Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/15/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Der Ältestenrat hat vereinbart, dass in der Haushaltswoche vom 2. Dezember 2002 keine Regierungsbefragung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurfs zur Einbeziehung beurlaubter Beamter in die kapitalgedeckte Altersversorgung zu erweitern und jetzt gleich als Zusatzpunkt 9 ohne Aussprache aufzurufen. Sie sind damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 5 sowie den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 9 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Korrektur des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 - Drucksache 15/45 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung beurlaubter Beamter in die kapitalgedeckte Altersversorgung - Drucksache 15/97 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 15/45 und 15/97 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen die Feder- führung beim Finanzausschuss, die Fraktion der CDU/CSU wünscht die Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der CDU/CSU - Federführung beim Innen- ausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei- sungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, also für die Feder- führung beim Finanzausschuss? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- men von CDU/CSU und FDP angenommen. Damit liegt die Federführung beim Finanzausschuss. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USAauf der Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({3}) und 1373 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 15/37, 15/67 Präsident Wolfgang Thierse Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({5}) Dr. Friedbert Pflüger Dr. Ludger Volmer b) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/70 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau Lothar Mark Herbert Frankenhauser Jürgen Koppelin Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gernot Erler, SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag wird heute mit großer Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des deutschen Beitrags für die Mission Enduring Freedom zustimmen. Auch die SPD-Fraktion wird dies mit großer Einmütigkeit tun. Aber auch diesmal hat es sich keiner von uns leicht gemacht. Wir haben eine intensive und sorgfältige Beratung hinter uns und das ist auch notwendig; denn der Einsatz in Afghanistan ist der komplizierteste und der gefährlichste, den die Bundeswehr zurzeit durchführt. Was ist Enduring Freedom? Es ist und bleibt die militärische Antwort auf den 11. September 2001. An diesem Einsatz sind 70 Länder beteiligt. Er steht auf der sicheren völkerrechtlichen Grundlage der beiden Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373. Dieser Einsatz richtet sich gegen die Täter des 11. September 2001, gegen das Netzwerk von al-Qaida, gegen die Organisations- und Ausbildungszentren der Terroristen und gegen ihre Beschützer, das Regime der Taliban. Zu dieser militärischen Antwort auf den 11. September 2001 gab und gibt es keine Alternative. ({0}) Attentäter brachten 3 000 Menschen den Tod. Sie haben Millionen von Menschen geschockt und verunsichert. Dabei gab es keinerlei Vorankündigung. Es geschah, ohne dass irgendeine erfüllbare Forderung gestellt wurde, und es gab keinerlei Verhandlungschance, weder vorher noch nachher. Das Regime der Taliban war nicht bereit, die Tätigkeit der terroristischen Netzwerke zu unterbinden und die Befehlshaber für den Mord an Tausenden von unschuldigen Zivilisten auszuliefern. Der Begriff Selbstverteidigung ist in der Geschichte oft missbraucht worden. In diesem Fall aber wenden ihn die Vereinten Nationen mit Recht an. ({1}) Enduring Freedom ist die Wahrnehmung unserer Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung, gegenüber potenziellen künftigen Opfern. Dieser Pflicht entsprechend hat Enduring Freedom einen klar umrissenen Auftrag und ein klar umrissenes Ziel, nämlich neue Anschläge von dort zu verhindern, wo sie vorbereitet und organisiert wurden, in Afghanistan die logistische Basis von al-Qaida zu zerschlagen und das Regime, das die Terroristen unterstützt hat, zu entmachten, zu verjagen und an jeder Rückkehr zu hindern. Ein Jahr ist vorbei. Es ist Zeit, eine nüchterne und ehrliche Bilanz zu ziehen. Es hat Erfolge gegeben. In Afghanistan sind die Basen der Terroristen zerstört, aus den Jägern sind Gejagte geworden. Sie haben ihre Beschützer, das Regime der Taliban, verloren. Erst Enduring Freedom hat die Voraussetzungen für einen politischen Neuanfang im Lande geschaffen und dabei einen 22 Jahre dauernden Bürgerkrieg beendet. Dies hatte einen hohen Preis: Zerstörungen im Lande und zahlreiche zivile Opfer. Doch trotz all dieser Anstrengungen konnte der Auftrag bisher noch nicht vollständig erfüllt werden. Die wichtigen Führer Osama Bin Laden und Mullah Omar sind bisher nicht gefasst worden. Es gibt im Lande nach wie vor Reststrukturen und auch noch handlungsfähige Einheiten von al-Qaida. Es gibt Reorganisationsversuche der Taliban. Dies macht sich bemerkbar durch Anschläge auf die neue Interimsregierung, auf die Einheiten von Enduring Freedom und auch die Schutztruppe ISAF. Dies sind Anschläge auf das neue Afghanistan. Die Netzwerke des Terrors beweisen auch sonst weltweit ihre Handlungsfähigkeit - ich nenne hier die Stichworte Djerba, Bali und den Tanker „Limburg“ -, ohne dass wir genau wissen, wo diese Anschläge geplant oder organisiert werden. Dies für sich genommen ist schon ein ausreichender Grund, den bewaffneten Druck auf die Reststrukturen von al-Qaida und Taliban vor Ort in Afghanistan aufrechtzuerhalten und fortzusetzen. Dies ist unser Schutzauftrag, unsere Verpflichtung, um jede Wiederholungstat zu vermeiden. Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb Enduring Freedom fortgesetzt werden muss. Warum ziehen sich denn diese Resteinheiten nicht zurück und riskieren nach wie vor Anschläge auf die Neuordnung in Afghanistan, auf den Wiederaufbau? Sie machen dies auch deshalb, weil die Netzwerke des Terrorismus hierin eine exemplarische Auseinandersetzung sehen. Die Augen vieler Länder sind darauf gerichtet, was aus diesem Testfall Afghanistan wird. Es gibt den Weg der internationalen Gemeinschaft. Er setzt auf eine Gesellschaft der Partizipation aller ethnischen Gruppen, auf Versöhnung, auf die Rückkehr der Flüchtlinge, auch auf die Rückkehr aus dem Exil und langfristig auf die Perspektive einer demokratischen Gesellschaft, aber nicht eine durch Oktroi oder durch Zwang, sondern in Form einer Selbstfindung Afghanistans, in Form einer Wiedergeburt der afghanischen Identität. Deutschland hat wichtige Beiträge zum Erreichen dieses Ziels geleistet, zum Beispiel durch humanitäre Hilfe, die nach wie vor geleistet werden muss, durch seine Beiträge zu dem so genannten Post-Taliban-Prozess - das ist in dem so genannten Petersberg-Agreement besonders deutlich geworden, das bis heute die Grundlage für den neuen, hoffnungsvollen Weg Afghanistans darstellt - und durch viele Hilfen, die es beim Wiederaufbau besonders der Polizei und des Bildungswesens - darauf wird in dieser Debatte noch eingegangen werden - geleistet hat. ({2}) Wir erklären, dass wir die Botschaft, die Kofi Annan von diesem Rednerpult aus an uns gerichtet hat, verstanden haben: Nur ein andauernder, nachhaltiger Einsatz wird auch zu einem nachhaltigen Frieden in Afghanistan führen. Wir rufen auch alle anderen Länder auf, in ihren Bemühungen, diesen Einsatz zu einem Erfolg zu machen, nicht nachzulassen. ({3}) Denn wir wissen, welche Bedeutung dieser Einsatz hat und was es bedeuten würde, wenn es zu einem späten Triumph der Terroristen in dem Sinne käme, dass in Afghanistan eine Gesellschaft des Fanatismus, des Hasses, der Unterdrückung, der inneren Gewalt und womöglich auch der Logistik des Terrorismus zurückkehren würde. Die Menschen in Afghanistan müssen wissen, dass es richtig war, sich von al-Qaida und den Taliban abzuwenden. Aber dafür brauchen sie fortdauernd unseren Schutz und unsere Unterstützung. Das bedeutet, dass wir weiter die Mission Enduring Freedom brauchen; denn sie alleine kann einen späten Triumph der Terroristen, der völlig inakzeptabel wäre, verhindern. ({4}) Dieser Einsatz ist die einzige Überlebenschance für eine politische Antwort auf den Terrorismus. Wir befinden hier nicht über irgendeine militärische Mission, sondern darüber, ob die politische Antwort auf die globale Herausforderung des Terrorismus, die am 11. September letzten Jahres begonnen hat, eine Chance bekommt. In diesem Sinne tun wir heute das, was wir tun können, indem wir dem gefährlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan eine möglichst breite parlamentarische Unterstützung geben. Ich verbinde das abschließend mit dem Dank und der Anerkennung für diesen Einsatz. Ich kann nur sagen: Glück und Sicherheit auf allen Wegen für die Bundeswehr in Afghanistan! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass unsere eigene Sicherheit durch den transnationalen Terrorismus bedroht ist, dann hat ihn das Tonband vom vergangenen Mittwoch geliefert, das mutmaßlich von Osama Bin Laden stammt. Es enthält nämlich auch Drohungen gegen Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada und Australien. Es waren ja auch Deutsche unter den Toten von Djerba und Bali. Die Botschaft der Terroristen war die gleiche wie schon am 11. September: Unser Hauptfeind sind die USA. Haltet euch raus; dann geschieht euch nichts! - Es wäre fatal, wenn dieser Botschaft gefolgt würde, wenn es Bin Laden gelingen würde, unsere Antiterrorallianz zu spalten und damit zu schwächen. Über kurz oder lang würden wir dann erst recht zum Ziel terroristischer Anschläge. Es gibt gegenüber Terroristen kein Appeasement. Mit ihnen gibt es nichts zu verhandeln. Nur gemeinsam in der internationalen Antiterrorkoalition können wir den transnationalen Terrorismus besiegen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt deshalb dem Antrag der Bundesregierung zur weiteren Beteiligung deutscher Soldaten an Enduring Freedom zu. Wir danken unseren Soldaten dafür, dass sie seit nunmehr einem Jahr auch in diesem gefährlichen Einsatz so erfolgreich für unsere Sicherheit eintreten. ({0}) Ich möchte daran erinnern, dass es kaum ein Jahr her ist, da wäre die Bundesregierung an dieser Frage fast gescheitert. Scharenweise haben sich Abgeordnete der Grünen und der SPD von dieser Linie abgesetzt. Der Bundeskanzler musste die Notbremse der Vertrauensfrage ziehen; sonst wäre seine Regierung vor die Wand gefahren. Damit das nicht wieder passiert, haben Sie die Debatte diesmal möglichst niedrig gehängt und haben gesagt, es handle sich um ein unverändertes Mandat. Das haben Sie immer wieder betont, nach dem Motto: Ihr habt damals zugestimmt, also könnt ihr auch jetzt zustimmen. Es ist richtig: Es handelt sich um ein unverändertes Mandat. Allerdings haben wir es mit einer deutlich veränderten Sicherheitslage zu tun: in Afghanistan selbst, aber auch in der Region und vor allem vor dem Hintergrund der Irakkrise. Eine weitere Zuspitzung dort hätte unzweifelhaft Auswirkungen auf die Einsätze im Rahmen von Enduring Freedom. Der Bundeskanzler und der Außenminister haben gesagt, es gebe keine deutsche Beteiligung an militärischen Maßnahmen gegen den Irak. Aber es gibt Überlappungen bei den Einsatzgebieten, insbesondere für unsere Marine und möglicherweise auch für die in Kuwait stationierten ABC-Spürpanzer. Außerdem könnte es Rückwirkungen auf unsere KSK-Kräfte in Afghanistan haben, wenn sich die USA verstärkt auf den Irak konzentrieren würden. In den Unterlagen, die wir zur Abstimmung bekommen haben, heißt es, die KSK-Kräfte sollten „eine eigenständigere Rolle“ übernehmen. Damit bin ich beim Irakdilemma der Bundesregierung. Der Bundeskanzler hat die UN-Resolution begrüßt, für deren Zustandekommen die Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts getan hat; das Gegenteil ist vielmehr der Fall. ({1}) Das Lob aus Bagdad, Herr Außenminister, sollte die Bundesregierung wenigstens nachdenklich machen. Bezeichnend für deren Schlingerkurs in der Irak-Frage ist das Hin und Her um die ABC-Spürpanzer. Sie sind im Rahmen von Enduring Freedom in Kuwait stationiert. Aber was soll mit diesen ABC-Abwehreinheiten geschehen, wenn es zu militärischen Maßnahmen gegen den Irak kommt? Der Bundeskanzler im Frühjahr: Die Spürpanzer bleiben, auch im Fall eines einseitigen Vorgehens der Amerikaner. Ihr Abzug hätte nicht absehbare Folgen für das deutsch-amerikanische Verhältnis der nächsten 30 bis 50 Jahre. - Verteidigungsminister Struck im Wahlkampf: Die Spürpanzer werden zurückgezogen. - Verteidigungsminister Struck nach der Wahl: Die Spürpanzer bleiben; ihr Abzug wäre außenpolitisch fatal. - Verteidigungsminister Struck Anfang November: Die Frage ist rein theoretischer Natur; niemand weiß, ob es einen Angriff auf den Irak gibt. ({2}) Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Herr Kollege Beck, hat vorgestern gesagt, falls Amerika den Irak angreife, müsse in jedem Fall ein neuer Beschluss des Bundestages darüber herbeigeführt werden, was aus den deutschen Fuchs-Panzern werden solle. ({3}) Nur, Herr Kollege, was passiert in der Zeit zwischen einem möglichen Kriegsbeginn und der Verabschiedung eines solchen Bundestagsbeschlusses? Sollen die deutschen Soldaten in Kuwait so lange die weiße Fahne hissen, so wie 1991 weiße Betttücher aus deutschen Wohnzimmerfenstern hingen, als die internationale Koalition gegen Saddam Husseins Überfall auf Kuwait vorging? ({4}) Wären die deutschen Abwehrkräfte nicht zur Nothilfe verpflichtet, wenn Saddam Hussein chemische oder biologische Waffen gegen unsere Verbündeten einsetzen würde? Präzise gefragt, Herr Außenminister: Was geschieht, wenn der Sicherheitsrat nach der Feststellung eines ernsthaften Verstoßes gegen die UN-Resolution die angedrohten ernsthaften Konsequenzen zieht und die Weltgemeinschaft dann mit militärischen Mitteln gegen den Irak vorgeht? Die Bundesregierung muss hier rechtzeitig Klarheit schaffen, nicht erst dann, wenn militärische Auseinandersetzungen begonnen haben. Das ist sie auch unseren Soldaten schuldig. ({5}) Die fehlende Klarheit in der Irakpolitik der Bundesregierung kann auch für die Kräfte der Marine zu Problemen führen. Im Rahmen von Enduring Freedom gehören alle Seegebiete zu ihrem Einsatzgebiet, die an die Arabische Halbinsel und an Nordostafrika angrenzen. Zu den Aufgaben unserer Marinekräfte zählt auch, anderen Schiffen Geleitschutz gegen terroristische Angriffe zu geben. Ich frage Sie, Herr Außenminister: Gilt dieser Auftrag auch dann fort, wenn diese Schiffe im Fall einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak Nachschub für die gegen den Irak kämpfenden Streitkräfte transportieren? Hier müssen Sie endlich Klarheit schaffen. Typisch für den außenpolitischen Nebel, den Sie hier verbreiten, waren die Aussagen Ihres früheren Adlatus Volmer am vergangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss. ({6}) Herr Volmer, zunächst haben Sie die UN-Resolution gelobt und gesagt - ich habe es mir aufgeschrieben -: Auf dieser Basis wollen wir jetzt gemeinsam handlungsfähig werden. Ergänzend haben Sie gesagt: Aber die militärische Eskalationsschwelle darf nicht überschritten werden. - Trotzdem haben Sie gehofft - ich habe es mir wörtlich aufgeschrieben -, „dass die UN die Kraft haben, Saddam Hussein zu nötigen, alle Bedingungen zu erfüllen“. Wenn die Bundesregierung jetzt endlich dazu beitragen will, dann muss sie erklären, dass sie eventuell erforderliche ernste Konsequenzen der Weltgemeinschaft gegen Saddam Hussein unterstützt. Es geht nicht, dass Sie im Sicherheitsrat zustimmen und danach weiterhin abseits stehen. Lassen Sie mich noch zu einem zweiten Themenkomplex kommen, der ebenfalls im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus steht, nämlich Tschetschenien. Die bekannte russische Korrespondentin Anna Politkowskaja, die auch jetzt noch kritische Berichte aus dem Kriegsgebiet liefert, hat in dieser Woche im „Spiegel“ wörtlich gesagt: Die Zahl möglicher Selbstmordattentäter ist sprunghaft angestiegen, weil die Armee in diesem Jahr auf besonders brutale Art so genannte Säuberungsaktionen durchgeführt hat - so, als wolle man den Terrorismus geradezu hervorrufen. Das hat auch bislang gemäßigte Kräfte radikalisiert. Herr Bundeskanzler, diese Problematik haben Sie bei Ihrem Treffen mit Putin in Oslo offensichtlich nicht angesprochen. ({7}) Die Schlagzeilen zu den Artikeln, in denen über dieses Treffen berichtet wird, lauten allesamt so oder ähnlich: „Schröder lobt Putins Tschetschenien-Politik“; er habe „gute Ansätze“ gesehen. Herr Bundeskanzler, Memorial und andere Menschenrechtsorganisationen waren entsetzt. ({8}) Sie haben - daran möchte ich erinnern - die Kritik an Ihren Äußerungen zur amerikanischen Irakpolitik zurückgewiesen und der Opposition Leisetreterei vorgeworfen, mit der man in der Irakfrage gegenüber den Amerikanern nichts erreiche. Sie haben die amerikanische Regierung als Abenteurer bezeichnet und das damit gerechtfertigt, dass man sich unter Freunden schließlich auch offen die Meinung sagen können müsse. ({9}) Herr Bundeskanzler, wenn man Sie mit Putin in der Talkshow mit Alfred Biolek gesehen hat oder wenn man die Berichte über Ihre gemeinsame Schlittenfahrt mit dem russischen Präsidenten noch in Erinnerung hat, dann kommt man zu der Erkenntnis, dass der Eindruck eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Ihnen und dem russischen Präsidenten vermittelt werden sollte. ({10}) Wo sind denn nun die klaren Worte von Schröder zur Tschetschenien-Politik seines Freundes Putin geblieben? ({11}) Gegenüber Präsident Bush und den USA hat der Bundeskanzler als Tiger die Zähne gefletscht und gebrüllt; gleichzeitig hat er sich Putin als Bettvorleger angedient. ({12}) Es wird höchste Zeit, dass die Außenpolitik der Bundesregierung Maß und Orientierung zurückgewinnt. ({13}) Ich erwarte von der Bundesregierung auch, dass sie den Protest, den der Presseattaché der russischen Botschaft gegen die Berichterstattung der ARD im Zusammenhang mit der Geiselnahme jetzt vorgebracht hat - von diesem hat die ARD das Außenministerium informiert -, zurückweist und sich hinter die freie und ungehinderte Berichterstattung der ausländischen Korrespondenten in Russland stellt und damit wenigstens ein Zeichen dafür setzt, dass man sich in Sachen Pressefreiheit und Tschetschenien-Politik Russlands nicht alles diktieren lässt, wie es der russische Präsident offensichtlich möchte. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der internationale Terrorismus ist die größte Gefahr für unsere Sicherheit. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir, eingebunden in das Bündnis mit unseren Partnern, zusammenstehen. Es ist sicherlich allen klar, wie wichtig der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, der Bundeswehr, aber auch vieler anderer ziviler Helfer in diesem Zusammenhang ist. Wenn es auch keinen formellen Zusammenhang gibt, ist der Wiederaufbau in Afghanistan doch ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes gegen den Terrorismus. Das humanitäre Engagement in Afghanistan und die Fähigkeit, den Wiederaufbau unter schwierigsten Bedingungen voranzubringen, stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Mandat, das wir heute beschließen wollen. ({0}) Insofern möchte ich mich im Namen der Bundesregierung bei der größten Oppositionsfraktion recht herzlich für die Zustimmung bedanken. Lassen Sie mich dennoch die gestrige Debatte, in der Sie Deutschlands Rolle und unser Verhältnis zur NATO beschrieben haben, und Ihre heutigen Ausführungen - ich sehe darin durchaus einen Zusammenhang - vergleichen. Wir stellen im Rahmen von Enduring Freedom die meisten Truppen nach den USA und leisten damit auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir die Risiken gemeinsam schultern wollen, einen entsprechenden Beitrag. Unsere Leistungen im Zusammenhang mit der Friedensmission der Vereinten Nationen, ISAF, und unser umfassendes Engagement finden breite Unterstützung. Daher stelle ich fest, dass das, was Sie gestern dargestellt haben, nicht stimmt, Herr Schäuble. ({1}) Die Union ist mit uns einer Meinung, dass der internationale Terrorismus die größte Gefahr darstellt. Sie haben aber gestern im Zusammenhang mit der Frage, wie diesen Bedrohungen zu begegnen ist, im Plenum so getan, als sei die Bundesregierung nicht seit dem 11. September 2001 zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Union in die Staatengemeinschaft - unter anderem steht der deutsche Innenminister mit dem amerikanischen Innenminister in Verbindung - eingebunden. Ich konnte mich kürzlich bei meinem Besuch in Spanien davon überzeugen, wie wichtig das ist. Sie aber tun so, als ob keine Vorsorge getroffen würde, als wenn ich nicht seit Monaten die Ausschüsse, vor allem den Auswärtigen Ausschuss, darüber unterrichten und den Abgeordneten unsere Sorge darstellen würde. Sie bleiben in einem entscheidenden Punkt völlig unpräzise - auch Herr Polenz hat das heute getan -: Wenn der internationale Terrorismus die Gefahr Nummer eins ist und diese Gefahr heute mitnichten als erledigt betrachtet werden kann - wir befürchten im Gegenteil, dass der Terrorismus wieder zuschlagen kann, wie es in Djerba und Bali der Fall war -, dann müssen Sie mir eine Prioritätensetzung in Bezug auf den Irak erklären. Wenn Sie meinen, dass dabei die Frage der Massenvernichtungsmittel im Vordergrund steht, halte ich Ihnen entgegen, dass Sie eine Bedrohungsanalyse zur Frage der Trägersysteme und der Nuklearprogramme vornehmen müssen, und frage Sie in diesem Zusammenhang, ob Sie nach einer solchen Analyse tatsächlich auf den Irak kommen. Die entscheidende Frage ist doch, ob eine solche Prioritätensetzung nicht vielmehr zu dem kontraproduktiven Ergebnis einer Stärkung der terroristischen Gefahr statt zu ihrer Schwächung führen würde. Das ist meine große Sorge, meine Damen und Herren. ({2}) - Bitte, Herr Kollege Schäuble.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Schäuble, Sie haben die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesaußenminister, würden Sie mir zustimmen, dass das Thema Irak auf dem NATO-Gipfel vermutlich eine zentrale Rolle spielen wird, und können Sie mir vor diesem Hintergrund erklären, warum Sie gestern in Ihrer Regierungserklärung zum Thema NATO-Gipfel das Wort Irak nicht in den Mund genommen haben? ({0})

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Natürlich habe ich das Thema Irak angesprochen, nämlich gerade vor ein paar Sekunden, Herr Schockenhoff. Herr Schäuble, es ist ganz einfach so: Am vergangenen Donnerstag fand die erste Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Verlängerung des Mandats für Enduring Freedom statt. ({0}) - Langsam! Sie haben gefragt, ich antworte. - Am vergangenen Donnerstag, als wir über die Verlängerung des Mandats für Enduring Freedom diskutiert haben, habe ich ausdrücklich auch unsere Bedenken im Zusammenhang mit dem Irak vorgetragen und erklärt, weshalb wir der Meinung sind, dass diese Prioritätensetzung falsch ist. Sie können dazu gerne anderer Meinung sein. Aber unter dem Gesichtspunkt Kampf gegen den Terrorismus ist das eine falsche Prioritätensetzung. Darüber haben wir letzten Mittwoch gesprochen. Heute ist die dritte und abschließende Lesung zu Enduring Freedom. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang nur sagen: Beim NATOGipfel wird der Irak eine Rolle spielen. Unsere Position ist unzweifelhaft. Der Bundeskanzler hat sie in seiner Regierungserklärung vorgetragen. Auch andere haben mehrmals im Plenum auf sie verwiesen: Wir halten dies für eine falsche Prioritätensetzung. Unsere Position ist an diesem Punkt ganz klar. ({1}) Die Lösung von Regionalkonflikten ist für mich die zweite Priorität. Sie müssen sich dazu die Ursachenentwicklung anschauen. Gerade gestern haben wir eine besonders wichtige Entscheidung getroffen. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine nicht unmaßgebliche Rolle dabei gespielt, dass es schließlich zu einer positiven Entscheidung bei der Biowaffenkonvention gekommen ist. Sie stand kurz vor dem Scheitern. Ich frage mich: Wenn die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen als zentrales Sicherheitsrisiko angesehen wird, haben wir gerade als ein Staat, der alle einschlägigen Konventionen unterschrieben hat, ein Interesse an einem schärferen Nichtverbreitungsregime, oder haben wir ein Interesse daran, dass das vorhandene Nichtverbreitungsregime letztendlich völlig in die Blockade gerät? Ich sage Ihnen: Wir haben ein Interesse an einer schärferen Nichtverbreitungspolitik. Am gestrigen Tag hat die Bundesrepublik Deutschland Entscheidendes dazu beigetragen. ({2}) Sie wissen doch, wie die internationale Lage bei den Chemiewaffen und den Biowaffen ist, verehrter Herr Schäuble. Wenn man diese Waffensysteme als zentrales Risiko darstellt, dann verstehe ich nicht, warum man eine Verschärfung, einen Ausbau und eine effizientere, punktgenauere Form dieses Regimes nicht an die erste Stelle setzt. Auch diese Diskussion müssen wir im Bündnis führen. ({3}) Denn wenn ich der Meinung bin, dass dies ein Hauptrisiko darstellt, dann muss ich entsprechende vorbeugende Strukturen haben. Sie sind im internationalen Vertragsregime vorhanden. Dies muss fortentwickelt werden, wofür wir uns stark engagieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Gerne.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Außenminister, halten Sie es für eine Verschärfung des Regimes über Biowaffenkontrolle und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, von der Sie gerade gesprochen haben, wenn jemand Massenvernichtungswaffen hat, von den Vereinten Nationen deswegen sanktioniert wird, diese Sanktionen nicht einhält und missachtet und dann ungestraft davonkommt? ({0})

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Kollege Schmidt, ich will Ihnen Ihre Frage gerne beantworten. Wann waren Sie der Meinung, dass das Sanktionsregime nicht mehr ausreicht? Noch Ende Mai - das wissen Sie nur zu gut - hat der VN-Sicherheitsrat die so genannten Smart Sanctions beschlossen. Parallel dazu begann die Debatte. Bis dahin habe ich von Ihnen nicht gehört, dass schärfere Maßnahmen bis hin zum Militärschlag ins Auge gefasst werden sollten. Erst als an anderer Stelle diese Debatte begann, waren auch Sie dieser Meinung. ({0}) Ich sage ganz klar meine Position: Ich bin nicht der Meinung, dass seit 1991/92, also zu der Zeit, als die CDU/CSU die Regierungsverantwortung hatte, gegenüber Saddam Hussein eine Appeasement-Politik gemacht wurde - eindeutig nein. Die Sanktionen haben gewirkt - ich will jetzt nicht in die Zukunft schauen -, aber daraus können eine Reihe von Problemen erwachsen. Für mich ist der entscheidende Punkt: Das Sanktionsregime hat gewirkt. Wir haben Ende Mai verbesserte Sanktionen beschlossen, die mehr Möglichkeiten bieten, der Bevölkerung im Rahmen des Oil-for-Food-Programms mit größeren Lieferungen zu helfen. Auf der anderen Seite wurde eine schärfere Kontrolle bei Dual-Use-Gütern, bei Gütern, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, und bei Beschaffungsaktivitäten des Irak durchgesetzt. Ich nehme die UN-Resolution ernst und hoffe, dass das Regime in Bagdad diese Resolution erfüllen wird. Was Sie damit nicht erreichen, ist die Ablösung dieses Diktators. Das steht außer Zweifel. Das ist also die Antwort. ({1}) - Sie dürfen sich setzen. ({2}) Für mich ist die Prioritätensetzung klar. Für mich ist die erste Priorität der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die zweite Priorität ist für mich, dass wir uns an die Lösung der Regionalkonflikte machen. Wenn mich etwas im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen besorgt macht, dann ist es vor allem der indisch-pakistanische Konflikt als Regionalkonflikt, der wirklich die Gefahr in sich birgt, nuklear zu eskalieren. Dazu gehört der Nahostkonflikt. Dazu, Herr Polenz, gehört auch der Kaukasus, und zwar der nördliche wie der südliche Kaukasus. Ich frage mich nur, ob Sie mit Ihrer Strategie, die Sie sozusagen subkutan permanent nach vorn schieben, der Prioritätensetzung „Die Hauptgefahr für uns ist der internationale Terrorismus“ gerecht werden oder nicht. Ich meine, dass Sie ihr nicht gerecht werden. ({3}) Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir im Kampf gegen den Terror nicht nachlassen, und zwar auf beiden Ebenen nicht nachlassen: auf der militärischen, der polizeilichen und der geheimdienstlichen Ebene sowie bei der Beförderung von Modernisierungsprozessen, beim Wiederaufbau und bei der humanitären Hilfe. Es geht darum, dass eine große Region eine Perspektive bekommt, dass sich Menschen nicht ausgegrenzt fühlen, sodass der Terrorismus bei ihnen keinen Nährboden findet. Das ist auch die entscheidende Diskussion im Zusammenhang mit dem Irak. Da stellt sich die Frage - diese Frage stellen Sie sich doch genauso wie wir -, ob die USA dann, wenn sie ihre militärischen Machtmittel einsetzen, was sie ohne jeden Zweifel können, tatsächlich bereit sind, in dieser hochgefährlichen Region dauerhaft mit einer großen Militärmacht für Frieden und Stabilität einzustehen. Darüber, welche Konsequenzen es hat, wenn die USA das nicht tun, haben wir im Ausschuss gesprochen. Herr Polenz, gerade Sie wissen nur zu gut, welche Risiken es beinhaltet, wenn die USAvor der Zeit abziehen oder wenn sich dort ein lang schwelender Konflikt, vor allem auf der Terrorismusebene, entwickelt. Darüber haben wir im Ausschuss öfter gesprochen. Das sind die Gründe dafür, dass wir eine andere Prioritätensetzung vornehmen. Wenn wir die Prioritäten so wie wir setzen, dann müssen wir auch wissen: Beim internationalen Terrorismus wird es kein Verhandeln geben. Mit Osama Bin Laden und seinen selbstmörderischen Mörderbanden wird es kein Verhandeln geben können. Das ist die bittere Wahrheit. ({4}) Deswegen werden wir gemeinsam mit unseren Partnern den Terrorismus dort, wo er entsteht, niederkämpfen müssen, die Terrorstrukturen zerstören müssen, aber gleichzeitig den Menschen ein Angebot zum Wiederaufbau, eine Zukunftsperpektive geben müssen, damit der Nährboden für Terrorismus trockengelegt wird. Genau das ist die zentrale Aufgabe, über die wir im Zusammenhang mit Enduring Freedom heute zu entscheiden haben. Ich bitte um Ihre Unterstützung. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, würde ich gern zum Thema Enduring Freedom zurückkommen. ({0}) Ich habe vernommen, dass wieder krampfhaft versucht wird, die Brandmauer zu errichten bzw. zu erhalten zwischen der Terrorismusbekämpfung ({1}) und dem, was möglicherweise an militärischer Konfrontation mit dem Irak bevorsteht. Die Realitäten der nächsten Monate könnten zeigen, dass es nicht mehr möglich sein wird, so einfache Brandmauern zu erhalten. ({2}) Aus der Vorbereitung des NATO-Gipfels - wir haben gestern über die Veränderung und Weiterentwicklung der NATO-Strategie gesprochen - wissen wir, dass dort die Bekämpfung des Terrorismus ein entscheidender Punkt ist. Deswegen werden Sie diese Form der Trennung durch die Errichtung von Brandmauern aus rein innenpolitischem, koalitionspolitischem Kalkül nicht lange durchhalten können. ({3}) Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus stehen die Völker dieser Welt Seite an Seite. Wir Deutschen stehen bisweilen ein wenig an der Seite, wenn nicht im Abseits. Aber insgesamt kann man wohl doch festhalten, dass in der Frage von Enduring Freedom, also im Kampf gegen den Terrorismus im Zusammenhang mit Afghanistan, eine große Mehrheit in diesem Hause zustande kommen wird. Das halte ich auch für sehr gut. Um es vorwegzunehmen: Die FDP-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist für Liberale in allererster Linie auch ein Freiheitsthema. Die Freiheitsrechte nicht nur der Staaten, sondern auch des einzelnen Menschen werden doch zunehmend berührt von dem, was uns international, national oder wie auch immer organisierte Terroristen antun. Wenn ich zum Beispiel höre - dies betrifft auch Parlamentarier dieses Hauses -, dass sich die Bundesregierung gezwungen sah, die Botschafterkonferenz in Ostafrika, zu der viele Parlamentarier eingeladen waren, aus Sorge vor terroristischen Angriffen abzusagen, dann zeigt das doch, wie stark die Freiheitseinschränkung für alle von uns mittlerweile geworden ist. ({4}) Wenn Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, Angehörige des Auswärtigen Amtes und andere aus Sicherheitsgründen nicht zu dieser Konferenz reisen können, was bedeutet denn das für Millionen von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die frei und sicher irgendwo in der Ferne ihren Urlaub verbringen wollen und auch ein Recht darauf haben? Also, meine Damen und Herren, es handelt sich hierbei weiß Gott um ein Freiheitsthema. Eine wehrhafte Demokratie muss darauf eingehen. Wir tun das. Deshalb stimmen wir zu. ({5}) Allerdings wird uns das nicht davon abhalten, Kritik zu äußern, und zwar insbesondere deshalb, weil die Bundeswehrangehörigen einen Anspruch darauf haben, dass wir ihre Probleme auch hier artikulieren. Denn - hoffentlich sind wir uns auch darin einig - die Angehörigen der Bundeswehr leisten sowohl in Afghanistan als auch in anderen Regionen einen hervorragenden Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus und zur Wiedererlangung des Friedens. Dafür sollten wir ihnen allen unseren Dank sagen. ({6}) In diesen Dank sollten wir ihre Familien einschließen, die einen riesigen Beitrag leisten, ihre Freunde und nicht zuletzt auch die Angehörigen der Bundeswehr, die zu Hause bleiben. Denn auf ihnen wird ein Teil der Last abgeladen, der sonst auf denjenigen liegen würde, die jetzt nach Afghanistan oder in andere Regionen der Welt geschickt worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Kritik angeht, möchte ich mich auf drei Bereiche konzentrieren: den Einsatz am Horn von Afrika, die ABC-Spürtruppen in Kuwait und die Frage der Finanzierung der Bundeswehr. Zunächst möchte ich auf den Einsatz am Horn von Afrika zu sprechen kommen. Wir haben dort Marineeinheiten stationiert. Auch diese leisten unter katastrophalen und schwierigsten Bedingungen einen hervorragenden Einsatz. Aber diese Soldaten werden dorthin geschickt mit Material, das für Operationen unter solchen Temperaturbedingungen nicht geeignet ist. Darüber hinaus handelt es sich auch noch um Material, das mit dem unserer Verbündeten so inkompatibel ist, dass nicht einmal ein Ersatzteilaustausch möglich ist. Eine effektive Arbeit ist so nur begrenzt möglich. Das ist natürlich nicht das Beste für die Motivation. Wenn dies allein für die Marinesoldaten nicht schon frustrierend genug ist, die nationalen Einsatzrichtlinien sind es allemal. Wie demotivierend muss es sein, einen begründeten Verdacht gegen ein das Horn von Afrika passierendes Schiff zu haben, die Überprüfung dieses Verdachtes jedoch Soldaten anderer Nationen überlassen zu müssen? Das ist nicht zu begreifen. Durch reine Präsenz und die wertvolle Auflistung von Bewegungen in dieser Region, ohne aber weitere Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten kann dem internationalen Terrorismus nicht Einhalt geboten werden. Das wirkt fast lächerlich. Das Mandat erlaubt mehr, aber der Bundesregierung fehlt offensichtlich die Kraft, es verantwortungsvoll auszufüllen. ({7}) Das liegt wahrscheinlich weniger an der Kraft als an dem Spagat zwischen Regierungsverantwortung und Parteipolitik, den wir hier seit Monaten miterleben dürfen. Nach außen zeigen wir „Wir sind ja dabei“, aber nach innen kann man argumentieren „Keine Sorge, handeln können unsere Soldaten sowieso nicht“. Auf Dauer geht das nicht gut. ({8}) Bedeutend schwerwiegender könnte sich diese Regierungsschwäche bei der Ausgestaltung der ABC-Schutztruppe erweisen. Kollege Polenz ist ausdrücklich darauf eingegangen. Ich möchte es auf den Punkt bringen. Es ist schon eine geradezu absurde, wenn nicht schizophrene Situation: Einerseits dürften unsere ABC-Soldaten zwar im Falle einer terroristischen A-, B- oder C-Bedrohung in Kuwait tätig werden. Aber sie könnten dies nicht, weil 80 Prozent des Personals auf 96 Stunden Rufbereitschaft in Deutschland gebunden sind. Das ist zwar sehr schnell, aber in einem solchen Fall nicht schnell genug. Andererseits könnte das deutsche Kontingent im Falle eines Irakkrieges nach entsprechender Komplettierung einen wirksamen Beitrag leisten, dürfte dies aber aus politischen Gründen nicht. Das muss man sich einmal ganz konkret vorstellen. Deutschland verfügt über das weltweit technologisch anspruchsvollste und beste Material für den ABC-Schutz sowie über hervorragend ausgebildete und ausgerüstete Soldaten. Falls Soldaten - zum Beispiel amerikanischer, britischer oder auch anderer Herkunft - im Zusammenhang mit einem Irakkrieg in eine lebensbedrohliche Situation geraten, könnten deutsche Soldaten sie retten. Aber wir sagen Nein. Das halten wir nicht aus. ({9}) Wir werden sehen, Herr Kollege Ströbele, was die Bekenntnisse der Koalition wert sind. ({10}) Sowohl der Kollege Erler als auch Herr Struck haben in ihren Ausführungen ein Hintertürchen geöffnet. Die Bundesregierung verweist darauf, dass ein Bundestagsbeschluss erforderlich ist. Selbst wenn der Bundestag in Rekordzeit handelte, könnte es zur Rettung von Menschenleben zu spät sein. ({11}) Da wir die Situation vorhersehen, in der das Handeln der Bundesregierung gefragt ist, betonen wir: Verantwortungsbewusste Politik muss jetzt handeln und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir sollten über die Sinnhaftigkeit unserer Entscheidungen konkret und schnörkellos nachdenken; denn das Risiko in Kuwait und das Risiko um den Irak herum ist enorm hoch. Als Letztes möchte ich etwas zur Finanzierung von Enduring Freedom sagen. Minister Struck hat im Verteidigungsausschuss darauf hingewiesen - ich hoffe, das ist mir korrekt berichtet worden -, dass die Finanzierung der zusätzlichen Lasten aus dem Einzelplan 60 gewährleistet ist, sodass wir nicht davon ausgehen müssen, dass der Einzelplan 14 zusätzlich belastet wird. Das sind Good News. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen hier in drei Wochen sehen, was diese Äußerungen wert sind und wo die Grenzen dessen sind, was wir einer schon jetzt bis an die Schmerzgrenze belasteten Bundeswehr eigentlich noch zumuten und aufbürden können, wenn sich die Finanzierung und die Ausstattung der Bundeswehr nicht nachhaltig verbessern. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist ein Anlass, ein Jahr nach der Entscheidung über Enduring Freedom und nach der historischen Konferenz auf dem Petersberg eine positive Zwischenbilanz zur Entwicklung in Afghanistan zu ziehen. Ich denke dabei auch an die internationale Unterstützung. Ich sage das, obwohl wir wissen, dass die Entwicklung vor Rückschlägen nicht gefeit ist. Die Taliban sind zurückgedrängt und sie sind weitgehend entmachtet. Unter dem durch die Loya Jirga gewählten Präsidenten Karzai sind eine Rechtskommission, eine Menschenrechtskommission und eine Verfassungskommission eingesetzt worden. Außerdem ist eine unabhängige Zentralbank institutionalisiert worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Ernstfall: der demokratische und wirtschaftliche Aufbau; dieses erfordert ein langfristiges Engagement und eine langfristige Unterstützung. Das entscheidende Signal geht von der Beantwortung der Frage aus, ob es gelingt, dem Terrorismus dauerhaft die Basis zu entziehen. ({0}) Die Menschen in Afghanistan haben mit unglaublicher Energie und Kraft mit dem Wiederaufbau begonnen. Sie werden dabei und müssen auch dauerhaft von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden; denn Afghanistan hat eine lange Erfahrung damit, wie es ist, wenn die internationale Gemeinschaft wegsieht. An dieser Stelle möchte ich sowohl den Soldaten dort im Land als auch den für Nichtregierungsorganisationen in der humanitären Hilfe Tätigen als auch denjenigen, die dort zum Zwecke der Förderung der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, ein Dankeschön sagen für die Arbeit, die sie vor Ort beim demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau leisten. ({1}) Wir haben als Bundesregierung Wort gehalten, wir haben 80 Millionen Euro Finanzhilfen zugesagt. In diesem Jahr haben wir angesichts der Bewältigung zusätzlicher Aufgaben die Mittel sogar aufgestockt, sodass im Jahr 2002 insgesamt 126 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden sind. Und das heißt auch Aufbau der Polizei zum Beispiel. Wir leisten nicht nur einen militärischen Beitrag, sondern wir haben auch dazu beigetragen, dass Polizeiausbilder ausgebildet werden. Wir haben dazu beigetragen, dass die Ausrüstung, die Schulung der Polizei, die Bereiche Ausbildung, Information, Kenntnisse über Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit vorangebracht worden sind. Wir haben dazu beigetragen, dass Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen - allein 34 mit deutschen Finanzhilfen - wiederhergestellt wurden, sodass es den Menschen dort, zumal auch den Frauen, denen bisher der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt wurde, wieder möglich wurde, Krankenhäuser aufzusuchen. Es ist doch ein großartiger Erfolg, dass so Frauen- und Kindersterblichkeit verringert werden konnte. Ich finde, das sollte in dieser Debatte eine Rolle spielen und nicht das Klein-Klein zwischen Opposition und Regierung in diesen Fragen. ({2}) Sagen wir doch klar, dass das ein Riesenerfolg ist. Dieses Engagement erwarten ja auch die Menschen in Afghanistan von uns. Mit den Mitteln deutscher Entwicklungszusammenarbeit und durch viele Nichtregierungsorganisationen haben wir 80 Schulen wiederhergestellt, sodass 80 000 Kinder allein auf diese Finanzierungsmöglichkeit hin, insbesondere Mädchen, heute wieder Schulen besuchen können. Das ist ein großartiger Erfolg. Ein Zurückdrängen der Koranschulen und eine Förderung des öffentlichen Schulsystems, in dem auch Mädchen Chancen haben und in dem keine Hetze von islamistischen Kräften stattfindet, wirken dem Terrorismus dauerhaft entgegen. ({3}) Wir wissen - und das war ja auch ein wichtiger Grund für die Zurückdrängung der Taliban -, dass die Frauen von ihnen entrechtet worden sind. Unsere Entwicklungszusammenarbeit hat dazu beigetragen - ich habe vor zwei Tagen mit der zuständigen stellvertretenden Frauenministerin gesprochen -, dass mittlerweile im Land selbst 34 Frauenzentren bzw. Netzwerke, in denen Frauen beraten und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Rechte geholfen wird, eingerichtet worden sind, davon 16 in Kabul selbst. Das ist doch eine wunderbare Leistung. ({4}) Die Frauen in Afghanistan danken uns, dass ihnen solch große Zukunftschancen eröffnet werden. Wir diskutieren hier doch das Schicksal von Menschen und nicht um irgendwelche abstrakten Prinzipien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aber auch - und das tun wir auch schon - zum einen den Menschen helfen, den dramatischen Winter zu überstehen. Zum anderen wollen wir durch die Schaffung von Verbindungen in abgelegenen Provinzen wie Farah, Badghis oder Ghor und mithilfe von Programmen zur Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, dass Kommunikationskanäle zwischen diesen Regionen und der Zentralregierung Karzai, die ja gestärkt und unterstützt werden muss, geschaffen werden, um dazu beizutragen, dass regionalen Warlords das Handwerk gelegt und die Zentralregierung gestärkt wird. Ich komme zurück auf die Frauen: In der Verfassungskommission, die jetzt eingesetzt worden ist - das ist vielleicht für uns schwer vorstellbar, aber für Afghanistan ist das ein Riesenfortschritt -, sind fünf Männer und zwei Frauen, Juristinnen, vertreten. Das ist ein wichtiger Anfang, denn wir wollen dazu beitragen, dass die Rechte der Frauen auch in der Verfassung garantiert werden, und unterstützen die afghanische Regierung dabei. Wir wissen aber auch, dass die Frauen in Afghanistan ihren Teil dazu beitragen. Das ist ein wichtiger Anfang. Wir werden die weitere Entwicklung sehr genau verfolgen und begleiten. ({5}) Afghanistan ist aber auch - da wende ich mich noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ein Beispiel dafür, dass es im Kampf gegen den Terrorismus ein langfristiges Engagement braucht. Zu glauben, Nation Building, also ein demokratisches Staatswesen im Nahen Osten aufzubauen, ginge einfach einmal so in einem halben Jahr, ist unrealistisch; ({6}) demokratischer Staatsaufbau erfordert vielmehr Konzentration. Afghanistan sollte auch weltweit ein Beispiel dafür werden, dass sich die Abkehr von Gewalt und Terrorismus lohnt, dass sich Frieden für die Menschen lohnt. ({7}) Aber - genau das habe ich auch in der Debatte vor einem Jahr gesagt - der Terrorismus braucht auch weiter gehende Antworten. Ihm muss eine weltweite Koalition, die für Gerechtigkeit und Solidarität eintritt und die globale Armut bekämpft, entgegengesetzt werden. In Bezug auf Freiheitsrechte sage ich: Freiheitsrechte sind wichtig. Aber sind die 1,2 Milliarden Menschen wirklich frei, die weniger als 1 Dollar pro Tag verdienen? Der Kampf gegen die globale Armut wird dem Terrorismus langfristig die Basis entziehen. ({8}) Es ist wichtig, zu betonen, dass wir uns in mehreren internationalen Konferenzen diesen Aufgaben gestellt haben. Die dort eingegangenen Verpflichtungen setzen wir um: In Doha wurde eine neue Welthandelsrunde eingeläutet; in Monterrey wurde eine höhere Entwicklungsfinanzierung beschlossen und - nicht zuletzt - in Johannesburg wurden die Weichen für eine nachhaltige Energiezukunft und globale Klimaziele gestellt. Wir sind dieser Politik verpflichtet und setzen die notwendigen Maßnahmen um. Wir beharren aber auch darauf - in diesem Punkt gibt es bei Ihnen Widersprüche -, dass die Finanzmittel international genau auf diese Aufgaben konzentriert werden. Die knappen öffentlichen Mittel der Welt müssen in Wachstum, in Entwicklung und in Armutsbekämpfung investiert werden, aber nicht noch auf andere Bereiche ausgeweitet werden. Die internationale Gemeinschaft darf es nicht zulassen, dass durch weltweit steigende Militärausgaben die Handlungsspielräume verengt werden. ({9}) Schon jetzt leiden die Entwicklungsländer stärker noch als die Industrieländer unter der weltwirtschaftlichen Krise und steigenden Ölpreisen. Die OECD hat gerade in jüngster Zeit in einem Bericht darauf hingewiesen - so hat das „Handelsblatt“ berichtet; manchmal ist es wichtiger, den Wirtschaftsteil der Zeitungen zu lesen -, dass die Militärausgaben weltweit das Wachstum bremsen. Das schadet gerade den Entwicklungsländern. Deshalb müssen wir darauf achten, die Mittel auf die wichtigen Bereiche zu konzentrieren. Wir müssen auf politische Lösungen setzen und von der Androhung von Krieg wegkommen. Auch diese Schlussfolgerung ist für die Bekämpfung des Terrorismus wichtig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Jawohl, Herr Präsident! Ich bin sofort fertig. ({0}) - Bei einem Verteidigungsminister Struck fällt mir das durchaus leicht. Ich komme zum Schluss. Nach dem 11. September haben wir die Schaffung globaler Rechtsstaatlichkeit gefordert. Dazu leistet der Internationale Strafgerichtshof einen Beitrag. Wer versucht, ihn zu delegitimieren, der schadet dieser globalen Rechtsstaatlichkeit, die so notwendig ist. Lassen Sie uns zusammenstehen und uns dafür engagieren, dass wir Schritte in Richtung auf eine gerechtere Weltordnung unternehmen! Das ist für die Sicherheit, auch für unsere Sicherheit, die wichtigste Aufgabe für die Zukunft. Darüber sollten wir uns einig sein. Ich bedanke mich sehr. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einsatz von Truppen, die Entsendung der Bundeswehr in internationale Einsätze, darf niemals zur Routine werden. Deswegen ist es wichtig und notwendig, dass wir uns heute mit diesem Einsatz in ganz besonderer Weise wieder beschäftigen. Wir von der CDU/CSU stellen uns dieser Frage besonders, weil die Fürsorgepflicht gegenüber unseren Soldaten für uns im Mittelpunkt steht. Wir alle haben der Bundeswehr für ihre Einsätze gedankt. Es genügt aber nicht, nur Danke schön zu sagen. Man muss gleichzeitig dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Bundeswehr stimmen. Diese Rahmenbedingungen sind verbesserungsbedürftig. Deswegen fordere ich hier und heute für die Soldaten, dass einige Dinge künftig verbessert werden. Das bedeutet erstens, die Überbelastung von Soldatinnen und Soldaten zu mildern sowie die Situation deren Familien durch Flexibilisierung der Einsatzdauer und durch eine flächendeckende professionelle Familienbetreuungsorganisation zu verbessern. Zweitens fordern wir die Verbesserung des Besoldungs- und Zulagenwesens sowie der Beförderungsmöglichkeiten für Soldaten im Einsatz unter Berücksichtigung besonderer Situationen, beispielsweise einem Einsatz in der KSK. ({0}) Wir fordern darüber hinaus die Anpassung des Soldatenversorgungsgesetzes. Schließlich hat sich mit der Veränderung der Gefährdungslage auch das Berufsbild des Soldaten geändert. Ich nenne als Stichwort nur die Wehrdienstbeschädigungen. Wer angesichts solch schwieriger Einsätze ständig die Notwendigkeit der Bundeswehr beteuert, der muss natürlich ins Kalkül ziehen, dass die Fähigkeiten - Mittel, Ausbildung usw. - nicht unverändert bleiben dürfen. Deshalb sagen wir nach wie vor: Der Verteidigungshaushalt ist unterfinanziert. Mit dem Haushalt 2003 hat die Regierung, hat das Parlament die Möglichkeit, diese massive Unterfinanzierung bei Personal, Betrieb und Investitionen zu korrigieren. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich ist das Thema Enduring Freedom insgesamt eingebettet in die derzeitige weltpolitische Diskussion - Schlüsselwort Irak. Ich bin der Meinung, dass die Regierung aufgefordert bleibt, Klarheit zu schaffen und die Bundeswehr aus der Grauzone - das gilt für die Marine, das gilt für KSK, das gilt auch für den Einsatz von Spürpanzern im Irak zu holen, was neue Aufträge und neue Einsatzgebiete angeht. Der Außenminister macht es sich zu leicht, wenn er nur feststellt: „Wir werden uns nicht aktiv beteiligen.“ Was bedeutet das denn? Selbstverständlich muss Deutschland seinen anderen Verpflichtungen nachkommen. Selbstverständlich werden wir nicht abseits stehen, wenn von Deutschland aus logistische Unterstützung geleistet werden muss, wenn wir im medizinischen Bereich - Stichwort Medivac - unseren Beitrag leisten müssen. Wir können nicht einerseits die Resolution im Weltsicherheitsrat begrüßen, es andererseits aber vermeiden, uns bei deren aktiver Durchsetzung zu beteiligen, zum Beispiel, indem wir Fachleute - wie jetzt bei der Entsendung von Inspektoren - zur Verfügung stellen. All dies wird hier mit großer Geste beiseite geschoben. Wenn wir die Dinge auf den Punkt bringen, dann sehen wir, dass wir an einer aktiven Beteiligung nicht vorbeikommen - und das ist auch gut so. Ich wäre sehr dankbar, wenn seitens Rot-Grün endlich einmal zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterschieden würde und wenn man die Realitäten so sähe, dass sie uns nützen, statt uns außenund sicherheitspolitisch weiter zu schaden. ({2}) Stellen wir noch einmal fest: Nach dem 11. September 2001 verspricht Schröder die „uneingeschränkte Solidarität“. Was ist daraus geworden? - Jämmerlich, mickrig! Dieser Bundeskanzler sagt, man lasse auch künftig keinen im Regen stehen. Sein Handeln aber bedeutet: Wir lassen jeden im Regen sitzen. ({3}) Das ist eine Haltung, die Deutschland nicht angemessen ist. Der Bundeskanzler musste seinerzeit die Vertrauensfrage stellen, weil er ansonsten im eigenen Lager keine eigene Mehrheit gehabt hätte. Kein Ruhmesblatt für uns, eher eine Verzweiflungstat! Draußen hat man das sehr wohl registriert. ({4}) Die unsägliche Irakpolitik belastet nach wie vor unser Verhältnis zu den USA, zerstört Vertrauen und isoliert Deutschland in Europa, bei der NATO und der UNO. Unser Einfluss sinkt. Die Welt nimmt uns nicht mehr ernst. Die Wirtschaftsmisere verstärkt diesen freien Fall. Unser verteidigungs-, sicherheits- und außenpolitischer Abstieg in die zweite Liga ist vorprogrammiert. Wir sitzen weltpolitisch am Katzentisch. Wir brauchen eine Umkehr. ({5}) - Lieber Herr Kollege Erler, Sie haben mit großer Geste die Probleme beschrieben, die außerhalb von Deutschland bestehen. ({6}) Sie haben gesagt: Wir sollten, wir müssten, wir könnten, wir dürften. Aber Sie sind nie von einer realistischen Grundlage in unserem Lande ausgegangen. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie ganz andere Maßstäbe anwenden müssen, damit wir in diesen Fragen nicht weiter isoliert sind. Dabei erkenne ich durchaus an, was die Bundeswehr in diesem Zusammenhang leistet. Ich erkenne auch die außenpolitischen Bemühungen an. Aber die innere Verfasstheit von SPD und Grünen ist schwankend, was uns nicht erlaubt, einen konsequenten, angemessenen deutschen Beitrag zu leisten. ({7}) Hier haben Sie Nachholbedarf. ({8}) Eigentlich sollten wir heute Folgendes tun: Wir sollten uns entweder der Stimme enthalten oder dagegen stimmen, damit wir Sie wieder zum Offenbarungseid zwingen. ({9}) Wir tun es nicht. Warum? - Weil die Bundeswehr uns braucht, weil sie Rückhalt benötigt und weil sie insbesondere in unsere Fraktion Vertrauen setzt. ({10}) Auch unsere internationalen Partner brauchen in besonderer Weise ein Zeichen des Goodwill von unserer Seite. Wir müssen wettmachen, was Rot-Grün, was Schröder/ Fischer in dieser Frage verbocken. ({11}) Wir stimmen nicht deswegen zu, um einer lahmenden Regierung zu helfen, sondern aufgrund unserer besonderen Verantwortung. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohungsgefühle in der Bevölkerung im Hinblick auf den internationalen Terrorismus sind deutlich zurückgegangen. Das ist normal. Die objektive Bedrohungslage hat sich nicht reduziert. Deshalb ist es unsere besondere Verantwortung, im Hinblick auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus wachsam zu sein. Heute wird der Bundestag über die weitere Teilnahme der Bundeswehr an Enduring Freedom befinden. Uns ist bewusst: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist primär eine politische Aufgabe. Die direkte Verfolgung der Täter und ihrer Hintermänner, die Gefahrenabwehr, das alles muss einhergehen mit dem strategischen Kampf um Köpfe und Herzen der Menschen, mit der Eindämmung und Austrocknung von Nähr- und Resonanzböden des Terrorismus. Dabei ist die Wahrung und Stärkung der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Standards von elementarer Bedeutung. ({0}) Ein Jahr nach Beginn der deutschen Beteiligung an Enduring Freedom stellt sich selbstverständlich die Frage: Was hat sie gebracht? ({1}) Bin Laden ist noch nicht gefangen, al-Qaida noch weiter aktionsfähig. In Afghanistan herrschen immer noch viel Unfriede und Gewalt. Wir müssen nüchtern feststellen: Auf die Frage nach der Wirksamkeit der Terrorismusbekämpfung und des Militärischen lassen sich nur zum Teil eindeutige Antworten geben. Denn diese Bedrohung ist zu komplex, zu undurchsichtig sowie zäh und deshalb schwierig zu bewerten. Aber es gibt offenkundige Ergebnisse. Afghanistan - das sollten wir nicht vergessen - war der wesentliche Ausbildungs-, Rückzugs- und Operationsraum für terroristische Strukturen, wo mindestens 20 000 Kämpfer ausgebildet und von wo diese dann entsandt wurden. Dieses primäre Basislager hat al-Qaida weitestgehend verloren, allerdings nicht aufgegeben, wie Reorganisationsversuche von al-Qaida und Taliban zeigen. Eingedämmt wurde das 23-jährige Kriegschaos, aber längst noch nicht beendet. Noch zu stark sind Warlords und kriminelle Banden. Die für den letzten Winter befürchtete große humanitäre Katastrophe konnte gerade noch verhindert werden. Das heißt, vielen Tausend Menschen in Afghanistan wurde tatsächlich das Leben gerettet. Den 20 Millionen geschundenen Afghanen wurde eine einmalige Friedenschance eröffnet. Diese ist noch sehr gefährdet und sie wird von den zivilen Opfern überschattet, die die alliierten Militäraktionen gefordert haben. Trotzdem, das Land hat eine Friedenschance, wie sie vor Jahren in keiner Weise für möglich gehalten wurde. Weitere Ergebnisse sind: Die Bewegungs- und Aktionsfreiheit der Terrornetzwerke wurde behindert. Somalia wurde nicht zum befürchteten Rückzugsgebiet für diese Terroristen. Allerdings ist nur zum Teil nachweisbar, inwieweit auch Anschläge verhindert werden konnten. Aber - das müssen wir ebenfalls feststellen - es gab auch deutliche Rückschläge. Dazu gehört der Einsatz unverhältnismäßiger und unterschiedslos wirkender militärischer Gewalt. Dazu gehört die beunruhigende Tendenz bei einigen Partnern der Antiterrorkoalition, bei der Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte zu relativieren, ja massivst zu verletzen. ({2}) Extrembeispiel dafür ist der Terrorkrieg in Tschetschenien. Dieser fördert den Terrorismus, statt ihn auszutrocknen. Völlig zu Recht hat Bundespräsident Rau gefordert, die Allianz gegen den Terror müsse mit einer Allianz für die Menschenrechte einhergehen. ({3}) Die deutschen Beiträge zu Enduring Freedom sind qualitativ hochwertig und wichtige Elemente der militärischen Terrorismusbekämpfung. Ohne sie verharmlosen zu wollen: Insgesamt hat der deutsche militärische Beitrag überwiegend einen unterstützenden, vorbeugend überwachenden Charakter. Die Bundeswehrsoldaten sind dabei an Recht und Gesetz gebunden, woran sie sich auch halten. Wider manche Befürchtungen machte die Bundesregierung zurückhaltenden Gebrauch von dem Mandat und passte die Einsatzstärken der jeweiligen Lage an. Völlig falsch ist der Vorwurf, die Bundesrepublik setze auf eine militärische Lösung des Problems Terrorismus. Gerade wurden uns noch neueste bilanzierende Gesamtberichte der Bundesregierung vorgelegt. Darin wurde sehr deutlich und sehr konkret nachgewiesen - Vorrednerinnen und Vorredner haben es plastisch dargestellt -, was die Bundesrepublik alles zu dieser umfassenden Terrorismusbekämpfung, also der Ursachenbekämpfung, geleistet hat im Rahmen des Wiederaufbaus in Afghanistan, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Stabilisierung von schwachen Staaten insgesamt, des Dialogs der Kulturen. Die Bundesrepublik beteiligt sich in umfassender und eigenständiger Solidarität an der Allianz gegen den internationalen Terror, primär politisch, unbedingt multilateral und im Rahmen des Völkerrechts, begrenzt auch militärisch. Die damals verbreitete Befürchtung, die Bundesrepublik unterstütze einen „Krieg gegen Afghanistan“ oder gerate in ein Kriegsabenteuer, hat sich nicht bewahrheitet. Die Bundesrepublik leistet im Gegenteil entscheidende und führende Beiträge zur Eindämmung von Terrorismus und Krieg, ganz besonders in Afghanistan. Deshalb können etliche derjenigen, die die Teilnahme an dem Einsatz vor einem Jahr ablehnten, diesem heute zustimmen. ({4}) Der heute zu fassende Beschluss macht deutlich: Die bei Enduring Freedom eingesetzten Bundeswehrkräfte dürfen nur im Rahmen von Enduring Freedom eingesetzt werden, also nicht im Rahmen eines möglichen Irakkrieges. Die Beibehaltung der bisherigen Beiträge ist notwendig und unverzichtbar. Hier ganz oder teilweise auszusteigen hieße, den Reorganisationsversuchen und Umtrieben von al-Qaida und Unterstützern dort freien Lauf zu lassen, wo polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen nicht hinreichen. Der Ausstieg eines Landes vom Gewicht der Bundesrepublik würde die internationale Antiterrorallianz massiv schwächen. Ein solcher Ausstieg würde zugleich der klaren deutschen Haltung gegenüber einem möglichen Krieg gegen den Irak alle internationale Glaubwürdigkeit und Autorität entziehen, zumal die Bundesrepublik Deutschland in Kürze einen Sitz im Sicherheitsrat haben und eine besonders wichtige Rolle für die internationale Sicherheitslage spielen wird. Das gilt besonders dann, wenn sie die Präsidentschaft in diesem Gremium innehaben wird. Die Einsatzrealität der Bundeswehrsoldaten auf den Schiffen der Marine und in Afghanistan ist äußerst strapaziös und entbehrungsreich. Das gilt indirekt auch für ihre Angehörigen. Diese Einsatzrealität ist teilweise mit hohen Risiken verbunden. Wir dürfen uns nichts vormachen: Diese Risiken werden in der nächsten Zeit wahrscheinlich noch erheblich zunehmen. Die politische und militärische Führung der Bundeswehr und dieser Bundestag stehen in der Pflicht, diese Risiken sehr sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat in den letzten Wochen sehr intensiv über die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung an Enduring Freedom debattiert. Es war für uns in keiner Weise ein Routinevorgang. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung an Enduring Freedom im Sinne der internationalen Sicherheit sachlich geboten, unverzichtbar und verantwortbar ist. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Arnold Vaatz, CDU/CSU-Fraktion.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Aussprache hat gezeigt, dass es in diesem Haus unstrittig ist, dass der Antiterrorkampf und der Einsatz für die Wiederherstellung der Menschenrechte zwei Seiten derselben Medaille sind. Ich muss hinzufügen: Die Wiederherstellung der Menschenrechte ist kein erfreuliches Nebenprodukt des Antiterrorkampfes, sondern ein Wert an sich. ({0}) Wir müssen uns bei der heutigen Debatte schon vor Augen führen, was geschähe, wenn wir die Bemühungen im Antiterrorkampf abbrächen, und welche Konsequenzen das für die Menschenrechtslage hätte. Als Erstes wäre das eine ungeheure Ermutigung für die fundamentalistischen angeblichen Koranlehrer von Marokko bis Indonesien und die Zerstörung des Menschenrechtsbewusstseins im Kopf schritte weiter voran; denn ein Rückzug der demokratischen Staaten vor dem Problem des Terrorismus könnte ganz leicht als Sieg des Terrorismus interpretiert werden. Nach der Zerstörung des Menschenrechtsbewusstseins im Kopf käme die Zerstörung der Menschenrechte in der Gesellschaft. Es käme zu einer wesentlich stärkeren Manipulierbarkeit der Gesellschaft und das würde den Nährboden für menschliche Bomben bereiten. Diese menschlichen Bomben träfen nicht nur die Menschen in den Staaten des Fernen und Mittleren Ostens, sondern sie träfen auch uns. Das gilt es zu vermeiden. ({1}) Gestern fand eine Feier anlässlich des 40. Geburtstages der Deutschen Welthungerhilfe statt. An dieser Feier hat Siba Shakib mitgewirkt, eine Schriftstellerin und Journalistin, die im Iran geboren ist. Sie hat es auf einen Nenner gebracht, indem sie gesagt hat: Wenn es nicht gelingt, den Frieden in Afghanistan zu sichern, ist auch der Frieden in Deutschland und damit in Europa nicht zu sichern. ({2}) Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, wie viele Beiträge geleistet worden sind, um eine globale Rechtsstaatlichkeit herbeizuführen. Sie haben gesagt, es dürfe nicht hingenommen werden, dass Beiträge zu einer globalen Rechtsstaatlichkeit delegitimiert werden. Das ist richtig. Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Nur, für die Delegitimierung dieser Beiträge zur globalen Rechtsstaatlichkeit haben Sie selbst bereits entscheidende Beiträge geleistet. Das möchte ich Ihnen genauer erklären: Sie können nicht sagen, wir werden al-Qaida bekämpfen, aber im Falle des Irak schließen wir von vornherein jede Beteiligung aus, egal was wir über dieses Land noch feststellen müssen. Diese Haltung ist unlogisch und zeigt letzten Endes, dass Sie bereit sind, inkonsequent zu sein, dass Sie bereit sind, vor der Bedrohung zurückzuweichen. Damit schaffen Sie eine neue Bedrohungslage. Herr Kollege Nachtwei, Ihre Aussage von vorhin kann ich nicht nachvollziehen. Sie haben gesagt, dass das Bedrohungsgefühl in diesem Land und auch die reale Bedrohung zurückgegangen seien. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden. ({3}) - Oder sie sei geblieben; gut. Ich kann Ihnen nur sagen: Vielleicht ist die globale Bedrohung auch stärker geworden. Das, was wir jetzt aus Verfassungsschutzkreisen - Stichwort Tonbänder - gehört haben, weist eher darauf hin. Es kommt auch darauf an, den Unterschied zwischen dem Bedrohungsbewusstsein und der realen Bedrohung in diesem Land abzubauen. Sie haben diesen Unterschied im Wahlkampf verstärkt, und zwar um billiger politischer Ziele willen, weil Sie erkannt haben, dass wir in Ostdeutschland noch eine Partei namens PDS haben, um deren Wähler Sie sich bemühen wollten. Was haben Sie getan? Sie haben festgestellt, dass diese Partei, die PDS, seit sie keine Panzer mehr zur Verfügung hat, den Pazifismus entdeckt hat. Dies ist übrigens genau die umgekehrte Entwicklung wie die, die die Grünen genommen haben. Die Grünen haben in dem Moment, in dem sie eine Armee zur Verfügung hatten, den Pazifismus abgelegt. ({4}) Jetzt wollen Sie sich um diese Wähler bemühen und daraufhin haben Sie diesen Unterschied gemacht. Dieser Unterschied hat eine ganz konkrete Folge: Er hat das Regime im Irak ermutigt und dieses Regime darauf hingewiesen, dass Deutschland die weiche Flanke der demokratischen Welt im Kampf gegen den Fundamentalismus und die Diktatoren ist. Dies ist das Problem. ({5}) Indem Sie Deutschland zur weichen Flanke machen, verschärfen Sie die Sicherheitslage in Deutschland selbst und in Europa; denn ein Zurückweichen oder ein Wohlverhalten gegenüber menschenverachtenden Systemen bewirkt niemals, dass diese menschenverachtenden Systeme einen dafür belohnen. Sie erkennen ganz im Gegenteil darin ein Merkmal der Schwäche. Dies bedeutet eine zusätzliche Gefährdung. Dies ist die wahre Unverschämtheit gegenüber unseren Soldaten, die in diesen Ländern einen gefährlichen Dienst tun. ({6}) Wenn die Befehlshaber im eigenen Land erklären, dass sie sich im Zweifelsfall zurückziehen wollen, nimmt der Druck auf diese Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, unaufhörlich zu. Außerdem entsteht eine Verwirrung in der Gesellschaft selbst. Die Menschen auf der Straße verstehen nicht, weshalb Sie Unterschiede zwischen al-Qaida einerseits und dem Irak andererseits machen. ({7}) In letzter Konsequenz - jetzt komme ich auf die Menschenrechte zurück - tun Sie noch etwas anderes. Die Teilung der Argumentation in diesen beiden Feldern der Bedrohung ist identisch mit dem Zurückkommen auf den Gedanken der Teilbarkeit der Menschenrechte. Dies war von Anfang an falsch und wird es auch in Zukunft sein. Das ist ein Irrweg. Korrigieren Sie ihn, bevor es zu spät ist! ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit zwölf Monaten beteiligt sich Deutschland zusammen mit über 70 Staaten an einer weltweiten Antiterrorkoalition. Herr Polenz, bisher habe ich gedacht, dass wir alle im November des letzten Jahres nicht schnell und leichtfertig die Hand gehoben haben; denn wir wissen doch, dass wir die Soldaten einem hohen Risiko aussetzen, und wir wissen auch um die Belastungen für ihre Familien genau Bescheid. Wir sagen deshalb: Wir können solche Einsätze wie Enduring Freedom nur verantworten, wenn wir mit ihnen ein hohes Ziel verfolgen, nämlich schwerste Menschenrechtsverletzungen verhindern, die Freiheit durchsetzen und sie auch bei uns bewahren, und dies immer im Schulterschluss mit der Völkergemeinschaft. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich froh, dass im Parlament kritische Fragen gestellt werden. Schließlich gibt es solche auch in der Gesellschaft. ({0}) Wenn wir es als Politiker nicht schafften, sorgsam abgewogene Antworten zu geben, sodass wir die Menschen mitnehmen, dann wären solche Einsätze auch nicht verantwortbar. ({1}) Wir haben bisher - das wissen auch Sie - solche Einsätze gut begründet. Auch heute wird das ganz deutlich werden. Die letzten zwölf Monate haben gezeigt, dass Enduring Freedom unsere strengen Maßstäbe in besonderem Maß erfüllt. Dieser Einsatz ist ein wichtiger militärischer Baustein im Kampf gegen den Terror, den wir - das wissen wir alle - nur gewinnen können, wenn wir über die militärische Komponente hinaus auch politische, wirtschaftliche, soziale, polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen auf den Weg bringen. Aber eines ist klar: Nur durch diese militärische Absicherung und Unterstützung können überhaupt zivile Antiterrormaßnahmen zum Tragen kommen. Das ist die eine der Grundvoraussetzungen. ({2}) Eine andere Grundvoraussetzung, dass wir den Kampf gegen den Terror gewinnen, ist - das ist in der Tat das Thema -, dass wir die Prioritäten im Blick behalten. Ich habe, nachdem alle Redner der Union in den letzten Wochen bei jedem außen- und sicherheitspolitischen Thema schnell auf den Irak zu sprechen gekommen sind, langsam den Eindruck, dass hinter Ihren Forderungen etwas ganz anderes steckt. ({3}) Sie glauben ganz offensichtlich, dass Sie die Bundestagswahl deshalb verloren haben, weil die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen die Fragen, die die Menschen zur Irakpolitik gestellt haben, klar beantwortet haben. ({4}) Diese Einschätzung ist falsch. Sie haben die Wahl verloren, weil die Menschen in den letzten Wochen vor der Wahl wieder begonnen haben, über Politik zu diskutieren. Das war der eigentliche Grund. ({5}) Es mag ja sein, dass Ihr Umgang mit diesem Thema Ihre spezifische Trauerarbeit ist. Das könnte ich ja noch nachvollziehen. Ich kann aber nicht mehr nachvollziehen, dass Sie noch immer - das hat auch Herr Schäuble heute wieder getan - Fragen an die Bundesregierung zu diesem Thema stellen. ({6}) Diese Fragen sind deutlich und sorgsam beantwortet. ({7}) Ich befürchte, dass Sie es bisher nicht geschafft haben - diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Schäuble und dem ehemaligen Kanzlerkandidaten Stoiber genau zuhört -, die Fragen, die die Menschen bewegen, ebenso klar und präzise zu beantworten. Das ist doch Ihr eigentliches Problem. ({8}) Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie bei der notwendigen Ernsthaftigkeit der Debatte über Enduring Freedom dieses Thema immer wieder hochziehen wollen. Das ist wirklich falsch. ({9}) Wir wissen, dass wir heute dieses Mandat mit großer Mehrheit verlängern. Wir werden dieses Mandat auch nicht verändern, weil wir schon vor zwölf Monaten sorgfältig abgewogen haben. Es werden unverändert 3 900 Soldatinnen und Soldaten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der internationalen Gemeinschaft leisten. Manche Befürchtungen, das Mandat sei zu groß und das regionale Einsatzgebiet sei nicht präzise genug formuliert, hat die Bundesregierung sehr deutlich ausgeräumt. Es wurde nie mehr als ein knappes Drittel der möglichen Soldatinnen und Soldaten tatsächlich eingesetzt. Es ist aber richtig, die jetzige Gesamtstärke beizubehalten, damit der notwendige Handlungsspielraum und die Flexibilität gewahrt bleiben. Wenn man sich die fünf Module, die wir schon beschlossen haben und über die wir heute erneut abstimmen werden, genauer ansieht, wird sehr deutlich, dass Sie mit Ihrer Einschätzung, die Bundeswehr leiste hier keinen wichtigen Beitrag und habe Mängel, nicht Recht haben. ({10}) Schauen wir uns das einmal genauer an. Erstens. Wir haben See- und Seeluftstreitkräfte am Horn von Afrika. Die Schiffe haben keine Klimaanlage; das stimmt. Aber Sie konnten vor 20 Jahren auch nicht wissen, dass die Schiffe nicht mehr nur in der Nord- und der Ostsee eingesetzt werden. Doch der Beitrag, den die Schiffe dort in den letzten zwölf Monaten für die Völkergemeinschaft geleistet haben, ist sehr wichtig. Das will ich quantifizieren: Es gab 4 000 Kontakte. 150 Flüge wurden durchgeführt, bei denen Meldungen abgegeben wurden. 36 Mal wurden Schiffe eskortiert und geschützt. Es sind übrigens auch unsere Waren, die auf den Weltmeeren jetzt auch von unseren Soldaten geschützt werden müssen. ({11}) Bei meinem zweiten Punkt wird noch deutlicher, dass die Bundeswehr einen großen Beitrag leistet. Kein anderes Land in der NATO verfügt über so exzellente Sanitätsevakuierungsmöglichkeiten mit Flugzeugen wie die Deutschen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir unseren Airbus bereitstellen. Er wurde zum Beispiel nach dem schlimmen Unfall in Kabul eingesetzt, er wurde eingesetzt, um die schwer verletzten deutschen Touristen aus Tunesien auszufliegen oder um französische Staatsbürger aus Karatschi zurückzuholen. Das ist eine Fähigkeit, die wichtig ist. ({12}) Drittens. Ich kann Ihre Kritik an der Stationierung der ABC-Abwehrkräfte in Kuwait überhaupt nicht verstehen. Ich glaube, dass Sie, wenn Sie sagen, diese Kräfte wie auch die Schiffe dürften dort nicht sein, eines nicht verstanden haben: Wir befinden uns in einem Kampf gegen Terror. Es gelten aber natürlich das Völkerrecht und das deutsche Grundgesetz. Wir sind nicht im Krieg. Deshalb halten sich unsere Soldaten strikt an das Mandat, das sie von uns erhalten haben. Das ist richtig und wird auch so bleiben. Ich halte es für leichtfertig, jetzt darüber zu spekulieren, was deutsche ABC-Abwehrkräfte im Fall eines Krieges in Kuwait machen. Sie haben ein Mandat. Wenn wir das verändern wollen oder verändern müssen, dann werden wir hier darüber diskutieren und entscheiden. An dem Grundsatz unserer Verfassung hierzu werden wir natürlich nicht rütteln. ({13}) Mein letzter Punkt. Es sind Spezialkräfte auch in der Nähe von Kabul im Einsatz, deren Spektrum in den letzten Tagen neu ausgerichtet wurde. Das wird sicherlich helfen, Synergien zu gewinnen, um den Schutz der ISAFSoldaten zu verstärken. Wir wissen: Der Einsatz dieser Kommandospezialkräfte ist besonders gefährlich und deshalb besonders belastend für deren soziales Umfeld und deren Familien. Deshalb bin ich sehr froh, dass auch der Bundesrat, wie sich gestern Nachmittag gezeigt hat, den Schritt mitgeht, nämlich den Einsatz von Kommandosoldaten, ob bei Tauchern, Spezialkräften oder Jetpiloten, finanziell etwas mehr zu honorieren. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Anerkennung. Sie liegen mit Ihrer These, wir würden zu wenig für unser Personal tun, also falsch. Wir haben das Thema angepackt. Gestern hat der Bundesrat dem ein Stück zugestimmt. ({14}) Wir werden den Weg, die Möglichkeiten des Personalstärkegesetzes auszufüllen und den Beförderungs- und Verwendungsstau bei der Bundeswehr kleiner zu machen, in den nächsten Monaten konsequent weitergehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Arnold, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. Ihre Diskussion um den Haushalt trägt nicht. Reden Sie einmal nicht über das Bruttoinlandsprodukt, sondern über absolute Zahlen. Dann wird sehr schnell deutlich, dass wir, wenn man die Spezialaufgaben der Franzosen und Briten, die wir nicht leisten können und nicht leisten wollen, abzieht, mit diesen beiden großen europäischen Ländern exakt gleichauf liegen. So wird erkennbar: Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit auch innerhalb des Bündnisses. Deshalb werden wir mit unserem Ja deutlich sichtbar machen, dass wir unseren Beitrag auch in den nächsten zwölf Monaten leisten werden. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn der Debatte hat der Kollege Erler die Linie der Koalitionsfraktionen vorgegeben. Er hat mehrfach wiederholt, es gehe heute lediglich um eine Antwort auf den 11. September 2001; die Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen ausgeht, hat er ausgeblendet. Keiner der bisherigen Redner aufseiten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen hat eine Antwort auf den Beitrag des Kollegen Hoyer gegeben. Stattdessen haben sie versucht, den Eindruck zu erwecken, als hätte der Kampf gegen den Terrorismus nichts mit dem Schutz vor ABC-Waffen zu tun. Vor einem Jahr musste der Bundeskanzler eine eigene rot-grüne Mehrheit für das Mandat von Enduring Freedom mit der Vertrauensfrage erzwingen. Acht grüne Abgeordnete wollten trotzdem nicht zustimmen und mussten auslosen, wer Friedensfreund bleiben darf und wer den Kanzlerfreund spielen muss. ({0}) Die Kollegen Ströbele und Hermann haben angekündigt, heute dagegen zu stimmen; andere werden ihren Widerspruch in persönlichen Erklärungen darlegen. Herr Außenminister, wie schwer es für Sie ist, Ihre eigene Fraktion auf Linie zu bringen, zeigt Ihr Gerede von einer anderen Prioritätensetzung. Ihre krampfhafte Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und dem Schutz vor Massenvernichtungswaffen hat nichts mit der Sicherheit unserer Bürger und Soldaten, sondern ausschließlich etwas mit der Befindlichkeit der Grünen zu tun. ({1}) Die Irakresolution des Sicherheitsrates hat uns allen klargemacht, wie verändert die Sicherheitslage in der gesamten Region ist: Sie kann sich zuspitzen; der Einsatz kann gefährlicher werden. Das Kommando Spezialkräfte hat in Afghanistan künftig einen eigenen Einsatzraum, der bis an den Stadtrand von Kabul heranreicht. Man kann ISAF und Enduring Freedom politisch nicht trennen, auch wenn es rechtlich unterschiedliche Mandate sind. Die Gefährdung deutscher Soldaten in Afghanistan ist größer geworden. Wenn im Interesse auch unserer Sicherheit ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Husseins Waffenprogramme erforderlich wird, hat für die Vereinigten Staaten der Einsatz im Irak höchste Priorität. Dadurch wird sich der Charakter des Einsatzes unserer KSK-Truppe in Afghanistan verändern; auch für die ISAF-Einheiten wird die Sicherheitslage schwieriger. Das Mandat für die Einheiten zur Aufspürung von ABC-Kampfstoffen in Kuwait und für die Dekontaminierungskräfte, die in Deutschland in Rufbereitschaft stehen, bleibt formal unverändert. Faktisch hat sich die Situation für diese Kräfte aber erheblich verändert. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung Streitkräfte angeboten, die man auf dem Parteitag der Grünen als nicht schießende Truppe verkaufen konnte. Weil in Afghanistan keine ABC-Kräfte benötigt wurden, hat man sie, sozusagen als symbolische deutsche Beteiligung, nach Kuwait geschickt. Heute droht ein bewaffneter Konflikt im Irak, in dem Soldaten unserer Verbündeten und die Zivilbevölkerung in der Region mit biologischen und chemischen Waffen angegriffen werden könnten. Was soll in einem solchen Fall mit unseren ABC-Einheiten, die weltweit als die besten gelten, geschehen? Kann sich irgendeine oder irgendeiner in diesem Haus vorstellen, dass sie in Kuwait stehen bleiben und zuschauen müssen, wie Soldaten unserer Bündnispartner mit Giftgas angegriffen werden? Die Bundesregierung kann sich das zu Recht nicht vorstellen und hat deshalb längst umgeschwenkt; der Kollege Polenz hat das vorhin dargelegt. Im Wahlkampf sagte Verteidigungsminister Struck: Wenn die Gefahr besteht, dass unsere 52 Soldaten in eine kriegerische Auseinandersetzung gegen den Irak verwickelt würden, wäre das durch den Bundestagsbeschluss nicht mehr gedeckt. Dann müssten sie abgezogen werden. Am Montag dieser Woche sagte er in der ntv-Sendung „Maischberger“, dass die deutschen Fuchs-Panzer im Falle eines Irakkrieges natürlich nicht abgezogen würden. Wörtlich sagte er: Sie bleiben dort. Nur dann, wenn der Krieg auf Kuwait übergreifen würde, hätten wir eine neue Situation. Dann müsste der Bundestag neu beschließen. ({2}) - Natürlich stimmt das. Selbstverständlich brauchten wir in diesem Fall ein neues Mandat. Wenn wir aber heute beschließen, die ABC-Panzer dort zu belassen, können wir ein solches Mandat später nicht mehr verweigern; dann sind wir in unserer Entscheidung nicht mehr frei. Das muss jeder, der nachher hier seine Stimme abgibt, wissen. ({3}) Wir dürfen unsere Soldaten und die deutsche Öffentlichkeit nicht über die Konsequenzen unserer Entscheidung im Unklaren lassen. Das Mandat für Enduring Freedom kann in den kommenden zwölf Monaten gefährlicher und riskanter werden als in den vergangenen zwölf Monaten. ({4}) Die Terrorgefahr erhöht sich im gesamten Einsatzgebiet. Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen bedrohen auch Deutschland und Europa. Beides können wir nicht voneinander trennen. ({5}) Die Irakresolution des UN-Sicherheitsrats hat bewiesen, dass die Bundesregierung eine falsche Politik betrieben hat. Nicht ihr „deutscher Sonderweg“ hat dazu geführt, dass jetzt wieder Waffeninspektoren im Irak tätig werden dürfen, sondern allein die Entschlossenheit der USA und ihrer Partner. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Resolution in allen Punkten umzusetzen und auch die dem Irak angedrohten ernsthaften Konsequenzen voll mit zu tragen. ({6}) Die CDU/CSU ist dazu bereit. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes und unserer Soldaten. Wir werden der Verlängerung des Mandats für Enduring Freedom zustimmen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPDFraktion, das Wort.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Schockenhoff, manchmal bin ich nicht ganz sicher, worin eigentlich der Sinn Ihrer Äußerungen liegt. ({0}) Wenn nun schon die Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrats vorliegt, dann sollten wir vielleicht die Hoffnung daran knüpfen, dass der damit in Gang gekommene Prozess dazu führt, einen Krieg im Irak zu vermeiden. Das ist doch der entscheidende Punkt, auf den es ankommt. ({1}) Wenn wir uns darin einig sind, dann malen Sie doch nicht ein Szenario aus, das wir alle vermeiden möchten. Die Vereinigten Staaten -

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Weisskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Polenz? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Polenz, bitte.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weisskirchen, würden Sie mir zustimmen, dass es zur Erfüllung dieser Hoffnung ganz entscheidend darauf ankommt, dass die angedrohten ernsten Konsequenzen, die dem Irak drohen, wenn er der Resolution nicht entspricht, von möglichst allen Staaten der Völkergemeinschaft mitgetragen und unterstützt werden, und dass die Bundesregierung bis heute nicht klar gemacht hat, ob sie zu diesen Staaten der Völkergemeinschaft gehört? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Polenz, wenn Sie die Resolution 1441 genau lesen - ich unterstelle, dass Sie das tun -, dann wissen Sie, dass sie nirgends einen verborgenen Schlüssel, wie die Fachleute sagen, enthält, der dazu führt, dass es automatisch zum Krieg kommt. Das ist der entscheidende Punkt. Einen Krieg wollen wir doch alle - so habe ich Sie verstanden - verhindern. Deswegen verstehe ich Ihre Frage nicht. Fragen müssen dann gestellt werden, wenn eine bestimmte Situation eingetreten ist. Eine solche Situation ist nicht eingetreten. Wir müssen alle dafür sorgen, dass Saddam Hussein einlenkt und den Forderungen der Weltstaatengemeinschaft endlich nachkommt. Das und nichts anderes ist unser Ziel. ({0}) Diese Debatte hat gezeigt, dass die Formulierung in der gestrigen Ausgabe der „Zeit“, der Bundestag bilde ein „nervöses Beschweigekartell“, nicht zutrifft. Wir kennen die Gefahren, unter denen die Soldatinnen und Soldaten arbeiten. Uns ist wohl bekannt, wie hart Hamid Karzai kämpfen muss, um das Anwachsen der Ungeduld in der Bevölkerung einzudämmen. Wer aber den November dieses Jahres mit dem des letzten Jahres vergleicht, wird doch eines feststellen müssen, Herr Dr. Hoyer: Damals ging es darum, dass die Diktatur der al-Qaida und der Taliban militärisch zerbrochen werden musste. Im Unterschied dazu wird der Kampf heute politisch geführt. Karzai führt einen politischen Kampf, um den Friedensprozess in Afghanistan zu stabilisieren. Das ist ein Erfolg von Enduring Freedom. Ohne diesen Erfolg müsste Hamid Karzai in einer viel größeren Gefahr leben. Immer noch wird er von Streitkräften der USA persönlich geschützt. Das schränkt seine Autorität ein. Noch immer ist es so, dass zum Beispiel von Islamisten oder von al-Qaida und Taliban Versuche gestartet werden, sich zu regruppieren. Das bedeutet, dass die Zentralität des Staates, das Gewicht der Regierung Karzai geschwächt wird. Noch immer ist es so - wir schauen bitte einmal nach Pakistan -, dass die Islamisten wieder versuchen könnten, politische Macht zurückzuerobern. Diese Gefahren sehen wir alle sehr wohl. Wir wissen, dass es Anschläge in Afghanistan gibt. Wir wissen, dass auch die Bundeswehr, die dort im Rahmen von ISAF tätig ist, einer hohen Gefahr ausgesetzt ist. Im Bundestag ist kein „Beschweigekartell“ versammelt, sondern wir wissen sehr genau um die Gefahren. Aber es kommt darauf an, dass diese Gefahren eingedämmt werden. Dafür brauchen wir Enduring Freedom. Deshalb werden wir diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen. ({1}) Wenn man sich eine Sekunde überlegt - ich spreche den Kollegen Hermann und den Kollegen Ströbele direkt an -, was wäre, wenn man mit Nein stimmen würde, liebe Kollegen - wenn Sie mit Nein stimmen, müssen Sie damit rechnen, dass Ihr Nein die Mehrheit in diesem Hause fände -, dann müssen Sie sich fragen, was Ihr Nein bedeutet. Es bedeutet, dass Enduring Freedom nicht fortgesetzt wird. Was würde ein Nein noch bedeuten? Es würde bedeuten, dass Hamid Karzai geschwächt würde. Es würde bedeuten, dass die Versuche, die innerhalb eines Jahres gestartet worden sind, vergeblich waren, dass die 80 Millionen Euro, die die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stellt, damit der Friedensprozess von innen und von unten an Stabilität gewinnt, nichts gebracht haben. Ich kann Sie nur herzlich darum bitten: Werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan gerecht und stimmen Sie hier und heute nicht mit Nein. ({2}) Präsident Karzai hat die vordringlichen Aufgaben seiner Regierung sehr plastisch beschrieben: Die Kriegsherren in den Provinzen sind zu entmachten. Der Anbau von Schlafmohn ist drastisch zu verringern. Der Korruption ist der Boden zu entziehen. Damit stellt er in seinem eigenen Land die Machtfrage. Entschieden ist diese Machtfrage noch längst nicht. Noch immer muss er von den USA persönlich geschützt werden. Es schüchtert ein, dass es Dostum noch immer gibt, dass Kriegsherren dort noch immer Macht ausüben und Einfluss besitzen. Das lässt bei den Menschen in Afghanistan Ängste explodieren. Auch das ist ein Teil der furchtbaren Realität: Immer noch stirbt eines von vier Kindern, bevor es fünf Jahre alt wird. Noch immer sterben bei 1 000 Geburten 16 Mütter. Trotz alledem sind die Zeichen der Hoffnung unübersehbar. 700 000 Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr dieses Jahres zurückgekehrt. 1,3 Millionen Menschen sind neu an die Trinkwasserversorgung angeschlossen worden. 23,8 Millionen Quadratmeter Land sind von Minen geräumt worden. 2,9 Millionen Kinder haben sich neu in die Schulen eingeschrieben. Wir wissen sehr genau: Das sind erst zaghafte Zeichen. Aber die Zahl dieser Zeichen muss sich vermehren, wenn der Friedensprozess vorankommen soll. Dieser Prozess - das wissen wir alle - kann stocken, Seitwärtsbewegungen einschlagen oder an der einen oder anderen Stelle rückläufig sein. Das ist so. Je mehr Menschen in Afghanistan aber ihre eigene Sache in die Hand nehmen, desto stabiler wird der Prozess des Friedens werden. Wir brauchen jetzt die Verlängerung von Enduring Freedom, damit Afghanistan zu einem Modell gegen den internationalen Terrorismus wird. Die Menschen in Afghanistan brauchen eine Zukunft. Wir stimmen für Enduring Freedom, damit die Menschen eine Zukunft für ein selbst gestaltetes Leben in Freiheit haben. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS im Bundestag hat vor einem Jahr gegen einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt - mit guten Gründen. Heute soll das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert werden. Wir werden wieder Nein sagen. Ich habe bereits vor Wochenfrist in der ersten Lesung gesagt: Aus Sicht der PDS geht es keineswegs nur darum, einen militärischen Auftrag aufrechtzuerhalten. Es geht um eine neue Qualität. Es geht nunmehr auch offiziell um Kampfeinsätze. Das ist ein weiterer Grund dafür, mit Nein zu stimmen. ({0}) Die Bundesregierung hatte eine Woche Zeit, einschlägige Medienberichte und meine Befürchtung zu widerlegen. Sie hat das nicht getan; im Gegenteil. Die Diskussion der ersten Lesung war kaum verhallt, da meldeten die Agenturen: Verteidigungsminister Struck will die Einsatzkräfte der Bundeswehr in Afghanistan noch weiter aufstocken. - Auch das spricht für unsere Ablehnung. Nun umfasst das Mandat für Enduring Freedom keineswegs nur das Einsatzgebiet Kabul und Umgebung, also in Afghanistan; dazu gehören deutsche Spürpanzer in Kuwait genauso wie deutsche Flottenverbände, die am Horn von Afrika patroullieren; darauf komme ich gleich noch zurück. Dies alles wird mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet - ein Argument, das seit gestern noch bedrohlicher klingt. Sie erinnern sich sicherlich: Der Abgeordnete Schäuble von der CDU/CSU-Fraktion hat hier ziemlich unverblümt für eine Erstschlagoption der NATO und damit auch für eine Erstschlagoption der Bundeswehr plädiert. Ich danke Ihnen, Herr Schäuble, für das offene Wort und sage zugleich: Mir graut vor dieser Option und damit auch vor Ihnen. Die PDS bleibt dabei: Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnen werden, ein Krieg gegen den Terrorismus hingegen nicht. ({1}) Diese Überzeugung haben vor einer Woche Hunderttausende aus ganz Europa in Florenz demonstriert. Sie sollten ihre Befürchtungen ernster nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gehört zum Gesamtbild: Man muss kein Insider sein, um die Aktion Enduring Freedom und den weiterhin drohenden Irakkrieg zusammenzudenken. Ich nehme sehr wohl zur Kenntnis, dass sich die Bundesregierung weiterhin gegen einen Irakkrieg ausspricht - wie zu hören ist, sehr zum Groll der Opposition zur Rechten -; gleichwohl bleibt auch heute eine Glaubwürdigkeitslücke. Sie bleibt so lange bestehen, wie Sie die deutschen Spürpanzer und die vorgeschobenen Kriegsschiffe nicht zurückziehen. ({2}) Oder wollen Sie uns hier weismachen, Sie würden es tatsächlich tun, falls es doch noch zu einem Krieg der Gert Weisskirchen ({3}) USA gegen den Irak kommt? Jeder möge sich einmal ausmalen, wie das dann funktionieren soll. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, appelliere ich noch einmal an Sie: Lehnen Sie wenigstens diesen Teil des Mandats ab, ehe es zu spät ist! ({4}) Noch ein weiterer Punkt verdient mehr Aufmerksamkeit, als Sie ihm zubilligen. Seit Tagen haben wir hier ein großes Wehklagen über die katastrophale Haushaltslage der Bundesrepublik. Erklären Sie vor diesem Hintergrund der Öffentlichkeit doch bitte einen Satz aus dem Bericht des Haushaltsausschusses. Ich zitiere: Der Haushaltsausschuss hält den Antrag einvernehmlich für mit der Haushaltslage des Bundes vereinbar. Von welcher Haushaltslage sprechen Sie eigentlich? Was ist da vereinbar? Wie uns gestern illustriert wurde, wissen Sie ja nicht einmal, wie viel Euro tatsächlich im Bundessäckel sind. Aber Sie beschließen heute forsch über Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe, noch dazu für gefährliche Militäreinsätze. Wenn es um die Finanzen geht, dann bleibt auch noch die hilflose Prophetie des Bundesfinanzministers festzuhalten. Er meinte: Wenn es 2002 bis 2006 Krieg im Irak gibt, dann bleibt ohnehin alles unberechenbar. - Stimmt! Aber auch das ist Politik aus dem Tollhaus und lässt uns unser Nein bekräftigen. ({5}) Nun habe ich heute sehr wohl die Worte der Entwicklungsministerin gehört. Sie meinte, die weltweit steigenden Rüstungsausgaben dürften nicht die Mittel für die Entwicklungshilfe beschränken. Das ist diplomatisch ausgedrückt; denn wir wissen alle: Sie tun es - leider. Auch das kritisieren wir. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/67 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/37 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Zur Abstimmung liegen schriftliche Erklärungen von 28 Kolleginnen und Kollegen vor.1 Eine mündliche Erklärung zur Abstimmung wird im Anschluss an die namentliche Abstimmung vorgetragen werden. Bitte beachten Sie, dass die von Ihnen benutzten Stimmkarten Ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das geschehen? Dann können wir beginnen. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich stelle fest, dass alle ihre Stimme abgegeben haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Jetzt gebe ich dem Kollegen Winfried Hermann zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung das Wort.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute wie vor einem Jahr - genauso wie Kollege Christian Ströbele - mit Nein gestimmt. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich möchte dies begründen. Zunächst möchte ich Folgendes deutlich machen: Heute ist manches so dargestellt worden, als ginge es um eine Routineentscheidung; es ist aber nach wie vor eine sehr ernste Entscheidung. Für viele andere und für mich ist es eine Gewissensentscheidung. Wir müssen - das sagen wir als Gegner ganz offen die Situation selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, indem wir uns die Frage stellen: Was ist eigentlich geschehen? Wir bekennen gern, dass wir uns in einem Punkt geirrt haben. Wir haben vor einem Jahr gesagt: Vermutlich gibt es einen langjährigen, blutigen Guerillakrieg, in den die Bundeswehr hineingezogen wird - davor haben wir Angst -; das können wir nicht mitverantworten. Heute können wir sagen: Gott sei Dank haben wir uns in diesem Punkt bis heute geirrt. Das müssen wir anerkennen. Ich betone: bis heute. Ob es für die Bundeswehr wirklich so friedlich weitergeht, das wissen wir nicht. Die USA haben das Talibanregime jedenfalls mit großem technischen und militärischen Aufwand schneller beseitigen können, als wir vermutet haben; sie haben aber in Afghanistan zugleich keinen Frieden geschaffen. Meine Damen und Herren von der SPD und zum Teil auch von meiner eigenen Fraktion, es ist schon erstaunlich, dass man immer wieder die gleichen wenigen Beispiele heranziehen muss, um zu zeigen, dass dieser Krieg angeblich so viel gebracht hat. Man verweist nämlich immer wieder auf die verbesserte Situation von ein paar Mädchen und ein paar Schulen. Aber Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass in weiten Teilen Afghanistans Zustände wie vor dem Krieg herrschen, dass dort immer noch die Nordallianz und Warlords das Sagen haben, dass man dort von einem Rechtsstaat und von Demokratie also weit entfernt ist. Nicht wenige sagen: Karzai, der Präsident der Übergangsregierung, sei eigentlich nicht mehr als ein Regierender Bürgermeister von Kabul. Ich will anerkennen, dass auch das schon etwas ist. Aber es ist einfach zu we666 1 Anlagen 2 bis 6 2 Seite 667 D nig. Der eingeschlagene Weg hat nicht wirklich zum Erfolg geführt. Dieser Weg war übrigens auch nicht so sauber. Man muss heute sagen: Die Amerikaner haben zwar schnell zugeschlagen, aber auch brutal: Mindestens 5 000 bis 10 000 Menschen - so unabhängige Sachverständige - sind in diesem Krieg ums Leben gekommen. Dazu kommen weitere Tausende tote - vermeintliche oder tatsächliche - Talibankämpfer. Sie sind in der Regel einfach erschossen oder, wie es in der Sprache der Militärs heißt, vernichtet worden. Das halten wir für problematisch. ({0}) Kommen wir nun zur Beteiligung der Bundeswehr. Natürlich sehen auch wir, dass große Teile des Mandats eher einen symbolischen Charakter hatten. Tatsächlich war die Bundeswehr an den Einsätzen nicht annähernd so stark beteiligt, wie es hier beschlossen worden ist. Auch das wollen wir anerkennen. Die Bundeswehr hat einen klaren Auftrag gehabt, der lautete: Terroristen bekämpfen, gefangen nehmen und vor Gericht stellen. Einen solchen Auftrag haben wir heute wieder beschlossen. Wir müssen uns einmal selbstkritisch fragen: Wo wurde dieser Auftrag erfüllt? Wo sind die gefangen genommenen Terroristen? Wo, bitte schön, sind Bin Laden und seine Helfershelfer? Gar nichts von diesem Auftrag ist in diesem Sinne eingelöst worden. Man muss dazusagen - das wissen Sie sehr wohl, Herr Weisskirchen -, dass es für das KSK heißt: Spürt die Kämpfer auf! Gebt danach entsprechende Zeichen an die Amerikaner und verschwindet so schnell wie möglich, weil ihr dann nicht mehr da sein dürft! Wenn deutsche Soldaten da wären, müssten sie diese Soldaten nach rechtsstaatlichen Prinzipien behandeln und tatsächlich vor einen Gerichtshof bringen. Aber genau das wird vermieden. Das ist, wie ich meine, insbesondere aus grüner Sicht sehr ärgerlich, weil viele Grüne hauptsächlich deswegen zugestimmt haben, weil sie wollten, dass die Taliban-Kämpfer gefangen genommen werden und etwaige Terroristen vor einen Gerichtshof kommen und ihnen ein ordentlicher Prozess gemacht wird. Wir treten tatsächlich für globale Rechtsstaatlichkeit ein, Frau Kollegin Ministerin; auch Sie haben diese eingefordert. Ich komme zu einem weiteren Punkt, der im vergangenen Jahr weit im Vordergrund stand. Das ist die Frage, ob man mit militärischen Mitteln diese neue Form von Terrorismus wirklich bekämpfen kann. Sie haben immer wieder Beispiele gebracht wie Bali oder Djerba. Ich glaube, dass gerade diese Beispiele zeigen, dass man mit Kriegsschiffen, Panzern und viel militärischem Gerät, also grobschlächtig, nicht gegen diese filigran und intelligent in Netzwerken und in unseren Gesellschaften arbeitenden Terroristen wirklich erfolgreich vorgehen kann. Unsere Waffen sind viel zu grob. Die einzige Antwort wäre ein konsequent rechtsstaatliches und meinetwegen auch geheimdienstliches Vorgehen und eine Verbesserung der Kooperation mit der Polizei. Im Übrigen stünde es der Bundesrepublik Deutschland gut an, wenn wir uns auf das konzentrieren würden, was wir gut können, nämlich mit politischen, ökonomischen und kulturellen Mitteln die Ursachen zu bekämpfen, um so dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Man kann viel eher friedlich im Kampf gegen den Terrorismus bestehen als mit teuren militärischen Mitteln; in der Summe übersteigen die Ausgaben hierfür dann doch die finanziellen Hilfen, die wir im zivilen Bereich gewähren. Ich bedanke mich. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich kann nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt geben: Abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 573, mit Nein haben gestimmt 11; es gab fünf Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 573 nein: 11 enthalten: 5 Ja SPD Dr. Lale Akgün Ingrid Arndt-Brauer Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Wilhelm Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Marga Elser Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Walter Hoffmann ({10}) Iris Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({14}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({15}) Christian Müller ({16}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({17}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({18}) Michael Roth ({19}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({20}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({21}) Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer ({22}) Ulla Schmidt ({23}) Silvia Schmidt ({24}) Dagmar Schmidt ({25}) Wilhelm Schmidt ({26}) Heinz Schmitt ({27}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({28}) Reinhard Schultz ({29}) Swen Schulz ({30}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({31}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis ({32}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({33}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({34}) Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({35}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({36}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({37}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({38}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({39}) Gitta Connemann Hubert Deittert Albert Deß Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({40}) Dirk Fischer ({41}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({42}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Michael Glos Ralf Göbel Tanja Gönner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({43}) Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({44}) Dr. Norbert Lammert Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({45}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({46}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({47}) Stephan Mayer ({48}) Cornelia Mayer ({49}) Dr. Martin Mayer ({50}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({51}) Doris Meyer ({52}) Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Stefan Müller ({53}) Bernward Müller ({54}) Bernd Neumann ({55}) Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({56}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht ({57}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({58}) Hartmut Schauerte Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({59}) Andreas Schmidt ({60}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({61}) Michael Stübgen Michaela Tadjadod Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Angelika Volquartz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Peter Weiß ({62}) Gerald Weiß ({63}) Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({64}) Volker Beck ({65}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({66}) Katrin Dagmar GöringEckardt Anja Hajduk Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Michaele Hustedt Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({67}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({68}) Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({69}) Krista Sager Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({70}) Werner Schulz ({71}) Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({72}) FDP Daniel Bahr ({73}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({74}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({75}) Dr. Karlheinz Guttmacher Christoph Hartmann ({76}) Klaus Haupt Birgit Homburger Gudrun Kopp Wolfgang Kubicki Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Markus Löning Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({77}) Eberhard Otto ({78}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Günter Rexrodt Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({79}) Leo Dautzenberg Willy Wimmer ({80}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele FDP Jürgen Koppelin Sabine LeutheusserSchnarrenberger fraktionslos Petra Pau Enthalten CDU/CSU Manfred Carstens ({81}) Axel E. Fischer ({82}) Susanne Jaffke Norbert Schindler BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Irmingard Schewe-Gerigk Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/68. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b sowie Zusatzpunkte 6 und 7 auf: 11. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/25 ({83}) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/26 ({84}) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Jobs ({85}) - Drucksache 15/23 ({86}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Wolfgang Börnsen ({87}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum optimalen Fördern und Fordern in Vermittlungsagenturen ({88}) - Drucksache 15/24 ({89}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({90}) - Drucksache 15/77 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Brandner Karl-Josef Laumann Dirk Niebel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({91}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksachen 15/78, 15/79, 15/80, 15/81 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Jürgen Koppelin Volker Kröning Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({92}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dirk Niebel, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Handeln für mehr Arbeit - Drucksachen 15/32, 15/77 Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Daub, Helga Dr. Lamers ({93}), Karl A. Rossmanith, Kurt J. FDP CDU/CSU CDU/CSU Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Brandner Karl-Josef Laumann Dirk Niebel ZP 6 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Fördern und Fordern in der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe - Drucksache 15/46 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({94}) Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitnehmerüberlassung - Drucksache 15/55 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({95}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, über den wir später namentlich abstimmen werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit, das sind 302 Stimmen, erforderlich ist. Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Zum Entwurf eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP, ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie drei Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/ CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir auch so. Ich eröffne die Aussprache; das Wort hat zunächst der Abgeordnete Klaus Brandner, SPD.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute zwei Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Sie stellen die größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. ({0}) Dies, meine Damen und Herren, gilt es einmal festzuhalten, bevor sich die Nörgler wieder in ihren alten Positionen einmauern. Lothar Späth, bekanntlich der Kandidat für das Superministerium von CDU/CSU, hat noch am 10. September gesagt: Es gibt in Deutschland keinen Mangel an Vorschlägen und Kommissionen, sondern einen Mangel an Taten. Wir tun etwas: schnell, konkret und keineswegs überhastet, also nicht hopplahopp, wie es Herr Merz von der CDU vor kurzem darstellen wollte. Denn das Ministerium hat die Zeit der Wahlkämpfe und der Regierungsbildung für die Vorarbeiten an den Gesetzentwürfen genutzt. ({1}) Es liegt nun ein schlüssiges Gesamtpaket vor. ({2}) Die Hartz-Gesetze sind in unsere beschäftigungspolitische Strategie eingebettet. ({3}) Sie wirken zusammen mit der großen Steuerreform, der Rentenreform und der Reform im Gesundheitswesen. Wir sind ein reformfreudiges Land. ({4}) Wir wissen: Politische Reformen bedeuten fast immer auch Schmerzen. Aber im Endergebnis wird es mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose geben. Das ist die politische Auseinandersetzung wert. Es geht um einen Aufschwung am Arbeitsmarkt, aber auch um einen Stimmungsumschwung bei Unternehmern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir dürfen trotz der unbefriedigenden Arbeitsmarktlage nicht in Lethargie verfallen. Unterschiedliche Interessen schließen einen Konsens am Ende nicht aus. Das hat Peter Hartz in eindrucksvoller Weise gezeigt. Von diesem Grundgedanken lassen wir uns nicht abbringen. ({5}) Unsere Gesetze werden dazu beitragen, dass sich die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum verbessern und dass das Wachstum insgesamt beschäftigungsintensiver ausfällt. Ich fordere die CDU/CSU auf, aus ihrer Verweigerungsecke herauszukommen. Wir dürfen nämlich keine weitere Zeit verlieren und keinesfalls bis zu den Wahlen in Hessen und Niedersachsen warten. ({6}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Die Theaterinszenierung von Herrn Koch im Bundesrat ist allen noch in schlechter Erinnerung. ({7}) Um es deutlich zu sagen: Sachliche Kritik gibt es an dem Gesetz nur an ganz wenigen Stellen. Ich werde darauf noch im Einzelnen eingehen. Beide Gesetze spiegeln den Geist der Hartz-Kommission wider. Es geht schlicht darum, die Flexibilität für die Unternehmen mit der Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbinden. In einer hoch entwickelten, exportorientierten Volkswirtschaft mit scharfem internationalem Wettbewerb brauchen die Unternehmen viel Flexibilität. Das ist wichtig. Genauso wichtig ist aber eine stabile Basis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sonst können wir unsere Wettbewerbsvorteile an Produktivität und Qualität der Arbeit nicht halten. Den Konkurrenzwettlauf mit den Billiglohnländern können wir nie gewinnen. Natürlich brauchen wir auch mehr Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten. Aber Hartz können Sie nicht als Vehikel für einen Niedriglohnsektor missbrauchen - genauso wenig für den generellen Abbau der Sozialstandards. Das muss Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, deutlich gesagt werden. Wir sind nicht bereit, diesen Weg mitzugehen. ({8}) Die Gesetze sind ein wichtiger Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Konkret geht es um Personal-ServiceAgenturen, haushaltsnahe Dienstleistungen, Ich-AGs und die Förderung von Existenzgründern. Darüber hinaus tragen die schnelle Arbeitsvermittlung, der vorbeugende Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente und ein kundennaher Service der Arbeitsämter, die sich zu Jobcentern entwickeln, zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei. Eine große Neuerung, geradezu eine Kulturrevolution in der Arbeitsmarktpolitik, gibt es bei der Zeitarbeit. In jedem Arbeitsamt wird mindestens eine Personal-Service-Agentur eingerichtet, die - um es Ihnen auch in diesem Hohen Hause zu sagen - privat betrieben wird. Nur für den Fall, dass kein privater Betreiber gefunden wird, wird das Arbeitsamt die Vermittlung selbst in die Hand nehmen müssen. Ziel ist die vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung. Für die Unternehmen bedeutet das, dass der Kündigungsschutz faktisch nicht zum Tragen kommt, weil sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der PSA jederzeit zurückgeben können. Für den Mitarbeiter selber bleibt es beim Kündigungsschutz; denn er hat einen ganz normalen Arbeitsvertrag mit allen Rechten und Pflichten. Das ist ein sozialverträglicher Ausweg aus einem Dilemma, wo sich scheinbar gegensätzliche Interessen gegenüberstehen - ein Musterbeispiel für die Versöhnung von Arbeit und Kapital. Die Behauptung, hiermit werde der Staatsapparat noch ausgebaut, ist so absurd, dass es sich gar nicht lohnt, darauf noch näher einzugehen. ({9}) Mit den neuen Bestimmungen holen wir die Leiharbeit insgesamt aus der Schmuddelecke. ({10}) Wir schaffen, entsprechend dem niederländischen Vorbild, auch neue Arbeitsplätze. Die gesetzlichen Grundlagen sind jetzt gelegt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre Zusage einhalten und schon bald vernünftige Tarifverträge abschließen werden. ({11}) Natürlich werden diese auch Abweichungen nach unten und Einstiegstarife vorsehen. Jedem ist doch klar, dass überzogene Forderungen Langzeitarbeitslosen oder auch sonstigen Arbeitslosen, die entsprechende Qualifikationen haben, nicht helfen. Über diesen Grundsatz sind wir uns hoffentlich alle einig. In der Ausschussberatung gab es noch wichtige Änderungen. Die Personal-Service-Agenturen sollen schnell anfangen können. Deshalb können sie bereits auf bestehende Tarifverträge aus der Zeitarbeit zurückgreifen. Sie brauchen jetzt keine neuen Tarifverträge abzuschließen. Für die Zeitarbeitsbranche insgesamt gilt eine verlängerte Übergangsfrist bis zum Jahre 2004. In gut einem Jahr muss es für alle möglich sein, sachgerechte und flexible tarifvertragliche Lösungen zu finden. Ich sage Ihnen: Das wird auch so kommen. Die Gewerkschaften haben bereits eine Tarifgemeinschaft gebildet. Die Verhandlungen können also ab sofort starten. Es steht nichts im Wege. Alle wollen, dass Personal-Service-Agenturen ein voller Erfolg werden und dass die Vermittlung von Arbeitslosen möglichst schnell erfolgt. Ab 2004 fallen auch alle anderen Beschränkungen des bisherigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Auch hiervon können Tarifverträge schon vorher abweichen. Die Tarifvertragsparteien haben das Heft voll in der Hand. Der Gesetzgeber zieht sich dann weitgehend zurück. Nicht mehr, sondern weniger Staat - das ist doch genau das, was Sie von der Opposition immer wieder fordern ({12}) bieten wir mit dieser Regelung an. Was wir allerdings nicht wollen - um auch das deutlich zu sagen -, ist Lohndumping und ist die Verdrängung von Teilen der Stammbelegschaft durch Zeitarbeitnehmer. ({13}) Das würde auch gar keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen. Die SPD ist zusammen mit Peter Hartz der vollen Überzeugung, dass wir in Deutschland die Tarifvertragsparteien brauchen. Sie sind näher am Ball und können schneller und differenzierter reagieren als der Gesetzgeber. Auch das ist Hartz „eins zu eins“. Die Alternativen wären nämlich: entweder eine Überregulierung oder eine Schwächung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Einseitige Lösungen sind zumin672 dest mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht zu machen. Deshalb gilt: Wer jetzt den Zwang zu Tarifverträgen kritisiert, möchte anscheinend doch den Drehtüreffekt. Die Koalition hingegen begrüßt, dass sich die Gewerkschaften jetzt stärker um die Gruppe der Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer kümmert. Unbestritten gibt es in Deutschland noch Arbeitsplatzpotenzial, zum Beispiel bei den haushaltsnahen Dienstleistungen. Darauf wird meine Kollegin Doris Barnett näher eingehen. Sie wird deutlich machen, dass wir mit den jetzt vorgelegten Gesetzen auch dieses Feld so beackern werden, dass sich neue Beschäftigungschancen ergeben. Mit der Ich-AG gibt es außerdem ein ganz neues Mittel zur Existenzgründungsförderung. Arbeitslose sollen einen Zuschuss erhalten. Damit wollen wir vor allem Beschäftigungschancen in einem Bereich erschließen, der einfache, dem Handwerk ähnliche Dienstleistungen umfasst. Wenn die steuerlichen Regelungen, die noch abschließend verhandelt werden müssen, mit Beginn des neuen Jahres hier im Hohen Haus beraten werden, dann wird auch diese Regelung eine runde Sache werden. Was bereits läuft - auch darauf muss man hinweisen -, ist das Programm „Kapital für Arbeit“. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau vermeldet hier bereits erste Erfolge. Ich sehe darin Chancen vor allen Dingen für die neuen Länder, weil es hier um eine eigenkapitalähnliche Förderung geht. Der Anteil der Selbstständigen liegt dort mit 8,4 Prozent immer noch deutlich unter dem Wert der alten Bundesländer in Höhe von 10,3 Prozent. Die Chancen liegen überwiegend im Bereich qualifizierter Arbeit. Die berufliche Qualifizierung ist und bleibt deshalb der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die massive Förderung der Qualifizierung bleibt daher eine unverzichtbare Daueraufgabe. Das gilt auch für Ältere und diejenigen, die die erste Ausbildung nicht richtig bewältigt haben. Innerhalb der Qualifizierung gibt es allerdings erheblichen Reformbedarf. Die kleine Revolution im Hartz-Konzept ist noch viel zu wenig bekannt; denn Bildungsgutscheine und eine Zertifizierung der Bildungsträger werden eine ganz erhebliche Bewegung in die Bildungslandschaft bringen. Das wird das Verfahren beschleunigen, die Bildungsträger eindeutig auf die Integration in den Arbeitsmarkt ausrichten und Qualifizierung sowie Vermittlung verdoppeln. Nicht akzeptabel ist allerdings das, was ich aus einigen Arbeitsämtern höre: Mit dem Hinweis auf das neue Zertifizierungsverfahren würden die Qualifizierungsmaßnahmen vorerst gestoppt. ({14}) Wir wollen, dass die so wichtige Qualifizierung natürlich auch in der Übergangsphase erfolgt. ({15}) Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit ist eingeleitet. Erste Schritte zu Jobcentern sind getan. Die Rahmenbedingungen für eine rasche und nachhaltige Vermittlung in Arbeit werden erneuert. Wir verbessern dafür die Serviceund Vermittlungsqualität und bauen überflüssige Bürokratie sowie verkrustete Strukturen ab. Das bringt uns auch eine finanzielle Entlastung. Allein für diesen Effizienzgewinn lohnt es sich zu kämpfen. Denn unser Ziel bleibt, mittelfristig auch die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit wieder senken zu können. Die Hartz-Gesetze sind ein Signal zum Konsens und zum Aufbruch. Was der Superministerkandidat Späth gestern noch als revolutionär bezeichnet hat, kann doch heute kein Pfusch sein. ({16}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben fachlich keine Alternative vorgelegt. Mit Nörgeln müssen wir leben. Aber dass Sie damit die Stimmung in der Wirtschaft kaputtmachen, das haben Sie zu verantworten. ({17}) Im Übrigen machen Sie damit eines: Sie verbauen die Zukunftschancen für Unternehmen und Arbeitslose. Blockieren Sie nicht den Fortschritt am Arbeitsmarkt! Stimmen Sie dieser fortschrittlichen Regelung zu! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl, CDU/CSU. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brandner hat von der Jahrhundertreform auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Bloß, was Sie sich bei der Umsetzung dieses Gesetzentwurfes geleistet haben, ist des deutschen Parlamentes - zumindest nach unserem Verständnis; ich weiß nicht, welches Sie haben unwürdig. ({0}) Einmal beschließen Sie dies, dann beschließen Sie das, dann verkündigen Sie jenes. Herr Clement spricht abends mit den Betroffenen, trifft sich mit den Vertretern der Zeitarbeitsfirmen und kommt zu Einigungen. Am nächsten Tag steht in den Änderungsanträgen etwas vollkommen anderes. ({1}) Es geht nicht darum, dass man sich auf der Suche nach einem richtigen Weg einmal verirrt. Aber Sie haben inzwischen einen riesigen Irrgarten aufgebaut. Ihr Problem ist, dass Ihre ganze Richtung nicht stimmt. Ihnen ist es vollkommen egal, was Wirtschaftsexperten sagen; dass sie sagen, so geht es nicht. Ihnen ist es egal, dass in der öffentlichen Anhörung zum Beispiel der Arbeitsmarktexperte Dr. Walwei vom IAB meint, es sei nicht realistisch, dass im Rahmen des neuen Gesetzes Arbeitsplätze geschaffen würden, und dass die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten sagen, das Ziel des Hartz-Konzeptes, die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen zu senken, sei eine Illusion. Wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das sogar indirekt zu; ansonsten würden Sie in Ihrer Prognose für das nächste Jahr nicht noch von 4,1 Millionen Arbeitslosen ausgehen. Was hat denn der Sachverständigenrat diese Woche gesagt? - Dass Ihre Reformen am Kernproblem des Arbeitsmarktes vollkommen vorbeigehen und dass strukturelle Reformen notwendig sind; denn nur mit strukturellen Reformen kann man die Massenarbeitslosigkeit abbauen. ({2}) Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren von der Koalition, dass das 20-Punkte-Programm, das diese Woche vom Sachverständigenrat auf den Tisch gelegt worden ist, bei Ihnen wieder in der Schublade verschwindet. Sie gehen immer nach der Schubladentaktik vor: Schublade auf, Gutachten rein, Schublade zu. Die Schublade wird erst dann wieder aufgemacht, wenn ein neues Gutachten kommt. Aber das ist doch nicht die richtige Politik, um ein Land wirtschaftlich wieder nach vorne zu bringen! ({3}) Ich glaube, wir sind uns einig, dass das ursprüngliche Hartz-Konzept gute Ansätze enthalten hat; ({4}) darüber besteht sicherlich Konsens im ganzen Hause. Aber ich denke, wir sind uns auch darin einig, dass keine generellen Anreize für die Unternehmen, für die Betriebe, neue Arbeitsplätze zu schaffen, darin enthalten waren, geschweige denn im jetzigen Gesetzentwurf. In dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt Hartz überhaupt nicht mehr vor. Ich habe gerade von Herrn Brandner gehört, dass der Geist von Hartz noch enthalten sei, wenigstens also das. ({5}) Herr Rürup muss sehr aufpassen, dass, wenn in der Rentenkommission, der er zukünftig vorstehen soll, etwas beschlossen wird, was hinterher mit seinem Namen in Verbindung gebracht wird, in dem entsprechenden Gesetzentwurf nicht etwas ganz anderes steht. Aber nun haben wir den Gesetzentwurf zu den Neuregelungen für die Zeitarbeit vorliegen. Welche Folgen wird die Umsetzung dieses Gesetzentwurfs haben? Sie bedeutet das faktische Aus der jetzt bestehenden Zeitarbeit. Aber anscheinend wollen Sie das. Ich habe einmal in Ihrem Parteiprogramm nachgelesen, das ja noch gültig ist. Darin steht der Satz: „Leiharbeit ist zu verbieten“! ({6}) Nun versuchen Sie, unter dem Pseudonym „Hartz“ diesen Weg zu realisieren. Dabei übersehen Sie vollkommen, was Zeitarbeit bis jetzt für unsere Volkswirtschaft leistet. Allein im Jahr 2001 wurden von 500 000 Arbeitslosen - ich spreche jetzt nur von Arbeitslosen, nicht von den Festangestellten in den Zeitarbeitsfirmen -, die in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt worden sind, 180 000 in feste Jobs bei den Kunden vermittelt. Das ist eine Erfolgsgeschichte! ({7}) Ein Grund dafür ist die Entgeltsituation, die wir momentan haben. Ein weiterer Grund ist teilweise auch die Tariflosigkeit. Das sage nicht ich und das sagt nicht die Opposition, sondern das sagt Herr Gerster von der Bundesanstalt für Arbeit. So ganz Unrecht scheint er hier nicht zu haben. Jetzt haben wir eine Übergangsfrist von einem Jahr; das ist auch richtig so. Aber in dem Gesetzentwurf heißt es auch: gleicher Lohn für Leiharbeiter wie für die eingearbeitete Stammbelegschaft vom ersten Tag an. Wenn Herr Brandner als Beispiel die Niederlande anführt, muss ich dazu sagen: Equal Pay gibt es in den Niederlanden erst nach 18 Monaten. Vielleicht sollten Sie das bei einem internationalen Vergleich einmal deutlich machen. ({8}) Das ist auch ein Grund dafür, dass die Vermittlungszahlen dort höher sind als bei uns. Ab dem ersten Tag gleicher Lohn, das klingt natürlich gut. Bloß, Herr Brandner, meine Damen und Herren, Sie müssen auch eines bedenken: 30 Prozent derjenigen, die hier vermittelt werden, sind Hilfskräfte und die Hälfte von allen Vermittelten sind Geringqualifizierte. ({9}) - Ich habe das Gesetz gelesen, Herr Stiegler, da können Sie sicher sein. ({10}) Diese Geringqualifizierten bringen nicht vom ersten Tag an die Leistung und die Produktivität wie die eingearbeitete Stammbelegschaft. Wozu wird das führen? - Die Zeitarbeit wird weiter bestehen bleiben, das ist nicht das Thema, aber sie wird sich ändern. Für die Geringqualifizierten und die Langzeitarbeitslosen wird zukünftig keine Chance mehr bestehen, einen festen Job zu bekommen, denn sie werden nicht mehr vermittelt werden. Es werden nur noch die Hochqualifizierten und die Facharbeitskräfte in die Zeitarbeit vermittelt werden. Die anderen fallen aus dem Markt heraus; Sie nehmen ihnen die letzte Chance, einen dauerhaften Job zu bekommen. ({11}) Es ist nicht nur so, dass Sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag fordern, sondern es sollen zukünftig auch noch die gleichen Arbeitsbedingungen gelten. Das heißt, wenn ein Zeitarbeiter bei der Lufthansa beschäftigt wird, und wenn es nur für sechs Wochen oder für fünf Tage ist, stehen ihm Freiflüge zu, und jemand, der bei Daimler-Benz beschäftigt wird, bekommt dort Rabatt beim Autokauf. Das sind nur Beispiele, vielleicht sind sie sogar ein bisschen überzogen. ({12}) Aber man muss darstellen, dass Sie auf dem falschen Weg sind; denn das kann sich keine Zeitarbeitsfirma leisten, weder finanziell noch organisatorisch. Es gibt in Deutschland über 54 000 Tarifverträge und Sie können von niemandem, von keiner Zeitarbeitsfirma und keinem Vermittler, verlangen, dass er in allen 54 000 Tarifverträgen fit ist. ({13}) Sie sagen: Das ist nicht so schlimm, man kann ja Ausnahmemöglichkeiten schaffen. Die Ausnahmemöglichkeiten gestehen Sie allerdings nur dann zu, wenn die Zeitarbeitsfirmen einen Tarifvertrag abschließen. Das ist ein Tarifdiktat, auch wenn Sie hundertmal etwas anderes behaupten. Die Zukunft der Branche liegt in den Händen der Gewerkschaften ({14}) und die Arbeitgeber können das nur noch abnicken, mehr können sie nicht tun. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, aber Sie trauen sich nicht, ein klares Bekenntnis zur Leiharbeit abzugeben. Ich komme jetzt kurz auf die Minijobs zu sprechen. Hier haben Sie eine Mickymaus-Minireform auf den Weg gebracht. Was ist denn mit den vielen Minijobs in der Gastronomie? Erklären Sie mir, warum zum Beispiel die Bedienung im Biergarten, beim Italiener um die Ecke oder in Ihrer Stammwirtschaft auf einmal von der Minijobförderung ausgenommen werden soll! Erklären Sie mir einmal, warum Sie die steuerliche Ausgestaltung der Ich-AGs immer noch nicht geregelt haben! Die Gesetzentwürfe liegen auf dem Tisch, aber bis heute ist noch keine Regelung gefunden worden. Das alles sind unausgegorene Vorschläge. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt ist für uns wichtig: ({15}) Wachstum. Ohne Wachstum geht es nicht. ({16}) Hier müssen die Hebel angesetzt werden. Sie gehen den falschen Weg. Ihre Politik hilft nicht weiter. Denn das ist Politik ohne Richtung und ohne Kompass. Dieses Herumirren - ob Sie dabei das Hartz-Lied singen oder nicht führt nur in die Sackgasse. Vielen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wöhrl, nach Ihrer Rede muss ich sagen: lieber den Geist von Hartz als das Dies und Das der CDU. ({0}) Heute setzen wir nicht Herrn Hartz, aber das HartzKonzept auf das arbeitsmarktpolitische Laufband. Damit ist endlich eine Zeit vorbei, in der die Faulenzerdebatte immer wieder hochgeschwappt ist. ({1}) Erinnern Sie sich noch an den März letzten Jahres, als Herr Merz hier über Essensmarken für arbeitsunwillige Arbeitslose schwadroniert hat? Ich bin froh, dass diese unwürdige Debatte durch eine Konzeptdiskussion ersetzt worden ist. ({2}) Nach 20 Jahren Massenarbeitslosigkeit in diesem Land wissen die Menschen ganz genau, dass wir es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben, das wir nicht bei den Arbeitslosen abladen können. Sie wissen, dass die alten Konzepte nicht mehr tragen und wir neues Denken brauchen. Sie wissen auch, dass wir neue Instrumente brauchen und schon in den 90er-Jahren, Frau Wöhrl, vom Ausland hätten lernen können; damals lagen Sie aber noch im Dornröschenschlaf der arbeitsmarktpolitischen Konzeptlosigkeit. ({3}) Mit den Hartz-Vorschlägen gehen wir Stück für Stück voran. Heute werden wir das Konzept „Fördern und Fordern“ verankern. Wir führen heute eine spannende Debatte, die wir ohne die Hartz-Vorschläge nicht hätten führen können; denn für die wesentlichen Veränderungen am Arbeitsmarkt, die so viele Arbeitslose und Unternehmen betreffen, muss es einen Konsens in unserer Gesellschaft geben. Dieser musste zunächst erarbeitet werden. ({4}) Deshalb stellt das Hartz-Konzept, welches einen Konsens zwischen vielen unterschiedlichen Denkansätzen gefunden hat, einen Weg dar, um zu einer vernünftigen Runderneuerung in der Arbeitsmarktpolitik zu kommen. ({5}) Wir reden heute über neue Instrumente, zum Beispiel darüber, wie wir mit den Personal-Service-Agenturen die Zeitarbeit von einem Trampelpfad zu einem guten Weg für Langzeitarbeitslose entwickeln können, damit sie in den ersten Arbeitsmarkt hineinkommen. Über die einzelnen Schritte können wir uns streiten, das ist richtig. Wir reden darüber, aber wir setzen es auch um. Wir reden darüber, wie wir mit Minijobs endlich der Schwarzarbeit zu Leibe rücken können, und zwar in einem ganz zentralen Bereich, nämlich dem haushaltsnahen Bereich, wo es viel Schwarzarbeit gibt, wo viele Arbeitsverhältnisse - gerade auch von Frauen - illegal sind. ({6}) Wir reden über Kapital für Arbeit, wo der Arbeitslose sozusagen Kapital im Rucksack in die kleinen Unternehmen mitbringt, wenn er dort einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat. Wir reden über die Ich-AG als Hebamme für kleine selbstständige Unternehmen in diesem Lande. Wir reden über Bildungsgutscheine, mit denen Arbeitslose in größerer Selbstbestimmung Qualifikationsangebote für sich selbst in Anspruch nehmen können. Wir reden endlich über Jobcenter als eine gemeinsame Institution zur Beratung von Langzeitarbeitslosen, anderen Arbeitslosen und Arbeitssuchenden. Wir machen Angebote an Junge, an Frauen, an Ältere, an Langzeitarbeitslose. Wir machen Angebote zur aktiven Integration in den Arbeitsmarkt, wobei allerdings - dies gehört zum Konzept des Förderns und Forderns dazu - für die Arbeitslosen die Verpflichtung besteht, aktiv mitzuwirken. Denn für uns als Grüne ist es eine der zentralen arbeitsmarktpolitischen Aufgaben in dieser Gesellschaft, Zugangsgerechtigkeit herzustellen, weil Massenarbeitslosigkeit ein Gerechtigkeitsproblem ist. ({7}) Mit dem Hartz-Konzept gehen wir auf einem Weg weiter, den wir begonnen haben, einen Weg des Paradigmenwechsels, der die Integration in den Arbeitsmarkt will, diese vorbereitet und der die Ausgrenzung endlich beendet. Das Herz von Hartz - dies wurde vorhin vorgetragen ist die Personal-Service-Agentur, ist die Zeitarbeit. Darüber gibt es den großen Streit. Diesen haben wir in den letzten Tagen und auch heute wieder in der Presse verfolgen können. Es ist wichtig festzustellen: Der Startschuss für die Personal-Service-Agenturen fällt am 1. Januar 2003. Das ist wichtig, denn oberstes Ziel dieser PersonalService-Agenturen ist es, der Langzeitarbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken. Das ist bedeutsam, weil heute 20 Prozent der Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, diese aber 75 Prozent des Volumens der Arbeitslosigkeit ausmachen. Das bedeutet: Wenn es uns über verschiedene Instrumente und gerade auch über die Zeitarbeit gelingt, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren, werden wir auch dem Volumen der Arbeitslosigkeit erheblich zu Leibe rücken können. Das ist ein ganz zentrales Ziel. Deswegen haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, wie diese Personal-Service-Agenturen arbeiten können. Hierbei gab es Konflikte, aber wir sind in den letzten Tagen zu einem - wie ich finde - sehr guten Kompromiss gekommen. Es gibt drei Bedingungen, unter denen diese Personal-Service-Agenturen funktionieren können: Erstens. Damit die Zeitarbeit angenommen wird, muss sie aus der Schmuddelecke heraus. Sie muss gesellschaftlich akzeptiert werden. ({8}) Dazu gehört die tarifliche Orientierung, lieber Herr Kollege Singhammer, auch wenn Sie das nicht glauben. ({9}) Zweitens. Die Langzeitarbeitslosen brauchen besondere Einstiegsbedingungen, wenn es gelingen soll, ihnen mithilfe der Zeitarbeit Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen. Sie brauchen dies, weil sie vom ersten Arbeitsmarkt entfernt sind. Auch diese Bedingungen werden wir sicherstellen. Drittens. Damit die Zeitarbeit akzeptiert wird, darf sie innerbetrieblich nicht zum Kampfinstrument gegen die Stammbelegschaften werden. ({10}) Mit dem Kompromiss der letzten Tage haben wir diese drei Punkte abgedeckt. Die Zeitarbeitsfirmen haben in der Anhörung vorgetragen, dass sie große Angst davor haben, am 1. Januar 2003 mit neuen Bedingungen konfrontiert zu werden, denen sie nicht gerecht werden können. Deswegen haben wir beschlossen - und zwar in Absprache mit den Zeitarbeitsfirmen und auch mit den Gewerkschaften -, dass eine Übergangsfrist von einem Jahr gilt und dass die Zeitarbeitsfirmen zusammen mit den Personal-ServiceAgenturen am 1. Januar 2003 unter den Bedingungen der heute geltenden Tarifverträge in das Geschäft der Leiharbeit einsteigen können. Die Befürchtung, dass die Zeitarbeitsfirmen in irgendeiner Weise beeinträchtigt würden und dass sie Beschäftigte entlassen müssten, ist also vom Tisch. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Zeitarbeitsfirmen haben nun die Chance, genauso wie die PersonalService-Agenturen in den sich erweiternden Markt der Leiharbeit einzusteigen. ({11}) Wir haben des Weiteren vereinbart, im nächsten Jahr das Prinzip des Equal Pay durch vernünftige Tarifverträge vorzubereiten. Solche Tarifverträge wollen auch die Zeitarbeitsfirmen, jedenfalls die vernünftigen, die eine Marktchance haben wollen. Denn sie wollen von dem Image der Vergangenheit weg, dass sie immer nur Dumpinglöhne zahlen. Auch die Gewerkschaften haben Interesse an solchen Tarifverträgen. Bei der Anhörung und den anschließenden Gesprächen haben die Gewerkschaften sehr deutlich gesagt - das ist mir sehr wichtig -, dass sie bereit seien, Einstiegsregelungen für Langzeitarbeitslose zu vereinbaren. Natürlich haben auch die Gewerkschaften - ihnen wird ja ständig das Gegenteil unterstellt - ein maximales Interesse daran, dass wir Regelungen für die Zeitarbeit finden, die geeignet sind, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu bringen. ({12}) Ich finde die jetzige Diskussion, die von Herrn Göhner angeführt wird - er ist ja nicht nur Hauptgeschäftsführer der BDA, sondern auch CDU/CSU-Bundestagsabgeordneter, also Mitglied Ihrer Fraktion -, sehr vordergründig. Man sollte sich vielleicht auch einmal Gedanken über den Einfluss der Verbände in den Fraktionen machen. ({13}) Hier ist die Rede von Tarifdiktat und stark ausgeprägten staatsmonopolistischen Strukturen in der Zeitarbeit. Zum Glück gibt es nicht nur die Meinung von Herrn Göhner. Der Markt ist sehr heterogen. Ich denke, es ist sehr deutlich geworden, dass die Zeitarbeitsfirmen selber Tarifverträge wollen. Sie streiten dagegen ab, dass es diesen Wunsch gibt. Ich denke, Sie sollten endlich mit Ihrer Kampfrhetorik aufhören und sich auf den Wagen schwingen, der jetzt abfährt, also unser Konzept unterstützen, das hilft, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu bringen. ({14}) Heute - ich habe leider nicht mehr genug Zeit, um das in Gänze auszuführen ({15}) kann man eine absurde Debatte in den Zeitungen nachlesen. Eine Zeitung behauptet beispielsweise, dass unser Konzept nicht bezahlbar sei und dass sich 7 Millionen Arbeitslose in den Personal-Service-Agenturen wiederfänden, wenn dieses Konzept umgesetzt werde. Ich kann Ihnen nur eines sagen - ausführlicher kann ich darauf nicht eingehen -: Das hat mit Sachkenntnis über das, was wir heute tun, überhaupt nichts zu tun. Diese Leute sind mit ideologischen Vorurteilen gepudert. ({16}) Wir wollen - darauf habe ich bereits hingewiesen - mit unserer Regelung der haushaltsnahen Dienstleistungen der Schwarzarbeit zu Leibe rücken. Wir wollen eine solche Regelung auch für alle Dienstleistungen, die rund um den Haushalt herum erbracht werden, wie zum Beispiel Gartenpflege, Kinderbetreuung und Altenpflege. Wir werden im Frühjahr prüfen, ob die Regelung der Minijobs nicht auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden kann. ({17}) Wir werden mit den Ich-AGs im Alltag erworbene Fertigkeiten von Arbeitslosen nutzen, deren Talente bis jetzt zum Beispiel im Hobbykeller verkommen, um ihnen zu helfen, mit ihren Fertigkeiten in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. Damit werden wir die Selbstständigkeit fördern. Wir werden außerdem das Qualifikationssystem mit praxisbezogenen Modulen modernisieren. Ich war letztens in einer solchen Einrichtung. Dort sagte mir jemand: Gebt mir einen Hammer, lasst mich arbeiten und textet mich nicht immer zu. ({18}) Das ist genau der Punkt: Wir müssen Module entwickeln, durch die Menschen, die sehr praktisch veranlagt sind, eine Chance bekommen, wieder am Arbeitsmarkt teilzuhaben. ({19}) Ich komme zum Schluss. Wir gehen Schritt für Schritt weiter. Ich kann hier keine Versprechungen dazu abgeben, wie stark die Regelungen im nächsten Jahr greifen werden. Wir alle wissen: Die Situation am Arbeitsmarkt wird auch im nächsten Jahr hart sein. Aber gerade deswegen müssen wir beherzt zu den neuen Instrumenten greifen, die uns das Hartz-Konzept liefert. Danke schön. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Göhner das Wort. ({0})

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dückert, da Sie mich direkt angesprochen haben, möchte ich Ihnen zunächst sagen: Sie werden schon ertragen müssen, dass in dieses Haus neben zahlreichen Gewerkschaftsfunktionären auch einige Vertreter der Wirtschaft gewählt worden sind. ({0}) Sie haben meinen Vorwurf eines Tarifdiktates zurückgewiesen. Dabei haben Sie hier selbst vorgetragen, dass ab 1 Januar kommenden Jahres die gewerblichen Zeitarbeitsfirmen zusammen mit den PSAs nur dann tätig sein können, wenn sie einen Tarifvertrag einhalten. Tarifzwang und Tarifdiktat sind das Gegenteil von Tariffreiheit. ({1}) Sie haben Probleme damit, zu akzeptieren, dass es in Deutschland Unternehmen gibt, die keinen Tarifvertrag wollen. Die negative Koalitionsfreiheit, dieTariffreiheit, enthält aber nicht nur die Freiheit, Tarifverträge abzuschließen und tarifgebunden sein zu wollen, sondern auch die Freiheit, das nicht zu wollen. ({2}) Diese schaffen Sie faktisch ab: Ab dem 1. Januar wird die Situation bestehen, dass die staatlich subventionierten PSAs auf dem gleichen Markt wie die nicht tarifgebundenen Zeitarbeitsunternehmer tätig sein werden, die dann künftig bei Beschäftigung eines Arbeitslosen nach der sechsten Woche nicht nur den Grundsatz des Equal Pay einzuhalten haben, ({3}) sondern auch den Grundsatz des Equal Treatment, das heißt, dass sie die wesentlichen Bedingungen des entleihenden Unternehmens einhalten müssen. Damit schaffen Sie eine Ungleichbehandlung im Wettbewerb. Natürlich wird es Zeitarbeitsunternehmen geben, die das Geschäft der staatlich subventionierten PSAs betreiben. Das ist verständlich, wenn der Gesetzgeber ein solches Gesetz beschließt. Aber dass dies ein faktisches Tarifzwanggesetz ist, ist außer Zweifel. ({4}) Frau Dückert, dieses Gesetz beinhaltet auch aus einem zweiten Grund ein Tarifdiktat. Das sage ich Ihnen als jemand, der Anhänger der Branchentarifverträge und der Flächentarifverträge ist und der selbst über 100 Tarifverträge ausgehandelt und unterschrieben hat. Durch die Regelungen, die Sie jetzt schaffen, sollen Zeitarbeitsunternehmen Tarifverträge aushandeln. Das wäre in meiner größten Fantasie nie denkbar gewesen. Die Gewerkschaften werden, wenn der Arbeitgeber nicht akzeptiert, was sie vorschlagen, eben keinen Tarifvertrag abschließen. Dann gilt das Equal Treatment, dann gilt die Regelung, dass die wesentlichen Bedingungen des entleihenden Betriebes einzuhalten sind. Diese Verhandlungssituation beinhaltet einen Zwang. Sie begrenzen also die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, weil Sie die Wirtschaft unter diesen doppelten Tarifzwang stellen. Die PSAs, staatlich subventioniert und teuer, werden boomen. Die private gewerbliche Zeitarbeit außerhalb der PSAs, die auch bei Problemgruppen, nämlich den Arbeitslosen, den Langzeitarbeitslosen und den Geringqualifizierten, vermittelt, machen Sie kaputt. Das ist die Folge Ihres Zwangs. ({5})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Göhner, auf Ihre Rede, die Sie hier als Kurzintervention getarnt haben, möchte ich kurz antworten und zwei Dinge ansprechen. ({0}) Erstens. Ich akzeptiere sehr wohl, dass Sie als Hauptgeschäftsführer der BDA auch Bundestagsmitglied sein können. Was mir aber wichtig war, ist, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer, diejenigen, die diese Debatte verfolgen, wissen, wer für was redet. Sie haben in den letzten Tagen eine Kampffront gegen das Instrument für die Integration von Langzeitarbeitslosen, das wir hier einführen wollen und müssen, aufgebaut. ({1}) Man muss wissen, dass das nicht nur von der CDU/CSU, sondern eigentlich von der BDA kommt. ({2}) - Da Sie sich offensichtlich erst unterhalten wollen, warte ich noch ein wenig; ich habe noch einen Moment Zeit. Es scheint Sie doch sehr zu treffen, dass hier deutlich etwas zu Ihren Argumenten vorgetragen wird. ({3}) Zu Ihren inhaltlichen Ausführungen nenne ich noch ein kurzes Argument; vielleicht wollen Sie ja zuhören: ({4}) Mit diesem Gesetz werden wir ab dem 1. Januar 2004 die gesamten Reglementierungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes abschaffen. Herr Göhner, das geht sehr viel weiter als das, was Ihre Fraktion jemals gefordert hat. Diese hat nämlich gefordert - da Sie hier mit dem Tarifdiktat argumentieren, sollten Sie gut zuhören -, dass die Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes für Unternehmen, die sich in der Tarifbindung befinden, abgebaut werden. Wir bauen sie für sämtliche Zeitarbeitsunternehmen ab. ({5}) Wenn Sie hier redlich argumentieren und nicht mit dieser Kampfrhetorik auftreten würden, müssten Sie auch sagen, was Abgeordnete Ihrer Fraktion - zum Beispiel denke ich an Herrn Laumann und andere Abgeordnete, die die tarifliche Bindung in diesem Bereich sehr wohl als sinnvoll und notwendig erachten - hier vertreten. Sie vertreten hier eine Eigenmeinung. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mit einem Zitat von Professor Porter beim Weltwirtschaftsforum beginnen. Er sagte dieser Tage: Es gibt zahlreiche Anzeichen, dass Deutschland seine eigene Position unterhöhlt. Schwachstellen sind die Ausbildung, die Wettbewerbsverzerrung durch Regierungsinterventionen und die hohe Arbeitslosigkeit. Es scheint keinen politischen Willen zu geben, die Grundprobleme anzugehen. Das ist sehr beunruhigend. ({0}) Dies ist ein Beleg dafür, wie man die Politik für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft in Deutschland von außen einschätzt. Ich zitiere noch einmal, diesmal aus dem grün-roten Koalitionsvertrag. Dort heißt es wörtlich: Mit der vollständigen Umsetzung der Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ beginnen wir die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte. Dies ist ein Satz mit zwei Lügen: Erstens. Sie setzen Hartz nicht entsprechend den Vorschlägen, die die Kommission damals gemacht hat, um. Mitglieder der Hartz-Kommission wenden sich von dem, was Sie hier präsentieren, öffentlich ab. Zweitens. Es ist nicht die größte Arbeitsmarktreform, sondern Sie praktizieren derzeit die größte Versäumung und Nichtwahrnehmung von Chancen. Sie regieren nicht, Sie werden durch die Gewerkschaftsseite regiert. ({1}) Fatal ist: Wenn Sie weiterhin nicht an die wahren Grundprobleme herangehen, fahren Sie die Wirtschaft an die Wand. ({2}) Wir befinden uns praktisch schon in der Stagnation. Die Deutsche Bank spricht von Rezession. Sie haben nicht den Mut, an die Kernprobleme heranzugehen. ({3}) Statt die Einstellungshemmnisse für die kleinen Betriebe im Land zu mindern, führen Sie die Konstruktion der Personal-Service-Agenturen ein. Statt den Kündigungsschutz für die Kleinen zu lockern, damit sie jemanden einstellen können, verstaatlichen Sie die Probleme durch Mega-Beschäftigungsgesellschaften. Sie leihen Leute aus und buchen sie aus der Arbeitslosenstatistik in die PSA um; damit entlasten Sie die Statistik. Die Anhörung hat es deutlich ergeben. Dabei handelt es sich um den größten statistischen Trick: Auch wenn sie keine Arbeit haben, fallen sie aus der Arbeitsmarktstatistik heraus. Das ist nicht in Ordnung! ({4}) Sie wollen befristete Arbeitsverträge im Alter ermöglichen, setzen aber gleichzeitig Anreize zur weiteren Frühverrentung. ({5}) Sie wollen die Brückenfunktion der Zeitarbeit ermöglichen, machen sie aber gleichzeitig durch den Tarifzwang unmöglich. Das Problem besteht darin, dass Sie die Schwierigkeiten kostümieren. Statt sie wirklich zu korrigieren und den Menschen im Land eine Chance zu geben, kommen Sie nur mit Teillösungen. Sie gehen nicht an den Kern heran. Dadurch, dass sie die Problemstrukturen indirekt fortsetzen, machen Sie die Lösung der Probleme unmöglich. Sie werden die Arbeitslosigkeit nicht entscheidend senken. Ihr erster Schritt - die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge und der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, die Sie heute ebenfalls beschließen werden - wird mehr als 100 000 Arbeitsplätze kosten. Diese Arbeitsplätze gehen verloren, weil Sie die Lohnnebenkosten nach oben treiben, statt sie zu senken. ({6}) Sie kennen sicherlich das Bild der potemkinschen Dörfer. ({7}) Dabei handelt es sich um Dörfer, die es gar nicht gibt. Sie schaffen ein neues Bild: die Nürnberger Arbeitsplätze. Das sind nämlich Arbeitsplätze, die es gar nicht gibt und die Sie nur durch Umbuchungen in der Statistik schaffen. ({8}) Aber Umbuchungen sind nicht die Lösung. Die Lösung ist einfach; Sie müssen sie nur umsetzen. Nehmen Sie das Gutachten des Sachverständigenrats - inzwischen haben Sie ja viele SPD-nahe Wissenschaftler berufen, Wissenschaftler, von denen einige sogar Ihr Parteibuch haben; insofern können Sie nicht mehr behaupten, er sei ein Hort der Opposition -, das in 20 Punkten darstellt, wie grottenfalsch Ihr Kurs ist und dass Sie höhere steuerliche Belastungen herbeiführen, statt eine Entlastung zu bewirken. Sie kommen mit dem Pseudoargument, die Steuerlastquote sei niedrig. Dieser Tatbestand ist doch Ausdruck dessen, dass viele keine Steuern mehr zahlen können, weil sie keine Gewinne erzielen. Sie würden mehr Steuern einnehmen, wenn Sie Gas gegeben hätten. ({9}) Was Ihre Bedenken angeht, Herr Brandner, wir sollten das Land nicht schlechtreden, versichere ich Ihnen: Sie haben das Land schlecht regiert. Wir hören in jeder Beratung, dass alles prima sei und dass Sie eine tolle Politik betrieben, nur die Opposition sei nicht in der Lage, Ihre - falsche - Politik zu bejubeln. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, Ihre falsche Politik noch zu beweihräuchern. ({10}) Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit auszusprechen, einen Wettbewerb der Ideen in die Diskussion zu bringen und zu verhindern, dass die deutsche Wirtschaft gegen die Wand gefahren wird. ({11}) Auch nach Aussage der Sachverständigen behält Deutschland den letzten Platz in Europa bei. Wir kommen in keinem Punkt nach vorne. Wir können von dem kleinen Finnland und dem kleinen Irland lernen, wie man Bewegung hineinbringt. Weil Sie den Menschen zu viel wegnehmen, können sie nichts ausgeben oder investieren. Es kommt zu einer Konsum- und Investitionsschwäche. Weil Ihnen ständig etwas Neues einfällt, haben die Menschen kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kann sich die Wirtschaft aber nicht entwickeln. Deshalb ist der von Ihnen eingeschlagene Kurs so fatal falsch. ({12}) Korrigieren Sie Ihren Kurs! Dieses Land hat bessere Chancen verdient. Sie werden die Wirtschaft nur in Gang bekommen, indem Sie den Menschen mehr belassen und ihnen die Möglichkeit geben, Geld auszugeben. Wenn sie nichts mehr haben, können sie auch nichts mehr ausgeben. Wenn die Wirtschaft nicht mehr kalkulieren kann, sind auch keine Investitionen möglich. Die Folge Ihrer fatalen Politik schlägt sich jetzt in den Zahlen nieder: Stagnation und rezessive Tendenzen. ({13}) So kommen wir aus der Wirtschaftsmisere nicht mehr heraus. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Barnett.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brüderle, wir zeigen politischen Willen und auch politischen Mut. Warum beteiligen Sie sich nicht daran? Sie wollen an den Kern herangehen, unter dem Sie allerdings die Abschaffung des Kündigungsschutzes und, wenn möglich, den Wegfall der betrieblichen Mitbestimmung verstehen. ({0}) Sagen Sie das den Menschen im Lande doch endlich einmal ehrlich! Ihre Gesetzentwürfe und Ihr Antrag zeigen, dass Sie prinzipiell Nein sagen. Das können Sie nach außen nicht vertreten. In der Sache liegen wir nämlich nicht so weit auseinander. Ihnen geht es aber nicht um die Sache. Ihnen geht es auch nicht um die Arbeitslosen, sondern Ihnen geht es um das Schlechtreden. Sie wollen lieber einen Crash als einen Grip. ({1}) Sie wollen die Konjunktur lieber gegen die Wand fahren, als sie endlich in Fahrt zu bringen. Sie wollen eine Anhebung der Verdienstgrenze für die über 4 Millionen registrierten geringfügig Beschäftigten auf 400 Euro im Monat. Das machen wir, allerdings für einen begrenzten Bereich, nämlich für die Haushaltsdienstleistungen. In diesem Bereich gehen wir sogar auf 500 Euro. Damit bereinigen wir endlich einen Markt, in dem bisher fast ausschließlich illegal gearbeitet wurde und der hauptsächlich von Frauen bedient wurde. Wir machen diese Beschäftigungsverhältnisse legal. Wir schaffen sowohl für die so beschäftigten Frauen als auch für die Haushalte Anreize. Das wird unserer Gesellschaft gut tun. 3,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse werden dann auch für ihre Arbeitgeber legal. Die beschäftigten Personen - meist Frauen - haben es dann in der Hand, ob sie in Haushalten bis zu 500 Euro verdienen, ob sie sozialversicherungspflichtig im Haushalt angestellt sein wollen oder ob sie sozialversicherungspflichtig bei einer Dienstleistungsagentur oder zum Beispiel einem Reinigungsunternehmen arbeiten möchten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte meine Rede zu Ende führen. Sie kann sich ja nachher in einer Kurzintervention zu Wort melden. Der Haushalt bekommt das je nach Beschäftigungsform honoriert. Klarstellen möchte ich an dieser Stelle: Auch Tagesmütter fallen unter diese haushaltsnahen Dienstleistungen, wenn sie die Kinder in ihrem Haushalt betreuen. Damit diese Regelungen größtmögliche Wirkung haben, wird der Haushalt diese Dienstleistungen nicht über Werbungskosten bei den Steuern geltend machen, weil gerade die Haushalte, die diese Dienstleistungen wöchentlich nur drei bis vier Stunden abrufen, oft nicht über die Werbungskostenpauschale hinauskommen. Wir haben uns für den Abzug von der Steuerschuld entschieden. Davon profitieren nämlich alle. Dass der Abzug bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen höher ausfällt, halte ich insbesondere im Interesse der Frauen für richtig. Insoweit sind die Forderungen der Union eigentlich erfüllt, allerdings verbunden mit pauschalen Beiträgen zur Sozialversicherung. Was wir nicht wollen, ist eine generelle Ausweitung aller sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse; denn diese geht immer zulasten der regulären Arbeitsplätze, der Sozialkassen und - wie immer - der Frauen. ({0}) Sie fordern gestaffelte Sozialversicherungsbeiträge für einen Einkommensbereich von 400 bis 800 Euro. In Rheinland-Pfalz machen wir das. Wir nennen es dort Mainzer Modell, womit wir Erfolg haben. Wir gehen sogar noch weiter als Sie, weil bei Ihnen die Frage der Sozialversicherung nicht eindeutig geklärt ist. Wir haben dieses Problem gelöst. Zudem tun wir etwas für Familien und Alleinerziehende, weil wir für sie einen gestaffelten Zuschlag für Kindergeld vorgesehen haben. Schließlich werden wir dafür sorgen, dass unser sozialer Rechtsstaat, der nach dem Krieg Wohlstand für viele gebracht hat, auch weiterhin bestehen bleiben kann. Deshalb haben und werden wir die Funktionstüchtigkeit der Sozialsysteme nicht infrage stellen, sondern dafür sorgen, dass sie bei allem Reformbedarf auch weiterhin funktionieren. Sie fordern, den Ländern Abweichungen von Zumutbarkeitskriterien und Sperrzeitregelungen zu erlauben. Wir verändern beide. Wir wissen sehr wohl, dass wir insbesondere allein stehenden Arbeitslosen eine größere Mobilität abverlangen können und müssen. Aber wir sind der Ansicht, dass diese Kriterien im gesamten Bundesgebiet einheitlich sein müssen. Es kann doch nicht sein, dass in Bayern eine andere Tätigkeit als in Schleswig-Holstein zumutbar ist. ({1}) Wie soll man das denn den Arbeitslosen vermitteln? Vielleicht liegt Ihnen ja weniger an den Arbeitslosen als an einem Verdrängungswettbewerb zwischen den Bundesländern. Diese Methode kennen wir: Bayern hygienisch rein, NRW die Schmuddelecke. Aber das wird mit uns so nicht laufen. ({2}) Das gilt im Übrigen auch für Ihre Vorschläge zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion, wollen eine grundlegende Reform der Arbeitsverwaltung. Das machen wir, und zwar so, wie es uns die Hartz-Kommission vorgeschlagen hat. Allerdings braucht das ein wenig Zeit. Ohne die aktive Mitwirkung der Beschäftigten in den Arbeitsämtern wird es nicht gelingen. Sie müssen motiviert werden. Ihnen müssen wir danken, was wir mit einer entsprechenden Einkommensregelung tun. Deshalb werden wir in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt die Reformen im kommenden Jahr angehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen sogar noch viel weiter als Sie. Die Gesetzesvorlagen der CDU/CSU handeln nur von Einzelaspekten: kleine Jobs und Jobcenter. Damit ist es aber nicht getan. Wir haben bereits jetzt die Chance, viel für die Arbeitslosen in Deutschland, aber auch für die Arbeitgeber zu tun. Wir wollen ältere Arbeitnehmer durch eine Entgeltsicherung fördern und ihnen den Ausstieg aus dem Arbeitsleben, wenn sie ihn denn wollen, durch ein Brückengeld erleichtern. Wir wollen Arbeitgeber, die ältere Mitarbeiter einstellen, von Sozialversicherungsbeiträgen entlasten und damit die Chance Älterer auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Dass es inzwischen Arbeitgeber gibt, die begriffen haben, wie wichtig die Weiterbeschäftigung ihrer älteren Mitarbeiter für den Betrieb ist, zeigt ein Beispiel aus meinem Wahlkreis. Die Firma KSB in Frankenthal unternimmt große Anstrengungen, um ältere Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Die Firma jammert nicht über Facharbeitermangel, weil sie sich die Facharbeiter selbst beschert. Die Älteren geben dort ihr Wissen und ihre Erfahrung an die Jungen weiter - zum Wohl des Unternehmens. Dafür braucht die Firma nicht einmal monetäre Hilfe. Diese Vorgehensweise erspart ihr letztlich viel Geld. Solche Beispiele müssen Schule machen. Aber bis dahin müssen wir bei den meisten Unternehmen in unserem Land noch viel Entwicklungshilfe leisten. Deshalb auch unsere besonderen Anstrengungen für diese Altersgruppe. Lassen Sie mich zum Schluss darauf hinweisen, dass wir keine Zeit mehr haben. ({3}) Lassen Sie uns keine Zeit verlieren! Lassen Sie uns zusammen ans Werk gehen! Deswegen: Unterstützen Sie unsere Gesetzesvorhaben! Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Ina Lenke das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Barnett, es ist schon sehr erstaunlich, dass Sie noch nicht einmal Zwischenfragen zulassen. Es scheint so zu sein, dass Sie sich Ihrer Sache überhaupt nicht sicher sind. ({0}) Im Familienausschuss haben wir zum Beispiel über die Liste der Tätigkeiten gesprochen, die eine Haushaltshilfe im Haushalt ausüben darf. Das ist eine Ausschließlichkeitsliste. Sie ist sehr dürftig. Dass eine Haushaltshilfe zum Beispiel im Supermarkt für die Familie Lebensmittel kauft oder zur Reinigung fährt, um dort Sachen abzuholen, ist in dieser Liste nicht vorgesehen. Sie wissen ganz genau, dass bei Prüfungen durch die Sozialversicherungen auch auf die Begründung von Gesetzen geachtet wird. Auch darauf werden die Möglichkeiten einer Betriebsprüfung im Privathaushalt abgestellt. Vor diesem Hintergrund hätte ich Sie gern gefragt, ob solche Tätigkeiten außerhalb dieser Ausschließlichkeitsliste von einer Haushaltshilfe ausgeübt werden dürfen. Sie haben mir leider nicht ermöglicht, eine entsprechende Zwischenfrage zu stellen. Ich sehe darin einen großen Schwachpunkt der Gesetzgebung. Ich als FDP-Politikerin werde niemandem einen 500-Euro-Job zumuten und auch niemandem zureden, einen solchen anzunehmen, weil es in der Begründung sehr große Löcher gibt. Daher wird es sowohl für einen privaten Arbeitgeber als auch für die Haushaltshilfe selbst große Schwierigkeiten geben. ({1})

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollegin Lenke, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie aufhören würden, ein Gesetz, noch bevor es in Kraft getreten ist, schon wieder schlechtzureden und damit für Verunsicherung zu sorgen. ({0}) Was Sie behaupten, stimmt nicht. Sie sind doch alle so große Gesetzeskenner. Zeigen Sie mir, wo das im Gesetz steht! Das, auf was Sie sich beziehen, steht in der Begründung. Begründung ist nicht Gesetzestext. Vielleicht haben Sie das noch nicht begriffen. Vielleicht haben Sie mir auch nicht zugehört, als ich etwas zur Kinderbetreuung ausgeführt habe. Wenn da steht „Betreuung von Kindern“, dann - so habe ich gesagt gehört selbstverständlich auch dazu, dass die Kinder zur Tagesmutter gebracht werden. Auch das ist haushaltsnah. Ich sage Ihnen jetzt zum zweiten Mal: Genau das ist der Wille des Gesetzgebers. Wenn jemand in einen Haushalt kommt, um dort Betreuungsarbeit zu leisten, dann gehört auch das Einkaufen dazu, dann gehört auch dazu, dass er in die Apotheke geht oder etwas in die Reinigung bringt. Wissen Sie, wie lang die Begründung würde, wenn man alles das im Einzelnen aufzählen wollte? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin neu in diesem Haus, aber ich muss schon sagen: Kein Dorfgemeinderat würde sich das bieten lassen, was die Bundesregierung und Rot-Grün hier in den letzten Wochen veranstaltet haben. ({0}) Im Schweinsgalopp werden Gesetze eingebracht. Die Halbwertszeit der Vorlagen beträgt nur wenige Stunden. Ständig und bis zuletzt gibt es Nachbesserungen. Im Ausschuss werden noch kurz vor der Abstimmung Zettel verteilt, auf denen „xxx“ zu lesen ist. Das ist nicht nur unwürdig; das ist dilettantisch. ({1}) Das führt zu dem, was Sie heute hier zur Abstimmung stellen: zu einem unausgegorenen, mit heißester Nadel gestrickten Gesetz, das mehr schadet als nützt. ({2}) Wenn dieses Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet wird, wird es in der Praxis zum genauen Gegenteil dessen führen, was eigentlich beabsichtigt ist: Es wird nicht Arbeitsplätze schaffen oder sichern, sondern Arbeitsplätze vernichten. ({3}) In der Anhörung im Ausschuss wurde eindeutig dargelegt - ich weiß nicht, wo Sie da waren -, dass, wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, 75 000 bis 100 000 Arbeitsplätze allein in Zeitarbeitsunternehmen vernichtet werden. ({4}) Das heißt, die gewerbliche Zeitarbeit, die bisher einer der Beschäftigungsmotoren in diesem Land war, wird massiv beeinträchtigt. Ich will versuchen, an einigen Beispielen handwerkliche Fehler aufzuzeigen, die belegen, warum das nicht funktionieren wird. Die Personal-Service-Agentur mit Equal Pay wird nicht nur zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen und vor allem diejenigen benachteiligen, die eine Förderung besonders notwendig haben - Frau Wöhrl hat dies angesprochen -, nämlich die Gering- und Wenigqualifizierten. Die Personal-Service-Agentur ist auch ordnungspolitisch mehr als fragwürdig. Sie macht - Herr Göhner hat darauf hingewiesen - den privaten Zeitarbeitsunternehmen Konkurrenz. Sie kann nämlich durch mögliche Zuschüsse oder Abschläge günstigere Angebote machen als die privaten Unternehmen. ({5}) Dies führt faktisch zu einer Verstaatlichung der Zeitarbeit. ({6}) Mit der PSA schaffen Sie quasi einen VEB Zeitarbeit. Das ist das Ergebnis, das Sie mit diesem Gesetz erzielen werden. ({7}) Anstatt einen privatwirtschaftlichen Ansatz zu stärken, versucht Rot-Grün, dieses private Erfolgsrezept als quasi öffentliches Unternehmen zu kopieren. Gleichzeitig wird der private Bereich so stark reguliert, dass er nicht mehr auf dem Markt bestehen kann. Wissen Sie, was das ist? Sozialismus in Reinkultur! ({8}) Das hat nämlich mit sozialer Marktwirtschaft nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. ({9}) Wenn Sie so weitermachen, dann können wir unsere Plakate von 1976 aus dem Keller holen - „Freiheit statt Sozialismus“-: denn sie sind aktueller denn je. ({10}) Das Brückengeld: Die Einführung des Brückengeldes wird eine neue Vorruhestandswelle vor allem in Großunternehmen auslösen. An sich ist das Brückengeld nicht besonders attraktiv. Es werden gerade einmal 50 Prozent des Arbeitslosengeldes gewährt. Es steht aber zu befürchten - ich bin mir da eigentlich sicher -, dass insbesondere Großunternehmen dieses Instrument zum Personalabbau auf Steuerzahler- bzw. Beitragszahlerkosten nutzen werden. Sie werden nämlich einfach eine Aufstockung um diese 50 Prozent vornehmen oder dies in Sozialplänen vereinbaren. Das ist das falsche Signal, meine Damen und Herren. Das Brückengeld führt nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern vernichtet solche. Darüber hinaus führt es dazu, dass die Regelaltersgrenze von 65 Jahren weiter unterminiert wird. Die Minijobs: Es wird zu Abgrenzungs- und Missbrauchsproblemen kommen - diese Probleme würden nicht auftreten, wenn der von uns eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Jobs, es geht um 400-Euro-Jobs in allen Bereichen, verabschiedet würde -, weil Sie es nicht schaffen werden, die Schwarzarbeit zu unterbinden, und weil die geschaffenen steuerlichen Anreize viel zu gering sind. Ein steuerlicher Anreiz in Höhe von gerade einmal 360 Euro im Jahr ist ein Witz. Das wird überhaupt nichts bewirken in Sachen Bekämpfung der Schwarzarbeit. ({11}) Die Ich-AG: Sie schlagen einen Existenzgründerzuschuss für Arbeitslose vor. Das ist grundsätzlich sinnvoll und gut; denn jeder Selbstständige schafft früher oder später neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Insofern: Kompliment! Gleichzeitig machen Sie aber Beitragszahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung zur Pflicht. Rechnen Sie einmal aus, was das bedeutet! Ein großer Teil des Zuschusses, der mit der rechten Hand gegeben wird, wird mit der linken wieder genommen. Im ersten Jahr wird mehr als ein Drittel des Zuschusses genommen, im zweiten Jahr sind es mehr als zwei Drittel und im dritten Jahr geht der gesamte Zuschuss für die Zahlung des Rentenversicherungsbeitrags drauf. Der Zuschuss ist also wirkungslos; denn er verpufft. Das Ganze ist ein Nullsummenspiel. ({12}) Die Zumutbarkeits- und Beweislastregelungen: Die individuelle Erwerbsbiografie eines Hilfebeziehers wird überhaupt nicht berücksichtigt. Jemand, der 20 Jahre lang gearbeitet hat, bevor er arbeitslos geworden ist, wird genauso behandelt wie jemand, der 20 Jahre arbeitslos war. Die Vermögensobergrenze wird von 33 800 Euro auf 13 000 Euro gesenkt. Für jemanden, der längere Zeit arbeitslos war, könnte das dazu führen, dass das Kapital seiner Lebensversicherung verwertet werden muss, obwohl sich diese Person, was die Zahlungen in diese Lebensversicherung angeht, noch in der Ansparphase befindet. Dies konterkariert die Bemühungen an anderer Stelle, die private Altersvorsorge zu fördern. Auch die angesprochenen Einsparpotenziale werden Sie nie und nimmer realisieren. 5,87 Milliarden Euro wollen Sie im Jahr 2003 einsparen. 3,39 Milliarden Euro wollen Sie allein im Etat der Bundesanstalt für Arbeit und 2,48 Milliarden Euro im Bundeshaushalt einsparen. Dahinter steckt bestenfalls das Prinzip Hoffnung. Was Sie vorhaben, beruht weitestgehend auf Luftbuchungen. Allein 1,85 Milliarden Euro sollen aufgrund einer beschleunigten Vermittlung durch die PSA eingespart werden. Dazu kann ich nur sagen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({13}) Wo es nichts zu vermitteln gibt, da nützt auch eine Beschleunigung nichts. Angesichts der gegenwärtigen Wachstums- und Wirtschaftskrise, die durch Ihre Politik verursacht wurde, stellt die Wirtschaft niemanden ein. Also gibt es nichts zu vermitteln. Vieles von dem, was Sie hier beschließen wollen, funktioniert nur über Geld. Zum Beispiel sind Zuschüsse an die privaten Arbeitsvermittler nötig, damit die Vermittlung von Zeitarbeit überhaupt noch attraktiv ist. Was Sie vorhaben, wird ein Milliardengrab nach sich ziehen. Sie werden es sehen. Ich habe nur an einigen Beispielen versucht, Ihnen deutlich zu machen, weshalb wir von der Union diesem Murks nie und nimmer zustimmen werden. Die Kernprobleme des Arbeitsmarktes lösen Sie nicht. Sie werden es nicht schaffen, die Anzahl der Arbeitslosen um zwei Millionen zu reduzieren. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, kommen Sie zur Besinnung! Zeigen Sie sich nicht länger beratungsresistent! Stimmen Sie unseren Gesetzentwürfen zur Aktivierung kleiner Jobs und zum optimalen Fördern und Fordern in Vermittlungsagenturen zu! Wir haben klare Alternativen vorgelegt. Das haben Sie immer eingefordert. Nur durch die Umsetzung unserer Pläne kommt der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder in Schwung. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Pfeiffer, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause; deswegen gratuliere ich Ihnen im Namen aller. ({0}) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Pfeiffer, der gerade hier seine erste Rede gehalten hat, kann eines nicht wissen: In der letzten Legislaturperiode ging das ganz genauso los: ({0}) Gesetzgebung mit einer Mischung aus Murks und Marx, eine Kette von so genannten Nachbesserungen, die das Wort, was darin enthalten ist, nicht einmal im Ansatz getroffen haben. Nachbesserung bedeutet ja, das man etwas, was grundsätzlich gut ist, nachher noch besser macht. Aber es war ja von Anfang an falsch und schlecht. Sie machen wieder genau das Gleiche: Sie reden schon gar nicht mehr davon, das Hartz-Konzept eins zu eins umzusetzen, sondern es wabert nur noch ein Geist von Hartz durch die Geschichte. Im Ergebnis kommt genau das heraus, was ich schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzes gesagt habe: Es bleibt beim eins zu null für Frau Engelen-Kefer und die Gewerkschaften. ({1}) Sie, Herr Clement, werden, auch wenn Sie sich als Stellvertreter von Hartz in diesem Hause sehen - es scheint, als ob Herr Hartz schon etwas Gottähnliches für die SPD darstellt und Sie die Funktion des Papstes ausüben dürfen -, die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht verbessern. Sie werden faktisch keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen, sondern die Statistik nur auf Kosten bestehender Arbeitsverhältnisse in der privaten Zeitarbeitsbranche bereinigen. ({2}) Sie wollen mit den jetzt hier vorliegenden Gesetzen die Zeitarbeitsbranche, zumindest die kleinen und mittleren privaten Firmen und das Segment der Geringqualifizierten, der Langzeitarbeitslosen und derjenigen, die besondere Hilfe brauchen - darüber unterhalten wir uns hier ja jetzt -, verstaatlichen. Mit Beitragsgeldern werden Sie funktionierende Arbeitsverhältnisse vernichten, indem Sie mit Ihrer Gesetzgebung dafür sorgen, dass Zeitarbeit in diesem Lande - das wollten die Gewerkschaften ja schon immer - keine Chance hat. Damit wird eine Brücke in den Arbeitsmarkt einfach abgerissen. Sie werden in der Arbeitslosenstatistik einen positiven Effekt erzielen, weil jeder Arbeitslose, der einer PSA zugewiesen wird, natürlich bei dieser PSA beschäftigt ist; damit ist er nicht mehr arbeitslos und fällt aus der Statistik heraus. Das werden Sie uns wahrscheinlich in einem Jahr, spätestens in anderthalb Jahren als enormen Erfolg verkaufen und wie Herr Hartz von einer Halbierung der Arbeitslosenzahl schwärmen. Das wird aber so leider nicht funktionieren. Das ist schade, denn im Hartz-Konzept waren gute Ansätze enthalten. Jobcenter sind der richtige Weg, da hier Menschen, die unsere Unterstützung brauchen, ein umfassendes Dienstleistungsangebot unterbreitet werden kann. Richtig ist auch, mehr von den Arbeitssuchenden zu fordern, weil Solidarität keine Einbahnstraße ist. Von daher wäre auch die Umkehr der Beweislast richtig. ({3}) Erinnern Sie sich aber bitte noch einmal daran - Sie, Herr Clement, können das nicht, weil Sie neu in diesem Hause sind, aber die Kollegen der die Regierung tragenden Fraktionen können es -, wie sehr Sie uns gescholten haben, als wir exakt das beantragt haben. Von Sodom und Gomorrha wurde gesprochen, das Ende des Abendlandes wurde beschworen. Jetzt sind auch Sie bei diesem Punkt in der Realität angekommen. Das finden wir gar nicht schlecht. Leider gehen Sie aber den Weg nicht weiter, Sie geben Menschen, die in den Arbeitsmarkt zurückwollen, keine Chancen und nehmen auch nicht die Diskriminierung von bestimmten Arbeitsplätzen zurück. Diese tragen Sie ja schon seit Jahrzehnten wie eine Monstranz vor sich her: Dienstmädchenprivileg hieß das bei Ihnen, als man Aufwendungen für Haushaltshilfen noch von der Steuer absetzen konnte. Was machen Sie jetzt, nach vielem handwerklichen Hin und Her? - Sie schaffen eine 500-EuroRegelung, mit der die Schwarzarbeit eingedämmt werden soll und die es dem Arbeitgeber erlaubt, sage und schreibe 360 Euro pro Jahr von der Steuerschuld abzuziehen. Bei einer sozialversicherungspflichtig voll beschäftigten Haushaltshilfe kann man sage und schreibe 1 200 Euro pro Jahr abziehen. Und das soll die Schwarzarbeit massiv in diesem Land bekämpfen? ({4}) Sie müssen andere Wege gehen; Sie müssen den Arbeitgeber Haushalt mit anderen Arbeitgebern gleichstellen. Warum ist der Arbeitgeber privater Haushalt, der jemanden aus der Arbeitslosigkeit holt und sozialversicherungspflichtig beschäftigt, auch nur einen Deut schlechter als der Arbeitgeber Handwerksmeister, Gastronom, Daimler-Chrysler oder VW? Wir brauchen Arbeitsplätze in diesem Land! ({5}) Weil Sie den Weg nicht konsequent verfolgen und weiter mit Ihrem ideologieverbrämten Denken Politik machen, ({6}) finden Sie in diesem Land kaum noch jemanden, der schon kurze Zeit nach der Wahl Rot-Grün gewählt haben will. Kehren Sie um, geben Sie den Menschen eine Chance und sorgen Sie dafür, dass Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen und die entsprechenden Potenziale ausgeschöpft werden! Geben Sie Ihre Ideologie auf! Sie setzen Hartz nicht eins zu eins um. Deshalb fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, den Weg zu gehen, der ein Eins-zuNull für die Gewerkschaften bedeutet! Dieses Denken wird unser Land nicht voranbringen. Herr Clement, Sie müssen mehr sein als nur der Stellvertreter eines Managers. Sie müssen dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt insgesamt reformiert wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Niebel, Ihre Redezeit!

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. - Sie könnten das erreichen, wenn Sie unserem Antrag „Handeln für mehr Arbeit“ zustimmen. Er beinhaltet exakt das, was Ihnen der Sachverständigenrat gestern ins Stammbuch geschrieben hat. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Wolfgang Clement. ({0})

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße sehr, dass Sie bereits heute über das erste große Gesetzespaket, mit dem die Vorschläge der Hartz-Kommission realisiert werden sollen, entscheiden. Ich weiß, dass diese Beratungen unter einem ungewöhnlich großen Zeitdruck standen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass die Mehrheit dieses Hauses die Bereitschaft zum schnellen Handeln hat und dass dieses Gesetzespaket - vorausgesetzt Sie lassen es heute passieren und der Bundesrat stimmt ihm zu - zum 1. Januar 2003 in Kraft treten kann. Das ist überaus wichtig. Ich gehöre zu denen, die davon überzeugt sind, dass wir unter äußerstem Zeitdruck stehen, was den Arbeitsmarkt angeht. Wir haben keine Zeit zu verlieren und sollten daher bereit sein, diese Reform schnell in Kraft zu setzen, die den Arbeitsmarkt in Deutschland von Grund auf erneuern wird. ({0}) Ich habe die Diskussion sehr aufmerksam verfolgt und habe viele interessante Hinweise aufgenommen. Frau Kollegin Wöhrl, Sie werden mir die Bemerkung erlauben, dass ich auch alte Klischees wiedererkannt habe. Herr Kollege Pfeiffer, auch ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Ich hätte aber nicht gedacht, dass ein junger Mensch wie Sie mit einer „alten Tante“ wie „Freiheit statt Sozialismus“ durch die Gegend ziehen würde. ({1}) Es sei Ihnen gegönnt. Herr Kollege Brüderle, auch zu Ihrer Rede möchte ich eine Bemerkung machen. Was das Ausland an uns zurzeit fasziniert, ist unsere Fähigkeit, uns vor allen Dingen mit uns selbst zu beschäftigen und in Deutschland alles in den Keller zu reden, was in den Keller zu reden ist. ({2}) Unsere ausländischen Wettbewerber und Konkurrenten gönnen uns im Moment diese Beschäftigung mit uns selbst. Aber Sie werden sehen, Herr Kollege Brüderle: Wir werden handeln und die Beschäftigung mit uns selbst beenden. Wir werden in Deutschland die notwendigen Reformen umsetzen. Dieses Gesetzespaket ist der erste große Schritt auf diesem Weg. Es kommt in dieser Debatte ein wenig zu kurz - erlauben Sie mir bitte diese Bemerkung -, worum es eigentlich geht. Was sind die Fakten, über die wir diskutieren? Die Jobcenter, die wir jetzt anstelle der alten klassischen Arbeitsämter einrichten, werden wirkliche Vermittlungsarbeit leisten. Die Arbeit dieser Jobcenter beginnt sofort, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer die Kündigung erhalten hat, und nicht erst nach einigen Monaten, wenn man sozusagen schon in der Arbeitslosigkeit versunken ist. Wir überprüfen die Zumutbarkeitsregeln nicht nur, sondern wir erneuern sie. Insbesondere - das hat der Kollege Niebel gerade zu Recht erwähnt - kehren wir die Beweislast in diesem Bereich um. Wir äußern nicht nur die Erwartung an junge Menschen, sondern fixieren sie gesetzlich, dass sie mobil sein müssen, wenn es um Ausbildungs- und Arbeitsplätze geht. Wir fordern diejenigen, die familiär ungebunden sind, auf, sich zu bewegen, wenn es um einen neuen Arbeitsplatz geht. Wir erneuern den Weiterbildungssektor durch Zertifizierung von Grund auf und schaffen damit klare Rahmenbedingungen für die Qualifizierung; denn die Weiterbildung ist für die Zukunft des Arbeitsmarktes in Deutschland von außerordentlicher Bedeutung. Wir sehen für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue Möglichkeiten der Rückvermittlung in den Arbeitsmarkt vor, wie es das Hartz-Konzept vorsieht. Das sind Einzelschritte. Hinzu kommt die Schaffung von Minijobs im haushaltsnahen Bereich. Da bedarf es keiner langen Diskussion: Frau Kollegin, was Sie oder ich im Haushalt tun könnten, könnten auch Haushaltshilfen leisten. Auch das Anstreichen der Haustüren von innen und außen ist vereinbar mit dem Begriff der haushaltsnahen Dienstleistung. ({3}) Wir schaffen die Grundlagen für das Kleinstgewerbe, nämlich die so genannten Ich- und Familien-AGs, die von der Hartz-Kommission vorgeschlagen wurden. Mit der Zeit- und Leiharbeit schlagen wir einen Weg ein, der aus meiner Sicht geboten ist. Ich werde dazu gleich noch einige Bemerkungen machen. Das Programm „Kapital für Arbeit“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben wir bereits auf den Weg gebracht. Niemand von den Mittelständlern, die bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anrufen - verzeihen Sie mir diese Bemerkung -, hat offensichtlich den Sozialismus vor Augen. Den Mittelständlern geht es vielmehr darum, ihre Eigenkapitalbasis zu verstärken. ({4}) Bereits mehr als 7 000 Mittelständler hatten sich bis gestern bei der KfW gemeldet, um diese Kreditmöglichkeit, die die Schaffung von Eigenkapital fördert, zu nutzen. All dies wird realisiert. Darüber hinaus sind wir dabei, den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu konsolidieren und den Zuschuss des Bundes sowie die Arbeitslosenhilfe in den Griff zu bekommen. Wir konsolidieren die Mittel in diesem Sektor um immerhin 6 Milliarden Euro. Wenn ich von Wissenschaftlern höre, dass das noch nicht genug sei, dann bitte ich uns alle, dass wir uns ernsthaft mit denen beschäftigen, die von diesen Kürzungen betroffen sind. Das geht nämlich ziemlich nah an den Nerv von Familien heran, die nicht mit allem Guten gesegnet sind, was diese Welt zu geben hat. Was wir an Konsolidierungsmaßnahmen vornehmen, wird mit aller Sorgfalt erörtert und dann verantwortlich beschlossen werden. ({5}) Die ganze Diskussion wurde - das finde ich auch gut vielfach mit enormem öffentlichen Interesse geführt. Ich will jetzt nur zwei Aspekte herausgreifen. Mit den Ich-AGs schaffen wir eine neue Möglichkeit des Kleinstgewerbes. Für die nächsten Monate, das heißt das erste Vierteljahr 2003, haben wir uns vorgenommen, für dieses Instrument neue steuerrechtliche Möglichkeiten, neue buchführungsrechtliche Möglichkeiten und neue handwerksrechtliche Möglichkeiten zu schaffen. Mit diesem Kleinstgewerbe wird für Arbeitslose eine neue Chance der beruflichen Selbstständigkeit eröffnet werden. Das ist ein, wie ich glaube, sehr spannender Prozess. Was die Änderung der Handwerksordnung, die davon betroffen sein kann, angeht, so sind wir in einem nach meinem Empfinden sehr konstruktiven Gespräch mit dem deutschen Handwerk. Wir haben mit unserem Entwurf auf die weit reichenden Bedenken reagiert, die das Handwerk auf diesem Sektor hat. An diesen Reformen führt angesichts der Europäisierung und der Globalisierung kein Weg vorbei. Ich bitte deshalb darum, den Dialog darüber sehr konstruktiv fortzusetzen. Ich werde mich sehr engagiert daran beteiligen, diesen Prozess der Reform des Handwerks, der mit den Leipziger Beschlüssen vom Handwerk eingeleitet worden ist, in aller Ruhe, aber auch in aller Konsequenz fortzusetzen. ({6}) Wir werden die Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich über dieses Kleinstgewerbe auftun, nutzen. Damit werden übrigens manche Diskussionen, die derzeit im Zusammenhang mit den 325-Euro-Jobs geführt werden, faktisch außer Kraft gesetzt werden. Denn dies ist faktisch eine sinnvollere Möglichkeit der beruflichen Tätigkeit, als sich in solchen Minijobs - die Sie ja alle ausweiten wollen, allerdings ohne zu sagen, wie Sie die Sozialversicherungssysteme vernünftig betreiben wollen, wenn so langsam, aber sicher alle Menschen in diesen 325-EuroJobs beschäftigt sind - zu betätigen. Deswegen ist der Weg, den wir beschreiten, richtig. ({7}) Nun zu den Personal-Service-Agenturen sowie zur Zeit- und Leiharbeit. Ich habe in diesem Zusammenhang von staatlicher Subvention und Ähnlichem gehört. Dazu muss ich Ihnen ganz offen sagen: Man darf die Öffentlichkeit auch nicht verballhornen. ({8}) Zunächst ein Wort an Sie, Herr Kollege Göhner. Unmittelbar nach der Anhörung habe ich Sie gemeinsam mit allen Vertreterinnen und Vertretern der Zeitarbeitsunternehmen und der Gewerkschaften zu Gesprächen eingeladen. Wir haben ein intensives und, wie ich finde, sehr konstruktives Gespräch geführt - mit dem Ergebnis, das sich heute in der Gesetzesvorlage wiederfindet. Sie haben bei diesem Gespräch Bedenken geäußert. Wenn ich es richtig wahrgenommen habe, haben Sie dieses Gespräch dann verlassen, um in Einzelgesprächen zu versuchen, die Verbände von Zeitarbeitsunternehmen zu bewegen - ich sage das jetzt sehr diplomatisch -, diesen Weg nicht mitzugehen. ({9}) Da Sie von „Tarifdiktat“ sprechen, könnte ich ja auf die Idee kommen - auch wenn mir das natürlich fern liegt -, dass Sie versuchen, eine Art Verbändediktat gegenüber Zeitarbeitsfirmen auszuüben. ({10}) Das wäre nicht gut. Sie werden sich mit einem abfinden müssen, Herr Kollege Göhner: Sie werden mich nicht los. Ich werde zu jedem Gespräch kommen. Ich werde zu jedem Gespräch mit den Verbänden der Zeitarbeitsunternehmen gehen, zu jedem Kongress, der für mich erreichbar ist. Denn ich möchte, dass sich aus diesem Prozess etwas Konstruktives, etwas Positives entwickelt. ({11}) - Frau Kollegin Wöhrl, Sie sprechen über die Zeitarbeit - das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Brüderle -, als könnten Sie bei diesem Thema etwas vorweisen, das besonders gut ausgestaltet ist. Tatsächlich wissen Sie und ich, dass es, wenn wir über Zeitarbeit sprechen, um etwa 9 000 Unternehmen in Deutschland geht, die eine solche Zeit- und Leiharbeitserlaubnis haben. Von diesen 9 000 beschäftigen etwa 3 000 überhaupt niemanden. Von den anderen beschäftigen die meisten etwa zehn oder 15 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, teilweise unter solchen Bedingungen, Herr Kollege Brüderle, dass Sie ihnen nicht offenen Auges ins Gesicht schauen würden. Das sind Bedingungen, die Sie bestimmt nicht haben wollen. ({12}) Ich habe so manche Bemerkung über die Gewerkschaften gehört. Die Marktwirtschaft ist hier mehrmals beschworen worden. Ich erinnere mich dunkel - damals war ich noch etwas jünger -, dass Ludwig Erhard sehr wohl wusste, dass Gewerkschaften in einer sozialen Marktwirtschaft unverzichtbar sind und nicht ständig als Beelzebub herhalten sollten. ({13}) Die Gewerkschaften sind kein Beelzebub. Sie werden sich reformieren, genauso wie Sie sich als Partei reformieren müssen. ({14}) Wir alle tun das. Wir befinden uns in dieser Hinsicht in einem Prozess. Aber deshalb ständig in die Ecke gestellt zu werden, das ist nun wirklich absurd, erst recht dann, wenn wir darüber diskutieren, wie wir die Zeit- und Leiharbeitsunternehmen tatsächlich aus der Schmuddelecke - da sind sie aus meiner Sicht zu einem Teil und nach dem Eindruck vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer komplett herausholen. Das müssen wir leisten, wenn dieses Instrument von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angenommen werden soll. Es muss nämlich nicht von uns angenommen werden, sondern von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. Denen muss man dazu realistische, klare Bedingungen anbieten. ({15}) Nun haben Sie, Herr Kollege Pfeiffer und Frau Kollegin Wöhrl, von Sozialismus gesprochen. Ich frage Sie: Was ist Sozialismus? Die Bundesanstalt für Arbeit in Gestalt der künftigen Jobcenter wird in Bezug auf die Personal-ServiceAgenturen einen Wettbewerb unter Zeitarbeitsunternehmen ausschreiben, soweit sie tarifliche Bindungen eingegangen sind. Diese tariflichen Bindungen sind die heutigen. Es wird daran nichts geändert. Ob Adecco, Randstad, DIS oder welches Unternehmen auch immer, soweit es einen Tarifvertrag hat, kann es sich um die Wahrnehmung der Aufgaben einer Personal-Service-Agentur bewerben, ({16}) um privat - wie es sich gehört - Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Arbeit zu vermitteln. Nun sagen Sie mir einmal ernsthaft: Wollen Sie mir wirklich ins Auge schauen und hier von Sozialismus sprechen? Das kann nicht Ihre Auffassung sein. ({17}) Das ist die erste Vereinbarung. Herr Kollege Göhner, Sie waren ja dabei; das sollten Sie vielleicht einmal erwähnen. ({18}) - Ich wüsste nicht, warum es ein Diktat ist, wenn wir vorsehen, dass sich Unternehmen bewerben können, die einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Wollen Sie jetzt sagen, dass auch Tarifverträge unzulässig, Sozialismus sind? ({19}) Wie soll ich das verstehen? Zum Zweiten sind wir auf eine Bitte der Zeitarbeitsunternehmen eingegangen und haben gesagt: Wir beginnen damit erst nach einem Jahr bzw. geben ihnen ein Jahr Zeit, sich auf die neuen Grundlagen der Zeit- und Leiharbeit einzustellen. Ist das falsch? Das ist die Bitte der Unternehmen. In anderen Staaten hat dies teilweise 18 Monate gedauert. In diesem Prozess befinden sich jetzt die betroffenen Unternehmen. Dann haben wir beide Seite aufgefordert - ich habe das eindringlich getan -: Springen Sie über Ihren Schatten und versuchen Sie, eine tarifvertragliche Regelung der Zeit- und Leiharbeit in Deutschland zu finden; das ist nämlich allemal besser, als wenn dies der Gesetzgeber tun muss. - Dieser Prozess findet ab jetzt statt. Die Gewerkschaften haben dies sofort aufgenommen, Zeitarbeitsunternehmen ebenfalls und auch Verbände der Zeitarbeit. Noch nicht alle; die anderen treffe ich nächste Woche und führe mit diesen weitere Gespräche. Wir werden zu tarifvertraglichen Regelungen kommen, die Einarbeitungszeiten, Überbrückungszeiten und unterschiedliche Tarife für Langzeitarbeitslose und andere betreffen. Das ist genau das, was die Zeit- und Leiharbeit in Deutschland braucht. Das wird dazu führen, dass wir in Zukunft auf diesem Sektor wesentlich mehr Beschäftigte haben werden als heute. Denn was die Zeit- und Leiharbeit angeht, sind wir in Europa wirklich Schlusslicht. Deshalb haben wir diesen Prozess eingeleitet und werden ihn zum Erfolg führen. ({20}) Die Sorge bzw. die Angst mancher Zeitarbeitsunternehmen im Hinblick auf das Prinzip des Equal Pay, des gleichen Lohns, ist aus meiner Sicht - um das klar zu sagen - wirklich nicht gerechtfertigt. Zunächst einmal kann ich kaum verstehen, dass man gleichen Lohn für alle als etwas Diskriminierendes, etwas Verwerfliches ansieht. Wir schaffen für die Tarifparteien ausdrücklich die Möglichkeit, für schwer zu vermittelnde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Langzeitarbeitslose, für Junge, für Ältere, für Helferinnen und Helfer, Sonderregelungen zu vereinbaren. Genau das geschieht. Das ist allemal besser, als wenn dies der Gesetzgeber täte. Sie sprechen ununterbrochen von Freiheit statt Sozialismus. ({21}) Sie diskreditieren genau das, was hier stattfindet und was wir mit den Tarifverträgen anstreben, wobei ich auch von hier aus die Zeit- und Leiharbeitsunternehmen auffordere und bitte, das zu tun. Wenn dies den Tarifparteien gelingt - davon bin ich überzeugt - und wir uns vierteljährlich treffen und darüber sprechen, dann werden wir die Möglichkeit haben - so ist es im Gesetz vorgesehen -, die wesentlichen Regulierungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - das Synchronisationsverbot, das besondere Befristungsverbot, das Wiedereinstellungsverbot, die Beschränkung der Beschäftigungsdauer - aufzuheben. ({22}) Das verstehen wir unter einer vernünftigen Deregulierungspolitik und diesen Prozess werden wir auf die Dauer fortsetzen. ({23}) Herr Kollege Göhner, ich möchte Sie von hier aus direkt ansprechen und sagen, woran mir liegt. Die einen sprechen in dieser Debatte von Tarifdiktat, die anderen üben - ich sage es einmal sehr vornehm - faktisch Verbändedruck aus. Ich empfinde das als kalten Krieg, der auf diesem Feld ausgetragen wird. Wir befinden uns in einem Gewöhnungsprozess, den wir überwinden müssen und in dem wir zu vernünftigen Gesprächen kommen müssen. An diesen Gesprächen werde ich mich ununterbrochen beteiligen. Ich bin überzeugt, dass wir dann auch zu einem Erfolg kommen werden. Weil wir die Hartz-Vorschläge eins zu eins umsetzen wollen, werden wir im Januar das fortsetzen, was in Wolfsburg aufgenommen worden ist. Natürlich kann man Zweifel haben, ob es innerhalb von drei Jahren gelingt, 2 Millionen Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Man darf an allem zweifeln in Deutschland; das ist die Hauptbeschäftigung eines freiheitlichen Staates: Zweifel zu haben und Selbstkritik zu üben. Aber in Wolfsburg habe ich mit großem Interesse wahrgenommen, wie dort innerhalb von vier Jahren die Arbeitslosigkeit halbiert worden ist, und zwar nicht nur durch VW, sondern durch den Einsatz von über 2 000 Menschen in dieser Stadt, die der Bundeskanzler und ich gemeinsam mit Herrn Hartz dort getroffen haben. Diese Menschen sind zusammengekommen, weil sie der Überzeugung sind, dass Arbeitslosigkeit nicht allein durch Politik zu beseitigen ist, auch nicht allein durch Maßnahmen der Bundesregierung, sondern dass man dazu Unternehmer, Manager, Gewerkschafter, Betriebsräte, Personalräte und viele andere braucht, die sich mitverantwortlich fühlen. ({24}) Das ist das Kernstück, über das wir heute sprechen: in Deutschland ein anderes Verständnis von Arbeit, Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit durchzusetzen. Wir müssen endlich wieder ernst nehmen, dass hinter der Arbeitslosigkeit menschliche Schicksale stehen und dass wir nicht nur Sonntagsreden halten dürfen, sondern unsere Vorhaben durchsetzen und realisieren müssen. Deshalb ziehen wir ab Januar durch die Republik; wir kommen nach Bayern - wo ich Sie gerade sehe, Herr Kollege Seehofer -, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, ganz besonders in die Länder Ostdeutschlands; überall werden wir sein ({25}) und dafür werben, dass sich Menschen bereit finden, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mitzumachen, statt sich an die Seite zu stellen und nur zu nölen und zu kritisieren. Darum geht es mir im Kern. Hier wird gehandelt. ({26}) Weitere gesetzliche Schritte folgen. Das nächste Gesetzespaket betrifft die Ich-AGs. Das Steuerrecht wird vereinfacht, das Buchführungsrecht wird vereinfacht, das Handwerksrecht wird modernisiert. Dann folgt die Neugestaltung der Bundesanstalt für Arbeit. Am 1. Januar 2004 erfolgt dann die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in einem neuen Konstrukt Arbeitslosengeld II. So realisieren wir das, was wir uns vorgenommen haben und was für den Arbeitsmarkt und damit für die Wirtschaft, was für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in Deutschland notwendig ist. Das werden wir fortsetzen. ({27}) Ich setze darauf, dass Sie uns dabei weiterhin mit aller Aufmerksamkeit begleiten. Schönen Dank. ({28})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer Woche, die so voller Hiobsbotschaften über die Lage der deutschen Volkswirtschaft war wie selten eine Woche in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland. ({0}) - Ja, meine Damen und Herren, dass Sie das nicht gerne hören, kann ich verstehen. Aber noch wird hier im deutschen Parlament offen darüber gesprochen, wie die tatsächliche Lage ist, und nicht nur darüber, wie Sie sie gerne hätten. ({1}) Zur Wahrheit gehört, dass wir ein Desaster in den öffentlichen Haushalten erleben. Große Teile der Bundesregierung haben vorher gewusst, was in diesen Tagen öffentlich geworden ist: Die Sachverständigen haben zum wiederholten Mal die Wachstumsraten und die Erwartungen für das Wachstum nach unten korrigieren müssen. Wir werden eine Verletzung des Maastricht-Vertrags erleben, die vor der Wahl bestritten und nach der Wahl in einem Umfang festgestellt wurde, den wir alle nicht für möglich gehalten hätten. Dies wird im nächsten Jahr seine Fortsetzung nehmen und auch die Arbeitslosenzahl wird im nächsten Jahr durchschnittlich bei über 4 Millionen liegen. Es ist nun wahrlich ein Befund, der zu jeder Kraftanstrengung für eine bessere Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Anlass gibt. Herr Clement, ich bitte Sie darum, dass Sie das ernsthafte Bemühen, an diesem Ziel mitzuarbeiten, um gemeinsam etwas zu erreichen, niemandem in diesem Haus absprechen. ({2}) Jeder von uns weiß um die große gesellschaftspolitische Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn wir sie nicht gemeinsam angehen, wird es nicht nur ein weiteres Abrutschen des Wohlstandes in unserem Land geben, sondern dann wird es über kurz oder lang auch zu einer Destabilisierung der politischen Ordnung in diesem Land kommen. Deswegen gibt es allen Grund, nüchtern und sachlich die Kritik anzunehmen, die in diesen Tagen am Konzept der Bundesregierung geäußert wird. ({3}) Herr Bundeskanzler, es sind doch nicht die Kettenhunde der Verbände - so apostrophieren Sie sie, seit Sie nicht mehr mit ihnen klarkommen -, es ist doch nicht die deutsche Opposition, sondern es war in dieser Woche der Sachverständigenrat, der zu Recht eine Reihe von sehr kritischen Anmerkungen zu dem gemacht hat, was wir heute an Gesetzgebung zu verabschieden haben. Ich trage Ihnen nun etwas vor, was im Grunde genommen alles aussagt: Wir halten es für verfehlt, - so sagt der Sachverständigenrat dass alle Leiharbeitsnehmer nach den für das Entleihunternehmen geltenden Entgeltbedingungen bezahlt werden sollen. Erstens werden dadurch die Vermittlungs- und Integrationschancen für die Arbeitslosen verringert. Zweitens entsteht ein Druck, Tarifverträge abzuschließen. Und drittens wird der privaten Leiharbeit Lohnflexibilität genommen. Auch wenn dafür Regulierungen wie das Synchronisationsverbot fallen sollen - der Preis dafür ist zu hoch. ({4}) Ich werde gleich noch einmal auf diesen Sachverhalt zu sprechen kommen. Lassen Sie mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, vorher - wir sehen uns in den nächsten beiden Wochen nicht im Bundestag ({5}) aber noch auf einen weiteren Sachverhalt eingehen, über den Sie in der nächsten Woche im Kabinett zu entscheiden haben. Sie haben heute Morgen das Programm „Kapital für Arbeit“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau gelobt. Es ist wahr, es wird vom Mittelstand sehr umfassend in Anspruch genommen. Ich sage: Der Mittelstand braucht Eigenkapital und nicht neue Kredite. ({6}) Wenn er jedoch nur eines bekommen kann, dann nimmt er in der Lage, in der er sich befindet, natürlich Kredite auf. Aber in diesen Tagen irrlichtert ein Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers durch die Öffentlichkeit, der in der nächsten Woche zur Entscheidung im Kabinett ansteht. In diesem Gesetzentwurf werden insgesamt 48 Steuererhöhungen vorgeschlagen. Eine davon - deswegen spreche ich es an - ist eine Veränderung in der Besteuerung der Gewinne bei der Veräußerung von Grundstücken. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte Sie bitten - ich sage das hier mit allem Ernst und mit allem Nachdruck -, darauf hinzuwirken, dass diese Entscheidung in der nächsten Woche nicht getroffen wird. ({7}) Ich will begründen, warum: Eine große Zahl von mittelständischen Arbeitgebern in Deutschland - wir sprechen hier über Arbeitsplätze und über die Fähigkeit, zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen - hat den Banken privat gehaltene Grundstücke als Sicherheit übereignet, um damit Betriebsmittelkredite zu erhalten. Wenn die Veräußerung dieser Grundstücke in Zukunft steuerpflichtig wird, wenn also auf diesen Grundstücken eine latente Steuerpflicht liegt - wie wir alle wissen, liegt diese in Deutschland bei knapp 50 Prozent -, ist damit die Kreditbasis für die mittelständische Wirtschaft glatt halbiert. ({8}) Herr Bundeswirtschaftsminister, das bedeutet im Klartext, dass Sie insbesondere kleine und mittlere Banken, auf die sich Ihr Fokus zu Recht richtet, wenn es darum geht, die wirtschaftliche Lage in Deutschland zu verbessern, in eine umfassende Wertberichtigung und damit in die Krise hineintreiben. Das bedeutet im Klartext, dass Sie viele mittelständische Unternehmen in den Konkurs treiben, und es bedeutet im Klartext, dass vielen älteren Menschen in Deutschland Altersarmut droht, insbesondere denjenigen, die etwas getan haben, was wir alle wollen, die nämlich private Altersvorsorge betrieben haben. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bitte darum, dass diese Entscheidung in der nächsten Woche auf Ihren entschiedenen Widerstand stößt. ({9}) Ich komme zurück auf das ({10}) Gesetz oder die Gesetze, die wir heute hier verabschieden. - Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, in einem größeren Zusammenhang über Wirtschaftspolitik zu sprechen und hier im Parlament zu diskutieren, ist es kein Wunder, dass wir uns in Deutschland in einer solch katastrophalen Lage befinden, wie dies gegenwärtig der Fall ist. Sie haben immer noch nicht verstanden, was hier notwendig ist. ({11}) Ich komme gleichwohl auf den konkreten Gesetzgebungsvorgang zurück und spreche hier insbesondere die Minijobs und die Tarifbindung der Zeitarbeit an. Durch diese Gesetze, wenn sie denn verabschiedet werden, kommt es auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu einem fundamentalen Wandel in der Tarifpolitik. Ich will dies begründen: Heute unterliegen Zeitarbeitsunternehmen der Tarifpflicht, wenn die Beteiligten es wollen. Dies ist Ausdruck der Vertragsfreiheit, wie sie in Art. 9 unseres Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Diese umfasst die positive Freiheit, Tarifverträge abzuschließen, und - und darauf hat der Kollege Reinhard Göhner völlig zu Recht hingewiesen gleichrangig die negative Freiheit, Tarifverträge nicht abzuschließen. Herr Bundeswirtschaftsminister, an dieser Stelle eine Fußnote: Wenn Sie in Zukunft Kooperationsverträge nur mit solchen Zeitarbeitsunternehmen zulassen, die Tarifverträge abgeschlossen haben, kommen Sie damit nach meiner Auffassung bedenklich nah an die Grenze zur Verfassungswidrigkeit, nah an einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit. ({12}) Denn Sie versperren den Unternehmen und den Arbeitnehmern, die sich ausdrücklich entschlossen haben, von der negativen Koalitionsfreiheit Gebrauch zu machen, den Weg in die Zusammenarbeit mit den staatlichen PSAs, die Sie jetzt errichten wollen. - Dies ist nur eine Fußnote. ({13}) Der viel wichtigere Aspekt ist, dass Sie die Tarifvertragsfreiheit von den Zeitarbeitsunternehmen vollständig auf das entleihende Unternehmen übertragen. Dies unterliegt nicht der Freiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmern, sondern mit dem, was wir hier heute verabschieden sollen, schreiben Sie dies ins Gesetz. Dies ist nach meiner Überzeugung die zweite Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit, die in unserem Grundgesetz verankert ist. Damit wird eine Tarifbindung - natürlich ist der Begriff des Tarifdiktats ein polemischer Begriff - ausgelöst, die das Grundgesetz für unsere Arbeitsmarktverfassung ausdrücklich nicht gewollt hat, Herr Clement. ({14}) Dies hat natürlich Konsequenzen: Nach dem, was wir hier heute beschließen sollen, werden sich die Gewerkschaften in Zukunft entspannt zurücklehnen. Im Jahre 2003 werden sie darauf warten, ob es irgendwo eine Abweichung von einem solchen Tarifvertrag gibt. Natürlich wird es diese nicht geben, weil die Tarifvertragsparteien - ich habe versucht, Ihnen dies am Mittwoch in unserem ansonsten sehr offenen und kollegialen Gespräch deutlich zu machen - damit rechnen können, dass ohne jedes eigene Dazutun ab dem 1. Januar 2004 in Deutschland eine Regelung in Kraft treten wird, die die Tarifbindung in Deutschland weiter erhöht. Dies wird geschehen, ohne dass sich die Gewerkschaften in irgendeiner Weise hin zu mehr Flexibilität auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen müssen. Wir halten diese Grundsatzentscheidung, die mit diesem Gesetz verbunden ist, für falsch. Dies ist der falsche Weg, wenn man zu mehr Beschäftigung kommen will. ({15}) - Ich verstehe die Zwischenrufe der Sozialdemokraten sehr gut. Was Sie hier machen, entspricht lückenlos dem, was Sie vor einigen Jahren im Grundsatzprogramm der SPD beschlossen haben. Es ist ja nicht etwa so, als ob wir uns im luftleeren Raum bewegten. Die Sozialdemokraten haben schon vor langer Zeit in ihrem Grundsatzprogramm von Dezember 1989, das sie „Berliner Programm“ genannt haben und das durch die Beschlüsse von Leipzig 1998 geändert worden ist, wörtlich festgestellt - ich möchte Ihnen das vortragen, damit Klarheit besteht, worüber wir reden -: Ungeschützte Arbeitsverhältnisse darf es nicht geben. ({16}) Jetzt kommt der entscheidende Satz: Leiharbeit ist zu verbieten. So steht es in Ihrem Grundsatzprogramm. Faktisch wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll, genau das eintreten, was Sie in Ihrem Grundsatzprogramm festgeschrieben haben. ({17}) Uns wird als eine größere Verbesserung dargestellt, dass jetzt eine Reihe von Restriktionen, die Sie in früherer Zeit eingeführt haben, aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gestrichen werden soll. Das ist zwar im Prinzip richtig. Aber die Einschränkungen des Geltungsbereichs des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die jetzt gestrichen werden sollen, haben überhaupt keine Bedeutung mehr, wenn an die Stelle der freien Aushandlung der Arbeitsbedingungen Tarifverträge treten. ({18}) Deswegen ist es für Sie natürlich ein Leichtes, an dieser Stelle nachzugeben; denn faktisch werden Sie damit das Gegenteil erreichen. Wenn Sie uns bzw. mir das nicht glauben wollen, dann möchte ich Ihnen das vorlesen, was Uwe Jean Heuser, einer der leitenden Redakteure der „Zeit“, vor einigen Tagen geschrieben hat - Sie betrachten Ihren jetzigen Gesetzentwurf ja als einen Akt der Liberalisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes -: Also bleibt die Arbeit in Deutschland so teuer, wie es die Tarifpartner der einzelnen Branchen für richtig halten. Nur wenn die Gewerkschaften ... zustimmen, darf der Leiharbeitnehmer weniger kosten. Zur Wiedergutmachung hat die Regierung einige Fesseln für die Leiharbeit gelockert. Deshalb nannte irgendein rot-grüner Scherzkeks das Ganze eine „Liberalisierung“. ({19}) Es ist in der Tat keine Liberalisierung. Vielmehr wird der Weg der Regulierung des Arbeitsmarktes fortgesetzt. An dieser Stelle haben wir beide, Herr Clement, grundlegend unterschiedliche Auffassungen darüber, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland wieder in Gang gebracht werden kann, und auch über das, was in Deutschland möglich und notwendig ist. Noch einmal: Niemand von uns bestreitet doch, dass wir hier vor großen Problemen stehen. Aber sind Sie ernsthaft der Auffassung, dass mit immer mehr Regulierung, immer mehr Tarifbindung und immer mehr staatlichen Interventionen der Arbeitsmarkt in unserem Land wieder in Ordnung kommt? Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel Bürokratie. Es gibt in Deutschland zwar genügend Arbeit, aber nicht zu bezahlbaren Preisen im ersten Arbeitsmarkt. An diesem Sachverhalt ändert der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, rein gar nichts. ({20}) Zum Abschluss möchte ich noch auf zwei weitere Details des jetzigen Gesetzgebungsverfahrens zu sprechen kommen. Herr Clement, Sie haben gerade die Regelung der so genannten Minijobs, der haushaltsnahen Dienstleistungen, lobend herausgestellt. Es ist wahr: Die privaten Haushalte in Deutschland sind vermutlich der größte Teil der vorhandenen Schattenwirtschaft. In diesem Bereich fehlt fast allen Menschen das Unrechtsbewusstsein. Hier wird einfach schwarz beschäftigt. Einen Teil dieser schwarzen Beschäftigung zurück in die legale Beschäftigung zu bringen ist ein ehrenwertes Ziel. Wenn Sie diesen Bereich nicht mit dem Begriff des Dienstmädchenprivilegs diskreditiert hätten, dann wären wir schon heute diesem Ziel ein Stück näher gekommen. ({21}) Vor lauter Angst, dass dort wirklich Beschäftigung entstehen könnte, reguliert die Bundesregierung dieses Segment umfassend, das ein wichtiger Teil unseres Arbeitsmarktes ist. Dabei kommen Wortschöpfungen zustande, über die man nur lachen kann. Wer als Außenstehender das, was dazu geschrieben worden ist, liest, der muss am Verstand derer zweifeln, die das zu Papier gebracht haben. ({22}) Ich trage Ihnen einen Satz vor. In der Begründung zu § 35 a des Einkommensteuergesetzes steht wie in Stein gemeißelt der Satz: Haushaltsnah ist das Beschäftigungsverhältnis oder die Dienstleistung, wenn es eine haushaltsnahe Tätigkeit zum Gegenstand hat. ({23}) Der Beamte, der das aufgeschrieben hat, hat die nächst höhere Stufe des Bundesverdienstordens verdient. Das ist eine fundamentale Erkenntnis, die den Arbeitsmarkt in Deutschland wirklich nach vorne bringt. ({24}) Nun wäre das nicht die rot-grüne Bundesregierung, wenn sie diesen inhaltsschweren Satz nicht noch mit weiterem Leben erfüllen würde. Dies tut sie im darauffolgenden Satz der Begründung. Dort heißt es: Haushaltsnahe Tätigkeiten sind: - es folgt eine abschließende, enumerative Aufzählung die Zubereitung von Mahlzeiten im Haushalt, die Reinigung der Wohnung des Steuerpflichtigen, die Gartenpflege und die Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, Kranken, alten Menschen und pflegebedürftigen Personen. Meine Damen und Herren, das wird Teil der Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung. Die Arbeitsgerichtsprozesse, die auf dieser Begründung fußen, führe ich in Zukunft gerne. Was ist denn zum Beispiel mit der Reinigung der Dachrinne am Hause meiner Eltern? Ist das eine haushaltsnahe Dienstleistung - ja oder nein? Was ist mit dem Einkauf von Lebensmitteln für gesunde Erwachsene? Kranke und Kinder sind dabei, aber gesunde Erwachsene fehlen in dieser Aufzählung. ({25}) Herr Bundeswirtschaftsminister, nachdem wir gemeinsam den Tierschutz im Grundgesetz verankert haben: Was ist mit der Versorgung von Haustieren? Sind das haushaltsnahe Dienstleistungen - ja oder nein? ({26}) Wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre dies wirklich Gegenstand weiterer vertiefender Erörterungen von dieser Stelle aus. Ich will damit sagen, Herr Clement: Mit einer solchen Regulierungsorgie, die Sie hier auslösen, schaffen Sie allenfalls neue Arbeitsplätze in der Bürokratie und bei den Arbeitsgerichten, aber keinen einzigen produktiven Arbeitsplatz in der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. ({27}) Ich komme zum Schluss. Ein drittes wesentliches Element dieser Gesetzgebung ist das so genannte Bridgesystem. ({28}) Mit diesem Ausdruck versuchen Sie, deutlich zu machen, dass hier eine Brücke aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand hinein gebaut werden soll und dass dies mit entsprechenden Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit begleitet werden soll. Ab 55 Jahren sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, dieses System in Anspruch zu nehmen. Was ist eigentlich in die rot-grüne Bundesregierung gefahren, dass wir heute eine solche Entscheidung treffen sollen, obwohl wir uns doch an anderer Stelle darin einig sind, Herr Bundeskanzler, dass wir nicht durch eine weitere Verkürzung, sondern nur durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit das Ziel der Stabilisierung unserer Sozialversicherungsbeiträge und des Arbeitsmarktes erreichen können? Herr Clement, die Entscheidungen in dem Gesetz, das Sie hier heute vorgelegt haben, sind wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch grundfalsch. ({29}) Da muss aus den Reihen der Grünen niemand über Rente mit 70 reden. Es würde ausreichen, wenn wir in Deutschland, wo das Alter der durchschnittlichen Verrentung, das in der gewerblichen Wirtschaft gegenwärtig bei 59 Jahren und im öffentlichen Dienst bei 57 Jahren liegt, in der Lage wären, gemeinsam das zu tun, was nötig ist, nämlich in beiden Bereichen den tatsächlichen Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr zu erhöhen statt ihn weiter herabzusetzen. ({30}) Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Es ist in Ordnung, dass Sie die Bestimmungen zur Handwerksordnung aus den Regelungen zur Ich-AG und Familien-AG herausgenommen haben. Damit hätten Sie eine Schmutzkonkurrenz zum Handwerk geschaffen, die Sie an anderer Stelle völlig zu Recht kritisiert haben. Es wäre aber gut gewesen, wenn Sie uns wenigstens heute Ihre Vorstellungen zur steuerlichen Behandlung mitgeteilt hätten. Wie soll das Ganze besteuert werden? Sie legen uns hier im Schweinsgalopp einen Gesetzentwurf vor, wir aber wissen an ganz entscheidender Stelle dieses Gesetzgebungsverfahren noch nicht einmal, wie das steuerlich behandelt werden soll. Herr Clement, Kritik an dem Gesetz, das Sie hier heute vorstellen, ist keine Mäkelei und auch keine Nörgelei der Opposition oder der Kettenhunde der Verbände. ({31}) - Nein, meine Damen und Herren. - Sie wissen genauso gut wie wir, dass die eigentlichen strukturellen Probleme unseres Landes mit diesem Gesetz nicht gelöst werden. Spätestens in einem Jahr stehen wir wieder hier. Dann werden wir von Ihnen wieder ein Jobwunder, eine Wunderwaffe, eine größte Reform aller Zeiten präsentiert bekommen. Wieder einmal wird dann der Beweis zu führen sein, dass das, was Sie mit diesen Superlativen beschreiben, eine Verfallszeit von weniger als einem Jahr hat. ({32}) Das ist das Problem dieser Bundesregierung. Sie können nicht in langfristigen Kategorien denken und Sie können keine ordnungspolitisch fundierte Wirtschaftspolitik für dieses Land machen. Das beweist auch der Gesetzentwurf, den wir heute vorliegen haben, eindrucksvoll. Herzlichen Dank. ({33})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Besucherinnen und Besucher darf ich sagen, dass ich Abgeordnete der PDS bin. ({0}) Der Vorstandschef von Opel, Herr Carl-Peter Forster, weiß schon jetzt, wie er mit dem Hartz-Gesetz umgehen will: 10 Prozent der Stammbelegschaft wird durch Leiharbeiter ersetzt. Mit den Leiharbeitern sollen Produktionsspitzen flexibel abgedeckt werden. Einstellen will der Vorstandsvorsitzende die Leiharbeiter allerdings nicht. Das ist im jüngsten „Stern“ - in der Ausgabe 47 dieses Jahres - nachzulesen. Es ist also nicht einmal ein Nullsummenspiel; es ist für alle ein Verlustgeschäft: für die Leiharbeiter, für die Stammbelegschaften und für die sozialen Sicherungssysteme. Es ist ein Minusgeschäft, weil dieses Konzept nicht neue Arbeitsplätze schafft, sondern gute Arbeitsplätze durch unsichere und billige ersetzt werden. ({1}) Auch wenn Tarifverträge für Leiharbeiter verhandelt werden - das finde ich gut und richtig -, kann man nur hoffen, dass die Rechte der Leiharbeiter wirklich gestärkt werden. Allerdings hat Herr Clement heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und auch in seiner Rede hier ganz deutlich unterstrichen, dass er davon ausgeht, dass die Bezahlung der Leiharbeiter wesentlich schlechter ausfallen wird. Ich erinnere mich noch daran, wie die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen in der letzten Woche hier getönt haben: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies wurde - vielleicht in der Hoffnung, dass es nicht jeder versteht - lieber auf Englisch gesagt: Equal Pay. Deshalb wundere ich mich darüber, dass man es zugelassen hat, dass diese Forderung, auf die man so stolz war, innerhalb einer Woche derart verändert wurde. ({2}) Auch der Staat wird verlieren, wenn die ehemals gut Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit geraten und Arbeitslosengeld ausbezahlt bekommen müssen. Die ehemals Arbeitslosen, die dann billigere Arbeitsplätze erhalten, werden natürlich weniger in die Krankenkassen und in die Rentenversicherung einzahlen. Ich habe dazu in dieser Woche eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Mir wurde mitgeteilt, dass die Rentenversicherung im Jahre 2003 mit Mindereinnahmen von 0,3 Milliarden Euro und im Jahre 2004 mit Mindereinnahmen von mehr als einer halben Milliarde Euro rechnet. Die Krankenkassen erwarten ebenfalls Mindereinnahmen von ungefähr 1 Milliarde Euro pro anno. Es ist also auch ein Minusgeschäft für die sozialen Sicherungssysteme. Der Austausch von guten Arbeitsplätzen, also die Umwandlung in Billigjobs, ist keine Gruselgeschichte, das erleben wir bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben unentwegt. Sie können sich überall umschauen: Ob es Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, Reinigungskräfte oder Postboten sind - sie werden in der Regel schlechter bezahlt als die Menschen, die diese Aufgaben vorher im öffentlichen Auftrag erfüllt haben. Meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wie das Gesetz bei Opel umgesetzt werden soll, haben wir bereits gelesen. Unklar ist jedoch, welche Antworten das Gesetz für den Osten bereithält. An dieser Stelle wären Änderungen am Gesetzentwurf dringend erforderlich gewesen. Hier habe ich die Stimmen der Abgeordneten aus den neuen Ländern vermisst, die doch angeblich diese Lücke schließen wollten, ausweislich der Debatte von vor einer Woche. ({3}) Die von der Bundesregierung geforderte höhere Mobilität der Arbeitslosen heißt für Ostdeutschland Wegzug von jungen Leuten in die alten Bundesländer. Damit werden im Osten die demographischen Strukturen völlig kaputt gemacht und der Osten wird zum Altersheim. Wenn Sie das wollen, meine Damen und Herren, dann müssen Sie solche Gesetze beschließen. Abschließend möchte ich noch einmal den Hauptpunkt der Kritik am Hartz-Konzept betonen: Das Grundproblem sind fehlende Arbeitsplätze. Das Hartz-Gesetz schafft keine Arbeitsplätze, sondern es organisiert lediglich den Tausch von Arbeitsplätzen. Vor allem aber bringt es Arbeitslose in Bewegung mit dem Ziel und dem Ergebnis, dass sie weniger haben werden als zuvor. Wir schlagen deshalb vor, dass man das Hartz-Gesetz in Bernstein-Gesetz umbenennt, denn vom alten Sozialdemokraten Bernstein stammt der Satz: „Bewegung ist alles; das Ziel ist nichts.“ Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Zunächst gebe ich bekannt, dass eine größere Zahl von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben worden ist, die zu Protokoll genommen werden.1 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auf Drucksache 15/25. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. ({0}) - Ich darf darauf hinweisen, dass vor der namentlichen Abstimmung eine Reihe von anderen Abstimmungen durchzuführen sind. Ich bitte Sie deshalb, Ihre Plätze einzunehmen, damit ich den Überblick behalten kann, wie das Abstimmungsergebnis aussieht. Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/92 vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der FDP? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung von FDPund CDU/CSU-Fraktion und Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP und der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. ({1}) Gegenstimmen? - Enthaltungen? ({2}) - Entschuldigung, wir befinden uns in der Abstimmung, Herr Kauder. ({3}) - Natürlich kann auf der Regierungsbank nicht abgestimmt werden. Das habe ich nicht gezählt. Das Abstimmungsergebnis wird vom Präsidium nicht bestritten. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen Stimmen in dritter Lesung angenommen. ({4}) Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/98? Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen Stim- men angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/90? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der CDU/CSU und Gegenstimmen aller an- deren Fraktionen und der beiden fraktionslosen Abgeord- neten abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/93? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP und Gegenstim- men der Koalitionsfraktionen und der beiden fraktionslo- sen Abgeordneten abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/94? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist 1 Anlagen 7 bis 11 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP und der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt. Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ent- wurf eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistun- gen am Arbeitsmarkt, Drucksache 15/26. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe b sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen Stimmen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund- gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind 302 Stimmen - erforderlich. Es ist na- mentliche Abstimmung verlangt. Bitte kontrollieren Sie Ihre Stimmkarten, bevor Sie sie einwerfen. Die Schriftführer haben ihre Plätze eingenommen. Ich eröffne die Abstimmung. Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim- mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nun wieder Platz zu nehmen. Wir haben noch weitere Abstimmungen vorzunehmen. Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 15/95 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Aktivierung kleiner Jobs auf Drucksache 15/23. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 15/77, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Da- mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zum optimalen Fördern und Fordern in Ver- mittlungsagenturen auf Drucksache 15/24. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe d sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/77, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthal- tung der FDP abgelehnt. Damit entfällt die weitere Bera- tung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/77 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Han- deln für mehr Arbeit“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/32 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP und Enthal- tung der CDU/CSU angenommen. Zusatzpunkte 6 und 7. Interfraktionell wird Überwei- sung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/46 und 15/55 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung ({5}) - Drucksache 15/28 ({6}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung ({7}) - Drucksache 15/73 - Berichterstattung: Abgeordnete Helga Kühn-Mengel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/75 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Otto Fricke Waltraud Lehn Anja Hajduk b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ({9}) - Drucksache 15/27 - 1 Seite 697 C aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung ({10}) - Drucksache 15/74 - Berichterstattung: Abg. Annette Widmann-Mauz bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/76 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Otto Fricke Waltraud Lehn Anja Hajduk Zu dem Entwurf eines Beitragssatzsicherungsgesetzes, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort. ({12})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um eine gerechte und faire Aufteilung von Lasten in schwierigen Zeiten. ({0}) Es geht darum, Ausgaben zu begrenzen, Beiträge bezahlbar zu halten, die Lohnnebenkosten zu stabilisieren, und letztlich auch darum, wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass in schwierigen Zeiten alle an einem Strang ziehen müssen, damit es wieder aufwärts geht, und vor allem, dass alle am selben Ende ziehen müssen. Deshalb fordern wir von allen einen Solidarbeitrag ein, ohne den Einzelnen dabei zu überfordern: in der Rentenversicherung von den Jungen und den Alten, im Gesundheitswesen von den Versicherten, den Pharmaunternehmen, den Apotheken, dem Großhandel und auch den Ärztinnen und Ärzten. An dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: Den Ärztinnen und Ärzten wird kein Geld weggenommen. Sie werden im kommenden Jahr lediglich auf einen Honoraranstieg von durchschnittlich 160 Euro pro Monat verzichten müssen. Dadurch wird niemand in seiner Existenz gefährdet - kein Arbeitsplatz wird gefährdet - und die Patientenversorgung bleibt gewährleistet. ({2}) Erstmalig erschließen wir Sparpotenziale, ohne medizinische Leistungen zu kürzen und die Zuzahlungen für die Kranken weiter zu erhöhen. ({3}) Wir sorgen mit den Einsparungen dafür, dass die Beitragssätze im Jahr 2003 so niedrig wie möglich bleiben können und Beitragssatzanhebungen auf zwingend erforderliche Ausnahmen beschränkt bleiben. ({4}) Zu dieser einmaligen „Erste-Hilfe-Maßnahme“ gibt es momentan keine Alternative; das haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen in der Anhörung bestätigt. ({5}) Ich verstehe die besorgten Stimmen der Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern. Sie haben im Hinblick auf die flächendeckende Versorgung größere Herausforderungen zu bewältigen als wir in Westdeutschland. Darauf haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode mit der Einführung des Wohnortprinzips und der Sicherung und Weiterentwicklung der Gesundheitszentren reagiert. Ich sage es ganz deutlich: Wenn die Möglichkeit besteht, die Vergütung der Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen und stationären Bereich im Osten rascher voranzubringen und damit die Angleichung von Ost an West, die bis 2007 vorgesehen ist, zu beschleunigen, werden wir sie ergreifen. Wir sehen die Probleme, die sich unter anderem aus einer verstärkten Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten aus den neuen Bundesländern ergeben würden. ({6}) - Im Gegensatz zu Ihnen haben wir in unserer Regierungszeit gehandelt. Das ist einer der Gründe, warum wir zeitgleich zu diesem Sparprogramm eine Strukturreform auf den Weg bringen, die sich vorrangig mit der Ausgabenseite der gesetzlichen Krankenversicherung befassen wird. Wir werden Effizienzreserven erschließen, damit die Ausgaben sinken und die Qualität der Versorgung steigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die ständige Debatte über Geld lässt manchmal vergessen, dass die Hauptprobleme unseres Gesundheitswesens ({7}) mangelnde Qualität, mangelnde Transparenz und mangelnde Prävention sind. ({8}) Uns fehlt zurzeit etwa 1 Prozent der Einnahmen, die wir brauchen. Nach Angaben des Sachverständigenrates fehlen 25 Prozent der Qualität, die wir eigentlich haben Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms sollten. Da liegt das wahre Defizit in der Gesundheitsversorgung. ({9}) Wir können es uns nicht länger erlauben, dass Untersuchungen parallel und mehrfach durchgeführt werden und dass teure Medikamente ohne therapeutischen Zusatznutzen verordnet werden; denn das geht nicht nur zulasten der Patienten und Patientinnen, sondern es ist ineffizient. Es gibt viele Beispiele für solche Ineffizienzen in unserem Gesundheitssystem: Jede dritte Röntgenuntersuchung ist medizinisch nicht notwendig; 50 Prozent der Röntgenuntersuchungen sind technisch unzureichend; ({10}) 140 000 Menschen sterben jedes Jahr an Medikationsfehlern und aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Wir haben nicht hingenommen, dass bei Frauen pro Jahr zwischen 2 Millionen und 4 Millionen Mammographien ohne Qualitätssicherung durchgeführt werden, ({11}) dass fälschlicherweise rund 200 000 positive Befunde gestellt werden und dass 100 000 Frauen unnötig operiert werden. Deshalb haben wir eine Qualitätsoffensive eingeleitet, deshalb haben wir die Programme zur besseren Versorgung chronisch kranker Menschen auf den Weg gebracht und deshalb sind wir fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass schwere Krankheiten gemäß medizinischer Behandlungsleitlinien behandelt werden. Wir werden das Tempo, mit dem wir vorgehen, beschleunigen. Dazu werden wir ein Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin einrichten, ({12}) das einen wichtigen Beitrag dazu leisten soll. ({13}) Wir stärken den Wettbewerb. Die Qualität wird steigen. Der Wettbewerb wird organisiert. Wir werden dafür sorgen, dass gute Qualität gut bezahlt wird. Das geht nur, wenn gleichzeitig schlechte Qualität aus der Versorgung verschwindet. ({14}) Wir werden dafür sorgen, dass sich Leistung und regelmäßige Fortbildung wieder lohnen. Deshalb müssen Ärzte und Krankenkassen über gute Qualität informieren dürfen, deshalb müssen Krankenkassen Direktverträge schließen können, deshalb werden wir das Vertragsrecht flexibilisieren und deshalb werden wir die Rolle der Hausärzte stärken. ({15}) Weil gute Qualität und Wirtschaftlichkeit zusammengehören, liberalisieren ({16}) und modernisieren wir die Arzneimittelversorgung. Wir werden dafür sorgen, dass die Rabatte, die in diesen Systemen fließen, endlich den Versicherten zugute kommen, damit die Beiträge gesenkt werden können. ({17}) Ziel unserer Reformen ist die Gesundheit der Menschen. Wir stellen die Patienten in den Mittelpunkt. ({18}) Wir stärken ihre Rechte. Aber wir fordern auch Eigenverantwortung ein. Dazu werden wir die Prävention zur vierten Säule im Gesundheitswesen ausbauen. Jede Krankheit, die nicht entsteht, ist die beste Entlastung für die gesetzliche Krankenversicherung. ({19}) Dass Krankheiten vermieden werden, ist aber auch für jeden Einzelnen von uns das Beste. Eines ist klar: Jeder und jede von uns hat nur ein Leben; deshalb werden wir dafür sorgen, dass die Menschen so lange wie möglich gesund bleiben. Dabei nehmen wir uns ein Beispiel an anderen Ländern. Die Finnen haben ein Programm auf den Weg gebracht, mit dem Herzkrankheiten besser vorgebeugt werden kann. Durch dieses Programm wurde die Häufigkeit des Auftretens von Herzkrankheiten halbiert. Etwas Ähnliches in Deutschland zu schaffen, ist unser gesundheitspolitisches Ziel. Die Keimzelle für solche Programme ist das Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung. Es hat seine Arbeit bereits aufgenommen und wir werden diese Arbeit weiterhin fördern. ({20}) Damit die Menschen erkennen können, was das System für sie leistet, setzen wir auf Transparenz. ({21}) Wir werden die elektronische Gesundheitskarte und die Patientenquittung einführen. ({22}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesundheitspolitik hat ein klares Konzept: ({23}) Qualität, Transparenz und Prävention statt Zweiklassenmedizin ({24}) und Resignation vor den Widerständen der Lobbygruppen, die demonstrieren und den Untergang der Welt beschwören. ({25}) Wir werden deshalb diese Reformpolitik fortsetzen. Wir setzen auf eine Qualitätsreform. Sie wird kommen und ist der wichtigste Beitrag dafür, dass gute Gesundheitsversorgung für alle bezahlbar bleibt. ({26}) Wir werden uns auch mit der langfristigen Sicherung der Einnahmesituation aller sozialen Sicherungssysteme befassen. Wir werden eine Kommission einberufen, die Vorschläge zur nachhaltigen Finanzierung und Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme machen soll. ({27}) Diese Vorschläge bauen auf der Rentenreform auf, die wir in der letzten Legislaturperiode gemacht haben ({28}) und die sich dadurch auszeichnet, dass sie für die jetzt junge Generation die Einkünfte im Alter und jetzt den Lebensstandard der älteren Generation sichert. Darauf wird auch die Gesundheitsreform aufbauen. Die Koalition von SPD und Grünen im Deutschen Bundestag wird dafür sorgen, dass unsere sozialen Sicherungssysteme modernisiert und zukunftsfähig gemacht werden und nach dem Prinzip der Generationengerechtigkeit funktionieren. Danke. ({29})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich das Wort weitergebe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/26 und 15/77, bekannt: Abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein haben gestimmt 280, eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 305 nein: 280 enthalten: 1 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Wilhelm Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Marga Elser Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Iris Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({14}) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({15}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({18}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({19}) Michael Roth ({20}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({21}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({22}) Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Heinz Schmitt ({28}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({29}) Reinhard Schultz ({30}) Swen Schulz ({31}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({32}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis ({33}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({34}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({35}) Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({36}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({37}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({38}) Volker Beck ({39}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({40}) Katrin Dagmar GöringEckardt Anja Hajduk Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Michaele Hustedt Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({41}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({42}) Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({43}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({44}) Werner Schulz ({45}) Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({46}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({47}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({48}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({49}) Cajus Caesar Manfred Carstens ({50}) Peter H. Carstensen ({51}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({52}) Dirk Fischer ({53}) Axel E. Fischer ({54}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({55}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Michael Glos Ralf Göbel Tanja Gönner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({56}) Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({57}) Dr. Norbert Lammert Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({58}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({59}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({60}) Stephan Mayer ({61}) Cornelia Mayer ({62}) Dr. Martin Mayer ({63}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({64}) Doris Meyer ({65}) Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Stefan Müller ({66}) Bernward Müller ({67}) Bernd Neumann ({68}) Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Helmut Rauber Christa Reichard ({69}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht ({70}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({71}) Hartmut Schauerte Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({72}) Andreas Schmidt ({73}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({74}) Michael Stübgen Michaela Tadjadod Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Angelika Volquartz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Peter Weiß ({75}) Gerald Weiß ({76}) Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({77}) Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Daniel Bahr ({78}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({79}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({80}) Dr. Karlheinz Guttmacher Christoph Hartmann ({81}) Klaus Haupt Birgit Homburger Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Wolfgang Kubicki Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({82}) Eberhard Otto ({83}) Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Günter Rexrodt Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein fraktionslos Petra Pau Enthalten SPD Ottmar Schreiner ({84}) Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 4 Millionen Menschen erbringen täglich als Mediziner, als Pflegekräfte, als Zahntechniker, als Apotheker einen humanen und sehr kompetenten Dienst für die kranken Menschen. Die Bundesgesundheitsministerin stellt sich aber hier vor die deutsche Öffentlichkeit und erklärt, das Hauptproblem des deutschen Gesundheitssystems sei, dass die Qualität dieser Tätigkeiten mangelhaft sei. ({0}) Das ist eine Schande, Frau Ministerin. Ich fordere Sie auf, diese Beleidigung der Beschäftigten im Gesundheitssystem künftig zu unterlassen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Täuschung beginnt bei den Begriffen. Mit „Beitragssatzsicherung“ wird suggeriert, die bestehenden Beiträge würden stabilisiert. Das Gegenteil findet heute statt. ({2}) Der Rentenversicherungsbeitrag steigt von 19,1 auf 19,5 Prozent, der Krankenversicherungsbeitrag von 14,0 auf 14,3 Prozent. Hinzu kommt eine massive Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen, eine gigantische Abgabenerhöhung in bisher nicht gekanntem Ausmaß ({3}) und eine Erhöhung der Arbeitskosten, die Jobs vernichtet und Einnahmeausfälle von morgen erzeugt. Allein dieses Beitragssatzsicherungsgesetz, das in Wahrheit ein Beitragserhöhungsgesetz ist, zeigt: Diese Regierung löst nicht Probleme, sondern diese Regierung ist das Problem. ({4}) Eine klägliche Rolle haben in den letzten Tagen die Grünen gespielt. Sie predigen pausenlos Nachhaltigkeit und knicken - wie immer in den letzten Jahren - ein. Keines der bestehenden Probleme wird gelöst, sondern sie werden in die Zukunft verschoben und damit der nachfolgenden Generation aufgebürdet. Das ist genau das Gegenteil einer nachhaltigen Gesellschaftspolitik. ({5}) Frau Schmidt, ich kann ja verstehen, dass Sie zur Rente und zur gesetzlichen Altersversicherung, also zu dem Bereich, in dem Sie das größte Desaster angerichtet ({6}) und in dem Sie allein durch Ihre Politik der letzten Tage und Wochen die größten Sorgen und Zukunftsängste ausgelöst haben, ({7}) vor der Verabschiedung des Gesetzes keinen Satz gesagt haben. ({8}) Ich kann das verstehen; denn alles, was wir hier erlebt haben, ist ein Tollhaus und ein Trauerspiel. Die Sachverständigen haben am Mittwoch die Situation zutreffend beschrieben. Diese Maßnahmen bei der Rentenversicherung stellen letztlich nur konzeptionslose Notoperationen dar und stehen im Widerspruch zu einer verlässlichen und langfristig orientierten Rentenpolitik. ({9}) Zur ehemaligen Riester-Rente - das Produkt gibt es ja nicht mehr; dieser Begriff muss sozusagen verschrottet werden ({10}) haben die Sachverständigen gesagt, das komplizierte Gesetzeswerk führe dazu, dass der Anleger und selbst die Finanzberater Schwierigkeiten hätten, alle Fördermöglichkeiten und Förderkombinationen zu überblicken. Ich habe vor kurzem eine Veranstaltung in RheinlandPfalz besucht. Als ich abends ins Hotel zurückgekehrt bin, haben mich zwei junge Leute gefragt, ob sie noch kurz mit mir reden könnten. Sie hatten ausschließlich Fragen zur Riester-Rente und deren Anwendung. Nach dem Gespräch habe ich ihnen die Frage gestellt, was sie beruflich machen. Ihre Antwort war, dass sie Versicherungsberater bei einer Bank bzw. Berater bei einer Versicherung sind. Das zeigt, dass meine Feststellung „Herr Riester ist ein begnadeter Murkser“ durch die Realität bestätigt wurde. Frau Schmidt setzt diese Tradition von Herrn Riester gnadenlos fort. Es ist Murks! ({11}) Murks und ein Tollhaus: Erst geben Sie falsche Prognosen über die Situation der Rentenversicherung ab, dann machen Sie unhaltbare Wahlversprechen hinsichtlich der Alterssicherung. ({12}) Schließlich entwerfen Sie ein Gesetz, das widersinnige Notoperationen enthält und das Sie heute mit Ihrer Mehrheit verabschieden. Zu guter Letzt soll eine Kommission eingesetzt werden, die all diese Fehler wieder ausbügeln soll. Der Vorsitzende der Kommission soll derjenige Wissenschaftler werden, der in der Öffentlichkeit erklärt hat, dass die Riester-Rente eine Jahrhundertreform sei. Das zeigt, dass es zugeht wie im Tollhaus. Die Alternative ist klar; sie stand schon 1998 im Bundesgesetzblatt. Der Kardinalfehler dieser Regierung war, dass sie unsere Rentenreform aus dem Jahre 1998 zurückgenommen hat. ({13}) Wenn sie das nicht getan hätten, wäre die Rentenversicherung nicht in dieser akuten Finanzkrise. ({14}) Hauptbestandteil der damaligen Rentenreform war die Einführung des demographischen Faktors. An die Adresse der Grünen will ich sagen: Dieser Faktor ist genau die Antwort auf die Frage, die Sie in den letzten Tagen immer zu Recht gestellt haben: ({15}) Wie verteilen wir die finanzielle Last, die aus der veränderten Altersstruktur unserer Bevölkerung erwächst? 1960 gab es noch vier Beitragszahler auf einen Rentner. Im Moment beträgt das Verhältnis zwei zu eins. In 25 Jahren wird es ein Verhältnis von eins zu eins sein. Deshalb muss die Politik die Antwort auf die Frage geben, wer die finanziellen Lasten trägt, die sich aus der veränderten Altersstruktur und aus der längeren Rentenlaufzeit aufgrund einer steigenden Lebenserwartung ergeben. Diese Antwort haben wir 1998 im Bundestagswahlkampf gegeben. Mit der Einführung des demographischen Faktors wollten wir die finanziellen Lasten aus der steigenden Lebenserwartung gerecht auf die ältere und auf die junge Generation verteilen. Auch die ältere Generation hat nämlich ein Interesse daran, dass ihre Kinder nicht immer durch ständig steigende Beiträge überfordert werden. Wir haben in der Rentenformel den demographischen Faktor berücksichtigt, um Verlässlichkeit in der Alterssicherung zu schaffen. Wir haben ihn der Bevölkerung im Wahlkampf 1998 erklärt. Ihr Fehler bestand darin, dieses Gesetz zurückgenommen zu haben. Jetzt müssen Sie Ihren großen Fehler ausbaden, den Sie vor vier Jahren begangen haben. ({16}) Was Sie machen, wird zur Fortsetzung der Unruhe in der Rentenversicherung beitragen. ({17}) Sie umkurven seit vier Jahren mit aller Konsequenz den demographischen Faktor, weil Sie Ihren Fehler nicht eingestehen wollen. ({18}) Ein Jahr nach der Bundestagswahl haben Sie ins Gesetz geschrieben, dass die Renten gekürzt werden. Sie haben diese Regelung unter der Annahme geschaffen, dass 100 Prozent der Menschen private Altersvorsorge betreiben. ({19}) Nun machen es von 40 Millionen Berechtigten aber nur 2 Millionen. Deshalb handelt es sich um einen Willkürakt, der am 1. Juli des nächsten Jahres bei der Rentenanpassung ansteht. ({20}) Sie werden ein großes Jammern über die Rentenanpassung im nächsten Jahr erleben. Sie haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Verlässlichkeit unserer Alterssicherung zerstört. ({21}) Die Alternative ist die Wiedereinführung der demographischen Formel. Wenn wir diese seit 1999 gehabt hätten, wäre ein Großteil der Alterslast bewältigt. Wir brauchen darüber hinaus eine Reform der RiesterRente. Dieses Produkt, das am 1. Januar auf den Markt gekommen ist, ist viel zu bürokratisch und die Förderung ist viel zu ungerecht. Frau Bender, ich danke Ihnen, dass Sie in diesen Tagen öffentlich erklärt haben: „Wir brauchen eine Reform der Riester-Rente.“ Noch vor acht Wochen, im Wahlkampf, war dies Panikmache. Jetzt hat Sie die Realität eingeholt. Ich gratuliere Ihnen dazu. ({22}) Lassen Sie mich jetzt noch etwas sagen zu der aktuellen Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Es war unsere Entscheidung - Sie haben diese Regelung, die wir eingeführt haben, 1998 bekämpft, sie letztlich aber im Gesetz belassen -, dass bei einem vorzeitigen Renteneintritt ein versicherungsmathematischer Abschlag erfolgt, damit nicht diejenigen, die weiter arbeiten, die Renten von Frühpensionären mitzufinanzieren haben. Das steht im Gesetz und das halten wir auch für richtig. Schritt für Schritt wird sich so - Kollege Merz hat das heute gesagt - das tatsächliche Renteneintrittsalter nach oben entwickeln. Wir wollen allerdings, dass Sie endlich Ihren Widerstand dagegen aufgeben, dass eine andere Gruppe von Menschen ebenfalls einen Abschlag hinnehmen muss, nämlich diejenigen, die 45 Jahre und länger Beiträge für diese Solidargemeinschaft entrichtet haben. ({23}) Angesichts dessen halte ich die Diskussion über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus, die jetzt öffentlich stattfindet, für geradezu lächerlich. ({24}) Lassen Sie uns doch erst einmal das machen, was ich gerade beschrieben habe! Es ist unglaubwürdig, wenn der Vorsitzende der von Ihnen berufenen Kommission erklärt, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus sei unumgänglich, obwohl gerade ein Gesetz verabschiedet wurde, mit dem die Regierung die über 55-Jährigen generell aus dem Arbeitsmarkt herausnimmt. Das ist doch widersinnig. ({25}) Und an die Adresse der deutschen Wirtschaft sage ich: Wer öffentlich für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus eintritt, kann nicht im alltäglichen Handeln die über 50-Jährigen entlassen bzw. sich deren Wiedereinstellung verschließen. ({26}) Wenn in der Zukunft die Verlängerung der Lebensarbeitszeit erforderlich sein sollte, dann bin ich dafür, dass wir am Beginn des Arbeitslebens ansetzen, nämlich indem wir die Ausbildungszeiten verkürzen und dafür sorgen, dass unsere jungen Leute nicht erst durchschnittlich mit dem 28. Lebensjahr in das Arbeitsleben eintreten. Das wäre der richtige Ansatzpunkt. ({27}) Einführung des Demographiefaktors, Beibehaltung des Renteneintrittsalters, Streichung des Abschlags für diejenigen, die 45 Jahre und länger eingezahlt haben, sowie eine radikale Reform der privaten Altersvorsorge und der Betriebsrente - das ist das, was jetzt geschehen muss. Im Übrigen: Noch mehr Leute in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen, würde nur dann etwas bringen, wenn jene aufgenommen würden, die mehr einzahlen, als sie herausbekommen. Nun wissen wir, dass die Beamten eine in diesem Sinne ungünstige Altersstruktur haben: Zwei Drittel sind 40 Jahre oder älter, nur ein Drittel ist jünger als 40. Wer diese Gruppe in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen will, verschärft die Probleme dieses Umlagesystems. Allerdings ist es ohnehin unlogisch, noch mehr Menschen in ein sanierungsbedürftiges System aufnehmen zu wollen, wenn dieses bereits in Schwierigkeiten ist. Besser wäre es, wenn alle anderen eine private Altersvorsorge betreiben würden. Das wäre die richtige Antwort. ({28}) Jetzt zur Krankenversicherung. Frau Schmidt, Sie werden das Kunststück fertigbringen - da gehe ich jede Wette ein -, als erste Ministerin in der Geschichte der deutschen Gesundheitspolitik überhaupt drei Negativziele gleichzeitig zu erreichen: Die Qualität der medizinischen Versorgung wird sinken, die wirtschaftlichen Grundlagen vieler Leistungserbringer werden zerstört werden und die Beiträge werden gleichwohl steigen. Dieses Kunststück, alle theoretisch denkbaren Negativwirkungen gleichzeitig zu erreichen, hat im Ministeramt noch nicht einmal Walter Riester fertig gebracht - Ulla Schmidt ist die Erste, der das gelungen ist. ({29}) Jetzt wird von den Apothekern, den Pflegekräften, den Zahntechnikern und von der gesamten Ärzteschaft ein Sonderopfer verlangt. Gerade habe ich eine persönliche Erklärung von Abgeordneten der SPD auf das Pult gelegt bekommen, die die ganze Heuchelei dieser Diskussion beweist. Diese Abgeordneten sagen: Es ist nicht hinnehmbar, dass dieser Bereich des Handwerks - gemeint sind die Zahntechniker gleichzeitig durch eine Mehrwertsteuererhöhung und außerdem durch eine gesetzliche Absenkung seiner Preise um 5 Prozent belastet werden soll. Jetzt kommt es: Dabei würde unserer Meinung nach in Kauf genommen, dass hier zahlreiche Arbeits- und Ausbildungsplätze in Handwerksbetrieben zerstört oder zumindest gefährdet werden und dass es zu erheblichen Abwanderungsprozessen und zu einer weiteren Stärkung von Grauimporten bei Zahnersatz kommt. Wenn man das liest, denkt man, dass diese Abgeordneten konsequent sein und sagen müssten: Wir stimmen nicht zu, weil wir nicht die Verantwortung dafür mittragen wollen, dass durch eine solch stümperhafte Politik massenhaft Arbeitsplätze zertrümmert werden. Sie aber sagen: Obwohl wir diese Bedenken haben, stimmen wir dem Gesetz zu. ({30}) Das zeigt die ganze Heuchelei. Eine zweite Heuchelei: Im gesamten Wahlkampf ist unser Vorschlag, Versicherten Wahlleistungen zu ermöglichen und über den Leistungskatalog und die Leistungskonditionen mitentscheiden zu können, kritisiert worden. Es hieß dann immer: Jetzt kommt die Auflösung der Solidargemeinschaft. Bei jedem Fernsehgespräch, bei jedem Streitgespräch war dies ein Gegenargument von Frau Schmidt, wobei diese Möglichkeit für mich ein Stück mehr Freiheit und ein Stück mehr Selbstbestimmung der Versicherten bedeuten würde. ({31}) Jetzt halbiert die Regierung das Sterbegeld und just zur gleichen Zeit bekomme ich von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Verdi e. V., einen Brief. Darin wird das Angebot einer Sterbegeldversicherung gemacht. Hierzu gehören auch Angebote zur Vorsorge. Sie schreibt, dass keine Gesundheitsprüfung nötig ist, bis zum 90. Lebensjahr aufgenommen wird und bis zu 2 500 Euro ausgezahlt werden. Das Angebot gelte auch für Familienangehörige. Für diese Sterbegeldversicherung seien günstige Beiträge zu zahlen. Das ist genau der Gedanke, den wir immer vertreten haben. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit eröffnen, Leistungen zu wählen und dafür einen geringeren Beitrag zu zahlen. Den verordnet die Regierung jetzt per Gesetz - das hat sie noch im Wahlkampf kritisiert - und die Gewerkschaften, die die Regierung unterstützt haben, machen Angebote zum Abschluss einer Sterbegeldversicherung. Was ist das für eine Glaubwürdigkeit? ({32}) Ich sage Ihnen: Arbeitsplätze werden zertrümmert. Die Qualität der Versorgung wird durch die Budgetierungen zurückgehen und die Beiträge werden trotzdem steigen. Wenn ich einem Krankenhausmanager einen Rat geben dürfte, dann würde ich sagen: Melden Sie sich bis zum 15. Dezember dieses Jahres für die Abrechnung über Fallpauschalen an. Denn wenn er das tut, dann gibt es für sein Krankenhaus keine Nullrunde. Ein Krankenhausmanager, der sich jetzt nicht bis zum 15. Dezember zur Abrechnung über Fallpauschalen anmeldet, der begibt sich in ein haftungsrechtliches Problem. ({33}) Denn so schlau, wie der Gesetzgeber auf der linken Seite ist, sind die Menschen, die die Gesetze vollziehen müssen, schon längst. Deshalb sagen die Krankenkassen mit Recht - das zeigt die ganze Stümperhaftigkeit dieses Gesetzeswerks -, dass aus den im Krankenhausbereich geplanten Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde Euro Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen Euro entstehen. Das heißt, wir haben die delikate Situation: Für viele im Gesundheitswesen, die der Nullrunde nicht ausweichen können, gibt es Arbeitsplatzabbau und Qualitätsverlust. Bei der anderen Hälfte führt die Inanspruchnahme von Ausnahmen zu Mehrausgaben und diese führen wieder zu Beitragserhöhungen. So etwas hat bisher noch niemand zustande gebracht. Wenn die Menschen aufgrund dieser Politik auf die Straße gehen, bezeichnet das Frau Schmidt als unverantwortliche Panikmache und der Bundeskanzler als Gejammere. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Menschen in diesem Lande zu einer Erneuerung, zu Reformen bereit sind. Sie jammern nicht wegen der Erneuerung, wegen nötiger Reformen oder Veränderungen, sondern deswegen, weil sie noch nie so stümperhaft regiert wurden wie von dieser rot-grünen Bundesregierung. ({34})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Seehofer, kommen Sie bitte zum Schluss.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine letzten Sätze. - Frau Schmidt, ich fordere Sie zum Schluss auf: Schauen Sie einmal den Pflegekräften, die am Brandenburger Tor demonstrieren und um ihre Arbeitsplätze fürchten, ins Gesicht! Sprechen Sie einmal mit Zahntechnikern, die unter großen Schwierigkeiten eine eigenständige Existenz aufgebaut haben und jetzt den Treppenwitz erleben, dass Sie die Erstattungen für zahntechnische Leistungen um 5 Prozent absenken und gleichzeitig die Mehrwertsteuer verdoppeln, damit Eichel seinen Bundeshaushalt sanieren kann. Die Krankenversicherungsbeiträge sind nicht dazu da, dass der Bundesfinanzminister seinen Haushalt in Ordnung bringt, sondern sie dienen dazu, dass die kranken Menschen in diesem Lande versorgt werden. Kümmern Sie sich wieder um die kranken Menschen! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-Fraktion das Wort. ({0}) - Ich bitte Sie, Herr Wodarg, die Kurzintervention von Ihrem Platz aus zu machen. ({1})

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Seehofer, dass Sie das hier sagen, macht mich wütend. Ich will Ihnen einmal den Rest des Absatzes vorlesen, den Sie eben zitiert haben. Da steht: Bereits während der Zeit der Kohl-Regierung - das war die Zeit, zu der Sie Gesundheitsminister waren kam es in diesem Handwerksbereich - der Zahntechniker zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen durch eine zweimalige gesetzliche Preisabsenkung sowie durch einen Nachfrageeinbruch nach Einführung von Festzuschüssen für Zahnersatz. 25 Prozent der in diesem Handwerk Tätigen haben durch Ihre Festbeträge ihren Job verloren. ({0}) Das hat dazu geführt, dass die Leute Angst um ihren Arbeitsplatz hatten. Wenn Sie jetzt hier so etwas sagen, dann ist das sehr heuchlerisch und zynisch. Das müssen wir in diesem Hause mitteilen. Zu einem anderen Punkt, zu dem ich mich während Ihrer Rede gemeldet hatte, bei dem Sie aber Angst hatten, gestört zu werden. ({1}) Sie haben die Ministerin gebeten, sich dafür zu entschuldigen, dass sie von schlechter Qualität gesprochen hat. Sie hat von schlechter Qualität gesprochen im Zusammenhang mit zu viel gemachten Röntgenaufnahmen, ({2}) mit mangelnder Prävention, mit dem System. Sie haben die ganze Zeit von dieser schlechten Qualität gewusst, aber nichts getan. Wir haben durch unsere Gesetze in der vorigen Legislaturperiode bereits dafür gesorgt, dass darangegangen werden kann. Wir sind nicht zufrieden damit, dass die Regelungen von der Selbstverwaltung bisher nicht umgesetzt wurden; das muss unverzüglich geschehen. Aber Sie haben die ganzen Jahre nichts gemacht und sich an jeder Röntgenaufnahme, die zu viel gemacht wurde, mitschuldig gemacht. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nur zur Information einiger Kollegen: In § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung finden Sie ausgeführt, dass Zwischenbemerkungen vom Saal aus gemacht werden. ({0}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms - Ich erkläre Ihnen doch nur die Geschäftsordnung. Herr Kollege Seehofer, Sie haben das Wort.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wodarg, die Frau Ministerin hat eindeutig gesagt: Das Hauptproblem der deutschen Krankenversicherung ist nicht das Geld, sondern die Qualität. ({0}) Niemand wird bestreiten wollen, dass es da und dort noch Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung gibt. Das ist ein ständiger Prozess. Aber hier im Deutschen Bundestag in dieser Pauschalität 4 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu sagen, das Hauptproblem sei die Qualität ihres Tuns, ist eine Unverschämtheit. ({1}) Herr Wodarg, auch wir haben Sparmaßnahmen aufgelegt. Bei den Zahntechnikern war es immer in einer Boomphase, in der wir den Zuwachs begrenzt oder Einsparopfer abgefordert haben. Sie aber gehen in einer Zeit an das zahntechnische Handwerk heran, in der die Ausgaben für Zahnersatz in der gesetzlichen Krankenversicherung seit vier Jahren nachweislich rückläufig sind. Deshalb sind die Zahntechniker nicht selber die Verursacher ihres Problems, sondern Sie sind die Verursacher durch die Verschiebebahnhöfe der vergangenen vier Jahre. Wie können Sie den Zahntechnikern erklären, dass Sie sie auf der einen Seite in ihrer Existenz gefährden und auf der anderen Seite die deutsche Krankenversicherung mit dem Gesetz von heute wieder mit 1,5 Milliarden Euro belasten? Das ist unfair; denn Sie können nicht der Krankenversicherung finanzielle Probleme auflasten und dann die Menschen, die in den letzten Jahren nicht zu Ausgabensteigerungen beigetragen haben, zu einem Sonderopfer heranziehen. Das geht nicht. ({2}) Die Zahntechniker bringen ein doppeltes Sonderopfer: für Eichel und durch die Senkung der Bewertung ihrer handwerklichen Leistungen. Es ist zynisch, Herr Wodarg, dass Sie trotz der Feststellung in Ihrer persönlichen Erklärung, dass Sie die Gefahr des massenhaften Arbeitsplatzabbaus - die erkennen Sie zu Recht - sehen, dem Gesetz zustimmen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seehofer, wenn Sie hier versuchen, sich zum Anwalt der Beschäftigen im Gesundheitswesen zu machen, ist das nicht sehr glaubwürdig. ({0}) Sie stellen sich dümmer, als Sie sind. ({1}) Sie wissen ganz genau, dass wir in Deutschland mit hohem und höchstem Mitteleinsatz nur mittelmäßige Qualität im Gesundheitswesen erreichen. Das ist keine Frage des hohen Arbeitseinsatzes und des guten Willens der Beteiligten, sondern eine Frage struktureller Mängel. Sie täten gut daran, sich dem zu stellen. ({2}) Herr Seehofer, Sie sagen, es ist stümperhaft, bei einem Rentenbeitragssatz von 19,5 Prozent zu landen. Ich frage Sie: Was ist dann ein Rentenbeitragssatz von 20,3 Prozent? ({3}) Diesen haben wir 1998 vorgefunden. Das war das Erbe der Regierung Kohl. ({4}) Jetzt schauen wir einmal genauer hin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wir haben gehört, die CDU/CSU wolle nicht zustimmen. Gut, aber auch sie will niedrigere Beitragssätze. Im Ausschuss hieß es, die Schwankungsreserve abzusenken wäre ganz falsch. Gerade haben wir gehört, die Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze sei auch ganz falsch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das alles falsch ist, landen wir am 1. Januar 2003 aber bei einem Beitragssatz von 19,9 Prozent. ({5}) Jetzt nehmen wir noch Ihre Wahlkampfsprüche - Ökosteuer gleich K.o.-Steuer - dazu. Die Ökosteuer führt inzwischen dazu, dass der Rentenbeitragssatz um 1,6 Prozent niedriger liegt, als er sonst liegen müsste. ({6}) Jetzt rechnen wir das zusammen: Was macht 19,5 Prozent plus 1,6 Prozent? Das sind 21,1 Prozent. Das ist der Satz, auf den wir kämen. Sie haben nichts anderes anzubieten als zu sagen, da war doch noch etwas mit dem demographischen Faktor. Den gibt es aber nicht und den können Sie zum 1. Januar auch gar nicht einführen. Ansonsten beten Sie für den Aufschwung. Das ist als politisches Konzept nicht ernst zu nehmen. ({7}) Die Entscheidung der Koalition, jetzt mit den genannten Maßnahmen bei einem Beitragssatz von 19,5 Prozent zu landen, war kontrovers. Das wissen Sie alle. Aber was wäre gewesen, wenn sich Rot-Grün zum Beispiel entschieden hätte, die Rentenanhebung um ein halbes Jahr zu verschieben? Dann hätten wir mit dem Beitragssatz ein wenig runtergehen können, aber was hätten dann CDU und CSU getan, Herr Seehofer? ({8}) Hätte es dann nicht mit Blick auf das Wählerpotenzial der Rentnerinnen und Rentner eine Kampagne gegeben? Sie wären doch die Ersten gewesen, die uns vorgeworfen hätten, wir würden die alten Menschen ausbeuten. Deswegen lassen wir uns von Ihnen in Sachen Generationengerechtigkeit keine Nachhilfe erteilen. ({9}) Seien Sie versichert: Wir werden die Kommission zur Nachhaltigkeit in den sozialen Sicherungssystemen einsetzen. Es wird eine breite gesellschaftliche Debatte auch über die Fortführung einer Rentenreform geben. ({10}) Diese Kommission wird die private Absicherung, die Generationengerechtigkeit und die Beitragssenkung im Blick haben. Dann werden wir sehen, wer bereit ist, die Zumutungen, die immer mit solchen Reformschritten verbunden sind, zu vertreten. Für die Grünen jedenfalls gilt: Wir werden niemandem versprechen, dass allen wohl und niemandem weh getan wird. ({11}) Wir werden notwendige Zumutungen auch formulieren. ({12}) Damit komme ich zum Gesundheitssparpaket. Man kann nicht von denjenigen, die zum Sparen herangezogen werden, Begeisterung erwarten. ({13}) Aber wenn man all dies, was ich so höre, wie: die Pharmaindustrie wandert ab, die Apotheken machen zu, die Zahntechniker gehen kaputt, die Ärzte - nein, sie schließen nicht - gehen in den Bummelstreik, die Krankenhäuser entlassen massenweise Personal, addiert, ({14}) sieht man, wie schwer es in Deutschland ist, nicht alles allen zu geben und nicht allen alles zu lassen. ({15}) Es muss möglich sein, Einsparungen vorzunehmen, um einen Beitragssatzanstieg auf breiter Front zu verhindern; ein Interesse, das ja auch Sie formulieren. ({16}) Durch Ihre Jammerarie - Einsparungen ablehnen, aber Beitragssatzerhöhungen beklagen - entsteht kein politisches Konzept. ({17}) Wir haben die ursprünglichen Vorschläge im Laufe des Beratungsprozesses etwas modifiziert ({18}) und sind damit auch auf Einwände eingegangen. Es gibt nunmehr eine weite Öffnungsklausel für Krankenhäuser. Dadurch steigt der Innovationsdruck. Herr Seehofer, es wundert mich, dass Sie dies beklagen. Bei den Zahntechnikern sind wir mit den Rabatten heruntergegangen. Im Gegenzug haben wir das Sterbegeld stärker gekürzt. ({19}) Schließlich haben wir bei den Apothekern die Rabattstaffelung und das Inkassoverfahren bei gleicher Einsparungssumme vereinfacht. ({20}) Das alles ist ein Notprogramm. ({21}) Es dient dazu, einen Anstieg der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung auf breiter Front zu verhindern. Ansonsten sage ich: Wir sehen uns bei der Debatte über die Strukturreform wieder. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Volksmund würde das, was uns heute von Rot-Grün zur Beratung vorgelegt worden ist, mit den drastischen Worten kommentieren: Lügen haben kurze Beine. ({0}) Ich will es etwas parlamentarischer ausdrücken: ({1}) Nur sieben Wochen nach der Bundestagswahl wird RotGrün mit voller Härte von der Realität eingeholt. Nach einem rot-grünen Wahlkampf des Täuschens und Tarnens sind die Probleme heute umso drängender und gravierender, ({2}) wie die Horrormeldungen der letzten Tage beweisen: Das Wirtschaftswachstum bricht dramatisch ein! ({3}) Die Steuereinnahmen brechen in zweistelliger Milliardenhöhe weg! Die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung explodieren regelrecht! ({4}) Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt für längst überfällige Strukturreformen? Sie aber kneifen, wie Sie hier in Ihrer Rede eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben. Nein, es ist wirklich frustrierend, diesen Kleinmut und diesen Aktionismus zu beobachten, die die rot-grüne Politik dominieren, wo der große Wurf und die strukturelle Reform vonnöten wären. ({5}) Das Beitragssicherungsgesetz ist nichts anderes als eine schriftliche Kapitulationserklärung von Rot-Grün angesichts der Finanzprobleme der Renten- und der Krankenversicherung. ({6}) Wenn Sie, Frau Schmidt, hier sagen, die Maßnahmen, die Sie ergreifen, seien angemessen und ausreichend, glauben wir Ihnen ebenso wenig wie die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Es ist noch keine zwei Jahre her, da hat diese Bundesregierung hier eine Rentenreform verabschiedet, die als Jahrhundertwerk bezeichnet wurde, und stabile Beiträge von unter 20 Prozent bis zum Jahre 2011 vorausgesagt. Wenn Sie ehrlich sind, Frau Ministerin Schmidt, dann müssen Sie zugeben, dass Sie schon heute einen Beitragssatz von 19,9 Prozent erreicht haben, obwohl Sie damals bei Ihrer Reform für das Jahr 2003 einen Rückgang auf 18,7 Prozent prognostiziert haben. Ich finde es schon bemerkenswert, Frau Schmidt, dass Sie mit keinem Wort auf die Rentenprobleme eingegangen sind. ({7}) Sie behandeln die Altersversicherung der Menschen in diesem Lande wie ein ungeliebtes Findelkind, das Ihnen vor die Tür gelegt worden ist. Sie sollten sich intensiver um diese Probleme kümmern. Obwohl die Rentenversicherung am Tropf ständig steigender Ökosteuern hängt und mittlerweile fast 63 Milliarden Euro aus dieser Quelle in die Rentenversicherung geflossen sind, steht die Rentenversicherung heute vor einer der schwersten Finanzkrisen ihrer Geschichte. Jetzt werden die Beiträge kräftig erhöht ({8}) - das stimmt, Frau Schmidt; Sie hätten ja vorhin etwas dazu sagen können -, obwohl die Bundesregierung noch vor einem Jahr in der Beratung über die Neubemessung der Schwankungsreserve wörtlich gesagt hat: „Wir dürfen den Faktor Arbeit nicht verteuern.“ Ist das alles Schnee von gestern, Frau Ministerin Schmidt? Ich habe dafür wirklich kein Verständnis. Alles, was Sie machen, hat nichts mit einer wirklichen Reform der Rentenversicherung zu tun. Ihnen, Frau Schmidt, geht es nur darum, irgendwie über den Winter zu kommen. Die Warnungen der weitaus meisten Experten in der Anhörung vor negativen volkswirtschaftlichen Effekten haben Sie einfach ignorant in den Wind geschlagen. Das Echo auf das Beitragssatzsicherungspaket ist entsprechend verheerend. Der Kollege Seehofer hat ja schon die entsprechende Passage des Gutachtens des Sachverständigenrates zitiert, in der Ihre Maßnahmen als „konzeptionslose Notoperation“ bezeichnet werden und in der darauf hingewiesen wird, dass sie „im Widerspruch zu einer verlässlichen, langfristig orientierten Rentenpolitik“ stehen. Das Urteil über die gesundheitspolitischen Maßnahmen fällt genauso vernichtend aus. Im Gutachten des Sachverständigenrates heißt es: Es ist zu erwarten, dass … auch diese massiven Staatseingriffe, die als ein konzeptionsloses Herumdoktern an Symptomen anzusehen sind, nicht geeignet sein werden, den Ausgabenanstieg … nachhaltig zu bremsen und die finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen. Eine grundlegende Reform ist deshalb ohne Alternative. Das stellt Ihr Sachverständigenrat fest. Vier der fünf Sachverständigen sind von der rot-grünen Bundesregierung bestellt worden. Drei der fünf Mitglieder des Sachverständigenrates sind Mitglieder der SPD. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, wenn wir auf die Probleme hinweisen, dann sollten Sie doch wenigstens auf Ihre eigenen Parteigenossen hören. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, halten Sie inne! Verabschieden Sie die vorliegenden Gesetzentwürfe heute nicht. Die Erhöhung der Beitragssätze - darum geht es ja in Wahrheit in Ihrem so genannten Beitragssicherungsgesetz - wird den Faktor Arbeit in Deutschland ab dem kommenden Jahr noch teurer machen. Das heißt, Arbeitsplätze werden unweigerlich vernichtet. BDAund ZDH sehen dadurch bis zu 250 000 Arbeitsverhältnisse in Deutschland akut bedroht. Das müsste Mahnung genug sein. Das Ganze ist ohnehin hart auf Kante genäht; denn Sie erwarten ja Lohnsummenzuwächse in Höhe von 2,5 Pro706 zent. Schon bei 1,5 Prozent wird es eng. Tatsächlich lag der Lohnsummenzuwachs in diesem Jahr bei 0,3 Prozent. Deswegen sage ich Ihnen voraus: Spätestens im Oktober 2003 wird die Rentenversicherung auf die Liquiditätshilfe des Bundes, also auf die Bundesgarantie, zurückgreifen müssen. Wir werden schon sehr bald hier eine neuerliche Debatte über die Erhöhung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung führen müssen. Wenn wir nicht länger EU-Berichte über uns ergehen lassen wollen, die mit „Germany crawling along“ - auf Deutsch: Deutschland kriecht weiter - überschrieben sind, dann sollten Sie jetzt beginnen zu handeln. Auf keinen Fall dürfen die von Ihnen vorgelegten Entwürfe in ihrer heutigen Form verabschiedet werden. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Dreßen von der SPD-Fraktion.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seehofer, ich muss noch ein bisschen bei dem verweilen, was Sie gesagt haben; denn das, was Sie hier abgelassen haben, spottet jeder Beschreibung. Ich möchte einmal die Riester-Reform mit der BlümReform vergleichen. Damals hat Blüm - das ist richtig den demographischen Faktor eingeführt. Er hat sich aber nur getraut - das wissen wir alle -, ihn zu 50 Prozent in die Rentenformel einzuführen. Er hätte es nie gewagt, ihn zu 100 Prozent einzuführen, weil dann die Beiträge sehr stark gesunken wären. Riester hat dagegen etwas getan, wozu Sie nie in der Lage waren: Er hat dafür gesorgt, dass die so genannten versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung herausgenommen und endlich steuerfinanziert werden. ({0}) Was musste die Rentenversicherung nicht alles finanzieren: Kindererziehungszeiten, Soldatenzeiten und vieles mehr. Es ist zwar in Ordnung, dass solche Zeiten bei der Berechnung der Rentenansprüche berücksichtigt werden. Aber wieso mussten nur Arbeiter und Angestellte und zum Beispiel nicht die Beamten diese versicherungsfremden Leistungen bezahlen? Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Fremdrenten. Sie haben alle versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung belassen. Wir haben Gesetze geschaffen, in denen geregelt ist, dass die versicherungsfremden Leistungen durch Steuermittel finanziert werden, und den Steueranteil auf 36 Prozent hochgefahren. ({1}) - Das ist doch nicht wahr. Blüm hat doch alle versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung belassen. ({2}) Erst wir haben sie herausgenommen. Wir haben steuerfinanziert! Herr Zöller, erkundigen Sie sich erst einmal. Wir sind mit dem Zuschuss aus der Ökosteuer in die Rentenkassen endlich auf eine solche Höhe gekommen, dass sämtliche Fremdleistungen steuerfinanziert werden können. Ich halte fest: Blüm hat in seiner Rentenreform keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt ({3}) und auch keine Grundsicherung. Bei einer Rente à la Blüm wären wir alle entsetzt - Herr Seehofer, da hätten Sie mit den Ohren geschlackert -, was alles auf die Sozialhilfe zukommen würde. ({4}) Die blümsche Rentenreform hatte einen riesigen Makel und war stümperhaft, während die Rentenreform von Walter Riester in die richtige Richtung geht. ({5}) Bei Diskussionen um die Rentenreform streitet man immer über dieses oder jenes, aber das, was Sie uns vorwerfen, ist der Hammer. Ich bin der Meinung, dass die Gerechtigkeit zwischen Beitragszahlern und Rentnern auch mit dieser Erhöhung gewahrt bleibt. ({6}) Die Vorwürfe darüber, dass die Beitragszahler verhältnismäßig mehr belastet würden als die Rentner, kamen nicht nur aus Ihren Reihen. All denen, die diese Vorwürfe erhoben haben, möchte ich sagen, dass aufgrund der Rentenformel die Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner sehr wohl gewährleistet ist. Ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 2 000 Euro zahlt durch die Erhöhung des Rentenbeitrages von 19,1 auf 19,5 Prozent vier Euro mehr pro Monat. Für einen Rentner mit einer Rente in Höhe von 1 000 Euro - das ist der berühmte „Standardrentner“ fällt die Erhöhung im Jahr 2004 ebenfalls um vier Euro pro Monat geringer aus. Es bezahlen also beide: diejenigen, die arbeiten, und die Rentner. ({7}) Die Anhebung des Rentenbeitrags von 19,1 auf 19,5 Prozent mindert also die Rentenanpassung im Jahr 2004. Nach den bisherigen Annahmen gehen wir davon aus, dass die Rentenanpassung im Westen im nächsten Jahr nur 1,34 Prozent betragen wird. Bei einem stabilen Beitragssatz von 19,1 Prozent wäre eine Anpassung 1,74 Prozent erfolgt. Sie sehen, die Rentner zahlen mit. Wer also von einer Generationenungerechtigkeit spricht, der kennt entweder die Rentenformel nicht - das nehme ich in den meisten Fällen an -, oder der will die Rentner, was ich nicht hoffe, in eine gewisse Armut treiben. All denen, die von hohen Renten sprechen, sei gesagt: Die durchschnittliche Höhe der Rente lag im Jahr 2001 nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrages bei den Männern bei 983 Euro und bei den Frauen bei 456 Euro. Ich habe mich darüber amüsiert, dass in der Debatte wieder das Thema der Verlängerung der Lebensarbeitszeit aus der Mottenkiste geholt wurde. Hierzu haben wir schon einiges von Herrn Merz gehört. Auch der Arbeitgeberpräsident, Herr Hundt, will die Lebensarbeitszeit, wie man hört, neu ins Gespräch bringen und will die Altersgrenze auf 67 Jahre erhöhen. Gleichzeitig werden die heute über 50-Jährigen mit der Begründung, sie seien zu alt, massiv aus den Betrieben gedrängt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Dreßen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das tue ich nicht, Herr Kolb; bei Ihnen kommt eh nichts Vernünftiges herüber. ({0}) Wenn Herr Hundt seinen eigenen Vorschlag ernst nehmen würde, dann müssten er selbst und seine Kollegen ihre Personalpolitik in den Betrieben grundlegend verändern und das Arbeitsleben der über 50-Jährigen anders gestalten. Hier gebe ich Herrn Seehofer Recht; da stimmen wir überein. Es ist das eine, auf die Regierung zu schimpfen und zu fordern, die Lohnnebenkosten müssten gesenkt werden, und andererseits in den Betrieben nichts zu tun, die Lohnkosten nach oben zu treiben und schon 55-Jährige über das Arbeitsamt in die Rente zu schicken. Deswegen meine ich, sollten wir alles tun, dass ältere Menschen nicht auf das Abstellgleis geschoben werden, sondern wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. Hier haben wir mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission einiges vor. Sie sehen also, dass es insgesamt ein vernünftiges Konzept ist. Herr Seehofer, Sie haben bezüglich der Erhöhung von 19,1 auf 19,5 Prozent von einer Orgie gesprochen. ({1}) Erinnern Sie sich an den November 1996? Damals haben Sie allein den Beitragssatz in der Rentenversicherung von 19,2 auf 20,3 Prozent erhöht; das ist rund das Dreifache der jetzigen Erhöhung. Wer da von Orgien spricht, der verwechselt die Begriffe. ({2}) - Herr Kolb, ich rede jetzt nicht von der Ökosteuer, sondern vom Jahr 1996. ({3}) Weil Sie ja immer wieder sagen, dass die Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages von 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent so und so viele Arbeitsplätze kostet, habe ich mir die Arbeitszahlen von 1996 angeschaut. Sie sind zwar - wie während Ihrer Regierungszeit ständig - leicht nach oben gegangen, aber es waren keine 100 000, wie Sie uns letztes Mal weismachen wollten, sondern es waren einige Tausend. Dies war während der damaligen Wirtschaftsflaute aber etwas ganz Normales. Ich bin der Meinung, dass wir das, was wir tun, nicht dramatisieren sollten. Diese Rentenversicherung hat gewisse Stellschrauben, um Wirtschaftsflauten, wie der jetzt weltweit vorhandenen, tatsächlich begegnen zu können. Dies tun wir. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb man jetzt ein solches Theater vollführt. ({4}) - Herr Kolb, ich habe das Gefühl, dass Sie sich nicht aufs Thema konzentrieren können, weil Sie und Ihre Partei Spendenprobleme haben und sich nicht aufs Thema konzentrieren können. Dafür habe ich Verständnis. ({5}) Wenn ich mir ansehe, wie diese Themen in der CDU/CSU diskutiert werden, dann muss ich fast von einer Diskussion voller Hass sprechen. Manche haben, während sie argumentieren, beinahe Schaum vor den Lippen. Sie meinen, sie müssten die Welt mit einer manchmal üblen Wortwahl zusammenreißen. ({6}) Deshalb ist mir klar, dass Sie eigentlich immer noch nicht begriffen haben, dass Sie nicht auf der Regierungsbank, sondern weiterhin auf den Oppositionsbänken sitzen. Das ist wahrscheinlich schwierig für Sie. ({7}) Ich meine, dass wir sowohl im Gesundheitswesen als auch bei der Rentenreform gute und sicherlich richtige Wege eingeschlagen haben. ({8}) Im Gesundheitswesen gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder machen wir es wie Sie, indem wir den Patienten permanent in die Tasche greifen, oder wir denken an die Leistungserbringer, die auch etwas erbringen können. Ich glaube, wir sind den richtigen Weg gegangen. Wenn diese Gesetze greifen, werden die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass wir gute und nicht so chaotische Gesetze wie die Opposition machen. Deshalb ist mir nicht bange. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßen, Sie haben sich mit Ihrem Beitrag wieder einmal selbst disqualifiziert. Von Frau Schmidt kam kein Wort zur Rentenversicherung und auch von Ihnen kam in den acht Minuten kein wirklich substanzieller Beitrag. ({0}) Das war so wenig wie bei Frau Schmidt, die kein Wort zu dem Vorschaltgesetz gesagt hat. Man meint bei Ihren Ausführungen fast, dass man in einer anderen Welt lebt. Die Realität sieht aber anders aus. ({1}) Der Vorstandschef der Deutschland AG, Ihr Bundeskanzler Schröder, und sein Prokurist Hans Eichel haben in dieser Woche Konkurs angemeldet. ({2}) Der Grund ist eine totale Überschuldung. Außerdem droht die Zahlungsunfähigkeit mehrerer Tochtergesellschaften, vor allem der Arbeitsamt GmbH, der Rentner KG und der Konzerngesellschaft Gesundheit und Co. Besonders die Chefin dieser Konzerngesellschaft, Ulla Schmidt, hat durch ihr ziel- und konzeptionsloses Hantieren zum Sanierungsfall der Deutschland AG maßgeblich beigetragen. ({3}) Obwohl die Lage erkennbar dramatisch war, hat die Konzernchefin ihre Aktionäre, nämlich die Wählerinnen und Wähler, getäuscht. Die vielen Kleinaktionäre würden den gesamten Vorstand dieser AG wegen Betrugs und Bilanzfälschung mittlerweile - es ist erst kurz nach der Wahl - gerne wieder abwählen. ({4}) Wir hören es ja: Nach Agenturmeldungen wollen heute um die 40 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie einige Grüne ihre Bauchschmerzen zu Protokoll geben. Das Vertrauen der Menschen ist nachhaltig zerstört. Sie haben schon jetzt, gut einen Monat nach der Wahl, kein Zutrauen in Ihre Politik mehr. ({5}) Wir brauchen auch gar nicht großartig drumherum zu reden: Frau Schmidt, Sie sind die Ministerin für Gesundheit und totale soziale Verunsicherung. ({6}) Diese Regierung ist dabei, den Sozialstaat an die Wand zu fahren. Frau Schmidt, dafür haben Sie von den Wählern kein Mandat bekommen. Kein Mensch hat Sie gewählt, damit Sie unser gewachsenes System der sozialen Sicherung völlig ruinieren. Patienten erleben unter Rot-Grün ständig die Vorenthaltung medizinischer Leistungen. Dennoch zahlen die Versicherten immer höhere Beiträge. ({7}) - Herr Dreßen, dass Sie es nicht wahrnehmen wollen, haben wir bereits zur Genüge erfahren. - Hohe Lohnnebenkosten treffen vor allen Dingen kleine und mittelständische Unternehmen. Dazu zählen eben auch die Arzt- und die Zahnarztpraxen mit ihren Arzthelferinnen, die Apotheken mit ihren PTAs, die Krankenhäuser mit ihren Ärzten und Pflegekräften und die Arzneimittelhersteller mit ihren hoch qualifizierten Beschäftigten im Bereich der Forschung. Jeder neunte bis zehnte Beschäftigte in Deutschland arbeitet im Gesundheitswesen. Aber Ihre Investitions- und Arbeitsplatz-Stopp-Politik gefährdet die zukunftsträchtige Jobmaschine Gesundheit. Nehmen wir ein Beispiel: Durchschnittlich 60 Prozent des Umsatzes einer Arztpraxis werden durch Betriebskosten aufgezehrt. Auch diese steigen unter Ihrer Regierung ständig und können über Honorarzuwächse nach der Grundlohnsumme nicht aufgefangen werden. Die Erhöhung der Renten- und Kassenbeiträge plus Steuer- und Tariferhöhungen führen in Verbindung mit der Inflationsrate bei gedeckelten Honoraren sogar zu einem Minus von schätzungsweise 6 Prozent. Nullrunde bedeutet also in der Praxis nicht Null, sondern ein Minus, nämlich ein Minus an Arbeitsplätzen, Minus bei Investitionen und Minus in der Qualität. ({8}) Mit dem Wortbruch gegenüber den Arzneimittelherstellern und Apotheken und Ihrem Aktionismus in der Pharmapolitik haben Sie das Investitionsklima nachhaltig verschlechtert. Kein international agierender Pharmakonzern wird in Zukunft noch in Deutschland investieren. Sie machen aus dem Heilberuf Apotheker einen Inkassounternehmer und verbürokratisieren das Gesundheitswesen kontinuierlich weiter. Heute haben Sie weitere Beispiele dafür angeführt. ({9}) Frau Schmidt, Sie wissen um die Konsequenzen Ihres Handelns und nehmen die Auswirkungen für die Beschäftigten billigend in Kauf. Die Reaktionen der Betroffenen als Gejammer abzutun zeugt von einer fast nicht mehr zu überbietenden Ignoranz gegenüber den Sorgen der Menschen um ihren Arbeitsplatz. ({10}) Die Stimmung ist explosiv, und das zu Recht. Denn die Schere zwischen steigenden Kosten einerseits und zunehmender Arbeitsbelastung bei sinkendem Einkommen andererseits klafft bei Ihrer Politik immer weiter auseinander. Wenn Rot-Grün das nicht zur Kenntnis nimmt, ({11}) dann droht ein sozialer und volkswirtschaftlicher Schaden von ungeahntem Ausmaß. Die Bundesregierung kann mit diesen Vorschaltgesetzen nicht einmal ihre selbst gesteckten Ziele erreichen. Stabile Beitragssätze werden Sie mit diesem Gesetz nicht erzielen. ({12}) Eine Reihe von Kassen haben die Beiträge bereits erhöht. Das Bundesversicherungsamt hat gemeldet, dass bereits 29 Kassen - dabei handelt es sich nur um die bundesunmittelbaren Kassen - Anträge gestellt haben. Die AOK rechnet in der kommenden Zeit mit einem Beitragsanstieg für 25 Prozent ihrer Versicherten. Sicherlich werden noch weitere Beitragserhöhungen hinzukommen; denn der Druck nimmt weiter zu. Allein die Mindereinnahmen, die Sie durch die Beschlüsse im Zusammenhang mit dem Hartz-Konzept in Kauf nehmen, betragen insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro. In der Anhörung wurden sogar Mindereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro genannt. Auch ein anderes Damoklesschwert hängt bereits über Ihnen, nämlich die erstmalige Entgeltumwandlung aufgrund der Riesterschen Rentenreform. ({13}) Dadurch fehlt in Ihrem System eine weitere Milliarde Euro. Für den gesetzlich Krankenversicherten bedeutet das, dass der durchschnittliche Beitragssatz von jetzt 14 Prozent auf 14,5 Prozent, wenn nicht sogar - wie manche bereits prognostizieren - auf 15 Prozent im Jahre 2003 steigen wird. ({14}) Für den Durchschnittsverdiener macht das monatlich zwischen fünf und zehn Euro allein für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung aus. ({15}) Sie wollten die medizinische und pflegerische Versorgung nicht gefährden. Aber mit weniger Personal mehr Patienten versorgen zu müssen, das bedeutet doch eine höhere Arbeitsbelastung für die Beschäftigten und noch weniger Zuwendung für die Patienten. Auf der einen Seite Innovation und Qualität zu fordern, aber auf der anderen Seite die für die Investitionen notwendigen Mittel nicht zur Verfügung zu stellen, passt nicht zusammen. Lassen Sie mich noch etwas zu der Situation in den Krankenhäusern sagen. Seit Jahren führen steigende Patientenzahlen und eine sinkende Verweildauer zu einer enormen Arbeitsverdichtung, die eigentlich nur durch zusätzliches ärztliches und pflegerisches Personal aufgefangen werden kann. ({16}) Mit Ihrer Nullrunde treiben Sie manche Krankenhäuser in den finanziellen Ruin und viele andere in die Fallpauschalenfalle. Vielen Häusern, gerade im Osten, bleibt nämlich nichts anderes übrig, als die Option für das Jahr 2003 zu wählen. Sie haben wegen der Kombination von BAT-Steigerung und außergewöhnlicher Grundlohnsummenentwicklung überhaupt keine andere Wahl, egal ob sie auf das knallharte Preissystem vorbereitet sind oder nicht. Wir werden es erleben: In den DRG-Häusern wird es verstärkt dazu kommen, dass teure Patienten abgelehnt werden und bei einer gleichzeitigen Nullrunde im ambulanten Bereich nicht adäquat versorgt werden können. Die Erhöhung der Eigenbeteiligung wollten Sie vermeiden. Das halten Sie uns immer vor. Mit diesem Vorschaltgesetz erhöhen Sie sie aber beim Zahnersatz. ({17}) Die Erhöhung der Mehrwertsteuer beim Zahnersatz durch Eichel von 7 auf 16 Prozent macht für die gesetzliche Krankenversicherung eine Belastung von 250 Millionen Euro aus. Auf der anderen Seite steht eine Erhöhung der Eigenbeteiligung der Patienten um rund 105 Millionen Euro. ({18}) Selbst bei einem Preisabschlag von 5 Prozent, wie er in diesem Gesetzentwurf steht, bleiben die Patientinnen und Patienten in diesem Land auf rund 50 Millionen Euro Mehrkosten sitzen. Das sind die Zuzahlungen, die Sie den Menschen in unserem Land zumuten. ({19}) Kommen wir zum Sterbegeld. Hier haben Sie eine Kürzung um 50 Prozent vorgesehen. ({20}) Frau Bender hat heute Morgen schon zugegeben, sie gehe davon aus, dass das Gesetz die vorgesehenen Einsparungen nicht erbringen könne, und bereits angekündigt, dass man sich das Sterbegeld noch einmal vornehmen müsse. Frau Sager hat gleich die Begründung geliefert: Vom Sterbegeld hat der Versicherte selbst nichts mehr. Hier gilt wohl das Motto: Tote können sich nicht mehr wehren. Eine solche Aussage ist gegenüber den Versicherten und ihren Angehörigen zynisch. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Sie haben mit diesem Gesetz keines Ihrer Ziele erreicht. Insbesondere Nachhaltigkeitskriterien sind in diesem Gesetz vollkommen außen vor gelassen. Im Gegenteil: Sie treiben mit dieser Politik die gesetzlichen Krankenversicherungen in die Verschuldung am privaten Kapitalmarkt. Auch dies wurde in der Anhörung ganz deutlich. Das heißt, Sie bieten mit diesem Gesetzentwurf den Kassen keine Perspektive, aus der Verschuldung herauszukommen. Es bedeutet vielmehr: Statt Geld für die medizinische Versorgung einzusetzen, müssen die Menschen in Zukunft mit ihren Beitragsgeldern Kreditzinsen bezahlen. So viel zum Thema Nachhaltigkeit. Wir können einem solchen Gesetz nicht zustimmen. Sie können es teilweise auch nicht, aber Sie haben nicht mehr das Rückgrat, zu Ihrer Meinung zu stehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Selg von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es verschlägt einem fast die Sprache. Es ist unglaublich, was man hier hört. Deshalb lassen Sie mich auf meine Vorgängerin, Herrn Seehofer und auf das Thema Krankenhausfinanzierung im Beitragssatzsicherungsgesetz eingehen. In den Redebeiträgen der Opposition wurden geradezu dramatische Szenarien an die Wand gemalt: Qualitätsverlust, Arbeitsplatzvernichtung, man könne den Pflegekräften nicht mehr in die Augen schauen. Das ist unglaublich. Ich vermute deshalb, dass Sie den Gesetzestext nicht gelesen haben. Sie haben wohl Ihr Langzeitgedächtnis verloren und Ihr Kurzzeitgedächtnis bedarf einer Auffrischung. ({0}) Lassen Sie mich deshalb einen Rückblick auf die Entwicklung der letzten Jahre bei der Krankenhausfinanzierung machen. Am 1. Januar 2000 hat Rot-Grün das Gesundheitsreformgesetz 2000 in Kraft gesetzt. Dieses Gesetz sieht die Einführung so genannter Fallpauschalen, von denen Sie anscheinend keine Kenntnis haben, für Krankenhäuser vor. ({1}) Zum 1. Januar 2003 werden deshalb zahlreiche Krankenhäuser zunächst freiwillig auf das neue Vergütungssystem umstellen. Ab dem 1. Januar 2004 müssen dann alle Krankenhäuser ihre Leistungen nach dem neuen System mit den Krankenkassen abrechnen. Im Bereich der Krankenhausfinanzierung stellt dieser Systemwechsel einen Quantensprung in der Qualität dar. Bisher rechnen Kliniken nämlich nach Belegtagen ab. Bezahlt wird also nicht die tatsächlich am Patienten erbrachte Behandlung, sondern die Zeit, die der Patient im Krankenhaus verbringt. Das ist eine völlig absurde Situation. Der Friseur wird schließlich auch nicht dafür bezahlt, dass er möglichst viele Kunden möglichst lange in seinen Stühlen sitzen lässt, sondern dafür, dass er Haare schneidet. ({2}) Deshalb fließt das Geld in Zukunft für die erfolgte Behandlung und nicht mehr für die Behandlungsdauer; das macht mehr Sinn. Ich frage mich schon, warum CDU/CSU und FDP 16 Jahre lang nicht in der Lage waren, eine entsprechende Reform auf den Weg zu bringen. ({3}) Wir haben dazu nicht einmal zwei Jahre gebraucht und machen weiter, heute mit diesem Beitragssatzsicherungsgesetz, das für ein Jahr gilt, um die Beiträge stabil zu halten - das ist etwas, was Sie anscheinend nicht wollen -; gleichzeitig arbeiten wir weiter an dringenden grundlegenden Strukturreformen im Gesundheitswesen. Herr Seehofer, ich kann Sie absolut nicht ernst nehmen und ich weiß, wovon ich rede. ({4}) Ich arbeite seit 24 Jahren im Krankenhaus. ({5}) - Ich schlafe nicht so gut wie Sie! Sie können jetzt erst einmal zuhören! ({6}) Als ehemaliger Kohl-Minister haben Sie jahrelang den Stillstand im Gesundheitswesen verwaltet. ({7}) Die Beiträge gingen ständig nach oben. Von groß angekündigten Reformen sind nicht einmal Reförmchen übrig geblieben. ({8}) Heute werfen Sie Rot-Grün mangelnde Reformbereitschaft vor. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern das ist auch ein ganz extremes Beispiel für jene politische Doppelmoral, die die Bürger auf die Palme bringt. ({9}) Darum sage ich in Richtung der Damen und Herren von der Opposition: Während Sie mit erhobenem Zeigefinger immer auf andere zeigen, bringen wir positive Veränderungen voran. Das war in der Vergangenheit so und wird auch in Zukunft so sein. Im Krankenhausbereich führen wir das neue Entgeltsystem ein. Das ist wichtig. Dadurch wird es zu einer Verbesserung der Qualität bei der Leistungserbringung im medizinischen und vor allem im pflegerischen Bereich kommen. Wie schon gesagt: Der Patient wird endlich im Mittelpunkt stehen. Es wird ein Ende damit haben, dass Menschen wie Ware zwischen Stationen verschoben werden, um die Belegdauer zu erhöhen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg voranschreiten. Für uns war und ist es deshalb ein wichtiges Ziel, mit diesem Beitragssatzsicherungsgesetz den ebenfalls von Rot-Grün auf den Weg gebrachten Strukturwandel im Krankenhausbereich nicht zu behindern. Wir werden deshalb innovative und reformorientierte Krankenhäuser, die ab dem 1. Januar 2003 auf das neue Abrechnungssystem umstellen, von der Nullrunde ausnehmen. Zusätzlich bleiben alle bisherigen Ausnahmeregelungen bestehen. Vor diesem Hintergrund wirkt Ihre Panikmache geradezu grotesk. Angesichts der veränderten Situation wird allen Krankenhäusern, die sich nach Ablauf der bisherigen Anmeldefrist am 31. Oktober noch nicht für die Umstellung auf das neue System entschieden haben, eine Fristverlängerung - hören Sie gut zu, Herr Seehofer; Sie scheinen den Gesetzentwurf wirklich nicht gelesen zu haben - bis zum 31. Dezember und nicht nur bis zum 15. Dezember gewährt. ({10}) Diese Fristverlängerung ist, wie Sie wissen, im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die Damen und Herren der CDU und CSU haben ganz laut über die Nullrunde in den Krankenhäusern geschimpft. Jetzt haben Sie, meine Damen und Herren, die Möglichkeit, im Bundesrat zuzustimmen, wenn es darum geht, viele Krankenhäuser von der von Ihnen abgelehnten Nullrunde auszunehmen. Deshalb mein Appell: Zieren Sie sich nicht! Stimmen Sie dem zu! Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Selg, ich beglückwünsche Sie herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Detlef Parr von der FDP-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Selg, trotz Respekt vor Ihrer ersten Rede: Wir werden uns zieren und diesen Gesetzentwurf ablehnen. ({0}) Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung ist der Außenwirkung wegen in der Neuen Nationalgalerie - wie ich mir habe sagen lassen: ein Ort der Ruhe und Ausgeglichenheit - unterzeichnet worden. Diesen Charakter hat aber der Start in Ihre praktische Politik nicht gehabt, meine Damen und Herren. Nichts planen, nichts koordinieren, aber umso überstürzter drauflosstolpern, das ist der Charakter Ihrer Gesundheitspolitik. ({1}) Frau Selg, die Hütte brennt. Tausende von Demonstranten am Brandenburger Tor! Zahnärzte, Zahntechniker, Apotheker, Ärztinnen und Ärzte sowie auch die Mitarbeiter in den Krankenhäusern, ({2}) in den Arztpraxen und in den Apotheken sind zur Demonstration gekommen. Selten zuvor hat eine Bundesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit so viele Menschen gegen sich aufgebracht. ({3}) „Die Luft ist eisig in Berlin“, so Frank Ulrich Montgomery auf der Demo, „aber unsere Seele kocht.“ Sie kocht, Frau Ministerin, weil sich die Menschen von Ihnen betrogen fühlen. Es ist Betrug, dass Sie vor der Wahl etwas anderes getan haben, als Sie nach der Wahl tatsächlich tun. ({4}) Im Koalitionsvertrag noch haben Sie uns neue Perspektiven versprochen und damit Hoffnungen geweckt. In Wahrheit setzen Sie unter dem Deckmäntelchen der Beitragssatzstabilität Ihren Weg in die staatliche Intervention unbeirrt fort und greifen tief in die Mottenkiste staatlicher Planwirtschaft. Das bestätigen Ihnen alle Experten. Nicht einmal Ihr Oberziel werden Sie erreichen; stabile Beiträge - das hat die Anhörung gezeigt - erwarten auf Dauer selbst die Krankenkassen nicht. Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, die Beiträge im nächsten Jahr so niedrig wie möglich halten zu wollen. Was heißt das denn konkret? ({5}) Ich habe das Gefühl, Sie glauben selber nicht mehr an sich. Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, Sie werden nicht müde, Solidarität von anderen einzufordern und die Solidargemeinschaft zu beschwören. ({6}) Ich frage Sie und auch die Frau Ministerin: Wo bleibt denn Ihre Solidarität mit den Versicherten und den Patienten? Sie muten ihnen bei steigenden Beiträgen geringer werdende Leistungen zu und lassen ihnen nicht die Spur einer Chance, den Leistungsumfang ihres Versicherungs712 schutzes selbst mitzugestalten und damit die Höhe ihrer Beiträge mitzubestimmen. Im Gegenteil: Mit der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze nehmen Sie vielen Menschen die Möglichkeit, zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu wählen. Das kommt einer Entmündigung gleich. ({7}) Wo bleibt Ihre Solidarität mit den Krankenschwestern und den Krankenpflegern? Sie nötigen ihnen mehr Leistung in einem immer enger werdenden Zeitkorsett ab. Ist das Ihr Beitrag zu mehr Mitmenschlichkeit? Nennen Sie es solidarisch, wenn Sie den Ärztinnen und Ärzten in den Praxen und Krankenhäusern eine Nullrunde bzw. in Wahrheit - Annette Widmann-Mauz hat das zu Recht gesagt - eine Minusrunde zumuten und damit eine leistungsgerechte Bezahlung in weite Ferne rücken lassen? Wollen Sie, dass die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern noch unzumutbarer werden und die Ärzteflucht anhält? ({8}) - Sie können mich mit Ihren Zwischenrufen, von denen ich schon qualifiziertere gehört habe, nicht aus dem Konzept bringen, Herr Kollege. Wie ist es um Ihre Solidarität mit den Apothekern und dem pharmazeutischen Großhandel bestellt, denen Sie Zwangsrabatte abknöpfen? Ganz zu schweigen von den pharmazeutischen Unternehmen, von denen Sie bedenkenlos 200 Millionen Euro als Solidarbeitrag entgegengenommen haben. Jetzt aber brechen Sie diesen Vertrag, in dem Sie gesagt haben, bis zum Jahr 2003 werde es keine Erhöhung der Arzneimittelpreise geben. ({9}) Pacta sunt servanda, Frau Ministerin, Verträge sind einzuhalten. Was Sie machen, ist unanständig. Hans Eichel hat am vergangenen schwarzen Mittwoch ausnahmsweise etwas Richtiges gesagt: Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, Anpassungen zu ertragen, wenn sie die Zielsetzung erkennen. Dann setzen Sie doch mutig Ihre Ziele und flüchten Sie sich nicht in eine Kommission mit ungewissem Ausgang! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. ({10}) Konzentrieren Sie die gesetzliche Krankenversicherung auf die medizinisch wirklich notwendigen Leistungen! Nehmen Sie als Sozialministerin Ihre Hand aus der Tasche der Krankenversicherten! Versicherungsfremde Leistungen und die Verschiebung von Belastungen aus anderen Sozialversicherungsbereichen in die gesetzliche Krankenversicherung dürfen nicht länger zulasten der Krankenversicherten gehen. ({11}) Lassen Sie Wahlfreiheiten zu und erlauben Sie den Krankenkassen echten Wettbewerb über eine Vielfalt von Tarifen. Sie rufen doch immer nach Alternativen: Kostentransparenz, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sind weitere unverzichtbare Ziele ebenso wie die Planungssicherheit für die Wirtschaft, zum Beispiel durch Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge. Nur so entstehen neue Arbeitsplätze. Ich komme zum Schluss: Meine Damen und Herren, Ihr Vorschaltgesetz ist ein Verschaltgesetz. Sie legen die falschen Gänge ein und würgen die Jobmaschine gnadenlos ab. Wenn Sie schon nicht mir und den anderen Rednern der Opposition glauben, sollten Sie doch wenigstens Ihrem eigenen Sachverständigen glauben. Professor Rürup, der Ihre Kommission zur Erarbeitung neuer Finanzierungsgrundlagen leiten soll, hat das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt haben, in einem Interview mit Sandra Maischberger als katastrophal angesehen. ({12}) Deshalb: Stoppen Sie Ihre Notoperation! Nehmen Sie Ihren Fuß von der Notbremse! Lassen Sie endlich Wettbewerb, Wahlfreiheiten und Eigenverantwortung freieren Lauf, wie wir es Ihnen heute mit unserem Antrag vorgelegt haben! Danke. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Silvia Schmidt ({0}) von der SPD-Fraktion. ({1})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU/CSU und mein lieber Kollege von der FDP, ich möchte auf Folgendes hinweisen: Was Sie bisher vorgetragen haben, war eine einzige Schimpfkanonade. Sie - ich denke dabei insbesondere an die Rede des Ministers a. D. - machen nichts anderes als Vorwürfe. Ihrerseits kommen keine Vorschläge und Sie zeigen keine Alternativen auf. Sie haben im Ausschuss weder einen Antrag noch einen Entschließungsantrag eingebracht. Bleiben Sie dabei! ({0}) Herr abgewählter Minister, Ihr Realitätsverlust ist aber unerträglich. Diesen Realitätsverlust möchte ich Ihnen jetzt einfach einmal aufzeigen. Die Menschen sind nicht dumm; sie verstehen durchaus. ({1}) Wie sahen denn Ihre Sparmaßnahmen aus? Die Menschen erinnern sich wirklich sehr gut. Sie haben das unsinnige Krankenhausnotopfer eingeführt. Wir haben es gestrichen. Die von Ihnen erhöhten Zuzahlungen beim Kauf von Arzneimitteln wurden von uns gesenkt. ({2}) Silvia Schmidt ({3}) Die nach 1978 Geborenen erhalten wieder Zahnersatzleistungen. ({4}) Die Befristung des Finanzstrukturausgleichs zwischen den alten und den neuen Ländern wurde von uns aufgehoben. Sie wurden deswegen zwar abgewählt, aber Sie sind einfach nicht lernfähig. Sie forderten in Ihrem Wahlprogramm 2002 das Grund- und Wahlleistungsrecht. Ein solches Recht zieht eine Zweiklassenmedizin nach sich. Eine solche Medizin können sich Gesunde leisten, solange sie gesund bleiben. Eine solche Medizin können sich Junge leisten, solange sie jung sind. Bei Verwirklichung Ihrer Pläne hätten sich die Beiträge von Rentnern, älteren Arbeitnehmern und chronisch Kranken erhöht. Nicht mit uns! ({5}) Wir halten an dem Solidarprinzip fest. Das Wahlergebnis hat Ihnen ganz deutlich gezeigt: Sie sind einfach nicht lernfähig. Unsere Gesundheitsreform wird Ihnen Möglichkeiten des Sparens im System mit einer höheren Effizienz und Qualität zeigen. Wir wollen die Versicherten nämlich nicht schröpfen. Machen Sie sich hier bloß nicht zum Anwalt der Versicherten! Das ist einfach nur noch lächerlich. ({6}) Sie sind ein Anwalt der Lobbyisten. Ich möchte jetzt auf die Auswirkungen unseres Maßnahmenpaketes für die neuen Länder eingehen. Wir haben in den letzten vier Jahren für das Gesundheitswesen in den neuen Ländern sehr viel getan. Wir haben es modernisiert und zukunftsfähig gemacht. ({7}) Um das zu erläutern, will ich nur einige Punkte erwähnen. Die gesetzlichen Krankenkassen in Ostdeutschland haben strukturell eine schlechtere Einnahmesituation. Die Gründe dafür sind die schwierige wirtschaftliche Lage und die hohe Arbeitslosigkeit. Mit der Reform des Risikostrukturausgleichs haben wir an diesem Punkt deutlich gegengesteuert. Wir haben dafür gesorgt, dass die teilweise hoch verschuldeten Ostkrankenkassen auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden. Die dortigen Beitragssätze konnten an die der alten Länder angeglichen werden. Was tun Sie? - Sie stellen diese Solidarität infrage. ({8}) Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Risikostrukturausgleich. Was würde es für die neuen Länder bedeuten, wenn Ihre Pläne Wirklichkeit würden? - Die Finanzsituation der Krankenkassen würde sich massiv verschlechtern, die Versorgung wäre nicht mehr gesichert ({9}) und die Beitragssätze würden in die Höhe schnellen. Was heißt das? Höhere Lohnnebenkosten und - um es mit Ihren Worten zu sagen - „der Todesstoß für die ostdeutschen Unternehmen“. Dazu wird es aber nicht kommen und im Gesundheitswesen schon gar nicht. ({10}) Sie kündigen die Solidarität mit den neuen Ländern. Das haben die Ostdeutschen begriffen und deshalb haben sie Sie nicht gewählt. Wir haben erkannt, dass die Einnahmesituation der ostdeutschen Ärzte unbefriedigend ist. Wir haben die Vergütungen für Ärztinnen und Ärzte stetig verbessert und weiter angeglichen. Hierzu hat das Wohnortprinzip bei Honorarverhandlungen, das 2002 in Kraft getreten ist, beigetragen. Wir haben den Polikliniken in Ostdeutschland eine neue Chance gegeben. Wir haben die Versorgung der Patienten damit deutlich verbessert. Weiterhin wurden 10 Milliarden Euro in die ostdeutschen Krankenhäuser investiert. Damit wurde die stationäre Versorgung zügig und nachhaltig modernisiert und ausgebaut. Sie sehen: Die rot-grüne Bundesregierung hat das Gesundheitswesen in Ostdeutschland fest im Blick. Dies gilt natürlich auch für die Maßnahmen, die wir heute beschließen wollen. ({11}) Dort, wo es nötig ist, tragen Ausnahmebestimmungen der besonderen Situation in den neuen Ländern Rechnung. So bleibt es bei den Regelungen zur Einführung des Wohnortprinzips: Bis 2004 können Honorarerhöhungen bis zu 6 Prozent vereinbart werden. Dafür stehen zusätzlich 184 Millionen Euro zur Verfügung. Die Kopfpauschale für die Versicherten in den neuen Bundesländern wird von den bundesweit tätigen Betriebskrankenkassen auf das Durchschnittsniveau der anderen Kassenarten angehoben. Dadurch erhöht sich auch hier die Honorarsumme für die ärztliche Versorgung um rund 87 Milliarden Euro. Es wurde behauptet, die Begrenzung der Honorarsteigerung würde den Ärztemangel in Ostdeutschland verschärfen. Sicher gibt es - in Ost wie West - in einigen Regionen Versorgungsprobleme. Aber von einem generellen Engpass kann man nicht sprechen. Das Geschrei der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, wir hätten einen drastischen Ärztemangel, ist einfach verantwortungslos. ({12}) Es handelt sich um eine zielgerichtete Verunsicherung der Menschen. Der Zuwachs gegenüber dem Vorjahr 2001 betrug 1 680 Vertragsärzte und -ärztinnen. ({13}) Meine Damen und Herren, das Durchschnittseinkommen der Ärzte in den neuen Ländern lag bereits 1998 bei circa 96 Prozent. Man muss aber diese Einkommenssituation differenziert betrachten. Zum Beispiel haben sich die Zahlungen der Krankenkassen über die Kassenärztlichen Vereinigungen an die Frauenärzte in Sachsen und ebenfalls die Punktwerte in Sachsen-Anhalt tendenziell nach unten entwickelt. So etwas darf nicht sein. ({14}) Dagegen liegen die Einkommen niedergelassener Fachärzte wie Radiologen und Urologen schon über dem Durchschnitt der alten Bundesländer. Auf der anderen Seite stehen die Hausärzte, deren Einkommenssituation verbessert werden muss. Die Hausärzte können aber von den jetzt beschlossenen Chronikerprogrammen, den so genannten Disease-ManagementProgrammen für Diabetes und Brustkrebs, profitieren. Die Kosten werden von den Krankenkassen zusätzlich finanziert und fallen nicht unter die Nullrunde. ({15}) Ärzte, die an diesen Programmen teilnehmen, können die entgangenen Honorarzuwächse mehr als ausgleichen. Allein 60 Prozent der niedergelassenen Hausärzte, hausärztlich tätigen Internisten und Internistinnen profitieren von diesen Programmen. In der Anhörung - da waren Sie dabei - hat Professor Lauterbach vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie ({16}) ebenfalls darauf hingewiesen, ... dass in Anbetracht der hohen Belastungen mit chronisch Kranken in den neuen Bundesländern die dort niedergelassenen Ärzte die Nullrunde überkompensieren können, allerdings nur durch eine verbesserte Qualität. Ähnliches lässt sich auch für den Krankenhausbereich sagen. Da ist für mich besonders wichtig, dass von der so genannten Nullrunde für die Krankenhausbudgets die BAT-Ausgleichsregelung und die Angleichung der Ostlöhne und -gehälter an den Westtarif unberührt bleiben. Wir halten nämlich an der vollständigen Angleichung bis zum Jahre 2007 fest. Das gilt, wie vorhin bereits gehört, auch für den ambulanten Bereich. ({17}) Ein ganz zentraler Ausnahmetatbestand betrifft die Krankenhäuser, die freiwillig ab 2003 das neue Abrechnungssystem nach Fallpauschalen anwenden. Diese Krankenhäuser erhalten die vorgesehenen Steigerungsraten - das sind in den neuen Länder fast 2,1 Prozent. Da die Frist für Nachmeldungen bis zum 31. Dezember verlängert wurde, werden viele Krankenhäuser von dieser Gelegenheit Gebrauch machen. Hier ist die nachhaltige Steigerung der Qualität das oberste Ziel. Stimmen Sie im Bundesrat zu! Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass mit Beginn einer neuen Wahlperiode manches erst zum Laufen gebracht werden muss - erst recht, wenn man zwei neue Superministerien einrichtet -, das weiß wohl jeder im Land; dafür kann man sogar Verständnis haben. Aber wie in den letzten zehn Tagen in jedem der beiden Superministerien jeweils ein Gesetz hervorgestampft wurde, das ist schon sehr erstaunlich. Das möchte ich so kommentieren, indem ich Ihnen in meiner Muttersprache eine Volksweisheit nahe bringe. Sie heißt: Hdy��njezra�e j��, na woskobiznu so njeh�r� - Wenn du Unreifes isst, klage nicht über stumpfe Zähne. Den Eindruck, dass diese Weisheit zutrifft, habe ich die ganze letzte Stunde gehabt. ({0}) Weder volkswirtschaftliche Aspekte noch gesundheitsregionale oder gar versorgungsstrukturelle Argumente wurden beachtet, geschweige verantwortungsvoll mit den Betroffenen diskutiert und hier im Parlament beraten. Ich habe in diesen Tagen ein ganz neues Verständnis von Parlamentsarbeit lernen müssen. Mag sein, dass Sie von der rot-grünen Bundesregierung und von der Koalition noch jemanden finden, der Ihnen Ihr Beißwerk repariert. Aber die Menschen in unserem Land werden noch lange unter Ihrem klammernden Biss leiden. ({1}) Mag vielleicht auch sein, dass Sie in der Hektik Ihres Handlungszwanges - dieser Zwang ist unbestritten nicht jedes Detail, das für die Betroffenen wichtig ist, und den vollen Ernst der Situation berücksichtigen konnten. Aber dass Sie nicht wissen, wie unterschiedlich die Finanzierungsgrundlagen, die Budgets nach der Bundespflegesatzverordnung und die Finanzausstattung in den Silvia Schmidt ({2}) neuen Bundesländern sind, zeigt sehr deutlich, dass Ihnen die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht am Herzen liegt. ({3}) Frau Bundesministerin, Sie haben in Ihrer Rede nur einen Absatz der wahrscheinlichen Entwicklung gewidmet. Das ist zu wenig. Liebe Frau Kollegin Schmidt, die Krankenkassen in den neuen Bundesländern - das haben Sie sehr richtig analysiert - haben Schwierigkeiten. Aber Sie müssen auch richtigerweise sagen, dass die Krankenkassen in Sachsen auf gesunden Beinen stehen. Überall dort, wo die SPD an der Regierung war, gibt es diese Probleme. ({4}) Ein Beispiel. Fachleute warnen schon länger davor und die Menschen vor allem in den ländlichen Regionen spüren es ganz deutlich: In den neuen Bundesländern droht ein eklatanter Ärztemangel. Zum Teil ist er schon da. Während im Bereich der niedergelassenen Ärzte der Ärztemangel durch die Altersstruktur der praktizierenden Ärzte Jahr für Jahr wächst - wir wissen, dass in den nächsten zehn Jahren etwa ein Drittel der niedergelassenen Ärzte in den Ruhestand gehen wird -, ist der Ärztemangel in den Krankenhäusern bereits Realität. In Sachsen zum Beispiel gibt es rund 250 freie Arztstellen. Warum? Geringere Bezahlung und Überlastung durch untragbare lange Arbeitszeiten ermutigen gerade junge Fachleute, sich in lukrativeren Gefilden eine interessante Tätigkeit zu suchen, meistens in den alten Bundesländern. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Aber zu diesem Problem habe ich nichts gehört. Was tut sie? - Sie verordnet eine Nullrunde. ({5}) Ehrlicher ist es, diesen Vorgang als Kürzung zu bezeichnen; ({6}) denn 160 Euro pro Arzt und Monat verschwinden in anderen Kassentruhen. Bedenken Sie bitte einmal, dass eine Arztpraxis in den neuen Bundesländern schon heute ein Drittel weniger Personal hat! Ihre Maßnahmen werden zu zusätzlichen Wartezeiten für die Patienten führen und eine Verschlechterung der Behandlungsqualität wegen des Zeitmangels des Pflegepersonals zur Folge haben. Das wurde in der Anhörung deutlich. Auf meine Frage nach der Umsetzung des Wohnortprinzips und den Maßnahmen hinsichtlich der zugesicherten Verbesserungen der Einkommenssituation wurde ich auf die Verhandlungsgeschicke der jeweiligen Beteiligten verwiesen. ({7}) Angesicht der jetzigen Situation weiß man doch ganz genau, dass die dringend notwendige Einkommensverbesserung mehr als ungewiss ist und dass es sie wahrscheinlich nicht geben wird. ({8}) Noch ein Wort zur Finanzausstattung. Sie ist nicht ausreichend; Finanzreserven existieren nicht. Wie unsere mittelständischen Unternehmen leben auch die Krankenhäuser von der Hand in den Mund. Schon seit langem werden notwendige Mittel klaglos erwirtschaftet: Beispielsweise werden Stellen gestrichen und wird bei nachrückenden Mitarbeitern auf das Alter geachtet, weil junge Mitarbeiter nach dem BAT weniger verdienen. Sachkosten sind bereits maximal optimiert. Das Signal, das von der rot-grünen Bundesregierung und von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ausgesandt wird, bedeutet weitere Kündigungen. Was sollen die entlassenen, zumeist hoch qualifizierten und sehr fleißigen und verlässlichen Frauen und Männer zum Beispiel in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit schon bei 22 Prozent liegt, tun? Sie fallen in die Perspektivlosigkeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Wo, bitte schön, soll noch die Kaufkraft herkommen, die wir so dringend brauchen, um die Wirtschaft anzukurbeln, wie es in Ihrer Regierungserklärung hieß? Ich sage Ihnen: Wer Preise fixiert und Rabatte vorgibt, betreibt Planwirtschaft. Wozu Planwirtschaft führt, wissen wir, nämlich zum Bankrott. Das werden Ihnen die Menschen in den neuen Bundesländern nicht durchgehen lassen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Schaich-Walch von der SPD-Fraktion. ({0})

Gudrun Schaich-Walch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001939, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, wir haben jetzt über viele Minuten hinweg aufmerksam zugehört, ob Sie denn irgendeinen Lösungsansatz haben. ({0}) - Nicht einen! ({1}) Wir haben nur immer wieder gehört, was Ihnen alles nicht gefällt, nie jedoch, was Ihnen denn gefallen würde. Das einzige, das wir bisher von der FDP erfahren haben, ist, welche Sendung sich Herr Parr im Fernsehen anschaut. ({2}) - Sie hatten die Chance, etwas zu sagen. Ich würde mit Ihnen gerne auch inhaltlich debattieren, wenn Sie denn etwas einbringen würden, mit dem man sich auseinander setzen kann. ({3}) Das Gesetz, das wir hier einbringen, ist ein erster Schritt. Wir müssen das so machen, um das Niveau der Beitragssätze in der Zukunft zu sichern. ({4}) Außer im Arzneimittelbereich wird nichts gekürzt. Wir setzen lediglich den Automatismus außer Kraft, dass die Ausgaben im Gesundheitswesen Jahr für Jahr mit den Löhnen steigen müssen. Mehr Geld gibt es demnächst nur noch für mehr Qualität. ({5}) Mit dieser Maßnahme - die, wie ich glaube, durchaus zu rechtfertigen ist, zumal wir sie auf ein Jahr begrenzen machen wir deutlich, dass dieses Gesetz nicht ein reines Kostendämpfungsgesetz ist, ({6}) sondern strukturelle Elemente enthält und in Richtung Qualität, Wirtschaftlichkeit und Effizienzoffensive weist. Dies hat unser Gesundheitssystem durchaus nötig. Wir beschleunigen den Prozess in dieser Richtung auf zwei Feldern: Erstens geht es um die strukturierten Behandlungsprogramme. Jede Ärztin und jeder Arzt, der bereit ist, entsprechend der vorgegebenen Qualität zu arbeiten, hat die Möglichkeit, die Budgets seiner Arbeit zu erhöhen. Im Moment gibt es zwei Disease-ManagementProgramme; im Laufe des nächsten Jahres werden weitere folgen. Damit haben auch diejenigen, die sich neu orientieren, die neue Versorgungselemente einführen, die endlich die Mängel innerhalb der einzelnen Sektoren in unserem Gesundheitswesen abbauen, die Chance, ihre Budgets aufzustocken. ({7}) Den zweiten Anreiz setzen wir bewusst im Krankenhausbereich. Diejenigen Krankenhäuser, die sich bereits für das Fallpauschalensystem entschieden haben, bekommen die Grundlohnrate, die für Ost bzw. West ausgeschrieben ist. Dabei haben wir den Ost-West-Ausgleich weiter im Auge behalten; denn alle Ausnahmetatbestände - dazu gehört auch die Möglichkeit, die BAT-Angleichung zwischen Ost und West in voller Höhe zusätzlich zu vergüten behalten ihre Gültigkeit. Wir werden in einer Gesundheitsreform im nächsten Jahr vorsehen, dass diese Anpassung bis 2007 nicht nur im BAT-Bereich, sondern auch in allen anderen Bereichen möglich wird, insbesondere für die im ambulanten Bereich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Voraussetzung wird jedoch stets sein, dass wir dies mit unseren Strukturveränderungen erwirtschaften. ({8}) Sie dagegen haben in der Vergangenheit über viele Jahre hinweg Leistungskürzungen festgeschrieben, Jahr für Jahr und jeweils in Milliardenhöhe. ({9}) Das einzige, was das letztlich gebracht hat, war der Griff in das Portemonnaie der Versicherten, der Patientinnen und Patienten. Wir gehen mit diesem Gesetz bewusst einen anderen Weg. Wir wissen, dass wir von den Leistungserbringern für das nächste Jahr viel erwarten, aber sind uns ganz sicher, damit niemanden zu überfordern. ({10}) Ich möchte aus einer Presseerklärung des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte zitieren: ({11}) Wir Ärztinnen und Ärzte aus Kliniken und Praxen sind bereit, ein Jahr lang auf Einkommenssteigerungen zu verzichten ..., wenn dadurch die solidarische gesetzliche Krankenversicherung ... ausgebaut werden kann. Sie tun es deshalb: Weil wir unseren Platz nur in einem auf Solidarität beruhenden Gesundheitswesen sehen, weil nur so die Chancen auf Gesundheit für alle Bevölkerungskreise gleich sein können und weil Armut und mangelhafte Bildung nicht gleich bedeutend mit einem erhöhten Krankheitsrisiko sein darf. ({12}) Das, so denke ich, ist ein wirklich solidarischer Beitrag. Wir sind dafür sehr dankbar. Meine Damen und Herren, die GKV soll auch in Zukunft - das ist nicht nur das Anliegen der Ärztinnen und Ärzte, ({13}) sondern auch das Anliegen der Menschen, der Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen - alle medizinischen Leistungen, die notwendig sind, solidarisch zur Verfügung stellen. ({14}) - So ist das. Man muss Ihnen das ganz deutlich sagen; denn ich höre und lese von Ihnen, dass Sie permanent den Ansatz haben, man könne alles privat absichern. ({15}) Ich bin der Überzeugung, dass das nicht tragfähig ist. Wenn Sie sich die Beitragssatzentwicklung in der privaten Krankenversicherung ansehen, dann werden Sie feststellen, dass das kein Weg ist. ({16}) Grundlage muss bei uns weiterhin ein einheitlicher und gemeinsamer Leistungskatalog und eine solidarische Finanzierung sein. Nur auf diesem Weg können wir zu mehr Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit in diesem System kommen. Der Weg der Privatisierung, der Grund- und Wahlleistungen ist zum Scheitern verurteilt. Wir werden den schwierigeren Weg der Strukturveränderungen in diesem System gehen. ({17}) Das wird, wie ich Ihnen schon sagte, voraussetzen, dass wir im Wettbewerbsrecht weitreichende Veränderungen vornehmen. Wir benötigen nicht mehr so viele Krankenkassen wie jetzt. Die Krankenkassen, die wir haben, müssen ein einheitliches Organisationsrecht haben. Es muss das Recht der Wahl zwischen all diesen Kassen geben. Zudem kann es nicht sein, dass jemand in der einen Krankenkasse besser versorgt ist als in der anderen. Ein weiterer Punkt, auf den es sich noch einzugehen lohnt, ist die Frage: Wie werden wir zwischen den verschiedenen Bereichen, dem Krankenhaus und der ambulanten Versorgung, einen Weg schaffen können? Das wird nur mit einem veränderten Honorarsystem gehen und nur dann, wenn die Gelder zwischen den Sektoren fließen können, das heißt, wenn wir die Besoldung im ambulanten Bereich tatsächlich so wie im Krankenhausbereich regeln. Noch ein paar Worte zur Rente: Herr Seehofer, wenn Ihnen die Rente damals wirklich am Herzen gelegen hätte, hätte 1998 der Beitragssatz nicht bei 20,3 Prozent gelegen - und dies auch nur deshalb, weil Sie die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöht hatten. ({18}) Aufgrund der Einnahmesituation sind wir jetzt gezwungen, die Beiträge zu erhöhen und die Schwankungsreserve abzusenken. Auch da brauchen Sie nicht in Geschrei auszubrechen, weil die Schwankungsreserve zu Ihrer Zeit, 1996/1997, durchaus bei unter 0,6 lag. ({19}) Da gab es nie Zahlungsprobleme. Ferner haben Sie jetzt die große Sorge, dass ein Beitragssatz von 19,5 Prozent für viele zu hoch ist, ({20}) Dazu kann ich Ihnen klar und deutlich sagen: Diejenigen, die im Monat 3 000 Euro verdienen, haben pro Monat 6 Euro mehr aufzubringen ({21}) und diejenigen, die pro Monat 5 100 Euro verdienen, 67,50 Euro pro Monat. Wir verstehen unter sozialer Gerechtigkeit, dass derjenige, der mehr tragen kann, auch tatsächlich mehr trägt. ({22}) Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zur älteren Generation, zur Heraufsetzung des Rentenalters sagen. Wir haben im Gesetz das Rentenalter für alle, für Frauen und Männer, auf 65 Jahre heraufgesetzt. Forderungen, die darüber hinausgehen, entbehren jeglicher realistischen Grundlage. Vielleicht sollten Sie das auch Herrn Stoiber sagen. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Für die Gäste sage ich: Ich bin Abgeordnete der PDS. ({0}) Das Beitragssatzsicherungsgesetz wird schon massiv unterlaufen, bevor es durch den Bundestag beschlossen ist. Es ist bereits jetzt klar, dass die Beiträge steigen werden, nicht nur bei der Rentenversicherung, sondern auch bei der Krankenversicherung. Auf Millionen Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung werden zu Beginn des neuen Jahres Beitragserhöhungen zukommen. Der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, hat berechnet, dass es nicht eine Einsparung von rund 3 Millionen Euro ({1}) - Milliarden; danke schön, dass Sie so aufmerksam zuhören - geben wird, wie es die Regierung ausgerechnet hat, sondern nur eine Einsparung von 1 Milliarde Euro. Bei der heutigen Beratung des Hartz-Gesetzes habe ich bereits auf weitere Risiken für die Krankenkassen durch die Umsetzung der Hartz-Vorschläge hingewiesen. Dabei habe ich nur die vorsichtigen Schätzungen der Bundesregierung genannt. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ausfälle für die Kassen noch in die Höhe schnellen. Das heißt, die enormen Defizite der Kassen werden nicht gedeckt. Die Konsequenz sind Beitragserhöhungen, wie bereits bei 20 kleineren Betriebskrankenkassen geschehen. Die großen Kassen werden folgen; daran besteht kein Zweifel. Die Gesundheitsministerin hat schon jetzt Ausnahmeregelungen festgelegt, die die Kassen nutzen werden und auch müssen, um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Ausnahmeregelungen gibt es auch für die Krankenhäuser, die auf Fallpauschalen umgestellt haben bzw. noch umstellen werden. Die Bundesregierung versucht mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz an vielen Punkten in die richtige Richtung zu gehen; das erkennen wir durchaus an. ({2}) Doch an den entscheidenden Stellen verlässt sie immer der Mut. ({3}) Richtig ist es, die Arzneimittelausgaben zu verringern, indem überhöhte Medikamentenpreise gesenkt und die Gewinne der Pharmaindustrie zumindest etwas beschnitten werden. Auch eine Positivliste für Arzneimittel und das Einfrieren der Verwaltungsausgaben der Kassen sind seit langem überfällige und durchaus gerechtfertigte Maßnahmen. Wir übersehen ebenfalls nicht, dass Rot-Grün das Solidarsystem erhalten und die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vordergründig durch höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligung der Patienten oder durch eine Einführung von Regel- und Wahlleistungen beheben will. Natürlich ist auch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, die die Schwelle für den Übergang in eine private Krankenversicherung erhöht, ein Schritt in die richtige Richtung. Wir als PDS haben dazu schon eine Menge Vorschläge unterbreitet. Aber man muss gar nicht auf unsere Vorschläge hören; man muss sich nur einmal in Nord- und Westeuropa umschauen. Es wäre zum Beispiel ein Leichtes, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abzuschaffen. Allein das beließe ungefähr 2 bis 3 Milliarden Euro an Versicherungsbeiträgen bei den Krankenkassen, die sich bisher der Fiskus aneignet. Da könnten wir von unseren Nachbarn lernen, bei denen entweder gar keine Steuern oder nur der halbe Steuersatz für Arzneimittel eingefordert wird. Was passiert hier? Es wird genau das Gegenteil gemacht. Es ist schon in der Debatte erwähnt worden: Der Steuersatz für Zahnersatz wird auf die volle Höhe von 16 Prozent angehoben. Das ist kontraproduktiv. Ich finde das sehr verwunderlich, weil doch an anderer Stelle immer erklärt wird, dass man auf eine europäische Steuerharmonisierung hinwirken wolle. Warum also nicht bei den Nachbarn das Gute lernen? Auch einen anderen guten Vorschlag der PDS haben Sie leider nicht aufgegriffen. Wir haben bereits mehrmals vorgeschlagen, sozialpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld oder die Zahlungen bei Erkrankung des Kindes durch einen Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren. Das würde weitere 1 bis 2 Milliarden Euro ausmachen. Allein diese beiden Vorschläge würden den Krankenkassen circa 5 Milliarden Euro bringen und Sie könnten sich alle sozialen Grausamkeiten sparen, Frau Schmidt, wie zum Beispiel die Kürzung des Sterbegeldes oder die Nullrunde für die Beschäftigten des Gesundheitswesens. Sie sehen, es gibt Alternativen. Nutzen Sie diese! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Weiß von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Quersumme der rot-grünen Debattenbeiträge in dieser parlamentarischen Auseinandersetzung um das Beitragssatzsicherungsgesetz zieht, kommt man zu dem Ergebnis: Augen zu und durch; Augen zu und durch, obwohl ganz Deutschland weiß, dass Rot-Grün konzeptionell am Bettelstab und am Ende ist. ({0}) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmer und Freiberufler wissen, dass die rot-grüne Politik in Verfahren und Inhalt ein ununterbrochenes Management-byChaos darstellt: ({1}) konzeptionslos, sinnlos und schamlos. ({2}) Der Sachverständigenrat drückt es vornehm aus. Er spricht vom konzeptionslosen Herumdoktern an Symptomen, aber das, was Sie machen, ist auch sinnlos und schamlos. ({3}) Es ist sinnlos - wir können es bei einem Notar Ihrer Wahl hinterlegen -, weil Sie die Belastungen der Betriebe und Arbeitnehmer durch Ihre Politik nicht in den Griff bekommen werden. ({4}) Es ist schamlos, weil Sie vor der Wahl öffentlich die schon lange absehbaren Beitragsanhebungen permanent und wahrheitswidrig geleugnet haben. ({5}) Es ist schamlos, weil Sie ein Gesetz, das auf jeden Fall die Erhöhung der Rentenbeiträge vorsieht, Beitragssatzsicherungsgesetz zu nennen wagen. Trotz massiver Beitragssatzanhebungen heißt dieses Gesetz großsprecherisch Beitragssatzsicherungsgesetz. Es ist schamlos - darauf hinzuweisen liegt mir besonders am Herzen -, weil Sie durchs Land ziehen und eine Wiedergeburt der Betriebsrente verheißen und gleichzeitig durch die jetzt vorgesehene sprunghafte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung die Betriebsrentenansprüche von 1,5 Millionen Menschen um bis zu 150 Euro im Monat reduzieren wollen. Das ist ein Vertrauensbruch gegenüber den Menschen, die diese Form der Alterssicherung gewählt haben. ({6}) Gerald Weiß ({7}) Es gibt keine faire Übergangslösung, es gibt überhaupt keine Übergangslösung an dieser Stelle. Wer Beiträge anhebt und das Beitragssatzsicherung nennt, wer betriebliche Alterssicherung propagiert und zugleich Betriebsrenten kürzt, hat sie nicht mehr alle auf dem Christbaum, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Es ist ja nicht so, dass Sie es nicht gemerkt haben. Die SPD-Abgeordnete Susanne Kastner spricht in der „Süddeutschen Zeitung“ am 11. November von der „problematischen Nichtorientierung“ im Regierungslager. Glückwunsch zum Understatement des Jahres. Ihr Fraktionskollege Gernot Erler pflichtet ihr in der gleichen Zeitung angesichts des Déjà-vu-Erlebnisses bei und spricht vom „Trauma 99“, das wieder in der Fraktion umgehe. Sie haben also doch gemerkt, was los ist, dass Sie nämlich nicht die richtigen Antworten auf die Probleme unserer Zeit haben und ein unglaublich schlampiges Gesetz vorlegen. Wenn Sie auch sonst nichts beeindrucken sollte, so sollte Sie zumindest noch beeindrucken, dass Ihr Hochmut ausweislich der Umfrageergebnisse im freien Fall befindlich ist. ({9}) Herr Dreßen, Frau Schaich-Walch, Sie haben gesagt, die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge sei ja nicht so schlimm. Dazu meine ich: Sie müssen das doch insgesamt sehen: Es gibt höhere Krankenversicherungsbeiträge, höhere Rentenversicherungsbeiträge, die Stufen fünf und sechs der Ökosteuer und höhere Gas- und Energiesteuern. Für einen Arbeitnehmer mit zwei Kindern und 35 000 Euro durchschnittlichem Jahreseinkommen bedeutet das eine Mehrbelastung von 236 Euro. Ihre Politik führt doch zu einer Ausbeutung der kleinen Leute. ({10}) Hinzu kommen noch der Riesenkahlschlag bei der Eigenheimzulage und die vorenthaltene Steuerreform. Es gibt weniger netto für die Arbeitnehmer. Sie würgen die Kaufkraft ab und verteuern die Arbeit. Damit machen Sie Arbeitsplätze in Deutschland kaputt, und zwar auf dreifache Weise: ({11}) Mit Ihren Eingriffen in das Gesundheitswesen und Ihren Nullrunden dort machen Sie unmittelbar Arbeitsplätze in der Pflege und der medizinischen Versorgung kaputt und gefährden damit deren Qualität entscheidend. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Weiß, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann vor diesem Hintergrund nur Nein zu diesem Machwerk sagen. Wir appellieren an Sie: Machen Sie endlich langfristig tragfähige Reformen der sozialen Sicherungssysteme! Machen Sie eine Politik, die einen Vertrauensschutz für die Älteren und eine verlässliche Perspektive für die Jüngeren bringt. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir nehmen wiederum eine große Zahl von schriftlichen Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll.1 Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Beitragssatzsicherungsgesetzes, Drucksache 15/28. Der Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/73, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP und der fraktionslosen Abgeordneten angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Stimmen auszuzählen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der FDP auf Drucksache 15/96 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und bei Zustimmung der FDP und einiger CDU/CSU-Abgeordneter und Enthaltung der übrigen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/27. Der Ausschuss für Gesundheit und soziale Si720 1 Anlagen 12 bis 15 cherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/74, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Schlussabstimmung unterbreche ich die Sitzung für einige Minuten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 574, mit Ja haben gestimmt 303, mit Nein haben gestimmt 271. Es gab keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 373; davon ja: 302 nein: 271 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Wilhelm Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Marga Elser Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Walter Hoffmann ({10}) Iris Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Eike Hovermann Klaas Hübner Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({14}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({15}) Christian Müller ({16}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({17}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({18}) Michael Roth ({19}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({20}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({21}) Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer ({22}) Ulla Schmidt ({23}) Silvia Schmidt ({24}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dagmar Schmidt ({25}) Wilhelm Schmidt ({26}) Heinz Schmitt ({27}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({28}) Reinhard Schultz ({29}) Swen Schulz ({30}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({31}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis ({32}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({33}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({34}) Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({35}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({36}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({37}) Volker Beck ({38}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({39}) Katrin Dagmar GöringEckardt Anja Hajduk Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Michaele Hustedt Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({40}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({41}) Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({42}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({43}) Werner Schulz ({44}) Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({45}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({46}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({47}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({48}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({49}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({50}) Dirk Fischer ({51}) Axel E. Fischer ({52}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({53}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({54}) Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({55}) Dr. Norbert Lammert Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({56}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({57}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({58}) Stephan Mayer ({59}) Cornelia Mayer ({60}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Martin Mayer ({61}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({62}) Doris Meyer ({63}) Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Stefan Müller ({64}) Bernward Müller ({65}) Bernd Neumann ({66}) Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Helmut Rauber Christa Reichard ({67}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Hannelore Roedel Franz-Xaver Romer Dr. Klaus Rose Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht ({68}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({69}) Hartmut Schauerte Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({70}) Andreas Schmidt ({71}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({72}) Michael Stübgen Michaela Tadjadod Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Angelika Volquartz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Peter Weiß ({73}) Gerald Weiß ({74}) Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({75}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Daniel Bahr ({76}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({77}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({78}) Dr. Karlheinz Guttmacher Christoph Hartmann ({79}) Klaus Haupt Birgit Homburger Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Wolfgang Kubicki Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({80}) Eberhard Otto ({81}) Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Günter Rexrodt Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein fraktionslos Petra Pau ({82}) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 3. Dezember 2002, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.