Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b so-
wie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
21 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Sicherung und Förderung des Fachkräftenachwuchses und der Berufsausbildungschancen der
jungen Generation ({0})
- Drucksache 15/2820 ({1})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
- Drucksache 15/3064 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Grietje Bettin
Cornelia Pieper
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/3065 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Dr. Günter Rexrodt
Carsten Schneider
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({4})
zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Christoph Hartmann ({5}), Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Ausbildungsplatzabgabe verhindern - Wirtschaft nicht weiter belasten - Berufsausbildung stärken
- Drucksachen 15/2833, 15/3064 Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Grietje Bettin
Cornelia Pieper
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Cornelia Pieper, Christoph Hartmann ({6}),
Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 15/3042 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Nicolette Kressl, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Thea
Dückert, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Ausbildungschancen für alle jungen Frauen
und Männer sichern - durch einen konzertierten Ausbildungspakt
- Drucksache 15/3055 Zu dem Entwurf eines Berufsausbildungssicherungsgesetzes, über den wir später namentlich abstimmen
werden, liegen ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Willi Brase, SPD-Fraktion, das Wort.
({8})
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Nach einer Repräsentativbefragung des Instituts
für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund, an der 3 300 Erwachsene teilgenommen haben,
haben 57 Prozent der Bundesbürger angesichts der Lehrstellenproblematik das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, eine Ausbildungsplatzumlage zu erheben, begrüßt.
Nur 20 Prozent waren dagegen.
({0})
Eine gleichzeitig von den Schulforschern vorgenommene Elternbefragung ergab, dass 42 Prozent der Väter
und Mütter in Sorge sind, ihr Kind werde nach Abschluss der Schule keinen angemessenen Ausbildungsplatz finden. Vor zehn Jahren waren bei einer vergleichbaren Umfrage desselben Instituts lediglich 32 Prozent
der Eltern dieser Auffassung.
Darüber, dass Handlungsbedarf besteht, müssen wir
in diesem Haus hoffentlich nicht streiten.
({1})
Die Dramatik der Situation sei kurz am Rückgang der
eingetragenen Ausbildungsverhältnisse dargestellt. Im
Jahr 2003 war im öffentlichen Dienst ein Minus von
7,1 Prozent, in den freien Berufen ein Minus von
7 Prozent und im Handwerk eines von 2,3 Prozent zu
verzeichnen. Ich denke, diese Zahlen sprechen eine klare
Sprache. Sie werden zudem von Jahr zu Jahr schlechter.
Dies wird auch im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck gebracht.
Allen Kritikern entgegnen wir: Es geht nicht an, dass
sich niemand von ihnen dazu äußert, wie das Problem
auf andere Weise zu lösen ist. Die Bedenkenträgerei feiert Urständ in nie gekanntem Ausmaß und - machen Sie
sich nichts vor - sie geht zulasten der jungen Leute. Das
nehmen wir nicht mehr hin.
({2})
Daher ist ein Berufsausbildungssicherungsgesetz erforderlich. Dieses Gesetz hat zum Ziel, dass auch im
Ausbildungsjahr 2004/2005 alle jungen Menschen eine
Ausbildungschance erhalten.
({3})
Dabei haben freiwillige untergesetzliche Regelungen
Vorrang. Wir schlagen deshalb einen Ausbildungspakt
2004 vor und sind der Auffassung, dass ein solcher freiwilliger Ausbildungspakt Sinn macht und dann gegebenenfalls die Umlage ersetzen kann.
Lassen Sie mich dazu aber einige Punkte anmerken.
Wir müssen die Diskussion in der Öffentlichkeit verfolgen. Aus dem Berufsbildungsbericht 2004 geht hervor,
dass nach wie vor 26,7 Prozent der ausbildungsfähigen
Betriebe im Westen Deutschlands und 25,7 Prozent im
Osten nicht ausbilden. Allein diese Tatsache macht deutlich, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen.
Wenn wir die ausbildungsfähigen Betriebe veranlassen
könnten, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen,
dann hätten wir sehr viel für die jungen Leute getan.
({4})
Sie haben sicherlich mitbekommen, dass wir einen
Ausbildungspakt 2004 vorschlagen, den wir auch im
Hinblick auf das Gesetz berücksichtigen werden. Wir
wollen aber eine verbindliche Vereinbarung und ich
möchte zwei Gründe nennen, warum sich eine solche
Vereinbarung positiv von allen Bemühungen der letzten
Jahre abheben könnte. Erstens. Wir wollen mit einem
solchen Ausbildungspakt erreichen, dass alle jungen
Menschen in berufliche Ausbildung kommen. Wir wollen nicht, dass nach den Kriterien „Ausbildungsfähigkeit“ und „Ausbildungswilligkeit“ aussortiert wird. Es
geht darum, wie gesagt, allen jungen Menschen eine Perspektive zu geben.
({5})
Zweitens. Wir können uns beispielsweise Folgendes
vorstellen: Wenn Herr Braun, der Präsident des DIHK,
anbietet, 50 000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen,
und wenn das auf die Ebene der örtlichen Kammern heruntergebrochen und dort finanziert wird, dann ist das
nach unserer Auffassung eine verbindliche Zusage, also
mehr als eine Willenserklärung. Wenn wir in den Verhandlungen über den Ausbildungspakt dafür sorgen,
dass die dafür notwendigen Kriterien festgelegt werden,
dann haben wir etwas Gutes für die jungen Menschen
geschaffen.
({6})
Tarifliche Vereinbarungen werden von uns ausdrücklich begrüßt. Wir haben das im Gesetz berücksichtigt und werden das auch in den notwendigen Gesprächen über den Ausbildungspakt 2004 auf den Weg
bringen. Das Kampfgeschrei mancher Unternehmensvertreter ist doch nicht sachdienlich. Entscheidend ist
vielmehr, dass den jungen Menschen Ausbildungsplätze
in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden.
({7})
In den letzten Wochen ist viel über unsere Ansätze
diskutiert worden. Es lohnt sich nicht, auf alle gängigen
Gegenargumente einzugehen. Das dümmste Argument
ist das von der angeblich weiteren Verstaatlichung der
Berufsausbildung durch die Abgabe.
({8})
Kollege Brase, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Nein.
({0})
Ich halte diese Argumentation für falsch und verlogen. Wir sind der Meinung, dass durch die Abgabe mehr
betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das
bedeutet weniger Staat. Und das ist auch gut so in diesem Lande.
({1})
Ein weiteres Argument, das vor allem von der Wirtschaft immer wieder angeführt wird, ist die fehlende
Ausbildungsreife der jungen Leute. Es besteht kein
Zweifel daran, dass dies ein sehr ernsthaftes Problem ist,
das - möglicherweise - noch größer zu werden droht. Es
steht ebenso außer Frage, dass die Abgabe allein keine
Lösung hierfür ist. In diesem Punkt will ich den Kritikern durchaus Recht geben. Nur leider sitzen Sie einem
Irrtum auf: Keiner von uns hat jemals das Gegenteil behauptet. Ich glaube vielmehr, dass andersherum ein
Schuh daraus wird. Die Ausbildungslücke wächst Jahr
für Jahr, und zwar in erster Linie deshalb, weil die Unternehmen aus kurzfristigen Kostengründen handeln. Alles andere ist Augenwischerei oder bewusste Täuschung
des Publikums. Wie sonst sind die immer zahlreicher
werdenden Meldungen zu erklären, dass Jugendliche mit
mittlerer Reife oder sogar Hochschulreife keinen Ausbildungsplatz finden? Wir brauchen ein Berufsausbildungssicherungsgesetz aus folgendem Grund: Wir
müssen die Dominanz des kurzfristigen Denkens zurückdrängen; denn es geht auch darum, eine Erosion der
Facharbeitermärkte zu verhindern. Schließlich werden
wir in wenigen Jahren wesentlich mehr qualifizierte und
gut ausgebildete junge Leute für unsere Wirtschaft in
Deutschland brauchen.
({2})
Man kann nicht ständig gegen die Verstaatlichung der
beruflichen Bildung wettern, zugleich nach Senkung der
Steuerquote rufen und dann, wenn es um die Bereitstellung von mehr Mitteln geht, den Staat bemühen wollen.
Wir wollen die Bereitschaft der Wirtschaft fördern - das
ist wichtig -, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu
stellen, damit die jungen Leute auch im schulischen System so ausgebildet werden, dass sie die für das Ergreifen
eines Berufs notwendige Ausbildungsfähigkeit haben.
Wir halten es für verantwortungslos, wenn gesagt
wird: Die mangelnde Ausbildungsreife ist allein das Problem von Staat und Familie. Ich glaube, es macht Sinn,
über den Tellerrand hinauszuschauen. Vielen Jugendlichen fehlt es vor allem deshalb an sozialer und betrieblicher Reife, weil sie keine Ausbildungs- und Beschäftigungsperspektiven haben. Wie sollen sie sich denn in
Vorstellungsgesprächen hoch motiviert präsentieren,
wenn dies die 100. oder 150. Bewerbung ist?
({3})
Wie sollen die Jugendlichen in der Schule Biss zeigen,
wenn sie mitbekommen, wie es auf dem Arbeits- und
Ausbildungsmarkt aussieht? Die Wirtschaft trägt Mitverantwortung für die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen und damit auch für deren fehlende Motivation.
Wir wollen Anschluss statt Ausschluss; wir wollen alle
jungen Leute mitnehmen.
({4})
Mangelnde Ausbildungsreife muss daher bedeuten:
massive Verstärkung der Angebote der Arbeitgeber im
Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung. Hier muss,
gerade mit Blick auf den angebotenen Ausbildungspakt,
etwas Konkretes mit Substanz auf den Tisch kommen.
Eine Quantifizierung in diesem Bereich wäre ein weiteres verbindliches Merkmal für den zukünftigen Ausbildungspakt. Dadurch würde gerade den schwächeren, benachteiligten Jugendlichen wieder eine Perspektive
gegeben.
Wenn die Lücke nicht geschlossen wird, dann hat die
Bundesregierung gesetzeskonform zu prüfen, die Anwendung und Erhebung der Abgabe in Kraft zu setzen
sowie die Schaffung und Förderung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze und den Leistungsausgleich
auf den Weg zu bringen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Entschließungsanträgen zum Angebot eines Ausbildungspaktes 2004 und der Einrichtung einer Stiftung „Berufliche Bildung und lebensbegleitendes Lernen“
nehmen wir die Verantwortung für unsere jungen Menschen sehr ernst und sorgen dafür, dass die Umsetzung
des Beschlusses des Europäischen Rates von Lissabon,
die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung bis 2011 um
die Hälfte zu verringern, endlich eine realistische Perspektive bekommt.
({5})
Die Subsidiarität unserer Vorgehensweise - der Pakt,
der die Anwendung des Gesetzes überflüssig machen
kann - ist richtig. Sie ist eine moderne Antwort auf veränderte Verhältnisse. Wir geben den Unternehmen damit
die Gewissheit, auch in Zukunft über qualifizierten
Fachkräftenachwuchs zu verfügen. Den jungen Menschen geben wir mit diesem Gesetz zusammen mit der
anstehenden BBiG-Novellierung die Sicherheit und die
Zuversicht, die bestmögliche Qualifikation für ihr zukünftiges Arbeitsleben und für ihre soziale Sicherung zu
bekommen. Deshalb bitte ich um Zustimmung.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Kollege Brase, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht
darauf hingewiesen, wie ernst und wichtig das Thema
ist, das wir jetzt zu beraten haben. Vor diesem Hintergrund stelle ich für die Freien Demokraten fest, dass wir
es als einen Skandal empfinden, dass auf der Regierungsbank nur eine einzige Bundesministerin vertreten
ist. So geht die Regierung mit dem Deutschen Bundestag
um!
({0})
Wir wissen, dass sich die deutsche Öffentlichkeit dafür interessiert, wie die Politik, wie die Regierung Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen will. Wir streiten darüber, ob Ihr Weg, eine mit Bürokratie verbundene
Abgabe einzuführen, richtig ist. Wir werden diesen Gesetzentwurf selbstverständlich ablehnen. Sie werden
durch diese Maßnahme in Wahrheit nur mehr Mittelständler in die Pleite treiben und keinen einzigen neuen
Ausbildungsplatz schaffen.
({1})
Zu einem politischen Diskurs gehört ein Minimum an
Umgang miteinander und ein Minimum an Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag. Die Tatsache, dass
die Regierung hier nicht vertreten ist, - ({2})
- Sie, die Parlamentarischen Staatssekretäre, sind - um
das einmal klar zu sagen - die Auszubildenden der Bundesregierung. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich das an
dieser Stelle sagen muss.
({3})
Wenn Sie von der Regierungsbank aus Zwischenrufe
machen, dann kriegen Sie auch was zurück.
Die Tatsache, dass die Regierungsbank leer ist, ist
nicht nur eine Respektlosigkeit gegenüber dem Deutschen Bundestag, sondern auch gegenüber den Menschen in Deutschland, die Arbeit und Ausbildung suchen.
({4})
Kollege Brase, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle
fest, dass die zuständige Bundesministerin dort sitzt und
gleich zu uns sprechen wird. Wir freuen uns darauf; denn
sie wird die richtigen Worte sagen.
({0})
Ich stelle weiterhin fest, dass nach unserer Auffassung die Bundesregierung ausreichend vertreten ist.
({1})
Ich weise es entschieden zurück, wenn Parlamentarische
Staatssekretäre als Auszubildende der Bundesregierung
bezeichnet werden; das ist kein fairer Umgang miteinander, Herr Kollege Westerwelle.
({2})
Uns geht es darum, dass wir mit einem Bündel von
Maßnahmen, wie ich sie zum Teil dargestellt habe und
wie wir sie in der Debatte noch verdeutlichen werden,
endlich dazu kommen, dass sich Unternehmen in dieser
Republik ihrer Verantwortung stellen. Man kann nicht
immer nur von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosengeldempfängern Verantwortung verlangen und ihnen
Verpflichtungen auferlegen, aber bei den Unternehmen
auf reine Freiwilligkeit setzen.
({3})
Die Jugendlichen sind dann die Dummen, die in die
Röhre gucken. Das machen wir nicht mit!
({4})
Ich erteile Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist in der Tat unerhört, dass die Bänke der Regierung in
dieser Art und Weise leer bleiben.
({0})
Parlamentarische Staatssekretäre sind in dieser heutigen
Debatte kein Ersatz für die zuständigen Minister.
({1})
Die CDU/CSU-Fraktion erwartet - das sage ich in aller Deutlichkeit -, dass der Wirtschaftsminister unmittelbar im Parlament erscheint und an dieser Aussprache
teilnimmt;
({2})
denn er ist für das Chaos, das wir in diesem Land haben,
mit verantwortlich und er muss hier Farbe bekennen,
was seine Haltung zur Ausbildungsplatzabgabe angeht.
Noch gestern hat er in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass er gegen diese Abgabe ist, dass er nichts davon hält. Ich werte das als einen stillen Protest. Wir erwarten, dass er hier erscheint.
({3})
Was Sie uns heute bieten, ist absurdes Theater;
({4})
denn Sie wollen ein Gesetz beschließen, von dem Sie
selbst sagen, dass es nicht in Kraft treten soll. Das hat
dieser Bundestag noch nie erlebt und das ist ein Verfahren, das letztlich auf dem Rücken der jungen Leute, der
Unternehmen und der Zukunft unseres Landes ausgetragen wird.
({5})
Sie haben kurzfristig einen Antrag eingebracht und
bieten an, einen freiwilligen Ausbildungspakt mit der
Wirtschaft einzugehen. Aber die behauptete Vorrangigkeit eines solchen Paktes gibt es nicht. Wer genau hinschaut, erkennt, dass Sie keinen Millimeter nachgeben
werden; denn die Bundesregierung wird letztlich entscheiden, ob die Wirtschaft die Anforderungen an diesen
Ausbildungspakt erfüllt oder nicht. Das ist nicht Freiwilligkeit, das ist Zwang.
({6})
Deshalb haben die Spitzenverbände der deutschen
Wirtschaft dieses Angebot mit Recht klar abgelehnt.
Was Sie hier tun, ist im Grunde genommen das Entscheiden einer Machtfrage, nichts anderes.
({7})
Sie können es in den Kommentaren heute wie auch in
denen der letzten Tage nachlesen. Es ist ein Vorhaben,
das dazu dient, dass Ihr neuer Parteivorsitzender das Gesicht nicht verliert.
({8})
So ist es in der „Welt“ nachzulesen
({9})
und so ist es heute in der „Süddeutschen“ nachzulesen.
Was Sie hier verabschieden, ist nichts anderes als eine
Maßnahme zur Erhaltung Ihrer Macht und zur Durchsetzung der Vorstellungen des Parteivorsitzenden. Hier geschieht nichts im Interesse der Auszubildenden; denn
diese Ausbildungsplatzabgabe ist kontraproduktiv.
({10})
Kollegin Böhmer gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Ich kenne den Kollegen Tauss so gut, dass ich mir
schon vorstellen kann, was er sagen will. Darauf verzichten wir heute.
({0})
Sehr geehrter Herr Müntefering, Sie handeln selbst
wider besseres Wissen. Sie haben in der „Süddeutschen
Zeitung“ von Dienstag gesagt - ich zitiere -:
Das Ziel, ausreichend Lehrstellen zu schaffen,
„kann man auch leichter erreichen als mit der Umlage“.
Sie haben Recht. Man kann es leichter erreichen. Aber
warum handeln Sie denn nicht entsprechend? Warum
lassen Sie denn nicht von diesem unsinnigen Gesetz ab,
das einen Irrweg ohnegleichen darstellt? Warum lassen
Sie der Wirtschaft nicht den Spielraum, den sie braucht,
um Ausbildungsplätze zu schaffen?
({1})
Sie haben gesagt, es komme nichts dabei heraus. Im
letzten Jahr sind 500 000 neue Ausbildungsverträge
abgeschlossen worden.
({2})
Ich finde, das verdient Anerkennung. Deshalb möchte
ich mich bei all denjenigen herzlich bedanken, die sich
bemüht haben und von Betrieb zu Betrieb gegangen
sind, sowie bei den Handwerksmeistern, die in einer
wirtschaftlich schwierigen Lage noch Ausbildungsplätze
zur Verfügung gestellt haben. Ihnen allen gilt unser
Dank für ihr Eintreten für eine bessere Ausbildungsperspektive der Jugendlichen.
({3})
Unser Ziel ist es - darin müssen wir alle in diesem
Land übereinstimmen -, dass all den jungen Menschen,
die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, eine
Lehrstelle zugesichert wird.
({4})
Durch die Ausbildungsplatzabgabe wird es keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz geben.
({5})
Das ist nicht nur die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion, der FDP und der Wirtschaft. Diese Aussage hat
Harald Schartau, SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, gemacht. Peer Steinbrück, der Ministerpräsident
von Nordrhein-Westfalen, spricht von Gift für den
Standort Deutschland. Dazu wird es durch das Gesetz
kommen, das Sie uns heute vorlegen. Das ist die Wahrheit.
({6})
Bei genauerer Untersuchung des Gesetzentwurfes zur
Ausbildungsplatzabgabe stoßen wir auf absurde Regelungen. Die Ausbildungsquote von 7 Prozent, die Sie
bundesweit zugrunde legen, ist völlig willkürlich festgelegt. Das Gesetz droht damit auch verfassungsrechtlich
zu scheitern. Schließlich betragen die Verwaltungskosten
160 Millionen Euro.
({7})
Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben gestern Ihr großes
Projekt im Bereich der Nanotechnologie verteidigt.
Diese wird aber mit weniger als 160 Millionen gefördert.
Das heißt, die Relationen stimmen hier einfach nicht
mehr.
({8})
Mit Ihrem Gesetz stoßen Sie eine Entwicklung an, die
dazu führen wird, dass die duale Ausbildung ausgehöhlt
wird. Sie wird deshalb ausgehöhlt werden, weil viele
Unternehmen angesichts einer drohenden Ausbildungsplatzabgabe von 500 Euro abwägen werden, ob sie für
teures Geld tatsächlich ausbilden oder sich freikaufen.
Im Ausland hat man nach Einführung einer solchen Abgabe die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen
diesen Weg beschreiten. Das heißt, das duale System
wird geschwächt und wir kommen zu einer Verstaatlichung der beruflichen Ausbildung.
({9})
Damit bahnen Sie einen Weg, der für die jungen Menschen und für die Wirtschaft fatal ist. Das ist schädlich
für unser Land.
({10})
Der eigentliche Fehler liegt darin, dass Sie den Hauptgrund für die anhaltenden Probleme auf dem Ausbildungsmarkt nicht sehen wollen: Es ist die Wachstumsschwäche in Deutschland. Diese Situation schlägt voll
auf den Ausbildungsmarkt durch. Es ist angesichts dessen kein Wunder, dass immer weniger Ausbildungsplätze von den Unternehmen bereitgestellt werden können. Das möchte ich betonen. Die Unternehmen kann
hier kein Vorwurf treffen.
({11})
Wer nämlich wirtschaftlich vor dem Aus steht, kann
nicht noch zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen.
({12})
Gehen Sie einmal durch die Innenstädte und in die Einkaufszentren. Sie werden sehen: Einzelhandelsgeschäfte
schließen, alteingesessene Familienbetriebe müssen
schließen. Das heißt, Ausbildungsplätze fallen weg und
die Chancen für junge Leute verringern sich. Ursache ist
Ihre chaotische Wirtschaftspolitik.
({13})
Wir sind in der Tat mit einer dramatischen Situation
ohnegleichen konfrontiert: Mehr als eine halbe Million
junger Menschen, darunter fast 200 000 allein in den
neuen Bundesländern, suchen einen Job. Der Hälfte von
ihnen fehlt jegliches Ausbildungszertifikat.
({14})
Wir müssen einmal fragen, worin die Gründe dafür
bestehen. Die Defizite liegen in der vorberuflichen Bildung, in der Schule und im Elternhaus. Wir wissen seit
PISA um die mangelhaften Deutschkenntnisse; so haben
200 000 Schüler jedes Jahrgangs schwere Lese- und
Schreibprobleme. Außerdem verlassen 100 000 Schüler
die Schule ohne Abschluss. 85 000 von ihnen kommen
aus der Hauptschule. Die Bugwelle der Klasse der Hoffnungslosen wächst von Jahr zu Jahr. Ihre Ausbildungsabgabe wird nichts daran ändern; denn damit lassen Sie
gerade die lernschwachen jungen Leute, die dringend der
Förderung bedürfen, im Stich.
({15})
Heinz-Peter Meidinger, der Bundesvorsitzende des
Philologenverbandes,
({16})
spricht von der Ausbildungsplatzabgabe als einem „großen Ablenkungsmanöver der Politik“. Denn
die eigentliche Frage, die Förderung von schwachen Schülern,
({17})
die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung zu machen, wird völlig außer Acht gelassen.
Ich sage Ihnen: Hier muss endlich umgesteuert werden,
({18})
und zwar besser, als Sie es tun. Wir müssen die Jugendlichen während der Schulzeit fördern,
({19})
statt nach der Schulzeit mit teuren Reparaturmaßnahmen
zu versuchen, sie in eine Ausbildung zu bringen. Es
muss am Anfang investiert, statt am Ende mit Milliardenbeträgen repariert werden.
({20})
Not tut die möglichst frühe Verzahnung von Schule
und Berufspraxis.
({21})
Wir brauchen längere Praxismodule schon in der Schulzeit; das ist der richtige Weg. Diese müssen später bei
der Berufsausbildung anerkannt werden.
Dringend notwendig ist - dazu haben wir Ihnen einen
konkreten Vorschlag gemacht - die Reform des Berufsbildungsrechts. Dieses schleift seit langer Zeit, Frau
Bulmahn. Sie haben uns zuerst mit Worten und dann mit
Eckpunkten abgespeist. Heute sollen wir im Bundestag
auch noch begrüßen, dass Ihr Berufsbildungsgesetz erst
nächstes Jahr novelliert wird. Die Zeit rennt uns davon;
so kann man eine Aufgabe nicht schleifen lassen und
vernachlässigen.
({22})
Stimmen Sie unserem Entwurf einer Novelle des Berufsbildungsgesetzes, wenn dieser zur Abstimmung ansteht, zu!
Zum Schluss habe ich noch eine dringliche Bitte. Ich
hoffe, dass Sie zuhören und nicht nur schreien. Ich habe
hier einen der vielen Briefe, die ich aus dem ganzen
Land erhalten habe; ich schätze, viele von uns haben solche Briefe bekommen. Er kommt von einem mittelständischen Unternehmer vom Bodensee.
({23})
Dieser Unternehmer schreibt:
Wir appellieren im Interesse der Jugendlichen an
jene vernünftigen Politiker und Meinungsbildner,
die ein solch unsinniges Gesetz ablehnen, sich vehement für die Ablehnung einzusetzen.
Wir tun das. Folgen auch Sie diesem Appell!
Danke.
({24})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Kollegin Böhmer, es ist gut, wenn wir uns hier
demnächst auch mit der Reform der beruflichen Bildung
beschäftigen. Auch das ist ein Projekt, das Sie 16 Jahre
lang liegen gelassen haben.
({0})
Für inakzeptabel halte ich die Tatsache, dass Sie die Tausenden von jungen Menschen, die berufsreif sind - wir
reden nicht von den anderen; um die kümmern wir uns
weiterhin, was auch die Aufgabe des Staates ist; Länder
und Bund tun hier viel -, hier in dieser Form verhöhnen.
Sie sind die Opfer der Entwicklung und nicht die Täter.
Aus diesem Grunde habe ich die herzliche Bitte, dass
diese Beschimpfung der Jugendlichen nicht fortgesetzt
wird.
({1})
Zweitens. Sie haben völlig Recht mit Ihrer Bemerkung, dass die SPD ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden selbstverständlich gerne stützt.
({2})
Aber mit großer Freude sehen wir, dass auch die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft unsere Position teilt. Ich zitiere einmal wörtlich aus den Beschlüssen
der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Da
heißt es:
Betriebliche und überbetriebliche Ausbildung wird
auf der Grundlage eines kontinuierlichen Lastenausgleichs zwischen den Betrieben finanziert. Die
öffentlichen Arbeitgeber sind den privaten Arbeitgebern gleichzustellen. Das soll im Berufsbildungsgesetz verankert werden.
({3})
Ich freue mich, dass offensichtlich auch die CDA gesehen hat, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD
gestützt werden soll. Herzlichen Dank an Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, die die Probleme so sieht wie wir!
({4})
Kollegin Böhmer.
Herr Kollege Tauss, ich habe keine andere Intervention von Ihnen erwartet. An Ihren Äußerungen ist nichts
Überraschendes; wir kennen das ja schon. Aber ich
weise ganz klar Ihren wiederholten Vorwurf zurück, wir
würden Jugendliche verhöhnen. Uns geht es darum, dass
die Qualifizierung der jungen Leute besser gelingt und
dass die Jugendlichen nicht durch eine Scheinlösung ins
Abseits gestellt werden. Genau das tun Sie nämlich, indem Sie die Probleme der lernschwachen Jugendlichen
stets tabuisieren. Ihre Politik des Unter-den-TeppichKehrens hat zu dieser Misere geführt.
({0})
Sie haben einen Beschluss der CDA zitiert. Dazu
muss ich sagen: Sie haben zwar ein gut sortiertes Archiv
- es ehrt Sie, dass Sie Informationen sammeln -, aber
Sie müssen auch wissen, was wo und wann gesagt worden ist. Herr Tauss, der von Ihnen zitierte Beschluss ist
jahrzehntealt
({1})
und bezieht sich auf völlig andere wirtschaftliche und
rechtliche Gegebenheiten. Wir ziehen hier an einem
Strang. Dass Sie im Jahr 2004 eine Äußerung aus dem
Jahr 1977 zitieren, zeigt, dass Sie in die falsche Richtung
denken und nicht fähig sind, dieses Land zu regieren.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer sich nicht um die Jugend kümmert und wer die
Jugendlichen allein lässt, der stellt sich selbst ins Abseits. Wo bleiben Ihre konkreten Änderungsvorschläge?
Wieder haben Sie nur die Interessen der Wirtschaft im
Kopf. Die Interessen der jungen Menschen erwähnen Sie
hier mit keinem Wort.
({0})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sind für mehr verantwortlich als nur dafür, die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Sie tragen in den von
Ihnen regierten Ländern - das ist die Mehrzahl - die Verantwortung für die Qualität unseres Bildungssystems.
Sie sind aber nicht bereit, beispielsweise über die Abschaffung der Eigenheimzulage zugunsten einer Verbesserung der Bildung mit uns zu diskutieren.
({1})
Was wollen Sie dann? Die Jugend soll nach Ihren Vorstellungen die Zeche für alles zahlen. Da machen wir
nicht mit.
({2})
Eines kann ich aber mit Freude feststellen: Das Gesetz wirkt schon, noch bevor wir es beschlossen haben.
Anders ist es wohl kaum zu erklären, warum wir jetzt
zwei Alternativvorschläge zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze auf dem Tisch liegen haben: einen Vorschlag von Beck und Steinbrück und einen Vorschlag
vom DIHK-Präsidenten Braun. Beide Initiativen verlangen jedoch, dass wir den Gesetzentwurf zurückziehen.
Aber das werden wir nicht tun. Ich sage Ihnen auch, warum.
Erstens können wir es uns schlicht nicht leisten, noch
einmal Zehntausende junger Menschen in Unsicherheit
und Zukunftsangst zu stürzen. Zweitens können wir uns
den absehbaren Mangel an Fachkräften nicht leisten.
Drittens können wir uns die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht leisten, die entstehen, weil jungen
Menschen der Berufseinstieg vorenthalten wird und damit enorm viele Begabungsreserven brachliegen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
die Ausbildungsplatzumlage ist - ich wiederhole es
gern so lange, bis Sie es verstanden haben - keine Strafabgabe. Sie schafft einen fairen und sozial gerechten
Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Unternehmen. Kleinere Betriebe mit weniger als
zehn Mitarbeitern sind von der Zahlung der Umlage befreit. Zur Kasse gebeten werden logischerweise vor allem die großen Ausbildungsverweigerer unter den Firmen.
In den vielfältigen Verhandlungen zum Gesetz haben
wir unter anderem erreicht, dass schulische Ausbildungen mit hohem betrieblichen Anteil und akademische
Berufsausbildungen im Gesetz gesondert berücksichtigt
und unter Umständen sogar gefördert werden. Auch für
soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen und für die finanziell häufig angeschlagenen Kommunen gelten entlastende Sonderregelungen.
Wir begrüßen natürlich jede Initiative - das will ich
ausdrücklich betonen -, die betriebliche Ausbildungsplätze schafft. Der vorgeschlagene Pakt vom DIHK-Präsidenten Braun ist dazu vielleicht geeignet. Deswegen
haben wir in dem vorliegenden Antrag vorgesehen, dass
verbindlich und schriftlich vereinbarte freiwillige Regelungen der Wirtschaft Vorrang vor der Anwendung des
Gesetzes haben.
({4})
Ich bin durchaus optimistisch, dass dies gelingen kann.
Was ist aber, wenn im Herbst trotz allem wieder
Zehntausende von Jugendlichen dastehen, die keinen
Beruf erlernen können, weil es wieder einmal nicht genug Ausbildungsplätze gibt? Sollen wir wieder appellieren? Sollen wir noch mehr Programme auflegen? Aus
genau diesem Grund haben wir ins Gesetz geschrieben,
dass es nicht zur Anwendung kommt, solange genügend
betriebliche Ausbildungsplätze vorhanden sind. Fehlen
sie, gibt es die Umlage.
Auch der Vorschlag von Beck und Steinbrück geht
teilweise in die richtige Richtung. Positiv finde ich etwa
die regionale Ausrichtung der Vorschläge und die Einbindung der Handwerkskammern oder auch die
Erhöhung des Praxisanteils bei vollzeitschulischen Ausbildungen. Das Konzept ist aber bislang völlig unverbindlich. Es setzt auf die Freiwilligkeit aller Akteure.
Auf die setzen natürlich auch wir, deshalb das Auslösekriterium.
Kritisch sehe ich die Ausweitung der außerbetrieblichen statt der betrieblichen Ausbildung. Außerdem soll
in diesem Konzept die öffentliche Finanzierung der Berufsausbildung ausgeweitet werden. Aber gerade diesen
Trend zur Verstaatlichung der Berufsbildung müssen wir
stoppen.
({5})
Deswegen halte ich diesen Vorschlag unterm Strich für
ungeeignet.
Wir wollen die Sicherung der dualen Berufsausbildung mit deren inhaltlicher und struktureller Reform
kombinieren. Wir wollen ein Gesetz schaffen, das Anreize setzt, auszubilden, und das die Möglichkeit für
junge Menschen verbessert, eine betriebliche Ausbildung zu erhalten. Die anstehende Reform des Berufsbildungsgesetzes, zwei Entschließungsanträge und das Umlagegesetz werden einiges zur Sicherung der dualen
Ausbildung beitragen.
({6})
Unter anderem wollen wir die Anrechnung informell
erworbener Kompetenzen verbessern und die Ausbildungsvorbereitung und die Berufsausbildung besser miteinander verzahnen. Das erleichtert Jugendlichen mit
Anlaufschwierigkeiten die berufliche Qualifikation.
Neben dem Gesetz zur Umlage liegt ein Entschließungsantrag vor, in dem wir anregen, eine Stiftung „Betriebliche Bildungschance“, StiBB, einzurichten. Mit ihr
wollen wir Einzelpersonen, Unternehmen und Sozialpartnern Anreize geben, das Umlagevermögen zu ergänzen. Wir wollen einen gesellschaftlichen Prozess anregen, der über das Bereitstellen privater Mittel weit
hinausgeht.
Lassen Sie mich abschließend ganz klar sagen: Das
Gesetz, das wir heute verabschieden,
({7})
greift erst, wenn im Herbst wieder große Ausbildungslücken entstehen. Leider deuten im Moment - das muss
man sehen - noch alle Zahlen darauf hin. Setzen Sie sich
mit uns gemeinsam dafür ein, dass die Wirtschaft ihre
Zusagen endlich wahr macht und langfristig ausreichend
Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt! Nicht zu vergessen ist dabei: Hätte die Wirtschaft dies freiwillig früher
getan, hätten wir über eine Umlage gar nicht erst reden
müssen.
Danke schön.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Hartmann,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Brase, Sie haben von der Verantwortung der Wirtschaft gesprochen.
({0})
Wo ist denn die Verantwortung der Bundesregierung,
wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht hier ist?
({1})
Wo ist die Verantwortung der Ministerpräsidenten, wenn
Steinbrück und Beck nicht hier sind? Die sind ja nicht
zufällig nicht hier. Die sind deswegen nicht hier, weil sie
dieses Gesetz ablehnen.
({2})
Sie haben Recht: Diesem Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz, in dem Sie in 24 Paragraphen 23 Änderungen vorgenommen haben, kann man nicht zustimmen.
Die Zeit der Alchemisten ist vorbei. Aus Eisen kann
man eben mit noch so viel Hokuspokus kein Gold machen.
({3})
Die Ausnahmen, die Sie vorgesehen haben - insolvente
Betriebe, notverwaltete Gemeinden, Krankenhäuser und
Kirchen -, sind für die Betroffenen gut. Aber für den
Mittelstand, der 500 Euro pro Ausbildungsplatz bezahlen muss, ist dieses Gesetz nicht gut. Für ihn ist dies eine
Katastrophe. Sie setzen Ihre wirtschaftspolitische Geisterfahrt fort.
({4})
Unternehmen, die keine Bewerber finden, sollen zahlen. Firmen, die keine geeigneten Bewerber finden, sollen zahlen. Hochschulen, die zum Beispiel Doktoranden
ausbilden, aber nicht dual, sollen zahlen. Sie bringen
mittelständische Unternehmen zusätzlich in Existenznöte.
({5})
Gestern rief mich eine Zeitarbeitsfirma aus meinem
Wahlkreis im Saarland an. Sie beschäftigt zehn Mitarbeiter in der Verwaltung und einen Auszubildenden. Das
bedeutet eine Ausbildungsquote von 10 Prozent. Insgesamt sind es 600 Mitarbeiter, wovon 590 verliehen werden. Ihre Ausbildungsquote von 7 Prozent gilt aber für
Christoph Hartmann ({6})
alle. Das heißt, dieses Unternehmen müsste 41 weitere
Auszubildende bei nur zehn Mann Stammbelegschaft
einstellen.
Aber wie sollen sie überhaupt ausgebildet werden?
({7})
Ich kann Ihnen sagen, was am Montag passieren wird,
wenn dieses Gesetz verabschiedet wird. Die Alternative
für diese Zeitarbeitsfirma heißt nämlich: entweder
250 000 Euro zahlen und damit in die Insolvenz gehen
oder - das werden sie tun - die Arbeitsplätze nach Luxemburg verlagern.
({8})
Dieses Gesetz ist kein Ausbildungsplatzschaffer, dieses
Gesetz ist ein Arbeitsplatzvernichter.
({9})
Ich möchte die Kommunen als Beispiel anführen.
Der Oberbürgermeister von München - in Klammern: Er
gehört der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
an - schrieb an die FDP-Fraktion:
Es kann doch nicht im Ernst wahr sein, dass die …
Ausbildungsabgabe im konkreten Ergebnis zu einer
Bestrafung der Städte führt, beispielsweise der
Stadt München, die seit Beginn des letzten Jahrhunderts weltweit beachtete Leistungen für die berufliche Bildung erbringt.
Herr Ude, es ist wahr; es sind Ihre Parteifreunde, die diesen Irrsinn durchsetzen wollen.
({10})
Schauen wir doch ins benachbarte Ausland: In Frankreich und Dänemark gibt es die Ausbildungsplatzabgabe.
In Deutschland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit
10,3 Prozent, sie ist zugegeben zu hoch. In Dänemark
liegt sie bei 10,6 Prozent und in Frankreich bei
20,1 Prozent, und zwar trotz Umlage. Die Ausbildungsquote in Deutschland beträgt 6,4 Prozent, in Dänemark
beträgt sie 3 Prozent und in Frankreich 1,2 Prozent, trotz
Umlage.
({11})
Sie erzählen uns immer wieder, dass die Bauwirtschaft
eine freiwillige Umlage hat und dass das ein leuchtendes
Beispiel ist.
Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Montag?
Lassen Sie mich bitte diese Argumentation zu Ende
führen, danach kann der Kollege gern eine Zwischenfrage stellen.
Die Ausbildungsquote beim Bau beträgt 7,9 Prozent,
das ist überdurchschnittlich hoch. Der Bau zählt aber
zum Handwerk und die Ausbildungsquote beim Handwerk insgesamt liegt bei 9,8 Prozent. Jedem einzelnen
Argument, das Sie hier anführen, geht die Luft aus.
({0})
In der Probeabstimmung Ihrer Fraktion am Dienstag
waren 20 Fraktionsmitglieder gegen dieses Gesetz. Es ist
kein Berufsausbildungssicherungsgesetz, es ist ein Berufssicherungsgesetz für Herrn Müntefering.
({1})
Kollege Montag, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Hartmann, als Münchener Abgeordneter
frage ich Sie, ob Sie bereit sind, das Parlament darüber
in Kenntnis zu setzen, dass der Brief von Oberbürgermeister Ude nicht nur an Sie geschickt wurde und dass er
sich darüber hinaus auf einen ersten Entwurf dieses Gesetzes bezogen hat.
({0})
Möchten Sie das Parlament ferner darüber in Kenntnis
setzen, dass in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf
aufgrund der Intervention von Oberbürgermeister Ude
und vielen anderen Kommunalpolitikern all diese Probleme bereinigt sind
({1})
und die Anstrengungen der Kommunen zur Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich berücksichtigt
werden?
({2})
Herr Kollege, ich bedanke mich herzlich für diese
Zwischenfrage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, etwas
klarzustellen.
({0})
Die Ausnahme, die Sie für die Kommunen machen, gilt
nur für notverwaltete Kommunen. Für alle anderen gilt
diese Ausnahme nicht.
Christoph Hartmann ({1})
({2})
Das heißt, dieses Gesetz bestraft die Kommunen, die gut
und wirtschaftlich arbeiten. Sie haben damit die Probleme nicht beseitigt.
({3})
Sie differenzieren nicht nach Branchen, Sie differenzieren auch nicht nach Größe der Unternehmen oder
nach Regionen. Dieses Gesetz ist Gleichmacherei, es
geht an der Wirklichkeit vorbei. Dass Planwirtschaft
nicht funktioniert, hat man in der DDR gesehen. Das was
Sie jetzt hier einführen, ist Planwirtschaft light.
({4})
- Herr Kollege, ich kenne die Probleme schon deswegen, weil ich selbst Inhaber einer kleinen Firma bin, die
ausbildet.
({5})
- Ja, dafür muss man sich in diesem Haus wirklich mittlerweile entschuldigen.
({6})
90 000 Schülerinnen und Schüler verlassen unsere
Schulen ohne Abschluss. 25 Prozent - das wissen wir
seit PISA - haben große Probleme beim Lesen und beim
Rechnen. 15 Prozent schaffen die Ausbildung nicht. Wir
brauchen flächendeckend theoriegeminderte, zweijährige Ausbildungsberufe. Schwächere Jugendliche brauchen eine Chance.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zweite
Problem ist die Höhe der Auszubildendenvergütungen.
({8})
- Herr Tauss, dieser Meinung ist übrigens nicht nur die
FDP. Ich zitiere den Sprecher des Arbeitskreises Arbeit
und Soziales der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung,
Herrn Höpfner: „Die Kosten der Ausbildung sind zu
hoch.“
Tausende von Auszubildenden verdienen in außerbetrieblichen Ausbildungen weniger als 200 Euro. Wir
wollen, dass es betriebliche Ausbildungen gibt. Aber wir
sind der festen Überzeugung, dass es besser ist, Menschen für 350 Euro auszubilden, als sie für 750 Euro
nicht auszubilden.
({9})
Die weiteren Hindernisse müssen weg: Die Ausbildungszeiten müssen entschlossen differenziert und flexibilisiert werden. Die immer noch reichlich vorhandenen
bürokratischen Hemmnisse müssen abgebaut werden.
Die Präsenz der Auszubildenden im Betrieb muss gesteigert werden.
Dieses Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz ist der
falsche Weg. Es ist bürokratisch. Es ist planwirtschaftlich. Es belastet die Wirtschaft. Es ist unsozial, weil es
Arbeitsplätze verhindert. Es stellt dem Kabinett eine einmalige Möglichkeit zur Verfügung, nämlich per Knopfdruck zu entscheiden, ob diese Ausbildungsplatzabgabe
kommt. Damit öffnet es der Willkür Tür und Tor.
Die Wirtschaft braucht aber Vertrauen, damit Arbeitsplätze entstehen.
({10})
Sie bezeichnen Unternehmer, die Deutschland verlassen,
als „vaterlandslose Gesellen“. Dieses Gesetz wird dazu
führen, dass es weitere „vaterlandslose Gesellen“ nach
Ihrer Definition gibt ({11})
nicht weil die Betriebe dieses Land verlassen wollten,
sondern weil diese Betriebe dieses Land verlassen müssen.
({12})
Ich erteile das Wort
({0})
Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! In wenigen Monaten beginnt das
neue Ausbildungsjahr. Für viele - zu viele - jugendliche
Schulabgängerinnen und Schulabgänger gibt es bisher
keinen Ausbildungsplatz.
Wir wissen aber auch, dass der Wirtschaft in den
kommenden Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung immer mehr Fachkräfte fehlen werden. Der
deutliche Rückgang der Jahrgänge von jungen Menschen, die in den Beruf gehen, ab dem Jahre 2009 führt
nach Einschätzung aller Experten zu einem Fachkräftemangel von rund 3,5 Millionen Menschen allein in der
Altersgruppe zwischen 30 und 45. Das ist gerade die Altersgruppe, von der die Innovationskraft der Wirtschaft
abhängt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren auch von der
Opposition, die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes
hängt davon ab, ob wir auch 2010 und 2015 noch ausreichend qualifizierte Fachkräfte haben.
({0})
Wir werden im globalen Wettbewerb doch nicht mit unqualifizierten Menschen bestehen können.
({1})
Deshalb sage ich Ihnen ganz ausdrücklich: Sie vertreten
nicht die Interessen der Wirtschaft,
({2})
wenn Sie diese Entwicklung ignorieren und so tun, als
gäbe es kein Problem und als könne man einfach so weitermachen. Das geht nicht.
Nichts ist schlimmer für einen Jugendlichen, als ohne
qualifizierte Ausbildung in das Leben starten zu müssen,
auf das Abstellgleis geschoben und nicht gebraucht zu
werden. Das ist für junge Menschen eine sehr harte Erfahrung.
({3})
Dieses Problem wird in den kommenden Jahren nicht
geringer, sondern es wird ein noch brennenderes Problem werden,
({4})
weil die Zahl der Jugendlichen noch bis zum Jahre 2010
steigt.
({5})
Ein weiteres Problem. Nur rund die Hälfte der Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten bildet überhaupt
noch aus.
({6})
Wenn sich in einem dualen Berufsbildungssystem zu
viele Unternehmen und Betriebe der Verantwortung für
ihre eigene Zukunft entziehen, indem sie nicht genug
qualifizierte Fachkräfte ausbilden,
({7})
dann entzieht sich dadurch das System der beruflichen
Ausbildung seine eigene Existenzgrundlage.
({8})
Dazu habe ich von den Rednerinnen und Rednern der
Opposition kein einziges Wort gehört, auch nicht von Ihnen, Frau Böhmer. Sie haben keinen einzigen konkreten
Vorschlag gemacht, wo die Jugendlichen ausgebildet
werden sollen.
({9})
Sie sollen zwar weder zusätzlich in den Betrieben noch
in den Verwaltungen ausgebildet werden. Aber wo sollen sie denn ausgebildet werden? Fachkräfte fallen nicht
vom Himmel; sie müssen ausgebildet werden. Daher
brauchen wir Betriebe, die ausbilden!
({10})
Inzwischen, meine sehr geehrten Herren und Damen,
werden öffentliche Mittel in Höhe von 10 Milliarden
Euro in die berufliche Ausbildung investiert.
({11})
Genau das ist die schleichende Verstaatlichung der beruflichen Ausbildung, die Sie hier immer beschwören.
Wir wollen sie nicht. Ich halte eine Verstaatlichung für
eine falsche Entwicklung.
({12})
Im Gegenteil, wir müssen wieder mehr Betriebe für die
berufliche Ausbildung gewinnen. Darum geht es.
({13})
Den Vorzug der Ausbildung in Betrieben und Schulen,
den die Regierungsfraktionen und ich nicht preisgeben
wollen, können wir nicht einfach durch eine staatliche
Ausbildung ersetzen.
({14})
Deshalb macht mir die Entwicklung der letzten Jahre so
große Sorge.
In den letzten Jahren hat sich die Situation kontinuierlich verschlechtert. Im Jahre 2003 ist die Anzahl der
Ausbildungsplätze wiederum zurückgegangen. Inzwischen sind in den alten Ländern rund 50 000 Ausbildungsplätze, in den neuen Bundesländern rund
26 000 weggefallen.
({15})
Damit befinden wir uns wieder auf dem Tiefstand der
Jahre 1997 und 1998, den Jahren, in denen noch CDU/
CSU und FDP dieses Land regiert haben. Das ist also
eine Entwicklung, die nicht erst in den letzten drei, vier
Jahren stattgefunden hat. Wenn Sie das sagen, haben Sie
sich nicht die entsprechenden Zahlen angesehen.
({16})
Seit Anfang der 90er-Jahre gibt es diese Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte schon,
dass man sich wirklich ernsthaft mit dieser Entwicklung
auseinander setzt. Darum bitte ich Sie.
({17})
Angesichts dieser Entwicklung einfach den Kopf in
den Sand zu stecken - ich sage ganz offen, dass die Opposition hier diesen Eindruck erweckt -, das ist wirklich
die schlechteste aller Lösungen.
({18})
Vielmehr brauchen wir konkrete Vorschläge. Ich habe
immer gesagt - das gilt auch für meine Kolleginnen und
Kollegen -: Wenn es gute, konkrete Vorschläge gibt,
dann bin ich offen, sie aufzugreifen. Denn es geht uns
um das Ziel: Wir wollen mehr betriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Wir wollen, dass alle Jugendlichen ausgebildet werden. Darum geht es doch.
({19})
In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Initiativen gestartet, um die Wirtschaft bei ihren Ausbildungsanstrengungen zu unterstützen. Allein seit 1999
haben wir - wenn ich auch dieses Jahr berücksichtige - 160 Berufe modernisiert bzw. neu geschaffen, im
Übrigen auch Berufe mit zweijähriger Ausbildung.
({20})
Hier besteht überhaupt kein Grundsatzstreit. Die Unternehmen müssen das aber auch nutzen.
({21})
- Herr Hartmann, schon vor zwei Jahren haben wir für
Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, für Teilqualifikationen auszubilden.
Frau Böhmer, im Übrigen haben wir schon vor zwei
Jahren das Berufsbildungsgesetz zum ersten Mal novelliert. Ich bedauere, dass Sie als zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende das offensichtlich nicht einmal wissen; das ist - offen gesagt - nicht gerade ein
Zeichen von Qualität.
({22})
Wir haben die Benachteiligtenförderung verändert und
ein besseres Konzept entwickelt, das wirklich greift. Ich
sage ganz klar: Wir müssen auch die schulische Ausbildung deutlich verbessern. Nur wundert es mich schon,
warum die Opposition mich persönlich, aber auch meine
Fraktion, massiv angreift, weil wir, die Bundesregierung
es wagen, zu fordern, dass die schulische Ausbildung
verbessert werden soll,
({23})
es wagen, die Länder beim Ganztagsschulprogramm zu
unterstützen. Sie haben sich dagegen gestellt.
({24})
Dabei ist es doch eine wichtige Voraussetzung dafür,
dass es besser wird. Was ist denn das für eine Politik?
Sie haben ja Recht, dass die schulische Ausbildung nicht
gut genug ist. Nur, dann tun Sie gefälligst auch etwas dafür, dass sie besser wird; unterstützen Sie uns dabei!
({25})
Ich finde es gut - das will ich ausdrücklich sagen -,
dass die Fraktionen den Antrag eingebracht haben, der
zum Inhalt hat, über den Gesetzentwurf hinaus einen
Pakt für Ausbildung zu schließen. Ich halte das deshalb
für so gut, weil ich persönlich davon überzeugt bin, dass
freiwillige Lösungen immer besser sind als Gesetze.
Auch das Gesetz über die Umlage nimmt deshalb genau
diesen Grundgedanken auf und setzt auf Subsidiarität;
das Subsidiaritätsprinzip gilt auch in diesem Gesetz: Zunächst wird darauf gesetzt, dass die Wirtschaft aus eigener Kraft, freiwillig, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot schafft.
({26})
Das war von Anfang an der Kerngedanke und wird mit
diesem Antrag noch einmal ausdrücklich unterstrichen:
Die Wirtschaft ist und bleibt verantwortlich für die berufliche Ausbildung; das wird auch durch dieses Gesetz
nicht geändert. Der Ball liegt jetzt im Feld der Wirtschaft: Stellt sie bis zum Herbst genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung, wird der Mechanismus des Gesetzes nicht ausgelöst und keine Umlage erhoben. Ich hoffe
sehr, dass die Wirtschaft diesen Ball aufnimmt und dass
sie mit Engagement und auch mit großer Bereitschaft daran mitwirkt, dass dieser Pakt ein Erfolg wird. Das ist die
Zielsetzung.
({27})
Wir müssen es schaffen - da stehen wir gegenüber der
jüngeren Generation in der Verantwortung, aber genauso
gegenüber der Wirtschaft -, dass wir nicht bloß vage
Versprechungen und gute Absichten äußern, sondern
dass wir wirklich verbindlich das Ziel sicherstellen, alle
jungen Menschen in Ausbildung zu bringen, um damit
auch die qualifizierten Fachkräfte zu gewinnen, die wir
brauchen.
Die staatliche Seite - also auch der Bund, die Länder - bleibt dabei selbstverständlich im Boot. Die Bundesregierung wird die bestehenden Programme zur Ausbildungsförderung weiterführen; wir werden sie nicht
kürzen, auch nicht einschränken. Wir werden auch in
den kommenden Jahren die Ausbildung von benachteiligten Jugendlichen - also denjenigen mit schlechten
Schulabschlüssen - finanziell unterstützen müssen. Das
können und werden wir nicht allein der Wirtschaft übertragen; da muss auch die staatliche Seite kräftig mithelfen, damit es auch weiterhin gelingt. Deshalb werden wir
das auch in Zukunft tun.
Ich baue darauf, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung aus eigener Kraft mit gutem Willen gerecht
werden. Es kann und darf nicht dabei bleiben, dass nur
ungefähr die Hälfte aller Betriebe überhaupt ausbildet,
Jugendliche auf der Straße stehen und die Wirtschaft damit ihren entscheidenden Wettbewerbsvorteil verspielt.
({28})
Mit dem Ausbildungspakt machen wir der Wirtschaft
noch einmal ein ganz konkretes Angebot. Wenn es nicht
zur Erhebung der Umlage kommt, dann deshalb, weil in
unserer Gesellschaft endlich wieder - freiwillig - all die
Kraft für Ausbildung mobilisiert wird, die - ich glaube:
immer noch - in ihr steckt. Es wäre die beste Lösung für
alle Beteiligten.
Ich bedanke mich.
({29})
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Lensing, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Meine Kollegen! Der abstruse Kalauer „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt!“ wird heute durch den vorgelegten Gesetzentwurf mit bitterem Ernst bestätigt.
({0})
Daran ändern auch die Ausführungen von Frau Bulmahn
und die von Ihnen in Panik nachgeschobenen Anträge
nichts. Das Nachschieben von Anträgen bestätigt nur
Ihre spürbare und täglich wachsende Unsicherheit.
({1})
Die Anträge zeugen von trauriger, ja sogar Mitleid
erregender Konzeptionslosigkeit in Ihren Reihen.
({2})
Sie zeugen von plumper und daher durchsichtiger Taktik
und sind Zeichen schlichter Anbiederung.
({3})
Das beweist nur eines: Der Gesetzentwurf muss von Ihrer Seite aus um jeden Preis durchgepeitscht werden,
denn der neue Parteivorsitzende flattert schon genug,
nicht nur in einzelnen Punkten, sondern durchgehend.
({4})
Das alles ist bitter, weil durch dieses unrühmliche
Verfahren den Jugendlichen, denen unser aller Sorge
gilt, bedauerlicherweise nicht geholfen wird. Ihr Gesetzentwurf ist bei objektiver Betrachtung in jeder Hinsicht
kontraproduktiv: Er belohnt und bestraft die Falschen, er
verstärkt die Arbeitslosigkeit, er verschärft die Krise bei
der Berufsausbildung. Das werde ich Ihnen im Rahmen
meiner Rede beweisen.
Wenn die Bundesregierung heute Morgen hier nicht
hinreichend präsent ist, dann zeigt das für mich ihre subtile Distanzierung von der Politik der eigenen Regierungsfraktionen speziell in dieser Frage.
({5})
Sie können es doch nicht leugnen, meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen: Ihre Abgabe stellt
eine gewaltige Fehlsteuerung planwirtschaftlichen Ausmaßes dar, ist inhaltlich Nonsens und wird fatale Folgen
haben.
({6})
Zum einen wird die Schaffung kostengünstiger Ausbildungsplätze gefördert, kostenintensiver dagegen verhindert. So erhalten Jugendliche oftmals staatlich gelenkte
Ausbildungen, mit denen später kein Job zu gewinnen
ist. Zum anderen werden diejenigen bestraft, die heute
noch Arbeitsplätze schaffen. Denn durch die Bemessung
der Abgabe auf die versicherungspflichtig Beschäftigten
ist sie in Wirklichkeit eine Arbeitsplatzsteuer.
({7})
Das ist eine Politik, die nicht den Jugendlichen dient.
Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir, Frau Bulmahn, stecken den Kopf angesichts der Realität nicht in den Sand, sondern Sie tun
dies.
Ganz abgesehen davon - das ist aber nicht meine primäre Sorge - durchkreuzt die Bundesregierung mit diesem Gesetz ihre eigenen Ziele, nämlich die Bürokratie
abzubauen, die Lohnnebenkosten zu senken und die Tarifautonomie zu stärken.
({8})
Ich wiederhole es: Ihr Entwurf ist falsch gedacht und
schlecht gemacht. Sonst würden Sie heute nicht einen
weiteren Antrag einbringen, der der Intention Ihres eigenen Gesetzentwurfs grundlegend widerspricht. Sie,
meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, müssen sich schon entscheiden, was Sie eigentlich
wollen: Antrag oder Gesetz. Beides zusammen geht
nicht. Ein anderes Handeln würde an Schizophrenie
grenzen, der Wahnsinn würde wieder einmal traurige
Triumphe feiern.
Sie schieben einen Entschließungsantrag nach, um einen Sinneswandel zu suggerieren. Gleich 23 Änderungen an ursprünglich 25 Paragraphen vorzunehmen zeugt
nicht von Qualitätsarbeit, sondern von totaler Unsicherheit.
({9})
Die Abgabe wird trotz eines eventuell geschlossenen
Paktes mit der Wirtschaft ausgelöst, wenn - allein nach
Kabinettsmeinung - diese Vereinbarung „für die Zielerreichung nicht geeignet ist“. Gemeint sind hier wohl
allein die Ziele der Regierung. Das ist Politik nach Gutsherrenart.
({10})
Es ist sicherlich richtig, dass Praktikanten, Volontäre
und Auszubildende an Berufsakademien jetzt zu den
Auszubildenden gerechnet werden. Ich frage Sie allerdings: Wieso werden nicht folgerichtig auch Firmen freigestellt, die nicht ausbilden können oder dürfen oder die
nachweislich keine Auszubildenden finden? Sie sehen es
doch selbst: Der Gesetzentwurf ist und bleibt trotz aller
Erweiterung aberwitziger Unsinn. Deswegen können wir
ihm im Interesse der Jugendlichen nicht zustimmen.
({11})
Das Problem ist ganz offenkundig: Aufgrund Ihres
mechanistischen und immer wieder ideologiefixierten
Denkens kommen Sie, weil Sie nicht mehr souverän
sind, geradezu zwangsläufig zu Ihren Ergebnissen. Im
Gegensatz zu Ihrer Partei, in der es gewöhnlich zu
Basta-Beschlüssen und Kanzlerzwang kommt, können
die Kammern, die Betriebe und die Institutionen ihre
Mitglieder eben nicht mit Druck und Gewalt zwingen,
Auszubildende einzustellen. Wie sollte das praktisch
auch funktionieren? Noch leben wir in einem freien
Staat. Ausbildungsplätze auf Knopfdruck gibt es eben
nicht - nicht einmal in Ihren Ministerien, im DGB und in
seinen Unterorganisationen.
Sie versuchen immer wieder - das ist der eigentliche
arbeitsmarkt- und bildungspolitische Skandal -, Ihre Regierungsverantwortung auf den Mittelstand abzuwälzen. Dabei unterstellen Sie, die Wirtschaft wolle erst gar
nicht ausbilden. Die Realität aber sieht anders aus; das
wissen Sie und verschweigen es. Aufgrund Ihrer Politik
kann der Mittelstand die genügende Zahl leider nicht bereitstellen. Deswegen wiederhole ich es noch einmal: Ihr
Entwurf dient nicht den Jugendlichen. Das ist ebenso bedauerlich wie traurig.
Lassen Sie mich vielleicht auch diesen Aspekte noch
ansprechen: Zugleich ist Ihr Gesetzesentwurf auch deswegen abstrus, weil auch 1992, als ein Überhang von
insgesamt rund 114 000 Lehrstellen gegenüber den Bewerbern zu verzeichnen war und somit jeder Jugendliche
eigentlich eine Stelle hätte finden können und müssen,
rund 2,4 Prozent der gemeldeten Bewerber nicht vermittelt werden konnten.
Damit von Ihnen nicht monotonartig immer wiederholt wird, wo die Vorstellungen der Union bleiben, sage
ich Ihnen ganz zum Schluss:
({12})
- Herr Tauss, stürzen Sie sich ruhig in den Katarakt der
Empörung.
Die Union fordert eben keine staatlichen Eingriffe.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also alles so laufen lassen!
Unsere Grundsätze lauten präzise: Erstens. Freier Wille
anstatt staatlicher Bevormundung. Zweitens. Eigeninitiative anstatt rot-grünem Zwang. Drittens. Marktwirtschaft anstatt blinder Plansollerfüllung.
({13})
In diesem Sinne hat die CDU/CSU eine Reihe von
Lösungsvorschlägen eingebracht. Ich denke nur einmal
an unsere Anträge für die Wirtschafts-, die Finanz- und
die Arbeitsmarktpolitik, durch die wichtige Voraussetzungen für die Bereitstellung geeigneter Ausbildungsplätze geschaffen werden sollen.
({14})
Schließlich wollen wir - unser entsprechender Entwurf
liegt bereits vor; Frau Kollegin Böhmer hat bereits darauf verwiesen - die Berufsausbildung modernisieren,
flexibilisieren, dynamisieren und internationalisieren.
({15})
- Sie haben es wohl nicht begriffen, obwohl Sie es bereits gelesen haben.
Mit unserer Novelle wird die Ausbildung tatsächlich
schneller, günstiger und zielgerichteter verlaufen. Damit
gehen wir konkret und nicht durch eine Symbolpolitik
auf die Sorgen und Nöte der Jugendlichen ein, die eine
Lehrstelle suchen. Wir bieten Anreize und setzen auf Erleichterung.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Werner
Bertl, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die betriebliche Ausbildung ist nach wie vor eine
großartige Gemeinschaftsleistung eines Teils unserer
Wirtschaft. Wir alle wissen: Keine Delegation fährt von
hier aus ins Ausland, ohne dort erfolgreich für praxisorientierte und betriebsnahe Ausbildung zu werben. Dazu
passt, dass das duale System mittlerweile ein deutscher
Exportschlager geworden ist.
Wir erzählen aber nicht, dass sich in Deutschland nur
noch 23 Prozent aller Unternehmen an der Ausbildung
beteiligen. Wir erzählen nicht, dass jeden Sommer Karawanen von Ministern und Oberbürgermeistern durchs
Land reisen und händeringend um Ausbildungsstellen
werben und dass Kammerpräsidenten Tausende von
Briefen an Unternehmen schicken, um Ausbildungsstellen zu mobilisieren.
({0})
Wir erzählen nicht, dass im letzten Ausbildungsjahr unter den insgesamt 720 000 jugendlichen Bewerbern
330 000 so genannte Altbewerber waren, die schon mindestens einmal keine Ausbildungsstelle gefunden haben.
Sie sind weiß Gott nicht alle ungeeignet gewesen.
({1})
Wir erzählen nicht, dass unser duales Ausbildungssystem tatsächlich kurz vor dem Kollaps steht und nur
noch funktioniert, weil schon heute umgelegt wird:
durch Vereinbarungen in der Bauindustrie, durch Vereinbarungen im Bereich Chemie und durch öffentliche Mittel in Höhe von 10 Milliarden Euro. Jetzt liegt es wieder
einmal auf dem Tisch: das Angebot der Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Ich sage Ja zur Selbstverpflichtung
der Wirtschaft, aber nur wenn wir Beweise haben, dass
sie eingehalten wird. Ich sage das nicht leichtfertig, aber
die Bilanz der Selbstverpflichtung der deutschen
Wirtschaft ist eine Bilanz des Versagens und des Täuschens.
({2})
Sehen Sie sich den „Spiegel“ von vor drei Wochen an,
dann wissen Sie um die Bilanz gebrochener Versprechen
der Wirtschaft: Klimaschutz, Altautoverwertung, Dosenpfand, Gleichberechtigung, Benzinverbrauch, Lehrstellen. - Und dann kommt die Entschuldigung: Olaf
Henkel erklärt die Selbstverpflichtung zur reinen Notwehr. Das heißt im Umkehrschluss, bei Nichterfüllung
war es eine Notlüge und damit eine lässliche Sünde.
Jetzt stehen wir vor der Frage: Was tun? Sollen wir
nach dem Prinzip von Hoffnung und Glauben die Existenz von Tausenden von jungen Menschen in die Disposition einer möglichen Notwehrmaßnahme der Wirtschaft geben oder schaffen wir es, Verbindlichkeiten
herzustellen?
({3})
Diesmal greifen wir zur Notwehr - Notwehr für die jungen Menschen in unserem Land, die einen Anspruch auf
Ausbildung haben und Notwehr für unsere Wirtschaft,
die vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung schon in wenigen Jahren von uns Hilfe in Form von
ausgebildeten und qualifizierten Fachkräften erwarten
wird. Wir alle wissen, wie lange es dauert, junge Menschen zu qualifizierten Fachkräften in unserem Land
auszubilden: drei bis dreieinhalb Jahre Ausbildung, zwei
bis drei Jahren zusätzliche Qualifikation. Das heißt, es
geht um einen Zeitraum zwischen fünf und sieben Jahren, in dem wir die Menschen ausbilden müssen.
Vor diesem Hintergrund kann es doch nicht sein, dass
die Wirtschaft die Regierung erpresst. Wir sitzen hier
doch nicht an einem Pokertisch und zocken um die Zukunftschancen unserer Jugend,
({4})
ganz nach der Devise: weg mit dem Gesetz, dann gibt es
Lehrstellen. Vor dem Hintergrund so vieler gebrochener
Versprechen können wir das nicht mehr glauben. In dieser Frage können wir der Wirtschaft nicht nur nicht
trauen, nein, wir müssen die Wirtschaft überdies davor
bewahren, sich selbst zu schaden.
({5})
Sie braucht nämlich hoch qualifiziertes Personal.
({6})
Viele fragen nun: Muss das Gesetz so kompliziert
sein? Ich sage: Ja, leider; denn jene, die das alles nicht
wollen, haben dann um Ausnahmen gebeten. Dadurch
wurde das Gesetz zwangsläufig kompliziert. Bei allen
Klagen: Sind nicht die Handwerksordnung und das Industrie- und Handelskammergesetz ebenfalls hochkompliziert? Trotzdem sollen wir, wenn es nach der Wirtschaft geht, davon die Finger lassen.
({7})
Für mich viel entscheidender ist eine andere Frage:
Wie kompliziert ist das Leben in einer Familie, deren
Kinder ein, zwei oder drei Jahre vergeblich nach einer
Ausbildungsstelle gesucht haben?
({8})
Wie kompliziert - viel schlimmer: wie aussichtslos verläuft das Leben eines jungen Menschen, dessen weitere Lebensplanung durch eine fehlende Ausbildung infrage gestellt wird? Welche gesellschaftlichen Kosten
haben wir im Nachhinein zu tragen? Woher nimmt die
Wirtschaft eigentlich in fünf, sechs, sieben oder acht Jahren Fachkräfte? Dann reicht eine Greencard nicht mehr.
Für mich immer wieder faszinierend ist in Gesprächen mit der Wirtschaft, mit dem Handwerk und dem
Handel der Appell an die Politik: „Nehmt euch ein Beispiel an den anderen Ländern!“ Und dann hört man beliebig genehme Beispiele. Ich nehme jetzt auch einmal
ein Beispiel und frage:
({9})
Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen deutschen und dänischen Unternehmern? Louise Pihl vom
dänischen Arbeitgeberverband sagt - das war gestern in
der „Stuttgarter Zeitung“ zu lesen -, in Dänemark funktioniere ein solches System der Umlage, das vom dänischen Parlament 1977 beschlossen wurde, seit langem
prima;
({10})
die solidarische Umlage habe die Bereitschaft der Arbeitgeber gestärkt, Ausbildungsplätze anzubieten.
({11})
Sind wir in unserem Land so viel anders als die Dänen? Haben wir eine andere Vorstellung von Verantwortung für die Generation unserer Kinder? Haben wir eine
andere Moral, andere Vorstellungen von Wirtschaft? Leben und wirtschaften wir in unserem Land etwa auf Teufel komm raus nach der Devise: Uns fällt schon etwas
ein, wenn es nicht mehr geht. Als letztes Mittel hilft bei
uns immer der Gang der Lobby in das Parlament. Denen
pressen wir, wenn es nötig ist, die Finanzierung der
Fachkräfte aus den Rippen bzw. aus den Haushalten?
Kollege Bertl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Nein. - Das alles ist in den 60er- und 70er-Jahren passiert. Damals hatten wir das größte Umlagesystem in
diesem Land. Damals haben die Beitragszahler mit ihren
Beiträgen zur Bundesanstalt für Arbeit die Qualifizierung von Fachkräften, die die Wirtschaft dringend benötigt hat, bezahlt.
So etwas kann eine Lösung sein. Dann muss aber ehrlich verhandelt werden, sonst verabschiedet sich die
Wirtschaft aus der Verantwortung für die duale Ausbildung. Das wollen wir nicht. Für mich ist das Lamento
über dieses Gesetz, welches wir in den nächsten Wochen
zu erwarten haben, nicht von Belang. Wir haben es angepasst und die notwendigen Ausnahmen geschaffen. Ganz
entscheidend ist, dass im Gesetz - einmalig in unserem
Land - keine festen Zahlen definiert wurden. Auslösekriterium ist vielmehr der Tatbestand, den wir verbindlich haben wollen. Wir entwickeln so einen Weg zwischen Wirtschaft und Bundesregierung, der im Ergebnis
etwas mit Moral - das kann auch in der Wirtschaftspolitik nicht schaden - zu tun hat:
({0})
Verantwortung für die Generation unserer Kinder verbindlich wahrzunehmen heißt: Her mit den Ausbildungsstellen! Dann liegt dieses Gesetz nicht als Drohung, sondern als Notwehr für die junge Generation in unseren
Schubladen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kretschmer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesministerin stellt sich hier hin und sagt: Jeder Jugendliche soll einen Ausbildungsplatz bekommen.
({0})
Vor einem Jahr hat der Bundeskanzler den Jugendlichen
genau dasselbe versprochen. Was ist daraus geworden?
Diese Bundesregierung will nur noch. Sie will die
Jugendlichen unterbringen, sie will einen ausgeglichenen Haushalt, sie will die Halbierung der Arbeitslosigkeit - nur, in der Wirklichkeit sieht alles anders aus. Tatsache ist doch: Sie bekommen einfach nichts mehr hin.
({1})
Was ist die Lösung? Die Lösung besteht Ihrer Meinung nach in Verschleierung. Die Ausbildungsplatzabgabe ist ein dreistes Ablenkungsmanöver von den wirklichen Ursachen des Lehrstellenmangels. Seit 1998 sind
über 191 000 Unternehmen in Deutschland wegen Ihrer
Wirtschaftspolitik kaputtgegangen.
({2})
Die Binnennachfrage war noch nie so gering wie heute.
Der Einzelhandel klagt über eine enorme Kaufzurückhaltung. Das duale System, das hier und heute viel beschrieben worden ist, lebt aber von der Dynamik der
Wirtschaft. Es kann kein konjunkturunabhängiges Lehrstellenangebot in diesem System geben.
({3})
Wenn wir keine Verschulung wollen, was auch von
Ihnen, Herr Tauss, oft genug erklärt worden ist, dann hat
die Politik nur zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, die Hemmnisse für die Ausbildung so gering wie
möglich zu machen.
({4})
Das fängt bei der Ausbildungsvergütung an, geht weiter
über die Abschaffung bürokratischer Regeln bis hin zur
Schaffung zweijähriger Ausbildungsberufe, von denen
uns Frau Bulmahn sagt, es gebe eine ganze Reihe. Von
350 Ausbildungsberufen in Deutschland sind ganze 30,
also nicht einmal 10 Prozent, zweijährig. Das ist die
Realität in diesem Land.
({5})
Die zweite Möglichkeit besteht in einer Wirtschaftspolitik, die für Wachstum sorgt. Wenn das Wachstum
gesichert ist, dann haben die Unternehmen in Deutschland eine Zukunft. Ein Unternehmen, das eine Zukunft
hat, wird auch ausbilden. Denn Ausbildung bedeutet für
die Jugendlichen, aber auch für die Unternehmen eine
Investition in die Zukunft. In Deutschland besteht das
Problem darin, dass die Unternehmen für sich keine Zukunft in diesem Land sehen.
({6})
Wer das ignoriert oder umdreht, der handelt so, als wenn
er die Erde noch einmal zur Scheibe erklären würde.
Die Folgen werden besonders für die neuen Bundesländer dramatisch sein. Denn Fakt ist, dass die Ausbildungsquote in den neuen Ländern mit 5,9 Prozent wesentlich höher ist als in den alten Ländern mit
4,7 Prozent. Es ist die Arroganz der Macht, die dafür
sorgt, dass Sie sich nicht fragen, woran das liegt und
welche Möglichkeiten es gibt, bewährte Regelungen aus
den neuen Bundesländern auf die alten zu übertragen
und damit das Problem zu lösen. In den neuen Ländern
haben sich - anders als in den alten Bundesländern Kammern, Gewerkschaften, öffentliche Verwaltungen
und Betriebe eine Reihe von Freiheiten zugestanden. Die
Vergütung ist in Teilen geringer; denn wer ausbildet, darf
nicht durch ein hohes Entgelt abgeschreckt werden. Ausbildungsplatzentwickler beraten die Betriebe und Ausbildungsverbünde unterstützen gerade die kleinen Unternehmen. Die neuen Länder zeigen, dass es auch in einem
schwierigen wirtschaftlichen Umfeld möglich ist, neue
Ausbildungsplätze zu schaffen, wenn man den Beteiligten die Freiheit bietet, für sich selbst zu arbeiten.
({7})
Deshalb quälen wir Sie seit Monaten mit unseren Vorschlägen zur Reform des Berufsbildungsgesetzes.
({8})
Unsere Aufforderung an Sie kann nur lauten: Modernisieren Sie endlich die Berufsausbildung! Das ist unsere
Antwort auf den Amoklauf von Rot-Grün bei der Ausbildungsplatzabgabe.
({9})
Das Problem in Ostdeutschland ist nicht die Ausbildungsquote, sondern die Unternehmenslücke. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat errechnet, dass
gemessen an der Einwohnerzahl 100 000 Unternehmen
fehlen. Eine Folge davon ist, dass es an Ausbildungsbetrieben mangelt.
Tatsache ist deshalb, dass in Ostdeutschland staatliche
Förderung zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze
auch zukünftig unabdingbar ist. Deswegen gibt es ein
Ausbildungsprogramm, mit dem zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden sollen, um den jährlich
15 000 Jugendlichen ab 16 Jahre, die ihre Ausbildung
fern der Heimat beginnen und zwischen Ost- und Westdeutschland pendeln, eine Chance zu bieten. Bisher sind
mit diesem Programm 14 000 Ausbildungsplätze entstanden. Aber ausgerechnet in diesem Jahr, in dem die
Probleme sehr groß sind, will Rot-Grün das Programm
kürzen und 4 000 Plätze streichen. Das nenne ich schofelig, und zwar zum einen gegenüber den Jugendlichen in
unserem Land und zum anderen in der politischen Argumentation.
({10})
Sie erzählen uns, dass Sie die Ausbildungsplatzabgabe
erst im Herbst auslösen wollen, wenn die Quote bis dahin nicht erreicht wird. Parallel dazu kürzen Sie aber das
Programm, um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung
zu konstruieren. Das ist in der Tat schändlich!
In Ost wie West gibt es Unternehmen mit einer hohen
Ausbildungsquote. Ich habe unlängst eines davon besucht, das 80 Auszubildende hat und eine Ausbildungsquote von 6,3 Prozent - das liegt weit über dem ostdeutschen Durchschnitt - aufweist. In diesem Unternehmen
wurde mir deutlich gesagt: Wir wollen die Jugendlichen
übernehmen, aber das ist nur dann möglich, wenn die
wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft.
Das Unternehmen hatte vor wenigen Jahren
40 Auszubildende. Derzeit sind es 80 und in Zukunft
werden es vielleicht 100 Auszubildende sein; das richtet
sich immer nach der wirtschaftlichen Entwicklung. Deswegen fordern wir Sie auf: Kümmern Sie sich um die
Wirtschaftspolitik! Sorgen Sie dafür, dass dieses Land
vorankommt! Verzichten Sie auf die Ausbildungsplatzabgabe, schmeißen Sie sie in die Tonne! Sie schaden damit Deutschland und ganz besonders den neuen Bundesländern und dem Aufbau Ost.
({11})
Lieber Kollege Kretschmer, ich gratuliere Ihnen im
Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag.
({0})
Nun erteile ich Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es um Ausbildung geht, wird häufig auch über die
PISA-Studie geredet. Wenn man sich die Reden in diesem Haus zu Gemüte führt, sollten wir das bedenken.
Herr Hartmann, ich habe während Ihrer Rede festgestellt
- ich glaube, dieses Problem hat auch etwas mit der
PISA-Studie zu tun -, dass Sie offenbar unseren Gesetzentwurf nicht gelesen haben.
({0})
- Ja, oder Sie haben ihn nicht verstanden.
Sie behaupten, die Ausnahmeregelungen zugunsten
der Kommunen würden nur im Falle von Insolvenz oder
finanziellen Problemen gelten. Lieber Herr Hartmann,
lassen Sie sich Folgendes gesagt sein: Auch in unseren
Reihen gibt es viele, die sich um die Kommunen sorgen. Wir haben lange über den vorliegenden Gesetzentwurf diskutiert und wesentliche Dinge festgelegt. Es
wird berücksichtigt, wenn sich die Kommunen, egal ob
kleine oder große, in der Ausbildung von jungen Leuten
oder beispielsweise in Ausbildungsgängen engagieren,
die nicht dem dualen System zugerechnet werden - wir
haben alle entsprechenden Bereiche im Gesetz ausgenommen -, oder wenn sie in der Arbeitsmarktpolitik
bzw. in der Arbeitsmarktintegration initiativ werden. Ich
empfehle auch Ihnen von der FDP, unseren Gesetzentwurf zu lesen. Vielleicht kochen Sie dann Ihre Kritik auf
kleinerer Flamme.
({1})
Frau Böhmer hat in ihrer Rede - auch dieses Problem
scheint mir etwas mit der PISA-Studie zu tun zu haben aus Briefen, die sie vonseiten der Wirtschaft bekommen
hat, vorgelesen und wollte damit darstellen, in welcher
Situation sich die Betriebe nach Einführung der Ausbildungsplatzumlage befinden werden. Liebe Frau Böhmer,
auch hier sollte man die komplette Wahrheit sagen. Es ist
richtig, dass auch wir solche Briefe erhalten haben und
die Bedenken der Wirtschaft kennen. Aber wir haben
auch viele Briefe erhalten, in denen junge Leute ihre jahrelange Odyssee bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz beschreiben. Wir haben Briefe von Ausbildungsträgern und Eltern bekommen, in denen
beschrieben wird, dass junge Leute kein Ausbildungsplatzangebot erhalten, obwohl sie von Pontius zu Pilatus
laufen und obwohl sie fit und ausbildungswillig sind.
Das akzeptieren wir nicht.
Kollegin Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Pinkwart von der FDP-Fraktion?
Herr Präsident, das tue ich nicht; denn ich habe gerade von Frau Böhmer gelernt, dass wir in dieser Debatte
keine Zwischenfragen zulassen. Ich möchte also fortfahren.
({0})
Die neuen Zahlen belegen, dass die Lehrstellenlücke
größer wird. Das ist ein riesengroßes Problem. Deswegen habe ich eben die Briefe angesprochen, in denen beschrieben wird, was aufseiten der Jugendlichen geschieht. Aber die Hinweise in den Briefen aus der
Wirtschaft zeigen auch, dass wir in Zukunft unter einem
Facharbeitermangel leiden werden. Wir müssen dieses
Problem ebenfalls lösen. Diesem Zweck dient die Ausbildungsplatzumlage.
Die Umlage ist - auch das sage ich - kein Selbstzweck. Ich weiß, dass es harte Debatten - auch in unserer Fraktion - über dieses Instrument gibt, das dem Erreichen des Ziels dient, mehr Ausbildungsplätze zu
schaffen. Es gibt grundsätzliche Einwände, die sich darauf beziehen, dass die Eigeninitiative im Vordergrund
stehen muss. Auch für uns ist Eigeninitiative wichtig;
denn wir wollen ja das duale System fördern, weil es ein
Pfund für Deutschland ist. Da wir diese in der Debatte
über unseren Gesetzentwurf erhobenen Einwände sehr
ernst nehmen, haben wir Folgendes hinzugefügt: Der
von der Wirtschaft angekündigte Ausbildungspakt wird
Vorrang haben. Des Weiteren werden tarifvertragliche
Lösungen, die dem Schließen der Ausbildungsplatzlücke
dienen, Berücksichtigung finden.
Es ist wichtig, Folgendes deutlich zu machen: Wir akzeptieren die bestehende Ausbildungsplatzlücke nicht.
Wir wollen das duale System fördern und die betriebliche Ausbildung stärken. Nur in dem Fall, dass die Wirtschaft nicht initiativ wird und nicht Ausbildungsplätze in
ausreichender Zahl zur Verfügung stellt, werden wir das
Instrument der Ausbildungsplatzumlage auf den Weg
bringen.
({1})
Zu der Debatte über die Ausbildungsplatzabgabe
möchte ich Ihnen noch Folgendes sagen: Der momentan
zu beobachtende öffentliche Machtpoker ist unseriös.
Das, was uns die Wirtschaft anbietet, ist schizophren. Sie
sagt auf der einen Seite: Wir wollen den Pakt. Auf der
anderen Seite sagt sie: Wir schließen diesen Pakt vermutlich nicht, wenn ihr dieses Gesetz verabschiedet. Das
ist doch merkwürdig. Dieses Gesetz schreibt fest: Die
Umlage greift nicht, wenn die Wirtschaft einen Pakt
schließt. Gleichzeitig sagt die Wirtschaft: Wir wollen einen Pakt. Mit Hinweis auf das Gesetz will sie ihn aber
nicht schließen. Das verstehe wer will.
({2})
Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist viel zu
ernst, um weiterhin solche Spielchen zu treiben.
({3})
- Spielchen macht die Wirtschaft, wenn sie die von mir
gerade erwähnten Drohungen ausspricht. Spielchen
macht die Wirtschaft, wenn sie sagt: Wir wollen den
Pakt; aber wir schließen ihn nicht, wenn das Gesetz verabschiedet wird. Das ist ein Spielchen, das ist ein Machtpoker.
({4})
Die Bevölkerung hat das längst begriffen. 57 Prozent
der Menschen in diesem Land sagen, dass in dieser
Situation die mit diesem Gesetz beschlossene Umlage
der richtige Schritt ist. Ein Großteil der Bevölkerung
sagt aber auch: Eigeninitiative hat Vorrang. Dem schließen wir uns an.
Wir haben uns mit vielen Einwänden auseinander gesetzt. Ich sprach schon vorhin von den Problemen der
Kommunen. Wir sind darauf eingegangen. Wir haben
uns natürlich damit auseinander gesetzt, wie es möglich
ist, die betriebliche Ausbildung zielgerichtet zu unterstützen. Dabei haben wir zum Beispiel an kleine Unternehmen gedacht, was darin zum Ausdruck kommt, dass
wir auch Bildungsverbünde unterstützen. Wir haben
uns damit auseinander gesetzt, dass es um duale Ausbildung geht. Bei Ausbildungsgängen wie denen in der
Pflege darf die Umlage natürlich nicht greifen.
Alles in allem muss ich Ihnen sagen: Auch die in unserer Fraktion geäußerten Bedenken - einige haben eine
sehr kritische Debatte geführt - sind mit den am Gesetzentwurf vorgenommenen Änderungen - Vorrang für die
Eigeninitiative; Vorrang für einen Pakt; Konzentration
auf betriebliche Ausbildung - beseitigt worden. Unsere
Fraktion unterstützt dieses Gesetz. Ich hoffe, Sie machen
da mit.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Andreas Pinkwart das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Dückert hat eben zum Ausdruck
gebracht, dass die Kommunen, insbesondere solche, die
sich in einem Haushaltssicherungskonzept befinden,
von diesem Gesetzentwurf nicht betroffen seien. Ich
möchte darauf aufmerksam machen, dass der beamtete
Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Herr
Catenhusen, im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages - er hat sich in dieser Woche annähernd zwei Stunden mit dem Gesetzentwurf und mit den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen befasst - den
vorliegenden Gesetzentwurf auf Nachfragen dahin gehend interpretiert hat, dass nicht nur Kommunen, die
sich nicht in einem Haushaltssicherungskonzept befänden, abgabepflichtig seien, sondern dass auch Kommunen, die sich in einem Haushaltssicherungskonzept befänden, durchaus abgabepflichtig sein könnten.
In § 10 dieses Gesetzentwurfs werden nämlich zwei
Bedingungen an den Härtefall geknüpft. Dabei geht es
nicht nur um die Tatsache, dass ein Arbeitgeber kommunalaufsichtlichen Notbewirtschaftungsmaßnahmen unterworfen sein müsse - ich verweise auf § 10 Abs. 1 dieses Gesetzentwurfs -, sondern auch darum, dass er
gegenüber dem Bundesverwaltungsamt zusätzlich den
Nachweis erbringen müsse, dass seine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit nicht hinreichend sei, um eine solche
Abgabe zu erbringen.
Herr Catenhusen war fest davon überzeugt, dass seine
Heimatstadt Münster in Nordrhein-Westfalen nach dem
vorliegenden Gesetzentwurf die Ausbildungsplatzabgabe zu zahlen habe, obwohl sie jetzt in ein Haushaltssicherungskonzept komme.
Die Ankündigung von SPD und Grünen, die Kommunen seien nicht betroffen, entbehrt damit jeder Grundlage. Das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere die Fraktionen auf, dies dann auch hier im Plenum und
gegenüber der Öffentlichkeit deutlich zu machen.
({0})
Kollegin Dückert, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Lieber Herr Kollege Pinkwart, das klang ziemlich
kompliziert. Sie haben auch ziemlich lange gebraucht,
um das zu formulieren.
({0})
- Ich will Ihnen damit sagen: Es ist viel einfacher. Sie
haben viele Worte für einen sehr einfachen Sachverhalt
gebraucht.
Wenn die Kommunen einem Haushaltssicherungsverfahren unterliegen - das ist der erste Punkt -, müssen sie
- das ist der zweite Punkt - einen Antrag stellen. So einfach ist das. Das ist die Voraussetzung, die erfüllt werden
muss.
({1})
Ich erteile Kollegen Alexander Dobrindt, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet heute darüber, dass Wirtschaftsminister Clement für kommenden Mittwoch zur
Ausbildungsoffensive 2004 einlädt:
Der Wirtschaftsminister hatte dem Vernehmen nach
kein Interesse, Bulmahn einzubinden, weil er von
ihrer Mitarbeit an einer vergleichbaren Initiative im
vergangenen Jahr enttäuscht sei.
Wer will das dem Wirtschaftsminister verdenken?
({0})
Die heutige Debatte bringt es immer mehr zum Vorschein: Ihr Gesetzentwurf zur Ausbildungsplatzumlage
ist an Absurdität kaum zu überbieten. Anstatt die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass Ausbildung in
Deutschland wieder in größerer Zahl möglich wird, versuchen Sie, diejenigen zu bestrafen, die unter ohnehin
schon großen Schwierigkeiten in Deutschland den Menschen Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Über ein Drittel der deutschen Unternehmen macht
überhaupt keinen Gewinn mehr. 50 Prozent aller Mittelständler haben ihr Eigenkapital nahezu vollständig
aufgebraucht. Laut der Produktionsstudie 2004 des
Fraunhofer-Institutes will jedes zweite Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre seine Produktion teilweise oder komplett nach Osten verlagern. Ihre Ausbildungsplatzabgabe macht vielen diese Entscheidung
deutlich leichter, und zwar deswegen, weil Sie den bürokratischen Unsinn in unserem Land weiter verstärken,
weil Sie die Belastungen für die Unternehmen hochschrauben und weil Ihre Politik nicht mehr verlässlich
ist.
Schauen Sie sich das Gezerre um die Ausbildungsplatzumlage auch heute wieder an! Seit Wochen erzählen
Sie öffentlich, welche Wunderwaffe dieses Gesetz für
die Schaffung neuer Ausbildungsplätze ist - einmal abgesehen von den ständigen Zwischenrufen unwesentlicher Regierungsmitglieder, die schon lange darauf hinweisen, dass es fahrlässig ist, dieses Gesetz zu
verabschieden. Aber es liegt ohnehin die Vermutung
sehr nahe, dass dieses Gesetz wohl eher einem einzigen
Arbeitsplatz liegen soll, nämlich dem des Parteivorsitzenden der SPD.
({1})
- Hören Sie doch zu!
Das „Handelsblatt“ schreibt in seiner gestrigen Ausgabe - das ist auch für Sie interessant -:
({2})
SPD-Chef Müntefering hat noch rechtzeitig die
Kurve gekriegt. Und das offenbar nicht nur aus taktischen Gründen, sondern aus der Einsicht heraus,
dass die Abgabe viel Schaden anrichten würde und
vermutlich nicht das gewünschte Ergebnis bringt.
Ich persönlich glaube, dass das „Handelsblatt“ hier einer Fehlinformation aufgesessen ist. Von Einsicht kann
überhaupt keine Rede sein. Sonst würden Sie diesen Gesetzentwurf - er ist ohnehin das Papier nicht wert, auf
dem er steht - heute zurückziehen.
({3})
Diese Ausbildungsplatzabgabe wird zu gewaltigen
Fehlsteuerungen innerhalb des Arbeitsmarktes führen.
In Branchen, in denen überhaupt keine Arbeitsplätze zur
Verfügung stehen, werden zukünftig mehr Menschen
ausgebildet werden, um anschließend auf der Straße zu
stehen und dann mit teurem Geld von der Bundesagentur
für Arbeit in Umschulungen qualifiziert zu werden. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass dies richtig ist.
Betriebe, die hart ums Überleben kämpfen und einfach nicht mehr die Kraft haben, Lehrlinge auszubilden,
werden mit zusätzlichen Kosten und Bürokratie belastet.
Dafür können sich gut verdienende Großkonzerne zukünftig über ordentliche Subventionen freuen, wenn sie
Lehrlinge zusätzlich ausbilden und die anschließend auf
die Straße setzen. Das ist Ihre Politik, meine Damen und
Herren!
Städten und Gemeinden - das ist angesprochen worden - steht das Wasser bis zum Hals. Sie werden bei der
Bezahlung mit dabei sein und sie werden sich das Geld
über die Gewerbesteuer bei den Unternehmen wiederholen. Auch das ist Ihre Politik.
Sie schaden mit diesem Gesetz den Jugendlichen und
Sie schaden der Wirtschaft. Es ist beschämend, wenn in
dieser wirtschaftlich katastrophalen Situation, für die die
Bundesregierung verantwortlich ist, ein bürokratisches
Monstrum geschaffen wird, nur um Ihre Gewerkschaften
und linken Ideologen zu bedienen, die gern einmal wieder die Lieder vom Klassenkampf singen würden. Das
ist der wahre Grund.
({4})
Die eigentlich wichtige und richtige Aufgabe bleibt,
dafür zu sorgen, dass junge Menschen in diesem Land
wieder eine Perspektive bekommen, eine echte Zukunftschance, die ihnen auch nach einer erfolgreichen Lehre
die Möglichkeit bietet, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Dazu muss die wirtschaftliche Wachstumsschwäche unterbrochen werden, die Jahr für Jahr
- Sie müssen sich diese Zahl einmal vor Augen halten 40 000 Unternehmensinsolvenzen verursacht und die
heute die meisten Menschen davon abhält, sich überhaupt noch selbstständig zu machen.
Viele Kollegen - auch ich gehöre dazu - sind in den
Schulen sowie in den Unternehmen und Betrieben unterwegs, die ganz selbstverständlich ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sie in diesem Zusammenhang
haben, wahrnehmen wollen und mit großen Anstrengungen - auch das muss gesagt werden - in den letzten Jahren bei den Nachvermittlungen zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen haben. Diese sagen in den Gesprächen
aber auch immer wieder deutlich, dass sie an der Grenze
ihrer Leistungsfähigkeit angekommen sind, und fordern
dringend eine Entrümpelung des Berufsbildungsgesetzes
ein. Wir haben entsprechende Vorschläge gemacht, wie
die Ausbildungsplatzsituation positiv beeinflusst werden
kann. Ich fordere Sie auf, diesen unseren Vorstellungen
zu folgen.
({5})
Meine Damen und Herren, das einzig Entscheidende
und Wichtige an dieser Debatte ist, dass die Hoffnung
bleibt, dass das Engagement aller gesellschaftlichen
Gruppen dazu führen wird, dass es Ende dieses Jahres
2004 keine Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz mehr
gibt. Sie können aber sicher sein, dass, wenn es dazu
kommt, Ihr Gesetzentwurf dazu nicht beigetragen hat.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Streit um eine Ausbildungsplatzumlage hat die Jahrhundertwende überdauert und hält an. Dabei wird er mit
ganz eigenartigen Argumenten weitergeführt.
Ich will gleich vorneweg wiederholen, was ich in der
ersten Lesung gesagt habe: Die PDS im Bundestag
stimmt für eine Ausbildungsplatzumlage, obwohl, liebe
Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das vorliegende Gesetz nicht unbedingt das Gelbe vom Ei ist.
({0})
Wir sind nicht etwa für die Umlage, weil uns nun plötzlich die Regelwut erfasst hätte. Wir sind für eine Ausbildungsplatzumlage, weil es zu viele Jugendliche gibt, die
keine Lehrstelle bekommen. 35 000 Lehrstellen fehlen
nach Ansicht der Bundesregierung; allein das wäre
schon schlimm. Real sind es aber rund 200 000 und das
ist schlimmer.
Nun haben die Ministerpräsidenten Beck und
Steinbrück - beide SPD - einen Ausbildungspakt ins
Spiel gebracht. Das ist, wie ich finde, wahrlich keine
neue Idee, zumal die Hoffnung, dass die Wirtschaft von
sich aus ausreichend Lehrstellen anbietet, seit Jahren immer wieder getrogen hat. Deshalb ist der Steinbrück/
Beck-Vorstoß aus meiner Sicht unglaubwürdig. Mir sind
übrigens die SPD-internen Kontroversen weitgehend
egal. Ich halte hier für das Protokoll nur fest, dass maßgebliche SPD-Politiker im Zweifel als Anwalt der Unternehmen und nicht als Anwalt der Zukunft operieren,
ganz so wie Minister Clement beim Klimaschutz.
({1})
Unserer Meinung nach geht der so genannte Ausbildungspakt auch an der Sache vorbei. Zum Ersten soll der
Pakt zu einem Drittel durch Steuergelder finanziert werden. Mit einem solchen Pakt würden also der unbefriedigende Status quo und die Flucht der Unternehmen aus
ihrer Verantwortung noch legalisiert werden. Zum Zweiten soll der Pakt Ländersache sein. Das heißt, die Länder, die arm dran sind, bleiben auch arm, und die Länder,
in denen mehr ausgebildet werden könnte, werden aus
der Solidarität entlassen. Schließlich soll der Pakt auch
noch eine Alternative zur Umlage darstellen nach dem
Motto: Entweder-oder. Der Steinbrück/Beck-Vorstoß
trägt also obendrein auch noch erpresserische Züge.
({2})
Tatsache ist: Drei von vier Unternehmen bilden nicht
aus, obwohl viele von ihnen es könnten. Das ist unmoralisch, asozial und übrigens auch rechtlos. Regelrecht
dumm wird es, wenn dieselben Unternehmen, die nicht
ausbilden, nun drohen: Kommt die Umlage, dann bilden
wir überhaupt nicht mehr aus. Dass die Opposition zur
Rechten diesen Blödsinn auch noch durch alle Medien
trägt, spricht nicht gerade für ihre PISA-Tauglichkeit.
({3})
Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Wir hätten
gern ein besseres Gesetz. Deshalb haben wir entsprechende Änderungsanträge gestellt. Wir haben zwei
Grundanliegen: Wir wollen, dass alle Jugendlichen, egal
ob in Mecklenburg-Vorpommern, im Saarland oder in
Bremerhaven, eine Chance bekommen und nicht von der
Schulbank weg in ein ungewisses Schicksal entlassen
werden. Zweitens wollen wir, dass diejenigen, die bisher
ausbilden und es auch weiterhin tun wollen, nicht in
finanzieller Hinsicht die Dummen sind, während andere
sich durch Nichtstun eine goldene Nase verdienen.
Deshalb ist die PDS für eine Ausbildungsplatzumlage; sie ist längst überfällig. Ich hoffe, dass Sie nicht
unsere zwei Stimmen brauchen, um diese Umlage heute
durchzubekommen, sondern bis zum heutigen Morgen
genügend Überzeugungsarbeit dafür geleistet haben,
dass Rot-Grün zu diesem Gesetzentwurf bis zur Umsetzung steht.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Nicolette Kressl, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn jemand in der heutigen Debatte ausschließlich die
Rednerinnen und Redner der Opposition gehört hätte,
wäre ihm nicht klar geworden, um was es eigentlich
geht.
({0})
Denn was Sie gebracht haben, war ausschließlich Genörgel; Sie haben keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht.
({1})
Ich will Ihnen sagen, um was es geht. Es geht um
zwei wichtige Dinge: zum einen um Zukunftschancen
für junge Leute - bedeutend für die Stabilität von Gesellschaft und Demokratie ({2})
und zum anderen um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft. Die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft ist einerseits deshalb notwendig, weil wir dringend ausreichend
Fachkräfte brauchen und im Hinblick darauf lang- und
mittelfristig denken müssen, und andererseits deshalb,
weil junge Leute - ich habe immer den Eindruck, das
wird gerne vergessen -, wenn wir ihnen keine Ausbildung ermöglichen, Sozialkosten verursachen. Sie tun so,
als ob nur Unternehmen und nicht alle Bürgerinnen und
Bürger das letztlich über Steuermittel bezahlen müssten.
({3})
Das Schlechteste, was wir machen können, ist, die jungen Leute zu Sozialhilfeempfängern der Zukunft werden
zu lassen, deren Kosten wir alle gemeinsam tragen müssen.
({4})
Wir diskutieren eigentlich gern mit Ihnen über den
Weg, um das Ziel einer qualifizierten Ausbildung für alle
zu erreichen. Das Problem ist nur, dass es nichts gibt,
worüber wir mit Ihnen diskutieren könnten.
({5})
Sie legen uns zwei Vorschläge vor. Der eine beinhaltet
die Kürzung der Ausbildungsvergütung. Dazu kann ich
nur sagen: Wir wissen genau, was Tarifautonomie heißt.
Sie tun hier so, als könne der Bundestag per Gesetz beschließen, dass alle Ausbildungsvergütungen gekürzt
werden. Wir haben uns aber in allen Bereichen für Tarifautonomie eingesetzt, selbstverständlich auch in diesem.
Sie scheinen nicht zu wissen, wo welche Kompetenzen
liegen.
({6})
Ihr zweiter Vorschlag ist die Novellierung des
Berufsbildungsgesetzes, die Sie als Alternative darstellen. Da kann ich Ihnen nur sagen: Herzlich willkommen
im Klub! Schon am 9. Februar hat die Bundesbildungsministerin Eckpunkte zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes vorgelegt; denn wir wissen selbstverständlich, dass es Strukturveränderungen geben muss.
Wir haben das bereits in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wenn Sie auf diesem Weg jetzt langsam
hinterherhüpfen und behaupten, Ihre Vorschläge seien
Alternativen, dann können Sie doch nicht ernsthaft glauben, dass die Menschen nicht merken, dass Sie mit Ihren
Vorschlägen in Wirklichkeit nur hinterherhinken!
({7})
Lassen Sie mich noch einmal Folgendes deutlich machen. Gerade weil es um die Zukunft junger Leute geht,
hat Freiwilligkeit für uns in drei wichtigen Punkten Vorrang:
Erstens hat Freiwilligkeit für uns Vorrang, weil erst
am 30. September entschieden wird, ob die Instrumente
der Umlage greifen. Am liebsten wäre uns, wenn wir am
30. September feststellen könnten, dass es genügend
Ausbildungsplätze gibt, und vom Kabinett beschließen
lassen könnten, dass wir die Instrumente nicht einsetzen
müssen.
Die zweite Säule der Freiwilligkeit: Die tariflichen
Vereinbarungen sollen ausdrücklich Vorrang erhalten;
denn wir wissen natürlich, dass in branchenbezogenen
Tarifverträgen einige regionale und branchenspezifische Besonderheiten besser aufgegriffen werden können
als durch ein Gesetz. Ich kann daher nur an die Tarifpartner appellieren: Tut etwas! Ihr könnt es besser als wir!
({8})
Wenn ihr es allerdings nicht auf freiwilliger Basis hinbekommt, dann greifen die gesetzlichen Instrumente. - Für
uns sind auch zukünftig freiwillige tarifliche Vereinbarungen besser als die Anwendung dieser Instrumente.
({9})
Die dritte Säule der Freiwilligkeit: In diesem Gesetz
ist die Möglichkeit einer konzertierten Aktion verankert.
Wirtschaft, Staat und andere wichtige beteiligte Partner
sollen verbindliche Vereinbarungen hinsichtlich Ausbildungsplatzangeboten für junge Leute treffen. Auch dieser Teil des Paktes hat Vorrang vor den Instrumenten des
Gesetzes. Es ist die größtmögliche Einbindung von Freiwilligkeit, ohne dass wir uns auf den Goodwill der Beteiligten verlassen müssen.
({10})
Die jungen Leute brauchen nicht Goodwill, sondern verbindliche freiwillige Vereinbarungen. Das ist der beste
Weg.
({11})
Wenn Sie sich diesen Pakt anschauen, dann werden
Sie feststellen, dass viele der uns bekannten Probleme
aufgegriffen wurden. Wir wissen, dass es junge Menschen gibt, die die Berufsreife noch erlangen müssen.
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich den Vorschlag,
dass in Zusammenarbeit und unter Mitwirkung der Wirtschaft junge Leute über Praktikumsplätze zur Berufsreife geführt werden. Wir wissen, dass dies notwendig
ist. Der Staat nimmt seine Verantwortung wahr, indem er
entsprechende Leistungen erbringt. Das stellen wir uns
unter einer konzertierten Aktion vor. Wir begrüßen diesen Teil des Paktes ganz ausdrücklich. Auch von Herrn
Braun gab es einen entsprechenden Vorschlag.
({12})
Wir müssen gemeinsam schauen - das begrüßen wir
ebenfalls ausdrücklich, weil wir wissen, worauf es ankommt -, wie regionale Unterschiede überbrückt werden
können und wie Angebot und Nachfrage im Bereich der
verschiedenen Kammern besser zueinander gebracht
werden können. Wir sind bereit, eine entsprechende Unterstützung zu leisten; denn es macht natürlich Sinn, dass
beispielsweise die Kammer in Dresden mit der Kammer
in Stuttgart zusammenarbeitet. Die Kammern können
gemeinsam überlegen, wie Unternehmen, die verzweifelt junge Leute suchen, Informationen über die jungen
Leute bekommen können, die in den neuen Bundesländern Ausbildungsplätze suchen. Es macht Sinn, Angebot
und Nachfrage näher zusammenzubringen. Wir werden
im Rahmen des Paktes unseren Teil dazu beitragen.
Erst wenn wir erkennen würden - was ich nicht
hoffe -, dass dieser Pakt nicht greift, würden wir zu dem
Instrument einer solidarischen Umlagefinanzierung
zwischen den Unternehmen greifen. Aber auch an dieser
Stelle will ich ausdrücklich sagen: Die solidarische Umlagefinanzierung, die im Gesetz verankert ist, ist keine
Strafabgabe. Damit soll vielmehr erreicht werden, dass
Unternehmen, die viel und engagiert ausbilden, eine Förderung erhalten, die mit dem Geld derjenigen Unternehmen finanziert wird, die zu wenig oder gar nicht ausbilden.
({13})
Dies ist ein solidarisches Prinzip. Das eingenommene
Geld geht also nicht in einen staatlichen Topf und wird
nicht an die Schulen verteilt, sondern mit dem Geld der
Unternehmen, die sich weniger stark engagieren, werden
diejenigen Unternehmen unterstützt, die sich schon seit
Jahren - viele davon überdurchschnittlich - bei der Ausbildung engagieren. Deren Leistung wird auf diese
Weise stärker als bisher honoriert.
({14})
Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Realität aussieht.
Wenn Sie die mittelständischen Unternehmen fragen,
was deren Problem ist, dann hört man die Antwort - wir
haben das oft erlebt -, dass sie es nicht akzeptabel finden, dass sie seit vielen Jahren mit viel Engagement ausbilden, dass aber hinterher die Unternehmen, die nicht
ausbilden, ihnen die Arbeitskräfte wegschnappen, weil
sie etwas mehr zahlen. Dies zu verhindern ist Kern der
Umlagefinanzierung, die in diesem Gesetz enthalten ist.
Deshalb ist es wirtschaftsnah organisiert und orientiert
sich an den Interessen der Unternehmen.
({15})
Ich kann nur an die Wirtschaftsverbände appellieren:
Sie haben uns das Angebot eines Paktes mit der Wirtschaft gemacht. Wir nehmen es gerne an. Lassen Sie uns
gemeinsam zum Ziel kommen; denn das wäre die beste
Lösung! Aber eines ist für uns als politisch Verantwortliche auch klar: Wenn wir diese Lösung nicht hinbekommen, dann wissen wir, worin unsere Verantwortung besteht. Dann nehmen wir im Zweifel unsere staatliche und
politische Verantwortung wahr. Die jungen Leute haben
genau dies verdient.
Vielen Dank.
({16})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Niemand sollte hier wechselseitig unterstellen, dass wir das Thema, über das wir heute beraten,
nicht wirklich ernst nehmen und nicht nach einer Lösung
suchen.
({0})
Wir von der Union lassen uns in der Ernsthaftigkeit bei
der Suche nach einer vernünftigen Lösung von niemandem übertreffen.
({1})
Die zweite Bemerkung: Wir befinden uns im sechsten
Jahr der Regierung der rot-grünen Koalition. In diesem
sechsten Jahr der Regierung ist das Problem der Ausbildung so groß wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
182 000 Fehlplätze hat es in den zurückliegenden Jahren
zu diesem Zeitpunkt im Jahr noch nie gegeben. Seitdem
Sie regieren, vergrößert sich diese Lücke Jahr für Jahr.
({3})
Wer ist hier eigentlich Täter und wer ist Opfer? Diese
Frage wurde ja zu Anfang gestellt, Herr Kollege Brase.
Opfer sind - bedauerlicherweise und ganz eindeutig die Jugendlichen. Opfer sind die mittelständischen Unternehmen, deren wirtschaftliche Basis so gefährdet ist,
dass ihnen das Ausbilden täglich schwerer fällt. Täter
sind diese Bundesregierung und die Regierungsfraktionen. Sie sind nach sechs Jahren Regierung für das verantwortlich, was sich hier abbildet.
({4})
Damit klar wird, wer hier Opfer und Täter ist, nur
eine Zahl ins Verhältnis gesetzt: Wir haben in diesem
Moment 25 000 weniger Angebote an Ausbildungsplätzen als im Vorjahr. Wir hatten aber in diesem Jahr
40 000 Pleiten mehr als im Vorjahr.
({5})
Wenn nur die Hälfte derer, die Pleite gegangen sind,
nicht mehr ausbilden kann - was ja wohl wahrscheinlich
ist, Herr Kollege Brase -, dann ist die Verschlechterung
der Ausbildungssituation allein an der Zahl der wirtschaftlich und politisch bedingten Pleiten im Mittelstand
festzumachen. Das ist Ihre Täterschaft.
({6})
Damit Sie erkennen, wie richtig das ist, was wir hier
vortragen, ein Beispiel, das Ihnen weh tut: In zwei Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, in denen
die CSU bzw. die CDU seit Jahren eine unzweifelhaft
gute Wirtschaftspolitik macht, in Bayern und in BadenWürttemberg, gibt es keine Ausbildungsplatzlücke, sondern einen Ausbildungsplatzüberschuss.
({7})
In allen anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist, je länger sie rot regiert worden sind, die Ausbildungsplatzlücke ständig größer geworden. Je länger Rot,
desto größer die Ausbildungsplatzlücke! Wirtschaft können Sie nicht und deshalb können Sie auch keine Ausbildung!
({8})
Dann wird hier die These verkündet, dass die Sache in
Dänemark, Herr Bertl, so hervorragend laufe. Die hätten
eine Ausbildungsplatzabgabe und dort laufe es tadellos.
Wissen Sie eigentlich nicht, wovon Sie reden?
({9})
Dänemark hat - mit Abgabe - eine Ausbildungsquote
von 3 Prozent; Deutschland hat - ohne Abgabe - eine
Ausbildungsquote von 6,5 Prozent. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Beispiel, das in der Tat in die Irre
führt!
({10})
Ich kann nur hoffen, dass die Wirtschaft wegen dieses
Gesetzes, das Sie heute aus parteipolitischen und machtpolitischen Gründen durchpeitschen, den angebotenen
Pakt nicht verweigert. Ich habe große Sorge; denn unter
Druck kommen freiwillige Lösungen verdammt schlecht
zustande. Herr Brase, das wissen Sie als alter Gewerkschaftler. - Da Sie mich so kritisch anblicken, möchte
ich eine interessante Bemerkung an Sie richten, Herr
Brase: Je kleiner die Betriebe in Deutschland und je geringer der gewerkschaftliche Einfluss sind, desto höher
ist die Ausbildungsleistung.
({11})
Je größer die Betriebe und der gewerkschaftliche Einfluss in Deutschland sind, desto schlechter ist die Ausbildungsquote. Darüber sollten Sie hauptberuflich nachdenken und sich darum kümmern.
Kollege Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Niebel?
({0})
Ja, natürlich.
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Schauerte. Sie
haben zu Recht die hervorragende Wirtschaftspolitik in
Baden-Württemberg gelobt. Würden Sie mir bitte bestätigen, dass der Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, Dr. Walter Döring, von der FDP ist? Sie haben leider vergessen, zu erwähnen, dass wir dort zusammen
regieren.
({0})
Herr Kollege Niebel, Sie haben Recht. Durch gute
CDU-Wahlergebnisse haben wir es Ihnen ermöglicht,
den Wirtschaftsminister zu stellen.
({0})
Was bringt die Ausbildungsplatzabgabe? Sie bringt
mehr Bürokratie und verteuert die Ausbildung. Die
Ausbildung wird in Deutschland deutlich teurer werden.
Sie ist eine Fehlsteuerung.
({1})
Für diese Fehlsteuerung will ich Ihnen ein Beispiel
nennen, über das bisher noch nicht diskutiert worden ist.
Ich bin gestern - das soll mein letzter Punkt sein - mit
einem Unternehmenschef aus der Finanz- und Versicherungsbranche zusammengekommen. Er hat mir erklärt,
er zahle gegenwärtig pro Jahr für die Ausbildung in seinem Unternehmen 17 Millionen Euro und seine Betriebswirte hätten ausgerechnet, welche Auswirkungen
die Ausbildungsplatzabgabe für sein Unternehmen haben würde. Sie sind zu folgendem überraschenden Ergebnis gekommen: Wenn er diese 17 Millionen Euro
nicht mehr in die Ausbildung stecken und stattdessen die
Ausbildungsplatzabgabe in vollem Umfang zahlen
würde, müsste er dafür 7 Millionen Euro aufbringen. Er
würde 10 Millionen Euro an der von Ihnen organisierten
Ausbildungsplatzabgabe „verdienen“.
Es ist eine katastrophale Fehlsteuerung zu erwarten,
eigentlich gibt es sie jetzt schon. Kluge Leute sagen, die
Größe der Ausbildungslücke, die wir jetzt zu Recht beklagen, sei zum Teil aus der wirtschaftlichen Entwicklung gespeist - darüber habe ich schon gesprochen - und
sei zu einem großen Teil schon die Frühreaktion auf das
Kommende. Sie verteuern die Ausbildung in Deutschland und erweisen den jungen Menschen keinen guten,
sondern einen schlechten Dienst.
({2})
Dies ist kein guter Tag für die Ausbildung in Deutschland, leider!
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung und För-
derung des Fachkräftenachwuchses und der Berufsaus-
bildungschancen der jungen Generation, Drucksache
15/2820. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3064, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zu-
erst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
15/3113? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Än-
derungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen ge-
gen die Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordne-
ten abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Dazu liegt eine größere Zahl
von persönlichen Erklärungen nach § 31 der Geschäfts-
ordnung vor. Ich will die Namen nicht im Einzelnen vor-
tragen.
Es wurde namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze ein-
zunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abge-
geben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen, damit wir mit
den Abstimmungen weitermachen können.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer für den Entschließungsantrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 15/3066 stimmt, den bitte ich um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koa-
litionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositions-
fraktionen bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Ab-
geordneten angenommen.
Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/3067 stimmt, den bitte ich
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/
CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abge-
lehnt.
Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 15/3064 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Ausbildungsplatzab-
gabe verhindern - Wirtschaft nicht weiter belasten - Be-
rufsausbildung stärken“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer 2 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/2833
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und den Stimmen der beiden fraktions-
losen Abgeordneten gegen die Stimmen der FDP bei
Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 6: Beratung des Gesetzentwurfs der
Fraktion der FDP zur Änderung des Berufsbildungsge-
setzes. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/3042 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
1) Ergebnis Seite 9922 D
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenkundig
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Zusatzpunkt 7: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/3055 mit dem Titel „Ausbil-
dungschancen für alle jungen Frauen und Männer si-
chern - durch einen konzertierten Ausbildungspakt“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b so-
wie Zusatzpunkt 8 auf:
22 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Cajus Julius Caesar, Dr. Maria
Flachsbarth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Naturschutz im Miteinander von Mensch,
Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwicklung
- Drucksache 15/2467 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gitta
Connemann, Peter H. Carstensen ({1}),
Dr. Peter Jahr, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz stärken
- Drucksache 15/2969 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Volker Wissing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Projekt des Umweltbundesamtes zur so genannten verdeckten Feldbeobachtung stoppen
- Drucksache 15/2668 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Cajus Julius Caesar von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bewahrung der Schöpfung und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stellen für unsere Gesellschaft die zentrale Herausforderung dar. Wir als Union,
als CDU und CSU, wollen der zukünftigen Generation,
wollen unseren Kindern eine intakte Umwelt übergeben.
Dies ist aus unserer Sicht nur gemeinsam möglich: indem alle politischen Kräfte gebündelt werden und wir
gemeinsam den Weg in die richtige Richtung beschreiten. Lassen Sie uns dies im Miteinander angehen; das
bedeutet auch, Ökologie, Ökonomie und die soziale
Komponente, also drei Säulen, gleichermaßen zu berücksichtigen. Das bedeutet zugleich: weniger Staat, weniger Bürokratie und die vor Ort betroffenen Menschen
einzubeziehen.
Dies wollen wir unter der Überschrift „Vertragsnaturschutz“ und nicht, wie dies oft bei SPD und Grünen der
Fall ist, durch die Voranstellung hoheitlicher Maßnahmen auf den Weg bringen. Deshalb bedauern wir es sehr,
dass unser Antrag, 3 Millionen Euro mehr für freiwillige
vertragliche Vereinbarungen zur Verfügung zu stellen,
abgelehnt wurde. Dies bedeutet, Geld statt für Projekte
für Personal und Prospekte bereitzustellen. Das können
wir nicht hinnehmen.
({0})
Wir wollen den Weg der Kooperation, nicht den der
Konfrontation. Wir wollen die vor Ort wirtschaftenden
und arbeitenden Menschen einbeziehen. Die vielen gesetzlichen Regelungen, auch die der vergangenen Monate, führten zu einem Bürokratiedschungel, den kaum
noch jemand durchschauen kann: weder die Bürger und
die Betriebe noch all diejenigen, die die Dinge vor Ort
voranbringen sollen.
Deshalb ist es auch nicht hinnehmbar, dass neben die
Fachgesetze - etwa durch die „gute fachliche Praxis“ bei
der Landwirtschaft oder bei der vorgesehenen Novellierung des Bundeswaldgesetzes - weitere, wahllos herausgegriffene Formulierungen gestellt werden. Dies führt zu
mehr Bürokratie und Undurchschaubarkeit und behindert damit den praktischen Naturschutz vor Ort. Das ist
nicht die Politik der Union, das ist nicht die Politik, die
wir wollen.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zudem muss
es so sein, dass das Vertrauen zwischen der Politik und
denen, die vor Ort Verantwortung tragen - den Bürgern,
aber auch den Vereinen -, weiterhin aufgebaut wird,
nicht abgebaut wird. Gelder, die die Regierung für Eingriffe etwa im Zusammenhang mit der FFH-Regelung
versprochen hat, werden eben nicht gezahlt. Oder Gelder, die bereitgestellt wurden, werden schon nach kurzem, nach vorübergehenden Lockangeboten, wieder gekürzt oder sogar gänzlich gestrichen. Das schafft kein
Vertrauen, das führt nicht dazu, dass der Umwelt- und
Naturschutz vor Ort tatsächlich erfolgreich ist und vorankommt, wie wir als Union es wollen.
({2})
Wir fordern die Bundesregierung auch auf, in Bereichen der nationalen Bedeutung von Umwelt- und Naturschutz, etwa beim Grünen Band - der ehemaligen
Zonengrenze mit immerhin 1 400 Kilometern Länge -,
wo es möglich wäre, den Biotopverbund exzellent auf
den Weg zu bringen, endlich tätig zu werden und ihrer
Verantwortung gerecht zu werden. Hier kann man tatsächlich beweisen, dass man etwas für die Natur, dass
man etwas für den praktischen Naturschutz vor Ort und
die Biotopvernetzung umsetzen will.
Wir fordern auch, dass dort, wo die Waldbesitzer, wo
die Landwirte im Rahmen der ordnungsgemäßen Landund Forstwirtschaft Ausgezeichnetes leisten, dieses
mehr als bisher anerkannt und nicht durch zusätzliche
gesetzliche Regelungen infrage gestellt wird.
Wir als Union wollen auch, dass den nachwachsenden Rohstoffen, insbesondere der Biomasse, mehr Bedeutung beigemessen wird, als das derzeit der Fall ist.
Dann braucht man nicht mehr auf jeden kleinen Hügel
eine Windkraftanlage zu stellen und bestimmten Investoren Renditen von über 10 Prozent zu versprechen, die
zulasten der Biomasse, zulasten effektiver regenerativer
Energien gehen. Wir wollen der Biomasse eine Chance
geben - im Sinne von CO2-Neutralität und weniger CO2,
im Sinne von Klimaschutz, von Umweltfreundlichkeit
und insbesondere auch im Sinne von Nachhaltigkeit.
({3})
Die nachwachsenden Rohstoffe haben diese Chance verdient.
Wir fordern von der Regierung, im Sinne der Biomasse und der Chance für die nachwachsenden Rohstoffe insbesondere auch die „Charta für Holz“ endlich
vorzulegen. Wir fordern die Bundesregierung auch auf,
sich dafür einzusetzen, dass in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebieten die Möglichkeit der Waldvermehrung besteht. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich
endlich im Marketing und auch in der Forschung für die
nachwachsenden Rohstoffe mehr als bisher einzusetzen.
Dies ist wichtig, auch im Sinne der Chancen des Klimaschutzes und des Umweltschutzes. Wenn man dies zudem mit einem sinnvollen Miteinander verbindet, dann
werden wir auch erfolgreich sein. Das gilt im Übrigen
auch für den Bereich des Tourismus und des Sports, der
nicht nur der Gesunderhaltung unserer Menschen dient,
sondern auch dafür sehr gut geeignet ist, die erwähnten
Säulen - hier die wirtschaftliche Entwicklung und damit
auch den Tourismus sowie die Ökologie und den Umwelt- und Naturschutz vor Ort - zu vereinbaren und
unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Entwicklung
im Sinne der ländlichen Räume zu handeln. Das ist die
Politik der Union, das ist die Politik, die wir voranbringen wollen.
({4})
Wir wollen aber auch die Leistungen anerkennen, die
beispielsweise Jäger oder Waldbesitzer erbringen. Es
macht doch keinen Sinn, gerade jetzt etwa das Jagdrecht zu novellieren, wo man gerade - im Rahmen der
Föderalismusdiskussion - darüber diskutiert, welche
Kompetenzen der Bund, welche Kompetenzen die Länder künftig haben sollen; das geht nach dem Motto „Rein
in die Kartoffeln - raus aus den Kartoffeln“. Wir wollen
auch die positiven Leistungen der Jäger anerkennen,
etwa im Bereich Bildung - ich nenne das Stichwort
„Lernort Natur“ - und im Bereich der Biotopgestaltung
und -pflege. Das sollten wir anerkennen.
Herr Kollege Caesar, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolff?
Ja, gerne.
Bitte schön, Frau Wolff.
Herr Caesar, ich muss noch einmal auf das EEG zurückkommen; der amtierende Präsident hatte meine Meldung nicht gleich gesehen. Können Sie mir, wenn Sie
sich zum EEG hier so äußern, bitte sagen, weshalb die
CDU/CSU in der letzten Sitzungswoche die Novellierung des EEG abgelehnt hat? Dann würde ich gern wissen, wie Sie abgestimmt haben, wenn Sie hier die nachwachsenden Rohstoffe derartig favorisieren. Und sind
Sie bereit, sich im Bundesrat dafür stark zu machen, dass
die Beratung des EEGs dort einen guten Verlauf nimmt?
Verehrte Kollegin, Sie wissen sicherlich, dass sich gerade die Union in den Beratungen der Ausschüsse und
anderer Gremien immer wieder für die nachwachsenden
Rohstoffe eingesetzt hat.
({0})
Den nachwachsenden Rohstoffen und der Biomasse
kommt mehr Bedeutung zu, als sie derzeit haben.
Ich möchte einen Vergleich zwischen Energiegewinnung aus Biomasse und aus Wind ziehen: Die Leistung,
die man aus Wind gewinnt, ist etwa viermal so hoch wie
die aus Biomasse, die Förderung der Windenergie durch
die Einspeisevergütung der jetzigen Bundesregierung
aber etwa zehnmal so hoch. Das sehen wir als ungerecht
an und würden andere Prioritäten setzen. Bei der Nutzung der Biomasse werden zum Beispiel keine Parallelkapazitäten bei Kraftwerken benötigt wie bei der Nutzung von Wind. Wenn der Wind zu schwach ist oder zu
stark weht und Anlagen abgeschaltet werden müssen,
müssen andere Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden. Die Nutzung der Biomasse dagegen steht nachhaltig
zur Verfügung und ist umweltfreundlich.
({1})
Wir sind der Meinung, dass hier andere Prioritäten gesetzt werden müssen. Dies wollen wir für den ländlichen
Raum, für die Land- und Forstwirte, aber auch für den
Klima- und Umweltschutz tun.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss auf die Leistung der Vereine, der Verbände,
der Institutionen und des Ehrenamtes zu sprechen. Es
ist für uns unverständlich, dass die Regierung im Haushalt gerade die Mittel für den Bund für Heimat und
Umwelt, der 500 000 Mitglieder der Heimatvereine vertritt, drastisch gekürzt hat und damit die ehrenamtlich
Tätigen bei der Arbeit, die sie leisten, trifft. Dabei findet
man in den Erläuterungen zum Haushalt die Aussage
von Regierungsseite, dass der Bund für Heimat und Umwelt - sinngemäß - Hervorragendes und Außerordentliches leiste. Die Mittel sind, wenn man die Haushaltsansätze vergleicht, von rund 250 000 Euro im Jahr 2000
auf rund 50 000 Euro im vergangenen Jahr zurückgegangen. Das können wir nicht hinnehmen. Wir wollen das
Ehrenamt unterstützen, weil die ehrenamtlich Tätigen
Herausragendes leisten.
Mit unserem Antrag „Naturschutz im Miteinander
von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwicklung“ haben wir ganz konkrete Vorschläge eingebracht, die zu einer Umweltpolitik im Miteinander und
mit Perspektive führen.
Herzlichen Dank.
({3})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,
gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
zum Berufsausbildungssicherungsgesetz bekannt. Abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben gestimmt 300 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 284, keine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
({0})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon
ja: 300
nein: 284
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({1})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({2})
Klaus Barthel ({3})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({4})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({8})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({9})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({10})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({11})
Walter Hoffmann
({12})
Iris Hoffmann ({13})
Frank Hofmann ({14})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler ({15})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({16})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({17})
Christian Müller ({18})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({19})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({20})
Michael Roth ({21})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({22})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({23})
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({24})
Ulla Schmidt ({25})
Silvia Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Wilhelm Schmidt ({28})
Heinz Schmitt ({29})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Reinhard Schultz
({30})
Swen Schulz ({31})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({32})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({33})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({35})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({36})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
({37})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({38})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Volker Beck ({39})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({40})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({41})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Winfried Nachtwei
Simone Probst
Claudia Roth ({42})
Krista Sager
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({43})
Werner Schulz ({44})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({45})
Fraktionslose Abgeordnete
Dr. Gesine Lötzsch
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({46})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({47})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({48})
Manfred Carstens ({49})
Peter H. Carstensen
({50})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({51})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({52})
Dirk Fischer ({53})
Axel E. Fischer ({54})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({55})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({56})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({57})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({58})
Dr. Karl A. Lamers
({59})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({60})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({61})
Stephan Mayer ({62})
Dr. Conny Mayer
({63})
Dr. Martin Mayer
({64})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({65})
Doris Meyer ({66})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Stefan Müller ({67})
Bernward Müller ({68})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({69})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({70})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({71})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({72})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({73})
Dr. Andreas Schockenhoff
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({74})
Gerald Weiß ({75})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({76})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({77})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({78})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({79})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({80})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Eberhard Otto ({81})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose Abgeordnete
Martin Hohmann
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Beratungen
zu diesem Tagesordnungspunkt befassen wir uns mit
drei Anträgen. Ich möchte deren Titel kurz nennen. Die
beiden Anträge der CDU/CSU lauten „Naturschutz im
Miteinander von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwicklung“ sowie „Vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und
Umweltschutz stärken“, der Antrag der FDP lautet „Projekt des Umweltbundesamtes zur so genannten verdeckten Feldbeobachtung stoppen“.
Was ist der gemeinsame Nenner dieser drei Anträge?
Zwei von ihnen empören sich darüber, dass das Pflanzenschutzgesetz und insbesondere dessen § 38 angewendet wird, der - so heißt es in dem Antrag - das Tun der
Landwirte „mit gesetzgeberischem Misstrauen“ begleite,
obwohl doch so gar keine Kontrolle vonnöten sei, weil
eine weitere Verbesserung bei der Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln im ureigenen Interesse der
Landwirte liege.
Was heißt das im Klartext? Nur rechtzeitig angemeldete und im Anliegen präzise angekündigte Eingriffsmaßnahmen sollen möglich sein. Ich sehe die Schilder in
der Landschaft schon vor mir, auf denen stehen wird:
„Bodenproben und Ähnliches für staatliche Aufsicht
zum Wohle der Bürger nur nach rechtzeitiger schriftlicher Anmeldung und Termingewährung. Ihr Landwirt.“
Zu diesem Thema wird der Kollege Herzog noch ausführlich Stellung nehmen.
Im Lichte solcher konkreten Forderungen wie der Änderung des Pflanzenschutzgesetzes ist der ausführliche
Antrag der CDU/CSU zum Naturschutz zu betrachten.
Beginnen wir mit der Überschrift: „Naturschutz im Miteinander von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher
Entwicklung“. Hier finden wir in trauter Runde nebeneinander und irgendwie auf gleicher Augenhöhe Mensch,
Tier, Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung. Das verheißt nichts Gutes und so ist es auch.
Sie beschreiben in diesem Antrag - ich gebe es mit
meinen Worten wieder - blühende Landschaften des Naturschutzes bis 1998. Danach sei diese wunderbare Entwicklung ins Stocken geraten. Es ist klar, an wem es aus
Sicht der CDU/CSU liegt. Seither versuchen Sie mit Ihrer Politik, den Naturschutz dennoch voranzutreiben. Es
wäre in der Tat unfair, zu sagen, dass sich das ebenso wie
mit den blühenden Landschaften verhält. Nein, in der
Naturschutzpolitik der CDU/CSU geht das so: Sie sind
immer besonders für Ihre eigenen Anträge; das ist verständlich. Genauso regelmäßig und konsequent verweigern Sie aber Ihre Zustimmung, wenn es darum geht, für
den Naturschutz Farbe zu bekennen. Wir sagen: Das
Verbandsklagerecht im Naturschutz muss bestehen
bleiben. Sie sagen: Weg damit!
({0})
Wir sagen: Das EEG in der jetzigen Fassung ist gut für
den Naturschutz. Sie suchen nach Haaren in der Suppe,
um Nein sagen zu können. Wir sagen: Der Hochwasserschutz muss konsequent verwirklicht werden. Ihre Absetzbewegung hat Fluchtcharakter.
Müssen wir uns so streiten? Haben wir nicht viele gemeinsame Anliegen? Die haben wir. Unter den
22 Punkten Ihres Forderungskataloges, den Sie mit Fleiß
aufgestellt haben, gibt es einige, die wir gerne mitzeichnen.
({1})
Ich nenne zum Beispiel Ihre Forderung, dass eine europäische und internationale Naturschutzpolitik betrieben
wird.
({2})
Auch das Grüne Band und die Biotopverbünde sind gute
Sachen. Ebenso gibt es Übereinstimmung darin, freiwillige Kooperationen zwischen der Landschaftspflege,
dem Tourismus und dem Sport zu unterstützen.
Herr Goldmann, vielleicht haben Sie sich aber zu früh
gefreut. Es klingt ein Rezept an, das auch die beiden anderen eingangs erwähnten Anträge prägt. Es setzt sich
aus drei politischen Wirkstoffen zusammen. Wirkstoff
Nr. 1: Weniger Regelung ist immer besser. Wirkstoff
Nr. 2: Staatliches Handeln ist um jeden Preis einzuschränken. Wirkstoff Nr. 3: Mehr Ökonomie im Naturschutz bewirkt zwangsläufig gute Entwicklungen.
({3})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich
fürchte, Sie glauben tatsächlich an die heilende Wirkung
dieses Breitbandpräparates. Führt dies wirklich zu einer
höheren Akzeptanz des Naturschutzes insgesamt, einem
Ziel, das wir wohl alle erreichen wollen und müssen? Ich
habe starke Zweifel daran. Am Ende mögen wir einen
Naturschutz im Politikformat eines Bierdeckels haben.
Wie viel Naturschutz haben wir dann verloren?
Die Idee von Verträgen nimmt in Ihrem Antrag viel
Raum ein. Sie sprechen von einem ökologischen Generationenvertrag und von vielen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den dort - ich nehme an, Sie beziehen
sich damit auf naturschutzrelevante Gebiete - lebenden
und wirtschaftenden Menschen. Was stünde am Ende Ihrer Naturschutzstrategie? Wäre das eine unübersehbare
Zahl von Verträgen? Wer mit wem, worüber, wie lange,
zu welchen Bedingungen und mit welchen Rechten und
Pflichten? Fragen über Fragen! Wir sagen: Auch vertragliche Vereinbarungen im Naturschutz brauchen vorgegebene, staatlich definierte Rahmen.
({4})
Es obliegt nun einmal dem Staat, den Schutz des öffentliches Gutes Natur zu verantworten. Vertragsnaturschutz ist dabei ein Instrument. Das entwickeln wir
pfleglich weiter.
({5})
Es bleiben weitere Fragen offen. Wie wollen Sie es
zum Beispiel mit jenem notwendigen Naturschutz halten
- ich bitte Sie wirklich um Aufmerksamkeit -, mit dem
keinerlei Profit zu erzielen ist und der ökonomischen Interessen eindeutig zuwiderläuft? Aber vielleicht gibt es
den dann ja gar nicht mehr.
Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten bin ich dennoch fündig geworden. Ich stelle das Positive nach vorne
und nenne zum Beispiel NAWAROS, also nachwachsende Rohstoffe. Ich kann nur sagen: Wir haben das
erstklassig ins EEG aufgenommen. Man muss Sie an Ihren Taten messen. Wenn ich das weiter ausführen würde,
würde ich mich wiederholen.
({6})
Als weiteres Beispiel nenne ich die Biomasse. Auch
hier sind wir erklärtermaßen auf dem richtigen Weg. Sie
müssen sich beeilen, um uns einholen zu können.
({7})
Auch beim Thema Bodenschutz herrscht weitestgehend Übereinstimmung. Über die 10 Prozent Kostenbeteiligung für die Kalkung müssen wir an dieser Stelle
nicht reden. Hier wünscht man sich aber den Staat herbei, den man an anderer Stelle überhaupt nicht haben
möchte.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Wir freuen uns auf eine konstruktive
Zusammenarbeit. Darauf müssen wir alle Wert legen.
Dabei werden wir Sie an Ihren Taten messen. Ich bin
schon sehr gespannt, ob es wieder so läuft wie bei den
vorgenannten Gesetzgebungsverfahren: Erst sind Sie
voll dafür, aber wenn es darum geht, Farbe zu bekennen,
sind Sie nicht mehr da.
({8})
Wir geben nicht auf, Gemeinsamkeiten zu suchen,
Übereinstimmungen herauszuarbeiten und Zusammenarbeit anzubieten. Aber - das werden Sie verstehen - diesen Anträgen können wir nicht zustimmen.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lösekrug-Möller, ich verstehe bei all dem Lob für
den ersten CDU/CSU-Antrag nicht, dass Sie doch sagen:
Zustimmen können wir nicht.
({0})
- Das Lob war deutlich. Übereinstimmung war in vielen
Punkten da.
Ich kann nur sagen: Wer im Mai durch Deutschland
fährt, erlebt eine schöne, eine reizvolle Landschaft, eine
Kulturlandschaft, die sich in Generationen entwickelt
hat. Wir als FDP wollen unseren Kindern und Enkeln
eine solche Landschaft übergeben, die zu erleben sich
lohnt. Gerade in einer globalisierten Welt brauchen Menschen Regionen, die sie als ihre Heimat empfinden. Wir
wollen sie ihnen nicht nehmen, sondern wir müssen sie
für sie erhalten.
({1})
Der Schutz von Natur und Landschaft und die im
Sinne der Nachhaltigkeit betriebene Weiterentwicklung
kann nur im vertrauensvollen Miteinander gestaltet werden. Dabei müssen alle vor Ort tätigen Akteure beteiligt
werden: die Landeigentümer, die Land- und Forstwirte,
die Tourismusbetriebe und die im Naturschutz tätigen
Verbände. Es gilt: Die existenziellen Interessen müssen
berücksichtigt und Nutzungseinschränkungen im Interesse der Gesellschaft auch von der Gesellschaft finanziell ausgeglichen werden.
Ein gutes Beispiele dafür ist das Konzept der Landschaftspflegeverbände. Der kooperative Ansatz der
Deutschen Umwelthilfe - Frau Lösekrug-Möller, darüber haben wir uns gerade unterhalten - ist richtig.
Über vertragliche Regelungen wurden einvernehmliche
Lösungen erzielt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün, wir wollen keine Kolonialisierung der
ländlichen Räume durch die Städte.
({2})
Die Menschen haben zurzeit oft das Empfinden, dass
ihre Freiräume durch politische Entscheidungen immer
mehr eingeschränkt werden. Die Proteste vor Ort künden
davon. Das gilt auch für das Vorhaben der Bundesregierung, das Bundeswald- und Bundesjagdgesetz zu novellieren und im Fazit die Regelungsdichte zu erhöhen.
({3})
Die Regulierungswut von Rot-Grün ist vom Misstrauen gegen die Bürgerinnen und Bürger getragen.
({4})
Ein solches Projekt des Misstrauens ist der vom UBA
vergebene Auftrag zur Erfassung des Fehlverhaltens bei
der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Laut Projektbeschreibung soll mittels verdeckter Feldbeobachtungen ein realistischer Überblick gewonnen werden.
({5})
Das Projekt wird sehr zutreffend unter dem Stichwort
„Bauernspione“ diskutiert. Wir lehnen es ab.
Ich will herausstellen: Der sachgerechte Umgang mit
Pflanzenschutzmitteln ist im Interesse der Vermeidung
von Beeinträchtigung der Natur und im Interesse des
Verbraucherschutzes unverzichtbar.
({6})
Aufgrund des Lebensmittelmonitorings wissen wir: Die
Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln
sind minimal. Unsere Lebensmittel sind sicher. Daher
gibt es keinen Bedarf für ein solches Projekt.
({7})
Das Projekt des UBA ist vom Misstrauen gegen die
Landwirtschaft geprägt. Egal wie oft solches Misstrauen
in Tageszeitungen der großen Städte dokumentiert wird:
In der Berichterstattung der Regionalzeitungen der
Landkreise fehlt dieses völlig, weil man dort das Leben
auf dem Lande kennt.
({8})
-Herr Zöllmer, das ist Unsinn. Schauen Sie sich einmal
in einem Landkreis um. - Die Behörden unseres Landes
haben eine dienende Funktion und dürfen dieses pauschale und völlig ungerechtfertigte Misstrauen nicht bedienen. In einem Rechtsstaat haben verdeckte Ermittlungen auf dem Grund und Boden eines Landwirts mit
dem Ziel, sein mögliches, noch nicht einmal wahrscheinliches Fehlverhalten nachzuweisen, absolut keinen Platz.
({9})
Ich will ganz deutlich sagen: Ich bin sehr dankbar
- Sie alle waren dabei -, dass sich in der Diskussion im
Ausschuss die Sprecher aller Fraktionen - Kollege
Weisheit, Kollege Carstensen genauso wie Kollege
Ostendorff - gegen das Projekt ausgesprochen haben.
Ich bin entsetzt, dass das Vorhaben inzwischen dennoch
vergeben worden ist. Der Einfluss der Abgeordneten der
Koalitionsfraktionen - das müssen Sie doch sehen - ist
offensichtlich sehr gering. Wir als FDP fordern deshalb
die zuständigen Minister Trittin und Künast sowie den
UBA-Präsidenten Troge nochmals auf, dieses unsägliche
Projekt zu stoppen und sich bei den Landwirten zu entschuldigen.
Über die Bauernspione wird in jeder Agrarzeitung
diskutiert, die zuständige Ministerin aber äußert sich mit
keinem Wort. Das ist unglaublich. Frau Künast, Sie als
Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft haben die Pflicht, die Landwirte vor ungerechtfertigten und unhaltbaren Angriffen zu schützen
und zu verteidigen. Natürlich ist die Ministerin bei einer
solchen Debatte nicht da; das ist wieder einmal typisch.
({10})
Offensichtlich steht die Ministerin hinter diesem Projekt;
anders ist ihr Schweigen nicht zu erklären.
({11})
Noch eines will ich erwähnen: In der Vorbereitung des
UBA-Projektes wurde als einziger Verband der
Naturschutzbund Deutschland eingebunden, nicht der
Bauernverband, nicht einmal der Bauernbund. So war
die Antwort der Bundesregierung auf die Frage von
Volker Wissing. Seit wann lehnt Rot-Grün die Beteiligung von Betroffenen ab? Wohl nur dann, wenn es sich
um Landwirte handelt. Sie können sich wohl nicht vorstellen, dass auch Landwirte Betroffene von Ihrer Politik
sind.
({12})
Der liberale Umweltminister Sander in Niedersachsen
hat mit seinem Höflichkeitserlass einen richtigen Weg
beschritten.
({13})
Ich würde mir wünschen, dass dieser Weg der Weg ist,
den auch die Bundesregierung geht. Ich bedanke mich,
dass die CDU/CSU-Fraktion dieses in ihrem Antrag aufgegriffen hat.
Frau Kollegin Happach-Kasan, erlauben Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Herzog?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Happach-Kasan, sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass der Beirat von dem Projekt,
über das Sie sprechen, gestern getagt hat und dass nach
meiner Kenntnis auch eine Vertreterin des Deutschen
Bauernverbandes dabei war?
Herr Kollege Herzog, ich bin gerne bereit, dieses zur
Kenntnis zu nehmen. Ich freue mich, dass inzwischen
auch der Bauernverband eingebunden ist. Gleichwohl
bleibt bestehen, dass der Bauernverband bei der Vorbereitung des Projektes nicht eingebunden war und es offensichtlich des öffentlichen Druckes bedurfte, um diese
Mindestforderung, die gerechtfertigt ist, zu erfüllen.
({0})
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine Kooperation mit den Landwirten. Nur so können wir den Naturund Umweltschutz und die Landwirtschaft in Deutschland weiterbringen. Das ist im Interesse der Menschen in
den ländlichen Räumen. Ich fordere Sie auf, Ihr Abstimmungsverhalten zu den Anträgen noch einmal zu überdenken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute zwei Anträge der CDU/CSU.
Aber vergleichen Sie bitte einmal diese beiden Anträge.
Jeder wird sich fragen: Ist das dieselbe Fraktion? Was
Frau Connemann und Herr Carstensen hier zusammengeschrieben haben, fällt doch deutlich hinter den Antrag
von Herrn Paziorek, Caesar und anderen von der CDU/
CSU zurück.
({0})
Für uns ist dieser Antrag allerdings typisch für das Gespann Connemann/Carstensen, der Berliner Zweigstelle
des Deutschen Bauernverbandes:
({1})
inhaltlich dünn, dafür aber umso aufgeblasener vorgebracht.
({2})
Sie fangen mit Allgemeinplätzen zur so genannten verdeckten Feldbeobachtung an, aber im Forderungsteil
haben Sie schon vergessen, womit Sie angefangen hatten. Da ist von verdeckter Feldbeobachtung keine Rede
mehr. Stattdessen fordern Sie die Änderung des Pflanzenschutzgesetzes, das Sie selbst geschrieben und beschlossen haben. Statt greifbarer Inhalte beschwören Sie
in Ihrem Antrag das angeblich durch das Pflanzenschutzgesetz und das Umweltbundesamt geschürte gesellschaftliche Misstrauen gegenüber der Landwirtschaft, um dann zu postulieren: „Dies wird den
Leistungen und Verdiensten der Landwirtschaft in
Deutschland in keiner Weise gerecht.“
Was wollen Sie uns denn mit solchen Floskeln sagen?
Das ist doch nichts weiter als eine billige Anbiederung
an einen Berufsstand, zu dem Sie, Frau Connemann, als
Verfasserin dieses Antrages sehr oft weit entfernt stehen.
Unserer Meinung nach ist das inhaltliches Gewäsch. Ich
als Bauer fühle mich durch solche Sätze veräppelt und
für dumm verkauft. Heute spielen Sie sich als Oberanwälte der Landwirtschaft auf, aber wenn es um die Verteidigung der Rechte von Bauern und Bäuerinnen gegen
US-Importeure von Gensoja und Futtermittelkonzerne
geht,
({3})
können die Bäuerinnen und Bauern von Ihnen wenig Solidarität erwarten,
({4})
wie Sie diese Woche wieder sehr eindrucksvoll im Agrarausschuss gezeigt haben. Dann vertreten Sie von der
CDU/CSU nur noch die Interessen der Industrie. Wir
nennen das scheinheilig.
Wie Sie wissen, habe ich persönlich eine sehr kritische Einstellung zu der so genannten verdeckten Feldbeobachtung, weil ich die Methode für nicht richtig halte.
({5})
Gegen das Ziel, einen realistischen Überblick über die
Anwendungspraxis im Pflanzenschutz und den Umgang
mit Abstandsregelungen zu gewinnen, ist nichts einzuwenden, aber bitte nur im offenen Dialog mit den Bauern
und Bäuerinnen.
({6})
Der Bauernverband spielt hierbei im Übrigen ein
doppeltes Spiel. Zunächst werden mit populistischem
Gebrüll die Stammtische bedient, dann aber ist Herr
Sonnleitner der Erste, der „Hier!“ schreit, wenn es um
die Vergabe eines Postens in einem Beirat zu dem Programm geht.
({7})
Entscheidend ist, dass der konstruktive und vertrauensvolle Ansatz des Reduktionsprogramms - jetzt sollten Sie zuhören! -,
({8})
der sehr wichtig und wertvoll ist, nicht gestört wird. Sie
interessieren sich gar nicht für das Reduktionsprogramm. In Ihren Anträgen ist davon keine Rede. Sie
wollen nur den gesellschaftlichen Konflikt schüren.
Es gibt durchaus Probleme mit der Gewässerbelastung durch Pflanzenschutzmittel. Auch gibt es besondere
Problembereiche wie das Alte Land und Verstöße gegen
das geltende Recht, die entsprechend bestraft werden
müssen. Denn Wasserverschmutzung ist kein Kavaliersdelikt. Das muss man benennen und sachgerecht angehen. Dies tun wir auch.
Wir haben mit dem Reduktionsprogramm, das bereits
vorliegt, einen sehr konstruktiven Ansatz gewählt. Es ist
uns gelungen, die gesamte Breite der Verbände von den
Anwendern über die Umweltverbände bis hin zur Industrie gemeinsam mit Bund und Ländern an einen Tisch zu
bringen. Es ist gelungen, auf dieser breiten Basis konstruktiv zu arbeiten.
Das ist unser Ansatz, der auf Kooperation und Vertrauen basiert. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten, wie wir es im rot-grünen Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbart haben.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt
der Denunziant.
Diesem Urteil von Hoffmann von Fallersleben wird sicherlich niemand von uns widersprechen. Denunzianten
verunglimpfen andere, häufig aus persönlichen, niedrigen Beweggründen und im Schutz der Anonymität. Wir
tun deshalb gut daran, uns von ihnen zu distanzieren.
Insbesondere der Rechtsstaat und seine Behörden müssen dem Eindruck vorbeugen, sich ihrer zu bedienen.
Genau dieser Eindruck ist jedoch leider im Fall des Umweltbundesamtes entstanden, das Anfang dieses Jahres
ein Projekt zur verdeckten Feldbeobachtung ausgeschrieben hat.
Was versteckt sich hinter diesem Begriff? Damit ist
nicht der Naturfreund gemeint, der im Morgengrauen
durch die taunassen Felder streift, um das Paarungsverhalten der Schnepfen zu beobachten.
({0})
Ziel der knapp 200 000 Euro teuren Untersuchung ist es
vielmehr, einen realistischen Überblick über - ich zitiere - „die Anwendungspraxis im Pflanzenschutz und im
Umgang mit Abstandsregelungen zu gewinnen“. Dieser
Überblick soll verdeckt gewonnen werden. Das heißt,
Ackerflächen sollen unangekündigt betreten werden, um
Bodenproben ohne vorheriges Wissen des Eigentümers
zu entnehmen.
({1})
Das Umweltbundesamt unterstellt also offensichtlich, dass die Vorschriften zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht eingehalten werden. Betroffen von
diesem Verdacht sehen sich zum einen die Pflanzenschutzdienste der Bundesländer, in deren Zuständigkeit
die Düngemittel- und Pflanzenschutzkontrollen fallen.
Dabei verfügen gerade diese über die notwendige fachliche Qualifikation und Erfahrung, die Richtigkeit von
Bewirtschaftungsmaßnahmen und Maßnahmen im
Pflanzenschutz zu überprüfen. Es bedarf keiner Bundeskontrolle ihres Handelns, einer Kontrolle auf Kosten des
Steuerzahlers.
({2})
An den Pranger gestellt sehen sich insbesondere unsere Landwirte und Gärtner. Ihnen wird per se ein gesetzwidriges Verhalten unterstellt. Denn nur wer glaubt,
dass Recht und Gesetz unterlaufen werden, hält es für erforderlich, verdeckt ihre Wirtschaftsweise auszuspionieren.
({3})
Damit wird ein ganzer Berufsstand kriminalisiert. Mir
fällt dazu nur ein Wort ein: infam. Das sage ich durchaus
aus eigener persönlicher Betroffenheit, Herr Ostendorff.
Ich komme nämlich aus einem landwirtschaftlichen Betrieb, der zurzeit von meinem Bruder bewirtschaftet
wird, und ich weiß, wie sehr ihn dieser Vorwurf getroffen hat.
Frau Kollegin Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krogmann?
Ja, wenn Sie die Zeit anhalten.
({0})
- Sie ist nicht bestellt.
Ich halte die Zeit an. - Bitte, Frau Dr. Krogmann.
Kollegin Connemann, Sie haben eben das Projekt
„verdeckte Feldbeobachtung“ angesprochen. In der Vergangenheit gab es insbesondere im Alten Land eine gute
Kooperation zwischen Umweltschutz und Landwirtschaft, die aufgrund der dort vorhandenen differenzierten Gräbenstruktur auch notwendig ist. Teilen Sie meine
Auffassung, dass gerade durch dieses Projekt die gute
Kooperation im Alten Land kaputtgemacht wird, weil
man pauschal alle Obstbauern kriminalisiert und unter
Generalverdacht stellt?
Frau Kollegin Krogmann, Ihre Auffassung teile ich
uneingeschränkt. Selbst der Kollege Ostendorff hat eingeräumt, dass es Probleme gibt. Gerade die Obstbauern
im Alten Land werden hinsichtlich des Einsatzes von
Pflanzenschutzmitteln völlig allein gelassen; denn ihnen
werden gar keine legalen Pflanzenschutzmittel mehr zur
Verfügung stehen. Das ist so.
({0})
- Ich habe den Kollegen Carstensen gefragt. Ich habe sogar Anfragen an die Bundesregierung gestellt, in denen
ich deutlich gemacht habe, dass keine legalen Pflanzenschutzmittel mehr zur Verfügung stehen und dass man
mit diesem Problem die Obstbauern alleine lässt.
Die Erfahrungen zeigen jedenfalls, dass das Miteinander von Umweltschutz und Landwirtschaft im Alten
Land hervorragend ist. Dieses Miteinander wird gefährdet. Deswegen muss dieses Projekt gestoppt werden. Es
ist ein infames Projekt.
({1})
Stellen Sie sich vor, welch einen öffentlichen Aufschrei es gegeben hätte, wenn andere Wirtschaftsbereiche von diesem Projekt betroffen wären! Stellen Sie sich
vor, es wären Pläne bekannt geworden, wonach verdeckte Ermittler in Automobilbetriebe geschickt werden
sollten, um die Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen zu überprüfen!
({2})
Der Bundeskanzler wäre sicherlich der Erste gewesen,
der sich empört zu Wort gemeldet hätte. Vielleicht wäre
er sogar selbst in die Betriebe gegangen, um die Ermittler herauszuholen.
({3})
Leider blieb eine solche Empörung im vorliegenden
Fall aus. Niemand reagierte. Erst als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, ließ man erklären, das Projekt werde eingestellt. Tatsächlich soll es aber weitergeführt werden, allerdings in leicht abgewandelter Form.
Wie diese aussehen wird, ist nicht bekannt. Eine Präsentation des Projekts ist in nächster Zeit vorgesehen.
Der eben beschriebene Vorgang zeigt, wie verzerrt der
Blick gerade der Bundesregierung auf die deutsche
Landwirtschaft ist. Frau Kollegin Lösekrug-Möller, Sie
haben mit Ihrer Rede bewiesen, dass bei Ihnen Vorstellung und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Es gibt
tatsächlich keinen einzigen Grund für eine Diffamierung
der deutschen Landwirtschaft; denn die in Deutschland tätigen Landwirte unterliegen strengsten Auflagen.
Sie müssen einen Sachkundenachweis erbringen. Ihre
Pflanzenschutzgeräte werden regelmäßig vom TÜV
überprüft. Die Ausbringung unterliegt einem dichten Regelungswerk mit detaillierten Vorschriften. Das betrifft
den Zeitraum für die Ausbringung, die Art, die Zusammensetzung und die Konzentration der Mittel ebenso
wie die Wartezeiten, die nach dem Einsatz vor der Ernte
und der Vermarktung einzuhalten sind. Es sind Abstandsbestimmungen den Gewässerschutz betreffend
einzuhalten. Die Zahl der Wirkstoffe ist - anders als im
europäischen Ausland - auf 200 begrenzt. Angesichts
der sehr hohen Kosten gebietet zudem die Wirtschaftlichkeit den sparsamen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Landwirte arbeiten verantwortungsbewusst. Sie haben damit deutliche Erfolge im Bereich des
Gewässerschutzes erzielt. Die Daten des UBA belegen
das.
Um eines klar zu sagen: Eine kritische Betrachtungsweise beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln ist eine
Selbstverständlichkeit. Niemand will denjenigen schützen, der wissentlich gegen Gesetze verstößt. Aber gerade
die Landwirte tun dies nicht und haben deshalb unser
Vertrauen verdient.
({4})
Die Kontrolle der betroffenen Landwirte sollte deshalb
in einem Dialog, in einem Miteinander geschehen. Wir,
die Union, wollen gemeinsam mit der FDP ein deutliches Signal an unsere Landwirte, aber auch an die Öffentlichkeit richten. Es muss Schluss mit pauschalen
Verdächtigungen und Diffamierungen sein. Deswegen
wollen wir eine Änderung des Pflanzenschutzgesetzes
erreichen. Wir haben entsprechende Anträge eingebracht, die nicht nur den Landwirten, sondern auch der
Landschaft, der Natur dienen. Denn eines sollten Sie zur
Kenntnis nehmen: Es gibt keinen Naturschutz ohne
Landwirtschaft. Die Pflege einer Kulturlandschaft wie
der unsrigen und der darin lebenden Tiere ist nur mit der
Landwirtschaft möglich. Wenn Sie diesen Dialog, dieses
Miteinander infrage stellen, dann schaden Sie dem Naturschutz und dem Tierschutz am meisten.
({5})
Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wir haben
unsere Vorschläge gemacht. Wir sind sicherlich auch gesprächsbereit, wenn Sie andere Vorschläge haben. Wir
werden zu allem, was geeignet ist, das Ansehen der
Landwirte zu stärken und einen Beitrag zu einem vertrauensvollen Miteinander von Umweltschutz und Landwirtschaft zu leisten, unsere Zustimmung geben.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute drei Anträge der Opposition zum
Komplex Naturschutz und Landwirtschaft. In zwei Anträgen geben Sie, die Damen und Herren der Opposition,
vor, die Landwirtschaft vor bösen Angriffen schützen zu
müssen.
({0})
Ich stelle fest, dass zwei Anträge der CDU/CSU und
der FDP zum UBA-Projekt der Landwirtschaft bereits
Schaden zugefügt haben und dem Image der deutschen
Landwirtschaft auch weiterhin Schaden zufügen werden. Dass wir hier zur besten Sendezeit über dieses
Thema reden, wird auch noch den letzten Zuhörer in dieser Republik darauf aufmerksam machen, dass es in der
Landwirtschaft durchaus Verfehlungen gibt. Genauso
wie der Bauernverband tun Sie der deutschen Landwirtschaft mit dieser Debatte keinen Gefallen.
({1})
Sie haben aufgebauscht und aufgehetzt; Sie haben das
auch heute wieder hier am Mikrofon getan. Sie sollten
einmal überdenken, ob Sie Ihren Beißreflex richtig einsetzen, wenn es um das Umweltbundesamt oder das
Bundesamt für Naturschutz geht. In Ihrem Antrag fordern Sie sogar eine Gesetzesänderung mit einem Freibrief für illegale Anwender.
({2})
Bevor ich zum Projekt und zur Ausgangssituation
komme und die Anträge kommentiere, will ich eine weitere Vorbemerkung machen. In der Diskussion ist des
Öfteren das Wort „Stasi-Methode“ gefallen. Ich
komme aus der Pfalz; ich war also weit weg von der
Stasi. Vor 1990 habe ich aber einige Male die DDR besucht - mit sehr gemischten Gefühlen. Stasi-Methoden,
das sind die Mittel des Unrechtsstaates: Menschen bespitzeln, bedrohen, in ihrer Existenz vernichten. Im Zusammenhang mit dem UBA-Projekt von „Stasi-Methoden“ zu reden, das ist infam, liebe Frau Kollegin
Connemann.
({3})
Für die SPD-Fraktion stelle ich fest: Chemischer
Pflanzenschutz ist für unsere Landwirtschaft, für die
Produktion von guten Lebensmitteln unverzichtbar. So
wie er bei uns in Deutschland gestaltet ist, ist er auch
durchaus verantwortbar.
({4})
Auch wenn es um 35 000 Tonnen Wirkstoff geht, etwa
2 Kilogramm pro Hektar: In der Vergangenheit ist viel
erreicht worden. Die allermeisten Landwirte halten sich
an die gute fachliche Praxis.
Herr Kollege Herzog, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Connemann?
Gerne.
Bitte schön, Frau Connemann.
Herr Kollege Herzog, ich frage Sie, in welchem Zusammenhang ich das Wort „Stasi-Methoden“ gebraucht
haben soll. Ich bitte um Belegung dieser Stelle, unabhängig davon, ob ich es hier in meiner Rede oder in anderen
öffentlichen Äußerungen gebraucht habe. Falls Sie diesen - wie ich finde: unhaltbaren - Vorwurf nicht belegen
können, fordere ich Sie auf, sich zu entschuldigen.
({0})
Frau Kollegin Connemann, Sie können im Protokoll
nachlesen, dass ich Sie nicht persönlich angesprochen
habe.
({0})
Ich habe gesagt: in der Diskussion zu diesem Thema.
Lesen Sie „Agra-Europe“ vom 8. März! Der agrarpolitische Sprecher Ihrer Fraktion spricht dort von „Stasi-Methoden“.
({1})
Ich füge hinzu: Davon war schon in der Diskussion über
dieses Thema, zum Beispiel im Ausschuss und in öffentlichen Zusammenkünften, die Rede. Ihr Kollege
Carstensen benutzt in der „Agra-Europe“ vom 8. März
das Wort „Stasi-Methoden“. Ich kann es Ihnen vorlegen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine
Reihe von Erfolgen erzielt. Wir haben in Deutschland
sehr viele gute Mittel, sehr neue Mittel und können damit auch auf den Märkten in Europa und in der Welt bestehen. Wir haben gut ausgebildete Anwender. Modernste Technik ist im Einsatz. Trotzdem gibt es noch
immer viele schwarze Schafe. Frau Kollegin
Connemann, Sie haben das Alte Land erwähnt. Dazu
kann ich sagen: Schwarze Schafe sind dort schon des Öfteren angetroffen worden.
Wir hatten Diskussionen im Ausschuss. Sie sollten
sich bei Ihren Kollegen, die in der vorherigen Wahlperiode im Ausschuss waren, einmal danach erkundigen,
was wir gemeinsam getan haben, um den Obstbau im
Alten Land zu erhalten. Dort wurde wirklich in großem
Umfang - das war dokumentiert durch die Anwender
selbst - gegen die gute fachliche Praxis verstoßen.
({3})
Wir haben durchaus Schwierigkeiten, praktikable
Anwendungsbestimmungen zu finden, und das macht
es für die Landwirte in Deutschland schwer. Ich nenne
Ihnen ein Beispiel: Ein Acker wird begrenzt durch einen
Weg, durch einen Wasserlauf, durch eine Wiese und
durch einen anderen Acker. Verwendet der Landwirt ein
bestimmtes Getreideherbizid, muss er vier verschiedene
Abstände einhalten. Wenn er verschiedene Düsen benutzt, um das Mittel auszubringen, wird die Sache noch
komplizierter. Wenn der Acker dann auch noch in einem
Gebiet liegt, das kleinteilig strukturiert ist, wird es noch
schwieriger.
Das sehen wir auch ein. Wir sind da, denke ich, auf einem guten Weg, bessere Technik verbindlich zu machen
und auch die Auflagen für die Landwirte zu vereinfachen.
Das Projekt des UBA hat sicherlich nicht den besonderen Glanz, den ich für ein solches Projekt gern hätte.
Auch da sind gewiss noch einige Dinge nachzubessern.
Aber Ihre permanente Unterstellung, Frau Kollegin
Connemann,
({4})
die Ergebnisse dieser Untersuchung, die Einzelergebnisse und die Gesamtergebnisse, würden genutzt, um
Verfahren gegen einen Landwirt einzuleiten, ist einfach
falsch. Die Ergebnisse werden in anonymer Form ausgewertet und weitergegeben.
Nun konkret zu den Anträgen, zunächst zu dem FDPAntrag. Frau Kollegin Happach-Kasan, verdeckte Feldbeobachtung ist ein anerkanntes wissenschaftliches Instrument, in diesem Fall in doppelter Bedeutung anzuwenden. Eine verdeckte Radarkontrolle kriminalisiert
nicht alle Autofahrer. Im Unterschied aber zu dem Projekt hier wird ein Autofahrer mit Sanktionen belegt,
wenn er gegen die Regeln verstoßen hat.
Zu dem CDU/CSU-Antrag „Vertrauensvolle und
konstruktive Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft
und Umweltschutz stärken“:
({5})
Überschrift und Inhalt haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Ich bin mir auch nicht im Klaren darüber, ob
Sie überhaupt wissen, was Sie mit diesem Antrag erreichen könnten,
({6})
sofern wir so unvernünftig wären, ihn umzusetzen, und
der Bundesrat dieser Unvernunft folgen würde, sodass
die gewünschten Änderungen tatsächlich ins Gesetzblatt
kämen.
Sie wollen das Pflanzenschutzgesetz ändern und die
von mir vorhin mehrfach erwähnten Pflanzenschutzämter, die die Kontrollen zu machen und Sanktionen zu verhängen haben, ihrer Möglichkeiten berauben. Einem Tiger, bei dem der Zahn wackelt, wollen Sie nicht nur den
Zahn ziehen, sondern auch noch die Krallen ausreißen.
Da frage ich mich wirklich: Haben Sie die von Ihnen regierten Länder vorher gefragt, was sie zu diesem Antrag
meinen? Sie hätten dann nämlich bestimmte Möglichkeiten nicht mehr. Meine Fraktionskollegin hat schon ein
Beispiel gebracht.
Ich will das vertiefen. Sie wollen mit Ihrem Antrag
Folgendes erreichen: Das zuständige Pflanzenschutzamt
muss einen Brief an den Landwirt schreiben. - Jetzt
hätte ich gern einen aktiven Bauern aus der Union namentlich erwähnt, aber nun muss ich den Kollegen
Ostendorff ansprechen, da er wohl der einzige aktive
Bauer hier im Plenum ist. - Das Pflanzenschutzamt
schreibt also einen Brief, in dem es einen Besuch am
Dienstag, von 14 bis 16 Uhr, ankündigt. - Für den Fall,
dass der Kollegin Connemann die Frist noch nicht angemessen erscheint: Der Besuch findet übernächste Woche
statt. - Es muss außerdem schreiben: Herr Ostendorff,
ich will bei Ihnen auf dem Hof einmal nachschauen, ob
im Giftschrank nur das ist, was darin sein darf.
({7})
Es muss noch dazusagen: Ich will auch Ihre Feldspritze
kontrollieren.
Zu dem angekündigten Termin kommt der Mann oder
die Frau vom Pflanzenschutzamt und steht vor dem
Haus. Herr Ostendorff sagt dann aber: Nein, nein; mit
mir aber nicht. - Dann darf die Kontrolle nicht stattfinden. Der gute Beamte oder die gute Beamtin vom Pflanzenschutzamt dackelt wieder nach Hause und versucht,
einen neuen Termin zu bekommen. - Das alles, weil Sie
die Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung
bei den Kontrollen streichen wollen!
({8})
Noch einmal: Die Regelung, die Sie vorsehen, hat gar
nichts mit dem vom UBA kritisierten Projekt zu tun.
Überhaupt beinhaltet Ihr Antrag eine irre Logik nach
dem Motto: Weil wir die strengsten Bestimmungen haben, ist Misstrauen nicht angebracht und deswegen müssen wir die Kontrollen abschaffen. So etwas können Sie
doch wirklich niemandem klar machen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kehren wir zurück
zu einer sachlichen Diskussion. Folgen Sie den Wegen,
die die rot-grüne Koalition vorgegeben hat. Damit bringen Sie Landwirtschaft und Naturschutz unter einen Hut.
Im Ergebnis ist das gut für Bauer, Bach, Busch und
Biene.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Göppel von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte in den kommenden vier Minuten zu unserem Naturschutzantrag sprechen. Der Bedeutungsinhalt des Naturschutzes ist in den letzten zehn bis 15 Jahren gegenüber den 80er-Jahren deutlich erweitert worden: vom
ursprünglichen Arten- und Biotopschutz hin zum Schutz
der Lebensräume, in den auch die Lebensräume des
Menschen einbezogen sind. Dieser Gedanke kam mir,
Frau Lösekrug-Möller, als Sie von der gleichen Augenhöhe gesprochen haben. Im von Herrn Caesar ausgearbeiteten Antrag stehen Natur, Mitgeschöpfe sowie der
Mensch und seine wirtschaftliche Entwicklung auf
gleicher Augenhöhe. Ich finde, das ist der richtige Ansatz.
Wir alle haben in dieser Woche ja die Studie des Berlin-Instituts „Deutschland 2020“ auf unseren Schreibtischen vorgefunden. Aus dieser Studie geht ganz deutlich hervor, dass Voraussetzung für eine gute
wirtschaftliche Entwicklung eine intakte Landschaft ist,
aber umgekehrt eine intakte Landschaft allein nicht ausreicht, um junge Menschen zu veranlassen, in einem
Raum zu bleiben. Aus diesem Grund geht der Antrag des
Kollegen Caesar in die richtige Richtung. Wir müssen
eine solche Zusammenschau vornehmen.
Ich hätte es mir sehr gewünscht, wenn es bezüglich
des SPD-Antrages zum Naturschutz, den wir vor einigen
Wochen behandelt haben, Gespräche mit der Union gegeben hätte. Nach meiner Meinung hätte es durchaus die
Möglichkeit gegeben, einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen, denn die Zahl der Abgeordneten, die
sich um das Thema Naturschutz kümmern, ist ja, wie wir
an der Präsenz hier im Saal erkennen können, nicht unbedingt sehr hoch. Aus dem Grunde möchte ich Sie bitten und auch aufrufen, in Zukunft zu versuchen, zu gemeinsamen Konzepten zu kommen.
({0})
Mir sind aber darüber hinaus, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, noch zwei
Punkte besonders wichtig: Erstens. In dem Koalitionsvertrag, den Sie im Jahr 2002 geschlossen haben, steht:
Wir werden den Naturschutz weiter stärken.
Diesbezüglich sind natürlich Umsetzungsdefizite zu beklagen. Ich nenne nur das Stichwort Grünes Band. Es
wäre sehr schön, wenn die Naturschutz- und Landwirtschaftspolitiker in den Koalitionsfraktionen ihren Finanzminister so weit brächten, dass eine Lösung dafür
gefunden wird, wie dieses nationale Kultur- und Naturerbe auf Dauer bewahrt und gleichzeitig unter Einbeziehung der Landwirtschaft eine Nutzung der Flächen ermöglicht werden kann.
({1})
Ein zweiter Punkt ist mir im Zusammenhang mit der
Agrarreform besonders wichtig - ich wäre Ihnen dankbar,
Herr Kollege Herzog, wenn Sie etwas leiser telefonieren
könnten -: Bei der Einführung von Cross Compliance
dürfen die Naturschutzauflagen, die die Landwirtschaft
laut Gesetz einzuhalten hat, nicht so hoch geschraubt werden, dass für den Vertragsnaturschutz kein Spielraum
mehr bleibt. Damit würden wir nämlich viele Landwirte,
die sich frühzeitig dem Naturschutz zugewandt haben,
enttäuschen. Über diesen Punkt wird im Rahmen der Umsetzung der Agrarreform in Deutschland derzeit am meisten diskutiert.
({2})
Hier haben wir einen Prüfstein, ob dieses Miteinander
und das Einbeziehen der Landwirtschaft in den Naturschutz funktioniert.
Ich bedanke mich - zwei Sekunden vor Schluss der
Redezeit.
({3})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Undine Kurth von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste dieses Hauses! Als letzte Rednerin in
der Debatte über Naturschutzfragen möchte ich mit dem
beginnen, was mir an dem vorliegenden Antrag gefällt.
Die Antragsteller haben Recht, wenn sie feststellen, dass
Undine Kurth ({0})
Naturschutzfragen immer wieder ins Zentrum politischer
Entscheidungen rücken müssen. Naturschutz geht alle
an; das ist richtig und völlig unumstritten.
Ich bin auch nicht so vermessen zu meinen, wir würden alles richtig machen und es gäbe keine Punkte, über
die wir gemeinsam reden sollten. Das hat auch der soeben vorgelegte Bericht des Sachverständigenrates Umwelt deutlich gemacht, der uns vor Augen führt, dass
Handlungsbedarf besteht.
Aber damit hören die Gemeinsamkeiten im Wesentlichen auch schon auf. Das tut mir eigentlich Leid; denn
ich finde, Herr Göppel hat Recht: Wir brauchen bei diesem Thema sehr viele Gemeinsamkeiten. Aber Ihr Antrag macht leider ziemlich deutlich, dass Sie sich mit
Fragen des Naturschutzes als Teil der Daseinsvorsorge
offenbar nicht wirklich und nicht ernsthaft auseinander
setzen wollen. Wenn hier davon geredet wird, dass die
Aufgaben des Naturschutzes in gleicher Augenhöhe mit
anderen Politikbereichen angegangen werden sollten, ist
das richtig. Aber dann müssen Sie sich auch ernsthaft
damit auseinander setzen, wie die gleiche Augenhöhe
hergestellt werden kann. In Ihrem Antrag finde ich ein
Sammelsurium von Forderungen, ziemlich kunterbunt
und ohne jede Stringenz. Ein Antrag ist aber dazu da,
konkret aufzuzeigen, wo welche Veränderungen erreicht
werden sollen. Es sollte nicht nach dem Motto gehen,
dass über das geredet wird, über das jeder einmal reden
wollte.
Frau Happach-Kasan, was ist eigentlich „die Kolonialisierung des ländlichen Raums durch die Städte“? Was
ist denn das für ein Begriff? Was soll man damit anfangen?
({1})
Andere Beispiele: Was sollen wir davon halten, wenn
Sie fordern, „zu verständlichen, übersichtlichen und praxisnahen Formulierungen und Lösungen zurückzukehren“? Werden Sie doch, bitte schön, etwas konkreter.
Was verstehen Sie denn nicht? Was wollen Sie wie ändern? Was Sie in Ihrem Antrag formulieren, ist sehr allgemein.
Was dürfen wir denn davon halten, wenn Sie, Herr
Caesar, fordern, dass der Bund Flächen im Grünen
Band für den Biotopverbund zur Verfügung stellen soll?
Wir wissen doch, dass es das Angebot des Bundesfinanzministers gibt, dass die Länder kostenlos die Flächen übernehmen können. Es liegt jetzt an den Ländern,
das auch zu tun. Wir sind einer Meinung, dass mit dem
Grünen Band etwas geschehen muss. Aber der Bund hat
sein Mögliches getan.
({2})
Machen Sie Ihren Einfluss auf die Landeschefs geltend,
damit die Übernahme jetzt erfolgen kann.
Was meinen Sie, wenn Sie - ohne konkret zu werden das „nicht mehr durchschaubare Bündel an unterschiedlichen Schutzgebietskategorien“ beklagen? Meinen Sie
die international definierten Kategorien Nationalpark
und Biosphärenreservat? Meinen Sie das europaweit geregelte Schutzgebietsnetz Natura 2000? Das Naturschutzgesetz der Bundesrepublik kennt gerade einmal
sieben Schutzgebietskategorien; das dürfte eigentlich
nicht zu viel sein. In der Straßenverkehrs-Ordnung zum
Beispiel haben wir 35 Regelungsbereiche und trotzdem
haben 49 Millionen Menschen in diesem Land einen
Führerschein.
({3})
Also stellen Sie entweder Ihr Licht unter den Scheffel
oder - seien Sie ehrlich - Sie wollen Standards absenken. Das sollten Sie dann aber auch aussprechen. Darüber müsste man diskutieren.
Sie fordern, dass in Nationalparken Sport und Tourismus möglich sein müsse. Warum um alles in der Welt
haben Sie Ihren Experten im Tourismusbereich, Herrn
Brähmig, nicht gefragt? Leider ist er nicht hier. Er hätte
Ihnen sagen können, dass das längst gängige Praxis ist.
Er hätte darüber aufklären können, dass alle Nationalparke im Rahmen ihres Schutzzweckes touristisch und
natursportlich genutzt werden. Glauben Sie wirklich,
dass Sie dem Naturschutzgedanken einen Dienst erweisen, wenn Sie die immer wieder gebrauchten Vorurteile,
dass Naturschutz und ökonomischer Nutzen einander gegenüberständen, bedienen? Ich glaube nicht, dass wir damit die notwendige Debatte voranbringen können.
({4})
Ich glaube auch nicht, dass es richtig ist, darauf zu
verweisen, dass die Föderalismusdebatte alle anderen
notwendigen Debatten überlagern könnte.
Noch ein letztes Wort zum Bundesjagdgesetz. Wenn
Sie sagen, wir würden die Novellierung dieses Gesetzes
mit dem Ziel betreiben, die freiwilligen Leistungen der
Jäger nicht anerkennen zu müssen, dann muss ich Ihnen
sagen, dass das blanker Unsinn ist. Allein ein Blick in
unseren Koalitionsvertrag würde Ihnen zeigen, dass wir
das Gesetz unter dem Gesichtspunkt des Natur- und Artenschutzes reformieren müssen.
({5})
Nur wer nicht anerkennt, dass sich der Raum, in dem
sich wild lebende Tiere heute bewegen, in den letzten
70 Jahren gravierend verändert hat - auch durch
menschlichen Einfluss -, kann leugnen, dass ein
70 Jahre altes Gesetz in einigen Punkten novelliert werden muss. Es ist einfach Unsinn, so zu tun, als ob es in
diesem Bereich keinen Handlungsbedarf gäbe.
({6})
Dass Veränderungsbedarf besteht, betonen wir beide,
Koalition und Opposition. Sie predigen aber das neoliberale Vaterunser „weniger Staat, weniger Bürokratie und
mehr marktwirtschaftliche Instrumente“. Das alleine
macht es aber nicht. Denn ohne Regeln ist Naturschutz
nicht möglich, wie wir alle wissen.
Undine Kurth ({7})
({8})
Unser Credo dagegen ist, den Naturschutz in die nationale Nachhaltigkeitsstrategie und somit in alle Politikfelder zu integrieren. Wenn das Wort von der Nachhaltigkeit fällt, darf nicht ein jeder meinen - ich bitte Sie da
um Ihre Unterstützung -, es sei nur das Umweltministerium gemeint.
Haben Sie Verständnis, dass wir Ihren Anträgen nicht
zustimmen können. Trotzdem äußere ich die Hoffnung,
dass wir auf diesem so wichtigen Weg gemeinsam vorankommen.
Danke schön.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2467, 15/2969 und 15/2668 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Korrektur
von Leistungsverschiebungen bei häuslicher Krankenpflege zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung ({0})
- Drucksache 15/1493 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({2})
- Drucksache 15/3075 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hilde
Mattheis, Gudrun Schaich-Walch, Helga KühnMengel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Petra
Selg, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Demenz früh erkennen und behandeln - für
eine Vernetzung von Strukturen, die Intensivierung von Forschung und Unterstützung
von Projekten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Verena
Butalikakis, Annette Widmann-Mauz, Andreas
Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Früherkennung, Behandlung und Pflege bei
Demenz verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung
der Früherkennung und Behandlung von
Demenz
- Drucksachen 15/2372, 15/2336, 15/228,
15/3075 Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Hilde Mattheis von der SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einigen Tagen hat der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Herr Klaus
Theo Schröder, anlässlich eines Festaktes des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste für eine
breite gesellschaftliche Debatte zum Thema „Was ist uns
die Pflege wert?“ plädiert.
({0})
Damit hat er das aufgegriffen, was Anliegen vieler ist.
Allen, die sich mit dem Thema Pflege befassen, ist
klar: Eine solche breite Debatte ist nicht einfach. Die
Vorstellungen über die gesamtgesellschaftliche Verantwortung gehen stark auseinander. Generelle Ziele, zum
Beispiel die Ermöglichung selbstbestimmten Lebens,
auch im hohen Alter, sind leicht formuliert. Die notwendige Finanzierung wird uns in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen. Das beinhaltet auch eine genaue
Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Darauf wird insbesondere in dem von uns, SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, vorgelegten Antrag hingewiesen. Auf der Tagesordnung stehen neben diesem umfassenden Koalitionsantrag zum Themenbereich Demenz die Anträge der Opposition und das PflegeKorrekturgesetz.
Im Pflege-Korrekturgesetz fordert der Bundesrat die
Verlagerung der Finanzierung von behandlungspflegerischen Maßnahmen von der Pflegeversicherung in die
Krankenversicherung. Urteile des Bundessozialgerichts
hatten in der Praxis dazu geführt, dass Pflegebedürftige,
die für bestimmte behandlungspflegerische Hilfeleistungen ambulante Dienste in Anspruch nehmen, finanziell
zusätzlich belastet wurden. Zum Teil wurden 80 Prozent der zugestandenen Leistungen allein für das tägliche An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen
aufgebraucht. Damit reduzierte sich für die Betroffenen
ganz erheblich die Möglichkeit, sich andere Leistungen
dazuzukaufen.
Bundesregierung und Parlament haben bereits gehandelt. Seit dem 1. Januar 2004 regelt das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in § 37 Abs. 2 SGB V, dass diese
medizinische Behandlungspflege von der Krankenkasse
zu finanzieren ist.
({1})
Obwohl damit der weitaus größte Teil an medizinischer
Behandlungspflege erfasst wird, muss festgestellt werden, dass krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen wie
zum Beispiel das Wechseln von Sprechkanülen oder die
Sekretabsaugung bei der Nahrungsaufnahme damit nicht
berücksichtigt werden.
({2})
Hier besteht weiterer Regelungsbedarf.
Warum lehnen wir also trotzdem den Bundesratsentwurf, der auf einen Antrag Bayerns zurückgeht, ab? Der
Umsetzungsvorschlag aus Bayern ist zu verwaltungsaufwendig; denn die Berücksichtigung des behandlungspflegerischen Hilfebedarfs bei der Feststellung der
Pflegebedürftigkeit wird von der häuslichen Versorgungsstruktur abhängig gemacht. Wenn also die häusliche Pflegeperson aus irgendeinem Grund ausfällt, muss
eine Neubeurteilung der Einstufung erfolgen. Das ist für
alle Beteiligten unzumutbar.
In dem Entwurf eines Pflege-Korrekturgesetzes wird
also ein berechtigtes Anliegen formuliert, welches größtenteils durch das GMG erfüllt ist. Der hier vorgeschlagene Lösungsweg ist zu verwaltungsaufwendig. Zum
Vorschlag aus Bayern kann also nur festgestellt werden:
Problem erkannt, Lösungsvorschlag schlecht!
({3})
Wir lehnen das Pflege-Korrekturgesetz ab.
Zur Debatte stehen heute auch drei Anträge zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Demenzkranken. In allen Anträgen wird zu Recht die Verbesserung von Forschung, Prävention und Früherkennung
gefordert. Die Begründungen der Forderungen sind allerdings unterschiedlich aussagekräftig. Zum FDP-Antrag ist lediglich zu sagen, dass in der letzten Forderung
ein Coming-out steckt. Sie fordern:
Finanzierung der ärztlichen Leistungen außerhalb
der gedeckelten Gesamtvergütung und Herausnahme der für Vorsorge und Therapie von Demenzerkrankungen benötigten Arzneimittel aus den
Richtgrößenvereinbarungen.
Das heißt: keine Deckelung bei der Behandlung von Demenzerkrankten.
Wir alle wissen, dass es Medikamente gibt, die den
Ausbruch von Alzheimer möglicherweise bis zu einem
Jahr verzögern können. Wir wissen aber auch, dass diese
Medikamente schwere Nebenwirkungen hervorrufen
können.
({4})
Auf dem Beipackzettel von Acetylcholinesterasehemmern werden beispielsweise Nebenwirkungen wie Verwirrtheitszustände und verstärkter Bewegungsdrang
aufgelistet. Schwerpunktmäßig also auf eine medikamentöse Behandlung zu setzen findet - das wird Sie von
der FDP nicht erstaunen - nicht unsere Unterstützung.
({5})
- Herr Parr, bevor Sie sich aufregen:
({6})
Eine medikamentöse Behandlung von Demenzkranken
schließt niemand aus. Wir wissen aber: Bei diesem
Krankheitsbild bringt soziale Betreuung mehr Lebensqualität für die betroffenen Menschen.
Diese Forderung der FDP war dann auch für die
CDU/CSU zu viel. Sie will - ich nehme an, als Brückenschlag zur kleineren Oppositionspartei, der sie inhaltlich
nicht ganz in den Rücken fallen will - die Entwicklung
optimierter medikamentöser Behandlungsmaßnahmen mehr nicht.
Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag zur Demenz wesentliche Teilbereiche unseres Antrags aufgegriffen: die
bessere Unterstützung pflegender Angehöriger, die Ausweitung der Beratung, die Erweiterung des Pflegebegriffs, Fort- und Weiterbildungsangebote für Hausärzte,
Therapeuten und Pflegekräfte.
Warum also debattieren wir heute drei in Teilen fast
inhaltsgleiche Anträge? Bei aller Ernsthaftigkeit dieses
Themas könnten sich unbeteiligte Beobachter fragen, ob
wir mit dieser Vorgehensweise wirklich der Sache dienen und der Herausforderung gerecht werden. Die Einladung, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, hatte
die Opposition erhalten. Zwischen den Berichterstattern
aller Parteien wurde verabredet, einen ersten Entwurf
vorzulegen. Das haben wir von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen getan. Die Begründung, mit der die CDU/CSU
aus dem interfraktionell geplanten Projekt zur Situation
von Demenzkranken in unserem Land ausgestiegen ist,
kann ich nur als fadenscheinig bezeichnen.
1,2 Millionen Menschen leiden heute schon an Demenz. Sofern wir bei Therapie- und Präventionsmaßnahmen keine entscheidenden Fortschritte machen, wird
sich diese Zahl in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln.
Deshalb ist es notwendig, rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen. So können wir ein Netz von abgestuften,
bedürfnisorientierten und gemeindenahen Hilfe- und
Versorgungsstrukturen und -angeboten für hilfebedürftige Menschen und ihre Angehörigen schaffen. Dies
steht im Mittelpunkt unseres Antrags.
Wir wollen, dass auf der Grundlage eines qualitätsgesicherten Assessments ein individuell zugeschnittener
Hilfe- und Maßnahmenplan aufgestellt wird. Wir wollen
ambulante Strukturen und verstärkt alternative Wohnformen, die ein Leben in Selbstbestimmung ermöglichen.
Wir wollen kostenträgerübergreifende Anreizstrukturen
für Prävention und Rehabilitation. Wir wollen flexible,
auf die Situation der jeweiligen Einrichtungen und ihre
Bewohner bezogene Instrumente der Personalbemessung.
Neben der Weiterentwicklung dieser Strukturen ist es
notwendig, in der pflegerischen Versorgung selbst Ansätze und Konzepte zu unterstützen, die auf die Wiederherstellung von Kompetenzen und Fähigkeiten pflegebedürftiger Menschen abzielen. Hierbei ist eine
grundsätzliche Lösung der Schnittstellenproblematik der
einzelnen Kostenträger nötig. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit soll erweitert werden. Hierfür muss nicht
nur die Pflegebedürftigkeit neu definiert werden, sondern wir müssen auch die Verfahren zur Feststellung der
Pflegebedürftigkeit verbessern.
Demenz ist heute immer noch ein Tabuthema. Wir
müssen also Netze zwischen professionellen und ehrenamtlichen Einrichtungen knüpfen, die nicht nur demenzkranke Menschen betreuen, sondern auch den pflegenden Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wer
einmal einen Demenzkranken gepflegt hat, weiß, welche
physische und vor allen Dingen psychische Belastung es
bedeutet, einen geliebten Menschen nicht nur beim körperlichen, sondern auch beim geistigen Zerfall zu begleiten.
Der Wunsch, einen gemeinsamen Beitrag für eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu leisten, konnte wegen
des Verhaltens der Opposition nicht realisiert werden. In
der nächsten Zeit werden wir nicht nur über die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils,
({7})
sondern zumindest auch über den Fahrplan für eine umfassende Reform der Pflege zu diskutieren haben. Wenn
die Opposition ihr Verhalten, das sie bei diesem Antrag
an den Tag gelegt hat, fortsetzt, hilft sie der gesamtgesellschaftlichen Debatte nicht.
({8})
So wird sie zu keiner Lösung kommen und erst recht
nicht den hilfebedürftigen Menschen dienen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Verena Butalikakis
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Demenzielle Erkrankungen sind eine sozial- und
gesundheitspolitische Herausforderung erster Ordnung.
Das sagte Bundespräsident Rau im Dezember letzten
Jahres anlässlich eines Gesprächs mit der Deutschen
Alzheimer-Gesellschaft. Diese Erkenntnis ist sicherlich
nicht neu, aber es ist wichtig und richtig, dass der Bundespräsident wieder auf die politische Verantwortung
hinweist; denn politische Verantwortung heißt: Wer regiert, muss auch handeln.
Nach konservativen Schätzungen leiden heute über
950 000 Menschen in Deutschland an einer mittelschweren oder schweren Demenz. Bezieht man leichtere Demenzformen in die Berechnung ein, so kommt man auf
die gerade schon von der Kollegin Mattheis genannte
Zahl von 1,2 Millionen Menschen. Da demenzielle Erkrankungen - die Alzheimerkrankheit ist dabei die mit
Abstand verbreitetste - vor allem bei Menschen in höherem und hohem Lebensalter auftreten, ist laut Expertenmeinung - und da sind sich alle einig - für die folgenden
Jahre und Jahrzehnte mit einem dramatischen Anstieg
dieser Krankheit zu rechnen. Die von der Krankheit betroffenen Menschen und ihre Familien erwarten daher zu
Recht Hilfe und sie warten schon lange - zu lange.
Wir beraten heute drei Anträge, die zur Verbesserung
der Situation Demenzerkrankter, ihrer pflegenden Angehörigen, ihrer Familien und auch der behandelnden und
betreuenden Fachkräfte führen sollen. Wir beraten wieder einmal und die Beratungszeit von der ersten Lesung
des FDP-Antrags im Februar 2003 bis heute, also von
über einem Jahr, war lang; Zeit, die die Betroffenen eigentlich nicht haben.
Und Kollegin Mattheis, Sie können die Abläufe und
Absprachen zu diesen Anträgen im Plenum und im Ausschuss noch zehnmal falsch darstellen - es stimmt nicht.
Ich habe mich bereits in meiner letzten Rede hier dazu
ausführlich geäußert und heute sollten wir uns dem
Grundsätzlichen zuwenden.
({0})
Worüber beraten wir? Die Anregungen und Forderungen von Experten verschiedener Disziplinen und von
Betroffenenvertretern sind zum großen Teil seit mehreren Jahren bekannt. Wir wissen, dass wohnortnahe Betreuungs- und Beratungsstrukturen, individuelle Hilfeplanung und qualitätsgesicherte Pflege und Betreuung,
vielschichtige Behandlungskonzepte und frühzeitiges
Erkennen durch kompetente Ärzte und Unterstützungsangebote für Angehörige ebenso wichtig sind wie die
Qualifizierung der Fachkräfte, verstärkte und vernetzte
Forschungsanstrengungen und die Aufklärung über die
Krankheit in der Öffentlichkeit.
All diese Forderungen, ergänzt um die Umsetzungserfordernisse aus aktuellen wissenschaftlichen Forschungen, sind vor über zwei Jahren in einem umfassenden
Bericht zusammengefasst worden. Und damit liegen seit
Januar 2002 77 konkrete Handlungsempfehlungen zur
Verbesserung der Lage und der Versorgung Demenzerkrankter vor, denn mit 77 Handlungsempfehlungen
endete der Vierte Altenbericht zum Thema „Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen“.
Die Sachverständigenkommission, die diesen Bericht erstellt hat, war von der rot-grünen Bundesregierung berufen worden und die Empfehlungen richteten sich an
ebendiese Bundesregierung. Das war für die zuständige
Ministerin eigentlich eine Aufforderung zum konkreten
Handeln.
Passiert ist seit Januar 2002, also seit über zwei Jahren, aber nichts. Seit über zwei Jahren gibt es keine konkrete Initiative aus dem Haus der Gesundheits- und Sozialministerin, um auch nur eine dieser Forderungen
umzusetzen.
({1})
- Richtig, Herr Kollege Parr. - Das sind zwei verlorene
Jahre für die Betroffenen und ihre Familienangehörigen.
Sie haben vergeblich auf Hilfe gewartet.
Weil dies so ist, beraten wir heute abschließend die
drei vorliegenden Anträge. Alle Anträge - auch der Antrag der rot-grünen Regierungskoalition - fordern die
Bundesregierung zum Handeln auf - endlich.
({2})
Entsprechend meiner einleitenden Ausführungen greifen
die Anträge zwangsläufig gleiche Themenpunkte auf.
Sie unterscheiden sich aber in der Gewichtung und selektiven Beschreibung dieser Punkte und ganz deutlich,
wenn es um die konkreten Forderungen geht.
Der Antrag der FDP greift mit dem Thema „Früherkennung und Behandlung von Demenz“ einen wichtigen Teilaspekt auf, den wir von der Intention her teilen.
Einige Forderungen im Antragstext teilen wir aber so
nicht - insoweit stimme ich der Kollegin Mattheis zu und andere fehlen uns.
Frau Kollegin Butalikakis, darf ich Sie unterbrechen?
Der Kollege Dreßen würde gerne eine Zwischenfrage
stellen. Erlauben Sie das?
Ich würde dies gern zu Ende ausführen. Ich empfehle
dem Kollegen Dreßen, sich zu einer Kurzintervention zu
melden.
({0})
Da der Antrag heute ohne Berücksichtigung unserer
umfangreichen Änderungswünsche zur Abstimmung ansteht, werden wir als CDU/CSU-Fraktion den FDP-Antrag ablehnen.
Der Antrag der rot-grünen Regierungskoalition und
der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, unser Antrag also,
stimmen zunächst im Benennen mehrerer Themenschwerpunkte überein.
Die deutlichen Unterschiede will ich an zwei zentralen Punkten aufzeigen: bei der Früherkennung und
-behandlung und beim erweiterten Pflegebegriff.
Die bereits ergriffenen Initiativen zur Verbesserung
der Früherkennung und Therapie von Demenzerkrankungen sind zügig weiterzuführen.
So lautet die Forderung von Rot-Grün. Das ist alles, was
in Ihrem Antrag steht. Im Vierten Altenbericht werden
gerade diese Initiativen als „bei weitem nicht ausreichend“ gerügt.
Da Demenz derzeit leider noch nicht heilbar ist, besteht nach Angaben von Wissenschaftlern nur am Anfang der Erkrankung ein „therapeutisches Fenster“. Die
Experten fordern deshalb deutlich verstärkte Forschungsbemühungen und internationale Zusammenarbeit, um die Früherkennung und Diagnostik zu verbessern. Darüber hinaus sind sich alle Sachverständigen
einig, dass gerade eine im Frühstadium der Erkrankung
einsetzende kombinierte Therapie den größten Erfolg
bietet.
({1})
Das heißt, die Gabe von Medikamenten und alle Formen
psychosozialer Förderung sollen gemeinsam angewendet werden.
Obwohl Studien, die übrigens nach europäischem
Standard durchgeführt wurden, einen Verzögerungseffekt
von sechs bis neun Monaten belegen, besteht bei der medikamentösen Behandlung mit Antidementiva noch erhebliche Unterversorgung. Dies stellte in der zweiten Anhörung im März dieses Jahres neben vielen anderen auch
der Sachverständige des MDK, des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen, fest. Der Medizinische
Dienst der Krankenkassen ist sicherlich unverdächtig,
unnötigerweise höhere Ausgaben im Arzneimittelbereich
zu fordern.
({2})
Aber auch er stellte die Unterversorgung fest und forderte ihre Behebung. Das zeigt: Gerade bei der Frühbehandlung besteht derzeit ein Versorgungsproblem.
({3})
Meine Damen und Herren, wir möchten, dass die
Menschen, die an dieser unheilbaren Krankheit erkranken, alle Hilfen erhalten, die derzeit möglich sind; außerdem wollen wir weitere Verbesserungen, und das so
schnell wie möglich. Deshalb haben wir in unseren Antrag, im Gegensatz zum Antrag von Rot-Grün, die Forderungen der Sachverständigen aufgenommen. Wir erwarten ihre unverzügliche Umsetzung.
Bei der Pflege von Demenzkranken ist die Erweiterung des Pflegebegriffs eine seit Jahren bestehende
Forderung;
({4})
denn demente Menschen brauchen nicht nur eine Grundpflege bei allgemeinen täglichen Verrichtungen, sondern
darüber hinaus Beaufsichtigung und Betreuung. Daher
fordern wir in unserem Antrag, den verrichtungsbezogenen Pflegebegriff für diese Betreuung noch in diesem
Jahr um täglich 30 Minuten zu erweitern. Wenn der
Grundsatz „ambulant vor stationär“ in die Realität umVerena Butalikakis
gesetzt werden soll, dann muss hier dringend und schnell
eine Änderung erfolgen.
Auch diese Forderung ist nicht neu; sie ist schon im
Dritten Altenbericht erhoben worden, im Jahre 2001 hat
die CDU/CSU-Fraktion dazu einen Gesetzentwurf eingebracht, auch im Vierten Altenbericht finden wir diese
Forderung. Die Rürup-Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt worden war, hat diese Forderung
erhoben. Ebenso hat Bundesministerin Schmidt bei der
Vorstellung der Eckpunkte ihrer Reform der Pflegeversicherung im Oktober 2003 gesagt, sie wolle diesen
Punkt umsetzen.
Wenn Sie jetzt mit einer schnellen Umsetzung rechnen, müssen Sie wissen, dass das nicht passieren wird;
({5})
denn im Januar dieses Jahres hat der Kanzler die
Reform der Pflegeversicherung mit einem Machtwort
gestoppt. Mittlerweile kann man der Presse entnehmen,
dass das Sozialministerium in diesem Jahr keine Verbesserungen für Demenzerkrankte auf den Weg bringen
wird. Sie sind auf die folgenden Jahre verschoben worden. Durch die Aussagen der Kollegin Mattheis wurde
dies ja gerade bestätigt.
({6})
Es geht nur noch um die Planung einer Änderung der
Pflegeversicherung - mehr nicht.
Das passt auch zu dem Antrag von Rot-Grün; denn
dort heißt es: „... bedarf der Pflegebegriff in der Pflegeversicherung mittelfristig einer Überarbeitung“.
({7})
„Mittelfristig“ heißt nichts anderes, als dass der Beginn
der Planungen auf einen unabsehbaren Zeitpunkt verschoben wird.
({8})
Hier muss ich natürlich das Wort an die Frau Kollegin
Selg richten: Frau Selg, wenn Sie Ihre Aussagen, die
man seit Ende April in der Presse lesen kann,
({9})
tatsächlich ernst meinen und wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen - gerade auch im Hinblick auf die letzten
Artikel -, dann dürften Sie dem Antrag der Regierungskoalition zumindest in diesem Punkt nicht zustimmen.
({10})
In Ihrem eigenen Antrag steht „mittelfristig“. In der
Presse verbreiten Sie, dass Sie sich dafür einsetzen, dass
wir noch in diesem Jahr im Bereich der Pflegeversicherung Verbesserungen für an Demenz Erkrankte bekommen. Also: entweder Glaubwürdigkeit oder an dieser
Stelle dem rot-grünen Zwang folgen. Ich beantrage aber
auch gerne für Sie eine Einzelpunktabstimmung, wenn
Ihnen das helfen sollte.
({11})
Wir können so über die einzelnen Punkte unseres Antrages abstimmen. Dann können Sie uns zustimmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sicher, dass ich mit den beiden Themenpunkten, die ich
gerade aufgeführt habe, überdeutlich gemacht habe, dass
Themen benennen das eine ist, die Forderung nach
Umsetzung das andere. Damit ist auch begründet, warum wir den Antrag der Regierungskoalition ablehnen.
Denn nur unser Antrag greift die zentralen Problemfelder auf und fordert die Regierung - das ist das Wichtige
- zu schnellem und unverzüglichem Handeln auf.
Ich möchte ganz kurz noch zwei wichtige Punkte ansprechen, die auch in unserem Antrag enthalten sind.
Das eine, was mir ein besonderes Anliegen ist, ist die
Situation der Angehörigen. Hier haben wir - das sage
ich sehr deutlich - von der Grundeinstellung her, wie
hier Hilfen zu erbringen sind, keinen Dissens; da sind
wir uns in diesem Haus einig. Wir wissen, dass wir flächendeckende Angebote für Beratung, Betreuung und
Tagespflege brauchen. Wir sind uns aber nicht ganz so
einig, wenn es darum geht, wie das umzusetzen ist.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Aus unserer Sicht müssen die Kommunen hier unterstützt werden; sie dürfen nicht an den Pranger gestellt
werden. Eine Arbeitsgemeinschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen hätte die Bundesregierung, wenn
sie vernünftig gehandelt hätte, schon längst einrichten
können; dafür braucht man eigentlich keinen Antrag.
Damit bin ich bei dem Zitat, mit dem ich enden möchte,
Herr Präsident. Bundeskanzler Schröder hat sich im
„Focus“ am 26. April dieses Jahres folgendermaßen geäußert:
Wenn wir außerdem etwas für Demenzkranke tun
können, ohne in ein finanzielles Risiko zu geraten wer hätte etwas dagegen?
So darf man mit dem Thema Demenz nicht umgehen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reform der Pflegeversicherung hat mit den hier
vorliegenden Anträgen nichts zu tun. Sie können sicher
sein: Wir werden auch das regeln.
Wie Sie schon richtig bemerkten: Wir beraten wieder
einmal über diesen Bereich; so wiederhole auch ich mich
gerne.
Zunächst zum Pflege-Korrekturgesetz. Wir alle sind
uns der Schnittstellenproblematik zwischen Krankenversicherung und Pflegeversicherung bewusst. Das Problem besteht kurz gefasst darin, dass die Krankenkassen
bestimmte Behandlungsleistungen der Pflegeversicherung zugeschoben haben, zum Beispiel das An- und
Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Die Betonung
liegt aber auf „haben“; denn weil wir in der Koalition
uns der Problematik dieses Verschiebebahnhofes bewusst waren, haben wir im Rahmen der Gesundheitsreform gemeinsam mit Ihnen von der Union den entsprechenden Paragraphen im Fünften Sozialgesetzbuch neu
gefasst.
({0})
Damit ist das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen eindeutig als Leistung der Krankenversicherung definiert; der wichtigste und teuerste Teil ist damit
erledigt.
Herr Zöller, wenn Sie so laut rufen, dann frage ich
mich: Hätten Sie mehr gewollt? Warum haben Sie es
dann bei den Verhandlungen zum GMG nicht gesagt
oder gefordert? Von so etwas habe ich nichts gehört!
({1})
Ich sage Ihnen auch, warum: weil es Geld kostet.
({2})
Es ist durchaus richtig, dass mit der Regelung zu den
Kompressionsstrümpfen nicht das ganze Problem gelöst
ist. Wenn wir jetzt den Rest des Verschiebebahnhofes,
Einreibungen usw. auch noch regeln wollen, bin ich gern
dabei. Aber dann benennen Sie bitte schön ehrlich die finanziellen Auswirkungen und sagen Sie, wo das Geld
herkommen soll.
({3})
Was mit diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, ist
- Frau Kollegin Mattheis hat es schon gesagt - schlicht
und einfach bürokratisch und zu umständlich, um das
vernünftig zu regeln; das kann es nun wirklich nicht
sein. Sie fordern doch immer Bürokratieabbau. Mit
diesem Gesetz würden Sie Bürokratiemonster schaffen.
Deshalb werden wir dieses Gesetz ablehnen.
Kommen wir jetzt zu den Anträgen zum Thema
Demenz. Es lässt sich feststellen, dass sich offensichtlich alle Fraktionen darüber einig sind, dass auf diesem
Gebiet Handlungsbedarf besteht. Es freut mich insbesondere, erkennen zu können, dass die FDP offenbar doch
ein soziales Gewissen besitzt, entgegen ihren jüngsten
Forderungen, die gesetzlichen Krankenkassen abschaffen zu wollen.
Der letzte Spiegelstrich Ihres Antrags, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, mutet allerdings
schon etwas seltsam an. Ich frage mich, welches Motiv
Sie dafür haben, die Aufhebung der Kostendeckelung
und der Richtgrößenvereinbarung zu fordern. Sie sind
doch sonst so sparsam und auf Selbstbeteiligung und
Kostenerstattung versessen. Nur wenn es um diese sehr
teuren Medikamente geht, über deren Wirkung wir viel
zu wenig wissen, ist das auf einmal nicht der Fall. Diese
Forderung ist völlig unbegründet, inakzeptabel und
schlicht und ergreifend populistisch.
({4})
Außerdem ist es viel zu einseitig, vor allem auf die Medikalisierung von Dementen zu setzen, wie es die Opposition tut. Glauben Sie vielleicht, wir erfinden so einfach
eine Superpille gegen Demenz, womit alle Probleme gelöst sind?
({5})
Insgesamt haben wir von der Regierung viel getan. Im
Vierten Altenbericht der Bundesregierung von 2002
steht all das, was Sie heute als Ihre Erkenntnis verkaufen. Darüber hinaus nenne ich nur das „Kompetenznetz
Demenzen“, das vom BMGS gefördert wird, die Neuregelung der Altenpflegeausbildung aus dem Jahr 2002
und das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz, ebenfalls aus
dem Jahr 2002. Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Meine Redezeit würde nicht ausreichen, alles aufzuzählen. Aber ich rate Ihnen: Lesen Sie; denn Lesen
bildet!
({6})
Es ist also viel passiert; das können auch Sie von der
Opposition nicht leugnen. Aber ich bin ehrlich: Das
reicht nicht aus.
({7})
Darin sind wir uns völlig einig. Aus diesem Grund hat
die Koalition selbst einen Antrag zu diesem Thema eingebracht.
({8})
Liebe Frau Butalikakis, wir ruhen uns auf dem Erreichten keinesfalls aus.
Wir fordern, in diesem Bereich vor allem Prävention
und Rehabilitation von Pflegebedürftigen zu fördern.
Bezogen auf Demenz heißt das: Die Krankheit muss
möglichst früh erkannt und behandelt werden. Wir wollen gute Modelle und Ansätze für neue Wohnformen
verwirklichen und ambulante Netzwerke fördern und
weiterentwickeln. Dabei muss vor allem der ambulante
Bereich gestärkt werden. Die Betroffenen müssen ihre
verbliebenen Potenziale voll ausschöpfen können und
sollen nicht nur Pillen schlucken.
Ich betone immer wieder, dass wir auch die Angehörigen der an Demenz Erkrankten nicht vergessen dürfen,
die oft bis an die Grenzen ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit gefordert sind. Deshalb brauchen
wir entlastende Versorgungsangebote wie Tages-, Nachtund Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Wir brauchen mehr
Informations- und Beratungsangebote. Hier sind aber
auch die Länder und die Kommunen gefordert.
({9})
Ich komme zu einem weiteren ganz wichtigen Punkt.
Dass wir den Pflegebegriff in der Pflegeversicherung erweitern müssen, ist allgemein bekannt. Der gegenwärtige Begriff konzentriert sich einseitig auf die somatischen Aspekte von Pflege. Das wollen und das werden
wir ändern.
({10})
Das muss schnell geschehen, da große Lücken bei der
Absicherung bestehen.
Lassen Sie mich meine Rede mit einem Appell beenden. Wir alle sehen im Bereich der Demenz die gleichen
Probleme und wollen etwas unternehmen. Wir können
Verbesserungen für bedürftige Menschen aber nur dann
erreichen, wenn wir ein solch sensibles Thema nicht für
alberne politische Spielchen missbrauchen.
({11})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie müssen an all Ihre Forderungen ein Preisschild hängen; denn, Herr Parr, all diese
Forderungen kosten Geld. Darum brauchen wir gar nicht
herumzureden.
({12})
- Frau Butalikakis, Sie wissen doch um den Zustand aller sozialen Sicherungssysteme, auch den der Pflegeversicherung.
({13})
Wir wollen nicht nur Hoffnungen wecken, wie Sie es
tun. Sie hängen an Ihre Forderungen nur einen ungedeckten Blankoscheck. Das finde ich unseriös.
({14})
Wir werden die Reform der Pflegeversicherung umsetzen und damit auch eine Verbesserung für die Demenzkranken erreichen.
({15})
Ich hoffe sehr auf Ihre Mitarbeit und dafür, dass Sie
nicht nur populistische Forderungen aufstellen.
({16})
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deswegen
nichts zu tun, weil etwas Geld kostet, bedeutet, Hunderttausende von Menschen weiterhin im Stich zu lassen.
Das machen wir nicht mit.
({0})
Mein Vater ist 91 Jahre alt und leidet seit acht Jahren
an einer schweren Demenz. Dank meiner 84-jährigen
Mutter, die noch die Kraft zur häuslichen Pflege hat, lebt
er zu Hause in den eigenen vertrauten vier Wänden.
Diese familiären Verhältnisse haben zu unserem Antrag
geführt; deswegen haben wir ihn gestellt.
({1})
Er wurde also mitten aus dem Leben heraus geschrieben
und ist nicht von theoretischen Erwägungen geprägt.
({2})
Wir scheuen uns immer noch zu sehr, das Thema Altersverwirrtheit öffentlich zu machen. Das zeigt auch die
Tatsache, dass Rot-Grün über ein Jahr benötigt hat, unserem Antrag einen eigenen Antrag gegenüberzustellen.
Immerhin gibt es jetzt eine öffentliche Debatte. Sie ist
auch dringend erforderlich, weil sich die Zahl der Demenz- und Alzheimer-Erkrankten aufgrund der demographischen Entwicklung in Zukunft dramatisch erhöhen
wird.
({3})
Deshalb brauchen wir schnellstens ein Gesamtkonzept
zur Verbesserung der Früherkennung und Behandlung
dieser Krankheiten, das wir im Antrag fordern.
({4})
Nach meiner Beobachtung würde mein Vater heute
nicht mehr in seiner vertrauten Umgebung leben, wenn
ihm der medizinische Fortschritt nicht geholfen hätte. Er
gehört zu der Minderheit der Bevölkerung, die ein Antidementivum erhält. Dadurch wurde der Krankheitsverlauf deutlich hinausgezögert. Meine Damen und Herren
insbesondere von Rot-Grün, ich frage mich, warum wir
es zulassen, dass die Mehrheit der Demenzkranken
- insbesondere in den Altenheimen - stattdessen billigere Neuroleptika erhält, die zwar ruhig stellend wirken,
aber erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen.
({5})
- Herr Dreßen, ich komme noch auf den Finanzierungsaspekt.
Die Kosten für eine rechtzeitige kombinierte Behandlung mit Antidementiva auf der einen und aktivierenden
Behandlungsmaßnahmen im Hinblick auf die Hirnleistung auf der anderen Seite liegen nach meiner Überzeugung auf keinen Fall höher als die einer vorzeitigen
Heimunterbringung. Rechnen Sie das einmal gegen!
({6})
Wenn wir uns Gedanken über die Humanität im Alter
machen, dann muss klar werden, dass wir als Gesetzgeber vor allem dafür Sorge tragen müssen, dass Demenzkranke möglichst lange ein eigenständiges Leben führen
können und dass die häusliche Lebensqualität so lange
wie möglich hochgehalten werden kann.
({7})
Herr Dreßen, es mag sein, dass wir die Finanzierung
ein wenig zu optimistisch gesehen haben. Rechtfertigt
das aber ein Verteufeln innovativer Medikamente?
({8})
Wir dürfen keine Chance leichtfertig über Bord werfen,
die Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich hinauszuzögern und dadurch zu einer Kostenersparnis im Pflegebereich zu kommen. Dazu gehört natürlich auch die
Chance, Demenzveranlagungen und -erscheinungen
durch die rechtzeitige Teilnahme an Tests früh zu erkennen. Die Testverfahren sind ausgereift und versprechen
eine Erfolgsquote von 90 Prozent.
Herr Kollege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dreßen?
({0})
Natürlich tue ich das.
Bitte schön, Herr Dreßen.
Herr Kollege Parr, an dieser ganzen Debatte ärgert
mich Folgendes: Wir alle liegen bei der Analyse zwar irgendwie richtig, da wir fordern, mehr gegen die Demenz
zu tun usw. Gleichzeitig ist aber keiner von uns bereit, zu
sagen, woher die Mehreinnahmen dafür kommen sollen.
({0})
Ich war bei der Entstehung der Pflegeversicherung
dabei und erinnere mich noch sehr gut daran, wie Ihre
Frau Babel damals die 1,7 Prozent zur heiligen Kuh gemacht hat. Sogar ein Feiertag wurde dafür geopfert. Ich
gebe durchaus zu - jeder, der einmal in einem Pflegeheim war, sieht das -, dass wir in diesem Bereich einiges
tun müssen. Wir alle wissen aber auch, dass das Geld
kostet. Sind Sie bereit, uns hier zu erklären, woher diese
Mehreinnahmen kommen sollen? Machen Sie uns einen
Vorschlag, auf den wir uns dann vielleicht einigen können!
Herr Parr, bevor Sie antworten, darf ich die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass in § 27 Abs. 2
unserer Geschäftsordnung von Zwischenfragen und
Zwischenbemerkungen die Rede ist. Es muss sich also
nicht um eine Frage handeln. - Bitte schön.
Herr Kollege Dreßen, erstens. Die Entscheidung zur
Pflegeversicherung im Jahre 1994 war eine der größten
Fehlentscheidungen dieses Hauses.
({0})
Es war ein Granatenfehler, eine umlagefinanzierte Säule
daneben zu stellen.
({1})
Wir als FDP haben damals als einzige dafür gekämpft,
sie als eine kapitalgedeckte Säule aufzubauen, sie also
nicht zum Bestandteil des Sozialsystems zu machen. Wir
alle wissen mittlerweile, dass wir mit unserer damaligen
Forderung richtig lagen.
Zweitens zu den Kosten. Ich haben Ihnen erläutert,
dass man die Investitionen, die man zum Beispiel im
Medikamentenbereich tätigt, und die eingesparten Kosten aufgrund einer späteren Heimeinweisung gegenrechnen muss. Wenn Sie diese Rechnung aufmachen, dann
werden Sie erkennen, dass es nicht zu Mehrausgaben
kommt, sondern dass sich das rechnet. Wir sind von der
These, die wir aufgestellt haben, überzeugt; Sie bezweifeln sie.
({2})
Wir alle hoffen auf ein hohes Alter bei guter Gesundheit. Dafür müssen wir das Bewusstsein schaffen, uns
rechtzeitig Aufschluss über gewisse Lebensrisiken zu
verschaffen und uns gegebenenfalls darauf einzustellen.
Die bisherigen Erkenntnisse aus der Versorgungs- und
Ursachenforschung auf diesem Gebiet müssen erweitert
werden; darin sind wir uns einig. Es darf aber nicht wie
bei dem Antrag von Rot-Grün bei einer plakativen Erwähnung der Forschung in der Überschrift des Antrags
bleiben. Hier müssen wir unsere Anstrengungen konkret,
deutlich und erkennbar verstärken.
Wir müssen die Ausbildung im gerontopsychiatrischen Bereich verbessern. Wir brauchen eine entsprechende Fort- und Weiterbildung für Hausärzte und auf
Demenzdiagnose und Demenzbehandlung spezialisierte
Fachärzte. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von
Rot-Grün: Ist ein Konsens über einen evidenzbasierten
Behandlungskorridor wirklich nicht zu erreichen? Können wir uns vor dem Hintergrund der zu erwartenden
Verdoppelung der Zahl der Demenzerkrankungen in den
nächsten Jahrzehnten nicht doch einvernehmlich auf
eine Diagnose- und Therapiekette zur Sicherung einer
qualitätsgesicherten Demenzfrüherkennung und -behandlung verständigen? Wir dürfen Hunderttausende an
dieser schrecklichen, schleichend den Verstand nehmenden Krankheit Leidenden wie meinen Vater nicht im
Stich lassen. Wir dürfen die vielen Hunderttausende aufopferungsvoll Pflegenden wie meine Mutter nicht alleine
lassen. Wir müssen ihnen die erforderlichen Erleichterungen verschaffen, aus denen sie wieder Kraft für ihren
Dienst am Nächsten schöpfen können.
({3})
Der FDP-Antrag wird gleich routinemäßig abgelehnt
- das entspricht den Gepflogenheiten dieses Hauses und dem rot-grünen Antrag wird zugestimmt. Es wäre
dieser Debatte nicht angemessen, wenn wir danach zum
politischen Alltag übergehen würden. Ich fordere Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, auf, eine parteiübergreifende Mehrheit zu organisieren, die sich dem
Schicksal der Kranken und Pflegenden dauerhaft zuwendet. Die pflegerische Zeitbombe tickt. Wir alle müssen
unseren Beitrag dazu leisten, sie zu entschärfen. Demenz
darf zu keiner vernachlässigten Krankheit werden.
({4})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gemeinsame und parteiübergreifende Lösung hat Herr Parr
von der FDP eingefordert. Vorher hat er davon gesprochen, dass die FDP etwas anderes im Sinn hatte als das,
was in diesem Haus vor einigen Jahren mit Mehrheit für
die Pflegebedürftigen beschlossen wurde, nämlich eine
solidarische, beitragsfinanzierte Lösung. Hier leistet jeder nach seinen Kräften einen Beitrag und erhält je nach
Bedarf Hilfe. Herr Parr hat von einer kapitalgedeckten
Lösung gesprochen; denn die FDP möchte eine Versicherung für die Pflege. Aber jeder weiß, dass eine Versicherung etwas kostet.
({0})
Die Versicherungen werden das Risiko abwägen. Sie
werden hohe Beiträge von denen fordern, die ein hohes
Risiko bedeuten, und niedrige Beiträge von denen verlangen, die von der Pflegebedürftigkeit noch weit entfernt sind.
({1})
Das werden wir nicht mitmachen.
({2})
Wenn Sie parteiübergreifend vorgehen wollen, dann
müssen wir uns bezüglich der Details einigen.
Was fordern Sie?
Herr Kollege Wodarg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr?
Natürlich.
Bitte schön, Herr Bahr.
Herr Kollege Wodarg, können Sie dem Hohen Hause
Zahlen mitteilen, wie sich die Beiträge zur gesetzlichen
Pflegeversicherung im Umlageverfahren entwickeln
würden, wenn wir nicht in eine Kapitaldeckung einsteigen und damit die demographische Entwicklung ein wenig herausnehmen?
({0})
Wenn der Bedarf für Pflege und damit die Kosten
steigen - wir sind uns einig, dass es immer mehr Demenzkranke geben wird -, dann müssen wir für das System mehr Geld zur Verfügung stellen. Wir müssen sagen,
woher es kommt. Das hängt auch davon ab, was wir den
Menschen zuerkennen. Beispiele für Marginalien sind
Stützstrümpfe oder andere Versorgungsformen.
({0})
Wir müssen aber eine grundsätzliche Debatte darüber
führen, welche Leistungen wir von wem erbringen lassen wollen. Auf der einen Seite stehen die Leistungen
von Profis, auf der anderen Seite steht die Unterstützung
in Form von Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe, von
Gemeinden und Familien. Diese Aktivitäten können wir
unterstützen. Da bestehen sehr viele Kapazitäten und
Ressourcen, deren Wert nicht in Geld ausgedrückt werden kann. Wenn Sie nun einen neuen Markt für die Versicherungswirtschaft eröffnen wollen, dann nutzen Sie
damit die Hilfsbedürftigkeit vieler Pflegebedürftiger aus.
Das nützt denen, die kein Geld haben und hilfsbedürftig
sind, überhaupt nichts. Das sind aber diejenigen, an denen sich die Qualität unserer politischen Lösungen messen lassen muss.
({1})
Die CDU/CSU unterstützt die Initiative des Bundesrates. Der Bundesrat möchte strittige Leistungen bzw.
solche, die zum Teil von der Pflegeversicherung nicht
mehr erbracht werden können, auf die Krankenversicherungen verlagern; meine Vorrednerin hat das angesprochen. Man kann darüber reden, wie man das Problem
löst. Was die CDU/CSU jetzt aber vorschlägt, machen
wir nicht mit, weil es einen wahnsinnigen Aufwand bedeuten würde. Jedes Mal, wenn sich die familiären Verhältnisse ändern, ändert sich die Grundlage für die Begutachtung. Dann kann man mit Recht behaupten, es
müsse wieder ein Gutachter kommen. Familien in Not,
die schon einmal auf einen Gutachter gewartet haben,
wissen, was das bedeutet, und kennen die Unsicherheit
und den Papierkrieg, der damit verbunden ist. Das können wir nicht mitmachen. Diese Lösung ist unpraktikabel. Schon deshalb sollten wir sie ablehnen.
Als die CDU/CSU in der Regierung war, hat sie Vorschläge zur häuslichen Pflege gemacht. Bei dieser Gelegenheit muss ich daran erinnern, dass Herr Seehofer als
verantwortlicher Minister damals die gesamte häusliche
Pflege zur Disposition stellen wollte, indem er es den
Krankenkassen überlassen wollte, diese nicht zu übernehmen, wenn sie mit ihrem Geld nicht auskommen. Er
hat die so genannten Gestaltungsleistungen in seinen Gesetzentwurf geschrieben.
({2})
Bei den Gestaltungsleistungen konnten die Krankenkassen den chronisch Kranken die Taxifahrten, die häusliche Pflege, die Rehabilitation und die physikalische Therapie streichen, wie es ihnen beliebte. Sie wissen ganz
genau, dass das sehr hinterhältig war. Das war nämlich
ein Verschieben der Verantwortung auf die Krankenkassen, die im Wettbewerb natürlich kein Interesse daran
haben, sich um die zu kümmern, die Hilfe am nötigsten
haben. Das wusste Herr Seehofer ganz genau. So handelt
die CDU/CSU.
Das waren Ihre Vorschläge. Konkrete Vorschläge, wie
diese Probleme zu lösen sind, hätten Sie im Rahmen der
Verhandlungen über das SGB V machen können.
({3})
Da ist von Ihnen aber nichts gekommen. Daher denke
ich, wir können gemeinsam diese Regelung des Bundesrates ablehnen. Wir sollten keine falsche Loyalität gegenüber einer schlechten Politik zeigen. Wir sollten bei
der Sache bleiben und uns gemeinsam der Verantwortung stellen. Diese Verantwortung ist in der Tat drückend. Wir brauchen in Zukunft Strukturen, die alle Ressourcen mobilisieren, um den Menschen zu helfen, die
Hilfe nötig haben.
Dazu brauchen wir nicht nur Geld. Es handelt sich um
eine Aufgabe, die nahe an den Betroffenen gestaltet werden muss. Das sehen wir in Skandinavien. Wir müssen
dafür sorgen, dass es denjenigen, die in der Nachbarschaft und in den Gemeinden leben, leichter gemacht
wird, Selbsthilfe zu organisieren. Da gibt es Methoden.
Es gibt in Deutschland schon eine Menge Ansätze. Es
gibt Pflegeinitiativen in Rheinland-Pfalz. Es gibt die
Qualitätsoffensive in Schleswig-Holstein.
({4})
Das sind gute, an den Problemen orientierte Ansätze, die
dafür sorgen, dass die Pflege besser und problemgerechter wird. Es gibt auch Initiativen in den Bundesländern,
die von den Betroffenen selbst kommen. In Bielefeld
und Umgebung gibt es den Alt und Jung e. V., der dort
Selbsthilfe organisiert und neue Nachbarschaften bildet.
In Berlin gibt es den Freunde alter Menschen e. V. Es
sind, wenn ich richtig gezählt habe, über 60 verschiedene Selbsthilfeorganisationen, die die Pflege organisieren. Durch die Menschen, die sich gegenseitig helfen
wollen und die stolz sind, helfen zu können, kann eine
Menge an Erleichterung geschaffen werden. Es muss
nicht immer eine neue Ware oder eine neue Pille sein,
mit der jemand Geld verdient. Wer sich darauf verlässt,
der muss auch wissen, dass das bezahlt werden muss.
Das fällt einigen vielleicht leicht.
({5})
- Nein, überhaupt nicht. Aber wenn wir ein Viertel des
Geldes, das für die Erforschung neuer Pillen ausgegeben
wird, dafür ausgeben würden, dass wir herausfinden, wie
wir die Menschen in die Lage versetzen, sich selbst zu
helfen,
({6})
und wenn wir soziale Forschung auf diesem Gebiet
finanzieren würden, dann hätten wir einen viel größeren
Gewinn als den, den die Pharmaindustrie aufgrund der
Interessen ihrer Aktionäre erzielt.
Den Unternehmen geht es darum, ihre Produkte zu verkaufen und Gewinne zu erzielen. Welche Folgen sich
langfristig daraus ergeben, ist häufig zweitrangig. Deshalb sind wir als Politiker aufgefordert, unsere Zielsetzung an den Menschen zu orientieren.
Ich fordere Sie auf, gemeinsam auf allen Ebenen - in
den Kommunen, den Ländern und auf Bundesebene eine nachhaltige Politik zu gestalten, die die Ressourcen
unserer Gesellschaft nutzt und der Tatsache Rechnung
trägt, dass Geld nicht alles ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Sehling von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn Kolleginnen
und Kollegen! Das vom Bundesrat auf Initiative Bayerns
vorgelegte Pflege-Korrekturgesetz soll bei der häuslichen Krankenpflege die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für die Behandlungspflege
klarer regeln. Aufgrund eines Urteils des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2001 fallen die Leistungen der Behandlungspflege nicht mehr in den Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung. Stattdessen muss
nun die Pflegeversicherung für diese Leistungen aufkommen. Das führt für den Einzelnen häufig zu einer
unzumutbaren Aushöhlung der Pflegesachleistungen.
({0})
Ich möchte das an einem konkreten Beispiel deutlich
machen. Wenn bei einem Pflegebedürftigen zu Hause
durch die Pflegekraft häufig der Katheter gewechselt
werden muss, wird diese Leistung nach geltender
Rechtslage nicht mehr wie früher von der Krankenkasse
bezahlt. Stattdessen fällt diese Behandlungspflege jetzt
nach dem genannten Gerichtsurteil in die Grundpflegeverrichtung „Nahrungsaufnahme und Ausscheidung“
und muss somit von der Pflegeversicherung gezahlt werden. Gleiches gilt auch für die anderen Maßnahmen der
Behandlungspflege wie die Schmerzmedikation oder das
Wechseln von Sprechkanülen gegen eine Dauerkanüle.
Vor dem Urteil des Bundessozialgerichts wurden üblicherweise nur Maßnahmen der Grundpflege im Leistungskatalog der Pflegeversicherung berücksichtigt.
Die seitdem erfolgte faktische Verschiebung zulasten der
Pflegeversicherung muss unterbunden und zurückgenommen werden, vor allem deshalb, weil der Pflegesachleistungsanspruch in der Höhe begrenzt ist. Einem
Pflegebedürftigen der Pflegestufe III stehen monatlich
circa 1 500 Euro für die Pflegesachleistungen zu. Wenn
nun - zum Beispiel wegen des genannten häufigen Katheterwechsels, der monatliche Kosten von bis zu
700 Euro verursachen kann - hohe Kosten für die Behandlungspflege anfallen, dann bleibt für die Grundpflege nur noch ein entsprechend verminderter Restbetrag übrig.
Aus diesen Gründen hat der Bundesrat schon Mitte
des vergangenen Jahres in seinem Gesetzentwurf vorgesehen, dass diese Leistungen wieder von der Krankenkasse gezahlt werden sollen. Die Pflegeversicherung
dagegen soll nach dem Gesetzentwurf die Behandlungspflegekosten nur dann übernehmen, wenn der Pflegebedürftige von einem Angehörigen gepflegt wird, da in
solchen Fällen kein Rechtsanspruch auf häusliche Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung
besteht.
Bei der Anhörung zum Pflege-Korrekturgesetz haben
fast alle anwesenden Institutionen und Sachverständigen
dringenden Handlungsbedarf festgestellt und deshalb
das Pflege-Korrekturgesetz begrüßt. Dass die Regierungskoalition ein solches Gesetz ablehnt, ist unverständlich. Ich hoffe, das liegt nicht nur daran, dass die
Initiative aus einem Bundesland kommt, das nicht von
Ihnen regiert wird.
({1})
Sie haben das Problem längst erkannt - das ging aus
der heutigen Debatte hervor - und den Verschiebebahnhof in Ihrem Koalitionsvertrag eindeutig ausgemacht.
Darin heißt es vollmundig:
Wir
- damit sind die rot-grünen Koalitionsfraktionen und die
Regierung gemeint stimmen die Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung … besser aufeinander ab.
Was ist daraus geworden?
({2})
Dass Sie unter der Mitwirkung der CDU/CSU im Gesundheitsmodernisierungsgesetz immerhin das An- und
Ausziehen von Kompressionsstrümpfen wieder in den
Leistungskatalog der Krankenkassen übertragen haben,
ist anerkennenswert. Jedoch wird damit nur ein Teil des
Problems gelöst.
({3})
Frau Kollegin Mattheis hat den Gesetzentwurf des
Bundesrates folgendermaßen qualifiziert: Problem erkannt, aber schlecht gelöst. Da Rot-Grün überhaupt nicht
handelt, halte ich Ihnen entgegen: Problem - hoffentlich erkannt, aber Problem überhaupt nicht gelöst!
Ich möchte noch auf Frau Kollegin Selg eingehen, die
die Kostenfrage angesprochen hat. Durch den Gesetzentwurf des Bundesrates werden keine zusätzlichen Kosten
ausgelöst. Vielmehr wird nur der richtige Kostenträger
wieder ins Spiel gebracht:
({4})
Nicht die Pflegeversicherung, sondern die gesetzliche
Krankenversicherung ist dafür zuständig. Im Übrigen
sind mittlerweile die Leistungen bei der Behandlungspflege durch die Rechtsprechung konkretisiert worden,
sodass eine Kostenexplosion nicht zu erwarten ist.
Die Bundesregierung muss endlich handeln und die
vom Gesetzgeber eigentlich nicht erwünschten Folgen
des Urteils des Bundessozialgerichts beseitigen. Leider
haben der Herr Bundeskanzler und Sie von den Mehrheitsfraktionen eine umfassende Reform der Pflegeversicherung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
Sie sind noch nicht einmal bereit, die jetzt vorgeschlagenen Abgrenzungsmöglichkeiten in ihre Überlegungen
einzubeziehen. Das halte ich für unverantwortlich gegenüber den vielen Pflegebedürftigen, die sich täglich
mit Problemen konfrontiert sehen.
({5})
Wir rufen Sie deshalb auf: Unterstützen Sie den Gesetzentwurf des Bundesrates oder machen Sie zumindest
einen Gegenvorschlag, der dazu geeignet ist, die Probleme zu lösen, anstatt auf bessere Zeiten zu warten!
Danke schön.
({6})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Korrektur
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
von Leistungsverschiebungen bei häuslicher Krankenpflege zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und
sozialer Pflegeversicherung, Drucksache 15/1493. Der
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zu weiteren Abstimmungen über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
und Soziale Sicherung, Drucksache 15/3075. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2372 mit dem Titel „Demenz früh erkennen
und behandeln - für eine Vernetzung von Strukturen,
die Intensivierung von Forschung und Unterstützung
von Projekten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2336 mit
dem Titel „Früherkennung, Behandlung und Pflege bei
Demenz verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/228 mit dem Titel
„Für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Früherkennung und Behandlung von Demenz“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine
Bätzing, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD sowie den Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Jerzy Montag, Hans-Christian
Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 180 b, 181 StGB
- Drucksache 15/3045 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat als Erster der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diesem etwas unverständlichen Tagesordnungspunkt eine andere Bezeichnung gibt, dann werden alle sofort elektrisiert: Es
handelt sich hier um das Thema Menschenhandel.
Menschenhandel ist eine bedrückende und widerwärtige
Straftat und es ist in besonderem Maße ein grenzüberschreitendes Phänomen.
Mit der Neufassung und Erweiterung der §§ 180 b
und 181 StGB setzen wir internationale Übereinkommen
um, vor allem den Rahmenbeschluss des Rates der EU
vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels. Unser geltendes Recht erfüllt zwar schon heute im
Wesentlichen die rechtlichen Standards, die der Rahmenbeschluss setzt; es hat jedoch im Hinblick auf den
Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft noch Umsetzungsbedarf gegeben.
Die für die Ausbeutung der Arbeitskraft einschlägigen nebenstrafrechtlichen Vorschriften erreichen nämlich nicht die nach dem Rahmenbeschluss erforderlichen
Mindesthöchststrafen. Unser Gesetzentwurf stellt deshalb den Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung
der Arbeitskraft noch stärker unter Strafe. In diesem Zusammenhang überarbeiten und vereinfachen wir auch
die Strafvorschriften über den Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung. Wir überführen die
bisherigen Vorschriften in neuer Fassung in den Achtzehnten Abschnitt „Straftaten gegen die persönliche
Freiheit“ des Besonderen Teils des Strafrechts. Der Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft wird dabei in § 233 erstmals umfassend im Strafgesetzbuch geregelt. Bislang finden wir dort nur in § 234
den Menschenraub zum Zwecke der Sklaverei und
der Leibeigenschaft.
Die neuen Strafvorschriften gegen den Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft sind
den Straftatbeständen gegen den Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung nachgebildet. Sie erfassen die Fälle, in denen das Opfer nicht nur in Sklaverei oder Leibeigenschaft, sondern auch in Schuldknechtschaft oder ungünstige Arbeitsbedingungen gebracht
werden soll oder gebracht wird.
Wir vereinfachen und vereinheitlichen aber auch die
bisherigen Vorschriften gegen den Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung. Danach macht sich
einheitlich strafbar, wer sein Opfer zu Prostitution oder
zu sexuellen Handlungen bringt. Wir unterscheiden im
Interesse einer klaren Strafbarkeit also nicht mehr zwischen der „Bestimmung zur Prostitution“ und dem
„Bringen zu sexuellen Handlungen“. Aus dem gleichen
Grund ersetzen wir das subjektive Merkmal der KenntParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
nis einer Zwangslage oder der auslandsspezifischen
Hilflosigkeit durch das objektive Merkmal der Ausnutzung.
Der Entwurf bezieht außerdem die Vornahme sexueller Handlungen mit dem Täter oder einem Dritten in den
Tatbestand ein. Das zielt darauf ab, neben der Prostitution andere Erscheinungsformen des Menschenhandels
wirksamer als bisher verfolgbar zu machen. Wir denken
dabei insbesondere an die menschenverachtende „Vermarktung“ und Ausbeutung des Opfers in so genannten
Peepshows oder im Heiratshandel und an den Missbrauch zur Herstellung pornografischer Darstellungen.
Daneben wollen wir zu differenzierten Strafandrohungen kommen. Unser Entwurf unterscheidet deshalb
zwischen dem „Einwirken“ auf das Opfer und dem
„Bringen“ des Opfers zur Prostitution oder sonstigen
sexuellen Handlungen. Beide Tathandlungen werden
nicht mehr, wie bisher, mit denselben, sondern mit abgestuften Strafen bedroht, vergleichbar dem Versuch und
der Vollendung eines Delikts.
Eine weitere Abstufung gibt es zwischen dem Menschenhandel und dem schweren Menschenhandel, der als
Verbrechen ausgestaltet ist. Dies enthält zusätzlich zum
geltenden Recht neue Tatbestände. Sie orientieren sich
an den Umständen, für die der oben erwähnte Rahmenbeschluss eine Höchststrafe von mindestens acht Jahren
Freiheitsentzug fordert. Zusätzlich erweitern wir
§ 240 StGB um das Regelbeispiel der Zwangsverheiratung als besonders schweren Fall der Nötigung.
Im Bereich der Strafprozessordnung enthält der Entwurf eine Erweiterung von § 154 c StGB. Diese Vorschrift wird es den Opfern von Menschenhändlern erleichtern, die Täter anzuzeigen. Die Opfer machen sich
in vielen Fällen selbst wegen unerlaubten Aufenthalts
strafbar. Die Staatsanwaltschaft soll hier die Möglichkeit
haben, von einer Strafverfolgung der Opfer abzusehen.
Damit hat die Koalition einen Entwurf vorgelegt, mit
dem unser Strafrecht den berechtigten internationalen
Standards Genüge tut.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Granold.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Weltweit werden jährlich mindestens
700 000 Menschen, vornehmlich Frauen, zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung oder der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft gehandelt. Lange Zeit waren es Frauen aus Afrika, dann aus Südostasien und seit dem Zusammenbruch
des Kommunismus sind es hauptsächlich Frauen aus
Osteuropa, die zur Prostitution gezwungen werden. Die
Kunden, das heißt die Freier, kommen von überall her
und sind leider auch in Deutschland. Keiner der Beteiligten, ob Schlepper, Zuhälter oder Freier, hat ein Unrechtsbewusstsein.
Deutschland ist vom Menschenhandel im Besonderen
betroffen. Es ist als ein westlicher Industriestaat Zielland
von Menschenhandel und aufgrund seiner geographischen Lage an der Schnittstelle zwischen Ost und West
auch ein Land für den Transit in andere westeuropäische
Länder und in die USA.
Der Markt für die Ware Frau ist mittlerweile von internationalen Händlern in mafiosen Strukturen perfekt organisiert. Längst hat der Menschenhandel den Drogenhandel weltweit als das profitabelste Geschäft abgelöst. Er
hat ein Volumen von 60 Milliarden Euro jährlich. Im
Vergleich dazu sind es in Deutschland 60 Millionen Euro
und in der Republik Moldau 200 Millionen Euro.
Die Opfer des Menschenhandels sind in der Regel
junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren, nicht selten
auch jünger, und werden im Durchschnitt für 888 Euro
angeboten. Dieser Preis ist geradezu ein Schnäppchen.
Man muss wissen, dass eine Frau ihrem Besitzer in der
Woche etwa 20 000 Euro einbringen kann. Die Gefahr,
entdeckt und verurteilt zu werden, ist dabei relativ gering. Die Aufklärungsquoten sinken.
Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt. Das heißt:
Die Polizei erhält von Straftaten in diesem Bereich nur
durch Kontrollen im Milieu Kenntnis. Dabei ist sie auf
die Aussagen der Opfer angewiesen und das ist das Problem. Die Frauen werden von ihren Peinigern in der Regel massiv bedroht und häufig auch physisch attackiert,
sodass sie verschüchtert und verängstigt sind und deshalb nicht aussagen.
Regierungen und Nichtregierungsorganisationen haben seit vielen Jahren dem Menschenhandel weltweit den
Kampf angesagt - mehr oder weniger wirksam. Der amerikanische Präsident hat im September 2003 in seiner
Rede vor der UN-Vollversammlung den internationalen
Frauenhandel als Sklaverei, einen Multimilliarden-Dollar-Sumpf von Brutalität und einsamen Schrecken gebrandmarkt und dessen Bekämpfung als eine der größten
gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bezeichnet.
Auch für die Europäische Union war und ist der
Frauen- bzw. Menschenhandel ein Thema. Es wurde bereits eine Vielzahl von Programmen, Entschließungen
und Mitteilungen auf den Weg gebracht, die allerdings in
der Regel keine rechtliche Bindungswirkung hatten. Im
Gegensatz dazu ist der von Herrn Hartenbach zitierte
Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des
Menschenhandels vom Juli 2002 rechtlich bindend. In
dem Beschluss wird die UN-Definition zum Menschenhandel übernommen und den Mitgliedstaaten aufgegeben, bis 2004 durch eine interne Gesetzgebung Menschenhandel unter Strafe zu stellen und insbesondere den
Strafrahmen in abschreckendem Maße heraufzusetzen.
So befassen wir uns heute mit den hier einschlägigen
Vorschriften, nämlich §§ 180 b und 181 des Strafgesetzbuches. Derzeit ist bei uns lediglich der Menschenhandel
zum Zwecke der Prostitution strafrechtlich geregelt. Entsprechend den Vorgaben der Vereinten Nationen und der
Europäischen Union wird der Tatbestand erweitert und
wird auch der Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung der Arbeitskraft unter Strafe gestellt. Insgesamt wird die systematische
Neuordnung unter der Überschrift „Straftaten gegen die
persönliche Freiheit“, die gleichzeitig vorgenommen
werden soll, grundsätzlich begrüßt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle neben den Schleppern und Zuhältern einen weiteren Personenkreis ansprechen, der bislang nur wenig Beachtung fand: die Freier.
Ohne die ungehemmte Nachfrage, die hiesige Freier,
Heiratsinteressenten und Zuhälter an den Tag legen,
gäbe es weder die eingangs geschilderten Milliardengeschäfte noch das unsägliche Leid der Frauen. Leider
hat sich die gesellschaftliche Ächtung - möglicherweise
nicht zuletzt durch die soziale und rechtliche Verbesserung der Situation von Prostituierten, die ja notwendig war - in den letzten Jahren eher rückläufig entwickelt.
Es existiert bei uns eine Strafbarkeitslücke genau in
dem Bereich, wo Freier die Not- und Zwangslage von
Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, obwohl
sie sie kennen bzw. kennen müssten, trotzdem ausnutzen
und sexuelle Leistungen in Anspruch nehmen. Das Unter-Strafe-Stellen dieses Sachverhaltes würde mit Sicherheit eine hohe Abschreckungswirkung entfalten und die
Nachfrage bei dem Täterkreis, der weit in das gutbürgerliche Milieu hineinreicht, deutlich einschränken. Wir
sind uns der Beweisproblematik durchaus bewusst, lassen uns hiervon jedoch nicht abschrecken. Schließlich
geht es hier um einen Bereich, in dem fast ausschließlich
Frauen unter Missachtung ihrer Menschenwürde zum
Objekt degradiert und auf übelste Weise ausgebeutet
werden.
Ich war am Montag zusammen mit meinem Kollegen
Siegfried Kauder an der deutsch-tschechischen Grenze,
wo sich auf tschechischem Gebiet quasi das größte Bordell Europas befindet: In einem kleinen Landkreis gibt
es nahezu 40 Bordelle mit mehr als 800 Prostituierten,
vornehmlich aus Tschechien, der Ukraine, Russland, Rumänien, der Slowakei und Moldawien. Die jungen
Frauen werden dort im Durchschnitt drei Monate eingearbeitet und angeboten, bevor sie entweder wegen
Krankheit zurückgeschickt oder quer durch Europa weiterverkauft werden.
Eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels ist
nur grenzüberschreitend in internationaler Zusammenarbeit aller Beteiligten möglich. Für Deutschland können
wir hier und heute die richtigen Weichen stellen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard
Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mitten in Europa finden Tag für Tag Menschenrechtsverletzungen elementarster Form statt. Frauen werden gehandelt, misshandelt, verkauft. Eine moderne Form der
Sklaverei im 21. Jahrhundert; und Deutschland ist eines
der „Hauptabnehmerländer“ dieses menschenverachtenden Geschäfts. Das Verbrechen ist für die Händler nicht
nur lukrativ, sondern auch risikoarm. Die Gewinne werden in Europa auf ungefähr 10 Milliarden Euro geschätzt. Die Verurteilung der Täter ist eher eine Seltenheit, da die Opfer in den meisten Fällen wegen illegalen
Aufenthalts abgeschoben werden. Nur wenige Opfer
bleiben hier und sagen aus. Braucht der Staatsanwalt ihre
Aussage nicht mehr, müssen die meisten unser Land verlassen, während die Täter ihr Geschäft ungestört weiter
betreiben können.
Nach Angaben der EU werden jährlich circa
500 000 Frauen aus Osteuropa nach Westeuropa verbracht. Die Perspektivlosigkeit in ihren Herkunftsländern treibt die Frauen oft in die Arme der Menschenhändler. Größtenteils werden sie über den tatsächlichen
Grund ihrer Einreise getäuscht, der am Ende meist
Zwangsprostitution heißt. Der Übergang zur Kinderprostitution ist dabei fließend. Frauenhandel umfasst
aber auch andere Formen der Ausbeutung wie Zwangsarbeit, Heiratshandel oder Pornographie. Viele dieser
Verbrechen werden mit dem deutschen Strafrecht bisher
nicht richtig erfasst. Um sie wirksam bekämpfen zu können, erweitern wir die strafrechtliche Definition des
Menschenhandels und setzen zugleich - Frau Granold
hat es gesagt - einen Rahmenbeschluss der EU um. Ich
möchte hier nur auf einige Punkte eingehen.
Die bisherigen Menschenhandelstatbestände, die die
sexuelle Ausbeutung betreffen, werden erweitert; denn
neben der Prostitution werden die Frauen auch zur Teilnahme in Peepshows oder zur Herstellung pornographischer Darstellungen gezwungen. Diese Erscheinungsformen der sexuellen Ausbeutung werden durch die
Gesetzesänderung systematisch erfasst.
Außerdem werden neue Tatbestände hinzugefügt, die
die Ausbeutung der Arbeitskraft unter Strafe stellen.
Auch der Heiratshandel kann künftig in dreifacher
Hinsicht besser bekämpft werden: erstens als besonders
schwerer Fall der Nötigung, wenn das Opfer zur Eingehung der Ehe genötigt wurde, was ja insbesondere bei
der Zwangsverheiratung der Fall ist, zweitens durch die
umfassendere Einbeziehung sexueller Handlungen in die
Tatbestände des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung. Drittens geht es darum, durch die Verhinderung
der Ausbeutung der Arbeitskraft einen Beitrag zur Bekämpfung des Heiratshandels zu leisten. Nicht selten ist
es ja so, dass die gehandelten Frauen unter unwürdigen
Bedingungen als billige Arbeitskraft im Haushalt missbraucht werden.
Künftig wird auch eine erhöhte Mindeststrafe greifen,
wenn das Opfer in Todesgefahr gebracht oder einer
schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt wird. Daneben sind Kinder durch die erhöhte MindeststrafandroIrmingard Schewe-Gerigk
hung unter besonderen Schutz gestellt. Mit diesen Veränderungen verbessern wir die effektive Bekämpfung
des Menschenhandels.
Wir wollen aber nicht nur die Täter bestrafen, sondern
auch den Opfern helfen, den Weg zurück in ein normales
Leben zu finden. Dies gilt umso mehr, wenn sie dem
Staat mit ihrer Aussage vor Gericht bei der Ermittlung
der Täter helfen. In diesem Zusammenhang haben wir
durchgesetzt, dass die Staatsanwaltschaft unter erleichterten Voraussetzungen von der Verfolgung einer Straftat, zum Beispiel des illegalen Aufenthalts, absehen
kann, wenn die Opfer des Menschenhandels Anzeige gegen die Täter erstatten. Das ist so etwas wie eine kleine
Kronzeugenregelung. Wir werden nachher, Herr Kauder,
sicher noch einmal darüber reden.
Damit ist aber noch nicht alles getan. Die Opfer von
Menschenhandel benötigen professionelle Beratung und
Betreuung. Dazu muss die rechtliche und finanzielle Sicherheit der Opferberatungsstellen gewährleistet werden. Wir brauchen die Einrichtung eines Opferfonds, der
zum Beispiel durch abgeschöpfte Gewinne gespeist werden könnte, aber auch ein Zeugnisverweigerungsrecht
für die Beraterinnen in den Beratungsstellen. Daneben
wäre eine generelle Aufenthaltserlaubnis mindestens
über die Dauer des Prozesses nötig. Wie schwierig die
Durchsetzung einer solchen humanitären ausländerrechtlichen Regelung aufgrund der Zustimmungspflicht des
Bundesrates ist, können wir derzeit bei der Zuwanderungsdebatte bestens beobachten.
Dabei sollten alle wissen, die darüber entscheiden:
Die Rechtlosigkeit der Opfer ist der beste Täterschutz.
Das wollen wir doch wohl alle nicht.
({0})
Vor dem Phänomen des Frauenhandels darf niemand
die Augen verschließen. Gerade durch die erweiterte Europäische Union ist mit einer Verlagerung und auch mit
einer Zunahme zu rechnen. Jeder, der Kenntnis von
misshandelten Opfern hat, muss helfen. Hier spreche ich
insbesondere die deutschen Freier an. Man weiß, dass
Männer quer durch die Gesellschaft - ich muss hier nicht
die Namen nennen, die vor kurzem in Prozessen aufgetaucht sind - diese Dienste in Anspruch nehmen. Ohne
deren Nachfrage nach billigem Sex und schutzlosen Opfern würde diesem Geschäft der Boden entzogen.
Ich glaube, wir haben hier eine große Verantwortung.
Wir stehen erst am Anfang der Debatte. Ich freue mich
auf die Beratungen im Ausschuss und wünsche, dass wir
diesen Gesetzentwurf gemeinsam beschließen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sehr froh, dass wir quer durch dieses Haus der
Auffassung sind, dass der Menschenhandel, der eine moderne Form der Sklaverei ist, in besonderer Weise bekämpft werden muss.
({0})
Von daher ist es richtig, dass auch internationale Organisationen sich mit dieser Problematik befasst haben und
dass versucht wird, international zu gleichartigen Regelungen zu kommen. Zu den Besonderheiten des Geschäftes gehört eben, dass die Problematik nicht nur bei
uns in Deutschland besteht, sondern dass Menschenhandel zwischen verschiedenen Ländern stattfindet. Deshalb
müssen in allen betroffenen Ländern ähnliche Verfolgungsbedingungen vorhanden sein.
Ich denke aber, dass neben den strafrechtlichen Dingen, die heute in der ersten Lesung eine Rolle spielen
müssen, auch andere Gesichtspunkte erwähnt werden
müssen. Schwerste Kriminalität lebt insbesondere davon, dass diejenigen, die sie begehen, ganz erhebliche finanzielle Vorteile haben. Deshalb fand ich den Vorwurf,
den der Bundesrechnungshof in diesen Tagen gegenüber
der Bundesregierung erhoben hat, dass nämlich Gewinne, die im Rotlichtmilieu erwirtschaftet worden sind,
nicht abgeschöpft werden, dass die Dinge einfach laufen
gelassen werden, außerordentlich hilfreich. Denn hohe
Strafen sind notwendig. Sie können und müssen abschrecken. Wer wie ich als Oberstaatsanwalt in der Strafverfolgung tätig war, der weiß, dass man die Täter am
besten abschrecken kann, indem man an die Gewinne
geht. Dazu gehört, dass die Gewinne im Rotlichtmilieu
genauso versteuert werden müssen wie die Gewinne in
jedem anderen Bereich.
Eine zweite Bemerkung kritischer Art möchte ich machen. Frau Schewe-Gerigk hat gesagt, dass viele der jungen Frauen nicht wissen, auf was sie sich einlassen.
Nach den Erfahrungen meiner Kollegen sind es nicht so
viele, die nicht wissen, auf was sie sich einlassen. Ich
glaube, man sollte da ehrlich sein. Wenn sich aber die
jungen Frauen darauf einlassen, sind sie nicht weniger
schutzwürdig. Wer sich freiwillig auf Sklaverei einlässt,
weil beispielsweise die wirtschaftlichen Bedingungen
außerordentlich schlecht sind und weil es keine Alternativen gibt, der ist nicht weniger schutzwürdig als jemand, der möglicherweise mit falschen Versprechungen
ins Ausland gelockt worden ist.
({1})
Auch das sollten wir feststellen; denn es gehört nach
meiner Auffassung mit zur Wahrheit.
Eine dritte kritische Bemerkung. Ich habe mich gewundert, warum dieser Gesetzentwurf von den Koalitionsfraktionen und nicht von der Bundesregierung
- was ich gut gefunden hätte - eingebracht worden ist.
Die Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung wäre ein klares politisches Signal gewesen,
Herr Staatssekretär, dass die Bundesregierung hinter diesen Überlegungen steht.
({2})
Ich darf auch meine Überzeugung äußern, dass es gut
gewesen wäre, wenn dieser Gesetzentwurf von der Ministerin vertreten worden wäre. Ich schätze den Kollegen
Hartenbach. Ich muss aber sagen: Wenn die Ministerin
persönlich den Gesetzentwurf bei der Einbringung begründen würde, dann würde dies zeigen - auch das ist
ein politisches Signal -, welche Bedeutung dieses Gesetzesvorhaben hat.
Wir werden sicherlich eine Anhörung durchführen
müssen. Die Koalitionsfraktionen haben das schon getan. Wir werden sorgfältig prüfen müssen, ob es nicht
möglicherweise zu Überschneidungen mit anderen Vorschriften kommt. Das interessiert uns als Liberale.
Das Ergebnis - ich hoffe, wir sind uns in diesem
Hause darüber einig - muss sein: Menschenhandel muss
seine angemessene Berücksichtigung im Strafgesetzbuch finden. Das unterstreicht, dass diese Gesellschaft
Menschenhandel nicht akzeptiert und ihn mit höchsten
Strafen belegt. Ich denke, das ist ein wichtiges Signal.
Wenn wir alle daran mitwirken, dann habe ich die Hoffnung, dass wir bei der Bekämpfung des Menschenhandels ein Stück vorankommen. Schön wäre es.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Alfred Hartenbach das Wort
zu einer Kurzintervention.
Verehrter Herr Kollege van Essen, Sie haben behauptet, die Bundesregierung stehe nicht hinter diesem Gesetzentwurf.
({0})
- Aber gedacht hat er es.
({1})
Ich darf klarstellen: Die Umsetzungsfrist bis zum
1. August ist unglaublich kurz. Es hat bei den Vorbereitungen Verzögerungen gegeben, die nicht die Bundesregierung, sondern andere zu vertreten haben. Deswegen
haben sich die Koalitionsfraktionen entschlossen, einen
eigenen Gesetzentwurf einzubringen, der aber selbstverständlich - ich glaube, das hat die Beteiligung der Bundesregierung an dieser Debatte heute gezeigt - die volle
Unterstützung der Bundesregierung findet.
Die Bundesregierung wird im weiteren Verfahren, das
in Ihrer Hand liegt, mit ihrer Fachebene, mit ihrem
Know-how und mit ihrem Wissen beratend zur Seite stehen.
({2})
Herr Kollege van Essen.
Herr Kollege Hartenbach, ich habe der Bundesregierung nicht unterstellt, sie stehe nicht hinter diesem Gesetzentwurf. Ich habe in meiner Rede mehrfach deutlich
gemacht, dass eine breite Mehrheit dieses Hauses die
Notwendigkeit für die gesetzgeberischen Maßnahmen
sieht.
Aber ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrer Rede
darauf hingewiesen hätten, warum der Gesetzentwurf
nicht von der Bundesregierung eingebracht worden ist.
Das Argument von der Notwendigkeit einer Beschleunigung des Verfahrens ist stichhaltig. Ich freue mich über
die Klarstellung, die Sie hier vorgenommen haben.
Ich wiederhole das, was ich in meiner Rede gesagt
habe: Wir sollten alle an einem Strang ziehen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Simm.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bis zur Öffnung der Ostgrenzen war in
unserem Verständnis, auch in meinem Verständnis als
Juristin, der Menschenhandel ein eher exotisches Delikt,
das wir - wenn überhaupt - vorwiegend als ein Problem
der Dritte-Welt-Länder wahrgenommen haben. Allenfalls die Tatsache, dass sich deutsche Männer Frauen aus
Ostasien holten, und die Umstände, unter denen diese
Frauen zum Teil bei uns lebten, waren Anlass für Diskussionen in der Öffentlichkeit.
Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Mit
der Öffnung der Ostgrenzen hat der Menschenhandel
ein Ausmaß und Formen angenommen, die es nicht
mehr zuließen, dieses Problem zu verdrängen. Dabei
mussten wir auch zur Kenntnis nehmen, dass wir keinesfalls nur Transitland, sondern durchaus auch Zielland
des Menschenhandels sind, dass sowohl Täter als auch
Opfer mitten unter uns leben.
Der Deutsche Bundestag hat sich denn auch in den
letzten Jahren wiederholt mit diesen Themen beschäftigt.
Entsprechend dem bislang vorherrschenden Verständnis,
dass Menschenhandel vorwiegend Frauenhandel sei mit
dem Ziel, die Frauen zur Prostitution zu bringen, haben
wir durch mehrfache Änderungen des Strafgesetzbuches
für Frauen und Kinder den Schutz vor sexuellen ÜberErika Simm
griffen verbessert. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass nach wie vor Strafbarkeitslücken bestehen,
etwa bei der Erfassung des Heiratshandels, und dass
neue Formen des Menschenhandels wie sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse mit den bestehenden Strafrechtsnormen nur sehr unzureichend zu erfassen sind.
Mit dem vorliegenden Strafrechtsänderungsgesetz
zum Menschenhandel ziehen wir hieraus die notwendigen Konsequenzen. Gleichzeitig erfüllen wir, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, eine Verpflichtung aus dem
Koalitionsvertrag. Des Weiteren setzen wir damit - das
ist schon gesagt worden - internationale Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels um, denen
sich die Bundesrepublik angeschlossen hat und die Standards für Strafbarkeitsbestimmungen enthalten. Unser
Gesetzentwurf orientiert sich demgemäß bei der Neufassung der Strafvorschriften am Zusatzprotokoll zum
Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die
grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und am
Rahmenbeschluss der Europäischen Union, der schon
genannt wurde.
Die bisher geltenden Straftatbestände der §§ 180 b
und 181 StGB werden verständlicher gefasst, vereinheitlicht und übersichtlicher gestaltet, aber auch hinsichtlich
des Begriffes des Menschenhandels wesentlich erweitert, insbesondere um den neuen Tatbestand des Menschenhandels zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft. Systematisch werden die neuen Vorschriften aus
dem Sexualstrafrecht herausgenommen und bei den
„Straftaten gegen die persönliche Freiheit“ eingefügt, wo
sie nach meiner Einschätzung hingehören, weil es sich
nur vordergründig um Sexualstraftaten handelt, dieser
Aspekt nicht den gesamten Bereich dieser kriminellen
Taten abdeckt und die Straftaten sich in Wahrheit gegen
die freie Willensbetätigung richten, indem zur Tatausführung typischerweise Zwang, Täuschung, Drohung,
aber auch die Ausnutzung von Notlagen gehören. Nach
der Neuregelung wird künftig zwischen dem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und dem
Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft unterschieden. Heiratshandel und sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse werden künftig strafrechtlich erfasst.
Wir tragen aber auch einem Umstand Rechnung, der
die Verfolgung einschlägiger Straftaten erheblich erschwert. Wir wissen, dass die relativ geringen Zahlen,
welche die Kriminalstatistik in diesem Bereich ausweist
- über die Jahre gesehen sind im Bereich des Menschenhandels pro Jahr im Durchschnitt um die 800 Taten zur
Anzeige gekommen -, eine schmale Spitze des Eisberges sind. Die Dunkelziffer, das heißt der Zahl der Taten,
die nicht zur Anzeige gebracht werden, ist extrem hoch.
Das hat auch damit zu tun, dass es sich beim Menschenhandel in seinen verschiedenen Ausformungen um ein so
genanntes Kontrolldelikt handelt, das meist nur bei Polizeirazzien, also bei polizeilichen Kontrollen, sichtbar
wird, selten aber von den Opfern oder gar von Dritten
angezeigt wird. Ich habe dafür ein schönes Beispiel gefunden. In der Kriminalstatistik von 1995 wird das extreme Anwachsen der Zahl der Menschenhandelsdelikte
im Saarland dadurch erklärt, dass man damals im Saarland eine Ermittlungsgruppe „Rotlicht“ eingerichtet hat
und es durch die verstärkte polizeiliche Kontrolle vermehrt zur Aufklärung gekommen ist, was in der Statistik
als ein Anwachsen der Zahl der Delikte ausgewiesen
wird. In Wahrheit hat sich an der Häufigkeit der Delikte
nichts geändert.
({0})
Wir haben deswegen - das ist schon gesagt worden,
ich will nur noch einmal darauf hinweisen - in § 154 c
Strafprozessordnung die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft eröffnet, bei Opfern, die sich offenbaren und
Anzeige erstatten und dadurch eine eigene Straftat offen
legen, von der Strafverfolgung abzusehen.
Ich freue mich, dass ich auf der Basis der bisherigen
Redebeiträge feststellen kann, dass wir uns über die
Fraktionsgrenzen hinweg in dem Anliegen, wirksame
strafrechtliche Vorschriften zu schaffen, weitestgehend
einig sind. Ich fände es schön, wenn es gelänge, zu gemeinsamen Regelungen zu kommen, die letztlich auch
vom gesamten Haus getragen würden.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Kauder.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wer meint, Menschenhandel habe etwas mit der EU-Osterweiterung zu tun, ist auf dem Holzweg! Im Jahr 2001
gab es 273 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels, im Jahr 2002 waren es 289. Ein Verfahren bedeutet
nicht ein Opfer, sondern zahlreiche. Menschenhandel ist
ein menschenunwürdiges Vorgehen von Tätern gegenüber Frauen, die wie Vieh gehandelt und gehalten werden. Deswegen sind wir aufgerufen, dagegen grenzüberschreitend vorzugehen.
Einen Aspekt hat bisher noch niemand angesprochen.
Es ist nicht nur so, dass die Frauen über die Grenze nach
Deutschland verbracht werden, um dort der Prostitution
zugeführt zu werden, sondern es gibt auch einen ausgeprägten Sextourismus von Deutschland in die EU-Beitrittsländer. Ich kann jedem nur empfehlen, sich das einmal an der tschechischen Grenze anzuschauen.
Was machen wir gegen diesen Sextourismus? Menschenhandel funktioniert nur in mafiosen Strukturen. Da
gibt es einen, der die Frauen aufkauft, einen anderen, der
die Frauen schleust, einen Dritten, der die Frauen abnimmt, und einen Vierten, der die Dienste dieser Frauen
in Anspruch nimmt. Wir werden also nur dann Ermittlungserfolge haben, wenn wir die mafiosen Strukturen
aufbrechen.
Ein Menschenhändler erzielt einen deutlich höheren
Profit als ein Drogendealer. Wie gelingt es uns beim
Siegfried Kauder ({0})
Drogenhandel, mafiose Strukturen aufzubrechen? Der
Gesetzgeber hat aus gutem Grund § 31 ins Betäubungsmittelgesetz eingeführt. Danach kann sich jemand, der in
den mafiosen Strukturen verfangen ist, Straffreiheit erkaufen, wenn er Anzeige gegen andere erstattet und damit Ermittlungsansätze ermöglicht. Diese Möglichkeit
gibt es bezeichnenderweise auch bei der Geldwäsche,
weil man erkannt hat, dass auch Geldwäschedelikte nur
ermittelt werden können, wenn man einem Täter den
Ausstieg durch Straffreiheit ermöglicht.
Warum gibt es für den Menschenhandel keine gleich
lautende Vorschrift wie die des § 31 BtMG? Wir werden
dazu im Ausschuss einen Vorschlag unterbreiten.
({1})
Es gibt denjenigen - ich sagte das schon -, der das
menschenunwürdige Verhalten von Menschenhändlern
zu seinen Zwecken ausnutzt. Das ist der Freier! Nun
kann man nicht von jedem Freier erwarten, dass er die
Hintergründe des Menschenhandels durchleuchten und
erkennen kann. Derjenige, der davon weiß oder grob
fahrlässig nicht erkennt, dass eine Frau wie ein Tier gehalten wird, sie nicht einmal einen Personalausweis besitzt, nicht ausgehen kann, wann sie will, die Sprache
nicht beherrscht und zu fünft in einem Zimmer leben
muss, muss unseres Erachtens bestraft werden. Das
heißt, derjenige, der den Menschenhandel ausnutzt, muss
ebenso bestraft werden wie derjenige, der den Frauenhandel betreibt.
({2})
Der Straftatbestand des Menschenhandels und des
Menschenraubs ist nicht neu. In den Straftatbestand des
Menschenraubes wollen Sie einführen, dass derjenige,
der finanziell ausgebeutet wird, Schutz genießt. Dem
stimmen wir zu.
Aber dort, wo es um sexuelle Ausbeutung geht, muss
man Ihren Entwurf genau durchsehen. Es stimmt nämlich nicht, Frau Schewe-Gerigk, dass Sie das Schutzalter
anheben. Wenn Sie sich die Vorschriften ansehen, stellen
Sie fest, dass Sie beim Grundtatbestand das Schutzalter
von 21 Jahren auf 18 Jahre senken. Erklären Sie mir
bitte, warum Sie das jetzt wollen! Denn man hat schon
bei der Einführung des § 180 b StGB gewusst, dass es
systemwidrig ist, die Altersgrenze bei 21 Jahren festzulegen, weil diese sonst im Strafgesetzbuch nicht auftaucht. Es bestand und besteht aber ein Schutzbedürfnis.
Auf eines weise ich Sie schon jetzt hin: Wenn Sie sagen: „Wer 18 Jahre alt ist, ist erwachsen und braucht keinen besonderen Schutz mehr“, entfachen Sie, Herr Kollege Ströbele, eine Diskussion darüber, ob man gegen
heranwachsende Straftäter Erwachsenenstrafrecht und
nicht mehr das Jugendstrafrecht anwenden soll.
({3})
Der Diskussion werden Sie sich stellen müssen.
({4})
Sie haben auch - entweder fahrlässig oder bewusst Folgendes getan: Es gibt zwei Fallvarianten des Menschenhandels, nämlich das Zur-Prostitution-Bringen und
das Auf-das-Opfer-Einwirken. Das war früher mit einer
Mindeststrafe von sechs Monaten und einer Höchststrafe
von zehn Jahren bedroht. Das Einwirken haben Sie jetzt
herausgenommen; hier beträgt die Mindeststrafe auf einmal drei Jahre. Warum?
Dann haben Sie auch noch die Versuchsstrafbarkeit
gestrichen. Hinsichtlich des Einwirkens ist das konsequent, weil es sich um ein weit vorausgelagertes Delikt
handelt. Aber beim Zur-Prostitution-Bringen ist die
Streichung der Versuchsstrafbarkeit nicht gerechtfertigt!
Es gibt also noch einen erheblichen Diskussionsbedarf darüber, wie man die Strafvorschriften so gestalten
kann, dass man den Schutz von Opfern verbessert und
nicht verschlechtert.
Bei einem Punkt aber bin ich Ihnen zum Dank verpflichtet. Dies ist das erste Gesetz, das ich aus Ihren Reihen sehe, in dem Sie - das geschieht im zweiten Absatz
des Grundtatbestandes - das Opfer als Opfer bezeichnen. Denn aus Ihren Reihen höre ich sonst immer den
Einwand: Wer Opfer ist, kann erst der Richter beim Urteil feststellen. Ich sehe also: Sie sind hinsichtlich der
Vertretung der Opferinteressen auf dem richtigen Weg!
Vielen Dank.
({5})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3045 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes
- Drucksache 15/3046 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger.
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es geschafft, in Brüssel einen sehr wichtigen Kompromiss in der Reform der Agrarpolitik durchzusetzen.
Deutschland war an der Mehrheitsfindung sehr konstruktiv beteiligt. Dieser Kompromiss besagt eines ganz
klar: Die in Deutschland auch kontrovers diskutierten
Reformen aufgrund der Luxemburger Beschlüsse, der
Weg der Entkoppelung, der Weg zu mehr Markt und
Umweltgerechtigkeit in der Landwirtschaft, sind unumkehrbar. Das wird nun auf die Marktordnungen übertragen, die besonders die Landwirtschaft im Süden Europas
betreffen. Zu nennen sind hier Baumwolle, Tabak und
Olivenöl.
Ich persönlich freue mich sehr, dass es uns gelungen
ist, dafür eine Mehrheit zu bekommen. Das war lange
Zeit sehr umstritten, weil es gerade für die Landwirtschaft in Südeuropa um erhebliche Summen geht, die
nun anders und zum Teil gar nicht mehr ausgezahlt werden.
Ich freue mich ebenfalls, dass wir für den deutschen
Steuerzahler auf kurze Sicht - und längerfristig noch
mehr - Geld sparen konnten. Über 25 Prozent des EUHaushalts werden aus deutschen Steuermitteln bestritten,
aber kaum etwas davon fließt in die Bundesrepublik zurück. Nehmen wir das Beispiel Tabak. Die Tabakmarktordnung umfasste bisher über 1 Milliarde Euro. Nach
Deutschland fließt davon nur ein Bruchteil, nämlich
20 Millionen Euro, zurück. Wir zahlen aber 250 Millionen Euro. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, gerade
in diesen Bereichen zu reformieren, wenn man für den
deutschen Steuerzahler sparen will, wenn man Gelder
für andere wichtige Entscheidungen und Bereiche in
Brüssel mobilisieren möchte.
({1})
Wir haben mit der Entkoppelung durchsetzen können,
dass Marktmechanismen verstärkt greifen. Wir haben
aber auch Cross Compliance durchsetzen können. Jeder,
der sich einmal näher mit den Umweltbegleitumständen
der Baumwollproduktion beschäftigt hat, weiß, dass die
strikte Bindung künftiger Zahlungen an die Einhaltung
der einschlägigen Umweltstandards gerade bei der
Baumwolle zu einer erheblichen Entlastung der Umwelt
führen wird.
Darüber hinaus haben wir bei der Baumwolle ein
wichtiges Signal zum Gelingen der nächsten WTO-Handelsrunde gesetzt, weil gerade dieses Thema hoch umstritten ist. Sie wissen, dass sich in den Staaten Westafrikas Bauern beklagen, dass wir, die Staaten des Nordens,
unsere Märkte abschotten. Wegen 25 000 Baumwollfarmern in den Vereinigten Staaten, die durch die U.S.
Farm Bill besonders abgesichert werden, drohen
2,5 Millionen Bauern in den Westsaharastaaten ihre
Existenz zu verlieren.
Mit der klaren Entscheidung zur Entkoppelung - hier
sind wir sogar noch weiter gegangen, als es die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte - ist es uns gelungen, ein wichtiges Signal dafür zu setzen, dass sich bei
der Baumwolle etwas in Richtung fairerer Handel verändern muss. Damit steht die Europäische Union in dieser
Diskussion auf der richtigen Seite. Sie macht sich weit
weniger angreifbar, als das noch in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist.
({2})
- Herr Rossmanith, in Deutschland wird viel Hopfen angebaut. Auf das Thema - „Hopfen und Malz - Gott erhalt’s!“ - wollte ich nun zu sprechen kommen. Die gute
Nachricht, Herr Kollege, ist, dass bei uns keine Baumwolle angebaut wird. Die schlechte Nachricht aber ist,
dass wir die Subventionen für den Baumwollanbau trotzdem zahlen müssen.
Nun komme ich zu dem Thema, das Sie, wie ich ja
seit vielen Jahren weiß, mehr interessiert: zum Hopfen.
({3})
Auch beim Hopfen ist uns Wesentliches gelungen. Wir
haben es geschafft, dass die anerkannten Erzeugergemeinschaften im Hopfenbereich weiterhin unterstützt
werden. Ich halte das für eine richtige und gute Entscheidung, weil wir unserer Landwirtschaft und den Hopfenproduzenten - für einige von uns ist Hopfen ja ein ganz
besonders wichtiges Produkt - auf Dauer Produktionssicherheit geben können, ohne aber den Fehler gemacht zu
haben, dies durch Zugeständnisse in anderen Bereichen
zu erkaufen.
({4})
Ich bin sehr froh, dass wir beim Tabak die völlige
Entkoppelung bis zum Jahre 2010 durchgesetzt haben.
Denn es ist weder den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern noch sonst jemandem zu erklären,
({5})
dass wir einerseits den Tabakanbau subventionieren, andererseits aber Programme in einer Größenordnung von
Millionen bzw. Milliarden Euro zur Aufklärung über Tabakkonsum finanzieren. Ich denke, dieser Kompromiss
ist gut.
({6})
Es wird für die Tabakbauern lange Übergangszeiten geben. Aber es wurde auch die klare Entscheidung getroffen, dass die zum Teil sehr hohen Flächenprämien, die
die Tabakbauern bisher bekommen haben, nicht bis zum
Sankt-Nimmerleins-Tag gezahlt werden.
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger
Kurzum: Wir setzen die grundlegende Reform der
Agrarpolitik fort. Deutschland ist mit seiner Verhandlungslinie in Brüssel mehrheitsfähig. Selbst die Franzosen konnten wir überzeugen, diesen Weg mitzugehen.
Ich glaube, das ist einer der wesentlichen Gründe dafür,
warum uns bei diesem Kurs der Entkoppelung eine
Mehrheit im Bundestag und auch eine Mehrheit der Länder - also auch unionsregierte Länder - unterstützen.
Das ist ein moderater Weg, der uns aber langfristig mehr
Markt, mehr Wettbewerb in der Landwirtschaft und eine
stärkere ökologische Orientierung bringt und der den
Bundeshaushalt insgesamt - zwar nicht so sehr, wie sich
das manche wünschen - spürbar entlasten wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Mortler.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Entscheidungen der EU-Agrarminister über das Reformpaket für Hopfen und Tabak
sind für unsere deutschen Landwirte bestimmt kein
Grund zum Jubeln.
({0})
Die harten Einschnitte, die die Bundesregierung unseren
Bäuerinnen und Bauern bei der Umsetzung des ersten
Pakets der GAP-Reform zumutet, finden in diesem zweiten Paket ihre Fortsetzung. Es zeigt sich wieder einmal,
dass unsere Landwirte in Rot-Grün keine verlässlichen
Fürsprecher auf europäischer Ebene haben.
({1})
Denn wie man hörte, ist der Vorschlag der EU-Kommission zum Hopfen von deutscher Seite ohne größere
Diskussionen angenommen worden,
({2})
und das, obwohl Deutschland über das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt verfügt.
({3})
Auf diesen 17 500 Hektar werden rund 80 Prozent des
EU- und rund 40 Prozent des weltweiten Hopfenanbaus
durchgeführt.
({4})
Deshalb hätte ich von der deutschen Delegation mehr
Einsatz erwartet.
({5})
Die Einbeziehung der Rodungsflächen in die Prämienberechnung ist zwar positiv, aber sie ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
({6})
Nach dem Beschluss der EU-Agrarminister tritt die Hopfenreform ja bereits 2005 in Kraft. Die Eckpunkte sehen
die vollständige Entkoppelung vor.
({7})
Wer den Hopfen- und Tabakanbau in der Praxis kennt, der
kennt auch die hohen Investitionen in diesem Bereich. So
wäre eine möglichst weitgehende Teilkoppelung aus betriebswirtschaftlicher Sicht die sinnvollere Alternative
gewesen. Die Gleichmacherei in Richtung Einheitsprämie - egal, ob es einen hoch spezialisierten Hopfen- oder
Tabakanbaubetrieb betrifft oder einen so genannten
Hobby-Landwirt - ist für mich nicht nachvollziehbar.
Lassen Sie mich folgende Rechnung aufmachen:
Wird die EU-Agrarreform beim Hopfen nach der FischlerBetriebsprämie umgesetzt, dann werden im Planungszeitraum der EU-Agrarpolitik von 2005 bis 2012 mit einem Schlag ab 2005 - also ohne Abschmelzungsprozess,
ohne „Gleitflug“ - 75 Prozent der Direktzahlungen im
Hopfenbereich entkoppelt von der Produktion betriebsindividuell zugeteilt.
Noch erhalten die Hopfenbetriebe - zum Beispiel in
Bayern - Direktzahlungen von zumindest 360 Euro je
Hektar, auf die unsere Betriebe aufgrund des zum Teil
starken Preisverfalls der letzten Jahre für ihr Einkommen
angewiesen sind. Bei einer Zuordnung der entkoppelten
Direktzahlungen zu allen Ackerflächen, wie es nach dem
deutschen Gesetzentwurf vorgesehen ist, könnten diese
Betriebe - zum Beispiel in Bayern - 2005 nur noch mit
rund 300 Euro je Hektar rechnen, also mit 60 Euro weniger. Käme diese regionalisierte statt der betriebsindividuellen Zuteilung, würde das im Falle eines Hopfenanbaubetriebs mit 40 Hektar bedeuten, dass fast 2500 Euro
vom Einkommen der Anbauer abgezogen würden, einem
Einkommen, das zum einen reichen muss, um die Familie zu versorgen, zum anderen aber auch, um Nettoinvestitionen zu tätigen. Deshalb ist der Gesetzentwurf an dieser Stelle zu korrigieren.
({8})
Die vorgesehene Unterstützung der Erzeugergemeinschaften allerdings begrüße ich. Die gefundene haushaltsneutrale Regelung war unter anderem auch ein Vorschlag
Bayerns gegenüber dem amtierenden Agrarratsvorsitzenden Joe Walsh. Die Erzeugergemeinschaften nehmen
wichtige Aufgaben im Bereich der Zertifizierung, der
Forschung und Vermarktung wahr. Sie steigern aber auch
- das möchte ich hier am Rande durchaus erwähnen - das
Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Kollegen und Kolleginnen. Ich kann das jedes Jahr bei der so genannten
Hopfenbegehung im August miterleben, durchaus nach
dem Motto: „Hopfen und Malz - Gott erhalt’s!“. Es muss
aber in den weiteren parlamentarischen Beratungen diskutiert werden, ob die Hopfenbeihilfe nicht als Top-up in
voller Höhe betriebsindividuell gewährt werden kann.
Für die Hopfenbauern wäre das Modell der CDU/CSU
wesentlich gerechter, würden doch zumindest 65 Prozent
der Prämien betriebsindividuell zugewiesen werden.
Noch kurz zum Tabak: In meinem Wahlkreis wird
nicht nur Hopfen angebaut, sondern liegen auch
25 Prozent der bayerischen Tabakanbauflächen.
({9})
Viele Gespräche, die ich in den vergangenen Wochen
und Monaten mit den Bauern geführt habe, haben mich
zu der Überzeugung geführt, dass sie in Zukunft eine
schwere Last zu tragen haben. Denn wenn es nach dem
Willen Ihrer Politik geht, sollen sie 2010, dem Zeitpunkt
der vollständigen Entkopplung, ihre Betriebe schließen.
Obwohl die Bundesministerin die schwerwiegenden
Auswirkungen für die deutschen Tabakbauern kennt,
wertet sie dieses Ergebnis als gesundheitspolitischen Erfolg - wir haben es von Herrn Berninger gehört - und
lässt ihre Bauern damit im Stich.
({10})
Kein einziger Raucher wird mit dem Rauchen aufhören, wenn in Deutschland kein Tabak mehr angebaut
wird.
({11})
Ich hatte die Ministerin in einem Brief gebeten, Alternativen aufzuzeigen.
({12})
Darauf habe ich keine Antwort erhalten.
An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass gerade
der Landkreis Roth der Landkreis in Bayern ist, der die
vielfältigste Produktpalette vorzuweisen hat. Die Landwirte dort haben also immer schon ihre Hausaufgaben
gemacht.
Ich komme zum Schluss. Was wir brauchen - das
möchte ich nun allgemein formulieren -, sind tragfähige
und verlässliche Zukunftsperspektiven für unsere Junglandwirte und unsere Jungbäuerinnen. Ich frage mich
immer wieder: Wo bleibt Ihr Einsatz für den Erhalt von
Arbeitsplätzen? Stattdessen agieren Sie gegen den Erhalt
von Arbeitsplätzen. Landwirtschaft ist schließlich ein
Teil der Gesamtwirtschaft.
Frau Kollegin, ich habe Ihre Redezeit nun wirklich
reichlich bemessen.
Ich weiß, Frau Präsidentin. Ich bin am Schluss meiner
Rede. - Stattdessen reist die Ministerin nach Brasilien
und spricht in dem Zusammenhang von wichtigen und
vertrauensbildenden kommunikativen Maßnahmen.
Auch die deutschen Bauern haben dieses Vertrauen verdient.
({0})
Wir brauchen keine deutschen Sonderwege.
Frau Kollegin, das waren doch schon Schlusssätze.
Künast und nationale Alleingänge - das ist inzwischen schon zu einem Synonym geworden. Deutsche
Sonderwege sind Gift. Sie schwächen unser Land. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung ablehnen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias
Weisheit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich stelle fest: Wir sind wieder einmal unter uns.
({0})
- Ja, Sie trifft man gewöhnlich nicht in unseren Ausschusssitzungen. Es ist also eine Ausschusssitzung mit
etwas erweitertem Zuhörerkreis.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen und im Grundsatz
darstellen - und es gutheißen -, was bei der europäischen Agrarpolitik verändert wurde. Die Agrarpolitik
insgesamt und diejenigen, die sich für die Agrarwirtschaft einsetzen, standen in der Öffentlichkeit immer unter massiver Kritik. Es wurde kritisiert, dass jede Menge
Steuergelder ausgegeben werden, die eigentlich sinnvoller verwendet werden könnten, dass diese Gelder für
Überschussprodukte, Exporterstattung usw. ausgegeben
werden, wodurch in anderen Ländern Märkte zerstört
werden.
Diese Kritik war bisher zum Teil berechtigt. Durch
die neue Agrarpolitik ist ihr aber weitestgehend die
Grundlage entzogen. Denn nunmehr werden durch die
europäische Agrarpolitik nicht mehr Produkte - und damit Überschüsse - gefördert, sondern es wird endlich
honoriert, was die Landwirtschaft leistet, nämlich die
Pflege der Kulturlandschaft, der Erhalt und die Weiterentwicklung dieser tollen Landschaft.
({1})
Es ist richtig, dass diese Leistung auf Dauer bezahlt
wird. Es ist ein riesengroßer Erfolg, dass man diese Veränderung hinbekommen hat. Diese gilt außer für die
Kulturen, für die man schon beim Treffen in Luxemburg
einen Beschluss gefasst hat, jetzt auch für die Kulturen,
die man bisher außer Acht gelassen hatte, nämlich Tabak, Hopfen, Baumwolle und Olivenöl. Baumwolle und
Olivenöl spielen bei uns keine so furchtbar wichtige
Rolle. Vor dem Hintergrund der WTO-Verhandlungen ist
die Regelung bei Baumwolle aber natürlich ganz wichtig; denn es kam immer wieder der große Vorwurf, dass
wir den Baumwollanbau in anderen Ländern durch unsere Subventionen kaputtmachen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Amerikaner bei dem, was ihnen
die Europäer vorgemacht haben, endlich nachziehen
würden.
Zum Hopfen. Hierzu habe ich andere Rückmeldungen als Sie, Frau Mortler. Auch ich komme aus einem
Hopfenanbaugebiet. Die Hopfenanbauer, mit denen ich
mich unterhalten habe, waren zufrieden. Sie haben gesagt, das Wichtigste sei für sie zunächst einmal die Erhaltung ihrer Erzeugergemeinschaften und die finanzielle Sicherung derselben gewesen. Das ist durchgesetzt
worden. Ob die Prämie je Hektar am Ende des Tages ein
bisschen niedriger oder höher ist, sei für sie nicht entscheidend, das könnten sie aufgrund ihrer guten Ausbildung mit der hohen Qualität und den damit verbundenen
höheren Preisen durchaus wettmachen.
({2})
Das ist ein Unterschied zu denjenigen, die sich immer
nur auf den Staat verlassen und das eigentlich gar nicht
so sehr wollen.
({3})
Ich gestehe zu, dass es für die Tabakanbauer ein riesiges Problem gibt. Diese müssen - das ist überhaupt
keine Frage - ihre Produktion innerhalb der nächsten
zehn Jahre im Prinzip aufgeben und sich um Alternativen kümmern.
({4})
Aufgrund der Koppelung der Prämien wird ihnen aber
ein anständig finanzierter Übergangszeitraum gewährt.
({5})
- Ein Teil ist doch entkoppelt. - Darüber, was entkoppelt
wird und was gekoppelt bleibt, werden wir mit den Ländern noch reden müssen. Ich war wirklich nicht glücklich, als ich gehört habe, dass die Tabak anbauenden
Länder dafür eintraten, dass 60 Prozent gekoppelt bleiben und nur 40 Prozent entkoppelt werden. Mir wäre es
schon aus verwaltungstechnischen Gründen lieber, man
würde am Anfang fifty-fifty machen. Hier scheiden sich
aber die Geister.
Man kann auf jeden Fall eines nicht mehr vertreten;
das müssen auch diejenigen, die Tabak anbauen, einsehen: Wir können nicht auf der einen Seite den Tabakanbau in der Bundesrepublik und in anderen europäischen
Ländern mit bis zu 8 000 Euro pro Hektar fördern und
auf der anderen Seite die Werbung für Tabak verbieten,
da Tabak gesundheitsschädlich ist. Das lässt sich nicht
mehr rechtfertigen. Damit ist es vorbei und ich bin ganz
froh, dass es nun zu dieser Regelung gekommen ist und
dass sie Teil dieses Gesetzes wird.
({6})
- Es ist die Sache jedes Einzelnen, ob er weiterhin raucht
oder nicht.
Es stellt sich in der Tat die Frage, ob wir den Tabakanbau bei uns und in Europa weiterhin mit riesigen Summen unterstützen oder nicht. Ich finde es richtig, dass
wir das nicht tun und dass es einen langen Übergangszeitraum gibt. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar,
dass sie das so ausgehandelt hat.
Herzlichen Dank.
({7})
Jetzt hat der Abgeordnete Goldmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor wir gleich alle nach Hause fahren und ich zum
Beispiel heute Abend ein Gespräch mit Landwirten in
Ostfriesland habe, die mich sicherlich fragen werden, ob
ein Milchboykott denn Sinn macht - was Ausdruck der
dramatischen Situation in weiten Teilen der Landwirtschaft wäre; wir alle wissen, dass die Einkommenssituation außerordentlich schwierig ist -, will ich es im
Grundsatz gutheißen, dass wir uns alle sehr engagiert darum bemühen, Lösungen zu finden.
Sicher gibt es unterschiedliche Wege. Aber als Erstes,
so meine ich, sollte man einmal betonen, dass wir alle
hier für eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft in Deutschland arbeiten, in einer Kulturlandschaft, die den Menschen Gott sei Dank sehr gut gefällt.
({0})
Zweiter Punkt. Der Irrsinn, dass eine Produktion
schon deshalb gut ist, weil man etwas produziert und dadurch Prämien erhält - auch wenn man am Markt vorbei
produziert -, muss durchbrochen werden; denn das ist
niemandem klar zu machen.
({1})
Ich finde es auch gut, dass hier die Problematik der
Baumwolle angesprochen wurde. Ich war mit der Kollegin Gudrun Kopp in Cancun und muss sagen: Wir hatten
überhaupt keine Chance, in Gespräche einzusteigen,
weil aufgrund der Förderung der Baumwolle durch die
Amerikaner, zum Teil aber auch durch die Europäer,
überhaupt keine Gesprächsgrundlage mehr dafür vorhanden war, um für die ärmsten Länder in Afrika Lösungen zu entwickeln. Deswegen ist auch dieses Signal aus
meiner Sicht genau richtig.
({2})
Liebe Kollegin Mortler, ich denke, die Lösung in Sachen Hopfen ist nicht einfach, sondern anspruchsvoll.
Die Betroffenen können mit ihr insgesamt sicher leben,
wenn wir uns weiterhin dafür verantwortlich fühlen
- das wurde von Ihnen und vom Kollegen Weisheit zum
Ausdruck gebracht -, dass die Zukunftsfähigkeit gefördert wird. Deshalb müssen wir klipp und klar sagen, dass
wir bereit sind, für solche Zukunftsentwicklungen Gesellschaftsmittel - sprich: Steuergelder - zur Verfügung
zu stellen.
Tabak - ein Bereich, der mir als Nordniedersachse,
wie ich ehrlicherweise zugeben muss, nicht besonders
nah ist; aber ich höre das bei Gesprächen und bei Besuchen vor Ort - ist ein interessantes Beispiel dafür, wie
sich im ländlichen Raum eine gesamte Kultur auf der
Basis einer Produktion entwickeln kann. Das geht hin
bis zum Bau des Hauses, das so ausgestaltet wurde, dass
die Tabakbauern den Tabak unter ihren Dächern trocknen können. Wir müssen also immer wieder im Auge haben, dass wir es mit einer sehr langfristig angelegten, beliebten und geschätzten Kulturentwicklung zu tun haben.
Deswegen müssen wir zu guten Lösungen ohne Brüche
kommen.
({3})
Das ist auch unter gesundheitlichen Aspekten, Herr
Ströbele, zu beurteilen - überhaupt keine Frage! Aber in
Trier arbeiten mehr als 1 000 Menschen in diesem Bereich. Sie stellen auch nicht nur „böse“ Tabakprodukte
her, sondern machen wirklich exzellente Zigarren, die
eine Genusswelt darstellen. Zu Zeiten von Herrn Erhard
zum Beispiel waren sie gewissermaßen Symbol von Zufriedenheit und Wohlergehen.
({4})
Deswegen müssen wir sehr genau hinschauen, wie wir
hier vorgehen.
({5})
Herr Berninger, ich war ein bisschen irritiert und in
Sorge, als uns im Ausschuss mitgeteilt wurde, dass in
der Tabakproduktion wohl eine ganze Reihe kleinerer
Betriebe vom Markt gehen werde. Ich sage ganz klar
- das hat auch Matthias Weisheit betont -: Wir müssen
alles dafür tun, damit das Geld, das zur Verfügung steht
- trotz aller Einsparmöglichkeiten gegenüber der Europäischen Union -, wirklich für marktgerechte Lösungen
genutzt wird, damit diese Betriebe mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Perspektive haben. Wenn
wir das auch beim Thema Tabak erreichen, sind wir auf
einem guten Weg.
Dies wird mehr Vertrauen in das Instrument der Entkopplung mit sich bringen. Die Bürgerinnen und Bürger
- ich hoffe, sie hören uns zu - müssen verstehen, dass
wir zwar Landwirtschaft wollen, aber Wert auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft legen. Darüber sind wir uns
einig, auch wenn der eine oder andere Ausgestaltungsweg noch diskutiert werden muss.
Herzlichen Dank und schönes Wochenende!
({6})
Danke schön. Ihren Wunsch geben wir zurück, aber
ein paar Reden kommen noch.
Jetzt hat die Kollegin Waltraud Wolff das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Goldmann, auch ich dachte,
Sie wollten mich schon ins Wochenende entlassen, aber
ich wollte doch noch hier vom Pult aus meine Rede halten.
Liebe Frau Mortler, Bayern stand bei den Verhandlungen zum ersten Teil der EU-Agrarreform ziemlich allein
auf weiter Flur.
({0})
Nach Ihrer heutigen Rede habe ich leider den Eindruck,
dass die CDU/CSU-Fraktion an dieser Stelle noch nichts
dazugelernt hat. Herr Goldmann hat eben gesagt, wir alle
wollten eine gute Zukunft für die deutsche Landwirtschaft. Diese Aussage muss ich ein bisschen einschränken: noch nicht alle! Vielleicht wird das im Laufe der
Ausgestaltung des zweiten Teils etwas anders.
Sie haben auch die geringeren Prämien für den
Hopfen angesprochen. Wenn ich aus Bayern käme,
würde ich das möglicherweise auch tun.
({1})
Aber ich finde - auch das muss man einmal ganz deutlich sagen -, dass man nicht immer nur mit Scheuklappen diskutieren kann, sondern man muss die europäische
Agrarpolitik und - das hat der Herr Staatssekretär angesprochen - die WTO im Blick haben. Man darf nicht immer in seinem Klein-Klein verbleiben.
Sie haben darüber hinaus beklagt, dass die Subventionen deutlich geringer ausfallen, und darauf hingewiesen,
dass auch die Hopfenbauern schließlich Familien zu ernähren haben. Ich habe immer gedacht, sie können von
ihren Erträgen leben. Wenn sie allein von staatlichen
Subventionen abhängig wären, fände ich das nicht so
gut.
Waltraud Wolff ({2})
({3})
Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung in so kurzer Zeit, nämlich in nur zwei Wochen, einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, um die Forderungen des EUAgrarrates zu erfüllen. Im Großen und Ganzen sind
diese Vorgaben mit den Ländern - auch mit den von
CDU und FDP geführten Bundesländern - abgestimmt.
Ich finde es sehr positiv, dass wir über einen Bereich
sprechen, der Deutschland nicht betrifft, nämlich die
Baumwolle. Man muss hervorheben, dass die WTO in
diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt und unsere Entscheidung in Europa auch für die Entwicklungsländer einen sehr hohen Stellenwert hat. Daher begrüße
ich diese Entscheidung sehr.
Zu Hopfen und Tabak ist vieles gesagt worden. Bei
Tabak entkoppeln wir nur 40 Prozent, sodass 60 Prozent
als Betriebsprämie übrig bleiben werden. Das hat den
Hintergrund, dass die meist sehr kleinflächigen Anbaubetriebe nicht überfordert werden sollen. Brüssel fordert
aber, dass im Jahr 2010 50 Prozent des entkoppelten Prämienvolumens in einen Umstrukturierungsfonds fließen
müssen. Daher stellt sich die Frage, was wir wollen.
Wenn wir es beim Verhältnis 40 : 60 beließen, was Herr
Bleser gleich gefordert hat, als Herr Weisheit gesagt hat,
dass wir mit einem Verhältnis von 50 : 50 schon allein
wegen der Bürokratie viel besser führen - Herr Bleser,
Sie können ruhig zuhören; wenn ich Sie schon direkt anspreche, wäre es nett, wenn Sie mir folgen würden -,
({4})
dann müssen im Jahre 2009 sämtliche Berechnungen
neu erfolgen. Das ist ein riesiger bürokratischer Aufwand.
({5})
Ich hoffe, dass dahinter kein politisches Kalkül steht.
Sehr viel besser wäre es nämlich im Sinne der EU, eine
Betriebsprämie von 50 Prozent und eine entkoppelte
Prämie von 50 Prozent zu haben. Der Abschmelzungsprozess - das ist auch noch nicht gesagt worden - wird
auch in diesen Bereichen in jedem Fall im Jahr 2013 abgeschlossen sein.
Nicht zu verhehlen ist auch, dass die Prämien für Tabak ein Vielfaches der gezahlten Getreide- und Hopfenprämien betragen haben. Gesellschaftspolitisch ist das
auf lange Sicht nicht zu vertreten. Bund und Länder haben sich dieser Tatsache angenommen und wissen, dass
der Umlenkungsprozess sehr schwierig sein wird. Deshalb haben Sie einen gemeinsamen Weg gefunden. Der
Umstrukturierungsfonds, von dem schon die Rede gewesen ist, gibt den Ländern die Möglichkeit, neue Erwerbschancen in den betroffenen Regionen zu erschließen.
Das ist ein wichtiger Punkt.
Zum Hopfen brauche ich nichts zu sagen. Darüber ist
schon zu viel geredet worden. Ich möchte auf ein Problem aufmerksam machen, das wir in der letzten Ausschusssitzung besonders beraten haben. Die Diskussion
drehte sich zum großen Teil um die nationale Reserve.
Weil wir nicht wissen, wie viele Härtefälle auf uns zukommen, hat der Bund eine nationale Reserve von
1,5 Prozent des Prämienvolumens vorgeschlagen. In Absprache mit dem Bundesrat heißt es nun, es solle eine
Reserve von nur 1 Prozent gebildet werden. Im Ausschuss wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, ob
das Geld ausreichen wird. Man sollte vorausschauender
denken und planen. Warum können wir nicht eine nationale Reserve von 1,5 Prozent installieren?
({6})
Wenn es nicht so viele Härtefälle gibt, dann hätte man
immer noch die Möglichkeit, die übrig gebliebenen Mittel zu verteilen. Dieser Weg ist immer noch besser, als
wenn man hinterher die Betriebsprämien in ganz
Deutschland kürzt, wenn die Mittel nicht ausreichen. Ich
glaube, dass dieser Weg nicht so günstig wäre.
Ich habe zum Schluss die Bitte an die Oppositionsparteien, dass sie diese zwei Fragen noch einmal beraten
und auf die Bundesländer zugehen. Ich kann mir vorstellen, dass es zu Unmut unter den Bauern kommt, wenn
die nationale Reserve nicht ausreichen sollte. Ich hoffe
nicht, dass das die politische Intention der Opposition
ist. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam einen guten
Weg finden und gemeinsam unsere Kraft für die Landwirtschaft in Europa einsetzen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach der allgemeinen EU-Agrarmarktreform
vom vergangenen Jahr haben wir es nun mit der GAP II
zu tun, die die Änderung der verbliebenen Marktordnungen für Oliven, Baumwolle, Hopfen und Tabak mit sich
gebracht hat. Wir haben nun die nationale Umsetzung
der auf EU-Ebene gefassten Beschlüsse vorzubereiten
und kommen dieser Aufgabe mit der ersten Beratung des
vorliegenden Gesetzentwurfs nach.
Ich möchte zunächst einmal deutlich machen, worum
es bei diesem Thema geht; denn einige scheinen zu glauben, dass es in dieser Debatte um ein Randthema geht.
Über 1 000 Betriebe in Deutschland bauen Tabak an.
Von diesen Betrieben sind mehr als 3 500 Beschäftigte,
etwa 10 000 Saisonarbeitskräfte sowie die Beschäftigten im vor- und nachgelagerten Bereich abhängig.
Es geht also um eine Vielzahl von Schicksalen, über
die zu entscheiden ist. Bereits jetzt ist festzustellen - das
hat die Bundesregierung auch nicht bestritten -, dass
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge die
wirtschaftliche Existenz dieser Menschen spätestens im
Jahr 2013 beendet wird. Spätestens 2013 soll der Tabakanbau, der in Deutschland seit 300 Jahren Bestand hat,
eingestellt werden. Darum geht es in dieser Debatte.
Wir müssen darüber diskutieren, wie die nationale
Umsetzung der EU-Agrarpolitik zu gestalten ist. Denn
es besteht durchaus die Möglichkeit, für die betroffenen
Betriebe und Familien Übergangsregelungen zu schaffen, um ihnen die Chance einzuräumen, ihre wirtschaftliche Existenz zumindest zu einem großen Teil zu sichern.
({0})
Was die Bundesregierung wie auch die Fraktionen der
SPD und der Grünen vorgetragen haben, ist im Grunde
schizophren.
({1})
Man sagt, man könne nicht auf der einen Seite den gesundheitsschädlichen Genuss von Tabak geißeln, aber
auf der anderen Seite den Tabakanbau fördern. Das hört
sich zwar gut an, aber glauben Sie wirklich, dass sich die
deutschen Raucher nur deshalb das Rauchen abgewöhnen, weil der Tabak nicht mehr aus Deutschland kommt?
Das ist doch eine Illusion, die Sie verbreiten. Sie schädigen damit nur weiter den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das ist die einzige Konsequenz Ihres Vorhabens.
({2})
Das ist die Realität. Deshalb müssen wir uns mit Ihren
Vorschlägen befassen. Wir haben durchaus Verständnis
dafür, dass diese Reform angegangen wurde. Natürlich
war die Tabakmarktordnung in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auch Vehikel für andere Beschlüsse in der Europäischen Union, um eine Bevorteilung südlicher Länder, die dafür besonders prädestiniert
sind, zu erreichen. Insofern will ich gar nicht in Abrede
stellen, dass eine Änderung der Tabakmarktordnung notwendig war. Die gefassten Beschlüsse sollten aber so
umgesetzt werden, dass in Deutschland die sich im Rahmen der Anpassung ergebenden Möglichkeiten genutzt
werden.
({3})
Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der übrigens erst am
Mittwoch das Licht erblickt hat. Die Tabakverbände haben sich wegen der komplizierten Darstellung zunächst
einmal nicht in der Lage gesehen, den Gesetzentwurf zu
beurteilen.
Sie haben die sich aus den EU-Beschlüssen ergebenden Möglichkeiten, die Prämien bis 2010 in voller Höhe
zu gewähren, nicht ausgeschöpft, sondern sehen in Ihrem Gesetzentwurf vor, die Prämien ab 2007 um jährlich
10 Prozent zu reduzieren. Das schmälert die Chancen
der Tabakanbaubetriebe, sich auf diesen Subventionsabbau einzustellen.
Wir lehnen deshalb den vorliegenden Gesetzentwurf
ab und werden im Bundesrat dafür sorgen - ich bin mir
sicher, dass die Tabakbauern nicht vergeblich auf die
CDU/CSU gesetzt haben -, dass eine Gleichbehandlung
mit den übrigen Agrarreformen erfolgt, um eine einseitige Belastung dieses Sektors zu verhindern.
({4})
- Das Nicken der Kollegen von der SPD zeigt mir, dass
Sie durchaus Verständnis dafür haben. Aber warum verfolgen Sie dann ein solches Gesetzesvorhaben? Warum
müssen Sie immer wieder zu Ihrem Glück gezwungen
werden?
Wir wollen den Tabakbauern helfen, damit sie möglichst lange Fristen nutzen können, um sich auf die neue
Situation einzustellen. Deswegen können sie sich darauf
verlassen, dass sie aufseiten der CDU/CSU Unterstützung finden. Das versichert ihnen ein leidenschaftlicher
Nichtraucher.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/3046 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nationales Energieprogramm vorlegen - Planungssicherheit für Wirtschaft und Verbraucher herstellen
- Drucksache 15/2760 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Forschung und Entwicklung für zukunftsfähige Energietechnologien - 5. Energieforschungsprogramm umgehend vorlegen
- Drucksache 15/2194 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Die Abgeordneten Kasparick, Fischer ({2}), Hustedt, Girisch1) und Schreck haben gebeten,
ihre Reden zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Es redet nur noch die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Kopp, Sie haben das Wort. Bitte.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Ganz so leer ist das Haus ja noch nicht. Ich läute
das bevorstehende Wochenende mit einem, wie ich
finde, äußerst wichtigen Thema ein. Die FDP-Bundestagsfraktion hat über vier Monate ein sehr umfassendes
Gesamtkonzept zur Energiepolitik in Deutschland erarbeitet, das Ihnen heute als Antrag vorliegt. Die FDPBundestagsfraktion eröffnet damit eine wichtige Energiedebatte. Es gilt, eine weitere Schwächung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu verhindern. Denn die
rot-grüne Bundesregierung macht, wie man einmal detailliert herausstellen muss, leider keine konsistente
Energiepolitik.
Wir legen Ihnen auf 15 Seiten unseres Antrags dar,
dass sich der weltweite Energiebedarf bis zum Jahr
2050 im Vergleich zu heute - einige Fachleute gehen sogar davon aus, dass das möglicherweise schon bis zum
Jahr 2030 geschehen wird - verdoppeln wird. Da der
Kraftwerkspark in Deutschland überaltert ist, sind Investitionen in neueste Technologien notwendig. Außerdem
müssen wir uns dringend um die Regulierung des Stromund Gasmarktes kümmern. Das darf nicht in bürokratischer, sondern sollte auf effiziente, den Wettbewerb stärkende Weise geschehen.
({0})
Ich bin, wie meine Fraktion, davon überzeugt, dass
die Bundesregierung weit davon entfernt ist, auf Dauer
eine wettbewerbsfähige Energiepolitik zu machen. Uns
liegt daran, dass der Energiemix aus fossilen - diese sind
natürlich endlich - und erneuerbaren Energieträgern sowie aus der Kernenergie erhalten bleibt. Um es gleich zu
sagen: Der beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie
ist ein Irrweg.
({1})
Gerade wer den Klimaschutz - er ist absolut notwendig - in den Mittelpunkt stellt sowie eine bezahlbare und
sichere Energieversorgung haben will, der kommt auf
Dauer an dem von mir geschilderten Dreiklang in der
Energiepolitik nicht vorbei.
({2})
1) Anlage 7
Denn es macht absolut keinen Sinn, eines Tages unseren
Strom aus französischen Kernkraftwerken zu beziehen
und so zu tun, als ob wir damit überhaupt nichts zu tun
hätten.
Wir müssen in Wissenschaft und Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien investieren. Ein besonderes Anliegen sind uns dabei Investitionen in Innovationen wie den Ausbau der Speicherfähigkeit im
Bereich der Windkraft. Wir als Liberale sind aber dagegen, Dauersubventionen festzuschreiben. Ich betone sehr
klar, wie wichtig es für uns ist, vom Jahr 2005 an aus der
Subventionierung der Steinkohle auszusteigen und in
den nächsten Jahren nicht weitere 15 Milliarden Euro in
den Steinkohlebergbau in Deutschland zu investieren;
denn solche Investitionen sind nicht zielführend.
({3})
Sorgen bereitet uns ebenfalls der Aufbau einer Regulierungsbehörde für den Strom- und Gasmarkt unter
dem Dach der RegTP. Im Zusammenhang mit der Deregulierung dieses Marktes ist geplant, dort weitere
300 Planstellen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund
wird derzeit - leider - Fachpersonal aus dem Bundeskartellamt abgezogen, worin wir eine weitere Schwächung
der Wettbewerbshüter sehen. Wir befürchten eine starke
Regulierung der Energieversorgung in Deutschland. Das
wollen wir nicht. Wir werden sehr genau darauf achten,
wie das noch zu diskutierende neue Energiewirtschaftsgesetz ausgestaltet wird. Die Regierung plant 20 weitere
Verordnungen zu diesem Gesetz.
({4})
Wir wissen derzeit noch überhaupt nicht, in welcher
Weise hier agiert werden soll. Aber eines ist uns klar:
Man wird in einem sehr bürokratischen Miteinander verfahren und die Kosten der Regulierung sollen ausgerechnet auf die zu regulierenden Unternehmen umgelegt
werden. Das heißt, dass aufgrund der Kosten für mehr
Personal die Verbraucher am Ende die Zeche zahlen. Das
gibt es in keinem anderen Bereich. Die Regulierung ist
in diesem Fall eine staatliche Aufgabe und man sollte die
Kostenstrukturen und damit die Wettbewerbsfähigkeit
unseres Strom- und Energiemarktes nicht durch eine
weitere Umlage belasten.
({5})
Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, legen auf unsere
energiepolitischen Ziele Wert: Gleichrangigkeit, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Das alles steht im Einklang mit unserem
Programm, dessen intensives Studium ich Ihnen sehr
empfehle. Ich freue mich auf eine muntere energiepolitische Debatte, die wir im Rahmen der Beratungen in den
Ausschüssen und dann auch hier, im Plenum, führen
werden.
Ich wünsche Ihnen allen ein gutes Wochenende.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2760 und 15/2194 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Vorlage auf Drucksache 15/2194 federführend
an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überwiesen
werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Mai 2004, 13 Uhr, ein. Das
ist dann nach der Bundespräsidentenwahl.
Die Sitzung ist geschlossen.