Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich
- Drucksache 15/2327 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren
Energien im Strombereich
- Drucksachen 15/2539, 15/2593 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({2})
- Drucksachen 15/2845, 15/2864 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Bülow
Doris Meyer ({3})
Angelika Brunkhorst
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem
Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({5})
gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring - „Möglichkeiten geothermischer Stromerzeugung in Deutschland“
- Drucksachen 15/1835, 15/2797 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Bülow
Doris Meyer ({6})
Angelika Brunkhorst
Zu den Gesetzentwürfen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion.
({7})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Rede richte ich vor allem an die Bürgerinnen und
Bürger. Meine Damen und Herren, mit nur 1 Euro sind
Sie dabei! 1 Euro kosten nämlich die erneuerbaren Energien jeden Haushalt pro Monat. Mit 1 Euro helfen Sie
mit, dass 50 Millionen Tonnen CO2 und 50 Millionen
Tonnen anderer Klimagase pro Jahr eingespart werden
können.
({0})
Mit 1 Euro haben Sie mitgeholfen, dass 130 000 zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen worden sind.
Mit 1 Euro haben Sie mit dazu beigetragen, dass
Deutschlands Energieversorgung sicherer geworden ist.
Mit 1 Euro haben Sie mit dafür gesorgt, dass die deutschen Unternehmen in einer Schlüsselindustrie zum
Marktführer geworden sind. Mit 1 Euro leisten Sie einen
wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
({1})
Die Kosten von 1 Euro pro Monat beweisen, dass die
Förderung der erneuerbaren Energien nicht teuer sein
muss. Ich möchte Ihnen einen Vergleich nennen: Ein
Redetext
Videorekorder kostet jeden Haushalt, auch wenn er nicht
häufig benutzt wird, pro Monat mindestens 1,50 Euro,
also mehr, als für die erneuerbaren Energien zu zahlen
ist.
Eigentlich sparen Sie sogar Geld. Denn die erneuerbaren Energien vermeiden so genannte externe Kosten.
Das sind Kosten für Umweltschäden, für Schäden, die
im Bereich Klima entstehen, aber beispielsweise auch
für Castortransporte, die bekanntlich immer viel Geld
kosten. All diese Kosten haben letztendlich Sie zu bezahlen, auch wenn sie auf keiner Stromrechnung auftauchen.
({2})
Ich warne davor, zu glauben, dass die Kosten niedrig
ausfallen werden. Ich möchte Sie nur an die Hitzeperiode und an die Hochwasserkatastrophe im letzten
Jahr erinnern. Wenn solche Ereignisse nicht Ausnahmen
bleiben, sondern zum Regelfall werden, dann wird es Sie
teuer zu stehen kommen, wenn Sie weiterhin hauptsächlich die anderen Energieträger nutzen und nicht die erneuerbaren Energien.
Wir müssen die Förderung der erneuerbaren Energien
natürlich um vieles andere ergänzen. Beispielsweise
müssen wir eine höhere Energieeffizienz erreichen. Wir
müssen dafür sorgen, dass neben der Förderung der erneuerbaren Energien auch andere Instrumente eingesetzt
werden. Die SPD-Fraktion hat deswegen bei der Novellierung, über die wir heute sprechen, drei Schwerpunkte
gesetzt. Wir wollen mit dieser Novelle nämlich erreichen, dass das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
erfolgreich bleibt und ein kostengünstiges Instrument ist.
Unser erster Schwerpunkt betrifft die Effizienz. Wir
wollen unser Ziel, nämlich die Verdoppelung des Anteils
der erneuerbaren Energien bis 2010 auf über 12 Prozent,
erreichen. Dabei dürfen aber die Kosten nicht in dem
Maße steigen, wie der Anteil der erneuerbaren Energien
steigt.
Das heißt, wir haben an vielen Schrauben gedreht, um
es kostengünstiger zu machen. Ich will eine nennen, die
wir häufig benutzt haben, nämlich die Degression. Bei
einer Degression von 2 Prozent, wie beispielsweise bei
der Windkraft, und Hinzurechnung der Inflationsrate
- diese wird nämlich nicht ausgeglichen - muss ein Betreiber in zehn Jahren 35 Prozent des Geldes einsparen,
um marktfähig zu bleiben.
Unser zweiter Schwerpunkt war die Stärkung der Förderung der Bioenergien. Auch hier haben wir eine Degression eingeführt. Vor allen Dingen haben wir hier
aber auch noch einiges andere getan. Wir haben nämlich
beispielsweise einen Bonus für nachwachsende Rohstoffe gestaltet, weil wir glauben, dass gerade die Bioenergien einen wichtigen Beitrag für die erneuerbaren
Energien leisten und sie noch nicht so stark genutzt worden sind, wie wir uns das gewünscht haben.
({3})
Eines muss dabei aber klar sein: Es muss sich um alle erneuerbaren Energien handeln; denn nur im Mix erbringen sie die Auslastung, die wir uns vorstellen und die
wir brauchen.
Unser dritter Schwerpunkt ist die Härtefallregelung.
Darauf wird mein Kollege gleich eingehen.
Natürlich haben wir noch einiges mehr verändert. Ich
will das alles aber nicht herunterbeten, weil Sie viele der
kleinen Zahlen wahrscheinlich langweilen würden. Es
ist ja auch alles im Gesetz nachzulesen.
Mit dem novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz
werden wir den Ausbau der erneuerbaren Energien ungehindert fortsetzen, ohne dass die Kosten explodieren.
Das deutsche EEG ist das weltweit erfolgreichste Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien.
({4})
Andere Modelle sind teurer und nicht so erfolgreich. Das
beweisen viele Gesetze in anderen Ländern. Deswegen
kopieren immer mehr Länder unser Instrument.
Zudem wissen wir, dass sich die Kostenschere zwischen den erneuerbaren Energien und den anderen Energieformen schon allein deswegen schließen wird, weil
wir viele neue Kraftwerke bauen müssen; das kostet
Geld. Daneben gibt es vor allen Dingen beim Öl und
beim Gas eine Endlichkeit, die schnell erreicht sein wird.
({5})
Diese Erkenntnis spricht sich auch bei der Opposition
herum. Trotzdem kommt die Opposition insgesamt zu
einem Nein bezüglich der Förderung der erneuerbaren
Energien. Dieser Satz lässt sich nur wie folgt kommentieren: Die Energiepolitik der Union ist nicht zukunftsfähig und die FDP ist mit ihrer Energiepolitik noch nicht
einmal in der Gegenwart angekommen.
({6})
Ich bedaure, dass sich vor allen Dingen bei der Union
wieder die Ewiggestrigen durchgesetzt haben. Es gab
Gesprächsangebote von uns an Sie. Ich weiß, dass innerhalb der Union mehrere den erneuerbaren Energien
positiv gegenüberstehen und dass es immer mehr werden. Trotzdem gibt es dieses Nein. Ich frage mich, ob
das aus taktischen Gründen so ist oder ob sich Frau
Merkel bei Ihnen durchgesetzt hat. Es ist eigentlich
schade, dass Frau Merkel mit Herrn Töpfer nur gemeinsam hat, dass sie beide Umweltminister waren und in der
Union sind, dass sie aber die Vernunft anscheinend nicht
gemeinsam haben.
({7})
Die Union will sich jetzt mit einem Trick retten: Die
erneuerbaren Energien werden bis 2007 gefördert; danach wird geschaut, ob es ein anderes Instrument gibt.
Das ist ökologisch - aus den genannten Gründen - und
ökonomisch natürlich unsinnig. Ökonomisch ist es deshalb unsinnig, weil es überhaupt keine Planungssicherheit gibt. Niemand wird mehr irgendetwas in die erneuerbaren Energien investieren, wenn er nicht weiß, was
hinterher dabei herauskommt. In 20 Jahren werden sich
die Menschen an den Kopf fassen und fragen, warum es
eigentlich so schwierig war, die erneuerbaren Energien
zu fördern, und warum damit nicht schon viel früher angefangen wurde.
({8})
Bei einigen fehlen leider der Fortschrittsglaube, der
Mut und der Pioniergeist, die wir Deutschen doch so
dringend brauchen. Glücklicherweise gilt das nicht für
alle. Viele Menschen haben das Gegenteil bewiesen. Das
sind nicht immer die Großen, die damit Geld verdienen
wollen - was ja legitim ist. Häufig sind das die Kleinen,
zum Beispiel die Solarinitiativen in Bayern, die eigenes,
privates Geld in die Hand genommen haben und eine
Menge für die erneuerbaren Energien tun.
({9})
Vorgestern habe ich den Bürgermeister von Bad
Urach in Baden-Württemberg getroffen. Er berichtete,
dass er vor 20 Jahren die erneuerbaren Energien entdeckt
und gemeinsam mit anderen damit begonnen hat, sich
dafür zu engagieren. Heute, nach einem 20-jährigen
Kampf, Engagement usw., bringt er eine Geothermieanlage ans Netz. Wenn nicht in diesem, dann wird er
spätestens im nächsten Jahr eine Menge Haushalte in
diesem Ort mit erneuerbarer Energie versorgen. Das ist
Gründergeist, Mut und Initiative, die wir brauchen.
({10})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, all den Menschen, die sich aktiv für die erneuerbaren Energien eingesetzt haben und noch einsetzen werden - ob als Bürgermeister, Initiativen, Verbände oder allein -, meine
Anerkennung auszusprechen und herzlich zu danken.
({11})
Um beim Thema zu bleiben, möchte ich mich zum
Schluss auch bei allen Referentinnen und Referenten sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken,
die an der Novelle mitgearbeitet haben und ohne die wir
Abgeordneten bei solch komplexen Themen manchmal
ganz schön alt aussehen würden. Gemeinsam haben wir
ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Vielen Dank dafür.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Horst Seehofer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Was für starke Worte: ewig gestrig, trickreich,
noch nicht in der Gegenwart angekommen.
({0})
Ich darf Herrn Bülow einmal daran erinnern, dass die erneuerbaren Energien zuallererst von der Union Anfang
der 90er-Jahre gefördert wurden. Sie sind unser Kind.
({1})
Wir haben ein klares Bekenntnis zur Funktion der erneuerbaren Energien auch in der Zukunft abgelegt.
({2})
Wir stehen dazu. Die erneuerbaren Energien leisten für
den Klimaschutz, die Ressourcenschonung und die
Technologieentwicklung einen wichtigen Beitrag. Deshalb werden nach Auffassung der Union die erneuerbaren Energien wie die Sonne, die Geothermie, die Biomasse, die Wasserkraft und der Wind auch in der
Zukunft einen wichtigen Beitrag zum Energiemix in der
Bundesrepublik Deutschland leisten.
({3})
Damit nicht das geringste Missverständnis auftritt: Wir
bekennen uns eindeutig zu dem Verdoppelungsziel,
nämlich dass sich der Anteil der erneuerbaren Energien
am Bruttostromverbrauch in der Bundesrepublik
Deutschland, gemessen am Jahre 2000, verdoppeln soll.
({4})
Über das Ziel gibt es überhaupt keine Diskussion.
({5})
Wir streiten um den richtigen Weg zum Ziel. Wir müssen
trotz unseres Bekenntnisses zu den erneuerbaren Energien darauf achten, dass die erneuerbaren Energien
- diesen Grundsatz haben Sie in der Theorie bisher auch
immer vertreten - effizient, marktwirtschaftlich und
sinnvoll eingesetzt werden. Politikern, die für den sinnvollen Einsatz eines Instrumentariums eintreten, kann
man doch nicht vorwerfen, dass sie gegen dieses Instrumentarium sind.
Schauen Sie, ich komme aus der Gesundheitspolitik.
Selbst in der Gesundheitsversorgung ist es parteiübergreifend Konsens, dass die Versorgung der kranken
Menschen effizient und wirtschaftlich organisiert werden muss. Niemand würde deshalb auf die Idee kommen, dass sich die Realisierung von Wirtschaftlichkeit
und Effizienz im Gesundheitswesen gegen die kranken
Menschen richtet. Das, was in der Gesundheitsversorgung selbstverständlich ist, muss erst recht für die
Energieversorgung gelten, nämlich dass wir die erneuerbaren Energien wirtschaftlich und effizient einsetzen.
({6})
Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen. Ihre Argumentation, das Ganze koste nur 1 Euro, ist ein Einlullen der Bevölkerung. Das ist das Gesetz der kleinen
Zahl: Diese Maßnahme ist nicht so schlimm, weil sie nur
1 Euro kostet. Auch jene Maßnahme ist nicht so
schlimm, weil sie nur ein paar Cent kostet. - In der
Summe - das ist die entscheidende Botschaft für die privaten Haushalte und die Industrie - hat Ihre Politik dazu
beigetragen, dass mittlerweile 40 Prozent des Strompreises für Maßnahmen des Staates in den letzten Jahren aufgewendet wurden. Das ist die Wahrheit.
({7})
Das heißt, wenn ein Haushalt eine Stromrechnung von
200 Euro erhält, dann sind in diesem Betrag 40 Prozent
davon für Maßnahmen aufzubringen, die Sie politisch
veranlasst haben.
({8})
Nun erklären Sie am ersten Tag: Das ist doch gar
nicht so schlimm, es sind an der Tankstelle nur ein paar
Cent mehr für die Ökosteuer. Am nächsten Tag heißt es:
Das ist gar nicht so schlimm, es sind nur ein paar Cent
mehr für die Mehrwertsteuer. Am dritten Tag sagen Sie:
Das ist gar nicht so schlimm, es sind nur ein paar Cent
mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung. Am Ende der Woche erzählen Sie: Das ist gar nicht so schlimm, es sind
nur ein paar Cent für die erneuerbaren Energien. - Jede
Maßnahme für sich betrachtet kostet in der Tat nur eine
geringe Summe. Aber alles zusammengenommen muss
uns Sorgen machen; denn ein Anteil von 40 Prozent am
Strompreis ist kein Pappenstiel.
({9})
Wie sieht das in der Praxis aus? Sie sprechen hier von
einer Förderung der erneuerbaren Energie. In der Realität sieht es aber so aus, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung der Netzbetreiber vorgesehen hat, Strom aus
erneuerbaren Energien abzunehmen.
({10})
Hinzu kommt die Verpflichtung, den Strom zu einem
Festpreis zu vergüten.
Ich darf in Klammern anmerken, dass ich bisher immer dachte, dass wir beim Apothekenrecht eine sehr
hohe Regelungsdichte haben. Aber gemessen an der Förderung der erneuerbaren Energien haben wir bei den
Apotheken noch den Inbegriff der sozialen Marktwirtschaft.
({11})
Denn Abnahmeverpflichtung und feste Einspeisungsvergütung sind nicht annähernd marktwirtschaftliche
Prinzipien. Trotzdem muss eine Anschubfinanzierung in
diese Richtung erfolgen. Deshalb waren wir auch immer
dafür, dass man eine Einspeisungsvergütung vorsieht.
Wir müssen aber auch mit dem zweiten Ziel Ernst machen. Wir müssen zu irgendeinem Zeitpunkt dazu kommen, dass sich erneuerbare Energien selbst tragen, wirtschaftlich sind und nur noch dort eingesetzt werden, wo
sie sinnvoll sind. Auch das müssen wir realisieren.
({12})
Es macht doch keinen Sinn, wenn die feste Einspeisungsvergütung dazu führt, dass auch an ungünstigen
Standorten Windräder aufgestellt werden. Wenn Sie
sich jetzt - ich wende mich an die Grünen - auf der einen Seite aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes hier im Deutschen Bundestag zu erneuerbaren Energien bekennen, auf der anderen Seite Ihr Klientel aber
vor Ort gegen die Aufstellung von Windrädern demonstriert, weil das aus ihrer Sicht an ungünstigen
Standorten einen überzogenen Eingriff in die Natur und
die Landschaft darstellt, dann passt das nicht zusammen.
Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir die Förderung der
Windkraft auf die Standorte konzentrieren, die irgendwann einmal die Chance bieten, dass Windkraft wirtschaftlich genutzt werden kann.
({13})
Weiterhin müssen wir die Förderung stärker hin zu erneuerbaren Energien umpolen, die vom Prinzip her
grundlastfähig sind.
({14})
Es macht doch auf Dauer keinen Sinn, wenn wir erneuerbare Energien, die nur eine bestimmte Stundenzahl im
Jahr zur Verfügung stehen, weil nicht immer die Sonne
scheint oder der Wind bläst, fördern und gleichzeitig
aber die konventionellen Kraftwerke uneingeschränkt
ihre Grundlast vorhalten müssen. Was haben wir für den
Klimaschutz erreicht, wenn nur ergänzt, nicht aber ersetzt wird? Deshalb müssen wir umsteuern.
({15})
Wir müssen zu grundlastfähigen Energiearten umsteuern
und bei den übrigen Energiearten dafür sorgen, dass sie
irgendwann wirtschaftlich werden.
Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel aus meiner Heimat. Dort organisieren Banken und Sparkassen zurzeit
Abendvorträge über das so genannte Schwarze-DächerProgramm. Es wird den Menschen empfohlen, einen
Kredit über 100 000 Euro aufzunehmen und die Dächer
ihrer Häuser mit Sonnenkollektoren zu bestücken. Laut
Finanzierungsplan soll in den ersten zehn Jahren der
Kredit zurückgezahlt werden, in den zweiten zehn Jahren soll der Investor ein Zubrot zu seiner Rente haben. In
dem Beispiel, das ich vor Augen habe, wird von einer
Rente in Höhe von 850 Euro gesprochen.
({16})
Dafür ist die Förderung der erneuerbaren Energien
nicht gedacht.
({17})
Es ist nicht so wie bei der Ökosteuer, die ein Beitrag zur
Rentenfinanzierung ist. Es kann nicht sein, dass die kleinen Leute und Familien mit Kindern über den höheren
Strompreis die Rente derjenigen finanzieren, die es sich
leisten können, ihr Kapital in solche Anlagen zu investieren. Das kann nicht sinnvoll sein.
({18})
Deshalb sagen wir klipp und klar: Ja zum Ziel der
Verdoppelung der erneuerbaren Energien beim Bruttostromverbrauch. Da stimmen wir völlig überein. Wir
sagen aber ebenso entschieden: Umsteuerung hin zu
grundlastfähigen Energiearten und keine Dauersubvention. Wir reden im Deutschen Bundestag fast wöchentlich darüber, wie wir Subventionen abbauen; auf der anderen Seite laufen wir Gefahr, gigantische neue
Subventionen für unwirtschaftliche Anlagen zu gewähren.
({19})
Sie gehen davon aus, dass schon alles richtig werden
wird. Wir verstehen aber politische Verantwortung so
- darin unterscheiden wir uns von Ihnen -, dass wir
durch Gestaltung und unsere Entscheidung dafür sorgen
wollen, dass es richtig wird.
({20})
Deshalb soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinem herkömmlichen Förderinstrumentarium bis Ende
2007 befristet werden. Wir werden bis zu diesem Zeitpunkt hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz vorlegen,
das für die Ziele, die ich genannt habe, ein effizienteres
Förderinstrumentarium vorsieht, als es in der Vergangenheit der Fall war.
({21})
Die von uns vorgesehene Förderung bis zum Jahr
2007 hängt nicht mit irgendeiner Wahl zusammen, sondern damit, dass Ende 2007 die Versuchsphase des
Emissionshandels ausläuft und mehr Klarheit darüber
herrscht, welche Kosten durch die erneuerbaren Energien für den Netzausbau und die Regelleistungen beim
Strom entstehen. Dann sind wir in der Lage, eine fundierte Entscheidung zugunsten der erneuerbaren Energien zu treffen.
Wir müssen aber auch darauf achten, meine Damen
und Herren von Rot-Grün, dass wir neben der Förderung
der erneuerbaren Energien in einem effizienteren System
durch Stromeinsparung und mehr Effizienz bei den
Kraftwerken zu einer Kostensenkung kommen. Denn
mit günstigeren Preisen können wir wesentlich mehr für
den Klimaschutz erreichen als allein mit der Förderung
der erneuerbaren Energien. Behalten Sie deshalb bitte
auch diese anderen Faktoren im Blick!
({22})
Für die CDU/CSU sage ich klipp und klar Ja zu den
erneuerbaren Energien,
({23})
zu einer Umsteuerung hin zu den grundlastfähigen erneuerbaren Energien und zu einem effizienteren Fördersystem, damit das Ganze auch auf Dauer tragfähig
bleibt.
({24})
Ich erteile der Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Heute ist ein guter Tag: Die rot-grüne Koalition wird den
Weg ins Solarzeitalter trotz einer beispiellosen Kampagne von RWE und Co beschleunigt fortsetzen. Unser
Ziel ist es, den Anteil erneuerbarer Energien an der
Stromerzeugung bis zum Jahr 2020 auf mindestens
20 Prozent zu erhöhen.
Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des BMU ausdrücklich für die sehr gute Vorlage danken,
die sie erarbeitet haben. Der SPD-Fraktion danke ich für
die sehr gute Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung des Gesetzentwurfs. Das Gesetz ist und bleibt ein
Gesetz des Parlaments und darauf sind wir stolz.
({0})
Das EEG ist zum wichtigsten Klimaschutzinstrument
geworden. Durch den Emissionshandel werden im Jahr
2012 10 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Mit dem
EEG bzw. der Förderung der erneuerbaren Energien
werden wir ungefähr 60 Millionen Tonnen CO2 einsparen können. Das ist die sechsfache Menge.
Die Kosten sind mit 1 Euro pro Haushalt - das wurde
bereits angesprochen - vertretbar. Im Vergleich dazu
verursachen Stand-by-Schaltungen die achtfachen
Kosten. Wenn wir die freie Wahl der Strommesser
durchsetzen könnten, dann könnten die durch das EEG
entstehenden Kosten durch den Wettbewerb im Energiebereich vollständig kompensiert werden.
Auf Sie persönlich, Herr Seehofer, geht die Einführung der Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal zurück.
Diese Summe ist ein Vielfaches dessen, was die Förderung der erneuerbaren Energien den Bürger kostet.
Wir schaffen neue Impulse insbesondere bei der Biomasse, also der Erzeugung von Strom und Wärme aus
landwirtschaftlichen Abfällen und nachwachsenden
Rohstoffen vom Acker. Der Landwirt wird zum Energiewirt. Neben der Windenergie wollen wir eine zweite
starke Säule der erneuerbaren Energien aufbauen.
({1})
Herr Seehofer, wenn Sie eine stärkere Förderung der
erneuerbaren Energien fordern, mit denen die Grundlast
abgedeckt und Spitzenlaststrom erzeugt werden kann,
dann müssen Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Denn genau diesen Weg beschreiten wir damit.
({2})
Sie hören doch sonst immer auf den Bauernverband.
In der aktuellen Pressemitteilung des Bauernverbands
wird klar zum Ausdruck gebracht, dass der Verband erwartet, dass alle Fraktionen des Bundestages der Novelle
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit den darin vorgesehenen Verbesserungen im Zusammenhang mit der
Biomasse zustimmen werden.
({3})
Wenn die CDU/CSU dem Gesetzentwurf nach langem Ringen nicht zustimmt, dann ist leider wieder eine
Chance verpasst. Wer meint, dass das Gesetz bis zum
Jahr 2007 befristet werden soll, der kann auch gleich sagen, dass er das Gesetz abschaffen will. Denn niemand
wird mit so einer Frist noch einen Bankkredit bekommen. Das wäre das sofortige Aus der Förderung der erneuerbaren Energien.
({4})
Das sollten Sie aber auch ehrlich sagen.
Dabei stimmte Frau Merkels Analyse nach der letzten
Bundestagswahl haargenau. Sie hatte festgestellt, dass
die Bundestagswahl von der CDU/CSU auch deshalb
verloren wurde, weil sie beim Umweltschutz ein Vakuum hat und weil sie in der vorigen Legislaturperiode
dem EEG nicht zugestimmt hat.
({5})
Frau Kollegin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lamp?
Ja, gerne, Herr Lamp. Welchem Verein gehören Sie
noch mal an?
Ich bin Vorsitzender des Bundesverbandes Bio-Energie, dem der Fachverband Biogas, der Deutsche Bauernverband sowie die Forstwirte- und die Waldbauernverbände angehören. Vielleicht haben auch Sie die
Stellungnahme der Waldbauernverbände gelesen, in der
darauf hingewiesen wird, dass die Hölzer rund um Berlin seit einem Jahrzehnt kaum genutzt werden. Diese
Verbände hatten die große Hoffnung, dass mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Möglichkeit besteht,
dass dieses enorme Potenzial an Hölzern in den vorhandenen Kraftwerken im Raum Berlin genutzt wird. Wir
haben über Monate versucht, diesen Aspekt in das EEG
hineinzubringen. Er ist aber einfach nicht aufgenommen
worden. Meine Frage lautet: Warum sieht das EEG keine
Vergütung der Kombination aus Waldholz und Altholz
in Heizkraftwerken vor?
Offenbar haben Sie das Gesetz nicht gelesen. Wir
wollen mit dem Gesetz die nachwachsenden Rohstoffe
- dazu gehören auch Waldresthölzer - mit 2,5 Cent pro
Kilowattstunde zusätzlich fördern. Die nachwachsenden
Rohstoffe vom Acker wie zum Beispiel Mais wollen wir
mit 4,5 Cent bzw. 6 Cent fördern. Aber auch die Waldhölzer werden durch das Gesetz, wie gesagt, weit mehr
gefördert als zuvor. Stimmen Sie also zu, Herr Lamp!
({0})
Schade, dass Sie den gleichen Fehler wie in der letzten
Legislaturperiode machen!
Zurzeit weht dem Klimaschutz der Wind vielleicht
ein bisschen entgegen. Aber das wird sich auch wieder
ändern. Dann stehen Sie erneut im dünnen Hemdchen
da. Nach einer Allensbach-Umfrage sind nur 14 Prozent
der Bevölkerung für eine Senkung der Vergütungssätze,
also für einen Abbau der Förderung. Ein Großteil ist absolut für die erneuerbaren Energien. Sie werden den
Menschen in diesem Lande, insbesondere den Bauern
und auch denjenigen, die in den ländlichen Räumen leben, erklären müssen, warum Sie hier Ihre Unterstützung
versagen.
Der Klimaschutz ist bei weitem nicht nur eine ökologische Frage und auch kein Luxusproblem der Grünen.
Ich möchte einmal wirtschaftlich argumentieren; denn
wenn es um Umweltargumente geht, sind Sie - die FDP
völlig, die CDU/CSU zumindest zur Hälfte - sowieso
auf beiden Ohren taub. Die Kosten infolge der Flut 2002
betrugen 15 Milliarden Euro; die Kosten infolge der
Dürre 2003 beliefen sich auf 13 Milliarden Euro. Das alles muss der Steuerzahler tragen. Weltweit nimmt die
Zahl der Naturkatastrophen enorm zu. Von 1960 bis
1969 betrugen die Kosten für die von Naturkatastrophen
verursachten Schäden 71 Milliarden US-Dollar. Von
1990 bis 1999 beliefen sich die Kosten für die Schäden,
die durch von Menschen verursachte Naturkatastrophen
entstanden sind, schon auf 607 Milliarden US-Dollar.
Das ist fast eine Verzehnfachung. Wer zahlt dafür? Es
sind die Bürger, die Bauern und die Unternehmer, die
Haus und Hof verlieren, sowie die Hausbesitzer. Wer
verursacht das? Verursacher sind die fossilen Energieträger wie Kohle, Gas und Erdöl. 70 Prozent des CO2Ausstoßes kommen aus den Industrieländern. Deutschland ist beim Klimaschutz bei weitem kein Vorreiter;
denn Deutschland liegt mit seinem CO2-Ausstoß pro
Kopf weit über dem EU-Durchschnitt. Im Vergleich zu
anderen Industrieländern in der EU hat es sogar den
höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Wir sind also keine
Vorreiter, obwohl wir in diesem Land viel für den Klimaschutz getan haben. Wir müssen noch viel tun.
150 000 Menschen sind laut der Weltgesundheitsorganisation im letzten Jahr an den von Menschen verursachten Treibhauseffekten gestorben. Ich nenne Ihnen
noch einen anderen Grund, warum wir uns für den Klimaschutz einsetzen sollten. Weltweit nimmt der Verbrauch an Rohstoffen zu, insbesondere durch das rasante
Wachstum in China und Indien - was diesen Ländern
durchaus vergönnt ist.
Wir haben in diesem Jahr den höchsten Erdölverbrauch, den es jemals gegeben hat. Die gestiegene Nachfrage nach Energie führt zu drastischen Preissteigerungen bei Erdöl, Kohle und Gas. Das DIW geht davon aus,
dass eine Preiserhöhung von 5 Dollar pro Barrel Erdöl
einen Einbruch beim Bruttoinlandsprodukt von 0,4 Prozent bedeutet. Schon in den letzten Monaten lag der Ölpreis dauerhaft bei über 30 Dollar pro Barrel Öl. Das bedeutet laut DIW 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte weniger
Wirtschaftswachstum durch die erhöhte Nachfrage nach
Öl. Sie wissen genau: Dieses Problem wird eher größer
als kleiner werden, der Preisdruck bei uns wird also zunehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Je unabhängiger ein
Industrieland von fossilen Energieträgern wird, desto
größer sind seine Vorteile im globalen Wettbewerb mit
anderen Industrieländern.
({1})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluss.
Die erneuerbaren Energien stehen für Klimaschutz.
Sie schaffen Arbeitsplätze, bewirken das Verbleiben der
Wertschöpfung im eigenen Land, tragen zur Friedenssicherung sowie zur Armutsbekämpfung bei und stärken
den Innovationsstandort Deutschland. Wir können damit
eine starke Exportwirtschaft aufbauen. Wir sagen Ja zu
den erneuerbaren Energien, wir sagen Ja zum Klimaschutz und wir sagen Ja zur Politik der ökologischen
Modernisierung.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
erneuerbaren Energien sind Zukunftstechnologien. Sie
können dazu beitragen, die Energieversorgung nachhaltig zu sichern.
({0})
Sie dienen dem Klimaschutz, den wir - das möchte ich
hier betonen - ausdrücklich unterstützen.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz halten wir allerdings für den falschen Weg, um den Anteil der erneuerbaren Energien zu erhöhen. Die festgelegten Einspeisevergütungen sind eine ständige Marktintervention. Den
durch das EEG gesetzten Anreiz zur Kostenreduktion
und zur Steigerung der technischen Effizienz halten wir
für nicht ausreichend.
({1})
Die Kosten für Stromkunden sind enorm; diese Entwicklung ist nicht wegzudiskutieren. Im Jahr 2003 erzeugten Stromversorger und private Anlagenbetreiber
45 Milliarden Kilowattstunden Ökostrom. Das ist doppelt so viel wie 1999. Die Mehrkosten durch staatlich
festgelegte Einspeisepreise stiegen im gleichen Zeitraum
um das Siebenfache. 2003 zahlten die Verbraucher, also
die Stromkunden, 1,9 Milliarden Euro.
Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des
EEG werden von der Bundesregierung und von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
leider immer wieder ausgeblendet. So wachsen die Wettbewerbsnachteile der stromintensiven Unternehmen.
Das gefährdet die noch vorhandenen 660 000 Arbeitsplätze. Im Bereich der Windkraftanlagen fördert der
Staat jeden Arbeitsplatz mit - diese Zahl stammt vom
BMU - 36 000 Euro. Wenn das nichts ist, dann frage ich
mich, was denn überhaupt etwas ist.
({2})
Uns Liberalen geht es darum, einen unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien optimalen
Energiemix zu den geringstmöglichen Kosten bereitzustellen.
({3})
Dabei werden sich die erneuerbaren Energien langfristig
nur dann als ein ernst zu nehmender Bestandteil der Energieversorgung behaupten können, wenn sie am wettbewerblichen Energiemarkt selbstständig bestehen können.
Unser Ansatz ist marktwirtschaftlich. Durch die Umstellung auf ein Modell marktwirtschaftlicher Förderung
durch Mengensteuerung werden Netzbetreiber und Eigenerzeuger verpflichtet, eine gewisse Menge durchgeleiteten oder selbst genutzten Strom aus erneuerbaren
Energien zu gewinnen. Durch Ausschreibungsmodelle
sind diese Mengen am freien Markt erwerbbar. So
kommt unter Wettbewerbsbedingungen jeweils diejenige
Technologie zum Zuge, zu der die klimatischen und geographischen Bedingungen passen. Der Verbraucher kann
darauf hoffen, dass auch erneuerbare Energien möglichst
kostengünstig produziert werden. Das ist ein gutes Ziel.
({4})
Weitere große Kostensenkungspotenziale bestehen darin, dass man die erneuerbaren Energien von der Netzeinspeisung und der Abhängigkeit von der Regelenergie unabhängiger macht. Das könnte mit hochleistungsfähigen
Energiespeichertechniken erreicht werden. Dabei ist vor
allem an Wasserstofftechnologie und die Brennstoffzelle
zu denken. Zur Beschleunigung der Erforschung von
Speichertechnik haben wir, die FDP, den Antrag „Energiespeicherforschung vorantreiben - Höchsttechnologien für die Speichertechnik entwickeln“ vorgelegt.
Eine auf Energiespeicherung aufbauende Nutzung erneuerbarer Energien macht diese grundlastfähig und
wird auch für den Verkehrssektor, der bislang nicht in
ein integriertes Energie- und Klimakonzept eingebunden
ist, interessant.
({5})
Des Weiteren müssen die flexiblen Kioto-Instrumente Joint Implementation und Clean Development
Mechanism entschlossener durchgesetzt werden. Wenn
wir auf eine technische Entwicklungszusammenarbeit
setzen, die den Schwellen- und Entwicklungsländern
Energie bereitstellt, um diese in ihrer wirtschaftlichen
Entwicklung zu unterstützen, profitieren auch wir davon,
indem wir uns die dort günstig errungenen Minderungen
auf unsere Verpflichtung anrechnen lassen können. Das
ist ein guter Weg.
Außerdem setzen wir auf technische Innovationen
und auf Offenheit in der Forschung. Ich komme an dieser Stelle auf den TA-Bericht zu sprechen, der die Geothermie beleuchtet hat. Wir sehen, dass die Geothermie
ein sehr interessantes Potenzial ist. Es ist ein riesiges
Reservoir an Energie, das 600fache des jährlichen
Stromverbrauchs in Deutschland. Unter Nachhaltigkeitsaspekten sollte diese Menge aber über einen sehr
langen Zeitraum - 1 000 Jahre - abgebaut werden.
Der technische Aufwand ist, wie wir wissen, noch
sehr hoch. Außerdem ist das Risiko von Fehlbohrungen
nach wie vor groß. Deshalb plädieren wir für eine zusätzliche Förderanstrengung im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms, um zusätzliche Kostenreduktionspotenziale zu erforschen und um Pilotprojekte zu
unterstützen.
({6})
Ich will auf die vielen Neuerungen des EEG, die Zuund Abschläge, gar nicht eingehen, sondern nur so viel
sagen: Ein untaugliches Gesetz wird durch viele Änderungen und Interventionen nicht besser.
Zum Thema Windkraftanlagen ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierung und der Koalitionsfraktionen, noch ein Coup oder ein kleines Ganovenstück gelungen. Sie wissen ganz genau, dass die
Akzeptanz für den Zubau von Windkraftanlagen im Binnenland sinkt, dass es gegen diesen Zubau sehr viel Bürgerprotest gibt. Sie haben in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Art. 1 § 10 den Abs. 4 gänzlich gestrichen. Damit
entfällt die Anforderung, nach der mindestens 65 Prozent des Referenzertrages erzielt werden müssen. Das
heißt, es kann jetzt überall im Binnenland gebaut werden. Ich weiß nicht, wie die Bürger darauf reagieren. Sie
sehen sich schon jetzt dem Horrorszenario von riesigen
Windparks ausgesetzt. Das Ganze ist schon ein Überrumpelungsmanöver gewesen; die Streichung wurde
zum Schluss einfach vorgenommen.
({7})
Ein Motto zeichnet sich ab: Es wird nicht mehr gefördert, was sich irgendwann rechnen wird, sondern es wird
gefördert, wirklich alles gefördert, damit es sich rechnet.
Auch wir von der FDP wollen die Förderung der erneuerbaren Energien, aber auf einem anderen Weg, auf
einem marktwirtschaftlichen Weg.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile Kollegen Hermann Scheer, SPD-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Interessante ist, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dessen Novelle heute zur Entscheidung steht, umstrittener
ist, als das im Jahr 2000 der Fall war. Das hat seinen
Grund vor allem darin, dass dieses Gesetz erfolgreich
geworden ist. Es wird zu einer ernsthaften Herausforderung für die Struktur der Energiewirtschaft. Von daher
erklärt sich das seit einem Jahr anhaltende Getöse um erneuerbare Energien, das teilweise mehr als peinliche
Züge angenommen hat.
({0})
Es gibt zahllose Lippenbekenntnisse für erneuerbare
Energien. Natürlich spricht jeder dafür. Man würde sich
auch wundern, wenn jemand dagegen wäre, dass eine
emissionsfrei und dauerhaft nutzbare Energie gefördert
wird. Aber dieses Ja ist oft nur ein Lippenbekenntnis. Es
gibt Ausflüchte, und zwar immer dann, wenn es um konkrete Forderungen geht. Konkrete Forderungen sind der
eigentliche Lackmustest dafür, ob wir in dieser Frage
wirklich vorankommen.
({1})
Eine Befristung, wie sie aus der Unionsfraktion gefordert worden ist, ist geradezu absurd. Sie hätte unmittelbar zur Folge, dass die erfolgreichen Unternehmen,
die jetzt auch auf den Weltmarkt gehen - das reicht von
der Windenergie bis zur Photovoltaik -, ihren Standort
in die Länder verlagern würden, die mittlerweile merken, dass es gar keinen Weg an erneuerbaren Energien
vorbei gibt. Kann eine Befristung wirtschaftlich ernsthaft begründet werden?
({2})
Die mangelnde Effizienz des EEG wird beklagt. Was
soll dieses Argument? In Bezug auf die Effizienz stellt
sich in erster Linie die Frage: Welches politische Instrument ist bei der Einführung erneuerbarer Energien am
erfolgreichsten? Die Antwort ist statistisch weltweit klar.
Alle, die erneuerbare Energien ernsthaft fördern wollen,
schauen auf dieses Gesetz.
({3})
Wenn es um Effizienz geht, geht es sicherlich auch
um Kostensenkung. Aber die Senkung der Kosten einer
Technologie erfolgt doch nicht durch das Labor, sie erfolgt durch
({4})
Produktionssteigerung, Produktionstechnikverbesserung,
Markteinführung. Wer also nach Kosteneffizienz ruft,
darf nicht die Markteinführung künstlich blockieren,
sondern muss sie vorantreiben.
({5})
Das Gesetz sei zu ambitioniert, heißt es. Wir sollten
die Zielsetzung der Reduktion von CO2-Emissionen
um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 streichen. In diesem
Zusammenhang erinnere ich an das, was die Umweltministerin Merkel am 28. April 1998 wörtlich gesagt
hat:
Das große Ziel lautet, bis Mitte des nächsten Jahrhunderts den Anteil erneuerbarer Energien auf
50 Prozent zu steigern.
Deshalb müssten Sie mitmachen, wenn das nicht wieder
nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein soll,
({6})
statt Ziele zu blockieren, die an diese Dimension noch
lange nicht herankommen.
Das Argument, das Gesetz sei zu ambitioniert, ist läppisch. Es ist nicht zu ambitioniert. Bei jeder anderen
Technologie heißt es doch: schneller sein als andere,
weil das die internationale Wettbewerbsfähigkeit der in
dieser Richtung tätigen Unternehmen steigert. Bei den
erneuerbaren Energien aber heißt es jetzt: Bitte keinen
Alleingang! Das hätten Sie sich einmal bei anderen
Technologien überlegen sollen, die zu einem riesigen
Milliardengrab geworden sind: schneller Brüter, die
Atomtechnologie insgesamt.
({7})
Die erneuerbaren Energien seien zu teuer, heißt es.
Wenn man die externen Effekte der herkömmlichen
Energieversorgung, allen voran die Atomenergie, mit
einbezieht, sind die herkömmlichen Energien aus gesellschaftsökonomischer Sicht längst unbezahlbar geworden. An diesem Tatbestand kommen wir nicht mehr vorbei.
Mangelnder Markt wird beklagt. Der Hintergrund ist,
dass wir bis 1998 einen Gebietsschutz für die gesamte
deutsche Stromversorgung hatten, sodass ohne irgendein
Risiko Investitionen getätigt werden konnten, wodurch
Zehntausende von Megawatt an Überkapazitäten entstanden. Es heißt, jetzt sollen die erneuerbaren Energien
mit dem konkurrieren, was längst bezahlt ist. Marktwirtschaft bedeutet, das Prinzip der Marktgleichheit zu beachten und diese überhaupt wiederherzustellen, denn sie
existiert gegenwärtig nicht.
({8})
Wir könnten uns die Förderung der erneuerbaren
Energien im Rahmen des EEG sparen, wenn die bisherigen, über Jahrzehnte getätigten Subventionen von der
herkömmlichen Energiewirtschaft zurückgezahlt werden
müssten und die Subventionen zurückgefordert werden
könnten. Dann brauchten wir kein Förderprogramm für
erneuerbare Energien. Das ist aber leider unrealistisch.
Insofern geht an einem solchen Marktinstrument spezieller Art nichts vorbei.
Die Grundlast soll damit angeblich nicht abgedeckt
werden können. Sehen Sie sich doch einmal die wechselseitige Ergänzung der erneuerbaren Energien an, und
beachten Sie, dass der Regelbedarf an Energie in den
letzten Jahren gesunken und nicht gestiegen ist, obwohl
wir die erneuerbaren Energien ausgebaut haben. Wenn
Sie diesen Punkt so hervorheben, dann müssen Sie doch
gerade deshalb zustimmen, weil der Hauptpunkt dieser
Novelle die verstärkte Förderung der Bioenergie ist. Sie
ist in jedem Fall grundlastfähig, weil sie genauso leicht
speicherbar ist wie fossile Energien.
({9})
Das versuchte Ausspielen gegen den Emissionshandel ist doch nun wirklich lächerlich. Das Instrument
EEG hat schon jetzt mehr zur Emissionsminderung beigetragen, als es mit den ambitionierten Zielen des Umweltministers in Bezug auf den Emissionshandel, die
nicht ganz durchgekommen sind, und mit dem Emissionshandel überhaupt möglich gewesen wäre.
Die Förderung der erneuerbaren Energien hat im Rahmen des Klimaschutzes Priorität. Das EEG ist ein
vielfältigeres Instrument. Aber es geht im Grunde genommen nicht nur um Klimaschutz. Es geht um Industrieförderung; es geht um Förderung der Landwirtschaft;
es geht um Förderung des Handwerks. Es gibt außerdem
vielfältige zusätzliche Effekte, die die gesamte Entwicklung der Wirtschaft auf eine neue Stufe stellen. Damit
können wir die Herausforderungen unseres Jahrhunderts
bewältigen.
Sehen Sie die Thematik einmal unter diesen Gesichtspunkten und stellen Sie die entsprechenden Fragen! Sie
werden sehen, dass die heutigen Argumente gegen das
EEG irgendwann einmal als peinlich empfunden werden.
Danke schön.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Doris Meyer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die
Union Anfang der 90er-Jahre als Stromeinspeisungsgesetz auf den Weg gebracht hat, hat heute vierten Geburtstag. Und da ist es an der Zeit, sich Gedanken über
die Zukunft zu machen.
Und dazu muss man folgende Fragen stellen: Kann
das EEG neben dem Emissionshandel noch in unveränderter Form weiterbestehen? Gibt es Möglichkeiten, erneuerbare Energien stärker nach Effizienz, Grundlastfähigkeit und Wirtschaftlichkeit zu fördern? Vor diesem
Hintergrund hat die Union ein neues Konzept ausgearbeitet. Und damit wollen wir in die Zukunft gehen.
Die Unionsfraktion kann die Zielvorgabe des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des EEG bis 2020 ohne ein
vernünftiges zukunftsfähiges Gesamtkonzept nicht mittragen. Das bisherige EEG-System möchte die Koalition
unverändert bis 2020 beibehalten. Der Zeitraum ist aus
heutiger Sicht viel zu lang. Wegen vieler Unwägbarkeiten - sei es die technische Entwicklung, seien es die
Auswirkungen des Emissionshandels - erscheint uns
dieser Zeitraum deutlich zu lang. Wir stehen nach wie
vor zu dem Ziel, bis 2010 den Anteil erneuerbarer Energien auf 12,5 Prozent zu erhöhen.
({0})
Die Rolle der erneuerbaren Energien im notwendigen
Energiemix darf nicht unterschätzt werden. In den einzelnen Energiearten stecken beachtliche Potenziale.
Gerade die, mit denen der Grundlastbereich abgedeckt
werden kann - wie Geothermie, Biomasse und Wasserkraft -, sind noch lange nicht ausgeschöpft oder überhaupt schon erschlossen.
Die Geothermie steht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Wie auch der Bericht zu den Möglichkeiten
geothermischer Stromerzeugung in Deutschland aufzeigt, gibt es auf diesem Gebiet enorme, kaum genutzte
Potenziale.
({1})
Bei der Bioenergie ist das Tor zur Erschließung schon
weit offen, aber noch lange nicht alles erschlossen. Das
Gesamtpotenzial bei der Stromerzeugung mittels Biomasse wird auf etwa 60 Terawattstunden pro Jahr geschätzt. Die Bioenergie stellt damit ihre Grundlastfähigkeit unter Beweis und stellt somit einen wertvollen
Beitrag zu einer echten dezentralen Energieversorgung
dar.
Ausgehend von derzeit rund 26 Terawattstunden, die
pro Jahr erzeugt werden, wird das noch nicht erschlossene Potenzial bei der Wasserkraft mit etwa
15 Terawattstunden beziffert. Kleine und mittlere Anlagen stellen den Löwenanteil an der ebenfalls dezentralen
Energieerzeugung dar.
Wenn es uns gelingt, erstens einen Energiemix aus allen - und ich betone: aus allen - zur Verfügung stehenden Energiearten zu schaffen, zweitens die Technologie
im Bereich der erneuerbaren Energien weiterzuentwickeln und weitere Kosteneinsparungen zu erreichen sowie drittens die erneuerbaren Energien an die Wirtschaftlichkeit heranzuführen und sie dort zu halten, dann
können wir sagen: Die erneuerbaren Energien haben sich
ihren Platz neben den herkömmlichen Energiearten dauerhaft gesichert.
({2})
Der vorliegende Gesetzentwurf deutet in die richtige
Richtung. Bei Biomasse und Wasserkraft könnte die
Union den Entwurf teilweise mittragen. Die Laufzeit für
die Vergütung bei der Biomasse wurde von 15 auf wieder 20 Jahre erhöht. Die Degression wurde von ursprünglich 2 auf jetzt 1,5 Prozent gesenkt. Das sind Forderungen der Union, die erfüllt wurden, und das haben
wir auch im Ausschuss zum Ausdruck gebracht.
Wir schlagen in unserem Entschließungsantrag vor,
Ende 2007 das EEG nach der Testphase des Emissionshandels durch eine Anschlussregelung zu ersetzen.
Beide Instrumente, das EEG wie der Emissionshandel,
tragen zu einer CO2-Reduzierung bei. Wenn beide Instrumente gleichzeitig greifen, muss geprüft werden, ob
beide nebeneinander noch in der jeweiligen Form Bestand haben können.
Bei der Windkraft setzen wir darauf, durch die 65-Prozent-Regelung nur noch einen weiteren Zubau an windgünstigen Standorten zuzulassen. Diese Regelung hilft
der Windkraft, sich nicht mehr Vorwürfen ausgesetzt zu
sehen, sie werde an allen, also auch an windungünstigen
Standorten unwirtschaftlich gefördert.
({3})
Die 65-Prozent-Regelung möchten wir von entsprechenden Regelungen beim Bau- und beim Planungsrecht
flankiert sehen,
({4})
um so den Zubau an windungünstigen Standorten im
Binnenland auszuschließen.
({5})
Die Union bekennt sich damit zum Ausbau der Windkraft im Binnenland an windgünstigen Standorten, schon
allein deshalb, um für die Offshoretechnik deutsches
Know-how zu erhalten und weiter auszubauen.
Nach 2007 soll es nach unseren Vorstellungen ein anderes Förderinstrument geben. Das bedeutet, das bisherige EEG wird durch eine Anschlussregelung abgelöst.
Diese wird intensiver auf die Bedeutung der Grundlastenergie eingehen und den volkswirtschaftlich effizientesten Weg einschlagen. Die Union steht nach wie vor
unverändert zu ihrem Ziel, die erneuerbaren Energien zu
fördern. Über die Anschlussregelung, die wir gesetzlich
Doris Meyer ({6})
verabschieden wollen, werden wir bis dahin gründlich
diskutieren und beraten.
({7})
Für die Union bedeutet Energiepolitik immer auch
Standortpolitik. Die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands dürfen deshalb bei der Planung und Verwirklichung der Förderung nicht außer
Acht gelassen werden. Unser Konzept sieht neben der
Förderung der grundlastfähigen erneuerbaren Energien
weiterhin vor, die Stromeinsparung und die effiziente
Verwendung des Stroms massiv voranzutreiben. Das gehört zu unserem Gesamtkonzept.
Wir halten an unseren Zielen fest: Erneuerbare Energien müssen gefördert werden, um zu einem zukunftsfähigen Energiemix zu kommen. Jedes Instrument muss
permanent daraufhin überprüft werden, ob es zusammen
mit anderen seinen optimalen Wirkungsgrad entfalten
kann. Das beabsichtigen wir mit unserem Vorschlag. Nur
so hat unsere nationale Energieversorgung eine Zukunft.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Meyer, ich weiß, nicht Sie persönlich, aber
Ihre Fraktion will 2007 nicht das EEG ablösen. Ihre
Zielvorstellung ist eine ganz andere: Sie wollen die
Markteinführung von erneuerbaren Energien beenden,
um weiter Atomstrom und Kohlestrom umweltschädlich
in diesem Land zu produzieren. Dies ist das entscheidende Ziel Ihrer Politik.
({0})
Gestern war der vierte Geburtstag des ErneuerbareEnergien-Gesetzes. Heute führen wir mit einer Novelle
die erneuerbaren Energien aus den Kinderschuhen in das
industrielle Erwachsenenzeitalter.
Schon die derzeitige Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes führte zu einem stürmischen Wachstum,
vor allem in den Bereichen Windkraft und Photovoltaik.
So verzehnfachte sich in vier Jahren die jährlich neu installierte Photovoltaikleistung auf aktuell 130 Megawatt.
Die Windkraft legte auf hohem Niveau noch einmal um
70 Prozent neu installierte Leistung auf 2 600 Megawatt
im Jahr 2003 zu. Gleichzeitig, Herr Seehofer, konnten
die Kosten drastisch gesenkt werden, zum Beispiel bei
der Photovoltaik um 25 Prozent in nur vier Jahren. Der
Weg ist klar vorgezeichnet: Wir führen die erneuerbaren
Energien mit hoher Geschwindigkeit zu Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit.
({1})
Auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen war dieses Gesetz gut. In den letzten Jahren wurden dadurch
100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. In den nächsten
zehn Jahren wollen wir 500 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Daran sehen wir: Dieses Instrument
wird auch auf die Wirtschaft gute Auswirkungen haben.
Auch beim Biogas gab es in den letzten Jahren eine
Zunahme von 15 Megawatt im Jahr 1999 auf 35 Megawatt im Jahre 2003. Aber es zeigte sich schnell, dass das
erwünschte Wachstum bei den Bioenergien nicht in dem
Maße erreicht wurde, wie es gewünscht war. Der relativ
kostengünstige Markt für landwirtschaftlichen Abfall
und Reststoffe war bald erschöpft. Einen weiteren Ausbau kann es nur durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe geben. Die heutige Novelle wird hierfür den entscheidenden Durchbruch bringen. Der vorgesehene
Vergütungszuschlag für nachwachsende Rohstoffe wird
der Landwirtschaft neue Verdienstmöglichkeiten eröffnen. Daran zeigt sich: Die wahren Freunde der Landwirtschaft sind die rot-grünen Regierungsfraktionen,
nicht die CDU und die CSU, die diesen Gesetzentwurf
heute ablehnen.
({2})
Ich bin gespannt, wie Bauernverbandspräsident
Sonnleitner Ihnen für Ihre ablehnende Haltung am heutigen Tage die Leviten lesen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder
hat das Jahr 2004 als „Jahr der Innovation“ ausgerufen. Die heutige EEG-Novelle ist dafür ein wesentlicher
Baustein. Neuartige Techniken werden in das EEG aufgenommen, zum Beispiel Wellenkraft, Meeresströmungskraftwerke und Salzgradientenkraftwerke; das alles sind für den deutschen Maschinenbau große
Chancen. Vor allem bei den Bioenergien sieht das Erneuerbare-Energien-Gesetz einen wichtigen Innovationsschub vor. So wird es erhöhte Vergütungen geben: für
Biogasbrennstoffzellen, für Sterlingmotoren, für thermogenische Gaserzeugung und für Biogasreinigung auf
Erdgasqualität. Dass solche Innovationsanreize ihre Wirkung nicht verfehlen, wissen wir schon längst: aus unseren Erfahrungen mit dem alten EEG.
Die Windkraftbranche hat in den letzten Jahren
hoch effiziente Windräder erzeugt, weil die Markteinführung der entscheidende Forschungsanreiz ist, Frau
Brunkhorst. Darauf hat Herr Scheer in seiner Rede hingewiesen.
({4})
Die großen CO2-freien Strommengen, die durch den Einsatz dieser hoch effizienten Windräder an süddeutschen
Standorten gewonnen werden können, wollen wir nun
ernten und einer aktiven, CO2-freien Stromerzeugung
zuführen. Daher war es nur konsequent, dass die Regierungsfraktionen den Regierungsentwurf an dieser Stelle
korrigiert haben.
({5})
Denn diese Windräder werden auch Atomstrom aus süddeutschen Ländern ersetzen, selbst wenn das den atompolitischen Versessenheiten
({6})
der Ministerpräsidenten Stoiber, Koch und Teufel nicht
passt.
({7})
Auch die Angebotsschwankung im Windbereich wird
die Sicherheit einer zukünftigen Vollversorgung mit erneuerbaren Energien nicht stören. Denn wir fördern mit
dieser Novelle auch die Stromerzeugung aus Tiefenerdwärme. Sie hat das Potenzial, rund um die Uhr und ständig die Grundlaststromerzeugung von Kohle- und Kernkraftwerken zu ersetzen. Das hat eine wissenschaftliche
Untersuchung des Büros für Technikfolgenabschätzung
längst aufgezeigt.
Ich bin überzeugt: Diese Gesetzesnovelle wird einen
weiteren aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber
nicht nur dazu; sie wird auch eine Grundlage für die
Stärkung der deutschen Wirtschaft sein. Frau Hustedt
hat bereits auf die Erdölpreissteigerungen hingewiesen.
Der OPEC-Beschluss von gestern passt doch nicht in das
Bild der grenzenlosen Verfügbarkeit von Erdöl. Trotz eines extrem hohen Ölpreises hat die OPEC beschlossen,
die Fördermengen zu senken. Darin sehe ich ein wichtiges Indiz dafür, dass die weltweite Ölförderung nicht
weiter gesteigert werden kann. Damit die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft noch ausreichend Energie zur
Verfügung hat, müssen wir diese Versorgungslücke
durch den Einsatz erneuerbarer Energien schließen. Ansonsten werden wir ein riesiges Problem in unserer Energiewirtschaft und in unserer Wirtschaft überhaupt bekommen. Es wird Zeit, dass Sie von der Opposition und
auch der BDI mit Herrn Rogowski endlich begreifen: Erneuerbare Energien sind eine Stärkung für den Wirtschaftsstandort Deutschland und keine Schwächung.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Birgit Homburger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mich auf den Wortbeitrag des Kollegen Fell von
gerade eben gemeldet. Herr Kollege Fell, ich möchte Sie
bitten, endlich aufzuhören, zu behaupten, dass Sie mit
der Windenergie die Kernenergie ersetzen können.
Windenergie - das ist genau das Problem - ist nicht
grundlastfähig. Die Kernenergie leistet aber genau einen
großen Teil der Grundlast unserer Stromversorgung.
Deswegen ist das, was Sie hier machen, nichts anderes
als Augenwischerei: Es ist teuer - Sie belasten die Verbraucherinnen und Verbraucher -, aber es bringt für die
Umwelt überhaupt nichts.
({0})
Wenn Sie wirklich wollen, Herr Fell, dass wir in diesem Bereich weiterkommen, müssen Sie dem Antrag der
FDP-Bundestagsfraktion auf Förderung von Speichertechnologien zustimmen, sodass wir erreichen, dass auch
die erneuerbaren Energien, die nicht grundlastfähig sind,
durch Speicherung grundlastfähig werden. Das ist unser
Konzept; das haben wir mehrfach gefordert. Sie haben
es im Umweltausschuss abgelehnt, unter anderem mit
der Begründung, das sei eine Dinosauriertechnologie.
Sie haben keine Ahnung, was für die Zukunftsfähigkeit
der erneuerbaren Energien wichtig ist. Deswegen sagen
ich Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wir brauchen die
Förderung der Speichertechnologien, um die Grundlastfähigkeit der erneuerbaren Energien zu erreichen
({1})
und ihnen damit eine große Chance für die Zukunft zu
eröffnen.
({2})
Der letzte Punkt: Sie sagten, die Opposition solle endlich begreifen, dass die erneuerbaren Energien eine Stärkung für den Wirtschaftsstandort seien und keine
Schwächung. Jawohl, sie sind eine Stärkung, wir brauchen die erneuerbaren Energien im Energiemix; die
FDP-Bundestagsfraktion steht dazu. Ich sage Ihnen aber
auch: Wenn Sie wollen, dass das hier in Deutschland
greift, müssen wir das auch so machen, dass es möglichst kostengünstig organisiert wird. Eine kostengünstige Organisation erreichen Sie nur dann, wenn Sie unter
den erneuerbaren Energien Wettbewerb erzeugen, einen
eigenen Markt nur für erneuerbare Energien kreieren.
Dann haben Sie die Chance, Kostenreduktionen durchzusetzen, dann wird das ein Erfolg für die erneuerbaren
Energien und auch für unseren Wirtschaftsstandort; genau das ist das Konzept der FDP.
({3})
Kollege Fell, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
Sehr verehrte Frau Kollegin Homburger, es ist gut,
dass Sie mir Gelegenheit geben, diese von Ihnen und
von anderen in der Gesellschaft immer wieder genannten
Falschargumente geradezurücken.
Kein Mensch hat je behauptet, dass die Windenergie
allein die Atomenergie vollständig ablösen solle. Die
Windenergie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten:
in einem zukünftigen Energiemix, in der Addition mit
Geothermie, mit Bioenergie, mit der Wasserkraft, mit
der Sonne, der Photovoltaik, die auch AngebotsschwanHans-Josef Fell
kungen hat. In einem intelligenten Energiemix ist das
ohne Probleme zu erreichen.
({0})
Stellen Sie sich nur folgenden einfachen Gedanken vor:
Im fränkischen Bereich, wo angeblich wenig Wind weht,
kann die einfache Kombination aus einem Windrad und
einer Biogasanlage an dessen Fuß für ein Dorf rund um
die Uhr Versorgungssicherheit bieten - über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg.
({1})
Dazu bedarf es nicht der konventionellen Energieformen.
Es ist auch wichtig - Sie haben darauf hingewiesen -,
dass Speichertechnologien gefördert werden. Dafür haben wir in dieser EEG-Novelle einen Anreiz geschaffen.
Darum wundere ich mich, dass Sie ihr nicht zustimmen.
Wir haben auch die Forschungsförderung dafür erhöht.
Ich erinnere mich, dass bis 1998 unter der alten Regierung, als Ihre Partei noch selbst mit die Verantwortung
trug, die Forschung an Batterien - eine wichtige Speichertechnologie - völlig beendet wurde. Wir haben das
wieder neu belebt. Es gibt neue Batteriehoffnungen in
ganz großem Stil. Wir sehen also, dass wir Ihre Forderungen schon längst erfüllt haben; dazu brauchen wir
Ihre Anträge nicht.
Zum letzten Punkt, den Sie angesprochen haben, wir
sollten endlich begreifen, dass wir möglichst kostengünstig sein müssen. Genau das tun wir. Schauen Sie
sich die Windkraftentwicklung in Deutschland und England an. In England wird exakt das Modell produziert,
das Sie immer wieder vorschlagen: Quotenmodelle und
Ausschreibungsmodelle.
({2})
Obwohl in England wesentlich mehr Wind weht als in
Deutschland und dort die von Ihnen propagierten Instrumente angewendet werden, kostet die Kilowattstunde
aus Wind dort 13 Cent und in Deutschland mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nur 8,8 Cent. Ich frage Sie:
Was ist billiger? Ich fordere Sie auf, endlich zu rechnen
und von dem ideologischen Beharren auf den falschen
Argumenten abzusehen.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was will die Union in der Energiepolitik?
({0})
- Hören Sie zu, dann wissen Sie es, Herr Fell.
({1})
Energiepolitik ist kein Selbstzweck. Die Union fordert eine konsistente Energiepolitik aus einem Guss, die
mehrere Ziele gleichzeitig erfüllt: Wir wollen Klimaschutz, aber nicht irgendeinen, sondern einen kosteneffizienten Klimaschutz. Wir wollen Versorgungssicherheit.
Wir wollen bei den erneuerbaren Energien eine marktgerechte Innovations- und Technologieförderung sowie
eine rasche Markteinführung. Wir wollen in der Energiepolitik vor allem europaweit wettbewerbsfähige Energiepreise für die Verbraucher und unsere Wirtschaft.
Über diese Ziele sind wir uns in diesem Hause teilweise
oder sogar weitgehend einig.
Der grundlegende Unterschied - leider nicht nur in
der Energiepolitik - zwischen Rot-Grün und der Union das wurde heute wiederum deutlich - besteht darin, dass
Sie offenbar der Meinung sind, dass der Staat es richten
soll; denn er weiß am besten, was für die Menschen und
die Wirtschaft gut ist. Das zieht sich wie ein roter Faden
durch Ihre Politik. Egal, ob gestern bei der Frage der
Ausbildungsplatzabgabe oder nachher beim Optionsgesetz am Arbeitsmarkt, ob bei der Energiepolitik, dem
Emissionshandel oder heute Morgen bei den erneuerbaren Energien: Sie frönen dem Zentralismus.
Wie hat Herr Müntefering das vor geraumer Zeit so
schön entlarvend gesagt: weniger für den privaten Konsum, dem Staat Geld geben; dazu muss man „sich auch
bekennen“? Also bekennen Sie sich dazu und reden Sie
nicht immer von Marktwirtschaft, wo Sie doch auf dem
Weg nicht nur in die ungeplante, sondern in die geplante
Staats- und Planwirtschaft sind.
({2})
Diesen ideologiegetriebenen Wahnsinn werden wir,
die Union, nicht mitmachen. Im Gegenteil. Wir wollen
zuvorderst, dass wir die energiepolitischen Ziele mit
marktwirtschaftlichen Instrumenten und Mechanismen
umsetzen. Während Sie auf möglichst viele staatliche
Vorgaben - egal, ob beim Emissionshandel, bei der jetzt
anstehenden Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes oder bei den erneuerbaren Energien - setzen, setzen
wir, die Union, auf den Markt. Hier kann man in der Tat
unseren alten Spruch wieder ausgraben: Freiheit statt Sozialismus! Das ist unser Programm. Wir wollen keine
Staats- und Planwirtschaft.
Jetzt aber zu der Frage, wie erfolgreich das EEG
wirklich ist und um welchen Preis die Ziele und Erfolge
des EEG erkauft werden. Beginnen wir mit dem Klimaschutz. Sie singen das Hohelied vom Klimaschutz. Tatsache ist aber, dass das EEG in seiner jetzigen Form
nichts zur weiteren Erfüllung des Kiotoziels beiträgt. Im
Gegenteil. Durch die nicht abgestimmte Einführung des
Emissionshandels und die Fortführung des EEG in der
von Ihnen vorgeschlagenen Form wird eine Verbilligung
der CO2-Zertifikate erreicht und letztlich nur die Kohleverstromung, also gerade die fossilen und CO2-trächtigen Energien, in anderen Ländern Europas wie Italien
und Großbritannien gefördert.
Das sage nicht ich, sondern das sagen Ihre Gutachter
im Bundeswirtschaftsministerium. Das ist offensichtlich
auch der Grund dafür, weshalb Sie diese Gutachten bis
heute nicht öffentlich zugänglich machen und nicht dem
Bundestag vorlegen.
({3})
Sie legen die Gutachten vor, nachdem Sie das Gesetz
verabschiedet haben und nicht vorher, weil darin Ihr ideologiegetriebener Wahnsinn schon von Ihren eigenen
Gutachtern konterkariert wird.
Die EEG-Förderung verstößt auf jeden Fall gegen das
Wirtschaftlichkeitsziel im Klimaschutz. Wenn Sie einen
kosteneffizienten Klimaschutz wollen, müssen Sie sich
an den Kosten pro Tonne vermiedener CO2-Emission
orientieren. Dort sind Wirkungsgraderhöhungen im konventionellen Kraftwerkspark oder Maßnahmen in anderen Sektoren, zum Beispiel bei Gebäuden, wesentlich
kosteneffizienter.
Wie sieht es mit der Belastung von Verbrauchern und
Wirtschaft aus? Herr Seehofer hat es angesprochen:
Heute liegt der Anteil der staatlich administrierten Abgabenbelastung am Strompreis bei 40 Prozent.
({4})
Von 1998 bis 2003 sind die administrativ verursachten
Steuern und Abgaben im Strombereich von 2,2 auf
12,6 Milliarden Euro angestiegen. Die zusätzlichen Kosten wurden in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden
Euro durch die Stromsteuer, durch Konzessionsabgaben
und durch KWK verursacht; bei den erneuerbaren Energien sind es bereits heute 2 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten, die Verbraucher und Wirtschaft belasten.
Es sind eben nicht, wie verharmlosend gesagt wird,
Cent- oder 1-Euro-Beträge. Ein Durchschnittshaushalt
mit zwei Erwachsenen und einem Kind wird in Deutschland im Jahr mit 160 Euro zusätzlich belastet. Wenn Sie
die Ökosteuer im Mineralölbereich für Heizung und
Auto noch hinzurechnen, reden wir über eine Mehrbelastung von 421 Euro im Jahr. Das sind die Fakten. Die
müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Regierung.
Wie sieht es mit dem Beschäftigungseffekt aus? Sie
erzählen uns, dass Sie für einen viel beschworenen Beschäftigungseffekt von 130 000 zusätzlich Beschäftigten
eintreten.
({5})
- Nein, das ärgert mich nicht. Im Gegenteil: Wir können
in diesem Land nicht genug Beschäftigte haben.
Was aber sagen wiederum Ihre Gutachter im Bundeswirtschaftsministerium? Sie bestätigen Ihnen in der Untersuchung der sektoralen Entwicklung im Bereich des
EEG, dass das höchstens ein Strohfeuer sein wird. Sie sagen Ihnen für das Jahr 2010 voraus, dass der Beschäftigungseffekt negativ sein wird, und zwar um 6 000 Arbeitsplätze. Im Jahr 2012 wird es bereits einen negativen
Beschäftigungseffekt von 20 000 Arbeitsplätzen geben.
Das sagen Ihnen Ihre Gutachter voraus, wenn Sie Ihre
Politik so weiterbetreiben.
({6})
Ihre Politik ist also alles andere als nachhaltig, meine
Damen und Herren.
({7})
Deshalb schlagen wir, die Union, einen Doppelbeschluss vor: Wir wollen die jetzige Förderung durch das
EEG mit seiner Systematik und seinen Ineffizienzen
zum 31. Dezember 2007 beenden und zeitgleich eine
neue Systematik, mit der alle energiepolitischen Instrumente des EEG, Emissionshandel, Ökosteuer und auch
die Steinkohlesubventionen, mit der Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung verknüpft werden, in einem
langfristigen, in sich geschlossenen engergiepolitischen
Konzept umsetzen. Nur mit einem Konzept, in dem die
Instrumente auf die einzelnen Energieträger durch Ausschreibungsmodelle oder Bonusmodelle abgestimmt
sind, werden wir eine effizientere Förderung der erneuerbaren Energien erreichen. Nur durch dieses Konzept
der Union werden die erneuerbaren Energien in Zukunft
zielgerichtet an die Marktreife herangeführt und nur so
werden die erneuerbaren Energien im Energiemix langfristig die Rolle spielen können, die sie verdient haben.
({8})
Ich erteile das Wort dem Minister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
mich über die Rede des Kollegen Seehofer, als er begann, ungeheuer gefreut.
({1})
Es hat sich aber herausgestellt, dass das, was Herr
Pfeiffer gerade ausgesprochen hat, das ist, was die Union
wirklich denkt, und das hat sich im Verlauf Ihrer Rede,
Herr Seehofer, bereits angedeutet.
Sie haben ein krachendes Bekenntnis für die erneuerbaren Energien abgelegt. Aber es war eine Radio-Eriwan-Rede: im Prinzip ja. Anschließend sind Sie mit allen Vorurteilen gekommen, die man gegen die
erneuerbaren Energien auffahren kann.
({2})
Ich will dies an einem Punkt deutlich machen. Sie
stellen sich hier hin, berechnen den staatlichen Anteil am
Jürgen Trittin ({3})
Strompreis und schieben den den erneuerbaren Energien
unter.
Schauen Sie sich die Statistik des VDEW an. Ihr können Sie entnehmen, dass ein durchschnittlicher Haushalt
mit drei Personen zurzeit 50 Euro im Monat für den
Strom bezahlen muss. Davon - so der VDEW, nicht das
Umweltministerium - wird 1 Euro - das sind 2 Prozent für die erneuerbaren Energien aufgewendet. Wenn Sie
von staatlichen Belastungen beim Strompreis reden,
dann müssen Sie auch hinzufügen, dass 5 Euro - das
sind 10 Prozent - Konzessionsabgaben an die Gemeinden sind. Ich habe von niemandem hier im Hause, weder
aus Bayern noch aus Baden-Württemberg, gehört, dass
er dagegen vorgehen wolle. Hören Sie auf, diese Belastungen den erneuerbaren Energien in die Schuhe zu
schieben!
({4})
Sie sagen: Ja, wir sind für erneuerbare Energien, aber
wir wollen im Jahr 2007 eine Überprüfung vornehmen.
Meine Damen und Herren, haben Sie schon einmal etwas von Investitionssicherheit und von stabilen Rahmenbedingungen gehört? Wollen Sie der Branche der
erneuerbaren Energien alle drei Jahre eine Novellierungsdebatte aufzwingen, in der es wieder heißen wird:
Wir warten mit den Investitionen in die Biomasseanlagen, in die Wasserkraftwerke oder in neue Anlagen, weil
wir nicht genau wissen, was kommen wird? Die gleichen
Redner, die in der Debatte um den Emissionshandel mindestens zwölf Jahre Investitionssicherheit gefordert haben, versuchen nun, einer anderen Branche einen Zeitraum von zwei Jahren zuzumuten. Das geht nicht. Sie
verhalten sich hier standortfeindlich.
({5})
Ich finde das traurig, weil ich am Anfang dieser Debatte den Eindruck gewonnen hatte, dass wir die Chance
zu einem wirklichen Konsens bei der Umsetzung dieses
Ziels - nicht nur beim Bekenntnis - haben. Sie haben gesagt: Wir müssen bei den erneuerbaren Energien mehr
auf Regelenergie setzen. Das ist der Grund, warum diese
Regierung - ich bedanke mich für die gute Unterstützung durch die Koalition - die Biomasse stärker fördern
will.
({6})
Herr Paziorek, wir haben Ihre Kritik aufgenommen
und sind Ihnen in der Frage des Degressionszeitraums
entgegengekommen; denn wir wollten an dieser Stelle
ein gemeinsames Signal setzen. Es ist genau so gekommen, wie Sie es gefordert haben. Dennoch sagen Sie
Nein. Ich habe den Eindruck, Sie tun das aus Prinzip.
Sie haben gesagt, es muss mehr darauf geachtet werden, grundlastfähig zu werden. Aus diesem Grund stand
schon im Regierungsentwurf, dass wir mehr für die Förderung der Wasserkraft, auch für den Ausbau der großen Wasserkraftwerke, tun wollen. Schließlich liegen in
diesem Bereich enorme Klimaschutzpotenziale. Das war
ein Argument, das von der Landesregierung BadenWürttembergs, von Herrn Kauders Parteifreunden, angeführt wurde. Wir sind diesem Wunsch nachgekommen
und haben ihn umgesetzt. Wir sind konstruktiv auf Sie
zugekommen, während Sie sich verweigern. Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, das hat mehr mit
Ideologie als mit Überzeugung in der Sache zu tun.
({7})
Zurzeit sind einige Zeitungen der Auffassung, sie
müssten anderen Magazinen beim Wettlauf um einen
falschen Populismus Konkurrenz machen. Selbstverständlich müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Deshalb
setzen wir mit diesem Gesetz für den Ausbau der Windenergie erstens ein klares Signal für die Offshoretechnologie und zweitens schaffen wir damit bessere Bedingungen für das Repowering, also für den Ersatz alter
Anlagen. Wir wollen mehr erneuerbare Energien mit weniger Masten erreichen. Das ist die einfache Formel. Das
ist der Ansatz unseres Gesetzentwurfs und auch diesem
verweigern Sie sich.
({8})
Eine letzte Bemerkung: Waren Sie schon einmal in
Magdeburg? Haben Sie sich einmal angesehen, wo dort
die letzten industriellen Arbeitsplätze sind? Sie befinden
sich auf dem Gelände des einst zehntausend Menschen
beschäftigenden Betriebes SKET. Dort ist jetzt die Firma
Enercon, ein Hersteller von Windrädern, ansässig.
Ich würde mir wünschen, dass auch Unionsabgeordnete mit dem gleichen Selbstbewusstsein, mit dem man
sich in Dresden darüber freut, dass AMD und VW dort
produzieren, in Magdeburg sagen: Die Windenergie
sorgt für 3 000 bis 4 000 Arbeitsplätze; dass es in Magdeburg überhaupt noch Industrie gibt, ist eine Folge des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ein solches Selbstbewusstsein wünsche ich mir bei Ihnen.
({9})
Durch die Nutzung der erneuerbaren Energien können
in Deutschland heute bereits 50 Millionen Tonnen CO2
eingespart werden. Das ist und bleibt richtig. Hören Sie
auf, erneuerbare Energien gegen Effizienz und Energiesparen auszuspielen. Meine Erfahrung der letzten Tage
ist: Diejenigen, die gegen einen effizienten Emissionshandel sind, sind immer schon gegen erneuerbare Energien gewesen.
({10})
Wahr ist aber auch: Im Bereich der erneuerbaren
Energien, also quasi durch die Einsparung von 50 Millionen Tonnen CO2, haben 120 000 Menschen in diesem
Lande Arbeit gefunden, 50 000 Menschen davon in den
letzten Jahren. Der Bereich der erneuerbaren Energien
ist also der Beweis dafür, dass Umweltschutz und Beschäftigung, dass ökologische Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit bestens zusammenpassen.
Jürgen Trittin ({11})
Ich bedanke mich für die gute Unterstützung und die
Bereitschaft des Bundestages, heute den Gesetzentwurf
in seiner jetzigen Fassung zu verabschieden.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Rednerliste war eigentlich schon geschlossen, als der
Minister darum gebeten hat, auch an das Rednerpult gehen zu dürfen. Aufgrund seiner Rede wird nun eine neue
Diskussionsrunde zum EEG aufgelegt.
Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Ihr Redebeitrag,
({0})
Ihr Versuch, die Ausführungen unseres stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden Horst Seehofer umzuinterpretieren, war eine reine Unverschämtheit. Das war Polemik
und war sachlich falsch. Das ist nicht hinzunehmen.
({1})
Wir haben immer klar und deutlich gesagt, dass wir
zu den erneuerbaren Energien stehen. Sie haben mehrfach anerkannt, dass die Union wie andere Fraktionen in
diesem Hause für die erneuerbaren Energien eintritt.
({2})
Wie können Sie vor diesem Hintergrund nur aufgrund
dessen, dass die Union sagt, ab dem Jahr 2008 wolle sie
ein neues Fördersystem, behaupten, dass wir den Bereich der erneuerbaren Energien kaputtmachen wollen?
({3})
Wie können Sie behaupten, dass wir die erneuerbaren
Energien und damit den dafür wichtigen Standort
Deutschland zerstören wollen? Sie haben gar kein Interesse daran, dass die Union zustimmt.
({4})
Ihnen gefällt es viel besser, jetzt mit einer solchen Polemik kommen zu können.
Wir haben klar und deutlich gesagt: Wir wollen eine
klare Übergangsfrist. Bis zum Jahr 2007 soll das jetzige
Fördersystem weiter bestehen. Jeder, der mit seinen Anlagen bis Ende 2007 ans Netz geht, soll nach unseren
Vorstellungen Bestandsschutz erfahren.
({5})
Wie können Sie es also überhaupt wagen, hier zu vermitteln, dass für Betreiber und Investoren Unsicherheiten
existieren könnten? Wir sagen allen: Wer bis zum
Jahr 2007 ans Netz geht, der hat Bestandsschutz.
Darüber hinaus wollen wir auch einen Übergang.
Weshalb wehren Sie sich so dagegen, Herr Minister, dass
man in diesem Hause darüber diskutiert,
({6})
ob das Festpreissystem langfristig sinnvoll ist oder ob
man nicht eventuell ein Bonussystem einführen solle,
wie wir es bei der KWK haben? Da gibt es nämlich für
ganz bestimmte erneuerbare Energien einen Zuschlag
auf den normalen Strompreis. Ist das der Weltuntergang?
Ich habe das Gefühl, Sie wollen der Diskussion ausweichen, ob das Bonussystem besser ist als das Festpreismodell, welches Sie uns zurzeit vorschlagen.
({7})
Sie weichen einer Diskussion darüber aus, ob wir für die
Zeit nach 2008 ein besseres Modell entwickeln können,
das die erneuerbaren Energien genauso gut fördert, aber
volkswirtschaftlich viel effektiver ist als das, das Sie uns
heute auf den Tisch legen. Das ist unsere Position.
({8})
Angesichts Ihrer Aufregung hat man das Gefühl, Sie
seien davon getroffen, dass Sie nicht das schöne Bild
vermitteln können, die Union sei pauschal gegen erneuerbare Energien.
({9})
Das wird Ihnen in der Öffentlichkeit und auch bei den
Firmen nicht gelingen. Wir werden Gespräche mit den
Firmen darüber führen, was nach 2008 besser werden
wird. Wer aber so polemisch auftritt und so massiv versucht, durch einen Wortbeitrag jede Gemeinsamkeit hinsichtlich der Gestaltung auch nach 2008 zu zerstören,
({10})
der versagt als Umweltminister in diesem Lande. Sie haben auch die Aufgabe, für die erneuerbaren Energien
langfristig einen großen gesellschaftlichen Konsens zu
finden.
({11})
Sie haben auch die Aufgabe, Herr Minister, dafür zu sorgen, dass die Energie in Deutschland so günstig wie
möglich hergestellt wird; denn letztlich geht es in
Deutschland auch um Arbeitsplätze in den anderen Bereichen, also außerhalb der erneuerbaren Energien. Das
müssen wir immer berücksichtigen.
({12})
Verantwortliche Politik muss sowohl für die erneuerbaren Energien als auch für die anderen Wirtschaftsbereiche eintreten. Nur so können wir unserer Verantwortung
gerecht werden.
Herr Minister, Sie haben dieser Aufgabe heute einen
Bärendienst erwiesen. Ich kann jetzt aus voller Überzeugung nur sagen: Es war richtig, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Beschluss gefasst hat, mit allen gesellschaftlichen Akteuren darüber zu diskutieren, ob wir
nicht ein besseres System zur Förderung der erneuerbaren Energien für die Zeit nach 2008 auf den Weg bringen
können.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Kollege Paziorek, angesichts der
Tatsache, dass Sie drei Terminangebote der Koalitionsfraktionen nicht wahrgenommen haben, war es schon
mutig, so vollmundig zu sagen, dass die Koalitionsfraktionen die Zusammenarbeit mit der CDU abgelehnt haben.
({0})
Das gehört zur Wahrheit dazu und das macht deutlich,
wer hier den Konsens gesucht hat und wer ihn von vornherein nicht wollte.
({1})
Diese Woche war für die Energiepolitik ausgesprochen bedeutsam:
Erstens. Es gab die Einigung beim Emissionshandel,
also beim Nationalen Allokationsplan. Deutschland ist
eines von vier Ländern, die diesen Allokationsplan in
Brüssel pünktlich eingereicht haben.
({2})
Dieser Allokationsplan orientiert sich eng an den Klimaschutzzusagen, die wir im Zusammenhang mit Kioto gemacht haben. Darauf können wir stolz sein.
Zweitens. Die Einigung beim Emissionshandel hat
eines deutlich gemacht: Es ist gelungen, Klimaschutz
mit der Industriepolitik zu verbinden und dafür zu sorgen, dass der Klimaschutz in diesem Lande gleichzeitig
auch Standortpolitik ist; denn die Unternehmen im
Lande - egal ob in der Energiewirtschaft oder in der
Industrie - haben jetzt feste Rahmenbedingungen. Wir
können davon ausgehen, dass es in den nächsten Jahren
zu Investitionen in den Kraftwerksparks und in den
Industrieanlagen kommen wird. Das ist gut so.
({3})
Genau dieser Philosophie folgt auch das EEG. Es ist
eben nicht nur ein Klimaschutzinstrument. Deswegen ist
es mit anderen Instrumenten auch nicht vergleichbar.
Man kann deshalb nicht fordern - auch mit zeitlicher
Verzögerung nicht -, dass das alte Instrument abgeschafft wird, wenn ein neues eingeführt wird;
({4})
denn mit diesen Instrumenten werden ganz unterschiedliche Ziele verfolgt. Es gibt sicherlich Schnittmengen,
aber eben auch ganz unterschiedliche Schwerpunkte.
Mit dem EEG werden wir nicht nur die CO2-Emissionen senken, sondern auch den Einstieg in die erneuerbaren Energien erreichen. Das ist angesichts endlicher
Ressourcen auch im Sinne künftiger Generationen eine
absolute Notwendigkeit.
({5})
Mit dem EEG werden wir gleichzeitig aber auch Industriepolitik im Bereich der erneuerbaren Energien betreiben. Die Anlagenbauer im Bereich der Windenergie
haben die Chance, weiterzumachen, und die Anlagenbauer im Bereich der Bioenergien haben die Chance,
richtig loszulegen. Das ist gut; denn das schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land. Daneben eröffnen
sich dadurch für uns Exportchancen. Das ist Wirtschaftsförderung im besten Sinne des Wortes.
({6})
Mit dem EEG schaffen wir nicht nur bei den erneuerbaren Energien eine solche positive Entwicklung, sondern wir sorgen durch die Neugestaltung der Härtefallregelung ebenso dafür, dass auch andere Industriebereiche
klare Zukunftsperspektiven erhalten. Wir haben die bisherige Härtefallregelung durch Absenkung der Schwellen mittelstandsfreundlicher ausgestaltet. Auch haben
wir dafür gesorgt, dass die besonders im Wettbewerb stehenden und stromintensiven Branchen vom Selbstbehalt
befreit werden. Das heißt, von der ersten Kilowattstunde
an muss nur der niedrigere Satz gezahlt werden. Das ist
ein gutes Signal. Es macht deutlich: Wir machen nicht
eine Politik des Entweder-oder, sondern eine Politik des
Sowohl-als-auch.
({7})
Mit dem EEG werden wir Wachstumsimpulse auslösen. Es wird Wachstum - ich habe es schon angedeutet beim Anlagenbau im Bereich von Windenergie und Biomasse geben. Es wird aber auch im Bereich der Industrie
zu Wachstum kommen. Im Verbund mit dem Instrument
des Emissionshandels wird es im deutschen Kraftwerksbau zugleich eine Investitionswelle geben. Wir haben die
Rahmenbedingungen so gesetzt, dass es im deutschen
Kraftwerksbau sowohl im Bereich von Braunkohle, von
Steinkohle als auch von Gas zu Ersatzinvestitionen kommen wird. Wir stehen vor einer Modernisierungswelle in
der deutschen Energiewirtschaft.
Dies ist - insofern gebe ich meiner Kollegin Frau
Hustedt absolut Recht - nicht nur für die deutsche Energiepolitik, sondern auch für die erneuerbaren Energien,
die Energiewirtschaft insgesamt und die Industrie eine
gute Woche. Darauf sind wir stolz. Verlassen Sie sich
darauf: Wir lassen uns diesen Erfolg nicht zerreden.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es schon bemerkenswert, dass wir in dieser Diskussion über das Erneuerbare-Energien-Gesetz eine
zweite Runde aufmachen. Herr Trittin, unsere Argumente müssen Sie so massiv unter Druck gesetzt haben,
dass Sie es für nötig befunden haben, hier zu sprechen.
({0})
Ich möchte ein paar Punkte, die Sie angesprochen haben, Herr Trittin, aufgreifen. Sie haben erklärt, der hohe
staatliche Anteil am Strompreis - das sind immerhin
41 Prozent - ergeben sich aus der Konzessionsabgabe.
Dabei verschweigen Sie aber, dass die Kosten, die durch
das EEG und die Ökosteuer verursacht werden, der weitaus größere Teil sind. Dafür sind Sie verantwortlich,
ohne eine vernünftige Begründung geliefert zu haben.
({1})
Sie sprechen immer davon, dass dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie machen das wie in allen
anderen Bereichen auch: Sie denken nur an einzelne
Bereiche, aber nie an die Gesamtbilanz. Ich sage Ihnen:
Das Märchen, das Ganze koste nur 1 Euro, stimmt
einfach nicht. Das ist schlicht und ergreifend vom
Stromverbrauch abhängig. Aber das verschweigen Sie
immer.
({2})
Sie machen eine Milchmädchenrechnung auf, um die
Gemüter im Lande zu beruhigen.
({3})
In der Aluminiumindustrie, die in der Bundesrepublik
Deutschland nach wie vor sehr viele Arbeitsplätze stellt,
machen die Belastungen allein durch das EEG 30 Euro
je Tonne aus. Wenn Sie das umrechnen, dann ist das je
nach Größe des Betriebes eine Belastung von circa
3 000 bis 4 000 Euro je Arbeitsplatz im Jahr. Das ist
wettbewerbsrelevant, Herr Trittin.
({4})
Sie haben erklärt, der Einsatz der erneuerbaren Energien spare 50 Millionen Tonnen CO2 ein und diejenigen,
die gegen den Emissionshandel seien, seien gegen die
erneuerbaren Energien. Sehr verehrter Herr Minister, die
FDP-Bundestagsfraktion ist mit Unterstützung der CDU/
CSU-Fraktion zu einem Zeitpunkt, als Sie das Wort
Emissionshandel überhaupt noch nicht kannten, für dieses effiziente Instrument des Klimaschutzes eingetreten.
({5})
Wer hat denn dieses Instrument international durchgesetzt? Das waren nicht Sie, sondern wir haben es durchgesetzt.
({6})
Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn Sie die letzten Jahre
die Vorbereitung des Emissionshandels in Deutschland
nicht verschlafen hätten, wären wir heute beim Klimaschutz und bei der Einsparung von Kosten sehr viel weiter.
({7})
Ich sage ganz klar: Die FDP steht zur Förderung erneuerbarer Energien. Wir wollen aber weder die Technik
politisch vorgeben, noch wollen wir den Preis politisch
vorgeben. Genau das tun Sie mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen ein wettbewerbliches, ein
marktwirtschaftliches Fördermodell für erneuerbare
Energien, mit dem es gelingt, Klimaschutz kosteneffizient zu erreichen. Das sind wir den Bürgerinnen und
Bürgern in diesem Lande schuldig.
({8})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Hermann Scheer das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil die
Debatte wegen der vorzüglichen Rede des Bundesumweltministers verlängert worden ist, habe ich die Gelegenheit, noch einmal auf einige Punkte einzugehen.
({0})
Der Verweis darauf, dass in der nächsten Legislaturperiode im Jahr 2007 etwas anderes kommen werde, ({1})
wohinter die stillschweigende Hoffnung der Union
steckt, dass sie dann die Dinge gestalten könnte -, ist
mehr als fadenscheinig.
({2})
Ich erkenne durchaus an, dass es in der Union seriöse
Strömungen gibt, die diesem Erneuerbare-Energien-Gesetz in der Tradition des Stromeinspeisungsgesetzes für
erneuerbare Energien sehr positiv, sogar zustimmend gegenüberstehen. Auf der anderen Seite aber gibt es eine
ganz entschiedene, radikale Gegnerschaft. Die hat heute
zu dem Bild geführt, das Ihre Fraktion geboten hat.
({3})
Das ist ganz eindeutig und bleibt auch der Öffentlichkeit
nicht verborgen. Es wird doch durch diese Debatte offensichtlich. Das heißt, die Begleitmusik zu Ihren angeblich besseren Alternativen, die Sie versprechen,
({4})
geht doch an der Öffentlichkeit, an den Betroffenen und
an den Investoren überhaupt nicht vorbei.
({5})
Es gibt bestimmte Aussagen, auch im Wirtschaftsausschuss. So hat ein Unionssprecher gesagt: Wenn wir die
Macht übernehmen, werden wir mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz Schluss machen. Das ist eine wunderbare Botschaft.
({6})
- Ich weiß, dass das vielleicht nicht Ihre offizielle Beschlusslage ist.
Betrachten Sie einmal die so genannten wissenschaftlichen Gutachten, die mehrfach von verschiedenen Rednern der Opposition erwähnt worden sind. Diese
Gutachten, die zwar aus dem Umfeld des Wirtschaftsministeriums kommen, deren Aussagen sich das Wirtschaftsministerium aber nicht zu Eigen gemacht hat, haben alle denselben Tenor. Dieser lautet: Ab dem
Jahr 2007 - deshalb ist die Jahreszahl ja so interessant sollte die gesamte Förderung erneuerbarer Energien zugunsten des Emissionshandels fallen gelassen werden.
({7})
Das ist die Aussage dieser Gutachten. Diese stützt sich
auf die denunziatorische, meines Erachtens unwissenschaftliche Behauptung, dass die erneuerbaren Energien
keine Arbeitsplätze schaffen, sondern sogar noch Arbeitsplätze kosten.
Es kennen sich aber auch andere in den Wissenschaften aus. Es ist vielleicht für die Öffentlichkeit und auch
für Sie, wenn Sie das Ganze nicht gelesen haben sollten,
interessant, zu erfahren, wie diese Gutachter zu einer
solchen Aussage kommen. Sie kommen dazu, indem sie
behaupten, dass die EEG-Umlage, die heute von allen
privaten Stromverbrauchern gezahlt wird, zulasten des
Konsums geht, weil diese Mittel für Investitionen in die
erneuerbaren Energien verwendet werden. Weil das zulasten des Konsums gehe, gingen Arbeitsplätze verloren.
Es wird aber an keiner Stelle gesagt, was denn anstelle
dessen konsumiert werde - das kann man nicht belegen -, ob das ein Bier im Ballermann auf Mallorca ist
oder irgendetwas anderes.
({8})
Daraus ergibt sich logischerweise: Die wirtschaftswissenschaftlichen Gutachter kommen zu dem Ergebnis,
dass jedweder Konsum, egal welcher Art, für die Entwicklung der Volkswirtschaft und sogar der Umwelt
wichtiger ist als eine präzise und vorbestimmte Förderung der erneuerbaren Energien über eine Umlage, wodurch noch weitere Faktoren wie eine zusätzliche Wertschöpfung geschaffen und Entwicklungen in Gang
gesetzt werden.
Mit anderen Worten: Wissenschaftliche Gutachten auf
einem solchen Niveau sind im Grunde genommen nicht
zitierfähig.
({9})
Solche Gutachten können allenfalls referiert werden. In
der Wissenschaft ist es nun einmal so: Es ist selbstverständlich nicht jeder Professor käuflich, aber irgendeinen
findet man leider immer, der sich zu einer gewünschten
Aussage bereit findet.
({10})
Wenn wir über Wirtschaft sprechen, dann müssen wir
erkennen,
({11})
dass erneuerbare Energien mit der Zeit immer billiger
werden. Denn alle Kosten, die für diese Energien - mit
Ausnahme der Biomasse - ausgegeben werden, fallen
bei der Mobilisierung und Bereitstellung der Technik an.
Daraus ergibt sich - das zeigt die Geschichte der
technologischen Revolutionen -, dass erneuerbare Energien auf Dauer billiger werden. Dort, wo für die Primärenergie etwas bezahlt werden muss - das ist nur bei der
Biomasse der Fall -, wird als Ergebnis der Mobilisierung erneuerbarer Energien eine Revitalisierung des
landwirtschaftlichen Sektors erzielt.
({12})
Kollege Scheer, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Herkömmliche Energien dagegen können wegen der
negativen Umwelteffekte und der bevorstehenden Erschöpfung der konventionellen Energieträger nur teurer
werden. Insofern stehen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an einer Wasserscheide energiestrategischer
Entscheidungen, die wir heute treffen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie von der Bundesregierung eingebrachten Ge-
setzentwürfe zur Neuregelung des Rechts der erneuerba-
ren Energien im Strombereich, Drucksachen 15/2327,
15/2539 und 15/2593. Der Ausschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/2845, die ge-
nannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Neuregelung des
Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bünd-
nisses 90/Die Grünen und einer Stimme aus der CDU/
CSU-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Mitglie-
der der CDU/CSU-Fraktion und die Stimmen der FDP-
Fraktion angenommen.
Vor der dritten Beratung und Schlussabstimmung will
ich mitteilen, dass der Kollege Hans-Michael Goldmann
von der FDP-Fraktion eine persönliche Erklärung zur
Abstimmung abgegeben hat und mitteilt, dass er sich der
Stimme enthalten will.1)
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit derselben Mehrheit wie bei der Abstimmung
in der zweiten Beratung angenommen.
1) Anlage 3
({1})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2858? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen und einer Stimme aus der
CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen
Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2859? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/
CSU-Fraktion abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 19 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Drucksache 15/2797, zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung mit dem
Titel: Monitoring - „Möglichkeiten geothermischer
Stromerzeugung in Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Berichts auf Drucksache 15/1835
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu Anträgen auf Genehmigung zur
Durchführung der Strafverfolgung zu erweitern und jetzt
sofort als Zusatzpunkt 4 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Somit rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2})
Immunität von Mitgliedern der Bundesversammlung
hier: Anträge auf Genehmigung zur Durchführung der Strafverfolgung
- Drucksache 15/2879 Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2879, die Genehmigung zur Durchführung der
Strafverfolgung zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei
Nichtbeteiligung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
({3})
- So präzise, wie das in solchen Fällen immer der Fall
ist. Herr Kollege Ramsauer, darf ich Ihren Einwand so
verstehen, dass auch die CDU/CSU-Fraktion zustimmt?
({4})
- Dann nehmen wir das so zu Protokoll. Die Beschluss-
empfehlung ist also einstimmig angenommen worden.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 18 a bis
18 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Marie-Luise Dött, Karl-Josef Laumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Unabhängige Folgenabschätzung der neuen
EU-Chemikalienpolitik
- Drucksache 15/2654 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Schmitt ({5}), Ulrike Mehl, Michael Müller
({6}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Loske,
Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eine nachhaltige Chemiepolitik in Europa Innovation fördern, Umwelt und Gesundheit
schützen und Verbraucherschutz stärken
- Drucksache 15/2666 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Katherina Reiche, Marie-Luise Dött,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik
in Deutschland und Europa
- zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Angelika Brunkhorst, Daniel Bahr
({9}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im europäischen Rahmen sichern
- Drucksachen 15/1356, 15/1332, 15/2775 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schmitt ({10})
Dr. Antje Vogel-Sperl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
europäische Chemikalienpolitik ist von weit reichender
industrie- und standortpolitischer Bedeutung für Deutschland; denn unser Land ist mit mehr als 450 000 Beschäftigten der größte Chemiestandort in Europa. Mit der
Chemiepolitik entscheiden wir somit auch über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Die EU-Kommission möchte mit ihrem Verordnungsentwurf das Chemikalienrecht in Europa neu regeln.
Mehr als 100 000 der derzeit in der Europäischen Union
vorkommenden Altstoffe sollen nach dem so genannten
REACH-System innerhalb von elf Jahren nach In-KraftTreten der Verordnung erfasst werden. Die CDU/CSUBundestagsfraktion begrüßt die grundsätzliche Zielsetzung des Verordnungsentwurfs. Es besteht kein Zweifel
an der Notwendigkeit, zum Schutz von Mensch und Umwelt hohe Sicherheitsstandards zu garantieren und Risiken zu minimieren.
Wir unterstützen ebenfalls die Zielsetzung des Verordnungsentwurfs, das heute existierende Chemikalienrecht zu vereinheitlichen, zu vereinfachen sowie effizient und von bürokratischen Hemmnissen befreit zu
gestalten. Doch leider müssen wir feststellen, dass der
vorgelegte EU-Verordnungsentwurf dieses Ziel verfehlt
und somit aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
nicht rechtskräftig werden darf.
({0})
Die Vorschriften der Verordnung belasten die Unternehmen durch extreme Bürokratie und massive zusätzliche Kosten und bewirken wettbewerbsschädliche Zeitverluste auch bei durchaus gewünschten Innovationen.
Diese Belastungen sind zu groß und insbesondere für
mittelständische Unternehmen sowie für weiterverarbeitende und auch kleine Anwender nicht tragbar.
Durch die vorgesehenen Regelungen wird nicht nur
für die chemische Industrie massiver wirtschaftlicher
Schaden hervorgerufen, sondern auch für die gesamte
deutsche Wirtschaft. Selbst die verantwortlichen EUKommissare schätzen die Folgekosten der EU-Verordnung nur für die Chemieindustrie auf 7 Milliarden Euro
und für die übrigen Industriezweige, die mit der Chemieindustrie in diesen Fragen in Verbindung stehen, auf insgesamt 26 Milliarden Euro.
Dem Kostengesichtspunkt wird häufig entgegengehalten, das neue europäische Chemikalienrecht helfe im
Gegenzug, im Gesundheitsbereich zweistellige Milliardenbeträge einzusparen. Dies mag sein. Aber die Frage
ist doch, ob dieses Ziel nur mit diesem bürokratischen
Monster zu erreichen ist. Dazu sagen wir: Nein, dieses
Ziel kann auch durch eine einfachere Regelung erreicht
werden.
({1})
Die Kostenfrage wurde erst vor kurzem in einem Unternehmen in meiner münsterländischen Heimat, bei
BASF Coatings in Münster-Hiltrup, erörtert. Wenn diese
EU-Verordnung unverändert in Kraft tritt, bedeutet dies,
dass dieses BASF-Werk allein 1 800 Stoffe registrieren
muss und dass 25 000 Rezepte neu definiert werden müssen. Ich mache auf die Kostenbelastung aufmerksam, die
daraus erwächst, dass man pro registrierten Stoff Kosten
in Höhe von 50 000 Euro zugrunde legen muss. Ein
Weltkonzern kann das eventuell auffangen, vielleicht nur
durch Stellenabbau. Das kann aber nicht das Ziel sein.
Für viele kleinere mittelständische Unternehmer, für die
kleineren Anwender kann eine Verteuerung der Produkte
um 20 Prozent bis 50 Prozent - davon gehen die Schätzungen teilweise aus - das wirtschaftliche Aus bedeuten.
Uns macht nicht nur der drohende Wegfall von Arbeitsplätzen große Sorgen; auch die zu erwartende Zunahme von Tierversuchen durch das REACH-Verfahren kann uns alle in diesem Hause nicht kalt lassen. Eine
vom britischen Ministerium für Umwelt und Verkehr in
Auftrag gegebene Studie der Universität Leicester geht
für den schlimmsten Fall davon aus, dass für die notwendigen Untersuchungen 12 Millionen Tiere in Europa benötigt werden. Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob wir
diesen Preis wirklich zahlen wollen.
({2})
Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission weicht leider der Beantwortung der Fragen aus, wie
ein ausreichender Rechtsschutz der Firmen gewährleistet
und wie für eine Sicherung des Abflusses von Unternehmensdaten gegen Missbräuche - ganze Informationsblätter müssen weitergegeben werden - Sorge getragen
werden soll.
Wir stellen an dieser Stelle mit großer Freude fest: In
Ihren eigenen Reihen, also in den Reihen von Rot-Grün,
wird unsere Ansicht geteilt. Das von der nordrhein-westfälischen Umweltministerin Bärbel Höhn und dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Harald Schartau
initiierte Planspiel hat die zahlreichen Schwachstellen
dieses Verordnungsentwurfs eindrucksvoll offen gelegt.
Dass der Alarmruf aus Nordrhein-Westfalen kommt, ist
sicherlich kein Zufall. Es liegt daran, dass man dort genau weiß, was ein Festhalten an diesem Verordnungsentwurf für die Chemieindustrie dieses Bundeslandes bedeutet.
Herr Präsident, ich möchte mit Ihrer Zustimmung den
NRW-Wirtschaftsminister Schartau, SPD, zitieren:
Käme sie
- die Verordnung in ihrer jetzigen Form, würde sie die Konkurrenzfähigkeit unserer Chemieindustrie stark beeinträchtigen. Das muss auch mit aller Deutlichkeit und auf
allen Ebenen klar gemacht werden.
Recht hat er. Deshalb sagen wir: Diese Position aus
Nordrhein-Westfalen muss die Mehrheitsposition dieses
Hauses werden.
({3})
Fest steht, dass dieser Verordnungsentwurf - das zeigen bis jetzt alle Planspiele - erheblich nachgebessert
werden muss. Gerade mittelständische Anwender werden große Probleme haben, die auf sie zukommenden
Probleme ohne Unterstützung von außen zu lösen. Zur
so genannten Expositionsbewertung ist ein vereinfachtes
Verfahren notwendig. Wir brauchen einen besseren Datenaustausch in den Wertschöpfungsketten.
Nachdem der Bundeskanzler und die Gewerkschaften
im vergangenen Jahr in dieser Frage eine gemeinsame
Position hatten - es ist eine Erklärung verabschiedet
worden, in der viele der Bedenken, die ich für die CDU/
CSU soeben vorgetragen habe, aufgegriffen worden sind -,
hatten wir die Hoffnung, dass wir jetzt gemeinsam in
Europa für einen solchen Weg kämpfen können.
Angesichts des Antrags, den Sie heute im Deutschen
Bundestag vorlegen, muss man sagen: Sie haben diese
Erklärung Ihres eigenen Bundeskanzlers leider nicht aufgegriffen. Sie haben in diesem Antrag leider nicht das
Problembewusstsein gezeigt, das einfach notwendig ist,
um jetzt in Europa tatsächlich etwas für unsere Chemieindustrie zu bewirken. Ihr heute vorgelegter Antrag ist
nichts anderes als ein fauler Kompromiss, der die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nicht
beseitigt. Er trägt nicht dazu bei, dass Deutschland ein
Chemiestandort bleibt.
Aus den Beratungen im Ausschuss kennen wir Ihre
mitunter vorhandene Sympathie für die Position der EUKommissarin für Umwelt, Frau Wallström. Da gibt es
Äußerungen des Inhalts, dass all die Bedenken aus der
Wirtschaft falsch sind. Ich frage mich, was die Erklärung
des Bundeskanzlers aus dem vergangenen Jahr bedeutet,
wenn der Antrag, den Sie vorgelegt haben, hinter diesen
Positionen zurückbleibt. Wir sollten gemeinsam dafür
sorgen, dass der Verordnungsentwurf nicht in Kraft tritt
und dass es tatsächlich zu einer Regelung kommt, die
praktikabel ist und damit auch der deutschen Wirtschaft
hilft.
Deshalb sagen wir als Union: Das europäische
Rechtssetzungsverfahren darf erst dann abgeschlossen
werden, wenn die Auswirkungen der Verordnung von einer unabhängigen Stelle außerhalb der EU-Kommission
überprüft worden sind. Wir begrüßen durchaus, dass die
Kommission jetzt bereit ist, eine so genannte ImpactStudie auf den Weg zu bringen. Es gibt erste Gespräche
mit der Industrie. Das reicht aber nicht aus. Wir sagen
ganz klar: Wir können in diesem Hause den Verordnungsentwurf nur überprüfen und letztlich bewerten,
wenn ihn zuvor eine unabhängige Stelle außerhalb der
EU-Kommission auf den Prüfstand gestellt hat. Das
muss die Zielrichtung sein, die wir gemeinsam festlegen
sollten.
Unsere politische Forderung lautet: Dieser Verordnungsentwurf darf unter inhaltlichen und fachlichen Gesichtspunkten so nicht in Kraft treten. Deshalb fordern
wir Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir
in Brüssel eine gemeinsame Position im Interesse der
deutschen Chemieindustrie entwickeln können!
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Heinz Schmitt, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Paziorek, ich bedanke mich zuerst einmal ganz
herzlich dafür, dass Sie zumindest den Versuch unternommen haben, das REACH-System zu beschreiben.
({0})
Allerdings möchte ich Ihnen die Frage stellen: Wo bleibt
das Positive? Sie haben eine sehr negative Sichtweise zu
den bisherigen Ergebnissen. Sie haben das negativ bewertet und bei Ihrer Rede die Chancen und die positiven
Möglichkeiten, die sich aus REACH auch für den Chemiestandort Deutschland ergeben, völlig unterschlagen;
ich sage einmal: vermutlich aus Unkenntnis, nicht bösartig.
REACH ist notwendig; denn es gibt Zehntausende
von chemischen Altstoffen in der EU, über die wir nichts
wissen; da hat sich seit den 80er-Jahren nichts geändert.
Das ist so, obwohl der Anteil der Altstoffe mehr als
90 Prozent aller auf dem Markt befindlichen Chemikalien beträgt. Deshalb ist eine Neuordnung der Chemiepolitik nicht nur notwendig; sie ist überfällig.
Über diese Notwendigkeit besteht bei allen Beteiligten, auch bei der Industrie, lieber Herr Kollege, Übereinstimmung. Das kommt nicht von ungefähr. Die Regelung bringt allen Beteiligten Vorteile. Sie bedeutet einen
wichtigen Schritt hin zu mehr Sicherheit im Umgang mit
Chemikalien. REACH ist ein wichtiges Projekt für den
Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz.
Daneben gibt es handfeste ökonomische Vorteile.
REACH schafft zum Beispiel einheitliche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa.
({1})
Eine Vielzahl verschiedener europäischer Regelungen
wird in einer einzigen Verordnung zusammengefasst.
Richtig ist, dass es in bestimmten Bereichen - da
stimme ich Ihnen zu - noch Klärungsbedarf gibt. Die
Umwelt- und Verbraucherverbände zum Beispiel fordern
Weitergehendes; ihnen geht die jetzige Vorlage nicht
weit genug. Die Industrie beklagt einen zu hohen Aufwand, zu viel Bürokratie. Es sind die klassischen unterschiedlichen Sichtweisen. Viele dieser Einwände wurden seit der Vorlage des Weißbuchs bereits
berücksichtigt. Weiteren Bedenken kann im weiteren
Verfahren - so erscheint es mir - Rechnung getragen
werden.
Insbesondere geht es nun darum, die Umsetzungsund Durchführungsbestimmungen von REACH gemeinsam zu entwickeln. Wir haben einen Antrag vorgelegt,
der den Anliegen beider Seiten, nämlich der Ökologie
und der Wirtschaft, ausgewogen Rechnung trägt. Wir haben den elementaren Schutz der Umwelt, der Gesundheit
und des Verbrauchers noch einmal unterstrichen. Wir befürworten zum Beispiel - Sie haben das angesprochen eine allgemeine Sorgfaltspflicht auch für Stoffe, bei denen die Jahresproduktion unter 1 Tonne liegt. Wir halten
es ferner für sinnvoll, dass bestimmte Mindestanforderungen an die Tests für die Registrierung gestellt werden, damit wir tatsächlich aussagekräftige Informationen
zu den stoffbezogenen Risiken bekommen.
Für eine bessere Risikobeurteilung wollen wir auf
längere Sicht einen Stoffsicherheitsbericht schon ab
einem Produktionsvolumen von 1 Jahrestonne verpflichtend machen. Das ist uns wichtig, da es ohne Informationen zu dem Gefährdungspotenzial für viele
registrierungspflichtige Stoffe keine zureichende Aussagekraft in der Risikobeurteilung gibt.
Auch wir sehen natürlich die Notwendigkeit möglichst unbürokratischer und effizienter Bestimmungen.
Ich komme ebenfalls aus einem Bundesland mit einer
bedeutenden Chemieindustrie, mit großen und mittleren
Betrieben und vielen Tausenden von Arbeitsplätzen. Es
ist deshalb keine Frage, dass wir die Anliegen der Unternehmen in dieser Hinsicht ernst nehmen.
({2})
Wir betonen zum Beispiel ausdrücklich die Notwendigkeit, dass REACH in vollem Umfang auch für importierte Stoffe zu gelten hat. Wir wollen sicherstellen, dass
REACH in dem System der WTO-Abkommen verankert
und dort ebenfalls berücksichtigt wird. Wir wollen gleiche Bedingungen für Stoffe, die bei uns produziert werden, und für Stoffe, die eingeführt werden, damit ein
fairer Wettbewerb sichergestellt ist.
Was die Kostenbelastung angeht, so ist nachvollziehbar, dass die Industrie und die EU-Kommission unterschiedliche Sichtweisen haben. Die EU geht davon
aus, dass sich die Kosten auf 2,5 bis 5 Milliarden Euro
Heinz Schmitt ({3})
belaufen werden, verteilt, wie gesagt, auf einen Zeitraum
von zehn Jahren. Dass die Industrie zu anderen Ergebnissen kommt, ist nachvollziehbar, denn es fehlen noch
die detaillierten Umsetzungs- und Durchführungsbestimmungen. Von daher ergibt sich bei der Kostenschätzung eine andere Sichtweise.
Unklar ist zum Beispiel auch, wie viele der geforderten Informationen und Kenntnisse zu Stoffen bereits
jetzt vorhanden sind und wie sie im neuen REACH-System genutzt werden können. Schließlich wird es darauf
ankommen, dass das Registrierungsverfahren so vereinfacht und standardisiert werden kann, dass es gerade
für kleine und mittlere Betriebe leicht handhabbar ist.
Ich komme zu dem Planspiel des Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen. Kollege Paziorek, ich war bei
der Vorstellung in der Landesvertretung vor wenigen Tagen. Ich sage: Das Glas war nicht halb leer, sondern halb
voll.
({4})
- Dreiviertel. Für mich war das Glas auf jeden Fall gut
gefüllt. Es gab sehr viele Anregungen und Verfahrensvorschläge.
({5})
Selbstverständlich gab es auch konstruktive Kritik.
({6})
Aber man sollte jetzt nicht alles niedermachen, weil es
vielleicht nicht in die eigene Weltsicht passt. Ich habe
von dieser Veranstaltung sehr viel Positives mitgenommen. Ich habe auch gelernt, dass die Umsetzung von
REACH nur gelingt, wenn wir sie gemeinsam vornehmen,
({7})
wenn Industrie, Verbraucherschutz und Umweltverbände gemeinsam an einem Strang ziehen. Eine Verweigerungshaltung oder ein Spielen auf Zeit bringt uns in
diesem Punkt nicht weiter.
({8})
Wir sollten bei aller Diskussion nicht vergessen, dass
es bei REACH auch darum geht, Versäumnisse aus der
Vergangenheit nachzuholen. Es geht um Stoffe, die seit
über 20 Jahren auf dem Markt sind, über die wir aber
überhaupt nichts wissen.
({9})
Es geht also auch um Vergangenheitsbewältigung. Die
Industrie hat es damit selbst in der Hand, REACH positiv anzugehen.
Es wird zum Beispiel viel zu wenig über die Möglichkeit gesprochen, Konsortien zu bilden, damit Unternehmen, die einen Stoff gemeinsam bearbeiten oder nutzen,
sich die Kosten für REACH aufteilen. Bei gutem Willen
gibt es viele Chancen, die Kosten zu senken.
Viel zu wenig - das kam bei Ihnen und auch im FDPAntrag kaum herüber - wird über die Chancen gesprochen, die REACH bietet. REACH kann Europa zu einem
Vorreiter im Umgang mit sicheren Chemikalien machen. Damit können auch große Vorteile im Wettbewerb
entstehen. REACH kann ein Gütesiegel werden und Europa ein Lead-Markt, ein Führungsmarkt, für sichere
Chemikalien.
Eine ausgewogene Betrachtung bedarf auch einer angemessenen Würdigung des Nutzens. Für einen Teilbereich lässt sich dieser Nutzen bereits jetzt quantifizieren.
Die EU geht davon aus, dass in einem Zeitraum von
30 Jahren allein 50 Milliarden Euro bei den Krankheitskosten eingespart werden können, weil der Umgang mit
Chemikalien sicherer wird und Krankheiten vermieden
werden können. Allein diese Zahl zeigt, dass REACH
für die europäischen Staaten und für uns Bürger als Verbraucher, als Konsumenten und als Nutzer große Vorteile bringt.
Das Planspiel in Nordrhein-Westfalen hat auch gezeigt, dass Kooperation und gemeinsames Handeln der
richtige Weg sind, um Barrieren bei der Umsetzung von
REACH auszuräumen und nach vorne zu schauen.
({10})
Auf diesem Ansatz lässt sich aufbauen. Ich bin sicher,
dass sich die noch offenen Punkte gemeinsam klären lassen. Wir sollten die Chancen nutzen und nicht nur von
den Risiken reden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDP.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die anstehende Verordnung zu einer neuen EU-Chemikalienpolitik wird im Deutschen Bundestag nicht zum
ersten Mal debattiert. Nach wie vor hat sich aber auch
angesichts der Pläne auf europäischer Ebene bei uns
nicht sehr viel geändert. Das, was mit dem neuen
REACH-System geplant ist, wird massive Auswirkungen auf alle Industriezweige in Deutschland haben, in
denen Chemikalien oder chemische Produkte hergestellt,
importiert oder verwendet werden.
({0})
Weit mehr Industriezweige als nur die Chemiewirtschaft,
die allerdings schon für sich allein ein sehr wichtiger
Wirtschaftsbereich ist, sind davon betroffen. Die Frage,
wie die Chemikalienpolitik in Europa organisiert wird,
hat deshalb eine entscheidende Bedeutung auch für die
Arbeitsplätze.
({1})
Anfang 2001 hat die EU-Kommission erstmalig ein
Weißbuch vorgelegt. Die FDP hat direkt danach einen
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht und die
Bundesregierung aufgefordert, entsprechend Einfluss
auf das zu nehmen, was die Europäische Union hier
plant. Es geht natürlich darum, einen sicheren Umgang
mit Chemikalien zu gewährleisten. Die Bestimmungen
des Gesundheitsschutzes und des Umweltschutzes sind
einzuhalten.
Aber es geht selbstverständlich auch um Wettbewerbsfähigkeit. Die Bundesregierung, vor allem das
Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium,
spricht in offiziellen Stellungnahmen davon, dass ein
Zusammenspiel zwischen diesen einzelnen Faktoren erreicht werden muss. Wenn ich mir aber anschaue, was in
Europa vertreten wird, dann muss ich sagen: Dieses Zusammenspiel ist nicht mehr gegeben. Sie setzen ganz
massiv auf eine Richtung und lassen die Wettbewerbsfähigkeit völlig außen vor.
({2})
Wir müssen Ihnen deutlich sagen, dass die Ablehnung
von FDP-Anträgen - wir haben mehrere Anträge zu diesem Thema eingebracht und detaillierte Vorschläge gemacht - noch keine konsistente Chemikalienpolitik ist.
Das gilt vor allen Dingen mit Blick auf die Umsetzbarkeit der Anforderungen und die Folgen für die betroffenen Unternehmen. Nicht zuletzt muss man sagen, dass
aus Brüssel ein Monster in Form einer gigantischen Umweltbürokratie droht.
({3})
Diese Politik wird von Rot-Grün massiv unterstützt.
Herr Schmitt, Sie sagen - wir stimmen Ihnen in diesem Punkt zu -: Nur wenn wir gemeinsam mit der Industrie handeln, werden wir einen Erfolg erzielen. Wenn
Sie das nur tun würden! Ihr Antrag, den Sie heute vorlegen, zeigt aber, dass Ihre Vorschläge überhaupt nicht
ausgewogen sind und dass Ihre Darstellung nicht realistisch ist. Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
({4})
Dass wir uns nicht einbilden, dass Ihre Vorschläge
nicht realistisch sind, zeigt allein die Tatsache, dass es
kürzlich einen Vorschlag des Bundesinnenministeriums
und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
gab, die europäische REACH-Verordnung auf die Liste
der Initiative „Bürokratieabbau“ zu setzen. Genau da gehört sie hin.
({5})
Dass Sie das nicht aufgreifen, wundert mich allerdings
nicht besonders; denn von dem groß angekündigten
Masterplan Bürokratieabbau, von dem Sie immer reden
und dessen Umsetzung so dringend notwendig wäre, ist
nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Ich bin einmal gespannt, wer sich da durchsetzt.
Auf insgesamt rund 1 200 Textseiten werden
135 Artikel mit ihren technischen Anhängen ausgebreitet. Diese Zahl muss man sich einmal vorstellen. Dass
die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in einem
Planspiel zu dem vorgeschlagenen REACH-System zu
dem Ergebnis gekommen ist, dass insbesondere der Mittelstand in der chemischen Industrie auf absehbare Zeit
völlig überfordert sein wird, kann also überhaupt nicht
überraschen.
({6})
Man muss auch sagen: Bis zum heutigen Tage werden
diese beunruhigenden Untersuchungsergebnisse vom
Bundesumweltministerium ignoriert. Das ist nichts
Neues.
({7})
Das kennen wir, wenn ich mich richtig daran erinnere,
vom Emissionshandel.
Wie beim europäischen Emissionshandel droht Ihnen
demnächst auch bei der europäischen Chemikalienpolitik ein Debakel. Noch ist es ein Landeswirtschaftsminister, nämlich der Herr Schartau, der in einer offiziellen
Stellungnahme zu den Ergebnissen der Projektstudie
ausgeführt hat - diesmal sekundiert von Bärbel Höhn,
Umweltministerin -, dass erhebliche Nachbesserungen
an der neuen Chemikalienrichtlinie unabdingbar und die
an die betroffenen Unternehmen gerichteten Anforderungen vielfach nicht zu erfüllen seien. Dazu sage ich Ihnen: Das sollte Ihnen zu denken geben.
({8})
Ich bin einmal gespannt, was passiert, wenn der Kollege
von Herrn Schartau auf Bundesebene, der Herr Bundeswirtschaftsminister Clement, in dieser Hinsicht aufwacht
und sich räuspert. Ich habe den Eindruck: Dann wird es
auch hier für den Umweltminister eng.
Die FDP weist deutlich darauf hin, dass aufgrund der
neuen europäischen Regelungen zur Chemikalienpolitik
ein unnötiger, kostspieliger und insbesondere für kleine
und mittlere Unternehmen existenzbedrohender bürokratischer Aufwand entsteht, ohne dass Umwelt und
menschliche Gesundheit hiervon profitieren würden. Ich
sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Der Ansatz,
auf die Menge der Chemikalien zu setzen, ist völlig
falsch. Es geht nicht um die Menge, die für die Verarbeitung eines Produktes oder einer Substanz benötigt wird,
sondern um die Gefährlichkeit und die Beherrschbarkeit
im Umgang mit solchen Chemikalien.
({9})
Deshalb hat die FDP-Bundestagsfraktion in dem
heute vorliegenden Antrag die Bundesregierung nochmals aufgefordert, aktiv zu werden. Noch immer fehlt in
dem gesetzgeberischen Vorhaben der EU-Kommission
eine umfassende Untersuchung der wirtschaftlichen
Auswirkungen. Neben den direkten Kosten in Milliardenhöhe drohen ein gigantischer bürokratischer
Aufwand und im Übrigen massive Verwerfungen bei der
künftigen Standortwahl von Chemieunternehmen.
Wir tun gut daran, uns in der Europäischen Union zu
überlegen, ob wir die Unternehmen - bei hohen Umwelt- und Gesundheitsstandards - in der EU halten wollen oder ob wir sie - zu geringeren Standards - ins Ausland treiben und dadurch mit schuld daran sind, wenn
der Umwelt- und der Gesundheitsschutz reduziert werden.
({10})
Herr Schmitt, Sie haben gesagt, es gebe viele Chancen, Kosten zu sparen, wenn die Unternehmen guten
Willens sind. Ich würde sagen: Die Politik müsste zunächst einmal guten Willens sein, eine Regelung zu treffen, die die Unternehmen gar nicht erst dazu zwingt, sich
zu überlegen, wie sie das Ganze irgendwie bewältigen
können. Wir sollten zunächst einmal dafür sorgen, dass
ein guter Gesundheitsschutz und ein hoher Umweltstandard durchgesetzt werden und gleichzeitig mehr Effizienz und weniger Bürokratie in diesem System entstehen. Das schlagen wir vor. Dazu braucht man einfache
und praktikable Regelungen. Die Vorschläge der FDP
dazu liegen auf dem Tisch. Ich hoffe, dass wir vielleicht
im weiteren Verfahren doch noch zu einer Einigung
kommen.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vogel-Sperl,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
ich die Ereignisse der letzten Tage und Wochen zum
Thema Emissionshandel sowie die heutige Debatte zum
EEG, aber auch die Reden von Herrn Paziorek und von
Frau Kollegin Homburger Revue passieren lasse, erkenne ich durchweg Parallelen, nach dem Motto: Wie
viel Umweltschutz können wir uns angesichts einer wirtschaftlichen Krise in einer globalen Weltwirtschaft leisten? Völlig ausgeblendet wird in dieser Argumentation,
dass es gerade der Kurs der ökologischen Modernisierung ist, der es ermöglicht, deutliche Investitionsanreize
zu setzen und sowohl Umwelt und Verbrauchern als
auch der Wirtschaft große Chancen zu eröffnen. Das
EEG - wir haben es soeben verabschiedet - ist das beste
Beispiel dafür, wie man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann.
({0})
Die REACH-Verordnung stellt neben dem Emissionshandel bis dato das ambitionierteste europäische Umweltvorhaben dar. Die Verordnung eröffnet der chemischen Industrie die Entwicklung innovativer Produkte
und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der
Branche. REACH setzt Anreize für mehr Innovationen
und eine zukunftsfähige Wirtschaft. Ich sage Ihnen auch,
warum:
Erstens. Das bisherige Chemikalienrecht verhindert
durch die Ungleichbehandlung von Alt- und Neustoffen
Innovationen. Neu entwickelte Stoffe unterliegen bei der
Vermarktung derzeit höheren Anforderungen als Altstoffe. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen
20 Jahren kaum neue Stoffe in Europa entwickelt wurden. Es waren nur 3 700 Stoffe gegenüber 30 000 Altstoffen mit mehr als 1 Jahrestonne. In Zukunft gilt für
alte und neue Stoffe ein einheitliches Recht. Das heißt,
dass das äußerst ineffiziente Altstoffverfahren, das Unternehmen wie staatliche Behörden überfordert hat,
durch REACH ersetzt wird. In rund zehn Jahren konnten
nur etwa 30 Chemikalien abschließend bewertet werden.
Mit der jetzigen Regelung würden daher frühestens im
Jahr 3000 alle Altstoffe abschließend bewertet sein.
Zweitens. REACH bringt den Unternehmen eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des europäischen
Chemikalienrechts. 40 Richtlinien und zwei Verordnungen werden zu einer einzigen Verordnung zusammengeführt. Das bedeutet Klarheit, Transparenz und Bürokratieabbau.
({1})
Von den angesprochenen 1 200 Seiten - darauf möchte
ich hinweisen - ist der Teil, der wirklich relevant ist, mit
einem Umfang von circa 70 Seiten zu beziffern.
({2})
- Ich nehme zur Kenntnis, dass Ihnen das nicht gefällt.
Aber so ist es manchmal mit der Wahrheit.
({3})
Drittens. REACH setzt Anreize zur Entwicklung qualitativ hochwertiger, sicherer und ökologisch unbedenklicher Stoffe. Denn zum einen erleichtern großzügige
Ausnahmeregelungen für den Forschungsbereich die
Markteinführung neuer Chemikalien, zum anderen werden gefährliche Stoffe nur noch für bestimmte, kontrollierbare Anwendungen zugelassen. Das bedeutet gleichzeitig mehr Akzeptanz bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern in Europa wie auch weltweit. Langfristig
werden innovative und ökologisch unbedenkliche Stoffe
die gefährlichen ersetzen. Das heißt, wer sich früh auf
diese Entwicklung einstellt, wird am Ende zu den Gewinnern zählen.
({4})
Daraus ergibt sich ganz klar: REACH fördert Innovationen und ist gut für eine zukunftsfähige Wirtschaft.
Im Übrigen hat die Kommission das Instrument einer
Verordnung gewählt. Damit ist gewährleistet, dass für
alle Unternehmen in Europa die gleichen Regeln gelten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Wettbewerbsbenachteiligungen durch unterschiedliche
nationale Umsetzungen der Vorschriften können daher
nicht entstehen.
Wie hoch die Kosten für die jeweiligen Unternehmen
konkret sein werden, hängt vor allem davon ab, welche
Daten vorliegen und ob es in der Vergangenheit Versäumnisse gab. Hier gilt ganz klar: Wer als Hersteller
oder Verarbeiter von Chemikalien bisher verantwortungsvoll mit seinen Produkten umgegangen ist und das
Motto „Responsible Care“ ernst genommen hat, wird
von REACH unmittelbar profitieren.
Denn es wäre doch verantwortungslos, wenn ein Hersteller ohne Angaben über den Aggregatzustand, den
Siedepunkt, die Wasserlöslichkeit oder die grundlegenden toxikologischen Eigenschaften mit einer Chemikalie
umgehen könnte. Dies wird mit REACH künftig nicht
mehr möglich sein. Das bedeutet weiterhin, hier kann
vor allem die deutsche chemische Industrie profitieren.
Denn aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung aus
dem Jahre 1997 müssten den meisten deutschen Chemieunternehmen bereits seit langem grundlegende Stoffinformationen vorliegen.
Die meisten mittelständischen Weiterverarbeiter von
Chemikalien sind im Übrigen nur dann vor REACH betroffen, wenn sie die Stoffe auf nicht vorgesehene Weise
verwenden. Sie können dann bei fairer Aufteilung der
Kosten gemeinsam mit dem Hersteller der Chemikalie
eine eventuell notwendige ergänzende Risikobeurteilung
durchführen.
An dieser Stelle eine Bemerkung zum NRW-Planspiel. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie, nur
um das Wie. Das hat die Ministerin eindeutig klar gemacht.
({5})
Nur, diese Punkte sind insbesondere Gegenstand der zukünftigen Verwaltungsvorschrift, nicht des Gesetzes.
({6})
Selbstverständlich sind wir für Vorschläge offen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
fordern in Ihrem Antrag eine umfassende Folgenabschätzung zu REACH. Eines ignorieren Sie dabei jedoch: Es gibt kaum ein vergleichbares Reformwerk, bei
dem seitens der EU-Kommission ein größerer Aufwand
für eine systematische Folgenabschätzung betrieben
wurde. Wir sollten die Kommission bei diesen Bemühungen unterstützen. Das Rad hier noch einmal ganz neu
zu erfinden macht wahrlich keinen Sinn. Deshalb lehnen
wir Ihren Antrag ab.
({7})
Kommen wir zum nächsten Bereich, für den wir
REACH brauchen. Wir brauchen REACH für Umwelt
und Gesundheit und ich sage Ihnen auch hier, warum:
Über den Verbleib und die Verwendung vieler Chemikalien, mit denen wir in Alltagsprodukten oder in Produktionsprozessen tagtäglich in Berührung kommen, wissen
wir einfach viel zu wenig. Das heißt, was für Elektrogeräte eine Selbstverständlichkeit ist, gilt künftig genauso
für die Sicherheit von Chemikalien - bevor sie auf den
Markt kommen, gemäß dem Prinzip „no data - no market“. Das bedeutet, REACH macht die Verwendung von
Stoffen entlang der Produktkette sichtbar und eventuelle
Risiken erkennbar. Die Verwender und Weiterverarbeiter waren bislang nicht in der Verantwortung, ein mögliches Risiko auszuschließen. Das wird sich nun ändern.
Das bedeutet, das Phänomen des „Schadstoffs des Monats“ wird in Zukunft verhindert werden können. Das
heißt, der Verbleib beispielsweise von Azo-Farbstoffen
in Leder und Spielzeugen wird erkennbar. Die Anwendung von PCB in Innenräumen hätte durch REACH verhindert werden können. Die jetzt notwendigen Sanierungsmaßnahmen müssen mit öffentlichen Mitteln
finanziert werden, mit Geld, das besser in die Förderung
des Bildungssystems fließen sollte. REACH wird also
dazu beitragen, gesamtwirtschaftliche Kosten zu senken,
im Vorfeld einzusparen. Genau dies wollen wir mit
REACH erreichen, und deshalb ist REACH gut für Umwelt und Gesundheit.
Bei der Gestaltung der Regelungen für die Unternehmen wollen wir ein optimales Verhältnis zwischen dem
Aufwand und dem umwelt- und gesundheitspolitischen
Nutzen. Genau dies ist Gegenstand unseres Antrags;
deswegen haben wir ihn eingebracht. Darin fordern wir
unter anderem:
Erstens. Das hohe Schutzniveau in Deutschland - sowohl aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der
chemischen Industrie als auch des deutschen
Chemikalienrechts - muss europaweit etabliert werden.
Unter dieses Niveau dürfen wir nicht zurückfallen. Dies
ist nicht nur für den Umwelt- und Verbraucherschutz,
sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie unverzichtbar.
Zweitens. Wir brauchen aussagekräftige Daten über
Chemikalien, um eine angemessene Risikobeurteilung
zu ermöglichen. Sonst wird REACH zu einer nutzlosen
Datensammlung; daran kann niemand ein Interesse haben.
({8})
Drittens wollen wir praktikable Regelungen für die
mittelständischen Unternehmen. Bei der Registrierung
von Stoffen soll gelten: „Einer für alle - alle für einen.“
Um gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen Kosten und Aufwand so gering wie möglich zu
halten, sollten vorliegende Konzepte wie „ein Stoff - ein
Dossier“ geprüft werden.
Viertens. Um doppelte Tierversuche zu verhindern,
sind verbindliche Regelungen zur gemeinsamen Datennutzung in der Verordnung notwendig. Das deutsche
Chemikalienrecht bietet auch hier praktikable Lösungen.
Hier funktioniert die gemeinsame Datennutzung im Übrigen sehr gut. Gleichzeitig sollte mit REACH die
Chance genutzt werden, tierversuchsfreie Testverfahren
international zu etablieren; auch dies ist eine weitere
Chance für Innovationen.
Fünftens. Der Zugang von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu risikorelevanten Daten muss gewährleistet sein. Die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse kann
dabei selbstverständlich durch entsprechende Regelungen und technische Maßnahmen gewährleistet werden.
Das sollte im Zeitalter der Informationstechnologien nun
wahrlich kein Hindernis sein.
Letzter Punkt. Es werden zwar gleiche Anforderungen an Hersteller und Importeure von Stoffen gestellt,
aber nicht an den Import von Produkten. Es muss aber
zeitgleich mit In-Kraft-Treten der Verordnung eine Lösung gefunden werden, um zu verhindern, dass schadstoffbelastete Konsumgüter, zum Beispiel Textilien,
durch die Hintertür ungehindert nach Europa kommen
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden REACH
zu einem effektiven und praktikablen Instrument machen, das nicht nur ein Mehr an Umwelt- und Verbraucherschutz bringt, sondern auch der chemischen Industrie in Europa neue Chancen für zukunftsfähige
Innovationen eröffnet.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
Ziel, das europäische Umweltrecht zu vereinfachen und
zu straffen, hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag zur Neuordnung des europäischen
Chemikalienrechts verabschiedet. Kernpunkt des Entwurfs ist ein neues, einheitliches Chemikalienkontrollsystem mit dem Namen REACH. REACH steht für Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung
chemischer Stoffe.
Der Verordnungsvorschlag der EU zur Chemikalienpolitik enthält aber einen solchen bürokratischen Wust,
dass eines schon jetzt sicher ist: Ohne Änderungen wird
es mit diesem Bürokratieungetüm keine schlanke Umweltgesetzgebung geben.
({0})
Das hat auch bereits die SPD-geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in einem REACHPraxistest festgestellt. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen werden - ob als Hersteller, Importeure
oder so genannte nachgeschaltete Anwender - durch einzelne REACH-Anforderungen durch bürokratischen
Mehraufwand erheblich belastet. Die meisten dieser Unternehmen können vor allem eine fachliche Stoff- und
Risikobeurteilung in der nach REACH geforderten Detailtiefe und in dem entsprechenden Umfang derzeit
nicht gewährleisten. Die Belastung trifft aber auch Großunternehmen, die als Stoffhersteller die geforderte Risikobewertung entlang der ganzen Wertschöpfungskette
vornehmen müssen.
Außerdem stellte die NRW-Landesregierung in ihrem
Praxistest fest, dass die Vorschläge unpraktikabel sind
und dass viele Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette überfordert werden. Diese Ergebnisse
zeigen den Handlungsbedarf bei der Bundesregierung
auf, sich für eine erhebliche Vereinfachung des EU-Entwurfs einzusetzen.
({1})
Insofern reicht der Antrag zur nachhaltigen Chemiepolitik von SPD und Grünen nicht aus. Dieser Antrag
enthält noch nicht einmal eine realistische und schon gar
keine ausgewogene Darstellung des EU-Verordnungsvorschlages. Ihr Antrag, verehrte Kollegen, lässt alle bereits zum Vorentwurf erwähnten Mängel einfach unberücksichtigt und enthält keine der dringend notwendigen
Verbesserungen.
({2})
Zentrale Forderungen, die notwendig sind, um REACH
unbürokratisch, praktikabel, kosteneffizient und wettbewerbsgerecht zu machen, haben Sie in Ihrem Antrag nur
vage formuliert oder komplett vergessen.
({3})
Verehrte Kollegen von der SPD, Ihr Parteikollege
Harald Schartau, Minister für Wirtschaft und Arbeit in
Nordrhein-Westfalen, hat am 13. Januar 2004 in einer
Presseerklärung zu REACH erklärt - wie auch schon
Dr. Paziorek ausgeführt hat; es ist wirklich ganz wichtig -:
({4})
Chemiestandorte brauchen auch Akzeptanz und
dazu ist moderner Umwelt- und Verbraucherschutz
unabdingbar. Deshalb arbeiten wir konstruktiv an
der Verordnung mit. Aber genauso klar ist auch:
Käme sie in ihrer jetzigen Form, würde die Konkurrenzfähigkeit unserer Chemieindustrie stark beeinträchtigt.
({5})
Das muss auch mit aller Deutlichkeit und auf allen
Ebenen klar gemacht werden.
- So Herr Schartau. Recht hat er! Ich gehe davon aus,
dass Sie, Herr Minister Clement, dieselbe Ansicht vertreten.
({6})
Insgesamt müssen daher die geltenden Regelungen so
ausgestaltet werden, dass die deutschen und andere europäische Firmen im globalen Wettbewerb gegenüber
Konkurrenten aus Asien und den USA nicht benachteiMarie-Luise Dött
ligt werden. Lassen Sie mich darum ganz deutlich sagen:
Ich unterstütze voll und ganz die Kommission der Europäischen Union, die das Durcheinander von 40 Richtlinien und Verordnungen, die derzeit EU-weit den Umgang mit Chemikalien regeln, durch ein einheitliches
Regelwerk zusammenfasst, und ich unterstütze das Ziel,
den Gesundheits- und Umweltschutz weiter zu verbessern, wobei gleichzeitig die Wettbewerbs- und die Innovationsfähigkeit der europäischen Unternehmen nicht
gefährdet werden sollen.
({7})
Wenn aber das REACH-System das zentrale Element
des neuen Chemikalienrechts werden soll, dann muss
auch klar sein, dass REACH erhebliche Auswirkungen
nicht nur auf die chemische Industrie in Deutschland,
sondern auch auf alle Industriezweige haben wird, die
chemische Stoffe verarbeiten oder nutzen. Damit wird
REACH Einfluss auf die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaft insgesamt haben.
Ich sehe daher Nachbesserungsbedarf in folgenden
Bereichen:
Erstens. Die aufwendige und bürokratische Registrierung von Stoffen führt zu produktbezogenen Kostensteigerungen von teilweise mehr als 100 Prozent, die
sich am Markt nicht durchsetzen lassen werden. Die Folgen sind absehbar: der Wegfall von Stoffen, die Verlagerung ganzer Betriebsteile in Staaten außerhalb der EU
sowie der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und damit
von Arbeitsplätzen.
Zweitens. Das ausgedehnte Autorisierungsverfahren,
das auf „weitere Besorgnis erregende Stoffe“ ohne klare
Kriterien erweitert wird, führt zu Rechtsunsicherheit und
zu einer Überlastung des Systems.
Drittens. Der vorliegende Verordnungsentwurf regelt
auch Bereiche, die bereits durch EU- oder nationales
Recht ausreichend abgedeckt sind, zum Beispiel das Arbeitsschutzrecht, das Abfallrecht und die Vorschriften zu
Gefahrstoffen und zum Immissionsschutz.
({8})
Vergessen wir eines nicht: Gerade für Deutschland
steht viel auf dem Spiel; denn kein anderes Land in der
EU macht höhere Umsätze im Bereich der Chemie. Um
die Relationen deutlich zu machen: 2002 lag der Umsatz
deutscher Chemieunternehmen immerhin bei 132 Milliarden Euro; das entspricht rund 7 Prozent des weltweiten Umsatzes. In der Chemieindustrie arbeiten hierzulande insgesamt mehr als 460 000 Menschen, in einer
Branche, die von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt ist. Das heißt konkret, dass über 40 Prozent der
Chemieunternehmen weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigen.
({9})
Es sind vor allem diese Mittelständler, die die Brüsseler Pläne schnell die Existenz kosten können; denn sie
stellen meist Spezialchemikalien in geringen Mengen
her, deren Produktion durch REACH unrentabel wird.
Daher mein Appell an Sie: Erschlagen Sie unsere mittelständischen Unternehmen nicht mit der bürokratischen
Verordnungskeule!
Danke.
({10})
Ich begrüße an dieser Stelle recht herzlich den Vizepräsidenten des ungarischen Parlaments mit seiner Delegation auf der Tribüne. Herzlich willkommen in unserem
Reichstag!
({0})
Das Wort hat die Kollegin Doris Barnett, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Dött, wir vergessen nichts. Auch wir wissen,
dass die chemische Industrie in Europa, erst recht in
Deutschland eine beherrschende Stellung hat. Fast ein
Drittel der Wertschöpfung in dieser Branche wird von
Deutschland erbracht. Auch als Arbeitgeber hat die deutsche chemische Industrie eine herausragende Position;
denn - das ist auch in diesem Bereich so - ein Drittel aller Arbeitsplätze in der Chemie wird von Deutschland
gehalten. Das soll auch so bleiben.
Mir ist schon wichtig, die Bedeutung der chemischen
Industrie herauszustellen, nicht zuletzt, weil in meiner
Heimatstadt Ludwigshafen fast ausschließlich chemische Unternehmen zu Hause sind. Das prägt auch das
Bewusstsein von den Leistungen der chemischen Industrie für mehr Wirtschafts- und Lebensqualität.
Nun hat sich die Europäische Union in Lissabon zum
Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der
Welt zu werden. Wachstum, Wohlstand und weitere wirtschaftliche Entwicklung brauchen aber ein wettbewerbsfähiges produzierendes Gewerbe in Europa und da spielt
die chemische Industrie nun einmal eine Schlüsselrolle.
Allerdings - auch dieses Ziel hat sich Europa gesetzt soll die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig sein;
denn Ökonomie und Ökologie vertragen sich.
({0})
Das heißt: Die Herstellung chemischer Produkte soll auf
einem hohen Niveau an Schutz für die menschliche Gesundheit und die Umwelt erfolgen, ohne das effiziente
Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu gefährden.
Im Gegenteil, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie soll gestärkt werden und damit
auch ihre Innovationsfähigkeit. - Mit dem von der Kommission im letzten Oktober vorgelegten Entwurf einer
REACH-Verordnung sollen diese Ziele erreicht werden.
An dieser Stelle darf ich darauf hinweisen, dass es
durch das gute Zusammenspiel von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also von Bundesregierung,
VCI und IG BCE, gelungen ist, Einfluss auf die Ausgestaltung der Chemikalienverordnung zu nehmen. Gerade
weil die chemische Industrie eine so herausragende Stellung in Deutschland hat, müssen wir darauf achten, dass
sie diese im globalen Wettbewerb behält und ausbaut.
Prävention und Substitution dürfen nicht nur bei der
Medizin Anwendung finden; auch in der Chemie gewinnen sie an Bedeutung. Sichere, möglichst unschädliche
Produkte, zum Teil ersetzt durch neue Stoffe, werden
sich gegenüber denjenigen, von denen man eben nicht
weiß, ob sie gefährlich sind und worin ihre Gefahr besteht, durchsetzen. Darin wird dann auch ihr Wettbewerbsvorteil liegen. Die deutschen Chemieunternehmen
haben in dieser Richtung schon viel im Wege der freiwilligen Verpflichtung getan. Dabei vergessen wir nicht,
dass die Mehrzahl dieser Firmen kleine und mittlere Betriebe mit weniger als 250 Mitarbeitern sind. Deshalb
darf REACH nicht dazu führen - da haben Sie vollkommen Recht -, dass besonders für diese Unternehmen die
Kosten und Aufwendungen so hoch sind, dass sich der
Betrieb nicht mehr lohnt. Darauf wird bei den kommenden Beratungen im Europäischen Parlament zu achten
sein.
Lassen Sie mich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt
Ludwigshafen nennen - nicht BASF -: Das Chemieunternehmen Raschig produziert circa 200 Chemikalien
und erzielt damit ungefähr 65 Millionen Euro Umsatz.
Diese Summe machte im letzten Jahr zwei Drittel des
Gesamtumsatzes aus. Der Rest des Umsatzes wird mit
Kunststoffen und in anderen Bereichen erzielt. Der gesamte Jahresüberschuss nach Steuern betrug letztes Jahr
0,5 Millionen Euro. Im Unternehmen arbeiten deutschlandweit etwa 500 Menschen.
Raschig hat auf der Basis des aktuellen REACH-Vorschlages berechnet, dass von den 200 Chemikalien circa
140 von REACH betroffen wären. Die umfänglichen
Prüf- und Registrierungsverfahren für diese Stoffe würden Kosten von bis zu 18,5 Millionen Euro, so sagt die
Firma, verursachen. Selbst wenn man diese Kosten auf
eine Zeitachse von zehn Jahren verteilte und man in Bezug auf die Höhe der Kosten Abstriche machte, sie nur
zur Hälfte akzeptierte, wäre die jährliche Belastung höher als der gesamte Jahresüberschuss. Ein Unternehmen
wie Raschig würde das schwerlich stemmen können.
Hier setzen wir an, wenn wir unser besonderes Augenmerk auf die Kostenseite der Umsetzung der Verordnung richten; denn wir wollen unter keinen Umständen
die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im globalen Markt aufs Spiel setzen. So könnte ein wichtiger
Hebel für ein praktikables Registrierungsverfahren die
Verständigung auf Expositions- und Verwendungskategorien sein, wie es von Rheinland-Pfalz, aber auch von
NRW vorgeschlagen wird. Dieser Ansatz deckt sich mit
der gemeinsamen Position von Bundesregierung, VCI
und IG BCE. Wir unterstützen sie.
Wir unterstützen mit unserem Antrag ebenfalls die
Bundesregierung in ihrer Forderung, aufgrund der im
NRW-Planspiel zur Registrierung gewonnenen Erfahrungen eine eingehende Folgenabschätzung auch auf europäischer Ebene durchzuführen. Die Vorbereitungen
dazu sind nach Gesprächen der Europäischen Kommission und der Industrie, die zu einem Memorandum of
Understanding über Umfang und Verfahren des Impact
Assessments führten, auf gutem Wege. Ich bin hier anderer Auffassung als einer meiner Vorredner.
Ich sage es nochmals: Arbeits-, Gesundheits- und
Umweltschutz sind hohe Güter. Das Kostenargument
darf ihnen gegenüber nicht zum Totschlagargument werden.
({1})
Andererseits müssen die durch REACH verursachten
Kosten der Frage nach dem Nutzen, dem realen, notwendigen Mehr an Sicherheit standhalten.
Wir fordern natürlich auch, dass importierte chemische Produkte den gleichen strengen Sicherheitsanforderungen unterliegen wie die in Europa hergestellten;
denn zum Beispiel für die Arbeitnehmer des erwachenden Wirtschaftsriesen China wären schärfere Sicherheitsbestimmungen zum Beispiel dringend geboten.
Deshalb fordern wir auch die Implementierung des
REACH-Systems in das der WTO-Abkommen. Nur
dann hätten wir einen weltweiten fairen Wettbewerb. Bis
dahin liegt aber noch eine lange Wegstrecke vor uns,
weshalb wir auf europäischer Ebene mit Bedacht vorgehen müssen. Schauen Sie einmal, was wir mit den Polymeren vorhaben.
Wir stehen zum Wettbewerb, aber wir können es uns
auch aus Kostengründen nicht mehr leisten, die Gesundheit der Menschen und eine intakte Umwelt zu vernachlässigen. Beides muss uns gleich viel wert sein - Ihnen
hoffentlich auch. Deshalb laden wir Sie ein: Stimmen
Sie unserem Antrag zu!
Die Chemie ist ein starkes Stück Deutschland.
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit.
Das soll auch so bleiben, deshalb setzen wir auf Innovationen, Mut zur Erneuerung, aber auch auf Offenheit
für Veränderungen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dies ist
die zweite Debatte heute, bei der wir uns über die Zielsetzung einig sind. Allerdings sind wir hinsichtlich der
einzusetzenden Instrumente uneinig. Dazu, ob sich das
Chemikalienkontrollsystem mit dem schönen Namen
REACH auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
Chemiewirtschaft im Vergleich zu der beispielsweise in
Südostasien vorteilhaft oder negativ auswirken wird,
gibt es unterschiedliche Auffassungen. Es darf aber unter gar keinen Umständen dazu kommen, dass mit dieser
Verordnung ein neuer Bürokratiesaurier geschaffen wird.
Davon haben wir bereits genug.
({0})
Angesichts dessen, dass schon die nordrhein-westfälische Landesregierung zu der Erkenntnis gekommen ist,
dass hier Vorsicht geboten ist, ist es für die Bundesregierung meines Erachtens allerhöchste Zeit, in Brüssel massiv vorstellig zu werden, damit wir die Entwicklung
noch rechtzeitig beeinflussen können.
In meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von
chemischen Betrieben, insbesondere mittelständische.
Mit Vertretern dieser Unternehmen habe ich in den vergangenen Monaten gesprochen, weil mir natürlich ihre
internationale Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig ist.
Der Anteil der Produkte, die in außereuropäische Länder
exportiert werden, liegt bei diesen Unternehmen, auch
bei den kleineren, bei einer Größenordnung von 70 bis
90 Prozent.
Angesichts der Horrormeldungen, die wir täglich darüber hören, welche Firmen wieder Arbeitsplätze ins
Ausland verlagern wollen - gestern haben wir eine solche Nachricht von Siemens bekommen -,
({1})
müssen wir uns intensiv mit der Frage beschäftigen, wie
wir Arbeitsplätze in Deutschland halten. Die chemische
Industrie bietet lukrative Arbeitsplätze, die für unser
Land wichtig sind. Es ist eine zentrale Aufgabe der Politik, darauf zu achten. Die chemische Wirtschaft in
Deutschland besteht aber nicht nur aus den Großbetrieben und den großen Konzernen, es gibt auch eine
Vielzahl kleiner und mittlerer Betriebe, die sich mit Erfindergeist, Risikobereitschaft, Mut und Ausdauer ihre
Marktnischen erobert haben. Auf diese müssen wir besonders achten. Dabei dürfen wir natürlich nicht die Aspekte Umweltschutz und Gesundheitsfürsorge aus dem
Auge verlieren.
Durch ein neues europäisches Kontrollsystem entstehen für die Betriebe unweigerlich neue Kosten. Die Neigung und die Fähigkeit zu Innovationen in dieser Branche werden abnehmen. Das bedeutet in Deutschland und
in Europa einen Verlust von Arbeitsplätzen. Das gilt aber
nicht nur unmittelbar für die chemische Industrie, das
gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft, insbesondere
für das Handwerk. Die Entwicklungskosten werden vermutlich zu höheren Preisen führen.
Ich unterstütze ausdrücklich die Ziele bei der Neuausrichtung eines europäischen Chemikalienrechts. Wir
wollen den hohen Sicherheitsstandard in den Bereichen
Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz halten. Bei
einer Neugestaltung müssen wir aber auch Augenmaß
beweisen. Kosten und Nutzen müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Wir haben in die heutige Debatte zwei Anträge eingebracht. Der eine Antrag trägt die Überschrift: „Strategie
für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland und
Europa“. Wir wollen, dass durch die Neuordnung der
europäischen Chemikalienpolitik die Innovations- und
Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie verbessert wird. In diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, in Brüssel vorstellig zu werden, damit noch
rechtzeitig umgesteuert werden kann.
Der andere Antrag lautet: „Unabhängige Folgenabschätzung der neuen EU-Chemikalienpolitik“. Darin fordern wir, dass eine wirklich unabhängige Studie zur
Untersuchung der ökonomischen Folgen in Auftrag gegeben wird, die möglichst breit angelegt sein sollte.
Aufgrund einer Internetkonsultation aus dem Jahr
2003 verfügt die Europäische Kommission bereits über
erste Erkenntnisse von Praktikern. Diese sollten im weiteren Verfahren unbedingt berücksichtigt werden. Dabei
geht es um einige sehr wichtige Punkte, nämlich um die
hohen Registrierungskosten und die Anforderungen für
unter strenger Kontrolle transportierte Zwischenprodukte, darum, dass chemische Produkte innerhalb der
Chemieparks als Zwischenprodukte gelten, um Zulassungsverfahren, die auf zentraler Ebene durchgeführt
werden sollen, und darum, dass Doppelregelungen unbedingt vermieden werden, der Rechtsschutz eingehalten
wird und die Patentregeln verbessert werden. Ferner
wollen wir auf alle Fälle vermeiden - darauf wurde in
dieser Debatte noch nicht hingewiesen -, dass es durch
diese Verordnung wieder zu mehr Tierversuchen kommt.
Schließlich haben wir uns sehr dafür eingesetzt, dass der
Tierschutz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert wird.
({2})
Ich habe eine Bitte an die Vertreter der Regierungskoalition: Sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung
die Interessen der deutschen und der europäischen chemischen Wirtschaft so in Brüssel vertritt, dass durch
diese Verordnung keine Nachteile für unsere Unternehmen entstehen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Ernst Ulrich von
Weizsäcker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon
als Schüler war ich von der Chemie fasziniert. Ich habe
dann ein paar Semester Chemie studiert. Die ungeheure
Vielfalt der Stoffe, die wir erzeugen und mit denen wir
umgehen, fand ich großartig. Später bin ich dann in die
Physik und in die Biologie gewechselt. Die Faszination
ist bei mir aber auf jeden Fall geblieben.
Ich bewundere die Tausende von Chemikern, Ingenieuren und Managern, die es geschafft haben, Hunderttausende verschiedene Stoffe zu produzieren, zu prüfen,
auf den Markt zu bringen und damit Millionen von Arbeitsplätzen zu schaffen.
({0})
Wir haben allen Grund, mit der Chemiebranche pfleglich umzugehen. Die Chemiebranche ist in höherem
Maße als fast alle anderen Branchen auf dauerndes Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher angewiesen.
({1})
Das weiß man aus den vergangenen 20 bis 30 Jahren
Umwelt- und Verbraucherpolitik.
Dieses auf Dauer zu erhalten ist die eigentliche Absicht, die hinter REACH steht. Es besteht doch kein
Zweifel an dem grundlegenden Reformbedarf bezüglich
der Regelung bei Chemikalien. In den Worten des Sachverständigenrats für Umweltfragen duldet die bisherige
Chemikalienpolitik - ich zitiere nicht zu verantwortende Wissenslücken hinsichtlich
der Eigenschaften und Verwendungen Zehntausender auf dem Markt befindlicher Altstoffe. Das geltende Kontrollsystem ist schwerfällig und zeitaufwendig.
Die Jahreszahl 2003 ist dabei genannt worden.
Die Überwindung dieses nicht zu verantwortenden
Zustands ist aber auch nicht ohne Aufwand zu erreichen.
Das sieht jeder, der sich den REACH-Verordnungsentwurf vom Oktober 2003 anschaut. Alle bisherigen Rednerinnen und Redner haben die Notwendigkeit einer
Kostenbegrenzung und der Folgenabschätzung betont.
Ich möchte erwähnen, dass der Entwurf vom Oktober im
Gegensatz zu früheren Entwürfen - einschließlich des
Weißbuchs - einigen dieser Bedenken bereits Rechnung
trägt. Ich will aber nicht bestreiten, dass es noch Nachbesserungsbedarf gibt. Das ist in unserem Antrag zum
Ausdruck gebracht worden. Wir treten hier in einen Prozess von zehn Jahren ein; das geht ja nicht von heute auf
morgen.
Noch immer stellen sich die Kosten für einzelne mittelständische Hersteller - Frau Dött hat darauf hingewiesen - insbesondere von Fein- und Spezialchemikalien
besorgniserregend hoch dar. Auf der anderen Seite sind
gerade für die Fein- und Spezialchemikalien aus
Deutschland die Weltmarktchancen ausgezeichnet. Gerade in China, aber auch in anderen dicht besiedelten
asiatischen Ländern beobachten wir in den letzten zehn
Jahren eine laufende, teilweise rasante Verschärfung der
Gesundheits- und Umweltauflagen. Die Behörden wollen immer genauer wissen, was sich hinter den importierten Chemikalien verbirgt und wo es möglicherweise
Risiken gibt. Das gilt ganz besonders für Altstoffe.
Frau Vogel-Sperl hat schon mit Recht darauf hingewiesen, dass es für unsere Innovationskraft sehr darauf
ankommt, die Ungleichbehandlung von Altstoffen und
Neustoffen zugunsten der Neustoffe zu beenden, damit
wieder Innovationskraft in unser Land kommt. Das ist
für die Weltmärkte besonders wichtig.
({2})
Wir Deutschen sollten bald dazu übergehen, REACH als
Marketinginstrument für die Länder, in denen die Besorgnis über Bedrohungen aus der Chemie in den letzten
zehn Jahren rasant angestiegen ist, zu verwenden.
Wir stehen zu unserer Chemiebranche. Wir stehen
aber auch zu unserer Chemiepolitik. Sie hat die Zielsetzung, auch künftigen Generationen, jungen Menschen
wie erfahrenen Ingenieuren, die Freude am Umgang mit
Stoffen und an der Chemie zu erhalten. In diesem Sinne
können wir unseren Antrag zur REACH-Verordnung nur
unterstützen.
Vielen Dank.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Helge Braun, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das, was Sie hier gerade als Ihre Chemikalienpolitik skizziert haben, bedeutet einen grundsätzlich anderen Weg als das, was der Kanzler in seinen Innovationsoffensiven beschreibt. Es bedeutet auch einen völlig
anderen Weg als das, was der neue Parteivorsitzende der
SPD, Müntefering, meint, wenn er davon redet, dass
Deutschland im Bereich Innovation wieder Spitze werden soll.
({0})
Bei zahlreichen Argumenten, die Sie hier angeführt
haben, wird deutlich, dass Sie sich der wirklichen Lage,
die eine solche Verordnung bewirken würde, offenbar
überhaupt nicht bewusst sind.
({1})
Sie haben erklärt: Über viele Altstoffe, die seit 20 Jahren
auf dem Markt sind, wissen wir überhaupt nichts. Deswegen sind unter anderem Tierversuche notwendig, um
Informationen über diese Stoffe zu bekommen. - Ich
frage Sie: Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon,
wie viele Tierversuche durchgeführt werden müssen, um
bessere Informationen zu bekommen, als das bisher
durch jahrzehntelanges, tonnenweises industrielles Verarbeiten dieser Stoffe der Fall war?
({2})
Das sind Größenordnungen, die mit dem Tierschutz, den
Sie bisher gemacht haben, in keiner Weise vereinbar
sind.
({3})
Zu der Frage, was an dieser Richtlinie unter dem Aspekt Innovationen bemerkenswert ist, will ich einige
Anmerkungen machen. Die chemische Industrie macht
im Jahr mit Produkten, die sie neu auf den Markt bringt,
19 Milliarden Euro Umsatz. 18 Prozent der Gesamtausgaben der Wirtschaft in Deutschland für Forschung und
Entwicklung stammen aus dem Bereich der chemischen
Industrie. Die chemische Industrie weist darüber hinaus
mit einem Anteil von 6 Prozent ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung den höchsten Anteil von allen
Wirtschaftsbereichen auf.
({4})
Wie ist die Situation? Wir haben heute über das EEG,
die Einbeziehung der Netzwerke von Firmenstandorten
in dieses Gesetz und die finanziellen Belastungen für die
chemische Industrie gesprochen.
({5})
Diese Woche hat die OPEC beschlossen, dass die Ölpreise hoch bleiben. Das bedeutet konstant hohe Rohstoffpreise für die chemische Industrie.
({6})
Hinzu kommen die allgemeinen Strukturprobleme auf
dem Arbeitsmarkt, die Ausbildungsplatzabgabe und jetzt
noch die REACH-Verordnung. Wir wollen doch nicht
wirklich das Signal aussenden, dass in einer Phase wirtschaftlicher Stagnation, in der alle von Innovationen reden, unsere Forscher in den Labors 30 000 Altstoffe bewerten sollen, statt dass sie sich jeden Tag um die
Erforschung neuer Produkte bemühen.
({7})
Überlegen Sie sich außerdem, dass bei den Neustoffen eine 1 200 Seiten umfassende Richtlinie zu beachten
ist.
({8})
Die ist von mittelständischen Unternehmen praktisch
nicht umsetzbar. Wir müssen aber darauf achten, dass
wir neue Chemikalien in Deutschland früher auf den
Markt bringen, als das in anderen Wissenschaftsregionen
der Fall ist. Wir werden jedenfalls mit der REACH-Verordnung nicht zum Wissenschaftsstandort Nummer eins
in der Welt werden.
({9})
Ich will mich jetzt nicht darauf kaprizieren, ob die
Kosten, die für die Altstoffbewertung aufgewendet
werden müssen, 2 Milliarden Euro, die Sie zugestehen,
oder 5 Milliarden Euro, 7 Milliarden Euro oder noch
mehr betragen. Aber ich will die Dimension des Problems einmal aufzeigen. Der Kanzler hat in dieser
Woche im Rahmen der Partnerschaft für Innovationen
verkündet, dass die Bundesregierung zusätzlich 540 Millionen Euro bereitstellen wird, um Innovationen zu fördern. Das ist eine verschwindend kleine Summe, wenn
man auf der anderen Seite die Belastung allein der chemischen Industrie durch diese Einzelmaßnahme sieht.
Die Kosten sind wesentlich höher als der Betrag, der für
die gesamte Innovationsoffensive zur Verfügung gestellt
wird. Deshalb, meine Damen und Herren: Die Chemie
stimmt an dieser Stelle in keiner Art und Weise.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zum Antrag
der CDU/CSU auf Drucksache 15/2654 mit dem Titel
„Unabhängige Folgenabschätzung der neuen EU-Chemikalienpolitik“. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben beantragt, den Antrag zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung
an die Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit, Gesundheit
und Soziale Sicherung, Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den Überweisungsvorschlag vor. Ich
bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/
CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Damit stimmen wir heute nicht in der Sache ab.
Tagesordnungspunkt 18 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2666 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
({0})
- Ich hoffe, die Abgeordneten haben den Ruf ihres Geschäftsführers gehört.
({1})
Tagesordnungspunkt 18 c. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/2775.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/1356 mit dem Titel „Stra-
tegie für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland
und Europa“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/1332 mit dem Titel „Leis-
tungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im euro-
päischen Rahmen sichern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koa-
lition gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der FDP angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur optionalen
Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch ({2})
- Drucksache 15/2816 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({3})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verabschiedung eines Optionsgesetzes
- Drucksache 15/2817 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Wolfgang Clement.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie wir alle wissen, geht es bei dem so genannten kommunalen Optionsgesetz, über das wir heute diskutieren, nur um einen Teil eines großen Reformwerks,
das uns gelingen muss. Dieses Reformwerk ist das Herzstück der Arbeitsmarktreformen, nämlich die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Leistung in Form der neuen Grundsicherung
für Arbeitssuchende. Ich denke, wir alle wissen, wie
wichtig das ist.
Nur durch eine einheitliche Betreuung und Leistung
können wir vermeiden, dass Langzeitarbeitslose weiterhin zwischen den Institutionen, zwischen den verschiedenen Fürsorgesystemen in Deutschland hin- und hergeschoben werden, wie es bisher viel zu häufig der Fall ist.
In dieser Sache sind wir uns einig. Das haben auch die
Verhandlungen im Vermittlungsverfahren im Dezember
vergangenen Jahres gezeigt.
Ich denke, wir sind uns auch darüber einig, dass es
neben der besseren Betreuung von Arbeitssuchenden
wichtig ist, dass sich auch die Arbeitssuchenden selbst
aktiv um eine neue Arbeitsmöglichkeit bemühen. Unsere
Maxime „Fördern und Fordern“ ist ein Leitgedanke der
neuen Grundsicherung für Arbeitslose. Über die Umsetzung dieser Maxime erhält jeder bzw. jede Arbeitsuchende die Unterstützung, die er oder sie braucht. Wir
stellen sicher, dass jeder Grundsicherungsempfänger
eine qualifizierte Betreuung bekommt, die diese Bezeichnung auch verdient.
Aber wir verlangen von ihm oder ihr, alles zu tun, um
die Arbeitslosigkeit zu beenden. Dazu gehört auch, dass
künftig jede legale Erwerbstätigkeit prinzipiell zumutbar
ist. Das hat vielfach zu Kritik geführt. Ich halte es aber
für falsch, den Arbeitsmarkt in seiner jetzigen Ausprägung zu belassen, indem man Arbeitssuchende gewissermaßen sich selbst überlässt, statt dafür zu sorgen, dass
sie wieder Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Darum geht es bei den Reformen, die wir jetzt zur Diskussion stellen.
Was wir uns in diesem Zusammenhang vorgenommen
haben und was im Gesetz bereits vorgesehen ist, nämlich
die Zusammenführung der beiden Fürsorgesysteme zu
einem einzigen System, der neuen Grundsicherung, wird
auch realisiert. Die Zusammenlegung der Arbeitslosenund Sozialhilfe wird, um das in aller Klarheit zu sagen,
ungeachtet des Disputs über das Optionsgesetz realisiert,
und zwar zum 1. Januar 2005.
({0})
Das heißt, sie wird ab dem 2. Januar 2005 in die Praxis
umgesetzt. Zu diesem Zweck ist die Bildung von Arbeitsgemeinschaften vorgesehen.
Ich trage und übernehme die Verantwortung dafür,
dass dieses Vorhaben gelingt. Das sage ich auch ungeachtet derer - die wir alle kennen -, die immer wieder
von Chaos, von einer Katastrophe, vom sicheren Scheitern, von Murks und was nicht allem sprechen. Wir werBundesminister Wolfgang Clement
den sie am Wegesrand stehenlassen und die Reform realisieren. Sie ist unausweichlich notwendig.
({1})
Die Bundesagentur für Arbeit hat die Gespräche zum
Aufbau der Arbeitsgemeinschaften mit den Kommunen längst aufgenommen. Die Gespräche laufen und
werden voraussichtlich im Mai in entsprechende Vertragsabschlüsse münden. Schon jetzt finden Gespräche
über die Ausstattung der einzelnen Pilot-Jobcenter statt.
Ich gehe davon aus, dass wir mit den Kommunen zu einer Verständigung kommen.
Und um das aufzunehmen, was in den Debatten eine
Rolle spielt - ich verfolge das alles aufmerksam; gestern
war wieder einmal drastisch vom drohenden Chaos die
Rede -: Wir sind mithilfe von Experten - um es klar zu
sagen: von der Telekom bzw. von T-Mobile ({2})
dabei, die erforderlichen IT-Programme zu entwickeln,
um denjenigen, die in Zukunft vor Ort die Verantwortung für die Arbeitssuchenden übernehmen, die notwendige Sicherheit im Umgang mit dem Problem zu bieten.
Sie können davon ausgehen, dass wir uns mit aller Akribie und Sorgfalt darum bemühen.
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Vorhaben gelingen wird, auch wenn niemand - auch ich nicht - ausschließen kann, dass auf diesem Weg Fehler begangen
werden. Es wird sicherlich zu Fehlern kommen. Mir ist
auch bewusst, dass es zu eruptiven Ausbrüchen über solche Fehler kommen wird. Das ist nun einmal Bestandteil
der politischen Auseinandersetzung. Das wird uns aber
nicht von der Notwendigkeit abhalten, die Arbeitsvermittlung in Deutschland endlich wieder vom Kopf auf
die Füße zu stellen. Wir müssen sie aus der Bürokratie
herausholen und als eine in den Kommunen und mit den
Kommunen handhabbare Aufgabe gestalten.
({3})
Parallel dazu sprechen die Fachleute unseres Ministeriums - des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit - und des Finanzministeriums mit den Ländern und
den Kommunen über die kommunale Finanzausstattung.
Wie Sie alle wissen, gibt es ziemliche Differenzen bei
den Erwartungen und den Prognosen über die finanzielle
Ausstattung.
({4})
- Sie rufen zu Recht immer dazwischen. Das ist auch gut
so und belebt meinen Kreislauf.
({5})
Wir wollen zum einen versuchen, Bund, Länder und
Kommunen auf eine gemeinsame Berechnungsbasis zu
stellen. Damit sich niemand falsche Vorstellungen
macht: Davon sind wir gar nicht mehr so weit entfernt.
Wir versuchen zum anderen, dort, wo wir uns heute nur
auf Erwartungen und Prognosen stützen können, Lösungen zu finden; denn dort sind auch die finanziellen Auswirkungen prognoseabhängig und damit meistens strittig. Ich bin sicher, dass wir hier - etwa durch Spitzabrechnungen im Nachhinein - zu einer Verständigung
mit der kommunalen Seite kommen werden.
Ich sage noch einmal: Jawohl, die 2,5 Milliarden
Euro, die wir, der Bundeskanzler, der Finanzminister
und - unnötigerweise - auch ich, zugesagt haben, werden tatsächlich den Kommunen zugute kommen, und
zwar dort, wo es Not tut, auch über die Länder, die das,
was sie durch den Umbau gewinnen, an die Kommunen
entsprechend ihrem Bedarf weiterleiten werden.
Vor diesem Hintergrund - das ist das eigentliche
Kernstück der heutigen Debatte - spielt natürlich auch
die kommunale Option eine Rolle. Sie stützt sich auf die
Vereinbarung, die wir im Vermittlungsausschuss getroffen haben. Danach sollen neben dem Grundmodell der
Arbeitsgemeinschaft, das auf jeden Fall praktiziert wird,
auch den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden,
in eigener Trägerschaft Vermittlungsarbeit zugunsten
von Langzeitarbeitslosen zu leisten. Genau das ist der
Auftrag des Vermittlungsausschusses. Wir versuchen,
mit dem heute von der Koalition vorgelegten Gesetzentwurf diesem Auftrag gerecht zu werden. Wir tun das mit
dem System der so genannten Organleihe. Es war klar,
dass Sie, Herr Kollege Niebel, sich darüber lustig machen werden und gleich von Organspende sprechen.
({6})
Wir setzen im Gegensatz zu dem Bild, das Sie gestern
gezeichnet haben, tatsächlich auf die Organleihe, und
zwar deshalb, weil bei der Organleihe auch der Empfänger mitwirken muss, was, wie Sie wissen, bei der Organspende selten der Fall ist; denn dort ist der Empfänger
während der Transplantation betäubt.
({7})
Bei der Organleihe ist das anders. Hier wollen wir die
aktive Mitwirkung der Kommunen.
Wir haben den Gesetzentwurf deshalb so gefasst, dass
er den Kommunen sehr wohl einen eigenen Gestaltungsspielraum im Rahmen einer Zielvereinbarung gibt, die
mit der Bundesagentur für Arbeit vor Ort getroffen werden soll. Auf diesen Gestaltungsspielraum kommt es an;
denn er rechtfertigt sehr wohl, von einer Trägerschaft der
kommunalen Seite zu sprechen. Sie, die Union, und auch
die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-geführten Länder sind damit nicht einverstanden, was Sie sicherlich
gleich noch darlegen werden. Sie halten stattdessen den
Weg über eine Verfassungsänderung für besser, um den
Kommunen entsprechende Eigenständigkeit zu geben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
({0})
Frau Präsidentin, ich bitte darum, meine Rede fortzusetzen; denn ich bin gerade so schön drin.
Herr Kollege Niebel, der Minister möchte seine Rede
fortsetzen.
Herr Kollege Niebel, vielleicht können wir das gleich
aufnehmen. Aber jetzt möchte ich nicht unterbrochen
werden; denn genau um diesen Punkt geht es mir.
In den Vorgesprächen zum Gesetzgebungsverfahren
- insofern: das Verfahren, das wir vorgeschlagen haben,
ist sehr fair - hat die so genannte B-Seite, also Sie, eine
Änderung des Art. 120 unserer Verfassung favorisiert.
({0})
- Sie haben das natürlich nicht getan, aber die Vertreter
der CDU/CSU, insbesondere Ministerpräsident Koch. Dieser Änderung liegt letztendlich die Vorstellung zugrunde, dass die Länder anstelle des Bundes die Aufgaben übernehmen, nur in einem Bereich nicht, nämlich im
Bereich der Finanzen. Der Bund soll also die Musik bezahlen, die die Länder - im Verhältnis zu den Kommunen - spielen. Niemand kann ernsthaft erwarten, dass
dies vonseiten des Bundes praktiziert wird.
({1})
Herr Ministerpräsident Koch - ich hoffe, dass Sie mir
diesen kleinen Spaß nachsehen werden -, wenn Sie irgendwann einmal in die Verlegenheit kommen sollten,
über einen solchen Vorschlag auf Bundesebene zu entscheiden, nämlich die Musik zu bezahlen, die die Länder
bestimmen, dann glaube ich, dass Sie nie auf die Idee
kommen würden, sich selber so etwas zuzumuten. Abgesehen davon ist, glaube ich, auch das Vertrauen des Landes Hessen in die Kommunen nicht so ausgeprägt - in
Wahrheit ist es nicht wesentlich ausgeprägter als das in
den Bund -, dass die Mittel tatsächlich an die kommunalen Stellen weitergeleitet werden. Der vorgeschlagene
Weg ist jedenfalls aus unserer Sicht nicht gangbar.
({2})
Wir haben ja schon über mehrere Verfassungsänderungen diskutiert, so auch über eine Änderung des
Art. 106 des Grundgesetzes. Auch dies ist aus unserer
Sicht nicht gangbar, vor allem deshalb, weil Ministerpräsidenten nicht akzeptieren wollen - das kann ich durchaus verstehen; denn ich war selber einmal einer -, dass
durch eine rasche Verfassungsänderung ein neues Finanzverhältnis zwischen Bund und Kommunen etabliert
wird, ohne dass die Länder daran beteiligt wären. Aus
diesem Grunde sind diese beiden Wege einer Verfassungsänderung nicht sinnvoll; wir lehnen das ab. Im Gesetzentwurf ist deshalb der Weg über die Organleihe vorgesehen.
In Wahrheit erfüllt keiner der drei Vorschläge das im
Vermittlungsverfahren entwikkelte Ideal, nämlich eine
saubere, uneingeschränkte und klare Trägerschaft der
Kommunen. Wir glauben aber, dass der Weg über eine
so ausgestaltete Organleihe mit entsprechenden Spielräumen für die Kommunen vernünftiger als eine Verfassungsänderung ist. Sämtliche Argumente sind natürlich
noch sehr viel intensiver zu erörtern, aber sie laufen im
Kern auf das hinaus, was ich gesagt habe.
Wir werden den Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, im Vermittlungsverfahren zu erörtern, gegebenenfalls streitig zu diskutieren haben. Vielleicht werden
wir in diesem Verfahren allesamt klüger. Ich hoffe, wir
finden dort einen gemeinsamen Weg; jedenfalls schließe
ich nicht aus, dass dies möglich ist.
Allerdings will ich eines sehr deutlich sagen: Diese
Diskussion kann und darf den Aufbau der Arbeitsgemeinschaften und die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht aufhalten.
({3})
Dies wird auf keinen Fall geschehen. Wir sind den Arbeitsuchenden in Deutschland schuldig, dass dieser Prozess nicht mehr aufgehalten wird. Wir allesamt haben
die Reform des Arbeitsmarktes lange genug versäumt.
Die hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland weisen
unübersehbar darauf hin: Die von uns eingesetzten Instrumente waren nicht hinreichend. Deshalb müssen wir
andere verwenden und diesen Weg gehen. Das ist das
Herzstück der Reformen und deshalb müssen wir unser
Vorhaben auf jeden Fall realisieren, und zwar fristgerecht, wie es das Gesetz vorsieht. Dazu bedarf es keiner
weiteren Aktivitäten.
Diesen Streit, den wir heute - und wahrscheinlich
noch ein bisschen länger - führen, ist ein Streit um Organisation. Wir Deutsche lieben diese Art des Streites offensichtlich; besser aber wäre es, wenn wir darüber stritten, wie wir die Inhalte verbessern,
({4})
nämlich: Wie schaffen wir die Integration der Arbeitsuchenden in den Arbeitsmarkt? Wie schaffen wir mehr
kommunale Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland, damit wir allen Arbeitsuchenden einen Arbeitsplatz in Deutschland anbieten können? Wie schaffen wir
mehr Möglichkeiten zur Betreuung der Kinder - vergessen Sie das nicht! -, damit die Familienangehörigen und
nicht zuletzt die Mütter in den Arbeitsmarkt zurückkehren können?
({5})
- Herr Kollege Niebel, das ist keine Frage der Organisation, sondern eine Frage der Aktivitäten, nicht zuletzt der
Aktivitäten der Kommunen.
Die Kommunen - sie werden heutzutage vielfach ins
Feld geführt - können mehr kommunale BeschäftigungsBundesminister Wolfgang Clement
möglichkeiten schaffen, indem sie, unter anderem durch
Unterstützung vom Bund, mehr Angebote zur Betreuung
von Kindern zur Verfügung stellen. Sie können maßgeblich dazu beitragen, dass die Arbeitslosigkeit in
Deutschland sinkt. Es gibt in Deutschland Beispiele dafür, dass das hervorragend funktioniert.
Experten sagen, dass wir allein mit diesen beiden Instrumenten - mehr kommunale Beschäftigungsmöglichkeiten und mehr Möglichkeiten zur Betreuung von Kindern - die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 20 oder
30 Prozent senken können. Das werden wir tun. Im Moment streiten wir über die Organisation dieses Prozesses.
Wir werden diese Reform so realisieren, wie es das Gesetz vorsieht. Wenn Sie so wollen, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU: Die Karawane zieht weiter!
({6})
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Bereich Organisation machen. Sie haben gestern eine intensive Diskussion über die Ausbildungsplatzumlage geführt. Diese
Diskussion ist außerordentlich wichtig. Allerdings gilt
auch da: Wir sollten uns auf die Dauer nicht in einer Diskussion über das richtige Instrument verbeißen. Vielmehr sollte jeder von uns das tun, was er tun kann, um
für die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen zu sorgen.
({7})
Beispielsweise sollte sich jeder von Ihnen, Herr Kollege
Singhammer, in einem der knapp 300 Wahlkreise der
Bundesrepublik darum bemühen, dass etwa 100 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Viele von uns
tun das schon. Wenn Sie das alle tun, ist die Ausbildungsplatzumlage überhaupt kein Problem mehr; sie
wäre dann nicht nötig.
Es geht darum, auch in der Praxis mehr Engagement
zu mobilisieren, als das bisher gelungen ist.
({8})
Das erreichen wir mit den Instrumenten, die wir jetzt
einsetzen. Dabei wissen wir: Die Instrumente sind das
eine, die Arbeit vor Ort ist das andere. Sie alle sind herzlich dazu eingeladen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Hessen, Roland Koch.
({0})
Roland Koch, Ministerpräsident ({1}):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesminister Clement, wenn man Ihre
flammenden Appelle hier hört, hat man ein bisschen den
Eindruck, Sie seien erst vor kurzem in Deutschland gelandet.
({2})
Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und
mein Bundesland haben bereits vor drei Jahren - ich
hatte schon damals Gelegenheit, hier zu sprechen - die
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
gefordert.
({3})
Wären Sie seinerzeit darauf eingegangen, hätten wir alles, was wir wollen, längst realisiert. Hören Sie also auf,
an der Stelle mit Zeitdruck zu argumentieren!
({4})
Wir reden heute über zwei Dinge gleichzeitig, nämlich einmal über die sachliche Regelung, die in dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vorgeschlagen
wird - die ich für falsch halte -, und zum anderen über
den Vorgang der Erfüllung der im Vermittlungsausschuss getroffenen Vereinbarung vom Dezember letzten
Jahres. Ich sage Ihnen, Herr Minister, ganz klar: Was die
Fraktionen vorgelegt haben, ist gemessen an dem, was
wir im Vermittlungsausschuss verabredet haben, ein
glatter Wortbruch; das ist nicht das, was wir verabredet
haben.
({5})
Sie wissen, dass es ein Gesetz zu Hartz IV heute nicht
gäbe, wenn wir damals den Eindruck gehabt hätten, dass
Sie ein solches Verhandlungsergebnis nicht umsetzen.
({6})
Es ist das erste Mal, jedenfalls in der jüngeren deutschen
Geschichte, dass eine Verabredung im Vermittlungsausschuss - wir waren uns einig: das können wir erst später
in einem weiteren Gesetz regeln - anschließend nicht so
umgesetzt wird, wie es verabredet worden ist.
Hinzu kommt, dass die Verabredung sehr präzise war.
Herr Stiegler, der jetzt nicht da ist, könnte das sicher bestätigen, aber Sie, Herr Minister, waren ja zeitweise auch
dabei; zum Teil haben wir sogar in Ihrem Haus verhandelt. Wir haben eine ganze Nacht darüber gerungen, ob
in § 6 a SGB II das Wort „Träger“ vorkommen sollte.
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wohlwissend,
was Sie wollten, und einige Kollegen von SPD und Grünen, haben das Wort immer wieder herausgestrichen.
({7})
Wir haben Ihnen immer wieder gesagt: Es gibt keine gemeinsame Beschlussfassung in Bundestag und Bundesrat, wenn da nicht das Wort „Träger“ steht.
({8})
Wenn Sie jetzt sagen, „Organleihe“ sei so etwas Ähnliches wie eine Trägerschaft, dann ist das jedenfalls unter
Ministerpräsident Roland Koch ({9})
Juristen eine Unverschämtheit, Herr Minister; denn Sie
wissen, dass das nicht stimmt.
({10})
Sie haben im Gesetzentwurf an einigen Stellen versucht - das will ich einräumen -, es kosmetisch so zu gestalten, dass es um eine beauftragte Institution und nicht
um einen Organleiher oder Ähnliches geht. Nur, die Abteilung „Werbung und PR“ auf der einen Seite und die
Abteilung „Recht“ auf der anderen Seite haben sich im
letzten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs - bei
dem Stress, Herr Minister - auseinander entwickelt. Das
ist auf den Seiten 1, 10 und 20 des Entwurfs schön geglättet, aber auf der Seite 31 ist Ihnen eine Sache durchgegangen. Da steht nämlich in herzerfrischender Ehrlichkeit der Satz - da geht es nicht mehr um den
Sozialbereich, sondern um den Bundesrechnungshof -:
Die Sätze 2 und 3 dienen der Klarstellung und Sicherung des Prüfungsrechts des Bundesrechnungshofes.
Das klingt noch ganz harmlos.
Gleiches gilt für die kommunalen Stellen,
- das sind die Gemeinden, über die wir reden da diese infolge der Organleihe in die Organisation
der Bundesagentur eingegliedert sind.
Das beschreibt genau, was Sie machen. Das ist genau
das, was wir nicht wollen.
({11})
Insofern brauchen wir auch nicht darüber zu reden, ob
der Wortbruch virtuell ist oder nicht; Sie haben ihn dankenswerterweise in die Begründung geschrieben.
Sie können nicht erwarten, dass wir das hinnehmen.
Sie werden hinnehmen müssen, dass wir daraus, wenn
das so bleibt, auch an anderer Stelle Konsequenzen ziehen: Man kann Ihnen im Vermittlungsausschuss nicht
mehr trauen, wenn in einer wichtigen Sache ein solches
Ergebnis zustande kommt.
({12})
Es bleibt die Frage: Worum geht es inhaltlich? - Es
sollte nicht so sein, dass Sozialamtsmitarbeiter unter
dem Kommando des Landrats arbeiten, der unter der
Weisungsbefugnis des örtlichen Arbeitsamtdirektors
oder - wie er jetzt heißt - Regionaldirektors steht. Tatsache ist, dass wir gesagt haben: Wenn wir die Kommunen
schon nicht prinzipiell mit der Verantwortung und der
Organisation in der Frage, wie man mit den Langzeitarbeitslosen umgeht, betrauen - das hätten wir von der
Union übrigens für besser gehalten -, dann sollte es wenigstens, so der Kompromiss, unterhalb des SGB II eine
selbstständige Bundesagentur für Arbeit auf der einen
Seite und selbstständige Kommunen auf der anderen
Seite geben. Beide sollten ihren Job machen, jeweils unter Zielvereinbarungen mit dem Minister. Jedenfalls
sollte es nicht so sein, dass die Kommunen der Bundesagentur unterstellt werden und das Ganze anschließend
zum Wettbewerb erklärt wird. So hat das niemand gemeint.
({13})
Der Sinn der Sache ist, dass man neue Modelle ausprobieren und regional spezifische Lösungen finden
kann.
({14})
Längst sind doch auch die Abgeordneten der SPD für die
Option, nicht nur im Bundesland Hessen, wo der Landkreistag inzwischen einstimmig für die Option votiert,
weil man dort sieht, was an kommunalen Strukturen alles kaputtgeht, wenn man keine Chance hat, das zu gestalten.
({15})
- Ich sage Ihnen, Herr Brandner: Ihnen werden in den
nächsten Wochen die Tränen kommen, wenn die ganzen
karitativen Institutionen und Selbsthilfeorganisationen,
die Einrichtungen aufgebaut haben, durch europaweite
Ausschreibungen plattgemacht worden sind; dann werden Sie sich wundern, dass Sie keine kommunalen
Strukturen mehr haben. Das wird Ihnen dann nämlich
passieren.
({16})
Dabei ist völlig klar: Dies muss nicht sein. Man kann
sogar mit dem gefundenen Kompromiss leben. Wir stehen zu diesem Kompromiss. Wir sind der Meinung, dass
die Bundesagentur auch dann, wenn die Kommunen optieren, noch ziemlich überfordert sein wird; aber das ist
Ihre Entscheidung. Wir sind auch sehr skeptisch, Herr
Minister - das will ich zu Protokoll geben -, dass Sie das
mit den Instrumenten der Bundesagentur hinbekommen.
Im Prinzip bedeutet die Bereitschaft der Kommunen zu
einer Zusammenarbeit eher die Übernahme eines Risikos. In den Sitzungen in den letzten Tagen ist gesagt
worden, dass Sie Zehntausende neue Leute für die Betreuung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II brauchen; von bis zu 46 000 Leuten war die Rede. Sie wollen
die IT auf einem System fahren, das 35 Jahre alt ist, weil
Sie ein neues nicht zustande bekommen. Ich wünsche
Ihnen an einigen Stellen viel Spaß mit der großspurigen
Erklärung, am 1. Januar 2005 werde alles wie geplant
starten, die Sie hier eben abgegeben haben; wir werden
Sie daran messen.
({17})
Wir haben Ihnen in den Gesprächen angeboten, dass
wir, wenn wir es in vier Wochen nicht zustande bekommen, darüber reden können, es zum 1. Januar 2006 geordnet zu starten. Ich will das nur gesagt haben. Wir machen das nicht zur Bedingung; aber sagen Sie bitte
nachher, wenn wir uns über diese Frage an entsprechender Stelle unterhalten, nicht, es hätte keine andere Möglichkeit gegeben. Wir erwarten in dem vor uns liegenden
Verfahren, dass Sie zu der Möglichkeit zurückkehren,
eine faire, wettbewerbsorientierte Struktur für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen zwischen den KomMinisterpräsident Roland Koch ({18})
munen einerseits und der Bundesagentur für Arbeit andererseits, wie wir es verabredet haben, zu schaffen.
Ihre Überzeugung ist - und das ist wahrscheinlich
auch richtig -, dass es klüger sei, dafür eine Grundgesetzänderung vorzunehmen, als das in einfachgesetzlichen Regelungen festzulegen. Darüber wollen wir an
dieser Stelle nicht streiten. Ich weise nur vorsichtig darauf hin: CDU/CSU bzw. die so genannten B-Länder
müssen Sie davon nicht überzeugen. Wir legen Ihnen
seit drei Jahren Vorschläge zur Zusammenführung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe vor. Jeder dieser Vorschläge hat eine Grundgesetzänderung beinhaltet, weil
wir jeweils ein spezielles Aufgabenverhältnis für die
Kommunen begründen. Daran ist nichts neu.
({19})
Herr Minister, wir haben Ihnen zunächst angeboten,
das gemeinsam mit dem Landkreistag über Art. 106 des
Grundgesetzes zu regeln. Wenn Ihnen das nicht gefällt,
weil Sie den direkten Durchgriff zu den Kommunen
auch in diesem speziellen Fall nicht wollen, ist das auch
anders zu lösen. Ich sage das sehr pragmatisch: Als es
um die Umverteilung der Gelder für den Nahverkehr
ging, gab es einige Leute, die mit diesem Vorschlag
schneller dabei waren. Dabei geht es diesmal um Menschen und nicht um Züge! Ich finde, man könnte das
auch anders regeln. Aber wenn Sie sagen, es passt Ihnen
nicht, und Sie bekommen innerhalb der SPD dafür keine
Mehrheit - auch das gehört doch zur Wahrheit -, können
wir das auch anders regeln. Wenn ich das sagen darf: Ich
als Verhandlungsführer der B-Seite habe mit Ihnen als
Verhandlungsführer der Bundesregierung vor vier Wochen verabredet, dass wir das Grundgesetz ändern. Wenn
die Gespräche irgendeinen Sinn haben, sollte das gelten.
Wir haben verabredet, über eine Formulierung zu reden.
Sie sind eine Woche später gekommen und haben gesagt,
Sie hätten das mit den A-Ländern und der Bundesregierung besprochen und keine Mehrheit dafür bekommen.
({20})
Sie wollten dann vorschützen, es gebe auch bei den B-Ländern keine Mehrheit. Ich sage Ihnen hier erneut und verbindlich: Wir, die CDU/CSU-Fraktion - das denke ich
jedenfalls - und die B-Länder - von denen weiß ich es -,
sind zu einer solchen Änderung des Grundgesetzes bereit. An uns wird es nicht liegen.
({21})
Wenn Sie meinen, Art. 106 sei ungeeignet, dann nehmen Sie Art. 120. Wenn Sie in Bezug auf Art. 120 sagen: So eine Sauerei, da stehen ja die Länder drin, dann
schreiben Sie die Gemeinden hinein. Erklären Sie mir
dann aber bitte, warum Sie Art. 120 und nicht Art. 106
nehmen! Es ist mir nicht egal, aber wir sind bereit zu
verhandeln. Nehmen Sie die Grundgesetzänderung vor,
die Sie für geboten halten, um das, was Sie vertraglich
zugesagt haben, nämlich die Trägerschaft der Kommunen, zu erreichen. Sie sind am Zug! Wir haben genügend
Vorschläge gemacht. Machen Sie einen anderen, dann
kann man sich darüber verständigen und eine Lösung
finden.
({22})
Hören Sie bitte auf, öffentlich zu behaupten, es liege
an der Opposition im Bundestag, also an der CDU/CSU
und an der FDP, oder am Bundesrat, in dem die B-Seite
eine Mehrheit hat, wenn es eine solche Grundgesetzänderung nicht gibt. Es stehen Ihnen alle Möglichkeiten offen, diese Änderungen vorzunehmen. Sie können jeden
Tag mit uns darüber reden. Da Sie aber schon zwei Vorschläge abgelehnt haben, wäre es ganz nett, wenn Sie irgendwann einmal einen eigenen Vorschlag machen würden und wir dann die Möglichkeit hätten, darüber zu
sprechen.
Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation. Was Sie heute vorlegen, hebt das, was wir in § 6 a
SGB II beschlossen haben - es geht also nicht nur um
Entschließungen -, aus den Angeln. Deshalb fordere ich
Sie auf: Kehren Sie zurück zu dem, was wir im Dezember gemeinsam beschlossen haben, und geben Sie den
Kommunen möglichst schnell Sicherheit in Sachen Trägerschaft!
Da wir schon bei diesem Thema sind, möchte ich kurz
- das ist heute nicht der eigentliche Gegenstand der Debatte - einen weiteren Punkt hinzufügen. Ich finde es
sehr beachtlich, wie Sie mit den Finanzen umgehen. Sie
sind Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
gewesen. Die Ergebnisse der Rechnungen in den Quantifizierungsausschüssen zeigen, dass es anstatt einer
Entlastung der Gemeinden um 2,5 Milliarden Euro - Sie
haben das garantiert - eine Mehrbelastung der
Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro
im nächsten Jahr gibt. Das ist keine Kleinigkeit. Das
liegt daran, dass Sie im Vermittlungsausschuss Zahlen
vorgelegt haben, die darauf beruhen, dass sich der Bund
an den bekannten Stellen sozusagen gesund gerechnet
hat.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt nehme ich Ihre Zusage
ernst - das ist nicht ganz einfach, weil andere Erklärungen nicht ganz ernst genommen werden konnten -, dass
2,5 Milliarden Euro netto bei den Kommunen im nächsten Jahr ankommen. Daran werden wir Sie messen. Das
ist die Bedingung für die gesamte Zusammenarbeit. Sie
können nicht alle Landkreise und kreisfreien Städte in
Deutschland mit der Politik, die Sie eingeleitet und organisiert haben, in den Bankrott treiben. Die Frage wird
also sein, ob Sie Ihre Zusage einhalten.
({23})
Wir sollten Folgendes nicht vergessen - das ist eine
Gemeinsamkeit, auch wenn wir unterschiedliche Ansätze verfolgen -: Wir reden darüber, wie wir Menschen
in einer schwierigen Lebenslage - diese ist von Nord
nach Süd, von Stadt zu Stadt, von Landkreis zu Landkreis und je nach Alter sehr unterschiedlich - möglichst
individuell helfen können. Unsere Motivation ist, dass
wir nicht glauben, dass eine zentrale Organisation, in deren Bereich es über 4 000 Erlasse gibt und die im Augenblick 100 000 und später vielleicht 130 000 Mitarbeiter
Ministerpräsident Roland Koch ({24})
hat, in der Lage ist, diese individuelle Hilfe so zu organisieren, dass damit das Optimum für die Regionen erreicht werden kann. Das ist der Grund, warum wir andere Vorschläge machen. Darum geht es in dem Wettbewerb.
Wir machen diese Vorschläge nicht, weil es Organisationsstreitigkeiten gibt, werter Herr Minister, sondern
weil wir im Prinzip davon überzeugt sind, dass in einem
großen Land dezentrale Lösungen wirksamer, bürgernäher, menschengerechter und letztendlich auch effizienter sind als zentralistische Lösungen.
({25})
Da wir über Organisation reden, will ich Ihnen sagen:
Was wir Ihnen mit dem Existenzgrundlagengesetz an dezentraler Lösung vorgelegt haben, ist in vergleichbarer
Weise am 1. Januar in den Niederlanden eingeführt worden. Wenn Sie die Begründung des niederländischen
Parlaments lesen, dann werden Sie feststellen, dass der
Kernsatz lautet: Die Niederlande sind zu groß, um das
Problem der Langzeitarbeitslosigkeit zentral lösen zu
können.
({26})
Sehr verehrter Herr Minister, meine sehr verehrten
Damen und Herren, wir haben wahrlich genug Probleme. Wir sollten nicht in einer neuen Großmannssucht
glauben, wir könnten mit Mammutorganisationen, riesigen IT-Programmen und Zehntausenden von neuen Mitarbeitern ein Problem lösen, für dessen Lösung es vor
Ort genug Ressourcen gibt. Man muss diese Ressourcen
mobilisieren und die betreffenden Stellen ernst nehmen.
Sie müssen die Möglichkeit haben, eigenverantwortlich
zu handeln - und nicht einem Regionaldirektor und einigen Tausend Erlassen gegenüber verantwortlich zu
sein - und ihre Kreativität zu nutzen. Das ist die Anforderung, die wir gestellt haben, als wir in das Verfahren
eingetreten sind. Das haben Sie im Vermittlungsausschuss zugesagt. Wir erwarten von Ihnen, dass das am
Ende im Deutschen Bundestag beschlossen wird.
({27})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Laumann, da Sie mich so lautstark empfangen, will ich
sagen: Seien Sie alle gegrüßt!
Herr Koch, lassen Sie mich vorab in aller Freundschaft
({0})
ein paar Punkte sagen. Ich möchte zunächst Folgendes
festhalten: Was Sie hier vorgetragen haben, nämlich dass
wir einen Wortbruch begehen würden, ist eine große
Fehlinterpretation. Damit wird das verschleiert, was im
Vermittlungsausschuss beschlossen worden ist. Herr
Koch, im Vermittlungsausschuss ist gerade keine Verfassungsänderung zur Durchführung der Option beschlossen worden. Wir wollen die Option. Aber dort ist keine
Verfassungsänderung beschlossen worden, weil das, was
Sie, Herr Koch, hier mit lautem Topfgeklapper ankündigen, nämlich eine Mehrheit unter den Ländern für diese
Position, nicht herzustellen war. Sie selber haben sie
nicht hergestellt.
({1})
Wir haben nächtelang diskutiert. Wir haben - auch das als
Vorbemerkung - Folgendes beschlossen - ich zitiere -:
Wenn die Kommunen optieren, dann wird sichergestellt, dass zwischen den kommunalen Trägern, die
von der Option Gebrauch machen, deren zuständigen Landesbehörden und der Bundesagentur Zielvereinbarungen abgeschlossen werden.
Herr Koch, das haben wir abgemacht
({2})
und das schlagen wir vor.
Sie haben heute zum wiederholten Male das Einbinden der Kommunen in die komplette Arbeitsmarktpolitik
über Zielvereinbarungen infrage gestellt. Dies ist aber
mit der Mehrheit der von Ihrer Partei regierten Länder
beschlossen worden.
({3})
Was Sie hier sagen, entspricht nicht der Wahrheit.
({4})
Insgesamt ist diese Debatte im Moment entlarvend
für das, was die Opposition in der Arbeitsmarktpolitik
will. In meiner Heimatzeitung gab es gestern eine große
Debatte über das Optionsgesetz. In diesem Zusammenhang möchte ich dem Kollegen Niebel eine Frage stellen.
({5})
Herr Niebel, waren Sie jemals in einem Bürgerkriegsgebiet? Haben Sie einmal gesehen, wie es den Menschen
dort geht, die hungern und von Gewalt bedroht sind?
Kennen Sie die Situation in Bürgerkriegsgebieten? Wie
können Sie vor diesem Hintergrund folgende Feststellung - meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen vorlesen, was sich Herr Niebel im Zusammenhang mit dem
Optionsgesetz geleistet hat - treffen? Er behauptet - er
leitet das auch her -, dass die Auszahlung des ArbeitsDr. Thea Dückert
losengeldes II nicht funktionieren wird und dass davon
die Existenz von Millionen Menschen abhängt, und fährt
dann fort:
Dann wird es Regionen in Deutschland geben, in
denen wir bürgerkriegsähnliche Zustände haben.
({6})
Dann ist das politische System in Gefahr.
Ich halte so etwas in diesem Zusammenhang für eine ungeheuerliche und schamlose Entgleisung.
({7})
Ich sage Ihnen ehrlich: Das disqualifiziert Sie, Herr
Niebel, und die Position der FDP im Zusammenhang mit
der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
({8})
Über Ihre Vorschläge, mit denen Sie nichts anderes wollen, als die Bundesagentur für Arbeit zu zerschlagen,
brauchen wir hier nicht weiter zu reden.
Ich habe das hier vorgetragen, weil es ein Licht auf
die Debatte wirft. Hier soll bei den betroffenen Menschen und den Kommunen Angst geschürt werden,
({9})
um Widerstand gegen eine notwendige Reform, die wir
im Bereich der Arbeitsmarktpolitik durchführen, zu organisieren.
({10})
Die Union sagt: Wir brauchen Reformen. Aber Sie
wollen sie in Wahrheit verhindern.
({11})
Dazu will ich Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Das
Beispiel ist der Herr Laumann,
({12})
der nachher ebenfalls zu diesem Thema reden wird. Er
tritt hier immer sehr freundlich im Sinne der Arbeitslosen auf, weist aber hinter verschlossenen Türen darauf
hin, dass wir die Zusammenlegung der Arbeitslosenund Sozialhilfe um ein Jahr verschieben könnten. Das
klingt ganz harmlos. Ich weiß, warum Sie lächeln, wenn
Sie das sagen. Sie lächeln, weil Sie genau wissen, was
dann passiert: Dann wird die Arbeitsmarktpolitik in diesem Lande chaotisiert, dann werden die Reformen verhindert. Das wollen Sie; das ist die Strategie auch bei
dieser Optionsdebatte.
({13})
Herr Laumann, ich frage Sie:
({14})
Was bedeutet eine Verlegung um ein Jahr? Wie viele
Menschen sind davon betroffen? Betroffen sind die heutigen Sozialhilfeempfänger, die ein weiteres Jahr lang
zum Bittsteller der Kommunen werden sollen, und diejenigen, die keinen Zugang zur aktiven Arbeitsmarktpolitik haben.
({15})
Nein, Herr Laumann, das, was Sie hier vorschlagen, bedeutet Geiselhaft für die Langzeitarbeitslosen. Ich sage
Ihnen eines:
({16})
Trotz des ganzen Getöses, das Sie hier machen, werden
wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 durchsetzen.
({17})
Aber es kommt noch schlimmer; denn in diesem Zusammenhang verkaufen Sie die Kommunen auch noch
für dumm.
({18})
Sie wissen doch, was es bedeutet, wenn diese Zusammenlegung um ein Jahr verschoben wird. Die Entlastung
von 2,5 Milliarden Euro - Herr Laumann, ich sehe, auch
jetzt lachen Sie; denn Ihnen geht es gar nicht darum, das
umzusetzen ({19})
werden wir erbringen,
({20})
weil die Kommunen sie brauchen.
({21})
Diese 2,5 Milliarden Euro werden nämlich für die Kindererziehung benötigt.
Zusammen mit Herrn Wulff und Herrn Koch - Herr
Wulff ist leider nicht mehr anwesend ({22})
machen Sie sich wirklich einen schlanken Fuß. Denn der
Datenbasis, anhand deren wir unsere Berechnungen angestellt haben, haben Sie im Vermittlungsausschuss zugestimmt. Aber jetzt schlagen Sie sich in die Büsche.
Wissen Sie, das kennen wir in Deutschland: eine Vaterschaft, die aufgekündigt wird, wenn sie Ihnen nicht mehr
passt.
({23})
Herr Laumann, daran erkannt man die Verantwortungslosigkeit Ihrer Politik.
Nein, wir werden sowohl die Entlastung von 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen erbringen
({24})
als auch sicherstellen, dass am 1. Januar 2005 die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vollzogen wird.
({25})
Auch werden wir sicherstellen - das ist im Optionsgesetz enthalten und das haben wir auch schon beschlossen -, dass die Kommunen kooperieren und eingebunden werden, weil wir sie brauchen.
({26})
Ich sage Ihnen eines - hier verweise ich auf Herrn
Gerd Landsberg, der in Fragen der Kooperation mit den
Kommunen Erfahrung hat -:
({27})
Bundesweit haben wir bereits 20 Pilotstädte, in denen
die Kooperationen zwischen Bund und Kommunen gut
arbeiten und in denen sich die Zahl der Arbeitslosen reduziert. ({28})
Genau darum geht es. Weil Sie uns diesen Erfolg aber
nicht gönnen,
({29})
fahren Sie gegen unsere Reform eine Torpedostrategie.
Das, was wir hier vorschlagen, ist ein ehrliches Angebot an die Kommunen, entweder auf gleicher Augenhöhe an den Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen,
({30})
oder - das schlagen wir vor - die Optionen zu wählen,
die einen möglichst großen Handlungsspielraum im Zusammenhang mit den Budgets bieten. Mit diesen Budgets können die Kommunen - das wiederhole ich - auf
der Basis von Zielvereinbarungen selbstständig agieren.
Damit erreichen wir genau das, was Sie einklagen: Wettbewerb zwischen unterschiedlich agierenden Kommunen und Vergleichbarkeit. Das brauchen wir in diesem
System.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
({31})
- Das, was ich sage, hören Sie wohl nicht gerne.
({32})
Das, was von Ihrer Seite vorgeschlagen wird, ist nicht das,
was wir im Vermittlungsausschuss verabredet haben. Sie
schlagen vor, dass das Geld in die Hände der Länder fließen soll und dass sie den Kommunen Auflagen machen
können. In der Vergangenheit haben Sie schon bewiesen,
welch klebrige Finger gerade Ihre Länder in dieser Hinsicht haben.
({33})
Frau Kollegin, Ihr Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Schluss.
Sie wollten bereits zum Schluss kommen.
Kollege Wulff, der vorhin noch hier gesessen hat, hat
in Niedersachsen 200 Millionen Euro einkassiert, die im
Zusammenhang mit der Wohngeldreform bei den Kommunen landen sollen. Gerade weil Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, so agieren, stellen Sie
die Kommunen unter die Knute. Das wollen wir nicht.
Wir wollen ihnen Handlungsfreiheit geben.
Danke schön.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Niebel.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Es ist schon bemerkenswert, dass die Kollegin von den Grünen ihre Redezeit zu einer Oppositionsbefragung nutzt. Ich möchte natürlich nicht unhöflich sein, sondern die Frage, die sie
gestellt hat, beantworten: Ja, ich war schon in Bürgerkriegs- bzw. Kriegsgebieten. Das, was Sie mit Ihrem Gesetz machen, ist das Spielen von Mikado mit den Lebenschancen von Millionen Menschen.
({0})
Wenn Sie dieses Gesetz so umsetzen, können Sie mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von verschiedenen Szenarien ausgehen, die gemeinsam eintreten werden.
Erstens wird nach dem SGB II ab 1. Januar 2005 grundsätzlich die Bundesagentur für Arbeit für das ArbeitsloDirk Niebel
sengeld II zuständig sein. Die Ausnahme davon bildet
dann eine von Bundesagentur für Arbeit und Kommune
zu bildende Arbeitsgemeinschaft. Bei einer solchen
muss die Kommune aber erst einmal mitmachen wollen.
Die Kommunen haben schon die Erfahrung gemacht,
dass es in solchen Arbeitsgemeinschaften immer nur
dann gut läuft, wenn es keinen Konflikt gibt, dass aber
dann, wenn es kritisch wird, die Bundesagentur sagt,
was zu passieren hat. - Das mögen die meisten Kommunen nicht.
Zweitens. Die Menschen in den Kommunen, die Entscheidungen zu treffen haben, werden vor dem Hintergrund der Lage der kommunalen Haushalte sehr genau
die Zuständigkeit prüfen. Sie werden feststellen, dass sie
Aufgaben ausführen sollen, für die sie nicht zuständig
sind, und werden sich überlegen, ob sie ihre kommunalen Finanzen vielleicht besser in den Griff bekommen,
wenn sie auf die Aufgabe in Zukunft verzichten.
Weiterhin werden Sie die Situation haben, dass die
Bundesagentur für Arbeit, die mit 4,6 Millionen Arbeitslosen hinreichend überbeschäftigt ist, auch noch zuständig wird für eine knappe Million Sozialhilfeempfänger,
die erwerbsfähig sind, sowie deren Bedarfsgemeinschaften, das heißt deren Familien. Es handelt sich um einen
Personenkreis, bei dem der Verlust des Arbeitsplatzes
meist nur eines von ganz vielen Problemen ist, bei dem
eine Suchtproblematik hinzukommt, bei dem Wohnungsprobleme hinzukommen, bei dem Überschuldung
hinzukommt - alles Dinge, für die die Bundesagentur,
weil sie damit nie zu tun hatte, keine Kompetenzen hat,
für die sie solche auch nicht vorhalten und auch nicht
schnell schaffen kann. Sie werden ein überdimensioniertes EDV-Projekt haben, das wahrscheinlich ein ähnliches
Schicksal zeitigen wird wie die Maut oder der virtuelle
Arbeitsmarkt: Es wird im Endeffekt nicht funktionieren.
({1})
Das führt in der Folge dazu, dass die Menschen - etwa
in Regionen wie in Prenzlau mit 29,7 Prozent Arbeitslosenquote -, die existenziell darauf angewiesen sind, dass
sie ihre Lohnersatzleistungen, dass sie ihre Betreuung erhalten, ab 1. Januar 2005 in ihrer Existenz gefährdet werden.
({2})
Dann möchte ich einmal sehen, ob Sie, Herr Clement
- auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein -, bereit sind,
eventuell doch etwas Vernünftiges mit uns auszuhandeln
und ein vernünftiges EDV-System zu entwickeln, damit
wir den Menschen helfen können. Ansonsten haben wir
tatsächlich soziale Aufstände, die bürgerkriegsähnlichen
Zuständen
({3})
in einigen Regionen gleichen werden, Frau Dückert. Sie
handeln hier unverantwortlich, Sie handeln hier wortbrüchig.
({4})
Sie haben den Vermittlungsausschuss über den Tisch gezogen, wenn Sie dieses Gesetz verabschieden. So können wir nicht miteinander arbeiten.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Niebel,
ich kann verstehen, dass Ihnen Ihre Fraktion bei so viel
Dreckschleuderei, die Sie hier machen, und so viel
Angst, die Sie schüren, keine Redezeit gibt.
({0})
Ich habe Ihnen vorhin gesagt: Der Ausdruck „bürgerkriegsähnliche Zustände“ - Sie haben ihn wiederholt -,
mit dem Sie hier Angst unter die Bevölkerung streuen,
disqualifiziert Sie. Deswegen gebe ich auf den Quatsch,
({1})
den Sie von sich gegeben haben, keine Antwort mehr;
ich halte das für unglaublich.
({2})
Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dückert
({0})
- Frau Kollegin Dückert, wenn Sie wenigstens zuhören
würden, wäre das nett - das ist eben der Unterschied. Bei
uns wird das kollegial gelöst: Ich war der Verhandlungsführer, er ist der Sprecher; dann teilt man sich das schön
auf. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie versuchen,
({1})
an einer Stelle, an der es um ein schwieriges Problem
geht - Herr Clement, das gestehe ich Ihnen zu, es ist
sehr, sehr schwierig, die richtige Lösung zu finden -, im
Endeffekt eine Rede halten, in der es nur darum geht, der
Opposition Fragen zu stellen, Sie aber keinerlei Dinge
zur Sache sagen, dann gehen Sie einfach in die falsche
Richtung. Die Arbeitslosen in diesem Lande verdienen
es nicht, dass man sie so links liegen lässt.
({2})
Meine Damen und Herren, heute ist ein schlechter Tag
für die Arbeitslosen - dabei unterstelle ich niemandem,
dass er es nicht gut meint. Wir spielen im Moment wieder das alte Spiel: Wer ist schuld? Wer hat Fehler gemacht? Wir beschäftigen uns in dieser Debatte aber nicht
- Frau Dückert, dazu haben Sie gnadenlos beigetragen mit Lösungen.
({3})
Über Lösungen kann man reden; so habe ich Sie verstanden, Herr Clement. Die FDP nimmt das ernst: Wir wollen über diese Sache reden. Vielleicht kriegen wir ja
wirklich noch etwas hin. Man sollte das in einem Gesetzgebungsverfahren - ich habe Sie da wahrscheinlich
anders verstanden als Frau Dückert; aber es kann ja anders sein - immer wieder versuchen; auch Herr Koch hat
das gesagt. Dann lassen Sie uns das auch tun und uns
nicht immer nur gegenseitig beschimpfen.
({4})
Was da läuft, bringt es nicht.
Nun zur Sache selbst. Es ist auch ein schlechter Tag
für die Kommunen.
({5})
Egal wie das Modell der Organleihe ausgestaltet wird,
Organleihe bedeutet letztlich immer
({6})
- achten Sie auf das Wort „Leihe“, Herr Brandner; ich
weiß, Sie dürfen nicht reden; denn bei Ihnen dürfen die
Verhandlungsführer scheinbar nicht reden - Leihe. Das
Wort „Leihe“ bedeutet, man kann es jederzeit zurücknehmen.
Das Verräterische in Ihrem Gesetzentwurf ist doch
Folgendes: Wenn sich die wesentlichen Bedingungen
ändern, dann darf die Bundesagentur den Vertrag kündigen. Ändern sich jedoch die wesentlichen Bedingungen
zum Nachteil der Kommunen, darf diese den Vertrag
nach Ihrem Gesetzentwurf nicht kündigen.
({7})
Sie legen bei der Bemessung der Augenhöhe ein unterschiedliches Maß an. Genau darum geht es auch in den
Arbeitsgemeinschaften, Herr Brandner und Frau
Dückert.
({8})
„Gleiche Augenhöhe“ bedeutet mehr, als dass man nur
auf gleicher Augenhöhe steht. Es bedeutet auch, dass
man gleichberechtigt entscheidet.
({9})
Hier im Bundestag sitzen wir in den Ausschüssen auf
gleicher Augenhöhe. Wenn es hart auf hart kommt, entscheidet die Mehrheit. Was die Mehrheit in den Arbeitsgemeinschaften jeweils ist, bestimmt das Gesetz. Das
gilt auch für die Organleihe. Sie wissen ganz genau, dass
die Arbeitsgemeinschaften deswegen funktionieren, weil
es keine Hierarchie gibt.
({10})
- Herr Brandner, das ist das übliche Mittel: Wenn man
sich nicht mit den Argumenten auseinander setzen will,
sagt man immer, der Redner hat keine Ahnung. Die
Frage ist, ob man sich auseinander setzen will oder nicht.
({11})
Ich kann Ihnen eines nur noch mal sagen: Wenn Sie es
nicht schaffen, das Vertrauen der Kommunen darauf zu
gewinnen, dass sie in den Arbeitsgemeinschaften gleiche
Rechte haben, nützt Ihnen die gleiche Augenhöhe nichts.
Wenn Sie es nicht schaffen, dass beide Seiten die gleichen Rechte haben, werden die Kommunen sagen: Ich
bin doch nicht blöd. Ich lasse mich doch nicht verhohnepipeln. Da mache ich nicht mit.
({12})
Ich erzähle Ihnen mal etwas zu meiner Heimatgemeinde Krefeld. Wir haben einen tollen Chef des Arbeitsamtes und einen guten Sozialdezernenten, Beigeordneten, übrigens ein Genosse, der seine Arbeit
wunderbar macht.
({13})
Diese beiden kommen gut miteinander klar und werden
etwas erreichen. Sie wissen aber genauso gut wie ich,
dass das nicht überall der Fall ist, weil es sich um Menschen handelt. Deswegen muss man - hier kommt der
Jurist in mir hoch; das gebe ich gerne zu - den Kommunen eine rechtliche Absicherung geben. - Juristen sind
gar nicht so schlimm. Auch ihr Minister ist Jurist.
Damit komme ich zu dem eigentlichen Problem, dem
lieben Geld. Es geht um die 2,5 Milliarden Euro, die
Herr Clement, die Sie, die der Finanzminister und die
Familienministerin genannt haben. Die Familienministerin braucht 1,5 Milliarden Euro - zu Recht - für die
Kinderbetreuung. Wir haben aber noch nicht gehört
- auch nicht im Haushaltausschuss dieser Woche -, woher diese 2,5 Milliarden Euro eigentlich kommen. Im
Haushalt finden Sie dazu nichts. Ich bin gespannt, wo
diese Summe im Haushalt 2005 auftaucht.
({14})
Wenn wir die nicht finden, haben die Kommunen ein
weiteres Problem. Frau Schmidt wird doch sagen: Ich
brauche die 1,5 Milliarden Euro. - Ich möchte die Kommunen erleben, die aufgrund der Organleihe dann, wenn
es hart auf hart kommt, machen müssen, was die BA
sagt, gleichzeitig aber auch noch für die Kinderbetreuung Geld ausgeben sollen. Das, meine Damen und Herren von der Regierung, ist für die Kommunen ein Schritt
in die Insolvenz.
({15})
Herr Clement, Sie haben gesagt: Das ist ein weiterer
Schritt nach vorn. Dazu sage ich: Ich habe gestern das
Gefühl gehabt, dass wir am Abgrund stehen. Somit
bringt der Schritt nach vorn sehr wenig.
Es ist auch ein schlechter Tag für die BA. Ich war
heute Morgen im Rechnungsprüfungsausschuss. Ich unterstelle, dass die BA Gutes will, dass sie den Arbeitslosen helfen will. Wenn Sie aber sehen, mit welchen Problemen sich diese herumschlägt und welches Chaos dort
herrscht - ich nehme keine Schuldzuweisungen vor; dieses Chaos ist nun einmal da -, werden Sie mit mir der
Auffassung sein, dass dieses Chaos im Zweifel nur noch
größer wird.
({16})
Wenn Sie das Chaos vergrößern, haben Sie Probleme.
Dann haben wir politisch letztlich alle Probleme; denn
nachher wird doch gesagt werden: Die Politik bekommt
es nicht hin.
Eine letzte Anmerkung zum Thema Grundgesetz: Wir
könnten eine Grundgesetzänderung hinbekommen. Ob
diese nun Art. 106 des Grundgesetzes oder einen anderen Artikel betrifft, ist doch - Herr Clement, wenn wir
ehrlich sind, müssen Sie das zugeben - für die Politikerinnen und Politiker, die eine Verfassung ändern wollen,
zunächst einmal egal. Sie müssen wissen, was sie wollen, nämlich eine Grundgesetzänderung, und sie müssen
wissen, wem sie dadurch Hilfe geben wollen, nämlich
den Kommunen. Dann kann das in Art. 127 q, x, y oder z
stehen. Das ist völlig egal. Entscheidend ist, dass darin
etwas steht, was den Kommunen Sicherheit gibt. Dann
können sie sich notfalls auch in Karlsruhe dagegen wehren, wenn ihnen der Hahn vom Bund abgedreht wird.
Zum Abschluss: Herr Koch, ja zu einer Grundgesetzänderung; aber der Bundesrat müsste schon noch
schauen, welche. Als ich Ihnen - aber auch vielen anderen - zugehört habe, als Sie Ihre Vorstellungen darüber
mitgeteilt haben, was die Kommunen alles machen sollen, habe ich eines festgestellt: Der von der FDP vorgeschlagene Weg, die Zuständigkeit insgesamt den Kommunen zu übertragen, wäre der einzig richtige und
vernünftige gewesen. Wenn wir diesen von Anfang an
eingeschlagen hätten, stünden wir heute besser da. Ich
prophezeie Ihnen: Spätestens in einem Jahr wird bei Ihnen genau diese Überlegung aufkommen und dann werden wir die Zuständigkeit den Kommunen übertragen.
Herzlichen Dank.
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Roth, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Debatte, die wir gerade
führen, zeigt, dass die Aufgeregtheiten der letzten Wochen, wie bereits im Rahmen des Vermittlungsausschusses, so weit gehen, dass man, wohl wissend, dass man es
nicht mehr verhindern kann, dennoch alles verhindern
möchte, auch und gerade das Optionsgesetz. Ich finde
das bedauerlich, weil das Gerangel der letzten Wochen
und Monate zulasten von 2,7 Millionen arbeitslosen
Menschen geht, die erwarten, dass sie von uns eine Lösung präsentiert bekommen. Und: dass sie zu ihrem
Recht kommen, besser beraten und vermittelt zu werden,
und dass sie die Perspektive haben, in Arbeit zu kommen.
({0})
Das Tauziehen, das wir auch heute wieder erlebt haben, finde ich unverantwortlich. Besonders vor dem Hintergrund, dass es nicht darum geht, zu sagen, die kommunale Ebene könne Vermittlung und Beratung besser
als die Agenturen für Arbeit. Wir wissen ganz genau,
dass auf beiden Ebenen unterschiedliche Kompetenzen
vorhanden sind. Deshalb haben wir uns ja im Vermittlungsausschuss darauf geeinigt, diese unterschiedlichen Kompetenzen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft
zusammenzuführen, und zwar auf gleicher Augenhöhe,
mit gleicher Verantwortung und mit gleicher Kompetenz. Das ist die richtige politische Antwort, die wir gegeben haben.
({1})
Natürlich war es so, dass Herr Koch das Optionsgesetz zur Wahrung seines politischen Gesichts brauchte.
Wir haben dann im Rahmen der Einigung gesagt: Okay,
das lassen wir zu. Wir haben Ihnen sogar angeboten,
Herr Koch, das Optionsmodell in Hessen durchzuführen.
({2})
Sie haben es aber abgelehnt, weil Sie Angst vor Ihrer eigenen Courage haben. Erst wollten Sie es und dann wieder nicht. - Wir haben im Optionsgesetz vorgesehen,
dass die Kommunen und die Landkreise die Wahlmöglichkeit haben.
Ich finde es aber falsch, dass so getan wird, als ob die
Bundesagentur für Arbeit in diesem Zusammenhang
eine geringere Kompetenz hätte als die Kommunen. Das
Auseinanderdividieren dieser beiden Ebenen halte ich
für politisch unverantwortlich.
Karin Roth ({3})
({4})
Es schadet den Menschen und übrigens auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesem Bereich zusammenarbeiten sollen. Hier geht es darum, die beste
Lösung für die Menschen vor Ort zu finden.
Dieses Hin und Her ist auch schade, weil es sich um
eine unserer gemeinsamen Perspektiven handelt. Der
Minister hat schon ausgeführt, dass wir eine Arbeitsvermittlung aus einer Hand wollen. Wir wollen durch die
Jobcenter versuchen, die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit zu beschleunigen. Wir sind optimistisch, dass das geht; denn wir haben ja schon in der Vergangenheit bewiesen, dass wir durch die Umstellung der
Arbeitsförderung eine schnellere Arbeitsvermittlung organisieren können.
Wir wissen, dass die Kommunen ein besseres Netz an
sozialer Infrastruktur haben. Wer will das bestreiten?
Deshalb sehen wir ja vor, dass das hohe Fachwissen im
Rahmen des regionalen Netzwerkes eingebracht werden
kann.
Die Menschen verlangen von uns einen optimalen
Service. Hören Sie auf, die Menschen mit Ihren Parolen
und Ankündigungen zu verunsichern! Die Menschen
brauchen das Vertrauen, dass die Politik bzw. die Bundesagentur für Arbeit dies leisten kann.
({5})
Herr Koch, Sie wissen genau - das haben die Vorredner unserer Koalition schon gesagt -, dass Sie in Wahrheit nicht das Mandat der B-Länder bezogen auf eine
Grundgesetzänderung hatten. Wenn Sie das heute ankündigen, dann vermutlich vor dem Hintergrund der Hoffnung, dass es hier nicht zum Schwur kommt. Aber wir
können doch nicht Bundesmittel
({6})
ohne Verbindlichkeit an die Kommunen weitergeben.
Wir müssen auch wegen der politischen Finanzverantwortung des Bundes dafür sorgen, dass die Mittel richtig
verwendet werden. Insofern halte ich die Zielvereinbarung für ein richtiges und modernes Instrument zur Steuerung dieser Ausgaben.
Ich bin der Meinung, dass die Machtspiele zulasten der
Menschen, die insbesondere von der Opposition betrieben
werden, beendet werden müssen. Die bisherige Arbeitsweise war nicht effizient, sondern teuer. Das muss aufhören. Wir brauchen neue Beschäftigungsprojekte und
diese haben wir auf den Weg gebracht. Jetzt muss es darum gehen, diese Projekte umzusetzen.
Da die Agentur für Arbeit schlechtgeredet wird,
möchte ich ein paar Zahlen anführen. Im Jahr 2003 wurden immerhin rund 4,3 Millionen Bewilligungen von
Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen und Lohnkostenzuschüssen vergeben. Das waren - trotz geringeren Mitteleinsatzes - 640 000 Maßnahmen mehr als im Vorjahr.
Bezüglich der langzeitarbeitslosen Jugendlichen kann
ich Ihnen noch eine gute Zahl nennen. Im Februar 2004
gab es rund 52 000 Jugendliche ohne Arbeit weniger als
im Februar 2003. Das sind Ergebnisse unserer Arbeitsmarktpolitik. Darauf können wir stolz sein.
({7})
Lassen Sie uns die Zusammenarbeit von Kommunen
und der Agenturen vor Ort voranbringen; denn die Zusammenarbeit ist die beste Lösung. Sie sollten nicht blockieren, sondern kooperieren. Sie sollten nicht Behördengerangel organisieren, sondern an einem Strang
ziehen. Vor allen Dingen sollten Sie die Mitarbeiter nicht
schlechtreden, sondern deren Motivation fördern und
ihre Kompetenz anerkennen. Das wäre ein gutes Zeichen
dieses Parlamentes. Wir müssen versuchen, unsere Versprechungen einzuhalten. Wir dürfen das Chaos nicht
herbeireden.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind alle keine Propheten, dennoch kann ich eines
prophezeien: Uns alle - auch den zuständigen Bundesminister - treibt heute die Sorge um, wie die zentralistische Bundesagentur für Arbeit Ihr Gesetz umsetzen soll.
Ich bin ziemlich sicher, dass die Bundesregierung und
die BA alles daransetzen werden, dass es funktionieren
wird; aber ich sage voraus: Bestenfalls wird die Bundesagentur für Arbeit in der ersten Zeit, in der sie dafür
zuständig ist, das Geld auszahlen; sie wird sich aber
nicht um die Menschen kümmern können.
({0})
Ich mache eine einfache Rechnung auf: Es werden
rund 2,5 bis 3 Millionen Menschen - diese Zahl ist ziemlich realistisch - das Arbeitslosengeld II beziehen. Wenn
Sie für diese Menschen den Betreuungsschlüssel ansetzen wollen, den es in vielen Kommunen gibt - ein Betreuer auf 70 Arbeitslose -, dann brauchen Sie in der
Bundesagentur für Arbeit dafür zwischen 35 000 und
40 000 Mitarbeiter. Jetzt überlegen Sie doch einmal einen Moment. In der Bundesagentur für Arbeit sind heute
91 000 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Zahl ist wohl auch
ein Grund dafür, dass der Umbau, den Sie richtigerweise
eingeleitet haben, so schwerfällig vorangeht. Wie soll
die Behörde funktionieren, wenn sie jetzt noch einmal
um 35 000 bis 40 000 Mitarbeiter erweitert wird?
({1})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir alle
hier im Parlament, Union, SPD, FDP und Grüne, waren
uns einig, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in einem
System zusammengeführt werden müssen, weil die
Grundsicherung des Bundes für ArbeitslosenhilfebezieKarl-Josef Laumann
her auf der einen Seite und die Grundsicherung der
Kommunen für Sozialhilfebezieher auf der anderen Seite
in der Vergangenheit zu Verschiebebahnhöfen geführt
haben. Es ist doch wahr, dass viele kommunale Beschäftigungsorganisationen auch das Ziel hatten, die Menschen zwölf Monate lang zu beschäftigen, damit sie aus
der Sozialhilfe in die Arbeitslosenhilfe des Bundes kommen konnten.
({2})
Das war gängige Praxis. Solche Systeme verführen dazu.
({3})
Die Zusammenführung wird für Millionen von Menschen, vor allem in Ostdeutschland, wo der Anteil der
Arbeitlosenhilfebezieher höher ist als im Westen, mit
erheblichen Mittelkürzungen verbunden sein. Das steht
außer Frage. Wir wissen, dass es ostdeutsche Bundesländer geben wird, die alleine wegen dieser Kürzungen
Kaufkraft von 200 Millionen bis 300 Millionen Euro
verlieren werden. Das wird real existierende Menschen
und Familien treffen.
({4})
Unsere Philosophie war immer, dass man solche Kürzungen nur dann verantworten kann, wenn wir eine
Organisationsform schaffen, in der die Menschen an
die Hand genommen werden, damit sie in den Arbeitsmarkt zurückfinden, oder die Menschen die Möglichkeit
bekommen, sich zur Sozialhilfe etwas hinzuzuverdienen.
({5})
Das ist unsere Philosophie. Nur dann, wenn wir nach ihr
handeln, können wir die Kürzungen sozialpolitisch verantworten.
Was machen Sie jetzt? Mit Ihrer Verliebtheit in den
Zentralismus schlagen Sie uns diese Möglichkeit aus der
Hand. Am Ende haben Sie eine Leistungskürzung zu
verantworten, haben aber keine Organisation geschaffen,
in der die Menschen an die Hand genommen werden, damit sie mit ihrer Situation fertig werden können.
({6})
Ich finde, das ist schlicht und ergreifend eine schäbige
und schreckliche Politik. Sie ist unmenschlich. Sie nehmen für die Klientel, über die wir reden, die falschen Instrumente in die Hand. Das ist nicht in Ordnung. Deswegen sind wir so enttäuscht.
Sie hätten die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor Weihnachten nicht durchbekommen, wenn nicht die Option bestanden hätte, dass
sich in vielen Regionen des Landes kommunale Trägerschaften dieser Aufgabe stellen.
({7})
Wir hätten ansonsten eine Zusammenführung abgelehnt
und es wäre beim alten System geblieben. Jetzt haben
Sie sich durchgesetzt, haben die Zusammenführung und
den Zentralismus. Aber den Menschen, bei denen es sich
oft um eine Klientel handelt, die sich nicht in dem Maße
entfalten kann, wie wir hier das sicherlich können, reichen Sie nicht die Hand und eröffnen ihnen nicht die
Möglichkeiten, die das SGB II hinsichtlich des Zuverdienstes bietet. Das finde ich einfach schäbig.
({8})
Bis zur dritten Lesung sollten Sie über diesen Weg noch
einmal in Ruhe nachdenken, vielleicht in der Karwoche,
in der man etwas zur Einkehr und zur Besinnung kommt.
Es ist noch nicht zu spät.
({9})
Ein weiterer Punkt. Als jemand, der kein Jurist ist,
habe ich immer geglaubt, dass die Verfassung unseres
Landes für die Menschen da ist.
({10})
In vielen Gesprächen haben wir festgestellt - wir sind da
gar nicht auseinander, Herr Bundesminister -, dass eine
kommunale Trägerschaft nur vernünftig zu regeln ist,
wenn wir die Verfassung ändern. Bei dieser gewaltigen
Aufgabe brauchen wir einen sicheren Weg für den Finanztransfer vom Bund zu den Kommunen. Wenn wir
uns darüber im Klaren sind, dass die Verfassung für die
Menschen da ist, dann begreife ich Folgendes nicht: Seit
1990 haben wir im Deutschen Bundestag viele Verfassungsänderungen durchgebracht, zum Beispiel haben
wir den Tierschutzgedanken in die Verfassung aufgenommen. Wenn man den Tierschutz in die Verfassung
aufnehmen kann, dann kann man doch wohl auch die
Verfassung ändern, um für die Schwächsten in der Gesellschaft eine Organisationsstruktur zu schaffen, durch
die sie in den Arbeitsmarkt gebracht werden.
({11})
Ich begreife eine solche Diskussion nicht. Es ist fast
menschenverachtend, wie Sie sich hier verhalten.
Über unsere Vorstellung, nämlich nicht einfach zu
kürzen, sondern die Kürzungen mit neuen Chancen wie
etwa des Zuverdienstes zu verbinden, werden wir, Frau
Dückert, in den nächsten Wochen und Monaten Diskussionen in den Städten und Gemeinden unserer Wahlkreise und im ganzen Land führen.
({12})
- Ich hetze nicht! Ich werde so reden wie heute. Auch
wenn es Ihnen nicht gefällt: Wir werden in dieser Sache
mit der Caritas, der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt und
mit vielen anderen Organisationen der Sozialbewegung
Seite an Seite stehen, um anzuprangern, was Sie mit diesem Gesetz anrichten wollen.
({13})
Viele von uns haben mit ihrer politischen Arbeit in
der Kommunalpolitik angefangen. Ich bin ohnehin der
Meinung, dass einige Jahre Kommunalpolitik die beste
Ausbildung für ein Abgeordnetenmandat ist.
({14})
Ich frage Sie eines: Was haben Sie in der Kommunalpolitik eigentlich gelernt? Trauen Sie unseren Bürgermeistern, Gemeinderäten und Kreistagen wirklich nicht zu,
dieses Problem - auch mit einer demokratischen Kontrolle - besser als die Bundesagentur zu lösen, die mit
vielen Kraken im Land arbeitet, die am Ende aber aus
Nürnberg und Berlin zentralistisch gesteuert werden?
({15})
Wenn wir in diesem Land in der Arbeitsmarktpolitik
vorankommen wollen, dann muss man sich fragen, wo
man besser entscheiden kann als gemeinsam mit dem
Handwerk, den Unternehmen, dem Einzelhandel und
den Gewerkschaften vor Ort.
({16})
Welche Qualifizierung ist regional nötig? In welchen
Arbeitsmärkten gibt es Wachstumschancen? Sie können
regional doch besser steuern.
Ich sage Ihnen eines zur Ausschreibungspraxis der
Bundesagentur für Arbeit: Sie schreibt zentral aus und
erstellt große Lose. Ich stelle mir gerade vor, dass es
zentrale Ausschreibungen für die Beschäftigungsgesellschaften und große Lose gibt, wie wir das in der Vergangenheit erlebt haben. Liebe Leute, ihr veranstaltet ein
Chaos und die Leidtragenden sind die Schwächsten in
dieser Republik.
({17})
Das tun Sie nur, um Ihre zentralistische Idee aus Berlin
und Nürnberg, wie eine Krake in das Land hinein eine
ideologische Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, umzusetzen.
({18})
In der Sache waren wir uns sehr einig. Weil wir bezüglich der Organisationsstruktur aber so unterschiedlicher
Meinung sind, wird es einen schweren politischen Kampf
geben. Ich sage Ihnen, warum wir ihn in den nächsten
Wochen mit aller Schärfe führen werden: Meine Sorge ist,
dass Sie, wenn diese 35 000 bis 40 000 Stellen bei der BA
erst einmal geschaffen worden sind, damit in den letzten
zwei Jahren Ihrer Regierungstätigkeit eine Organisation
einführen werden, die wir anschließend nur ganz schwer
wieder kommunalisieren können. Ich befürchte, dass das
- deswegen sind wir dabei so engagiert - eine irreparable Maßnahme wäre.
({19})
Daher kann ich Ihnen nur sagen: Kehren Sie um, solange noch Zeit dafür ist, nämlich bis zur dritten Lesung!
Ändern Sie das Grundgesetz! Sie würden sich wundern,
in wie vielen Regionen der Republik sich tüchtige Kommunalpolitiker und -politikerinnen mit den unterschiedlichsten Parteibüchern dieser Aufgabe stellen würden.
Sorgen Sie dafür, dass die Bundesagentur für Arbeit neben ihren heutigen 91 000 Beschäftigten nicht noch
30 000, 35 000 oder 40 000 zusätzliche Leute für diese
Aufgabe bekommt. In der ganzen Welt reden wir davon,
dass die Einheiten kleiner und überschaubarer werden
müssen. Sie machen genau das Gegenteil. Das kann ich
einfach nicht verstehen. Sie wissen ganz genau, dass Sie
in der Sache einen schweren Fehler machen.
({20})
Die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und
den Arbeitsämtern wird hier und da funktionieren, sie
wird aber nicht mehr dazu führen - das ist das Entscheidende -, dass die Kommunen die Arbeitsmarktpolitik
mit unterschiedlichen Ideen und Innovationen gestalten.
Natürlich werden die kommunalen Beschäftigungsgesellschaften vor Ort zunächst Verträge mit den Arbeitsämtern abschließen. Irgendwie wird die Aufgabe
weiterlaufen. Dort, wo ich Verantwortung trage, werde
ich das auch befördern und nicht boykottieren. Im Kreistag wird sich aber kein Ausschuss mehr mit der Arbeitsmarktpolitik beschäftigen. Es werden Innovationen verloren gehen,
({21})
weil Sie letzten Endes alles durch die Bundesagentur für
Arbeit erledigen lassen wollen.
Das Optionsgesetz, das Sie uns heute vorschlagen,
werden wir deswegen ablehnen, weil keine kommunale
Trägerschaft vorgesehen ist.
({22})
Mit uns wird der Landrat niemals ein Organ der Bundesagentur für Arbeit werden. Das haben die Landräte in
diesem Land wirklich nicht verdient.
Schönen Dank.
({23})
Ich erteile Kollegen Hans-Werner Bertl, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Man muss sich wirklich fragen, warum an Ostern auf einmal von Propheten und
Kraken gesprochen wird. Möglicherweise hat auch der
eine oder andere in den langen Nächten der Sitzungen
des Vermittlungsausschusses Wachträume gehabt.
Die Realität in diesem Land sieht Gott sei Dank ganz
anders aus. Die Frage der Augenhöhe wird glücklicherweise von verantwortlichen Kommunalpolitikern und
den Leitungsgremien der Bundesagentur für Arbeit
ebenfalls anders gesehen. Es ist eben nicht so, dass Menschen mit unterschiedlichen Besoldungsgruppen wie
A 16, B 4 oder B 5 nicht miteinander verhandeln und
Strukturen aufbauen könnten. Diese Strukturen sollen
dazu dienen, den Menschen in unserem Land, insbesondere den Langzeitarbeitslosen kompetente Hilfe aus
einer Hand zu geben.
Gott sei Dank sieht die Landschaft in unserem Land
anders aus. Es gibt zwar unterschiedliche Kompetenzen, aber es gibt Kompetenzen. Bei den örtlichen Sozialhilfeträgern werden begleitende Beratung und Therapien
angeboten. Hinzu kommen Ortsnähe und Kenntnis der
Strukturen. Die Träger haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Arbeitsmarktpolitik machen können.
Genauso existieren aufseiten der Bundesagentur für Arbeit regionale und überregionale Vermittlungsstrukturen,
mit denen Weiterbildung und Berufsvorbereitung organisiert sowie ärztliche und psychologische Dienste angeboten werden, die den Menschen zugute kommen.
Lieber Karl-Josef Laumann, dieses Parlament wäre
doch wirklich mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn
es uns nicht gelänge, diese beiden Kompetenzen zusammenzubringen, ohne uns im Gestrüpp zu verheddern, unter welchen Bedingungen bzw. auf welcher Augenhöhe
diese Ebenen zusammenarbeiten. Die Strukturen, die wir
organisieren, ermöglichen es, durch Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe umfassende Dienstleistungen in einer vollkommen anderen Struktur vor Ort
anzubieten.
Ich sage es noch einmal: Gott sei Dank gibt es nicht
nur in den 20 Modellämtern positive Beispiele. Beamten und Angestellten, Direktoren von Arbeitsämtern und
Mitarbeitern von Kommunen, Sozialdezernenten und
Oberbürgermeistern ist es wichtig, für die Menschen in
ihrer Stadt oder ihrem Kreis eine Struktur zu schaffen.
Schon seit Monaten sitzen Sozialdezernenten mit den
Leitern der Arbeitsagenturen zusammen. Sie haben beispielsweise die Frage, wo sie sich zusammensetzen können, über die wir lange diskutiert haben, längst geklärt.
Sie organisieren schon seit Monaten Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter und richten sich darauf
ein, den Menschen kompetent und vor allen Dingen dezentral vor Ort ein Angebot zu unterbreiten, welches die
gesamte Klaviatur von Arbeitsmarktpolitik, die wir mit
den Hartz-IV-Reformen realisiert sehen wollen, umfasst.
Ich finde es erstaunlich, wenn hier immer von Zentralismus und einer Krake, die das Land bedroht, gesprochen wird.
({0})
Den Menschen ist es letztendlich egal, ob Arbeitsgemeinschaften oder Optionsmodelle zum Tragen kommen. Für die Menschen zählt schlicht und ergreifend,
dass sie im Gestrüpp von Sozialhilfeträgern und Arbeitsämtern nicht mehr hin- und hergeschickt werden. Für
eine junge Frau mit Kind ist es kein Trost, vom Arbeitsamt zum Sozialamt geschickt zu werden, die Kinderbetreuung zu organisieren, um dann möglicherweise
wieder zurückgeschickt zu werden. Erst dann steht sie
dem Arbeitsmarkt vielleicht zur Verfügung.
Sehen Sie denn nicht, dass die erforderlichen Strukturen der Hartz-IV-Reformen - jenseits aller Überlegungen, wie wir das Ganze gesetzlich handhaben - von
wirklich motivierten Menschen sowohl in den Arbeitsämtern als auch in den Kommunen schon geschaffen
worden sind? Sie sitzen bereits seit Monaten zusammen.
Dabei gibt es zwischen Großstadt und Landkreis oft
große Unterschiede. Ich frage mich: Wie haben Sie es
geschafft, eine derartige Angst vor diesen Regelungen
zu verbreiten? Viele Landräte fragen sich: Habe ich zukünftig noch eine Aufgabe? Wie werden die Finanzströme verteilt? Bei einem Gespräch mit so manchem
Bürgermeister eines Landkreises bekommt man ganz andere Antworten. Dort heißt es vielmehr: Ich weiß nicht,
wie meine örtliche Arbeit demnächst über die Kreisumlage strukturiert sein wird.
Sie tun so, als ob diese Republik im Chaos versinkt
und die Apokalypse droht. In Wirklichkeit aber wird mit
den Hartz-IV-Regelungen in diesem Land dafür gesorgt,
dass die Kompetenzen in zwei Strukturen von sozialen
Sicherungssystemen gebündelt werden. Ich sage Ihnen
ganz ehrlich: Mir ist vollkommen egal, ob sich Kommune A oder Kreis B für das Optionsmodell oder die Arbeitsgemeinschaft entscheidet. Für mich ist wichtig, dass
die Fachleute vor Ort endlich zusammenarbeiten und für
die Menschen ein Angebot aus einer Hand zimmern.
({1})
Diese entscheidende Kompetenz wollen wir auf den
Weg bringen. Dies werden wir mit diesem Gesetz erreichen.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2816 und 15/2817 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2816 soll zusätzlich an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksachen 15/2109, 15/2360 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
- Drucksache 15/2849 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer
Präsident Wolfgang Thierse
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/2850 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Dr. Michael Luther
Anja Hajduk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Marlies Volkmer, SPD-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinter
dem technischen Titel des Gesetzes verbirgt sich ein interessanter und bedeutsamer Inhalt. Denn wir ändern
heute nicht nur das Arzneimittelgesetz ein kleines bisschen, sondern wir geben der klinischen Arzneimittelforschung in Deutschland einen neuen Rahmen. Wir
überführen europäisches Recht in deutsches Recht und
wir verbessern die Bedingungen für die klinische Arzneimittelforschung in Deutschland.
({0})
Von den neuen Zustimmungs- und Genehmigungsverfahren wird der Pharmastandort Deutschland profitieren.
Kurze Fristsetzungen werden zu einer beschleunigten
Beurteilung beitragen. Europarechtliche Vorgaben werden unter Berücksichtigung von Standortaspekten ausgeschöpft.
Klinische Forschung findet im Spannungsfeld zwischen Forschungsinteressen und dem Schutz von Probanden statt. Hohe qualitative Anforderungen an die klinische Forschung stehen dabei in keinem Gegensatz zu
industriepolitischen Zielen. Im Gegenteil: Ein hoher
Standard beim Probandenschutz und eine damit verbundene gute Qualität der Forschung stärkt im internationalen Maßstab die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem durch
ein stärkeres Vertrauen der Patientinnen und Patienten in
die Teilnahme an klinischen Studien. Das zeigt die Zulassungspraxis am weltgrößten Pharmastandort, die Praxis der US-amerikanischen Food and Drug Administration.
Dem Probandenschutz dient unter anderem die Verbesserung des Versicherungsschutzes. Ein hohes Schutzniveau wird dadurch erzeugt, dass künftig neben der
Genehmigung durch die Bundesoberbehörde eine zustimmende Bewertung der Ethikkommission zwingend
notwendig ist, um eine klinische Prüfung zu beginnen.
({1})
Es geht also nicht mehr, dass eine Studie auch im
Falle eines negativen Votums der Ethikkommission begonnen werden kann.
Besonderen Schutzes bei klinischen Prüfungen bedürfen nicht einwilligungsfähige Personen, darunter auch
Kinder. Daher war es eine besonders schwierige Entscheidung, neue Regelungen zur Forschung an Kindern
gesetzlich zu verankern, um die Arzneimittelsicherheit
bei Kindern zu verbessern.
Ein Hindernis bei der Entwicklung spezifischer für
Kinder und Jugendliche zugelassener Arzneimittel soll
mit der Einführung des Kriteriums der Gruppennützigkeit beseitigt werden. Danach ist nicht nur der unmittelbare individuelle Nutzen für eine klinische Prüfung notwendig, sondern auch ein direkter Nutzen für die Gruppe
der Patienten, die an derselben Krankheit leidet wie die
Versuchsperson. Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir diesen Punkt lange kontrovers diskutiert
haben. Das ist auch verständlich. Denn auf der einen
Seite ist es ein berechtigtes Interesse von Eltern kranker
Kinder, aber auch von Ärzten, den Zugang zu neuen Medikamenten und die Arzneimittelsicherheit zu verbessern, auf der anderen Seite wollen wir aber alle nicht,
dass Kinder zu Versuchskaninchen werden. Ich meine
aber, dass wir alle zusammen diesen Konflikt gut gelöst
haben.
({2})
Auf der einen Seite haben wir bewusst an der Gruppennützigkeit festgehalten, um alle Möglichkeiten zu
nutzen, den riskanten Off-Label-Use von Erwachsenenarzneimitteln zu beenden. Auf der anderen Seite haben
wir alle Maßnahmen ergriffen, um die an Studien teilnehmenden Kinder wirkungsvoll zu schützen.
Deshalb haben wir im Gesetzgebungsverfahren klargestellt, was unter minimalen Risiken und Belastungen,
die den Kindern zugemutet werden können, zu verstehen
ist und was es heißt, dass der natürliche Wille des Kindes
zu beachten ist. Hierbei sind wir den Empfehlungen der
Enquete-Kommission „Ethik und Recht in der modernen
Medizin“ gefolgt.
({3})
Dem Schutz minderjähriger Probanden dient auch
eine Maßnahme, die neu im Gesetz verankert worden ist.
Wenn eine Ethikkommission eine Prüfung bewerten
soll, dann erhält sie von der zuständigen Bundesoberbehörde alle relevanten Daten, die für die Bewertung nötig und wichtig sind. Denn die Bundesoberbehörde hat
im Gegensatz zu den Ethikkommissionen Zugriff auf die
europäische Datenbank, in der Informationen über den
Inhalt, den Beginn, aber auch über die Beendigung und
den Abbruch von klinischen Prüfungen registriert werden. Mit dieser Unterrichtungspflicht können unnötige
klinische Prüfungen vermieden werden.
Auf Anregung der Kinderkommission des Deutschen
Bundestages haben wir die Bundesregierung gebeten,
nach einem Zeitraum von fünf Jahren zu überprüfen und
zu berichten, wie sich die Änderungen zur Erprobung
von Arzneimitteln an Minderjährigen auswirken.
Vielfach wurde die Sorge geäußert, dass Universitätskliniken keine Therapieoptimierungsstudien mehr
durchführen könnten, weil sie durch das Gesetz in die
Rolle des Sponsors gelangten. Damit - so die Befürchtungen - würden sie Anforderungen und Verfahren unterliegen, die die Universitäten überfordern könnten.
Für die geforderten Ausnahmeregelungen stehen dem
Gesetzgeber aber nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, da das europäische Recht hier eindeutig ist. Therapieoptimierungsstudien müssen denselben Qualitätsstandards entsprechen wie andere klinische Studien
auch. Die bestehenden Möglichkeiten sollten freilich im
Rahmen der noch zu erlassenden Rechtsverordnung genutzt werden.
Uns ist es wichtig, dass Versicherte auch dann Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung haben, in denen die medizinische Versorgung
im Rahmen einer Erprobung durchgeführt wird. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird hier durch uns aufgefordert, eine entsprechende Anpassung der Arzneimittelrichtlinien vorzunehmen.
Im Jahr der Innovationen erneuern wir das Arzneimittelgesetz. Das ist ein gutes Zeichen für die pharmazeutische Forschung in unserem Land. Eine starke Pharmaindustrie in Deutschland verbessert auch die medizinische
Versorgung der Patientinnen und Patienten.
({4})
- Das tun wir. - Durch die Einbindung der Ärzte in den
Entwicklungsprozess haben die Patientinnen und Patienten früher Zugang zu innovativen Medikamenten.
Diese Maßnahmen fügen sich in die Bemühungen der
Bundesregierung zur Fortsetzung der langen Tradition
der Arzneimittelforschung und -entwicklung in Deutschland ein. Die Taskforce zur Verbesserung der Standortbedingungen für die pharmazeutische Industrie, die im
Mai vorigen Jahres eingerichtet wurde, wird in Kürze ihren Abschlussbericht vorlegen. Das Forschungsministerium fördert seit dem Jahr 2000 klinische Forschung mit
insgesamt 280 Millionen Euro.
Ich bin davon überzeugt, das die 12. AMG-Novelle
zur Stärkung der pharmazeutischen Industrie in Deutschland beitragen wird, indem die Verfahren reformiert, die
Arzneimittelsicherheit verbessert sowie ein umfassender
Probandenschutz gewährleistet werden.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Wolf Bauer, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung der
12. AMG-Novelle wird bei der Umsetzung von EURecht in nationales Recht die Chance vertan, den vorhandenen Spielraum im deutschen Interesse auszuschöpfen. Ich sehe das völlig anders als meine Vorrednerin:
Das ist keine Stärkung. Wir hätten uns ganz anders verhalten müssen, wenn wir in diesem Bereich etwas für
den Pharmastandort Bundesrepublik Deutschland hätten
tun wollen.
Obwohl es lange Zeit so ausgesehen hat, als könnten
wir im Interesse der Sache einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegen, haben die Koalitionsfraktionen in den
für uns wesentlichen Punkten nahezu keine Kompromissbereitschaft gezeigt.
({0})
Hinzu kommt, dass die Verhandlungen auch deshalb gescheitert sind, weil man uns in letzter Minute mit einem
Änderungsantrag konfrontiert hat, der rechtlich äußerst
problematisch ist und der in seiner Tragweite nicht innerhalb von einer Woche zu erfassen war. Die Bundesregierung hat mit diesem Antrag die Einigungsbemühungen unnötig beschwert und letztendlich den Weg zu
weiteren Verhandlungen versperrt.
({1})
Hier noch einmal die wesentlichen Argumente, die
uns veranlassen, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen
- einen Teil werde ich anführen, den anderen wird der
Kollege Hüppe gleich noch vortragen -: Bereits in dem
Entschließungsantrag „Klinische Prüfung in Deutschland entbürokratisieren“ haben wir unsere Vorstellungen
beispielsweise betreffend die Entbürokratisierung und
das gesamte komplexe Verfahren der Ethikkommissionen dargelegt. Obwohl in der 12. AMG-Novelle das
Votum einer Ethikkommission als ausreichend angesehen wird, bestehen die Koalitionsfraktionen weiterhin
auf der Beteiligung der lokalen Ethikkommissionen. Damit ist das Problem des aufwendigen Verfahrens der
Ethikkommissionen nicht gelöst.
Weitere Kosten und Erschwernisse sind durch die dezentrale Ansiedlung von Kontaktstellen zu erwarten.
Das damit verfolgte Ziel einer persönlichen Beratung der
Probanden wird ebenfalls nicht erreicht. Die entsprechenden Ländereinrichtungen haben keine detaillierten
Kenntnisse über die klinischen Prüfungen. Sie kennen
weder Daten über Beginn, Verlauf und Beendigung noch
das Ergebnis einer klinischen Prüfung. Also müssten
sich die Länder bei einer Anfrage durch einen Prüfungsteilnehmer in aller Regel erst bei der zuständigen Bundesoberbehörde informieren, um überhaupt eine vernünftige Antwort geben zu können. Damit entstehen ein
unnötiger Verwaltungsaufwand und eine Zeitverzögerung, die weder im Interesse des Prüfungsteilnehmers
noch im Interesse der beteiligten Behörden liegen kann.
Unter dem Aspekt der Verbesserung der Standortbedingungen ist schließlich die Beibehaltung der expliziten
Genehmigung für bestimmte Arzneimittel nicht förderlich.
({2})
Zwar haben die Koalitionsfraktionen darauf verwiesen,
dass die Genehmigungsfrist höchstens 60 Tage beträgt,
dass die Genehmigung also früher erteilt werden kann.
Aber angesichts der Erfahrung mit der Nachzulassung
besteht die Gefahr, dass das BfArM die Bearbeitung
auch hier nicht bewältigen kann.
Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Sätze aus
dem Abschlussbericht der Kommission „Organisationsstrukturen und Verfahrensabläufe des BfArM“ zitieren:
Fehlende Gesamtkoordination der Zulassungsanträge führt zu langen Zulassungszeiten bei den
nationalen Zulassungsverfahren.
Weiter heißt es:
Die Experten arbeiten jedoch weitgehend unabhängig voneinander und ohne sich zu fachübergreifenden Aspekten auszutauschen.
Auch wenn diese Aussagen im Zusammenhang mit
dem Zulassungsverfahren stehen, sind sie doch nicht geeignet, das Vertrauen der Hersteller zu stärken, dass die
Bearbeitungszeit von höchstens 60 Tagen eingehalten
wird.
In der Anhörung erklärte der damalige Leiter des
BfArM, Professor Schwalm, dass 29,5 Stellen benötigt
werden, um die zusätzlichen Arbeiten des BfArM bewältigen zu können. Überaus spannend ist zu beobachten, wie die Bundesregierung versucht, an das notwendige Geld für diese Stellen zu kommen. Wie bereits
anfangs erwähnt, tauchte eine Woche vor Abschluss der
Beratungen im Gesundheitsausschuss plötzlich ein Änderungsantrag der Regierungskoalition auf, der die Verjährungsfrist für die Gebührenerhebung des BfArM im
Nachzulassungsverfahren rückwirkend - ich betone:
rückwirkend - aufheben soll. Hier reicht uns die Aussage des Justizministeriums, man habe keine Einwände,
nicht aus. Wir haben weder ein schriftliches Gutachten
des Justizressorts bekommen noch die Zeit gehabt, selber Sachverständige zu diesem Problembereich anhören
zu können.
Das BMGS selbst räumt in einem Schreiben an den
Ausschussvorsitzenden, an den Kollegen Kirschner, ein,
dass „es etwa im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung
der geänderten Vorschrift kommen“ könnte. Weiter heißt
es: „Denkbar wäre auch eine Verfassungsbeschwerde,
die ein pharmazeutischer Unternehmer im Anschluss an
eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erheben kann.“
Rechtssicherheit, ein ganz wichtiges Gut, kann
durch diese Regelung somit nicht erreicht werden. Vielmehr sind nach dieser Rechtslage weitere Klageverfahren zu befürchten, die die personellen und finanziellen
Ressourcen des BfArM ebenfalls belasten und die Stellenvorgaben wahrscheinlich nicht realisierbar machen.
In diesem Zusammenhang gibt es - das ist überaus interessant - Indizien dafür, dass die Bundesregierung einen Kuhhandel dergestalt versucht hat, ein Entgegenkommen der Hersteller bei der Verjährung der
Gebührenerhebung des BfArM mit einem Entgegenkommen bei den Anforderungen an klinische Prüfungen
zu kompensieren.
({3})
Das ist ein mehr als gefährliches Vorhaben. Wir können
nur begrüßen, dass es zu diesem Kuhhandel nicht gekommen ist.
Ich komme auf den parlamentarischen Bereich zurück. Uns gegenüber hat sich die Bundesregierung gerade an dieser Stelle keinen Zentimeter bewegt, um auf
die berechtigten Forderungen einzugehen. Schon das allein ist Grund genug, im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf keinen Kompromiss zu schließen.
Ich möchte am Schluss meiner Ausführungen an eine
Aussage des neuen SPD-Parteivorsitzenden Franz
Müntefering erinnern, die er am 11. Januar 2004 in der
Sendung „Sabine Christiansen“ gemacht hat:
Die Tatsache, dass die pharmazeutische Industrie in
den letzten Jahrzehnten aus Deutschland im Wesentlichen rausgegangen ist, hat auch damit zu tun,
dass wir ihnen nicht genügend Möglichkeiten gegeben haben. Dass die Arbeitsplätze dann auch mitgehen, ist die Konsequenz daraus.
„Möglichkeiten“, das hat auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Ich kann nur an Sie appellieren, just in diesem Sinne zu arbeiten und diesem Gesetzentwurf daher
nicht zuzustimmen.
Danke schön.
({4})
Nun hat Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich
auf das Thema „Bemühungen um eine Einigung mit der
CDU“ zu sprechen komme, möchte ich einiges zu den
Inhalten dieses Gesetzes sagen. Ich glaube, daraus wird
deutlich, dass die CDU nicht wirklich gute Gründe hat,
dieses Gesetz abzulehnen.
Mit der 12. AMG-Novelle macht Deutschland zunächst einmal seine Hausaufgaben: Wir setzen die Richtlinie zur guten klinischen Praxis der EU um. Diese
Richtlinie war notwendig, weil es sehr unterschiedliche
rechtliche Bestimmungen zur Arzneimittelforschung in
den EU-Mitgliedstaaten gab. Jetzt wird die Durchführung multinationaler Prüfungen vereinfacht. Gleichzeitig
wird - das ist uns sehr wichtig - der Schutz der Patientinnen und Patienten sowie der Probandinnen und Probanden innerhalb der EU weiterentwickelt.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist es gelungen - mich wundert, dass die CDU das so gar nicht zu
würdigen weiß -, entscheidende Schritte weiterzugehen.
({0})
Man kann sagen, dass dieses Gesetz ein bedeutender
Schritt ist in Richtung einer Arzneimittelforschung und
-versorgung, die die bestehenden unterschiedlichen
Wirkungsweisen von Medikamenten bei Frauen, bei
Kindern und bei Jugendlichen tatsächlich berücksichtigt. Wir alle wissen: Bei etlichen Krankheiten, von denen Kinder betroffen sind, gibt es keine Arzneimittel.
Möglich ist auch, dass Kindern nicht zugelassene Arzneimittel gegeben werden, obwohl man nicht weiß, wie
sie eigentlich wirken. Gleichzeitig gab es Anhaltspunkte, dass in der Praxis - in einer rechtlichen Grauzone - an Kindern geforscht wird.
Jetzt schaffen wir in diesem Bereich Rechtssicherheit. Ich dachte eigentlich, die CDU habe hin und wieder
auch ethische Fragestellungen im Blick.
({1})
- Ja, Herr Hüppe. Da sollten Sie einmal genauer hinschauen. - Nun wird nämlich klar, in welchen Fällen
eine gruppennützige klinische Arzneimittelforschung bei
Minderjährigen durchgeführt werden darf. Der Schutz
dieser Patientengruppe wird gestärkt:
Im Gesetz wird klargestellt, dass eine klinische Forschung an gesunden Kindern nicht durchgeführt werden
darf.
Weiterhin haben wir klargestellt, dass der Wille eines
kranken Minderjährigen, an einer klinischen Forschung
nicht teilzunehmen, beachtet werden muss. Darunter fallen - das kommt eindeutig zum Ausdruck - auch nicht
sprachliche Äußerungen.
Außerdem ist diese Forschung nur dann erlaubt, wenn
die zusätzlichen Maßnahmen lediglich mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden
sind. Auch diese Begriffe haben wir klar definiert.
Wir haben eine zusätzliche Anforderung an die Ethikkommissionen gestellt. Eine Ethikkommission muss bei
Anträgen für klinische Forschung an kranken Minderjährigen kinderheilkundlichen Sachverstand hinzuziehen, wenn sie ihn in der Kommission nicht schon hat.
Des Weiteren ist es jetzt möglich, Doppeluntersuchungen - das war ein wichtiges Thema bei der Anhörung - zu vermeiden, weil eine Auskunftspflicht der
Bundesoberbehörde eingeführt wird. Die Behörde muss
die Ethikkommissionen über im europäischen Register
vorliegende Informationen zu ähnlichen Studien wie den
beantragten Studien unterrichten. Das ist wirklich im
besten Interesse der Patientinnen und Patienten.
Wir haben uns dafür stark gemacht, dass die Arbeit
der Ethikkommissionen - die Kommissionen erhalten
jetzt umfassendere Befugnisse und Aufgaben - evaluiert
wird. Wir werden uns also in einigen Jahren genauer anschauen, ob sich das tatsächlich bewährt hat.
Lassen Sie mich abschließend an die Adresse der
CDU/CSU sagen: Zwischen uns sind nicht die ethischen
Aspekte streitig geblieben; Ihnen ging es um das liebe
Geld. Wie schreiben Sie in einem Antrag? Ihnen geht es
dabei um die rückwirkende Erhebung von - wie Sie es
ausdrücken - bereits verjährten Gebührenansprüchen
im Nachzulassungsverfahren, die Beibehaltung der expliziten Genehmigung und die dezentrale Ansiedlung
von Kontaktstellen. Nun sind das wahrlich keine ethischen Fragen wie etwa die Frage der gruppennützigen
Forschung an kranken Kindern oder die Frage, ob man
die Deklaration von Helsinki aufnimmt. Für Sie waren
nicht die ethischen, sondern die monetären Aspekte zentral. Sie wollten die Kassen der Pharmaindustrie ebenso
wie die der Länder schonen. Das ist nun wirklich etwas
schmalspurig gedacht, finde ich, zumal Sie den Probanden auch noch wohnortnahe Kontaktstellen vorenthalten
wollen.
Wenn sich der Nebel aus allem, was hier vorgebracht
worden ist, etwas lichtet, wird man sehen: Wir haben ein
gutes Gesetz formuliert, ein Gesetz, das einerseits die Interessen der Pharmaindustrie berücksichtigt, aber andererseits gerade auch den Schutz der Probanden und Patienten im Auge hat. Einseitigkeit wäre fehl am Platze.
Ich hoffe, dass die CDU/CSU das bis zur Verhandlung
im Vermittlungsausschuss auch noch erkennt.
Danke schön.
({2})
Ich erteile Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon eine interessante Erfahrung, die wir in dieser
Stunde machen: Die Bundesregierung ist offensichtlich
auf eine rote Strickjacke reduziert worden.
({0})
- Sehr nett, dass Sie mir zuhören und auch noch applaudieren wollen, Frau Caspers-Merk.
Schon in der ersten Lesung haben wir festgestellt: In
vielen Punkten der 12. AMG-Novelle sind wir uns einig.
Unseres Erachtens sind einige wirklich gute Lösungen
gefunden worden, so zum Beispiel in der Frage der Forschungsmöglichkeiten bei nicht einwilligungsfähigen
Personen. Der Gesetzentwurf besagt, dass der Wille von
Minderjährigen, nicht an einer klinischen Prüfung teilzunehmen, sei es durch verbale Äußerung oder sei es durch
Anzeichen von Furcht oder Schrecken, strikt zu beachten ist. Die Anregung unseres Kollegen Kolb ist aufgenommen worden. Dafür herzlichen Dank. Mit dieser
Formulierung, so denken wir, ist eine sehr gute Grundlage dafür geschaffen worden, dass Kinder und Jugendliche nicht vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt
werden und ihnen dennoch der höchstmögliche Schutz
garantiert wird.
Es darf nicht sein, dass Minderjährige gegen ihren
Willen in eine klinische Prüfung kommen. Es darf aber
ebenso wenig sein, dass die Forschung an und die Entwicklung von Arzneimitteln speziell für Minderjährige behindert wird. Kinder und Jugendliche müssen
dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere
Pharmakotherapie wie Erwachsene haben. Wir haben in
der letzten Legislaturperiode gemeinsam einen Antrag
verabschiedet mit dem Ziel, die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu sichern und zu
verbessern. Darin ist das nachdrücklich unterstrichen
worden.
Zu begrüßen ist auch, dass es weiterhin möglich sein
wird, Pflanzen oder Pflanzenteile zu importieren. Die
Chancen für naturheilkundliche Produkte dürfen nicht
durch restriktive Regelungen zur Herstellererlaubnis genommen werden. Die Vorschrift ist entsprechend umformuliert worden.
Auch in anderen Bereichen hätten wir uns weniger
bürokratische Lösungen vorstellen können. So ist unseres Erachtens nicht nachzuvollziehen, Frau Kollegin
Bender, warum die Zahl der Krankheitsbilder erhöht
worden ist, bei denen eine explizite Genehmigung eingeholt werden muss. Aus unserer Sicht hat es in der Vergangenheit keinerlei Probleme mit der impliziten Genehmigung gegeben. Deshalb hätte man es dabei belassen
sollen.
Ein weiterer Grund, warum wir den Gesetzentwurf
letztendlich doch noch ablehnen, liegt in der Vorlage einer Änderung durch die Regierungsfraktionen erst kurz
vor Abschluss des Gesetzes: die rückwirkende Aussetzung von Verjährungsfristen bei der Erhebung von
Gebühren im Rahmen der Nachzulassung. Kollege
Bauer hat darauf hingewiesen, dass das rechtlich nicht
haltbar ist, und ich stimme ihm ausdrücklich zu; das ist
auch aus unserer Sicht so. Sie versprechen sich offenbar
eine sichere Einnahmequelle für das BfArM. Das wird
aus unserer Sicht so nicht eintreten. Die betroffenen Firmen werden - das ist schon heute absehbar - klagen, ich
vermute, mit Erfolg. Deswegen tragen wir eine solche
Regelung nicht mit.
Letzte Bemerkung zu dem von Ihnen vorgelegten
Entschließungsantrag. Sie fordern die Bundesregierung
auf, in Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Ethikkommissionen zu beobachten, zu evaluieren und nach
drei Jahren einen Evaluierungsbericht vorzulegen. Das
hätten wir prinzipiell mittragen können. Was wir aber für
bedenklich halten und deshalb nicht mittragen können,
sind die in diesem Antrag formulierten Wertungen und
das damit verbundene Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung. Sie fragen nach Mängeln und zweifeln an,
dass die Ethikkommissionen ihre Bewertungen in Übereinstimmung mit dem medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnisstand getroffen haben. Das ist aus unserer
Sicht erneut Ausdruck des grundlegenden Zweifels der
Bundesregierung an der Arbeit von Selbstverwaltungen
und allem, was nicht staatlich ist.
So bedauern wir, dass wir trotz des konstruktiven Dialogs, den wir geführt haben, diesem Gesetzentwurf
letztendlich doch nicht zustimmen können.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Hubert Hüppe, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Bender, ich will das an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Natürlich hat die Novelle des AMG eine
hohe bioethische Brisanz. Deswegen komme ich auf dieses Thema hauptsächlich zu sprechen. Aus diesem
Grunde sind wir enttäuscht - auch das darf ich an dieser
Stelle sagen -, dass man den Empfehlungen der
Enquete-Kommission - Frau Volkmer, Sie haben diesen
Empfehlungen in der Enquete-Kommission zugestimmt - wenn überhaupt, nur teilweise und auch nur
halbherzig gefolgt ist.
({0})
- Ich komme noch auf die einzelnen Punkte.
Natürlich ist gerade die Einführung des „Gruppennutzens“ bei Kindern ein sensibler Punkt. Es ist richtig,
Herr Parr, dass wir uns in dem Ziel einig sind, sichere
Therapien gerade für Minderjährige, für Kinder zu
schaffen. Wir haben dort ein großes Problem, weil die
meisten Mittel für Kinder nicht zugelassen sind. Auch
das ist natürlich ein ethisches Problem. Deswegen wollen wir bessere und sichere Therapien für Kinder.
Aber ich sage hier auch ganz deutlich: Das wird sich
nicht allein mit den Rahmenrichtlinien dieses AMG lösen lassen. Wir brauchen auch neue Möglichkeiten und
Anreize für die Pharmaindustrie, sich um diese Dinge zu
kümmern. Es ist einfach so, dass die Gruppe der kranken
Kinder häufig zu klein ist, als dass sich teure Forschung
lohnen würde. Es ist ein Irrglaube, dass durch dieses
AMG alle Probleme gelöst seien. Deshalb müssen wir
uns auf diesem Gebiet weiterhin viele Gedanken machen.
Natürlich habe ich noch immer Probleme mit dem
Bereich und auch dem Begriff des so genannten Gruppennutzens, weil er beinhaltet, dass es sich um fremdnützige Forschung handelt. Allerdings handelt es sich hier
um einen etwas anderen Tatbestand; denn bei Kindern
lag, anders als bei nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen, die Einwilligungsfähigkeit nie vor. Deswegen ist,
auch auf Drängen der Union, erreicht worden, dass die
Begriffe minimales Risiko und minimale Belastung
enger gefasst worden sind. Dafür bedanke ich mich an
dieser Stelle bei allen Parteien, die dazu beigetragen haben.
({1})
-„Nicht mit fremden Federn schmücken“ - wenn Sie unsere Änderungsanträge in diesem Bereich, die Sie alle
abgelehnt haben, genau gelesen hätten, wüssten Sie, dass
unsere Anträge wesentlich wasserdichter sind als Ihre.
Ich darf hier einen weiteren Punkt ausführen, nämlich
die Streichung des Halbsatzes in § 41 der Novelle, in
dem es hieß, dass praktisch jede klinische Prüfung erfolgen dürfe, die „ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen“ durchführbar ist. Nachdem wir Sie immer wieder
auf diesen Punkt hingewiesen haben, hat es noch bis zur
letzten Minute gedauert, bis Sie bereit waren, diesen
Satz zu streichen. Ich bin dafür dankbar. Aber wenn Sie
sagen, dass Sie durch die Streichung die ethischen Prinzipien vertreten hätten, dann muss ich Ihnen sagen: Sie
haben diesen Halbsatz nur gestrichen, weil wir Sie so
lange gedrängt haben.
({2})
Wäre dies nicht geschehen, wäre der Eindruck entstanden, dass an kranken Kindern fremdnützige Forschung
durchgeführt werden dürfte.
({3})
- Alle, die an diesen Verhandlungen teilgenommen haben, wissen, Frau Volkmer, dass Sie zumindest in zwei
Sitzungen gesagt haben, dass der Satz im Gesetz stehen
bleiben soll, weil es vielleicht doch noch etwas geben
könnte, was gemacht werden soll. Erst in der letzten Sitzung haben Sie sich vom Gegenteil überzeugen lassen.
({4})
Es gibt noch einen anderen Punkt, der mir sehr wichtig ist. Das Prinzip in der Helsinki-Deklaration, dass
kranke Menschen als Studienteilnehmer nicht unbehandelt bleiben dürfen, haben Sie im Gesetz nicht so verankert, wie wir es wollten. Wir wollten insbesondere in Bezug auf kranke Kinder klargestellt haben, dass im
Rahmen solcher Studien nicht auf die Standardtherapie
verzichtet werden darf, weil es sich nach unserer Meinung eben nicht um ein minimales Risiko und nicht um
eine minimale Belastung handelt. Wenn Sie wirklich das
gewollt hätten, was in Ihrem Entschließungsantrag enthalten ist - Sie erwarten darin, dass man im Falle kranker Kinder bei klinischen Studien nicht auf die Standardtherapie verzichtet -, dann hätten Sie das in das Gesetz
schreiben müssen. Das hätte die Sicherheit gegeben, die
wir haben wollen.
({5})
Der Bundestag ist ein Gesetzgebungsorgan. Er hat nicht
Erwartungen zu äußern, sondern er muss das, was gewollt ist, in einem Gesetz regeln.
Es gäbe noch viele Dinge zu sagen. Ich will aber nur
noch einen letzten Punkt ansprechen. Wir wollen Arzneimittelsicherheit. Aber wir wollen auch sicherstellen,
dass keine Versuche durchgeführt werden, die es schon
gegeben hat. Wir haben auch hier eine konkrete Forderung formuliert und ein nationales Register gefordert.
Wir haben in den Verhandlungen gesagt, dass wir Sie unterstützen, wenn es einen direkten Zugriff der Ehtikkommission auf das neu zu schaffende Register auf europäischer Ebene gibt. Diesem Vorschlag sind Sie nicht
gefolgt. Ich hätte gedacht, dass Sie in diesem Punkt in
Ihrem Antrag deutlicher geworden wären.
Sie sehen also: Wenn es um den Forschungsstandort
und wenn es um die Ethik geht, dann haben Sie manchmal Probleme, im Einzelfall die notwendigen Regelungen dezidiert in einem Gesetz zu verankern. Wir lehnen
Ihren Gesetzentwurf nicht nur aus forschungspolitischen, sondern auch aus ethischen Gründen ab.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({6})
Kollegin Lötzsch hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.
Damit schließe ich die Aussprache.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Zwölften Ge-
setzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Es han-
delt sich um die Drucksachen 15/2109 und 15/2360. Der
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung emp-
fiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2849, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Dazu liegt eine persönliche
Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kol-
legen Wodarg vor.2) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2849 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen
Mehrheit wie soeben angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. April 2004, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen eine heitere Osterzeit.
Die Sitzung ist geschlossen.