Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/5/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor wir zu Fragen zu diesem Themenbereich kommen, möchte ich in unseren Reihen die Kollegin Grietje Bettin herzlich begrüßen. ({0}) Sie leistet nicht nur einen Beitrag zur Erhöhung des Frauenanteils, sondern trägt erheblich zur Verjüngung des Parlaments bei. - Herzlich willkommen in unserer Runde. Nun zu den Fragen zum Themenbereich von Frau Wieczorek-Zeul. - Herr Kollege, bitte schön.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben den Anteil der Bundesrepublik Deutschland am Gesamtvolumen der während dieser Geberkonferenz avisierten Mittel genannt. Sind Sie in der Lage, die Anteile der anderen großen EU-Geberstaaten zu nennen und darüber hinaus den Anteil, den die Europäischen Union als Ganzes zu leisten bereit ist und zugesagt hat? Könnten Sie ferner einen Satz dazu verlieren, wie die Finanzierung aus dem Haushalt der Europäischen Union - ich nenne das Stichwort „Zuckermarktordnung“ bzw. Überlegungen, aus dem Agrarhaushalt Mittel zweckzuentfremden - seitens der Bundesregierung bewertet wird?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Ministerin, bitte.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Zu den Anteilen der anderen Geberländer: Die EU-Kommission kommt auf einen Anteil von 37,4 Prozent. Bei den EU-Ländern sind nach der Bundesrepublik die Niederlande mit einem Anteil von 5,8 Prozent und Italien mit einem von 4,2 Prozent vertreten. Der Anteil Frankreichs liegt bei 2,2 Prozent und der Großbritanniens bei 1,9 Prozent. Zu der Frage nach dem Einsatz von Haushaltsmitteln der Europäischen Union. Dieses Thema war nicht Teil der Diskussion auf der entsprechenden Geberkonferenz. Ich gehe davon aus, dass eine Diskussion über die Frage, wie ein Teil der Finanzierung vonseiten der EU geleistet wird, in den Gremien der EU noch weiter stattfinden wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die nächste Frage stellt der Kollege Peter Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, Sie haben freundlicherweise die prozentualen Anteile der EU-Mitgliedstaaten vorgelesen, die an der Spitze der Geberliste stehen. Besteht nach Ihrer Auffassung nicht ein Missverhältnis zwischen dem, was die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande einbringen, und dem, was Frankreich und Großbritannien einbringen? Ist dieses Missverhältnis seitens der Bundesregierung entweder in europäischen Gremien oder auf der Geberkonferenz thematisiert worden? Ich will daran erinnern, dass bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem zerfallenen Ex-Jugoslawien Deutschland eines der Hauptaufnahmeländer war und bis zum heutigen Tag die Hauptlasten trägt.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Ich habe selbstverständlich in meiner Rede auf der Geberkonferenz an alle appelliert, sich noch stärker zu engagieren. Das gilt natürlich im Übrigen für alle Beteiligten. Auf der Konferenz selbst haben in der Tat eine Reihe von Mitgliedsländern, unter anderem Frankreich, die bisher zugesagten Beiträge aufgestockt. Deshalb, Herr Kollege, möchte ich gewissermaßen gegenüber den anderen Regierungen eine Grundposition einnehmen, die eine positive Erwartung ausdrückt und nicht nur kritisiert, dass sie sich zu wenig festgelegt hätten, und zwar aus folgendem Grund: Die Projekte, die diskutiert worden sind, besonders die Quick-Start-Projekte, aber auch alle anderen, sind noch für Beteiligungen offen. Wir werben zum Beispiel dafür, dass andere mit uns den Wiederaufbau der Brücke von Novi Sad - wir können das nicht alleine schaffen - mitfinanzieren. Infolgedessen möchte ich andere zu einer Beteiligung ermutigen. Das ist vielleicht der richtige Ausdruck.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Rauen, bitte sehr.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben die aktuellen Zahlen für die Beteiligung der einzelnen Länder am Stabilitätspakt genannt. Können Sie etwas dazu sagen, wie hoch die Beiträge der einzelnen Länder in der Vergangenheit auch hinsichtlich bilateraler Abkommen waren?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Ministerin, bitte.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Dazu kann man natürlich keine Zahlen angeben, und zwar deshalb nicht, weil es bisher im Rahmen des Stabilitätspaktes Zusagen gab, die bereits aufgestockt worden sind und jetzt möglicherweise weiter aufgestockt werden. Insofern Bundesministerin Heidemarie Wiczorek-Zeul ist das, was ich Ihnen hier sagen kann, der aktuelle Stand nach der Konferenz, der möglicherweise noch ausgeweitet wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als nächstes gebe ich das Wort dem Herrn Kollegen Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben dankenswerterweise angesprochen, dass sich Deutschland am Wiederaufbau der Brücke in Novi Sad beteiligen will. Haben Sie sich in diesem Zusammenhang einmal die Frage gestellt, ob es überhaupt sinnvoll war, die Brücke zu zerstören?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Ministerin, bitte.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Kollege Hedrich, ich glaube, dass die jetzige Regierungsbefragung über die Ergebnisse der Geberkonferenz nicht der richtige Anlass ist, eine Diskussion über diese Frage zu führen. Wenn Sie das möchten, kann die Diskussion im Rahmen der nachmittäglichen Debatte geführt werden, in welche sie thematisch auch gehört. ({0}) Ich möchte ausdrücklich feststellen, dass die serbische demokratische Opposition von uns - von der internationalen Gemeinschaft und dem deutschen Bundestag sowie der Bundesregierung - statt eines langen innenpolitischen Streites einen Beitrag zum Wiederaufbau dieser Brücke erwartet. Der Wiederaufbau der Brücke ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass nach der Räumung der Donau der regionale Schiffsverkehr wieder möglich wird. ({1}) Dies ist ein Wunsch der ganzen Region. Wir wollen, dass die regionale Kooperation entsprechend gesichert wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Kollege Weiß das Wort.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, können Sie uns einige nähere Angaben darüber machen, wie die von der Bundesrepublik Deutschland ausweislich unseres Haushaltsplanes jedes Jahr zur Verfügung gestellte Summe von 300 Millionen DM für die Südosteuropahilfe aufgeteilt wird. Da Sie alle Beteiligten, auch nicht staatliche Organisationen aufgefordert haben, entsprechende Projektvorschläge einzureichen, würde mich insbesondere interessieren: Welcher Anteil von den 184,2 Millionen DM, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bewirtschaftet, wird auf den staatlichen EZ-Sektor und welcher Anteil auf den nicht staatlichen Bereich, also Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und politische Stiftungen, entfallen? Weiter würde mich interessieren, wie es sich mit den 87,8 Millionen DM, die das Auswärtige Amt bewirtschaftet, verhält.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Ministerin.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Wir haben das aufgelistet, und zwar nach den Komplexen für die einzelnen Tische. Daraus ergibt sich ein gewisser Anhaltspunkt. Knapp 20 Prozent der im Haushalt des Entwicklungsministeriums eingestellten Mittel für den Stabilitätspakt sind für die Bereiche Demokratie und Menschenrechte sowie Unterstützung freier Journalisten und Medien vorgesehen. Unter anderem unterstützen und finanzieren wir mit die Balkan Media Academy, um dazu beizutragen, dass es in dieser Region eine unabhängige Berichterstattung gibt. Dazu gehört ein Netzwerk der Versöhnung, das wir zur Überwindung der Konflikte in der Region durch die verschiedenen Länder in Verbindung mit Flüchtlingen und mit Nichtregierungsorganisationen verwirklichen wollen. Bei dem gesamten Komplex des Arbeitstisches „Wirtschaftlicher Wiederaufbau, Entwicklung und Zusammenarbeit“, der einen Anteil von 78 Prozent hat, geht es um Straßen, um Energiesysteme, um Wirtschaftsförderung, um Berufsbildung und Gesundheit. Im Bereich Arbeitstisch „Sicherheit“ - das ist ein Bereich, der uns wenig berührt - haben wir einen Anteil von rund 3,5 Prozent. Daraus ersehen Sie, dass ein ganz hoher Anteil politischen Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und damit der Zivilgesellschaft zur Verfügung steht. Damit leisten wir einen Beitrag in den Sektoren, die bisher in den betroffenen Ländern nicht existierten und gefördert werden müssen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Weiß möchte replizieren. Bitte sehr.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, darf ich Ihre Antwort so deuten, dass bisher nur eine allgemeine Aufteilung der Mittel feststeht, die Sie dem Haushaltsausschuss vor einigen Wochen anlässlich der Mittelfreigabe vorgelegt haben, dass jedoch noch nicht über Anträge bestimmter Zuwendungsempfänger für Maßnahmen im Rahmen des Südosteuropapaktes entschieden worden ist, sodass Sie das hier noch nicht vortragen konnten?

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Natürlich liegen die Anträge vor. Wir haben, wie wir im Haushaltsausschuss gesagt haben, erst einmal die Geberkonferenz abgewartet, um das Einfädeln in die jeweiligen Bereiche mitorganisieren zu können. Durch unsere bilaterale Entwicklungszusammenarbeit über die GTZ, die KfW, über Stiftungen und andere können wir die Projekte nahtlos umsetzen und in Gang setzen. Infolgedessen können wir auch mit der Arbeit beginnen, bzw. wir Bundesministerin Heidemarie Wiczorek-Zeul können das, was wir in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit schon leisten, mit zusätzlichen Finanzmitteln unterfüttern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun eine Frage des Kollegen Brecht. Bitte sehr.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, wir alle sind sehr erfreut darüber, dass bei der Geberkonferenz mehr herausgekommen ist, als man zunächst erwarten durfte. Mich hat sehr optimistisch gestimmt, dass der Sonderkoordinator Hombach in seiner Rede gesagt hat: Wir müssen darauf achten, dass wir die Planung der Donaubrücke nicht länger hinziehen, als ihr Aufbau wirklich dauert. Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, ob die Europäische Kommission aus den Erfahrungen gelernt hat, die wir in Bosnien gemacht haben, wo es nämlich bei der Auszahlung der Mittel im Bereich Menschenrechte und Demokratie erhebliche Verzögerungen gegeben hat? Gibt es Anlass zur Hoffnung, dass wir diesmal hier nicht mit bürokratischen Abläufen, sondern mit einem sehr zügigen Prüfungs- und Auszahlungsverfahren rechnen können?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Kollege Brecht, was wir dazu tun können, tun wir. Wir haben während unserer Ratspräsidentschaft den Versuch unternommen, durch die Organisation zügigerer Abläufe im Bereich der EU-Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe entsprechende Verbesserungen zu schaffen. Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass die wichtigste Schlussfolgerung, die wir aus den Schwierigkeiten bei Finanzierungsvorhaben in Bosnien-Herzegowina ziehen konnten, ist, jetzt einen Sonderkoordinator damit zu beauftragen. Damit stellt eine Person die Koordination der Arbeit der verschiedenen internationalen Institutionen und Geberländer und den Fluss der Geldmittel sicher. Er kann im Zweifelsfalle auch Druck ausüben bzw. mit Nachdruck die verschiedenen Länder einbeziehen. Wann auch immer es notwendig ist, werden auch wir vonseiten der Bundesregierung entsprechenden Druck ausüben. Das wollte ich nach unseren Erfahrungen noch einmal sagen. Ich persönlich meine, dass wir jetzt keine weiteren Konferenzen mehr benötigen, sondern dass die geplanten Projekte zu Baustellen mutieren müssen, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, und dass die entsprechenden Schlussfolgerungen für das praktische Leben der Menschen in der Region gezogen werden müssen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Frage des Kollegen Dr. Lippelt. Bitte sehr.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, da wir einerseits keine Kontakte mit der offiziellen Regierung in Belgrad haben, die Regierung Milosevic aber andererseits die Trümmer in der Donau zu Erpressungsversuchen benutzt - wie ich es vor einem Vierteljahr erfahren konnte -, möchte ich Sie fragen: Wer wird auf serbischer Seite die Verträge zur Räumung der Donau unterschreiben? Wird es der tapfere Oberbürgermeister sein? Wie sollen überhaupt vertragliche Regelungen gefunden und wie soll anschließend der Brückenbau in Gang gesetzt werden?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das ist eine Frage nach dem Motto: Können Sie mich nicht etwas Leichteres fragen? ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Ich danke Ihnen für die Vorlage, Frau Präsidentin. Bevor ich jetzt laut über diese Frage nachdenke, möchte ich sagen, dass mir daran liegt, eine breite Beteiligung bei der Finanzierung sicherzustellen. Sie wissen ja, dass sich etwa die USAsehr zurückhaltend gegenüber dem Bau der Brücke in Novi Sad verhalten, um es einmal höflich auszudrücken. Das Allerwichtigste ist deshalb, erst einmal dafür zu sorgen, dass es genügend Finanzgeber gibt, um die Räumung sicherzustellen - hierfür wird wohl die EUKommission geradestehen - und außerdem den Brückenbau zu finanzieren. Wenn wir das erreicht haben, dann da bin ich ganz sicher - werden wir auch die vertraglichen Regelungen hinbekommen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Dr. SchwarzSchilling, bitte sehr.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, meines Wissens bekommt Bosnien-Herzegowina von den Beträgen, die jetzt hier für den Stabilitätspakt genannt werden, nichts oder die Hilfen machen weniger als 1 Prozent der Gesamtsumme aus. Ich möchte gerne wissen, ob und, wenn ja, wie viel Geld nach Bosnien-Herzegowina fließt und wie es sich aufteilt. Wird Bosnien-Herzegowina nicht in eine sehr schwierige Situation kommen, da die verschiedenen internationalen Organisationen bereits in diesem Jahr die laufenden Etats weit zurückgefahren haben, sodass zum Beispiel rückkehrwillige Flüchtlinge nicht mehr die Möglichkeit haben, vom UNHCR Hilfen für entsprechende Behausungen zu bekommen? - Das wäre meine erste Frage. Meine zweite Frage lautet: Wie schnell rechnen Sie mit der Umsetzung im laufenden Jahr, ausgehend von dem 300-Millionen-Etat? Mich interessiert nicht nur das, was Deutschland gibt, sondern das Verhalten aller Geber. Wir haben ja die schlimme Erfahrung gemacht, dass in Bosnien-Herzegowina vom Beschließen der Finanzierungshilfen bis zur Umsetzung teilweise ein bis anderthalb Jahre verflossen sind. Welche Maßnahmen wurden getroffen, um dieses jetzt zu verhindern? Bundesministerin Heidemarie Wiczorek-Zeul

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Ministerin.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Es gibt eine Auflistung über die Hilfen unseres Geschäftsbereichs für die einzelnen Länder. Diese besagt, dass in diesem Haushaltsjahr rund 13 Millionen DM für BosnienHerzegowina vorgesehen sind. Hinzu kommen aber insgesamt noch Länder übergreifende Projekte in einem großen Umfang. Dies müsste man noch zusätzlich hineinrechnen. Was die Geschwindigkeit angeht, so ist es das Anliegen auch der Geberkonferenz gewesen, dafür zu sorgen, dass die ersten Projekte, die so genannten Quick-Start-Projekte, in diesem Jahr tatsächlich implementiert werden können. Das hängt im wahrsten Sinne des Wortes vom Nachdruck ab. Ich jedenfalls werde mir, bezogen auf die Region, in den einzelnen Ländern den Fortgang immer selbst anschauen, weil man die Zeit zwischen Beschluss und Verwirklichung vor Ort so kurz wie irgend möglich halten muss; denn die Menschen in der Region werden auf Frieden und gewaltfreie Lösungen nur in dem Maße setzen, in dem sie spüren, dass sich für sie die Lebensverhältnisse tatsächlich verändern und dass die internationale Gemeinschaft beim Wiederaufbau schnelle Konsequenzen zieht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr SchwarzSchilling, Sie wollen ergänzen? Bitte sehr.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihre Antwort so verstehen, dass Sie bereit wären, eine solche Herausrechnung für das laufende Jahr vorzunehmen, was jetzt wirklich spezifiziert auf Bosnien-Herzegowina sowohl in der bilateralen als auch nachher in der multilateralen, durch die Geberkonferenz ermöglichte Finanzierung vorgesehen ist und für welche der Tische die jeweiligen Projekte sind?

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich bin gern bereit, Ihnen das noch einmal im Einzelnen herausrechnen zu lassen und Ihnen das persönlich oder in anderer Form zu übergeben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Dzembritzki eine Frage.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, die Grundidee des Stabilitätspaktes ist, präventiv konfliktmindernd und friedensstiftend zu wirken. Wie ist denn nach der Konferenz, die von der materiellen Seite her erfolgreich war, Ihr Eindruck? Haben Sie den Eindruck, dass nationalstaatliches Denken überwunden wird, dass mit dem Stabilitätspakt überregionale Projekte initiiert und umgesetzt werden können? Können Sie uns davon einen Eindruck vermitteln?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Ministerin.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Ich hatte vorhin schon einen Punkt genannt, den ich für einen der wichtigsten halte, nämlich die Ausführungen des kroatischen Außenministers, was die Rückkehr von Flüchtlingen in sein Land betrifft. Das ist, glaube ich, ein Zeichen der Veränderung, auch mit Blick auf Konflikte in der Region. Das ist ein Punkt. Zweitens. Sie haben es vielleicht verfolgt. Es hat bereits im Vorfeld die Unterzeichnung einer Vereinbarung für den Bau einer gemeinsamen Brücke zwischen Bulgarien und Rumänien gegeben. Das ist eine Situation, die bis vor kurzem schwer vorstellbar gewesen wäre. Bei allen Gesprächen, die ich auf der Konferenz geführt habe, ist ersichtlich geworden, dass die südosteuropäischen Länder die Botschaft des Stabilitätspaktes verstanden haben, dass Kooperation und Integration Frieden sichern und auch die Tatsache, dass diejenigen, die miteinander kooperieren, nicht aufeinander schießen. Dieser Punkt war auf der Konferenz durchaus zu spüren. Das gibt uns allen Hoffnung; denn das ist es, worum es geht: eine Region mit der EU in Verbindung zu bringen, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg und auch noch bis vor kurzem von Krieg und gewalttätigen Auseinandersetzungen heimgesucht worden ist. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es verbleiben noch einige Minuten für die Regierungsbefragung. Eine weitere Frage an die Bundesregierung zu einem anderen Thema hat die Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte eigentlich Frau Ministerin Bergmann erwartet; sie war uns angekündigt worden. Aber die Staatssekretärin wird mir sicher ebenfalls Auskunft geben können. Es geht um die Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes. Dazu habe ich folgende Fragen: Meine erste Frage. In die Neuregelung soll ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit aufgenommen werden. Die Regierung fordert von den Betrieben ab einer Grenze von 15 Mitarbeitern, dass sie diesen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit erfüllen müssen. Ich möchte von der Regierung wissen, nach welchen Kriterien diese Grenze festgelegt worden ist und ob sie mit anderen Gesetzen kompatibel ist. Wir sollten nicht zu viele Regelungen für die Betriebe schaffen. Meine zweite Frage. Die Bundesregierung hat sehr von ihrem eigenen Gesetzentwurf geschwärmt, was die Flexibilisierung des Erziehungsurlaubes anbelangt. Daher frage ich die Regierung, warum sie im Rahmen der vorgeschlagenen gesetzlichen Bestimmungen - sie beinhalten ja nicht eine weitreichende Flexibilisierung, sondern sie setzen ihr ganz enge Grenzen - den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen und den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht eine größere Flexibilisierung eingeräumt hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Lenke, zu Ihrer ersten Frage, die sich mit der Grenze von 15 Arbeitnehmern befasste. Wir haben uns in diesem Zusammenhang nicht an vorhandenen Gesetzen, sondern an wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten orientiert. Wir haben mit dem Wirtschaftsminister diskutiert, ab welcher Größe Unternehmen diese Art von Flexibilisierung, auf die ich nachher noch eingehe, verkraften können. Wir sind mit dem Wirtschaftsminister einer Meinung, dass es für Betriebe ab 15 Mitarbeitern keine Probleme gibt. Zu Ihrer zweiten Frage hinsichtlich der Flexibilisierung. Ich habe es nicht richtig verstanden. Wenn Sie die betreffende Stelle im Gesetzentwurf nachlesen, können Sie erkennen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während des dreijährigen Erziehungsurlaubes entscheiden können, ob sie zwischen 15 bis zu 30 Stunden arbeiten wollen oder ob sie - wie bisher - zu Hause bleiben wollen. Den Entscheidungsspielraum von 15 bis zu 30 Stunden Arbeitszeit pro Woche halte ich für sehr flexibel. Er wird sicherlich vielen Familien gerecht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte präzisieren und nachfragen. Man kann nur das dritte Erziehungsjahr - das geht bis zum achten Lebensjahr des Kindes - flexibel gestalten. Darauf zielte meine Frage ab. Es ging mir nicht um die Wochenstunden, die man arbeiten kann, sondern um den geringen Grad der Flexibilisierung, die die Regierung den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit diesem Gesetz einräumen will. Ich bin der Meinung, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selber entscheiden sollten. Jetzt ist es wieder so, dass ein Bundesgesetz in diese Entscheidungsfreiheit sehr stark eingreift.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Staatssekretärin.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Die Flexibilisierung, von der ich gesprochen habe, bezieht sich in der Tat auf die Wochenarbeitszeit. Das dritte Jahr kann man bis zum achten Lebensjahr des Kindes mit Zustimmung des Arbeitgebers als Erziehungsurlaub nehmen. Wenn ich Sie richtig verstanden haben, wäre die Flexibilisierung, die Sie ansprechen, eine Art Zeitkonto, sodass man irgendwann innerhalb der ersten acht Lebensjahre des Kindes Erziehungsurlaub nehmen kann. Wir wollten den Unternehmen - wir reden ja von einem Rechtsanspruch und nicht davon, ob man darf oder will oder man sich auf eine Regelung einigt - diese unberechenbare Situation hinsichtlich des Erziehungsurlaubs in einem Zeitraum von acht Jahren nicht zumuten. Auf der anderen Seite hat für uns eine Rolle gespielt, dass wir die Arbeitsmarktchancen von jungen Vätern und Müttern nicht verschlechtern wollen. Wir haben es uns aufgrund der Arbeitsmarktsituation noch nicht zugetraut, eine Regelung zu verabschieden, aufgrund derer man sich aussuchen kann, ob man Erziehungsurlaub im ersten, fünften oder achten Lebensjahr des Kindes nimmt. Ich denke, die jetzt angestrebte Flexibilisierung ist richtig.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun die letzte Frage der Kollegin Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Niehuis, ich komme zu einem anderen Thema, nämlich zu dem Thema, welche Stellen in den Bundesländern das Erziehungsgeld auszahlen. Ich habe von vielen jungen Müttern die Verärgerung wahrgenommen, dass es kaum möglich ist, herauszufinden, welche Stelle in dem jeweiligen Bundesland das Erziehungsgeld auszahlt. Was unternimmt diesbezüglich die Bundesregierung?WasbesprechenSiemitdenBundesländern? Wie wirkt die Bundesregierung auf die Bundesländer ein, um dort eine klare und einfachere Regelung hinzubekommen? Denn Sie wissen: Auch wir als Politiker erwarten berufliche Mobilität. Wir bleiben nicht dort wohnen, wo wir aufgewachsen sind, wo wir unsere Behördengänge kennen, sondern man kann beispielsweise von München nach Hamburg und umgekehrt ziehen. In diesem Bereich besteht wirklich eine große Unsicherheit. Ich habe das auch nicht glauben wollen, aber praktische Beispiele belegen dies. Was wollen Sie hier an Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger bringen?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Mir ist die Klage neu. Ich nehme sie einfach einmal auf. Aber ich denke, die Broschüre zum Erziehungsgeld, die im Moment noch in der Fassung der alten Bundesregierung vorliegt und in der das jetzige System dargestellt wird, weist eigentlich sehr genau darauf hin, wie und wo man Anträge auf Erziehungsgeld stellen kann. Darin stehen auch die Stellen, die in den einzelnen Ländern zuständig sind. Aber ich nehme das gerne zur Kenntnis und wir können noch einmal überlegen, ob die Information nicht besser vermittelt werden muss.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat im Rahmen der Befragung der Bundesregierung noch der Kollege von Klaeden eine Frage. Bitte sehr.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich frage die Bundesregierung, ob der Konflikt zwischen den beiden Bundesbeauftragten, dem für den Datenschutz und dem für die Stasi-Unterlagen, am Rande oder in der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt hat. Es geht darum, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in zutreffender Interpretation des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und der ständigen Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland die Praxis und die Rechtsansicht des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen als rechtswidrig bezeichnet hat. Ich frage, ob und in welcher Weise der Bundesinnenminister seine Rechtsaufsicht wahrnehmen wird, sodass auch in der aktuellen Debatte das Stasi-Unterlagen-Gesetz Anwendung findet und es, wie es dort in mehreren Paragraphen, die ich jetzt nicht zu zitieren brauche, festgelegt ist, gegenüber Betroffenen und Dritten natürlich nicht zu einer entsprechenden Veröffentlichung von Stasi-Unterlagen, sei es als Wortprotokoll oder als Zusammenfassung, weiter kommt, muss man ja leider sagen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wer von der Bundesregierung möchte antworten? - Herr Staatssekretär Körper, bitte.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege von Klaeden, ich kann Ihnen nur mitteilen, dass der Sachverhalt, den Sie hier angefragt haben, nicht Gegenstand der Kabinettssitzung gewesen ist. Es gibt Erklärungen des Datenschutzbeauftragten, die nach meinem Dafürhalten sehr differenziert betrachtet werden müssen. Es gibt Erklärungen des Bundesbeauftragten, Herrn Gauck, die ebenso differenziert betrachtet werden müssen. Wir haben am heutigen Tag noch ein klärendes Gespräch mit beiden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort zur letzten Frage bekommt jetzt Herr Kollege Koppelin. Dann ist die Befragung der Bundesregierung zu Ende. Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass 1995 beim so genannten Schubladen-Untersuchungsausschuss im Schleswig-Holsteinischen Landtag Abhörprotokolle der Stasi verwertet werden sollten und dass daraufhin auf Betreiben des früheren SPD-Bundesvorsitzenden und früheren Ministerpräsidenten Engholm sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht in Kiel zweimal Entscheidungen in dieser Sache getroffen haben, nämlich dass der Untersuchungsausschuss die Abhörprotokolle nicht verwerten kann? Ist der Bundesregierung weiter bekannt, dass der Wunsch des Untersuchungsausschusses damals, Personen zu befragen, die diese Protokolle erstellt haben, ebenfalls nicht zulässig war, und kann das bei der Entscheidung und Bewertung der Bundesregierung berücksichtigt werden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koppelin, dieser Vorgang aus dem Jahre 1995 ist der Bundesregierung in Gänze bekannt. Wer beispielsweise die Presseerklärung des Bundesdatenschutzbeauftragten kennt, weiß, dass er sich auf diesen Vorgang bezieht und seine Argumentation auch darauf aufbaut.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 14/3082 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Frage 1 der Kollegin Flach wird schriftlich beantwortet. Damit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Fuchtel auf: Welcher finanzielle Schaden entsteht bei der Bundesanstalt für Arbeit dadurch, dass die zur Realisierung des Konzeptes „Arbeitsamt 2000“ notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologie zu dem vereinbarten Zeitpunkt nicht einsatzfähig gewesen sind? Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Meine Antwort ist: Die nicht fristgemäße Lieferung einer ersten Stufe des neuen IT-Konzeptes hat nach Mitteilung der Bundesanstalt für Arbeit nach dem derzeitigen Sachstand weder zu einem finanziellen Schaden noch zu einer Verzögerung bei der Modellerprobung für das neue Organisationskonzept „Arbeitsamt 2000“ geführt. Im Rahmen der Organisationsreform „Arbeitsamt 2000“ hat sich die Bundesanstalt für Arbeit zum Ziel gesetzt, die Informationsverarbeitung der Arbeitsämter zu verbessern. Das Konzept ist in mehrere Stufen gegliedert. In der ersten Stufe ist vorgesehen, die bestehenden IT-Verfahren, Leistungserbringung und - vermittlung, durch neue Software zu ersetzen. Diese hochkomplexe und anspruchsvolle Aufgabe wurde im Wege einer Ausschreibung an ein Unternehmen vergeben und zu Beginn des Jahres 1998 in Angriff genommen. Das Tempo der Softwareentwicklung hat bisher nicht ausgereicht, um der Dynamik der gesetzlichen Änderungen und der notwendigen fachlichen Fortentwicklung gerecht zu werden. Die bisherigen Datenverarbeitungsverfahren werden daher länger als geplant benötigt. Auf die Modell-erprobung des neuen Organisationskonzeptes „Arbeitsamt 2000“, die derzeit in 23 Arbeitsämtern läuft, hat die Verzögerung bei der Softwareentwicklung keine gravierende Auswirkung.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie Ihre gerade getroffene Aussage vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zur Anwendung des vorgesehenen Kommunikationssystems bei der Bundesanstalt für Arbeit ganz enorme Vorleistungen notwendig waren, die nach Untersuchungen des Bundesrechnungshofes nun zu hohen Zinsverlusten führen, weil die Investitionen viel früher getätigt wurden, als sie hätten getätigt werden müssen, und nun nicht genutzt werden können? Es geht dabei immerhin um 80 Millionen DM. Können Sie vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehen, dass Ihre soeben getätigte Aussage sachlich nicht zutreffend ist?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Staatssekretärin.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Fuchtel, ich habe Ihnen in meiner Antwort dargelegt, wie sich diese Verzögerung auf die Organisationsreform „Arbeitsamt 2000“ auswirkt. Sie haben jetzt nach Zinsverlusten gefragt. In diesem Punkt muss die Bundesanstalt für Arbeit mit dem Auftragnehmer klären, wie Nachteile bzw. Zinsverluste für die Bundesanstalt für Arbeit, die durch den Verzug des Auftragnehmers entstanden sind, ausgeglichen werden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die zweite Zusatzfrage. Bitte sehr.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, meine Frage beginnt mit den Worten: „Welcher finanzielle Schaden entsteht ...?“ Hätten Sie die Güte, diese Frage jetzt in einem erneuten Anlauf zu beantworten? Unter Schaden verstehen der Jurist und ebenso der Normalbürger auch Zinsverluste; denn diese belasten den Beitragszahler genauso.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Fuchtel, zu den Zinsverlusten kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sich der Auftragnehmer mit der Lieferung der vollständigen Stufe eins im Verzug befindet und die Bundesanstalt für Arbeit die an den Auftragnehmer im Rahmen des Erstellungsvertrages bereits gezahlten 13,5 Millionen DM sowie weitere 4,4 Millionen DM für bisher erworbene Nutzungsrechte für Entwicklung, Pflege und Betrieb der Anwendungssoftware zurückfordern will.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 3 des Kollegen Fuchtel auf: Auf welche Weise und mit welchem Zeitplan soll nun das Konzept „Arbeitsamt 2000“ bezüglich der Kommunikationstechnologie einsatzfähig gemacht werden? Frau Staatssekretärin.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Kollege Fuchtel, es ist vorgesehen, die Softwareentwicklung für die Stufe eins in einzelne Entwicklungsschritte aufzuteilen. Damit wird es möglich, die zeitliche Verzögerung gering zu halten und die neue Funktionalität Schritt für Schritt in die Arbeitsämter zu bringen. Ein erster Entwicklungsschritt soll noch in diesem Jahr vor Ort umgesetzt werden können. Damit ist dann der Grundstein für die Unterstützung der Arbeitsabläufe in den auf die neue Organisationsform umgestellten Arbeitsämtern gelegt. Nach den derzeitigen Plänen können der Zeitverlust weitgehend wieder aufgeholt und die für das Arbeitsamt erforderliche IT-Unterstützung schrittweise ausgebaut werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Fuchtel?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, kann es nicht auch sein, dass die Bundesregierung über die Verzögerung des Konzeptes deswegen hinwegzusehen bereit ist, weil von gewerkschaftlicher Seite massive Proteste gegen die durch dieses neue System möglichen Personaleinsparungen erhoben werden, und sie dies deswegen etwas milder beurteilt?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Fuchtel, davon können Sie nicht ausgehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Frage des Kollegen von Klaeden.Bitte sehr.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass im Zusammenhang mit den Zinsverlusten, von denen Kollege Fuchtel gesprochen hat, eine Zahl von 80 Millionen DM im Raume steht, und wären Sie bereit, uns die tatsächliche Höhe der Zinsverluste, wenn Sie sie geprüft haben, schriftlich mitzuteilen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Sobald mir seitens der Bundesanstalt für Arbeit entsprechende Informationen zugänglich gemacht werden, werde ich Ihnen dies gerne mitteilen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die zweite Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, würden Sie uns dann auch schriftlich mitteilen, seit wann Ihrem Hause Informationen vorliegen, die Sie sehr wohl in Kenntnis über den tatsächlichen Schaden gesetzt haben? Dabei handelt es sich um Informationen, die dem Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages anlässlich einer Sitzung, an der Vertreter Ihres Hauses teilgenommen haben, bereits vorgelegen haben. Würden Sie dies noch einmal aufarbeiten und uns entsprechende Ergebnisse mitteilen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Fuchtel, das lege ich Ihnen gerne vor. Ich finde es immer wunderbar, wenn hier Fragen gestellt werden, die der Fragesteller am besten selber - zum Beispiel, weil er Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses ist - beantworten kann. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung abgeschlossen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Maria Eichhorn auf: Rechnet die Bundesregierung insgesamt mit einer Zu- oder Abnahme der Erziehungsgeldempfänger, falls der am 29. März 2000 im Kabinett beschlossene Entwurf einer Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in Kraft treten würde, im Vergleich zu der Situation, die ohne die Gesetzesänderung bestehen würde? Frau Staatssekretärin, bitte.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Präsidentin, ich würde gerne, wenn Sie das genehmigen, die Frage 5 der Kollegin Eichhorn gleich mitbeantworten. Denn die beiden Fragen gehören inhaltlich zusammen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin Eichhorn, sind Sie einverstanden? - Dann sind wir beide damit einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 5 der Kollegin Eichhorn auf: Gibt es Erziehungsgeldempfänger, die durch die geplante Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in Bezug auf die Höhe des Erziehungsgeldanspruchs schlechter gestellt wurden als durch das bestehende Gesetz, und, wenn ja, für welche Einkommensgruppen gilt dies bei Antragstellern mit Partner und bei Alleinerziehenden ({0})? Bitte sehr.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Kollegin Eichhorn, die Bundesregierung rechnet aufgrund der Novellierung mit einer Zunahme des Anteils der Familien, die Erziehungsgeld erhalten. Nach dem geltenden Recht und ebenso nach der Novellierung wird das Erziehungsgeld ab dem siebten Lebensmonat des Kindes schrittweise bis auf null gekürzt, soweit das Einkommen die maßgebliche Einkommensgrenze übersteigt. Schon die Tatsache, dass die Leistungsverbesserungen, die die Bundesregierung in ihrem Entwurf vorsieht, zu Mehrausgaben in der Größenordnung von 400 Millionen DM führen, zeigt, dass sich junge Eltern in der großen Mehrheit finanziell besser stehen werden. Das gilt wegen des Kinderzuschlages, der sich von heute 4 200 DM in den Jahren 2001 bis 2003 stufenweise auf 6 140 DM erhöht, besonders für Familien mit zwei und mehr Kindern. Bei den in der Frage 5 angesprochenen Eltern bzw. Alleinerziehenden mit einem Kind könnten sich im Jahre 2001 von den circa 690 000 Erziehungsgeldempfängern und -empfängerinnen im ersten Lebensjahr des Kindes circa 220 000 Erziehungsgeldempfänger und -empfängerinnen besser stehen und 10 000 - das sind etwa 1,5 Prozent schlechter. Bei einem jährlichen Nettoeinkommen zwischen 43 000 DM und 46 200 DM für Eltern mit einem Kind verringert sich durch die Novellierung - im Vergleich zum geltenden Recht - ab dem siebten Lebensmonat des Kindes das gekürzte monatliche Erziehungsgeld geringfügig. Geringfügig bedeutet zum Beispiel bei einem Jahresnettoeinkommen von 43 000 DM im Jahre 2001: Diese Eltern mit einem Kind erhalten nach geltendem Recht ein Erziehungsgeld von 147 DM und nach dem vorliegenden Entwurf 146 DM. Für die Alleinerziehenden mit einem Kind trifft bei einem jährlichen Nettoeinkommen zwischen 37 000 und 40 500 DM dasselbe zu.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre erste Zusatzfrage, bitte sehr.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich nehme an, dass ich vier Zusatzfragen stellen kann, weil ja zwei Fragen zusammen beantwortet wurden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie können, aber Sie müssen sie nicht stellen.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal meine erste Zusatzfrage zu meiner ersten Frage: Da die Minderungsquote von 40 auf 50 Prozent erhöht wird, wird in Zukunft - im Vergleich zu bisher bereits bei Erreichen eines niedrigeren Einkommens - kein Erziehungsgeld mehr gezahlt werden. Wo liegt diese Einkommensgrenze in Zukunft? Um wie viel niedriger ist sie und wie viele Erziehungsgeldempfänger erhalten deswegen in Zukunft kein Erziehungsgeld mehr?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ihre letzte Frage habe ich bereits beantwortet: 10 000 werden schlechter dastehen. Wir gehen ja in diesem Zusammenhang immer von Personen mit einem Kind aus; bei denen mit mehreren Kindern entsteht aufgrund des steigenden Kinderzuschlages eine sehr viel bessere Situation. Es sind also etwa 10 000. ({0}) Ich hatte Ihnen ebenfalls gesagt, dass sich 220 000 Familien finanziell besser stehen werden. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie auch danach gefragt, ab welchem Nettoeinkommen kein Erziehungsgeld mehr gewährt wird. Nach meinen Berechnungen müsste die Grenze dafür - bei einem Kind - bei Verheirateten bei 46 050 DM, bei Alleinerziehenden bei 40 250 DM liegen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach unseren Berechnungen wird die Einkommensgrenze, ab der kein Erziehungsgeld mehr gewährt wird, um über 3 000 DM höher liegen. Welche Gründe gibt es für die Schlechterstellung der Bezieher geringer Einkommen, der bisherigen Erziehungsgeldbezieher? Sie argumentieren doch immer, Sie würden insbesondere Familien mit niedrigeren Einkommen helfen. Wie rechtfertigen Sie diese Schlechterstellung unter dem Gesichtspunkt - das haben Sie auch im Rahmen der Kindergelderhöhung immer angeführt -, dass Sie insbesondere Familien mit niedrigen Einkommen unterstützen wollen. Denn in diesem Punkt benachteiligen Sie diese Familien.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Eichhorn, ich glaube, es verhält sich genau umgekehrt: Mit dem Gesetzentwurf begünstigen wir aufgrund der Erhöhung der Einkommensgrenzen die Empfänger niedriger und mittlerer Einkommen - bis zum Durchschnittseinkommen. Es ist also genau andersherum, als Sie gerade dargestellt haben: Die Einkommensgrenzen werden erhöht. Insofern bekommen mehr Eltern, auch Alleinerziehende, Erziehungsgeld. Auch der Kindergeldzuschlag wird erhöht. Wenn noch mehr Kinder vorhanden sind, erhöhen sich die Bezüge entsprechend. Wir zielen auf die Verbesserung der Situation der Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen ab. Bei der Kürzung durch die Minderungsquote werden die Bezieher höherer Einkommen einbezogen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dritte Zusatzfrage.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie viele Erziehungsgeldempfänger werden nach Ihren Berechnungen in Zukunft die Budgetregelung, also ein Erziehungsgeld in Höhe von 900 DM, in Anspruch nehmen und damit insgesamt weniger Erziehungsgeld erhalten, als wenn sie zwei Jahre lang Erziehungsgeld in Höhe von jeweils 600 DM monatlich beziehen würden?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Sie sprechen die erstmalig vorgesehen Möglichkeit an, dass Eltern, die nur ein Jahr Erziehungsgeld empfangen wollen, zukünftig nicht mehr 600 DM im Monat bekommen, sondern 900 DM. Wie sich dies entwickeln wird, kann ich Ihnen nun wirklich nicht sagen. Ich kann nur davon ausgehen, wie viele Erziehungsgeldempfänger im Jahr 1998 Erziehungsgeld bekommen haben. 1998 waren es 732 000 Erziehungsgeldempfänger, die im ersten Lebensjahr des Kindes Erziehungsgeld bezogen haben. Im zweiten Lebensjahr des Kindes haben nur noch 553 000 Personen Erziehungsgeld in Anspruch genommen. Sie sehen also: Schon heute erhalten viele Eltern das Erziehungsgeld nur ein Jahr lang. Wenn man davon ausgeht, ist unsere Budgetierung für die Eltern, die das Erziehungsgeld nur ein Jahr in Anspruch nehmen, ein Vorteil: Nach der jetzigen Regelung bekommen sie 600 DM im Monat, nach unserer Regelung zukünftig 900 DM. Insofern glaube ich, dass die Budgetierung in keinem Fall zur Schlechterstellung von Eltern führt, sondern günstig für die Planung der jungen Familien ist. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun zur letzten Zusatzfrage der Kollegin Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie beurteilen Sie die Möglichkeit der Erziehungsgeldempfänger, sich für die Budgetregelung oder eine längerfristige Gewährung des Erziehungsgeldes zu entscheiden, angesichts der Tatsache, dass manche Eltern zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich entscheiden müssen, die weitere Entwicklung noch gar nicht abschätzen können und dadurch gegebenenfalls zwangsläufig Benachteiligungen die Folge sein würden, obwohl sie damit gerechnet haben, dass die Regelung, die sie gewählt haben, für sie eine Besserstellung bedeutet? Wie beurteilen Sie also die Tatsache, dass in der Folge etwas anderes eintritt, als durch das Gesetz erreicht werden soll?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ich halte das für einen sehr konstruierten Fall, da beim Arbeitgeber ein Antrag auf Erziehungsurlaub gestellt werden muss, in dem auch die Dauer des Erziehungsurlaubs festgelegt ist. Natürlich kann bezüglich der Überlegungen im privaten Haushalt, wie lange wie viel Erziehungsgeld bezogen werden soll, im Laufe der Zeit ein Wandel stattfinden. Das kommt sicher hin und wieder vor, ist aber nicht die Regel. Wenn man kleine Kinder hat, muss man sein Leben planen und kann seine Einstellung eigentlich nicht von dem einen auf den anderen Tag ändern. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Hanna Wolf eine Zusatzfrage.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade dargelegt, dass sich die Zahl der Bezieher vergrößern wird. Ich habe eine andere Frage. Erstmalig gibt es ja die Möglichkeit des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit für beide Partner, Vater wie Mutter. Erstmalig kann sich also auch der Vater von Anfang an in die Erziehung seines Kindes einbringen. Bisher ist die Zahl der Fälle, in denen die Väter ihr Recht in Anspruch nehmen, sehr gering. Wie wird sich die neue Regelung mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit nach Ihrer Einschätzung darauf auswirken?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Kollegin Wolf, ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Rechtsanspruch auf reduzierte Arbeitszeit, also auf Teilzeitarbeit, so etwas wie eine Revolution für die jungen Familien geschaffen haben. Wenn Sie die Ergebnisse der Befragungen von jungen Männern und jungen Frauen betrachten, dann werden Sie feststellen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie - das heißt, erwerbstätig bleiben und sich um die Familie kümmern - von zunehmender Wichtigkeit ist. Nun haben wir den Männern, die von ihrem Selbstverständnis her - das zeigt die Statistik von heute: Im Moment bleiben nur 1,6 Prozent der Väter zu Hause - wohl Schwierigkeiten haben, für die Familie ganz zu Hause zu bleiben, eine Brücke gebaut. Bald haben sie die Möglichkeit zu sagen: Ich verzichte auf zehn Stunden Erwerbstätigkeit in der Woche und verbringe zum Beispiel den Freitag mit der Familie. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir jetzt Rahmenbedingungen schaffen, die von den jungen Familien, ob Väter oder Mütter, auch genutzt werden. Alle Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Männer und Frauen in Deutschland möchten, dass man den Erziehungsurlaub auch in dieser Teilzeitform nehmen kann. Deshalb bin ich überzeugt, dass diese Möglichkeit auch genutzt werden wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Ulla Schmidt eine Zusatzfrage.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, gehen Sie darüber hinaus davon aus, dass sich durch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit von bis zu 30 Stunden für jeden Elternteil auch die finanzielle Situation von Familien so verändern wird, dass es leichter fallen wird, die Entscheidung zu treffen, dass der Vater einige Stunden zu Hause bleibt? Denn bisher war es so, dass allein die Einkommenssituation die Familien - da Frauen in der Regel weniger als die Männer verdienen - zu der Entscheidung gezwungen hat, dass die Frau zu Hause bleibt, weil man auf das Einkommen des Haupternährers angewiesen war.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Frau Kollegin Schmidt, ich glaube, dass wir für die Väter, die in der Regel mehr als die Mütter verdienen, wirklich eine gangbare Brücke bauen. Denn unser Gesetz ermöglicht erstmalig, dass Väter und Mütter gemeinsam Erziehungsurlaub nehmen. Bisher gab es das nicht; bisher gab es ein Entweder-Oder. Jetzt können sie gemeinsam Erziehungsurlaub nehmen. Wenn beide ihre Arbeitszeit reduzieren, dann wird für den Familienhaushalt mehr übrig bleiben, als wenn der besser verdienende Mann zu Hause bleibt. Unter dem Strich rechnet sich die Regelung mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für den Erziehungsurlaub auch finanziell sehr gut für die Familien.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgeschlossen. Wir ermuntern die jungen Männer und Väter, die „Revolution“ anzunehmen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Detlef Parr auf: Welche biomedizinisch und bioethisch relevanten Gesetzgebungsvorhaben beabsichtigt die Bundesregierung in der laufenden Wahlperiode des Deutschen Bundestages vorzulegen, die zu den Themenkreisen der am 24. März 2000 von ihm eingesetzten Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ gehören?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Frau Präsidentin, das Bundesministerium für Gesundheit hat im September des letzten Jahres eine Ressortarbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes einberufen, an der auch Vertreter der Bundesministerien der Justiz, für Bildung und Forschung sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teilnehmen. Bevor allerdings mit der Erarbeitung eines konkreten Referentenentwurfs begonnen wird, plant das Bundesministerium für Gesundheit, ein Symposion zu den aktuellen medizinischen, ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen der Fortpflanzungsmedizin und der damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Embryonenschutzgesetzes im Zeitraum vom 24. bis 26. Mai dieses Jahres in Berlin durchzuführen. Diese Veranstaltung soll der Vorbereitung der Erarbeitung rechtlicher Regelungen in diesem Bereich dienen. Der Bund hat ja seit 1994 die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin. Zuständig für den Bereich des Embryonenschutzes und der Fortpflanzungsmedizin ist das Bundesministerium für Gesundheit. Außerdem sind in dem Zusammenhang auch Themenbereiche zu erwähnen, bei denen sich möglicherweise ein Gesetzgebungs- oder sonstiger Regelungsbedarf ergeben könnte. Ich möchte nur einmal enumerativ aufzählen die Transplantation fötalen Gewebes, die Xenotransplantantation und prädiktive genetische Tests. Zu dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarats - das wird auch hier im Parlament seit der letzten Legislaturperiode intensiv diskutiert - gibt es in der Bundesregierung bisher keine Festlegung, das Übereinkommen zu unterzeichnen. Eine Unterzeichnung wäre aber die Voraussetzung für eine Gesetzesinitiative zur Ratifizierung des Übereinkommens. Eine solche Gesetzesinitiative ist vonseiten der Bundesregierung nicht geplant.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte sehr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben jetzt auf das Symposium hingewiesen. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hat vor neun Monaten in Trier das Bundesministerium für Gesundheit aufgefordert, die Arbeiten an einem Fortpflanzungsmedizingesetz unverzüglich wieder aufzunehmen. Ist das die einzige Aktivität, die Sie in der Richtung entwickelt haben?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Parr, das sind sehr wesentliche und wichtige Bereiche, die hier gesetzlich zu regeln sind. Ich habe nicht umsonst auf die Diskussion im Bundestag über die so genannte Bioethikkonvention hingewiesen. Es treibt über alle Fraktionsgrenzen hinweg alle engagierten Abgeordneten hier um, über mehrere Ressorts. Diese Forderung ist ja auch in der Vergangenheit schon erhoben worden. Ich habe darauf hingewiesen, dass seit 1994 der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. Es ist nicht verschlampt worden, auch nicht von der Vorgängerregierung, sondern hier ist der intensiven notwendigen Debatte der Damen und Herren des Parlaments Raum eingeräumt worden. Wir haben Anfang September des letzten Jahres, wie ich schon ausgeführt habe, eine ressortübergreifende Facharbeitsgruppe eingerichtet, die alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen vorstrukturiert. Es wird hier keine inhaltliche Festlegung getroffen; denn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages - das hat der Koalitionsvertrag auch vorgesehen - legen Wert darauf, dass sie in solche existenziellen Fragen einbezogen werden. Dazu wird unter anderem auch die Enquete-Kommission eingerichtet. Wir gehen aber davon aus, dass wir durch das große öffentliche Symposium und die damit verbundene Debatte Grundlagen für mögliche Regelungen schaffen, die vielleicht schon in Zusammenarbeit mit der EnqueteKommission zügig erarbeitet werden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, es gibt Länder, die da mutiger gewesen sind. Zum Beispiel hat die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz in ihrem vom Landesjustizminister herausgegebenen Bericht „Präimplantationsdiagnostik - Thesen zu den medizinisch-rechtlichen und ethischen Problemstellungen“ im Juni 1999, also auch vor neun Monaten, ausgeführt und sich dafür ausgesprochen, dass wegen der zahlreichen Argumente gegen die Untersuchungsmethoden der Präimplantationsdiagnostik deren Anwendung gesetzlich auf Sonderfälle eines nachgewiesenen hohen genetischen Risikos für betroffene Nachkommen zu beschränken ist, ohne einen Katalog indizierter Erkrankungen festzulegen. Hat sich zu diesem Problemkreis die Bundesregierung schon eine Meinung gebildet?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Ich sagte, dass der Bundesregierung alle diesbezüglichen Aktivitäten bekannt sind. Selbstverständlich sind uns auch die Diskussionen und die Ergebnisse von Rheinland-Pfalz bekannt; sie sind bereits im Haus intensiv geprüft worden. Das ist auch eine Aufgabe der von mir schon genannten ressortübergreifenden Facharbeitsgruppe. Wir sind allerdings ein föderaler Bundesstaat, in dem selbstverständlich die Länder eigene Rechte haben. Der Bund will das, was er seit 1994 regeln kann - das konnte er vorher nicht - jetzt auch regeln. Wir sind seit eineinhalb Jahren im Amt. Diese Bundesregierung plant nicht Schnellschüsse am Parlament vorbei, sondern wir wollen hier einen möglichst zügigen, aber auch sorgsamen Prozess, der die Abgeordneten einbezieht, initiieren und selber maßgeblich vorantreiben, um möglichst bald gesetzliche Regelungen treffen zu können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich die Frage 7 des Kollegen Detlef Parr aufrufe, hat Frau Lenke noch eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wird die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative ergreifen, um das Defizit, das im Klonbericht vom Juni 1998 offen gelegt wurde, zu beseitigen? Es geht ja hierbei um das strafrechtliche Verbot des Klonens menschlicher Individuen, um die Zellkerntransplantation. Dann hätte ich noch eine zweite Frage.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nein, Sie können nur eine Zusatzfrage stellen.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Dies alles sind Regelungsgegenstände, die wir im Rahmen der von mir genannten Themenbereiche und Ressorts angehen. Das ist eine Angelegenheit, die nicht nur unser Haus betrifft, sondern mit der sich auch die von mir genannten Ressorts, die in der Arbeitsgruppe versammelt sind, befassen müssen. Dort wird die Diskussion und Weiterarbeit im Grunde genommen vorstrukturiert. Dieser Aspekt ist Bestandteil der Agenda. Daran wird intensiv gearbeitet. Aber es wird nur vorstrukturiert. Das Parlament soll einbezogen werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ein weiterer Fragesteller findet sich nicht, sodass ich nun die Frage 7 des Kollegen Parr aufrufe: Wann und auf welche Art und Weise wird die Bundesregierung zu dem von der Bundesärztekammer am 24. Februar dieses Jahres der Öffentlichkeit vorgestellten Diskussionsentwurf einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik Stellung nehmen? Frau Staatssekretärin, bitte.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Parr, die Bundesärztekammer hat im Rahmen der ärztlichen Selbstverwaltung und mit der ihr von den Landesärztekammern übertragenen Befugnis, Vorschläge für berufsrechtliche Regelungen zu erarbeiten, jetzt gehandelt. Sie bezweckt mit dieser Vorlage die Diskussion möglicher berufsrechtlicher Regelungen innerhalb der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit. Die Bundesregierung sieht zurzeit keinen Anlass für eine derartige Stellungnahme. Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Frage der Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik zu einer der zu diskutierenden Leitfragen des eben schon von mir genannten Symposions im Mai dieses Jahres gemacht. Die Ergebnisse der dort stattfindenden Diskussion, an der ja hochrangige Wissenschaftler und gesellschaftliche Organisationen teilnehmen, sollen zunächst abgewartet und ausgewertet werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre erste Zusatzfrage.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich habe nach der Meinung der Bundesregierung gefragt, bislang aber keine Antwort bekommen. Es gibt aber eine Äußerung der Bundesministerin Andrea Fischer in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 18. März 2000, in der sie das Recht, mit einer Krankheit geboren zu werden, herausstellt. Handelt es sich bei dieser eindeutig ablehnenden Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik um eine innerhalb der Bundesregierung und insbesondere mit dem Bundesministerium der Justiz abgestimmte Auffassung?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Auch für eine Bundesministerin bzw. einen Bundesminister gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ich denke, alle hier vertretenen Kollegen und Kolleginnen können sich auf diese Aussage, nämlich auf das Recht, mit einer Behinderung geboren zu werden, einigen. Was aber den Gesetzgebungsprozess angeht - dies habe ich schon vorweg ausgeführt -, haben wir die von mir beschriebenen Erarbeitungsverfahren in Gang gesetzt. Es ist so, dass man, wenn man Verfahren in Gang setzt, nicht schon vorweg das Ergebnis sagen kann. Dann würde man sich selbst und auch den Prozess nicht ernst nehmen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre zweite Zusatzfrage.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte noch einmal etwas präziser im Hinblick auf die Bundesärztekammer fragen: Was gedenkt die Bundesregierung, da sie ja dieses gendiagnostische Verfahren nach dem geltenden Embryonenschutzgesetz für unzulässig hält, dagegen zu unternehmen, wenn die Bundesärztekammer nach Abschluss der von ihr im Februar dieses Jahres eingeleiteten Diskussionsphase eine berufsrechtliche Musterrichtlinie zur Präimplantationsdiagnostik verabschieden sollte?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Parr, die Bundesregierung ist nicht dazu da, im Kaffeesatz zu lesen. Wir warten den Diskussionsprozess ab. Das sind Entwürfe der Bundesärztekammer, die sie ausdrücklich zur Diskussion in den Raum gestellt hat. Als Kollege im Gesundheitsausschuss wissen Sie auch, dass diese Richtlinien, selbst wenn der Diskussionsprozess bei der Bundesärztekammer abgeschlossen ist, erst dann berufsrechtlich verbindlich werden, wenn sie von der Landesärztekammer beschlossen wurden und nach Maßgabe des Landesrechts wirksam geworden sind. Dazwischen liegt noch einige Zeit. Ich glaube, mit unserem Symposion liegen wir gut, um auch in diesem Rahmen die Meinungsbildung voranzutreiben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage der Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, sieht die Bundesregierung gesetzlichen Handlungsbedarf in Bezug auf die Forschung mit so genannten humanembryonalen Stammzellen, um eine nachhaltige Verbesserung der Therapie bestimmter Krankheiten des Menschen zu erreichen? Sie haben meines Erachtens sehr undifferenziert auf meine erste Frage geantwortet. Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass meine Frage lautet, ob die Bundesregierung in diesem Bereich gesetzlichen Handlungsbedarf sieht. Denn Sie haben in der Antwort auf meine letzte Frage gesagt, dass Sie das Parlament beteiligen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Gesetz verabschiedet wird.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass wir Wert darauf legen, das Parlament zu beteiligen, weil ich weiß, dass dieses Thema die Kolleginnen und Kollegen umtreibt. Wenn dies für Sie nicht wichtig ist, dann legen wir es ad acta. In Bezug auf Ihre Frage nach dem gesetzlichen Handlungsbedarf habe ich auf die Arbeitsgruppe, die diese Bereiche im Augenblick zwischen den entsprechenden Ressorts bearbeitet, und auf das Symposion verwiesen. Es besteht ja auch eine Ethik-Kommission beim BMA, die im letzten Jahr neu einberufen worden ist, die jetzt speziell zu diesen auch ethisch schwierigen Fragen Stellungnahmen erarbeitet, die uns, wenn sie vorliegen, eventuelle Handlungsanleitungen für gesetzgeberischen Regelungsbedarf geben. Aber wir müssen da die Stellungnahme der Ethik-Kommission und die Ergebnisse der Arbeitsgruppe abwarten. Die Ergebnisse werden zusammengetragen, sorgfältig ausgewertet und gegebenenfalls dann im Parlament diskutiert. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit erledigt. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Die Frage 8 wird schriftlich beantwortet. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Fragen 9 und 10 des Kollegen Barthle auf, der nicht anwesend ist. ({0}) - Gut, dann werden die Fragen schriftlich beantwortet. Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen Ramsauer auf: Mit welchen Gründen hält die Bundesregierung es für gerecht, dass nach ihren Gesetzentwürfen zum Steuerrecht ein Risikokapitalfonds, der beispielsweise mit einer Beteiligung von 2 Millionen DM in einem Unternehmen einer Zukunftsbranche eingestiegen ist und bei Veräußerung der Beteiligung 50 Millionen DM erlösen kann, dafür keine Körperschaftsteuer zu zahlen hat, wogegen der Existenzgründer, der mit seinen Ideen und seinem Einsatz sein Unternehmen zum Erfolg führt und bei einer Veräußerung ebenfalls einen Gewinn von 48 Millionen DM realisiert, 10,8 Millionen DM Steuer zahlt, während nach geltendem Recht der Fonds bei Ausschüttung der Erlöse 14,4 Millionen DM Steuern gezahlt hätte? Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Ramsauer, mit dieser Frage werden zwei unterschiedliche Problemkreise angesprochen, einerseits die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen bei Beteiligungsveräußerungen, andererseits die Frage nach einer Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen bei Personenunternehmen. Zunächst zu den Veräußerungsgewinnen bei Beteiligungsveräußerungen: Die Steuerfreiheit der Gewinne aus Beteiligungsveräußerungen ist aufgrund der Systemumstellung bei der Körperschaftsteuer sachlich gerechtfertigt. Im neuen Halbeinkünfteverfahren, das an die Stelle des komplizierten und missbrauchsanfälligen Vollanrechnungsverfahrens tritt, wird die körperschaftsteuerliche Vorbelastung ausgeschütteter Gewinne durch die Einbeziehung der halben Nettodividende in die Bemessungsgrundlage der persönlichen Einkommensteuer der Anteilseigner berücksichtigt. Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft, also einer Tochtergesellschaft, an eine andere Kapitalgesellschaft, also an eine Muttergesellschaft, werden aber nicht mit einer Körperschaftsteuer belastet. Diese Dividendenfreistellung vermeidet eine mehrfache Steuerbelastung desselben Gewinns innerhalb einer Beteiligungskette. Die Veräußerung einer Beteiligung ist wirtschaftlich wie eine Totalausschüttung anzusehen, die sich aus den offenen Rücklagen und stillen Reserven des Unternehmens zusammensetzt. Da die offenen Rücklagen bereits der Körperschaftsteuer in Höhe von 25 Prozent unterlegen haben, müssen sie zur Vermeidung einer Doppelbelastung steuerfrei bleiben. Die stillen Reserven sind ertragsteuerlich zwar noch nicht vorbelastet, sind aber steuerlich verhaftet und werden spätestens bei der Liquidation des Unternehmens aufgedeckt. Würden sie schon bei der Veräußerung der Beteiligung versteuert, ergäbe sich eine Doppelbelastung. Durch die Steuerfreistellung des Veräußerungsgewinns wird sie vermieden. Der steuerfreie Veräußerungsgewinn steht im Übrigen dem Unternehmen zur Binnenfinanzierung, für Investitionen zur Verfügung. Jetzt zu den Veräußerungsgewinnen bei Personenunternehmen: Im Unterschied zur Behandlung der Kapitalgesellschaften ist der Veräußerungsgewinn, den ein Einzelunternehmer aus der Veräußerung seines Betriebes erzielt, bei der persönlichen Einkommensteuer zu erfassen. Anders als bei der Veräußerung einer Beteiligung ist dieser Gewinn noch nicht ertragsteuerlich vorbelastet. Daher stellt die Besteuerung des Veräußerungsgewinns die Einmalbelastung sicher. Würde der Veräußerungsgewinn dagegen wie bei der Beteiligungsveräußerung steuerfrei gestellt, entstünde eine Besteuerungslücke. Der Erwerber des Betriebs, der dann auch den Betrieb fortführt, schreibt die Anschaffungskosten der erworbenen Wirtschaftsgüter ab und mindert so seine Steuerbelastung. Bei einer Steuerfreistellung wäre im Ergebnis sonst niemand steuerlich belastet. Der Gewinn fällt im Übrigen in der Privatsphäre an. Seine Verwendung für Investitionen ist zumindest fraglich. Für eine steuerliche Verschonung besteht daher kein Anlass. Eine Besteuerungslücke entsteht demgegenüber trotz der Steuerfreiheit des Gewinns aus der Veräußerung einer Beteiligung bei der Kapitalgesellschaft nicht. Würde in dem von Ihnen genannten Beispielsfall das Beteiligungsunternehmen die stillen Reserven in Höhe von 48 Millionen DM zum Beispiel durch den Verkauf von Patenten realisieren, würde die Beteiligungsgesellschaft den Gewinn in Höhe von 48 Millionen DM mit 25 Prozent Körperschaftsteuer zuzüglich der jeweiligen Gewerbesteuer versteuern müssen. Bei Ausschüttung des Gewinns unterläge dieser beim Erwerber der Anteile, also bei der natürlichen Person, der Halbeinkünftebesteuerung mit dem persönlichen Grenzsteuersatz des Erwerbers.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich will das Publikum darauf hinweisen, dass die Antwort so kompliziert war, weil auch die Frage kompliziert war. Herr Kollege, bitte Ihre erste Zusatzfrage.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich bei Ihnen für diesen Hinweis. Aber ich habe erwartet, dass Ihre Antwort, Frau Staatssekretärin, so oder ähnlich ausfallen würde. Weil die Antwort sehr kompliziert war, möchte ich versuchen, es anhand einer Zusatzfrage mit einem Beispiel zu vereinfachen. Ich beziehe mich hier auf Presseveröffentlichungen aus jüngster Zeit, die nicht dementiert wurden und die besagen, dass die Wirtschafts- und Medienbeteiligungen der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, also des Medienimperiums der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, einen Verkehrswert von 500 Millionen DM haben, allerdings nur einen Buchwert von rund 18 Millionen DM. Falls diese Medienbeteiligungen allesamt veräußert würden - angeblich laufen darüber schon Gespräche -, fiele ein Veräußerungsgewinn von 500 Millionen DM minus rund 18 Millionen DM, also von 482 Millionen DM, an. Bisher wären hierfür 30 Prozent Steuern fällig gewesen, also etwa 144 Millionen DM. Würden die Steuerpläne der Bundesregierung Wirklichkeit und blieben solche Beteiligungsveräußerungen künftig steuerfrei, dann führte dies doch dazu, dass die SPD bzw. ihre Medienholding rund 144 Millionen DM an Steuern sparte.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Ramsauer, wenn Sie mit Ihrer Fragestellung insinuieren wollen, dass die Bundesregierung ein Steuergesetz zugunsten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands macht, so weise ich dies zurück. Im Übrigen sind mir Verkaufsabsichten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht bekannt. Vizepräsidentin Anke Fuchs

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich wollte natürlich absolut nichts unterstellen. Ich wollte nur versuchen, den komplizierten Sachverhalt anhand eines Beispiels deutlich zu machen. Sie können jetzt statt der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft der SPD die Mustermann AG nehmen. Wie wäre es denn in diesem Falle?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Wenn die Mustermann AG einen Anteilsbesitz veräußert, den Veräußerungserlös allerdings in der Muttergesellschaft belässt, dann ist dieser Erlös so lange nicht steuerpflichtig, als der unternehmerische Bereich nicht verlassen wird. Das habe ich Ihnen eben bereits erläutert. Würde aber Anteilsbesitz der Muttergesellschaft in das Privatvermögen der Aktionäre veräußert, würde der Erlös nach dem Halbeinkünfteverfahren steuerpflichtig. Hier sehen Sie die Gleichbehandlung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen an verbundenen Unternehmen bei Kapitalgesellschaften einerseits sobald in das Privatvermögen veräußert wird, fällt die Besteuerung an - und bei Personenunternehmen oder Einzelunternehmen andererseits in das Privatvermögen. Im Übrigen weise ich darauf hin - ich hatte das vorhin schon erläutert -, dass in Aktiengesellschaften oder GmbHs der Gewinn schon mit der definitiven Besteuerung von 25 Prozent Körperschaftsteuer zuzüglich Gewerbesteuer vorbelastet ist, während bei der Veräußerung durch einen Personenunternehmer die stille Reserve mobilisiert wird, die bisher noch niemals der Besteuerung unterlegen hat. Auf der anderen Seite hat derjenige, der den Betrieb erworben hat und ihn fortführen will, das Recht, die Erwerbungskosten abzuschreiben und folglich seine Steuerschuld zu mindern. Die Besteuerung des Verkaufserlöses bei demjenigen, der den Betrieb aufgibt und mit dem Ziel und Zweck in sein Privatvermögen veräußert, nicht mehr Unternehmer sein zu wollen, ist aber Voraussetzung dafür, dass demjenigen, der mit dem Ziel und Zweck Unternehmer wird, den Betrieb aufrechtzuerhalten und die Arbeitsplätze zu sichern, die steuerliche Begünstigung in Form von Abschreibungen gewährt werden kann. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dieser Zuruf tritt an die Stelle einer nicht mehr zugelassenen Zusatzfrage. Die Frage 12 des Abgeordneten Michelbach wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Max Straubinger auf: Ist die Bundesregierung bereit, einer Erhöhung von Pauschalbeträgen ({0}) für steuerfreie Aufwandsentschädigungen laut § 3 Nr. 12 Satz 2 Einkommensteuergesetz auf mindestens 300 DM pro Monat für ehrenamtliche Tätigkeiten ({1}) zuzustimmen? Frau Staatssekretärin.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Straubinger, die Bundesregierung ist nicht bereit, einer Erhöhung der betreffenden Pauschalbeträge zuzustimmen, denn eine verfassungskonforme Auslegung von § 3 Nr. 12 Satz 2 Einkommensteuergesetz lässt dies nicht zu. Von Verfassungs wegen dürfen Erwerbseinkünfte, das heißt Beträge, die die abziehbaren Erwerbsaufwendungen übersteigen, nicht als Aufwandsentschädigungen deklariert werden. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1998 zur Aufwandsentschädigung für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet, die so genannte Buschzulage. Danach dürfen Aufwandsentschädigungen nicht steuerfrei sein, soweit sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder die als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen des Empfängers offenbar übersteigen. Das Einkommensteuergesetz stellt bei der Besteuerung des Einkommens auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ab, die sich in erster Linie nach dem Einkommen richtet, das Grundlage für die Einkommensteuer ist. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gebietet es, Einkommen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit ebenso zu besteuern wie aus einer hauptberuflichen Tätigkeit. Eine Aufgabe im öffentlichen Interesse rechtfertigt für sich allein nicht die Steuerfreiheit der bezogenen Vergütung. Im öffentlichen Interesse wahrgenommene ehrenamtliche Tätigkeiten werden steuerlich bereits gewürdigt. Nach § 3 Nr. 12 Satz 2 Einkommensteuergesetz in Verbindung mit Nr. 13 der Lohnsteuer-Richtlinien bleiben die aus öffentlichen Kassen gezahlten Aufwandsentschädigungen regelmäßig zu einem Drittel, mindestens aber mit 50 DM und höchstens mit 300 DM monatlich steuerfrei. Das ist die so genannte Drittelregelung. Sollten die steuerfreien Beträge für die Ausübung des Ehrenamtes im Einzelfall zu gering sein, können die tatsächlichen Aufwendungen nachgewiesen und steuerlich berücksichtigt werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre erste Zusatzfrage, bitte sehr.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, besten Dank für die Beantwortung der Frage. Sie haben verneint, den pauschalen Freibetrag auf 300 DM anheben zu wollen. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Mitteilung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Riester, der bei den Ländern anregt, bezüglich der Feuerwehren landesrechtliche Möglichkeiten in der Erhöhung von Freibeträgen auszuschöpfen? Ich zitiere hierzu aus einem Schreiben vom 1. März 2000 an den bayerischen Innenminister Dr. Günther Beckstein: Nach § 3 Nr. 12 Satz 1 Einkommensteuergesetz sind Bezüge, die aus der Landeskasse gezahlt werden, nach Landesgesetz als Aufwandsentschädigung festgesetzt sind und im Landeshaushaltsplan entsprechend ausgewiesen werden, generell steuerfrei. Deshalb dürfte sich eine Prüfung durch das Bayerische Staatsministerium der Finanzen anbieten, ob im Wege einer landesrechtlichen Regelung Lösungsmöglichkeiten geschaffen werden können, um höhere Aufwandsentschädigungen im Interesse der Freiwilligen Feuerwehr in Bayern vollständig steuerfrei zu stellen. Das empfinde ich als eine Anregung, die steuerlichen Freibeträge zu erhöhen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Straubinger, wenn ich Ihr Zitat richtig verstanden habe, bezieht sich der Bundesarbeitsminister auf den Paragraphen, den auch ich gerade angesprochen habe. Aufwandsentschädigungen sind allerdings nicht generell steuerfrei - ich bin nicht sicher, ob das vom Bundesarbeitsministerium so geschrieben worden ist -, sondern nur in Höhe von mindestens 50 DM und höchstens 300 DM im Monat; das ist die so genannte Drittelregelung. Das hatte ich eben ausgeführt. Da es sich aber um Aufwandsentschädigungen handelt und eben nicht um Arbeitslohn, kann man im Einzelfall prüfen, ob die tatsächlichen Aufwendungen höher gewesen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre zweite Frage. Bitte sehr.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, in diesem Schreiben wird auch angeregt, dass § 3 Nr. 12 Satz 2 Einkommensteuergesetz für Aufwandsentschädigungen durch die Finanzbehörden der Länder ausgelegt werden kann. Ich nehme an, dass das nur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen geschehen kann. In diesem Schreiben wird weiter dargelegt, dass um Erhöhungen dieser pauschalen Freibeträge gerungen werden kann. Wie werten Sie diese Aussage des Bundesministers?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Auslegung und die Anwendung der Steuergesetze obliegt selbstverständlich den Landesfinanzbehörden. Das ist unstrittig. Aber natürlich haben sich auch die Landesfinanzbehörden an Recht und Gesetz zu halten. Ich hatte Ihnen eben auch die Nr. 13 der Lohnsteuer-Richtlinien erläutert, in der die so genannte Drittelungsregelung, das heißt die Anerkennung von 50 DM, höchstens aber 300 DM niedergelegt ist. Sollten die Länder ein Interesse daran haben, die LohnsteuerRichtlinie hinsichtlich Nr. 13 zu ändern, könnten sie selbstverständlich initiativ werden. Ich sehe allerdings nicht, dass die Länder das tun wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit ist die Frage 13 beantwortet. Die Fragen 14, 15, 16, 17 und 18 werden schriftlich beantwortet. Somit ist der Bereich von Frau Staatssekretärin Hendricks abgearbeitet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung. Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Dirk Niebel auf: Beabsichtigt die Bundesregierung eine Initiative zu ergreifen, dass bei öffentlichen Auftragsausschreibungen nicht tariftreue Unternehmen von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden, und, wenn ja, wird beabsichtigt, diese Regelung auf innerbetriebliche Sanierungsverträge auszudehnen, die von den Tarifvertragsparteien noch nicht anerkannt wurden, wie zum Beispiel im Fall Philipp Holzmann AG? Herr Staatssekretär Mosdorf, bitte.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Niebel, die Bundesregierung prüft derzeit, inwieweit bei öffentlichen Auftragsvergaben Unternehmen zur Tariftreue verpflichtet werden können. Nach den geltenden Regelungen über die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen hat sich der öffentliche Auftraggeber in jedem Fall unter anderem von der Zuverlässigkeit des Bewerbers zu überzeugen. Bei Bauaufträgen ist seit 1997 vom Bundesbauministerium im Erlasswege verfügt, dass auch die Zahlung der gesetzlichen Tariflöhne nachgewiesen werden muss. Unternehmen, die diesen Nachweis nicht erbringen können, sind unzuverlässig und werden von der weiteren Teilnahme am Wettbewerb um öffentliche Aufträge ausgeschlossen. Das ist seit 1997 bekannt. Zu der von Ihnen gestellten Frage zu den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Philipp Holzmann AG möchte ich Ihnen mitteilen, dass man auch nach den Vereinbarungen, die die Philipp Holzmann AG in diesen Tagen mit der IG BAU und dem Arbeitgeberverband trifft ich sage „trifft“, weil der Text fertig ist, aber noch eine Frist bis kommenden Montag besteht -, von Tariftreue ausgehen kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Niebel, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht gesagt, dass noch eine Frist besteht. Das Verfahren ist also noch nicht abgeschlossen. Wir haben bei dem bisher von der Firma Holzmann angewendeten Sanierungstarifvertrag das Problem, dass die Tarifvertragsparteien den Vertrag nicht unterzeichnet haben. Es bestünde also bei einer Neuregelung die Möglichkeit, dass eine der Tarifvertragsparteien diesem Vertrag nicht beitreten wird. Das lässt sich nicht ganz ausschließen. Gesetzt den Fall, dass ein Sanierungstarifvertrag von mindestens einer Tarifvertragspartei nicht unterzeichnet, aber dennoch von der Firma Holzmann angewandt wird: Würde dies den Tatbestand der Tarifuntreue im Sinne der Ausschreibungsrichtlinen erfüllen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Niebel, ich gehe davon aus, dass beide Tarifvertragsparteien unterschreiben werden. Sie haben Verständnis dafür, dass ich keine hypothetischen Fragen - schon gar nicht in diesem sensiblen Bereich - spekulativ beantworte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist es Tariftreue, wenn eine Tarifvertragspartei den Tarifvertrag nicht unterzeichnet und ein Unternehmen einen nicht unterzeichneten Tarifvertrag anwendet?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich sehe Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss. Ich habe dort heute die Ehre gehabt, dies ausdrücklich darzulegen. Mir liegt der Sanierungstarifvertrag vor. Wir haben ihn genau angesehen. Die beabsichtigte Regelung sieht vor, dass sich auch die Arbeitnehmer an dem Sanierungsprojekt beteiligen. Dies ist schwer genug und man kann froh sein, dass dies auch geschieht. Dies soll auf einem Extrakonto mit entsprechenden Aktienvergütungen später stattfinden, sodass bei Ausschreibungen keine Wettbewerbsverzerrungen eintreten werden. Dies ist ein wichtiger Punkt, um den es Ihnen ging und der auch im Wirtschaftsausschuss eine wichtige Rolle gespielt hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Fragen 20, 21, 22 und 23 werden schriftlich beantwortet. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie abgearbeitet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung stehen sowohl der Herr Verteidigungsminister als auch die Frau Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Wie ich sehe, wird der Herr Verteidigungsminister die Fragen beantworten. Die Fragen 24 und 25 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Heidi Lippmann auf: Belegen nach Auffassung der Bundesregierung die Originaldokumente der „Operation Hufeisen“ die Ende 1998/Anfang 1999 angeblich vorhandene Absicht der politischen und militärischen Führung Jugoslawiens und/oder Serbiens einer systematischen und vollständigen Vertreibung der albanischen Bevölkerung des Kosovo, und/oder belegen sie die damalige Absicht, die militärischen Verbände der UCK im Kosovo zu zerschlagen? Herr Minister, bitte sehr.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Kollegin, in dem uns vorliegenden Quellenmaterial wurden als Ziele der Operation die Zerschlagung bzw. die Neutralisierung der UCK genannt. Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung mit dem Ziel gewaltsamer regionaler und demographischer Veränderungen im Kosovo war ebenfalls Bestandteil der jugoslawischen Planungen und wurde durch die tatsächlichen Ereignisse bestätigt. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es zum Zeitpunkt des Holbrooke-Milosevic-Abkommens innerhalb des Kosovo 200 000 Vertriebene, außerhalb des Kosovo 98 000 Vertriebene gab. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen in Rambouillet gab es innerhalb des Kosovo 210 000, außerhalb des Kosovo 50 000 Vertriebene. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen in Paris stieg die Zahl der außerhalb des Kosovo Vertriebenen auf 60 000. Am 24. März 1999 betrug die Zahl der im Kosovo Vertriebenen 250 000, außerhalb des Kosovo 100 000. Insofern bestätigen die tatsächlichen Ereignisse das, was uns als Quellenmaterial vorliegt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, können Sie uns sagen, in welcher Sprache der Plan „Operation Hufeisen“ abgefasst ist und wie es zu dem Titel Potkova gekommen ist? In serbischer Sprache müsste es eigentlich Potkovica heißen.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Den zweiten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin, kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann Sie aber darauf aufmerksam machen, dass in der „Times“ vom 8. April 1999, also zu einem Zeitpunkt vor der Veröffentlichung der Erkenntnisse des Bundesministeriums der Verteidigung, aus der Auswertung des vorliegenden Quellenmaterials und aus dem Abgleich mit dem im Übrigen vorhandenen Material, zum Beispiel des abgehörten Funkverkehrs, der Name „Hufeisen“ schon verwendet worden ist, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass dem amerikanischen Geheimdienst seit Herbst 1998 entsprechende Informationen über einen Plan vorliegen. In dem englischsprachigen Text heißt es: „Code named operation horseshoe“, also „Codename Operation Hufeisen“. Das deckt sich mit vielen anderen Hinweisen. Da ich Ihnen nicht sagen kann, wie zum Beispiel der von dem damaligen österreichischen Außenminister beschriebene Beitrag des österreichischen Nachrichtendiensts in diesem Zusammenhang aussieht, kann ich Ihnen die Frage hinsichtlich der Titulatur und der Verwendung eines offenbar kroatischen und eines serbischen Wortes nicht erläutern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, wie beurteilen Sie die folgende Darstellung aus der Zeitung „Die Woche“ vom 24. März dieses Jahres, worin es heißt: Denn das Papier, so ein Kenner des Originaltextes zur „Woche“, bot dem von Milosevics Reaktion verwirrten Westen lediglich eine Interpretation der Strategie der Serben an. Weder sei darin ein Operationsplan enthüllt noch die Behauptung aufgestellt worden, Belgrad habe den Plan zur Vertreibung der Albaner bereits im Herbst 1998 gefasst. Auch stammten die Zeichnungen, die zur Illustration ... beigefügt wurden, nicht etwa aus Milosevics Giftküche, sondern aus dem Bundesverteidigungsministerium.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin, will ich Ihnen sagen, dass wir die Auswertung des Planes einschließlich der Zeichnungen, die Bestandteil der Auswertung des Planes sind, unmittelbar nach der Auswertung, nämlich am 8. April 1999, veröffentlicht, übrigens auch in das Internet gestellt haben und auf anderen Informationswegen der Öffentlichkeit, aber selbstverständlich auch den Partnernationen innerhalb der NATO zur Verfügung gestellt haben. Zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen sagen, dass die Information mindestens unvollständig ist, soweit Sie sich auf die Zeitung „Die Woche“ beziehen. Denn wir haben die nachrichtendienstlichen Quellen sehr sorgfältig verglichen mit dem, was wir an Erkenntnissen über das tatsächliche Vorgehen hatten: belegt durch die Ereignisse im Kosovo, belegt durch den abgehörten Funkverkehr, belegt durch ein Gespräch, das ich am 31. März 1999 mit den Beobachtern hatte, die im Rahmen der OSZE-Verifikationsmission bis unmittelbar vor Beginn des NATO-Luftangriffs im Kosovo waren. Dies wurde mit anderen Erkenntnissen abgeglichen. Im Übrigen übersieht diese Darstellung, dass im späten Herbst 1998 der jugoslawische Generalstabschef Perisic ganz offenkundig deshalb in seinem Amt abgelöst worden ist, weil er sich gegen den Einsatz jugoslawischer Landstreitkräfte gegen die Zivilbevölkerung gewandt hatte. Er wurde durch Herrn Ojdanic ersetzt, der diese Skrupel offenbar nicht hatte. Insofern sprechen alle Informationen dafür, dass es diesen Operationsplan schon im späten Herbst 1998 gegeben hat. Das deckt sich übrigens wiederum mit den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Hübner.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Verteidigungsminister, wie bewerten Sie vor dem Hintergrund des eben Gesagten einen Beitrag, der in der heutigen Ausgabe des „Hamburger Abendblattes“ erschienen ist? Ich zitiere: Die Papiere, die Scharping seinen Mitarbeitern Anfang April 1999 übergeben hat, seien keinesfalls „ein serbischer Operationsplan mit dem Decknamen Hufeisen gewesen“. Auch habe das Material keine Beweise dafür enthalten, fährt ein Kenner des Materials fort, dass bereits im Herbst 1998 in Belgrad ein Plan verfasst worden sei, der die Vertreibung der Albaner zum Ziel gehabt habe. Weil einfach zu viel zu vage war, haben Scharpings Nachrichtenoffiziere nie behauptet, einen serbischen Operationsplan mit Namen Hufeisen in den Händen zu halten. Das tat nur Rudolf Scharping. Laut „Hamburger Abendblatt“ stammen die Informationen von drei Offizieren, offenbar aus dem Führungsstab des Verteidigungsministeriums.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Minister.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Erstens kann ich Ihnen sagen, dass sich auf dem Deckblatt, mit dem uns die nachrichtendienstlichen Informationen übermittelt worden sind, der Name „Hufeisen“ befindet, und zwar sowohl in Form des kroatischen Wortes „Potkova“ wie auch in Form des deutschen Wortes „Hufeisen“. Zweitens habe ich nicht die Absicht, Bemerkungen von Menschen zu kommentieren, die sich anonym äußern und nicht mit ihrem Namen für die Kenntnisse, die sie von sich geben, geradestehen wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 27 der Kollegin Heidi Lippmann auf: Wird die Bundesregierung die Dokumente der „Operation Hufeisen“ der Öffentlichkeit zugänglich machen, um ihre jugoslawische bzw. serbische Herkunft zweifelsfrei nachvollziehbar zu machen und den tatsächlichen Gegenstand der damaligen Planungen zu beweisen, oder wird die Bundesregierung diesbezügliche Beweise auf andere Weise erbringen? Herr Minister, bitte.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Kollegin, das der Bundesregierung vorliegende Material unterliegt dem Quellenschutz, kann der Öffentlichkeit also nicht zugänglich gemacht werden. Die Informationen, die sich aus diesem Material ergeben, machen wir umfangreich und vollständig der Öffentlichkeit zugänglich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins, bitte sehr.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, ausgehend von der Beantwortung der vorherigen Fragen möchte ich angesichts des Geheimhaltungsschutzes, den Sie für die Dokumente in Anspruch nehmen, ergänzend fragen, wie Sie es sich erklären, dass Sie am 19. April letzten Jahres in einer Sendung der BBC geäußert haben, das klare Ziel sei die ethnische Säuberung des Kosovo und die Vertreibung der Zivilbevölkerung, in der gleichen Sendung der NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark gesagt hat, von einem solchen Plan wisse er nichts.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Ich kann Ihnen dazu keine andere Erklärung geben als die, dass der NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark kürzlich in der BBC geäußert hat, er sei „certainly familiar“ mit dem Operationsplan, also darüber informiert gewesen. Ich kann die Äußerungen in der Sendung vom April 1999 nicht kommentieren, ich weiß aber, was Wesley Clark in der eben angeführten Sendung gesagt hat. Ergänzend möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich wie andere Verteidigungsminister zum Beispiel auch der amerikanische Verteidigungsminister in einem entsprechenden Hearing des Senat Armed Services Committee im amerikanischen Senat entsprechend geäußert hat. Das deckt sich übrigens mit den Informationen, die Sie sowohl in der „Times“ wie in der „Washington Post“ und beispielsweise auch im österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“ oder in der „Berliner Zeitung“ schon im April 1999 nachlesen konnten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Können Sie Ihre Angaben zum Geheimschutz der Quelle bitte dahin gehend erläutern, inwieweit Abgeordnete dieses Hauses zum Beispiel über den Verteidigungsausschuss, der auch unter geheim oder streng geheim tagen kann, oder über den Bundessicherheitsrat Kenntnis von dem authentischen Material erhalten könnten?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

In den dafür befugten Gremien gibt die Bundesregierung so weit Auskunft, wie der Quellenschutz gewährleistet ist. Dabei muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dabei noch eine andere Tatsache zu berücksichtigen ist: Ein Teil der uns zur Verfügung stehenden Informationen bezieht sich auf Menschen, die noch in Serbien leben. Ich habe nicht die Absicht, sie Milosevic ans Messer zu liefern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, können Sie mir bestätigen, dass der Abschlussbericht der OSZE-Mission nach ihrem Rückzug, der von dem stellvertretenden Leiter der OSZE-Mission in vielen Vorträgen in Deutschland dargelegt worden ist - mein Kollege Nachtwei zeigt diesen Bericht gerade -, allgemein zugänglich war, dass sich jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigen wollte, damit beschäftigen konnte und dass darin unter anderem festgehalten ist, dass am Wochenende des 19. März 1999 schon 20 000 Flüchtlinge die Grenzen überschritten, dass also ganz klar eine Säuberung im Gange war, dass weiterhin die abziehenden OSZE-Beobachter sehr deutlich beschrieben, wie die einrückenden Milizen mit höhnischem Lachen Häuser in Brand steckten? Können Sie mir bestätigen, dass all dies zugänglich war und dass sich derjenige, der sich ernsthaft damit beschäftigen wollte, nicht auf parteiische Darstellungen hereinfallen musste?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Lippelt, ich kann Ihnen das bestätigen und darüber hinaus die Tatsache in Erinnerung rufen, dass am Osterwochenende 1999, wenn ich es recht erinnere, also vor der Veröffentlichung unserer Informationen über die „Operation Hufeisen“, schon Züge zur Grenze fuhren, in denen Tausende von Kosovo-Albanern zusammengepfercht wurden, dass in Pristina Häuser und Geschäfte mit dem Hinweis darauf markiert wurden, dass sie in kosovoalbanischem Besitz seien. Das hat entsprechende Folgen gehabt. Ich kann Ihnen bestätigen, dass zu diesem Zeitpunkt an der Grenze in Blace zwischen Mazedonien und dem Kosovo Tausende von Menschen in einem Tal ohne jede Versorgung mit Wasser oder Lebensmitteln festgehalten wurden. Ich kann Ihnen bestätigen, dass an der Grenze schon Tausende von Autos standen, deren Besitzern man nicht nur die Autos, sondern auch die Nummernschilder, die Wagenpapiere, die Geburtsurkunden, die Personalausweise und anderes genommen hatte. Ich kann daraus nur einen einzigen Schluss ziehen: Wer glaubt, dass eine Operation, die mit dem Ergebnis von 1,4 Millionen Vertriebenen endet, keine Planung erfordert, der ist entweder naiv oder dumm.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Hübner eine Zusatzfrage.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Um zum eigentlichen Thema zurückzukehren, hätte ich noch eine Frage bezüglich des Quellenschutzes und der Geheimhaltung - ich beziehe mich dabei auf die Antwort, die Sie mir eben gegeben haben -: Wenn diese Offiziere mit ihrem Namen ihre Kenntnisse, die sie möglicherweise aus dienstlichen Prozessen erworben haben, namentlich kenntlich gemacht hätten, wären sie dann aus Ihrer Sicht disziplinarrechtlich zu belangen oder nicht?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Hübner, bei allem Verständnis: Wenn jemand von seiner Sache überzeugt ist und glaubt, dass er eine belastbare Information hat, sollte es ihm nicht schwer fallen, dafür mit seinem Namen geradezustehen. Im Übrigen habe ich nicht die Absicht herumzutheoretisieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 28 der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf: Wie stellt sich die Bundesregierung zu dem öffentlich erhobenen Vorwurf, dass der zur Rechtfertigung des NATO-Bombardements Jugoslawiens herangezogene so genannte Hufeisenplan möglicherweise gar nicht existiert habe? Herr Minister, bitte.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, wie eben schon erläutert, belegt das uns vorliegende Material die Durchführung einer „Operation Hufeisen“. Es unterliegt dem Quellenschutz. Es macht im Übrigen deutlich, dass diese Operation der Zerschlagung und Neutralisierung der UCK und zugleich der Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung mit dem Ziel gewaltsamer regionaler und demographischer Veränderungen als Bestandteil dieses Planes diente. Sie wurden durch die tatsächlichen Ereignisse bestätigt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich habe auf dem Weg ins Plenum Ihre Antworten auf die Zusatzfragen hören können. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Welche Rolle spielte nach Ihrer Einschätzung der Hufeisenplan insgesamt für das Vorgehen der NATO? Wieweit wurden Unterlagen, die dem Quellenschutz unterliegen, der NATO zur Verfügung gestellt? Ich habe Ihre Antwort auf die Frage gehört, inwieweit Herr Clark informiert gewesen sei.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Wir haben das Material allen Bündnispartnern zur Verfügung gestellt. Im Übrigen haben wir nach einem längeren Gespräch mit der damaligen Chefanklägerin des Den Haager Tribunals, Louise Arbour, sämtliches dem Bundesministerium der Verteidigung zugängliche Material zur Verfügung gestellt. Das betrifft die Unterlagen über die „Operation Hufeisen“ genauso wie die Auswertung der Befragung der OSZE-Beobachter und die Auswertung der Befragung aller Flüchtlinge, mit denen wir sprechen konnten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, in der Anklageschrift gegen Herrn Milosevic und andere wird in den Anklagegründen auf den Hufeisenplan nicht Bezug genommen bzw. er wird nicht so genannt. Tatbestände werden vielmehr abstrakt beschrieben. Führen Sie das ausschließlich auf den Quellenschutz zurück?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Das führe ich darauf zurück, dass bestimmte Anklageschriften oder Teile von Anklageschriften des Den Haager Tribunals bis zur Verhaftung des Angeklagten grundsätzlich geheim gehalten werden. Das kann man unschwer an der jüngst erfolgten Verhaftung eines Vertrauten von Herrn Karadzic erkennen. Das gilt auch in anderen Fällen. Im Übrigen, Frau Kollegin, hätte ich es für einen Mangel an Sorgfalt gehalten, wenn wir die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse - wie eben schon geschildert - nicht mit allen anderen Informationen abgeglichen hätten, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten. Das begründet die Bemerkung in der Antwort auf Ihre Frage, dass die tatsächlichen Ereignisse das systematische Vorgehen gemäß dieses Planes eindeutig bestätigt haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 29 des Kollegen Hofbauer auf: Aufgrund welcher Planungen und Vorgaben wurde entschieden, in Standortschießanlagen eingesetzte, zum Austausch fällige Gummigranulatkugelfänger nicht auszutauschen, obwohl deren Ersatz im Rahmen der Bauunterhaltung zum Erhalt der Sicherheit beim Ausbildungsbetrieb in Standortschießanlagen unabdingbar ist? Auch diese Frage wird der Herr Verteidigungsminister beantworten. Bitte, Herr Minister.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Hofbauer, aufgrund der Überarbeitung des Schießausbildungskonzeptes des Heeres ist im Frühjahr 1998 entschieden worden, sämtliche Infrastrukturvorhaben für Standortschießanlagen aus der mittelfristigen Durchführungsplanung herauszunehmen, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Die Herausgabe des fortgeschriebenen Konzeptes vom Frühjahr 1999 plante erstmals wieder investive Baumaßnahmen ein. Es war generelles Ziel, den Infrastrukturbedarf zu reduzieren und große Teile der Ausbildung aus Simulatoren zu verlagern. Aufgrund neuerer Erkenntnisse des Umweltschutzes und der Arbeitsmedizin müssen nun vorhandene Sandgeschossfänge in Standortschießanlagen grundsätzlich durch Gummigranulatgeschossfänge ersetzt werden. Die notwendige Priorisierung der Haushaltsmittel hat die erforderliche Modernisierung der Standortschießanlagen verzögert. Zudem kann eine Modernisierung der Standortschießanlagen aufgrund der Höhe der Kosten nicht mit Mitteln des Bauunterhalts finanziert werden, sondern muss als kleine Baumaßnahme erfolgen. Dafür sind zurzeit alle Mittel verplant. Über einen notwendigen Austausch der bereits eingesetzten Gummigranulatkugelfänger ist dem Bundesministerium der Verteidigung zurzeit nichts bekannt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dazu wollen wir noch mehr wissen. Der Herr Kollege Hofbauer hat eine Zusatzfrage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wie kann es vorkommen, dass bei einigen Anlagen die Auftragsvergabe bzw. die Ausschreibung bereits erfolgt ist und jetzt plötzlich - anscheinend auf Weisung Ihres Hauses - die Maßnahme gestoppt wurde?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Offenbar haben Sie, verehrter Herr Kollege, einen oder mehrere konkrete Fälle im Hinterkopf. Ich will Ihnen ausdrücklich anbieten, zur Aufklärung der konkreten Fälle beizutragen. Ein entsprechendes Gespräch führen wir am besten außerhalb der Fragestunde.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, könnten Sie mir vielleicht die Sachlage zu dem konkreten Fall Pfreimd in den nächsten Tagen übermitteln bzw. einen Situationsbericht abgeben?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Sehr gerne.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 30 des Kollegen Hofbauer: Auf welche Weise soll nach daraus resultierenden kurzfristig zu erwartenden Stilllegungen von Schießanlagen der Ausbildungsbetrieb in den die Standortschießanlagen nutzenden Einheiten sichergestellt werden? Herr Minister, bitte.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Wenn ich es richtig sehe, betrifft das denselben Sachverhalt, nämlich die Stilllegung von Schießanlagen auch für den Ausbildungsbetrieb. Für eine Übergangsphase bis zum Abschluss der Modernisierung aller noch zu betreibenden Standortschießanlagen wird durch organisatorische Maßnahmen und durch nochmaligen Austausch des Geschossfangsandes von einer noch festzulegenden Mindestzahl von Schießständen der Schießausbildungsbetrieb sichergestellt, Herr Kollege.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich etwas provokativ fragen: Es sind keine Entscheidungen zurückgestellt worden, um hier irgendwelche Vorentscheidungen hinsichtlich der Standorte zu treffen?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege, ich empfinde das nicht als Provokation. Ich habe trotz entsprechender Hinweise des Bundesrechnungshofs und trotz deutlicher Hinweise aus dem Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Beispiel eine Entscheidung über Standortverwaltungen, deren Schließung oder Zusammenlegung mit anderen der Bundesrechnungshof für sinnvoll hielt, zurückgestellt, weil ich nicht glaube, dass solche zum Teil schwergewichtigen Einzelentscheidungen getroffen werden sollten, ohne dass man eine Gesamtkonzeption der Bundeswehr vorliegen hat, in die sich solche Einzelentscheidungen sinnvoll einordnen lassen. Daraus zu schließen, dass eine einzelne Anlage, ein einzelner Standort, eine einzelne Standortverwaltung grundsätzlich hinterfragt würde, wäre falsch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei. Wird nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Werner Siemann auf: Teilt die Bundesregierung die Äußerung des Bundesministers der Verteidigung, Rudolf Scharping, die Bundeswehr sei nicht mehr in vollem Umfang bündnisfähig - Interview im Deutschlandfunk am 26. März 2000 - und wenn ja, welche Konsequenzen wird sie bis zum Vorliegen des Berichtes der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ ergreifen, um diesen Zustand abzumildern? Herr Minister, bitte.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Siemann, die Aufgabe der Friedenssicherung ist für die Bundeswehr in den letzten Jahren nicht einfacher geworden, denn trotz der Überwindung der Teilung Europas ist die sicherheitspolitische Lage durch eine Vielzahl von Risiken im euro-atlantischen Raum geprägt. Deren Bewältigung erfordert erhöhte Leistungsfähigkeit der Streitkräfte und eine vertiefte Kooperation mit Verbündeten und Partnern. Gemeinsame Sicherheit erfordert gemeinsame Fähigkeiten im Rahmen der NATO wie auch der Europäischen Union. Wir brauchen also Streitkräfte, die über bestimmte Kernfähigkeiten verfügen, wie beispielsweise strategische und operative Aufklärung, hohe Mobilität, Durchhaltefähigkeit, Überlebensfähigkeit, Führungsund Kommunikationsfähigkeit, als Grundlagen für Interoperabilität zwischen den Streitkräften, also die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Im Mai 1999 wurde eine Bestandsaufnahme vorgelegt. Sie wurde mit den konkreten Erfahrungen der Balkaneinsätze ergänzt. Sie macht auf beträchtliche Ausrüstungsmängel der Bundeswehr aufmerksam - Ausrüstungsmängel, die unsere Bündnisfähigkeit beeinträchtigen. Dieser Zustand, Herr Kollege, wird sich verschärfen, wenn Deutschland nicht wie die anderen Bündnispartner aus der im Rahmen der NATO-Strategie und auf dem NATO-Gipfel beschlossenen Initiative zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten die notwendigen Konsequenzen für die eigenen Streitkräfte zieht. Zur Behebung der einsatzrelevanten Defizite sind eine Reihe von kurzfristig wirksamen Maßnahmen getroffen worden. Dazu zählt die Erhöhung der Investitionsquote im Haushalt 1999, die mit 24,3 Prozent einen beachtlichen Fortschritt darstellt. Das ist die höchste Investitionsquote seit 1991. Dazu zählt die Verstärkung der Krisenreaktionskräfte des Heeres um ein Drittel. Dazu zählen weit reichende Vereinbarungen mit zurzeit über 420 Unternehmen und Verbänden, Verträge, die geschlossen worden sind, um Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Modernisierung der Streitkräfte gleichermaßen zu gewährleisten. Die ebenfalls systematische Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen über die Zukunft der Bundeswehr wird im Mai 2000 abgeschlossen sein. Es ist die Absicht der Bundesregierung, die Eckpfeiler dieser Entscheidung vor Beginn der Sommerferien dieses Jahres zu sichern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wird die Bundesregierung bis zur Sommerpause auch hier im Plenum eine Entscheidung herbeiführen, ob wir die Wehrform der Wehrpflicht beibehalten oder nicht?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege, wir werden darüber nach Vorlage aller Entscheidungsgrundlagen innerhalb der Bundesregierung zu sprechen haben. Sollte sich aus den Entscheidungen der Bundesregierung gesetzgeberischer Änderungsbedarf ergeben, wird er dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen werden. Meine persönliche Auffassung zur Wehrpflicht kennen Sie.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, hält die Bundesregierung die Beratungszeit - wenn es so läuft, wie Sie es jetzt angedeutet haben - zwischen dem Vorliegen der Ergebnisse der Kommission und dem von Ihnen angekündigten Zeitpunkt für ausreichend, um eine Vizepräsidentin Anke Fuchs vernünftige, sachgerechte Entscheidung über die zukünftige Struktur der Bundeswehr zu treffen? Das sind, wenn ich mir das vor Augen führe, immerhin nur drei Sitzungswochen bis zur Sommerpause.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Zunächst, Herr Kollege Siemann, geht es um die Eckpfeiler, an denen sich eine Fülle von Einzelentscheidungen orientieren muss. Das kann aber nicht geschehen, wenn es diese Eckpfeiler nicht gibt. Eckpfeiler meint: Wehrform, Umfang, Beseitigung von Besoldungs- und Personalstrukturmängeln sowie eine klare Perspektive für die Beseitigung erheblicher Ausrüstungsmängel innerhalb der Bundeswehr. Diese Entscheidungen dulden angesichts des sich in den letzten zehn Jahren immer mehr verschlechternden Zustandes keinen Aufschub. Vor diesem Hintergrund wird das Parlament, wird die Öffentlichkeit noch monatelang Zeit haben, über einzelne Fragen zu reden. Ein weiteres Jahr Verunsicherung der Betroffenen, die eine notwendige Begleiterscheinung jeder demokratischen Debatte ist, wäre auch für die Leistung und die Motivation innerhalb der Bundeswehr schädlich. Das sollten wir vermeiden. Wenn Sie mir die etwas ironische Bemerkung gestatten: Dass manchmal Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition zu dieser Entwicklung beitragen, ist in Grenzen verständlich. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 32 des Kollegen Siemann: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Beteiligungen deutscher Firmen an Ausschreibungen der Vereinigten Arabischen Emirate hinsichtlich der Modernisierung ihrer Streitkräfte vor?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Siemann, Ausschreibungen der Vereinigten Arabischen Emirate zur Modernisierung ihrer Streitkräfte werden nach Kenntnis der Bundesregierung üblicherweise nicht bekannt gegeben. Vielmehr werden einzelne Firmen direkt kontaktiert, um herauszufinden, ob ein Interesse an einer Belieferung besteht. Sie werden dann gebeten, entsprechende Angebote zu unterbreiten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage? - Erledigt. Damit haben wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung abgearbeitet und danken dem Herrn Minister für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Kurt Bodewig zur Verfügung. Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Straubinger auf: Unter welchen Bedingungen hat die Bundesregierung einer Vorfinanzierung der A 31 durch das Land Niedersachsen, die Landkreise und private Unternehmer, wie im Interview mit dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 10. März 2000 von diesem dargelegt, zugestimmt, und bringen die Landkreise und die Unternehmer den Finanzanteil von 135 Millionen DM aus Eigenmitteln auf? Herr Staatssekretär, bitte.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Herr Kollege Straubinger, die Bundesregierung und das Land Niedersachsen haben sich nach den folgenden Maßgaben über die Finanzierung und Fertigstellung der A 31 zwischen der Anschlussstelle Geest und der Landesgrenze Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2005 verständigt: Erstens. Die Region beteiligt sich an den Gesamtkosten von 420 Millionen DM zu einem Drittel durch einen Interessenbeitrag in Höhe von 135 Millionen DM, den das Land Niedersachsen zur Verfügung stellt. Zweitens. Der Bund trägt die weiteren Kosten von 285 Millionen DM, die das Land Niedersachsen zunächst bis zum Jahr 2010 vorfinanziert. Drittens. Nach Fertigstellung der Maßnahmen werden Baukosten in Höhe von 112 Millionen DM aus dem Hauptbautitelanteil Niedersachsens refinanziert. Ab dem Jahr 2010 erfolgt dann die Rückzahlung der Baukosten durch den Bund in fünf Jahresraten in Höhe von insgesamt 173 Millionen DM aus dem Hauptbautitelanteil Niedersachsens. Die Aufbringung des Finanzanteils der Region von 135 Millionen DM ist deren Angelegenheit.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie verträgt sich das mit der Auffassung der Bundesregierung, die von Herrn Staatssekretär Lothar Ibrügger auf die Frage von Herrn Josef Hollerith, veröffentlicht in der Drucksache 14/2325, wie folgt kundgetan wurde: Eine Vorfinanzierung von in der Baulast des Bundes stehenden Maßnahmen an Bundesfernstraßen durch die Länder ist aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. ({0}) In einem späteren Absatz heißt es: Eine Vorfinanzierung von Maßnahmen an Bundesfernstraßen durch die Länder würde nicht nur künftige Bundeshaushalte hinsichtlich der Refinanzierung präjudizieren, sondern könnte auch dazu führen, dass die Länder ihnen verfassungsrechtlich nicht zukommende Mitspracherechte einfordern, mit der Folge, dass Abhängigkeiten und Zwänge im Verhältnis zwischen Bund und Land geschaffen würden, die mit der Verfassung und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar sind, vergleiche Entscheidung 3996 ({1}) des Bundesverfassungsgerichts.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, bitte schön.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Wir müssen hier zwischen einer Vorfinanzierung bzw. einer Privatfinanzierung und dem unterscheiden, was das Land Niedersachsen nach einer sehr strengen Prüfung im Einvernehmen mit dem Bund entschieden hat, nämlich eine Mitfinanzierung und eine Vorfinanzierung, sodass keine Refinanzierungskosten auf den Bund zukommen. Das ist der deutliche Unterschied im Hinblick auf die vom Kollegen Hollerith gestellte Frage. Das wird auch aus den von mir vorgetragenen Fakten deutlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort kundgetan, dass der Bund an das Land Niedersachsen Rückerstattungen von vorfinanzierten Teilen leistet. Ist das richtig?

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Der Bauanteil wird ohne die Refinanzierungskosten aus dem Haupttitelanteil Niedersachsens finanziert. Sie kennen die entsprechenden Länderquoten und wissen, dass Niedersachsen in einem bestimmten Anteil Mittel erhält. Es erfolgen keine Zinsbelastungen zulasten des Bundes. - Das ist der entscheidende Unterschied.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage? - Herr Hollerith, bitte schön.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie hatten die 135 Millionen DM, die als verlorener Zuschuss in das Projekt der A 31 einfließen, als Landesbeitrag tituliert. Bin ich richtig informiert, dass es sich dabei nicht um Landesmittel handelt, sondern um Gelder Dritter?

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Ich kann Ihre Frage 34 gleich mitbeantworten, wenn Sie das wünschen. ({0}) - Gut, dann beantworte ich diese Frage nachher. Dazu stelle ich fest: Ich habe ausdrücklich von einem Interessenbeitrag der Region gesprochen. Das Land Niedersachsen finanziert dies. Das ist ein Unterschied.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 34 des Kollegen Hollerith: Welche Landkreise und Unternehmer haben die Finanzmittel in Höhe von 135 Millionen DM für die Vorfinanzierung der A 31 aufgebracht, und wie ergeben sich die Einzelbeträge? Bitte, Herr Staatssekretär Bodewig.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Landkreise und Unternehmer sich mit welchen Beiträgen an der Vorfinanzierung der A 31 beteiligen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage? - Herr Hollerith, bitte.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, dass die Landkreise dem Land Niedersachsen diesen Interessenbeitrag finanziell ersetzen, und ist der Bundesregierung bekannt, dass auch aus dem benachbarten Land Holland ein erklecklicher Betrag als verlorener Zuschuss in dieses Projekt fließt?

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Den ersten Teil Ihrer Frage hatte ich soeben schon beantwortet: Das ist nicht bekannt. Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist zu sagen: Das ist ebenfalls nicht bekannt.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsekretär, es ist bemerkenswert, dass in Ihrem Hause dazu Aktenvorgänge existieren und Sie sich hier hinstellen und erklären, dies sei nicht bekannt. Die Art, wie Sie mit dem Parlament umgehen, kann ich nicht akzeptieren. Herr Präsident, es gibt im Hause des Bundesverkehrsministeriums Aktenvorgänge, die in diesem Zusammenhang einiges aussagen. Der zuständige Staatssekretär aber stellt sich hier hin und sagt, er wisse davon nichts. Die Bundesregierung kann nicht auf diese Art und Weise das Fragerecht des Parlamentariers missachten. Ich lege hier nachhaltigen Protest ein und stelle anheim, dass die Fragen, wie es parlamentarisch üblich ist, ordnungsgemäß beantwortet werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, es steht dem amtierenden Präsidenten nicht zu, eine Antwort der Bundesregierung zu qualifizieren. Es ist Sache der Bundesregierung, wie sie antwortet. Ich habe allerdings anlässlich der letzten Sitzung des Ältestenrates den Vertreter der Bundesregierung gebeten, dass die Kollegen des Kabinetts bzw. die Staatssekretäre den Sinn einer Frage richtig aufnehmen und die Frage entsprechend beantworten sollten. Mehr als eine Bitte können wir aber in diesem Zusammenhang nicht äußern. Herr Staatssekretär Bodewig, bitte schön.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Ich möchte noch einmal deutlich machen: Unser Ansprechpartner war in diesen Verhandlungen das Land Niedersachsen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Schorlemer. Bitte schön.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, noch in dieser Woche von den Abgeordneten Seiters und Kues zur Kenntnis zu nehmen, welche Summen vom kommunalen Bereich, das heißt von den Landkreisen, zur Mitfinanzierung dieses Projektes zur Verfügung gestellt worden sind?

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es heißt, dass auch Unternehmer Beiträge leisten. Sie haben in Ihrer Antwort dargelegt, Sie wüssten nicht, welche Unternehmer dies betrifft und in welchem Umfang sie sich einbringen. Ich hätte gerne eine Antwort auf die Frage: Ist es sinnvoll, dass steuerzahlende Unternehmen Beiträge zum Bundesfernstraßenausbau erbringen?

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Ich glaube, dass in der Region ein breiter Konsens entstanden ist. Es gibt positive Bemühungen, die wir auch durch Ihre Frage nicht infrage stellen sollten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zu den Fragen 35 bis 43, die vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Siegfried Scheffler beantwortet werden sollen. Ich rufe zunächst die Frage 35 des Kollegen Dr. HansPeter Uhl auf: Ist die Bundesregierung bereit, dem Beginn von Vorwegmaßnahmen zum Weiterbau der Autobahn A 99 zuzustimmen, nachdem die Landeshauptstadt München hierfür 13 Millionen DM zur Verfügung stellt und die Bundesregierung in ihrem „Anti-StauProgramm“ den eigentlichen Baubeginn für das Jahr 2003 ohnehin in Aussicht gestellt hat?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Lieber Kollege Uhl, zunächst einmal ein klares Ja. Die Bundesregierung ist, ausgehend von der Zusage der Landeshauptstadt München, ihren Finanzbeitrag für die A 99 bereits ab diesem Jahr zu leisten, bereit dem Beginn bauvorbereitender Arbeiten zuzustimmen. Bundesminister Klimmt hat mit Schreiben vom 28. März dieses Jahres dem entsprechenden Antrag des bayerischen Innenministers zugestimmt und festgestellt, dass aufgrund dieser Vorleistung ab dem Jahr 2003 der Bau des Westrings konzentriert erfolgen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Uhl? - Bitte schön.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Antwort ist erfreulich; sie hat sich mit meiner Fragestellung gekreuzt. Zu meiner Zusatzfrage. Wenn der Bund diese 13 Millionen DM Zuschuss von Stadt und Land entgegennimmt und für den Baubeginn verwendet, wird es im Jahre 2002 vor dem offiziellen finanziellen Anschub vonseiten des Bundes eine Finanzierungslücke geben. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie Sie diese Finanzierungslücke des Jahres 2002 überbrücken? Sehen Sie eine Möglichkeit, den Bau dann nicht einzustellen zu müssen? 2002 ist schließlich nicht irgendein Jahr, sondern das Jahr der nächsten Bundestagswahl. Haben Sie schon eine Strategie entwickelt?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Vielleicht haben Sie in Ihren Regierungsperioden solche Erfahrungen gemacht. Die Verkehrspolitik der gegenwärtigen Regierung, der Regierung von Rot-Grün, wird jedoch nicht an Wahlperioden oder eventuell an Strategien des Wahlkampfes ausgerichtet, sondern an den Menschen. ({0}) Das ist vielleicht ein Unterschied zwischen uns. Sie haben von der Finanzierungslücke gesprochen. Sie wissen, dass sich die Maßnahmen, die in das „Investitionsprogramm 1999 bis 2002“ eingestellt wurden, an bestimmten Kriterien orientieren. Nicht nur die jetzige Bundesregierung weiß, sondern auch die alte wusste schon, dass gerade im süddeutschen Raum, in BadenWürttemberg und Bayern, ein Bedarf mit planfestgestellten Vorhaben in fünffacher Höhe in den Schubladen liegt; aber das Geld reicht nicht aus. Auch nach den Plänen der alten Bundesregierung fehlten bis zum 31. Dezember 1999 circa 25 Milliarden DM. Aufgrund der Kriterien war es nicht möglich, diese Maßnahme in den Investitionsplan aufzunehmen. Der Minister hat aber im vorigen Jahr bei der Verkehrsministerkonferenz zugesagt, nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen. Er hat erst im Februar dieses Jahres das Anti-Stau-Programm mit einem Mittelansatz in Höhe von 7,4 Milliarden DM vorgestellt; davon entfallen 3,7 Milliarden DM auf die Bundesautobahnen. Ab dem Jahr 2003 wird der Weiterbau der A 99 mit 272 Millionen DM durch dieses Programm mit einer Laufzeit von fünf Jahren finanziert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gestatten Sie mir, dass ich meine Frage noch einmal stelle, weil sie nicht beantwortet worden ist. Das ist doch gerade das Problem: Sie haben nach Ihren Vorstellungen Finanzierungsmöglichkeiten ab 2003, verwenden die 13 Millionen DM aber für die Jahre 2000 und 2001. Meine Frage lautet daher: Was tun Sie in Sachen Finanzierung im Jahre 2002?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Die Finanzierungslücke ist - ich sagte das bereits - aufgrund des hohen Bedarfs entstanden. Die gegenwärtigen Projekte - das vergessen Sie vielleicht - ziehen ja eine Investitionsschleppe von mehreren Milliarden DM nach sich, sodass die angesprochene Maßnahme für Bayern im Finanzrahmen nicht gesichert war. Das gilt vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung, aber auch vor dem Hintergrund der Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplans. Sie wissen natürlich von den jährlich 560 Millionen DM im süddeutschen Raum. Der Haushalt wird durch die privat vorfinanzierten Projekte belastet, weil damals nicht genug Geld zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben die mit höchster Priorität weitergeführten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ und andere Maßnahmen, die bereits begonnen waren, in das IP aufgenommen. Auf Bayern entfallen allein im Zeitrahmen des Investitionsprogramms rund 2,03 Milliarden DM, sodass diese konkrete Maßnahme mit einem Volumen von 300 Millionen DM nicht auch noch in das Investitionsprogramm aufgenommen werden kann. Aber es gibt die Zustimmung zu den bauvorbereitenden Arbeiten, damit ab dem Jahr 2003 zügig weiter gebaut werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund Ihres Anti-Stau-Programms, über das Sie ja gerade ausführlich berichtet haben, die gänzlich andere Einstellung des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen zu Staus, die in der Aussage „Wo kein Stau ist, ist auch nichts los!“ gipfelt? ({0})

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Unabhängig davon, dass sich die Zusatzfrage nicht auf die A 99 mit dem Westring München bezieht, ({0}) möchte ich keine Zitate kommentieren, die ich persönlich nicht kenne. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen nun zur Frage 36 des Kollegen Heiderich - und gegebenenfalls auch zur Frage 37, Herr Staatssekretär?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Heiderich, Herr Präsident, da die Fragen im Zusammenhang stehen, möchte ich sie auch zusammenhängend beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Einverstanden, dann rufe ich beide Fragen auf: Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Straßenbauprojekte des „Vordringlichen Bedarfs“ aus dem Bundesverkehrswegeplan 1992 sofort in die Finanzierung des Investitionsprogramms der Bundesregierung aufgenommen werden, sobald der Planfeststellungsbeschluss und damit die Baureife für diese Projekte vorliegt? Beabsichtigt die Bundesregierung die Maßnahmen des „Investitionsprogramms 1999 bis 2002“ ab dem Jahr 2003 planmäßig weiter abzufinanzieren, und ist es richtig, dass sich dies bei dem gegebenen Finanzumfang bis circa zum Jahr 2020 erstrecken wird?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Zu Frage 36: Maßnahmen, die nicht im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 enthalten sind, können - auch wenn für sie zwischenzeitlich ein Planfeststellungsbeschluss erlassen worden ist - nachträglich nur in besonderen Einzelfällen im Austausch einbezogen werden. Zudem ist die vorherige Zustimmung des BMVBW, der gegebenenfalls das BMU vorab informiert, erforderlich. Diese Flexibilisierung entspricht grundsätzlich der Handhabung bei den Fünfjahresplänen. Nun zur Frage 37: Für das nach 2002 zu finanzierende Finanzvolumen aus dem Investitionsprogramm 1999 bis 2002 - den so genannten Überhang - ergibt sich nach dem derzeit angenommenen fortgeschriebenen Finanzplan ein Zeitbedarf von rund fünf Jahren. Im Übrigen gilt auch hier die Jährlichkeit der Haushalte. Nur für die privat vorfinanzierten Maßnahmen des Investitionsprogramm 1999 bis 2002 ist entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen ein Refinanzierungszeitraum von 15 Jahren nach Fertigstellung vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Heiderich, bitte sehr.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie viele Projekte mit gegebener Baureife sind bisher nicht im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 enthalten? Und welche Investitions- und Bausumme umfassen diese nicht enthaltenen Projekte?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Heiderich, wir haben ein Investitionsprogramm von rund 900 Maßnahmen und mit einem Gesamtvolumen von 67,4 Milliarden DM. Insofern ist nicht entscheidend, was darin nicht enthalten ist; vielmehr sind es die Kriterien, die wir in Verbindung mit dem uns zur Verfügung stehenden Finanzrahmen festgelegt haben. Sie wissen natürlich, dass die Aufnahmekriterien waren: Maßnahmen der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, bereits im Bau befindliche weitere Maßnahmen, weitere Maßnahmen mit Baubeginn 2002 und daneben was auch immer vergessen wird - die Restfinanzierung für bereits unter Verkehr befindliche Projekte sowie die Refinanzierung privat vorfinanzierter Maßnahmen - ich sagte das bereits bei der Beantwortung der vorhergehenden Frage - von circa 560 Millionen DM jährlich, Maßnahmen mit einer Anschubfinanzierung des Bundes für Privatfinanzierung nach dem Betreibermodell, Maßnahmen der straßenseitigen Flughafenanbindung Berlin Brandenburg International und natürlich hier auch die Investitionsschleppe mit circa 21 Milliarden DM. Wenn Sie jetzt noch einmal konkret nach der Zahl der Maßnahmen fragen, welche wir nicht berücksichtigt haben, so kann ich Ihnen das gerne schriftlich nachreichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, im Gegensatz zu Ihrer Ausführung eben halte ich es für die betroffenen Regionen schon für sehr wichtig, ob sie eine Chance haben, mit ihren Projekten in Ihre Investitionsplanung aufgenommen zu werden oder nicht. Deswegen möchte ich an der Stelle noch einmal nachfragen, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, schon baureife oder in Kürze baureif werdende Projekte zusätzlich zu diesem schon ausgewiesenen Investitionsprogramm schnell zu verwirklichen und welche Zeiträume Sie für die Verwirklichung dieser zusätzlichen Projekte sehen.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Die Zeiträume sind natürlich spekulativ, weil, wie Sie wissen, der gegenwärtige Bundesverkehrswegeplan zu überarbeiten ist - er hat auch nur eine Laufzeit bis 2012 - bzw. der Bundesfernstraßenbedarfsplan hätte überarbeitet werden müssen. Insofern sind wir an bestimmte Kriterien, die uns das Parlament vorgegeben hat, gebunden. Aber ich möchte noch einmal zur Flexibilisierung zurückkommen. Die in den Listen dargestellte Auswahl der Maßnahmen im Investitionsprogramm entspricht natürlich dem jetzigen Planungsstand und Änderungen sind vom Grundsatz her entsprechend dem Planungsfortschritt möglich. Das bedeutet, dass bei Planungsverzögerungen Maßnahmen, die trotz Erfüllung der Aufnahmekriterien aus finanziellen Gründen zurückgestellt oder nicht aufgenommen wurden, im Austausch in das Investitionsprogramm einbezogen werden können, wenn die anderen Maßnahmen, die darin enthalten sind, nicht den entsprechenden Planungsstand oder Planungsfortschritt aufweisen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich, Herr Staatssekretär, an dieser Stelle direkt zurückfragen: Gibt es, bereits erkennbar im Investitionsprogramm, solche Maßnahmen, von denen Sie gesprochen haben, die nicht verwirklicht werden können, weil die Baureife nicht erreicht ist? Bei welchen Maßnahmen ist das Nichterreichen in der Laufzeit dieses Investitionsprogramms bis 2002 absehbar?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Da die Länder nicht nur über die zuständigen Ministerien, sondern auch über ihre Straßenbauverwaltungen permanent auf der Fachebene mit uns im Gespräch sind - das Thema wurde von den Länderverkehrsministern auch während der Verkehrsministerkonferenz an den letzten zwei Tagen angesprochen -, ist das ein laufender Prozess, sodass ich gegenwärtig nicht in der Lage bin, Ihnen hier konkrete Projekte zu nennen. Wir befinden uns da noch im Abstimmungsprozess.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal auf Ihre Antwort von eben zurückkommen: Habe ich es richtig verstanden, dass die Bundesregierung alle Maßnahmen aus dem Bundesverkehrswegeplan 1992, die noch nicht in ihrem Investitionsprogramm enthalten sind, noch einmal daraufhin überprüfen will, ob sie nach wie vor Maßnahmen der höchsten Prioritätsstufe sind? Oder habe ich Sie da falsch verstanden?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Heiderich, es wäre natürlich sehr schön, wenn die neue Bundesregierung dazu in der Lage gewesen wäre und das von der alten Bundesregierung vorgefunden hätte, beispielsweise die Finanzierungsmöglichkeiten und nicht nur das, was bisher so ungefähr nach dem Stichwort „Wunsch und Wolke“ mit der Spatenstichpolitik seitens der alten Bundesregierung vorangetrieben wurde. Fakt ist, dass wir circa 21,8 Milliarden DM an Investitionsschleppe zur Realisierung mit uns umherziehen. Deshalb ist das Bauprogramm hier eingeschränkt. Hier bestand das sagte ich auch bei der Beantwortung der ersten Frage - eine Unterfinanzierung in Höhe von circa 25 bis 35 Milliarden DM allein bis zum 31. Dezember 1999, sodass sicherlich nicht alle Maßnahmen, die im Bundesverkehrswegeplan enthalten sind, durchgeführt werden können. Aber der Bundesverkehrswegeplan ist nicht das Entscheidende, sondern letztendlich ist es der Bedarfsplan, der auch hier vom Parlament verabschiedet wird. Insofern wird bei der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans in Abstimmung mit den Ländern noch zu entscheiden sein, welche Maßnahmen neu aufgenommen bzw. welche von den vorhandenen im Vordringlichen Bedarf zurückgestellt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen jetzt zu den Fragen 38 und 39 des Kollegen Dr. Heinrich Kolb: Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung einen Haushaltstitel zur Globalfinanzierung für die Instandhaltung von Schienenwegen bisher noch nicht freigegeben hat, und falls ja, welche konkreten Bauprojekte sind hiervon betroffen? Sind zum Beispiel durch Einwendungen seitens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen oder der Deutschen Bahn AG einzelne Projekte, die über diesen Haushaltstitel abgewickelt werden, blockiert, und um welche Projekte handelt es sich hierbei?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Präsident, lieber Kollege Kolb, im Rahmen der Bahnreform ist die Deutsche Bahn AG - inzwischen sind es die DB Netz AG und die DB Station & Service AG - Eigentümer der Schieneninfrastruktur geworden. Im neuen Art. 87 e des Grundgesetzes ist verankert, dass der Bund für den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes die Verantwortung trägt. Diese Verantwortung des Bundes wird durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz in § 8 konkretisiert. Nach diesem Gesetz finanziert der Bund Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes. Dies betrifft sowohl Ersatz- als auch Neu- und Ausbauinvestitionen. Der DB Netz AG und der DB Station & Service AG obliegen dagegen die sich aus der Eigentümerfunktion ergebenden Rechte und Pflichten, insbesondere die Kostentragung des Aufwandes der Instandhaltung und der Unterhaltung der Schieneninfrastruktur nach § 8 Abs. 4 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Folgerichtig sind im Bundeshaushalt 2000 keine Bundesmittel zum Ausgleich des Aufwandes für die Instandhaltung von Schienenwegen veranschlagt. Jedoch schließt der Bund jährlich mit der DB Netz AG und der DB Station & Service AG so genannte Globalvereinbarungen für Bestandsinvestitionen. Mittels der Globalvereinbarungen werden Investitionen finanziert, die nicht Bestandteil von Vorhaben des Bedarfsplans Schiene, Anlage zu § 1 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, sowie vereinbarten Sonderfinanzierungsfällen sind. Auf der Grundlage der bereits abgeschlossenen Globalvereinbarungen für das Jahr 2000 können Bundesmittel von bis zu 1,46 Milliarden DM für Investitionen in die Schienenwege durch die DB Netz AG und die DB Station & Service AG in Anspruch genommen werden. Die vorgenannten investiven Bundesmittel sind komplett verfügbar. Darüber hinaus stehen für andere Projekte, insbesondere für Vorhaben des Bedarfsplans, weitere rund 5,3 Milliarden DM im Haushalt bereit. Bis auf rund 200 Millionen DM sind alle im Haushalt ausgewiesenen Bundesmittel für Investitionen in die Schienenwege bereits entsperrt und damit verfügbar. Nun komme ich zu Frage 39: Nein, weder durch den Bund noch durch die DB Netz AG und die DB Station & Service AG werden auf der Grundlage der Globalvereinbarungen finanzierte Bestandsnetzinvestitionen blockiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage? - Herr Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf bzw. muss ich Ihre Antworten so verstehen, dass die Bundesregierung nicht daran denkt, sich zukünftig an Maßnahmen der Instandhaltung im Schienennetz zu beteiligen, sondern sich nur dann in der Pflicht sieht, wenn es um investive Maßnahmen geht?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Lieber Kollege, wir haben hier parteiübergreifend die Bahnreform und die entsprechenden Gesetze, auch das Bundesschienenwegeausbaugesetz, vereinbart. Da ich selbst in den Jahren 1993 und 1994 daran beteiligt war, weiß ich, dass die F.D.P.-Fraktion der Privatisierung geschlossen zugestimmt hat. Auf dieser Grundlage wird auch der Bund seinen Verpflichtungen gerecht. Sie wissen, dass der Bund der DB AG auch darüber hinaus - ich denke hier nur an die investiven Altlasten in den neuen Bundesländern - Mittel zur Verfügung stellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich hatte nicht danach gefragt, welche Position die F.D.P. seinerzeit in den Verhandlungen eingenommen hat, sondern danach, wie die Bundesregierung zukünftig zu verfahren gedenkt. Sie haben davon gesprochen, dass 200 Millionen DM aus Ihrem Haushalt noch nicht entsperrt sind und mithin zur Verfügung stehen würden, um zumindest die dringendsten Unterhaltungsmaßnahmen im Schienennetz, mit denen teilweise erhebliche Beeinträchtigungen bei der Abwicklung des Verkehrs beseitigt würden, vorzunehmen. Vielleicht können Sie mir noch einmal erläutern, ob es aus Ihrer Sicht diese Möglichkeit gibt.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Der Bund kommt seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach und diese Möglichkeit ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Das ist der entscheidende Punkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann möchte ich Sie, Herr Staatssekretär - das soll meine letzte Zusatzfrage sein -, fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass es diese erheblichen Beeinträchtigungen schon jetzt, also nach relativ kurzer Zeit, gibt, nämlich dass es auf vielen Teilabschnitten des Streckennetzes mittlerweile Langsamfahrabschnitte mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 oder 30 oder teilweise sogar nur 10 km/h gibt. Teilen Sie meine Auffassung, dass dies zu einer Verminderung der Attraktivität des Schienenverkehrs gerade auch bei der Abwicklung des Berufsverkehrs führt, weil Anschlusszüge nicht erreicht werden? Wie würden Sie vor diesem Hintergrund die zukünftige Wettbewerbsposition der Bahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern, zum Beispiel zum Verkehr mit dem PKW, beurteilen?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Es wäre ganz toll gewesen, wenn wir - das betrifft aber Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms insbesondere die alte Bundesregierung - gemeinsam mit der DB AG mit der Bahnreform das erreicht hätten, was Sie hier einfordern. Ich komme damit zurück zum Anti-Stau-Programm. Dort werden neben der Finanzierung von Bundesfernstraßen bzw. des Lückenschlusses im Autobahnnetz zusätzliche 3,7 Milliarden DM für die Schieneninfrastruktur und die Bundeswasserstraßen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus darf ich Ihnen sagen: Der Eigenanteil der Bahn bei den Investitionen in das Bestandsnetz nach der Globalvereinbarung, der 1998 - also in dem Jahr, in dem zumindest bis Oktober noch eine andere Bundesregierung in der Verantwortung war - ursprünglich noch 50 Prozent betrug, ist unter der neuen Bundesregierung kontinuierlich zurückgegangen. Die Bundesregierung hat zusätzliche Verpflichtungen übernommen. Der Eigenanteil lag 1999 bei 37 Prozent und liegt jetzt, im Jahr 2000, nur noch bei 30 Prozent. Ich denke, auch hier hat die neue Bundesregierung politisch bewiesen, dass sie in Zukunft mehr für die Schiene zu tun gedenkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kolb, letzte Zusatzfrage.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nun muss ich entgegen meinem ursprünglichen Vorhaben mit einer letzten Nachfrage versuchen, es auf den Punkt zu bringen: Sind Sie der Auffassung, dass sich die Bahn vor dem von mir in meinen Fragen geschilderten Hintergrund zukünftig im Wettbewerb behaupten kann, oder sehen Sie nicht auch, dass es gerade wegen des Anti-StauProgramms, das ich grundsätzlich befürworte, mittelfristig, wenn nicht gleichzeitig Investitionen in den Ausbau und auch in die Instandhaltung des Schienennetzes erfolgen, zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition der Bahn kommen wird?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Ich denke, dies führt zu keiner Schlechterstellung. Die Aufteilung nach der gesetzlichen Lage habe ich in der Beantwortung Ihrer Frage dargestellt. Aber Sie sprachen insbesondere die Langsamfahrstrecken im Nahverkehrsbzw. Regionetz der DB AG an, die in den neuen Ländern ein Problem darstellen. Dazu darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung die Mittel zur Beseitigung der investiven Altlast über 2002 hinaus zur Verfügung stellt. Gestern war die erste Runde mit Herrn Mehdorn, den Ländervertretern und Bundesminister Klimmt. So wird der DB AG zum Beispiel nach dem Regionalisierungsgesetz wesentlich mehr Geld zur Verfügung gestellt. Der Beitrag aus der Mineralölsteuer, der im Jahre 1996 8,7 Milliarden DM betrug, wurde ab 1998 auf 12 Milliarden DM erhöht, damit die Länder höhere Verkehrsleistungen bestellen können, aber auch damit beim regionalen Netz mehr geschieht. Auch das ist eine Stärkung der Schiene.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Die Fragen 40 bis 43 werden wunschgemäß schriftlich beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär Scheffler. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 44 des Kollegen Norbert Hauser: Wie sieht das inhaltliche Konzept der Bundesregierung für die Ansiedlung einer Ausbildungseinrichtung für Studenten bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung ({0}) Forschungszentrum Informationstechnik GmbH - in Schloss Birlinghoven in Sankt Augustin aus und welche Partner sollen sich nach der Vorstellung der Bundesregierung an der Finanzierung dieses Projekts beteiligen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Kollege Hauser, wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch die Frage 45 auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Umsetzungsmöglichkeit für die Ansiedlung einer Ausbildungseinrichtung für Studenten bei der GMD und wie sind solche Pläne mit der beabsichtigten Fusion der GMD mit der Fraunhofer-Gesellschaft e.V. ({0}) in Einklang zu bringen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Meine Antwort auf Ihre beiden Fragen ist kurz und knapp. Sie wissen, dass der Weg von einer Idee zu einem Produkt nicht ganz einfach ist. Deshalb ist zur Erörterung eines inhaltlichen Konzeptes vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW und vom BMBF eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, deren Arbeit begonnen hat und über deren Ergebnisse die Öffentlichkeit zu angemessener Zeit unterrichtet wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Kollege Hauser.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie so freundlich sein, den Begriff „zu angemessener Zeit“ ein wenig stärker einzugrenzen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Es geht um die Zeit, die dafür erforderlich ist, zu prüfen, wie weit in dem Netzwerk der bestehenden Hochschulen in der Region und unter Nutzung der bei der GMD vorhandenen Kompetenz innovative Strukturen für neue Ausbildungsgänge im Bereich der Informationstechnik geschaffen werden können. Wer die Realitäten kennt, weiß, dass sich Strukturreformen nicht in Wochen und auch nicht in einem oder zwei Monaten erarbeiten lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Muss ich angesichts dieser Antwort davon ausgehen, dass diese Einrichtung in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht dazu beitragen wird, den gegenwärtigen Fachkräftemangel zu begrenzen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Sie kann dazu beitragen, die Zahl der Studienanfänger zu erhöhen. Herr Hauser, Sie wissen besser oder mindestens genauso gut wie ich - ich hoffe es wenigstens -, dass Entscheidungen in der letzten Legislaturperiode erforderlich gewesen wären; denn die Absolventen, die wir im Fachbereich Informationstechnik in den nächsten zwei Jahren bekommen werden, haben ihr Studium in der Regel in den Jahren 1996 und 1997 begonnen. Wenn Sie hier also mit dem Zeigefinger auf mögliche Fehler unserer Regierung hinweisen, dann zeigen drei Finger auf die Fehler der Vorgängerregierung. Sie wissen, dass der frühere Forschungsminister Rüttgers keinerlei Initiativen zur Behebung des Fachkräftemangels in seiner Zuständigkeit ergriffen hat. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dahin zielte meine Frage überhaupt nicht. ({0}) - Warten Sie es ab, auf Ihre Leistungen komme ich noch. Mir ist nämlich klar - das weiß ich nun wirklich mindestens genauso gut wie Sie -, dass 1996 an der Fachhochschule in Hildesheim der Informatikstudiengang geschlossen worden ist. Der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen ist der heutige Bundeskanzler. Mir ist auch klar, dass die Länder im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland für Bildung und Kultur verantwortlich sind. Diese Erkenntnisse haben wir gemeinsam. Aber das war nicht meine Frage, sondern ich war einfach darauf erpicht, von Ihnen eine etwas griffigere Zeitbestimmung als die zu bekommen, die Sie uns gegeben haben. Des Weiteren möchte ich wissen, ob Sie planen, für diese Einrichtung zusätzliche Mittel bereitzustellen, oder ob die Mittel, die dafür verwendet werden sollen, aus den laufenden Haushalten der dann beteiligten Einrichtungen genommen werden sollen.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich als Parlamentarier kann nachvollziehen, dass Sie, Herr Hauser, als Abgeordneter aus dieser Region Interesse daran haben, möglichst schnell möglichst präzise Angaben über bevorstehende Planungen zu bekommen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine Regierung, die versucht, eine ganz neue Idee anzudenken, nämlich Ausbildung im IT-Bereich an der Schnittstelle zwischen Universität und außeruniversitärer Forschung zu etablieren, Neuland betritt. Wenn man Neuland betritt, ist man gut beraten, die strukturellen Fragen sorgfältig zu prüfen und nicht nach der Devise zu handeln: Geht es nicht eine Woche schneller? Deshalb, Herr Hauser, kann ich meine Antwort nur wiederholen: Die Sache wird mit allen Konsequenzen in struktureller und juristischer Hinsicht sehr sorgfältig geprüft wie auch die Frage von Prüfungsabnahmen, die Frage nach finanziellen Konsequenzen für die beteiligten Institutionen und die Frage, inwieweit der Berlin-BonnAusgleich in diesem Bereich zum Zuge kommt. An dieser Stelle macht es, so glaube ich, keinen Sinn zu spekulieren. Die Abgeordneten haben vielmehr einen Anspruch darauf, nicht nur über Spekulationen zu diskutieren, sondern zu erfahren, was aus heutiger Sicht auf Ihre Frage zu antworten ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre letzte Zusatzfrage, bitte schön.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie wissen genauso gut wie ich oder vielleicht noch besser als ich - um mit Ihren Worten zu sprechen -, dass eine solche Einrichtung durchaus Einfluss auf die von Ihrem Hause geplante Fusion zwischen der GMD und der FhG nehmen würde. Insofern spielt der Zeitrahmen der Durchführung dieser Maßnahme durchaus eine Rolle, da die Fusion nicht ohne die Einrichtung einer solchen Akademie einhergehen kann. Und die Fusion planen Sie - bisher jedenfalls noch - zum 1. Januar 2001.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Auch hier, Herr Hauser, gibt es Gespräche, die unter anderem die Frage zum Gegenstand haben, ob diese Fusion zum 1. Januar 2001 oder zu einem späteren Zeitpunkt vollzogen werden soll. Die Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Landes Nordrhein-Westfalen und unseres Hauses - beide sind ja Gesellschafter des GMD -, wird die sich daraus ergebenden Zusammenhänge natürlich sehr sorgfältig überprüfen. Aber es wird kein Nacheinander geben: Wir werden nicht erst die Hochschule eröffnen und danach die Frage bezüglich GMD und FhG lösen. Es muss eine integrierte Betrachtung geben. Das ist durch die Beteiligung beider Gesellschafter an dem Verfahren sichergestellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich will nicht auf die Zeitschiene hinaus, sondern auf den Grundsatz. Können Sie für den Fall, dass es zu einer Fusion zwischen der GMD und der Fraunhofer-Gesellschaft kommt, ausschließen, dass diese Bildungseinrichtung in Sankt Augustin gebaut wird?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich kann auf Ihre Frage heute nichts Konkretes antworten. Ich kann das weder ausschließen noch bestätigen. Jedem ist klar, dass die Diskussion, die wir mit dem Land Nordrhein-Westfalen über eine solche Institution führen, an einem möglichen Standort im Umfeld der GMD orientiert ist. Ich möchte nochmals sagen: Für IT-Studiengänge gilt es, die Möglichkeiten zu prüfen, in einem neuartigen Verbund die Ressourcen außeruniversitärer Forschung und der Hochschule in der Region zu nutzen und zusammenzubringen. Damit ist klar, um welchen Standort es möglicherweise geht. Wenn die Überlegungen zu einem praktikablen und umsetzbaren und finanzierbaren Konzept führen, dann geht es auch um den Standort Bonn Sankt Augustin. Ich kann und will Ihnen heute nichts dazu sagen, auf welchem Grundstück, in welcher Größe und in welchem Umfang wie viele Gebäude dort errichtet werden. Ich bitte Sie um Geduld. Die Dinge werden bei uns der Sache gemäß nacheinander abgearbeitet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Catenhusen. Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die verbliebenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Frage 52 des Abgeordneten Christian Schmidt ({0}) wurde zurückgezogen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3a und 3b sowie den Zusatzpunkt 1 auf: 3 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Kosovo - Herausforderung auf dem Weg des Balkan nach Europa b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unterstützung des Stabilitätspakts Südosteuropa - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Der Stabilitätspakt Südosteuropa Stand und Perspektiven - zu dem Antrag der Abgeordneten Karl Lamers, Peter Weiß ({2}), Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Den Stabilitätspakt Südosteuropa mit Leben erfüllen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Hildebrecht Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Für eine zügige Umsetzung und Vertiefung des Stabilitätspaktes Südosteuropa - Drucksachen 14/2569, 14/2575, 14/2768 ({4}), 14/2584, 14/3100 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Wolfgang Gehrcke ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Kosovo-Politik überprüfen und weiterentwickeln - Drucksache 14/3093 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo stehen wir heute, zehn Monate nach der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 1244, im Kosovo? Seit der humanitären Katastrophe des letzten Frühjahrs ist viel geleistet und erreicht worden: Fast alle Vertriebenen sind in ihre Häuser zurückgekehrt. Mit vereinten Kräften ist es gelungen, die Bevölkerung während des Winters zu versorgen. Es gibt wieder Polizisten, die für Sicherheit und Ordnung sorgen und nicht, wie in den letzten Jahren, für Angst und Unterdrückung. Die Zahl der ethnisch motivierten Gewalttaten ist erheblich zurückgegangen. Heute können kosovo-albanische Kinder wieder reguläre Schulen besuchen, nachdem sie jahrelang auf ein inoffizielles, „paralleles“ Schulsystem ausweichen mussten. Internationale Experten bauen gemeinsam mit lokalen Vertretern von der regionalen bis zur kommunalen Ebene neue, funktionierende Verwaltungsstrukturen auf. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, dass Vertreter des Serbischen Nationalrats nach langem Zögern bereit sind, in der gemeinsamen Übergangsverwaltung mitzuarbeiten. Die Bundesregierung begrüßt dies. Auf der anderen Seite stehen eine Reihe drängender Probleme, die nach wie vor unsere ganze Aufmerksamkeit fordern und an denen es nichts zu beschönigen gibt. Niemand konnte sich ernsthaft der Illusion hingeben, dass der Kosovo innerhalb eines Jahres zu einer friedlichen und prosperierenden Region wird. Wie viel Zeit und Energie notwendig sind, haben wir gemeinsam in Bosnien-Herzegowina gesehen. An erster Stelle der Aufgaben steht die Beendigung der gewaltsamen Übergriffe auf Serben, Roma und andere ethnische Minderheiten. Deshalb sind die internationalen Kräfte in Mitrovica verstärkt worden und deshalb werden wir auch keine Destabilisierung im Presevotal akzeptieren. ({0}) Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass alle Vertriebenen - alle! - zurückkehren und im Kosovo in Sicherheit und Freiheit leben können. ({1}) Die angesichts der schwierigen Sicherheitslage allzu schnell gezogenen Parallelen zur Lage der Kosovo-Albaner vor einem Jahr verbieten sich aber. Als diese aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ging die Gewalt von staatlicher Seite aus. Heute sind es die Soldaten und die Polizisten, die die Minderheiten schützen. Die Mission der Vereinten Nationen UNMIK steht für Rechtsstaat, Demokratie und Pluralismus. Es geht heute nicht mehr um den Schutz vor staatlicher Repression, sondern um die Verbesserung des Schutzes durch UNMIK und KFOR. Dies ist ein wichtiger Unterschied. Die internationale Gemeinschaft braucht im Kosovo demokratisch legitimierte Ansprechpartner. Deshalb ist die Durchführung von Kommunalwahlen im Herbst so wichtig. Neben den bemerkenswerten Leistungen bei der Umsetzung der Resolution 1244 sind auch Defizite unübersehbar. Insbesondere muss UNMIK finanziell und personell besser in die Lage versetzt werden, ihr Mandat zu erfüllen. So sind von den zugesagten 4 800 internationalen Polizisten bis heute erst knapp 3 000 vor Ort im Einsatz. Umso mehr, Herr Präsident, zählt, dass Deutschland mit bislang 265 Polizisten - wir hoffen, dass es bis zum Sommer 420 sein werden - das zweitgrößte Kontingent stellt und die deutschen Polizisten aus Bund und Ländern wegen ihrer Professionalität und ihres Engagements zu Recht hohes Ansehen genießen. ({2}) Gleiches gilt für die deutschen KFOR-Soldaten, die zurzeit noch weit über ihre militärischen Aufgaben hinaus im Minderheitenschutz, bei der Wiederaufbauhilfe und der Gefängnisverwaltung engagiert sind. General Reinhardt, der Kommandeur der KFOR-Truppen, wird in wenigen Tagen Pristina verlassen. Seine Leistung hat international höchste Anerkennung gefunden und verdient. Ihm gilt wie Tom Koenigs und allen anderen, die im Kosovo unter schwierigen Bedingungen an der Seite unserer Verbündeten, anderer Partner und auch russischer Einheiten ihren Dienst tun und getan haben, unser aufrichtiger Dank. ({3}) Meine Damen und Herren, statt über die Zukunft des Kosovo und der Region zu debattieren, erleben wir in diesen Tagen den erneuten Versuch der Mythenbildung in politisch verfälschender Absicht. ({4}) Diesen Versuchen ist eines gemeinsam, nämlich die Unterstellung, der Westen und vor allem die Bundesregierung habe den Militäreinsatz vor einem Jahr mutwillig herbeigeführt und dazu Fakten manipuliert. Diese Unterstellung war und ist absurd und sie wird durch Wiederholungen nicht wahrer - weder im Fall Racak noch beim so genannten „Annex B“ der Verhandlungsdokumente von Rambouillet, noch beim so genannten „Hufeisenplan“. In Racak sind im Januar 1999 45 Leichen gefunden worden. Ich erinnere mich noch an die Betroffenheit aller im Hause. Die Mission der OSZE war unmittelbar vor Ort. Böse Erinnerungen an Bosnien wurden wach. Die Bundesregierung hat damals als EU-Präsidentschaft umgehend die Untersuchung durch ein finnisches Expertenteam veranlasst und den damaligen Bericht der Vorsitzenden veröffentlicht. Danach sind die Opfer alle etwa zur gleichen Zeit getötet worden. Es gab keine Hinweise, dass es sich nicht um unbewaffnete Zivilpersonen handelte. Sie hat umgehend den zuständigen Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien eingeschaltet. Es war die serbische Regierung, die der Chefanklägerin Louise Arbour an der Grenze zum Kosovo die Einreise verweigerte und damals Ermittlungen unmöglich gemacht hat, meine Damen und Herren. Wenn es hier um Aufklärung geht, dann zuerst und vor allem um Aufklärung durch das dafür zuständige Tribunal, ({5}) das durch eine Kapitel-VII-Resolution der Vereinten Nationalen dafür eingesetzt wurde. Ich finde es symptomatisch, dass dieser Aspekt in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt hat. Die Bundesregierung hat - drittens - ihre diplomatischen Friedensbemühungen als Konsequenz von Racak verstärkt und ihre ganze Kraft auf die drei Wochen später beginnenden Verhandlungen von Rambouillet konzentriert. Die Unterstellung würde nur Sinn machen, wenn Racak in den Krieg geführt hätte. Die Konsequenz war aber etwas völlig anderes, nämlich dass die Vereinbarung zwischen Holbrooke und Milosevic ganz offensichtlich nicht ausreichte und deswegen eine verstärkte Friedensinitiative durch Reaktivierung der Kontaktgruppe und dem Weg nach Rambouillet beschritten werden sollte. Mir muss man einmal erklären, wie dies eine Vorbereitung zum Krieg gewesen sein soll. Die Fakten geben das schlicht und einfach nicht her. Der so genannte „Annex B“ der Rambouillet-Verhandlungen - eine andere Legende -, der nach der Legende der serbischen Seite eine politische Lösung unmöglich machte, hat bei den Verhandlungen nie die geringste Rolle gespielt. Seine Bestimmungen waren im Wortlaut eng angelehnt an die von Milosevic bereits früher für Jugoslawien akzeptierte Vereinbarung im Zusammenhang mit dem VN-Blauhelmeinsatz in Bosnien. Er ist selbst von serbischer Seite zu keinem Zeitpunkt gegen das geplante Abkommen ins Feld geführt worden, auch nicht in meinen persönlichen Gesprächen mit Milosevic und Milutinovic. Ich habe mit Milosevic eineinhalb Stunden diskutiert, davon ungefähr die Hälfte à deux, zu zweit. Es kam nicht ein einziges Mal das Argument „Annex B“ vor. Mit Milutinovic habe ich noch länger geredet. Es hat niemals eine Rolle gespielt. Es hat erst eine Rolle gespielt, als es zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt wurde. Man darf sich die Frage stellen, warum und von wem es zu diesem Zeitpunkt gesetzt wurde. ({6}) Drittens: der „Hufeisenplan“. Auch da gibt es überhaupt nichts zu verbergen oder Ähnliches mehr. Wir lassen nur die Fakten sprechen. Ich persönlich wurde Anfang April - der Krieg war bereits voll im Gange; wir hatten eine Konferenz, um die Flüchtlingsfrage zu bewältigen -, eine Woche nach Beginn der Luftangriffe, von einer befreundeten Regierung über vorhandenes Geheimdienstmaterial zum serbischen Vorgehen im Kosovo informiert. Die zuständigen Nachrichtendienste haben sich anschließend um die Übermittlung dieser Erkenntnisse nach Deutschland gekümmert. Das Auswärtige Amt hat sie nach Erhalt an das Bundesverteidigungsministerium weitergeleitet. Die Auswertung ergab eine weitgehende Übereinstimmung mit den tatsächlichen Erkenntnissen, die dem Bundesverteidigungsministerium vorlagen. Planvolle Vertreibung, die bereits vor dem Scheitern des Rambouilletprozesses begonnen hat, lässt sich anhand der Fakten von niemandem bestreiten. Weder Racak noch der „Hufeisenplan“ hatten für den Krieg irgendeine auslösende oder verstärkende Funktion, was die Daten des Ablaufs unmittelbar beweisen. Auch insofern, meine Damen und Herren, sind diese Vorwürfe falsch und böswillig. Tatsache ist: Bereits im Herbst 1998, als die NATO Milosevic mit ihrem „ACTORD“ - Beschluss unter Druck setzte, waren fast 100 000 Kosovo-Albaner außer Landes getrieben, 200 000 im Kosovo auf der Flucht. Während der Westen bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet im Februar 1999 noch auf ein Einlenken Belgrads und eine politische Lösung hinarbeitete, forcierten die serbischen Einheiten ihr brutales Vorgehen. Allein im Verlauf des Wochenendes vom 20. auf den 21. März, dem Wochenende, das den NATO-Luftschlägen voranging, wurden fast 20 000 Menschen gewaltsam gezwungen, Haus und Hof zu verlassen. Für die meisten Kosovo-Albaner war der Krieg lange vor dem Eingreifen der NATO bittere, durch nichts zu manipulierende Realität. Als die Flüchtlinge ankamen, konnte man feststellen - das Vertreibungsschicksal war im deutschen Fernsehen anhand der Interviews sehr schön nachzuvollziehen -, dass genau die Fakten, die ich Ihnen dargestellt habe, zutrafen und nicht die Unterstellungen, die wir gegenwärtig hören. Was wären die Folgen gewesen, wenn wir der Verschärfung dieser humanitären Katastrophe, die das Regime in Belgrad mit Mord und Vertreibung systematisch betrieb, tatenlos zugesehen hätten? Milosevic hätte sein Ziel erreicht. In Albanien und Mazedonien gäbe es vermutlich auch heute noch riesige Flüchtlingslager, die die internationale Gemeinschaft versorgen müsste. Bei Tatenlosigkeit hätten wir noch nicht einmal hoffen dürfen, dass uns das alles weiter nichts angeht. Nicht nur neue Flüchtlingswellen, sondern auch Europas Ideale, Europas Sicherheit und die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses standen in diesem Konflikt auf dem Spiel. Der aggressive Nationalismus von Milosevic, aber nicht nur von Milosevic, wäre in Europa wieder hoffähig geworden. In Bosnien haben die Europäer die Lektion der unteilbaren Sicherheit Europas sehr spät gelernt. Das Ergebnis waren fast 200 000 Tote und Hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene. Im Kosovo durfte sich dieser Fehler nicht wiederholen. Kosovo bedeutete zudem im Gegensatz zu Bosnien die Internationalisierung des Konflikts auf dem Balkan und damit ein wesentlich größeres Risiko für Frieden und Stabilität in der gesamten Region. Die Entscheidung war gewiss schwierig. Sie war angesichts der Risiken und der Opfer, die damit verbunden waren, auch bitter. Ich sage das ganz persönlich, aber selbst mit dem Abstand von einem Jahr füge ich hinzu: Sie war die einzig richtige. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat eine klare und eindeutige Lehre aus der Kosovokrise gezogen: Europa darf sich nicht länger nur von Krise zu Krise, von Krieg zu Krieg auf dem Balkan engagieren. Diese Region gehört zu Europa. Es geht deshalb darum, dem gesamten Balkan eine europäische Perspektive aufzuzeigen. Dies ist das Ziel und die große Aufgabe des von der Bundesregierung initiierten Stabilitätspaktes mit seinem umfassenden Ansatz in Bezug auf Demokratisierung, wirtschaftliche Entwicklung und regionale Sicherheitskooperation. ({7}) Vergangene Woche haben Vertreter von 47 Ländern und 36 internationalen Organisationen in Brüssel ihr Engagement für die Stabilisierung Südosteuropas eindrucksvoll mit finanziellem Zusagen bekräftigt. Das sehr gute Ergebnis der Geberkonferenz bestätigt auch die hervorragende Arbeit des Stabilitätspaktkoordinators Bodo Hombach, dem ich gerade angesichts der Angriffe, die er immer wieder erfährt, hier ganz persönlich für die geleistete Arbeit danken möchte. ({8}) Ich weiß, wie schwer er es hatte und welche Hindernisse zu überwinden waren. ({9}) Noch in diesem Jahr werden mehr als 150 Projekte auf den Weg gebracht werden, die insbesondere die regionale Zusammenarbeit fördern. Darunter befindet sich der Ausbau des Grenzübergangs Blace, des Nadelöhrs des Handels, des Verkehrs und der Versorgung des Kosovo. Wir werden darauf achten, dass die Hilfs- und Finanzierungszusagen auch tatsächlich von den zugesagten Reformschritten in den Ländern der Region begleitet werden. Das ist eine wichtige Lektion, die wir aus der Verwendung der nach Bosnien-Herzegowina geflossenen Mittel gelernt haben. Es ist nämlich wichtig, nicht nur Mittel fließen zu lassen, sondern in der Tat auch die ordnungspolitischen Vorstellungen entsprechend durchzusetzen, die Voraussetzung für einen effizienten Mitteleinsatz sind. Deutschland beteiligt sich über die nächsten vier Jahre mit 1,2 Milliarden DM in herausragender Weise an dieser Anstrengung. Ich möchte mich hier für die tatkräftige Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, vor allen Dingen des HaushaltsausBundesminister Joseph Fischer schusses, die die erste Tranche freigegeben haben, noch einmal recht herzlich bedanken. Dass zwischen Albanern und Serben im Kosovo noch heute tiefe Abneigung und Hass herrschen, kann angesichts des Geschehenen und angesichts der Zerstörung und Verwüstung niemanden verwundern. Eine wirkliche Politik der Versöhnung gibt es noch nicht. Ein moralisches Signal der serbischen Seite könnte sie gewiss befördern, ebenso eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild. Aber es wäre wegen der gegenwärtigen Feindschaft und Gewaltbereitschaft ein fataler Fehler, bereits heute einem multiethnischen Kosovo eine Absage zu erteilen oder gar einer schnellen Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo das Wort zu reden. ({10}) Die Idee einer Teilung des Kosovo entlang ethnischer Linien oder eine Aufgabe der Grundaussagen der Resolution 1244, wie sie im Antrag der Unionsfraktionen anklingt, ist meines Erachtens in jeder Hinsicht gefährlich und von sehr großem politischem Risiko, wenn man die Konsequenzen zu Ende denkt und die Dinge bis zum Ende durchbuchstabiert. Das will ich jetzt einmal tun. Erstens würde sie Milosevic politisch direkt in die Hände spielen. Er hätte genau das, was er eigentlich will, nämlich ein Feindbild, und zwar ein sehr bewährtes und traditionelles Feindbild, das er innenpolitisch sehr gut nutzen könnte. Zweitens, Kollege Lamers, stünde Deutschland mit einer solchen Initiative der Bundesregierung, wenn wir Ihre Position übernehmen würden, angesichts der Widerstände im VN-Sicherheitsrat der eindeutig ablehnenden Haltung Chinas und Russlands und der Bedenken auch vieler europäischer Partner international ähnlich einsam wie seinerzeit bei der Anerkennung Kroatiens da. Drittens wäre ein geteilter Kosovo ein nicht lebensfähiges staatliches Gebilde von chronischer Instabilität. Niemand im Kosovo denkt heute an einen Anschluss an Albanien. Aber es gibt enge und vielfältige Verbindungen zu Mazedonien, das von einer solchen Entwicklung mit seiner prekären ethnischen Balance aufs Höchste gefährdet wäre. Damit wäre es mitten drin im Kern des internationalen Balkankonfliktes. Die Folge wäre eine drohende neue Spirale der Gewalt zur Lösung der ethnischen Frage auf dem Balkan. Wir müssen aus der Geschichte lernen. Der Fehler im Fall Kroatien war, die Substanzentscheidung vor der Klärung des Verfahrens zu treffen. Das war der entscheidende Fehler. ({11}) Man kann über vieles diskutieren. Die entscheidende Frage ist: Wie geschieht es? Geschieht es mit Gewalt? Löst dies Gewalt aus? Geschieht es, in der Form und im Verfahren nach den Kriterien des internationalen Zusammenwirkens und Zusammenlebens: friedlich, unter Gewaltverzicht, unter Anerkennung der Grenzen und unter Wahrung der Interessen der gesamten Region? Der Fehler im Fall Kroatien - ich habe es schon gesagt war, die Substanzentscheidung vor der Klärung des Verfahrens zu treffen. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Oberste Prinzipien beim Umgang mit der Statusfrage müssen deshalb die Gewaltfreiheit, die Achtung der Grenzen und der Menschen- und Minderheitenrechte sein. Um eine Lösung auf Grundlage dieser Prinzipien zu erreichen, sind vor allem zwei Dinge notwendig: Erstens muss im Rahmen der Resolution 1244 schon bald ein ernsthafter Dialog zwischen Kosovo-Albanern, Serben, Roma und anderen Minderheiten über die Kernelemente einer substanziellen inneren Autonomie entlang der detaillierten Entwürfe von Rambouillet beginnen. Diese Dinge sind alle präzise bis ins Detail in wochen- und monatelangen Verhandlungen übrigens unter Beteiligung aller Konfliktparteien im Kosovo ausgearbeitet worden. Dieser Dialog wird auch zur Versachlichung der Debatte über den endgültigen Status führen. Zweitens kann eine friedliche politische Lösung für den zukünftigen Status des Kosovo nur im Einvernehmen mit allen Nachbarstaaten erfolgen. Gerade wir Deutschen wissen das. Die deutsche Frage war nie nur eine Angelegenheit der Deutschen allein. Die Zustimmung aller Nachbarstaaten war die Voraussetzung dafür, dass sie so positiv abgeschlossen werden konnte, dass die Deutschen in Einheit und Freiheit zusammenfinden konnten. Dasselbe gilt auch für diese Region. Alles andere bedeutet unmittelbar Kriegsgefahr, bedeutet letztendlich das Setzen auf Gewalt. Eine solche friedliche Lösung bedarf entschlossener Initiativen. Dabei ist die zeitliche Perspektive und der Prozess, in dem diese Entscheidung getroffen wird, von herausragender Bedeutung. Dreh- und Angelpunkt für die Chance einer friedlichen Entwicklung ist der Aufbau einer funktionierenden regionalen Sicherheitsstruktur. Eine solche Struktur ist im Tisch 3 des Stabilitätspaktes bereits im Kern angelegt. Sie kann sich die Erfahrung der OSZE zunutze machen und mit der Zeit das Maß an gegenseitigem Vertrauen und Kontrolle aufbauen, das für eine nachhaltige selbsttragende Stabilisierung der Region unabdingbar ist. Aber das erfordert Zeit. Diese Erfahrung haben wir auch bei uns in der Region gemacht. Die Lösung der Statusfrage in Bezug auf die deutsche Einheit in den 50er-Jahren hätte auf einen falschen Weg führen können. Auch diese Tatsache dürfen wir nicht vergessen. Im Zusammenhang mit der Frage nach Exit-Strategien muss ich sagen, dass man die Lage in Bosnien nicht der jetzigen Bundesregierung anlasten kann.Worin besteht die Exit-Strategie für Bosnien? Die Exit-Strategie be-steht darin, dass man entschlossen und mit langem Atem auf Demokratisierung und damit letztendlich auf Frieden, Gewaltverzicht sowie auf die Heranführung Bosniens an das Europa der Integration setzt. Dies gilt für die gesamte Balkanregion. Wer diesen langen Atem nicht hat oder wer aus innenpolitischen Gründen meint - jetzt, da man in der Opposition ist -, eine Exit-Strategie einklagen zu müssen, ohne die gegebenen Bedingungen zu beachten, der handelt meines Erachtens alles andere als seriös und trägt zur Lösung dieser Konflikte nicht bei. ({12}) Aus unserer Sicht ist es der erfolgversprechendste Weg zu einer Lösung der Statusfrage, die jetzt nicht lösbar ist. Diese Lösung darf die Region nicht destabilisieren, sondern sie muss das Fundament für eine erfolgreiche Demokratisierung und für einen wirtschaftlichen Aufschwung bilden. Die strategische Bedeutung Mazedoniens kann in diesem Prozess kaum hoch genug eingeschätzt werden. Ein weiteres Schlüsselproblem für eine friedliche Entwicklung des Balkans ist nach wie vor ungelöst: die Demokratisierung Serbiens. Solange Milosevic an der Macht ist und sein Land immer tiefer in die politische Sackgasse und in die wirtschaftliche Isolation führt, wird Serbien ein Faktor der Instabilität bleiben. Die aktuellen Spannungen zwischen dem Regime in Belgrad und den Reformkräften in Montenegro machen die Gefahr nur allzu deutlich. Die Bundesregierung bekennt sich zur territorialen Integrität und Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien: Eine staatliche Unabhängigkeit Montenegros würde die Probleme nicht lösen, sondern nur zusätzliche Probleme in der ganzen Region schaffen. Aber ebenso gilt: Ein Scheitern der politischen und wirtschaftlichen Reformen in Montenegro wäre ein schwerer Rückschlag für den demokratischen Wandel in der Bundesrepublik Jugoslawien. Ein Umsturz der Verfassung dort würde den Beginn eines jugoslawischen Bürgerkriegs bedeuten. Das gilt es zu verhindern. Die Bundesregierung unterstützt daher mit allem Nachdruck den Reformkurs, den Präsident Djukanovic eingeschlagen hat. Die Zusage von Kreditgarantien in Höhe von 40 Millionen DM bei seinem Besuch in Berlin am 2. März hat hierfür ein notwendiges und deutliches Zeichen gesetzt. Wir wollen, dass das serbische Volk möglichst bald den Weg nach Europa einschlägt und den ihm zukommenden, wichtigen Platz in der europäischen Völkerfamilie einnimmt. Die Voraussetzung dafür ist der Sieg der Demokratie in Belgrad. Die Kernelemente unserer Politik sind deshalb auch in Zukunft: erstens die Isolierung des Milosevic-Regimes durch differenzierte Sanktionen - ich freue mich, dass es gelungen ist, die Sanktion bezüglich des Luftverkehrs aufzuheben. Ich hoffe, dass wir auch andere Sanktionen, die das Volk betreffen, aufheben können, dass wir aber gleichzeitig die Sanktionen, die die Nomenklatura betreffen, verstärken können, was wir meines Erachtens tun müssen -; zweitens die Stärkung der Opposition und aller demokratischen Kräfte in einem trilateralen Dialog gemeinsam mit unseren Partnern jenseits des Atlantiks, vor allem mit den USA. Dazu zählt auch die Unterstützung der freien Städte, zu der die bislang 15 Partnerschaften deutscher Städte einen großen Beitrag leisten, wofür ich mich recht herzlich bedanke, sowie die Förderung der unabhängigen Medien und der Zivilgesellschaft; drittens der gezielte Einsatz der Maßnahmen für humanitäre Unterstützung. Der demokratische Wandel in Kroatien ist ein herausragendes Signal der Hoffnung für die ganze Region - auch für Serbien -, dass es in ganz Südosteuropa die Chance für eine bessere, friedlichere, europäischere Entwicklung gibt. ({13}) Diese Bundesregierung hat sich die Entscheidung, zum ersten Mal seit 1945 deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz zu schicken, weiß Gott nicht leicht gemacht. Dieser Einsatz markiert gewiss einen tiefen Einschnitt für unser Land. Er war aber nicht der Eintritt in eine Phase leichtfertigen Umgangs mit militärischen Mitteln - im Gegenteil. Die Bundesregierung hat darüber hinaus die Chance zur politischen Gestaltung ergriffen, die in dieser Krise und in diesem Krieg lag. Eine entscheidende Lehre aus dem Kosovo-Konflikt besteht gerade darin, das System der Vereinten Nationen und die Mechanismen der Konfliktprävention zu stärken und ihnen künftig viel größere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Debatte über wirksame Eingriffe in staatliche Souveränität beim Vorliegen schwerer systematischer Menschenrechtsverletzungen ist eine der drängenden Zukunftsfragen der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung ist entschlossen, sich an dieser Debatte mit dem Ziel der Stärkung der Vereinten Nationen und der Menschenrechte auch künftig aktiv zu beteiligen. Der Stabilitätspakt ist ein Paradebeispiel für wirkliche Konfliktprävention. Er weist in seinem Potenzial weit über die Bewältigung des Kosovo-Konflikts hinaus. Mit der großen Anziehungskraft des europäischen Integrationsmodells bietet er den Menschen in Südosteuropa einen Ausweg aus dem Kreislauf der Gewalt, der den Balkan am Beginn und am Ende des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Unsere klare Antwort auf alle Fragen nach dem Zeithorizont der internationalen Präsenz lautet deshalb: Die Dauer des deutschen militärischen und zivilen Engagements wird bestimmt vom Verlauf des Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesses. Das ist im Fall Bosnien so und das ist im Fall Kosovo nicht anders. Um Südosteuropa diesen Weg zu ebnen, braucht es Festigkeit und einen langen Atem. Deshalb bitte ich den Deutschen Bundestag auch in Zukunft um eine breite Unterstützung für diese Politik. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nach dieser Regierungserklärung eröffne ich die Aussprache. Als erster Redner hat Kollege Karl Lamers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr nach Beginn des Kosovokrieges, den wir mit viel Glück und zu einem hohen Preis gewonnen haben, drohen wir den Frieden zu verlieren. Unsere Entscheidung, uns an der humanitären AktionderNATOzubeteiligen,warrichtig.Siewarnotwendig und daran ändern in der Tat etwa jene Behauptungen von der Nichtexistenz des Hufeisenplanes nichts. Aber, Herr Minister, das spielt doch nur deswegen eine so große Rolle, weil Sie dies und Racak damals in einer überaus emotionalisierten, moralisch überhöhten Form gebraucht haben. Nur deswegen gibt es heute die Debatte über die Bedeutung dieser Ereignisse. Wir haben die humanitäre Katastrophe damals zwar nicht unmittelbar verhindern können - im Gegenteil, die Vertreibung wurde intensiviert, was uns außerordentlich beschwert hat -, aber am Ende konnten wir die Rückkehr der Flüchtlinge sicherstellen. Gleichzeitig konnten wir jedoch die Flucht von weit über 100 000 Serben, Roma und anderen nicht verhindern. Das beschwert uns heute. Ebenso beschwert uns der Hass zwischen den Volksgruppen. Fast jeder zweite KFOR-Soldat ist heute zum Schutz der Serben abgestellt. Weil dies nur begrenzt gelingen kann, obwohl unsere Soldaten ihre Arbeit vorzüglich tun und wir ihnen alle zu tiefem Dank verpflichtet sind, ({0}) fühlen sich die Serben in ihrer Vorstellung, in ihrer Überzeugung von der Feindschaft der NATO gegen die Serben bestärkt. Gleichzeitig laufen wir Gefahr - ich bitte darum, dies nicht zu übersehen -, uns auch zumindest die Gegnerschaft, wenn nicht mehr, der Albaner zuzuziehen. Ich will, verehrte Kolleginnen und Kollegen, von den außenpolitischen Kosten unserer Aktion nicht viel reden, aber wir wissen alle, dass sie hoch waren. Ich will auch nicht davon reden, dass das Dilemma zwischen der Legitimität und der Legalität unserer Aktion ungelöst ist. Alles das gilt es in Betracht zu ziehen. Ohne jeden Zweifel: Es gibt auch positive Konsequenzen, die wir gezogen haben. Die Europäer haben endlich begriffen, dass sie mehr tun müssen, um ihre fast totale Abhängigkeit von den USA auf militärischem Feld jedenfalls zu reduzieren. Ich begrüße das uneingeschränkt und Sie wissen, dass wir das uneingeschränkt unterstützen. Dennoch sage ich: Noch wichtiger, als darüber nachzudenken, wie man den nächsten Krieg besser gewinnt, ist es, darüber nachzudenken, wie man nach den Erfahrungen des letzten Krieges den nächsten verhindert und wie man den Frieden nach dem Krieg gewinnt; das ist noch viel wichtiger. ({1}) Ich weiß, das ist schwierig genug, sicher sehr viel schwieriger, als es der militärische Sieg war, und zwar nicht nur wegen der widerstreitenden Interessen der Ethnien auf dem Balkan, sondern auch wegen widerstreitender moralischer Prinzipien, auf die sie sich berufen. Dabei billigen sie sich selber zu, was sie den anderen verweigern. So nehmen die Kroaten für sich das Selbstbestimmungsrecht in Anspruch, verweigerten es aber, mit unserer Unterstützung, den Serben in der Krajina und beriefen sich dabei auf das Prinzip der Integrität von Staaten. Auf dieses Prinzip berufen sich nun die Serben gegenüber den albanischen Kosovaren und verweigern ihnen das Selbstbestimmungsrecht, das sie für ihre Landsleute in Kroatien und in Bosnien in Anspruch genommen haben. Auch andere Positionen erscheinen unvereinbar, etwa der ethnische Anspruch der Albaner und der historische Anspruch der Serben auf das Kosovo. All diese widerstreitenden Interessen sind für sich verständlich und legitim. Aber ihre Verabsolutierung macht einen Ausgleich sehr schwer. Wie könnte ein solcher Ausgleich aussehen? Ich will dazu einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, als Antwort auf Ihre Bemerkungen, Herr Minister. Ethnische Konflikte wie die auf dem Balkan, Konflikte also um Macht und Territorium, lassen sich im Prinzip auf zwei Weisen lösen: durch Teilung der Macht oder durch Teilung von Territorien, was neue Grenzen bedeutet. Indem wir Kroatien, Slowenien und Bosnien das Selbstbestimmungsrecht eingeräumt haben, haben wir neue Grenzen gezogen bzw. den bestehenden innerstaatlichen Grenzen, einen grundsätzlich anderen Charakter gegeben. Ich sagte schon: Den Serben in der Krajina und in Bosnien haben wir das Selbstbestimmungsrecht unter Berufung auf das Prinzip der Integrität von Staaten nicht gegeben. In Bosnien haben wir das Prinzip der Teilung der Macht - Föderalisierung - und das Prinzip der Teilung von Territorien miteinander kombiniert. Ob das ausreicht, um aus Bosnien ein lebensfähiges Gebilde zu machen, lasse ich dahingestellt. Für das Kosovo jedenfalls schlagen wir nur eine Teilung der Macht durch eine weitreichende Autonomie vor. Das aber reicht ganz offensichtlich den Kosovo-Albanern nicht. Ich weise darauf hin, dass alles, was wir faktisch tun, etwa die Schaffung eines neuen Währungsgebiets, auf eine Unabhängigkeit und nicht auf eine Autonomie hinausläuft. Wie in Bosnien können wir eine ethnische Separierung nicht verhindern. Wir wissen alle, dass die Serben im Kosovo, bis auf einige wenige, in einen bestimmten Zipfel um Mitrovica geflohen sind, übrigens ein Gebiet, das früher zu 90 Prozent von Serben besiedelt war und das bis in die 50er-Jahre zu Serbien und nicht zum Kosovo gehörte. Tito hat es dem Kosovo zugeschlagen, um die sich schon damals anbahnende zahlenmäßige ethnische Überlegenheit der Albaner zu relativieren. Insgesamt, glaube ich, können und müssen wir feststellen, dass es auf dem Balkan eine weitgehende ethnische Entflechtung gibt, wozu nicht zuletzt 750 000 serbische Flüchtlinge gehören, die statt in Milosevics Großserbien nunmehr in Restserbien leben. Sie sind der Ausdruck der serbischen Niederlage, werden deshalb vom Regime ignoriert und haben doch zugleich der nationalen Frage Serbiens eine neue, eine brisante Gestalt gegeben. Diese Entwicklung geht weiter. Wir, der Westen, können den dortigen Menschen nicht die Art und Weise ihres Nebeneinanders oder Miteinanders diktieren. Wir werden dazu auch langfristig nicht in der Lage sein. Es haben sich faktische Grenzen entwickelt. Die historische Erfahrung ist nun einmal, dass sich faktischen Veränderungen auf Dauer immer auch politisch-rechtliche hinzugesellen. Es stellt sich nur die Frage, ob und wie wir, der Westen, an diesem Prozess teilnehmen wollen und können. Ich kenne alle Argumente, die dagegen sprechen ich bin mir dessen völlig bewusst -, sehr gut. Dennoch will ich einmal - gewissermaßen in Frageform - im Folgenden einige Gedanken zu überlegen geben, und zwar nicht zuletzt deswegen - das klang auch in Ihrer Rede, Herr Minister, durch -, weil wir eines Tages sowieso an einem Ausgleich der Interessen werden teilnehmen müssen. Angesichts dessen ist es vielleicht besser, rechtzeitig über das Wie nachzudenken bzw. zumindest einige diesbezügliche Überlegungen anzustellen. So können wir vielleicht auch sicherstellen, dass ein dauerhafter, stabiler Ausgleich in der Statusfrage zwar möglicherweise erstritten, aber nicht erkämpft wird, also friedlicher verläuft. Niemand kann bestreiten, dass eine politische Ordnung nur dann stabil ist, dass Grenzen nur dann sicher sind, wenn sie von den Betroffenen anerkannt werden. Nur auf solche Weise sichere Grenzen können jenes Bedürfnis nach Selbstfindung, nach Selbstvergewisserung und nach Identität befriedigen, das die Balkanvölker auseinander getrieben hat und weiter auseinander treibt. Daher scheint in diesem Fall eine Separierung die Voraussetzung für Versöhnung zu sein. Dies ist eine Erfahrung, die übrigens auch andere Völker - auch die Deutschen und ihre Nachbarn - in ihrer Geschichte gemacht haben. ({2}) Natürlich ist die Separierung nur eine Voraussetzung für Versöhnung und nicht Versöhnung an sich. Das Elend auf dem Balkan beruht weniger auf der dortigen Kleinstaaterei als solcher als vielmehr auf dem nicht existierenden Willen zur Zusammenarbeit, in der sich Versöhnung erst konkret ausdrückt. Wie aber kann die entscheidende Frage nach Kooperationswilligkeit und Kooperationsfähigkeit und damit auch nach der Lebensfähigkeit dieser Gebilde, dieser Kleinstaaten beantwortet werden? Die Antwort kann meiner Ansicht nach nur in der Schaffung einer übergreifenden politischen Struktur liegen, die sowohl die Bedeutung der Grenzen als auch die der politischen Macht deutlich relativiert; einer politischen Instanz, die Kooperation nicht nur anreizt, sondern, wenn es sein muss, auch erzwingt, die das Zusammenleben und Zusammenwirken der ethnisch separierten, politisch verfassten Einheiten institutionalisiert. Eine solche rechtlich verfasste politische Struktur müsste - unter dem Mantel der Vereinten Nationen - in der Verantwortung der Europäischen Union liegen. Dies sollte eine Euroregion mit einem besonderen Status in der Europäischen Union sein. Teilnehmer sollten keineswegs nur die unmittelbar Betroffenen sein, sondern zum Beispiel auch Griechenland und Ungarn, und zwar nicht nur deswegen, weil letztere dort unmittelbar eigene Interessen besitzen, sondern, weil damit auch klargestellt würde, dass eine spätere Einzelmitgliedschaft der jeweiligen Teilnehmer in der Europäischen Union nicht ausgeschlossen ist. Allerdings müsste die Teilnahme an dieser Euroregion neuerer Art die Voraussetzung für eine spätere Einzelmitgliedschaft sein. Die Verantwortung würden sich die Teilnehmer und die Europäische Union als solche teilen, wobei letztere bei einem Stichentscheid wahrscheinlich den Ausschlag geben müsste. Mit anderen Worten: Ich schlage nichts anderes vor als eine Institutionalisierung des Stabilitätspaktes hin zu einer rechtlichen Struktur, mit der die Teilnehmer die europäische Integration quasi nachvollziehen und damit sowohl die Bedeutung von Grenzen als auch von Macht ich wiederhole es - relativieren. Ich kann das hier nicht weiter ausmalen; aber bevor Sie diesen Gedanken einfach ablehnen, sollten Sie einmal darüber nachdenken, ob dies nicht möglicherweise ein Weg ist, wie wir widerstreitende Interessen auf dem Balkan zur Deckung bringen können. Ich stimme Ihnen unbedingt zu, Herr Minister: Stabilität auf dem Balkan um Serbien herum, auf welchem Weg auch immer, wird es nicht ohne Serbien geben. Daran kann kein Zweifel bestehen. ({3}) Dass Milosevic für uns als Gesprächspartner nicht in Betracht kommt, wissen wir. Wie aber können wir die Opposition dort wirklich stärken? Ich glaube, dass all das, was versucht wird, richtig ist. Aber tun wir genug? Isolierung jedenfalls ist der falsche Weg; darin sind wir uns einig. Müssen wir nicht auch versuchen, dem Land Serbien eine Perspektive zu geben, die von jedem - wenn ich es so sagen darf - recht und billig denkenden Serben vielleicht nicht nur als akzeptabel, sondern auch als verheißungsvoll empfunden wird? Selbstverständlich muss darin, aber nicht allein, eine gerechte Lösung des Kosovo-Problems enthalten sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lamers, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Brecht?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lamers, ich kann nur sehr schlecht mein Entsetzen über das Aufbrechen des Konsenses, den wir bisher bezüglich der Bewertung der Situation auf dem Balkan hatten, zurückhalten. Sie haben hier einen Paradigmenwechsel vorgenommen, der, so glaube ich, sehr viel mehr Fragen aufwirft, als er Antworten gibt. Da wir uns bisher einig waren, dass einer der Schlüssel des Problems, wenn nicht sogar der Schlüssel, in Belgrad selbst liegt, möchte ich Sie fragen: Sind Sie sich bewusst, in welche Position Sie die serbische Opposition mit Ihrem Antrag bringen?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dessen bin ich mir überhaupt nicht bewusst. Ich weiß auch nicht, warum ich die Opposition in eine unmögliche Position bringe. Das müssen Sie mir schon erklären. Ich verstehe Ihre Frage nicht. Eines ist doch klar: Mit unserer bisherigen Politik, mit der Politik der NATO hat auch die Opposition - auch die, die man als wirklich ernsthaft bezeichnen muss - ihre Schwierigkeiten. Was mich bewegt, ist die Sorge, dass wir uns übernehmen könnten, wenn wir das Problem, in dem wir stecken, nicht in einem überschaubaren Zeitraum lösbarer machen. Herr Minister, niemand von uns fordert: Raus aus dem Kosovo! Raus aus Bosnien! Niemand fordert, dass das morgen geschehen soll. Wir sollten aber versuchen, alles daranzusetzen, dass der Zeitraum nicht unüberschaubar wird. Sonst wird die Zustimmung nicht nur in diesem Lande, sondern allenthalben in der NATO sinken. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Gernot Erler von der SPDFraktion das Wort.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten am 24. März einen Jahrestag. Er hat Erinnerungen wachgerufen und uns bilanzierende Rechenschaftsberichte abverlangt, er hat aber auch in einem Teil der Öffentlichkeit eine emotionale, eine partiell irrationale, ja gespenstische Debatte ausgelöst. Ich will ausdrücklich betonen: Die Tatsache, dass Deutschland im letzten Jahr zum ersten Mal nach 1945 an einem Krieg beteiligt war, und die Tatsache der real existierenden Situation im Kosovo ein Jahr danach rechtfertigen eine kritische, eine selbstkritische, eine nachdenkliche Reflexion. Diese Reflexion ist notwendig. Die entscheidenden Fragen dabei müssten sein: Warum war dieser Krieg nicht zu vermeiden? Wieso ist die Prävention gescheitert? Wo müssen wir investieren, wo unsere Fähigkeiten verbessern, um eine Wiederholung - da spreche ich den Kollegen Lamers an - zu vermeiden? Wie kommt es, dass wir zwölf Monate nach dem Ende der Intervention noch nicht weiter sind? Wie können wir die Arbeit vor Ort effektiver machen? Diese Fragen sind zwar in diesen Tagen behandelt worden. Daneben aber werden wir Zeuge einer eigenartigen, geradezu obsessiven Konzentration auf die Arbeit von Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der damals übrigens im In- und Ausland für seine Arbeit sehr großen Respekt erfahren hat, einer Fokussierung auf den so genannten Hufeisenplan, auf die Frage, ob es den überhaupt gegeben habe, auf die Frage, ob er Potkova oder Potkovica heißen müsste, ja - und da fängt es meines Erachtens an, gespenstisch zu werden -, ob es denn überhaupt eine systematische Vertreibung durch die Serben gegeben habe. ({0}) Meine Damen und Herren, ich will nur ein Beispiel für die Blüten, die diese Diskussion hervorgebracht hat, herausgreifen. Gestern gab es einen Artikel im „Hamburger Abendblatt“, in dem die Behauptung aufgestellt wird, ein Oberst im deutschen Verteidigungsministerium habe den Hufeisenplan „erfunden“. Dasselbe Blatt hat in den vergangenen Tagen die Information gegeben, dass das Verteidigungsministerium am 5. April des letzten Jahres Unterlagen über diesen Hufeisenplan bekommen habe. Die deutsche Öffentlichkeit hat von ihm am 8. April des letzten Jahres erfahren. Interessant ist nun, dass genau an diesem Tag - also am 8.April - in der angesehenen Zeitschrift „The Times“ ein Artikel erschienen ist, der von Beweisen dafür spricht, dass die methodische Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo monatelang vorbereitet worden war, und dann wörtlich folgenden Satz enthält: Der CIA erfuhr bereits im Herbst - gemeint ist der Herbst 1998 von einem Plan mit dem Codenamen „Operation Hufeisen“ mit dem Ziel, massenweise über Monate hinweg die Albaner zu töten und zu vertreiben. Dieser deutsche Oberst müsste meines Erachtens sofort befördert werden! ({1}) Denn er hätte es nicht nur geschafft, innerhalb von drei Tagen den Hufeisenplan zu erfinden, sondern auch geschafft, sogar in der „Times“ einen Artikel zu lancieren, der behauptet, diese - seine! - Erfindung sei dem CIA schon seit dem Herbst 1998 bekannt! ({2}) Dazu kann ich nur eins sagen: Einige Leute basteln in einem Teil der Öffentlichkeit - in den Medien, aber auch anderswo - auf der Grundlage einer miserablen und selektiven Recherche an einer Verschwörungstheorie. ({3}) Diese ist haltlos. Sie beantwortet keine der von mir und offenbar von uns allen gemeinsam zu stellenden Fragen. Sie schadet dem Ansehen der Bundeswehr, die - darauf möchte ich hinweisen - immer noch in einer sehr schwierigen und sehr verantwortungsvollen Mission ist, die unser aller Unterstützung verdient. Letztlich schadet diese Theorie auch dem Ansehen Deutschlands. Es stellt sich die Frage, in welchem politischen und psychologischen Umfeld eine solche Debatte und eine solche Bereitschaft, Verschwörungstheorien dieser Art Glauben zu schenken, eigentlich entsteht. Ich denke, ein Kennzeichen dieses Umfeldes ist der Wunsch, die harten Realitäten des Jahres 1999, aber auch von heute zu verdrängen. Es steckt der Wunsch dahinter, diese ganzen furchtbaren Realitäten hinter dem Paravent eines Konstrukts verschwinden zu lassen - und damit auch unsere Mitverantwortung, die wir tragen. Es gehört doch zu den unglaublichen und unleugbaren Realitäten, dass es schon seit 1989 durch die serbische Seite eine strukturelle Vertreibung - angeleitet von Milosevic - der 1,8 Millionen Albaner, die im Kosovo leben, gegeben hat. 1998 hat es dann eine Eskalation gegeben: Kampfhandlungen zwischen serbischen Einheiten und UCK-Verbänden, die damals bereits Massen von Flucht und Vertreibung ausgelöst haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, um dies zu stoppen, hat der Westen im Oktober 1998 dem Regime Milosevic Gewaltanwendung angedroht. Diese Gewaltandrohung, der der Bundestag am 16. Oktober 1998 zugestimmt hat, war konstitutiv für die deutsche Beteiligung an der Intervention - nicht irgendein Beschluss im Kontext mit dem Hufeisenplan oder irgendetwas anderes. ({4}) Es gehört zu den unleugbaren Realitäten, dass Kampf, Vertreibung und Flucht in den ersten Monaten des Jahres 1999 weitergegangen sind - trotz der OSZE-Beobachter-Mission, trotz der Verhandlungen von Rambouillet und Paris und trotz der verzweifelten Bemühungen, in letzter Minute den Krieg noch auf diplomatischem Weg aufzuhalten und eine Lösung zu finden. Um der Legendenbildung entgegenzutreten: Zum Zeitpunkt des Beginns der Kampfhandlungen zählte der UNHCR, also das Flüchtlingskomitee der Vereinten Nationen, bereits 250 000 Binnenflüchtlinge und 100 000, die über die Grenze gejagt worden waren. Zu den unleugbaren Realitäten gehört allerdings noch etwas anderes - der Bundesaußenminister hat es betont -: Das wichtigste Ziel, die Möglichkeit für 900 000 Menschen zur Rückkehr, ist erreicht worden. Aber der Krieg ist in Wirklichkeit nicht vorbei. Er geht weiter in den Köpfen und in den Herzen vieler Menschen vor Ort, und wir müssen versuchen, das zu begreifen. Ich glaube, es gibt Bilder, die man nicht vergisst; ich glaube, es gibt Erlebnisse, die einen das ganze Leben lang nicht mehr loslassen; und ich glaube, ein Jahr ist sehr kurz, um Wunden heilen zu lassen. Aber trotzdem: Der Krieg darf nicht weitergehen und er darf vor allen Dingen nicht neu aufflammen. Diese Gefahr besteht im Kosovo. Aber - damit komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Lamers - hier gibt es eine unheilige Allianz. Wir haben auf der einen Seite Milosevic, der vor Ort immer noch genügend radikale Serben findet, die Unruhe stiften und provozieren, nur mit einem Ziel: die internationalen Kräfte, die KFOR, zu enervieren, und die damit versuchen, das Ergebnis der Intervention nachträglich zu revidieren - und nebenbei übrigens seine eigene Macht abzusichern. Es gibt auf der anderen Seite - das ist der andere Teil der unheiligen Allianz - auch genügend extremistische Kräfte bei den Albanern, die Unruhe stiften, die nachts Häuser von Serben und Roma anzünden und tagsüber Steine auf die KFOR werfen. Diese haben ebenfalls nur ein einziges Ziel, nämlich das Ergebnis der Intervention zu revidieren, die UN-Resolution 1244 zu revidieren und den Kosovo von dem abzutrennen, wozu er völkerrechtlich gehört, nämlich vom jugoslawischen Staatsverband. Unser Problem ist - Herr Kollege Lamers, ich wende mich besonders an Sie -, dass wir um den Preis unserer Glaubwürdigkeit den schwierigsten Weg gehen müssen, und der heißt: Weder die einen noch die anderen Provokateure dürfen Erfolg haben. ({5}) Nicht Separation darf prämiert werden, sondern allein Kooperation. Der Westen hat Krieg geführt. Das heißt, er hat den höchsten denkbaren Einsatz mit all seinen zerstörerischen Folgen gewählt, weil er die Lösung des Kosovo-Problems durchGewaltundMassenvertreibung-das,wasMilosevic wollte - nicht hinnehmen wollte. Er hat damit die Rückkehr der Flüchtlinge erzwungen. Daher kann man aber jetzt nicht die Massenvertreibung von Serben, Roma und anderen Minderheiten - man spricht davon, dass es schon mehr als 250 000 sind - hinnehmen. Ich sage hier: Notfalls muss erzwungen werden, dass diese vertriebenen Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sonst ist es schlecht bestellt um unsere Glaubwürdigkeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Erler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs von der PDS? Gernot Erler [SPD]: Bitte schön.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Kollege Erler, es tut mir Leid, ich stehe hier schon eine Weile und Sie sind in Ihrer Rede schon ein Stückchen weiter. Ich habe eine Frage zu dem, was Sie vorhin gesagt haben bezüglich der Aussagen von Medien. Es ist ja nicht nur eine Zeitung, die Hamburger Zeitung, sondern es sind mehrere Medien. Ich gebe Ihnen Recht: Medien prägen ein Öffentlichkeitsbild. Wenn Sie jetzt der Auffassung sind Sie haben ja sicherlich Ihre Kenntnisse und Ihr Wissen -, dasshiereineArtVerschwörungstattfindetgegenPersonen, gegen Regierungen, gegen Entscheidungen, die hier im Bundestag mehrheitlich getroffen worden sind, und wenn dasderUnwahrheitentspricht,müsstenSiedanngegendieseArt der Öffentlichkeitsarbeit nicht eigentlich klagen?

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich denke immer, die parlamentarische Antwort auf solche Herausforderungen ist besser als zu klagen. ({0}) Ich möchte kurz zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU kommen, mit dem sich auch der Außenminister hier beschäftigt hat: „Kosovo-Politik überprüfen und weiterentwickeln“. Herr Kollege Lamers, Sie haben nachdenklicher als der Text des Antrages - eigentlich bestätigt, dass Sie in der Tat eine Revision der UN-Resolution 1244 anstreben. Sie wissen, das ist die Basis des Friedens im Kosovo. Jeder, der lesen kann, weiß, was Sie beabsichtigen: Sie wollen die Dauerbelastung reduzieren. Aber ich sage Ihnen: Es ist eine Illusion - Sie kennen den Balkan ein wenig -, die Probleme dieser Region durch Separation lösen zu wollen. ({1}) Wenn Sie dies heute im Kosovo versuchen, müssen Sie morgen eine Antwort auf die Frage geben, wie Sie sich im Sandschak, in der Vojwodina und an vielen anderen Plätzen verhalten wollen. ({2}) Ich sage Ihnen: Sie verrennen sich in ein illusionäres Ziel. ({3}) Ich unterschätze nicht die Schwierigkeit dessen, was wir uns vorgenommen haben. Aber es gibt keine Alternative zu diesem enorm aufwendigen Lernprogramm, das Kooperation und Integration statt Konfrontation und Separation zum Ziel hat. Die Gewaltanwender, die auf Ausgrenzung setzen, dürfen nicht durchkommen: weder Serben noch Albaner, noch andere. Sonst gibt es für Südosteuropa keine Zukunft. Dies war und ist die Botschaft des Stabilitätspakts für Südosteuropa, der letzte Woche einen sehr wichtigen Schritt nach vorne gemacht hat. Hier wird grenzüberschreitende Kooperation und nicht partikularer Egoismus prämiert. ({4}) Kooperative Projekte - und nur solche - haben eine Finanzierung gefunden. Dies war das Ergebnis der Arbeit von Sonderkoordinator Bodo Hombach. Herr Lamers, ich finde, Sie haben eine Chance verpasst. Nach aller Vorabkritik, die Sie, Ihre Fraktion und auch Ihre Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament am deutschen Sonderkoordinator geübt haben, hätte es Ihnen gut angestanden, hier einmal zu sagen: Das war nicht berechtigt; er hat es gut gemacht; das Ergebnis ist gut. Vielleicht werden Kolleginnen und Kollegen von Ihnen dies nachholen. ({5}) Andere Redner werden hier noch über Einzelheiten dieses Programms sprechen. Ich möchte nur sagen: Die lange, zum Teil quälende Zeit der Vorbereitung im Rahmen der Projektdefinition des Stabilitätspaktes war nicht verloren. Denn sie ist zur Einübung von Kooperation genutzt worden. Im Vorfeld hat etwas stattgefunden, das fast genauso wichtig ist wie das Ergebnis. Das war eine richtige Strategie, die wir unterstützen. Die SPD-Fraktion wird die weitere Arbeit und den weiteren Prozess des Stabilitätspaktes sehr aufmerksam und sehr engagiert begleiten. Wir werden nicht nachlassen in unserem Bemühen, eine parlamentarische Beteiligung bei der Implementierung des Stabilitätspaktes zu erreichen. Wir haben schon im Oktober letzten Jahres eine Parlamentarierkonferenz abgehalten. Am 23. und 24. Juni dieses Jahres werden wir in Dubrovnik eine Parlamentarierkonferenz mit allen Kolleginnen und Kollegen aus allen Teilnehmerländern des Stabilitätspaktes anschließen. Ich sage: Der Stabilitätspakt ist und bleibt aus unserer Sicht die wichtigste politische Antwort auf das, was wir im letzten Jahr erlebt haben. ({6}) Darüber sind wir uns - das wird die Abstimmung über die Anträge zeigen - zum Glück im Wesentlichen einig. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Werner Hoyer von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zwei Themenkomplexe: den Stabilitätspakt und die Zwischenbilanz fast ein Jahr nach dem Kosovokrieg. Ich möchte mich beiden Themen zuwenden und beginne mit dem Stabilitätspakt, der ja jetzt, nach der Geberkonferenz, zunächst einmal eine, wie es aussieht, stabile finanzielle Grundlage hat. Ich möchte jetzt nicht nachrechnen, wie viel zusätzliche Mittel zusammen gekommen sind oder wie viel in den einzelnen nationalen Haushalten ohnehin schon dafür vorgesehen war. Ich möchte auch nicht darüber sprechen, woher dieser Euphemismus kommt, Projekte, die zum Teil ein Jahr überfällig sind, als Schnellstartprojekte zu bezeichnen. ({0}) Aber eines können wir festhalten: Herr Hombach hat nach Monaten des Parlierens, des Evaluierens und des ziemlich konzeptlosen Hin- und Herreisens doch endlich eine solide Finanzgrundlage für das, was er zu tun hat. Jetzt muss er seine Vorhaben umsetzen. Jetzt wird es um die Implementierung des Stabilitätspaktes in allen seinen Teilen gehen. Er kann sich jedenfalls gewiss nicht mehr hinter dem Argument vermeintlich mangelnder finanzieller Unterstützung verstecken. ({1}) Wenn wir das Thema wirtschaftlicher Aufbau betrachten, ist festzustellen: In der Tat ist noch nicht so furchtbar viel geschehen. Ein hochrangiger rumänischer Diplomat hat gesagt - so der „Tagesspiegel“ vom 30. März dieses Jahres -: „Bis heute hat der Stabilitätspakt noch keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen.“ Das Blatt kommt in einem Kommentar zu dem Schluss: Tatsächlich rächt sich jetzt, dass der Bundeskanzler einen außenpolitisch völlig unerfahrenen Mann nach Brüssel geschickt hat, der nicht einmal mit den Strukturen und Entscheidungsmechanismen der EU-Institutionen vertraut war, sich in aller Eile ein elementares Grundwissen über den Balkan erwerben musste und sich zumindest am Anfang auf dem fremden internationalen Parkett nicht zurecht fand. Soweit der „Tagesspiegel“. Leider hat er Recht. ({2}) Mit den angekündigten Quick-Start-Projekten sind große Erwartungen insbesondere im Hinblick auf den Aufbau der Infrastruktur verbunden. Sie zu enttäuschen würde auch die Bereitschaft der beteiligten Staaten reduzieren, die mit dem Stabilitätspakt ebenfalls angestrebte verstärkte regionale Zusammenarbeit voranzutreiben. Diese ist aber unverzichtbar, wenn es darum geht, Stabilität in dieser Region zu erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Eindruck, dass bei vielen Verantwortlichen in der Region an diesem Punkt ein Missverständnis beachtlicher Dimension vorliegt: Es werden zwar riesige Erwartungen in Richtung Europäische Union projiziert; aber die Voraussetzung für die Schaffung von Stabilität und Wohlstand in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich regionale Zusammenarbeit und Integration bis dato verfeindeter Völker, wird sträflich unterschätzt. Es wird darauf ankommen, die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Eliten der beteiligten Länder aufzufordern, ihren Landsleuten nicht nur die frohe Botschaft von den Segnungen der europäischen Integration zu verkünden und die damit verbundenen Ansprüche in Brüssel anzumelden. Sie werden vielmehr auch und vor allem ihren eigenen Landsleuten erklären müssen, was das bedeutet und welche wirtschaftlichen wie politischen, vor allem aber auch mentalen Barrieren überwunden werden müssen, bevor das alles gelingen kann. Wie soll eigentlich jemals eine Einbindung in die politische wie wirtschaftliche Integration der Europäischen Union gelingen, wie will man dem unmenschlich harten Wind des Wettbewerbs im Binnenmarkt und in der Weltwirtschaft standhalten, wenn noch nicht einmal die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in der Region besteht? ({3}) Deswegen muss das Thema regionale Zusammenarbeit ein ganz besonderes Gewicht bekommen. Ich denke, dass wir insoweit, Herr Kollege Lamers, übereinstimmen. Das mit der Frage der Unabhängigkeit des Kosovo zu verbinden halte ich für sehr gefährlich. ({4}) In einem stimme ich Ihnen, Herr Kollege Lamers, voll zu: Sie haben das Wort „Groß-Albanien“ nie in den Mund genommen. Hier sollte man Sie vor jedem Vorwurf bewahren. Den haben Sie nicht verdient. Die Frage ist aber, ob nicht die logische Folge eine Kette von Instabilisierungshandlungen wäre, die genau dieses Thema „GroßAlbanien“ auf die Tagesordnung zurückbrächte. ({5}) Deshalb kann ich Ihrem Vorschlag nicht zustimmen. Zurück zum Stabilitätspakt: Die Bundesregierung wird jetzt sehr viel umsetzen müssen. Sie wird darauf achten müssen, dass die Partnerländer ihren Verpflichtungen auch nachkommen. Dabei geht es nicht nur um den raschen Abfluss der Mittel. Vor allem muss dafür gesorgt werden, dass das heillose Kompetenzwirrwarr zwischen den verschiedenen an der Durchführung beteiligten Institutionen aufgelöst wird. ({6}) Es wird auch darauf ankommen, die Voraussetzungen für private Investitionen zu schaffen. Sonst wird die enorme Anstrengung, die die europäischen Steuerzahler mit ihrem Engagement auf dem Balkan auf sich nehmen, leicht zum Strohfeuer werden. Das wiederum heißt: Es geht um die richtigen wirtschaftlichen Weichenstellungen. Ich denke hier zum Beispiel an die Verbesserung der Konditionen für Hermes-Deckungen. Es geht auch um ein Mindestmaß an rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen, denn nicht nur Korruption und Kriminalität in jeglicher Form belasten die Entwicklungschancen, auch die außerordentlich schwerfällige Bürokratie der Vereinten Nationen wie der Europäischen Union wird zunehmend zum Hemmschuh. Ich bin übrigens der Auffassung, es wäre klug, von vornherein den Europäischen Rechnungshof und auch die Betrugsbekämpfungsbehörde der Europäischen Union in diese Bemühungen mit einzuschalten. ({7}) Es ist zu hoffen, dass Herr Hombach es mit seiner Aussage, die Geberkonferenz sei eine Kampfansage der politisch Denkenden an die Behäbigkeit der Bürokratie, ernst meint. Hinweise von EU-Diplomaten der letzten Tage, er habe die Absicht, zunächst einmal seinen eigenen Mitarbeiterstab erheblich auszudehnen, weisen allerdings in die falsche Richtung. ({8}) Meine Damen und Herren, ich stimme all dem zu, was über das Thema demokratischer Wechsel in Serbien gesagt worden ist. Wir brauchen uns hier nicht gegenseitig zu bestätigen. Ich möchte mich auf ein Thema, nämlich das Thema Pressefreiheit konzentrieren. Das ist ein ganz entscheidender Punkt in der Region und eines der wenigen Mittel, mit denen die Staatengemeinschaft die Demokratiebewegung in Südosteuropa wirkungsvoll unterstützen kann. Das geht weit über Serbien hinaus. Auch in manch anderem Land steht es bei diesem Thema nicht zum Besten. Ich halte es für erforderlich, der Medien-Task-Force, die im Rahmen des Tisches „Demokratisierung und Menschenrechte“ eingerichtet worden ist, einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Wir sollten unseren ehemaligen Kollegen, den OSZE-Beauftragten Freimut Duve, bitten, seine Kritik noch sehr viel lauter vorzutragen, wenn in vielen Ländern der Region insbesondere in staatlichen und halböffentlichen Medien mit der Pressefreiheit mehr als ruppig umgegangen wird. ({9}) Dass eine besonders gefährliche Lunte am Pulverfass Montenegro liegt, braucht nicht betont zu werden. Wir sollten hier deutlich machen, dass wir über präventive Konfliktlösungskonzepte im Rahmen der OSZE versuchen wollen, das Schlimmste zu verhindern. Aber wir müssen auch allen Handelnden in der Region klar machen, dass der Westen auf alle Optionen vorbereitet ist. Nach Bosnien und dem Kosovo darf sich der Westen nicht abermals unvorbereitet mit einer massiven Eskalation von Gewalt und Gegengewalt konfrontieren lassen. ({10}) Das wäre nicht nur ein Rückschlag für den Stabilitätspakt, sondern auch ein Rückschlag für die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Wir müssen uns in der Tat dem Thema Bilanz zuwenden. Herr Minister, Sie haben das heute dankenswerterweise in einem ersten Schritt getan. Das sind wir auch unseren Soldaten, den Polizeibeamten, deren Arbeit ebenfalls außerordentlich hoch geschätzt wird, und den Vertretern der verschiedenen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen und deren Angehörigen schuldig, die Enormes leisten und dabei erhebliche persönliche Risiken tragen. ({11}) Das schließt dann aber auch eine nüchterne Bestandsaufnahme der Arbeit der Vereinten Nationen im Allgemeinen und von UNMIK im Besonderen ein. Ich sage das als jemand, der der Stärkung der Rolle der Systeme kooperativer Sicherheit, also von UNO und OSZE, immer sehr das Wort geredet hat. Als Parlament haben wir zum Beispiel die Verpflichtung, den Einsatz unserer Polizisten, über den die Regierungen des Bundes und der Länder entscheiden, mit der gleichen Sorgfalt wie den Einsatz der Bundeswehrsoldaten zu begleiten, die der Bundestag dorthin entsandt hat. ({12}) Bei dieser Analyse wird deutlich werden, dass es bei UNMIK erhebliche Umsetzungs-, aber auch Konzeptionsprobleme und -defizite gibt. Ich weiß gar nicht, ob die Herkulesarbeit, die wir den Polizeibeamten im Kosovo übertragen haben, angesichts der Umstände und angesichts der Strukturen, bei denen von den taktischen Konzepten über die Führungsorganisationen bis hin zu Ausrüstung kaum etwas stimmt, überhaupt zu leisten ist. Die Arbeit ist angesichts der Probleme mit der UCK und dem so genannten „Kosovo Protection Corps“ schon schwer genug. Letzteres scheint mir, wenn ich richtig zugehört habe, heute hier etwas zu gut weggekommen zu sein. Wir brauchen also nicht nur höchst professionelle Polizisten, woran ich bei den deutschen Beamten überhaupt keine Zweifel habe. Es müssen auch nicht nur alle an UNMIK beteiligten Staaten ihre Verpflichtung zur Bereitstellung der von ihnen zugesagten Kontingente endlich erfüllen. Nein, wir brauchen auch und vor allem die entsprechenden Strukturen, in denen die Polizeibeamten ihre Arbeit wirkungsvoll bewältigen können. Ansonsten kämpfen sie gegen Windmühlenflügel; denn die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität auf dem Balkan feiert bereits fröhliche Urständ und hat dabei längst die klassischen Hassgrenzen ethnischer Unterschiede überwunden. ({13}) Die serbische, makedonische und albanische Mafia arbeiten längst in trauter Harmonie sehr effektiv zusammen. ({14}) Es wird also in verschiedener Hinsicht wichtig sein, diese Zwischenbilanz ein Jahr nach dem Kosovokrieg zu ziehen. Wir müssen nämlich Rechenschaft darüber ablegen, ob wir die moralisch hoch gesteckten Ziele des Kosovoengagements wie des Balkanengagements insgesamt über die meines Erachtens unbestreitbare Notwendigkeit hinaus erreicht haben, dem Völkermord, dem Gemetzel und den ethnischen Säuberungen Einhalt zu gebieten, Rechenschaft darüber, ob wir alles tun, um Soldaten wie Polizisten, Richter und Staatsanwälte davor zu bewahren, letztendlich eben doch vor allem das Resultat menschenverachtender ethnischer Säuberungen mit den Mitteln der Repression abzusichern, und Rechenschaft darüber, ob wir denen, denen wir jetzt das härteste Stück der Arbeit überlassen, auch alle Instrumente an die Hand geben, die sie benötigen, um ihren Auftrag wirkungsvoll erfüllen zu können, oder ob sie Geiseln der Unfähigkeit der Völkergemeinschaft und ihrer Organisationen werden, ihre strukturellen Defizite zu überwinden. ({15}) Die Bundesregierung hat vor einem Jahr mit erheblicher moralisch-ethischer Aufrüstung - man hatte damals den Eindruck, es hätte auch ein bisschen weniger dick aufgetragen werden können - von der Notwendigkeit der Entscheidung überzeugt, die fast alle im Deutschen Bundestag getragen haben. Jetzt ist die Zeit gekommen, mit erheblich mehr analytischer Schärfe, als heute in der Regierungserklärung gezeigt wurde, die Zwischenbilanz zu ziehen. Nur dann werden wir in der Lage sein, über die nächsten Schritte verantwortlich zu entscheiden und damit der Realisierung unserer sehr anspruchsvollen Ziele in der schwierigsten Region unseres Kontinents näher zu kommen. Danke schön. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Beer vom Bündnis 90/Die Grünen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr hat die überwiegende Mehrheit nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch meiner Fraktion die Luftangriffe gegen Serbien und damit den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr mitgetragen. Das war für uns alle - ich glaube, das darf ich hier sagen - keine leichte Entscheidung. Heute, ein Jahr nach dieser Entscheidung, möchte ich unterstreichen: Ich halte die Entscheidung nach wie vor für richtig. Damals habe ich gesagt: Wir haben keine Alternative, als zwischen dem kleineren und dem größeren Übel zu entscheiden. Wenn uns von den Kritikerinnen und Kritikern vorgehalten wurde, die Entscheidung sei unverantwortlich, so kann ich nur sagen: Ich habe bis heute keine Antwort darauf bekommen, was denn eine denkbare Alternative im letzten Jahr hätte sein können. Wir haben mit der Zustimmung zu den Luftangriffen Verantwortung übernommen, aber auch Schuld auf uns geladen - Schuld im Hinblick auf betroffene serbische Zivilisten und auf ökologischen Folgen. Wir haben mit dem NATO-Einsatz zwar unser eigentliches Ziel, die Massenvertreibung zu verhindern, anfangs nicht erreicht; wir haben aber erreicht, dass die meisten Flüchtlinge zurückkehren konnten, dass die Vertreibungen gestoppt worden sind und dass mit dem Stabilitätspakt der gesamten Region tatsächlich eine Perspektive gegeben worden ist. Mit der Arbeit von KFOR und UNMIK sollen nun Grundlagen geschaffen werden, den Kosovo in die Region zu integrieren. Ich denke, es ist wichtig, an dieser Stelle die Arbeit der Mitarbeiter der UNO, der UNMIK, der KFOR und auch der Hilfsorganisationen zu würdigen, die sich nun dafür einsetzen, neue Vertreibungen zu verhindern und Roma, Sinti und andere Minderheiten zu schützen, und beim Wiederaufbau mithelfen. ({0}) Zur aktuellen „Hufeisendiskussion“ nur so viel: Unser Ja zu diesem militärischen Einsatz war auf Erkenntnisse über gezielte und zunehmende Vertreibung sowie über die ethnische Verfolgung der Kosovo-Albaner durch serbische Einheiten begründet. Während der Verhandlungen von Rambouillet, also lange vor den Luftangriffen, zählte der UNHCR 210 000 Binnenflüchtlinge und 50 000 Vertriebene. Die Zuspitzung dieser Situation war Grundlage für unsere Entscheidung. Man darf die Regierung herbeizitieren, wenn sie nicht präsent ist. Ich habe aber keine Möglichkeit, einen Abgeordneten herbeizuzitieren. Ich denke, es wäre Zeichen von Anstand, es wäre das politische Gebot gewesen, wenn sich der Kollege Wimmer von der CDU heute an dieser Debatte beteiligt hätte. Wenn der CDU-Politiker dieser Bundesregierung vorwirft - so geschehen am Mittwoch sie habe Informationen aufgefrischt und mundgerecht präsentiert, um die Kriegsführung zu legitimieren, wenn er unterstellt, wir hätten die Öffentlichkeit wie in einem totalitären Land gewohnheitsmäßig belogen, dann muss er einen Nachweis bringen. Es ist unglaublich, wie hier mit einer Debatte Parteipolitik betrieben wird, die weder im parlamentarischen noch im Interesse der CDU liegen kann. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die kritischen Fragen zur Kriegsführung, die uns von Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen, aber auch aus der Friedensbewegung gestellt werden, sollten wir aufgreifen und so den Dialog mit ihnen vertiefen. Ich sage aber auch ganz klar: Jene Kriegsgegner, die insbesondere meine Partei als „Kriegstreiber“ verunglimpfen und dabei eine notorische und zynische Relativierung des Menschen verachtenden Vorgehens des Milosevic-Regimes gegen die Kosovo-Albaner vornehmen, müssen sich die Frage stellen lassen, was ihr Schulterschluss mit Milosevic und dessen Praktiken mit Friedenspolitik zu tun hat. Aus meiner Sicht gar nichts. ({2}) Ich habe vor einem Jahr unterstrichen, dass wir uns der Verantwortung stellen werden - auch nach diesem Krieg. Wir müssen, sowohl im Bündnis als auch bei uns, über die Entscheidungsstrukturen in einer Kriegssituation diskutieren. Das Parlament, aber auch unsere Regierung sollte sich kritische und selbstkritische Fragen stellen, auch wenn auf diese unter Umständen unbequeme Antworten zu geben sind: War es richtig, im Oktober 1998 den Luftangriffen zuzustimmen und somit einen Vorratsbeschluss zu fassen? Ich glaube, der Bundestag hätte am 23. März noch einmal diskutieren sollen. Haben wir alle Spielräume der parlamentarischen Verantwortung genutzt? Hätten wir uns nicht vorher überlegen müssen, was geschehen sollte, wenn Milosevic nicht - entgegen der Hoffnung nach wenigen Luftschlägen einlenkt? Hätten wir nicht vorher fragen müssen, was geschehen sollte, wenn er auch nach mehreren Wochen dauernden Luftangriffen den Frieden weiter ablehnt? Hätten wir nicht danach fragen müssen, wie es passieren konnte, dass die NATO die ursprüngliche Zielplanung veränderte und infolgedessen auch zivile Ziele angriff? Wir müssen fragen, wie man dies und die Gefahr eines militärischen Automatismus bis hin zu einem Bodenkampfeinsatz künftig verhindern kann. Wir stehen heute vor dem realen Problem, das anerkannt werden muss, dass trotz der Notwendigkeit eines Militäreinsatzes ein solcher den Frieden in der Region nicht bringen kann. Die UCK ist keineswegs die Friedensorganisation im Kosovo. Ihre Untergrundstrukturen sind beteiligt an der Vertreibung der Minderheiten. Die UCK ist beteiligt an Auseinandersetzungen in Südserbien. Sie kann Milosevic einen Vorwand bieten, erneut militärisch zu eskalieren. Wir sind dem Minderheitenschutz verpflichtet. Wir werden alles tun, um Minderheiten zu schützen und ihr Recht auf Rückkehr durchzusetzen. Ich erteile dem Versuch der CDU, eine Trennung der Regionen vorzuschlagen und damit einen neuen Kriegsherd zu eröffnen, eine klare Absage. Generalsekretär Robertson warnt davor, der Friedensprozess stehe auf des Messers Schneide. Wir werden uns in den nächsten Tagen und Wochen insbesondere mit den nächsten Eskalationsmöglichkeiten in Montenegro verantwortlich auseinander setzen und alles dafür tun müssen, dass der Stabilitätspakt in einer Weise greift, dass Hilfe und Gelder nicht nur versprochen, sondern sofort und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden. Verantwortung übernehmen heißt auch, aus Versäumnissen der Vergangenheit zu lernen und Handlungs- und Politikkonzepte zu entwickeln, die ihren Schwerpunkt in der nicht militärischen Konfliktprävention haben. Die Schere des Auseinanderklaffens muss geschlossen werden, weil wir sonst immer wieder in ähnliche Situationen hinein rutschen werden. Ein Appell an die Innenminister der Länder, aber auch an Innenminister Schily, Verantwortung zu übernehmen und Verantwortung zu tragen, bedeutet für uns heute, dass wir nach der Teilnahme an einem Krieg, der zur Verteidigung der Menschenrechte stattgefunden hat, jene, die bei uns Schutz vor den serbischen Einheiten gesucht haben und denen wir Schutz gegeben haben, nicht zwangsweise in eine instabile Region im Kosovo oder nach Serbien zurück schicken, sondern ihnen helfen. Wir müssen ihnen auf freiwilliger Basis und unter stufenweiser Planung den Geleitschutz nach Hause geben, sobald der Wiederaufbau gesichert und das Leben dort möglich sein wird. Die Abschiebung traumatisierter Flüchtlinge und die Zwangsrückführung von Kosovo-Albanern in eine RegiAngelika Beer on, bei welcher wir nicht wissen, ob wir den Frieden tatsächlich halten können, passt mit der militärischen Verteidigung der Menschenrechte nicht zusammen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heidi Lippmann von der PDS das Wort.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Stabilitätspakt möchte ich sagen: Wir werden nur einem der vorliegenden Anträge zustimmen. Damit kein Missverständnis entsteht und eines klar ist: Wir begrüßen den Gedanken, auch mit finanziellen Mitteln einen Beitrag zur Stabilisierung der Balkanregion zu leisten, eine materielle Investition für den Frieden auf dem Balkan zu tätigen. Ich denke, wir alle hätten uns gewünscht, dass es eine solche Initiative schon vor zehn Jahren gegeben hätte. Denn es hätte viel Leid ersparen können. Genau gesehen ergibt sich die späte Einsicht, die die Bundesregierung zu diesem Schritt veranlasst hat, auch aus der Notwendigkeit der Schadensbegrenzung für die Folgen ihrer eigenen Politik, der Politik der Bomben. ({0}) Meine Damen und Herren, der Kollege Lamers hat deutlich gesagt: Frieden auf dem Balkan wird es ohne Serbien langfristig nicht geben. Frieden auf dem Balkan bedeutet deshalb auch: Jugoslawien muss als Ganzes in den Stabilitätspakt einbezogen werden. Die nichtmilitärischen Embargomaßnahmen müssen fallen, soweit sie die jugoslawische Bevölkerung betreffen. ({1}) Sanktionen sind kein geeignetes Mittel, sondern richten unendliches Leid in der Bevölkerung an. Dass diese ebenso wenig Milosevic treffen wie die Bomben, ist klar. Sie haben auch Saddam Hussein nicht getroffen, der nach wie vor im Amt ist, sondern unzählige unschuldige Menschen im Irak, die aufgrund der mangelnden Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten mit ihrem Leben bezahlt haben. Der gezielte Einsatz humanitärer Unterstützungsmaßnahmen, Herr Außenminister, kann weitere Konflikte nach sich ziehen. Wenn Sie nur Ihnen genehme Städte und Gemeinden in Serbien unterstützen, kann dies zum Sozialneid und zu weiteren Fluchtbewegungen führen. Deswegen fordert meine Fraktion: Nehmen Sie die gesamte Bundesrepublik Jugoslawien in den Stabilitätspakt auf, wenn Sie tatsächlich an einer Heranführung des Balkan an Europa und an Frieden und Stabilität in der Region interessiert sind! ({2}) Heute, ein gutes Jahr nach dem Beginn des Angriffskriegs der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, steht die Bundesregierung vor dem Scherbenhaufen ihrer Balkanpolitik. Die NATO-Bomben haben nicht allein Tausende von unschuldigen Menschen getötet, sondern auch die Lebensgrundlagen der jugoslawischen Bevölkerung durch die Zerstörung der Infrastruktur und der Volkswirtschaft sowie durch die verursachten ökologischen Schäden langfristig eingeschränkt. Die Luftangriffe haben die internationale Rechtsordnung verletzt und nachhaltig erschüttert. Sie haben - das wurde schon ausgeführt - die vorgegebenen, angeblich humanitären Ziele nicht erreicht.HeutefindenimKosovounterdenAugenderNATO und der UNMIK ethnische Vertreibungen, Mord und Totschlag, ungezügelte Kriminalität, Plünderungen und Brandschatzungen statt. Täglich gibt es Terroraktionen albanischer Extremisten aus den früheren UCK-Strukturen in Südserbien mit dem Ziel, dort eine neue Intervention der internationalen Staatengemeinschaft zu bezwecken. Multiethnischem Zusammenleben, Achtung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist der Kosovo kaum einen Schritt näher gekommen - und das gewiss auch nicht durch die NATO-Bomben. Sie haben das Gegenteil bewirkt oder, wie der UN-Sonder-beauftragte für Ex-Jugoslawien, Jiri Dienstbier, sagt: Sie haben die Probleme nicht gelöst, sondern sie vermehrt. Er sagt weiter: Mord, Folter und das Niederbrennen von Häusern dauern an. In diese Situation hinein, Herr Innenminister, Flüchtlinge abschieben zu wollen ist nicht nur zynisch, sondern unverantwortlich. ({3}) Herr Außenminister Fischer sagte am 15. April letzten Jahres hier im Haus: Es wird dort nur ... Frieden geben, wenn die Logik der ethnischen Säuberung gebrochen wird, wenn das Vertreiben, wenn der Nationalismus dort endgültig eine Niederlage erleidet. Ich kann diesen Satz voll unterstreichen. Denn er trifft heute genauso zu wie damals, wenn auch heute mit umgekehrten Vorzeichen - angesichts Hunderttausender vertriebener und geflüchteter Serben, Zigtausender Roma und Aschkali, Jüdinnen und Juden. Dass dieses kein Frieden ist, liegt auf der Hand. Meine Damen und Herren, ich habe ja viel Verständnis dafür, dass Teile der Bundesregierung, wie zum Beispiel der Herr Verteidigungsminister, versuchen, die aktuelle Situation im Kosovo schönzureden und weit und breit Erfolge zu verkünden. Immerhin hat man ja Krieg geführt, um genau das zu verhindern, was jetzt im Kosovo Wirklichkeit ist. Da mag es schon angehen, dass man es mit der Wahrheit manchmal nicht ganz so genau nimmt. Das bringen Kriege ja auch so mit sich. Doch das Gerede von den Verschwörungstheorien, die Mythen und Legenden, die aufgebaut werden, sprechen, wie ich denke, für sich. Ich finde es interessant, dass eine gemeinsame Verschwörung vom „Hamburger Abendblatt“ über die „Berliner Zeitung“, die „Welt“ bis hin zum „Spiegel“ stattfinden soll, Kollege Erler. Ich denke, Sie sollten Ihre Wortwahl künftig einmal etwas genauer überdenken. ({4}) - Ich habe hier noch keine Behauptungen aufgestellt, verehrter Herr Kollege. Reden wir doch jetzt einmal über die Mythen und Legenden, zum Beispiel beim Thema Menschenrechte. Die jahrelang an den Kosovo-Albanern gegangenen Menschenrechtsverletzungen sind nicht umstritten, auch nicht die Tatsache, dass es über Jahre hinweg eine zunehmende Vertreibungspolitik von der serbischen Seite gab. Umstritten ist aber ihr vonseiten der NATO und insbesondere auch vonseiten der Bundesregierung behauptetes Ausmaß. Bestritten werden kann auch, dass der Krieg die einzig mögliche, legale, legitime, zweckmäßige und Erfolg versprechende Antwort auf diese Menschenrechtsverletzungen gewesen sein soll. Er war es nicht. ({5}) Wer wie die NATO und die Bundesregierung offenbar bereit ist, durch Bomben unschuldige Zivilisten zu töten, um andere unschuldige Opfer zu retten, für den sind die Menschenrechte nicht unteilbar und nicht von gleicher allgemeiner Gültigkeit. Wer wie die Bundesregierung mit einer Beteiligung an den Luftangriffen auf Jugoslawien bewiesen hat, dass er bereit ist, Unschuldige im Namen der Menschenrechte zu töten, der will den Preis für seine angeblich hehre Rettungsaktion nicht selbst bezahlen oder durch die Täter bezahlen lassen, sondern durch Unschuldige. Wer so handelt, kann nicht glaubwürdig von der Verteidigung der Menschenrechte sprechen. Ich möchte auch hier noch einmal an die verhaltenen Reaktionen dieser Bundesregierung angesichts der Massaker und Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und angesichts der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die in der vergangenen Woche erst wieder mit 5 000 Soldaten in den Nordirak einmarschiert ist, erinnern. Die Empörung, die Sie hier angesichts der Recherchen von Medienvertretern zu Racak, zum Hufeisenplan etc. an den Tag legen, und die Verschwörungstheorien, die Sie sich zurechtstricken, sind doch ganz einfach nur ein Zeichen dafür, ({6}) dass Sie relativ wortlos sind. Sie können nämlich heute keine Beweise für die Authentizität der Dokumente, die Sie uns vor und während des Krieges - das wurde ja schon ausgeführt - bei jeder Gelegenheit vorgelegt haben und aus denen die Bedeutung des Massakers von Racak und die Bedeutung des Hufeisenplans hervorgehen sollen, vorlegen. Sie selbst haben eine enorme Propagandapolitik betrieben. Ich möchte nur daran erinnern, was der Herr Verteidigungsminister hier mehrfach zum Ausdruck gebracht hat. In seiner Rede am 15. April letzten Jahres stellte er die Frage: Ist das alles nur Erfindung und Propaganda, was Menschen uns erzählen: dass man die Leichen mit Baseballschlägern zertrümmert, dass man ihnen die Gliedmaßen abtrennt und die Köpfe abschlägt? Heute fragen sich viele Vertreter unterschiedlicher Medien: Ist vieles nur Erfindung und Propaganda, ({7}) was Regierungsvertreter uns über Racak, über den Hufeisenplan, über die Massengräber, über die AuschwitzTheorie, über die Konzentrationslager ({8}) und auch über den Vertrag von Rambouillet erzählten, der für keinen Regierungschef der Welt annehmbar war?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. ({0}) Wir fragen Sie: Warum haben Sie alle hier im Haus kein Interesse an einer umfassenden Aufklärung der Geschehnisse des Winters und Frühjahrs 1999? ({1}) Warum hat die Bundesregierung immer noch keinen umfassenden Abschlussbericht vorgelegt? ({2}) Warten Sie vielleicht darauf, dass sich ein Untersuchungsausschuss mit der Sache beschäftigen wird, um die Legenden und Lügen einmal aufzuklären?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann, ich muss Sie noch einmal ausdrücklich an die Redezeit erinnern.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich betone noch einmal deutlich: Es geht nicht darum, die Vertreibung der Kosovo-Albaner und die Menschenrechtsverletzungen der serbischen Seite infrage zu stellen. ({0}) - Sie hat es gegeben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, ich bitte Sie, endgültig zum Schluss zu kommen.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie hat es gegeben. Sie sind zu verurteilen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann, es ist nicht fair, was Sie machen. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Solange Sie sich zum Ankläger und Richter in einer Person machen und die Beweise nicht vorlegen, so lange sind sie unglaubwürdig. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich erteile jetzt dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, das Wort.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir Bilanz ziehen und uns fragen, welche Lehren aus den Ereignissen des letzten Jahres und den Erfahrungen seither zu ziehen sind, dann will ich zunächst sagen, dass 1,4 Millionen Vertriebene an ihre Wohnorte zurückkehren konnten, dass eine Chance auf einen stabilen Balkan bei allen Risiken besteht, die hier heute angesprochen worden sind. Man könnte viele andere Elemente hinzufügen. Es ist immerhin beachtlich, dass uns diese Chance - die der Stabilitätspakt uns gibt - auf einen stabilen Balkan nicht dazu verführen sollte, gewissermaßen ungeteilt stolz zu sein. Dafür ist zu viel geschehen; zu viel menschliches Leid ist damit verbunden gewesen. Ich bleibe bei meiner Bemerkung, die ich nach Abschluss der militärischen Maßnahmen im Deutschen Bundestag gemacht habe: Wir haben Verantwortung übernommen, auch unbeteiligten Menschen Leid zugefügt und haben insofern Schuld zu tragen. Das ist mit solchen politischen Entscheidungen unabweisbar verbunden. Zu den Leistungen gehört auch, dass diese 1,4 Millionen Menschen mittlerweile wieder eine halbwegs funktionierende Infrastruktur der Strom- und Wasserversorgung, der Krankenhäuser und der Versorgung mit gesundheitlichen Leistungen vorfinden. Zu den Leistungen gehört, dass mittlerweile, wenn ich den deutschen Verantwortungsbereich im Kosovo betrachte, alle Kinder wieder in die Schule gehen, was ich für eine unverzichtbare Voraussetzung friedlicher Entwicklung halte. ({0}) Auch hier ist ein skeptischer Hinweis unverändert angebracht: Militärische Maßnahmen können Gewalt bannen. Sie reichen aber nicht aus, um Frieden zu schaffen. Deshalb ist jetzt noch mehr zu tun. Das hat mit den Nichtregierungsorganisationen, mit dem Aufbau ziviler und demokratischer Strukturen, mit der Tätigkeit vieler anderer und nicht zuletzt der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu tun. Ich glaube, dass wir bei einer solchen Debatte durchaus sagen sollten, dass die Leistungen der Angehörigen der Bundeswehr nicht alleine und noch nicht einmal vorrangig militärische sind, sondern solche der zivilen und militärischen Zusammenarbeit und dass man auf die Angehörigen der Bundeswehr und auf die Leistungen, die sie dort erbringen, durchaus stolz sein kann. ({1}) Im Übrigen drückt sich in der Zusammenarbeit mit vielen anderen Nationen im deutschen Verantwortungsbereich auch ein anderer politischer und historischer Fortschritt aus. Die Tatsache beispielsweise, dass wir mit ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten eng zusammenarbeiten, sollte uns noch einmal vor Augen führen, welche Fortschritte wir im Interesse gemeinsamer Sicherheit in Europa machen. Wir arbeiten dort mit russischen und türkischen, österreichischen und schweizerischen, bulgarischen, georgischen, aserbaidschanischen und vielen anderen Soldaten verschiedenster Nationen zusammen. Ich finde, es ist ein wirklich historischer Fortschritt, dass sich im Interesse gemeinsamer Sicherheit und Stabilität in Europa Staaten von so unterschiedlicher Geschichte und Tradition jetzt gemeinsam bemühen, auch Südosteuropa eine Chance auf friedliche Entwicklung zu geben. ({2}) Ich will vor diesem Hintergrund nicht allzu viel zur Entstehungsgeschichte sagen. Aber ich möchte doch ins Gedächtnis zurückrufen, dass zum Zeitpunkt des Beginns der militärischen Maßnahmen der NATO der Bundesaußenminister in Belgrad war und Erkenntnisse aus seinen Gesprächen, die er hier geschildert hat, mitgebracht hat. Niemand sollte vergessen, dass Milosevic auf die Uneinigkeit der NATO und auf einen Dissens zwischen Öffentlichkeit und Regierung in den einzelnen NATO-Mitgliedstaaten spekuliert hatte. Dies mündete in dem zynischen Satz: Wenn ich jeden Tag ein Dorf vernichte, wird die NATO nicht eingreifen, sondern händeringend vor dieser Situation stehen, ohne entschlossen zu handeln. Es sollte auch im Gedächtnis bleiben, dass zum Zeitpunkt der NATO-Luftangriffe schon viele zehntausend Menschen vertrieben worden waren; die Zahlen sind schon genannt worden. Man sollte auch nicht vergessen, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen anlässlich des 50-jährigen Bestehens der UN-Konvention gegen den Völkermord davon gesprochen hatte, dass wir angesichts der Ereignisse im Kosovo unter der dunklen Wolke des Völkermordes leben. Man kann daraus den Schluss ziehen - das ist berechtigt -, dass präventive Politik in der Zeit zwischen dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und diesen Ereignissen versagt hat. Wir hätten aus den drei vorhergehenden Kriegen auf dem Balkan lernen müssen, wie dringend notwendig präventive Politik ist. Die Europäer ziehen daraus ihre Lehren. Ich will einige nennen: Die erste Lehre ist, dass die Europäer stärker, als man das vor einem oder anderthalb Jahren - also etwa bei der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages - vermuten konnte, ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterentwickeln müssen. Dieser Prozess kommt mit großer Konsequenz, beachtlicher Substanz und mit für europäische Verhältnisse erstaunlicher Geschwindigkeit voran. Ich halte das für eine der richtigen Lehren aus den Erfahrungen der letzten Jahre. Die zweite Lehre ist, dass wir die präventiven Möglichkeiten der Politik verstärken müssen. Die Bundesregierung hat in der besonderen Verantwortung des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers von Anfang an Wert darauf gelegt, dass die politischen Maßnahmen, die humanitäre Hilfe und die militärisch notwendigen Maßnahmen in einem engen Zusammenhang stehen. Sie hat nie allein auf ein einziges Instrument gesetzt. Das heißt für die Zukunft, dass wir im Rahmen einer besseren, mehr präventiv angelegten Politik politische Initiative, humanitäre Hilfe, ökonomische Zusammenarbeit und Aufbau demokratischer und ziviler Strukturen ebenfalls miteinander in Verbindung setzen und das durchsetzen müssen. Es ist übrigens klar, dass dies angesichts der Skrupellosigkeit und der Menschenverachtung bestimmter Diktaturen auf der Welt ohne sicherheitspolitische Rückversicherung nicht gelingen wird. Es ist auch eine Lehre aus den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre, dass präventive Politik ihre Grenze in der Menschenverachtung und in der Skrupellosigkeit einer Diktatur finden kann. Die dritte Lehre besteht darin, dass wir die Aufmerksamkeit für die geduldige, zähe und konsequente Friedensarbeit erhalten und fördern müssen, die jetzt auf dem Balkan stattfindet. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Alle Welt schaut zu Recht besorgt auf Montenegro, auf das Presevo-Tal in Südserbien sowie auf Kosovska und Mitrovica. Das sollte uns aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es im Herbst des letzen Jahres um Orahovac - diese kleine Stadt liegt im deutschen Verantwortungsbereich - Straßensperren und heftige Konflikte zwischen der albanischen Mehrheit und einer kleinen serbischen Minderheit gegeben hat. Die Tatsache, dass die Straßensperren verschwunden sind, dass es gemeinsame Entwicklungsprojekte im Bildungswesen, in der Wasser- und Elektrizitätsversorgung sowie in der Gesundheitsversorgung dieser Stadt gibt und dass mithilfe von militärischen Mediatoren - ich will sie einmal so nennen - beiden Seiten ein Prozess nahe gebracht worden ist, in dem beide durch neues Aufflammen von Gewalttätigkeit etwas zu verlieren haben, wird offenbar nicht mehr gesehen, obwohl hier ein sehr praktisches Beispiel des Zusammenlebens unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen begonnen worden ist. ({3}) Ich könnte andere solcher Beispiele nennen. Mit Blick auf manche Äußerung, die ich auch jetzt in dieser Debatte gehört habe, möchte ich sagen: Unverändert geht es darum, Ziele zu erreichen, und nicht darum, sich zum Sklaven von Zeittafeln zu machen. Wir als Westeuropäer sollten etwas anderes nicht übersehen - ich kleide es in eine Frage -: Wie lange hat es eigentlich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedauert, bis der französische Staatspräsident Charles de Gaulle zum ersten Mal Deutschland besucht hat? Wenn ich es recht erinnere, war das 1962. ({4}) - Aber seine Vorgänger waren auch nicht so häufig in Deutschland. Ich will damit nur darauf aufmerksam machen, dass wir in anderen zeitlichen Dimensionen denken sollten, wenn diese Friedensarbeit Erfolg haben soll. Im Übrigen gehört zu ihr der Dialog zwischen Kulturen und Religionen. Nicht dazu gehört - um diesen Unterschied auch sehr klar zu markieren - die Separation von Bevölkerungsgruppen. ({5}) Es ist, nebenbei gesagt, eine höchst eigenartige Beschreibung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn man da von Separation zu redet. ({6}) - Ja, dann nennen Sie es doch Vertreibung, Herr Kollege. ({7}) Es war ja Vertreibung, mit allen menschlichen Schäden, die dabei auch eine Rolle gespielt haben und nicht vergessen werden sollten. Aber wer der Separation das Wort redet und das Konzept verfolgt, Herr Kollege Lamers, der redet nicht nur einem staatlichen Flickenteppich auf dem Balkan das Wort, sondern auch einer Unbeherrschbarkeit der Konflikte, und er ermutigt in der gegenwärtigen Situation genau jene, die aus extremistischen und radikalen Positionen heraus auf Separation setzen und dabei andere vertreiben wollen. ({8}) Ich wollte auch diesen Unterschied sehr deutlich machen, denn eine solche Debatte, die auf die Zukunft gerichtet sein soll, muss sich auf die Lehren konzentrieren, die wir aus der Vergangenheit ziehen, und zwar möglichst vollständig. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt Herr Kollege Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorneweg eine Bemerkung zu einem Thema, das in der Diskussion eine so große Rolle gespielt hat, Herr Kollege Erler, dass Sie ihm fast Ihre gesamte kostbare Redezeit widmen mussten. Die Themen der Vergangenheit, die Themen des letzten Jahres und die genauen Umstände dessen, was sich an Aggression im Kosovo entwickelt hat und was zu bekämpfen war, sind das eine. Die Überhöhung, die stattfinden musste, um die linke Seite des Hauses davon zu überzeugen, dass sie das notwendige Vorgehen unterstützt, ist das andere. Aber dass eine Fraktion, deren Vorsitzender Herrn Milosevic noch einen Höflichkeitsbesuch abgestattet hat, das zum Thema machen will, sollten wir nicht zulassen. Darüber reden wir und, wenn es etwas daBundesminister Rudolf Scharping rüber zu reden gibt, wird das in geeigneter und angemessener Form getan werden. ({0}) Unser Antrag kommt auf jeden Fall zur rechten Zeit. Es wird der Eindruck erweckt, als ob hier Störenfriede unterwegs wären, die die Harmonie stören wollten. Das ist doch nicht die Realität. Die Realität, der wir uns alle gegenübersehen, ist doch, dass nach einem Jahr die Bilanz mehr Schatten als Licht aufweist, dass nach einem Jahr festzustellen ist, dass der Weg weitaus schwieriger ist, als wir es uns vorgestellt haben, und dass es führende Vertreter der internationalen Gemeinschaft, die dort unten ihren Dienst tun, gibt, die darauf hinweisen, dass die Frage des Status nun auf die Tagesordnung gehört. Ich nenne Herrn Kouchner, ich nenne Jiri Dienstbier, den UN-Sonderbeauftragten, die vielleicht unterschiedliche Perspektiven haben, die aber die Feststellung getroffen haben, dass es notwendig ist. Das Gleiche gilt für Paddy Ashdown, den britischen Abgeordneten, von dem man hört, dass er sich durchaus weiter im Kosovo engagieren will. Ich nenne den amerikanischen Senator Biden, dem nicht nachgesagt werden kann, dass er sich um die Frage des Balkans nicht kümmern würde. Er hat kürzlich geäußert, dass er Schwierigkeiten habe, gegenüber seinen Kollegen im USSenat zu begründen, dass sie weiter Geld für eine Angelegenheit geben sollten, der gegenwärtig wohl die Perspektive fehlt. All diese Fragen sind auf dem Tisch, und nicht mehr und nicht weniger steht in unserem Antrag. Dort steht, dass wir die Bundesregierung auffordern, die Vorstellungen von den Grundlagen einer politischen Ordnung im Kosovo und in der Region, wie sie in der UN-Resolution 1244 niedergelegt sind, im Lichte der Erfahrungen seit ihrer Verabschiedung hinsichtlich des zukünftigen Status weiterzuentwickeln und damit verbunden ein Konzept einer nachhaltigen, selbsttragenden Stabilisierung ... vorzulegen ... Nicht mehr und nicht weniger fordern wir. Das ist eine Aufforderung zum Nachdenken und eine Aufforderung zum Gespräch. Damit wird das nachvollzogen, was in der Resolution 1244 der Vereinten Nationen unter Ziffer 11 e und f steht. Der Korrektheit und der Vollständigkeit halber zitiere ich auch das: Unterstützung eines politischen Prozesses, um den künftigen Status des Kosovo festzulegen, unter Berücksichtigung der Rambouillet-Abkommen. Weiter heißt es dort: In einem letzten Schritt soll der Übergang der Autorität auf Institutionen überwacht werden, der in einer politischen Lösung vereinbart wird. Man muss über diese Fragen der politischen Lösung sprechen. Man muss darüber sprechen, ob Rambouillet ausreichend ist, ob das fortgeschrieben werden muss und inwiefern unter dem Eindruck der ersten Effekte des Stabilitätspaktes Schwerpunktverlagerungen notwendig sind. Kollege Lamers hat eine Perspektive aufgezeigt, über die man reden muss und reden kann. Ganz wichtig - auch das hat er aufgezeigt - war die Notwendigkeit der regionalen Kooperation. Wir hatten die Befürchtung, dass es sich der eine oder andere unserer Partner auf dem Balkan etwas zu einfach macht, wenn er auf die Hoffnungen und Perspektiven der Integration und die euro-atlantischen Strukturen verweist. Das kann es nicht sein. Das ist ein Verweis auf die ferne Zukunft. Die Zwischenschritte, die regionalen Komponenten und die Selbstverantwortung für die Gestaltung der politischen Zukunft in der eigenen Region, müssen angemahnt werden. Ein Wort zum Stabilitätspakt. Ich habe bei letzter Gelegenheit für unsere Fraktion deutlich gemacht, dass wir diesen Pakt im Prinzip unterstützen. Auch unser zweiter, unser großer Antrag zum Stabilitätspakt sagt in seinem ersten Satz: Wir fordern, „auf eine zügige Umsetzung und Verwirklichung der Ziele ... hinzuwirken“. Schon damals habe ich aber die Befürchtung geäußert, dass sich aus einem sehr losen Konzept heraus eine klare Strategie, eine Perspektive noch nicht entwickelt haben, dass das aber notwendig ist, um in überschaubarer und auch für uns vertretbarer Zeit zu Perspektiven zu gelangen. Das mahnen wir an. Was heißt das? Wir verlangen - Karl Lamers forderte einen rechtlichen Rahmen für den Stabilitätspakt -, dass man erkennt, dass Quick-Start-Projekte, wie schnell oder langsam und von wem auch immer sie auf den Weg gebracht werden, nicht ausreichen und dass aus der Brüsseler Konferenz, die - es sei allen gedankt - im Augenblick zu einem Erfolg geworden ist, noch keine Stabilität für den Kosovo oder den Balkan erwächst. Das heißt, dass wir beispielsweise auch Fragen hinsichtlich der Verteilung der Geldzusagen stellen müssen. Mir fällt auf, dass führende Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit ihren Zusagen weitaus zurückhaltender gewesen sind als wir. In Frankreich war es ein Drittel, in Großbritannien noch weniger. Hoch achtenswert sind die Holländer. Wenn das eine rein fiskalische, budgetäre Angelegenheit wäre, müsste man auch darüber reden. Wenn sich dahinter aber politische Distanz zu einem nicht vorhandenen Konzept verbirgt, dann besteht die Notwendigkeit, zu handeln und zu sprechen. Nicht mehr und nicht weniger mahnen wir an. Ich empfehle denjenigen, die in der Verantwortung stehen, es sich nicht zu leicht zu machen und nicht so zu tun, als ob ein bloßes Weiter-so reichen würde. Die Verdienste derer, die dort tätig sind, die der Beamten, der Polizisten, der Soldaten, der Politiker und der vielen Nichtregierungsorganisationen, werden sehr geschätzt. Nur, sie allein werden keine Lösung für den Balkan schaffen. Die Prozesshaftigkeit der dortigen Entwicklung könnte uns auf einen sehr langen Zeitraum verweisen, wenn wir uns jetzt nicht hinsetzen, eine Zwischenbilanz ziehen und versuchen, möglicherweise Remedur zu schaffen, damit uns der Friedensprozess nicht aus den Händen gleitet und von unserer Bevölkerung nicht mehr mitgetragen wird, bevor er ein wahrer Friedensprozess geworden ist. Für diejenigen Menschen, die sich dort aufhalten, entstehen hohe Belastungen. Wir haben hohe Belastungen im finanziellen Bereich und im politischen Bereich. Je länger diese Belastungen andauern, desto sorgfältiger müssen sie begründet werden und desto deutlicher muss Christian Schmidt ({1}) gemacht werden, dass es kurzfristig keine Alternativen gibt. Wir sind der Meinung, dass es mittelfristig Alternativen gibt. Über diese Fragen sollten wir sprechen. Das ist unsere Forderung an die Regierung. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Bundesminister des Inneren, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! An sich hatte ich nicht vor, mich an dieser Debatte zu beteiligen. Aber die Kollegin Beer hat einige Sätze an mich gerichtet, die eines Kommentars bedürfen. Frau Kollegin Beer, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich mit dem Vertreter der UNMIK, mit Herrn Bernard Kouchner, ein Memorandum of Understanding abgeschlossen habe, in dem vorgesehen ist, dass wir während der Wintermonate nur in sehr begrenztem Umfange Rückführungen vornehmen, dass aber ab dem Frühjahr eine Rückführung in größerem Umfang stattzufinden hat. Rückführung heißt, dass wir die Ausreisepflicht nicht in das Belieben des Einzelnen stellen. Vielleicht sind Ihnen die entsprechenden Zahlen nicht geläufig: ({0}) Frau Kollegin Beer, in den Wintermonaten sind - dies war sogar für mich eine überraschende Zahl; ich habe sie anlässlich eines zusammen mit dem Kollegen Fischer in Pristina gemachten Besuches erfahren - über 100 000 Kosovo-Albaner in den Kosovo zurückgekehrt. Wenn jetzt einige 100 Menschen aus Deutschland zurückgeführt worden sind, dann kann man das, wie ich finde, nicht auf Basis der humanitären Gesichtspunkte, die Sie meinten, in diese Debatte einführen zu müssen, einer Kritik unterziehen. Die deutsche Bevölkerung hat die Bereitschaft unter Beweis gestellt, in Krisensituationen in großzügiger Weise Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Im Falle Bosniens haben wir 320 000 Flüchtlinge aufgenommen. Aus dem Kosovo sind angesichts der Bedingungen, die dort geherrscht haben, wahrscheinlich wenn ich alle diesbezüglichen Zahlen zusammenrechne über 200 000 Menschen zu uns gekommen. Diese Bereitschaft kann nur aufrechterhalten werden, wenn der Aufenthalt dieser Flüchtlinge mit einer bestimmten Frist versehen ist, also auf Zeit gedacht ist. Angesichts dessen kann es nicht im Belieben derjenigen, die hier Zuflucht erhalten haben, liegen, ob sie zurückkehren wollen oder nicht. Deshalbbitte ichSiewirklichumVerständnisdafür,dass ich im Einvernehmen mit allen Länderinnenministern einschließlich der Länderinnenminister aus rot-grünen Regierungen - bei dem Verfahren bleibe, auf eine Rückkehr zu setzen, die zwar in erster Linie auf Freiwilligkeit beruht - wir haben deshalb ein Transitabkommen abgeschlossen, das den Landweg eröffnet -, die aber zur Förderung der Heimkehr durchaus auch zwangsweise erfolgen kann und auch praktiziert wird. Ich bitte Sie also wirklich um Verständnis. Ich glaube nicht, dass dieses Vorgehen in irgendeiner Weise mit humanitären Prinzipien kollidiert. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Bundesminister, Kollege Schwarz-Schilling wollte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie die?

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Bitte schön.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich, dass Sie diese Frage noch entgegennehmen. Soll ich diesen Ausführungen entnehmen, dass Sie die in früheren Innenministerkonferenzen festgelegten Parameter, dass bei bestimmten Gruppen, bei Traumatisierten, bei Lagerhäftlingen, bei Deserteuren, bei Ehepartnern, die unterschiedlichen Ethnien angehören und nicht wissen, wo sie leben können, eine entsprechend sensible Behandlung und - so möchte ich formulieren - Beurteilung des Einzelfalls vorgenommen werden, nicht mehr beachten? Ich stelle mehr und mehr fest, dass über die Ausländerämter - in meinem Kreis, aber auch in anderen; ich habe ja die Unterlagen - ganz pauschal alle zur Ausreise aufgefordert werden und von einer sensiblen Behandlung dieser Sondergruppen heute keine Rede mehr sein kann. ({0}) Da Sie dies gar nicht ansprechen, möchte ich Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen und zu sagen, ob das die Politik der Länderminister und der Bundesregierung ist.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Kollege Dr. Schwarz-Schilling, das trifft nicht zu. Wir haben vereinbart, dass bei bestimmten Gruppen die Rückführung bzw. Rückkehr zurückgestellt wird. Das trifft für die Serben und die Roma aus dem Kosovo, aber auch für andere Kategorien zu. Für Kosovo-Albaner aber gilt das nicht, zumindest nicht generell. Im Einzelfall gibt es, wie Sie wissen, die Möglichkeit des Rechtsverfahrens und die Entscheidungskriterien. Ich wehre mich nur dagegen, wenn gesagt wird, die Rückkehr müsse auf freiwilliger Grundlage stattfinden. Das werden Sie sicher verstehen. Ich kenne Sie, Herr Kollege Dr. Schwarz-Schilling, aus Gesprächen, die wir über einen langen Zeitraum geführt haben, gut genug, um zu wissen, dass Sie das auch nicht infrage stellen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Angelika Beer das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Innenminister, es ist mir durchaus bekannt, welche Abkommen Sie abgeschlossen haben. Und Ihnen wird bekannt sein, dass ich an der Form, wie diese Abkommen abgeschlossen wurden, Kritik geübt habe. Ihre gerade vorgetragenen Ausführungen halte ich aufgrund der Begebenheiten in den Kommunen und den Verfahren seitens der Ausländerbehörden für äußerst widersprüchlich. Es wäre sicherlich angebracht, wenn Sie sich auch mit den Landesinnenministern ins Benehmen setzen würden. Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, wirklich ernst meinen - daran will ich grundsätzlich gar nicht zweifeln -, ist mir rätselhaft, warum Sie dem Vorschlag solch einen Widerstand entgegenbringen, eine geordnete Rückkehr zu garantieren, indem das Amt eines Rückkehrbeauftragten eingerichtet wird, damit sich die Fehler, die im Zusammenhang mit Bosnien gemacht worden sind, nicht wiederholen. Ich setze mich für die Einsetzung eines Beauftragten für eine geordnete und freiwillige Rückkehr ein, weil ich oft, wenn auch vielleicht nicht so häufig wie Sie, im Kosovo war, und zwar nicht nur in Prizren und in Pristina, und die Situation vor Ort kenne. Sollte es jetzt zu einer ungeordneten Rückkehr der Menschen kommen, bestünde eher die Gefahr einer Destabilisierung des Friedensprozesses. Dies ist für Sie vielleicht aus national verständlichen Gründen politisch vertretbar. Für mich aber ist dies in Verbindung mit den Gründen für den Kriegseinsatz im Kosovo, der Aufnahme der Flüchtlinge und der Verantwortung, sie vorsichtig zurückzubringen, unvereinbar.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Bundesminister, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar von der Kollegin Marieluise Beck. Ich schlage vor, dass Sie im Anschluss daran auf beide Kurzinterventionen antworten.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich stimme Ihnen zu, dass die großzügige Aufnahme sowohl der Bosnier als auch vieler Kosovo-Albaner in Deutschland gerade durch die Bevölkerung ein wirklich gutes Kapitel unserer Geschichte ist und dass klar sein muss, dass es sich dabei um einen temporären Schutz handelt. Das ist die Grundlage für die Aufnahme von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Es geht also nicht um die Frage, ob eine Rückkehr stattfindet, sondern darum, wie und unter welchen Bedingungen zurückgekehrt wird. Und darüber müssen wir uns unterhalten. Wir haben in Deutschland noch schätzungsweise 160 000 bis 180 000 Kosovo-Albaner, die seit 1990 eingereist sind. Die Caritas-Einrichtungen in Prizren haben aufgrund ihrer Erfahrungen vor Ort vor einigen Tagen zur Kenntnis gegeben, dass nach ihrer Einschätzung die Ressourcen und die Aufnahmekapazitäten im Kosovo im Augenblick fast erschöpft sind. Der UNHCR schätzt die Situation vor Ort ähnlich ein. Es wird zwar aufgrund des Verhaltens und der Tradition der kosovo-albanischen Familien immer noch eine Möglichkeit gesucht, die Zurückkehrenden in den Familienverbänden aufzunehmen, aber der Wiederaufbau der Häuser geht sehr viel langsamer voran, als es erwartet worden war. Wir müssen uns der Frage stellen, ob wir Menschen in eine Region schicken wollen, wo sie kein Dach über dem Kopf haben und wo die sowieso schon sehr angespannte und belastete Situation noch verschärft wird. Deswegen ist auch von meiner Seite der Vorschlag in die Debatte gebracht worden, über eine stufenweise Rückführung nachzudenken. Nach meiner Beobachtung fehlt es den Ausländerbehörden an der Möglichkeit, zu überblicken, mit wem sie es zu tun haben. Woher kommt der Mensch, dessen Duldung ausläuft? Kommt der aus einem Minderheitengebiet? Ist er ein Aschkali? Ist er ein Roma? Hat er ein Zuhause oder gibt es für ihn im Moment keine Rückkehrmöglichkeit? Deswegen möchte ich noch einmal nachdrücklich den Vorschlag vortragen, darüber nachzudenken, ob wir nicht eine Schaltstelle einrichten sollten, wo die Informationen, die aus dem Kosovo nach Deutschland gebracht werden, gesammelt werden, damit sie von den Behörden, die die Entscheidungen fällen, abgerufen werden können. Wenn wir die Grundsatzentscheidung der Landesinnenminister, die im Augenblick noch besteht, nach der die Rückführung im Jahr 2000 weitgehend abgeschlossen sein soll, ohne Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort tatsächlich umsetzen würden, so wäre das sehr problematisch. Der UNHCR und die Organisationen vor Ort - übrigens auch KFOR - sollten diejenigen sein, an deren Aussagen wir uns bei der Rückführung orientieren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Bundesminister Schily, bitte.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Kollegin Beck, wenn Sie mir empfehlen, mich an den Aussagen der KFOR zu orientieren, dann will ich sagen, dass der frühere Oberbefehlshaber der KFOR, General Jackson, mir gegenüber noch zu seiner Amtszeit erklärt hat, es seien 800 000 Menschen aus den benachbarten Gebieten, also aus Albanien und Mazedonien, gekommen. Er sehe daher keine Schwierigkeiten, wenn noch weitere 100 000 zurückkehren würden. Die Entwicklung hat ihm Recht gegeben. Ich will jetzt niemanden zitieren, aber ich kann mich noch gut erinnern, was im Herbst gesagt worden ist, nämlich dass keiner oder so gut wie keiner zurückkehren könne. Das waren die gleichen Argumente, die Sie jetzt benutzen. Die Zahlen habe ich Ihnen eben genannt: In den Wintermonaten sind über 100 000 Menschen - auch aus Westeuropa und übrigens ein Teil auch aus Deutschland - zurückgekehrt. Es ist auch nicht richtig, wenn Sie behaupten, dass der UNHCR grundsätzlich dagegen sei. Es gab zwar Äußerungen, die in der Presse verbreitet worden sind. Herr Wetterwald, mit dem ich gerade heute gesprochen habe, hat mir berichtet, dass sich der Sprecher des UNHCR für diese Äußerungen entschuldigt habe, er sei falsch zitiert worden. Herr McNamara, der in der UN-MIK-Verwaltung tätig ist und vom UNHCR kommt, hat vor wenigen Tagen bestätigt: Wenn aus Deutschland und aus der Schweiz in diesem Jahr 100 000 Menschen zurückkehren würden, sei das verkraftbar. Die Innenminister haben sich die Zahl von 180 000 Menschen zum Ziel gesetzt. Ob dieses Ziel ganz erreicht wird, kann man infrage stellen. Das will ich auch gar nicht dogmatisch diskutieren. Sie haben den Vorschlag eines Rückkehrbeauftragten gemacht. Diese Idee haben wir schon zu einem früheren Zeitpunkt - als Sie den Vorschlag noch gar nicht gemacht hatten - im Kreise der Innenminister erörtert. Ich habe dabei auch den Rat von Hans Koschnick gesucht, der über Erfahrung auf dem Balkan verfügt. Sie werden verstehen, dass ich seiner Sachkunde sehr vertraue. Als ich vor wenigen Tagen mit ihm zusammengetroffen bin, habe ich mir von ihm noch einmal bestätigen lassen, dass er einen Rückkehrbeauftragten für den Kosovo nicht empfiehlt. Wir haben heute etwas über Institutionenwirrwarr gehört. Wir haben ja eine Vertretung in Pristina. Ich habe mit dem Kollegen Fischer vereinbart, dass wir auch vom Innenministerium dort einen Mitarbeiter postieren können. An Informationen über das Gebiet fehlt es nun wahrlich nicht. Wenn Sie irgendwo Beschwernisse haben - das biete ich auch Herrn Dr. Schwarz-Schilling an -, dann kann man das korrigieren. Ich kann natürlich nicht ganz ausschließen, dass an der einen oder anderen Stelle etwas falsch gelaufen ist; dafür bin ich aber nicht unmittelbar verantwortlich. Mir geht es nur um die grundsätzliche Frage, ob wir zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt sagen: Ab Frühjahr ist eine Rückkehr möglich und wir verleihen der auch Nachdruck. Wenn jemand dazu sagt, das sei eine Destabilisierung der Region, dann finde ich das einen ziemlich unglaublichen Vorwurf; das muss ich ganz deutlich zum Ausdruck bringen. Ich jedenfalls halte diese Rückkehr für notwendig, auch im Interesse des Aufbaus des Landes. Daran sollten sich auch die Kosovo-Albaner, denen wir lange genug hier Zuflucht gewährt haben, beteiligen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner der Debatte ist der Kollege Dr. Helmut Lippelt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, wir überlassen das natürlich Ihrem Feingefühl; Sie werden das selber wissen. Ich möchte aber eines zu bedenken geben: Die Rückkehr dieser rund 800 000 Menschen ist eine Riesenleistung gewesen. Diese Rückkehrer wussten aber, wohin sie wollten, weil sie ihre Häuser aufbauen wollten. Es ist eine Riesenleistung gewesen, dass dazu aus Deutschland und aus dem Ausland weitere 100 000 kamen. Die wussten aber alle, was sie aufbauen wollten. Es ist eine große Leistung gewesen, dass die alle über den Winter gekommen sind; vorher haben wir große Angst davor gehabt, dass sie es nicht schaffen würden. Jetzt sind wir aber in einer Situation, die ich vor dem Hintergrund dessen beschreiben möchte, was beispielsweise Herr Lamers anführt. Er sagt: Die können nicht miteinander leben, sie bringen sich um usw. Ich glaube, der Mechanismus der Vertreibung ist zu wenig klar. Wenn man die Berichte, die in den Lagern und von den OSZE-Beobachtern gesammelt worden sind, nachliest, stößt man auf eines: Es war geradezu kennzeichnend, dass die Morde vor der ganzen Familie, vor den Kindern begangen wurden. 70 Prozent der kosovo-albanischen Jugendlichen sind noch traumatisiert. Deshalb ist es schwierig, das Zusammenleben wieder möglich zu machen. Das ist der Grund, weshalb wir für Zeit kämpfen. Herr Lamers will schnell eine ethnische Separierung, damit es dort friedlich wird, und auf der anderen Seite wollen wir die restlichen 100 000 Menschen wieder dorthin zurückschicken. Ich bestreite das Recht überhaupt nicht. Ich bitte nur, es so zu handhaben, dass es nicht auf Kosten der letzten Serben geht, die noch da sind. Denn im Gegensatz zu den ersten 100 000 wollen diese 100 000 nicht dringend nach Hause, weil sie noch gar nicht wissen, wo das sein wird. Ich bitte darum, einfach vorsichtig zu sein. Ich komme zurück zum Hauptthema. Wir haben als Bilanz vorhin festgestellt, dass jetzt Legenden blühen. Wir alle haben uns unsere Entscheidung sehr schwer gemacht haben, wir alle haben Unsicherheiten gehabt und mit diesen Unsicherheiten umgehen müssen, und jetzt kommen Schnellschüsse, die methodisch nicht abgesichert sind. Da über den Hufeisenplan heute in der Fragestunde und auch sonst schon genug geredet worden ist, mache ich nur eine Bemerkung: Racak. Wir alle konnten den Report des finnischen Expertenteams, der Ärzte, der Gerichtsmediziner, sehr schnell lesen. Trotzdem gab es einen bekannten Herren, der ihn absolut nicht lesen konnte. Was stand in dem Bericht? In dem Bericht stand - in fachtechnischer Terminologie geschrieben -, mit welchen Methoden untersucht wurde, nämlich mit besseren als Parafintests; keine Schmauchspuren. Es handelte sich also nicht um Kombattanten. Die Kleidung ist untersucht worden: keine Manipulation der Kleidung. Es wurde die bäuerliche Bevölkerung, nicht etwa Kombattanten, umgebracht. Dann enthält der Bericht folgende Bemerkung: ({0}) - Bitte, besorgen Sie sich doch das Gutachten; dann müssen Sie lesen lernen. - Ob es sich um Massenmord handelt, können wir als Mediziner nicht beurteilen. Dies ist eine politische Bewertung. Alle, die sich jetzt auf diesen Satz stürzen, bauen Legenden. Ich wollte mich nur zu diesem Detail äußern; alle anderen können wir überspringen. Das Problem, vor dem wir stehen werden, ist ein ganz anderes. Natürlich hat das militärische Vorgehen der NATO im Kosovo, mit dem wir einer Massenvertreibung in den Arm gefallen sind, die Gewaltschwelle noch einmal gesenkt. Das eigentliche Problem ist die Frage: Wie bekommen wir die entfesselte Gewalt, die jetzt an anderen Orten explodiert, wieder in den Griff? Das Problem ist nicht das Rechthaben-Wollen all derer, die zu keiner historischen Betrachtung in der Lage sind, die Pseudohistoriker sind und die sich aus lauter Rechthaberei daran hochziehen. Weil meine Redezeit abläuft, komme ich zu meiner letzten Bemerkung: An einem Punkt hat Herr Lamers einen gravierenden Fehler gemacht, der mir sehr aufgefalBundesminister Otto Schily len ist. Sie haben gesagt, Kroaten beispielsweise wollten nicht mit Serben zusammenleben, und deshalb ließen sie die Krajinaserben nicht zurückkommen. Hätte Herr Lamers - ich sehe ihn gerade nicht - doch die Ergebnisse der verschiedenen Stabilitätsprojekte, die jetzt abgesegnet sind, genau gelesen! Sie waren ein großer Erfolg. Auch der deutsche Anteil daran war hervorragend. Hätte er sich diese Projekte angesehen, dann wüsste er, dass eine wesentliche Maßnahme ein Rückkehrprojekt für die kroatischen Serben, also für die Krajinaserben, ist. Wenn man den enormen Durchbruch in der Demokratie sieht, der mit den Wahlen in Kroatien geschehen ist, und wenn man den kroatischen Ministerpräsidenten hier erlebt hat, dann weiß man, dass ein Fortschritt zu einem kooperativen Zusammengehen besteht. Vor dem Hintergrund dessen, was ich einleitend gesagt habe, nämlich einer Generation traumatisierter junger Leute im Kosovo, brauchen wir Zeit. Zweifellos gibt es weniger Morde. Trotzdem brauchen wir auch Führungspersönlichkeiten im Kosovo. Vor drei Wochen in der Stadt Gilani ist ein sehr anerkannter serbischer Arzt von jungen Leuten ermordet worden. Dieser hatte immer auch Kosovo-Albaner behandelt und war über alle Grenzen hinweg anerkannt. Das eigentlich Traurige ist, dass weder Herr Thaci noch Herr Rugova zu seiner Beisetzung gekommen waren. Meine Damen und Herren, ich möchte der letzten Rednerin nicht ihre Redezeit wegnehmen. Wir brauchen Zeit. Wir müssen um diese Zeit kämpfen. Wir müssen gegen falsche Vorstellungen ethnischer Separierung kämpfen, weil sich vom Norden, von Kroatien her zeigt, dass es wieder geht. Wir müssen nun noch zehn Jahre durchhalten. Wäre der Status Deutschlands im Jahre 1946 festgelegt worden, hätte es nie eine Wiedervereinigung gegeben. Auch dies muss gesehen werden. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die Fraktion der CDU/CSU.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr nach dem militärischen Eingreifen im Kosovo besteht heute Gott sei Dank nicht nur Anlass, zurückzuschauen und Legendenbildungen aufzuarbeiten, sondern auch das erfreuliche Ergebnis der internationalen Geberkonferenz der vergangenen Woche in den Blick zu nehmen. Der Stabilitätspakt Südosteuropa nimmt endlich Gestalt an. Allerdings hat es lange genug gedauert. Von Schnellstartprojekten zu sprechen ist wirklich etwas übertrieben. Dieser Stabilitätspakt kommt mit erheblichen Ladehemmungen in Gang. Aber er kommt in Gang. Umso mehr ist zu hoffen, dass nun auch eine schnelle Umsetzung erfolgt. ({0}) Betrachtet man die Finanzbeiträge, muss man sich allerdings fragen: Ist der Stabilitätspakt eigentlich vorrangig eine Angelegenheit der Deutschen und vielleicht noch der Holländer? Wo bleibt der angemessene Beitrag Frankreichs und Großbritanniens? ({1}) Der Kollege Schmidt hat schon gefragt: Wird hier eventuell auch noch politische Distanz zu dem Gesamtvorhaben des Stabilitätspakts deutlich? Deutschland hat eine beachtliche und erfreuliche Leistung bei der Aufnahme von Flüchtlingen erbracht. Wir haben mit großem Interesse den koalitionsinternen Zwist, der hier zum Thema „Rückkehr der Flüchtlinge“ ausgetragen wird, zur Kenntnis genommen. Aber gerade diese großartige Leistung Deutschlands rechtfertigt, dass wir nun auch von unseren europäischen Partnern erwarten, dass sie zum Stabilitätspakt ebenso hohe Beiträge leisten wie die Deutschen. ({2}) Pflichtgemäß hat der Herr Bundesaußenminister die Arbeit des EU-Sonderkoordinators Bodo Hombach gelobt. Nun ist in der Tat das, was in der vergangenen Woche an finanziellen Zusagen zusammengekommen ist, beachtlich und lobenswert. Das wollen wir auch seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstreichen. Aber wenn man genau hinschaut, Herr Bundesaußenminister, erkennt man, dass die Arbeit des Koordinators bisher offensichtlich vorwiegend aus dem Sammeln von Projekten bestehender Organisationen, zum Beispiel der Europäischen Entwicklungsbank und der Südosteuropabank, sowie von Projekten einzelner staatlicher Geber bestand. So etwas wie eigenständige Akzentsetzung sucht man vergebens. Deshalb frage ich mich: War es wirklich notwendig, einen teuren EU-Sonderkoordinator hierfür einzusetzen? Dass der für den Tisch 2 des Stabilitätspakts - wirtschaftlicher Wiederaufbau, Entwicklung und Zusammenarbeit - zuständige Mann den Stab von Bodo Hombach just in dem Moment verlässt, in dem die Projekte gestartet werden sollen, ist auch kein besonders positives Zeichen. Im Vordergrund der öffentlichen Berichterstattung stehen die großen grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekte in Südosteuropa. Ich finde, das darf den Blick dafür nicht trüben, was für eine nachhaltige und sich selbst tragende Entwicklung der Länder Südosteuropas wichtig ist, nämlich der Aufbau einer eigenen Industrieproduktion, der Landwirtschaft, die Verwirklichung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte. Eine ganz besondere Bedeutung haben Maßnahmen, die zum Aufbau demokratischer Strukturen und Verwaltungen beitragen. Die Entwicklung der Länder Südosteuropas wird zudem vorangetrieben und unterstützt durch den Aufbau einer starken Zivilgesellschaft. Deswegen sind für uns die vorliegenden Projektvorschläge der staatlichen technischen Zusammenarbeit, der politischen Stiftungen, der Kirchen und der Nichtregierungsorganisationen sowie deren einheimischer Partner von besonderer Wichtigkeit und Bedeutung. Deswegen erwarten wir, dass die 300 Millionen DM, die die Bundesrepublik nun jedes Jahr für die Südosteuropahilfe zur Verfügung stellt, schwerpunktmäßig in diesem Bereich zum Einsatz kommen. Die Mittel, die wir jetzt investieren, werden jedoch nur dann eine erfolgreiche Entwicklung befördern, wenn auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Herr Bundesaußenminister, Sie haben schon mit Blick auf die Rede von Herrn Lamers hinsichtlich der Entwicklungen gewarnt. Aber ich muss feststellen, dass es zwei Fragen gibt, die auch nach Ihrer Regierungserklärung noch offen sind, so die Frage nach der Zukunft des Kosovo und die Frage nach der Zukunft der Bundesrepublik Jugoslawien. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit ihrem Initiativantrag nichts anderes erreichen, als dass sich die Bundesregierung zu diesen offenen Fragen positioniert. Denn offene Fragen bedeuten Unsicherheit, Instabilität und neues Konfliktpotenzial. Deshalb muss der Stabilitätspakt schnell eine dauerhafte staatliche Ordnung befördern, auf die sein Erfolg im Interesse der Menschen angewiesen ist. Vielen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Diskussion habe ich bei vielen Rednern und Rednerinnen die Sorge über fortbestehende Konflikte, über weitere ethnische Spannungen und Auseinandersetzungen gespürt. Dies ist sicherlich eine berechtigte Sorge. Aber ich möchte an dieser Stelle auch eine Lanze für die Hoffnung brechen. Die Hoffnung ist bei der Geberkonferenz zum Stabilitätspakt in der letzten Woche in Brüssel sehr deutlich geworden. ({0}) Die Hoffnung ist berechtigt, dass die Länder in der Region Südosteuropa enger kooperieren. Dass sie dies tun, ist bereits im Vorfeld dieser Konferenz erkennbar gewesen. Auch die internationale Gemeinschaft beteiligt sich; das gilt sowohl für die internationalen Finanzierungsorganisationen als auch für eine große Zahl der Mitgliedsländer der EU. Viele Industrieländer haben sich zur Mitfinanzierung bereit erklärt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist natürlich klar: Die Sicherung des Friedens ist ein sehr viel mühsamerer Prozess als der, der hinter uns liegt. Von daher müssen wir der Entwicklung, die jetzt ansteht, unsere volle Unterstützung geben. Dabei müssen wir auch die positiven Elemente darstellen; denn die Länder der Region werden sich der europäischen Erfahrung nicht verschließen können, dass, wer miteinander kooperiert, nicht aufeinander schießt. ({1}) Diese gemeinsame europäische Erfahrung muss und wird für die Zukunft die prägende Erfahrung sein. Deshalb bitte ich darum, kleinliche Elemente beiseite zu lassen und sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren. Die Geberkonferenz für den Stabilitätspakt war ein voller Erfolg, was die Zukunft der Region angeht. ({2}) Insgesamt haben die bilateralen Geber und die EUKommission allein für das Jahr 2000 3,4 Milliarden Euro für Südosteuropa zugesagt. Deutschland finanziert 6,4 Prozent dieser Summe und ist damit nach den USA, deren Finanzierungsanteil 18,5 Prozent beträgt, zweitgrößter Geber. Dabei umfassen die Leistungen der Bundesrepublik für das Jahr 2000 Sondermittel für den Stabilitätspakt in Höhe von 300 Millionen DM, Mittel aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von 100 Millionen DM sowie einen ungebundenen Finanzkredit für Montenegro in Höhe von 40 Millionen DM. Natürlich könnte der eine oder andere noch mehr tun Herr Kollege Weiß hat es heute Mittag schon angesprochen -; aber die Geberkonferenz allein hat schon dazu beigetragen, dass sich manche Länder, unter anderem Frankreich, stärker beteiligen. Ich appelliere an alle beteiligten Staaten, ihre Finanzierung weiter aufzustocken und dadurch zu helfen, dass die Programme, die jetzt schnell umgesetzt werden müssen, auch ein Erfolg für die Menschen in dieser Region werden. ({3}) Im Übrigen haben die südosteuropäischen Staaten auf der Finanzierungskonferenz deutlich gemacht, dass sie jetzt schon -das ist ein Erfolg des bereits laufenden Stabilitätspaktes - die Reformen im Bereich der Korruptionsbekämpfung, bei der Förderung der Privatwirtschaft, beim Abbau von Handelshemmnissen, aber auch bei der Verbesserung der Menschenrechte und beim Ausbau und bei der Stützung freier Medien mit Nachdruck verfolgen. Mit diesen Beispielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die die Finanzierung des Stabilitätspaktes und das ernsthafte Engagement der südosteuropäischen Länder infrage gestellt haben. In diesem Zusammenhang hebe ich ausdrücklich hervor - Herr Kollege Weiß hat es ebenfalls angesprochen -, welche Arbeit der Sonderkoordinator Bodo Hombach leistet. Ohne seine Arbeit und ohne sein Engagement wäre diese Konferenz nicht solch ein Erfolg gewesen. Deshalb an dieser Stelle ihm und seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein Dankeschön für das, was sie an Arbeit geleistet haben und noch leisten werden. ({4}) Welche Projekte unterstützen wir und welche liegen uns ganz besonders am Herzen? Es sind die länderübergreifenden Projekte, weil sie die regionale Kooperation fördern: Hier geht es um den Bau einer Straße zwischen Kosovo und Montenegro, um grenzübergreifende Energieversorgung, zum Beispiel zwischen Mazedonien und Bulgarien. Das alles stärkt die Stabilität und den Zusammenhalt in der Region und ist ein Schritt in Richtung auf diese europäische Entwicklung. Peter Weis ({5}) Ein besonderes Anliegen ist mir der Bau der Donaubrücke bei Novi Sad; das habe ich auf der Geberkonferenz für die Bundesregierung deutlich gemacht. Wir stellen dazu von unserer Seite aus 4 Millionen DM zur Verfügung und bitten andere Partnerländer und internationale Geber, sich daran zu beteiligen. Ich weiß, dass dies bei dem einen oder anderen kontrovers gesehen wird. Es geht aber um den Wiederaufbau der Infrastruktur, es geht um ein Zeichen der Solidarität mit der demokratischen serbischen Opposition und mit der Stadt Novi Sad. Deshalb sollten wir alles tun, was diese demokratische serbische Opposition unterstützt. ({6}) Diese Unterstützung ist auch ein Wunsch der Region. Die Länder der Region wissen, dass ohne die Räumung der Donau die Verkehrsinfrastruktur nicht funktionieren kann. Deshalb sind wir - auch wenn das ein anderes Land anders sehen mag - der Überzeugung, dass dies ein wichtiger Test für unsere Solidarität ist. Über folgenden Punkt ist heute viel diskutiert worden, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass manche von Ihnen davon sprechen wie der Blinde von der Farbe ({7}) - das ist so -: Im Rahmen des Stabilitätspaktes sind Programme verabschiedet worden und werden finanziert, die an die Wurzeln der Konflikte gehen. Hierzu zählt das von uns vorgeschlagene „Netzwerk der Versöhnung“ für die Region, das die Arbeit mit verschiedenen ethnischen Gruppen und Flüchtlingen beinhaltet. Insofern gibt es Zeichen der Hoffnung und der Perspektive. Weiter geht es darum, freie Journalisten, die sich nicht bestimmten nationalistischen oder ethnischen Sichtweisen unterordnen, zu unterstützen. Wir fördern zum Beispiel die Ausbildung von unabhängigen Journalisten im Rahmen der Balkan Media Academy und tragen insofern mit dazu bei, dass unabhängige Berichterstattung in der Region möglich wird. Wir haben es heute Nachmittag immer wieder angesprochen: Eine der großen Schwierigkeiten ist, dass Serbien aus der regionalen Kooperation herausfällt. Alle Teilnehmer an der Geberkonferenz haben deutlich gemacht: Nur mit einem demokratischen Serbien, das Teil der auf Frieden setzenden Staatengemeinschaft ist, das sich also zu den Zielen des Stabilitätspaktes bekennt, wird es eine wirkliche Chance geben, dass die Völker und Nationen in der Region in Frieden miteinander leben. Wir müssen für Serbien einen Stuhl freihalten, wenn es sich endlich zu einem demokratischen Kurswechsel durchringt. So lange werden wir in Serbien nur dort mit humanitären Hilfsmaßnahmen und Projekten präsent sein, wo wir die demokratische Opposition stärken können. ({8}) Das gilt im Übrigen auch für Montenegro, das wir in diesem Jahr mit Barmitteln in Höhe von rund 5,4 Millionen DM unterstützen. Da heute die Diskussion über Flüchtlingsfragen eine Rolle gespielt hat, möchte ich auch hier eine Perspektive der Hoffnung aufzeigen: Der kroatische Außenminister hat auf der Geberkonferenz ausdrücklich deutlich gemacht, dass es im Interesse seiner Regierung liegt und dass sie dazu bereit ist, serbisch-kroatische Flüchtlinge nach Kroatien zurückkehren zu lassen. Damit wurde ein Signal gesetzt, dass sich in Bezug auf die Situation der Flüchtlinge in der Region einiges ändern kann. Ich möchte deshalb daran erinnern: Die Rückkehr von Flüchtlingen ist auch eine Frage der Versorgung mit Wohnungen und Arbeitsplätzen vor Ort. Die Rückkehr von Flüchtlingen ist ein wichtiges Thema bei der Geberkonferenz. Im Rahmen der Projekte sind viele dieser Zusagen für die Hilfe zur Rückkehr von Flüchtlingen gemacht worden. Inhaltlich geht es um den Aufbau der Zivilgesellschaft, um die Förderung einer guten Regierungsführung, um Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene, um die Aufarbeitung von Traumen, um Versöhnung sowie um den Aufbau von Infrastruktur und Arbeitsplätzen. Am Anfang dieses Jahrhunderts sollten die Länder in der Region und die Teilnehmer an der Konferenz ein Zeichen dafür setzen, dass die Kriege des letzten Jahrtausends hinter uns liegen. In dieser Perspektive der friedlichen Versöhnung bin ich dafür, dass wir die Probleme anpacken und uns nicht in einen Streit untereinander verzetteln. Wir müssen das unterstützen, was die Menschen vor Ort leisten müssen. Das ist unsere Aufgabe. Auch uns haben in schwierigen Situationen andere geholfen. Lassen Sie uns diesen Beitrag leisten, dann haben die Menschen in Südosteuropa eine Chance. Ich danke Ihnen sehr. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Ursula Heinen.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollen den Menschen auf dem Balkan helfen. Wir wollen ihnen in Bosnien, Kroatien, im Kosovo, in Montenegro und selbstverständlich auch in Serbien helfen. Aber wie sieht unsere Hilfe aus? Ist unsere Hilfe wirklich effizient? Die Entwicklungshilfeministerin hat gerade von einzelnen Projekten gesprochen. Die Kollegen aus dem Haushaltsausschuss haben gerade gesagt, sie dankten es ihr, endlich einmal ein bisschen darüber erfahren zu haben, was hinter den Hilfsprogrammen steckt. Ich muss mich noch einmal fragen, ob die Mittel tatsächlich effizient verwendet werden. Es sind viele Länder und viele internationale Organisationen vor Ort. Doch manchmal - so erscheint es - sind ein bisschen zu viele unterwegs. Insgesamt gibt es in der Region 300 private Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen. Dazu kommen als offizielle Stellen die KFOR und SFOR als militärische Institutionen, die UNMIK als zivile Institution, die OSZE, die EU, die Europäische Wiederaufbauagentur, die Amerikaner mit Sonderbeauftragten und USAID, der Hohe Repräsentant, der Royaumant-Prozess und viele andere. Bundesministerin Heidemarie Wiczorek-Zeul Allein in Bosnien sind zurzeit etwa 50 000 Internationale tätig - Soldaten und Zivilisten. Damit kommt auf 80 Einwohner ein Helfer. Wir können davon ausgehen, dass alle eine großartige Arbeit leisten. Der Cap-AnamurGründer Rupert Neudeck, der gerade auch im Kosovo unbürokratische und schnelle Hilfe leistet, hat jüngst in einem Interview die tatsächliche Situation beschrieben: Wenn wir uns an die Programme der UNO halten würden, hätten wir den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als von einem Treffen zum anderen zu laufen: Es gibt Food-Meetings für Ernährung, Non-Food-Meetings für Kleidung, Treffen für die Sicherheit usw. Dann hat er noch etwas Vernichtendes gesagt: Ich weiß nicht, was die OSZE im Kosovo tut. Ich sehe immer nur Wagenflotten hin und her fahren. Wie hat die Europäische Union darauf reagiert? Sie hat sich bemüht, diesen Dschungel zu lichten - aber mit der Gründung einer weiteren Koordinationsrunde, nämlich dem Stabilitätspakt. Dieser kann sicher spürbar zu einer positiven Entwicklung in der Region beitragen. Er ist präventiv angelegt und will über die neu entstandenen Grenzen hinweg wieder einander näher bringen, was lange zusammengehörte. Ohne ein friedliches Zusammenleben in der Region wird es keine Stabilität geben. ({0}) Die Idee des Stabilitätspakts ist richtig. Sicher finden auch die Ergebnisse der Geberkonferenz Anerkennung, wenngleich es fast unerträglich lange gedauert hat, bis die ersten Ergebnisse auf dem Tisch lagen. Zum Wort Quick Start brauche ich nichts mehr zu sagen. Das haben meine Vorredner schon getan. Kann der Stabilitätspakt als zusätzliche Struktur wirklich das Durcheinander verringern? Muss wirklich jede Organisation in jedem Land auf dem Balkan auf jedem Gebiet präsent sein? Muss sich jeder um alles kümmern? Ich meine: Nein. Wir müssen die Zahl der Akteure reduzieren, und wir müssen die Hilfe intensivieren. Das muss unser Motto sein. Wir müssen zielgerichteter vorangehen. 300 Millionen DM stellen wir für den Stabilitätspakt bereit - die Bundeswehr nicht eingerechnet. Das Geld muss wirklich dorthin fließen, wo es benötigt wird: in die Infrastruktur, in die Wirtschaft, in die Schulen, in die serbische Opposition und die noch freien serbischen Medien. Vielleicht wäre es sinnvoll, Herr Außenminister, einen Rückzug des Royaumant-Prozesses zu beschleunigen, der noch nicht einmal in den Stabilitätspakt eingebunden ist, aber dennoch beim EU-Ministerrat angesiedelt ist. Vielleicht gilt für die SECI, die South East Cooperative Initiative, das Gleiche. Es geht darüber hinaus darum, dass die Außenvertretung der Europäischen Union wesentlich wirksamer sein muss. Mittlerweile ist es so, dass permanent - selbst bei den Monitoren alle halbe Jahre - die Kräfte ausgewechselt werden, dass wir keine Kontinuität haben. Mein Wunsch ist, um dem Stabilitätspakt zum Durchbruch zu verhelfen, um den Menschen in der Region wirklich zu helfen, dass wir effizienter arbeiten, dass die Bundesregierung - Sie haben immer gesagt, Sie hätten den Stabilitätspakt ins Leben gerufen - darauf drängt, voranzukommen. Denn dann kann die Aufbauhilfe für den Balkan ein Erfolg werden: für die Menschen in der Region, für Frieden und Freiheit bei uns mitten in Europa. Danke. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Annelie Buntenbach, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Krieg im Kosovo und die deutsche Beteiligung an den völkerrechtswidrigen NATO-Luftangriffen auf Jugoslawien waren eine Zäsur in der politischen Geschichte der Bundesrepublik. Auch das Gesicht der Grünen hat dieser Krieg nachhaltig verändert. Über ein solches Ereignis kann man auch ein Jahr später nicht mit Distanz sprechen und streiten. Trotzdem ist eine nüchterne und kritische Bilanz notwendig, die nicht die jahrelangen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo, die ethnischen Diskriminierungen und Vertreibungen relativiert, die sich aber frei macht von dem immensen Emotionalisierungsdruck, unter dem noch vor einem Jahr die Auseinandersetzung gestanden hat. Wer sich jetzt darauf beruft, dass die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo so grausam und augenscheinlich gewesen sind, dass es nicht den Beleg eines Massakers von Racak braucht, keinen Nachweis für die reale Existenz des so genannten Hufeisenplans, muss sich schon fragen lassen, warum dies vor einem Jahr in der Öffentlichkeit an so exponierter Stelle vorgebracht worden ist. Warum wird einer Behauptung des UCK-Führers Thaci über 100 000 angeblich im Stadion von Pristina zusammengepferchte Menschen nicht klar widersprochen, wenn auf den Aufklärungsfotos dortüberhaupt niemand zu sehen ist? Mein Eindruck ist, dass all dies - hierzu gehört auch der meines Erachtens illegitime Rückgriff auf Auschwitz und Völkermordszenarien - damals in der Öffentlichkeit geradezu aufeinander gestapelt worden ist, um nur ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass die Entscheidung für das militärische Eingreifen der NATO ohne jede Alternative sei. ({0}) Dieses Pathos war kontraproduktiv für die Auseinandersetzung mit sachlichen Argumenten, mit den belegbaren Fakten über die erschreckende Situation vor Ort sowie die meines Erachtens durchaus existierenden Handlungsalternativen. Deshalb gehört zu einer kritischen Bilanz auch die Aufarbeitung von Racak, die Aufklärung über die Bedeutung des so genannten Hufeisenplans und Ähnliches mehr, wie sie Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion bereits eingefordert haben. Hier steht ohne Zweifel auch die Bundesregierung in der Verantwortung, ihren Beitrag zu leisten. ({1}) Wir - hier spreche ich für eine Minderheit meiner Fraktion - haben damals wie heute die NATO-Luftangriffe aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt, weil mit Krieg kein Frieden zu machen ist, weil sie völkerrechtswidrig waren, ebenso wie auch die Kriegführung selbst da völkerrechtswidrig war, wo sie gerade im serbischen Teil besonders zivile Ziele und Infrastruktur ins Visier genommen hat. Weder haben die Luftangriffe die so genannte humanitäre Katastrophe verhindert noch konnten sie die Region stabilisieren. Mit großer Sorge sehen wir, dass immer wieder Gewalt aufflammt und die Ethnisierung in den Köpfen auf allen Seiten unerträgliche Ausmaße erreicht hat. ({2}) Inzwischen sind - nach der Rückkehr vieler KosovoAlbaner im Sommer letzten Jahres - laut UNHCR im Januar mehr als 200 000 Roma, Serben und andere aus dem Kosovo geflüchtet. Die gewaltsame Vertreibungskampagne gegen nicht albanische Bevölkerungsgruppen, deren Fäden bei der UCK und ihren Nachfolgeorganisationen zusammenlaufen, hat ein ethnisch reines Kosovo und die Loslösung von Jugoslawien zum Ziel. Dieser Politik, die in krassem Gegensatz zur immer wieder betonten multiethnischen Ausrichtung des Kosovo steht, traten weder die UNMIK noch irgendein NATO-Staat mit der erforderlichen Eindeutigkeit entgegen. Die aktuellen Konzepte der NATO-Staaten zur Zukunft der Kosovo-Region sind genauso unklar wie vor dem Krieg. Für militärische Aktionen scheint es möglich, unterschiedliche Interessen zu bündeln, bei zivilen Perspektiven schwanken die Positionen dann zwischen einer Ermutigung der Separationsbestrebungen der UCK und dem Versuch, deutliche Grenzen gegenüber der Vertreibungspraxis, neuen Menschenrechtsverletzungen und Illusionen über die westliche Unterstützung für Autonomiebestrebungen jenseits des Rahmens der Bundesrepublik Jugoslawien zu ziehen. Solche widersprüchlichen Signale tragen dazu bei, das Konfliktpotenzial in der Region noch zu verschärfen. Dies ist kein militärisches, sondern ein politisches Problem. Ich teile nicht die Antwort des Kollegen Lamers, aber ich teile die Frage bezüglich des politischen Problems. Der Aufbau der Zivilgesellschaft hinkt hoffnungslos hinterher. Für die UNMIK - hier beziehe ich mich auf eine Äußerung von Tom Koenigs - in einem Jahr nur so viel Geld zur Verfügung zu stellen wie für einen halben Tag Bombardierung, ist schlicht absurd. ({3}) Die Zivilgesellschaft muss uns höhere Investitionen wert sein. Von der Geberkonferenz kommen durchaus positive Signale. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass in dem Antrag, den das Parlament heute zum Stabilitätspakt verabschieden wird, von der Position Abschied genommen wird, dass etwa mit Sanktionen gegen die Zivilbevölkerung Jugoslawiens der Weg zur Demokratie beschleunigt werden könnte. Diese Position, von der ich hoffe, dass die Bundesregierung dafür die Unterstützung der Staatengemeinschaft gewinnen kann, ist ein wichtiger Beitrag zur Deeskalation. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Unterstützung des Stabilitätspaktes Südosteuropa auf der Drucksache 14/3100 unter Buchstabe a. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2569 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Den Stabilitätspakt Südosteuropa mit Leben erfüllen“ auf Drucksache 14/3100 unter Buchstabe b. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2768 ({0}) anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS-Fraktion und bei Enthaltung der Mehrheit des Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. zu einer zügigen Umsetzung und Vertiefung des Stabilitätspaktes Südosteuropa auf Drucksache 14/3100 unter Buchstabe c. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2584 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der Regierungskoalition angenommen. Ich gebe zu, das ist ein etwas ungewöhnliches Abstimmungsverhalten, aber eindeutig. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zu der Abgabe einer Regierungserklärung „Der Stabilitätspakt Südosteuropa - Stand und Perspektiven“, Drucksache 14/3100 unter Buchstabe d. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/2575 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der Regierungskoalition und der PDSFraktion bei Enthaltung von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/3093 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, Ilse Aigner sowie weiterer Abgeordneter Kunstprojekt im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes von Hans Haacke „Der Bevölkerung“ - Drucksache 14/2867 ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Dr. Norbert Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag führt heute eine Debatte, die vermutlich in keinem anderen Parlament der Welt stattfinden würde. ({0}) Weder der amerikanische Kongress noch das englische Unterhaus und schon gar nicht die französische Nationalversammlung würde auch nur darüber diskutieren, was hier heute ernsthaft zur Entscheidung ansteht: der Widmung des Reichstagsgebäudes „Dem Deutschen Volke“ eine künstlerisch politische Installation entgegenzusetzen, die „Der Bevölkerung“ gewidmet ist. Das Reichstagsgebäude ist dem deutschen Volke gewidmet und damit dem Souverän, den dieses Parlament vertritt und von dem es seine Legitimation bezieht. Für diese Widmung 1916 nach jahrelangem Widerstand des Kaisers an diesem Gebäude angebracht - muss sich niemand rechtfertigen. Sie ist nicht überholt. ({1}) Es hat in den vergangenen Wochen der Auseinandersetzung manche goldenen Worte gegeben, die hoffnungslos richtig sind, aber alle messerscharf neben der Sache liegen, dass man nämlich über Kunst nicht mit der Mehrheit entscheiden könne - ebenso wenig wie über Wahrheit. Das ist sicher wahr. Ob es sich bei dem Projekt von Hans Haacke um ein bedeutendes Kunstwerk handelt oder nicht, mögen andere in Ruhe entscheiden. Es ist übrigens auch unter Experten hoch umstritten. Der Bundestag muss entscheiden, ob er dieses Werk in diesem Gebäude in Auftrag geben will oder nicht: nicht mehr und nicht weniger. ({2}) Es ist absurd, dem Bundestag die Legitimation für diese Entscheidung bestreiten zu wollen. Bei aller Begeisterung und Empörung über das künstlerisch-politische Projekt Haackes ist offenkundig, dass der Deutsche Bundestag als Auftraggeber und niemand sonst zu entscheiden hat, ob er diesen Vorschlag realisieren will oder nicht. Er kann und darf sich in dieser Verantwortung hinter niemandem verstecken. Die Absicht, über die Empfehlung des Kunstbeirates des Bundestages im Unterschied zu anderen Aufträgen ich bin sehr dafür, dass das die Ausnahme bleibt, damit wir hier keine Missverständnisse bekommen - ({3}) Lassen Sie mich doch in Ruhe begründen, warum. Vielleicht haben Sie über den Unterschied dieses Projektes noch gar nicht hinreichend nachgedacht. ({4}) Es gibt nicht nur vernünftige, sondern aus meiner Sicht zwingende Gründe, warum diese Entscheidung im Plenum des Deutschen Bundestages und nicht in irgendeinem anderen Gremium getroffen werden muss. Erstens. Nach der Projektbeschreibung des Künstlers kann die Installation nur durch Mitwirkung der Mitglieder des Parlamentes verwirklicht werden. Wenn die persönliche Mitwirkung von 669 Mitgliedern des Bundestages konstitutiver Bestandteil des Projektes ist, wird man diese wohl fragen müssen, ob sie zur Mitwirkung bereit sind. ({5}) Zweitens. In der Sache geht es Hans Haacke und den Befürwortern seines Entwurfes um die Auseinandersetzung zwischen der historischen Widmung des Reichstagsgebäudes aus den schwierigen Anfangsjahren des deutschen Parlamentarismus und dem heutigen Selbstverständnis eines von autoritärer Bevormundung emanzipierten Parlaments. Diese Auseinandersetzung ist gewiss zulässig. Ob allerdings das vorgeschlagene Projekt für diese Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb des Parlamentes geeignet ist, darüber darf und muss man streiten. ({6}) Der Streit ist übrigens von Hans Haacke offenkundig gewollt. Deswegen kann doch nicht ernsthaft beanstandet werden, dass dieser Streit nun stattfindet; schon gar nicht kann beanstandet werden, dass er im Parlament ausgetragen und entschieden wird. ({7}) Die im wörtlichen wie im übertragenen Sinne künstliche Gegenüberstellung von Volk und Bevölkerung wird weder dem Volk noch der Bevölkerung gerecht, Vizepräsidentin Petra Bläss schon gar nicht der sinnvollen Auseinandersetzung mit diesem sensiblen Sachverhalt. Die Volksvertreter, die in diesem historisch gezeichneten Parlamentsgebäude ihr Mandat wahrnehmen, verstehen sich längst - auch ohne diese Aufforderung - als Vertreter aller Menschen in diesem Land, ({8}) dank einer Verfassung, in der sich „das Deutsche Volk“ - ich zitiere und wiederhole: „das Deutsche Volk“ „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ bekennt. Dafür brauchen wir von niemandem Nachhilfeunterricht. ({9}) Wer wie Hans Haacke den Begriff „Volk“ unter nationalistischen, mindestens mythologischen Generalverdacht stellt, bleibt bewusst oder leichtfertig hinter dem Selbstverständnis unserer Verfassung und dieser Volksvertretung zurück. Er darf nicht erwarten, in diesem Zusammenhang ausgerechnet mit einer Bodeninstallation deutscher Erde aufklärerisch oder befreiend zu wirken. ({10}) Dass sich der Deutsche Bundestag diese atemberaubende Verbindung von Volk und Erde, Boden und Bevölkerung zu eigen macht, ist geradezu abwegig. Ich persönlich halte den Konzeptvorschlag Hans Haackes politisch wie ästhetisch für misslungen. ({11}) Der Aufwand, mit dem er nach seiner Projektbeschreibung „der Bevölkerung“ Gerechtigkeit; - jedenfalls Aufmerksamkeit widerfahren lassen will, ist monströs und, wie ich finde, eine Verballhornung des Anliegens. Nachdem Haacke in seiner Projektbeschreibung für den „Antransport der Erde“ jedem einzelnen Abgeordneten - ich zitiere aus der Projektbeschreibung - „zwei mit ihrer Bestimmung beschriftete Halbzentnersäcke“ zur Verfügung stellen will, ({12}) bei deren Übergabe die Abgeordneten - ich zitiere erneut - „urkundlich erklären, von welcher Stelle die Erde stammt“ ({13}) - es in der Tat immens schwach, Herr Kollege Heinrich; wir müssen deshalb wissen, über was wir hier abstimmen -, ({14}) wird sich sicher auch für den Abtransport beim Ausscheiden aus dem Bundestag eine ähnlich überzeugende Lösung finden lassen. ({15}) Ein Leserbriefschreiber hat vor einigen Tagen angeregt, der Künstler solle entsprechende Holztröge in die Wahlkreise schaffen, darüber die Neoninschrift „Den Bevölkerungsvertretern/ -vertreterinnen“. Die Verwandlung von Konzeptkunst in eine skurrile „Bundesgartenschau“ ist kein großer Wurf, sondern eine große Albernheit, die der Ernsthaftigkeit nicht gerecht wird, die dieses Thema verdient und beansprucht. ({16}) Das Bedürfnis des Künstlers nach Selbstinszenierung ist legitim; es ist in diesem konkreten Fall offensichtlich ausgeprägter als das Interesse an Aufklärung. Insofern sieht das Konzept folgerichtig vor, dass auf allen Etagen des Reichstagsgebäudes Tafeln anzubringen sind, auf denen die Abgeordneten mit ihrer Parteizugehörigkeit und den Wahlkreisen oder Bundesländern und der Angabe des Datums, an dem die Abgeordneten ihren Erdanteil beigesteuert haben, verzeichnet werden sollen. ({17}) - Das stammt alles aus der Projektbeschreibung. Da in Zeiten der neuen Medien ein Kunstwerk ansonsten offensichtlich nicht komplett ist, hat es selbstverständlich auch eine Internet-Perspektive. Vorgesehen ist, dass im Innenhof eine Videokamera angebracht wird, die regelmäßig das Wachsen und Werden dieses Kunstwerks begleitet, damit jeden Tag ab 12 Uhr mittags den Besuchern auf einer ständig aktualisierten Website die Entwicklung dieses Projekts nahe gebracht werden kann. Welcher Aufwand für welche Einfalt! ({18}) Ich persönlich finde diese Inszenierung albern und unangemessen, und ich nehme für mein Urteil die gleiche Freiheit in Anspruch, die ich dem Künstler selbstverständlich für sein Konzept zubillige. ({19}) Es ist ihm unbenommen, die Einwände seiner Kritiker, insbesondere aus der Unionsfraktion des Bundestages, für „blödsinnig“ zu erklären, wie Agenturen melden. Mir bleibt es unbenommen, das vorgeschlagene Konzept als Zumutung zu bezeichnen und meine Mitwirkung abzulehnen. Hier steht nicht die Freiheit der Kunst zur Debatte und hoffentlich auch nicht die Freiheit des Bundestages, den künstlerischen Gestaltungsvorschlag für sein Parlamentsgebäude anzunehmen oder abzulehnen. ({20}) Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich seit Jahren mit Leidenschaft für die Selbstverständlichkeit werbe, dass die Kunst sich mit Politik und die Politik sich mit Kunst befassen muss. ({21}) Allerdings akzeptiere ich ausdrücklich nicht die Erwartung, dass die Kunst sich der Politik grundsätzlich in kritischer Auseinandersetzung, die Politik sich der Kunst dagegen vorzugsweise mit andächtiger Bewunderung zu nähern habe. ({22}) Zensur findet nicht statt. Aber ein ästhetisches Urteil muss erlaubt sein, zumal bei einem Projekt, das auch unter den so genannten Sachverständigen allein unter ästhetischen Gesichtspunkten mindestens so viel Widerspruch wie Zustimmung gefunden hat. Die Einwände, das Plenum des Bundestages dürfe nicht über Kunst in seinem Gebäude entscheiden, lassen ein prinzipielles Misstrauen gegenüber der Politik im Umgang mit Kunst erkennen. ({23}) Der Deutsche Bundestag verdient ein solches Misstrauen nicht. Ich kenne kein anderes Parlament in der Welt, das sein Gebäude statt mit einer Gemäldegalerie großer Köpfe und geschichtlicher Ereignisse demonstrativ mit zeitgenössischen Kunstwerken ausstattet. Der Deutsche Bundestag hat sich nicht für eine möglichst unauffällige, unanstößige, dekorative künstlerische Gestaltung entschieden, sondern die von ihm selbst angesprochenen Künstler aus Deutschland wie dem Ausland ausdrücklich zu einer Auseinandersetzung mit dem Parlamentsgebäude und seiner Geschichte aufgefordert. Künstler wie Gerhard Richter, Sigmar Polke, Günther Uecker, Christian Boltanski, Bernhard Heisig, Jenny Holzer und nicht zuletzt Norman Foster haben diese Herausforderung in einer Weise angenommen, die keineswegs unumstritten ist, aber jeden Streit lohnt. In den letzten Jahren hat der Deutsche Bundestag zudem zwei denkwürdige Entscheidungen getroffen, die seiner Souveränität auch im Umgang mit ästhetischen Fragestellungen ein beachtliches Zeugnis ausstellen: Es sind die weltweit bejubelte Verhüllung des Reichstages durch Christo, die nach jahrzehntelangen vergeblichen Anläufen schließlich vom Plenum des Deutschen Bundestages möglich gemacht worden ist, ({24}) und die Entscheidung für die Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas, das über seine politische Bedeutung hinaus auch eine höchst anspruchsvolle ästhetische Form durch das Stelenfeld von Peter Eisenman finden soll, die ganz gewiss nicht am viel beschimpften Publikumsgeschmack orientiert ist. Ich persönlich habe übrigens für beide umstrittenen Entscheidungen sehr engagiert gefochten; ({25}) und ich nehme mir nun ganz selbstverständlich das Recht, meine Auffassung in dieser Angelegenheit ebenso engagiert zu vertreten. ({26}) Es gibt nicht nur eine Anmaßung der Politik gegenüber der Kunst, die nicht toleriert werden darf; es gibt gelegentlich auch eine Anmaßung ausgewiesener wie selbsternannter Kunstsachverständiger gegenüber der Öffentlichkeit, mit der autoritären Gebärde von Hohepriestern das eigene ästhetische Urteil für das einzig mögliche zu halten. ({27}) Die anstehende Entscheidung des Bundestages über ein ebenso diskussionswürdiges wie diskussionsbedürftiges künstlerisches Projekt in seinem Hause ist ein Anwendungsfall nicht nur für die Freiheit der Kunst, sondern auch für die Souveränität dieses Parlaments. Sie hat nicht nur etwas mit der gelegentlich strapazierten Würde des Hohen Hauses zu tun, sondern auch und vor allem mit der Würde der Menschen, die wir in diesem Hause zu vertreten haben und die wir nicht als „Volk“ und „Bevölkerung“ gegeneinander in Stellung bringen lassen dürfen. ({28}) Ich habe heute in der Post die Zuschrift eines mir unbekannten Lehrers und Historikers gefunden, die wohl auch an den Herrn Bundestagspräsidenten gegangen ist. Er schreibt mir: Die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte kann nicht so geschehen ..., dass die deutsche Volksvertretung sich in ihrem eigenen Haus mit eigener Zustimmung lächerlich machen lässt ... Wir haben Anlass, diese Besorgnis ernst zu nehmen, und wir haben die Möglichkeit, sie mit unserem Votum gegenstandslos zu machen. ({29})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier werden nicht die Widmungen „Dem Deutschen Volke“ und „Der Bevölkerung“ als Feindbegriffe einander gegenübergestellt, sondern beide Begriffe werden zueinander gestellt, um miteinander einen Dialog zu führen ({0}) über die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben? Das will uns der Künstler sagen. ({1}) Worauf beruht Demokratie? Gewiss zunächst auf der Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. Vor allem aber steht auch vor dem Volk: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Darum heißt es in der Verfassung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, und darum heißt es dort auch, dass die Kunst frei ist. Vor allen Wahlen und Abstimmungen beruht Demokratie also zunächst darauf, anzuerkennen, dass es nicht Abstimmbares gibt. Bislang galt bei uns die Überzeugung und der Konsens, dass über Kunst nicht abgestimmt werden kann. ({2}) Dies und nichts anderes war auch der Grund, dass der Bundestag sich einen Kunstbeirat geschaffen hat. Ich sehe voraus: Sollte es hier eine Mehrheit gegen die Entscheidung des Kunstbeirates geben, dann wird dieser Kunstbeirat nicht mehr weiterleben können! ({3}) Dann werden Sie sich die Frage stellen müssen, ob in dem Fall nicht der Bundestag, das Plenum, jede einzelne Kunstentscheidung selbst vornehmen muss. Das hielte ich für fatal. Wir brauchen diesen Kunstbeirat. ({4}) Wer entscheidet, kann irren; selbstverständlich. Das gilt aber auch für den Bundestag. Es geht hier um etwas anderes. Es geht nicht darum, ob Mehrheiten irren, sondern um die Chance, dass es ein Modell zwischen Kunstsachverständigen und dem Bundestag gibt und dass dieses Modell leben kann. Wir haben Sachverständige, die hervorragendsten, die es in Deutschland gibt, die uns beraten und die uns einstimmig gebeten haben, diesem Kunstwerk hier im Lichthof einen Platz zu geben. Wir haben uns in langen Diskussionen - fragen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen, die im Kunstbeirat Mitglied sind - intensiv damit befasst und auseinander gesetzt und uns - zwar nicht ohne Zweifel, aber dann nachher doch - mit einer deutlichen Mehrheit dazu durchgerungen. Was sagt das uns? Es besagt, dass Kunst und Demokratie natürlich eine schwierige Beziehungskiste ist. Der Künstler ist autonom. Sein Werk darf stören, ja es muss sogar stören und Eingeschliffenes aufbrechen. Sein Werk muss neues Sehen möglich machen. Er braucht nicht auf Mehrheiten Rücksicht zu nehmen. Er braucht nicht auf Sehweisen, die eingeschliffen sind, Rücksicht zu nehmen. Wir müssen das. Das ist der Unterschied. Die Demokratie darf in der Sphäre des Abstimmbaren die Mehrheitsregeln und übrigens auch den Schutz von Minderheiten nicht verletzen. Kunst, so sagt Gadamer, die „sich nicht dekorativ dem Lebenszusammenhange einschmiegt, sondern von eigener Mitte her aus ihm heraussteht“, gefällt nicht bloß. Sie muss und darf, so Gadamer, wirken wie eine Zumutung. - Ich finde, wir müssen solche Zumutungen ermöglichen und anerkennen. ({5}) Diese Debatte zeigt übrigens: Hans Haacke hat den Nerv getroffen. ({6}) Er hat das getroffen, worum es geht. Manche fürchten um das Selbstverständnis. Von wem? Vom Bundestag? Vom deutschen Volk? Ist unser Selbstverständnis, unser Selbstbewusstsein nicht stark genug, dass wir hier im Deutschen Bundestag auch kritischer Kunst einen Platz schaffen können? ({7}) Was wäre das anderenfalls für ein Selbstverständnis? Ich vertraue dem Selbstbewusstsein frei gewählter Abgeordneter, sich dem Dialog zwischen der sich am Giebel befindenden Inschrift und dem Kunstwerk von Hans Haacke - seien Sie hier herzlich gegrüßt - zu stellen. Ein solches Selbstbewusstsein haben frei gewählte Abgeordnete. ({8}) Übrigens, das Zitat „Dem Deutschen Volke“ verweigerte der Kaiser so lange, bis er kurz vor Kriegsende bereit war, dem deutschen Volk überhaupt erst einen Wert zuzubilligen. Erst dann, kurze Zeit vor Ende des Ersten Weltkrieges, wurde diese Inschrift angebracht. ({9}) Sie dürfen sich also nicht darauf beziehen, dass es etwa das Volk gewesen ist, das dies gefordert hat. ({10}) Der Kaiser hat erst am Ende des Ersten Weltkrieges das Volk als so wertvoll empfunden, dass es hier am Giebel mit einer Inschrift seinen Platz gefunden hat. Hans Haacke nimmt jenes Zitat auf. Er stellt das Zitat in seinem Kunstwerk mit diesem Zitat zusammen. Das ist kein Gegensatz; es gehört zusammen. ({11}) Er ergänzt es auf ebener Erde. Herr Lammert, das Behältnis ist 30 Zentimeter hoch. Blumen werden aus ihm wachsen. Frau Vollmer, was ist denn daran, bitte schön, Kitsch? ({12}) Willy Brandt würde gesagt haben: Haben Sie es nicht eine Nummer kleiner? Sein Werk fragt uns: Wie weit fassen wir den Begriff des Bürgers? Das halte ich für eine ganz spannende Gert Weisskirchen ({13}) Debatte. Nehmen wir das transatlantische „ius soli“ auf oder nicht? Welche Rechte und Pflichten haben Menschen nicht deutscher Nationalität, die mit uns leben? Seit dem Vertrag von Amsterdam gibt es zusätzlich zur nationalen Staatsbürgerschaft die Unionsbürgerschaft. Wollen wir denn länger leugnen, dass wir in einem Land leben, in dem es eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die nicht Deutsche sind? Mit diesen wollen wir gemeinsam leben. Genau das, genau dieses Erinnerungsmoment ständig für uns wach zu halten, das will uns der Künstler sagen und zeigen. Deswegen muss sein Kunstwerk hier seinen Platz haben. ({14}) Die Spannungen - Herr Kollege Lammert, so würde ich es bezeichnen - zwischen der Giebelinschrift und dem Kunstwerk von Hans Haacke machen nichts anderes deutlich, als dass es in unserer Gesellschaft eine wachsende Pluralität bzw. Vielfarbigkeit gibt. Ohne Pluralität ist Modernität nicht zu gewinnen. Ohne Toleranz wird es nie Solidarität geben. Dazu aber, zu jener Toleranz - entschuldigen Sie, dass ich das so sage -, gehört der Dialog zwischen Kunst und Politik. Wer Kunst darauf reduziert, dass sie anschmiegsam und dekorativ sein soll und nicht kritisch sein darf, der hat einen Kunstbegriff, der nicht zu unserer Gegenwart und zu unserer Auseinandersetzung gehört. ({15}) Der Streit über Ästhetik - das kann doch gar nicht anders sein - wird immer offen bleiben. Politisch aber dürfen wir diesen Streit um die Freiheit der Kunst nicht verlieren. Wir dürfen nicht unsere Liberalität verlieren. Abgeordnete können durch Kunst auch herausgefordert werden. Sie müssen ein Ja dazu sagen, dass Kunst in unseren Räumen Platz haben kann. ({16}) Die kritischen Künstler dürfen wir nicht verlieren. Beklagen wir nicht häufig die Distanz von Intellektuellen gegenüber der Politik? Wie ernst nehmen wir denn unseren eigenen Aufruf zum Mittun? Wir brauchen die kritischen Künstler, damit unsere Gesellschaft ständig wach und lebendig bleibt. Zu diesen Künstlern gehört auch Hans Haacke. ({17}) Kunst - das ist ihre herausstechende Eigenart - durchbricht die Logik von Interessen. Die Gegenwart der Kunst kann manchmal viel realer sein als die empirische Realität, in der die Politik zu leben meint. Es ist manchmal sehr viel wichtiger, einen Anstoß zum Nachdenken, zum Überdenken eigener Positionen zu bekommen, damit Demokratie lebendig und entwicklungsfähig bleibt und sich weiterentwickeln kann. Das ist es, was Hans Haacke uns deutlich machen will. Deswegen wünsche ich mir, dass wir eine Mehrheit für Hans Haackes Projekt haben. Sagen Sie Ja dazu, dass „Dem Deutschen Volke“ die „Bevölkerung“ zugesellt wird. Diese Begriffe sind nicht als Gegensatz, sondern in Beziehung miteinander zu sehen. Es ist ein ständiger Denkanstoß der Kunst, niemals zu vergessen: Unsere Verantwortung gilt allen Menschen, die in Deutschland miteinander leben, ob sie Deutsche sind oder nicht. In einer vergleichbaren Zeit widmete ein anderer Kaiser in Wien einem Haus der Kunst die Worte: „Der Zeit die Kunst, der Kunst die Freiheit“. Sorgen Sie dafür, dass die Kunst ihre Freiheit bekommt! Sorgen Sie dafür, dass Hans Haacke seine Kunst hier im Deutschen Bundestag als ständige Auseinandersetzung mit der Gegenwart zeigen kann. ({18}) Namens von 41 Abgeordneten beantrage ich namentliche Abstimmung. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Sie haben es gehört, der Kollege Gert Weisskirchen hat namentliche Abstimmung beantragt. In der Zwischenzeit wurden die Unterschriften von mehr als den notwendigen 34 anwesenden Mitgliedern des Bundestages zur Einforderung dieser Abstimmung vorgelegt. Deshalb möchte ich hiermit offiziell bekannt geben, dass im Anschluss an diese Debatte eine namentliche Abstimmung stattfindet. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Antje Vollmer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden hier ja nicht fraktionsmäßig, sondern frei pro und kontra. Ich rede für diesen Antrag und damit gegen die Installation des Kunstwerkes. ({0}) Auch ich habe, je länger die Debatte über das Haacke-Projekt dauert, den Eindruck, dass immer schwerere Geschütze aufgefahren werden, dass immer größere Tabu-Zäune aufgerichtet werden. Ich plädiere ganz entschieden für Abrüstung in dieser Frage, auch für Abrüstung beim Pathos, und wenn möglich für nüchterne, praktische Vernunft. ({1}) Zunächst möchte ich Hans Haacke, der auf der Zuschauertribüne sitzt, gratulieren. Ob ihm ein Kunstwerk gelungen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Darüber sollen auch andere entscheiden. Ein Kunststück hat er allemal vollbracht: Er ist der Erste, dem es gelungen ist, über sein Kunstwerk die Ehre zu haben, eine Debatte im Deutschen Bundestag erzeugt zu haben. ({2}) Er wollte eine Debatte über das Begriffspaar „Volk“ und „Bevölkerung“. Ich finde, wir sind ihm da nichts schuldig geblieben. Für einen Prozesskünstler ist das schon ein richtig schöner Erfolg, und dafür habe ich auch Respekt. Das, worüber wir heute diskutieren, ist aber ein ganz praktisches Problem: Wie kann ein Kunstwerk realisiert werden, das essenziell zu seiner Verwirklichung die Teilnahme von frei gewählten Abgeordneten dieses Bundestages an einem, wie auch ich finde, höchst merkwürdigen und geradezu skurrilen Erdritual erfordert? ({3}) Ich gehöre zu denen, die sich einfach nicht vorstellen können, dass zum Beispiel der Abgeordnete Jörg van Essen, die Abgeordnete Angela Merkel, der Abgeordnete Rezzo Schlauch, die Abgeordnete Elke Leonhard und der Abgeordnete Gregor Gysi hier eines Tages mit einem Eimer oder einem Sack Erde ankommen ({4}) und darauf warten, dass sie diese im nördlichen Lichthof auskippen dürfen, um sich so von nationalen Begriffen und Überzeugungen quasi zu reinigen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Vollmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da ich nur fünf Minuten Redezeit habe, möchte ich im Zusammenhang sprechen. Hinterher beantwortete ich gern noch eine Frage. Man kann für diesen Vorgang, der den Abgeordneten indirekt aufgenötigt wird, dramatische Begriffe finden. Man kann aber auch sagen: Es ist so skurril, dass es schlichte, gute Gründe dafür gibt, wenn jemand sagt, daran wolle er nicht teilnehmen. Das ist genau der Punkt: Was macht der Künstler Hans Haacke, wenn er es nicht schafft, genügend Abgeordnete von der Sinnhaftigkeit dieses Projekts zu überzeugen? Ich glaube, darin liegt ein Bruch, ein Nichtgelingen der künstlerischen Konzeption. Und weil das Kunstwerk eben diese konzeptionelle Schwäche hat, wird, glaube ich, so massiv tabuisiert und nachmoralisiert. ({0}) Ich möchte deutlich sagen: Ich finde, wir sollten uns dieser Art „Gesinnungs-TÜV“ nicht unterziehen. ({1}) Wer gegen das Kunstwerk ist, signalisiert damit nicht, dass er „rechts“ ist. Wer für das Kunstwerk und damit für die Benutzung dieser eigenartig mythischen Substanz der Erde ist, signalisiert damit nicht, dass er der Kunstfreund schlechthin ist. ({2}) Man wird sagen, es gehe um die Freiheit der Kunst. Richtig, sage ich, aber es geht auch um die Freiheit von Abgeordneten und darum, wofür sie sich selbst entscheiden, wenn sie denn Teil dieses Kunstwerks sein sollen. Ich wünschte mir, der Kunstbeirat, dem ich seit Beginn dieser Legislaturperiode angehöre, hätte in dieser Frage etwas mehr Weisheit und Klugheit gehabt. ({3}) War es wirklich klug, den deutschen Parlamentariern keine Wahl zu lassen, keine Wahl, wie sie zum Beispiel die französischen Kollegen hatten? Denn auch in Frankreich hat Herr Haacke mit einem Projekt kandidiert. Er ist geehrt, aber nicht gewählt worden. Damit war die Sache auch elegant erledigt. ({4}) Ich finde, das deutsche Parlament hat den Vorwurf, der ihm von einigen Kunstpäpsten und Kunstkardinälen gemacht wird, wirklich nicht verdient. Ich bitte auch diese: Geben Sie doch endlich Gedanken- und Entscheidungsfreiheit! ({5}) Übrigens: Auch Künstler sind Menschen. Man kann sich mit Künstlern streiten. Man darf sich mit ihnen auseinander setzen. Man muss sie nicht auf ein unantastbares Podest setzen. Dann täte man den Künstlern und auch ihrer Kunst Unrecht. Aus einer Debatte mit den Künstlern heraus ist zum Beispiel die Kuppel auf diesem Reichstagsgebäude entstanden. Herr Foster wollte sie nicht; sie ist aus der Debatte heraus entstanden. ({6}) Gönnen Sie doch dem Parlament und den Künstlern diese Form von Auseinandersetzung! ({7}) Wenn wir über Freiheit von Kunst reden, dann muss angesichts dessen, was wir gekauft haben - das sind im Wesentlichen dieselben Werke, wie Sie sie in jedem modernen Museum finden -, auch einmal über gewisse Mächte im Kunstmarkt, über geschlossene Klubs und über Gruppen, die sich gegenseitig beraten und fördern, gesprochen werden. Was mir am meisten Leid tut, ist, dass wir trotz der 40 Millionen DM, die wir für die Gegenwartskunst ausgeben - ein unglaubliches Signal -, fast keine unbekannten Künstler haben, dass die Künstler der letzten Jahrzehnte keine Chance haben und dass die Künstler der nächsten Jahrzehnte keine Chance haben, weil das Geld ausgegeben ist. ({8}) Darüber sollten wir einmal eine Debatte führen. Das hat ganz viel mit der Freiheit der Kunst zu tun, aber auch mit der Freiheit des Wortes der Abgeordneten. Danke. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig: Professor Hans Haacke hat sich viel vorgenommen. Wer ausgerechnet im deutschen Parlament den Begriff Volk infrage stellt, darf sich über die kritischen Töne eigentlich nicht wundern. Aber um es vorweg zu sagen: Ich finde die kritischen Töne und Diskussionen ausgesprochen positiv. Dies geht zugunsten unserer demokratischen Kultur und zugunsten der Kunst im Allgemeinen, aber auch der Kunst im Deutschen Bundestag im Besonderen. ({0}) Trotzdem bleibt festzustellen: Die Töne sind umso kritischer, je weniger man sich mit dem Kunstwerk auseinander setzt oder davon weiß. ({1}) Deshalb war es eine sehr weise Entscheidung, dass ein Kunstbeirat berufen wurde. In diesem Kunstbeirat sitzen so ganz normale Abgeordnete wie ich. Sie werden von einer ganzen Reihe von Kunstsachverständigen, die ebenfalls dem Kunstbeirat angehören, unterstützt. Dieser Beirat hat sich in zwei Sitzungen sehr intensiv mit dem von ihm in Auftrag gegebenen Kunstwerk befasst und sich jedes Mal mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen. Lieber Herr Kollege Lammert, Sie haben vorhin aus der Beschreibung des Künstlers zitiert. Der Kunstbeirat hat sich diese Beschreibung ausdrücklich nicht zu Eigen gemacht, die hier mitgeliefert worden ist. ({2}) Ich gebe uns auch die Freiheit, nicht sklavisch an dem festzuhalten, was der Künstler mit seinem eigenen Projekt hier interpretiert, sondern unsere eigene Interpretation in der Form zu geben, dass wir sie nicht lächerlich zu machen haben. ({3}) Die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ im Westgiebel des Reichstags gab den Anstoß für Haackes Anliegen, in einem Kunstwerk aufzuzeigen, wie stark der Begriff „deutsches Volk“ missbraucht wurde, ganz im Gegenteil zum damaligen demokratischen Verständnis und somit zur positiven Botschaft, wie sie ursprünglich gedacht war. Wenn der Vergleich zu Frankreich und Großbritannien kommt, meine sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann darf ich doch darauf hinweisen, dass es in der deutschen Geschichte einen massiven Missbrauch des Wortes Volk gab und dass genau dieser Missbrauch des Wortes Volk den Künstler veranlasst hat, hier einen Bogen zu spannen zu einer „Bevölkerung“. ({4}) Diesen Bogen zu spannen finde ich im wahrsten Sinne des Wortes eine spannende Sache. Er erinnert an die Säuberungen im völkischen Sinne, vorgenommen durch die Nationalsozialisten - 113 Reichstagsabgeordneten wurde ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk aberkannt, 75 davon kamen in Haft ums Leben und acht unserer ehemaligen Kollegen verübten Selbstmord -, erinnert aber auch an den Missbrauch des Wortes Volk während der kommunistischen Herrschaft im geteilten Deutschland. Die Sprechchöre der 89er Demonstranten „Wir sind das Volk“ stellen sich ebenfalls ganz bewusst gegen den Missbrauch des Volkes in der damaligen DDR. ({5}) Der Verweis auf Art. 3 des Grundgesetzes, „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, ist hier ebenfalls ausgesprochen wichtig. Dieses Postulat wurde nicht umsonst 1949 ins Grundgesetz geschrieben. Wer heute aus „Volk“ „Bevölkerung“ macht, schafft das deutsche Volk noch lange nicht ab, sondern erweitert den Begriff in der Form, dass er auch unserem heutigen demokratischen Verständnis entspricht, und macht deutlich, für wen dieses Parlament arbeitet. ({6}) Es leben in Deutschland derzeit etwa 10 Prozent Ausländer und es werden in Zukunft noch mehr werden. Die Niederlassungsfreiheit in der EU und die geplante Osterweiterung werden diesen Trend fortsetzen, ob wir wollen oder nicht. Wir werden als Parlament in immer stärkerem Maße dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen. Der Bogen, der zwischen dem historischen Reichstagsgebäude und dem Deutschen Bundestag gespannt wird, spiegelt sich in „Volk“ und „Bevölkerung“ meiner Meinung nach sehr gut wider. ({7}) Besonders beeindruckend, aber auch herausfordernd ist für uns Abgeordnete ganz sicher das Heranschleppen von Erde aus unseren verschiedenen Wahlkreisen. Diese Interaktion und Partizipation zeigt deutlich, dass es sich um ein Kunstwerk handelt, welches man nicht überall aufstellen kann, sondern welches ausschließlich für den Deutschen Bundestag geschaffen wurde. Ich finde auch die Geste, dass die Erde aus den Wahlkreisen sozusagen als Partikularinteresse hierher gebracht wird, die dann mit allen anderen Regionen in ein großes Ganzes einmünden, sehr symbolträchtig. Meine Damen und Herren, wir alle haben schon an ersten Spatenstichen teilgenommen. Ich frage Sie: Wer hat nicht auch damals sozusagen seinen Teil zur Symbolik beigetragen? Das ist genau das Gleiche. ({8}) Hier wird das Zusammenwirken aller Abgeordneten deutlich unterstrichen. Es ist gerade kein Blut-und-BodenSymbol. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Heinrich, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ja. Um mit Hans Haackes Worten zu sprechen, wird mit der „Bevölkerung“ gerade das Blut aus der Erde genommen. Hier geht man mehr in Richtung Jus soli. Überlegen Sie sich dies genau, und Sie kommen zu dem gleichen Schluss. ({0}) Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Obwohl man Zweifel haben kann, ob man über Kunst im ganzen Parlament abstimmen sollte, weil Kunst nicht per Mehrheit bestimmt werden kann, sondern auch die Freiheit der Kunst eine tolerante Haltung aller verlangt, bitte ich Sie, Toleranz zu üben, dem Projekt zuzustimmen und den Antrag deshalb abzulehnen. Ich bedanke mich. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Hanna Wolf, SPD-Fraktion.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen heute über Hans Haackes Kunstprojekt ab, weil er für seine Erdinstallation nicht etwa ein Gartencenter beauftragen will, sondern alle 669 heutigen und auch alle zukünftigen Abgeordneten zum Mitbringen eines Zentners Erde aus ihrem Wahlkreis auffordert. Dadurch werde ich zur Mitgestalterin. Weil ich den Künstler ernst nehme, will ich auch begründen, warum ich nicht mitmachen werde. Die fürsorglich bevormundenden Briefe, die wir alle bekommen haben, und die herablassenden Artikel in einigen Feuilletons über die Kompetenz von Politikern ({0}) veranlassen mich auch zum öffentlichen Widerspruch. ({1}) Der Kunstbeirat wird nicht desavouiert, wenn das Plenum heute über diesen Vorschlag abstimmt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Kunstbeirat die Entscheidung von sich aus offen gehalten hätte, ({2}) da ja jede und jeder Abgeordnete sich aktiv beteiligen soll. ({3}) So begeistert ich von Anfang an über die Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jeanne-Claude war, Haackes Installation kann ich nicht mitgestalten. Bevor ich einige meiner Gründe nenne, distanziere ich mich aufs Schärfste von zynischen, ausländerfeindlichen Sprüchen, die ich leider auch von der Seite einiger gelesen habe, die das Haacke-Konzept ablehnen. ({4}) Mit den Ansichten eines Herrn Glos zum Beispiel mache ich mich nicht gemein. ({5}) Zu meinen Gründen. Erstens. Die Inschrift im Giebel des Reichstagsgebäudes „Dem Deutschen Volke“ war in der Entstehungszeit, wie Haacke selber schreibt, „eine Herausforderung für den Kaiser, der deshalb ihre Realisierung lange zu verhindern wusste. Der Kaiser spürte wohl einen Hauch der französischen Revolution.“ Dass die Nazis diesen Begriff missbraucht haben, gehört zur Tragik unserer Geschichte. Aber 1989 riefen die Menschen in Leipzig: „Wir sind das Volk!“ Es war eine Provokation für die DDRMachthaber,undniemandhateschauvinistischverstanden. ({6}) Diese revolutionäre Tradition des Begriffs Volk möchte ich nicht begraben sehen. ({7}) Zweitens. 1999 ist der Deutsche Bundestag von Bonn nach Berlin in das Reichstagsgebäude umgezogen. Bei meiner Arbeit als Bundestagsabgeordnete gilt für mich das Grundgesetz. In Art. 1 des Grundgesetzes heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. In Art. 3 Satz 1 des Grundgesetzes steht: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Hier wird ohne Einschränkung immer von den Menschen gesprochen, das heißt, von allen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Das Grundgesetz ist mir Auftrag genug. Einer weiteren Erinnerung bedarf es nicht. ({8}) Drittens. Hans Haacke - das ist für mich der gravierendste Grund - hat sich immer wieder mit der Nazidiktatur auseinandergesetzt. Umso irritierter bin ich, dass er eine durch die Nazis besetzte Erdkultsymbolik seiner Installation zugrunde legt. ({9}) Hatten doch die Nazis aus allen deutschen Gauen - wie es damals hieß - Erde zu den Olympischen Spielen nach Berlin gekarrt. Einen Erdkult kann und will ich nicht mittragen. Ich halte ihn für peinlich und mystifizierend. ({10}) Hans Haacke versteht sich als politischer Künstler und ich erwidere ihm ebenfalls politisch: Die Debatte über die Inschriften „Volk“ oder „Bevölkerung“ hat meiner Meinung nach ihren Zweck bereits erfüllt. Die Erdsymbolik halte ich für politisch falsch. Wenn viele Bundestagsabgeordnete die Mitgestaltung aus unterschiedlichen Gründen ablehnen, sollte Haacke selber sein Konzept zurücknehmen. ({11}) Ich hätte mir auch gewünscht, er hätte wie Christo eine neue Metapher gefunden, statt mit alter Symbolik zu arbeiten. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Peter Behrens von der Berliner jüdischen Eisengießerei die Giebelinschrift für den deutschen Reichstag gestaltete, verstand der deutsche Kaiser dieses sein deutsches Volk durchaus noch als seine Untertanen, die dann in demokratischen Gremien aktiv im Parlament streiten durften. Vaterlandsliebe und Treue zum Kaiser galten vielen als unaufgebbare Werte. Die beiden Kunstschmiede, die sich damals, als sie die Lettern „Dem Deutschen Volke“ in Metall setzten, noch als Deutsche zählen und fühlen durften, wurden ab 1935 durch den Arierparagraphen zu Undeutschen degradiert. Im Namen des nunmehr rassisch reinigenden deutschen Volkes ist der eine der Eisengießer in Plötzensee hingerichtet und der andere der Eisengießer in Theresienstadt ermordet worden. 1935 hat Bertolt Brecht in seinem im Exil verfassten Aufsatz über die fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit geschrieben Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Diese Aussage - so Hans Haacke - habe ihn wesentlich inspiriert. ({0}) Der hier eingebrachte Antrag, die Entscheidung des Kunstbeirates beim Bundestagspräsidenten, der beauftragt ist, mithilfe von Sachverständigen über die Kunst im Reichstag zu befinden, rückgängig zu machen, gilt meinem Eindruck nach nicht der künstlerischen Konzeption von Hans Haacke, sondern den beiden Worten „Der Bevölkerung“. Sie sind das eigentliche Ziel des Protestes. Das bestätigen mir auch die vielen Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern, übrigens - das ist für mich auch interessant - bis jetzt nur aus den alten Bundesländern, die ihrer Empörung oft sogar mit Begriffen aus brauner Vergangenheit Luft gemacht haben. „Der Bevölkerung“ ist keine Umwidmung dieses geschichtsträchtigen Hauses, sondern bringt für das deutsche Volk 82 Jahre Ringen um demokratische Veränderungen künstlerisch gestaltet ins Wort ({1}) und bringt damit Politiker, Gäste und Besucher hoffentlich dauerhaft in die Diskussion. Deshalb finde ich dieses Kunstwerk notwendig und deshalb gefällt es mir. ({2}) Hans Haacke lebt seit den 60er-Jahren in den USA und äußert sich seit Jahrzehnten als kritischer Demokrat in immer aufs Neue überraschenden Formen zur Demokratie und zu aktuellen, dringlichen Fragen des Lebens. Wurde Hanna Wolf ({3}) Haacke nicht gerade deshalb um die Ausgestaltung des Lichthofes gebeten, weil man von ihm erwarten konnte, in die preußische Strenge Ungewöhnliches zu komponieren? ({4}) Kolleginnen und Kollegen, jeder, der den Namen Haacke im Zusammenhang mit Kunst im Reichstag hörte, wusste doch, dass dies eine Provokation wird, und die Debatte zeigt es. Ich verstehe nicht, warum wir in unserem in politischen Kontroversen wahrlich erfahrenen Bundestag per Abstimmung diese ernsthafte demokratische Herausforderung eines namhaften Künstlers ausschlagen sollen. Alles, was wir im Bundestag entscheiden und als Gesetze festschreiben, ist doch für alle in Deutschland lebenden Menschen und nicht nur die Deutschen verbindlich. Für alle heißt: für die Bevölkerung. ({5}) Ich finde es ermutigend, dass Haacke der Bevölkerung Verständnis für dieses Projekt zutraut. Museumsdirektoren und Museumspädagogen vieler Städte, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Galeristen, Direktoren von Kunsthochschulen, Kunstvereine und auch Künstler haben in einem offenen Brief ihre Bitte an den Bundestag gerichtet, in Haackes Modell doch einen komplementären Bogenschlag und nicht etwa die Absage an die Giebelwidmung zu entdecken. ({6}) Sie jedenfalls sehen einen produktiven Widerspruch, der die Tradition hellwach vor dem Erstarren in Konventionen bewahren hilft. Ich sehe in Haackes Werk eine in eine interessante Form gebrachte wichtige Äußerung, ein monumentales Epigramm, das kein Anschlag auf die Verfassung, sondern ein Glücksfall für die Demokratie ist, ({7}) damit die möglicherweise sonst auch weiterhin verdrängte Auseinandersetzung über das deutsche Volk in der Bevölkerung in Gang gebracht wird. Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, dem vorliegenden Antrag nicht zuzustimmen, sondern es bei der Entscheidung des Kunstbeirates und seiner Sachverständigen zu belassen, um uns nicht dem Verdacht auszusetzen, dass Kunst in Zukunft parlamentarisch zensiert wird. ({8}) Ich bitte Sie, uns diese Blamage zu ersparen. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Hans Haackes Projekt überzeugt mich nicht in seiner Ästhetik und schon gar nicht in seiner politischen Symbolik und deswegen möchte ich es nicht in unserem Hause haben. In den Erläuterungen zu seinem Projekt bezeichnet Hans Haacke die Giebelaufschrift „Dem Deutschen Volke“ als eine nationalistische, exklusive Parole. Das ist nichts weniger als eine Geschichtsklitterung. In Wahrheit wurde die Widmung in einem Akt republikanischer Emanzipation 1915 gegen den Widerstand des Kaisers durchgesetzt und hat deswegen einen verfassungspatriotischen, geradezu partizipatorischen Ursprung. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn Hans Haacke den Begriff des deutschen Volkes noch immer für durch die Propaganda sowohl der NSDAP als auch der SED belastet hält, so übersieht er, dass zumindest die mutigen DDRBürger 1989 mit ihrem Freiheitsruf „Wir sind ein Volk“ ein deutsches Volk - diesen Begriff rehabilitiert und ihm seinen demokratischen Klang zurückerobert haben. ({1}) Mein schwerster Vorwurf: Haackes Projekt leidet unter einer höchst widersprüchlichen Symbolik. Wenn er den Volksbegriff durch Hitler als dauerhaft besudelt ansieht, dann gilt dies mindestens in gleichem Maße für das von ihm beabsichtigte Ritual der Erdbeschaffung. ({2}) Man muss dieses nicht mit den Olympischen Spielen 1936 und nicht mit der NS-Weihestätte in der Quedlinburger Stiftskirche vergleichen, in der 1940 Urnen mit Erde aus allen deutschen Gauen deponiert worden sind und die dort heute noch stehen. Jedenfalls belastet die Blut- und Boden-Mythologie der Nazis diese von ihm gewünschte Symbolik einer Beschaffung von Heimaterde. Einen weiteren Widerspruch in Haackes Projekt sehe ich darin, dass die von ihm ausdrücklich angestrebte Provokation die gleichzeitig geforderte Partizipation möglichst aller Abgeordneten verhindert: Wie viele von uns, frage ich Sie, werden wohl ihr Eimerchen Heimaterde herschaffen, wenn wir hiermit zu einer Umwidmung des Parlaments beitragen sollen, die zwar dem Wunschbild des Künstlers, nicht aber unserem Grundgesetz entspricht? Hier liegt der entscheidende Unterschied zu Christos Projekt der Reichstagsverhüllung, dem ich seinerzeit mit großer Begeisterung zugestimmt habe: Christo hatte ein überzeugendes, ein tragfähiges, ästhetisches Konzept entwickelt. ({3}) Er hatte es nicht nötig, die Mitglieder des Bundestages für seine politischen Überzeugungen zu instrumentalisieren. Er hat mit Ästhetik geworben und nicht mit politischen Hintergedanken. Es ist wahr: Kunst hat durchaus das Recht und vielleicht auch die Pflicht, sich in Politik einzumischen. Wir Politiker haben aber doch nicht die Pflicht, über jedes uns von Künstlern hingehaltene Stöckchen zu springen. ({4}) Bei dieser Abstimmung geht es - da hat der Kollege Dr. Lammert völlig Recht - um ein Stück Selbstachtung dieses Parlaments auch gegenüber seiner eigenen Geschichte. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle erkennen die Freiheit der Kunst an; wir erkennen aber nicht ein ästhetisches Monopol für Kunstsachverständige und des Kunstbeirates an. ({6}) Haben Sie daher Mut zu einer eigenen, zu einer persönlichen, zu einer souveränen Entscheidung! Stimmen Sie für den Gruppenantrag! Vielen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rita Süssmuth, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute im Bundestag über das künstlerische Projekt von Hans Haacke. Ich habe keine Probleme damit, dass diese Entscheidung in den Bundestag getragen wird; denn wann immer eine Gruppe von Abgeordneten dies wünscht, geschieht es. Wir im Kunstbeirat maßen uns nicht mehr Souveränität an als im Deutschen Bundestag. Diese Frage steht für mich nicht im Streit. ({0}) Wenn heute erklärt wird, es stehe nicht die Freiheit der Kunst in Rede, dann kann ich dem auch noch zustimmen. Hier aber es geht um eine höchst politische Entscheidung, die heute getroffen wird. ({1}) Dass das Projekt Haackes so im Streit ist, hat seine Gründe; die Erde ist dabei nur ein nachgeordnetes Problem. Es geht im Kern um die Frage, ob wir wirklich bereit sind, dem Spruch „Dem Deutschen Volke“ die Ergänzung „Der Bevölkerung“ folgen zu lassen. ({2}) Hier meinen einige, dass das selbstverständlich sei, da Art. 3 des Grundgesetzes doch gelte. Ich frage: Wenn das so selbstverständlich ist, warum dann dieser Aufruhr? ({3}) Offenbar ist es überhaupt nicht selbstverständlich. Die Vielzahl der eingegangenen Briefe zeigt, wie sehr es sich um ein Politikum handelt. Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das gute Recht jedes und jeder Einzelnen, zu entscheiden, ob er oder sie mitmachen will oder nicht. Aber in Hunderten von Briefen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - gibt es nur einen Tenor, nämlich dass das, was wir hier zulassen würden, all denjenigen, die es wollen, den Vorwurf einbringt, Verbrecher, Mörder und Verräter des Vaterlands zu sein. ({4}) Nun kann man sagen, diese Minderheit kümmert uns nicht. Aber diese Minderheit hebt kräftig an und wirft den noch Mächtigen vor, sie seien für die Milliardenbeträge an Sozialhilfe, die wir für Ausländer und Asyl Suchende, die hier nicht hingehören, zahlen müssen, verantwortlich. Ich muss dies beim Namen nennen, weil es Grundtenor nicht nur einzelner Briefe, sondern Hunderter von Briefen ist. ({5}) Weiter wird gefragt, ob diejenigen, die zugestimmt hätten, nicht sowieso geisteskrank oder von allen guten Geistern verlassen seien. Es wird gefragt: Sollen die Gelben, die Schwarzen, die Türken und die Zigeuner etwa auch dazu gehören? Das wäre der Verrat am Vaterland. - Dies muss man mit im Hinterkopf haben. ({6}) Es wäre gut, wenn all die Briefe, die viele von uns bekommen haben, bei einer Ablehnung des Projekts als Dokumentation an den leeren Platz des nördlichen Lichthofes gelegt würden. ({7}) Man kann über Gras, Steine und Erde trefflich streiten. Ich verwehre es auch niemandem - dazu habe ich auch gar kein Recht -, zu erklären, der Erde würde ein bestimmter Mythos anhaften. All denjenigen, die sonst mit hohem Pathos so viel von Heimaterde sprechen, widerspricht Haacke ganz schlicht, ({8}) indem er sagt, es gehe ihm um ein Stück demokratischer Territorialität. Das muss nicht jeder begrüßen. Ich finde, das ist vielleicht der schwächste Teil an seinem Projekt. ({9}) Hans-Joachim Otto ({10}) Ich möchte denjenigen, die hier so laut tönen und von „Blut und Boden“ sprechen, sagen: Ich habe hohen Respekt vor der Heimaterde. ({11}) - Ja, ich habe das. Ich habe in meiner Familie selbst Vertriebene, die Tausende von Kilometern gefahren sind, um ein Stückchen Heimaterde zu holen, ohne dass sie revanchistisch oder mit negativen Ressentiments belegt gewesen wären. ({12}) Ich füge hinzu:Andere Völker bringen Steine an bestimmte Orte. Wir tun heute so, als hätten wir alle damals Christo mit großem Herzen zugestimmt. ({13}) Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich in der Nacht vor der damaligen Entscheidung glaubte, wir fänden im Deutschen Bundestag keine Mehrheit. Es ist anders ausgegangen. Wir reden so oft von unserer Selbstachtung und Würde. In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend zu bedenken geben: Wenn wir ein Häufchen Erde ungesehen in den Trog werfen, wird das unserer Würde weniger schaden als manche Debatte, die im Deutschen Bundestag abläuft. Ich danke Ihnen. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, ein bisschen zur Abrüstung beizutragen, die Antje Vollmer zwar gefordert, aber meiner Meinung nach nicht geleistet hat. ({0}) Ich möchte auch ein bisschen zu der kritischen Auseinandersetzung beitragen, die Norbert Lammert eingefordert hat. Ich glaube nicht, dass die, die sich für das Projekt und damit gegen den Antrag, den Sie gestellt haben aussprechen, dies in demütiger Bewunderung, sondern sehr wohl überlegt und durchdacht tun. Noch einmal zur Vorgeschichte: Als der Kunstbeirat in der letzten Legislaturperiode beschloss - ich glaube, einstimmig, Herr Kauder war dabei; wir haben es intensiv besprochen -, Hans Haacke zu beauftragen, wussten wir fraktionsübergreifend, was wir taten. Wir wussten, dass wir einen Künstler beauftragen, der die Politik durchaus provoziert und zur Auseinandersetzung mit der Kunst herausfordert, einen Künstler, der Politik und Kunst in eine spannungsvolle, untrennbar miteinander verwobene Wechselbeziehung setzen möchte. Wenn wir heute entscheiden, dass dieses Projekt nicht verwirklicht wird, dann entscheiden wir auch, dass diese Hand wieder zurückgezogen wird. Ich glaube, dies ist eine Dimension, die wir bedenken sollten. Meiner Meinung nach ist das Spezielle an diesem Projekt, über das wir diskutieren, dass es ein Denkwerk und nicht nur ein Kunstwerk ist. ({1}) Wir sind es gewohnt, dass Kunstwerke primär an unsere Gefühle, an unser unterbewusstes Assoziationsvermögen appellieren. Demgegenüber schafft Haacke die Herausforderung zur Aufklärung, zum Denken. Er zwingt uns regelrecht zur Selbstreflexion unseres Handelns. Meiner Meinung nach stellt er gerade uns Parlamentariern zwei Fragen und wirkt damit - ich habe damit keine Probleme, Herr Kollege Lammert - sehr wohl aufklärend. Er fragt uns: Für wen macht ihr Politik? Ausschließlich für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder für alle Menschen, die auf deutschem Boden leben? Die zweite Frage, die er uns stellt, die schon Gegenstand der Diskussion war, ist: Könnt ihr eigentlich mit dem Boden, der uns alle trägt und nährt, natürlich und unverkrampft umgehen oder steht ihr immer noch im Banne der Blut-und-Boden-Mythen des Nationalsozialismus? Ich muss sagen, dass ich nicht alle Antworten teile, die Haacke selbst mit seiner Projektinterpretation gegeben hat. Zunächst einmal - das möchte ich hier deutlich sagen, gerade auch in Richtung Antragsbefürworter - bin ich nicht der Ansicht, dass die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ durch den Faschismus so dauerhaft entwürdigt worden ist, dass man das Wort „deutsches Volk“ nicht mehr aussprechen darf. Ich glaube schon, dass wir zu einer so engagierten demokratischen Politikkultur gefunden haben, dass es uns wieder erlaubt ist, auch selbstbewusst zu unserer deutschen Identität zu stehen. ({2}) Wenn das so ist - das sollten wir gemeinsam so sehen, egal, wie wir zu dem Projekt stehen -, bin ich der Meinung, dass wir diesen Denkanstoß, den uns Haackes Projekt gibt, wirklich nutzen sollten; er ist richtig und wichtig. Denn die Diskussion der letzten Wochen zeigt, wie viele Menschen immer noch Identitätsschwierigkeiten haben. Deswegen müssen wir über Begriffe wie „deutsches Volk“ und „deutsche Bevölkerung“ weiterhin einen Dialog führen. ({3}) Auch die zweite Frage, die uns Haacke stellt, kann unterschiedlich beantwortet werden. Ich selbst habe mit dem Erdritual auch so meine Probleme. Ich werde hier kein Säckchen Erde hinschleppen. Aber ich habe mit vielen jüngeren Kollegen gesprochen, die mich fragen: Welche Schwierigkeiten hast du mit der Heimaterde? Die sind durchaus bereit, Heimaterde - nicht nur Wahlkreiserde, Herr Haacke - mitzubringen. Sie sagen, gerade unsere Grünen: Das wollen wir mit Hanfsamen und Sonnenblumen bepflanzen, da soll optimistisch und fröhlich etwas wachsen. ({4}) Es ist durchaus legitim, den Denkanstoß in Sachen Erde mythisch, problematisch, nationalsozialistisch beschwert oder auch fröhlich und optimistisch zu sehen. Denn wir müssen nicht dieselben Antworten im Kopf und im Herzen haben, wenn wir dieses Projekt befürworten. Ich wünsche mir aber, dass wir den Mut haben, die Fragen, die Haacke aufwirft, und das Denken, das er uns abverlangt, auch wirklich zuzulassen: nicht nur mit Blick auf uns hier und heute in dieser Diskussion, sondern auch mit Blick auf die kommenden Parlamentarier- und Besuchergenerationen, die diese Inschrift lesen und dadurch selber zum Denken angeregt werden. Ich werbe dafür, den vorliegenden Antrag abzulehnen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSUFraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da der Saal jetzt schon sehr voll und auch der Lärmpegel sehr hoch ist, möchte ich ausdrücklich darum bitten, auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte die entsprechende Aufmerksamkeit zu zollen.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute darüber, ob das Haacke-Kunstwerk „Der Bevölkerung“ im Reichstag installiert werden soll. Wir entscheiden aber nicht über Kunst, sondern führen eine politische Debatte. Es geht nicht um ästhetische Begriffe und schon gar nicht um die Frage von Kunstfreiheit. Die Kunst in Deutschland ist frei und auch durch diese Diskussion findet keine Zensur von Kunst statt. ({0}) Was mussten wir im Vorfeld nicht alles lesen! Die Freiheit der Kunst sei in Gefahr, wenn wir es heute wagen sollten, Nein zu diesem Kunstwerk zu sagen. Wie soll denn die Freiheit der Kunst gefährdet werden, wenn es nur darum geht, zu entscheiden, wo dieses Werk aufgestellt wird? Hans Haacke kann es überall in Berlin aufstellen, nur nicht im Reichstag. ({1}) Ein sicherlich genauso abwegiges Argument, um uns hier einzuschüchtern, ist es zu sagen, es handle sich um das Werk eines renommierten Künstlers, das von renommierten deutschen Kunstsachverständigen für gut befunden worden sei. Schließlich der Beitrag von Hans Haacke selbst. Er will ein Kunstwerk in das Reichstagsgebäude stellen mit der Überschrift „Der Bevölkerung“. Wenn sich aber einer aus dem Volk wie Michael Glos äußert, wird ihm von Hans Haacke beschieden, ein Müllermeister könne über sein Kunstwerk nicht urteilen. Welche Arroganz gegenüber einem Mann aus dem Volk, der über dieses Kunstwerk diskutieren will! ({2}) Meine Damen und Herren, wir alle können die Interpretation von Hans Haacke lesen und uns unsere eigene Meinung zu seinem Kunstwerk bilden. Ich sage Nein zur Aufstellung dieses Werkes im Deutschen Bundestag. Die zahlreichen Zuschriften von Deutschen, die dieses Kunstwerk ebenfalls ablehnen, haben mich in meiner Ansicht bestärkt. ({3}) Ich lehne es ab, wie es hier gemacht wurde, allen Zuschriften nationalsozialistisches Gedankengut zu unterstellen. Es ist unglaublich, so etwas zu tun. ({4}) - 80 Prozent, wird da gesagt. - Sehr viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie dieses Kunstwerk ablehnen und sich dadurch beleidigt fühlen. Das einzige Ziel des Werkes von Hans Haacke ist die Provokation. Das ist Haackes „Kunstwerk“. Das ist nichts besonders Originelles! „Publikumsbeschimpfungen“ gab es auch schon früher. ({5}) Gerade in diesen Tagen müssen jüdische Menschen in New York unter Haackes ähnlich gestricktem Kunstwerk „Sanitation“ leiden. Sie haben geschrieben, sie fühlten sich durch dieses Kunstwerk beleidigt. Das können Sie in den Zeitungen nachlesen. Es hat einen wirklich faden Beigeschmack, wenn einige Haacke-Anhänger die beleidigenden Aussagen angeblich nicht erkennen können und stattdessen von überzeugender Ausdruckskraft sprechen. Ist schon der konzeptionelle Rahmen des Kunstwerkes recht abgegriffen, so ist es vor allen Dingen die politische Grundaussage. Haacke geht dabei nach dem folgenden simplen Rezept vor: Man reduziere Deutschland, seine Geschichte und sein Volk auf die schrecklichen zwölf Jahre Nationalsozialismus, mische darunter dunkle Begriffe wie Volkssturm oder Volksgerichtshof; dann verzerre man alles bis ins abgrundtief Böse, Schlechte und Negative. Schließlich definiere man einen Gegenbegriff wie Bevölkerung, den man den Deutschen rasch als reinigende Lösung anbietet, und alles ist wieder gut. ({6}) Haacke sieht die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ am Reichstag und gibt sich erschrocken, wie er formuliert. Dann fabuliert er über die unheilvolle Rolle des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert, wobei die positiven Entwicklungen der letzten 55 Jahre und all das, was sich in diesem Land bewegt hat, bei ihm erkennbar nicht angekommen sind. ({7}) Er kommt zu einem unglaublichen Schluss, der schon vor dem Hintergrund unserer Verfassung unglaublich klingt: Für ihre Entscheidungen sind die Bundestagsabgeordneten nicht gegenüber einem mythischen Volke, sondern gegenüber der Bevölkerung verantwortlich. Ein Blick ins Grundgesetz hätte ihm gezeigt, dass alle Gewalt „vom Volke“ - vom deutschen Volke - ausgeht und die Abgeordneten in diesem Reichstag ({8}) in erster Linie die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten haben. ({9}) Dies hat der selbst erklärte Verfassungspatriot, wie eine Pressemitteilung vom 13. Februar 2000 zeigt, offenbar nicht verstanden. In dieser Presseerklärung versteigt sich Haacke zu folgender Formulierung: „Die rassistische Definition, wer zum deutschen Volk gehört, fordert auch heute noch Menschenopfer.“ Dies ist seine Erklärung für sein Kunstwerk. Eine solche Erklärung zu einem Kunstwerk will ich im Deutschen Bundestag nicht haben. ({10}) Es geht also um Politik, nicht um Ästhetik. Daher wäre die Angelegenheit im Kunstbeirat letztlich auch nicht vom richtigen Gremium beraten worden. Es ist richtig dass wir hier im Deutschen Bundestag der Bevölkerung klarmachen, ob wir uns von einer ideologischen Begründung Haackes an der Nase herumführen lassen wollen. Herr Thierse, noch vor wenigen Tagen haben Sie hier in diesem Gebäude als einer der Hauptredner der Feierstunde zur ersten freien Volkskammerwahl das Volk als politischen Souverän gefeiert. Sie haben Ihre Freude darüber ausgedrückt, dass in der DDR die Zeit vorbei war, in der eine politische Kluft zwischen dem Volk auf der einen und den Abgeordneten der Nationalen Front der DDR auf der anderen Seite bestand. Am 18. März 1990 ist in der DDR etwas zusammengewachsen, was zusammengehört, nämlich das souveräne Volk und seine Volksvertretung. Soll durch die Agitation eines Künstlers nur zehn Jahre später eine neue Kluft aufgerissen werden? ({11}) Dies wollen wir nicht! ({12}) Wann, liebe Kolleginnen und Kollegen, lernen wir Deutschen endlich, uns normal zu benehmen, ({13}) so normal wie die Franzosen und die Briten? Sie haben eine freiheitliche Lebensform für das souveräne Staatsvolk geschaffen und behandeln die nicht zum Volk gehörenden fremden Bewohner des Landes dennoch würdig. Hier in Deutschland glauben aber immer noch einige, dass man das deutsche Volk in einem negativen Licht darstellen muss, um ein guter Mensch zu sein. Dies ist nicht meine Auffassung. ({14}) Ich sage deshalb - und dies sage ich für die überwiegende Zahl der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - Nein zu diesem simplen und für unser Haus unwürdigen Kunstwerk. Ich sage Nein dazu, dass der Versuch unternommen wird, das deutsche Volk verächtlich zu machen, auf eine kurze Zeit seiner Geschichte zu reduzieren. ({15}) Ich sage Nein zu dem Versuch der Distanzierung des Deutschen Bundestages von seinem eigenen Volk. Ich bitte Sie, dem Gruppenantrag zuzustimmen. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Abgeordnete Wolfgang Thierse, SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kunst ist Freiheit. Das ist ihr inneres Wesen. ({0}) Sie lässt Unterschiede zu, lädt ein zu Streit, zur Diskussion, zur Subjektivität und zur Artikulation unseres je eigenen Geschmacks, Empfindens, Fühlens und Denkens. Deshalb ist unterschiedliches ästhetisches Urteil legitim, sind gegensätzliche Meinungsäußerungen selbstverständlich, auch von Politikern und natürlich auch von Parlamentariern. Aber, lieber Kollege Lammert, lieber Kollege Kauder, warum müssen sie mit dieser schneidenden Schärfe ausgetragen werden? ({1}) Frau Kollegin Vollmer, wenn Sie die Aufrüstung beklagen - wer hat sie betrieben? Unterschiede, Meinungsverschiedenheiten in Kunstfragen sind also normal und angemessen, gerade auch dann, wenn Sie, wenn wir vom Künstler ausdrücklich zum Mittun eingeladen sind. Es ist also durchaus legitim, wenn sich das Plenum des Deutschen Bundestages mit diesem Projekt befasst, zumal der Bundestag als Auftraggeber fungiert. Was aber soll nach welchen Kriterien heute entschieden werden? Das ist die eigentliche Frage. Wir entscheiden darüber, ob ein Kunstprojekt verwirklicht wird oder nicht. Ich will Ihnen gestehen, dass auch ich zwiespältige Empfindungen bei diesem Projekt habe, viele Argumente dafür und dagegen nachvollziehbar finde. Die Erdemetaphorik halte ich für problematisch. Darüber habe ich mit Hans Haacke gestritten. „Wir sind das Volk“ haben wir Ostdeutschen 1990 gerufen und nicht „Wir sind die Bevölkerung“. Auch das habe ich dem Künstler im Kunstbeirat entgegengehalten. ({2}) Was für eine Entscheidung treffen wir heute? Eine ästhetische Entscheidung? Ja, selbstverständlich. Auch diejenigen, die betonen, dass sie eine politische Entscheidung treffen, werden doch nicht bestreiten, dass sie über das Schicksal eines Kunstprojektes entscheiden und dass damit ein politisches Gremium, wie es das Plenum des Bundestages nun einmal ist, über ein Kunstprojekt entscheidet. Vor dieser Entscheidung dürfen sie sich nicht drücken. ({3}) Nun gehört es aber zu den kostbaren Vorzügen unserer Demokratie - das möchte ich Ihnen zu bedenken geben -, dass in ihr eine beträchtliche Sensibilität gegenüber den misslichen, den inkommensurablen politischen Entscheidungen über Kunst gewachsen ist. Wie sähe die Kunstgeschichte aus, hätte das Entstehen von Kunstwerken jeweils von mehr oder minder politischen Mehrheitsentscheidungen von Gremien abgehangen? ({4}) Stellen Sie sich bitte diese Kunstgeschichte einmal vor! ({5}) Wenn Sie mir erlauben, möchte ich noch eine Bemerkung hinsichtlich meiner DDR-Erfahrung machen. Dort haben politische Gremien ständig über Kunst entschieden. Ich will nichts gleichsetzen - wahrlich nicht. Aber diese Erfahrung hat mich überempfindlich gemacht. ({6}) Weil der Bundestag ein Empfinden für die Unangemessenheit politischer Entscheidungen über Kunst hatte, hat er sich ein eigenes Gremium, den Kunstbeirat, geschaffen, in dem Abgeordnete und Kunstsachverständige intensiv miteinander und mit den Künstlern diskutieren und dann entscheiden. Über das Haacke-Projekt hat der Kunstbeirat dreimal ausführlich debattiert und dann zweimal positiv entschieden. Um die Revision oder um die Bestätigung dieser Entscheidung geht es. Es ist eine Entscheidung über ein Kunstprojekt mit intellektuellem, politischem Anspruch. Es ist gewiss kein Kunstwerk der Dekoration, der Verschönerung, der Harmonie, sondern ein Kunstwerk der Verfremdung. Verfremdung ist eine fundamentale Funktion von Kunst. ({7}) Das Kunstwerk beinhaltet nicht die Tilgung, nicht die Umwidmung der Inschrift „Dem Deutschen Volke“, sondern einen Kommentar, eine Anstiftung zum Nachdenken, zum Bewusstmachen unserer demokratischen Verpflichtung, wie wir gemeinsam die Widmung unseres Parlamentsgebäudes „Dem Deutschen Volke“ verstehen. Es geht darum, uns durch Verfremdung erneut bewusst zu machen, in welcher Verantwortung wir stehen. ({8}) Wenn man sich, wie hier geschehen, einen Dialog zwischen Parlamentariern und Künstlern wünscht - liebe Kollegin Vollmer, Sie haben Recht -, dann sollte man den Dialog gerade nicht durch ein Nein abbrechen oder verhindern. ({9}) Kunst ist Freiheit. Das gilt gerade auch für Ihr Mitwirken an diesem Projekt. Es ist selbstverständlich absolut freiwillig. Das hat Haacke ausdrücklich betont. Sie werden zu nichts gezwungen, auch nicht zum Herbeitragen von Heimaterde. ({10}) Der erklärende Text des Künstlers ist nicht Teil des Kunstwerkes. Wo kämen wir in der Kunstgeschichte hin, wenn wir uns auf Künstlertexte und nicht auf die wirklichen Kunstwerke einlassen müssten? ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kunst ist Freiheit. Lassen wir sie frei! Beweisen wir jene Souveränität, die dem Bundestag im 51. Jahr seines erfolgreichen Bestehens angemessen ist! Reagieren wir nicht mit angstvoller oder heftiger Abwehr, sondern stellen wir uns dem Anspruch und Widerspruch des Kunstprojektes von Hans Haacke! ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Präsident Wolfgang Thierse Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf verweisen, dass es bereits jetzt eine Fülle von Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung gibt, die zu Protokoll gegeben werden.* Der Kollege Albert Schmidt hat darum gebeten, seine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung jetzt kurz mündlich vortragen zu dürfen. Dieser Bitte habe ich stattgegeben. Das wird aber die einzige mündliche Erklärung vor der namentlichen Abstimmung sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, bis zur namentlichen Abstimmung auf Ihren Plätzen zu bleiben.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Antrag des Kollegen Lammert und weiterer Kolleginnen und Kollegen in der Abstimmung ablehnen werde, übrigens genauso wie sehr viele aus meiner Fraktion, dann nicht deshalb, weil ich damit ein Urteil über dieses Kunstwerk abgeben möchte. Ich möchte mich nur nicht von Herrn Lammert oder von sonst jemandem in einen Bekenntnisrummel hineintreiben lassen, hier per Mehrheit über die Qualität eines Kunstwerkes entscheiden zu müssen. ({0}) Kunst, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für mich ihrem Wesen nach ({1}) nicht beauftragt, Wahrheit auszudrücken. Über Kunst ist auch nicht per Mehrheit zu entscheiden. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schmidt, ich bitte Sie, Ihr Abstimmungsverhalten zu begründen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin beim letzten Satz. - Kunst hat für mich zu tun mit Schönheit, mit Ästhetik. Wenn ich diesen Antrag ablehne, mache ich deutlich, dass das dafür berufene Gremium, der Kunstbeirat, in höchst subjektiver Weise eine Entscheidung getroffen hat. Diese Entscheidung will ich unterstützen, ob mir das Kunstwerk gefällt oder nicht. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag zu dem Kunstprojekt im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes von Hans Haacke „Der Bevölkerung“ auf Drucksache 14/2867 ({0}). Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Nach § 52 Satz 1 unserer Geschäftsordnung sind für dieses Verlangen 34 anwesende Mitglieder des Bundestages erforderlich. Ich bitte diejenigen, die das Verlangen nach namentlicher Abstimmung unterstützen, um das Handzeichen. - Das Verlangen hat die erforderliche Unterstützung erhalten. Wir stimmen deshalb namentlich ab. Ich bitte, vor der Stimmabgabe darauf zu achten, dass die von Ihnen verwendete Stimmkarte Ihren Namen trägt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Es scheinen alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt zu haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. Die Sitzung ist unterbrochen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, Ilse Aigner und weiterer Abgeordneter zur Realisierung des Kunstwerkes „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke auf Drucksache 14/2867 ({0}) bekannt - ich habe absichtlich „vorläufig“ gesagt, weil es sich um ein äußerst knappes Ergebnis handelt und noch einmal, wie das normalerweise üblich ist, nachgezählt wird -: Abgegebene Stimmen 549. Mit Ja haben gestimmt 258, mit Nein haben gestimmt 260, Enthaltungen 31. Vizepräsidentin Petra Bläss Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 549 ja: 258 nein: 260 enthalten: 31 Ja SPD Dr. Peter Eckardt Iris Follak Werner Labsch Gudrun Roos Dr. Emil Schnell Richard Schuhmann ({1}) Jörg-Otto Spiller Gunter Weißgerber Jürgen Wieczorek ({2}) CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({4}) Cajus Caesar *) Anlagen 4 bis 7 Vizepräsidentin Petra Bläss Manfred Carstens ({5}) Peter H. Carstensen ({6}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({7}) Axel E. Fischer ({8}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({9}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({10}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({11}) Gottfried Haschke ({12}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({13}) Hansgeorg Hauser ({14}) Helmut Heiderich Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Thomas Kossendey Dr. Martina Krogmann Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({15}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({16}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({17}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({18}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erwin Marschewski ({19}) ({20}) Wolfgang Meckelburg Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({21}) Elmar Müller ({22}) Bernd Neumann ({23}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Eduard Oswald Norbert Otto ({24}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Helmut Rauber Christa Reichard ({25}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({26}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({27}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({28}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({29}) Andreas Schmidt ({30}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Diethard Schütze ({31}) Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Rudolf Seiters Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Matthäus Strebl Thomas Strobl Michael Stübgen Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({32}) Gerald Weiß ({33}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({34}) Hans-Otto Wilhelm ({35}) Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Matthias Berninger Andrea Fischer ({36}) Rita Grießhaber Werner Schulz ({37}) Margareta Wolf ({38}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({39}) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Horst Friedrich ({40}) Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({41}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Walter Hirche Birgit Homburger Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Ina Lenke Günther Friedrich Nolting ({42}) Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Marita Sehn Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({43}) Klaus Barthel ({44}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Lothar Binding ({45}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({46}) Bernhard Brinkmann ({47}) Hans-Günter Bruckmann Hans Martin Bury Hans Büttner ({48}) Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Annette Faße Vizepräsidentin Petra Bläss Gabriele Fograscher Norbert Formanski Hans Forster Lilo Friedrich ({49}) Harald Friese Anke Fuchs ({50}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({51}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({52}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Walter Hoffmann ({53}) Frank Hofmann ({54}) Ingrid Holzhüter Christel Humme Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({55}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Erika Lotz Dieter Maaß ({56}) Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({57}) Ursula Mogg Michael Müller ({58}) Jutta Müller ({59}) Andrea Nahles Volker Neumann ({60}) Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Georg Pfannenstein Johannes Pflug Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({61}) Birgit Roth ({62}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({63}) Ulla Schmidt ({64}) Silvia Schmidt ({65}) Dagmar Schmidt ({66}) Wilhelm Schmidt ({67}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({68}) Carsten Schneider Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte ({69}) Reinhard Schultz ({70}) Volkmar Schultz ({71}) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({72}) Dr. Angelica Schwall-Düren Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({73}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({74}) Matthias Weisheit ({75}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Helmut Wieczorek ({76}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({77}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({78}) Engelbert Wistuba Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({79}) Uta Zapf Peter Zumkley CDU/CSU Dr. Rita Süssmuth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({80}) Marieluise Beck ({81}) Volker Beck ({82}) Annelie Buntenbach Winfried Hermann Kristin Heyne Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Kerstin Müller ({83}) Winfried Nachtwei Claudia Roth ({84}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({85}) Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß F.D.P. Dr. Wolfgang Gerhardt Sabine LeutheusserSchnarrenberger PDS Monika Balt Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Enthalten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grietje Bettin Dr. Thea Dückert Hans-Josef Fell Katrin Dagmar Göring-Eckardt Ulrike Höfken Dr. Helmut Lippelt Helmut Wilhelm ({86}) PDS Sabine Jünger Dr. Christa Luft Christina Schenk SPD Marion Caspers-Merk Rainer Fornahl Günter Graf ({87}) Hans-Joachim Hacker Manfred Hampel Frank Hempel Iris Hoffmann ({88}) Johannes Kahrs Dirk Manzewski Christian Müller ({89}) Dr. Rolf Niese Albrecht Papenroth Margot von Renesse Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Horst Schild Dr. Gerald Thalheim Dr. Konstanze Wegner Hildegard Wester Hanna Wolf Entschuldigt Der Antrag ist abgelehnt. ({90}) Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Anweisung des Bundesministers Müller, die Höhe des Briefportos bis Ende 2002 beizubehalten, obwohl die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post eine 15-prozentige Absenkung wollte ({91})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn diejenigen, die dem spannenden Thema, das jetzt kommt, unbedingt nicht folgen wollen, ihre Gespräche draußen fortsetzen, können wir anfangen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Elmar Müller von der CDU/CSU-Fraktion.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, jedermann weiß um Ihr Problem, dass Sie als Quereinsteiger in der Politik keinerlei Hausmacht haben. Ein Minister wie Herr Müller, der sich in den vergangenen Tagen von den Gewerkschaften, von SPD-Abgeordneten und von einigen in seinem Kabinett sozusagen vor sich hertreiben ließ, hat, wie ich denke, jeden Anspruch verspielt, ein Wettbewerbsminister zu sein. ({0}) Viel schlimmer noch: Dieser Minister führt einen regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen den Mittelstand und gegen Wettbewerb in diesem Bereich der liberalisierten Post. ({1}) Ein Minister, der ganz offensichtlich nicht einmal mit den zuständigen Fachkollegen aus den Regierungsfraktionen spricht, bevor er seine Entscheidungen trifft, muss in einer solchen Aktuellen Stunde auf das zurückgeführt werden, was er darf und was er soll. Ich denke, die Sprecherin der Grünen, Frau Kollegin Michaele Hustedt, hat sich richtig zu dieser Entscheidung geäußert, wenn sie sagt: Wer will schon die Aktien von einem Unternehmen kaufen, das scheinbar nicht alleine im Wettbewerb bestehen kann und immer noch auf politische Einflussnahme setzt? Recht hat sie, die Kollegin der Grünen. Dem ist im Grunde genommen nichts hinzuzufügen. Herr Minister, wenn Sie bei Ihrer Weisung gegen niedrigere Verbraucherpreise, die Sie nach Gutsherrenart getroffen haben, davon ausgehen, Abgeordnete in diesem Hause hätten ihren Kopf nur zum Haareschneiden, dann sollten Sie das bei denen vermuten, die heute in dieser Aktuellen Stunde Ihre Weisung kritiklos durch Nicken absegnen werden. In den 60er-Jahren gab es einen Sponti-Spruch, der da lautete: „Wo wir sind, herrscht Chaos, leider können wir nicht überall sein.“ Ich glaube, was Sie in den letzten Tagen an Schaden angerichtet haben, dämmert Ihnen, Herr Minister, allmählich. ({2}) Ich will das an einigen Fakten aufzeigen. Zunächst der Vorgang: Im April 1996 hat die Post neue Tarife verlangt, über die wir uns im damaligen Regulierungsrat eineinhalb Jahre unterhalten haben, bis der Minister vor Verabschiedung des Postgesetzes die GenehVizepräsidentin Petra Bläss Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU. Adam, Ulrich Behrendt, Wolfgang Bühler ({3}), Klaus CDU/CSU SPD CDU/CSU Buwitt, Dankward Freitag, Dagmar Haack ({4}), Karl-Hermann CDU/CSU SPD SPD Hempelmann, Rolf Hornung, Siegfried Jäger, Renate SPD CDU/CSU SPD Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Dr. Lucyga, Christine Maaß ({5}), Erich F.D.P. SPD CDU/CSU Michels, Meinolf Müller ({6}), Manfred Walter Neumann ({7}), Gerhard CDU/CSU PDS SPD Dr. Scheer, Hermann Schmitz ({8}), Hans Peter von Schmude, Michael SPD CDU/CSU CDU/CSU Siebert, Bernd Dr. Wodarg, Wolfgang Zierer, Benno CDU/CSU SPD CDU/CSU migung erteilt hat. Die Genehmigung der Portoerhöhung wurde bis zum 30. August dieses Jahres befristet und mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf erteilt, dass die Post in diesem begrenzten Zeitraum mehr Geld für Rationalisierungsmaßnahmen benötige. Herr Minister, Sie haben im Juli des vergangenen Jahres die Regulierungsbehörde aufgefordert, ein Entgeltüberprüfungsverfahren einzuleiten und Ermessensspielräume auszuschöpfen, was wohl nichts anderes heißt, als sich um Tarifsenkungen zu bemühen. Aber jetzt, wenige Tage, bevor die Regulierungsbehörde ihre Untersuchung vorlegen wollte, haben Sie das Verfahren gestoppt, möglicherweise weil Sie glaubten, dass die Regulierungsbehörde zu der Empfehlung kommt, die Preise zu senken. Anders kann man sich das nicht erklären. Die Antwort haben Sie, Herr Minister, in dieser Woche in einem Interview mit dem „Focus“ selbst gegeben: Jedes Unternehmen, auch die Post, müsse für einen Börsengang mit einem Mindestgewinn ausgestattet sein. ({9}) Das heißt: Es geht hier um noch höhere Gewinne; der Verbraucher spielt überhaupt keine Rolle. Ich denke, das ist eines Ministers, der eigentlich die Interessen der Verbraucher im Auge haben sollte, wirklich unwürdig. ({10}) Das Chaos, das Sie, Herr Minister, innerhalb weniger Tage durch diese Weisung und zwei Interviews angerichtet haben, kann ich nur in Stichworten nachzeichnen. Wenn Sie, wie behauptet, eine allgemeine Weisung und keine Einzelweisung zum Briefporto gegeben haben, dann haben wir ab dem 1. September ein nicht genehmigtes Porto. Dann hat jeder Postkunde ab dem 1. September das Recht, das verlangte Porto vor dem Landgericht auf effiziente Leistungserbringung überprüfen zu lassen. Sollte es aber doch eine Einzelweisung gewesen sein, was Sie bisher bestreiten, dann haben Sie eindeutig rechtswidrig gehandelt. Auf alle Fälle haben Sie ein riesiges Haftungsproblem auf die Bundesregierung und auf die Deutsche Post AG geladen. Sie werden nicht umhin kommen, auf dieses Haftungsproblem im Börsenprospekt der Post AG hinzuweisen. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit! Wir sind in der Aktuellen Stunde.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Herr Minister, diese Tatbestände haben dazu geführt, dass das Beihilfeverfahren in Brüssel verlängert wird. Es geht um unrechtmäßige Staatshilfen. Sie werden kaum Gelegenheit haben, diesen Verdacht jetzt noch zu entkräften. Wenn dies aber nur - was vermutet werden darf - das Vorspiel zu einer Monopolverlängerung sein sollte, die Sie ebenfalls bereits angekündigt haben, dann werden Sie, Herr Minister, auf den geschlossenen Widerstand der Unionsfraktion in Bundestag und Bundesrat treffen. Herr Minister, nehmen Sie diese Weisung zurück und lassen Sie die Regulierungsbehörde ihre Untersuchung zu Ende führen! Dann reden wir über eine vernünftige Entscheidung. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir in der Aktuellen Stunde sind. Da beträgt die Redezeit fünf Minuten. Jetzt hat die Kollegin Petra Bierwirth, SPD-Fraktion, das Wort.

Petra Bierwirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU verspricht den Postkunden öffentlich eine gewaltige Entlastung beim Porto. Beim heutigen Zusatzpunkt der Tagesordnung reden Sie sogar von einer 15-prozentigen Senkung des Entgeltes. Für Ihre Vertreter im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post darf es auch noch ein bisschen mehr sein. Keine Frage: Damit ist Ihnen der öffentliche Applaus sicher. Aber, verehrter Herr Kollege Müller, ich kann Ihnen hundertprozentig versichern, dass ich meinen Kopf nicht nur zum Haareschneiden habe. Ich gestatte mir die Frage an Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen, ob Sie sich Schützenhilfe für den nordrhein-westfälischen Wahlkampf davon versprechen, dass Sie sich intellektuell an Frau Feldbusch anlehnen, ({0}) nach dem Motto: Hier werden Sie geholfen. ({1}) Ihre ehemalige Regierung und Sie haben doch das Postgesetz verabschiedet, das der Deutschen PostAG politisch gewollte Sonderlasten aufbürdet. Es kann doch wohl schwerlich sein, dass die Post dann nicht auch die notwendige Gegenleistung erhält, die sie zur Wahrnehmung dieser Aufgaben befähigt. Wenn Sie dem Postkunden Milliardenbeträge gutschreiben wollen, dann erklären Sie uns bitte einmal, wie die Post ihre Sonderlasten finanzieren soll. Während Ihrer Regierungszeit haben Sie sich doch für die Planungssicherheit der Post eingesetzt. Ihre Kritik, die Weisung des Bundeswirtschaftsministers sei unzulässig, finde ich zudem schon arg bemüht. Sie waren doch diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode dem Wirtschaftsminister dieses Weisungsrecht zugestanden haben. Elmar Müller ({2}) ({3}) Wenn Sie jetzt dagegen wettern, dass Minister Müller von diesem Recht Gebrauch macht, ist dies eine sehr leicht zu durchschauende Kampagne. Ganz offensichtlich ist Ihnen in Ihrem Populismus der Gesamtzusammenhang etwas aus dem Blickfeld geraten. ({4}) Deshalb möchte ich Ihnen gerne die Aspekte, die in die Gestaltung des Briefportos der Deutschen Post AG einfließen müssen, noch einmal kurz in Erinnerung rufen: Die Deutsche Post AG muss die Aufgaben ihrer Exklusivlizenz erfüllen. Dazu zählt unter anderem, ein Netz von 12 000 Filialen zu erhalten, und dazu zählen auch schnelle Laufzeiten. Völlig unberücksichtigt bleibt bei Ihnen Art. 87 f des Grundgesetzes, der die Deutsche Post AG zur flächendeckenden Versorgung von der Hallig Hooge bis auf die Zugspitze verpflichtet. Sie lassen den Erhalt sozialer Standards, Sie lassen tariflich abgesicherte Arbeitsbedingungen, die Erwirtschaftung von Pensionsgeldern und die Versorgung des ländlichen Raumes völlig außer Acht. Ich kann bei Ihrer Diskussion nicht erkennen, wo die Mittel für den sozialverträglichen Personalabbau, den die Vorbereitung auf den Wettbewerb fordert, vorkommen sollen. Weiterhin sind wir in der Pflicht, für eine Übergangszeit den ehemaligen Monopolbetrieb in die Lage zu versetzen, sich dem Wettbewerb mit reellen Chancen stellen zu können. Einem Wettbewerb nach der Rosinenpickereimethode zulasten der Post müssen wir vorbeugen. Ich darf Sie zudem darauf hinweisen, dass der Postmarkt bis dato noch ein regulierter Markt ist. Somit ist es auch legitim, wenn die Politik für Übergangszeiten klare Rahmen setzt. Das ist aus meiner Sicht vor allem unter dem Gesichtspunkt der derzeitigen unsicheren Entwicklung in Europa angebracht. In den EU-Staaten sind die Märkte noch weitgehend geschlossen. Es ist somit nicht nachvollziehbar, wenn nun einige Kräfte hier in Deutschland mit fadenscheinigen Argumenten einseitige Marktöffnungen zulasten der Deutschen Post AG betreiben wollen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie öffentlich fordern, das Briefporto zu senken, dann erklären Sie bitte genauso öffentlich, welche Leistungseinbußen damit verknüpft sind, vor allem auch, wen es treffen wird. ({5}) Ich jedenfalls wüsste nicht, wie ich es begründen sollte, wenn Briefe und Postkarten zwar etwas billiger würden, aber ältere Menschen auf dem Land ihre Post nur noch einmal wöchentlich im Supermarkt empfangen könnten. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat ihre neoliberalen Backen mal wieder ordentlich aufgeblasen. ({0}) Ich finde aber, dass wir diese Diskussion nicht so schwarzweiß führen sollten, wie wir sie begonnen haben und wie Sie sie - wie ich es erwarte - auch weiter führen wollen. ({1}) - Wenn „neoliberal“ so platt verstanden wird, dass der Markt das Ziel und nicht ein Instrument ist, dann ist es für mich ein Schimpfwort. ({2}) - Das gehört auch nicht in den Deutschen Bundestag.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, wir wollen uns auch am späten Abend an die parlamentarischen Gepflogenheiten halten. Ich weiß nicht genau, was man unter „gaga“ versteht; da müsste ich meine Enkelin fragen. Aber ich glaube, es gehört nicht zu unserem Sprachgebrauch. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also: Wir sollten die Diskussion nicht so platt, sondern ein bisschen differenzierter führen. Der erste Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft den Börsengang. Der Bund als Haupteigentümer der Post steht in der Verantwortung, diesen Börsengang aufmerksam zu begleiten. Wir wollen, dass die Post einen ebenso erfolgreichen Börsengang erlebt, wie es schon im Bereich der Telekommunikation gelungen ist. ({0}) Nun ist der Bereich der Telekommunikation hipp; aus meiner laienhaften Sicht sind die Aktien hier eher überbewertet. ({1}) Der Börsengang der Telekom war zwar schwer, weil es ein neues Feld war, aber im Vergleich zum Börsengang der Post wesentlich einfacher. Die Post wird es schwerer haben, weil sie nicht in diesem modernen Bereich tätig ist. Deswegen ist der Börsengang, für den wir und der Wirtschaftsminister eine Mitverantwortung tragen, sehr aufmerksam zu begleiten. Die Post ist zu stärken und nicht zu schwächen. ({2}) Ich habe gesagt - dazu stehe ich auch -, dass zu einem gelungenen Börsengang gehört, dass die Post so schnell wie möglich nachweisen muss, dass sie tatsächlich fit für den Wettbewerb ist. ({3}) Dies ist die eine Seite. Auf der anderen Seite aber ist es für den Börsengang auch nicht ganz unwichtig, ob 1,5 Milliarden DM mehr oder weniger im Säckel sind. Dies gehört zu einer differenzierten Beurteilung, wenn man über die Börsenfähigkeit spricht. Der zweite Punkt. Ich kann Ihrer Schwarz-WeißMalerei im Hinblick auf die Verbraucherfreundlichkeit nicht folgen. Sicher ist es für die Verbraucher schöner, wenn das Briefporto sinkt. Aber für die Verbraucher ist es auch nicht schön, wenn sie zur nächsten Postdienststelle bis in die nächste Stadt fahren müssen bzw. wenn der nächste Briefkasten gerade für eher unbewegliche Leute quasi nicht mehr erreichbar ist. ({4}) Das heißt, wir müssen hier eine Abwägung treffen. Es darf nicht sein, dass die Liberalisierung in diesem Bereich dazu führt, dass nur noch in Städten eine funktionierende Post vorhanden ist und dass die Menschen auf dem Land ohne Postdienstleistungen leben müssen. ({5}) Gerade für diejenigen, die nicht mithilfe der modernen Medien kommunizieren können und die sich noch nicht auf das Internet eingestellt haben, ist die Post nach wie vor ein sehr wichtiges Medium. Darauf müssen wir bei der Liberalisierung achten. ({6}) Ein dritter Bereich, bei dem ich ebenfalls der Meinung bin, dass wir nicht schwarz-weiß diskutieren sollten, betrifft die Frage der Liberalisierung und die parallele Entwicklung zur EU. Bei der Liberalisierung im Bereich des Strommarktes in Deutschland - ich habe sie immer begrüßt, und ich möchte sie auch für die Post so schnell wie möglich - ist folgender Effekt eingetreten: Frankreich hat seinen Strommarkt nicht liberalisiert. Die ehemalige Regierung hat auf europäischer Ebene nicht durchgesetzt, dass der französische Strommarkt ähnlich schnell liberalisiert wird wie der deutsche. Deshalb wurde zum Schutz vor einer ungleichen Öffnung der Märkte eine Reziprozitätsklausel eingearbeitet. Das Ergebnis war, dass sich die EDF vor dem Hintergrund von Monopolgewinnen in deutsche Unternehmen eingekauft und damit jede Reziprozitätsklausel unterlaufen hat. ({7}) EDF selbst wird von den französischen Steuerzahlern hoch subventioniert und kann daher auf dem deutschen Markt mit Dumpingpreisen agieren. Dies ist nicht der richtige Weg; so sollten wir in Europa nicht miteinander umgehen. Ich kann nur sagen: Ich unterstütze Wirtschaftsminister Müller mit aller Kraft, damit wir den Fehler, den Sie bezüglich der Liberalisierung des Strommarktes gemacht haben, nicht bei der Liberalisierung des Postmarktes wiederholen. ({8}) Vielmehr muss in Europa eine gleichmäßige Liberalisierung erfolgen. Die anderen Länder sollen gefälligst mitziehen, damit nicht wir die Lasten der anderen Länder zu tragen haben. ({9}) Kehren Sie von der platten Polemik zu einer differenzierten Auseinandersetzung zurück! Ich kann nur sagen: Wer die Geister ruft, kann sie manchmal nicht mehr einfangen. Am Beispiel Ihres Fraktionsvorsitzenden konnten Sie dies sehen. Als er versucht hat, die Rentendebatte etwas differenzierter zu führen, ({10}) ist ihm genau diese platte Polemik entgegengeschallt. Sie haben sich in der Opposition, sei es in den Debatten zur Ökosteuer, sei es in Debatten zu anderen Bereichen, relativ stark eingenistet. Die dümmsten Sprüche waren Ihnen gut genug. ({11}) - Die Gaga-Sprüche waren Ihnen gut genug. - Ich hoffe, dass Sie diesen Kurs verlassen und dass wir in diesem Parlament nicht nur in der Postdebatte, sondern insgesamt zu einer sachlichen und differenzierteren Auseinandersetzung zurückkehren. Vielen Dank. ({12}) - Zurufe von der CDU/CSU: Das würden wir uns auch wün- schen!)

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anweisung von Bundeswirtschaftsminister Müller an die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ist in meinen Augen aus vielerlei Gründen weder zweckmäßig noch durchdacht. ({0}) Man kann sicherlich darüber streiten, ob überhaupt eine Anweisung rechtlich zulässig ist; denn nach unserem Postgesetz ist zumindest eine Einzelanweisung an die Behörde nicht zulässig. ({1}) Auch eine Allgemeinverfügung oder eine allgemeine Anweisung zur Auslegung des Postgesetzes - wie Sie das verstanden haben - ist dann unzulässig, wenn sie in der Rechtsform der allgemeinen Anweisung erfolgt, aber dem Inhalt nach eine Einzelanweisung ist. Dies ist hier geschehen. ({2}) Wenn man einmal von der Rechtsfrage absieht, handelt es sich bei dieser Anweisung um einen ordnungspolitischen Sündenfall. ({3}) Es ist nicht nur so, dass bei der Abfassung des Postgesetzes alle Parteien der Regulierungsbehörde einen großen Bewegungsspielraum für die Ordnung des Wettbewerbs einräumen wollten und eben nicht die politische Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers zur Regulierung des Marktes angestrebt haben. Die Anweisung ist auch in sonstiger wettbewerbsrechtlicher oder - besser gesagt kartellrechtlicher Hinsicht bedenklich; denn jetzt kann sich im Grunde jedes Unternehmen, das vom GWB bzw. vom Kartellamt betroffen ist, darauf berufen, dass der Minister schon bei der Frage einer schlichten Portoerhöhung von seiner politischen Weisung Gebrauch gemacht hat. Das kann von uns ordnungspolitisch weder nach dem Postgesetz noch nach dem Kartellrecht gewollt sein. ({4}) Die Entscheidung des Wirtschaftsministers ist aber auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten falsch. Zu Recht hat der Bundespostminister 1997 die Befristung der Portoerhöhung vorgesehen; die Kostenstruktur der Briefpost und auch der Paketpost sollte nach gut vier Jahren überprüft werden. Ich darf in Erinnerung rufen, dass die Zahlen, die die Post 1996 zur Begründung der Portoerhöhung vorgelegt hatte, schlicht nicht der Wahrheit entsprachen oder so wenig schlüssig waren, dass man damit nichts anfangen konnte. Deswegen hat das Bundeskartellamt diese Zahlen gerügt. Das hat übrigens auch der Bundespostminister getan. ({5}) Wir haben die Post AG damals über 17 Monate hinweg vertrösten müssen, weil sie keine ordnungsgemäßen Zahlen vorgelegt hat. Und jetzt verhindert der Bundeswirtschaftsminister eine Überprüfung dieser Kostenstruktur zulasten der Verbraucher. Dies halte ich für den eigentlichen Skandal. ({6}) Statt auf eine Wettbewerbsfähigkeit der Post hinzuarbeiten, wird unter vordergründigen Gesichtspunkten Frau Hustedt hat es erwähnt -, nämlich die Post für den Börsengang herauszuschmücken, die Post zumindest langfristig nicht wettbewerbsfähiger; die Post AG kann im alten Trott weitermachen. Das ist aber für den Wettbewerb gefährlich. Wir haben der Post AG das Briefpostmonopol bis zum 31. Dezember 2002 gegen vielerlei Bedenken - auch unsererseits - gewährt. Mit der Beibehaltung der hohen Briefgebühren wird die Post nicht wettbewerbsfähiger. Schon heute liegt sie mit dem Entgelt für diese Dienstleistung weltweit an der Spitze. ({7}) Es wird Zeit, dass auch hier Wettbewerb herrscht, um diese überhöhten Gebühren zu beseitigen. Dann hilft auch kein Wort des Ministers mehr, dann entscheidet der Markt über den Preis. Das ist nicht neoliberal, sondern das ist das, was wir unter sozialer Marktwirtschaft verstehen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile jetzt dem Kollegen Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion, das Wort.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Scheinheiligkeit dieser Briefportodebatte lässt sich kaum überbieten. Ausgerechnet die CDU/CSU versucht hier, unter der Fahne der Interessenvertretung der Bevölkerung eine Lanze für die Senkung von Verbraucherpreisen zu brechen. ({0}) Aber Sie haben doch die Privatisierung der Post gewollt und vorangetrieben, die 1998 zur Portoerhöhung geführt hat, ({1}) und zwar deshalb, weil die Deutsche Post AG nun unter Konkurrenzbedingungen Profit zu erwirtschaften hat. ({2}) Warum diese Portoerhöhung stattgefunden hat und jetzt eine Absenkung nicht mehr möglich sein soll, hat Herr Bundeswirtschaftsminister Müller plausibel im „Tagesspiegel“ erklärt: Der Börsengang der Deutschen Post AG darf nicht gefährdet werden. Vor der Privatisierung, als die Post noch eine Behörde war, ging es darum, flächendeckend Postdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Das taten über 360 000 in tarifvertraglichen Beschäftigungsverhältnissen arbeitende staatliche Postler denn auch und es gab dafür fast 30 000 Postfilialen. Heute geht es darum schon lange nicht mehr; heute geht es um die Verwertung des Wertes. Nicht profitable Dienstleistungen werden einfach nicht mehr erbracht, und zwar unabhängig von der Nachfrage. Deshalb ist über die Hälfte der damaligen 30 000 Postfilialen geschlossen worden. Aus den gleichen Gründen wird ein immer größer werdender Anteil an Postdienstleistungen nicht mehr von tarifvertraglich abgesicherten Postlern, sondern von „Turnschuhbrigaden“, wie der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, die Leute in prekären Beschäftigungsverhältnissen einmal genannt hat, erbracht. Wie weit dieser Prozess des Niveauabbaus in den Normalarbeitsverhältnissen schon vorangeschritten ist, weiß die Bundesregierung nicht. In ihrer mit kabarettistischem Talent formulierten Antwort auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage teilte sie mit, Informationen und Beschwerden von Betroffenen über sich verschlechternde soziale Standards lägen der Bundesregierung nicht vor. Gute Pointe! Aber vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit der Deutschen Postgewerkschaft. ({3}) Nach einer Untersuchung der Bezirksverwaltung Berlin-Brandenburg sind allein im ersten Quartal 1999 in den Postniederlassungen Berlin-Zentrum, Berlin-Südwest, Berlin-Südost, Berlin-Nord und Cottbus sowie in den Frachtpostniederlassungen Börnicke und Rüdersdorf insgesamt 14 701 Abrufkräfte in den Bereichen der Briefund Frachtverteilung als Kraftfahrer oder als Brief- und Frachtzusteller eingesetzt worden. Das ist Tagelöhnerarbeit. In den Konkurrenzbetrieben wird sowieso überwiegend in prekären Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet, obwohl die Bundesregierung merkwürdigerweise auch darüber nichts weiß. Die Antwort auf die Kleine Anfrage nach der Zahl der bei den Postkonkurrenten tätigen Beschäftigten, die über einen tarifgebundenen Arbeitsplatz verfügen, lautet: Darüber liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. - Vielleicht verschaffen Sie sich einmal die nötigen Informationen, damit Sie wissen, welche Folgen die Postliberalisierung eigentlich hat und damit Sie solche negativen Folgen endlich verhindern können - es sei denn, Sie wollen sie gar nicht verhindern. Eine andere dieser negativen Folgen hat Herr Bundesminister Müller dem „Tagesspiegel“ auch verraten: dass nämlich das Ende des Briefmonopols zu Preisunterschieden bei der Briefbeförderung im ländlichen Raum und in Ballungsgebieten führen wird. Seit 1995 wurde diese logische Folge von den jeweiligen Regierungsparteien im Ausschuss für Post und Telekommunikation standhaft geleugnet, jetzt aber, da wir kurz vor dieser Entwicklung stehen, plötzlich nicht mehr. Interessanterweise wird sie auch gar nicht mehr negativ bewertet. Negativ finden Sie nur, dass die Post die Portopreise nicht absenkt - aber nicht wegen der Belastung der Bevölkerung - damit haben Sie auch sonst keine Probleme -, sondern weil der ganze Prozess der Liberalisierung mit einer solchen Portoabsenkung wegen des höheren Konkurrenzdruckes auf die Deutsche Post AG beschleunigt werden könnte. Ziel bleibt, das Profitprinzip im Postbereich konsequent mit allen eben beschriebenen katastrophalen Folgen für Beschäftigte und Kleinkunden durchzusetzen. Das will die eine Seite wie die andere des Hauses und deshalb nenne ich diese Debatte scheinheilig. Herr Müller, wenn Sie die Entwicklung in Europa betrachten, werden Sie mit Sicherheit feststellen, dass die Franzosen diesen Weg nicht gehen. Ich war selbst bei Gesprächen dabei, in denen man wegen der Erfahrungen in Deutschland gesagt hat, man könne dies bei einem in der Fläche tätigen und Arbeitsplätze sichernden Unternehmen nicht mitmachen. Daher sollten Sie Ihre Entscheidungen noch einmal überdenken. Den ersten Schritt hierzu haben Sie in diesen Tagen getan. Ich danke vielmals. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Bundesminister Werner Müller das Wort.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie zunächst einige wenige Worte zur Gestaltung des postpolitischen Rahmens, so wie ich mir das vorstelle. Damit kein Zweifel aufkommt: Grundsätzlich wollen wir Ende 2002 die Post und diesen Markt vollständig liberalisieren. - Dies aus guten Gründen: ({0}) Wir wollen Preiswettbewerb, wir wollen Unternehmensgründungen und wir wollen das Innovationspotenzial im Logistikbereich heben. ({1}) Allerdings habe ich bei diesem grundsätzlichen „Wollen“ dann Bauchschmerzen, wenn wir von den wichtigen EU-Ländern ziemlich die einzigen sind, die diesen Schritt gehen. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Wir werden - aus guten Gründen - sehr darauf achten, im EU-Geleitzug vorwärts zu gehen. ({2}) Damit es kein Vertun gibt: Wir streben die Liberalisierung unverändert an. Nur muss man wissen, was Liberalisierung überhaupt ist. Ich kann Ihnen die Unkenntnis darüber an einem Negativbeispiel - an der Reaktion einer Ihrer Sprecherinnen, Frau Wöhrl, in diesen Tagen in einer Presseerklärung - deutlich machen: Sie fordert mich auf, dafür zu sorgen, dass der Postmarkt umgehend liberalisiert wird, dass aber gleichzeitig der ländliche Raum nicht vernachlässigt wird und dass im ländlichen Raum dieselben Tarife gelten wie im städtischen Raum. ({3}) Diese Äußerung ist ein klassisches Eigentor. Daran sieht man: Sie wissen nicht, was Liberalisierung heißt. Denn Liberalisierung heißt nun einmal, dass sich Preise gemäß der Kosten gestalten und Filialen nur dort unterhalten werden, wo sie sich rechnen. ({4}) Unter der Annahme, dass Filialen nur dort erhalten bleiben, wo sie sich rechnen, habe ich im letzten Sommer mit der Post Gespräche begonnen. Dort habe ich deutlich gemacht, dass ich nicht möchte, dass das Filialnetz ausgedünnt wird und dass die Zahl der Briefkästen reduziert wird. Wir haben - ich glaube, sogar mit Ihrer Zustimmung - in einer Verordnung festgelegt, dass die Post bis zum Ende des Monopols 12 000 Filialen unterhalten muss und dass sie weiterhin garantiert, dass jeder in einem gut bebauten Gebiet zum nächsten Briefkasten nicht mehr als 1 000 Meter gehen muss. Das kostet nun einmal etwas. Die Zusicherung der Politik, der Post diese Kosten zu erstatten, steht seit Juni letzten Jahres im Raum. Ich komme nun zum Ausgangspunkt der heutigen Aktuellen Stunde. Der ehemalige Postminister hat das derzeit geltende Briefporto bis zum 31. August 2000 genehmigt. Wir führen heute eine Debatte um den Weiterbestand dieser Genehmigung. Ich darf daran erinnern: Herr Bötsch hatte das geltende Briefporto zu einem Zeitpunkt genehmigt, als das neue Postgesetz, das den gesamten Sektor auf eine neue ordnungspolitische Grundlage gestellt hat, noch heftig umstritten war. Diesen zeitlichen Zusammenhang herauszustellen ist wichtig; denn es besteht eine innere Verbindung zwischen der Geltungsdauer der Exklusivlizenz der Deutschen Post AG und der Laufzeit bestehender Genehmigungen, auf die im Postgesetz ausdrücklich Bezug genommen wird. Sie sehen: Entgegen Ihren Einlassungen hier und in Gazetten haben wir die Zulässigkeit und Begründbarkeit der vor einigen Tagen erteilten allgemeinen Weisung rechtlich sehr wohl geprüft und für zulässig befunden. Zu diesem Ergebnis kommen übrigens auch namhafte Verwaltungsjuristen. ({5}) Weil ich Herrn Bötsch hier sitzen sehe, will ich Folgendes ergänzen. Unlängst, nämlich am 4. Februar 2000, also vor rund zwei Monaten, hat Herr Bötsch auf dem Petersberg bei Bonn im Rahmen der Vorstellung eines Kommentars zum Postgesetz öffentlich geäußert, dass er die Genehmigung für das Briefporto damals schon bis Ende 2002, also bis zum Ende der Exklusivlizenz, erteilt hätte, wenn zu diesem Zeitpunkt deren Laufzeit schon festgestanden hätte. Ich habe also nichts anderes gemacht als das, was Herr Bötsch dieser Tage öffentlich als den vernünftigsten Schritt bezeichnet hat. ({6}) Sicherlich ist es wünschenswert, für die Verbraucher Tarifsenkungen durchzusetzen. Zumindest ist es populär, was sich letzten Montag gezeigt hat, als der Beirat bei der Regulierungsbehörde diese Forderung erhoben hat. Die Bundesregierung steht jedoch auch in der Verantwortung, den begonnenen Privatisierungsprozess der Deutschen Post AG erfolgreich fortzuführen. Wenn dies auch in einem möglicherweise labileren Börsenumfeld gelingt, kann der Bund die mit der Privatisierung der ehemaligen Deutschen Bundespost übernommenen Lasten fiskalisch besser schultern. Ich sage Ihnen vor diesem Hintergrund: Ich folge ausdrücklich nicht Ihrer hier geäußerten Empfehlung, wir sollten die Post erst gewinnlos machen und dann an die Börse bringen. ({7}) Zwischen allen maßgeblichen Fraktionen des Deutschen Bundestages bestand in den letzten zehn Jahren grundsätzlich Einigkeit in Bezug auf den Kurs der Privatisierung und Liberalisierung in den Bereichen Post und Telekommunikation. ({8}) Auf diesem Weg wollen wir einen weiteren Schritt gehen. Die letzte Phase des Privatisierungsprozesses der Deutschen Post AG beginnt mit ihrem Börsengang im kommenden Herbst. Vor diesem Hintergrund brachte die Deutsche Post AG eine Portoerhöhung ins Gespräch. ({9}) Die Bundesregierung hat eine Anhebung der Tarife abgelehnt, um eine zusätzliche Belastung von Bürgern und Wirtschaft zu vermeiden. Ich habe stattdessen von einem gesetzlichen eindeutig formulierten Weisungsrecht Gebrauch gemacht und klargestellt, dass bereits erteilte Genehmigungen bis Ende 2002 wirksam sind. Damit habe ich nicht, wie der Beirat bei der Regulierungsbehörde meint, in unzulässiger Weise in die alleinige Zuständigkeit der Regulierungsbehörde eingegriffen. Insoweit geht im Übrigen die Forderung des Beirates nach Rücknahme der Weisung völlig ins Leere. Mit dieser Weisung wurden weder die Verfahren zur Entgeltregulierung außer Kraft gesetzt noch die Unabhängigkeit der Behörde bei Beschlusskammerverfahren infrage gestellt, ({10}) da das unabhängig durchzuführende Beschlusskammerverfahren erst mit der Vorlage eines Tarifantrages beginnt. Ein solcher Tarifantrag liegt aber überhaupt nicht vor. Die vorgetragenen Behauptungen sind deshalb nur reine Unterstellungen. ({11}) Ich muss mich deshalb auch fragen, woher Sie wissen, dass eine 15-prozentige Portosenkung überhaupt zur Diskussion gestanden hätte. Warum haben Sie nicht 30 Prozent genannt bzw. eine 10-prozentige Erhöhung ins Spiel gebracht? ({12}) Das weiß kein Mensch, weil ja noch kein Antrag zur Bearbeitung vorliegt. Nach geltendem Postgesetz laufen die bestehenden Genehmigungen Ende 2002 endgültig aus, sodass die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post dann einen neuen Tarifantrag der Deutschen Post AG förmlich nach dem im Postgesetz vorgesehenen Verfahren der Entgeltregulierung zu genehmigen hat. Wenn ich Ihnen nun für Ihre Aufmerksamkeit danke, danke ich Ihnen insbesondere für Ihre Sorge, ich hätte keine Hausmacht. Ich darf Ihnen wirklich sagen: Diese Sorge um meine Hausmacht ist ebenso unbegründet wie Ihre Sorge, ich hätte in irgendeiner Weise falsch gehandelt. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Martin Mayer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte, Herr Bundesminister Müller, von all dem, was Sie gesagt haben, nur ein Argument in besonderer Weise herausgreifen. Die Kollegen werden auf die rechtlichen Aspekte noch eingehen. Sie haben hier gesagt, dass die Liberalisierung in der Europäischen Union im Gleichschritt erfolgen müsse und dass man keinen Schritt voraus machen dürfe. Sie haben dabei als Beispiel den Strommarkt angeführt. Ich empfehle Ihnen, sich einmal den Telekommunikationsmarkt anzuschauen. Diejenigen, die in der Liberalisierung etwas schneller waren, haben letztlich diese Märkte erobert und etwas für ihr Land getan. Ich glaube, das muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. ({0}) Ich möchte an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grüne sagen: Wenn Sie hier davon sprechen, dass man Sonderlasten der Post berücksichtigen müsse, dann begrüße ich das. Aber Sie unterstellen mit Ihrer Argumentation, die Regulierungsbehörde hätte diese Sonderlasten nicht objektiv einbezogen, sodass es notwendig sei, dieser Regulierungsbehörde eine Weisung zu erteilen, um sie auf den rechten Weg zu führen. Das ist das Falsche an dieser Weisung. ({1}) Die Weisung des Bundeswirtschaftsministers, die Höhe des Briefportos für weitere zwei Jahre und vier Monate zu zementieren, ist rechtlich fragwürdig und schadet dem Verbraucher. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass das Briefporto um 15 Prozent überhöht ist. Die Belastung des Verbrauchers ergibt sich nicht nur aus dem Wert der Briefmarken, die er auf seine Briefe klebt, sondern auch daraus, dass ihm die Bank bei der Zusendung eines Kontoauszuges die Portokosten anrechnet und dass er in vielen Bereichen als Kunde das Porto für die Zusendung etwa im Dienstleistungsbereich - bezahlen muss. ({2}) Wenn man das alles zusammenrechnet, kommen bei einem Vierpersonenhaushalt in Deutschland jährliche Portokosten in einer Höhe von rund 700 DM heraus. ({3}) Wenn diese um 15 Prozent erhöht werden, sind das rund 100 DM. Das ist für eine vierköpfige Familie ein nennenswerter Betrag. Das spürt man im Geldbeutel. Unabhängig davon ist die Weigerung zur Senkung der Portokosten ein völlig falsches Signal. Es macht deutlich, dass der parteilose Minister Müller dem sozialistischen Prinzip erlegen ist, im Zweifelsfall dem Bürger mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. ({4}) Es wird auch insofern ein falsches Signal gesetzt, dass die Anweisung des Ministers das Monopol festigt statt abbaut, was dringend erforderlich wäre. Ich will noch einmal sagen: Die Entwicklung im Postbereich verläuft ähnlich wie im Telekommunikationsbereich. Durch Liberalisierung und Abbau von Monopolen werden Wettbewerb und Entwicklungen mit vielen neuen Diensten und Arbeitsplätzen ermöglicht. Deshalb ist es notwendig, dass die Monopolstellung planmäßig abgebaut wird. Die Bundesregierung tut es aber nicht. Beim Abbau des Telekom-Monopols im Ortsnetz hat sich die Bundesregierung bisher immer geweigert, einzugreifen. Sie hat formale Gründe vorgeschoben. Jetzt, wo es darum geht, das Monopol im Postbereich zu verfestigen, schiebt sie alle Bedenken beiseite und kommt mit dem Hammer einer ministeriellen Weisung. Ich finde diese Haltung der Bundesregierung sehr zwiespältig. Die Erfolge, die die Liberalisierung im Telekommunikationsbereich gebracht hat, werden auch im Postbereich eintreten. Deswegen, Herr Minister, fordere ich Sie im Interesse der Nation, im Interesse der Verbraucher auf: Nehmen Sie diese missglückte Weisung zurück. ({5}) Sie nehmen damit auch den Schaden zurück, den Sie dem Ansehen der Regulierungsbehörde zugefügt haben. Nehmen Sie diese missglückte Weisung zurück. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich der Kollegin Antje Hermenau das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass es um die Anweisung des Bundesministers Müller geht, die Höhe des Briefportos bis 2002 beizubehalten, obwohl die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post eine 15-prozentige Absenkung wollte. Darüber diskutieren wir hier. Das ist Ihnen allen bewusst. ({0}) Als Nächste hat die Kollegin Antje Hermenau das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage ist: Wer scharrt im Wettbewerb eigentlich mit den Hufen? Sie haben das so schön ausgeschmückt und mit der Telekommunikation verglichen. Wenn wir uns einmal in der deutschen Landschaft umschauen, so stellen wir fest, dass 0,2 Prozent private Postanbieter mit den Hufen scharren. Das kann man wohl vernachlässigen. Wenn wir uns einmal an das europäische Ausland wenden, so stellen wir fest, dass dort große Unternehmen schon darauf warten, die Briefbeförderung in Deutschland zu übernehmen. Ich erlaube mir dann allerdings die Frage, ob das im Moment unser Wünschen und Wollen sein kann. Das müssen Sie zulassen. Sie führen die Rede vom Wettbewerb, sie führen die Rede von der Kundenfreundlichkeit. Es kann kundenfreundlich sein, den Brief einen Groschen billiger zu machen. Es kann sogar kundenfreundlich sein, ihn 15 Pfennig billiger zu machen. Es kann allerdings auch kundenfreundlich sein, ein dichtes Filialnetz zu erhalten. Wer ist heute noch der typische Briefschreiber? Ich zum Beispiel faxe die meisten Briefe. Die ältere Dame beispielsweise hätte gerne noch in der Nähe eine Postfiliale, weil sie das Faxgerät nicht bedient. Ich aber nehme gern das Faxgerät. Noch jüngere Leute machen das inzwischen von Handy zu Handy, wie Sie wissen. Wenn wir das so besprechen, glaube ich, dass es der älteren Dame lieber wäre, einen Groschen mehr zu bezahlen, dafür aber die postalische Infrastruktur in der Nähe zu haben. ({0}) Wenn ich mir einmal vor Augen führe, was in den letzten Tagen passiert ist - wir haben am Montag im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zusammengesessen -, dann komme ich zu dem Schluss, dass es ein Kompetenzgerangel gibt. Der eine fühlt sich vom anderen auf den Schlips getreten. Das gilt inzwischen für beide Seiten, wie ich den Redebeiträgen entnehmen konnte. Vielleicht war es ein ungünstiger Zeitpunkt und nicht ganz klug, sich bereits im Januar einzumischen, als die Regulierungsbehörde darüber nachdachte, noch einmal ein Price-cut-Verfahren durchzuführen. Andererseits haben Sie mit dem Chef der Regulierungsbehörde gesprochen - das muss man auch dazu sagen. Deshalb finde ich, dass die Empörung über die Entscheidung des Ministers, die jetzt von der Mehrheit in der Regulierungsbehörde an den Tag gelegt wurde, nicht dem entspricht, was wir erlebt haben: Der Minister hat nämlich ein ihm zustehendes Recht wahrgenommen. ({1}) Dass wir uns natürlich auf den Schlips getreten fühlen, weil wir alle einmal im Monat dafür einen Montag opfern, ist eine andere Geschichte. Dieses hat aber nichts mit Recht und Ordnung in diesem Lande zu tun. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die ganze Debatte ein wenig zu sehr aufgebauscht wurde. Das ist mit vielen Aktuellen Stunden so und wird von vielen Fraktionen gerne so gemacht. Ich persönlich halte das Ganze für Wahlkampfgeplänkel. Schönen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Renate Blank, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich betrachte Ihre Anweisung an die Behörde als einen Eingriff in eine unabhängige - ich betone: unabhängige - Regulierungsbehörde. Wir haben ja damals im Postgesetz parteiübergreifend festgelegt, dass eine unabhängige Regulierungsbehörde gegründet wird, die selbstständig Entscheidungen treffen kann. Wir haben dieses parteiübergreifend so gewollt. Man kann vielleicht die Meinung vertreten, dass das ein Grenzfall ist. Ich bin nicht dieser Meinung, Herr Minister. Ich bin vielmehr der Meinung, dass Sie mit Ihrer Anweisung an die Regulierungsbehörde dem Ansehen ihrer Unabhängigkeit Schaden zugefügt haben. ({0}) Schaden ist auch für die Postpolitik entstanden. Ich hoffe nicht, dass Sie mit Ihrer Anweisung die Grundsätze unserer bis 1998 im Einvernehmen betriebenen Postpolitik unter anderem in Bezug auf Wettbewerbssituation, Universaldienstleistung und Börsengang verlassen bzw. die Liberalisierung verzögern wollen. Was ist eigentlich mit dem ganzen Theater erreicht worden? Die Post hat erreicht, was sie wollte, nämlich keine Senkung der Portogebühren. Die Post hat weiterhin viel Geld, um ihre Position auf dem Weltmarkt zu behaupten. Ihre Werbung als Global Player ist ja recht attraktiv; sie stellt sich als ein sehr großes Unternehmen dar. Der Verbraucher ist der Dumme, weil er auf niedrigere Portogebühren verzichten muss und ihm sogar suggeriert wird, dass er zufrieden sein kann, dass keine Portoerhöhung kommt. Er soll sogar begeistert sein, dass der Minister eingegriffen hat. Alle Firmen, die hohe Portokosten haben, sind die Verlierer; ({1}) denn sie müssen im internationalen Wettbewerb, dem die meisten ausgesetzt sind, einen weiteren gravierenden Nachteil hinnehmen. Herr Minister, Sie haben in den Wettbewerb zulasten der Verbraucher eingegriffen. Sie haben aus meiner Sicht zwar einen leichten politischen Sieg erzielt, dem Wettbewerb und den Verbrauchern, insbesondere dem Mittelstand, aber sehr schwer geschadet. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Eike Hovermann, SPD-Fraktion.

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ohne auf das außerordentlich wichtige Argument von Herrn Müller einzugeAntje Hermenau hen, dass manche Abgeordnete ihren Kopf nur zum Haareschneiden haben, was uns beide aufgrund unserer Frisur außerordentlich betreffen würde, will ich versuchen, ohne Emotionen auf zwei klar umschreibbaren Ebenen auf die Fragen, die sich damit verbinden, einzugehen: Erstens. Die juristische Ebene betrifft die Frage, ob der Bundesminister für Wirtschaft mit seiner Weisung an die Regulierungsbehörde in unzulässiger Weise in deren Zuständigkeit für die Genehmigung von Entgelten eingegriffen hat. Das wurde von Ihnen thematisiert. Zweitens ging es unabhängig von dieser juristischen Betrachtung um die Frage, ob die Deutsche Post AG aufgrund ihrer Ertragslage zu veranlassen ist, ihre Entgelte kundenfreundlich zu senken. Dies muss natürlich unter Berücksichtigung des anstehenden Börsengangs und etwa der Frage geschehen, ob durch das Beibehalten der Porti nicht ein unangemessener Wettbewerbsvorteil gegenüber den neu eintretenden Mitbewerbern zu konstatieren sei. ({0}) - Effiziente Leistungsbereitstellung, so ist es. Im Rahmen der Diskussion dieser Fragen warfen Sie dann dem Bundeswirtschaftsminister eine Inszenierung mit fadenscheinigen rechtlichen Argumenten vor und sprachen von diesem berühmten Schlag - auch Frau Blank erwähnte es, glaube ich, - gegen die Selbstständigkeit dieser Behörde. Hierauf wird meine Kollegin Ute Vogt noch näher eingehen. Ich möchte allerdings daran erinnern dürfen, dass das Postgesetz aus der 13. Legislaturperiode stammt, also aus einer Zeit, da CDU/CSU und F.D.P. die Regierung stellten. Es war gerade diese alte Bundesregierung mit Herrn Bötsch - Bundeswirtschaftsminister Müller steht offensichtlich in seltener und makelloser Kontinuität zu Herrn Bötsch, auch was den Petersberg angeht -, die dafür sorgte, dass der Wirtschaftsminister ein klares Weisungsrecht bekam. Warum geschah dies in der damaligen Diskussion? Damit er Wettbewerb und Liberalisierung das sollte aber mit gleichen Wettbewerbschancen verbunden sein - förderte. Das sollte mit sozialer Gerechtigkeit unterfüttert sein. Das war unser Ziel. Wenn der Minister nun meint, dass durch die Anstrengungen des Regulierungsrates, des Beirates und der Behörde dieses Ziel nicht auf allen Ebenen erreicht wird, dann ist es sein gutes Recht, dagegen einzuschreiten. Ich bin völlig sicher, dass weder Herr Posch aus Hessen noch Sie, Herr Müller, eine Klage gegen diese Weisung anstrengen werden. Sie haben es ja in der Zeitung angekündigt. Doch Sie wissen genau, dass dies erfolglos bleiben wird. ({1}) Deshalb haben Sie sehr schnell die juristische Diskussionsebene verlassen und sind im Grunde auf inhaltliche Fragen eingegangen, wie etwa: Muss der Postbenutzer nicht leiden, weil er mehr bezahlen muss? Werden nicht Wettbewerb und Liberalisierung der Postmärkte auf EUEbene widerrechtlich von Herrn Bundesminister Müller unterlaufen? Schadet der Minister mit seiner Weisung gar dem Börsengang der DP AG? Ihre Antworten waren selten einfach und schlicht: Dem Postbenutzer wird geschadet, der Minister unterläuft den Wettbewerb, der Minister schadet per Weisung dem Börsengang. Aber ich darf Sie daran erinnern, dass wir in den vergangenen Jahren beim Postgesetz nicht nur um die Frage des Entgelts für den Kunden innerhalb der Exklusivlizenz gestritten haben, sondern dass es darum ging, der Deutschen Post AG im einsetzenden Wettbewerb mit neuen Mitbewerbern nicht alleine Lasten aufzubürden, wie etwa - das ist schon erwähnt worden - die Bezahlung von Pensionen, die flächendeckende Versorgung in qualitativ hochwertiger Form und anderes mehr. Es ging zusätzlich um den Erhalt von sozialen Standards. Sie erinnern sich an die Diskussion um den Erhalt humaner Arbeitsbedingungen versus Turnschuhbrigaden. ({2}) Es ging um den Erhalt des flächendeckenden Filialnetzes mit neuen Angeboten und Vertriebsformen. Auch das sind Leistungen für die Kunden, die in der Phase der Umstellung vom Monopol in den Wettbewerb Kosten mit sich brachten. ({3}) Das Ziel bei der Diskussion um das Postgesetz war 1998 noch einvernehmlich, nämlich mit Hilfe der Einnahmen über die Exklusivlizenz gleiche Ausgangsbedingungen im Wettbewerb zu ermöglichen. Im Zuge der Umstellung vom Monopol zum Wettbewerb ging es auch um den sozialverträglichen Abbau von Stellen bei der Deutschen Post AG. Mit all diesen schwierigen Aufgaben und Problemen hatten und haben die Neueinsteiger fast nichts am Hut. Insofern musste und muss der Gesetzgeber für gleiche Wettbewerbsbedingungen weiterhin sorgen. Aus diesem Grund hat der Minister seine Weisung, meinen wir, zu Recht erlassen. Damit wollte er die Planungssicherheit der DPAG in Bezug auf den Aufbau neuer Strukturen im - zugegeben - beinhart werdenden Wettbewerb auf EU-Ebene festigen und auch Planungssicherheit für die Lebensperspektive und die Arbeitsmotivation der Mitarbeiter der DP AG schaffen. Dies ist ein nicht zu unterschätzendes, wertvolles Gut in Bezug auf den Wert und die Qualität des Unternehmens Deutsche Post AG, auch in Bezug auf einen erfolgreichen, demnächst stattfindenden Börsengang. All dies waren aus unserer Sicht sinnvolle Gedanken zu dem gesamten Themenkomplex Wettbewerb, Portoerhöhung, Planungssicherheit und anderes mehr. Deshalb ist 1998 auch mit Zustimmung der Länder die Dauer der Exklusivlizenz bis zum 31. Dezember 2002 festgelegt worden. Zur Erledigung dieser genannten Aufgaben braucht die Deutsche Post AG aus unserer Sicht noch das gegenwärtig geltende Porto.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie ist abgelaufen.

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr wohl, verehrte Frau Präsidentin. Wer diese Planungssicherheit antastet, schadet aus unserer Sicht einem erfolgreichen Börsengang der CDU. ({0}) - Ich weiß nicht, woher der Versprecher kommt, Herr Müller. Ich glaube aber, die Aktien wären im Moment nicht so hoch bewertet, dass jemand sie kaufen würde. ({1}) Wir wollen - das ist im Zuge der Diskussionen um die Weisung deutlich geworden - Wettbewerb und Liberalisierung, aber unterfüttert mit sozialer Gerechtigkeit und Planungssicherheit für alle Betroffenen und Handelnden auf Dauer. Schönen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Am heutigen Tage wollte jemand schon den SPD-Medienkonzern verscherbeln. Herr Kollege, auch das konnten wir heute im Bundestag hören. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen über die Weisung von Herrn Minister Müller, deren rechtliche Grundlage - das ist schon ausgeführt worden sehr zweifelhaft ist. Sie ist ein klarer Schlag gegen den Verbraucher und ein Angriff auf den Geldbeutel der Postkunden. ({0}) Erster Punkt. Herr Minister Müller hätte diese Weisung nicht erlassen müssen, um eine Portoerhöhung zu verhindern; denn die Post-Universaldienstleistungsverordnung gibt klar vor, dass bis zum Ende der Exklusivlizenz eine Portoerhöhung ohne Änderung dieser Verordnung nicht möglich ist. Deshalb war diese Weisung überhaupt nicht notwendig. Zweiter Punkt. Die Zielrichtung von Herrn Müller ist eine ganz andere. Sie dient nicht dazu, wie es öffentlich dargestellt wird, eine Gebührenerhöhung zu verhindern, sondern es gilt das Gegenteil: Die Bundesregierung verhindert eine Gebührensenkung, die angebracht und zeitgemäß wäre. ({1}) Frau Hermenau, an dieser Stelle muss ich eine Frage zu Ihrem Selbstverständnis stellen. Wie Sie schon gesagt haben, saßen wir am 31. Januar in dem Beirat der Regulierungsbehörde. Dort wurde fraktionsübergreifend und einstimmig das Price-Cap-Verfahren favorisiert. Angesichts der Weisung des Ministers knicken Sie aber ein und stimmen auf der nächsten Sitzung anders ab. Was ist das für ein Selbstverständnis hinsichtlich Ihrer Politik? Wo ist an dieser Stelle Ihre eigene Auffassung? ({2}) Dritter Punkt. Die Bundesregierung düpiert die Regulierungsbehörde. Dies geht weit über den Bereich des Postmonopols hinaus. Das ist ein schwerer Eingriff in die Unabhängigkeit dieser Behörde. Ich möchte hier klar und deutlich sagen - auch dieser Punkt war umstritten -: Wir waren immer für eine unabhängige und starke Regulierungsbehörde. Wir sind es nach wie vor. ({3}) Wir wehren uns deshalb energisch dagegen, dass diese Unabhängigkeit untergraben wird. ({4}) Erstmals in der Gesichte der Regulierungsbehörde ist durch die Weisung von Herrn Müller die Entscheidungskompetenz der Regulierungsbehörde untergraben worden. Damit wird ja nicht nur die Regulierungsbehörde desavouiert, sondern auch das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Unabhängigkeit dieser Behörde geschädigt. Das ist sehr schlimm sowohl für den Telekommunikationsbereich, in dem wir schon einen liberalisierten Markt haben, wie auch für den Postbereich, in dem wir einen solchen Markt schaffen wollen. Vierter Punkt. Die Planungssicherheit für die Post AG wird als zentrales Argument für die Notwendigkeit der Weisung ins Feld geführt. Wenn man das ernst nimmt, was Herr Minister Müller vorhin gesagt hat, dass er nämlich zum 31. Dezember 2002 den Markt öffnen will, dann muss man sagen, dass es dringend notwendig gewesen wäre, dem Unternehmen zu erlauben, sich auf diesen Markt vorzubereiten. Das ist der entscheidende Punkt. Planungssicherheit hätte bedeutet, ein Price-Cap-Verfahren durchzuführen, das dann wettbewerbsfähige Preise und einen Transfer vom Monopol zum liberalisierten Markt erlaubt hätte, das aber nicht Kunstpreise erzeugt hätte, die politisch verordnet sind. Diese Kunstpreise sorgen dafür, dass genau diese sicheren Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind, und sie erwecken den Eindruck, dass hier ein Monopol künstlich geschützt werden soll. ({5}) Herr Müller, diese Entscheidung ist nicht im Interesse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter, weil sie verhindert, dass sich das Unternehmen auf seine Zukunft in geeigneter Weise vorbereiten kann. Fünfter Punkt. Wir müssen auch über das Thema Exklusivlizenz sprechen, wenn wir an den Übergang, den ich eben erwähnt habe, vom Monopol zum Markt denken. Es wird oft über die Sonderlasten im Zusammenhang mit den Pensionsleistungen und dem Infrastrukturauftrag gesprochen. Ich darf daran erinnern, dass sich ab 1. Januar dieses Jahres gewaltige Veränderungen in Bezug auf die Pensionslasten ergeben haben. Der Bund trägt jetzt aus dem Haushalt einen großen Anteil, nämlich all das, was über ein Drittel der aktiven Bezüge hinausgeht. ({6}) Das hat sich ab 1. Januar geändert und muss in dieser Debatte zur Kenntnis genommen werden. Beim Thema Infrastrukturauftrag halten Sie uns vor, wir wären gegen eine flächendeckende Versorgung. Das ist mitnichten der Fall. Auch wir haben dafür gestimmt das steht ja im Grundgesetz und in den Ausführungsbestimmungen -, dass die flächendeckende Grundversorgung mit postalischen Leistungen sichergestellt ist. Wir sind bisher in allen Debatten und bei allen Entscheidungen dafür eingetreten. ({7}) Herr Barthel, wir sind allerdings nicht für ein Kartell mit den Postgewerkschaften und mit den Unternehmen, bei dem es nicht um eine flächendeckende Grundversorgung auf dem Land geht, wie Sie es so schön verbrämen, sondern darum, historisch gewachsene Strukturen und alte Besitzstände zu bewahren. Das hat nichts mit einer flächendeckenden Grundversorgung zu tun, hat nichts mit einer Versorgung des flachen Landes zu tun, sondern bei Ihnen kommt schlicht und ergreifend Klienteldenken zum Schutz der Postgewerkschaft und ihrer Mitglieder zum Ausdruck. Das hat Sie auch umgetrieben, die entsprechenden Verordnungen an dieser Stelle zu erlassen. Dies tragen wir nicht mit. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Briefund Postkartenporto in Deutschland liegt wesentlich über den europäischen Vergleichspreisen. Sehr gespannt bin ich beim Thema Quersubventionierung; es steht ja noch die Entscheidung der Europäischen Union dazu aus. Auch dieses Damoklesschwert schwebt über dem Börsenprospekt der Post AG. Ich weiß nicht, Herr Müller, wie lange Ihre Weisung tatsächlich substanziell Bestand hat, wenn die EU-Kommission zu dem Ergebnis kommen sollte, dass hier eine Quersubventionierung stattfindet. Was würden Sie dann tun? Nehmen Sie dann Ihre Weisung zurück und lassen das Price-Cap-Verfahren laufen? Das wird Sie nach meiner Einschätzung in wenigen Wochen einholen. Ich bin sehr gespannt, wie Sie mit diesem Punkt umgehen wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, bitte denken Sie an die Redezeit.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum Abschluss, Frau Präsidentin, möchte ich sagen: Es handelt sich hier um einen ordnungspolitischen Sündenfall ersten Ranges. Es geht um eine Attacke auf den Geldbeutel des Verbrauchers. Es geht um Quersubventionierung, die weiter aufrechterhalten werden soll, damit die Post AG mit dem Porto, das die deutschen Verbraucher zahlen, international Unternehmen aufkaufen kann. Dies werden wir nicht hinnehmen. Dagegen werden wir uns wehren. Wir würden uns freuen, wenn auch im Bundeswirtschaftsministerium die Einsicht dafür wachsen würde und wenn wir in Herrn Minister Müller einen Mitstreiter für die Liberalisierung bekommen, nicht im Geleitzug, sondern als Vorreiter, weil Deutschland der entscheidende Markt in Europa ist. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Ute Vogt, SPD-Fraktion, das Wort.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Meister, es hat eine große Dreistigkeit und ist ein starkes Stück, wenn Sie uns hier vorwerfen, dass Gelder für Pensionszahlungen fehlen - Gelder, die Sie in Ihrer Regierungszeit verprasst haben und die in der Tat heute nicht da sind. ({0}) Aber wenn aus Ihrer Regierungszeit solche Lücken stammen, gehört ein großes Stück Frechheit dazu, sich hierher zu stellen und zu beklagen, dass genau dieses Geld fehlt. ({1}) Ein großes Stück Frechheit liegt auch schon im Titel dieser Aktuellen Stunde. Wenn am Ende dieses langen Titels steht „obwohl die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post eine 15-prozentige Absenkung wollte“, dann ist das schlichtweg nicht wahr. Sie ziehen das Ganze sehr böswillig von einer einzigen Sichtweise her auf. Das macht man in der Opposition so, ({2}) aber das ist auch ein Signal dafür, dass man in gewisser Weise einen immer unredlicheren Politikstil hier einführt. ({3}) Es gab konkrete Äußerungen und es gab direkte Anhaltspunkte, auch aus der Post AG, das Porto für Standardbriefe von 1,10 DM auf 1,20 DM und für Postkarten von 1 DM auf 1,10 DM zu erhöhen. Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis zu nehmen und nicht nur zu sagen, es gehe darum, heroisch zu kämpfen und zu verhindern, dass das Briefporto teurer wird. ({4}) - Hören Sie einmal ein bisschen zu! Wenn Sie reden, verstehen Sie ja gar nichts. Es geht umgekehrt darum, dass wir mit einer solchen Regelung auch verhindern können, dass das Porto in der Zukunft erhöht wird. Es geht nicht nur darum, dass Sie den Vorkämpfer spielen, um alles preiswerter zu machen. Sie hatten auch lange genug Zeit, in diese Richtung Weichen zu stellen, wenn Ihnen der Verbraucher und die Verbraucherin so wichtig gewesen sind. ({5}) Sie haben selbst - das ist ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie unredlich Sie hier argumentieren - dieses Postgesetz beschlossen. Sie haben selbst § 44 mit beschlossen, in dem ausdrücklich ein Weisungsrecht verankert ist. Sie wissen sehr wohl - darauf haben Sie auch hingewiesen -, dass es sich um eine Behörde handelt. Eine Behörde untersteht der Rechts- und Fachaufsicht. Es ist überhaupt kein Problem, auch juristisch deutlich zu machen, dass eine allgemeine Weisung auf diesem Wege auf jeden Fall möglich ist. ({6}) Diese Möglichkeit hat man ausgenutzt. Es war eine Weisung, die deutlich gemacht hat, wie das Gesetz auszulegen ist. Genau darum ging es. Da finde ich es ziemlich scheinheilig, wenn Sie jetzt sagen, wir kämpfen gegen solche Weisungen, weil Sie selbst dafür gesorgt haben, dass diese möglich sind. ({7}) Wenn Sie bemängeln, dass die Telekom und die Post jetzt unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen erhalten, dann haben Sie auch überhaupt nicht verstanden, welche unterschiedlichen Rahmenbedingungen in diesen Märkten vorhanden sind. Schauen Sie sich einmal an, wie der Telekom-Markt funktioniert, welch dynamisches Wachstum dort stattfindet und wie das auch ein Markt ist, bei dem es europäisch und sogar weltweit Konkurrenz bei den Anbietern gibt! Aber er hat keine Hemmnisse im Bereich einer personalintensiven Arbeit. Er hat nicht die Verpflichtung, die Struktur in der Form aufrechtzuerhalten. Vieles dort kann man auch über Funk machen. Einen Brief kann ich nicht über Funk quer durchs Land verteilen. Das ist der entscheidende Unterschied: Man muss bei der Post viel mehr Menschen einsetzen und hat insofern ganz andere Wettbewerbsbedingungen. ({8}) Herr Meister, Sie haben so großartig darauf hingewiesen, dass Sie in der Lage waren, diese Politik bisher sachgerecht zu begleiten, und dass man in sehr vielem übereingestimmt hat. Ich weiß, dass in vielen Dingen Oppositionsverhalten dazugehört, weil man auch eine bestimmte Show abziehen muss. Aber es gibt Themen, bei denen das unredlich und unehrlich ist; da täuscht man die Menschen. Gerade im Postbereich gab es das in der Vergangenheit nicht. Als wir in der Opposition waren, haben wir uns fair verhalten. ({9}) Ich erwarte, dass Sie das entsprechend machen, dass Sie dem Wirtschaftsminister Müller seine Arbeit nicht unnötig erschweren, sondern zu einer sachlichen Zusammenarbeit zurückkehren. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir macht es Spaß, einmal wieder im Kreise der alten Postkollegen zu sein - wenn nur der Anlass besser wäre. Dann würde es richtig Spaß machen. Zunächst die Tatbestände. Tatbestand eins: Im Genehmigungsbescheid der Monopollizenz für die Briefe wurde die Geltungsdauer bis zum 31. August festgelegt. Tatbestand zwei: Die Regulierungsbehörde war gerade dabei, in präziser Befolgung des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen und Parameter für die Zeit nach dem 31. August und die damit zusammenhängende Gebührenpolitik der Deutschen Post AG zu untersuchen. Dritter Tatbestand: Was tut Minister Werner Müller? Ohne das Verfahren der Regulierungsbehörde und die auf diesem Verfahren beruhenden Vorschläge abzuwarten, erteilt er der Regulierungsbehörde eine Weisung, welche die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der Regulierungsbehörde beendet. Er hat die Entscheidungen gleich selbst getroffen. Künftig braucht man nur noch zum Minister zu gehen, um vonseiten des Marktes entsprechende Dinge durchzudrücken. Wozu noch eine Regulierungsbehörde? ({0}) Er begründet dies mit dem bevorstehenden Börsengang der Post AG und nennt dies eine „notwendige historische Auslegung des Postgesetzes“. Herr Minister, wahrlich historisch! Kein Minister vor Ihnen hat sich bisher erlaubt, in ein laufendes Verfahren des Kartellamtes einzugreifen. Sie haben die im Postgesetz im Konsens der Regierungsund Oppositionsparteien mühsam errungene Balance zwischen Monopol und Wettbewerb einfach aufgehoben. ({1}) Ute Vogt ({2}) Sie haben sich zum Handlanger des Shareholders Bund gemacht, der den Wert des Unternehmens Post AG durch Manipulation der Ordnungsprinzipien der Regulierungsbehörde vor dem Börsengang nach oben treibt. ({3}) Sie sind allenfalls dem Finanzminister Eichel zu Diensten, der gar nicht genug Milliarden für die Aktien des Bundes bekommen kann - übrigens ausgerechnet ein Minister der rot-grünen Koalition, die sich seinerzeit mit Vehemenz gegen die Umwandlung der Post in eine AG gewehrt hat ({4}) und die den Tod der Post vorausgesagt hat für den Fall, dass die damals üblichen Quersubventionierungen von der Telekom zur Post beendet würden. ({5}) Das Gegenteil ist der Fall. Die Post AG macht einen tollen Job. Sie macht Riesenumsätze, steigert die Gewinne, ist längst ein Global Player. Dazu betreibt sie beste Lobbyarbeit. Daraus ist ihr überhaupt kein Vorwurf zu machen; das ist ihr gutes Recht. Aber Sie, Herr Minister, haben sich über den Tisch ziehen lassen und als Wirtschaftsminister Ihr Wächteramt für einen geordneten Wettbewerb verraten. Sie haben geradezu eine Steilvorlage für Brüssel geliefert. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. ({6}) Wir dachten an Ludwig Erhard, an Karl Schiller, an Graf Lambsdorff, als wir die Regulierungsbehörde dem Wirtschaftsminister unterstellt haben. Jetzt müssen wir erkennen, dass wir den Bock zum Gärtner gemacht haben. ({7}) Gut, dass sich wenigstens die Mitglieder des Regulierungsrates ihrer Verantwortung bewusst waren, indem sie mit einer Mehrheit von 11 : 7 den Minister aufgefordert haben, seine Weisung zurückzunehmen. Tun Sie es, Herr Minister! Aber auch dann sollten Sie künftig davon absehen, sich selbst in ziemlich peinlicher Form zu loben und König Salomon für die Weisheit Ihrer Entscheidungen zu bemühen. Ich danke Ihnen. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Barthel, SPD-Fraktion.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie notwendig die Entscheidung und der Eingriff des Ministers waren, dann hat dies die heutige Debatte bewiesen. ({0}) Es musste ein Spiel beendet werden: zum einen das Spiel des Vorstandes der Deutschen Post AG im Hinblick auf eine Portoerhöhung. Dieses Spiel war schädlich für das Unternehmen und völlig überflüssig. Deswegen musste der Minister handeln. Zum anderen musste das Spiel beendet werden, das die F.D.P. und die CDU/CSU seit Monaten mit großer Inbrunst betrieben haben und auch heute hier betreiben. Sie spielen mit öffentlichem Eigentum, mit einem Dienstangebot für die ganze Bevölkerung und mit Arbeitsplätzen von Zigtausenden von Menschen. Auch deswegen musste der Minister handeln. ({1}) Als Erstes kam der Vorwurf, wir wollten den Börsenwert der Post erhöhen. Pfui Teufel! Sie haben den Termin für den diesjährigen Börsengang gesetzt, wohl wissend, dass dieser zu einer Zeit stattfindet, in der es noch ein restliches Monopol gibt. Auch Sie wissen, dass für Börsengänge gewisse Gewinnmargen erforderlich sind. Sie wissen auch, dass für Börsengänge harte ökonomische Zahlen und Perspektiven erforderlich sind. Sie wissen auch, dass der Postmarkt nicht der Telekommunikationsmarkt ist, und Sie wissen, dass wir politische Klarheit brauchen. Aus diesem Grund war es notwendig, dass ein Rahmen gesetzt wird. Jetzt sagen Sie - das kommt ja hier immer wieder zum Tragen -, Wettbewerb pur sei der beste Rahmen. Aber die Debatte hier über die Portofrage geht im Hinblick auf Wettbewerb völlig ins Leere. Wieso bedeutet eine Portosenkung mehr Wettbewerb? Es ist doch eher umgekehrt, wie die reale Entwicklung zeigt. Die Wettbewerber im Bereich der Ortslizenzen, als deren Schirmherren sich insbesondere Herr Funke von der F.D.P. und die Herren von der Union verstehen, nutzen die hohen Preise der Deutschen Post AG aus, um in den Markt zu kommen. Bei einer Portosenkung wären sie sofort weg vom Markt. Wenn Sie also mehr Wettbewerb fordern, sind Sie beim Porto auf der falschen Baustelle. Wir versuchen ein Haus zu renovieren, das jetzt aufgrund Ihrer Planungen verkauft werden muss, und es wetterfest zu machen. Sie aber kommen mit der Planierraupe. ({2}) Sie haben ein Wettbewerbsbild, das es nicht gibt. Wir befinden uns auf einem regulierten Markt. Sie wissen, dass es sich um einen regulierten Markt handelt; sonst würden Sie nicht ständig versuchen, die Regulierungsbehörde zu einem Spielball Ihrer vordergründigen Interessen zu machen. Mit dem Titel der heutigen Aktuellen Stunde sind Sie doch sich selber auf den Leim gegangen. Sie behaupten, die Regulierungsbehörde befürworte Portosenkungen. Eben dies bestreitet die Regulierungsbehörde. Sie hatte nämlich, wie sie selber sagt, bisher keinen Anlass, sich zu dieser Frage zu äußern, weil kein Antrag vorlag. Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat sich die Regulierungsbehörde tatsächlich geäußert und damit ihre Kompetenzen überschritten, weil sie keine Beweise vorgelegt hat. Dann hat sie ihre Unabhängigkeit selber beschädigt. Oder - wenn sie das nicht getan hat, wie das die Regulierungsbehörde behauptet - es war Folgendes der Fall: Der Minister hat sie nicht beschädigt, sondern sie nur vor Ihrem miesen Spiel in Schutz genommen. WemwollenSiedennmit IhremTreibennutzen?Ichwill jetzt nicht auch noch mit Blick auf die Verbraucher auf das Beispiel der Oma zurückgreifen; das ist heute schon strapaziert worden. Aber was nutzt denn zum Beispiel einer Firma als Verbraucher ein Porto wie in Spanien, das Sie hier propagieren, wenn die Zustellung eines Briefes genauso lange dauert wie die Zustellung einer Postkarte aus Mallorca?Wem soll dieses Spiel nützen? DenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern? Wo entsteht aufgrund eines niedrigeren Portos ein einziger Arbeitsplatz? Zigtausende würden vernichtet. Elmar Müller sagte in der Presse, im Rahmen seines Vorschlages zur Portosenkung würden die Verbraucher um 1,5 Milliarden DM entlastet. Das, was Herr Meister dazu gesagt hat, würde zu einer Entlastung von 20 Milliarden DM führen. ({3}) Ich halte es für völlig utopisch, zu sagen, jeder Haushalt würde um 700 DM entlastet. Das würde 1,5 Milliarden DM weniger für Löhne bedeuten. Das bedeutet eine brutale Einkommenssenkung, wahrscheinlich auf spanisches Niveau,und/odereinenmassivenPersonalabbauoder1,5Milliarden DM weniger für die Modernisierung von Filialen. Dazu sage ich ganz klar: Wir wollen die mindestens 12 000 Filialen in dem Zustand, in dem Sie sie uns hinterlassen haben - bei der Bahn ist das ähnlich -, nicht nur erhalten. Wir wollen vielmehr ein modernes Filialnetz schaffen und wir wollen, dass die Post AG diese Milliarde in diese Filialen investieren kann. Wir haben auch überhaupt kein Problem damit, zu sagen, dass wir die Post AG geradeaus und stolz an die Börse bringen wollen, weil wir sie nicht unter dem Ladentisch verramschen wollen. Wir wollen einen erfolgreichen Börsengang für ein Unternehmen, für das wir die politische Verantwortung tragen. Dass das möglich ist, zeigt ein schlichter Blick ins Gesetz - § 44 und § 75 Postgesetz. Dass es nötig ist, sagen die wirtschaftliche Vernunft und jeder Funke Verantwortungsbewusstsein. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestag auf morgen, Donnerstag, den 6. April, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.