sie ergreifen, seien angemessen und ausreichend,
glauben wir Ihnen ebenso wenig wie die Menschen, die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Es ist noch
keine zwei Jahre her, da hat diese Bundesregierung hier
eine Rentenreform verabschiedet, die als Jahrhundertwerk bezeichnet wurde, und stabile Beiträge von unter
20 Prozent bis zum Jahre 2011 vorausgesagt. Wenn Sie
ehrlich sind, Frau Ministerin Schmidt, dann müssen Sie
zugeben, dass Sie schon heute einen Beitragssatz von
19,9 Prozent erreicht haben, obwohl Sie damals bei Ihrer
Reform für das Jahr 2003 einen Rückgang auf 18,7 Prozent prognostiziert haben. Ich finde es schon bemerkenswert, Frau Schmidt, dass Sie mit keinem Wort auf die
Rentenprobleme eingegangen sind.
({7})
Sie behandeln die Altersversicherung der Menschen in
diesem Lande wie ein ungeliebtes Findelkind, das Ihnen
vor die Tür gelegt worden ist. Sie sollten sich intensiver
um diese Probleme kümmern.
Obwohl die Rentenversicherung am Tropf ständig steigender Ökosteuern hängt und mittlerweile fast 63 Milliarden Euro aus dieser Quelle in die Rentenversicherung
geflossen sind, steht die Rentenversicherung heute vor einer der schwersten Finanzkrisen ihrer Geschichte. Jetzt
werden die Beiträge kräftig erhöht
({8})
- das stimmt, Frau Schmidt; Sie hätten ja vorhin etwas
dazu sagen können -, obwohl die Bundesregierung noch
vor einem Jahr in der Beratung über die Neubemessung
der Schwankungsreserve wörtlich gesagt hat: „Wir dürfen
den Faktor Arbeit nicht verteuern.“ Ist das alles Schnee
von gestern, Frau Ministerin Schmidt? Ich habe dafür
wirklich kein Verständnis. Alles, was Sie machen, hat
nichts mit einer wirklichen Reform der Rentenversicherung zu tun. Ihnen, Frau Schmidt, geht es nur darum, irgendwie über den Winter zu kommen. Die Warnungen der
weitaus meisten Experten in der Anhörung vor negativen
volkswirtschaftlichen Effekten haben Sie einfach ignorant in den Wind geschlagen.
Das Echo auf das Beitragssatzsicherungspaket ist entsprechend verheerend. Der Kollege Seehofer hat ja schon
die entsprechende Passage des Gutachtens des Sachverständigenrates zitiert, in der Ihre Maßnahmen als „konzeptionslose Notoperation“ bezeichnet werden und in der
darauf hingewiesen wird, dass sie „im Widerspruch zu einer verlässlichen, langfristig orientierten Rentenpolitik“
stehen. Das Urteil über die gesundheitspolitischen Maßnahmen fällt genauso vernichtend aus. Im Gutachten des
Sachverständigenrates heißt es:
Es ist zu erwarten, dass … auch diese massiven
Staatseingriffe, die als ein konzeptionsloses Herumdoktern an Symptomen anzusehen sind, nicht geeignet sein werden, den Ausgabenanstieg … nachhaltig
zu bremsen und die finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen. Eine grundlegende Reform ist deshalb ohne Alternative.
Das stellt Ihr Sachverständigenrat fest. Vier der fünf Sachverständigen sind von der rot-grünen Bundesregierung
bestellt worden. Drei der fünf Mitglieder des Sachverständigenrates sind Mitglieder der SPD. Wenn Sie schon
nicht auf uns hören, wenn wir auf die Probleme hinweisen, dann sollten Sie doch wenigstens auf Ihre eigenen
Parteigenossen hören.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, halten Sie inne! Verabschieden Sie die vorliegenden
Gesetzentwürfe heute nicht. Die Erhöhung der Beitragssätze - darum geht es ja in Wahrheit in Ihrem so genannten Beitragssicherungsgesetz - wird den Faktor Arbeit in Deutschland ab dem kommenden Jahr noch teurer
machen. Das heißt, Arbeitsplätze werden unweigerlich
vernichtet. BDAund ZDH sehen dadurch bis zu 250 000 Arbeitsverhältnisse in Deutschland akut bedroht. Das müsste
Mahnung genug sein.
Das Ganze ist ohnehin hart auf Kante genäht; denn Sie
erwarten ja Lohnsummenzuwächse in Höhe von 2,5 Pro706
zent. Schon bei 1,5 Prozent wird es eng. Tatsächlich lag
der Lohnsummenzuwachs in diesem Jahr bei 0,3 Prozent.
Deswegen sage ich Ihnen voraus: Spätestens im Oktober
2003 wird die Rentenversicherung auf die Liquiditätshilfe
des Bundes, also auf die Bundesgarantie, zurückgreifen
müssen. Wir werden schon sehr bald hier eine neuerliche
Debatte über die Erhöhung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung führen müssen. Wenn wir
nicht länger EU-Berichte über uns ergehen lassen wollen, die mit „Germany crawling along“ - auf Deutsch:
Deutschland kriecht weiter - überschrieben sind, dann
sollten Sie jetzt beginnen zu handeln. Auf keinen Fall dürfen die von Ihnen vorgelegten Entwürfe in ihrer heutigen
Form verabschiedet werden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Dreßen von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Seehofer, ich muss noch ein bisschen bei dem verweilen,
was Sie gesagt haben; denn das, was Sie hier abgelassen
haben, spottet jeder Beschreibung.
Ich möchte einmal die Riester-Reform mit der BlümReform vergleichen. Damals hat Blüm - das ist richtig den demographischen Faktor eingeführt. Er hat sich
aber nur getraut - das wissen wir alle -, ihn zu 50 Prozent
in die Rentenformel einzuführen. Er hätte es nie gewagt,
ihn zu 100 Prozent einzuführen, weil dann die Beiträge
sehr stark gesunken wären. Riester hat dagegen etwas getan, wozu Sie nie in der Lage waren: Er hat dafür gesorgt,
dass die so genannten versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung herausgenommen und
endlich steuerfinanziert werden.
({0})
Was musste die Rentenversicherung nicht alles finanzieren: Kindererziehungszeiten, Soldatenzeiten und vieles
mehr. Es ist zwar in Ordnung, dass solche Zeiten bei der Berechnung der Rentenansprüche berücksichtigt werden. Aber
wieso mussten nur Arbeiter und Angestellte und zum Beispiel nicht die Beamten diese versicherungsfremden Leistungen bezahlen? Ich denke in diesem Zusammenhang auch
an die Fremdrenten. Sie haben alle versicherungsfremden
Leistungen in der Rentenversicherung belassen. Wir haben
Gesetze geschaffen, in denen geregelt ist, dass die versicherungsfremden Leistungen durch Steuermittel finanziert
werden, und den Steueranteil auf 36 Prozent hochgefahren.
({1})
- Das ist doch nicht wahr. Blüm hat doch alle versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung belassen.
({2})
Erst wir haben sie herausgenommen. Wir haben steuerfinanziert! Herr Zöller, erkundigen Sie sich erst einmal. Wir
sind mit dem Zuschuss aus der Ökosteuer in die Rentenkassen endlich auf eine solche Höhe gekommen, dass
sämtliche Fremdleistungen steuerfinanziert werden
können.
Ich halte fest: Blüm hat in seiner Rentenreform keine
Kindererziehungszeiten berücksichtigt
({3})
und auch keine Grundsicherung. Bei einer Rente à la
Blüm wären wir alle entsetzt - Herr Seehofer, da hätten
Sie mit den Ohren geschlackert -, was alles auf die Sozialhilfe zukommen würde.
({4})
Die blümsche Rentenreform hatte einen riesigen Makel und
war stümperhaft, während die Rentenreform von Walter
Riester in die richtige Richtung geht.
({5})
Bei Diskussionen um die Rentenreform streitet man
immer über dieses oder jenes, aber das, was Sie uns vorwerfen, ist der Hammer. Ich bin der Meinung, dass die
Gerechtigkeit zwischen Beitragszahlern und Rentnern auch mit dieser Erhöhung gewahrt bleibt.
({6})
Die Vorwürfe darüber, dass die Beitragszahler verhältnismäßig mehr belastet würden als die Rentner, kamen nicht
nur aus Ihren Reihen. All denen, die diese Vorwürfe erhoben haben, möchte ich sagen, dass aufgrund der Rentenformel die Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner sehr
wohl gewährleistet ist. Ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 2 000 Euro zahlt durch die Erhöhung des
Rentenbeitrages von 19,1 auf 19,5 Prozent vier Euro mehr
pro Monat. Für einen Rentner mit einer Rente in Höhe von
1 000 Euro - das ist der berühmte „Standardrentner“ fällt die Erhöhung im Jahr 2004 ebenfalls um vier Euro
pro Monat geringer aus. Es bezahlen also beide: diejenigen, die arbeiten, und die Rentner.
({7})
Die Anhebung des Rentenbeitrags von 19,1 auf
19,5 Prozent mindert also die Rentenanpassung im Jahr
2004. Nach den bisherigen Annahmen gehen wir davon
aus, dass die Rentenanpassung im Westen im nächsten Jahr
nur 1,34 Prozent betragen wird. Bei einem stabilen Beitragssatz von 19,1 Prozent wäre eine Anpassung 1,74 Prozent erfolgt. Sie sehen, die Rentner zahlen mit. Wer also
von einer Generationenungerechtigkeit spricht, der kennt
entweder die Rentenformel nicht - das nehme ich in den
meisten Fällen an -, oder der will die Rentner, was ich nicht
hoffe, in eine gewisse Armut treiben. All denen, die von
hohen Renten sprechen, sei gesagt: Die durchschnittliche
Höhe der Rente lag im Jahr 2001 nach Abzug des
Krankenversicherungsbeitrages bei den Männern bei
983 Euro und bei den Frauen bei 456 Euro.
Ich habe mich darüber amüsiert, dass in der Debatte
wieder das Thema der Verlängerung der Lebensarbeitszeit aus der Mottenkiste geholt wurde. Hierzu haben
wir schon einiges von Herrn Merz gehört. Auch der Arbeitgeberpräsident, Herr Hundt, will die Lebensarbeitszeit, wie man hört, neu ins Gespräch bringen und will die
Altersgrenze auf 67 Jahre erhöhen. Gleichzeitig werden
die heute über 50-Jährigen mit der Begründung, sie seien
zu alt, massiv aus den Betrieben gedrängt.
Herr Kollege Dreßen, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kolb?
Nein, das tue ich nicht, Herr Kolb; bei Ihnen kommt eh
nichts Vernünftiges herüber.
({0})
Wenn Herr Hundt seinen eigenen Vorschlag ernst nehmen würde, dann müssten er selbst und seine Kollegen
ihre Personalpolitik in den Betrieben grundlegend verändern und das Arbeitsleben der über 50-Jährigen anders
gestalten. Hier gebe ich Herrn Seehofer Recht; da stimmen wir überein. Es ist das eine, auf die Regierung zu
schimpfen und zu fordern, die Lohnnebenkosten müssten
gesenkt werden, und andererseits in den Betrieben nichts
zu tun, die Lohnkosten nach oben zu treiben und schon
55-Jährige über das Arbeitsamt in die Rente zu schicken.
Deswegen meine ich, sollten wir alles tun, dass ältere
Menschen nicht auf das Abstellgleis geschoben werden,
sondern wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. Hier haben wir mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission einiges vor. Sie sehen also, dass es insgesamt ein
vernünftiges Konzept ist.
Herr Seehofer, Sie haben bezüglich der Erhöhung von
19,1 auf 19,5 Prozent von einer Orgie gesprochen.
({1})
Erinnern Sie sich an den November 1996? Damals haben
Sie allein den Beitragssatz in der Rentenversicherung von
19,2 auf 20,3 Prozent erhöht; das ist rund das Dreifache
der jetzigen Erhöhung. Wer da von Orgien spricht, der
verwechselt die Begriffe.
({2})
- Herr Kolb, ich rede jetzt nicht von der Ökosteuer, sondern vom Jahr 1996.
({3})
Weil Sie ja immer wieder sagen, dass die Erhöhung
des Rentenversicherungsbeitrages von 19,1 Prozent auf
19,5 Prozent so und so viele Arbeitsplätze kostet, habe
ich mir die Arbeitszahlen von 1996 angeschaut. Sie sind
zwar - wie während Ihrer Regierungszeit ständig - leicht
nach oben gegangen, aber es waren keine 100 000, wie
Sie uns letztes Mal weismachen wollten, sondern es waren einige Tausend. Dies war während der damaligen
Wirtschaftsflaute aber etwas ganz Normales.
Ich bin der Meinung, dass wir das, was wir tun, nicht
dramatisieren sollten. Diese Rentenversicherung hat gewisse Stellschrauben, um Wirtschaftsflauten, wie der jetzt
weltweit vorhandenen, tatsächlich begegnen zu können.
Dies tun wir. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb man
jetzt ein solches Theater vollführt.
({4})
- Herr Kolb, ich habe das Gefühl, dass Sie sich nicht aufs
Thema konzentrieren können, weil Sie und Ihre Partei
Spendenprobleme haben und sich nicht aufs Thema konzentrieren können. Dafür habe ich Verständnis.
({5})
Wenn ich mir ansehe, wie diese Themen in der
CDU/CSU diskutiert werden, dann muss ich fast von einer Diskussion voller Hass sprechen. Manche haben,
während sie argumentieren, beinahe Schaum vor den Lippen. Sie meinen, sie müssten die Welt mit einer manchmal
üblen Wortwahl zusammenreißen.
({6})
Deshalb ist mir klar, dass Sie eigentlich immer noch nicht
begriffen haben, dass Sie nicht auf der Regierungsbank,
sondern weiterhin auf den Oppositionsbänken sitzen. Das
ist wahrscheinlich schwierig für Sie.
({7})
Ich meine, dass wir sowohl im Gesundheitswesen als
auch bei der Rentenreform gute und sicherlich richtige
Wege eingeschlagen haben.
({8})
Im Gesundheitswesen gibt es nur zwei Möglichkeiten:
Entweder machen wir es wie Sie, indem wir den Patienten permanent in die Tasche greifen, oder wir denken an
die Leistungserbringer, die auch etwas erbringen können.
Ich glaube, wir sind den richtigen Weg gegangen.
Wenn diese Gesetze greifen, werden die Bürgerinnen
und Bürger sehen, dass wir gute und nicht so chaotische
Gesetze wie die Opposition machen. Deshalb ist mir nicht
bange.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßen, Sie haben sich mit Ihrem Beitrag wieder
einmal selbst disqualifiziert. Von Frau Schmidt kam kein
Wort zur Rentenversicherung und auch von Ihnen kam in
den acht Minuten kein wirklich substanzieller Beitrag.
({0})
Das war so wenig wie bei Frau Schmidt, die kein Wort
zu dem Vorschaltgesetz gesagt hat. Man meint bei Ihren
Ausführungen fast, dass man in einer anderen Welt lebt.
Die Realität sieht aber anders aus.
({1})
Der Vorstandschef der Deutschland AG, Ihr Bundeskanzler Schröder, und sein Prokurist Hans Eichel haben in
dieser Woche Konkurs angemeldet.
({2})
Der Grund ist eine totale Überschuldung. Außerdem
droht die Zahlungsunfähigkeit mehrerer Tochtergesellschaften, vor allem der Arbeitsamt GmbH, der Rentner KG und der Konzerngesellschaft Gesundheit und Co.
Besonders die Chefin dieser Konzerngesellschaft, Ulla
Schmidt, hat durch ihr ziel- und konzeptionsloses Hantieren zum Sanierungsfall der Deutschland AG maßgeblich
beigetragen.
({3})
Obwohl die Lage erkennbar dramatisch war, hat die
Konzernchefin ihre Aktionäre, nämlich die Wählerinnen
und Wähler, getäuscht. Die vielen Kleinaktionäre würden
den gesamten Vorstand dieser AG wegen Betrugs und Bilanzfälschung mittlerweile - es ist erst kurz nach der
Wahl - gerne wieder abwählen.
({4})
Wir hören es ja: Nach Agenturmeldungen wollen heute um
die 40 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie
einige Grüne ihre Bauchschmerzen zu Protokoll geben.
Das Vertrauen der Menschen ist nachhaltig zerstört. Sie
haben schon jetzt, gut einen Monat nach der Wahl, kein
Zutrauen in Ihre Politik mehr.
({5})
Wir brauchen auch gar nicht großartig drumherum zu reden: Frau Schmidt, Sie sind die Ministerin für Gesundheit
und totale soziale Verunsicherung.
({6})
Diese Regierung ist dabei, den Sozialstaat an die Wand
zu fahren. Frau Schmidt, dafür haben Sie von den
Wählern kein Mandat bekommen. Kein Mensch hat Sie
gewählt, damit Sie unser gewachsenes System der sozialen Sicherung völlig ruinieren.
Patienten erleben unter Rot-Grün ständig die Vorenthaltung medizinischer Leistungen. Dennoch zahlen die
Versicherten immer höhere Beiträge.
({7})
- Herr Dreßen, dass Sie es nicht wahrnehmen wollen, haben wir bereits zur Genüge erfahren. - Hohe Lohnnebenkosten treffen vor allen Dingen kleine und mittelständische Unternehmen. Dazu zählen eben auch die
Arzt- und die Zahnarztpraxen mit ihren Arzthelferinnen,
die Apotheken mit ihren PTAs, die Krankenhäuser mit
ihren Ärzten und Pflegekräften und die Arzneimittelhersteller mit ihren hoch qualifizierten Beschäftigten im Bereich der Forschung.
Jeder neunte bis zehnte Beschäftigte in Deutschland arbeitet im Gesundheitswesen. Aber Ihre Investitions- und
Arbeitsplatz-Stopp-Politik gefährdet die zukunftsträchtige Jobmaschine Gesundheit.
Nehmen wir ein Beispiel: Durchschnittlich 60 Prozent
des Umsatzes einer Arztpraxis werden durch Betriebskosten aufgezehrt. Auch diese steigen unter Ihrer Regierung
ständig und können über Honorarzuwächse nach der
Grundlohnsumme nicht aufgefangen werden. Die Erhöhung der Renten- und Kassenbeiträge plus Steuer- und
Tariferhöhungen führen in Verbindung mit der Inflationsrate bei gedeckelten Honoraren sogar zu einem Minus von
schätzungsweise 6 Prozent. Nullrunde bedeutet also in der
Praxis nicht Null, sondern ein Minus, nämlich ein Minus
an Arbeitsplätzen, Minus bei Investitionen und Minus
in der Qualität.
({8})
Mit dem Wortbruch gegenüber den Arzneimittelherstellern und Apotheken und Ihrem Aktionismus in der
Pharmapolitik haben Sie das Investitionsklima nachhaltig
verschlechtert. Kein international agierender Pharmakonzern wird in Zukunft noch in Deutschland investieren. Sie
machen aus dem Heilberuf Apotheker einen Inkassounternehmer und verbürokratisieren das Gesundheitswesen kontinuierlich weiter. Heute haben Sie weitere Beispiele dafür angeführt.
({9})
Frau Schmidt, Sie wissen um die Konsequenzen Ihres
Handelns und nehmen die Auswirkungen für die Beschäftigten billigend in Kauf. Die Reaktionen der Betroffenen als Gejammer abzutun zeugt von einer fast nicht
mehr zu überbietenden Ignoranz gegenüber den Sorgen
der Menschen um ihren Arbeitsplatz.
({10})
Die Stimmung ist explosiv, und das zu Recht. Denn die
Schere zwischen steigenden Kosten einerseits und zunehmender Arbeitsbelastung bei sinkendem Einkommen
andererseits klafft bei Ihrer Politik immer weiter auseinander. Wenn Rot-Grün das nicht zur Kenntnis nimmt,
({11})
dann droht ein sozialer und volkswirtschaftlicher Schaden
von ungeahntem Ausmaß.
Die Bundesregierung kann mit diesen Vorschaltgesetzen
nicht einmal ihre selbst gesteckten Ziele erreichen. Stabile
Beitragssätze werden Sie mit diesem Gesetz nicht erzielen.
({12})
Eine Reihe von Kassen haben die Beiträge bereits erhöht.
Das Bundesversicherungsamt hat gemeldet, dass bereits
29 Kassen - dabei handelt es sich nur um die bundesunmittelbaren Kassen - Anträge gestellt haben. Die AOK
rechnet in der kommenden Zeit mit einem Beitragsanstieg
für 25 Prozent ihrer Versicherten. Sicherlich werden noch
weitere Beitragserhöhungen hinzukommen; denn der
Druck nimmt weiter zu. Allein die Mindereinnahmen, die
Sie durch die Beschlüsse im Zusammenhang mit dem
Hartz-Konzept in Kauf nehmen, betragen insgesamt mehr
als 1 Milliarde Euro. In der Anhörung wurden sogar Mindereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro genannt.
Auch ein anderes Damoklesschwert hängt bereits über
Ihnen, nämlich die erstmalige Entgeltumwandlung aufgrund der Riesterschen Rentenreform.
({13})
Dadurch fehlt in Ihrem System eine weitere Milliarde Euro.
Für den gesetzlich Krankenversicherten bedeutet das, dass
der durchschnittliche Beitragssatz von jetzt 14 Prozent auf
14,5 Prozent, wenn nicht sogar - wie manche bereits prognostizieren - auf 15 Prozent im Jahre 2003 steigen wird.
({14})
Für den Durchschnittsverdiener macht das monatlich zwischen fünf und zehn Euro allein für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung aus.
({15})
Sie wollten die medizinische und pflegerische Versorgung nicht gefährden. Aber mit weniger Personal
mehr Patienten versorgen zu müssen, das bedeutet doch
eine höhere Arbeitsbelastung für die Beschäftigten und
noch weniger Zuwendung für die Patienten. Auf der einen
Seite Innovation und Qualität zu fordern, aber auf der anderen Seite die für die Investitionen notwendigen Mittel
nicht zur Verfügung zu stellen, passt nicht zusammen.
Lassen Sie mich noch etwas zu der Situation in den
Krankenhäusern sagen. Seit Jahren führen steigende Patientenzahlen und eine sinkende Verweildauer zu einer
enormen Arbeitsverdichtung, die eigentlich nur durch zusätzliches ärztliches und pflegerisches Personal aufgefangen werden kann.
({16})
Mit Ihrer Nullrunde treiben Sie manche Krankenhäuser in
den finanziellen Ruin und viele andere in die Fallpauschalenfalle. Vielen Häusern, gerade im Osten, bleibt
nämlich nichts anderes übrig, als die Option für das Jahr
2003 zu wählen. Sie haben wegen der Kombination von
BAT-Steigerung und außergewöhnlicher Grundlohnsummenentwicklung überhaupt keine andere Wahl, egal ob sie
auf das knallharte Preissystem vorbereitet sind oder nicht.
Wir werden es erleben: In den DRG-Häusern wird es verstärkt dazu kommen, dass teure Patienten abgelehnt werden und bei einer gleichzeitigen Nullrunde im ambulanten Bereich nicht adäquat versorgt werden können.
Die Erhöhung der Eigenbeteiligung wollten Sie vermeiden. Das halten Sie uns immer vor. Mit diesem Vorschaltgesetz erhöhen Sie sie aber beim Zahnersatz.
({17})
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer beim Zahnersatz durch
Eichel von 7 auf 16 Prozent macht für die gesetzliche
Krankenversicherung eine Belastung von 250 Millionen Euro aus. Auf der anderen Seite steht eine Erhöhung
der Eigenbeteiligung der Patienten um rund 105 Millionen Euro.
({18})
Selbst bei einem Preisabschlag von 5 Prozent, wie er in
diesem Gesetzentwurf steht, bleiben die Patientinnen und
Patienten in diesem Land auf rund 50 Millionen Euro
Mehrkosten sitzen. Das sind die Zuzahlungen, die Sie den
Menschen in unserem Land zumuten.
({19})
Kommen wir zum Sterbegeld. Hier haben Sie eine
Kürzung um 50 Prozent vorgesehen.
({20})
Frau Bender hat heute Morgen schon zugegeben, sie gehe
davon aus, dass das Gesetz die vorgesehenen Einsparungen nicht erbringen könne, und bereits angekündigt, dass
man sich das Sterbegeld noch einmal vornehmen müsse.
Frau Sager hat gleich die Begründung geliefert: Vom
Sterbegeld hat der Versicherte selbst nichts mehr. Hier gilt
wohl das Motto: Tote können sich nicht mehr wehren.
Eine solche Aussage ist gegenüber den Versicherten und
ihren Angehörigen zynisch.
({21})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Sie haben mit diesem Gesetz keines Ihrer Ziele erreicht. Insbesondere Nachhaltigkeitskriterien sind in diesem Gesetz vollkommen
außen vor gelassen. Im Gegenteil: Sie treiben mit dieser
Politik die gesetzlichen Krankenversicherungen in die
Verschuldung am privaten Kapitalmarkt. Auch dies wurde
in der Anhörung ganz deutlich. Das heißt, Sie bieten mit
diesem Gesetzentwurf den Kassen keine Perspektive, aus
der Verschuldung herauszukommen. Es bedeutet vielmehr: Statt Geld für die medizinische Versorgung einzusetzen, müssen die Menschen in Zukunft mit ihren Beitragsgeldern Kreditzinsen bezahlen. So viel zum Thema
Nachhaltigkeit.
Wir können einem solchen Gesetz nicht zustimmen.
Sie können es teilweise auch nicht, aber Sie haben nicht
mehr das Rückgrat, zu Ihrer Meinung zu stehen.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Selg von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es verschlägt einem fast die Sprache. Es ist unglaublich, was man hier hört. Deshalb lassen Sie mich auf
meine Vorgängerin, Herrn Seehofer und auf das Thema
Krankenhausfinanzierung im Beitragssatzsicherungsgesetz eingehen.
In den Redebeiträgen der Opposition wurden geradezu
dramatische Szenarien an die Wand gemalt: Qualitätsverlust, Arbeitsplatzvernichtung, man könne den Pflegekräften nicht mehr in die Augen schauen. Das ist unglaublich.
Ich vermute deshalb, dass Sie den Gesetzestext nicht gelesen haben. Sie haben wohl Ihr Langzeitgedächtnis
verloren und Ihr Kurzzeitgedächtnis bedarf einer Auffrischung.
({0})
Lassen Sie mich deshalb einen Rückblick auf die Entwicklung der letzten Jahre bei der Krankenhausfinanzierung machen. Am 1. Januar 2000 hat Rot-Grün das
Gesundheitsreformgesetz 2000 in Kraft gesetzt. Dieses
Gesetz sieht die Einführung so genannter Fallpauschalen,
von denen Sie anscheinend keine Kenntnis haben, für
Krankenhäuser vor.
({1})
Zum 1. Januar 2003 werden deshalb zahlreiche Krankenhäuser zunächst freiwillig auf das neue Vergütungssystem
umstellen. Ab dem 1. Januar 2004 müssen dann alle Krankenhäuser ihre Leistungen nach dem neuen System mit
den Krankenkassen abrechnen.
Im Bereich der Krankenhausfinanzierung stellt dieser
Systemwechsel einen Quantensprung in der Qualität dar.
Bisher rechnen Kliniken nämlich nach Belegtagen ab. Bezahlt wird also nicht die tatsächlich am Patienten erbrachte Behandlung, sondern die Zeit, die der Patient im
Krankenhaus verbringt. Das ist eine völlig absurde Situation. Der Friseur wird schließlich auch nicht dafür bezahlt, dass er möglichst viele Kunden möglichst lange in
seinen Stühlen sitzen lässt, sondern dafür, dass er Haare
schneidet.
({2})
Deshalb fließt das Geld in Zukunft für die erfolgte Behandlung und nicht mehr für die Behandlungsdauer; das
macht mehr Sinn.
Ich frage mich schon, warum CDU/CSU und FDP
16 Jahre lang nicht in der Lage waren, eine entsprechende
Reform auf den Weg zu bringen.
({3})
Wir haben dazu nicht einmal zwei Jahre gebraucht und
machen weiter, heute mit diesem Beitragssatzsicherungsgesetz, das für ein Jahr gilt, um die Beiträge stabil zu halten - das ist etwas, was Sie anscheinend nicht wollen -;
gleichzeitig arbeiten wir weiter an dringenden grundlegenden Strukturreformen im Gesundheitswesen.
Herr Seehofer, ich kann Sie absolut nicht ernst nehmen
und ich weiß, wovon ich rede.
({4})
Ich arbeite seit 24 Jahren im Krankenhaus.
({5})
- Ich schlafe nicht so gut wie Sie! Sie können jetzt erst
einmal zuhören! ({6})
Als ehemaliger Kohl-Minister haben Sie jahrelang den
Stillstand im Gesundheitswesen verwaltet.
({7})
Die Beiträge gingen ständig nach oben. Von groß angekündigten Reformen sind nicht einmal Reförmchen
übrig geblieben.
({8})
Heute werfen Sie Rot-Grün mangelnde Reformbereitschaft vor. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern das
ist auch ein ganz extremes Beispiel für jene politische
Doppelmoral, die die Bürger auf die Palme bringt.
({9})
Darum sage ich in Richtung der Damen und Herren von
der Opposition: Während Sie mit erhobenem Zeigefinger
immer auf andere zeigen, bringen wir positive Veränderungen voran. Das war in der Vergangenheit so und wird
auch in Zukunft so sein.
Im Krankenhausbereich führen wir das neue Entgeltsystem ein. Das ist wichtig. Dadurch wird es zu einer Verbesserung der Qualität bei der Leistungserbringung im
medizinischen und vor allem im pflegerischen Bereich
kommen. Wie schon gesagt: Der Patient wird endlich im
Mittelpunkt stehen. Es wird ein Ende damit haben, dass
Menschen wie Ware zwischen Stationen verschoben werden, um die Belegdauer zu erhöhen. Deshalb ist es wichtig,
dass wir auf dem eingeschlagenen Weg voranschreiten.
Für uns war und ist es deshalb ein wichtiges Ziel, mit
diesem Beitragssatzsicherungsgesetz den ebenfalls von
Rot-Grün auf den Weg gebrachten Strukturwandel im
Krankenhausbereich nicht zu behindern. Wir werden deshalb innovative und reformorientierte Krankenhäuser, die
ab dem 1. Januar 2003 auf das neue Abrechnungssystem
umstellen, von der Nullrunde ausnehmen. Zusätzlich bleiben alle bisherigen Ausnahmeregelungen bestehen. Vor diesem Hintergrund wirkt Ihre Panikmache geradezu grotesk.
Angesichts der veränderten Situation wird allen Krankenhäusern, die sich nach Ablauf der bisherigen Anmeldefrist am 31. Oktober noch nicht für die Umstellung auf
das neue System entschieden haben, eine Fristverlängerung - hören Sie gut zu, Herr Seehofer; Sie scheinen den
Gesetzentwurf wirklich nicht gelesen zu haben - bis zum
31. Dezember und nicht nur bis zum 15. Dezember gewährt.
({10})
Diese Fristverlängerung ist, wie Sie wissen, im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die Damen und Herren der
CDU und CSU haben ganz laut über die Nullrunde in den
Krankenhäusern geschimpft. Jetzt haben Sie, meine Damen und Herren, die Möglichkeit, im Bundesrat zuzustimmen, wenn es darum geht, viele Krankenhäuser von der
von Ihnen abgelehnten Nullrunde auszunehmen. Deshalb
mein Appell: Zieren Sie sich nicht! Stimmen Sie dem zu!
Vielen Dank.
({11})
Frau Kollegin Selg, ich beglückwünsche Sie herzlich
zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Detlef Parr von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Selg,
trotz Respekt vor Ihrer ersten Rede: Wir werden uns zieren und diesen Gesetzentwurf ablehnen.
({0})
Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung ist der Außenwirkung wegen in der Neuen Nationalgalerie - wie ich
mir habe sagen lassen: ein Ort der Ruhe und Ausgeglichenheit - unterzeichnet worden. Diesen Charakter hat
aber der Start in Ihre praktische Politik nicht gehabt,
meine Damen und Herren. Nichts planen, nichts koordinieren, aber umso überstürzter drauflosstolpern, das ist
der Charakter Ihrer Gesundheitspolitik.
({1})
Frau Selg, die Hütte brennt. Tausende von Demonstranten am Brandenburger Tor! Zahnärzte, Zahntechniker,
Apotheker, Ärztinnen und Ärzte sowie auch die Mitarbeiter in den Krankenhäusern,
({2})
in den Arztpraxen und in den Apotheken sind zur Demonstration gekommen. Selten zuvor hat eine Bundesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit so viele Menschen gegen sich aufgebracht.
({3})
„Die Luft ist eisig in Berlin“, so Frank Ulrich
Montgomery auf der Demo, „aber unsere Seele kocht.“
Sie kocht, Frau Ministerin, weil sich die Menschen von
Ihnen betrogen fühlen. Es ist Betrug, dass Sie vor der
Wahl etwas anderes getan haben, als Sie nach der Wahl
tatsächlich tun.
({4})
Im Koalitionsvertrag noch haben Sie uns neue
Perspektiven versprochen und damit Hoffnungen geweckt. In Wahrheit setzen Sie unter dem Deckmäntelchen
der Beitragssatzstabilität Ihren Weg in die staatliche Intervention unbeirrt fort und greifen tief in die Mottenkiste
staatlicher Planwirtschaft. Das bestätigen Ihnen alle Experten. Nicht einmal Ihr Oberziel werden Sie erreichen;
stabile Beiträge - das hat die Anhörung gezeigt - erwarten auf Dauer selbst die Krankenkassen nicht.
Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, die Beiträge
im nächsten Jahr so niedrig wie möglich halten zu wollen.
Was heißt das denn konkret?
({5})
Ich habe das Gefühl, Sie glauben selber nicht mehr an
sich.
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, Sie werden nicht müde, Solidarität von anderen einzufordern und die Solidargemeinschaft zu beschwören.
({6})
Ich frage Sie und auch die Frau Ministerin: Wo bleibt denn
Ihre Solidarität mit den Versicherten und den Patienten?
Sie muten ihnen bei steigenden Beiträgen geringer werdende Leistungen zu und lassen ihnen nicht die Spur einer Chance, den Leistungsumfang ihres Versicherungs712
schutzes selbst mitzugestalten und damit die Höhe ihrer
Beiträge mitzubestimmen. Im Gegenteil: Mit der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze nehmen Sie vielen
Menschen die Möglichkeit, zwischen gesetzlicher und
privater Krankenversicherung zu wählen. Das kommt einer Entmündigung gleich.
({7})
Wo bleibt Ihre Solidarität mit den Krankenschwestern
und den Krankenpflegern? Sie nötigen ihnen mehr Leistung in einem immer enger werdenden Zeitkorsett ab. Ist
das Ihr Beitrag zu mehr Mitmenschlichkeit?
Nennen Sie es solidarisch, wenn Sie den Ärztinnen und
Ärzten in den Praxen und Krankenhäusern eine Nullrunde
bzw. in Wahrheit - Annette Widmann-Mauz hat das zu
Recht gesagt - eine Minusrunde zumuten und damit eine
leistungsgerechte Bezahlung in weite Ferne rücken lassen? Wollen Sie, dass die Arbeitsbedingungen in den
Krankenhäusern noch unzumutbarer werden und die Ärzteflucht anhält?
({8})
- Sie können mich mit Ihren Zwischenrufen, von denen
ich schon qualifiziertere gehört habe, nicht aus dem Konzept bringen, Herr Kollege.
Wie ist es um Ihre Solidarität mit den Apothekern und
dem pharmazeutischen Großhandel bestellt, denen Sie
Zwangsrabatte abknöpfen? Ganz zu schweigen von den
pharmazeutischen Unternehmen, von denen Sie bedenkenlos 200 Millionen Euro als Solidarbeitrag entgegengenommen haben. Jetzt aber brechen Sie diesen Vertrag,
in dem Sie gesagt haben, bis zum Jahr 2003 werde es
keine Erhöhung der Arzneimittelpreise geben.
({9})
Pacta sunt servanda, Frau Ministerin, Verträge sind einzuhalten. Was Sie machen, ist unanständig.
Hans Eichel hat am vergangenen schwarzen Mittwoch
ausnahmsweise etwas Richtiges gesagt:
Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, Anpassungen zu ertragen, wenn sie die Zielsetzung erkennen.
Dann setzen Sie doch mutig Ihre Ziele und flüchten Sie
sich nicht in eine Kommission mit ungewissem Ausgang!
Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.
({10})
Konzentrieren Sie die gesetzliche Krankenversicherung
auf die medizinisch wirklich notwendigen Leistungen!
Nehmen Sie als Sozialministerin Ihre Hand aus der
Tasche der Krankenversicherten! Versicherungsfremde
Leistungen und die Verschiebung von Belastungen aus
anderen Sozialversicherungsbereichen in die gesetzliche
Krankenversicherung dürfen nicht länger zulasten der
Krankenversicherten gehen.
({11})
Lassen Sie Wahlfreiheiten zu und erlauben Sie den Krankenkassen echten Wettbewerb über eine Vielfalt von Tarifen. Sie rufen doch immer nach Alternativen: Kostentransparenz, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung
sind weitere unverzichtbare Ziele ebenso wie die Planungssicherheit für die Wirtschaft, zum Beispiel durch
Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge. Nur so entstehen
neue Arbeitsplätze.
Ich komme zum Schluss: Meine Damen und Herren,
Ihr Vorschaltgesetz ist ein Verschaltgesetz. Sie legen die
falschen Gänge ein und würgen die Jobmaschine gnadenlos ab.
Wenn Sie schon nicht mir und den anderen Rednern der
Opposition glauben, sollten Sie doch wenigstens Ihrem
eigenen Sachverständigen glauben. Professor Rürup, der
Ihre Kommission zur Erarbeitung neuer Finanzierungsgrundlagen leiten soll, hat das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt haben, in einem Interview mit
Sandra Maischberger als katastrophal angesehen.
({12})
Deshalb: Stoppen Sie Ihre Notoperation! Nehmen Sie
Ihren Fuß von der Notbremse! Lassen Sie endlich Wettbewerb, Wahlfreiheiten und Eigenverantwortung freieren
Lauf, wie wir es Ihnen heute mit unserem Antrag vorgelegt haben!
Danke.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Silvia Schmidt ({0}) von der SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU/CSU
und mein lieber Kollege von der FDP, ich möchte auf Folgendes hinweisen: Was Sie bisher vorgetragen haben, war
eine einzige Schimpfkanonade. Sie - ich denke dabei insbesondere an die Rede des Ministers a. D. - machen nichts
anderes als Vorwürfe. Ihrerseits kommen keine Vorschläge und Sie zeigen keine Alternativen auf. Sie haben
im Ausschuss weder einen Antrag noch einen Entschließungsantrag eingebracht. Bleiben Sie dabei!
({0})
Herr abgewählter Minister, Ihr Realitätsverlust ist aber
unerträglich. Diesen Realitätsverlust möchte ich Ihnen
jetzt einfach einmal aufzeigen. Die Menschen sind nicht
dumm; sie verstehen durchaus.
({1})
Wie sahen denn Ihre Sparmaßnahmen aus? Die Menschen
erinnern sich wirklich sehr gut. Sie haben das unsinnige
Krankenhausnotopfer eingeführt. Wir haben es gestrichen.
Die von Ihnen erhöhten Zuzahlungen beim Kauf von Arzneimitteln wurden von uns gesenkt.
({2})
Silvia Schmidt ({3})
Die nach 1978 Geborenen erhalten wieder Zahnersatzleistungen.
({4})
Die Befristung des Finanzstrukturausgleichs zwischen
den alten und den neuen Ländern wurde von uns aufgehoben.
Sie wurden deswegen zwar abgewählt, aber Sie sind
einfach nicht lernfähig. Sie forderten in Ihrem Wahlprogramm 2002 das Grund- und Wahlleistungsrecht. Ein solches Recht zieht eine Zweiklassenmedizin nach sich. Eine
solche Medizin können sich Gesunde leisten, solange sie
gesund bleiben. Eine solche Medizin können sich Junge
leisten, solange sie jung sind. Bei Verwirklichung Ihrer
Pläne hätten sich die Beiträge von Rentnern, älteren Arbeitnehmern und chronisch Kranken erhöht. Nicht mit
uns!
({5})
Wir halten an dem Solidarprinzip fest. Das Wahlergebnis
hat Ihnen ganz deutlich gezeigt: Sie sind einfach nicht
lernfähig.
Unsere Gesundheitsreform wird Ihnen Möglichkeiten
des Sparens im System mit einer höheren Effizienz und
Qualität zeigen. Wir wollen die Versicherten nämlich
nicht schröpfen. Machen Sie sich hier bloß nicht zum Anwalt der Versicherten! Das ist einfach nur noch lächerlich.
({6})
Sie sind ein Anwalt der Lobbyisten.
Ich möchte jetzt auf die Auswirkungen unseres Maßnahmenpaketes für die neuen Länder eingehen. Wir haben
in den letzten vier Jahren für das Gesundheitswesen in
den neuen Ländern sehr viel getan. Wir haben es modernisiert und zukunftsfähig gemacht.
({7})
Um das zu erläutern, will ich nur einige Punkte erwähnen. Die gesetzlichen Krankenkassen in Ostdeutschland
haben strukturell eine schlechtere Einnahmesituation. Die
Gründe dafür sind die schwierige wirtschaftliche Lage
und die hohe Arbeitslosigkeit. Mit der Reform des Risikostrukturausgleichs haben wir an diesem Punkt deutlich
gegengesteuert. Wir haben dafür gesorgt, dass die teilweise hoch verschuldeten Ostkrankenkassen auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden. Die dortigen Beitragssätze konnten an die der alten Länder angeglichen
werden.
Was tun Sie? - Sie stellen diese Solidarität infrage.
({8})
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagen vor
dem Bundesverfassungsgericht gegen den Risikostrukturausgleich. Was würde es für die neuen Länder bedeuten, wenn Ihre Pläne Wirklichkeit würden? - Die
Finanzsituation der Krankenkassen würde sich massiv
verschlechtern, die Versorgung wäre nicht mehr gesichert
({9})
und die Beitragssätze würden in die Höhe schnellen. Was
heißt das? Höhere Lohnnebenkosten und - um es mit Ihren
Worten zu sagen - „der Todesstoß für die ostdeutschen Unternehmen“. Dazu wird es aber nicht kommen und im Gesundheitswesen schon gar nicht.
({10})
Sie kündigen die Solidarität mit den neuen Ländern. Das
haben die Ostdeutschen begriffen und deshalb haben sie
Sie nicht gewählt.
Wir haben erkannt, dass die Einnahmesituation der
ostdeutschen Ärzte unbefriedigend ist. Wir haben die
Vergütungen für Ärztinnen und Ärzte stetig verbessert
und weiter angeglichen. Hierzu hat das Wohnortprinzip
bei Honorarverhandlungen, das 2002 in Kraft getreten
ist, beigetragen. Wir haben den Polikliniken in Ostdeutschland eine neue Chance gegeben. Wir haben die
Versorgung der Patienten damit deutlich verbessert. Weiterhin wurden 10 Milliarden Euro in die ostdeutschen
Krankenhäuser investiert. Damit wurde die stationäre
Versorgung zügig und nachhaltig modernisiert und ausgebaut.
Sie sehen: Die rot-grüne Bundesregierung hat das Gesundheitswesen in Ostdeutschland fest im Blick. Dies gilt
natürlich auch für die Maßnahmen, die wir heute beschließen wollen.
({11})
Dort, wo es nötig ist, tragen Ausnahmebestimmungen der
besonderen Situation in den neuen Ländern Rechnung. So
bleibt es bei den Regelungen zur Einführung des Wohnortprinzips: Bis 2004 können Honorarerhöhungen bis zu
6 Prozent vereinbart werden. Dafür stehen zusätzlich
184 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Kopfpauschale für die Versicherten in den neuen
Bundesländern wird von den bundesweit tätigen Betriebskrankenkassen auf das Durchschnittsniveau der anderen Kassenarten angehoben. Dadurch erhöht sich auch
hier die Honorarsumme für die ärztliche Versorgung um
rund 87 Milliarden Euro.
Es wurde behauptet, die Begrenzung der Honorarsteigerung würde den Ärztemangel in Ostdeutschland verschärfen. Sicher gibt es - in Ost wie West - in einigen Regionen Versorgungsprobleme. Aber von einem generellen
Engpass kann man nicht sprechen. Das Geschrei der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, wir hätten einen drastischen Ärztemangel, ist einfach verantwortungslos.
({12})
Es handelt sich um eine zielgerichtete Verunsicherung der
Menschen. Der Zuwachs gegenüber dem Vorjahr 2001 betrug 1 680 Vertragsärzte und -ärztinnen.
({13})
Meine Damen und Herren, das Durchschnittseinkommen der Ärzte in den neuen Ländern lag bereits 1998 bei
circa 96 Prozent. Man muss aber diese Einkommenssituation differenziert betrachten. Zum Beispiel haben sich
die Zahlungen der Krankenkassen über die Kassenärztlichen Vereinigungen an die Frauenärzte in Sachsen und
ebenfalls die Punktwerte in Sachsen-Anhalt tendenziell
nach unten entwickelt. So etwas darf nicht sein.
({14})
Dagegen liegen die Einkommen niedergelassener Fachärzte wie Radiologen und Urologen schon über dem
Durchschnitt der alten Bundesländer.
Auf der anderen Seite stehen die Hausärzte, deren
Einkommenssituation verbessert werden muss. Die Hausärzte können aber von den jetzt beschlossenen Chronikerprogrammen, den so genannten Disease-ManagementProgrammen für Diabetes und Brustkrebs, profitieren.
Die Kosten werden von den Krankenkassen zusätzlich finanziert und fallen nicht unter die Nullrunde.
({15})
Ärzte, die an diesen Programmen teilnehmen, können die
entgangenen Honorarzuwächse mehr als ausgleichen. Allein 60 Prozent der niedergelassenen Hausärzte, hausärztlich tätigen Internisten und Internistinnen profitieren von
diesen Programmen.
In der Anhörung - da waren Sie dabei - hat Professor
Lauterbach vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie
({16})
ebenfalls darauf hingewiesen,
... dass in Anbetracht der hohen Belastungen mit
chronisch Kranken in den neuen Bundesländern die
dort niedergelassenen Ärzte die Nullrunde überkompensieren können, allerdings nur durch eine verbesserte Qualität.
Ähnliches lässt sich auch für den Krankenhausbereich
sagen. Da ist für mich besonders wichtig, dass von der so
genannten Nullrunde für die Krankenhausbudgets die
BAT-Ausgleichsregelung und die Angleichung der Ostlöhne und -gehälter an den Westtarif unberührt bleiben.
Wir halten nämlich an der vollständigen Angleichung bis
zum Jahre 2007 fest. Das gilt, wie vorhin bereits gehört,
auch für den ambulanten Bereich.
({17})
Ein ganz zentraler Ausnahmetatbestand betrifft die
Krankenhäuser, die freiwillig ab 2003 das neue Abrechnungssystem nach Fallpauschalen anwenden. Diese
Krankenhäuser erhalten die vorgesehenen Steigerungsraten - das sind in den neuen Länder fast 2,1 Prozent. Da die
Frist für Nachmeldungen bis zum 31. Dezember verlängert wurde, werden viele Krankenhäuser von dieser Gelegenheit Gebrauch machen. Hier ist die nachhaltige Steigerung der Qualität das oberste Ziel.
Stimmen Sie im Bundesrat zu!
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Michalk von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Dass mit Beginn einer neuen Wahlperiode
manches erst zum Laufen gebracht werden muss - erst
recht, wenn man zwei neue Superministerien einrichtet -,
das weiß wohl jeder im Land; dafür kann man sogar Verständnis haben. Aber wie in den letzten zehn Tagen in jedem der beiden Superministerien jeweils ein Gesetz hervorgestampft wurde, das ist schon sehr erstaunlich. Das
möchte ich so kommentieren, indem ich Ihnen in meiner
Muttersprache eine Volksweisheit nahe bringe. Sie heißt:
Hdy��njezra�e j��, na woskobiznu so njeh�r� - Wenn du
Unreifes isst, klage nicht über stumpfe Zähne. Den Eindruck, dass diese Weisheit zutrifft, habe ich die ganze
letzte Stunde gehabt.
({0})
Weder volkswirtschaftliche Aspekte noch gesundheitsregionale oder gar versorgungsstrukturelle Argumente
wurden beachtet, geschweige verantwortungsvoll mit den
Betroffenen diskutiert und hier im Parlament beraten. Ich
habe in diesen Tagen ein ganz neues Verständnis von Parlamentsarbeit lernen müssen.
Mag sein, dass Sie von der rot-grünen Bundesregierung und von der Koalition noch jemanden finden, der Ihnen Ihr Beißwerk repariert. Aber die Menschen in unserem Land werden noch lange unter Ihrem klammernden
Biss leiden.
({1})
Mag vielleicht auch sein, dass Sie in der Hektik Ihres
Handlungszwanges - dieser Zwang ist unbestritten nicht jedes Detail, das für die Betroffenen wichtig ist, und
den vollen Ernst der Situation berücksichtigen konnten.
Aber dass Sie nicht wissen, wie unterschiedlich die Finanzierungsgrundlagen, die Budgets nach der Bundespflegesatzverordnung und die Finanzausstattung in den
Silvia Schmidt ({2})
neuen Bundesländern sind, zeigt sehr deutlich, dass Ihnen
die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht am Herzen
liegt.
({3})
Frau Bundesministerin, Sie haben in Ihrer Rede nur einen Absatz der wahrscheinlichen Entwicklung gewidmet.
Das ist zu wenig. Liebe Frau Kollegin Schmidt, die Krankenkassen in den neuen Bundesländern - das haben Sie
sehr richtig analysiert - haben Schwierigkeiten. Aber Sie
müssen auch richtigerweise sagen, dass die Krankenkassen in Sachsen auf gesunden Beinen stehen. Überall dort,
wo die SPD an der Regierung war, gibt es diese Probleme.
({4})
Ein Beispiel. Fachleute warnen schon länger davor und
die Menschen vor allem in den ländlichen Regionen
spüren es ganz deutlich: In den neuen Bundesländern
droht ein eklatanter Ärztemangel. Zum Teil ist er schon
da. Während im Bereich der niedergelassenen Ärzte der
Ärztemangel durch die Altersstruktur der praktizierenden
Ärzte Jahr für Jahr wächst - wir wissen, dass in den nächsten zehn Jahren etwa ein Drittel der niedergelassenen
Ärzte in den Ruhestand gehen wird -, ist der Ärztemangel
in den Krankenhäusern bereits Realität. In Sachsen zum
Beispiel gibt es rund 250 freie Arztstellen. Warum? Geringere Bezahlung und Überlastung durch untragbare
lange Arbeitszeiten ermutigen gerade junge Fachleute,
sich in lukrativeren Gefilden eine interessante Tätigkeit
zu suchen, meistens in den alten Bundesländern.
Hier ist die Bundesregierung gefragt. Aber zu diesem
Problem habe ich nichts gehört. Was tut sie? - Sie verordnet eine Nullrunde.
({5})
Ehrlicher ist es, diesen Vorgang als Kürzung zu bezeichnen;
({6})
denn 160 Euro pro Arzt und Monat verschwinden in anderen Kassentruhen. Bedenken Sie bitte einmal, dass eine
Arztpraxis in den neuen Bundesländern schon heute ein
Drittel weniger Personal hat! Ihre Maßnahmen werden zu
zusätzlichen Wartezeiten für die Patienten führen und eine
Verschlechterung der Behandlungsqualität wegen des
Zeitmangels des Pflegepersonals zur Folge haben. Das
wurde in der Anhörung deutlich.
Auf meine Frage nach der Umsetzung des Wohnortprinzips und den Maßnahmen hinsichtlich der zugesicherten Verbesserungen der Einkommenssituation wurde
ich auf die Verhandlungsgeschicke der jeweiligen Beteiligten verwiesen.
({7})
Angesicht der jetzigen Situation weiß man doch ganz genau, dass die dringend notwendige Einkommensverbesserung mehr als ungewiss ist und dass es sie wahrscheinlich nicht geben wird.
({8})
Noch ein Wort zur Finanzausstattung. Sie ist nicht
ausreichend; Finanzreserven existieren nicht. Wie unsere
mittelständischen Unternehmen leben auch die Krankenhäuser von der Hand in den Mund. Schon seit langem
werden notwendige Mittel klaglos erwirtschaftet: Beispielsweise werden Stellen gestrichen und wird bei
nachrückenden Mitarbeitern auf das Alter geachtet, weil
junge Mitarbeiter nach dem BAT weniger verdienen.
Sachkosten sind bereits maximal optimiert.
Das Signal, das von der rot-grünen Bundesregierung
und von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Regierungskoalition, ausgesandt wird, bedeutet weitere
Kündigungen. Was sollen die entlassenen, zumeist hoch
qualifizierten und sehr fleißigen und verlässlichen Frauen
und Männer zum Beispiel in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit schon bei 22 Prozent liegt, tun? Sie fallen in
die Perspektivlosigkeit.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Wo, bitte schön, soll noch
die Kaufkraft herkommen, die wir so dringend brauchen,
um die Wirtschaft anzukurbeln, wie es in Ihrer Regierungserklärung hieß? Ich sage Ihnen: Wer Preise fixiert
und Rabatte vorgibt, betreibt Planwirtschaft. Wozu Planwirtschaft führt, wissen wir, nämlich zum Bankrott. Das
werden Ihnen die Menschen in den neuen Bundesländern
nicht durchgehen lassen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Schaich-Walch
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, wir haben jetzt über viele Minuten hinweg aufmerksam zugehört, ob Sie denn irgendeinen Lösungsansatz
haben.
({0})
- Nicht einen!
({1})
Wir haben nur immer wieder gehört, was Ihnen alles nicht
gefällt, nie jedoch, was Ihnen denn gefallen würde. Das
einzige, das wir bisher von der FDP erfahren haben, ist,
welche Sendung sich Herr Parr im Fernsehen anschaut.
({2})
- Sie hatten die Chance, etwas zu sagen. Ich würde mit Ihnen gerne auch inhaltlich debattieren, wenn Sie denn etwas einbringen würden, mit dem man sich auseinander
setzen kann.
({3})
Das Gesetz, das wir hier einbringen, ist ein erster
Schritt. Wir müssen das so machen, um das Niveau der
Beitragssätze in der Zukunft zu sichern.
({4})
Außer im Arzneimittelbereich wird nichts gekürzt. Wir
setzen lediglich den Automatismus außer Kraft, dass die
Ausgaben im Gesundheitswesen Jahr für Jahr mit den
Löhnen steigen müssen. Mehr Geld gibt es demnächst nur
noch für mehr Qualität.
({5})
Mit dieser Maßnahme - die, wie ich glaube, durchaus zu
rechtfertigen ist, zumal wir sie auf ein Jahr begrenzen machen wir deutlich, dass dieses Gesetz nicht ein reines
Kostendämpfungsgesetz ist,
({6})
sondern strukturelle Elemente enthält und in Richtung
Qualität, Wirtschaftlichkeit und Effizienzoffensive weist.
Dies hat unser Gesundheitssystem durchaus nötig.
Wir beschleunigen den Prozess in dieser Richtung auf
zwei Feldern: Erstens geht es um die strukturierten Behandlungsprogramme. Jede Ärztin und jeder Arzt, der
bereit ist, entsprechend der vorgegebenen Qualität zu arbeiten, hat die Möglichkeit, die Budgets seiner Arbeit zu
erhöhen. Im Moment gibt es zwei Disease-ManagementProgramme; im Laufe des nächsten Jahres werden weitere
folgen. Damit haben auch diejenigen, die sich neu orientieren, die neue Versorgungselemente einführen, die endlich die Mängel innerhalb der einzelnen Sektoren in unserem Gesundheitswesen abbauen, die Chance, ihre
Budgets aufzustocken.
({7})
Den zweiten Anreiz setzen wir bewusst im Krankenhausbereich. Diejenigen Krankenhäuser, die sich bereits
für das Fallpauschalensystem entschieden haben, bekommen die Grundlohnrate, die für Ost bzw. West ausgeschrieben ist. Dabei haben wir den Ost-West-Ausgleich weiter im
Auge behalten; denn alle Ausnahmetatbestände - dazu
gehört auch die Möglichkeit, die BAT-Angleichung zwischen Ost und West in voller Höhe zusätzlich zu vergüten behalten ihre Gültigkeit. Wir werden in einer Gesundheitsreform im nächsten Jahr vorsehen, dass diese Anpassung
bis 2007 nicht nur im BAT-Bereich, sondern auch in allen
anderen Bereichen möglich wird, insbesondere für die im
ambulanten Bereich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Voraussetzung wird jedoch stets sein, dass wir dies
mit unseren Strukturveränderungen erwirtschaften.
({8})
Sie dagegen haben in der Vergangenheit über viele
Jahre hinweg Leistungskürzungen festgeschrieben, Jahr
für Jahr und jeweils in Milliardenhöhe.
({9})
Das einzige, was das letztlich gebracht hat, war der
Griff in das Portemonnaie der Versicherten, der Patientinnen und Patienten. Wir gehen mit diesem Gesetz bewusst einen anderen Weg. Wir wissen, dass wir von den
Leistungserbringern für das nächste Jahr viel erwarten,
aber sind uns ganz sicher, damit niemanden zu überfordern.
({10})
Ich möchte aus einer Presseerklärung des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte zitieren:
({11})
Wir Ärztinnen und Ärzte aus Kliniken und Praxen
sind bereit, ein Jahr lang auf Einkommenssteigerungen zu verzichten ..., wenn dadurch die solidarische
gesetzliche Krankenversicherung ... ausgebaut werden kann.
Sie tun es deshalb:
Weil wir unseren Platz nur in einem auf Solidarität
beruhenden Gesundheitswesen sehen, weil nur so die
Chancen auf Gesundheit für alle Bevölkerungskreise
gleich sein können und weil Armut und mangelhafte
Bildung nicht gleich bedeutend mit einem erhöhten
Krankheitsrisiko sein darf.
({12})
Das, so denke ich, ist ein wirklich solidarischer Beitrag. Wir sind dafür sehr dankbar.
Meine Damen und Herren, die GKV soll auch in Zukunft - das ist nicht nur das Anliegen der Ärztinnen und
Ärzte,
({13})
sondern auch das Anliegen der Menschen, der Regierung
und der sie tragenden Koalitionsfraktionen - alle medizinischen Leistungen, die notwendig sind, solidarisch zur
Verfügung stellen.
({14})
- So ist das. Man muss Ihnen das ganz deutlich sagen;
denn ich höre und lese von Ihnen, dass Sie permanent den
Ansatz haben, man könne alles privat absichern.
({15})
Ich bin der Überzeugung, dass das nicht tragfähig ist.
Wenn Sie sich die Beitragssatzentwicklung in der privaten Krankenversicherung ansehen, dann werden Sie feststellen, dass das kein Weg ist.
({16})
Grundlage muss bei uns weiterhin ein einheitlicher und
gemeinsamer Leistungskatalog und eine solidarische
Finanzierung sein. Nur auf diesem Weg können wir zu
mehr Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit in diesem System kommen. Der Weg der Privatisierung, der Grund- und
Wahlleistungen ist zum Scheitern verurteilt. Wir werden
den schwierigeren Weg der Strukturveränderungen in diesem System gehen.
({17})
Das wird, wie ich Ihnen schon sagte, voraussetzen,
dass wir im Wettbewerbsrecht weitreichende Veränderungen vornehmen. Wir benötigen nicht mehr so viele Krankenkassen wie jetzt. Die Krankenkassen, die wir haben,
müssen ein einheitliches Organisationsrecht haben. Es
muss das Recht der Wahl zwischen all diesen Kassen geben. Zudem kann es nicht sein, dass jemand in der einen
Krankenkasse besser versorgt ist als in der anderen.
Ein weiterer Punkt, auf den es sich noch einzugehen
lohnt, ist die Frage: Wie werden wir zwischen den verschiedenen Bereichen, dem Krankenhaus und der ambulanten Versorgung, einen Weg schaffen können? Das wird
nur mit einem veränderten Honorarsystem gehen und
nur dann, wenn die Gelder zwischen den Sektoren fließen
können, das heißt, wenn wir die Besoldung im ambulanten Bereich tatsächlich so wie im Krankenhausbereich regeln.
Noch ein paar Worte zur Rente: Herr Seehofer, wenn
Ihnen die Rente damals wirklich am Herzen gelegen hätte,
hätte 1998 der Beitragssatz nicht bei 20,3 Prozent gelegen - und dies auch nur deshalb, weil Sie die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöht hatten.
({18})
Aufgrund der Einnahmesituation sind wir jetzt gezwungen, die Beiträge zu erhöhen und die Schwankungsreserve abzusenken. Auch da brauchen Sie nicht in Geschrei auszubrechen, weil die Schwankungsreserve zu
Ihrer Zeit, 1996/1997, durchaus bei unter 0,6 lag.
({19})
Da gab es nie Zahlungsprobleme. Ferner haben Sie jetzt
die große Sorge, dass ein Beitragssatz von 19,5 Prozent
für viele zu hoch ist,
({20})
Dazu kann ich Ihnen klar und deutlich sagen: Diejenigen,
die im Monat 3 000 Euro verdienen, haben pro Monat
6 Euro mehr aufzubringen
({21})
und diejenigen, die pro Monat 5 100 Euro verdienen,
67,50 Euro pro Monat. Wir verstehen unter sozialer Gerechtigkeit, dass derjenige, der mehr tragen kann, auch
tatsächlich mehr trägt.
({22})
Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zur älteren
Generation, zur Heraufsetzung des Rentenalters sagen.
Wir haben im Gesetz das Rentenalter für alle, für Frauen
und Männer, auf 65 Jahre heraufgesetzt. Forderungen, die
darüber hinausgehen, entbehren jeglicher realistischen
Grundlage. Vielleicht sollten Sie das auch Herrn Stoiber
sagen.
({23})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Für die Gäste sage ich: Ich bin Abgeordnete
der PDS.
({0})
Das Beitragssatzsicherungsgesetz wird schon massiv
unterlaufen, bevor es durch den Bundestag beschlossen
ist. Es ist bereits jetzt klar, dass die Beiträge steigen werden, nicht nur bei der Rentenversicherung, sondern auch
bei der Krankenversicherung. Auf Millionen Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung werden zu
Beginn des neuen Jahres Beitragserhöhungen zukommen.
Der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse,
Eckart Fiedler, hat berechnet, dass es nicht eine Einsparung von rund 3 Millionen Euro
({1})
- Milliarden; danke schön, dass Sie so aufmerksam
zuhören - geben wird, wie es die Regierung ausgerechnet
hat, sondern nur eine Einsparung von 1 Milliarde Euro.
Bei der heutigen Beratung des Hartz-Gesetzes habe
ich bereits auf weitere Risiken für die Krankenkassen
durch die Umsetzung der Hartz-Vorschläge hingewiesen. Dabei habe ich nur die vorsichtigen Schätzungen
der Bundesregierung genannt. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ausfälle für die Kassen noch in die
Höhe schnellen.
Das heißt, die enormen Defizite der Kassen werden
nicht gedeckt. Die Konsequenz sind Beitragserhöhungen,
wie bereits bei 20 kleineren Betriebskrankenkassen geschehen. Die großen Kassen werden folgen; daran besteht
kein Zweifel. Die Gesundheitsministerin hat schon jetzt
Ausnahmeregelungen festgelegt, die die Kassen nutzen
werden und auch müssen, um ihre Zahlungsfähigkeit zu
sichern. Ausnahmeregelungen gibt es auch für die Krankenhäuser, die auf Fallpauschalen umgestellt haben bzw.
noch umstellen werden.
Die Bundesregierung versucht mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz an vielen Punkten in die richtige Richtung
zu gehen; das erkennen wir durchaus an.
({2})
Doch an den entscheidenden Stellen verlässt sie immer
der Mut.
({3})
Richtig ist es, die Arzneimittelausgaben zu verringern,
indem überhöhte Medikamentenpreise gesenkt und die
Gewinne der Pharmaindustrie zumindest etwas beschnitten werden. Auch eine Positivliste für Arzneimittel und
das Einfrieren der Verwaltungsausgaben der Kassen sind
seit langem überfällige und durchaus gerechtfertigte Maßnahmen. Wir übersehen ebenfalls nicht, dass Rot-Grün
das Solidarsystem erhalten und die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vordergründig durch
höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligung der Patienten
oder durch eine Einführung von Regel- und Wahlleistungen beheben will. Natürlich ist auch die Anhebung der
Versicherungspflichtgrenze, die die Schwelle für den
Übergang in eine private Krankenversicherung erhöht,
ein Schritt in die richtige Richtung.
Wir als PDS haben dazu schon eine Menge Vorschläge
unterbreitet. Aber man muss gar nicht auf unsere Vorschläge hören; man muss sich nur einmal in Nord- und
Westeuropa umschauen. Es wäre zum Beispiel ein Leichtes, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abzuschaffen.
Allein das beließe ungefähr 2 bis 3 Milliarden Euro an
Versicherungsbeiträgen bei den Krankenkassen, die sich
bisher der Fiskus aneignet. Da könnten wir von unseren
Nachbarn lernen, bei denen entweder gar keine Steuern
oder nur der halbe Steuersatz für Arzneimittel eingefordert wird. Was passiert hier? Es wird genau das Gegenteil
gemacht. Es ist schon in der Debatte erwähnt worden: Der
Steuersatz für Zahnersatz wird auf die volle Höhe von
16 Prozent angehoben. Das ist kontraproduktiv. Ich finde
das sehr verwunderlich, weil doch an anderer Stelle immer erklärt wird, dass man auf eine europäische Steuerharmonisierung hinwirken wolle. Warum also nicht bei
den Nachbarn das Gute lernen?
Auch einen anderen guten Vorschlag der PDS haben
Sie leider nicht aufgegriffen. Wir haben bereits mehrmals
vorgeschlagen, sozialpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld oder die Zahlungen bei Erkrankung des
Kindes durch einen Bundeszuschuss an die gesetzliche
Krankenversicherung zu finanzieren. Das würde weitere
1 bis 2 Milliarden Euro ausmachen.
Allein diese beiden Vorschläge würden den Krankenkassen circa 5 Milliarden Euro bringen und Sie
könnten sich alle sozialen Grausamkeiten sparen, Frau
Schmidt, wie zum Beispiel die Kürzung des Sterbegeldes oder die Nullrunde für die Beschäftigten des Gesundheitswesens. Sie sehen, es gibt Alternativen. Nutzen Sie diese!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Weiß von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Quersumme der rot-grünen Debattenbeiträge in dieser parlamentarischen Auseinandersetzung
um das Beitragssatzsicherungsgesetz zieht, kommt man
zu dem Ergebnis: Augen zu und durch; Augen zu und
durch, obwohl ganz Deutschland weiß, dass Rot-Grün
konzeptionell am Bettelstab und am Ende ist.
({0})
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmer
und Freiberufler wissen, dass die rot-grüne Politik in Verfahren und Inhalt ein ununterbrochenes Management-byChaos darstellt:
({1})
konzeptionslos, sinnlos und schamlos.
({2})
Der Sachverständigenrat drückt es vornehm aus. Er
spricht vom konzeptionslosen Herumdoktern an Symptomen, aber das, was Sie machen, ist auch sinnlos und schamlos.
({3})
Es ist sinnlos - wir können es bei einem Notar Ihrer Wahl
hinterlegen -, weil Sie die Belastungen der Betriebe und
Arbeitnehmer durch Ihre Politik nicht in den Griff bekommen werden.
({4})
Es ist schamlos, weil Sie vor der Wahl öffentlich die schon
lange absehbaren Beitragsanhebungen permanent und
wahrheitswidrig geleugnet haben.
({5})
Es ist schamlos, weil Sie ein Gesetz, das auf jeden Fall die
Erhöhung der Rentenbeiträge vorsieht, Beitragssatzsicherungsgesetz zu nennen wagen. Trotz massiver Beitragssatzanhebungen heißt dieses Gesetz großsprecherisch Beitragssatzsicherungsgesetz.
Es ist schamlos - darauf hinzuweisen liegt mir besonders am Herzen -, weil Sie durchs Land ziehen und eine
Wiedergeburt der Betriebsrente verheißen und gleichzeitig durch die jetzt vorgesehene sprunghafte Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung die
Betriebsrentenansprüche von 1,5 Millionen Menschen
um bis zu 150 Euro im Monat reduzieren wollen. Das ist
ein Vertrauensbruch gegenüber den Menschen, die diese
Form der Alterssicherung gewählt haben.
({6})
Gerald Weiß ({7})
Es gibt keine faire Übergangslösung, es gibt überhaupt
keine Übergangslösung an dieser Stelle.
Wer Beiträge anhebt und das Beitragssatzsicherung
nennt, wer betriebliche Alterssicherung propagiert und
zugleich Betriebsrenten kürzt, hat sie nicht mehr alle auf
dem Christbaum, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({8})
Es ist ja nicht so, dass Sie es nicht gemerkt haben. Die
SPD-Abgeordnete Susanne Kastner spricht in der „Süddeutschen Zeitung“ am 11. November von der „problematischen Nichtorientierung“ im Regierungslager. Glückwunsch zum Understatement des Jahres.
Ihr Fraktionskollege Gernot Erler pflichtet ihr in der
gleichen Zeitung angesichts des Déjà-vu-Erlebnisses bei
und spricht vom „Trauma 99“, das wieder in der Fraktion
umgehe.
Sie haben also doch gemerkt, was los ist, dass Sie nämlich nicht die richtigen Antworten auf die Probleme unserer Zeit haben und ein unglaublich schlampiges Gesetz
vorlegen. Wenn Sie auch sonst nichts beeindrucken sollte,
so sollte Sie zumindest noch beeindrucken, dass Ihr
Hochmut ausweislich der Umfrageergebnisse im freien
Fall befindlich ist.
({9})
Herr Dreßen, Frau Schaich-Walch, Sie haben gesagt,
die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge sei ja
nicht so schlimm. Dazu meine ich: Sie müssen das doch
insgesamt sehen: Es gibt höhere Krankenversicherungsbeiträge, höhere Rentenversicherungsbeiträge, die Stufen fünf und sechs der Ökosteuer und höhere Gas- und
Energiesteuern. Für einen Arbeitnehmer mit zwei Kindern und 35 000 Euro durchschnittlichem Jahreseinkommen bedeutet das eine Mehrbelastung von 236 Euro.
Ihre Politik führt doch zu einer Ausbeutung der kleinen
Leute.
({10})
Hinzu kommen noch der Riesenkahlschlag bei der Eigenheimzulage und die vorenthaltene Steuerreform. Es
gibt weniger netto für die Arbeitnehmer. Sie würgen die
Kaufkraft ab und verteuern die Arbeit. Damit machen Sie
Arbeitsplätze in Deutschland kaputt, und zwar auf dreifache Weise:
({11})
Mit Ihren Eingriffen in das Gesundheitswesen und Ihren
Nullrunden dort machen Sie unmittelbar Arbeitsplätze in
der Pflege und der medizinischen Versorgung kaputt und
gefährden damit deren Qualität entscheidend.
({12})
Herr Weiß, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Ich kann vor diesem Hintergrund nur Nein zu diesem
Machwerk sagen. Wir appellieren an Sie: Machen Sie
endlich langfristig tragfähige Reformen der sozialen Sicherungssysteme! Machen Sie eine Politik, die einen Vertrauensschutz für die Älteren und eine verlässliche Perspektive für die Jüngeren bringt.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir nehmen wiederum
eine große Zahl von schriftlichen Erklärungen gemäß § 31
der Geschäftsordnung zu Protokoll.1
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Beitragssatzsicherungsgesetzes, Drucksache 15/28. Der Ausschuss für Gesundheit und soziale
Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/73, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP und der fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? - Das ist der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Stimmen auszuzählen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
FDP auf Drucksache 15/96 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und bei Zustimmung der FDP und
einiger CDU/CSU-Abgeordneter und Enthaltung der übrigen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/27. Der Ausschuss für Gesundheit und soziale Si720
1 Anlagen 12 bis 15
cherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/74, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Schlussabstimmung unterbreche ich die Sitzung für einige Minuten.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 574, mit Ja haben gestimmt 303, mit Nein haben gestimmt 271. Es gab
keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 373;
davon
ja: 302
nein: 271
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann
({10})
Iris Hoffmann ({11})
Frank Hofmann ({12})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({13})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({14})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({15})
Christian Müller ({16})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({17})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({18})
Michael Roth ({19})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({20})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({21})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({22})
Ulla Schmidt ({23})
Silvia Schmidt ({24})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dagmar Schmidt ({25})
Wilhelm Schmidt ({26})
Heinz Schmitt ({27})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({28})
Reinhard Schultz
({29})
Swen Schulz ({30})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({31})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({32})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({33})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({34})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({35})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({36})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({37})
Volker Beck ({38})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({39})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Anja Hajduk
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({40})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({41})
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({42})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({43})
Werner Schulz ({44})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({45})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({46})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({47})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({48})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({49})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({50})
Dirk Fischer ({51})
Axel E. Fischer
({52})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({53})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder
({54})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({55})
Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({56})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({57})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({58})
Stephan Mayer ({59})
Cornelia Mayer
({60})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Martin Mayer
({61})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({62})
Doris Meyer ({63})
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({64})
Bernward Müller ({65})
Bernd Neumann ({66})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Helmut Rauber
Christa Reichard ({67})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({68})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({69})
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({70})
Andreas Schmidt ({71})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({72})
Michael Stübgen
Michaela Tadjadod
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Angelika Volquartz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({73})
Gerald Weiß ({74})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({75})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({76})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({77})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({78})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({79})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Wolfgang Kubicki
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({80})
Eberhard Otto ({81})
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
fraktionslos
Petra Pau
({82})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 3. Dezember 2002, 10 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.