Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Der Deutsche Bundestag trauert um sein Mitglied
Gert Willner, der gestern im Alter von 59 Jahren einem
schweren Leiden erlegen ist.
Gert Willner wurde am 16. April 1940 in Deutsch-
Gabel geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung, die
er mit dem Grad eines Diplomverwaltungswirts ab-
schloss, war er als Referent bei der schleswig-
holsteinischen Landesregierung tätig, bis er zum haupt-
amtlichen Bürgermeister der Stadt Quickborn gewählt
wurde. Dieses Amt hatte er 18 Jahre lang inne. Auch in
seiner folgenden Aufgabe als Geschäftsführer eines
Verbandes von Wohnungsbauunternehmen und als Ab-
geordneter des Deutschen Bundestages hat er sich der
Kommunalpolitik verbunden gefühlt. Seine Ämter in der
Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU belegen
dies ebenso wie seine Mitgliedschaft in der Enquete-
Kommission „Kommunalverfassungsrecht“ des Schles-
wig-Holsteinischen Landtages und in einer Experten-
kommission für die Kommunalverfassung für Mecklen-
burg-Vorpommern.
Gert Willner wurde 1994 in den Deutschen Bundes-
tag gewählt. Als ordentliches Mitglied gehörte er in der
13. Legislaturperiode dem Ausschuss für Raumordung,
Wohnungswesen und Städtebau sowie dem Innenaus-
schuss an, in der 14. Legislaturperiode dem Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie der En-
quete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen En-
gagements“.
Alle seine Kollegen, die einen persönlichen Kontakt
mit dem Verstorbenen hatten, werden seine menschli-
che, ruhige und gelassene Art in Erinnerung behalten.
Sein vermittelndes Wesen und sein hintergründiger Hu-
mor halfen oft, Konflikte zu schlichten oder sie zu ent-
schärfen. In der Interessenvertretung für seinen Wahl-
kreis und für seine schleswig-holsteinische Heimat zeig-
te er ein hohes Maß an Zielstrebigkeit und Beharrlich-
keit. Die Sorgen und Wünsche der Bürger waren ihm
Richtschnur seiner politischen Tätigkeit.
Der Deutsche Bundestag wird seinem Mitglied Gert
Willner ein ehrendes Gedenken bewahren. Ich spreche
seiner Witwe im Namen des Deutschen Bundestages un-
ser tief empfundenes Mitgefühl aus.
Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
16 a) Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Ludwig Stiegler, Monika
Griefhahn, Jörg Tauss, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Klaus Müller, Dr. Antje Vollmer,
Oswald Metzger, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
weiteren steuerlichen Förderung von
Stiftungen
- Drucksache 14/2340 ({1})
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({2}),
Rainer Funke, Dr. Klaus Kinkel, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Reform des Stiftungsrechts ({3})
- Drucksache 14/336 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({5})
- Drucksache 14/3010 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Hans-Joachim Otto ({6})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Ein modernes Stiftungsrecht für das 21. Jahrhundert
- Drucksachen 14/2029, 14/3010 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto ({8})
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU vor, von denen wir später einen namentlich
abstimmen werden. Außerdem liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. sowie je ein Entschließungsantrag der F.D.P. und der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem
dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Hans-Joachim
Otto, für eine kurze Ergänzung zum Bericht das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der schriftlichen
Abfassung des Berichtes hat es leider eine kleine Unterlassung gegeben, und zwar ist dort nicht erwähnt, dass
der Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion auf der Drucksache 14/336 durch einen Änderungsantrag der F.D.P.Fraktion ergänzt worden ist, der Ihnen jetzt noch einmal
gesondert unter der Drucksache 14/3043 ausgeteilt wird
und über den wir heute gesondert abzustimmen haben.
Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass der Bericht insoweit eine kleine Unterlassung aufweist - auch Kulturpolitiker begehen manchmal kleine Unterlassungen -, damit darüber nachher korrekt abgestimmt werden kann.
Vielen Dank.
Herzlichen Dank. Nun erteile ich das Wort dem Staatsminister Michael
Naumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir debattieren heute abschließend über das Stiftungsteuerrecht und damit über neue Wege, das Wort von
der Bürgergesellschaft mit neuem Leben zu erfüllen.
Dem Stiftungsteuerrecht soll - das ist unsere Hoffnung
und der Plan - die Reform des zivilrechtlichen Teils des
Stiftungsrechts folgen.
Aber: Das erste wichtige und damit sicherlich auch
das schwierigste Stück des Weges liegt nun hinter uns.
Diese Regierungskoalition hat mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf nach jahrelangem Stillstand auf diesem
Feld einen Durchbruch geschafft. Bekanntlich war das
nicht unser Stillstand.
({0})
Es ist schön, meine Damen und Herren von der Opposition, bei dieser Gelegenheit noch einmal die ablehnenden Briefe des Finanzministers Waigel zu lesen.
({1})
Es geht hierbei jedoch nicht nur um abstrakte Steuervorschriften, sondern auch um neue gesellschaftspolitische
Chancen. Ich glaube, dass heute endlich einmal wieder
nicht von windigen Spendern mit unbekannten Konten
die Rede ist, die mit irgendwelchen Tricks ihr Geld an
der Steuer und am Gesetz vorbeischummeln wollen.
({2})
Wer stiftet, will mitgestalten. Dies soll er aber bitte offen tun.
({3})
Stifter geben nicht nur ihr Geld. Sie stiften auch ihre
Zeit und ihre Begeisterung für eine gute Sache. Sie übernehmen Verantwortung für das Gemeinwohl. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wollen Investitionen
in die Zukunft nicht allein der Wirtschaft und der Politik
überlassen. Sie wollen selbst Investoren sein.
Stiftungen sind jahrhundertealter Ausdruck von Investitionen in das Gemeinwohl. Sie sind gewissermaßen
die Rechtsform des klassischen römischen Begriffes der
Vita activa, die da lautet: tua res agitur. Es geht um deine Sache; handele mit.
Das gilt nicht allein für die Kultur und für die Kulturpolitik, für die ich hier spreche, sondern auch für Soziales, für Umwelt, Wissenschaft und Sport. Sie alle profitieren vom Willen der Bürgerinnen und Bürger, sich mit
freiwilligen Leistungen an der Entwicklung der Gesellschaft zu beteiligen.
Die Spendenfreude der Deutschen in Krisen- und Katastrophenfällen ist bekannt, ja legendär. Das ist ebenfalls Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins der Gesellschaft - oder soll ich bei dieser Gelegenheit einmal
sagen: der Bevölkerung oder des Volkes - für die Verantwortung des Einzelnen.
({4})
Dieses Verantwortungsgefühl gilt es zu stärken. Es
gilt, offene Anreize - ich betone: offene Anreize -
zu schaffen, damit gute Vorhaben in die bessere Tat
umgesetzt werden können. Das will diese Regierung mit
der Reform des Stiftungsrechts erreichen. Einen nicht
unbeträchtlichen Teil haben wir erreicht. Wir wollen
potenziellen Stiftern die Steine aus dem Weg räumen,
die das geltende Stiftungsrecht, das über Jahrhunderte
Präsident Wolfgang Thierse
gewachsen und dann schließlich seit mehr als einem
Jahrhundert festgegossen ist, in den Weg gelegt hat.
Mit dem Stiftungsteuerrecht will der Staat seinen Anteil in einem fairen, für alle Partner erfolgreichen Geschäft beitragen. Der Staat verzichtet fortan auf Steuereinnahmen zugunsten eines etwas höheren Wertes,
den Stiftungen für das Gemeinwohl schaffen können.
Es ist kein Geheimnis, dass es nicht so einfach war,
die Finanzpolitiker auch in unseren eigenen Fraktionen
von der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zu überzeugen.
Ich stehe auch nicht an, darauf hinzuweisen, dass es in
letzter Instanz der Bundeskanzler war, der hier seine
Richtlinienkompetenz wahrgenommen hat.
({5})
Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch
eine Forderung aus der Koalitionsvereinbarung eingelöst.
Wer stiftet, spart Steuern. Bis zu 40 000 DM sind von
der Steuer abzugsfähig, wenn sie einer Stiftung zugute
kommen. Damit sollen vor allem Besitzer kleinerer und
mittlerer Vermögen die Chance erhalten, sich stärker an
Stiftungen zu beteiligen. Zugleich wird der Stiftungsgedanke in die Mitte der Gesellschaft gerückt.
({6})
Ich bin überzeugt davon, die Gründung und Unterstützung von Bürgerstiftungen wird durch die Reform
einen kräftigen Schub erfahren. Die Bereitschaft und gottlob! - auch das Geld dazu sind da. Auf diesen positiven Effekt haben die Künstlerinnen und Künstler gewartet. Die Kulturinstitutionen sind immer stärker
darauf angewiesen. Bürgerstiftungen sind eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Innovationen der letzten
Jahre im Bereich der privaten Kulturförderung. Fast jede
dritte Stiftung in Deutschland ist seit 1990 entstanden.
Die kleinen, sehr von ambitionierten Persönlichkeiten
geprägten regional tätigen Stiftungen sichern die kulturelle Vielfalt einer Stadt bzw. einer Region. Sie sind
Ausdruck eines gelebten Subsidiaritätsprinzips.
Durch die jetzt möglich gewordene großzügige Förderung wollen wir noch mehr Menschen ermutigen und
anregen, durch Zustiftung von 5 000, 10 000 oder gar
40 000 DM, die von der Steuer abgezogen werden können, praktischen Bürgersinn zu zeigen.
({7})
Dadurch zeigt der Staat, dass er die Selbstorganisation
des Bürgers vorbehaltlos ermöglichen will. Die große
Stiftungslandschaft im Deutschland der Jahrhundertwende ist unter dem Ansturm des Totalitarismus zusammengebrochen. Sie ist langsam wieder aufgewachsen. Jetzt geben wir ihr einen neuen Schub.
Dies alles soll in einer Zeit ermutigen, in der allzu oft
und sehr schnell nach dem Staat als Problemlöser gerufen wird. Wir wollen - quasi als Kontrapunkt - den Weg
ebnen, selbstbewusst mehr Eigenverantwortung wahrzunehmen.
({8})
- Herr Otto, das schöne Erlebnis war ja, dass im Grunde
genommen alle Kulturpolitiker im Kulturausschuss in
dieser Sache einer Meinung waren. Es ist natürlich auch
klar, dass Sie mehr gefordert haben, als Sie in den vergangenen 16 Jahren auch nur ansatzweise haben erfüllen
können. Wir alle gemeinsam haben ja den Widerstand
erfahren.
({9})
Natürlich brauchen wir auch den reichen Mäzen.
Deshalb enthält die Gesetzesinitiative auch interessante
Anreize für größere Vermögen. So ist vorgesehen, Sachzuwendungen aus dem Betriebsvermögen für Stiftungen des Privatrechts künftig nicht mehr nach dem Teilwert, sondern nach dem Buchwert zu bemessen. Ganz
wichtig ist die vorgesehene Befreiung der Erben von der
Erbschaftsteuer, wenn sie ererbtes Vermögen an eine
gemeinnützige Stiftung weiterreichen. Angesichts des
erwarteten Erbvermögens in Höhe von über 350 Milliarden DM in den nächsten zehn Jahren sollte man meinen, dass die Idee der Gemeinnützigkeit in Deutschland
durch dieses Gesetz massiv, gerade auch materiell, unterstützt und realisiert wird.
({10})
Doch kann der Staat, meine Damen und Herren, die
wirklich großen Vermögen - man kann es nicht oft genug betonen - nicht ausschließlich mit steuerrechtlichen
Vergünstigungen locken. Hierfür ist die Pflege der ideellen Werte unserer Gesellschaft - ich denke an Transparenz und Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und
sicherlich auch Ehrenhaftigkeit - wesentlich wichtiger.
Auf diesem Feld ist eine Klimaverbesserung nötig, die
sich übrigens nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbehörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern, aber
auch in der öffentlichen Würdigung von Stiftern zeigen
muss.
({11})
Lassen Sich mich an dieser Stelle ganz kurz auf örtliche Ereignisse Bezug nehmen: Es kann überhaupt kein
Zweifel daran bestehen, dass der Rücktritt der Senatorin Thoben - schön, dass Sie jetzt zuhören, meine Herren von der Opposition -,
({12})
eine Ihrer besten Politikerinnen, in einer Situation erfolgt, in der einem Stifter dieser Stadt - wir reden ja von
Stiftungen - mitgeteilt wird, dass von seiner Stiftung in
Höhe von über 300 000 DM lediglich 165 000 DM
gebraucht werden. Solch ein Umgang mit Stiftungen
muss endlich aufhören.
({13})
Die beste Stiftungspolitik nützt nichts - hier rede ich
schon auch von dieser Stadt -, wenn sich die Stiftungen
und die Stifter, die Mäzene und die Kunstfreunde sich
einer Verwaltung, einer Behörde und einer Politik gegenübersehen, in der auch die schönsten Stiftungen in
nicht transparenten Haushaltspolitiken und in einer katastrophalen Kulturpolitik zu versickern drohen,
({14})
die hier seit Jahrzehnten ganz eindeutig zu dem Resultat
geführt hat, das wir heute leider, leider beklagen müssen.
({15})
Ich persönlich wünschte, Frau Thoben wäre geblieben.
Das darf ich Ihnen zurufen.
({16})
In einem zweiten Schritt der Stiftungsrechtsreform,
nämlich der Reform des zivilen Stiftungsrechts, sollen
die Regelungen über Stiftungsgründungen und Aufsicht
und Publizität reformiert werden. Ich freue mich, dass
sich in dieser Frage nun auch bei den Bundesländern die
Reformbereitschaft durchzusetzen scheint. Eine BundLänder-Gruppe unter Leitung des federführenden Bundesjustizministeriums wird in Kürze mit der Arbeit beginnen. Auch die Kultur wird sich in dieser Arbeitsgruppe zu Wort melden. Ich denke, wir werden auch
dieses Gesetzeswerk noch in dieser Legislaturperiode
wenn nicht beschließen, so doch einen entscheidenden
Schritt vorwärts bringen können.
({17})
Das ist auch Sache des Bundesrates.
Erforderlich ist eine andere Außendarstellung der
Stiftungsbehörden, die schon in der Bezeichnung der
Organisationseinheit zum Ausdruck kommen sollte.
Statt Stiftungsaufsicht, wie es zum Beispiel hier in Berlin heißt, könnte man auch weniger obrigkeitsfixierte
Begriffe wie etwa Stiftungsberatung oder schlicht Stiftungsamt wählen.
({18})
Ich hoffe darum, dass sich auch in den Köpfen der Mitarbeiter ein Wandel vollzieht, nämlich in erster Linie eine Serviceeinheit zu sein und gerade auch im Interesse
des Staates die Gründung gemeinwohlorientierter Stiftungen mit größtmöglicher Hilfestellung zu fördern und
zu begleiten.
Gestatten Sie mir abschließend, Herr Präsident, ganz
kurz noch einige Worte zu der von mir geplanten Bundeskulturstiftung, die einige in den Ländern mit Furcht
und Schrecken zu erfüllen scheint. Warum, ist nicht
ganz klar. Sie wäre ja kein Angriff auf die Kulturhoheit
der Länder. Vielmehr ist es eine Art Feuerwehrtopf für
kulturelle Projekte von nationalem Gewicht - jedenfalls
ist die Stiftung so gedacht -, die aus öffentlichen Kassen
ansonsten nicht zu finanzieren wären. Kultur findet
selbstverständlich auf regionaler und Landesebene statt.
({19})
Es gibt keine abstrakten Kulturereignisse des Bundes,
sondern Kultur, Kulturprojekte, Kulturereignisse sind
immer konkret. Die länderübergreifende Finanzierung
scheint es zu sein, die uns so außerordentliche Schwierigkeiten macht.
Meine Damen und Herren, die Ligatur von allem das hat einmal ein Mann gesagt, der auch mit unserer
Partei viel zu tun hat; er hat da nicht ganz falsch gelegen - ist Geld. Leider! Auch in der Kulturpolitik, aber
nicht nur dort. Trotzdem wollen wir mit der Reform des
Stiftungsrechts - wenn Sie so wollen - eine verspätete
Antwort auf einen verzweifelten Brief einer berühmten
Lyrikerin geben. Das war Else Lasker-Schüler, die einem ihrer Mäzene einmal einen Brief schrieb, der mit
den Zeilen endete:
Sie fragen mich, was mir fehle. Ich sag‘s Ihnen
gerne:
({20})
Geld, Geld, Geld, Geld, Geld.
Ich danke Ihnen.
({21})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und dritte
Lesung der eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträge
zu einem modernen Stiftungsrecht gibt uns Gelegenheit,
noch einmal zu sortieren, was uns bei diesem wichtigen
Thema eint und was uns möglicherweise trennt. Uns
eint, dass wir alle ein neues, modernes, wirklich überzeugendes Stiftungsrecht wollen. Uns trennt aber die
Beurteilung der Frage, was denn Bestandteil eines solchen Gesetzes sein muss, damit man von einem wirklich
modernen, überzeugenden, leistungsfähigen Stiftungsrecht sprechen kann.
Wenn Sie, Herr Staatsminister Naumann, heute Morgen sagen, das schwierigste Stück des Weges liege hinter uns, dann kann ich das nur für eine gut gemeinte, im
Übrigen aber hoffnungslose Übertreibung halten.
({0})
Natürlich ist wahr, dass etwas immer mehr ist als gar
nichts. Insofern stehen wir auch nicht dem Bemühen im
Wege, das Wenige nun heute auf den Weg zu bringen.
({1})
- Herr Kollege Stiegler, ich werde Ihren Zwischenruf
mit besonderer Liebe und Sorgfalt aufgreifen, weil das
zu den Legendenbildungen gehört, die Sie zur Verschönerung des Bildes eines im Ganzen doch eher bescheidenen Gesetzentwurfes ganz offenkundig dringend
benötigen.
({2})
Ich will nur noch einmal sagen: Natürlich ist es besser, etwas zu machen, als gar nichts zu machen. Aber
viel mehr kommt hier leider nicht zustande. Dies bleibt
weit hinter den Ankündigungen und Erwartungen zurück, die Sie mit Ihren eigenen Erklärungen zu Beginn
dieser Legislaturperiode ausgelöst haben.
({3})
Hier ist nach einem großen Anlauf ein ganz kleiner
Sprung zustande gekommen.
({4})
Weil Kollege Stiegler so viel Wert darauf legt, die
vergangenen 16 Jahre noch einmal zu beleuchten, will
ich ihm diesen Gefallen tun. In der Tat haben wir - ohne
den Anspruch einer Reform des Stiftungsrechts - in einer Serie von Änderungen im Steuerrecht, im Vereinsrecht vermutlich mehr an konkreten Verbesserungen der
Arbeitsfähigkeit und vor allen Dingen auch der steuerlichen Absetzungsmöglichkeit für Spenden und Stiftungen in unserer Amtszeit durchgesetzt, als Sie sich das
mit Ihrem Gesetzentwurf zutrauen.
Wir haben 1986 im Steuerbereinigungsgesetz erstmals Rücklagen zur dauerhaften Erhaltung der Leistungskraft zugelassen. Wir haben im Vereinsförderungsgesetz dafür gesorgt, dass es zahlreiche Verbesserungen für gemeinnützige Körperschaften gibt, die nicht
nur, aber auch von den Stifterverbänden gefordert worden sind. Damals haben wir die Überschussgrenze von
12 000 DM im Dreijahresdurchschnitt für die Zweckbetriebsgemeinschaft kultureller Einrichtungen und Veranstaltungen abgeschafft. Wir haben eine neue Freigrenze
von 60 000 DM Einnahmen im Jahr für die Ertragsbesteuerung von wirtschaftlichen Betätigungen eingeführt.
Wir haben Freigrenzen bei Körperschafts- und Gewerbesteuern in echte Freibeträge umgewandelt.
Wir haben damals den Abzugsatz für Spenden zur
Förderung mildtätiger Zwecke von 5 auf 10 Prozent des
Gesamtbetrages der Einkünfte angehoben und verdoppelt. Wir haben damals also genau die Sätze eingeführt,
die schlicht zu bestätigen heute Ihre ganze Kraft reicht,
während unser Vorschlag, diese Sätze jetzt zu verdoppeln und damit kräftig, nachhaltig und sichtbar im Interesse eines neuen Stiftungsrechts und einer neuen Ermutigung für Stifter anzuheben, leider an Ihrem Widerstand
scheitert.
({5})
Ich könnte noch eine ganze Serie von Verbesserungen der letzten Jahre aufführen. Wir haben damals für
Großspender die Möglichkeit des Abzugs von Einzelspenden von mindestens 50 000 DM pro Jahr auf einen
Zeitraum von insgesamt acht Jahren durchgesetzt. Wir
haben die Erbschaftsteuerbefreiung bei Zuwendungen an
gemeinnützige Körperschaften ins Steuerrecht eingeführt, die Ausweitung steuerfreier Entschädigungen und
vieles mehr.
({6})
Meine Redezeit reicht nicht, Herr Stiegler, um den
Nachholbedarf zu decken, den Sie mit Ihren ständigen
Zwischenrufen provozieren.
Ich halte nur noch einmal für das Protokoll fest: In
den vergangenen Jahren ist hinsichtlich der Zahl und der
Reichweite der Vorschläge unendlich mehr für die Verbesserungen von Stiftern und Stiftungen geleistet worden, als unter dem gigantischen Anspruch eines neuen
Stiftungsrechts mit dem Gesetzentwurf nun erfolgt, den
Sie heute hier verabschieden wollen.
({7})
Wir begrüßen ausdrücklich, dass über die vorhandenen Möglichkeiten der Absetzung im Steuerrecht hinaus,
die Sie leider nicht deutlich verbessern wollen, nun für
kleinere Spenden ein zusätzlicher Abzugsbetrag von
40 000 DM im Jahr eröffnet werden soll. Ich muss aber
noch einmal mein ausdrückliches Bedauern darüber zum
Ausdruck bringen, dass sich selbst im Zusammenhang
mit der ausdrücklich von uns allen gewünschten Förderung gemeinnütziger Organisationen und Aktivitäten Ihr
altes Misstrauen gegen höhere Einkommen und Vermögen auch an dieser Stelle gegenüber neuen und besseren
Einsicht durchgesetzt,
({8})
nach dem Motto: Wir wollen lieber höhere Einnahmen
zu 40 oder 50 Prozent besteuern, als sie zu 100 Prozent
der Gemeinschaft für gemeinnützige Aktivitäten zur
Verfügung stellen zu lassen.
({9})
Es wäre zu schön gewesen, Herr Staatsminister und
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Sie sich hätten entschließen können, die
gut gemeinten und zielführenden Hinweise aus der
Sachverständigenanhörung zur Grundlage einer Verbesserung Ihres Gesetzentwurfes zu machen. Bei diesen
Anhörungen ist von den Experten serienweise darauf
hingewiesen worden, dass man erstens den Zusammenhang zwischen Steuerrecht und Zivilrecht herstellen
muss und nicht auseinander reißen darf
({10})
und dass zweitens die vorgesehenen Änderungen im
Steuerrecht - nur die stehen heute hier zur Debatte dringend einen mutigeren, einen überzeugenderen und
deswegen spürbareren Ansatz benötigt hätten.
({11})
- Ich empfehle Ihnen, Herr Stiegler, dass Sie das, was
Sie vorhin aufgrund Ihrer vielen Zwischenrufe wahrscheinlich nicht so schnell aufnehmen konnten, im Protokoll nachlesen. Ich stelle Ihnen die übrigen Änderungen, die wir durchgesetzt haben und die ich nicht mehr
vorgetragen habe, im Rahmen eines gesonderten privaten Schriftwechsels gerne zur Verfügung.
Nur, Herr Kollege Stiegler - darauf möchte ich noch
hinweisen -, wenn Ihnen dieses Thema so wichtig ist
und wenn Sie den vorliegenden Gesetzentwurf in seiner
jetzigen Fassung für ein ganz besonders eindrucksvolles
Reformwerk dieser Legislaturperiode halten, dann wäre
es schön gewesen, wenn mehr Mitglieder dieser Koalition einschließlich einzelner Mitglieder der Bundesregierung dieser Debatte die Ehre ihrer leibhaftigen Anwesenheit hätten zuteil werden lassen.
({12})
Kollege Lammert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?
Aber gerne.
Herr Kollege Lammert, erinnern Sie sich daran, dass ich
in einer Debatte aus der letzten Legislaturperiode genau
den Standpunkt, den Sie jetzt vortragen, vertreten habe,
nämlich man könne doch schon zivilrechtlich etwas machen, wenn man meint, steuerrechtlich noch nichts machen zu können, und dass die damals höchste Autorität
der Koalition, nämlich der Bundeskanzler höchstpersönlich, gesagt hat, zivilrechtliche Änderungen seien gar
nicht nötig - er hat es vertreten; meine Meinung ist das
überhaupt nicht - und dem Stiftungsrecht könne man
nur durch das Steuerrecht aufhelfen. Das wolle er im
Rahmen einer großen Steuerreform machen, die er aber
jetzt noch nicht durchführen könne. Was sagen Sie zu
dieser damaligen Meinung? - Ich glaube, das war damals die Meinung der gesamten Koalition.
Frau Kollegin
Vollmer, erstens erinnere ich mich gut. Zweitens beantworte ich gerne die Frage nach der Einschätzung der
damaligen Meinung: Wir haben sie geändert!
({0})
Wir haben in unserem von jedem nachzulesenden Antrag zum Ausdruck gebracht, was nach unserem heutigen Erkenntnisstand geschehen muss, damit wir ein
wirklich modernes Stiftungsrecht bekommen.
Ich erinnere mich im Übrigen auch an eine besonders
zielführende Bemerkung in der Sachverständigenanhörung, wo einer der geladenen Experten darauf hingewiesen hat, er halte „den ursprünglichen Entwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Beschlussempfehlung der CDU/CSU im Wesentlichen für den richtigen Weg“. - Es wäre schön gewesen, wenn wir das gemeinsam hätten umsetzen können und wenn sich die
Koalition hätte entschließen können, die geradezu leidenschaftlichen Appelle aufzunehmen, die in dieser Anhörung von allen Seiten vorgetragen worden sind, nämlich nicht den steuerrechtlichen und den zivilrechtlichen
Teil voneinander abzukoppeln. Wir alle wissen, dass die
schwierige Operation, viele Beteiligten einschließlich
der Länder von der Notwendigkeit einer durchgreifenden Verbesserung zu überzeugen, nicht dadurch leichter
wird, dass die steuerrechtlichen Veränderungen, die von
den meisten gewollt werden, vorab beschlossen werden,
und dass damit ein wesentlicher Hebel aus der Hand gegeben wird, um einen Gesamtzusammenhang herzustellen, der den Namen eines modernen Stiftungsrechts
wirklich verdient.
({1})
Ich möchte nur noch auf einen Aspekt hinweisen,
weil wir an der Stelle ein gemeinsames Anliegen haben
und weil es offensichtlich der Regierung und der Koalition hilft, wenn die Opposition dabei besonders hartnäckig auf der Umsetzung der gemeinsamen Einsichten
besteht. Es ist nicht nur in der vom federführenden Ausschuss durchgeführten Sachverständigenanhörung -
aber auch dort - mehrfach darauf hingewiesen worden,
dass das jetzige Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht
sehr stark auf einer Staatsauffassung beruhe, die aus
dem 19. Jahrhundert stammt, dass wir heute nicht nur
ein anderes Staatsverständnis, sondern auch eine ganz
andere Vorstellung von einer modernen Bürgergesellschaft haben und dass es heute glücklicherweise viele
Bürgerinnen und Bürger gibt, die bereit und in der Lage
sind, mit eigenem kräftigen und vorzeigbaren Engagement die Aufgaben wahrzunehmen, zu deren Erfüllung,
die öffentlichen Hände nur noch begrenzt in der Lage
sind. Es wäre ein Drama, wenn ausgerechnet der Gesetzgeber diese vorhandene Bereitschaft zur tatkräftigen
Hilfe nicht nur nicht fördern, sondern sogar weiter begrenzen würde, wie das angesichts des gegenwärtigen
Steuer- und Zivilrechts leider der Fall ist.
({2})
Ich möchte gar nicht die zum Teil verzweifelten Briefe zitieren, die an den Bundeskanzler persönlich zur
Verbesserung der damals absehbaren Gesetzgebungsarbeit der Koalition geschrieben worden sind und in denen mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass es
doch nicht ernsthaft der ganze Reformwille dieser Koalition sein könne, mit der vergleichsweise läppischen
Möglichkeit,
({3})
40 000 DM zusätzlich abzusetzen,
({4})
das Stiftungsrecht modernisieren zu wollen.
({5})
Es ist klar, dass die 40 000-DM-Regelung vor allem
kleinere Stiftungen oder Zustiftungen begünstigt. Wir
bekommen damit aber keine substanziellen neuen Initiativen, bei denen Millionenkapital entsteht. Das brauchen
wir natürlich für viele der großen Vorhaben, zu denen
sich die öffentlichen Hände immer weniger in der Lage
sehen.
({6})
Wir stehen selbstverständlich den bescheidenen Veränderungen nicht im Wege. Aber wir haben mit einer
Reihe von konkreten Änderungsanträgen, die der Kollege Bernhardt und Frau Kollegin Süssmuth nachher im
Einzelnen erläutern werden, deutlich gemacht, wie wir
genauer, besser und überzeugender eine neue Stiftungskultur in Deutschland herbeiführen wollen. Wir werden
sehr darauf achten, dass die in der Beschlussempfehlung
und im Bericht formulierte gemeinsame Überzeugung
des federführenden Ausschusses festgehalten wird, dass
das heute verabschiedete Gesetz der erste Schritt für ein
Reformwerk ist. Hier dürfen wir aber nicht stehen bleiben, sondern dieser Schritt muss aufgegriffen werden,
und zwar nicht irgendwann, sondern möglichst bald in
diesem Jahr,
({7})
damit dies in dieser Legislaturperiode, Herr Stiegler,
noch abgeschlossen werden kann.
In diesem Zusammenhang können wir dann auch
noch das Ärgernis beseitigen, dass bei der Überführung
von Sachwerten, insbesondere von Kunstwerken, in Stiftungen oder für gemeinnützige Aktivitäten durch die
Pflicht zur Umsatzsteuerzahlung,
({8})
insbesondere bei Kunstwerken mit hohem Marktwert,
eine prohibitive Wirkung für die Bereitschaft zu Stiftungen entsteht.
({9})
Das hat die geradezu abstruse Wirkung, dass der Staat
auf diese Weise weder seine Umsatzsteuer noch Gemälde, Skulpturen oder andere Sachwerte bekommt, die für
gemeinnützige Aktivitäten oder Museen hätten zur Verfügung gestellt werden können. Diesen Unsinn sollten
wir schnellstmöglich beseitigen. Das sollten wir gemeinsam tun.
({10})
So, wie sich auch nach der für heute vorgesehenen
Änderung des Steuerrechts unser Stiftungsrecht darstellt,
muss man sagen: Es bleibt leider mit einem Fuß im
19. Jahrhundert stecken, mit dem anderen Fuß trauen Sie
sich nicht so recht ins 21. Jahrhundert.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Wolfgang Müller, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Herr Dr. Lammert, um in Ihrem Bild zu
bleiben: Ich glaube, die Koalition steht mit beiden Beinen fest in der Realität, sowohl in der Stiftungsrealität
als auch in der Haushaltsrealität.
({0})
Sie wird beides zusammenführen. Dazu möchte ich heute gerne sprechen.
Die rot-grüne Koalition fördert das Mäzenatentum.
Wer hätte das gedacht? Ich glaube, es gibt viele Menschen - vielleicht auch in unseren beiden Parteien, vielleicht etwas mehr bei unserem Koalitionspartner -, die
das so nicht vermutet haben. Die Förderung einer neuen
Stiftungskultur widerspricht einem obrigkeitsgetreuen
Denken nach dem Motto: Der gute Bürger, die gute
Bürgerin zahlen ihre Steuern; das muss als gemeinnütziges Engagement reichen. Der Staat füllt dann die Kulturregale der Nation, und der Bürger steht als Kunde in der
Schlange.
Mit der Förderung der Stiftungskultur steigen die
gemeinsame Verantwortung und die aktive Teilnahme
an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies ist ein moderner Bürgersinn. Das kommt zwei Grundwerten entgegen, bei denen die grüne Seele jubiliert: dem Pluralismus und der Subsidiarität. Dies wäre „Gesellschaft
von unten“ mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Gerade die Frage nach den Bedingungen für ein pluralistisches und lebendiges Engagement stellt sich immer
wieder neu.
Zwar hat der Gemeinsinn in der Industriegesellschaft
seine bewährten Institutionen gefunden: Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, um hier
die großen Säulen der gesellschaftlichen Teilhabe zu
nennen. Aber gerade auf dem Weg in die Kommunikationsgesellschaft ergeben sich zunehmend neue Beteiligungsformen: ein Netz aus vielen kleinen Initiativen und
Bewegungen. Wer einen Blick ins Internet wirft, findet
dort bereits einen bunten Strauß an Stiftungen, einen beachtlichen Strauß, der aber noch wesentlich bunter werden kann.
Rot-Grün präsentiert sich heute als Förderer der Mäzene. Wir lösen damit ein wichtiges Versprechen des
Koalitionsvertrages und - das will ich deutlich sagen des grünen Wahlkampfes an dieser Stelle ein.
({1})
Herr Dr. Lammert, ich habe gespürt, wie es Sie geschmerzt hat, dass Sie in den letzten 16 Jahren eben nur
kleine Trippelschritte gemacht haben.
({2})
Sie haben sie uns aufgezählt. Sie will ich gar nicht leugnen. Aber eine mutige Erweiterung im Rahmen der Erbschaftsteuerreform, ein mutiger Schritt in Richtung zu
mehr Bürgerstiftungen haben bei Ihnen gefehlt. Eine
mutige Ausweitung des Stiftungszwecks für weitere relevante Bereiche haben Sie nicht gewagt. Das kaschieren Sie jetzt mit Anträgen, deren Tenor ist: Eure Entwürfe reichen nicht weit genug, wir wollen es größer,
schneller, lauter - und das am liebsten sofort.
({3})
Ich kann - auch als Finanzer - gut verstehen, dass Sie
gerne mehr steuerrechtliche Vergünstigungen gehabt
hätten. Sie haben sicherlich Recht: Wenn man hier noch
großzügiger herangehen würde, würden wahrscheinlich
noch mehr Menschen ihr Vermögen für gemeinnützige
Zwecke zur Verfügung stellen, dann würde vielleicht die
Stiftungsbereitschaft noch größer sein, als sie jetzt durch
das ist, was Rot-Grün ermöglichen wird. Das ist plausibel, aber ich will Ihnen gerade aus Finanzersicht erklären, warum dies in der jetzigen Situation gerade nicht
möglich ist und warum Rot-Grün deshalb den optimalen
Wurf macht, der momentan möglich ist.
Auch die Stiftungspolitiker kommen um die leeren
Kassen, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns vererbt haben, nicht herum. An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Herr Naumann, gern widersprechen, weil Sie zumindest bei den grünen Finanzerinnen
und Finanzern von Anfang an ein offenes Ohr für diese
Möglichkeiten gefunden haben; das kann ich aus ganzer
Überzeugung sagen.
({4})
- Auch die Kollegen Haushälter haben mitgezogen.
Steuervergünstigungen bedeuten nun einmal zumindest kurzfristig Mindereinnahmen. Mir ist klar, dass das
Stiftungswesen langfristig - darum machen wir das auch für den Staat fiskalisch eine lohnende Sache ist.
Wenn die Stiftungskultur sich voll entfaltet, wird der
Staat in vielen Bereichen sein Engagement zurücknehmen können, weil hier private Initiativen eingreifen und
diese Bereiche übernehmen. Es gibt unzählig viele Bereiche wie Kultur, Forschung, Wissenschaft, Ökologie,
Soziales, Jugend oder Sport, in denen viele Aufgaben,
die momentan vom Staat wahrgenommen werden, genauso gut von Stiftungen übernommen werden können.
Vielleicht können sie das in manchen Bereichen sogar
besser. Damit wird die Republik lebendiger, auch wenn
die mittelfristigen Steuerausfälle vielleicht schmerzen.
Aber das ist uns die Sache auf jeden Fall wert.
({5})
- So weit sind wir noch nicht, Herr Otto.
In den vergangenen Monaten haben wir zusammen
das Sparpaket verabschiedet, welches nicht nur für die
Steuerreform, sondern auch dafür eine wichtige Voraussetzung war, um jetzt an anderer Stelle von staatlicher
Seite großzügig sein zu können.
Auch die klimatischen Bedingungen sind wichtig, sie
werden für das „Pflänzchen“ Stiftungskultur in Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Unser erster Reformschritt wird weder als deutliche Klimaänderung oder nur von Ihnen von der Opposition - als kaum merkbarer
Temperaturwechsel bewertet. Es wird Sie nicht wundern, dass ich natürlich zu denen zähle, die der ersten
Meinung sind, nämlich dass wir mit dieser Reform einen
durchaus deutlichen Klimaumschwung einleiten werden.
Aber zu den klimatischen Bedingungen gehört sicherlich mehr als reine Steuerpolitik. Erstens gehört dazu ganz wichtig - das gesellschaftliche Verhältnis zum
Mäzenatentum.
({6})
In der Debatte um diese Reform haben wir ein neues gesellschaftliches Interesse, ein öffentliches Interesse auch
von Medien und von Leuten wahrgenommen, die angefragt haben, wann es endlich so weit sei, wann sie endlich selbst eine eigene Stiftung gründen können. Die
Medien haben durch die Bank positiv darüber berichtet,
dass Rot-Grün diese Initiative ergreift. Wir erleben in
der Gesellschaft keine Neiddebatte.
({7})
Es wird niemand in die Ecke gestellt, sondern es gibt eine Akzeptanz dafür, dass Menschen ihr Geld für gemeinnützige Zwecke verwenden.
Unterstützend für eine neue Stiftungskultur ist die gesellschaftliche Debatte über eine neue Zivil- oder Bürgergesellschaft. Selbst die „Zeit“ klagt inzwischen nicht
mehr über den Rückgang des gesellschaftlichen Engagements, sondern hat eine Reformwerkstatt für eine aktive Zivilgesellschaft, Inklusion und Demokratie gegründet. Letzte Woche titelte das Hamburger Wochenblatt „Freiwillige vor!“ und „Der Gemeinsinn wächst trotz Geldfiebers und schwarzer Konten. Ehrlichkeit und
Mitmenschlichkeit gehen nicht unter.“
({8})
Klaus Wolfgang Müller ({9})
Die UNO will das Jahr 2001 zum Jahr der Freiwilligen machen. Die Enquete-Kommission zur Zukunft des
bürgerschaftlichen Engagements hat gerade ihre Arbeit
aufgenommen. Das beschreibt aus unserer Sicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die ein solches
Stiftungsgesetz eingebettet sein muss, ziemlich gut. Auf
das Zweite haben Sie, Herr Dr. Lammert, hingewiesen
und darin will ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Sie
haben Recht: Das ist der erste Schritt, den wir machen
müssen. Ich will auch an dieser Stelle deutlich sagen,
dass die Koalition für den zweiten Schritt bereit ist. Man
muss nur Schritt für Schritt vorgehen und darf die Latte
nicht so hoch legen, dass man womöglich von Anfang
an darunter durchgehen muss.
({10})
Das ist uns wichtig. Darum werden wir auch noch zu
einer zivilrechtlichen Reform des Stiftungsrechtes
kommen.
Drittens geht es um das Steuerrecht. Hier stimme ich
meiner Kollegin Antje Vollmer nachdrücklich zu. Ich
habe das - gerade als Finanzer - auch selbst erlebt, wie
schwierig manchmal die Verhandlungen mit dem Finanzministerium waren. Manch böse Stimme hat geunkt, dass die Antworten, die man von dort als Parlamentarier bekommen hat, noch aus der Zeit von vor
1998 stammten.
({11})
Wir sind aber froh, dass die Spitze des Hauses letztendlich das Projekt unterstützt hat und dass wir deshalb hier
gemeinsam vorwärts gehen können.
({12})
Wir sind mit unseren Steuerreformplänen - das ist der
vierte Baustein, der dazu gehört - wesentliche Schritte
in Richtung Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der
Unternehmen, der Wirtschaft, der Selbstständigen gegangen. Allein private Haushalte werden durch RotGrün bis zum Jahr 2005 um über 50 Milliarden DM entlastet. Die Unternehmen werden um 17 Milliarden DM
entlastet.
Ich will an dieser Stelle deutlich die Hoffnung aussprechen, dass sehr viele Leute, wenn sie dann netto
mehr in der Tasche haben, entscheiden mögen, ein Stück
weit diese zusätzlichen Spielräume zu nutzen, dieses
Geld auch in gesellschaftliches Engagement zu stecken,
gemeinnützige Initiativen, Stiftungen zu fördern.
Mit diesem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und
Kollegen, machen wir den ersten Schritt in Richtung einer längst überfälligen Reform. Das ist ein deutliches
Signal. Liebe Vermögende in dieser Republik, es gibt
nichts Gutes, außer, man tut es!
({13})
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche
Bemerkung. Vorbehaltlich der Zustimmung von zwei
Parteitagen am kommenden Wochenende und einer erfolgreichen Wahl der neuen schleswig-holsteinischen
Ministerpräsidentin wird dieses voraussichtlich meine
vorerst letzte Rede in diesem Hause sein.
({14})
Ich werde dann, wenn alles klappt, am kommenden Dienstag in das Amt des schleswig-holsteinischen
Umweltministers wechseln, in den schönen hohen Norden.
Ich bin froh zu sagen, dass wir es im Koalitionsvertrag schwarz auf weiß untergebracht haben, dass
Schleswig-Holstein im Bundesrat die Reform des Stiftungsrechts unterstützen wird.
({15})
Aus dieser Sicht wird zumindest ein Bundesland RotGrün in Berlin unterstützen.
Dieses ist der Zeitpunkt, sich für heftige und schöne
Debatten in diesem Haus zu bedanken, sich gleichzeitig
bei den Kolleginnen und Kollegen zu entschuldigen, gegenüber denen ich hart ausgeteilt habe, sich noch einmal
bei denen zu bedanken, die hart zurückgegeben haben.
Gerade für einen jungen Abgeordneten waren die letzten
anderthalb Jahre sehr schön, sehr nett, sehr lehrreich.
Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Arbeit.
Vielen Dank.
({16})
Lieber Kollege
Müller, wenn denn dies Ihre letzte Rede als Bundestagsabgeordneter gewesen sein sollte, dann wollen wir Ihnen
auch alle guten Wünsche für Ihr neues Amt mitgeben.
({0})
Vielleicht sehen wir uns gelegentlich wieder, wenn Sie
dann von der Bundesratsbank her ans Rednerpult treten.
Alles Gute!
({1})
Damit erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto,
F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Müller, auch wir stehen nicht an, Ihnen für das neue
Amt alles Gute zu wünschen, aber wir werden auch eines tun: Wir werden Ihre hehren Worte von heute an den
Taten im neuen Amt messen. Sie werden vielerlei Gelegenheiten haben, die Stiftungsrechtsreform auch von
Schleswig-Holstein aus aktiv zu unterstützen.
Klaus Wolfgang Müller ({0})
Herr Dr. Naumann, Sie bemühen gern - so auch heute in Ihrer Rede - lateinische Aphorismen. Als Humanist
möchte ich Ihnen mit einer „altdeutschen“ Spruchweisheit entgegnen: Nicht kleckern, sondern klotzen sollt
ihr!
({1})
Diese Weisheit gilt in besonderem Maße für die Stiftungsrechtsreform, wollen wir doch ein laut vernehmbares Signal in unsere Gesellschaft senden, nämlich:
Mehr Bürgersinn, weg von der Vollkaskomentalität
durch den Staat. Oder profaner ausgedrückt: Gerade bei
diesem Reformvorhaben kommt es entscheidend auf
seine psychologische Wirkung bei potenziellen Stiftern
an.
Aber statt eines Posaunenklanges für die Belebung
der Stiftungskultur in Deutschland vernehmen wir jetzt
nur noch eine dissonante Tröte. Einige Begleitmusiker
aus den Reihen von SPD und Grünen intonieren eine
völlig andere Melodie, als wir es heute von Herrn
Naumann gehört haben. Nicht irgendeiner, sondern immerhin der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Spiller, kritisiert die steuerliche Förderung von Stiftungen mit den Worten:
Wo kämen wir denn hin, wenn jeder, statt Steuern
zu zahlen, selbst darüber entscheiden kann, was mit
seinem Geld passiert?
Dieses Zitat lässt wirklich tief blicken.
Noch schriller, Herr Kollege Müller, äußern sich Ihre
Landtagskollegen in Hessen. Sie sind gerade vor wenigen Tagen gegen die von der dortigen Landesregierung
geplante Stiftungsreform mit der Mär Sturm gelaufen,
Stiftungen dienten nur dazu, „um auf Kosten der Allgemeinheit Steuern sparen zu können“. Lieber Herr Kollege Müller, ich hoffe, Sie werden sich dafür einsetzen,
dass Ihre eigenen Landtagskollegen in Hessen ein bisschen klüger werden als bisher. Vielleicht sollten sie sich
einmal Ihre heutige Rede durchlesen; das könnte zu ihrer Weisheit beitragen.
({2})
Meine Damen und Herren, solche Neidkomplexe, wie
sie leider - ich füge hinzu: gelegentlich, nicht bei allen hier geweckt werden, sind nicht dazu angetan, ein mäzenatisches Klima in Deutschland zu fördern, ganz im
Gegenteil. Diese pawlowschen Reflexe haben bei SPD
und Grünen offenbar auch die Halbherzigkeit und Inkonsequenz hervorgerufen, die Ihr heutiges Reförmchen
kennzeichnet.
Ich möchte dies am Beispiel Ihres neuen Sonderausgabenabzugs verdeutlichen. Mit maximal 40 000 DM
werden Sie nicht eine einzige neue Stiftung initiieren
können.
({3})
So genehmigt beispielsweise die Stiftungsaufsicht in
Nordrhein-Westfalen Stiftungen überhaupt erst ab einem
Mindestkapital von 100 000 DM und hält eine Kapitalausstattung von mindestens 1 Million DM für wünschenswert. Ähnliche Regelungen gibt es auch in anderen Bundesländern. Mit einer Höchstgrenze von
40 000 DM schaffen Sie im Übrigen auch keinen Anreiz
für die wirklichen Spitzenverdiener. Herr Dr. Naumann
hat das in seiner Rede insoweit korrekt zum Ausdruck
gebracht: Wir schaffen Anreize für die Bezieher kleiner
und mittleren Einkommen. Nur, Herr Dr. Naumann, wo
bleibt der Anreiz für die größeren? Ich lese heute in einem Artikel in der „taz“ einen Beitrag von
Das neue Stiftungsrecht wird denen, die es wollen,
Möglichkeiten schaffen, hier in größeren Dimensionen tätig zu werden. Sozialdemokraten haben keinen Grund, gegen das Mäzenatentum zu sein.
({0})
- Ja, da klatsche ich auch, Frau Vollmer.
({1})
Nur, was tun Sie denn dafür? Mit 40 000 DM geht es sicherlich nicht.
Meine Damen und Herren, in Ihrem Entwurf gibt es
auch schwere Widersprüche. Der bloße Wortlaut Ihres
Gesetzentwurfes und die öffentlichen Bekundungen insbesondere Frau Vollmers vermitteln den Anschein, aber
auch nur den Anschein, als könne zusätzlich zu den
40 000 DM auch der herkömmliche Abzug in Höhe von
5 Prozent des Einkommens in Anspruch genommen
werden.
({2})
- Oder 10 Prozent, ja, aber nur scheinbar. Die amtliche
Begründung Ihres eigenen Entwurfes spricht nämlich
eine andere, und zwar völlig eindeutige Sprache:
Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode
- das ist ein kleiner Fehler; Sie meinen wohl Veranlagungszeitraum abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 Deutsche
Mark begrenzt.
Das ist völlig eindeutig; man kann die beiden Steuervergünstigungen nicht nebeneinander in Anspruch nehmen.
Man muss sich also entweder für die 40 000 DM oder
die 5 Prozent entscheiden. Liebe Frau Dr. Vollmer, auch
Ihre süßesten Schalmeienklänge bekommen leider nicht
Gesetzeskraft und können auch die künftige Auslegung
des Gesetzes nicht beeinflussen. Manchmal bedauere ich
das sogar.
Ihr Gesetzentwurf leidet unter einem weiteren Widerspruch: Wenn Sie bei 40 000 DM kappen, dann tun Sie
praktisch nur etwas für bereits bestehende Stiftungen.
Hans-Joachim Otto ({3})
({4})
Vor diesem Hintergrund ist Ihre Weigerung geradezu
grotesk, Zustiftungen seitens anderer Stiftungen, so genannte Endowments, steuerlich anzuerkennen. Diese
Unterlassung hat schon die Qualität eines kapitalen Eigentores.
Jetzt erlaube ich Herrn Stiegler eine Frage, sofern der
Herr Präsident es zulässt.
Ich frage Sie und Sie
haben es bereits erlaubt. - Bitte, Herr Kollege Stiegler.
Herr Kollege, wir sollten
vermeiden, dass von vornherein verkehrte Auslegungen
vorgenommen werden. Wenn Sie die Güte haben, sich
Art. 3 Nr. 2 anzuschauen, dann erkennen Sie, dass dort
steht, dass „darüber hinaus bis zur Höhe von 40 000
Deutsche Mark“ gezahlt werden kann. Ich wiederhole:
„darüber hinaus“. Wenn Worte noch einen Sinn haben,
dann heißt das nicht: inklusive. Lasst uns wenigstens
hier verhindern, dass falsche Töne in die Kommentarliteratur hineinkommen.
({0})
Sind wir gemeinsam der Auffassung, dass diese
40 000 DM zusätzlich, additiv, und nicht kumulativ gezahlt werden?
Lieber
Herr Stiegler, unserer Meinung nach sollte es in der Tat
so sein, dass man das kumulativ in Anspruch nehmen
kann. Wenn Sie aber bitte die amtliche Begründung Ihres eigenen Entwurfes zur Hand nehmen, dann erkennen
Sie, dass in der Begründung nach der Darstellung der
beiden steuerlichen Möglichkeiten der Satz folgt:
Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode
abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 Deutsche
Mark begrenzt.
Ich muss Ihnen zumindest den Vorhalt machen, dass
diese in der Begründung enthaltene Regelung jeden, der
später mit dem Gesetz umzugehen hat, in tiefe Verwirrung stürzt. Deswegen wäre es gut gewesen - wir haben
im Ausschuss lange darüber diskutiert -, wenn Sie diesen Widerspruch aufgehoben hätten.
Um zum Ende meiner Antwort etwas Versöhnliches
zu sagen: Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass diese beiden Vergünstigungen tatsächlich kumulativ erfolgen
sollten. Nur, ich sehe es im Gesetzentwurf so nicht verwirklicht.
({0})
Der größte Fehler Ihres Entwurfes ist es - dazu hat
schon der Kollege Dr. Lammert Richtiges gesagt -, die
eigentliche Reform des Stiftungsrechts, also den kompletten zivilrechtlichen Teil, zu vertagen. Um Ihren Reformeifer zu beflügeln - wir unterstützen ja die Regierung -, fordern wir in einem Entschließungsantrag die
Regierung auf, das Versäumte noch im Laufe dieses Jahres nachzuholen. Hierzu wird mein Kollege Funke später noch Wegweisendes sagen.
Ihr Gesetzentwurf ist in drei Punkten identisch mit
dem unseren. Die Änderungen halten wir natürlich nach
wie vor für sinnvoll. Das gilt insbesondere auch für die
von uns vorgeschlagene Öffnung bei der Erbschaftsteuer. Der zentrale Unterschied zwischen Ihrem und unserem Gesetzentwurf liegt darin, dass in unserem nachhaltige Anreize auch zur Gründung neuer Stiftungen geschaffen werden, während Ihrer in dieser Richtung
nichts bewegen wird. Er weckt Erwartungen, die er nicht
erfüllen kann; insofern birgt Ihr Reförmchen die Gefahr,
den objektiv weiterhin bestehenden Reformbedarf zu
verschleiern.
({1})
- Herr Müller, wenn der Herr Präsident das erlaubt,
dann würde ich Ihre Zwischenfrage gerne entgegennehmen. Einem künftigen Minister soll man das Wort nicht
verwehren.
Bitte schön, Herr
Müller.
Herr Kollege, weil Sie jetzt schon wieder
auf die vermeintlich zu geringen Spielräume eingehen,
möchte ich Sie fragen: Sind Sie denn bereit anzuerkennen, dass wir im gesamten Bereich des Erbschaftsteuerrechts die Stiftungszwecke sehr erweitert haben? Für die
Stiftungszwecke gibt es beträchtliche finanzielle Spielräume, die man dann in eine Stiftung einbringen kann.
Das ist doch ein erheblicher Schritt.
({0})
Sehen Sie,
Herr Kollege, jetzt kann ich Sie wirklich in Freude und
Harmonie nach Schleswig-Holstein verabschieden. Das
ist genau der Punkt, den auch die F.D.P. in ihrem Gesetzentwurf gefordert hat. Darin sind wir mit Ihnen völlig einer Meinung. Der wichtigste Teil Ihrer Reform ist,
dass im Erbschaftsteuerrecht eine Öffnung geschaffen
wurde.
Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach SchleswigHolstein und uns weiterhin gute Zusammenarbeit bei
diesem Gesetzentwurf.
({0})
Beispiele aus anderen Ländern beweisen uns: Wer
nur halbherzige Trippelschritte macht, der kann keine
großherzige Stiftungskultur erreichen. Was wir jetzt
brauchen, ist ein mutiger Befreiungsschlag zugunsten
der Wiederbelebung des Mäzenatentums. Verehrte
Hans-Joachim Otto ({1})
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kündige Ihnen an, dass wir Liberalen weiterhin Druck in
Richtung auf eine konsequente und umfassende Reform
des Stiftungsrechts machen werden.
Zur Stärkung des Bürgersinnes gibt es keine Alternative. Es liegt an Ihnen, ob Sie unsere Angebote zum gemeinsamen Engagement in dieser Sache aufgreifen oder
nicht. Ich hoffe, wir werden noch in diesem Jahr Gelegenheit haben, den zweiten Teil Ihrer Reform zu verabschieden. Ich sichere Ihnen zu: Die F.D.P. wird in diesem Bereich sehr aktiv bleiben. Wir werden Sie erforderlichenfalls auch treiben. Ich verspreche es Ihnen.
Nehmen Sie es ernst!
Danke schön.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich Fink, PDS-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Während der Debatte zur Reform des Stiftungswesens,
die in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf
der F.D.P. eingeleitet wurde, hat sich in der betroffenen
und deshalb sehr interessierten Öffentlichkeit in intensiven Diskussionen die Auffassung herausgebildet, dass
zur Schaffung einer relevanten, in der Bevölkerung akzeptierten Stiftungskultur vor allem neue zivilrechtliche
Rahmenbedingungen erstellt werden müssten. Zu dieser Meinungsbildung haben sachkundige Experten aus
sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen beigetragen.
Als Beispiel möchte ich die äußerst kompetente Runde
beim Maecenata-Institut nennen.
({0})
Mit Besorgnis und Enttäuschung muss ich feststellen,
dass Ergebnisse dieses beachtlichen Prozesses demokratischer Meinungsbildung außerhalb des Parlamentes
nicht in das heute zu beschließende Gesetz eingeflossen
sind.
({1})
Dieses deprimierende Ergebnis war bereits vorauszusehen, als der Gesetzentwurf in die Öffentlichkeit gelangte.
Als einer, der erst seit zehn Jahren an bürgerlichdemokratischen Prozessen der Meinungs- und Willensbildung beteiligt ist, möchte ich mein Befremden über
die Nichtberücksichtigung dieser außerparlamentarischen Forderungen zum Ausdruck bringen, zumal vor
wenigen Tagen in diesem Hohen Hause voller Anerkennung hervorgehoben wurde, wie bürgermeinungsbezogen die Arbeitsweise der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR gewesen sei.
Angesichts des zur Verabschiedung vorliegenden Gesetzentwurfes geht es uns nicht um filigrane Vorschläge
zur Textveränderung. Trotzdem möchte ich in drei
Punkten die grundsätzliche Position meiner Fraktion
verdeutlichen:
Erstens. Die PDS hat seit Beginn der Debatte über die
Reform des Stiftungswesens eingeräumt, dass dieses Politikfeld für sie weitgehend Neuland darstellt. Deshalb
haben wir uns - im Unterschied zu vielen anderen Politikfeldern - Zurückhaltung hinsichtlich eigener Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung der Stiftungslandschaft auferlegt. In der öffentlichen Debatte haben wir
die Vorschläge unterstützt, die wir im Einklang mit unseren grundsätzlichen Positionen sehen. Von diesen
Grundpositionen aus werden wir uns zukünftig zunehmend intensiver an dieser Debatte beteiligen. Der
vorliegende Entschließungsantrag der PDS ist dafür ein
Beweis.
Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens einen
Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten und sich
damit als ein Bestandteil des Prozesses erweisen, mit
dem - entgegen der bisherigen Richtung - eine Umverteilung des von der Gesellschaft geschaffenen Reichtums von oben nach unten erfolgt.
Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens dazu
führen, dass über Stiftungen ausschließlich zusätzliche
private Mittel und privates Engagement für gemeinwohlorientierte Zwecke mobilisiert werden - und nicht
etwa umgekehrt, nämlich dass mit diesem erhofften privaten Engagement plötzlich die Felder abgedeckt werden, die der sich aus der Verantwortung ziehende Staat
zurücklässt.
({2})
Stiftungsengagement würde erst recht missbraucht,
wenn damit dem Staat der Weg für diesen Rückzug auch
noch gebahnt würde.
Eine Reform des Stiftungswesens muss für uns darum
schließlich eingebettet sein in eine breite und differenzierte öffentliche Debatte zur Herausbildung der zwar
oft beschworenen, aber immer noch sehr verschwommen erscheinenden Bürgergesellschaft. Denn eine solche Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger darf sich
nicht darauf beschränken, den Aktionsradius etablierter
Eliten und Mittelschichten zwischen Markt und Staat zu
vergrößern.
Wir verstehen unter Bürgergesellschaft auch solche
Veränderungen von Staat und Markt, durch die denjenigen ein größerer Spielraum bei der Gestaltung des Lebens ermöglicht wird, die, durch Massenarbeitslosigkeit,
wachsende soziale Ungleichheit und Armut betroffen,
nicht mehr gleichberechtigte Partner der Bürgergesellschaft sein können.
({3})
Hans-Joachim Otto ({4})
Zweitens. Für die PDS waren und sind darum die von
vielen Seiten geforderten neuen zivilrechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung einer durchgreifenden
Reform, die zur Entwicklung einer neuen, transparenten
Stiftungskultur führt.
Die wichtigsten Gründe dafür habe ich bei der ersten
Lesung vorgetragen: Durch neue zivilrechtliche Rahmenbedingungen müsste sichergestellt werden, dass
Stiftungen ausnahmslos an gemeinnützige Zwecke gebunden sind, dass eine breite Schicht von am Gemeinwohl orientierten Interessierten zu Spenden motiviert
werden und dass die Öffentlichkeit in die Lage versetzt
wird, sich einen klaren Einblick darüber zu verschaffen,
wie und mit welchen Ergebnissen mit Stiftungsmitteln
umgegangen wird, die als Steuerertrag den öffentlichen
Haushalten nun nicht mehr zur Verfügung stehen.
Mit diesem Gesetz wird keines dieser Erfordernisse
gewährleistet. Deshalb wäre es notwendig gewesen, dass
sich die Einbringer des Gesetzentwurfs zumindest in
dem einführenden Text wesentlich verbindlicher zu ihrer
Absicht bekannt hätten, ein Bundesstiftungsgesetz mit
zivilrechtlicher Reform unverzüglich auf den Weg zu
bringen.
({5})
Unser Entschließungsantrag enthält deshalb die Aufforderung an die Bundesregierung, ein solches Gesetz
bis zum Ende dieses Jahres vorzulegen.
({6})
Materialien dafür sind hinreichend vorhanden. Dazu
zähle ich auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der
in dieser Hinsicht sehr umfassend ist.
Drittens. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Seite
kommen für uns die weitreichenden steuerlichen Begünstigungen, wie sie von den anderen Oppositionsparteien verlangt werden, nicht in Betracht, erst recht
nicht ohne ein entsprechendes neues transparentes Stiftungsrecht.
Demgegenüber anerkennen die meisten meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen die vorgesehenen steuerlichen Begünstigungen im Gesetzentwurf der Koalition
mit ihrer Orientierung auf Bürger- und Gemeinschaftsstiftungen als angemessen, wobei - ich wiederhole diese Regelung ohne neue zivilrechtliche Rahmenbedingungen kaum die Wirksamkeit erlangen kann, die von
ihr erhofft wird.
Darüber hinaus empfindet meine Fraktion es als eine
außerordentliche Zumutung, wenn sich die Koalitionsparteien für Stiftungen ausgerechnet mit dem Argument
einsetzen, dass dadurch private Mittel zusätzlich für gesellschaftliche Belange aktiviert werden. Aber gleichzeitig rücken sie ab von der Wiedereinführung der dringend
nötigen Versteuerung von sehr großen Vermögen und
einer entsprechenden Reform der Erbschaftsteuer.
({7})
Es steht wohl außer Zweifel, dass durch verhältnismäßig
gerechtfertigte Steuern unverhältnismäßig großer privater Reichtum im Interesse des Gemeinwohls verfügbar
gemacht werden könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich weiß, dass
besonders Menschen, die sich im kulturellen Bereich
engagieren, mit dem vorliegenden Gesetz - trotz seiner
Unzulänglichkeit - bestimmte Hoffnungen verbinden,
werde ich dem Gesetz zustimmen. Ich kann es einigen
meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen jedoch nicht
verdenken, wenn sie aus ihren Arbeits- und Erfahrungsbereichen heraus das anders sehen.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Otto sprach
vorhin von „nicht kleckern, sondern klotzen“. Herr
Lammert mahnte den Reformbedarf an. Alle schrien
nach Reformen. Aber 16 Jahre lang geschah wenig bis
ganz wenig. Nach einem Jahr haben wir schon viel erreicht. In den nächsten Jahren können Sie noch mehr
erwarten.
({0})
Sie von der Opposition stellen Anträge über Anträge.
Heute soll das Stiftungsrecht erweitert werden. 35 Prozent Spitzensteuersatz wird gefordert. Sie gehen genau
nach dem alten System vor: Sie geben aus; die Bundesbank bezahlt. Da machen wir nicht mit.
({1})
Herr Otto, eines muss ich Ihnen sagen: Lesen Sie
doch bitte Art. 3 des Gesetzentwurfs nach. Dort steht unter Abs. 2:
Zuwendungen ... sind darüber hinaus bis zur Höhe
von 40 000 Deutsche Mark abziehbar.
Ein Blick ins Gesetz schafft also Klarheit. Insofern wäre
es von Vorteil gewesen, wenn Sie es getan hätten.
({2})
- Es ist wichtig, dass man das wiederholt, weil das, was
Sie vorhin gesagt haben, Herr Kollege Otto, falsch war.
Alle Sozialverbände, alle Sportvereine, alle kirchlichen Organisationen sind dafür. Sie unterstützen unseren Gesetzentwurf. Nur die Opposition findet noch
einige Haare in der Suppe und kritisiert an vielen Stellen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie neidisch
sind.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie sind nicht davon ausgegangen, dass wir ein solches Stiftungsrecht schaffen.
({4})
Sie sind nicht davon ausgegangen, dass wir die Steuerreform einbringen. Sie sind nicht davon ausgegangen, dass
wir auch beim Unternehmensteuergesetz so weit vorangekommen sind. Die Koalition diskutiert nicht nur, sie
löst Probleme und entscheidet auch.
({5})
Meine Damen, meine Herren, Neid ist aber die höchste Form der Anerkennung. Das muss man sehen. Herzlichen Dank dafür!
({6})
Neidisch können Sie natürlich sein, wenn man einmal
betrachtet, was wir im Stiftungsrecht umgesetzt haben.
Die Sportvereine begrüßen das, die Sportvereine können
neue Stiftungen gründen. Es ist im Sozialbereich möglich. Auch bei kirchlichen Organisationen ist es denkbar.
Das sind wesentliche Vorteile. Die Stifter wollen Einzelschicksale unterstützen und Einzelschicksale fördern.
Alt und Jung wollen an dieser Stelle helfen. Unser Stiftungsrecht fördert diese Hilfsbereitschaft durch erweiterte Steuerabschreibung. Gerade die Grundzellen des
Lebens - das ist vorhin auch vom Herrn Minister angesprochen worden - in den Kirchengemeinden, die
Grundzellen in den Selbsthilfegruppen, die Grundzellen
in den Sozialverbänden müssen unterstützt und gefördert
werden. Das ist durch unser Steuerrecht möglich.
Wenn man sich einmal die Unterschiede der verschiedenen Gesetzesvorschläge der CDU/CSU und der
F.D.P. ansieht, dann muss man feststellen, dass es viele
Gemeinsamkeiten gibt. Die Ziele sind fast identisch, fast
hundertprozentig gleich. Der Thesaurierungssatz und die
Ansparsumme sind auch identisch. Auch wir sind der
Meinung, dass das Gesetz zu einer Vereinfachung führen soll. Das wollen wir umsetzen, obwohl das alles
problematisch ist, das wissen wir. Interessant ist auch
eine Zeitungsmeldung vor kurzem, in der stand, dass die
Amerikaner schon darauf warten, dass unser neues Stiftungsrecht umgesetzt wird. Hier sollen Stiftungen für
amerikanische Hochschulen gegründet werden. Vielleicht haben Sie das auch in der Zeitung gelesen.
Wenn man sich einmal fragt, welche wichtigen Unterschiede es eigentlich gibt, so stellen wir fest, dass es
im Prinzip nur einen entscheidenden Unterschied gibt.
Das betrifft die Zuwendung von 40 000 DM, Herr Otto,
additiv 5 und 10 Prozent. Das ist ein entscheidender
Punkt.
({7})
Sie fordern nur 20 Prozent. Das ist ein Unterschied zu
unserem Vorschlag. Die CDU/CSU hat noch eine Sonderausgabe von 1 Million DM vorgesehen.
Sie von der Opposition sehen hauptsächlich die größeren Stiftungen. Wir brauchen aber große und kleine
Stiftungen.
({8})
Wenn man einmal die Ausarbeitungen der Institute
betrachtet, stellt man fest, dass man gerade bei den kleinen Gruppierungen Förderungen benötigt. Da ist das
Ehrenamt zu Hause, da wird ehrenamtlich gearbeitet,
({9})
während das bei den großen Organisationen weniger der
Fall ist. Wir haben damit in den Parteien zu kämpfen.
Wir haben damit in den Kirchen und in den Gewerkschaften zu kämpfen. Aber gerade in den kleinen Gruppen wird ehrenamtlich gearbeitet, zum Beispiel in Hospizgruppen. Dort werden Menschen bis zum Tode begleitet. Man kann vor solchen ehrenamtlichen Tätigkeiten nur den Hut ziehen.
({10})
Genau das wollen wir unterstützen. Da treffen wir
exakt den Nerv der Menschen, das, was die Menschen
wünschen. Das ist auch das Bedürfnis der Menschen.
Ich bin durch meinen Wahlkreis gefahren und habe mit
den Vertretern der Kirchen und mit den Selbsthilfegruppen gesprochen. Die Kirchenvertreter sagten mir, das ist
ideal, weil wir eine Sammelstiftung gründen können.
Die Sammelstiftung war so noch nicht möglich. Das
können wir hier schaffen.
({11})
Die Selbsthilfegruppen sagen mir, es ist ideal, da wir
auch eine kleine Stiftung gründen auf bauen können.
({12})
40 000 DM und danach kommt das Erbe: Das ist Ziel
unserer Überlegung.
Die Million, das Erbe kommen dazu. Das ist dann natürlich der zweite Schritt. Die Menschen wollen stiften,
wollen helfen. Die Menschen wollen aber auch ihr Andenken bewahren. Das ist ebenfalls Ziel der Stiftung und
auch das wollen wir unterstützen. An dieser Stelle bestimmt der Bürger und nicht der Staat. Aber der Staat
profitiert trotzdem, weil dann eben viele soziale Aufgaben, ökologische Aufgaben ehrenamtlich geleistet werden.
Wenn man einmal die Vorteile unseres Gesetzentwurfs betrachtet, stellt man sich die Frage: Warum
stimmt die Opposition, warum stimmen die CDU/CSU
und die F.D.P. nicht zu? Ich möchte Ihnen von der Opposition einen Rat geben: Nicht Neid bringt Erfolge.
Kreativität und Innovation bringen Erfolge.
({13})
Sie haben heute eine Chance. In den Geschichtsbüchern
wird dann stehen: Auch die Opposition unterstützte die
erfolgreiche Regierungsarbeit. Das Stiftungsrecht wurde
verabschiedet.
({14})
Unsere Gesellschaft wird durch Gemeinsinn und
durch das Ehrenamt getragen. Das wollen wir fördern.
Wir haben dafür vier entscheidende Gründe, die in unserem Gesetzentwurf stecken.
Erstens. Die Sammelstiftung ist möglich. Diese Möglichkeiten werden in der kommenden Zeit erweitert.
Zweitens. Die Einzelstiftung mit 40 000 DM plus
5 Prozent beziehungsweise 10 Prozent des Gesamtbeitrages der Einlage wird steuerlich abgeschrieben. Das ist
natürlich eine Förderung.
Drittens. Die Ansparsumme wird wesentlich erhöht darin waren Sie ja mit uns einer Meinung -, von
25 Prozent auf 33 1/3 Prozent.
Viertens. Die Erbschaftsteuer fällt weg.
Zusammenfassend können wir feststellen: Wir haben
das bessere Gesetz. Blamieren Sie sich doch nicht! Sie
müssen zustimmen!
({15})
Das Wort hat nun
der Kollege Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir können zunächst
einmal feststellen - das haben die erste Lesung und auch
der bisherige Verlauf dieser Debatte gezeigt -: Es gibt in
diesem Hause Übereinstimmung darüber, dass wir etwas
tun müssen, damit Stiftungen in Deutschland einen höheren Stellenwert bekommen. Im Vergleich zu anderen
Ländern, etwa den Vereinigten Staaten und Großbritannien, haben wir in dieser Frage eine unterentwickelte Situation. Selbst bezogen auf unsere eigene Situation können wir feststellen, dass es um die Jahrhundertwende in
Deutschland viel mehr Stiftungen als heute gab. Einer
der Gründe dafür ist sicherlich der, dass die rechtlichen
Rahmenbedingungen unbefriedigend sind.
Im Grunde wollen wir alle ein stiftungsfreundlicheres
Klima schaffen.
({0})
Potenzielle Stifter - lassen Sie mich das sehr deutlich
sagen - dürfen nicht, wie es immer noch vorkommt, als
Bittsteller betrachtet werden. Stifter verdienen unseren
Respekt und unsere Anerkennung.
({1})
Die entscheidenden Unterschiede - auch das hat die Debatte bisher gezeigt - liegen einfach darin, dass wir der
Auffassung sind, man sollte jetzt einen großen Wurf
wagen und den steuerrechtlichen und den zivilrechtlichen Bereich in einem Gesetz regeln,
({2})
während Sie sagen - so lautet auch das Gesetz, das wir
heute verabschieden -, es geht zunächst nur um den
steuerlichen Bereich.
({3})
Ich sage bewusst „nur“ und ich widerspreche auch Herrn
Dr. Naumann, wenn er sagt: „Der schwierigste Teil liegt
hinter uns.“ Nein, meine Damen und Herren, der
schwierigste Teil liegt vor uns; der liegt im zivilrechtlichen Teil. Das werden die Diskussionen noch zeigen.
Ich habe einen Zwischenton sehr genau gehört, Herr
Dr. Naumann.
Wir sind bisher davon ausgegangen, dass wir noch in
dieser Legislaturperiode den zivilrechtlichen Bereich hoffentlich gemeinsam - verabschieden können. Aber
wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie
gesagt, wir werden ihn sicher in dieser Legislaturperiode
diskutieren; ob es allerdings zu einer Verabschiedung
kommt, ist offen.
({4})
Lassen Sie uns zunächst noch einmal festhalten: Was
ist eigentlich der Inhalt des Gesetzentwurfs, den wir
heute verabschieden?
Es geht schlicht um drei Punkte: erstens die verbesserte
Rücklagenbildung - dem stimmen wir zu, das ist in
Ordnung -, zweitens die Erweiterung des so genannten
Buchwertprivilegs, dass man Gegenstände aus dem Betriebsvermögen ohne Auflösung stiller Reserven in eine
Stiftung übertragen kann - ein wichtiger Punkt -, und
drittens als zentralen Punkt die viel zitierten 40 000 DM,
die jetzt zusätzlich kommen sollen.
Ich glaube, im Zusammenhang mit diesen 40 000 DM
und der Art, wie Sie sie jetzt im Gesetz verankern werden, sollten wir einmal ein Schreiben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, des wichtigsten Verbandes in diesem Bereich, vom 11. dieses Monats zur
Kenntnis nehmen, in dem es heißt: Dieser Vorschlag
führt zu einer weiteren Komplizierung des geltenden
Spendenrechts, gerät in Konflikt mit dem Gleichheitssatz und bringt vor allem keine Verbesserung für größere Stifter. - Auch das ist hier wiederholt gesagt worden.
({5})
Aber es kommt ein weiterer Kritikpunkt des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. Viele Briefe, die wir
bekommen haben, unterstreichen, dass es hier ein Problem gibt, und zwar das Problem des Gleichheitsgrundsatzes. Der Verband schreibt:
Warum sollen die vielen kirchlichen Stiftungen des
öffentlichen Rechts, Stiftungs-Vereine und gemeinnützige Stiftungs-GmbHs ... von den neuen
Begünstigungen ausgeschlossen werden?
Hiermit werden wir noch unsere Probleme bekommen.
({6})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,
der aus meiner Sicht sehr enttäuschend ist, gerade nach
der Diskussion, die wir in der ersten Lesung hatten. Stellen wir uns einmal die Frage: Welchen Unterschied gibt
es eigentlich zwischen dem, was wir in der ersten Lesung beraten haben, und dem, was heute verabschiedet
werden soll? Sie werden es nicht glauben: lediglich
ein Punkt, und zwar, dass ab 1. Januar 2002 nicht
40 000 DM, sondern 20 450 Euro als Sonderausgabe
geltend gemacht werden können.
({7})
Das ist die einzige Änderung - sie läuft natürlich unter
„Formulierungshilfe“ -, die wir heute zu berücksichtigen haben. Das heißt, alle Argumente der ersten Lesung,
die gesamte parlamentarische Diskussion in vielen Ausschüssen, alle Schreiben und Eingaben der Stiftungsverbände sind unberücksichtigt geblieben. Dies ist ein trauriges Ergebnis, um das ganz klar zu sagen.
({8})
Wir haben unsere Wünsche daher in vier Änderungsanträgen zusammengefasst. Dabei geht es im
Wesentlichen um drei Komplexe. Erstens geht es um die
Aufhebung des so genannten Zustiftungsverbots. Wir
sind der Meinung - ich habe es in der ersten Lesung gesagt -, Stiftungen sollen die Möglichkeit haben, andere
Stiftungen zu unterstützen. Das ist weiterhin nicht möglich. Der zweite Punkt - natürlich der entscheidende in
der Substanz -: Wir sind für eine Verdoppelung von
5 auf 10 bzw. 10 auf 20 Prozent bezogen auf das steuerpflichtige Einkommen. Der dritte Punkt: Verbesserung
der steuerlichen Möglichkeiten für Großspender. Auch
dazu ist viel gesagt worden; dies ist dringend erforderlich.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Dieser Gesetzentwurf, der wahrscheinlich gleich Gesetz wird, ist
mit Sicherheit nicht der große Durchbruch. Sie waren allerdings im Verkaufen schon immer besser als wir.
({9})
Sie haben diese wenigen Punkte in der Öffentlichkeit
deutlich besser verkauft, als wir all das verkaufen konnten, was wir in den letzten 16 Jahren gemacht haben.
({10})
Der Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen.
Ich sage deshalb sehr deutlich: Wir sehen uns nicht in
der Lage, Ihrem Gesetz unsere Zustimmung zu geben.
Wir werden uns der Stimme enthalten.
Danke schön.
({11})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe genau fünf Minuten Zeit, um mehr als fünf Jahre
Arbeit an diesem großen Thema zusammenzufassen.
Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Als wir Grünen
damals anfingen, das Thema Stiftung zu behandeln, gab
es ein unglaubliches gesellschaftliches Geraune, bei den
Konservativen eine regelrechte Empörung: Was machen
gerade die Grünen mit diesem Thema? Es gab eine Art
Erbbaurecht auf das Thema Stiftung. Auch im rotgrünen Bereich haben viele gesagt: Was ist das denn für
ein Thema? Ein bisschen abgehoben vielleicht. - Ich
meine, die fünfjährige Debatte hat sich außerordentlich
bewährt.
({0})
Erstes und wichtigstes Thema: Das Bewusstsein für
die Kraft der Bürgergesellschaft ist ungeheuer gewachsen. Ich möchte einmal den Artikel des Bundeskanzlers von heute positiv aufgreifen und sagen: Ich
glaube, wir brauchen den Begriff der „neuen Mitte“ gar
nicht mehr. Rot-Grün hat längst den Aufbau der Zivilund Bürgergesellschaft zum zentralen Thema gemacht.
({1})
Das bedeutet auch eine Abkehr von der alten Methode, bei der politische Linke und politische Rechte nach
dem Modell der römischen Phalanx immer aufeinander
prallten. Ich glaube, wir haben vielmehr begriffen, dass
man an die positive Kraft in der Gesellschaft, an ihre
Kreativität glauben und an sie appellieren muss und dass
man so den Reformstau, den es in diesem Land gegeben
hat, von unten auflösen kann.
({2})
Der zweite - auch nicht ganz unwichtige - Punkt ist
folgender: Wir haben die Atmosphäre, die es gegenüber
Stiftern und Mäzenen gegeben hat, gründlich verändert.
({3})
Es gab so etwas wie Sozialneid; das ist schon gesagt
worden. Es gab in manchen Debatten auch ein
regelrechtes Mobbing gegenüber solchen Leuten. Sie
haben jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen
jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen ganz
viele werden, die diesen Platz jetzt ausfüllen.
({4})
Drittens. Ich meine, wir haben mit diesem Gesetzentwurf so etwas wie ein Stückchen Resozialisierung der
Begriffe „stiften“ und „spenden“ betrieben.
({5})
Wir befreien sie vom machtpolitischen Missbrauch und
zeigen das Gegenteil davon, nämlich dass Stiften und
Spenden der Gemeinnützigkeit und der Gesellschaft gelten. Dann wird es auch honoriert werden.
({6})
Unser Versprechen ist: Das war nur der erste Schritt:
Der zivilrechtliche Teil soll und wird folgen. Ich will
dazu fünf Grundgedanken sagen. Wir Grünen haben
schon in unserem Entwurf von 1997, den ich immer
noch recht gut finde,
({7})
gesagt, in welchem Sinne wir das zivilrechtlich machen
wollen.
Erstens. Das neue Zivilrecht für Stiftungen muss einfach sein. Der Stifter soll sich Gedanken über den
Zweck seiner Stiftung machen und nicht darüber, wie er
es an den komplizierten Bürokratien vorbeischieben
muss. Der erste Gedanke ist also: einfach.
({8})
Zweiter Gedanke: Das Zivilrecht muss transparent
sein. Wenn die Gesellschaft schon besondere Privilegien
schafft, dann muss auch gewährleistet sein, dass die Gesellschaft in die Bilanzen der Stiftungen hineinschauen
kann.
({9})
Dritter Gedanke: Das Zivilrecht soll zweckoffen sein
und vom Gedanken der Freiheit getragen werden. Das
heißt, der Staat soll und darf den Bürgern nicht vorschreiben, wofür sie Stiftungen machen. Natürlich
kommen nur die Stiftungen in den Genuss der Gemeinnützigkeit, die auch wirklich gemeinnützig sind.
Wir gehen davon aus, dass freie Bürger sinnvolle Projekte wählen, zumal wenn sie ihren Namen damit verbinden.
Vierter Gedanke - das ist sehr wichtig -: Das Zivilrecht muss sicherstellen, dass das Stiftungsrecht missbrauchsfest ist. Das wird der komplizierteste und
schwierigste Teil sein. Das wird aber auch der Teil sein,
an dem gemessen wird, ob die gesellschaftliche Akzeptanz hält. Wir wissen, dass wir dafür sehr gründliche
Debatten brauchen. Wir fordern alle - auch diejenigen
aus den Stiftungen - auf, uns in diesen Debatten zu unterstützen.
({10})
Fünfter und letzter Gedanke: Der Staat soll sich in
seinem Verhältnis zu den Stiftern ändern. Wir wollen
nicht mehr eine staatliche Aufsicht, aber doch eine Beratung und eine Ermöglichungskultur. Das heißt, wir geben es nicht völlig frei. Es wird weiterhin eine staatliche
Zuständigkeit geben, damit Stifter wissen, dass das, was
sie hinsichtlich der Gemeinnützigkeit gewollt haben,
auch nach ihrem Tode geschieht. Damit geben wir dem
Staat auch die Möglichkeit, an diesen Bürgerfreiheiten
positiv und unterstützend teilzunehmen.
In diesem Sinne hoffe ich, dass mit diesem ersten
Schritt nun wirklich der Stiftungsfrühling eintritt, den
wir alle wünschen.
({11})
Das Wort hat nun
der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr erfreulich, dass ein breiter
Konsens darüber besteht, dass die Gründung von Stiftungen und die Übertragung von größeren und auch
kleineren Vermögen auf Stiftungen eine große gesellschaftspolitische Aufgabe ist. Das gilt umso mehr, als
damit zu rechnen ist, dass in den nächsten Jahren pro
Jahr 250 Milliarden DM auf die Erbengeneration übergehen werden. Deswegen ist es wichtig, dass der Gedanke des Stiftertums gefördert und die Errichtung von
Stiftungen erleichtert wird.
Die Koalitionsfraktionen haben sich nur auf den
steuerrechtlichen Teil verständigen können. Die
F.D.P.-Fraktion hat ein ganzheitliches Gesetz vorgelegt,
das sowohl das Steuerrecht als auch das materielle
Recht, also das Zivilrecht, berücksichtigt. Ich bedaure,
dass die zuständige Ministerin für das materielle Recht für das Zivilrecht - heute durch Abwesenheit glänzt.
Das ist, wie ich meine, eine Missachtung des Parlaments.
({0})
- An den Beratungen hat sie die ganze Zeit nicht teilgenommen. Sie ist gerade erst hereingekommen. Das wissen auch Sie ganz genau. Auf der Regierungsbank jedenfalls hat das Justizministerium durch Abwesenheit
geglänzt.
In der Tat ist das Stiftungsrecht reformbedürftig, weil
es den modernen Anforderungen - das haben Sie,
Herr Kollege, auch schon gesagt - nicht mehr entspricht.
Das obrigkeitsstaatliche Konzessionssystem ist überholt und sollte durch ein System von Normativbedingungen ersetzt werden. Der Stifter soll selber ein
Recht auf Stiftung haben und nicht vom staatlichen
Konzessionssystem abhängig sein. Das schließt nicht
aus, dass die Landesverwaltungen eine staatliche Aufsicht wahrnehmen. Aber das darf nicht zur Gängelei führen; Frau Vollmer hat darauf schon hingewiesen. Es
macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel kleinere Stiftungen bei uns in Hamburg von der Senatskanzlei
und zusätzlich noch von den Fachbehörden beaufsichtigt
werden. Dieser Wust an Bürokratie muss beseitigt werden.
({1})
Die F.D.P.-Fraktion räumt in ihrem Entwurf dem Stifter
eine möglichst große Autonomie für die Durchsetzung
seines Stifterwillens ein, denn der Stifter stellt sein Geld
und sein Vermögen zur Verfügung.
Während der Diskussion in den letzten fünf Jahren Frau Vollmer hat das erwähnt - wurden vielfältige
Überlegungen zum materiellen Stiftungsrecht angestellt. Es wäre daher besser gewesen, wenn die Bundesregierung wie die F.D.P. eine umfassende Regelung des
Bundesstiftungsrechts vorgelegt hätte. Wir haben noch
viele Fragen zu klären. Einige sind von Ihnen erwähnt
worden. Ich will nur einige Stichworte nennen: Wie behandle ich Familienstiftungen? Wie soll die Vermögensausstattung der Stiftungen generell aussehen? Bedarf es
einer Stiftungsgenehmigung? Ist ein Stiftungsregister zu
führen? Wie hat die Satzung der Stiftung auszusehen?
Wie werden die Stiftungsorgane in Zukunft bestellt?
Kann die Satzung auch noch nach dem Tode des Stifters
geändert werden? Was muss bundeseinheitlich geregelt
werden, damit es keinen Flickenteppich im deutschen
Stiftungsrecht gibt? Ich bin sicher, dass wir bei zukünftigen Beratungen über das materielle Stiftungsrecht auf
den Entwurf der F.D.P.-Fraktion zurückkommen werden, auch wenn Sie ihn heute ablehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bemühe mich immer um
einen dynamischen Auftritt. Sie haben doch heute Morgen Posaunenklang verlangt, Kollege Otto; also liefern
wir den hier noch ein bisschen. Wir haben gehört, dass
die grüne Seele jubiliert. Ich kann allen, die hier heute
gesprochen haben, nur zustimmen: Es ist heute nicht nur
ein schöner Frühlingstag, sondern auch ein schöner Tag
für das Stiftungswesen in Deutschland. Das wollen wir
einmal festhalten.
({0})
Wir können - das haben wir bereits nach der ersten Lesung im Dezember sagen können - auf dieses Ergebnis
rot-grüner Erfolgspolitik stolz sein. Wir sind auch stolz
darauf. Dieses sage ich gleich zu Beginn noch einmal in
aller Deutlichkeit.
({1})
Der Kollege Grasedieck hat völlig zu Recht auf die
steuerlichen Punkte hingewiesen: Sonderabzug für Stiftungen und die Möglichkeit - Kollege Stiegler hat es
ebenfalls erwähnt -, die 40 000 DM je nach Zweck differenziert noch einmal um 5 oder 10 Prozent aufzustocken.
Herr Kollege Bernhardt, ich darf jetzt ausdrücklich
den Stifterverband zitieren - es ist ja manchmal gut,
wenn man die Unterlagen dabeihat -: Dieser Vorschlag,
unser Vorschlag hilft in erster Linie den Stiftungen mit
vielen Stiftern, zum Beispiel Bürgerstiftungen, um es in
die Breite zu bringen.
({2})
Genau das, was uns hier bestätigt wird, war unser Ziel.
Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Herr Kollege Fink, Sie haben die Briefe von Maecenata nicht genau gelesen. Es war eine ausdrückliche Forderung von
Maecenata, im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht das
zu tun, was wir getan haben, nämlich die Regelung auf
alle gemeinnützigen Bereiche auszudehnen.
Mit dem Buchwertprivileg haben wir eine weitere
Forderung der Maecenata und der Stiftungsverbände realisiert. Ich kann nur sagen: Hier ist es künftig möglich,
aus betrieblichen Vermögen einer gemeinnützigen Stiftung zu spenden, ohne dies als verdeckte Gewinnentnahme - das war doch unter Ihrer Regierungszeit so versteuern zu müssen. Das ist der wichtige Reformschritt - auch von den Stiftungsverbänden gefordert.
({3})
Herr Kollege Lammert, in diesem Zusammenhang
stimme ich Ihnen zu: Die Umsatzsteuerproblematik,
die - wie uns das Finanzministerium sagt - eine europäische Problematik ist, müssen wir in den Griff kriegen.
Hier wollen wir nochmals eine Aufforderung zur Prüfung an die Bundesregierung richten.
Dann können die Stiftungen bis zu einem Drittel ihrer
Erträge zur Sicherung des Stiftungskapitals zurücklegen.
Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, Kollege Fink, eine Forderung von Maecenata.
Wir fördern im Bereich des Stiftungsgedankens alles,
was die AO vorsieht: Wissenschaft, Forschung, Bildung,
Erziehung, Kultur, Religion, Völkerverständigung; es
gibt die Förderung der Jugend- und der Altenhilfe, des
Wohlfahrtswesens und die allgemeine Förderung des
demokratischen Staatswesens. Letzteres ist nach den
Skandalen, die Sie in diesem Land abgeliefert haben,
besonders wichtig, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({4})
Jetzt geht es darum, diese neuen Chancen zu nutzen.
Ein Drittel der Erträge aus Stiftungen fließen schon heute in die Bereiche Bildung und Forschung. Das freut
mich als Bildungs- und Forschungspolitiker natürlich
ganz besonders, und als Kulturpolitiker füge ich hinzu:
Ein großer Teil der Erträge geht schon heute an kulturelle Einrichtungen. Auch das kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Das wollen wir noch ausweiten.
({5})
Wir haben in vielen gemeinnützigen Bereichen großen Handlungsbedarf. Allen, die da Sorgen haben, sage
ich: Dies kann und darf selbstverständlich nicht dazu
führen, dass der Staat gesellschaftliche Aufgaben fallen
lässt,
({6})
auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer falsch verstandenen Subsidiarität, dass er an falschen Stellen spart
und die Verantwortung für Vorsorgeaufgaben auch im
Bereich Kultur, Forschung, soziale Aufgaben der Zufälligkeit des Vorhandenseins privater Sponsoren überlässt.
Das kann nicht unser Ziel sein. Hier unterscheiden wir
uns wahrscheinlich ein Stück weit von dem neoliberalen
Teil der F.D.P., meine Damen und Herren.
({7})
Nein, Staat und Gesellschaft können und müssen die
Chance fördern, dass privat finanzierte gemeinnützige
Stiftungen Ergänzungsfunktionen zu Aufgaben der öffentlichen Hand auch im Gemeinnützigkeitsrahmen
wahrnehmen. Den von uns gewünschten Stiftungen
kommt diese Funktion ausdrücklich zu. In dem Rahmen,
den ich genannt habe, können jetzt wünschenswerte Projekte für das Gemeinwohl auf den Weg gebracht werden. Es ist festzustellen, dass der Bedarf in weiten gemeinnützigen sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen
und ökologischen Bereichen stärker wächst als die Möglichkeit des Staates, in all diesen Bereichen das Wünschenswerte und Notwendige tatsächlich auch zu finanzieren. Hier erhoffen wir uns von der Verbreiterung des
Stiftungsgedankens eine Verbreiterung der Chance, neue
Projekte finanzieren zu können.
Kollege Lammert, Sie haben ja heute Morgen ein
bisschen über Ihre Erfolge reden wollen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man wenig vorzuweisen
hat.
({8})
Sie haben 16 Jahre lang überwiegend eben doch nur vertröstet. Sie haben die potenziellen Stiftungen und die
Stiftungsverbände bitter enttäuscht. Das, was Sie hier
vorgetragen haben, waren für mich nicht die Reformschritte. Es waren nicht Nägel mit Köpfen. Nein, die
sind jetzt eingeschlagen worden.
Neid ist angesprochen worden. Herr Kollege
Grasedieck, ich halte es nicht für eine gute Tugend,
wenn die Opposition neidisch ist. Aber Sie könnten jetzt
wenigstens mit uns fröhlich sein und sagen: Ihr habt etwas geschafft; wir loben diese Bundesregierung. - Das
könnte euch ja ausnahmsweise ganz gut anstehen, meine
Damen und Herren.
({9})
- Das ist nicht ein Eigenlob, das stinkt. Wenn man Erfolge hat, soll man darüber auch reden. Gutes tun und
darüber reden, das gilt in der Politik genauso wie an anderen Stellen.
Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Aber bitte schön, lieber Kollege
Lammert.
Herr Kollege
Tauss, darf ich in Ihrer überbordenden Begeisterung für
eine möglichst kraftvolle, in diesem Zusammenhang
steuerliche Unterstützung von Stiftungen entnehmen,
dass Sie doch noch ernsthaft beabsichtigen, die nicht
allgemeinen, sondern konkreten Änderungsanträge zur
Verbesserung des Steuerrechts, die wir dem Hohen Hause gleich in namentlicher Abstimmung vorlegen, mit
Zustimmung versehen zu lassen?
({0})
Lieber Kollege Lammert, in
neun Monaten ist Weihnachten; die Zeit, in der man
Wünsche äußern kann, naht also. Aber momentan sehen
wir uns dem Frühling des Stiftungswesens gegenüber.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es gibt
noch weitere Punkte, die wir verbessern können. Nur,
wir sind eben in der Situation - darauf müssen uns die
Menschen, die im Finanzministerium Verantwortung
tragen, immer wieder aufmerksam machen -, dass wir
nach 16 Jahren unter Ihrer Regierung einen Schuldenberg vorfinden, der zu meinem großen Bedauern dazu
führt, dass wir nicht alles das, was in diesem Bereich
steuerlich wünschenswert ist, realisieren können.
Nicht alles von dem, was Sie uns heute vorlegen, ist
im Übrigen sinnlos. Vieles ist ja von den Stiftungsverbänden vorgeschlagen worden; da brauchten Sie nur abzuschreiben. Ich würde gerne in diesen Punkten vorstellig werden, aber leider erlaubt dies die Situation, die Sie
uns hinterlassen haben, noch nicht. Aber seien Sie guten
Mutes: Sobald wir in den Kassen wieder Geld finden wir sind ja sehr solide bei dem Vorhaben, die Finanzen
zu konsolidieren -, werden wir mit Ihnen weiter über die
Verbesserung des Stiftungswesens diskutieren. Ich verspreche Ihnen das an dieser Stelle; wir halten das auch
ein.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
mich übrigens noch einmal ausdrücklich bei dem Kollegen Jörg-Otto Spiller bedanken. Wie er hier zitiert worden ist, das war nicht fair. Der Kollege Spiller als der
Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe im Bereich Finanzen
hat alles getan, damit das, was wir anstoßen wollten, tatsächlich auf den Weg gebracht wurde. Insofern war diese Kritik nicht gerechtfertigt.
({1})
Der zivilrechtliche Teil ist schon an unterschiedlichen
Stellen angesprochen worden. Auch diesbezüglich sind
wir in einer sehr guten Diskussion mit der Justizministerin. Der Finanzminister und die Justizministerin unterstützen uns in diesem Bereich.
Aber machen wir uns, was diesen Teil angeht, doch
nichts vor: Wir sind darauf angewiesen, mit den Ländern
zu reden. Das tun wir. Deswegen ist eine Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder zur Reform des Stiftungsrechts eingesetzt worden. Hochverehrter Kollege Funke,
ich habe noch einmal im „Kürschner“ nachgeschaut,
was Sie in den letzten Jahren getrieben haben. Da steht
doch allen Ernstes, dass Sie Staatssekretär im Justizministerium waren. Verflixt noch mal, wer hat Sie denn
daran gehindert, in dieser Zeit mit den Ländern all das
zu machen, was Sie uns heute so großartig vorgetragen
haben?
({2})
Ich bin ja völlig verblüfft. Da müssen wir noch einmal in
den alten Aktennotizen nachschauen. Es werden ja hoffentlich nicht alle Ordner in den Ministerien, die wir
übernommen haben, verschwunden sein. Also gucken
wir doch noch einmal, was Sie in diesem Bereich gemacht haben!
({3})
Kollegin Vollmer hat viele wichtige Punkte angesprochen und darauf hingewiesen, dass wir ein Recht auf
Stiftung verankern wollen. Frau Ministerin, ich glaube,
damit würden wir niemandem wehtun, aber könnten ein
Signal setzen für diejenigen, die bereit sind, für die Gesellschaft etwas zu realisieren.
Sie haben vorhin müde Ihr Haupt geschüttelt, als Frau
Vollmer Transparenz eingefordert hat - als ob das etwas Schädliches wäre! Nicht alle Stiftungen, insbesondere jene, die von der CDU eingerichtet worden sind,
haben sich durch Transparenz ausgezeichnet - das ist
schon richtig -, aber Sie brauchen sich in dem Zusammenhang keine Sorgen zu machen:
({4})
Die Stiftungsverbände fordern ausdrücklich ein Mehr an
Transparenz für die Stiftungen, weil, so sagen sie, mehr
Transparenz dazu führt, dass der Stiftungsgedanke nicht
desavouiert wird, und dazu beiträgt, dass die Bedenken
der Beamten in den Behörden dort, wo der Stiftungsgedanke noch negativ gesehen wird, zerstreut werden. Insofern macht dies den Weg wirklich frei.
Der nächste Punkt betrifft das Stiftungsregister. Ich
bin da völlig leidenschaftslos. Wir brauchen die Mitwirkung der Länder auch in diesem Bereich. Deshalb kann
ich nur an den Bundesrat appellieren - die Bundesratsbank ist heute nicht so furchtbar stark besetzt -: Machen
Sie mit! Ich bin mal gespannt, Herr Otto, ob Hessen und
Rheinland-Pfalz - das sind ja die beiden verbliebenen
Länder, in denen Sie noch mitregieren dürfen - dazu ein
paar Initiativen einbringen.
({5})
- Ach, Baden-Württemberg habe ich vergessen. Wie
heißt euer Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg?
({6})
- Ja, ich hatte es vergessen, Entschuldigung! Herr
Döring wäre ja durchaus in der Lage, etwas zu tun.
Herr Kollege Lammert, lesen Sie noch einmal nach,
was damals zu den Reformen, die Sie wollten, gesagt
worden ist. Staatssekretär Hauser hat gesagt - das war
das Ergebnis der Anhörung damals -: Wir verbessern
vielleicht die Durchlaufspenden. - Aber noch nicht einmal diesen Punkt haben Sie während Ihrer Regierungszeit in Angriff genommen.
({7})
Wir dagegen erledigen das ganz ohne Getöse im Bundesrat so nebenbei.
({8})
Aber um versöhnlich zu werden - ich sage es noch
einmal, Herr Lammert -: In neun Monaten ist schon
wieder Weihnachten, die Zeit der Freude bricht an. Sie
können Wünsche äußern. Freuen Sie sich über unseren
Erfolg! Zerreden sie ihn nicht! Freuen wir uns heute
über den Frühling im Stiftungsrecht, den wir Ihrem kalten Winter folgen lassen.
Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen, freuen Sie sich mit. Sie haben heute live ein schönes Stück Politikgestaltung in Deutschland erlebt. Darauf sind wir stolz. Noch einen schönen Tag in Berlin!
({9})
Nun hat Kollegin
Rita Süssmuth von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Tauss, ich habe
den Eindruck, die Posaune hat ein solches Getöse verursacht, dass man überhaupt keine Töne mehr gehört hat.
({0})
Offenbar ist Getöse notwendig, damit niemand auf die
Idee kommt, das zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Ich
habe den Eindruck, das richtige Denken und Wissen
vorzubringen ist immer einfacher, als das Richtige zu
entscheiden.
Es bleibt dabei: Es gibt keinen Neid über die
40 000 DM. Mehrere Mitglieder meiner Fraktion haben
gesagt: Dem stimmen wir zu. Es ist ein Fortschritt. Daran gibt es nichts zu kritisieren. Aber gemessen an den
Ansprüchen, die in der Reformdiskussion der letzten
Wahlperiode gestellt wurden - das sage ich mit aller
Deutlichkeit -, sind wir ganz am Anfang.
Kollegin Vollmer, es ist richtig: Es gibt ein verändertes Stiftungsklima. Aber wir Abgeordnete sollten
uns nicht einbilden, wir hätten es erzeugt. Es gibt in
Deutschland - das möchte ich ganz nachdrücklich sagen - trotz zunehmender Verstaatlichung, Bürokratisierung und der Grenzen der staatlichen Möglichkeiten eine
Bürgerschaft, an deren Engagement wir uns messen sollten. Die Bürger sind weiter als wir mit unseren Reformentscheidungen.
({1})
Wir müssen uns mehr und mehr fragen, ob wir diesem
Engagement eigentlich gerecht werden und ob wir es
ausreichend unterstützen.
Erstens. Wenn wir die unterstützenden Stellungnahmen des Stifterverbandes Maecenata zur Kenntnis genommen haben, dann sollten wir auch die Stimmen aus
den anderen Organisationen hören, die uns nachdrücklich auffordern: Nur dann, wenn ihr Zivilrecht und
Steuerrecht konsequent miteinander verbindet, schafft
ihr jene Bürgergesellschaft, für die ihr in euren Gesetzentwürfen eintretet.
Deswegen muss man wissen: Solange wie im Zivilrecht festgelegt ist - ich weiß, dass hier Bund und Länder höchst unterschiedlicher Meinung sind -, dass der
Staat der beste Reglementierer ist und dass seine Einsicht in jedem Falle höher zu bewerten ist als Freiheit
und Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, so lange wird das bürgerschaftliche Engagement eher blockiert als gefördert. Deswegen brauchen wir die Einheit
von Zivil- und Steuerrecht.
Zweitens. Wenn der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
verabschiedet ist, zweifle ich sehr - das weiß ich aus eigenem Regierungshandeln -, ob in dieser Wahlperiode
noch ein weiteres Gesetz folgen wird. Es wird nicht weit
über den jetzigen Diskussionsentwurf hinausgehen. Damit fördern wir nicht die Aktivitäten, sondern lähmen
sie.
Das Dritte, das für unsere Auseinandersetzung entscheidend ist, ist die Frage: Wie gehen wir mit den verschiedenen Organisationen und Gruppierungen um? Mir
ist es im Augenblick wichtig, dass wir es auf den privatrechtlichen Teil beschränken; denn der zusätzliche
Spendenabzug wird nur für Zuwendungen an Stiftungen privaten Rechts gewährt und nicht - wie bei anderen
Begünstigungen - auch für Zuwendungen an andere
steuerbegünstigte Stiftungen. Ist es wirklich Absicht des
Gesetzgebers, dass die der Zahl nach häufiger vorkommenden nicht rechtsfähigen Stiftungen mit der Unsicherheit leben müssen, ob sie als Stiftungen privaten
Rechts anzusehen sind oder nicht?
({2})
- Die sind ja hier berücksichtigt. Das ist eben schon gesagt worden.
Jetzt möchte ich auf den Grundansatz eingehen.
Wenn wir der Überzeugung sind, Stiftungen erfüllten
eine wesentliche Ergänzungs- und Innovationsfunktion auch im Gesetzentwurf der SPD stehen neue soziale und
kulturelle Projekte im Vordergrund -, dann müssen wir
mit den Entscheidungen, die wir treffen, auch das Ziel
erreichen.
Wenn der Fiskus in erster Linie immer damit argumentiert, was dem Staat entgeht, dann kann ich darauf
nur entgegnen, dass wir weit mehr gewinnen würden,
wenn wir nicht ständig rechneten, was uns entgeht, sondern überlegten, was an Mitteln freigesetzt würde, wenn
wir einen größeren Schritt wagen würden.
({3})
Hier zeigt sich ganz deutlich - ich komme noch einmal auf das Maecenata-Institut zurück -, dass die Berechnung, dem Staat entgehe eine Milliarde, durch
nichts belegt ist. Es gibt überhaupt keine quantifizierenden Berechnungen.
({4})
Deswegen kann ich nur sagen: Lasst es uns doch endlich wagen, Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkommen und Vermögen gemeinwohlorientiert entscheiden
zu lassen! Hemmen wir sie nicht ständig! Wir sprachen
eben von Neid. Ich halte diese Diskussion um die kleineren Bürgerstiftungen und die größeren Vermögen für
völlig abwegig. Machen wir beides! Wir können dabei
nur gewinnen und nicht verlieren.
({5})
Nun noch einmal zu der Frage: Was ist an diesem
zivilrechtlichen Teil so wichtig? Ich glaube, dass die
Gesetzentwürfe, zum Beispiel jener der Grünen oder
jener unserer Fraktion, darin übereinstimmen, dass sie
einfach, übersichtlich, transparent, bürgerfreundlich und
gemeinwohlorientiert sind. Dass es darin Missbrauchstatbestände gibt, weiß jeder und auch, dass wir sie
so weit reduzieren müssen wie eben möglich. Aber dass
wir vor lauter Angst vor Missbrauch die Menschen
überhaupt erst gar nicht handeln lassen, ist für jede
Bürgergesellschaft kontraproduktiv.
({6})
Es ist eben gefragt worden, was in Baden-Württemberg passiert. Wenn es überall in den Bundesländern
so viel an Initiativen im Bereich von Vereinen, Stiftungen und gemeinwohlorientierter Arbeit gäbe, dann wären wir in der Bundesrepublik schon weiter und sozialkulturell innovativer. Dann würden wir uns nicht ständig
blockieren.
({7})
In diesem Sinne möchte ich noch einmal am Ende sagen: Es ist in der Tat ein kleiner und weiterer wichtiger
Schritt, aber es ist nicht die überfällige Stiftungsreform,
für die wir gearbeitet haben und die die Bürgerschaft
längst erwartet.
({8})
Deswegen ist es meine Hoffnung - ich möchte sie
nicht aufgeben -, dass wir in dieser Wahlperiode vielleicht doch noch das eine tun und das andere nicht lassen. Nur wenn wir diesen Schritt im Konzept der Steuerreform gehen, wird die neue Sozialstaatlichkeit reformfähig werden. Bisher sind wir noch sehr auf den alten
Pfaden und haben immer noch davor Angst, dass wir es
anders als bisher machen könnten und dass alles
schlechter würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Bürger
wissen längst, dass wir neue Wege einschlagen müssen.
Dem sollten wir folgen.
Danke.
({9})
Ich erteile der Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir haben
heute eine richtig frühlingshaft beschwingte Debatte gehabt gemäß dem Motto: Wir haben einen Stiftungsfrühling. Das ist das Schöne an der Debatte, die wir seit einem Jahr führen, dass nicht nur hier im Parlament, sondern eben auch in der Gesellschaft das Stiftungsrecht
bzw. das Stiften wieder diskutiert wird. Das ist das eigentlich Wichtige an der Situation.
({0})
Noch etwas Schönes ist für uns heute festzustellen:
Wir beschließen heute das erste Gesetz, das der neue
Ausschuss für Kultur und Medien in diesem Hohen
Hause betreut und begleitet hat. Ich bin sehr froh darüber, dass wir das mit einem positiven Ergebnis und einer guten Debatte abschließen können.
({1})
Die Reformierung des Stiftungsrechts ist überfällig.
Wir wollen bürgerschaftliches Engagement. Das wird
jetzt beflügelt. Der neue Ausschuss hat sich darin ein
Stück weit bewährt auch als Lobby, als Lobby für diejenigen, die immer gedrängelt haben.
({2})
Machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht diesen
Ausschuss gegeben hätte - hier möchte ich ausdrücklich
alle Fraktionen einschließen -, dann wäre diese Reform
nicht so in Gang gekommen und dann wären wir nicht
an dieser Stelle. Dann würden wir - wie Herr Lammert
das vorgeschlagen hat - noch zwei Jahre warten müssen,
bis auch alle anderen Fragen geklärt sind. Aber genau
das wollen wir nicht. Wir wollen jetzt schon wenigstens
einen Schritt machen und etwas vorantreiben.
({3})
Herr Otto, ich möchte noch etwas zu Ihnen sagen:
Wenn Sie das nächste Mal Zitate als altdeutsche Zitate
darstellen - „nicht kleckern, sondern klotzen“ -, zitieren
Sie lieber nicht den Panzergeneral Guderian, der das
beim Überfall auf Frankreich gesagt hat, sondern suchen
Sie sich ein anderes Sprichwort, das in dem Zusammenhang besser passt.
({4})
Wir hoffen, dass es nicht bei den 250 Milliarden DM
bleibt, sondern dass auch ein Teil von den
5 Billionen DM, die auf Konten irgendwo herumliegen,
für soziale und ökologische Zwecke, für die Förderung
der Künste und für die Kultur mobilisiert wird. Es schadet aber auch nichts, wenn man nicht nur den Betrag
stiftet, der steuerlich absetzbar ist, sondern vielleicht
noch ein bisschen obendrauf packt.
({5})
Dabei können wir uns vielleicht durch die Debatte beflügelt sehen und uns ein Beispiel an dem angelsächsischen Raum nehmen. Dort gibt es Stiftungen, bei denen
es nicht nur um die steuerliche Absetzbarkeit geht. Ich
denke zum Beispiel an Herrn Gates, der mal eben
1 Milliarde Dollar für ein Projekt spendet. Bei uns gibt
es - gerade auch in dieser Branche - Leute, die sehr viel
Geld verdienen und auch ein wenig mehr Geld zur Verfügung stellen könnten als nur das, was sie von der Steuer absetzen können. Das sollte man nicht unterdrücken.
({6})
Ich sehe, dass Stiftungen in diesem Lande auch bislang schon sehr engagiert gearbeitet haben. Ich denke
hier an Firmenstiftungen wie die von Bertelsmann oder
VW, die tatsächlich mitgeholfen haben, Dinge voranzubringen.
Aber was fehlt, sind nicht die großen Stiftungen, sondern die kleinen. Es geht um die Leute, die vielleicht ein
bisschen über den Durst haben, aber sagen: Wenn ich
noch einen steuerlichen Anreiz wie diese 40 000 DM
bekomme, gebe ich das Geld; sonst überlege ich mir, ob
ich es auf die hohe Kante lege. Das ist die Grundlage
für kleinere Stiftungen, für Bürgerstiftungen, für das,
was sich im sozialen Engagement, in einem kleinen
Kulturzentrum, in örtlichen Initiativen niederschlägt. Ich
glaube, das ist das Wesentliche, das wir hier mit auf den
Weg bringen: nicht nur die großen, sondern gerade die
kleinen Einheiten.
({7})
Ich wünsche mir auch, dass sich die Unternehmen,
die zum Beispiel Stiftungen in den USA unterstützen ich habe gerade gehört, dass eine große Stiftung eines
deutschen Unternehmens 20 Millionen an eine Universität in den USA gibt -, auch wieder hier engagieren und
hier etwas unterstützen.
({8})
Ich wünsche mir, dass gerade diese Unternehmen, die
immer sagen: Wir wollen nicht stets auf den Staat
schauen, jetzt erklären: Wir gründen Stiftungen an den
Sitzen unserer Tochterunternehmen und unterstützen
dort zum Beispiel das örtliche Goethe-Institut oder die
örtliche soziale Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger
aus unserem Land.
({9})
Das werden wir damit hoffentlich ein Stück voranbringen können.
Ich denke, entscheidend ist, was auch Frau Vollmer
ausgeführt hat, nämlich dass wir das Klima verändert
haben, dass Stiften oder Spenden nicht mehr etwas Negatives ist, was man am besten hinter vorgehaltener
Hand tut. Deswegen hat das reformierte Stiftungsrecht
eine Doppelwirkung, es hat nämlich eine kulturpolitische und eine gesellschaftspolitische Funktion. Beide,
Staat und Gesellschaft, Menschen, die den Staat bilden,
sollen zusammenarbeiten. Der Staat bietet den Rahmen
und die Menschen engagieren sich selbst. Genau hierfür
müssen wir den nächsten Schritt gemeinsam mit den
Ländern vorbereiten. Die Frau Justizministerin hat bereits zu der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingeladen,
damit dies vorankommt.
({10})
Das ist der entscheidende Punkt. Es darf nicht immer
nur Misstrauen und das Gefühl geben, wir würden nichts
machen. Wir sind vielmehr auf dem Wege, wir arbeiten
daran. Sie werden sicherlich davon ausgehen können,
dass auch der Kulturausschuss sehr darauf achten wird,
dass es vorangeht. Wir werden natürlich auch mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern darüber
sprechen.
({11})
Ich bitte auch die Damen und Herren der CDU und
der F.D.P., in ihren Ländern noch einmal engagiert dafür
zu werben, denn die Länder sind diejenigen, die sich im
Moment am schwersten damit tun, das Stiftungsgesetz
voranzubringen, weil sie sagen: Vielleicht haben wir
auch noch Steuerausfälle. Da geistern dann astronomische Zahlen durch die Gegend - 1 Milliarde DM,
3 Milliarden DM, 5 Milliarden DM. Ich kann nur sagen:
Wie froh wäre ich, wenn diese Steuerausfälle in diesem
Falle rein durch die Stiftungsrechtsreform zustande kämen, denn dann würden durch die neuen Arbeitsplätze,
die durch diese dann entstehenden Stiftungen tatsächlich
geschaffen würden, auf der anderen Seite enorme Steuermehreinnahmen kommen.
({12})
Das darf man ja nicht vergessen. 1 Milliarde DM Steuerausfälle entsprächen 4 Milliarden DM, die tatsächlich
gestiftet würden, und mit diesem Geld würde ja etwas
getan. Dieses, was getan würde, müssen wieder Leute
tun.
Kollegin Griefahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Ja, natürlich. Immer, gerne.
Liebe
Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie um Ihre Unterstützung bitten?
Die hessische Landesregierung unter Beteiligung der
F.D.P. hat einen sehr vernünftigen Entwurf für eine Stiftungsrechtsreform in den Bundesrat eingebracht. Ihre
Kollegen in der hessischen SPD bekämpfen diesen Gesetzentwurf, obwohl er zu weiten Teilen mit dem übereinstimmt, was Sie hier fordern. Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass wir als F.D.P. in Hessen unsere Aufgaben erledigt haben.
Darf ich Sie darum bitten, dass Sie einmal mit Ihren
hessischen Kolleginnen und Kollegen reden, damit sie
auf die Linie einschwenken, die Sie heute dargestellt haben, und nicht diese Neidkomplexe, die in den letzten
Monaten zutage getreten sind, pflegen?
({0})
Herr Kollege Otto, ich sagte Ihnen ja bereits: Die Frau Justizministerin hat zu einem Bund-Länder-Gespräch eingeladen. Ich bin sehr
daran interessiert, dass wir dadurch zu gemeinsamen Linien kommen.
Ich sagte, wir werden mit unseren Kollegen in den
Ländern sprechen, damit wir ein gemeinsames Konzept
tatsächlich voranbringen und nicht wieder alles zerreden.
({0})
- Ja, genau. Herr Tauss sagte gerade, Hessen hat dies im
Bundesrat abgelehnt. Das ist doch ein interessanter
Punkt.
Ich denke, wir sollten - weil es im Moment ja so sehr
in ist, amerikanisch zu sein - uns noch einmal auf ein
Wort von Kennedy besinnen, der gesagt hat:
Frage nicht immer, was das Land für dich tut. Frage, was du für das Land tun kannst.
In dem Sinne hoffe ich, dass sich viele beteiligen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen in der Ausschussfassung auf Drucksache
14/3010 Nr. 1 kommen, erteile ich der Kollegin Barbara
Höll, PDS-Fraktion, das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte begründen, warum ich gegen den Gesetzentwurf der SPD und der Grünen stimme,
obwohl und gerade weil ich mir der Bedeutung und des
Wertes von Stiftungen sowie der gemeinnützigen Tätigkeit verschiedenster Art überhaupt sehr wohl bewusst
bin.
Ich meine, Ihr Gesetzentwurf ist in der jetzigen Form
nicht geeignet, den Erfordernissen der Zeit gerecht zu
werden. Ich lehne ihn ab, weil er sich erstens ausschließlich auf die steuerlichen Regelungen beschränkt und den
Hauptmakel des deutschen Stiftungswesens, die Intransparenz, nicht beseitigt.
Ich stimme dagegen, weil Erfahrungen, wie sie aus
dem Musterland des Stiftungsrechts, den USA, vorliegen, überhaupt nicht genutzt wurden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass deren Stiftungsrechtsreform von 1969
mit den zivilrechtlichen Regelungen die Schwächen
ausgelöscht hat, deren Behebung Sie sich heute durch
ein bisschen Änderung des Steuerrechts erhoffen.
Ich stimme zweitens dagegen, weil Sie, wenn Sie sich
schon auf das Steuerrecht beschränken, dieses auch noch
schusselig gemacht haben. Die möglichen steuerlichen
Missbrauchstatbestände wurden nicht ausgeräumt. Ich
möchte Sie hier ausdrücklich auf die Abgabenordnung
verweisen, nach der eine gemeinnützige Stiftung bis zu
einem Drittel ihres Einkommens steuerfrei zum Unterhalt des Stifters oder seiner Familienangehörigen verwenden kann. Das bedeutet eine steuerfreie Alimentierung.
Drittens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil mit
dem wichtigen Prinzip der steuerlichen Berücksichtigung gemeinnützigen Engagements gebrochen wird.
Es geht nicht mehr ausschließlich um den Zweck bei der
steuerlichen Ermäßigung, sondern Sie bevorzugen hier
eindeutig nur ein Engagement im Bereich des Stiftungswesens. Sie erreichen damit eine Verschiebung auf
dem Spendenmarkt. Wie in der Debatte heute betont
wurde, drängt sich in Verbindung mit den Regelungen
zur Erbschaftsteuer der Verdacht auf, dass es bei Ihrem
Gesetzentwurf in einem nicht unerheblichen Maße um
einen steuerfreien Vermögenstransfer geht.
Viertens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil er
so, wie er vorliegt, einen Meilenstein Ihres politischen
Weges darstellt. Langfristig geht es Ihnen - dies beweist
die eichelsche Sparpolitik - um den Abbau von
Staatsausgaben für soziale und kulturelle Zwecke.
({0})
An die Stelle einer von der öffentlichen Hand finanzierten sozialen und kulturellen Grundversorgung sollen
Stifter, Spender und Mäzene treten. Sie selbst verweisen
in Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich auf die Grenzen
der Steuerfinanzierung dieser Aufgaben und stellen sich
langfristig auf leere Kassen ein. Man muss feststellen:
Sie organisieren sich Ihre eigene Handlungsunfähigkeit
durch Ihre Steuerpolitik. Ich verweise nur auf die Unternehmensteuerreform.
({1})
Ich stimme dagegen, weil Ihr Gesetzentwurf so, wie
er zustande kam, eine Art politischen Tauschhandels
darstellt, den man nicht mittragen kann.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Im Übrigen weise ich darauf
hin, dass Sie im Rahmen einer Erklärung zur Abstimmung keinen Sachbeitrag leisten dürfen.
({0})
- Wir sind da an der Grenze. Sie haben das Wort, aber
bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich möchte diesen Gedanken abschließen: Sie haben die Vermögensteuer, womit
eine leistungsgerechte Besteuerung in der Bundesrepublik wieder erreicht werden sollte, gegen freiwillige
Spenden ausgetauscht.
({0})
Dies kann ich nicht mittragen.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und
Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von
Stiftungen in der Ausschussfassung auf Drucksache 14/3010 Nr. 1. Dazu liegen vier Änderungsanträge
der Fraktion der CDU/CSU vor, über die wir zuerst abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/3014. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Alle haben ihre
Stimmkarte abgegeben. Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Beratung mit Abstimmungen fort.
Wir stimmen über weitere Änderungsanträge der
CDU/CSU-Fraktion ab.
Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/3013. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/3015. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/3016. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
14/3014 unterbreche ich für einige Minuten die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU, Drucksache 14/3014, zum Gesetzentwurf
zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen auf
den Drucksachen 14/2340 und 14/3010 Nr. 1 bekannt:
Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 214,
mit Nein haben gestimmt 321.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 533
ja: 213
nein: 319
ungültig: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({0})
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({1})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({2})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer ({3})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({4})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther
({6})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({7})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Paul Laufs
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({9})
Dr. Klaus W. Lippold
({10})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({11})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
({12})
Erwin Marschewski
({13})
Dr. Martin Mayer
({14})
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({15})
Elmar Müller ({16})
Bernd Neumann ({17})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({18})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({19})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch
({20})
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({21})
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({22})
Andreas Schmidt ({23})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Diethard Schütze ({24})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Wolfgang Schulhoff
Dr. Christian SchwarzSchilling
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({25})
Gerald Weiß ({26})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({27})
Hans-Otto Wilhelm ({28})
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({29})
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({30})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
({31})
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({32})
Klaus Barthel ({33})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({34})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({35})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({36})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({37})
Harald Friese
Anke Fuchs ({38})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({39})
Angelika Graf ({40})
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({41})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({42})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({43})
Walter Hoffmann
({44})
Iris Hoffmann ({45})
Frank Hofmann ({46})
Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung ({47})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({48})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann
({49})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({50})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Jutta Müller ({51})
Christian Müller ({52})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({53})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Birgit Roth ({54})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({55})
Ulla Schmidt ({56})
Silvia Schmidt ({57})
Dagmar Schmidt ({58})
Wilhelm Schmidt ({59})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({60})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({61})
Brigitte Schulte
({62})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Reinhard Schultz
({63})
Volkmar Schultz ({64})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({65})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({66})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({67})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({68})
Helmut Wieczorek
({69})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({70})
Brigitte Wimmer
({71})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({72})
Waltraud Wolff ({73})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({74})
Marieluise Beck ({75})
Volker Beck ({76})
Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({77})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
({78})
Kerstin Müller ({79})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({80})
Werner Schulz ({81})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({82})
Margareta Wolf ({83})
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller ({84})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Ungültig
SPD
Hans-Günter Bruckmann
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler ({85}), Klaus, Neumann ({86}), Gerhard, Siebert, Bernd,
SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU
___________________________________
Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenommen worden.
({87})
- Richtig. Gleichwohl ist er in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Jetzt
dürft ihr euch wieder setzen. - Wer dagegen stimmen
möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer enthält
sich? - Die F.D.P. stimmt dagegen, die CDU/CSU enthält sich und bei der PDS ist das Stimmenverhältnis halbe-halbe, so sage ich einmal. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
({88})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/3021. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Bei Stimmenthaltung der F.D.P. und Zustimmung der
PDS ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der F.D.P. zur Reform des Stiftungs-
rechts auf Drucksache 14/336. Der Ausschuss für Kultur
und Medien empfiehlt auf Drucksache 14/3010 unter
Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen .
Zu diesem Gesetzentwurf liegt auf Druck-
sache 14/3043 ein Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.
Ich lasse jetzt übe den Gesetzentwurf der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/336 abstimmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der F.D.P.,
Enthaltung der CDU/CSU und Ablehnung im Übrigen
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur
und Medien auf Drucksache 14/3010 Nr. 3 zu dem An-
trag der CDU/CSU „Ein modernes Stiftungsrecht für das
21. Jahrhundert“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/2029 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/3022. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:
17. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Eduard Lintner, Dirk Fischer ({89}),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Bahnreform 2 - Neuer Schwung für die
Bahn
- Drucksache 14/2691 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({90})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrages der Abgeordneten
Horst Friedrich ({91}), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P
Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr
stärken - vom Staatsbahnmonopol zum
europäischen Wettbewerb um den Eisenbahnkunden
- Drucksache 14/2781 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({92})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, hier zu bleiben, weil es ein interessantes Thema ist.
({93})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Bahnreform 2 - Neuer Schwung für die Bahn“ schafft genau
zum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit, dieses brisante
Thema im Deutschen Bundestag zu erörtern.
({0})
Damit kehrt die Diskussion wieder dorthin zurück,
wo dieser wichtige Teil der Verkehrspolitik eigentlich
hingehört, nämlich ins Parlament. Es ist ja zurzeit üblich, dass Verkehrspolitik vorwiegend in Form von Interviews in Tageszeitungen und seit neuestem auch in
Form von Demonstrationen auf der Straße gemacht
wird. Das hat die ohnehin vorhandene Verwirrung über
den weiteren Weg der Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG in der Verkehrspolitik noch vergrößert.
Im Grunde genommen können uns die Regierungsfraktionen heute dafür dankbar sein, dass sie die Gelegenheit
erhalten, diese Widersprüchlichkeiten nunmehr zu beseitigen.
Zunächst müssen die Zielsetzung und der Zeitplan
der Bahnreform von 1993 angesprochen werden. Das
Ziel ist ja, die so genannte Börsenfähigkeit der Bahn
herzustellen, und zwar bis zum Jahre 2003. Daran hat
sich nichts geändert. Es war und ist zugegebenermaßen
natürlich ein sehr ehrgeiziges Vorhaben; denn aus der
früheren Behördenbahn soll ein sich selbstständig am
Markt behauptendes Unternehmen, die DB AG, geschaffen werden.
Der Vorstandsvorsitzender der Bahn, Herr Mehdorn,
hat dabei in einem Interview in der „FAZ“ das Jahr
2000 als das Schlüsseljahr für die Entwicklung der
Bahn bezeichnet. Zusammen mit seinen täglichen
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Alarmmeldungen über Verluste, zu viel Personal und
sonstige diverse Missstände drängt sich aber jetzt der
Eindruck auf, dass er Ziel und Zeitplan der Bahnreform
gegenwärtig für dramatisch gefährdet sieht. Ein Scheitern des gesamten Reformwerkes aber würde für die
Bahn ein wahres Desaster mit völlig ungewissem Ausgang bedeuten.
Dann droht ja nicht nur der Rückfall in die alte Unrentabilität - dem Bund würde damit ein Subventionsloch in Milliardenhöhe drohen -, sondern auch die wenigen positiven Ansätze, zum Beispiel der Zugewinn an
Fahrgästen im Personenverkehr, wären dann ernsthaft
gefährdet. Das könnte selbstverständlich niemand verantworten. Deshalb sollte die Bundesregierung entschlossen darangehen, Herr Minister, die notwendigen
Korrekturen in ihrer Verkehrspolitik zur Sicherung der
Zukunft der Bahn jetzt endlich vorzunehmen.
({1})
Das heißt zunächst einmal, dass die Bahn vom Staat,
von der Politik Rahmenbedingungen erhalten muss, die
sie überhaupt erst in die Lage versetzen, diesen schwierigen Wandel zum marktwirtschaftlich geführten Unternehmen erfolgreich zu gestalten. Das verlangt in erster
Linie natürlich eine faire, eine konkurrenzfähige Ausgangslage für die DB, und zwar nicht nur in Europa,
sondern auch in Deutschland, im nationalen Rahmen.
Es ist zum Beispiel - Herr Mehdorn hat es mehrfach
angesprochen - bei der steuerlichen Belastung keine
Wettbewerbsgleicheit vorhanden. Als einzige Bahn in
Europa zahlt die Deutsche Bundesbahn beispielsweise
den vollen Mehrwertsteuersatz, Frau Kollegin.
({2})
Das führt zu einem konkreten Wettbewerbsnachteil von
700 Millionen DM pro Jahr.
({3})
- Sie wissen ja gar nicht, was wir getan hätten, wenn wir
noch an der Regierung wären. Beruhigen Sie sich wieder.
({4})
Ein paar Hausaufgaben müssen wir Ihnen auch noch
hinterlassen, denn sonst wäre es völlig überflüssig, dass
es Sie gibt.
({5})
Es kommt die Mineralölsteuerbelastung hinzu, die einen Nachteil von etwa 400 Millionen DM bedeutet. Wir
haben aber auch ein originäres Kind Ihrer Zeit, nämlich
die Belastung des Schienenpersonennahverkehrs mit
dem halben Ökosteuersatz, was auch keine besondere
Begünstigung dieses wichtigen Verkehrsweges darstellt.
({6})
Zusätzlich - auch das ist eine Erfindung von Ihnen soll die Bahn plötzlich für die Dienste des BGS, wofür
er gesetzlich zuständig ist, blechen, nämlich 250 Millionen DM im Jahr. Allein dieser Betrag bringt die Bahn
heuer schon in rote Zahlen. Meine Damen und Herren,
Sie können sich also nicht mit dem billigen Hinweis auf
die Vergangenheit aus den Widersprüchlichkeiten Ihrer
Verkehrspolitik befreien.
({7})
Es gibt auch noch Weiteres: Die Bundesregierung hat
es beispielsweise nicht geschafft, den von der EU vorgegebenen ungehinderten Zugang zur Nutzung des
Netzes durch Dritte gegenüber den anderen EUPartnern, vor allem Frankreich, durchzusetzen. In
Deutschland ist dieser freie Zugang zur Nutzung des
Netzes bereits Wirklichkeit. Die Bundesregierung hat
sich offenbar sogar damit einverstanden erklärt, dass
Netzbenutzern nur wie in den anderen EU-Ländern, in
denen es staatliche Bahngesellschaften gibt - offenbar
gewollt -, die so genannten Grenzkosten in Rechnung
gestellt werden dürfen.
({8})
Aber dann entsteht sofort, Herr Schmidt, für die Bahn
die lebenswichtige Frage, wer die Differenz zwischen
diesen Grenzkosten und den tatsächlich anfallenden
Kosten zahlen soll. Diese Frage hat die Bundesregierung
bis heute nicht beantwortet. Es geht dabei nicht um Peanuts, sondern es geht um Beträge in einer Größenordnung von bis zu 6 Milliarden DM im Jahr. Das heißt,
wenn sich die Bundesregierung in der Konsequenz verweigert, steht im Grunde genommen die Existenzfähigkeit der Bahn auf dem Spiel.
Dass die Bahn ihrerseits das eine oder andere tut, das
potenzielle Kunden eher verprellt als anzieht, kommt
noch hinzu. Ein schlimmes Beispiel dafür, finde ich, ist
der Güterverkehr auf der Schiene. Die Bahn verliert
ständig an Boden. Auch die Prognosen für die nächste
Zeit lassen keine Wende erwarten. Der Straßengüterverkehr, meine Damen und Herren, wird in diesem Jahr um
etwa 10 Prozent wachsen, der Güterverkehr auf der
Schiene nur um 4 Prozent, wenn überhaupt.
Fragt man bei den Betroffenen nach, warum es zum
Beispiel im kombinierten Ladungsverkehr nicht vorwärts geht, dann hört man immer wieder: Die Bahn ist
zu langsam, sie ist zu teuer und sie ist zu schadensanfällig. Verspätungen von vielen Stunden seien üblich und
die Trassenpreise seien willkürlich gestaltet. So kostet
beispielsweise der Bahnkilometer für die Konzernschwester DB-Cargo nur 4,80 DM, aber für Drittnutzer
zwischen 10 und 12 DM. Das ist kein fairer, kein einwandfreier Marktzugang.
({9})
Dabei wäre es gerade beim Güterverkehr wünschenswert, wenn der Schiene künftig ein größerer
Anteil zukommen würde, weil damit nämlich etwas
Wirksames gegen den drohenden Verkehrskollaps auf
unseren Straßen getan werden könnte.
({10})
Allerdings, meine Damen und Herren, habe ich den
Eindruck, dass die Regierungsfraktionen in diesem Zusammenhang dazu neigen, vor allem die Grünen, die
Möglichkeiten der Verlagerung des Verkehrs von der
Straße auf die Schiene aus ideologischen Gründen unrealistisch groß einzuschätzen. Denn von dem Glauben,
dass es gelingen könnte, vom heute in Deutschland insgesamt stattfindenden Güterverkehr der Schiene einen
wesentlich größeren Anteil zu sichern als bisher, sollte
man sich verabschieden. Es wäre schon ein Erfolg, wenn
es gelingen würde, der Eisenbahn von dem beim Güterverkehr prognostizierten Zuwachs einen wachsenden
Anteil zu sichern. Dazu müssen aber wiederum noch
viele Engpässe beseitigt werden, erst noch neue, schnelle Verbindungen geschaffen werden.
Wenn jetzt die Bundesregierung darangeht, mit der
scheinheiligen Begründung, sparen sei notwendig, die
für eine Verbesserung des Schienenverkehrs erforderlichen Investitionsmittel um sage und schreibe 3,5 Milliarden DM zu kürzen, und wichtige Teilprojekte überhaupt fallen lässt, dann sind die Perspektiven für die
Bahn aus dieser Sicht alles andere als rosig.
({11})
Und es muss auch noch den letzten Rest an Vertrauen in
die Verlässlichkeit der Verkehrsplanung der Bundesregierung kosten, wenn sie nach Jahren mit aufwendigster
und teuerster Planung vorbereitete Investitionen plötzlich einfach fallen lässt. So geschehen mit der Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin,
({12})
mit der Neubaustrecke von Nürnberg nach Erfurt, wobei
letztere sogar eine transeuropäische Magistrale ist, also
eigentlich der nationalen Entscheidungskompetenz
längst entzogen sein müsste. Man stelle sich vor, bereits
Hunderte von Millionen DM sind für diese Planungen
und für die Vorbereitung dieser Projekte aufgewendet
worden. Alles für die Katz, sagt die Bundesregierung
jetzt, wenn sie diese Projekte nicht mehr weiterverfolgen
will.
Andererseits will sie aber die DB beispielsweise die
milliardenschweren Kostensteigerungen bei der Neubaustrecke Köln-Frankfurt und beim Bahnknoten Berlin-Mitte allein tragen lassen, wenn ich die Äußerungen
richtig verstanden habe. Auch das ist ein Risiko, das die
Zahlungsunfähigkeit der Bahn provozieren kann.
Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrsminister kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. Er wusste um die Risiken der Kostenschätzungen
und der Bund ist Eigentümer der Bahn; er ist also nicht
irgendjemand, er ist deshalb auch den Mitarbeitern der
Bahn gegenüber kein unbeteiligter Zuschauer, sondern
ist ihnen gegenüber zu vernünftiger Fürsorge verpflichtet.
Ich habe viel Verständnis für die Personalvertretungen der Eisenbahner, die sich jetzt öffentlich gegen die
Gefahr betriebsbedingter Kündigungen zur Wehr setzen.
Das ist übrigens eine Form von Kündigung, die zu unserer Zeit eigentlich nie in Erwägung gezogen werden
musste.
Das wirksamste Mittel gegen den Abbau von Arbeitsplätzen sind Investitionen in die Bahn, zum Beispiel
ins Netz, aber auch ins rollende Material; im Güterverkehr - das will ich nur kurz andeuten - mutet der technische Standard ja teilweise vorsintflutlich an.
Wenn aber die Bundesregierung heute mit dem Argument, die künftigen Generationen nicht belasten zu
wollen, bei den Investitionen auf dem Verkehrssektor
spart, so belastet sie in Wirklichkeit die nachfolgenden
Generationen. Sie halst ihnen nämlich auch Altlasten
aus den unterbliebenen Investitionen der Vergangenheit
auf. Hier wird also das Sparen von heute zur Hypothek
von morgen. Ob die Bahn diese Hypothek tragen kann,
daran habe ich meine großen Zweifel.
Es gibt vieles zu tun, meine Damen und Herren, wenn
man die Situation der Bahn verbessern will. Herr
Mehdorn liegt beispielsweise richtig, wenn er darangeht,
den bestehenden Tarifwirrwarr abzuschaffen. Es muss
sicher auch darüber geredet werden, ob weiterhin leere
Züge durch die Gegend fahren sollen oder ob dafür nicht
kostengünstigere und auch umweltschonendere Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Aber das war ja bei
den Grünen bisher ein Tabuthema. Jetzt kündigt sich offenbar ein radikaler Wandel an; denn kein anderer als
der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Herr
Schmidt, hat sich zu dieser Problemlage in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ am 13. März wie
folgt geäußert:
Es nutzt doch nichts,
- so hat er gesagt wenn ich Züge anbiete, mit denen niemand fährt.
({13})
Und weiter:
Nur ein gut besetzter Zug ist ökologisch wertvoll
und nicht der Zug, der fährt, weil er fährt.
({14})
Herr Schmidt, ich gratuliere zu diesem Gesinnungswandel, nur die Crux liegt darin, dass viele Ihrer Fraktionskollegen draußen vor Ort eben ganz anders reden, als
Sie sich als Mitglied des Aufsichtsrates der Bahn mittlerweile zu äußern pflegen.
({15})
Es ist sicher richtig, das rollende Material zügig zu
modernisieren und dabei neue Techniken, zum Beispiel
die Neigetechnik, zu nutzen. Auch die Entrümpelung
des Regelwerks der Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung könnte hilfreich sein.
({16})
Hier hat die Bundesregierung Einsicht signalisiert. Sie
will uns bis zum Herbst dazu Vorschläge machen.
Im Mittelpunkt der Anstrengungen der Eisenbahn
müssen aber die Kunden stehen. Ihre Zufriedenheit, ihre
Sicherheit bei der Nutzung der Bahn sind unverzichtbare
Voraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens und
seiner Mitarbeiter. Beklagenswert ist in dem Zusammenhang beispielsweise der Zustand vieler Bahnhöfe,
vor allem auf dem flachen Land. Das können auch die
neuen Tempel an Modernität in einigen Großstädten
nicht verdecken.
({17})
- Dass Sie sich jetzt schon über Selbstverständlichkeiten
aufregen, wundert mich doch etwas.
({18})
Sie können doch nicht im Ernst widersprechen, wenn ich
sage, dass sich Bahnhöfe möglichst gut präsentieren
müssen, denn sie sollen ja eigentlich eine Einladung dazu sein, Bahn zu fahren.
({19})
Des Weiteren stehen bei vielen Nebenstrecken Sanierungsinvestitionen von erheblicher Höhe an. Hier werden jetzt Versäumnisse der Bahn aufgedeckt, die nicht
einfach den Ländern und den Gemeinden aufgedrückt
werden können. So wird das nicht laufen. Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hat dazu schon
deutlich seine Meinung gesagt. Wenn es daher demnächst auf solchen Nebenstrecken zu technisch bedingten Stilllegungen kommt, dann sind die Bundesregierung
und die Bahn und nicht die Länder und Kommunen oder
sonst wer dafür verantwortlich. Die Führung der Bahn
sollte sich nicht täuschen: Der Kunde, der sich erst ins
Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen,
verzichtet womöglich ganz auf die Bahn.
({20})
Im Übrigen möchte ich anmahnen, dass die Führung
der Bahn in diesem Zusammenhang dafür sorgen muss,
dass nicht mit verschiedenen Zungen gesprochen wird.
In meinem Wahlkreis ist es nämlich passiert, dass vor
kurzem der Stadt Bad Kissingen die großzügigsten Zusagen hinsichtlich des künftigen Verkehrs auf den dortigen Schienenverbindungen gegeben worden sind. Neue
Interregio-Verbindungen sind zugesagt worden, Kurswagen sollen wieder nach Bad Kissingen fahren, ein
Taktverkehr mit neuen Zuggarnituren wurde offenbar
versprochen, während zur gleichen Zeit der Vorstandsvorsitzende Mehdorn rigorose Einsparungen gerade
beim Interregio-Netz und auf Nebenstrecken ankündigt.
Deshalb ist der Vorstand der Bahn aufzufordern, dass er
sich klar zu seinen Absichten hinsichtlich der einzelnen
Strecken äußert. Dabei muss er allerdings die nach wie
vor bestehende Verantwortung gegenüber der betroffenen Bevölkerung beachten.
Auch der Bundesverkehrsminister muss sich davor
hüten, die öffentliche Ankündigung seines Wunschvorstandsvorsitzenden populistisch für im „Einzelfall nicht
maßgeblich“ zu erklären. Es könnte nämlich sein, Herr
Minister, dass Sie dann - wie gelegentlich schon geschehen - zurückrudern müssen, weil Sie der Bahn für
die Konsequenzen Ihrer Haltung gegenüber der Bahn
keine Hilfe anbieten können. Es kann natürlich nicht
sein, dass Sie die Bahn daran hindern, das Notwendige
zu tun, aber den Ausfall, der damit verbunden ist, nicht
ersetzen.
Mein Fazit: Auf die Verkehrspolitik kommen arbeitsreiche Zeiten zu. Es wird viel Mühe bereiten, Klarheit in
die Verkehrspolitik der Regierung zu bringen
({21})
und der Bahn eine gesicherte Zukunft zu geben. Wir
werden uns - das darf ich heute für die CDU/CSU ankündigen - regelmäßig und intensiv mit den damit zusammenhängenden Fragen und Problemen beschäftigen.
Die heutige Debatte ist nach unserem Verständnis nur
ein erster und - das hoffen wir sehr - in einzelnen Punkten nicht vergeblicher Schritt dazu.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich hatte gehofft, dass wir die heutige
Debatte dazu nutzen könnten, die Konfliktverschärfung
zwischen GdED und Bahn etwas zu mildern. Aber, Herr
Lintner, mit den von Ihnen hier vorgetragenen Vorwürfen gegen die Bundesregierung hinsichtlich Versäumnissen und anderen Dingen, die die Bundesregierung zu
verantworten habe, haben Sie natürlich die Chance verpasst, die Schärfe etwas herauszunehmen.
Sie werden auch nicht glaubwürdiger, wenn Sie unter
Krokodilstränen beklagen, dass zu wenig Mittel zur Verfügung stehen. Wir haben, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, in den letzten Wochen im Ausschuss sechs
oder acht Stunden lang über das Investitionsprogramm
und das Anti-Stau-Programm debattiert.
({0})
Sie scheinen aus den Augen verloren zu haben, dass in
diesen beiden Programmen auch Schienenprojekte enthalten sind.
({1})
Ich habe in diesen Debatten - man kann das in dem
Protokoll nachlesen - von Ihnen kaum das Wort „Bahn“
gehört. Frau Blank hat beklagt, dass die Bundesregierung im Straßenbau 4,7 Milliarden DM gestrichen
hat.
({2})
- Sie werden auch noch erwähnt, Herr Fischer.
({3})
Eine Woche später hat Herr Fischer dieses in wundersamer Weise auf 5 Milliarden DM beziffert. Der Kollege
Friedrich hat gefordert, die Vignetten-Einnahmen in
Höhe von 870 Millionen DM sofort für den Fernstraßenbau einzusetzen.
({4})
Gleichzeitig beklagen Sie, dass die Bundesregierung zu
wenig Mittel für die Schienenwege bereitstellt. Wie Sie
das alles finanzieren wollen, ist mir rätselhaft.
({5})
Anscheinend, Kolleginnen und Kollegen, verfügen Sie
über größere Innovationen bei der Geldbeschaffung.
({6})
Wir wollen diesen Weg nicht beschreiten.
Wenn Sie heute beklagen, die jetzige Bundesregierung habe die Probleme bei der Deutschen Bahn verursacht, dann scheinen Sie an Gedächtnisschwund zu leiden. Ich will einmal den Kollegen Fischer aus der großen Debatte zur Bahnreform 1993 zitieren:
Dynamik, Tatkraft, Sachverstand aus Wirtschaft
und Industrie sowie unternehmerisches Geschick
müssen sicherstellen, dass der zweite Schritt der
Bahnreform, nämlich die innere Reform, jetzt in einem mehrjährigen Prozess zu einem erfolgreichen
Unternehmensprodukt auf dem europäischen Verkehrsmarkt führt.
Das ist gut. Deshalb weiß ich auch nicht, warum
Herr Lintner in der Einführungsrede kritisiert hat,
dass wir diesen Prozess jetzt gemeinsam bestreiten wollen.
Der Kollege Fischer hat von der „inneren Reform“
gesprochen. Diese aber ist von der Bahn zu leisten und
nicht von einer Bundesregierung.
({7})
In der gleichen Debatte hat Herr Wissmann erklärt,
dass im Bundesverkehrswegeplan erstmals mehr Investitionen in die Schienenwege vorgesehen seien als in
jeden anderen Verkehrsweg. Der Ansatz, den Sie in Ihrem Antrag auf 10 Milliarden DM beziffern, war der
richtige Weg.
({8})
- So steht es in Ihrem Antrag: Investitionsmittel in Höhe
von 10 Milliarden DM sind notwendig.
({9})
- Vielleicht haben Sie Alzheimer, Herr Fischer, aber ich
trage es Ihnen nach.
Im ersten Jahr der Bahnreform, 1994, haben Sie
7,7 Milliarden DM eingestellt.
({10})
1995 waren es 9,2 Milliarden DM. A la bonne heure, Sie
haben aufgestockt.
({11})
Dann aber geht es los: 1996 waren es 7,2 Milliarden
DM, 1997 nur 6,7 Milliarden DM.
({12})
1998 haben Sie es geschafft, den selbst gewählten Ansatz von 10 Milliarden DM auf 5,7 Milliarden DM zurückzuführen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Nein.
({0})
„Rosstäuschertrick“
ist zwar für Hamburg noch akzeptabel, aber nicht für
den Deutschen Bundestag.
({0})
Von Herrn Fischer bin ich
nichts anderes gewohnt.
({0})
Wie Sie es geschafft haben, dass die Bahn wirtschaftlich nicht prosperiert, haben Sie bei der Strecke Hamburg-Berlin deutlich gemacht. Da haben Sie sich an dem
Prestigeobjekt Transrapid festgebissen. Sie haben diese
Strecke strategisch-planerisch so heruntergefahren, dass
die Bahn dort wirklich keine Erträge erwirtschaften konnte. Das wissen wir.
({1})
Das können Sie der damaligen Opposition nicht in die
Schuhe schieben. Dafür waren Sie verantwortlich.
({2})
In allen Debatten haben Sie gesagt - ich zitiere beispielhaft wieder Herrn Wissmann - :
Wir alle wissen…, dass eine Verlagerung auf die
Schiene im Nahverkehr, Güterverkehr und im Personenfernverkehr dringend geboten ist.
Was haben Sie gemacht? - Fehlanzeige! Und wenn wir
in den Ausschusssitzungen über Verkehrspolitik und
Infrastrukturpolitik diskutieren, fordern Sie immer nur
eines: mehr Geld für die Straße. Das ist der Widerspruch
in Ihrer Politik. Sie müssen doch langsam merken, dass
Ihre Glaubwürdigkeit immer weiter unter die Räder
kommt.
({3})
Diese Koalition setzt auf eine zukunftsweisende und
nachvollziehbare Verkehrspolitik. Verkehrsminister
Klimmt hat es in beispielloser Weise mit sachpolitischer
Arbeit geschafft, dass die Verkehrsinfrastruktur im
Rahmen eines Anti-Stau-Programms erstmals streng
engpassorientiert ausgebaut wird. Hierfür steht ein zusätzliches Volumen in Höhe von 7,4 Milliarden DM inklusive 2,8 Milliarden DM für die Schiene zur Verfügung. Das verdient angesichts der maroden Kassen, die
Sie von der CDU/CSU und F.D.P. uns hinterlassen haben, noch mehr Anerkennung.
({4})
Kolleginnen und Kollegen, dass die Bahn vor sehr
wichtigen Entscheidungen steht, brauche ich hier nicht
zu wiederholen. Ich hoffe aber darauf, bin mir sogar sicher, dass die Tarifpartner in Verantwortung für das gesamte Unternehmen und die Beschäftigten heute Nachmittag einen Kompromiss zustande bringen. Ich wünsche mir, dass dieser Kompromiss Arbeit sichern wird
und nicht gegen Arbeitsplätze gerichtet sein wird.
Am Ende möchte ich noch einmal an alle appellieren:
Die Ziele dieser Bahnreform, die von uns gemeinsam in
breitem Konsens festgelegt wurden, dürfen nicht durch
fadenscheinige Polemik oder überzogene Anträge gefährdet werden. Bei einem Scheitern dieser Bahnreform
wird es keine Gewinner geben. Das sollten wir uns alle
merken.
Schönen Dank.
({5})
Ich möchte dem
Kollegen Fischer sagen, dass ich den Begriff „Rosstäuschertrick“ nicht für parlamentarisch halte.
({0})
Wir müssen bei gegenseitigen Beschuldigungen ein wenig aufpassen, zumal er es wiederholt hat. Nun ist das
aber erledigt.
({1})
Jetzt hat das Wort der Kollege Horst Friedrich,
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatten zur Bahnreform, auch die heutige, wie sie
bis jetzt geführt wurde, zeigen, dass das eigentliche
Problem hier im Hause noch nicht abschließend diskutiert worden ist. Es geht um die Fragen: Was für eine
Bahn wollen wir tatsächlich? Was haben wir mit den
bisherigen Schritten der Bahnreform erreicht? Wohin
soll die Bahnreform tatsächlich führen? Bisher höre ich
nur davon, dass Auswirkungen auskuriert werden sollen.
Das ist aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems.
Ich habe den Eindruck, dass trotz der Bahnreform einige immer noch glauben, es hätte sich bei der Bahn nur
das Türschild geändert, indem aus der Deutschen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG wurde, aber ansonsten
eben nichts. Das gilt für das Hineinreden in unternehmerische Entscheidungen der Bahn genauso wie umgekehrt
für das Agieren der Bahn. Sie redet von Marktwirtschaft nur dort, wo es ihr nützt, aber da, wo es ihr schadet, will sie nichts davon wissen. Sie macht zum Beispiel alles, um Wettbewerb zu verhindern.
({0})
Das ist die entscheidende Frage und das eigentlich ungelöste Problem.
Es nützt dann auch nicht, darauf hinzuweisen, wie der
Kollege Lintner, dass die Bahn steuerlich benachteiligt
werde. Dieses Problem hätten wir, wenn wir es politisch
gewollt hätten, auch lösen können. Genauso scheinheilig
ist es, wenn uns das Rot-Grün zum Vorwurf macht.
Wenn Sie schon wissen, dass das so ist, dann kann man
die Bahn doch nicht noch zusätzlich mit Ökosteuer und
den Kosten für den Bundesgrenzschutz belasten.
({1})
Man sollte sich schon überlegen, mit welchem Maßstab
man sich gegenseitig misst und wohin das alles laufen
soll.
Das wird auch nicht dadurch besser, dass der Verkehrsminister immer ein entschiedenes „Sowohl - als
auch“ in Bezug auf die Bahn vertritt, und zwar öffentlich. Er sagt, Mehdorn habe den Auftrag - immerhin der
dritte Vorstandsvorsitzende seit In-Kraft-Treten der
Bahnreform -, die Bahn börsenfähig zu machen. Das
würde ja bedeuten, dass der Zusatz „AG“ tatsächlich im
wahrsten Sinne des Wortes verstanden wird und der
Bund als Alleineigentümer der Aktiengesellschaft, wann
auch immer, einmal ausscheidet. Herr Klimmt kann sich
auch vorstellen, dass das Konsequenzen für das Personal
hat, sagt aber gleichzeitig: Betriebsbedingte Kündigungen darf es nicht geben.
Er verschweigt dabei, dass er die Frage offen lässt,
was denn mit der Differenz gegenüber den Mehdorn’schen Planungen von schätzungsweise 1 Milliarde DM wohlgemerkt: jährlich - passieren soll. Will er die Herrn
Mehdorn dann zusätzlich zur Verfügung stellen? Oder
soll sich das dort von ihm schon prognostizierte Defizit
weiter aufbauen? Herr Mehdorn sagt sehr berechtigt und
aus meiner Sicht nachvollziehbar: Wenn sich bei der
Bahn nichts ändert, haben wir bis 2003 im Betriebsergebnis eine neue Verschuldensdimension von 13 Milliarden DM, wohlgemerkt: neue Schulden in Höhe von
20 Milliarden DM nach der Bahnreform. Das würde das
Ende des Eigenkapitalanteils in der AG und konsequenterweise den Gang zum Konkursrichter bedeuten.
Da bleibt Herr Klimmt die Antwort allerdings schuldig. Er hofft mittlerweile auf die Vernunft der Tarifpartner. Auf die hoffe auch ich. Wenn man aber das Wohl
des Unternehmens als Ganzes im Auge haben will, muss
man wenigstens einmal nachdenken und Ursachenforschung betreiben dürfen, was tatsächlich Grundlage der
Situation ist.
({2})
Nun komme ich zu dem für uns eigentlich entscheidenden Faktor, nämlich: Was macht die Bahn tatsächlich mit dem Wettbewerb auf der Schiene? - Das von
uns als Liberale schon bei der ersten Bahnreform vorgeschlagene Herauslösen der Netz AG aus dem Verbund
der Bahn ist auch unter Mithilfe der Sozialdemokraten
über den Bundesrat verhindert worden. Offiziell haben
wir den diskriminierungsfreien Zugang Dritter zum
Schienenweg. Es wird auch immer das Märchen erzählt,
es gebe schließlich schon 130 Wettbewerbsunternehmen. Dass die tatsächlich sage und schreibe nur
3 Prozent des kompletten Schienenverkehrs bewältigen,
wird stets klammheimlich vergessen. Nur: Ob ich mit
100 Prozent oder mit 97 Prozent Monopolist bin, ist relativ unbedeutend.
Wenn die Bahn tatsächlich in den Wettbewerb muss das wird sie demnächst über eine EU-Richtlinie müssen -, macht es Sinn, die Netz AG aus dem Verbund der
Bahn AG herauszulösen. Das ist Inhalt unseres Antrags.
Wir sind der Meinung: Nur so ist für die Bahn der Weg
in die Zukunft geebnet. Alles andere ist der Schritt zurück zur Staatsbahn. Und das bedeutet das Ende der Finanzierungsmöglichkeiten der Bahn durch uns. Das
muss man sich überlegen.
Ich wäre dankbar, wenn sich der Verkehrsausschuss
bei den anschließenden Beratungen auf eine gemeinsame Anhörung zu dieser Thematik einigen könnte.
({3})
Ich hoffe auf Unterstützung von allen Seiten und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestatten Sie mir, bevor ich zum Thema spreche, eine kleine persönliche Anmerkung. Ich habe heute
Vormittag mit Bestürzung und mit tiefer Betroffenheit
erfahren, dass unser Kollege Gert Willner, der jahrelang
mit uns im Ausschuss zusammengearbeitet hat, leider an
den Folgen seiner schweren Erkrankung verstorben ist.
Für meine Fraktion, aber auch für mich ganz persönlich
möchte ich sagen: Wir verlieren mit ihm nicht nur einen
sehr kompetenten, sehr fairen, auch im Umgangston sehr
feinen Kollegen, sondern auch einen sehr liebenswürdigen Menschen. Das möchte ich in dieser Runde gesagt
haben. Ich möchte allen Angehörigen unsere große Anteilnahme aussprechen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Bahn
AG befindet sich im Moment in einer kritischen Situation. Die Kosten auf den Großbaustellen explodieren. Jahrelang - das ist die Folge schlechter Verträge von früher - wurden Investitionen in das Nahverkehrsnetz
versäumt und verschleppt. Die Folgen sind zu besichtigen.
({1})
Bezüglich der Produktivität des Unternehmens hat
es zwar erhebliche Fortschritte gegeben, auch und gerade mit Beteiligung und unter großen Anstrengungen der
Belegschaft und des Betriebsrates. Sie hat aber immer
noch nicht das überlebensnotwendige Niveau erreicht.
Schließlich werden die Zuwendungen der Bundesregierung für die Altlastenbewältigung der Reichsbahn, die
von vornherein degressiv angelegt waren, im Laufe der
nächsten Jahre über kurz oder lang gegen Null zurückgefahren werden.
Dies alles rechtfertigt durchaus, die Zukunft der Bahn
offensiv zum Thema zu machen, sei es von der Unternehmensführung, sei es von der Politik. Nur: Die ganze
Horst Friedrich ({2})
Debatte um die Bahn konzentriert sich mir zu stark auf
die Kostensenkungen; von Umsatzsteigerungen - auf
Deutsch gesagt: wie wir mehr Geschäft ins Unternehmen bringen können - ist dagegen kaum die Rede.
({3})
Ich möchte noch etwas zum Stichwort Börsengang
sagen: Der Börsengang des Unternehmens ist kein
Selbstzweck. Das Ziel der Bahnreform war in erster Linie, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Das soll
so bleiben. Nur, dazu brauchen wir ein gesundes, ein saniertes und kapitalmarktfähiges Unternehmen. Aber das
ist die Reihenfolge der Zielsetzung: Den verkehrspolitischen Zielen haben sich die wirtschaftspolitischen
Schritte unterzuordnen.
Immer dann, wenn von Visionen oder Zukunftskonzepten die Rede ist, hat das für meinen Geschmack zu
sehr den Charakter einer metropolenfixierten Konzeption. Dabei wird übersehen, dass 90 Prozent des Fahrgastaufkommens auf den Nahverkehr entfallen. Das ist
das wirtschaftliche und verkehrliche Standbein des Unternehmens. Dort wird 60 Prozent des Umsatzes gemacht. Das ist auch der Bereich, in dem täglich Millionen von Menschen unterwegs sind. Deswegen müssen
wir die Aufmerksamkeit viel stärker auf diesen Bereich
richten.
({4})
Ich möchte noch eines für meine Fraktion sagen denn dieses Thema ist in den letzten Wochen im Zusammenhang mit den Regionalisierungsplänen für Nebennetze durch die Landschaft gegeistert -: Der Nahverkehr kann und darf nicht zum Steinbruch undifferenzierter Einsparungen gemacht werden. Der Nahverkehr
ist nicht nur ein Standbein, er ist in vielen Bereichen,
vor allem auch in den ländlichen Regionen, das Rückgrat für die Mobilität. Eine Schrumpfbahn - eine Bahn
mit einem weit gehenden Rückzug aus der Fläche kommt für Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage.
({5})
Wir sind allerdings der Meinung, dass mit innovativen Konzepten durchaus auch in der Fläche ein attraktives und wirtschaftliches Zugangebot gesichert und ausgebaut werden kann. Dazu möchte ich Ihnen gerne einige Anregungen geben: Der Ansatz, der sich unter der
Überschrift „Regent“ verbirgt, nämlich die Regionalisierung von Teilnetzen, von Nebenstrecken - sozusagen
mittelständische Produktionsstrukturen im Unternehmen
zu schaffen -, weist nach unserer Einschätzung durchaus
in die richtige Richtung. Denn selbstverständlich kann
das Nahverkehrsangebot - bis hin zur Bewirtschaftung
von Strecken - dezentral, mittelständisch und bürgernah
viel exakter, viel effizienter und viel kostengünstiger
gestaltet werden. Der Regionalisierungsgedanke, der ja
bei der Bestellung von Zügen umgesetzt worden ist dies wird ja bekanntlich nicht von Berlin oder Frankfurt
aus getan, sondern das haben die Länder oder die
Zweckverbände zu verantworten -, kann selbstverständlich weiter gedacht und auf die Nebenbahnen und Nebenstrecken in den peripheren Netzen ausgedehnt werden. Hier gibt es sehr wohl Effizienzpotenziale und Synergieeffekte. Das ist nicht Theorie oder Ideologie, sondern gründet sich auf Erfahrung.
({6})
- Das ist der Knackpunkt, Herr Kollege; keine Sorge,
darauf komme ich gleich.
Diese Erfahrung haben wir überall dort gemacht, wo
das einmal ausprobiert worden ist, zum Beispiel bei der
Usedomer Bäderbahn, einer hundertprozentigen DBTochter, die vor Ort wie ein mittelständisches Unternehmen agiert und dabei sehr erfolgreich ist.
({7})
Das gilt aber auch für zahlreiche kommunale Bahnen,
die Dürener Kreisbahn, die Albtalbahn, aber auch für
Privatbahnen wie die Württembergische Eisenbahngesellschaft, die Schönbuchbahn usw.
Es gibt also durchaus zukunftsweisende Ideen. Nur,
die Kernfrage ist - da sind wir beim entscheidenden
Punkt, Herr Kollege Oswald -: Wie schaut es mit der
Finanzierung der Strecken aus, die sanierungsbedürftig
sind? Oder andersherum ausgedrückt: Es kann doch
niemand im Ernst glauben, dass man den Kommunen
oder den Ländern den Schrott vor die Füße kippen kann
und die dann dafür zahlen. Das wird nicht gehen.
({8})
Ich sage Ihnen: Die Sicherung der Finanzierung eines
solchen Konzeptes ist die zentrale Bedingung für den
Erfolg. Das kann nur so gehen, dass wir gemeinsam dafür sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen - auch in
den Bundesländern muss man genau mitdenken -, dass
die 20 Prozent, die das Bundesschienenwegeausbaugesetz als den Anteil festschreibt, der in Nahverkehrsprojekte fließen soll, auch tatsächlich in diesem Bereich
ankommen.
({9})
Das ist bisher nicht annähernd der Fall gewesen, weil
dieses Geld bisher nur als zinsloses Darlehen gewährt
wurde, mit dem Ergebnis, dass die Bahn das Darlehen
nicht in Anspruch genommen hat, weil sie sagt: Auf einer Strecke, in deren Verlauf eine Brücke Kosten mit einem Kostenaufwand von vielleicht 12 Millionen DM
saniert werden muss, fahren wir angesichts der paar Züge täglich das Geld doch nie mehr ein.
Deshalb schlage ich vor, dass diese Investitionen
künftig wie bei den Bedarfsplanprojekten und wie auch
bei den Fernprojekten in Form von Baukostenzuschüssen gewährt werden. Dann gibt es eine völlig
Albert Schmidt ({10})
andere Finanzierungslage: Die Strecken werden nicht
mehr totgerechnet, sondern wirklich angepackt. Darin
muss doch unser gemeinsames Interesse bestehen. Jetzt können Sie, Herr Oswald, auch klatschen. Sie wollten doch die Finanzierungsfrage beantwortet haben.
({11})
Es gibt eine Reihe weiterer Bedingungen, die ich jetzt
im Einzelnen nicht ansprechen kann. Ich möchte nur
noch einen Gedanken ausführen: Die Bahn braucht in
der jetzigen schwierigen Phase politischen Flankenschutz. Nach meiner Meinung ist es scheinheilig, wenn
ausgerechnet diejenigen, die 16 Jahre Zeit dazu gehabt
hätten, die steuerliche Gleichstellung der Deutschen
Bahn mit anderen europäischen Eisenbahnen fordern.
Sie haben ja in der Sache Recht. Aber warum um Himmels willen haben Sie das, was Sie jetzt von uns verlangen, in all den Jahren Ihrer Regierung nicht getan?
({12})
Der realistische Zeitpunkt, um solche Forderungen zu
erheben, ist dann gekommen, wenn im Verkehrsbereich
zusätzliche Staatseinnahmen in Milliardenhöhe generiert
werden, nämlich durch die LKW-Maut, die Schwerverkehrsabgabe, ab 2003. Erst ab diesem Zeitpunkt kann
nach meiner Meinung ernsthaft über eine steuerliche
Entlastung der Deutschen Bahn AG im Sinne einer
Gleichstellung mit allen anderen europäischen Bahnen
bezüglich Mehrwertsteuer und bezüglich Mineralölsteuer geredet und entschieden werden. Das ist unser Vorschlag.
({13})
Der Kollege Dr.
Winfried Wolf von der PDS-Fraktion hat seine Rede zu
Protokoll gegeben.*) Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall.
Ich erteile jetzt das Wort dem Verkehrsminister
Reinhard Klimmt.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute finden Verhandlungen zwi-
schen dem Bahnvorstand und den Gewerkschaften statt
über die Weiterentwicklung der inneren Strukturen
der Bahn, über Arbeitsorganisation und auch über die
sensible Frage der Entlohnung. Dass die Tarifpartner
darüber entscheiden, ist richtig. Wir haben diese Ver-
antwortlichkeiten bewusst so geregelt, damit die Zeiten
der Behördenbahn vorbei sind, in denen immer von oben
Leitlinien vorgegeben wurden, mit denen gleichzeitig
auch finanzielle Verpflichtungen verbunden waren.
Die Bahnreform, die eine wirtschaftliche Zuordnung
gebracht hat, haben alle in diesem Hause gewollt. Sie
___________
*) Anlage 2
hat bisher - das ist unsere Bilanz - Licht und Schatten
mit sich gebracht. Das Ziel muss es sein - das wird es
auch bleiben -, bis zum Jahre 2003 die Wirtschaftlichkeit der Bahn herzustellen. Ich möchte deutlich sagen:
Der Begriff „Börsenfähigkeit“, der immer wieder angeführt wird, bedeutet nicht, dass der Börsengang auch tatsächlich erfolgt. Mit diesem Begriff soll nur unser Interesse daran dokumentiert werden, dass die Bahn auf eigenen Füßen stehen kann und in der Lage ist, aus eigener Kraft positive wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen.
({0})
Das Engagement des Bundes, diesen Weg zu flankieren, ist ungebrochen. Ich möchte daran erinnern, dass
wir allein im Rahmen des diesjährigen Haushalts
14 Milliarden DM an das Eisenbahnvermögen überweisen, damit Strukturschwächen und Strukturfehler der
Vergangenheit ausgeglichen werden können. Für die
Regionalisierung werden jedes Jahr 13 Milliarden DM
überwiesen, mit steigender Tendenz. Aber das sind nicht
die einzigen Bahnprobleme, an deren Lösung wir uns finanziell beteiligen. Wir sind auch im investiven Bereich
bemüht, der Bahn zu helfen, genauso wie in vielen anderen Bereichen.
({1})
Insofern können wir zu Recht sagen, dass wir die Interessen der Bahn als ein Teil unserer Verkehrsinfrastruktur und gleichzeitig auch die Interessen der dort beschäftigten Menschen sehr wohl im Auge behalten.
({2})
Dennoch dürfen die Interessen nicht so definiert werden,
dass wir vonseiten des Bundes praktisch jede auftretende
Schwierigkeit bewältigen müssen. Auch diejenigen, die
bei der Deutschen Bahn Verantwortung haben, müssen
unbequeme Probleme lösen. Deswegen werden die jetzigen Verhandlungen schwierig sein.
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der vorhin kritisch angemerkt worden ist. Die Bahn hat bis dato den
schwierigen Prozess des Abbaus von Personal vollzogen. Da ist sehr viel gemacht worden. Aber es ist nach
dem Prinzip gemacht worden, nicht mit betriebsbedingten Kündigungen zu arbeiten. Ich sage noch einmal meine Meinung zu diesem Punkt: Dabei soll es bleiben. Es
muss ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich sein.
({3})
Wir sind uns darüber einig, was die Bahn braucht. Sie
braucht wirtschaftliche Strukturen, die es uns ermöglichen, dass wir uns irgendwann nicht mehr nur über Personalabbau unterhalten, sondern endlich einmal wieder
darüber reden, wie es zum Beispiel bei den Informationstechnologien der Fall ist, dass wir wieder Personal
brauchen. Das ist das eigentliche Ziel unserer Arbeit.
Hier können und müssen wir Fortschritte erwarten.
Albert Schmidt ({4})
({5})
In den Anträgen sind dazu viele wichtige und hilfreiche
Argumente genannt worden. Um das genannte Ziel zu
erreichen, brauchen wir auch den europäischen Bereich. Die Bahn muss über Grenzen hinweg operieren
können. Hier muss noch vieles geschehen. Wir arbeiten
daran.
Auch sind wir der Meinung, dass die Infrastruktur
verbessert werden muss, nicht nur für den Fernverkehr,
sondern auch für den Nahverkehrsbereich. Dies werden
wir ungeachtet knapper Kassen im Rahmen unserer
Möglichkeiten mit großem Engagement begleiten.
Selbstverständlich braucht die Bahn auch organisatorische Flexibilität. Es ist wichtig, dass wir, wenn es
um die Region geht, auch das Argument Mittelstand Herr Albert Schmidt hat es schon ausführlicher erläutert - mit in die konzeptionellen Überlegungen einbauen. Auf diese Weise ist es meines Erachtens möglich,
dem Ziel der Wirtschaftlichkeit und einer umfassenden
Infrastruktur für die Bahn wieder ein Stück näher zu
kommen.
Auch die Partner, die jetzt miteinander am Tisch sitzen, müssen wissen, dass die Bahn ein sensibler Organismus ist. Sie ist kein kraftstrotzendes Aggregat, auf
dem man sich nach Belieben hin- und herbewegen könnte. Deswegen muss bei den Verhandlungen vonseiten
des Vorstandes, aber auch vonseiten der Gewerkschaften
Kompromissfähigkeit gezeigt werden. Diese Kompromissfähigkeit war mit ein Grund dafür, dass es im Rahmen der Bahnreform vorangegangen ist. Sie wird uns
auch jetzt helfen weiterzukommen.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, bitten, dass Sie zumindest zu dem Grundwillen, voranzukommen, dadurch beitragen, dass Sie
ehrlich anerkennen, was wir von Ihnen an Problemen
haben übernehmen müssen. Herr Friedrich hat es dankenswerterweise schon gesagt; auch er saß mit im Boot.
Wenn Sie begreifen, dass wir jetzt die Fehler auszubaden haben, die Sie mitverursacht haben, und gleichzeitig
bereit sind, selbst mit anzupacken und mitzuhelfen, dann
bin ich sicher, dass die heutige Woche wie auch die weiteren Wochen und Monate, die uns zur Lösung der Probleme bleiben, unser Vorhaben zu einem positiven Ende
führen werden.
Vielen Dank.
({6})
Jetzt hat die Kollegin Karin Rehbock-Zureich, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute
eine wichtige Diskussion auf der Tagesordnung. Sie haben dazu Anträge eingebracht nach dem Motto: Was interessiert mich heute mein Handeln von gestern?
({0})
Die Anträge, die Sie hier eingebracht haben, wären sehr
viel hilfreicher gewesen,
({1})
wenn Sie in den vergangenen Jahren, als Sie in der Regierung Verantwortung hatten, Teile davon angegangen
wären. Dann hätten wir die heutige Situation weder bei
der Bahn noch in unseren Haushalten.
({2})
Warum haben Sie es denn versäumt, auf europäischer
Ebene Harmonisierung und Liberalisierung in Übereinstimmung zu bringen? Der Bundesregierung ist es
Gott sei Dank gelungen, mit Frankreich erste Ansätze im
Bereich des Güterverkehrs in Gang zu setzen, sodass
hier die Öffnung der Märkte in Zukunft stattfinden kann.
Hier gibt es also ein Versäumnis, das Sie zu vertreten
haben.
Sie beklagen die Rahmenbedingungen der Politik.
Wer hat denn in den vergangenen 16 Jahren diese Rahmenbedingungen als Grundlage der Situation, die wir
heute haben, geschaffen? Sie tragen dafür seit der Bahnreform 1993 die Verantwortung.
({3})
Unbestreitbar ist sicherlich, dass auch die Bahn ihre
Hausaufgaben machen muss. Wir benötigen attraktive
Angebote vor allen Dingen für die Fläche. Als Aktiengesellschaft muss die Bahn wirtschaftlich operieren und
gleichzeitig weiterhin ihr Zugpferd, die Fläche, bedienen.
({4})
Die Bahn hat in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass mit Großprojekten begonnen worden
ist, deren Finanzierung in keiner Weise wirtschaftlich
durchgerechnet war.
({5})
Die Bahn leidet heute somit auch unter dem Milliardendefizit, das zum Beispiel durch Großprojekte im Raum
Köln und im Verkehrsknotenpunkt Berlin entstanden ist.
Ich erinnere nur an die Luftnummer Transrapid, den Sie
während Ihrer Regierungszeit immer als wirtschaftlich
bezeichnet haben.
({6})
Es bringt uns jedoch nicht weiter - ich bedaure den
gegenwärtigen Stand der Diskussion -, wenn wir in aller
Aufgeregtheit gegeneinander reden. Deshalb sollten wir
versuchen, die Rahmenbedingungen für die Bahn gemeinsam zu schaffen, und die Bahn konstruktiv begleiten. Bahnchef Mehdorn hat damit begonnen - Gott sei
Dank, kann man nur sagen - eine ehrliche Bilanz vorzulegen, die auch die Defizite ausweist.
Sofern es um die Belange der Beschäftigten geht,
wird die Bahnreform nur dann eine positive Entwicklung nehmen, wenn neue Konzeptionen und Entwicklungen gemeinsam mit den Gewerkschaften angedacht
werden. Sie wird nur dann positiv und sinnvoll sein,
wenn wir gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für
den Regionalverkehr, für den Verkehr in der Fläche
entwickeln. Denn eines ist uns allen - über die Parteigrenzen hinweg - klar: Die Strukturen der Bahn müssen
verändert werden. Ich möchte Sie auffordern, diese Reform gemeinsam mit der Bahn und mit uns in der Regierungsverantwortung positiv zu begleiten.
Ich begrüße es, dass Herr Mehdorn immer deutlich
gemacht hat, dass es ihm wichtig ist, den Verkehr in der
Fläche zu erhalten, dafür zu sorgen, dass Regionalverkehr nicht ausgedünnt wird. Gleichzeitig will er die
Wirtschaftlichkeit der Bahn steigern. Diese Quadratur
des Kreises muss von uns begleitet werden.
Hinsichtlich der Rahmenbedingungen möchte ich
noch einmal darauf hinweisen, dass wir als Regierungskoalition zum Beispiel im Engpassbeseitigungsprogramm damit begonnen haben, die Bahn mit Mitteln in
einer Größenordnung von zusätzlich 2,8 Milliarden DM
zu unterstützen. Sie haben nie ein Programm in dieser
Größenordnung zusätzlich zu den im Haushalt verbuchten Mitteln aufgelegt. Wir sind hier auf dem richtigen
Weg.
({7})
Wir haben ferner ein Investitionsprogramm aufgelegt, in dem die westlichen Bundesländer die Mittel für
die Bahn bei 55 Prozent festgeschrieben haben. Auch
dies ist eine Hilfe für die Bahn auf dem Weg zu sicheren
Finanzen. Wenn auch Sie die Bahn begleiten wollen,
sollten Sie daran denken, dass Sie nur mit uns gemeinsam etwas zustande bringen werden. Wir haben 1993 die
Bahnreform gemeinsam - Regierung, Opposition und
Gewerkschaften - auf den Weg gebracht. Wer ein wirkliches Interesse an der Weiterentwicklung der Bahn hat
und nicht nur Showanträge stellt, wird auch in Zukunft
konstruktiv hieran mitarbeiten. Dazu kann ich Sie nur
auffordern.
Herrn Friedrich möchte ich noch sagen, dass wir eine
Zerschlagung der Bahn, wie Ihr Antrag sie festschreibt,
nie angedacht haben.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/2691 und 14/2781 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Jährliche Vorlage einer Generationenbilanz
und Aufnahme der Daten in die Haushaltsstatistik des Bundes
- Drucksache 14/1758 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Generationengerechtigkeit setzt Fairness bei der Belastung jeder einzelnen Generation voraus. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes schrumpft unsere Bevölkerung und wird deutlich älter. Wenn heute noch 22 Prozent der Bevölkerung
über 60 Jahre alt sind, so werden es im Jahr 2040 bereits
37 Prozent sein. Sind heute noch 21 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahre alt, werden es im Jahr 2040
15 Prozent sein. Bis 2030 wird sich die Zahl der Rentner
von jetzt 13,7 Millionen auf 17,6 Millionen erhöhen,
während auf der anderen Seite die Zahl der Erwerbspersonen von jetzt 33 Millionen auf 29 Millionen zurückgehen wird.
Die Generationenbilanz, die wir Ihnen heute hier vorschlagen, soll die Toleranz zwischen den Generationen verbessern und die Möglichkeit schaffen, der Politik
eine Entscheidungsgrundlage für zukünftige, wegweisende Schritte in der Sozial- und Finanzpolitik zu geben.
Die älteren Menschen in diesem Land haben den
Wohlstand und die soziale Sicherung, die wir hier haben, erarbeitet. Sie haben aber der jüngeren Generation
auch eine Hypothek in Form von Staatsverschuldung,
unverbrieften Schulden oder auch ökologischen Folgeschäden der politischen Entscheidungen der Vergangenheit mit auf den Weg gegeben.
Die Bundesbank hat festgestellt, dass jeder noch nicht
geborene Jahrgang nach 1996 mit 149 Prozent höheren
Zahlungen an den Staat belastet werden wird als die
1996 Geborenen. Ein männlicher Deutscher, der 1996
geboren ist, wird im Verlauf seines Lebens mit einer
Nettobelastung von 400 000 DM rechnen können. Das
ist der Gegenwert einer Doppelhaushälfte, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
Insgesamt wurden 1996 in Deutschland 47 902 Jungen geboren. Sie werden mit der Summe von
19 Milliarden 160 Millionen und 800 Tausend Mark
mehr belastet, als sie selber aus den staatlichen Kassen
beziehen werden. Davon könnte man eine mittlere
Kleinstadt bauen.
Wir brauchen eine Kursänderung in der Finanzund Sozialpolitik und müssen wegkommen von der Gefälligkeitspolitik mit dem kurzfristigen Ziel, nur Wählerinnen und Wähler bei einer bevorstehenden Wahl zu
befriedigen. Wir müssen die Konsequenzen unserer politischen Entscheidungen für nachfolgende Generationen
wesentlich mehr im Blick haben, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({0})
Im Privatleben kann man eine überschuldete Erbschaft ausschlagen. Kommenden Generationen ist es
nicht möglich, dies zu tun. Sie müssen mit der Staatsverschuldung, sie müssen mit den umlagefinanzierten Sicherungssystemen, sie müssen mit der ökologischen Belastung und vielem anderen - auch mit vielleicht noch gar nicht absehbaren Problemen - in Zukunft
leben.
Bereits in der 13. Wahlperiode dieses Bundestages
hat der Generalsekretär der F.D.P., Guido Westerwelle,
in der Koalitionsrunde versucht, die Einführung einer
Generationenbilanz durchzusetzen. Das ist damals am
Einspruch der CDU/CSU gescheitert.
In der Sitzung des Deutschen Bundestages am
30. September 1999 sagte Kollegin Birgit SchnieberJastram - ich zitiere -:
Legen Sie diesem Hause regelmäßig eine Generationenbilanz vor!
Mithilfe dieser Generationenbilanz können Sie die
Belastung der heutigen Generation und der nachfolgenden Generationen miteinander vergleichen.
An dem Ergebnis der Generationenbilanz müssen
Sie sich messen lassen. Daran wird erkennbar, ob
Sie einen Kurs steuern, der zu mehr Gerechtigkeit
zwischen den Generationen führt.
Frau Schnieber-Jastram, ich freue mich, dass die Union
mittlerweile zu dem Schluss gekommen ist, dass die
Generationenbilanz ein hilfreiches Entscheidungsmittel für die Politik ist.
({1})
Ich finde es allerdings sehr schade, dass Sie sie in einen
umfassenderen Antrag zur Rentenpolitik eingebettet haben, der aller Voraussicht nach in diesem Hause keine
Mehrheit finden wird. Aus diesem Grunde beantragt die
F.D.P.-Bundestagsfraktion die eigenständige Einführung
einer Generationenbilanz, weil diese hier durchaus
mehrheitsfähig sein müsste.
({2})
Auch Walter Riester hat in derselben Debatte Interesse
an dieser Generationenbilanz bekundet.
Auf der einen Seite werden in einer Generationenbilanz die Leistungen der älteren Generation zum Beispiel
für Infrastruktur, Bildung und Ausbildung aufgeführt.
Auf der anderen Seite wird dagegengerechnet, welche
Belastungen kommende Generationen zu erwarten haben. Ich sprach sie schon an: Verschuldung der öffentlichen Hand, Verschuldung der sozialen Sicherungssysteme, ökologische und soziale Folgelasten, die wir heute
vielleicht noch gar nicht kennen.
Die Ergebnisse einer Generationenbilanz müssen in
die Haushaltsgesetzgebung des Bundes eingeführt werden; denn nur so hat man den direkten Vergleich mit den
Haushaltszahlen des Bundes und nur so kann man erkennen, ob die Ergebnisse dieser Bilanz in konkretes politisches Handeln umgesetzt worden sind. Diese Umsetzung muss unter anderem Messlatte für die Effizienz
und den Erfolg der Politik einer Bundesregierung sein.
Sie muss sich vorhalten lassen, wenn sie Entscheidungen trifft, die kommende Generationen stärker belasten,
dass sie dies bewusst getan hat, und kann sich nicht damit herausreden, dass sie keine konkreten Datenmaterialien zur Verfügung hatte. Die Generationenbilanz ist ein
Indikator für die Zahlungsverpflichtungen, aber auch für
die Handlungsfähigkeit eines Staates, und sie soll die
Fairness für alle Generationen als zentrales Anliegen
deutscher Politik untermauern.
Walter Riester hat in der Debatte vom 30. September
1999 hier in diesem Hause gesagt:
Zunächst komme ich zu der ... Forderung ..., eine
Generationenbilanz vorzulegen. Diese Grundlinie
halte ich für spannend und wichtig. ... Gleichwohl
will ich diese Überlegung aufnehmen. Ich wäre
sehr daran interessiert, wenn wir an dieser Frage
einer Generationenbilanz arbeiten könnten.
Lieber Herr Staatssekretär, teilen Sie Herrn Riester bitte
mit, dass wir schon heute damit anfangen können.
Vielen Dank.
({3})
Nun hat die Kollegin
Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dirk
Niebel, mir kommen schier die Tränen. Sie hatten
16 Jahre lang Zeit - nicht Sie selbst, aber Ihre Fraktion -, sich in diesem Hohen Hause um Nachhaltigkeit
zu kümmern. Dass auch wir die Politik der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit als wichtiges
Ziel unserer politischen Konzepte ansehen, müsste sich
bei Ihnen herumgesprochen haben. Zur Nachhaltigkeit
in der Sozialpolitik gehört, dass wir die finanziellen Lasten nicht auf unsere Kinder abladen. Sie haben Kinder;
ich habe auch ein Kind.
Bilanzieren und Haushalten ist nie verkehrt - das
wissen Sie als Baden-Württemberger -, wenn man den
Blick für die Realität und die Bodenhaftung nicht verlieren will. Sie hatten aber, wie gesagt, 16 Jahre lang Zeit
und die Erblasten haben Sie und Ihre Fraktion uns hinterlassen.
({0})
- Frau Schnieber-Jastram, am 30. September haben Sie
den Schlüsselsatz gesagt:
Sozial gerecht ist nur das, was auch zwischen den
Generationen gerecht ist.
Diesen Satz haben Sie wohl in den 16 Jahren zuvor nie
im Kopf gehabt.
({1})
Ich finde es schön, das die F.D.P. lernfähig ist und
jetzt auch die Nachhaltigkeit entdeckt und diese mit einem Antrag zur Generationenbilanz umsetzen will. Herr
Niebel, Sie haben eben schon darauf hingewiesen, dass
wir am 30. September 1999 bereits darüber debattiert
haben. Nun haben Sie mit zeitlicher Verzögerung Ihren
Antrag eingebracht. Das kann einmal passieren; Hauptsache, Sie sind lernfähig.
Vonseiten der SPD hat Herr Kollege Kurt Bodewig,
der jetzt in neuer Funktion auf der Regierungsbank
sitzt - herzliche Gratulation -,
({2})
damals schon seine Kritik an dieser Bilanz geäußert.
Walter Riester, der sich gegenüber den Fraktionen von
F.D.P. und CDU/CSU stets sehr kooperativ, umgänglich
und freundlich verhält - manchmal denke ich sogar, zu
freundlich -,
({3})
hat in dieser Debatte ausgeführt, dass er die Aufstellung
einer Generationenbilanz für „spannend und wichtig“
halte. Er hat aber hinzugefügt - auch das können Sie im
Protokoll nachlesen -, dass Beispiele im Ausland, etwa
in den USA, gezeigt hätten, dass Generationenbilanzen
durchaus ihre Fallstricke und Tücken in der Aufstellung
und Anwendung haben.
Bevor es nun zu einer allgemeinen Rentendebatte
kommt, möche ich konkret zu Ihrem heutigen Antrag
sprechen. Sie fordern mit Ihrem Antrag eine Generationenbilanz, die zunächst einmal jährlich vorzulegen ist.
Mittels dieser Generationenbilanz sollen alle wichtigen steuer- und sozialpolitischen Reformvorhaben auf
ihre Nachhaltigkeit überprüft werden. Darüber hinaus
soll die Generationenbilanz in die offizielle Haushaltsstatistik aufgenommen werden. So weit Ihre Forderungen.
Ich muss schon sagen, Herr Niebel - Herr Kolb ist
jetzt leider nicht da -: Ich finde Ihre Kehrtwendung und
Ihre neu entdeckte Liebe zur Berichterstattung sehr verwunderlich. Wir haben in diesem Hause vor einigen
Wochen einen Antrag eingebracht, eine nationale Berichterstattung zum Thema von Armut und Reichtum
vorzunehmen. Herr Kolb von Ihrer Fraktion hat sich
damals vehement dagegen ausgesprochen, einen Armuts- und Reichtumsbericht, der schon längst überfällig
ist und Grundlagen für ein politisches Handeln bieten
soll, vorzulegen.
({4})
Ich frage mich nur: Haben Sie mehr eine Vorliebe für
Science-Fiction als für grundanständige, solide Hintergrundberichte, die politisches Handeln möglich machen?
({5})
Was ist unter dem Instrument der Generationenbilanz - das hört sich erst einmal ganz toll an; es wird in
einigen Ländern bereits angewandt - zu verstehen? Was
wird denn eigentlich bilanziert? Mit Hilfe der Generationenbilanz soll die Nachhaltigkeit der öffentlichen
Haushalte untersucht werden. Es wird versucht, die
hypothetischen Einnahmen und Ausgaben ganzer Generationen auszurechnen und denen zukünftiger Generationen gegenüberzustellen - so weit der Ansatz. Unter
diesen Voraussetzungen werden über einen Zeitraum
von - ich betone das - etwa 200 Jahren Generationenkonten gebildet, die über den Zustand der öffentlichen
Haushalte heute und in Zukunft Aufschluss geben sollen.
({6})
Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Kommen
Sie herunter vom Raumschiff Orion auf den Boden der
Realität! Sie fordern mit Ihrem Antrag nämlich ein Datenmaterial für 200 Jahre Zukunft - ein gigantischer Anspruch. Dies ist gerade von Ihrer Seite verwunderlich, da
Sie noch nicht einmal in der Lage waren, zum Beispiel
den Mangel an qualifizierten Kräften im IT-Bereich - er
war offensichtlich - zu erkennen und entsprechende politische, handwerklich saubere Konzepte vorzulegen.
({7})
Ich halte es für sehr ehrenvoll, dass Sie der SPD und der
Regierung hellseherische Fähigkeiten zutrauen. So viele
Kugeln können wir aber gar nicht bestellen, um diese
hellseherischen Fähigkeiten für 200 Jahre Prognose unter Beweis zu stellen.
Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf eine Untersuchung der Bundesbank vom November 1997. Hätten
Sie diese Untersuchung vor der Erstellung des Antrags
vollständig und ein bisschen genauer gelesen, wären Sie
in Ihrem Optimismus hinsichtlich dieser Generationenbilanz zurückhaltender. Die Bundesbank nennt in
ihrer Untersuchung einige Schwachpunkte des Konzepts, die dessen Aussagekraft erheblich einschränken.
({8})
Der Hauptkritikpunkt liegt auf der Hand: Wir haben
heute schon Schwierigkeiten, den Rentenbeitrag und das
Rentenniveau für einen Zeitraum von 30 Jahren halbwegs zuverlässig zu prognostizieren. Prognostische
Aussagen über einen Zeitraum von 200 Jahren sind mit
einer um ein Vielfaches größeren Unsicherheit behaftet.
Wer versucht, mit solchen Zahlen Politik zu machen,
handelt schlicht unseriös.
({9})
Werfen Sie nur einmal einen Blick zurück. Welche gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten 200 Jahre hätten Sie zuverlässig prognostizieren können? Ich sage
nur: Nostradamus lässt grüßen!
Nun im Einzelnen zu den Schwachpunkten des Konzepts:
Erstens. Bei den Generationenbilanzen geht es nicht
um ein realistisches Abbild der Zukunft; vielmehr werden stark vereinfachende Annahmen zugrunde gelegt,
insbesondere hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen
Wachstums und der Beschäftigung.
Zweitens. Bei der Generationenbilanz wird unterstellt, dass der Staat seine Einnahmen- und Ausgabenstruktur nicht ändert. Es werden somit solche Maßnahmen nicht berücksichtigt, die bereits beschlossen sind,
aber erst in der Zukunft wirken bzw. automatisch durchgeführt werden.
Drittens. Unsicherheiten und unvorhergesehene
Entwicklungen können von Generationenbilanzen nicht
erfasst werden. Bestes Beispiel: Die deutsche Einheit
mit ihren finanziellen Folgewirkungen wäre bei der
prognostizierten zukünftigen Finanzentwicklung unberücksichtigt geblieben.
Viertens. Die Generationenbilanz arbeitet mit unvollständigen Datenbasen. In der Regel liegen nur vergangenheitsbezogene Stichproben vor, die durch Schätzungen ergänzt werden. Es heißt, dass bei den bisher beobachteten methodischen Vorgehensweisen und Zuordnungen bei der Erstellung von Generationenbilanzen
Manipulationen Tür und Tor geöffnet sind.
Noch ein Blick über den Zaun unserer Landesgrenzen
hinweg nach Europa und darüber hinaus: Schaut man
sich bei den OECD-Staaten um, dann bestätigt sich die
These, dass die Aussagekraft von Generationenbilanzen begrenzt ist. In den meisten Staaten werden Generationenbilanzen nämlich nicht von oder im Namen der
Regierung, sondern, wenn überhaupt, auf Initiative von
Forschungsinstituten veröffentlicht und vorgelegt.
Eine Ausnahme bilden die Niederlande und Norwegen. In den Niederlanden werden Generationenbilanzen
vom staatlichen Zentralen Planungsbüro veröffentlicht.
Norwegen fügt seine Generationenbilanz dem Haushalt
bei. In diesen beiden Ländern sind die Generationenbilanzen deswegen so ausgeglichen, weil die dort vorhandenen Rohstoffreserven - Stichwort: Öl - einbezogen
werden.
In den USA, der Heimat der Generationenbilanz,
werden seit 1996 Generationenbilanzen nicht mehr als
Teil des Haushalts veröffentlicht. Die Amerikaner sind
zu dem Schluss gekommen, dass Generationenbilanzen
nicht der Weisheit letzter Schluss sind. So wurde
Kotlikoff, einer der Väter dieser Methode, als er 1994
für die Clinton-Administration Generationenbilanzen
erstellen sollte, von offizieller Seite aufgefordert, als
Annahme hinsichtlich der Fiskalpolitik zu unterstellen,
dass der Absolutwert der staatlichen Ausgaben ab dem
Jahr 2000 konstant sei.
Was hätte das bedeutet? Im Zeitverlauf hätte das
ein relatives Verschwinden der Staatstätigkeit bedeutet.
Diese Annahme kann man zwar machen - vorstellbar ist
sie -; aber sie ist, realistisch betrachtet, wenig plausibel.
Sie hätte die Zukunftsbilanzen vor allem positiver wirken lassen. Kotlikoff widersetzte sich diesem Ansinnen
mit dem Ergebnis, dass seit 1996 Generationenbilanzen
nicht mehr Teil des US-Haushalts sind.
Was kann man nun zusammenfassend dazu sagen,
was ist das Fazit? Aus wissenschaftlicher Sicht heißt
das, dass es sich bei Generationenbilanzen nicht um ein
Prognose-, sondern um ein Gedankenexperiment handelt, das ausdrücklich nicht auf Realitätsnähe angelegt
ist. Gedanken kann man zwar machen; aber ob man sie
zum Teil des Haushaltes machen sollte, daran habe ich
Zweifel. Die Vielzahl methodischer Vorgehensweisen
und Zuordnungen bei der Erstellung von Generationenbilanzen - das habe ich bereits ausgeführt - öffnet zudem Manipulationen Tür und Tor.
Schwerwiegender als alle methodischen Probleme
sind jedoch die politischen Bedenken. Die Ergebnisse
von Generationenbilanzen würden in der Öffentlichkeit
für bare Münze genommen. Mögliche Fehlschätzungen - dieses Konzept impliziert solche Fehlschätzungen - hätten einen großen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik zur Folge. Ich denke, das ist ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung von Politikverdrossenheit.
Für die politische Planung sind möglichst konkrete
Prognosen erforderlich. Das müssten auch Sie als Arbeitsmarktpolitiker wissen und daraus sollten Sie
Schlussfolgerungen ziehen. Aber eines muss, so denke
ich, erkennbar sein: der Zeitpunkt, zu dem finanzielle
Belastungen, insbesondere als Folge der demographischen Entwicklung, auf zukünftige Generationen zukommen.
Eine Generationenbilanz, wie sie bisher praktiziert
wird, leistet dies schlichtweg nicht. Ihre Ergebnisse sind
lediglich qualitativ verwertbar. Die Grundidee - ich
glaube, darin besteht Einigkeit - ist richtig: Wir dürfen
es nicht zulassen, heute auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben.
({10})
Mit anderen Worten: Wer die Substanz einer Volkswirtschaft verkleinert, schmälert gleichzeitig deren zukünftige Erträge.
Wir wollen im Interesse der heutigen jungen Generationen die Substanz erhalten. Daher kann es nicht falsch
sein, Messinstrumente zu entwickeln, die den Wohlstand
zukünftiger Generationen prognostizieren. Aber Generationenbilanzen sind nicht seriös und Messinstrumente
sind kein Ersatz für Politik.
({11})
- Herr Niebel, ich habe mich informiert, vielleicht mehr
als Sie.
({12})
Ziel der SPD ist, in Zukunft die Nachhaltigkeit
unseres Renten- und Finanzsystems sicherzustellen.
Heute arbeiten wir daran und wir werden auch noch
morgen daran arbeiten. Entscheidend für zukünftige Generationen ist, dass sie gute Startbedingungen haben. Zu
nennen sind in diesem Zusammenhang die Teilhabe an
den sozialen Sicherungssystemen zu akzeptablen Beitragssätzen, finanzielle Spielräume zum Aufbau einer
zusätzlichen Altersvorsorge durch Steuerentlastung und
steuerlich geförderte Vermögensbildung sowie vor allem
Jobs und eine zukunftssichere Ausbildung.
Genau dies tun wir. Diesen Weg beschreiten wir. Wir
halten die Beitragssätze für die Rente auf einem konstanten Niveau. Wir haben die Arbeitnehmer und die
Arbeitnehmerinnen steuerlich entlastet - dies werden
wir in den nächsten Schritten der Steuerreform fortsetzen - und wir steuern bei der Vermögensbildung in der
Altersvorsorge um.
Die größte Sorge der zukünftigen Generationen, die
Sie in Ihrem Antrag indirekt ansprechen wollen, ist jedoch, von welchem Geld sie heute leben. Dazu brauchen
sie ausreichend Arbeitsplätze und Qualifikationen, und
die ermöglichen wir ihnen.
Danke schön.
({13})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mir das Thema
wichtig ist, will ich mit einer nicht parteipolitischen
Bemerkung anfangen. Ich denke, die berechtigten
Interessen der jungen Generation verdienen in der zukünftigen politischen Auseinandersetzung insgesamt eine stärkere Beachtung, als es in der Vergangenheit der
Fall war.
({0})
Ich sage grundsätzlich im Hinblick auf alle Parteien:
Alle Parteien haben sich in der Vergangenheit mehr oder
weniger schwer getan, im politischen Tagesgeschäft die
eher langfristig ausgerichteten Interessen junger Menschen zu berücksichtigen. Das liegt sicher nicht zuletzt
daran, dass junge Menschen in den Parlamenten nach
wie vor unterrepräsentiert sind. Diesbezüglich haben
CDU und CSU in der Vergangenheit deutliche Fortschritte gemacht.
({1})
Die Regierungsfraktionen haben mittlerweile etwas
nachgezogen, sodass ich die Hoffnung habe, dass sich
dies in der Zukunft - anders als in den letzten anderthalb
Jahren - auch günstig auf Ihre Politik im Interesse der
jungen Menschen auswirkt.
Natürlich hatte die Politik gerade in den letzten
10 Jahren sehr wichtige, nicht unbedingt jugendspezifische Aufgaben gerade im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu lösen. Im Zuge dieser
Wiedervereinigung sind natürlich - das darf man nicht
vergessen - gerade in den neuen Ländern erhebliche
Vermögenswerte neu geschaffen worden. All das, was
nach 40 Jahren real existierendem Sozialismus wieder
aufgebaut worden ist, hat eben nicht nur Schulden gebracht, sondern auch zu einem deutlichen Zuwachs des
Volksvermögens geführt. Es gehört zu jeder seriösen Bilanz, natürlich auch zur Generationenbilanz, dass beides
berücksichtigt wird.
Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der
von den Regierungsvertretern so gebetsmühlenartig
wiederholten Behauptung - wir haben sie auch hier gehört -, dass am Ende von 16 Jahren CDU/CSU-geführter
Bundesregierung ein hoher Schuldenstand zu verzeichnen sei.
({2})
Diese Behauptung ist zumindest irreführend angesichts
der großen Herausforderungen, die wir bei der Bewältigung von 40 Jahren Sozialismus zu schultern hatten, und
auch angesichts dessen, was in diesem Bereich erreicht
worden ist.
Lassen Sie mich als jemand, der aus dem Ruhrgebiet
kommt, folgende Bemerkung machen: Ich bin sicherlich
niemand, der der Meinung ist, man sollte im Bereich der
Steinkohle mit einem radikalen Schnitt die Kumpel einfach auf die Straße setzen. Ich habe aber noch sehr gut
in Erinnerung, wie Sie die Menschen auf die Straße gehetzt und auf die Barrikaden gebracht haben,
({3})
als es darum ging, eine Anschlussregelung für den Kohlepfennig zu finden. Das heißt: Als es um Subventionen
in diesem Bereich ging, haben Sie dagegen protestiert,
dass wir Ausgabenkürzungen vornehmen wollten.
({4})
Sie haben doch jede einzelne Maßnahme torpediert.
Wenn wir uns in den 16 Jahren nach Ihnen gerichtet hätten, wären die Schulden, nicht der Vermögensstand heute erheblich höher. Wenn wir Ihnen gefolgt wären,
müssten wir jetzt über einen ganz anderen Schuldenstand reden.
({5})
Die heutige junge Generation will den Generationenvertrag nicht aufkündigen. Ich denke, auch diese
Feststellung ist wichtig. Es geht uns um ein ganzheitliches Konzept - wie es schon in verschiedenen
Ländern erfolgreich durchgeführt worden ist -, bei dem
eben die zeitliche Entwicklung fiskalischer Lasten ermittelt wird und die Auswirkungen neuer finanz- und
sozialpolitischer Entscheidungen transparent gemacht
werden sollen. Das ist der Grundansatz, um den es geht.
Diesen Ansatz hat die F.D.P. in ihrem Antrag, wie ich
denke, zu Recht verfolgt. Es ist der Ansatz, den die
CDU/CSU-Fraktion schon im letzen Jahr in einem Antrag formuliert hat und an dem wir als junge Gruppe in
unserer Fraktion in Form einer Anhörung und anderer
Initiativen mitgearbeitet haben.
Ich denke im Übrigen, das Erstgeburtsrecht ist gar
nicht so wichtig, Herr Kollege Niebel. Wir beide waren
ja nicht dabei.
({6})
Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine gewisse Reserviertheit bei unserer Fraktion einfach damit zu tun hat,
dass Sie am Rande angesprochen haben, mit den umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystemen könne es
nicht so weitergehen. Da bestand vielleicht bei unserer
Fraktion einfach der Verdacht, Sie wollten dieses Analyseinstrument dazu nutzen, etwas über Bord zu werfen,
an dem wir im Grundsatz festhalten. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine Rolle gespielt hat.
({7})
Es ist wichtig, dass wir die Generationensolidarität
gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung neu definieren, um zu neuen Antworten im
Sinne einer Stärkung der Generationensolidarität zu
kommen. Das ist im Übrigen auch die Position fast aller
Jugendverbände in diesem Bereich. Die Jugendverbände
wollen keinen Kampf zwischen den Generationen. Sie
wollen diese Solidarität unter veränderten Rahmenbedingungen neu definieren. Da kann die Generationenbilanz wichtige Anhaltspunkte geben.
({8})
Natürlich - um auf die Kollegin von der SPD einzugehen - haben solche Bilanzen begrenzte Aussagekraft,
wie übrigens jede staatliche Haushaltsrechnung, wie jedes fiskalische Konzept. Das ist kein spezielles Problem
von Generationenbilanzen.
Die Probleme traditioneller Konzepte liegen auf der
Hand. Der staatliche Finanzierungssaldo sagt nichts über
die Umverteilung zwischen Jung und Alt und nichts
über die für die Zukunft eingegangenen Verpflichtungen, also über die so genannte unsichtbare Staatsschuld,
aus. Das ist darin nicht enthalten.
Es gibt unterschiedliche Studien. Wie so häufig
kommen die unterschiedlichen Studien auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ich will aber doch festhalten,
dass die Unterschiede in den Ergebnissen nicht in der
groben Richtung liegen, sondern in bestimmten Tendenzen. Die grobe Richtung ist eigentlich klar. Es stellt sich
bei diesen Studien immer wieder heraus, dass zukünftige
Generationen in Deutschland mit bereits eingegangenen
Verpflichtungen sehr hoch belastet sind. Vor diesem
Hintergrund ist es notwendig, die Weichen für die Zukunft so zu stellen, dass aus den schon jetzt sehr hohen
Belastungen nicht unerträglich hohe Belastungen mit der
Folge werden, dass der Generationenvertrag von der
jungen Generation insgesamt in Frage gestellt wird.
Ich glaube, in der Vergangenheit hat die Politik zu
häufig danach getrachtet, neue Einnahmemöglichkeiten
zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme zu finden,
und weniger darüber nachgedacht, durch immanente Reformen diese Systeme zukunftsfähig zu machen.
({9})
Ich will in diesem Zusammenhang zum Thema Rente
eines sagen: Sie rühmen sich, dass Sie die Beitragssätze
in der Rentenversicherung gesenkt hätten. Sie wissen jedoch genauso gut wie jeder andere in diesem Hause,
dass das nichts anderes ist als Augenwischerei, denn Sie
haben in die eine Tasche hineingesteckt, was Sie aus der
anderen Tasche, mit Ihrer so genannten Ökosteuer herausgenommen haben.
({10})
Das ist das, was Sie gemacht haben, wodurch Sie vorübergehend eine Beitragssatzsenkung erreicht haben. Es
ist ein reiner Verschiebebahnhof. Es ist aber nicht nur
das: Wenn Sie behaupten - das tun Sie ja -, dass wir eine bestimmte Umweltbelastung brauchen, um über die
Einnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherung
finanzieren zu können, dann sagen Sie damit umgekehrt:
Wir brauchen diese Umweltbelastung weiterhin, weil
nur dann die Renten sicher sind. Damit versündigen Sie
sich an dem Gedanken der ökologischen Zukunftssicherung.
({11})
Das ist ein wichtiger Gedanke, der auch zur Generationensolidarität gehört. Den diskreditieren Sie, wenn Sie
sagen: Wir sind auf dieses finanzielle Volumen angewiesen, um auf diese Weise die Renten zu finanzieren.
So stellen wir uns eine Generationenbilanz und die politischen Schlüsse daraus nicht vor.
Lassen Sie mich auf eines abschließend hinweisen,
weil ich glaube, dass darüber auch Konsens besteht. Eine Generationenbilanz ist natürlich kein Politik-Ersatz.
Aus der Generationenbilanz sind keine konkreten politischen Maßnahmen abzuleiten. Deswegen wundert es
mich, dass Sie die Bilanz als solche schon scheuen. Sie
ist kein Politik-Ersatz, aber sie schafft Transparenz für
die Folgen bestimmter politischer Maßnahmen, differenziert nach einzelnen Generationen. Diese Transparenz wollen wir, und wir wollen Maßnahmen, die den
Interessen der unterschiedlichen Generationen gerecht
werden. Je eher wir dazu kommen, desto besser ist es für
alle Generationen und gerade auch für das Miteinander
von Jung und Alt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun
die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich selber bin Schriftführerin und finde es
ganz nett, wenn man auch einmal wahrgenommen wird.
({0})
Wir alle wissen - darin sind wir uns sicherlich einig -: Es ist ungerecht, wenn wir auf Kosten zukünftiger
Generationen leben. Das gilt in der Haushaltspolitik, in
der Finanzpolitik und in der Ökologie genauso wie in
der Ökonomie. Gerade wir Grüne haben dieses Anliegen
der nachhaltigen Entwicklung und der Generationengerechtigkeit über zwei Jahrzehnte hinweg eingebracht,
immer wieder verteidigt und sind damit durch alle Institutionen marschiert. Unser Motto war: Wir haben die
Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das war unser
Leitprinzip, unser Leitspruch, dessentwegen wir jahrelang verhöhnt wurden, den wir über die Jahre hinweg
aber immer wieder verteidigt haben.
Nun setzen wir gerade dieses Denken an diesem
Punkt in praktisches Regierungshandeln um.
Die Idee einer Generationenbilanz, wie Sie sie hier
vorgebracht haben, ist in diesem Sinne eigentlich alles
andere als neu. Es ist ein sehr richtiger Ansatz, ein wichtiger und unterstützenswerter Ansatz - das gebe ich
zu -; allerdings bringt uns das Ganze nur dann etwas,
wenn wir es in einem Gesamtkonzept verbunden sehen
können und als ein Gesamtkonzept betrachten können.
Aber davon sind Sie in der F.D.P. mit Ihrem Vorschlag
leider etwas entfernt.
({1})
Sie berufen sich auf die Generationenbilanz der Bundesbank. Ich denke, Sie hätten sich die Schwachstellen,
die von der Bundesbank selber angeführt werden, genauer anschauen sollen. Hätten Sie das getan, hätten Sie
diesen Vorschlag so nicht eingebracht. Gerade die Bundesbank legt nämlich Wert auf die Feststellung, dass die
Umsetzungskonzepte, die wir derzeit haben, in der Generationenbilanz auch massive Nachteile mit sich bringen. Das ist zum einen, dass sie manipulierbar ist, dass
sie in ihrer Aussagekraft etwas begrenzt ist und das ist
zum anderen das Hauptproblem dieses Ansatzes, dass
wir gegenwärtige Entwicklungen einfach linear fortschreiben.
Was heißt das? Das heißt Folgendes: Wenn wir zum
Beispiel ein Basisjahr nehmen - Sie schlagen ja das Basisjahr 1996 vor - und das über Jahrzehnte hinweg fortsetzen, dann bedeutet das, dass wir die Einmaligkeit von
bestimmten Faktoren von Belastungen auch über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich fortsetzen. Für das Jahr
1996 - also das Basisjahr, das Sie vorschlagen - heißt
das, dass sich bestimmte Konjunkturflauten, bestimmte
Maßnahmen auch in diesem Sinne fortsetzen. Gerade
das Jahr 1996 war solch ein Jahr, in dem eine Konjunkturflaute stattgefunden hat. Gerade das Jahr 1996 war
ein Jahr, in dem sich die Belastungen der deutschen
Einheit massiv niedergeschlagen haben. In der Fortentwicklung über 10, 20, 30 Jahre hätten wir dann also irgendwann einmal ein Horrorszenario, auf dem wir dann
unsere Politik aufbauen sollten.
Im Gegensatz dazu, wenn wir zum Beispiel das Jahr 2
von Rot-Grün als Grundlage nähmen, also das Jahr
2000,
({2})
hätten wir dann doch wirklich um einiges rosigere Werte. Das wäre doch eine Sache!
({3})
Bei vielen Faktoren, die für die zukünftige Entwicklung entscheidend sind, sind wir in der Tat auf manche
Formen von Spekulationen angewiesen. Zum Beispiel
in der Gesetzesfolgenabschätzung müssen wir dann,
wenn wir Regeln aufstellen, natürlich gewissermaßen
auch hantieren. Wir können nicht alles genau voraussagen. Aber gerade in der Haushaltsstatistik taugen Spekulationen doch nichts. Kaffeesatzlesen können wir nicht,
Hellsehen können wir auch nicht, auch mit der Kugel da haben Sie sich mit Ihrem Zwischenruf geirrt, Herr
Kollege - können wir nicht hellsehen. Deshalb können
wir all das gerade in der Haushaltsstatistik nur begrenzt
einsetzen.
Nun gibt es in der Tat Länder, die schon eine Art Generationenbilanz haben - zum Beispiel Norwegen. Aber
auch dort müssen wir unsere Augen aufhalten und dürfen uns nicht an Mogelpackungen orientieren. Gerade
Norwegen führt seine gigantischen Einnahmen aus
Nordseeöl und aus Nordseegas in seine Generationenbilanz ein. Da wissen wir aber auch, dass die Einnahmen
aus diesen Bereichen vielleicht noch 15 Jahre, vielleicht
auch noch 20 Jahre reichen werden. Aber das, was danach in der Fortschreibung passiert, ist offen. Ich denke,
das kann für uns kein Orientierungspunkt sein, weil diese Bilanz doch sehr unkorrekt wäre.
Was ist aber, wenn wir solche Maßnahmen haben Sie sprechen das ja so schön an -, die gerade die Zukunftschancen der kommenden Generationen unterstützen und fortschreiben? Das ist zum Beispiel der Bereich Ausstieg aus der Atomenergie, Einstieg in alternative Energien, wodurch ja auch die Zukunftstechnologien gefördert werden, wodurch auch in diesem gesamten Bereich der Wirtschaft etwas zusammengebaut wird
und wodurch auch für unsere Generation ein Stück weit
Zukunft und auch ein Stück weit Lebensqualität ökonomisch und ökologisch verbessert werden. Gerade das
müssen wir doch mit hineinnehmen, aber das sind die
Folgen von politischen Entscheidungen, die man doch
so weit überhaupt nicht vorhersehen kann.
Daran sehen Sie auch, dass wir diesem Vorschlag im
Großen und Ganzen sehr offen gegenüberstehen. Deshalb unterstützen wir auch gerade in diesem Bereich die
Forschung und die Fortentwicklung. Deshalb wollen wir
auch, dass das Ganze so umgesetzt werden kann, dass es
realistisch und pragmatisch ist. Aber das, was wir brauchen, sind nicht einfach irgendwelche Sonntagsreden,
sondern es sind vernetzte Konzepte, ganzheitliche Konzepte in der Wirtschafts-, in der Sozial-, in der Umweltpolitik, in der Ökonomie wie in der Ökologie. Genau das
brauchen wir und genau das bietet uns Ihr Modell derzeit nicht.
Einen Punkt möchte ich noch erwähnen. Die Politik
ist sehr an ein lineares Denken gewöhnt. Gerade Sie
sollten wissen, dass man in der Wirtschaft sehr oft Spieltheorien benutzt und auch als Entscheidungsgrundlage
nimmt. Das lernen wir in der BWL und das haben auch
Sie sicherlich in Ihren Ausbildungen gelernt.
({4})
Ich empfehle Ihnen, einmal einen Kurs in Kybernetik
oder systemischem Denken zu machen oder Ökopoly zu
spielen. Das gibt es inzwischen sogar in der Computerversion. Dann würden Sie feststellen, dass Ihre Propaganda gegen die Ökosteuer schlichtweg unsinnig ist.
({5})
Kurz gefasst: Die Methode, die Sie derzeit vorschlagen, ist eigentlich recht banal.
({6})
Aber dass wir ein Problem mit dem Generationenvertrag
haben, wissen wir. Gerade dieser Frage stellen wir uns.
({7})
Wir debattieren darüber in der Haushaltspolitik, in der
Finanzpolitik und in der Rentenpolitik. Aber wir holen
in der Tat nicht das Blaue vom Himmel herunter und
machen den Leuten keine Versprechungen, die wir nicht
halten können.
Zum letzten Punkt. Die Grundannahme in Ihrem Antrag - auch das muss ich hier festhalten - stimmt nicht.
Sie sagen zum Beispiel zu Beginn Ihres Antrages: Die
Arbeitslosigkeit steigt. Mit Verlaub, Herr Niebel: Die
Arbeitslosigkeit sinkt. Das haben uns die Statistiken gezeigt.
({8})
Sie wird unter dieser Regierung auch immer weiter sinken.
({9})
Es wird Zeit, dass Sie in der Wirklichkeit ankommen.
Gerade Sie, Herr Kollege Niebel, sollten die Statistiken
ganz gut lesen können, denn Sie kommen ja aus der
Branche.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ihr Antrag,
Herr Kollege Niebel, der der F.D.P.-Fraktion, ist sicherlich sehr gut gemeint. Aber sein Ansatz ist in gewisser
Form abgekupfert.
({10})
Er ist inhaltlich so nicht umsetzbar, weil er nicht realistisch und schlichtweg schlecht ist. Deshalb ist meine
Beurteilung: ein schlichtes Blendwerk und in diesem
Sinne ein echter Niebel.
({11})
Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen, die jenseits der Statistik an diesem Thema interessiert sind, auf die umfangreichen Berichte und Erfahrungen der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages
hinweisen. Darin steht eine ganze Menge von dem, was
hier heute diskutiert wird.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Niebel, das
Wegweisende in Ihrem Antrag habe ich nicht erkennen
können.
({0})
Ich meine, der vorliegende Antrag ist eher ein taubes
Pflänzchen im Garten der parlamentarischen Initiativen
Ihrer Fraktion. Die Anwesenheit Ihrer Fraktion scheint
dafür schon ein Symptom zu sein.
({1})
Die Forderung nach einer Generationenbilanz zur
Guillotine für sozialpolitische Reformvorhaben zu machen, Kollege Niebel, ist absurd. Im zweiten Absatz der
Begründung des Antrages wird dann auch die Katze aus
dem Sack gelassen: Es geht um die Kürzung der Alterssicherung und die Abschaffung des Umlageverfahrens.
({2})
Der angeblich viel zu teure Wohlfahrtsstaat belastet
die F.D.P.-Kinder und -Enkel allzu sehr.
Die Fraktion der PDS wird allen Versuchen entschieden entgegentreten, den Staat aus seiner Veranwortung für die Wohlfahrt aller Bürgerinnen und
Bürger zu entlassen.
({3})
Es ist dies sogar seine vorrangigste Aufgabe. Wenn es
denn ein Generationsproblem gibt, dann besteht es darin,
dass als Folge des Rückzuges von Unternehmen aus ihrer Verantwortung einerseits für die Jugend immer weniger Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden und andererseits immer mehr und immer
jüngere ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozess
ausgesondert werden.
Zu Recht werden von diesem Hause gegensteuernde
Entscheidungen erwartet. Es ist moralisch zutiefst verwerflich, dem Bürger immer dann mit mehr angeblicher
Eigeninitiative und weniger Staat zu kommen, wenn es
schlichtweg um seine berechtigten Ansprüche geht.
Wenn der Staat wegen einer falschen Finanz- und Steuerpolitik, einer kinderfeindlichen Familienpolitik, einer
Umverteilung von unten nach oben und Steuergeschenken an die falsche Adresse immer weniger Geld zur Erfüllung seiner Fürsorgepflicht hat, so lässt sich das nicht
mit der altersmäßigen Zusammensetzung der Bevölkerung übertünchen.
Die PDS hat ausreichend viele Vorschläge unterbreitet, wie das Defizit in den Kassen ausgeglichen werden
kann. Wir sind gerne bereit, dazu Seminare durchzuführen, um Ihnen die Gedanken nahe zu bringen.
({4})
Wir werden uns niemals mit dem Gedanken anfreunden, die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie älter
werden, oder das Altsein den Jüngeren als Last zu suggerieren.
({5})
In der Tat, Kollegin Kumpf, Nostradamus und die
Schatten der Zukunft scheinen die Kollegen von der
SPD dazu zu bringen, für das Heute und die heute Lebenden das Falsche zu fordern. Es wird Zeit, dass wir
aufhören, uns selbst und unseren Kindern einen Generationenkonflikt einzureden, wenn wir Unzulänglichkeiten
und Fehlleistungen der Regierenden meinen. Jungen
Menschen einzureden, dass ihre Arbeitslosigkeit, das
Ausbleiben von Förderung, ihre Perspektivlosigkeit und
gesellschaftliche Missachtung damit zusammenhängen,
dass ihre Eltern und Großeltern zu alt werden und zu
viel Geld für sich verbrauchen, ist eine moralische Untat
und eine Lüge.
({6})
Wenn man schon fiskalische Vergleiche anstellt, Kollege Niebel, dann muss man festhalten: Es ist nicht so,
dass die Seniorinnen und Senioren nur Nehmende dessen sind, was die arbeitenden Jüngeren an Sozialabgaben abführen. Zumindest als konsumfreudige Nachfrager schaffen und erhalten sie Arbeitsplätze. Das Umlageverfahren und der Generationenvertrag waren auch
schon in Kraft, als die Älteren noch berufstätig waren.
Sie haben sich die Alterssicherung verdient; sie ist zutiefst moralisch und gerecht.
Natürlich muss man die Belastung des einzelnen Arbeitnehmers durch Steuern und Sozialabgaben in vertretbaren Grenzen halten. Das gilt für heute genauso,
wie es für die künftigen Generationen gilt. Ich habe im
Übrigen Vertrauen in meine Enkel, dass sie sich eine
Regierung wählen, die das besser und gerechter regeln
wird, als es in der Vergangenheit geschehen ist.
Die Kollegen von der F.D.P. haben sich Sorgen um
die finanzielle Belastung der noch nicht Geborenen gemacht. Sie hätten sich besser Gedanken darüber gemacht, wie es heute den Eltern, insbesondere den Müttern, dieser Kinder geht. Vernachlässigt man diese Überlegungen, dann werden die Kinder nämlich gar nicht erst
geboren oder sie wachsen ohne soziale Sicherheit sowie
ohne Bildung und Ausbildung auf und sind die Arbeitslosen von morgen.
Dafür zu sorgen, dass all das nicht zutrifft, darin besteht die Aufgabe dieses Parlaments. Wir können unendlich viel dafür tun, den kommenden Generationen eine
intakte und gerechte Welt zu überlassen. Die Abschaffung oder Reduzierung von Fürsorge und Wohlfahrt gehört nicht dazu, das Schüren von Missgunst und Neid,
das Herbeireden von Konflikten zwischen Kindern, Eltern und Großeltern genauso wenig.
({7})
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich eines aus dieser Debatte mitnehmen darf, dann ist es, liebe
Frau Kumpf, dass Sie heute den ersten Rückzug angekündigt haben;
({0})
denn ich kann mich gut an die Aussagen des Ministers
erinnern, die er vor kurzem in der Debatte zur Generationenbilanz gemacht hat. Dort hat er sich sehr positiv geäußert. Sie haben eben gesagt, er sei manchmal zu nett
zu uns.
({1})
Zunächst einmal stimmt das nicht, aber wenn es in
der Frage so gewesen sein sollte, dann bereiten Sie, wie
gesagt, jetzt den Rückzug vor.
Frau Deligöz, ein bisschen habe ich schon den Eindruck, dass die Grünen eingenordet wurden, dass sie
wieder einmal vom Thema der Nachhaltigkeit, das sie
lange Zeit sehr positiv besetzt haben, abgekommen sind.
Sie sind regierungstreu. Sie sagen jetzt auch hier: Wir
sind zwar im Prinzip offen, aber noch lieber nicht, und
wir müssen alles noch lange überlegen.
({2})
Das Thema der Generationenbilanz ist, glaube ich,
viel zu wichtig, Frau Kumpf, als dass wir uns darüber
streiten sollten. Die Zahlen sind noch einmal sehr deutlich geworden; die Studie der Deutschen Bundesbank ist
erwähnt worden. Es gibt eine umfangreiche Forschung.
Alle Zahlen machen eines deutlich: Wir müssen die Belastung für die nachfolgende Generation drastisch abbauen und langfristig eine ausgeglichene Generationenbilanz erreichen.
Herr Dr. Grehn, das hat mit dem, was Sie hier gesagt
haben, wirklich überhaupt nichts zu tun. Vielmehr glaube ich, dass dieses Handeln in Verantwortung vor allen
Generationen notwendig ist. Wir dürfen die finanziellen
Lasten nicht länger auf die Kinder abschieben. Lassen
Sie uns in diesem Bereich schnell und klar handeln!
({3})
Deswegen haben wir damals unseren Antrag eingebracht. Wir freuen uns darüber, Herr Niebel, dass die
F.D.P. jetzt einen Vorschlag eingebracht hat; denn dadurch haben wir einmal mehr Anlass, uns im zuständigen Ausschuss wirklich zu überlegen: Wie gehen wir
mit diesem Thema um? Wie führen wir es einer Lösung
zu? Wie können wir dafür sorgen, dass wir auf diesem
Gebiet weiterkommen und uns mit dem Thema nicht nur
verbal auseinander setzen?
Eines muss doch wirklich ganz klar sein: Das Ziel der
Generationengerechtigkeit und das Ziel der Nachhaltigkeit in der Alterssicherung können nur im Konsens
aller Parteien erreicht werden.
({4})
Das ist übrigens auch der Grund gewesen, warum wir
damals auf die Regierung zugegangen sind und
Verhandlungen über einen Rentenkonsens angeboten
haben.
({5})
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: CDU und CSU
wollen einen Kompromiss mit der Regierung in der
Rentenfrage. Mit diesem Ziel sind wir in die Rentengespräche gegangen. Dazu stehen wir nach wie vor. Allerdings akzeptieren wir, Frau Lotz, nur einen soliden Rentenkompromiss, der die Alterssicherung langfristig garantiert und gleichzeitig den Beitragssatz in vernünftigen
Grenzen hält. Nur so ist Gerechtigkeit zwischen den Generationen herzustellen und nur so kann eine Akzeptanz
der gesetzlichen Rentenversicherung durch die jüngere
Generation, die uns am Herzen liegen muss, erreicht
werden.
({6})
Ich muss Ihnen leider sagen: Sie betreiben bisher keine Politik der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit.
({7})
Ich will Ihnen das gerne auch anhand von einigen Beispielen beweisen.
Erstes Beispiel. Mit der von Ihnen beschlossenen
Rente nach Kassenlage vermengen Sie die problematische Situation der Rentenversicherung mit der aktuellen
Haushaltslage.
({8})
Es wird gespart, ohne eine echte Strukturreform in der
Rentenversicherung in Angriff zu nehmen. Das ist keine
Politik der Nachhaltigkeit.
({9})
Erinnern Sie sich doch noch einmal: Wir haben Sie bei
der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes im
letzten Jahr gewarnt und gesagt: Die Rente nach Kassenlage ist willkürlich und unberechenbar. Aber Sie haben
schon damals nicht auf uns hören wollen. Heute ernten
Sie die Früchte Ihrer eigenen falschen und unsozialen
Politik.
({10})
Was stellt sich denn jetzt heraus? Die Rentner bekommen in diesem Jahr noch nicht einmal einen Ausgleich für die Inflationsrate.
({11})
Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 wird deutlich geringer ausfallen als der Anstieg der Verbraucherpreise in
diesem Jahr. Die Rentner bekommen eine Rentenerhöhung, die 1 Prozent niedriger liegt, als ihnen zugesagt
war. Das macht, da beißt die Maus keinen Faden ab, circa 240 DM Verlust im Jahr pro Rentner aus. Das ist ein
herber Verlust.
({12})
Was stellt sich weiter heraus? Das den Rentnern auferlegte Sparopfer bringt noch nicht einmal die erwarteten Einsparungen im Haushalt der Rentenversicherung.
({13})
VdK-
Riester habe Berechnungen in die Welt gesetzt, die vorne und hinten
nicht stimmen. - Sogar Kollegen aus Ihren eigenen Reihen schimpfen. Und der DGB - wahrlich eine nicht uns,
sondern eher Ihnen nahe stehende Vereinigung - bringt
es auf den Punkt:
Es wäre gescheiter gewesen, diesen willkürlichen
Eingriff zu unterlassen - zumal er unnötig war.
Recht hat der DGB an dieser Stelle.
({0})
Damit aber nicht genug: Längst ist klar, dass Sie Ihr
Versprechen nicht halten können, im Jahre 2002 zur
nettolohnbezogenen Rente zurückzukehren. Jetzt
suchen Sie nach neuen Wegen und wollen die Rentner
belasten, indem Sie die Nettolöhne neu definieren, im
Übrigen ohne die junge Generation zu entlasten.
({1})
Sie werden nicht darum herumkommen, bezüglich der
Rente die Frage zu beantworten, wie Sie mit der demographischen Entwicklung umgehen wollen,
({2})
damit der Sozialstaat auch für unsere Kinder langfristig
bezahlbar bleibt.
Ich möchte ein zweites Beispiel nennen - ich halte es
für sehr wichtig, das zu sagen -: Die im Bündnis für Arbeit wiederbelebte „Rente mit 60“ ist ebenfalls ein Anschlag auf die Generationengerechtigkeit. Die Ausweitung der Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbeginns
ist das völlig falsche Signal, weil hierdurch der Generationenkonflikt verschärft wird. Junge Arbeitnehmer
müssen in einen Fonds einzahlen, obwohl sie selber davon nie profitieren können. Das Geld wird für zweifelhafte Frühverrentungsprogramme
({3})
anstatt zur langfristigen Sicherung von Rentenansprüchen der jüngeren Generation genutzt.
({4})
Die Signale sind verheerend: Bei den Arbeitgebern
entsteht der Eindruck, der über 50-Jährige stehe bereits
kurz davor, ein sozialpolitischer „Entsorgungsfall“ zu
werden. So schaden Sie mit der Förderung der Frühverrentung sowohl den jüngeren wie auch den älteren Arbeitnehmern.
({5})
Weiterbildung mit 50 ist wichtiger als Rente mit 60.
({6})
In diesem Zusammenhang kann man nur begrüßen,
dass die Tarifparteien der Chemieindustrie in ihrer jetzt
getroffenen Vereinbarung auf die Einführung der „Rente
mit 60“ verzichtet haben
({7})
und stattdessen ein sinnvolles Altersteilzeitmodell favorisiert haben.
({8})
Das ist noch ein Beispiel dafür, dass Ihre Politik nicht
auf Nachhaltigkeit angelegt ist. Sie rühmen sich immer
damit, den Beitragssatz in der Rentenversicherung abgesenkt zu haben.
({9})
Die Absenkung des Beitragssatzes war aber nicht deswegen möglich,
({10})
weil Sie eine grundlegende Strukturreform auf den Weg
gebracht haben; sie war nur möglich, weil Sie Einnahmen aus der Ökosteuer in den Bundeshaushalt gepumpt
haben.
({11})
Dabei übersteigt der Bundeszuschuss schon jetzt
({12})
die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in der
Rentenversicherung.
({13})
Damit auch diese Zahlen klar sind, will ich ein Wort
zu den Belastungen der Rentner aufgrund der Ökosteuer sagen. Das sind nach soliden Berechnungen im Jahr
2000 389 DM,
({14})
im Jahr 2001 479 DM, im Jahr 2002 569 DM und im
Jahr 2003 659 DM zusätzliche Belastung für den normalen Rentner.
({15})
Das sage ich, damit hier ganz klar wird, dass das nicht
an den Rentnern vorbeigeht.
({16})
Lassen Sie uns gemeinsam vernünftig darüber nachdenken, wie wir mit dem Thema der Generationenbilanzen umgehen, damit wir ein klares Kriterium dafür haben, vor welchem Horizont wir uns bewegen, welche
Spielräume wir in der Sozialpolitik haben.
({17})
Verdrängen Sie das nicht! Sie werden es sehr bereuen,
wenn Sie an dieser Stelle sagen: „Das wollen wir nicht“,
({18})
weil Sie am Ende immer Rechenschaft über Ihre eigenen
Versprechungen ablegen müssen, die Sie in allen Wahlkämpfen und auch hier und heute immer wieder gemacht haben.
({19})
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/1758 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz
der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung ({0})
- Drucksache 14/2765 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 14/3007 Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({3})
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Über den Gesetzentwurf und einen Änderungsantrag der Fraktion der PDS werden wir nachher in
namentlicher Abstimmung entscheiden.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Volker Jung von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der heute zur Beschlussfassung vorliegende Gesetzentwurf enthält ein Überbrückungsprogramm für besonders gefährdete KraftWärme-Kopplungsanlagen, dem alsbald ein Gesetz
zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung folgen soll.
Denn die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme
ist eine ökologisch wertvolle und wirtschaftliche vernünftige Energieerzeugungsart, die in der Vergangenheit
deshalb auch massiv politisch gefördert worden ist.
({0})
Wenn ihre Wirtschaftlichkeit wegen des dramatischen Preisverfalls auf dem Strommarkt gegenwärtig infrage steht, so ist dies das Ergebnis eines ungezügelten
Wettbewerbs und mangelnder Vorsorge bei der Gesetzgebung, ein für unsere Energiepolitik inakzeptabler Zustand, dem abgeholfen werden muss.
Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wurde nicht
zuletzt von der alten Bundesregierung, aber auch von
den Landesregierungen über Jahrzehnte hinweg mit
staatlichen Milliardenprogrammen gefördert. Dass die
älteren KWK-Anlagen in der öffentlichen Versorgung
die am wenigsten wirtschaftlichen sind und vorwiegend
mit heimischer Steinkohle befeuert werden, ist auch kein
Zufall, denn ihre Förderung hat etwas mit der Kohlevorrangpolitik der alten Bundesregierung zu tun, die wir als
Opposition allerdings auch nachdrücklich unterstützt
haben.
({1})
Wir wollen diese Anlagen, die in der gegenwärtigen
Niedrigpreisphase ineffizient geworden sind, nicht länger an den Netzen halten, als es aus ökologischen und
ökonomischen Grünen unbedingt erforderlich ist. Wir
bekennen uns zu dem Strukturwandel, der durch den
Wettbewerb vorangetrieben wird. Deshalb legen wir unser Überbrückungsprogramm auch degressiv an und
begrenzen es zeitlich.
Aber die Betreiber müssen wenigstens die Chance erhalten, diese Anlagen, die von einem Tag auf den anderen unwirtschaftlich geworden sind, unter vernünftigen
Rahmenbedingungen zu modernisieren, effizienter zu
gestalten oder auch zu ersetzen. Es macht ökologisch
überhaupt keinen Sinn, KWK-Anlagen, die in geschützten Märkten für einen relativ genau abschätzbaren Wärmebedarf und Stromabsatz konzipiert wurden, stillzulegen, den Strom aus billigeren Quellen zu beziehen und
zur Bereitstellung des Wärmebedarfs in unseren Nahund Fernwärmesystemen neue Heizkraftwerke zu bauen,
die den Energieverbrauch erhöhen und unsere CO2Bilanz verschlechtern.
({2})
Es macht auch ökonomisch überhaupt keinen Sinn,
den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung in einem
Jahrzehnt verdoppeln zu wollen - wie es die Europäische Union zum Ziel erhoben hat, was von der alten
Bundesregierung unterstützt wurde und auch von unserer Bundesregierung erst kürzlich wieder bekräftigt
worden ist -, wenn man jetzt erst einmal einen großen
Teil dieser Anlagen vom Netz gehen lässt, insbesondere
angesichts der Tatsache, dass sich ein Teil der Anlagen
nach der gegenwärtigen Marktbereinigungsphase bei
wieder ansteigenden Strompreisen, wovon jeder Fachmann ausgeht, am Ende durchaus rechnen würde.
Das ganze Ausmaß des Dilemmas wurde deutlich, als
der Wettbewerb mit Kampfpreisen auf Grenzkostenbasis, teilweise sogar mit Dumpingpreisen auf dem
Strommarkt begann. Wenn man die Ausführungen in
unserer Anhörung und auch die Ergebnisse der Studien,
die inzwischen vorliegen, ordentlich analysiert, dann
stellt man fest, dass fast alle zu dem Ergebnis kommen,
dass die Preisnachlässe für Haushaltskunden bei rund
10 Prozent, für Gewerbekunden bei 30 Prozent und in
der Industrie bei mehr als 40 Prozent liegen.
Das hat fatale Folgen: Diese Preisnachlässe haben
die indexierten Einspeisevergütungen für erneuerbare
Energien unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze gedrückt.
Die Banken haben inzwischen die Kredite verweigert,
Anlagenbestellungen wurden storniert und die Anlagenhersteller drohten in Existenznot zu geraten. Das haben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz korrigiert.
({3})
Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der allgemeinen Versorgung, die anlagenspezifisch mit Stromgestehungskosten von 8 bis 15 Pfennig pro Kilowattstunde
arbeiten, müssen heute mit durchschnittlichen Stromlieferpreisen konkurrieren, die von mehr als 14 Pfennig
auf 6 Pfennig je Kilowattstunde und weniger gefallen
sind. Sie sind allesamt in ihrer Existenz bedroht. Die
industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, die wegen ihres
hohen und kontinuierlichen Prozesswärmeabsatzes
betriebswirtschaftlich sehr viel rentabler arbeitet,
aber mit Industriestrompreisen von 4 bis 5 Pfennig konkurrieren muss, ist inzwischen ebenfalls in diesen Sog
geraten.
Meine Damen und Herren, wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätten wir die industrielle Kraft-WärmeKopplung in unser Überbrückungsprogramm einbezogen, allerdings mit deutlich niedrigeren Fördersätzen.
Denn eine formale Gleichbehandlung der industriellen
Kraft-Wärme-Kopplung würde bei den beschriebenen
betriebswirtschaftlichen Vorteilen zu einer faktischen
Ungleichbehandlung der Kraft-Wärme-Kopplung in der
allgemeinen Versorgung führen. Aber leider haben wir
uns da nicht durchsetzen können. Dies muss einer Anschlussregelung vorbehalten bleiben.
Es ist uns lediglich gelungen, den Teil der industriellen Kraft-Wärme-Kopplung, der Strom für die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern liefert, in unser
Überbrückungsprogramm einzubeziehen. Das ist wichtig
genug, denke ich: Das wird in Ostdeutschland mehrere
Tausend Arbeitsplätze retten, die heute akut bedroht
sind.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Bemerkung zu den Eckpunkten unseres Gesetzentwurfes
machen. Wir wollen alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen der allgemeinen Versorgung auf der Basis von
Braun- und Steinkohle, Gas, Öl und Abfall einbeziehen - Kernenergie gehört ausdrücklich nicht dazu -, die
am 1. Januar 2000 am Netz waren. Es werden auch diejenigen Anlagen in die Förderung einbezogen, die bereits bestellt, aber noch nicht geliefert worden sind. Das
hat sich als notwendig erwiesen, um Ersatzinvestitionen
in moderne Anlagen nicht zu gefährden.
Wir wollen die Förderung auf Unternehmen beschränken, die mehr als 25 Prozent der installierten Leistung durch Kraft-Wärme-Kopplung erzielen und mehr
als 10 Prozent KWK-Strom auskoppeln. Es wird angenommen, dass unterhalb dieser Grenze der unternehmerische Spielraum ausreicht, um KWK-Anlagen
durch betriebswirtschaftliche Maßnahmen am Netz zu
halten.
Wir wollen eine Einspeisevergütung von anfänglich
9 Pfennig pro Kilowattstunde festlegen, wobei 3 Pfennig
auf die vorgelagerte Netzebene umgelegt werden
können. Die Vergütung sinkt jährlich um einen halben Pfennig. Diese Vergütungssätze werden zu einem geringfügigen Anstieg der Strompreise um rund
0,25 Pfennig führen. Bei den derzeitigen Preiseinbrüchen ist das eine durchaus vertretbare Größenordnung.
Das jetzt vorliegende Gesetz wird uns eine Atempause verschaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Wenn wir uns daranmachen, noch in diesem Jahr eine
Anschlussregelung zu entwickeln, dann werden wir bei
einer Reihe von Ansatzpunkten sicherlich umdenken
müssen. Der Marktdruck soll nach unserer Auffassung
erhalten bleiben, um alle Potenziale zur Effizienzsteigerung auszuschöpfen. Darum kommt nur eine wettbewerbskonforme Lösung infrage. Nach meiner Überzeugung erfüllt eine Quotenregelung mit einem Zertifikathandel diese Anforderung am besten.
({5})
Wir wollen alle Anlagen in das Fördersystem einbeziehen, also auch die industrielle Kraft-WärmeKopplung, weil hier die größten Wachstumspotenziale
im Wärmemarkt liegen. Das ist ein klares Signal an die
Industrie, in ihre Kostenkalkulation auch diesen Zukunftsmarkt einzubeziehen. Wir werden vom derzeitigen
Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung ausgehen und die
Quote regelmäßig anheben, um unser Ziel zu erreichen,
ihren Anteil in einem Jahrzehnt zu verdoppeln.
Wir wollen auch ein nach Europa geöffnetes System
schaffen, allerdings auf strikter Gegenseitigkeit. Ländern
wie Dänemark und Holland, die die Kraft-WärmeKopplung fördern und in denen diese Technik bereits
einen hohen Marktanteil erreicht hat, sollte unser Markt
offen stehen und umgekehrt, den anderen Ländern nicht.
Das ist europarechtlich möglich und würde auch die europäische Integration fördern.
Die Kraft-Wärme-Kopplung leistet mit 27 Millionen Tonnen bereits heute einen wesentlichen Beitrag
zur Einsparung von CO2-Emissionen. Mit dem beabsichtigten Ausbau bis 2010 können weitere Einsparungen in Höhe von 23 Millionen Tonnen kostengünstig
realisiert werden. Alle anderen Möglichkeiten, die CO2Emissionen im Energiesektor zu senken - die natürlich
auch weiter verfolgt werden müssen -, halten einem
Kostenvergleich mit der Kraft-Wärme-Kopplung nicht
stand.
Es bleibt insbesondere mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt nach meiner Auffassung nur der
Weg eines gemeinsamen Marktes für erneuerbare EnerVolker Jung ({6})
gien und Kraft-Wärme-Kopplung, der sich in ganz Europa an den anerkannten Zielen der Preisgünstigkeit, der
Versorgungssicherheit und des Umweltschutzes orientiert. Zum Aufbau eines solchen Marktes können und
müssen wir unseren Beitrag leisten.
Ich danke Ihnen.
({7})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Franz
Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Neben den erneuerbaren Energien ist die Kraft-Wärme-Kopplung grundsätzlich eine
geeignete Technologie, die Effizienz der Energieumwandlung zu erhöhen und dadurch umweltrelevante
Emissionen zu vermeiden. Dies gilt allerdings nicht pauschal für alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Nicht
jede ist per se ökologisch. Häufig sind ökologische und
ökonomische Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung eng
miteinander verbunden, quasi miteinander verkoppelt.
Ökonomisch sinnvolle Anlagen sind auch ökologisch
sinnvolle Anlagen.
Vor diesem Hintergrund ist es schon interessant, was
die Regierungskoalition im Gesetzentwurf festgehalten
hat. Sie fördert überwiegend kommunale Anlagen, ungeachtet der Umweltgesichtspunkte und der Energieeffizienz, mit anfangs 9 Pfennig je Kilowattstunde. Hier
setzt unsere Kritik an. Mit dem Gesetz schützen Sie
auch die ökologisch ungünstigen Anlagen und suggerieren, dass alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen klimaund umweltfreundlich Strom erzeugen. Für uns in der
CDU/CSU-Fraktion geht es beim Schutz der KraftWärme-Kopplungsanlagen darum, den energie- und
umweltpolitischen Vorteil zu erhalten. Deswegen ist eine unterschiedliche Behandlung, abhängig von den Eigentumsverhältnissen, mit nichts zu rechtfertigen.
({0})
Die Koalitionsfraktionen erkennen zwar, dass die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung notleidend ist, aber
vom Gesetz werden diese Anlagen weitgehend nicht erfasst, obwohl zurzeit monatlich rund 200 Megawatt
Leistung vom Netz gehen und die Anlagen eingemottet
werden. Ihre Ignoranz in dieser Sache richtet einen erheblichen Schaden bei den Betrieben bis hin zu Firmenzusammenbrüchen und Arbeitsplatzverlusten an.
In dem Gesetzentwurf unterscheiden Sie zwischen
guten und schlechten Anlagen. Man muss wissen, dass
es in Deutschland 900 Stadtwerke gibt. Mehr als die
Hälfte davon bezieht ihren Strom von einem fremden
Versorger. Das heißt, sie profitieren von der Liberalisierung. Nur 60 Stadtwerke in Deutschland erzeugen Strom
aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Von diesen ist
wiederum nur ein Teil im Wettbewerb ökonomisch
problematisch.
Aus dieser Sicht ist es unerklärbar, aus welchen
Gründen fast alle kommunalen KKWs gestützt werden,
die „stranded investments“ der Industrie aber weitgehend ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung der industriellen Kraft-Wärme-Kopplung ist reine Willkür.
Das nenne ich Klientelpolitik.
({1})
Wenn schon in dirigistischer Weise eingegriffen werden muss - in der CDU/CSU-Fraktion bekennen wir uns
dazu, dass wir hier eingreifen und helfen -,
({2})
dann im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes für alle
„stranded investments“ und dies zeitlich befristet und effizienzorientiert.
Ebenso willkürlich sind Ihre Stichtagsregelungen
nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Das Gesetz muss meines
Erachtens zulassen, dass Ausgliederungen von „stranded
investments“ aus Konzernunternehmen für die Vergütung unschädlich sind. Ihre Regelung hat zur Folge, dass
notwendige Strukturbereinigungen auf dem liberalisierten Strommarkt aufgeschoben werden. Betroffen sind
davon wichtige Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, unter
anderem hier in Berlin.
Die Kosten für diese erneute Subvention von
Energietechniken werden dank rot-grüner Umverteilungsmethode wieder einmal direkt beim Verbraucher
landen. Man muss schon sagen: Über das ErneuerbareEnergien-Gesetz werden bis zu 4, vielleicht sogar 5 Milliarden DM auf den Verbraucher umgelegt. Jetzt kommt
die Kaft-Wärme-Kopplungsregelung mit wahrscheinlich noch 1 Milliarde DM hinzu. Was später durch
Nachfolgeregelungen kommt, muss man abwarten.
Dies geschieht, obwohl die Ökosteuer schon eine
steigende Belastung für die Bürger bringt. Diese fragen
sich nach dem Ziel der Bundesregierung bei dieser Politik.
Für mich stellt sich das Ziel der Bundesregierung so
dar, dass der Verbrauch von Energie so teuer gemacht
werden muss, dass jeder einzelne Bürger seinen Verbrauch von Benzin, Strom, Diesel, Gas und Heizöl aus
ökonomischen Gründen zurücknehmen muss.
({3})
Das ist das Moderne an der Politik der SchröderRegierung. Die Familien, die Rentner, die Jugendlichen
und die Betriebe - das betrifft die Arbeitsplätze - werden sich dafür bedanken,
({4})
Sie verstehen nicht, warum notwendige Hilfen für notleidende Energieerzeugungsanlagen nicht aus den Ökosteuereinnahmen finanziert werden.
Volker Jung ({5})
({6})
Nein, Sie satteln noch einmal drauf und erzählen den
Bürgerinnen und Bürgern in Sonntagsreden nach dem
Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, dass sie seit
Amtsantritt der rot-grünen Regierung mehr Geld im Portemonnaie hätten, und meinen auch noch, dass die Leute
dies glauben. Dies betrifft insbesondere Familien mit
mehreren Kindern, für die zwingend Fahrt- und
Energiekosten entstehen. Ihnen sagen Sie: Fahr doch bitte ein Dreiliterauto; dann sparst du. - Ich nenne das Bevormundung des Bürgers über den Geldbeutel durch die
Regierung Schröder.
({7})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, auf die
Rede des Bundesumweltministers in der gestrigen Debatte einzugehen.
({8})
- Es rentiert sich nicht, aber es ist doch interessant.
Der Bundesumweltminister führte aus, dass in Bayern Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von Kernkraftwerksbetreibern mit Gewinnen aus den abgeschriebenen
Kernkraftanlagen zu hohen Preisen aufgekauft und stillgelegt werden. Ich fordere den Herrn Bundesumweltminister auf, diese Aussage so zu präzisieren, dass sie
auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann.
Bayern ist das Land, das mit zielführender Politik der
Staatsregierung im Umwelt-, Natur- und Klimaschutz
beste Erfolge erzielt hat.
({9})
In meiner Gemeinde steht ein Kraft-Wärme-gekoppeltes
Steinkohlekraftwerk, das die Große Kreisstadt Freising
und den Flughafen München versorgt. In meinem Wahlkreis entsteht gerade ein Kraft-Wärme-gekoppeltes
Biomasse-Heizkraftwerk mit guten Kennziffern. Wir
wollen aus Verantwortung gegenüber unseren Kindern, das Mögliche verwirklichen - und das, obwohl
das Land Bayern für sich das Klimaschutzziel einer
25-prozentigen Minderung der CO2-Emissionen erreicht
hat.
({10})
Vor wenigen Tagen habe ich einen Vertrag über den
Bau eines neuen Kraftwerks mit einer Leistung von
40 Megawatt Strom - einschließlich Wärme und Brennstoffe - gesehen. Der Nutzungsgrad beträgt 85 bis
90 Prozent. Sie sehen: Es tut sich etwas und das ist gut
so. Deswegen interessiere ich mich für die vom Bundesumweltminister dargelegten Umstände des Kaufs der
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und dessen Folgen.
Nach der gestrigen Debatte über das energiepolitische
Konzept der Bundesregierung darf ich den Koalitionsfraktionen noch einen Zahn ziehen: In der Diskussion
um den Ausstieg aus der Kernenergie vertritt Rot-Grün
die Auffassung, dass die Grundlast der Kernkraftwerke
bei deren Ausfall von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
kompensiert werden kann. In den Heizkraftwerken mit
Stromproduktion reduziert der steigende Wärmebedarf
im Winter die Stromerzeugung ganz erheblich. Genau
zu dieser Jahreszeit haben wir aber auch den höchsten
Stromverbrauch.
In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSUFraktion schreibt die Bundesregierung, dass sie es für
abwegig hält, dass die erneuerbaren Energien im nächsten Jahrzehnt für die Elektrizitätsversorgung in der
Grundlast verfügbar sind. Das heißt im Prinzip, dass die
Grundlast eines jeden abgeschalteten Kernkraftwerks
durch mit fossilen Brennstoffen befeuerte Kraftwerke
ersetzt werden muss. Unser Klimaschutzziel - minus
25 Prozent CO2-Emissionen und Spurengase - wird so
nicht erreicht werden. Das werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.
({11})
Die in § 3 Abs. 2 aufgenommene Ausschlussregelung
nach mindestens 25 Prozent Leistung KWK und 10 Prozent Stromerzeugung ist willkürlich, diskriminierend
und mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Haben
Sie dafür eine vernünftige Begründung? Warum haben
Sie nicht die Grenzwerte 20 Prozent und 8 Prozent oder
30 Prozent und 15 Prozent gewählt?
Meine Damen und Herren, Kriterien von Ökologie
und Ökonomie bleiben völlig außer Acht. Durch den
Änderungsantrag wird es auch nicht klarer. Im Übrigen:
Wenn man ihn so deuten würde, dass mehr Anlagen
einbezogen werden, erkenne ich einen Widerspruch zu
§ 3 Abs. 1, der davon wieder abweicht.
Die CDU/CSU-Fraktion bietet mit dem vorliegenden
Entschließungsantrag eine Alternative, die an der erforderlichen Effizienz der Anlagen orientiert ist, nicht am
Eigentümer, und die wettbewerbsneutrale Haushaltslösungen vorsieht. Vor wenigen Tagen haben wir dieses
Gesetz im Ausschuss diskutiert. Es war uns nicht möglich, die Inhalte insbesondere des Änderungsantrages detailliert zu beraten. Aber das ist ja kein Wunder, denn
das vorliegende Gesetz knüpft nahtlos an die Qualität
der Gesetzesarbeit der Regierung Schröder an. Es ist genauso schlecht wie vieles andere, was wir vorgelegt bekommen: unklar im Detail, geringe Ökorelevanz, dafür
Klientelbegünstigung, ein Fehlschuss zulasten der Verbraucher.
Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ist
zielgerichtet, orientiert sich an der erforderlichen Effizienz der Anlagen und nicht am Eigentümer und ist
haushaltsfinanziert.
({12})
Das ist verantwortbare Energie-, Sozial- und Umweltpolitik.
Dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen können
wir nicht zustimmen.
({13})
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Michaele Hustedt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Obermeier, ich wollte nicht mit der Debatte von gestern
anfangen, aber da Sie daran angeknüpft haben, tue ich es
doch. Ich habe einmal reflektiert, wie die Debatte gestern war. Ich muss sagen: Ich habe im Rückblick keinen
einzigen Redner von Ihnen in Erinnerung, der über etwas anderes als über Atomkraft geredet hätte.
({0})
Ihre Gedanken kreisen nur um diesen einen Punkt.
({1})
Ihre Gedanken sind so eingeengt von diesen ideologischen Scheuklappen, dass Sie alle anderen großen Fragen überhaupt völlig aus dem Blick verlieren.
({2})
Keiner hat über das Problem geredet, wie wir die erneuerbaren Energien weiterentwickeln. Keiner hat darüber geredet, wie wir die Effizienz bei der Nutzung der
fossilen Energieträger weiterentwickeln können. Dazu,
was Ihre Konzepte sind, habe ich hier jetzt auch noch
nichts gehört.
Keiner hat über Energieeinsparung geredet, keiner hat
zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs überhaupt einen interessanten Gedanken vorgebracht.
Sie werfen uns vor, wir hätten kein Energiekonzept.
Ich sage Ihnen: Schritt für Schritt, ganz pragmatisch und
solide bauen wir das neue Haus der Energiepolitik von
unten nach oben langsam auf.
({3})
Die Leitlinie dabei ist, Umweltschutz und Wettbewerb
miteinander zu versöhnen.
Wir haben die Verbändevereinbarung weiterentwickelt, sodass jetzt ein Netzzugang wesentlich fairer als
bisher, unter Ihrer Regierung, zu erreichen ist. Das ist
Weiterentwicklung des Wettbewerbs, Frau Homburger.
Wir haben die erneuerbaren Energien sehr frühzeitig
durch Förderprogramme protegiert und haben jetzt mit
dem Gesetz über die erneuerbaren Energien das weltweit
ambitionierteste Instrumentarium, um die erneuerbaren
Energien, um den Einstieg ins Solarzeitalter voranzubringen.
({4})
Der dritte Baustein ist die Kraft-Wärme-Kopplung.
Genauer gesagt: Wenn wir schon auf absehbare Zeit fossile Energieträger einsetzen werden, dann müssen wir
sie so effizient wie irgend möglich nutzen. Es dürfen
nicht weiter 60 Prozent des Energiegehalts ungenutzt in
die Atmosphäre entlassen werden.
({5})
Der dritte Baustein ist also die effiziente Nutzung von
Kohle, Öl und Gas.
Zurzeit werden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen stillgelegt. Die Ursache dafür ist nicht, dass diese Anlagen
unwirtschaftlich wären. Vergleicht man eine neue, moderne KWK-Anlage mit einer ebenso neuen und modernen anderen Anlage - erneuerbare Energien nehme ich
jetzt einmal aus -, dann stellt sich heraus, dass die KraftWärme-Kopplungsanlage durchaus wirtschaftlich ist.
Heute konkurrieren allerdings alte, abgeschriebene Anlagen, die hoch subventioniert waren - zum Beispiel die
Atomkraftwerke, die in diesem Land über Jahrzehnte
hoch subventioniert wurden -, mit Dumpingpreisen unter Erzeugungskosten gegen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf dem Markt.
Dies wirkt sich dadurch besonders heftig aus, dass die
Akteure auf dem Markt unterschiedliche strategische Interessen haben. Die einen kämpfen um ihre strategische
Position auf dem Markt und sind bereit, dafür ihre
Kriegskassen aus Monopolzeiten ein Stück weit abzuschmelzen. Die anderen, die Industrieunternehmen und
auch die Stadtwerke, haben keine Kriegskassen; zumindest befinden sie sich nicht in der strategischen Situation, sich am Markt unbedingt behaupten zu müssen.
Deswegen gehen diese Anlagen vom Netz.
Wir haben nun eine Soforthilfe auf den Weg gebracht. Sie ist eine Übergangslösung, bis wir über ein
dauerhaftes Instrument zum Ausbau der Kraft-WärmeKopplung verfügen werden. An dieser Stelle muss ich
Ihnen, Herr Obermeier, sagen, dass mir Ihre Krokodilstränen fürchterlich Leid tun. Ist es nicht sehr doppelzüngig, auf der einen Seite zu fordern, wir sollten die industriellen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in die Soforthilfe aufnehmen, und auf der anderen Seite zu beklagen,
dass dies die Bürger belaste? Es geht nur das eine oder
das andere. Wir haben die Soforthilfe auch deswegen
begrenzt, weil wir die Belastung für die Bürger auf
0,2 oder 0,3 Pfennig begrenzen wollten. Die Aufnahme
der industriellen Anlage hätte mindestens eine Verdopplung bedeutet.
({6})
Man kann also nicht die Aufnahme der Industrieanlagen
fordern und gleichzeitig wegen der höheren Kosten
Krokodilstränen weinen.
Wir mussten bei der Soforthilfe eine Grenze ziehen
und haben das in doppelter Weise getan: Es gibt einen
Unterschied zwischen der öffentlichen und der industriellen Wärmeversorgung. Die industrielle ist etwas
wirtschaftlicher, weil die Wärme das ganze Jahr über
kontinuierlich abgenommen wird. Hingegen ist die
Wärmeversorgung im öffentlichen Bereich wirtschaftlich problematischer, weil im Sommer weniger Wärme
als im Winter gebraucht wird. Deswegen haben wir hier
eine Grenzziehung vorgenommen.
({7})
Die zweite Grenzziehung bezieht sich darauf, dass
wir nur diejenigen in die Soforthilfe aufnehmen, die
nicht ein oder zwei Anlagen haben, sondern die 25 Prozent und mehr des Stromes durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugen, die also besonders betroffen sind. Natürlich ist eine solche Grenzziehung willkürlich. Aber ihr
liegt eine einleuchtende Logik zugrunde.
Dies alles bedeutet, dass wir sehr zügig über das dauerhafte Instrument für den Ausbau der Kraft-WärmeKopplung reden müssen, bei dem selbstverständlich die
industrielle Kraft-Wärme-Kopplung ebenfalls eine zentrale Rolle spielen wird, vor allem deswegen, weil dort
de große Ausbaupotenziale sind.
Bei diesem Thema habe ich übrigens schon wieder
die Opposition vermisst. Gestern fand im Rahmen
des „Energiedialogs“ eine große Anhörung über die Potenziale in diesem Bereich und das mögliche Instrumentarium statt. Alle gesellschaftlichen Gruppen, von
Stromkonzernen über Stadtwerke bis zu Umweltverbänden, waren dort vertreten, auch die Regierungsfraktionen.
({8})
Wer wieder einmal fehlte und sich nicht an diesem gesellschaftlich organisierten Diskussionsprozess beteiligte, waren die CDU/CSU und die F.D.P.
({9})
- Hören Sie doch auf! Die Veranstaltung fand am
Nachmittag statt. Zu der Zeit waren auch nicht alle von
Ihnen hier im Plenum.
Ich finde es richtig: Wir nehmen die Anregungen der
EU auf, eine Diskussion über einen Zertifikatshandel
auch in Deutschland durchzuführen und dieses Vorhaben in die Praxis umzusetzen. Wir können einen Beitrag
dazu leisten, dass die Diskussion über einen Zertifikatshandel in der EU vorankommt.
Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie, wie gesagt, hier
nicht Krokodilstränen über die industrielle KraftWärme-Kopplung vergießen, sondern auch einmal Konzepte auf den Tisch legen, wie fossile Energieträger effizient ausgenutzt werden und wie erreicht werden kann,
dass diese neue Technologie keinen Fadenriss durch die
Liberalisierung bekommt; denn Sie haben damals, als
die Liberalisierung eingeführt wurde, unsere Bedenken,
dass gerade diese Technologie unter die Räder zu kommen droht, beiseite gewischt.
Jetzt stehen wir in der Praxis vor genau dieser Situation und jetzt sind auch Sie aufgefordert, Antworten zu
entwickeln. Wenn Sie es nicht tun: Wir werden welche
entwickeln. Wir befinden uns in der Erarbeitung eines
dauerhaften Modells, um die Kraft-Wärme-Kopplung in
den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln.
Danke.
({10})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Walter Hirche von der
F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. unterstützt Kraft-WärmeKopplung als einen sinnvollen Beitrag zu mehr Energieeffizienz, zu Energieeinsparungen und auch zur Vermeidung von CO2-Emissionen; deswegen haben wir in der
Vergangenheit die Fernwärmeausbauprogramme unterstützt. Die Öffentlichkeit weiß vielleicht gar nicht, dass
in diesem Hause eine beispielhafte KWK-Anlage vorhanden ist, die mit Pflanzenöl betrieben wird.
({0})
Das heißt, der Bundestag hat mit Zustimmung aller Fraktionen diese Art von Energiegewinnung eingesetzt.
Dennoch werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen;
dafür nenne ich vier Gründe: Erstens. Der Gesetzentwurf verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es werden nur Anlagen der allgemeinen Versorgung und
kommunale Eigentümer gefördert, sonst nichts. Industrielle Anlagen werden ausgeschlossen, sofern sie nicht
der allgemeinen Versorgung dienen. Aber dort gibt es
die gleichen Übergangsprobleme. Fazit: Der Staat sorgt
nur für sich selbst.
Zweitens. Rot-Grün pfeift mit diesem Gesetzentwurf
auf den Klimaschutz. Wenn es nämlich um Klimaschutz
ginge, dann müssten alle KWK-Anlagen gefördert werden, weil industrielle Anlagen denselben Beitrag wie
kommunale Anlagen leisten.
({1})
Sie müssten wegen ihrer höheren Effizienz zuerst gefördert werden, Herr Jung. Ihr Hinweis darauf, wir würden
nicht helfen, weil sie effizienter seien, hat mich zu Tränen gerührt. Das ist so, als müsste man einem Sonderschüler für den gleichen Job mehr Geld zahlen, weil er
schlechtere Voraussetzungen als ein Akademiker hat.
Knüpfen Sie doch an der Effizienz an und fördern Sie
dort, wo wir wirklich etwas für den Klimaschutz tun
können!
Drittens. Es fehlen jegliche Qualitätskriterien für die
Förderung, zum Beispiel Mindestnutzungsgrade. Es fehlen Vorschriften über eine Kontrolle der Brennstoffausnutzungsgrade.
Viertens. Es ist wieder einmal eine Umlage vorgesehen. Zwar profitieren im Grundsatz nur kommunale Anlagen - unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes -,
({2})
aber die Kosten werden fürsorglich auf alle Stromkunden abgewälzt und belasten damit die Arbeitsplätze.
Kommunale Interessen werden geschützt, während die
Kosten auf die Betriebe überwälzt werden.
Richtig wäre - davor drücken Sie sich, Frau
Hustedt, - demgegenüber ein Sofortprogramm für
schwierige Einzelfälle mit zeitlich befristeter Förderung
aus dem Bundeshaushalt. Umweltmindeststandards
müssten zugrunde gelegt werden. Falsch ist doch der
von Ihnen betriebene Eigentümerlobbyismus, nach dem
Motto: Es bedient sich, wer an der Macht ist. - Eine fabelhafte Moral, die Sie da an den Tag legen!
({3})
Vielleicht ist es zu früh, zu gratulieren, Frau Kollegin, weil die dritte Lesung noch aussteht. Aber schon
jetzt - Herr Kollege Jung hat das klar gemacht - ist
deutlich: Dieser Gesetzentwurf von Rot-Grün dient ausschließlich den Interessen der Organisationen des Verbandes kommunaler Unternehmen. In der Praxis, Herr
Kollege, wird dieses Gesetz schnell den Namen „JungBrunnen-Gesetz“ erhalten, weil dort die Mittel sprudeln,
die Herr Jung hier freigemacht hat. Der Gesetzentwurf
ist eine krasse Form der Selbstbedienung für den kommunalen Bereich mit Hilfe des Deutschen Bundestages
zulasten der Stromzahler.
({4})
Wer mehr erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz will, der wird auch KWK fördern. Wir warten
mit Spannung auf den von Ihnen angekündigten Gesetzentwurf. Eines kann ich Ihnen sagen: Eine Quotenregelung einschließlich einer Zertifikatslösung nur für
KWKs ist ein völlig falscher Weg. Wenn Sie das wirklich wollten, dann müssten Sie alle regenerativen Energien in den Wettbewerb einbeziehen bzw. ihm aussetzen.
({5})
Dann erhielten Sie den notwendigen Innovationsdruck,
den wir auch im Interesse der erneuerbaren Energien
brauchen. Dazu bekennen wir Liberale uns.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur
Klimapolitik, sondern eine plumpe Bedienung kommunaler Interessen. Verbal und virtuell sind Sie für die
Energieeinsparung und den Klimaschutz; aber der Gesetzentwurf selbst straft Sie Lügen. Mit dem Verzicht
auf Unterstützung der industriellen Kraft-Wärme-Kopp-lung verzichten Sie zugleich auf den Vorrang von Klimapolitik.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. muss diesen
Gesetzentwurf leider ablehnen. Ich fordere Sie auf: Ergreifen Sie wieder Maßnahmen, die insgesamt das Etikett „Klimaschutz“ verdienen und die nicht nur auf die
Bedienung von Klientelinteressen ausgerichtet sind.
Vielen Dank.
({6})
Der
nächste Redner ist der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mir vorstellen, dass sich
heute Abend, falls der vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet wird, der eine oder andere Verbandsfunktionär
nach der Devise „Wenn einem so viel Gutes widerfährt“
ein Gläschen genehmigt. Es sei ihnen gegönnt, allerdings nur einigen. Insofern bedauere ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wie Sie
in den beiden vergangenen Wochen mit diesem wirtschafts- und umweltpolitisch wichtigen Thema umgegangen sind.
Mit Ihren vorgestern im Wirtschaftsausschuss durchgesetzten Änderungen des eigenen Gesetzentwurfes haben Sie nicht nur die Anhörung von Montag letzter Woche ignoriert. Nein, Sie haben ihn auch noch verschlimmbessert, zumindest dann, wenn man die Chancen auf den Erhalt und den Ausbau der Kraft-WärmeKopplung als ressourcen- und damit umweltschonende
Technologie und nicht nur die Interessen einiger ausgewählter Betreiber bestimmter Anlagen tatsächlich im
Auge behalten will.
Wer auf der gegenwärtig stattfindenden HannoverMesse mit Betreibern und Produzenten solcher Anlagen,
vor allem solcher im Megawattbereich, gesprochen hat,
der kann nachvollziehen, dass diese aufgrund des heute
zu beschließenden Gesetzes die Erfüllung ihrer Hoffnungen und letztlich auch den Erhalt von Arbeitsplätzen
in fahrlässiger Weise gefährdet sehen.
Herr Kollege Jung, ich hätte mir deshalb gewünscht,
dass es nach Ihnen gegangen wäre. Leider haben Sie und
auch Frau Hustedt nicht die Frage beantwortet, nach
wem es denn gegangen ist. Denn dies war schließlich
ein Gesetzentwurf der beiden Koalitionsfraktionen. Eine
Beantwortung dieser Frage wäre schon wichtig. Denn
wer den vorliegenden Gesetzentwurf heute unverändert
in der Ausschussfassung beschließt, der muss sich spätestens im Sommer nach Vorlage des nächsten Klimaschutzberichtes fragen lassen, wie er in den nächsten
fünf Jahren das selbst gesteckte Ziel, den Kohlendioxidausstoß im Vergleich zu 1990 um ein Viertel zu reduzieren, erreichen will.
Auch wir von der PDS plädieren angesichts des von
der schwarz-gelben Regierung übergangslos geöffneten
Strommarktes dafür, Stadtwerken mit Heizkraftwerken
und damit auch deren Beschäftigten schnelle Hilfen zu
gewähren.
({0})
Denn wir waren es, die dieses Thema im Rahmen einer
Aktuellen Stunde im September vergangenen Jahres und
mit einem am 16. Februar dieses Jahres eingebrachten
Gesetzentwurf hier im Plenum zur Diskussion gestellt
haben.
Aber wir haben ebenfalls von vornherein gesagt, dass
die Rettung solcher in den letzten Jahrzehnten politisch
von Bund, Ländern und Kommunen vorgegebenen Investitionen schnellstens in ein Gesamtkonzept eingebettet werden muss. Der Bestand rein industriell betriebener KWK und die damit verbundenen Arbeitsplätze
sind vom Preisdumping der großen Stromversorger zumindest ebenso bedroht wie kommunale Anlagen. Diese
KWK erzeugen bisher nicht nur das Gros des einschlägigen Stromes; durch den kontinuierlicheren Wärmebedarf in diesem Bereich ist der Klimaschutzeffekt der
Technologie sogar noch größer.
Die Koalition hat nicht nur all dies ignoriert. Vielmehr hat sie mit ihren letzten Änderungen auch noch die
Aussicht auf eine vernünftige Perspektive verschlechtert. Die neue Überschrift nimmt dem Gesetz den Charakter von etwas Vorläufigem. Denn welchen Grund
sollte es sonst geben, aus dem Wort „Vorschaltgesetz“
das Wort „Gesetz“ zu machen? Das scheint allerdings
beabsichtigt. Schließlich können kommunale Versorger
mit dieser Regelung über Jahre gut leben, wodurch sich
der außerparlamentarische und wohl auch der parlamentarische Druck - ich denke dabei an die Interessenvertreter des VKU in diesem Hause - auf eine zügige
längerfristige Förderung von KWK-Strom zur
Ressourcenschonung absehbar vermindern würde. Denn
jetzt soll nicht nur jeglicher Strom, also nicht nur der
echte KWK-Strom aus öffentlichen Altanlagen, einen
Aufschlag erhalten, sondern sogar Strom aus jenen
Heizkraftwerken, deren - ich zitiere - „wesentlichen
Anlagenteile“ - was auch immer das bedeuten soll spätestens Silvester vergangenen Jahres bestellt worden
sind.
Nicht nur am Rande möchte ich dazu erwähnen, dass
die Urheber damit die ganze Regelung sehr angreifbar
machen und damit eigentlich das Gegenteil unseres gemeinsamen Zieles erreichen könnten. Hatte schon der
bisherige Entwurf wenig mit Klimaschutz, sondern eigentlich nur mit Vertrauensschutz zu tun, so wird nun
auch noch ohne Not dieses Argument, die Verhinderung
von „stranded investments“, ad absurdum geführt. Denn
wer noch vor drei Monaten - eineinhalb Jahre nach
Ausbruch des gnadenlosen Verdrängungskampfes gegen
Kraft-Wärme-Kopplung - solche Anlagen bestellte, der
ist vielleicht - oder sogar ganz sicher - ein Umweltfreund, aber ganz gewiss kein guter Kaufmann. So wie
es gestrickt ist, kann das Gesetz aber vor Gericht nur
Bestand haben, wenn es tatsächlich Letztere auch
schützt. Die ganze Stichtagsregelung muss deshalb verschwinden. Sonst ist absehbar weder der Umwelt noch
den Stadtwerken geholfen.
({1})
Die PDS wird sich trotz der Kritik, die ich geäußert
habe, diesem Gesetzesprojekt nicht verweigern, denn
das Gesetz ist immer noch besser als eine lang hinausgeschobene, nicht voraussehbare Lösung des Problems. Es
kann aber nur gelingen, wenn zumindest die wichtigste
unserer vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigt
wird. Über sie werden wir namentlich abstimmen.
Damit die umwelt- und wirtschaftspolitische Dimension dieser Technologie nicht im jetzigen kurzatmigen
Aktivismus untergeht, bleibt auch unser Gesetzentwurf
auf dem Tisch des Hauses. Sie werden sich also, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, der
Herausforderung KWK in diesem Jahr erneut stellen
müssen.
({2})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das
Wort dem Kollegen Michael Müller von der SPDFraktion. Ich mache aber schon jetzt darauf aufmerksam,
dass wir im Anschluss daran zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden. - Herr Müller, bitte schön.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf macht die rot-grüne Koalition einen weiteren und wichtigen Schritt, um die Stagnation in der
Energiepolitik zu überwinden und um die Fehler der
Vergangenheit zu beseitigen. Vor allem deshalb ist es
ein wichtiges Gesetz.
({0})
Herr Hirche, Sie müssen sehen, dass man dieses Gesetz nicht isoliert stehen lassen darf. Sie müssen bitte
unsere Ankündigungen ernst nehmen. Wir machen hier
ein Gesetz zur Nothilfe. Es wird in kürzester Zeit um
ein Gesetz zum Ausbau des Kraft-Wärme-Kopplungsbereichs ergänzt, wobei wir hier natürlich einen
Schwerpunkt auf die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, auf die Nahversorgung und auf die WHKWs legen
werden. Das sind die Hauptbereiche, in denen wir erheblichen Spielraum haben, um im Sinne des Klimaschutzes
zu wesentlich besseren Leistungen zu kommen, als das
heute der Fall ist. Ich glaube, dass man hier keinen Widerspruch aufbauen sollte, sondern dass man dies in einem engen Zusammenhang mit der Modernisierung der
Energieversorgung im Interesse ihrer ökologischen Verträglichkeit sehen muss.
({1})
- Das ist ein unglaublicher Widerspruch bei Ihnen.
Auf der einen Seite begrüßen Sie, dass wir etwas für
die Kraft-Wärme-Kopplung tun. Auf der anderen
Seite sagen Sie, es dürfe nichts kosten. Diese beiden
Auffassungen passen nicht zusammen. Wenn man will,
dass mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung und für den
Klimaschutz getan wird, dann muss man auch die Konsequenzen tragen.
({2})
Das hat natürlich preisrelevante Folgen. Man kann nicht
sagen: Wir tun etwas, aber es darf nichts kosten. Das
geht nicht. In diesem Punkt sind Sie sehr unglaubwürdig. Das ist nicht in Ordnung.
({3})
Herr Hirche, ich möchte darauf hinweisen, dass wir in
der Vergangenheit, als wir in der Opposition waren, in
der Energiepolitik glücklicherweise sehr viel mehr Konsens und Gemeinsamkeit hatten. Es wäre manchmal
schön, wenn Sie die Energiepolitik nicht zu einem
Schlaginstrument machen würden. Wir sollten uns vielmehr gemeinsam unserer Verantwortung insgesamt, also
auch der Verantwortung für die nationale Ressourcensicherheit, bewusst sein.
Wir haben erstens heute aus zwei Gründen eine sehr
schwierige Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung.
Zum einen bestehen große Überkapazitäten und zum anderen wird bei bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen mit Preisen, die an und zum Teil unter den
Grenzkosten liegen, operiert. Wir stehen zweitens vor
der Situation, dass daher auch neue Anlagen im Augenblick kaum eine Chance haben. Wir sehen drittens die
Gefahr, dass auch langfristig der wichtige Anteil der
Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, wenn wir nicht die
Rahmenbedingungen insgesamt verbessern.
Wir können das Klimaschutzziel nicht erreichen,
wenn wir nicht insgesamt die Bedingungen für die
Kraft-Wärme-Kopplung verbessern. Dies ist in dreierlei
Hinsicht wichtig: Erstens. Kraft-Wärme-Kopplung ist
ein Beitrag zur Sicherung der Produktions- und Energiestandorte in der Bundesrepublik. Zweitens. Sie ist ein
wichtiger Beitrag zur Sicherung von Beschäftigung. Es
ist alarmierend, wie viel Beschäftigung in den letzten
Jahren in diesem Bereich weggebrochen ist. Auch daraus ergibt sich ein Handlungsbedarf. Drittens. Wir müssen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für mehr Klimaschutz unbedingt ausbauen. Wir können, wenn wir es
hochrechnen, durch eine Verdopplung des Anteils der
Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere im Nahwärmebereich, im industriellen Bereich und bei den Blockheizkraftwerken, die Reduktion von CO2 um weitere
25 Millionen erhöhen. Dies ist unverzichtbar, um das
Klimaschutzziel in der Bundesrepublik zu erreichen. Insofern sagen wir, wir machen eine Politik zugunsten der
Kraft-Wärme-Kopplung aus Beschäftigungsgründen, zur
Sicherung der Erzeugung in der Bundesrepublik und unter Klimagesichtspunkten. Dies ist ein dreifaches Ziel,
das wir in einem Ansatz miteinander verbinden können.
Das ist richtige Politik.
Sie alle sagen, dass Sie für Kraft-Wärme-Kopplung
sind. Dann müssen wir auch die Konsequenzen ziehen.
Wir machen einen doppelten Schritt. Denn es macht
keinen Sinn, in Zukunft die Kraft-Wärme-Kopplung
auszubauen, aber heute die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kaputt gehen zu lassen. Das passt nicht zusammen.
Das geht einfach nicht.
({4})
Dies ist der erste gewaltige Schritt. Wir sichern und stellen jetzt gleichzeitig die Weichen für eine Erneuerung.
Ich sagen Ihnen: Wir halten den Ansatz über ein
marktgängiges Bonussystem, das in die Richtung von
Zertifikatslösungen geht, für einen sinnvollen Ansatz.
Auf dieser Basis kann man ein zukunftsträchtiges, wettbewerbsorientiertes Modell durchsetzen, das Ökonomie
und Ökologie miteinander verbindet und deshalb nachhaltig und zukunftsverträglich ist.
Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetz halten
wir Wort. Es kann nicht sein, dass beispielsweise kommunale Stadtwerke, die in der Vergangenheit im Interesse des Allgemeinwohls, im Interesse des Umweltschutzes in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen investiert haben,
jetzt von uns im Stich gelassen werden. Das geht nicht.
Das machen wir nicht. Wir stehen im Interesse des Allgemeinwohls zu unserem Wort.
({5})
Wir sagen auch: Es muss hier natürlich viel modernisiert werden. Deshalb haben wir es degressiv und befristet angelegt bzw. deshalb führen wir es in ein allgemeines Gesetz zur Förderung und Stützung der Kraft-Wärme-Kopplung über. Dies ist in diesem Zusammenhang
ein richtiger Ansatz, meine Damen und Herren. Sicherung und Ausbau, so müssen Sie es verstehen.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
({6})
Ich
schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be-
kannt, dass von einigen Kollegen eine Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung vorliegt,
die wir zu Protokoll nehmen. Dies sind die Kollegen
Herr Werner Labsch, Herr Albrecht Papenroth, Herr
Dr. Peter Danckert, Frau Barbara Wittig und Herr
Jürgen Wieczorek.*)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-
Wärme-Kopplung in der Ausschussfassung auf Druck-
sache 14/3007. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/3017 ab. Die Fraktion der PDS verlangt
eine namentliche Abstimmung. Ich weise gleich darauf-
hin, dass wir im Anschluss an die namentliche Abstim-
mung abwarten müssen, wie das Ergebnis ist, bevor wir
zur Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
___________
*) Anlage 4
Michael Müller ({0})
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das
scheint der Fall zu sein.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Beratungen fort, aber ich weise darauf hin, dass wir noch eine namentliche Abstimmung haben werden, und zwar
im Rahmen der Schlussabstimmung.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3018. Wer stimmt für den Änderungsantrag der
PDS auf Drucksache 14/3018? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3019. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
der Änderungsantrag bei gleichem Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3020. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
der Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung für wenige Minuten. Ich bitte aber, hier zu bleiben, weil wir anschließend eine weitere namentliche Abstimmung abzuhalten haben.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-WärmeKopplung, Drucksachen 14/2765, 14/3007 und 14/3017,
bekannt: Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben gestimmt 26, mit Nein 453. Der Änderungsantrag ist damit
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 476
ja: 26
nein: 446
ungültig: 4
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller ({0})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Gustav-Adolf Schur
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter
Bartels
Eckhardt Barthel
({1})
Klaus Barthel
({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius
Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding
({3})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Rainer Brinkmann
({4})
Wolf-Michael
Catenhusen
Dr. Herta DäublerGmelin
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich
({6})
Harald Friese
({7})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf
({9})
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({10})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
({11})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann
({12})
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann
({14})
Frank Hofmann
({15})
Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ilse Janz
({16})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika KrügerLeißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange
({17})
Detlev von Larcher
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann
({18})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({19})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
({20})
Jutta Müller
({21})
Christian Müller ({22})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
({23})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter
Rossmann
Birgit Roth ({24})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({25})
Silvia Schmidt
({26})
Dagmar Schmidt
({27})
Wilhelm Schmidt
({28})
Regina Schmidt-Zadel
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({29})
Brigitte Schulte
({30})
Volkmar Schultz ({31})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica SchwallDüren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid SkarpelisSperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({32})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({33})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
({35})
Helmut Wieczorek
({36})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({37})
Brigitte Wimmer
({38})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({39})
Waltraud Wolff ({40})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine BergmannPohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({41})
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({42})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer ({43})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({44})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({45})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Norbert Geis
Georg Girisch
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Helmut Kohl
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({46})
Dr. Paul Laufs
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
({47})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({48})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
({49})
Dr. Martin Mayer
({50})
Wolfgang Meckelburg
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller
({51})
Elmar Müller
({52})
Bernd Neumann
({53})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto
({54})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch
({55})
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Christian Schmidt
({56})
Andreas Schmidt
({57})
Dr. Andreas
Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß
({58})
Gerald Weiß ({59})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
({60})
Hans-Otto Wilhelm
({61})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gila Altmann ({62})
Marieluise Beck
({63})
Volker Beck ({64})
Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska EichstädtBohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
({65})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika KösterLoßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
({66})
Christa Nickels
Christine Scheel
Irmingard ScheweGerigk
({67})
Werner Schulz
({68})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Margareta Wolf
({69})
F.D.P.
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz
Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich
Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard SchmidtJortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Ungültig
SPD
Hans-Günter Bruckmann
Heinz Schmitt
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Müller ({70})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler ({71}), Klaus, Neumann ({72}), Gerhard, Siebert, Bernd,
SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU
__________________________________
Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte
abgegeben? - Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ih-
re Stimmkarte abgegeben? - Ich schließe den Wahlgang
und bitte auszuzählen. - Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.*)
__________
*) Seite 8960
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/3008. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 14/2959 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({73})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträ-
ge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu ge-
ben.*) Sind Sie damit einverstanden? -
({74})
Das ist der Fall.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2959 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 20 a und 20 b
auf:
20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und F.D.P.
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Recht und Ethik der modernen Medizin“
- Drucksache 14/3011 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angela Marquardt, Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on der PDS
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Menschenrechte, Ethik und Politik für ei-
ne Medizin der Zukunft“
- Drucksache 14/2153 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-
Fraktion.
__________
*) Anlage 3
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als vor gut 13 Jahren die
Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages ihren Abschlussbericht vorlegte, hat man die Geschwindigkeit
der Entwicklung noch nicht abschätzen können. Seither
hat sich die medizinische Genetik, die so genannte rote
Gentechnik, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit
entwickelt. Noch in diesem Jahr wollen die im Projekt
HUGO kooperierenden 16 internationalen Sequenzierungszentren eine Arbeitsversion des menschlichen Genoms fertig gestellt haben, die mit einer Fehlerrate von
nur 1 Promille 90 Prozent der menschlichen Gene erfassen soll.
Das Industrieunternehmen Celera Genomics hat auf
diesem Gebiet seine Claims durch Patente sichern lassen
und lässt mehr als 200 automatische Sequenziermaschinen Gendaten von einem Supercomputer analysieren.
Von Anfang September bis Mitte Oktober vorigen Jahres hatte dieses Unternehmen bereits 6 500 Patente auf
vermeintlich interessante DNA-Regionen des menschlichen Genoms beantragt.
Als Clinton und Blair vor gut einer Woche den freien
Zugang zu allen Gendaten des Menschen forderten, gab
es heftige Kurseinbrüche bei Biotech-Aktien, die sich
erst wieder erholten, als der britische Konzern PPL Therapeutics fünf geklonte Ferkel vorstellte und verkündete,
dass es bald möglich sein werde, menschliche Ersatzorgane in Schweinen heranwachsen zu lassen und diese
durch Klonen in ausreichender Zahl auf den Markt zu
bringen.
Die Bemühungen, menschliche Ersatzteile durch Gewebs- und Organzüchtung aus embryonalen Stammzellen herzustellen, führt zu einer Wachstumseuphorie und
treibt seltsame Blüten. So schützte das Europäische Patentamt - wir haben hier darüber debattiert - ein Verfahren zur Zucht gentechnisch veränderter menschlicher
Embryonen. Das war ein klarer Verstoß gegen geltendes
Recht. Grundsätzlich wird das Heranzüchten und Patentieren von biologischem Material, wie es in der europäischen Patentrichtlinie heißt, in aller Welt, so auch in
Deutschland, als legitimes Vorgehen akzeptiert. Die
Formulierung „biologisches Material“ erinnert an den
schrecklichen Ausdruck „Menschenmaterial“ aus
Kriegszeiten. Damals wie heute wird dem Gegenstand
solcher Begrifflichkeit ein Selbstzweck aberkannt. Aus
Leben wird biologisches Material, wird bloße Ware.
Professor Joseph Coates aus Washington hat auf einer
Tagung des dänischen Ethikrates in Kopenhagen kürzlich eine Abschätzung der künftigen Entwicklung der so
genannten roten Gentechnik in den Vereinigten Staaten
vorgestellt. Ich möchte hier einiges aus diesem Szenario
vorstellen:
Er prognostiziert, dass das Interesse wohlhabender
Einkommensschichten an genetischer Diagnostik und
Therapie zunehmen wird und dass deren Kosten bis zum
Jahre 2025 deutlich sinken werden. Der Einstieg in den
Markt werde über die Vermeidung genetisch vererbbarer Krankheiten erfolgen. Aus diesem Grunde würden immer mehr Eltern Techniken der künstlichen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Befruchtung akzeptieren, um Kinder mit Behinderungen oder genetisch bedingten Erkrankungen vor der Implantation des befruchteten Eies auszusortieren. In einigen Staaten dieser Welt werde die dabei gewonnene Erfahrung genutzt werden, um so genannte EnhancementTechniken zur Anwendung zu bringen. Wenn es möglich sei, musikalische, intelligente oder körperlich optimierte Menschen zu selektieren, würden, so schätzt Coates, einzelne Staaten diese Technologie auch nutzen.
Unweigerlich werde das zu einem internationalen Druck
in Richtung Optimierung führen.
Coates spricht symbolisch von drei Olympiaden, die
es dann geben müsste, einer normalen, einer für Behinderte und einer für Enhanced People. Dopingtechniken
könnten dadurch jedenfalls überflüssig werden.
In den Vereinigten Staaten, die den Eltern bei der Erzeugung und Gestaltung ihres Nachwuchses nicht hineinreden wollen, käme es, so vermutet Coates, erst in
zehn Jahren zu einer gesetzlichen Einschränkung dieser
Technologien. Dort werden diese Technologien also
kräftig, den Marktgesetzen folgend, wachsen. In Amerika rechnet man mit etwa 6 Millionen Elternpaaren, die
hier als Nachfrager auftreten könnten. Um die Akzeptanz für Eingriffe in die Keimbahn zu verbessern, wird
man zuerst erlauben, das Gen für Typ-I-Diabetes im
menschlichen Genom auszuschalten. Da gibt es das
größte Einverständnis.
Coates prognostizierte, dass bereits in etwa 20 Jahren
in vielen Staaten dieser Welt eine humangenetische Beratung und Untersuchung zukünftiger Eltern zur Pflicht
gemacht werden würde.
Im Jahr 2030 wird etwa jeder dritte amerikanische
Erwachsene Informationen über große Teile seines Genoms zur Verfügung haben. Bei Kindern werden es über
80 Prozent sein. Mit einer politischen Anti-GenBewegung rechnet man in den USA erst Mitte der 30erJahre. Dabei wird auf Erfahrungen mit anderen Risikotechnologien zurückgegriffen, wie zum Beispiel der
Kernenergie.
Die Bundesärztekammer präsentierte vor einigen
Wochen den Entwurf einer Richtlinie, welche die Selektion minderwertiger Embryonen im Rahmen der
künstlichen Befruchtung erlaubt. Begrenzt einstweilen
auf einige wenige Fälle bestimmter Erbkrankheiten
zeichnet sich hier bereits eine Entwicklung ab, die das
Schutzniveau unseres Embryonenschutzgesetzes aufweicht.
Noch etwas: Vor wenigen Tagen hörten wir, dass die
britische Regierung per Gesetz Versicherungsunternehmen gestatten will, die Höhe der Versicherungsprämie
dem genetischen Risiko der Versicherten anzupassen. Es
ist überall dasselbe Phänomen: Wir sind fasziniert von
den technischen Möglichkeiten und merken gar nicht,
dass wir nach und nach die Grundlage des menschlichen
Miteinanders verändern,
({0})
dass Werte und Tabus, die bisher unser Zusammenleben
geregelt haben, in den Labors außer Kraft gesetzt werden und dass die Geschwindigkeit dieser Entwicklung
oft vom irrationalen Treiben an den Börsen gesteuert
wird.
Ich bitte,
allmählich zum Schluss zu kommen.
Wir haben verabredet, dass ich diese Rede zu Ende halten kann, wenn ich
das darf.
({0})
Ich frage mich: Ist das dies, was die Menschen wollen? Wissen sie, wissen wir als ihre Vertreter, was da
wirklich abläuft? Wenn da etwas aus der Bahn gerät,
können wir es rechtzeitig beeinflussen?
Alles ist doch viel zu kompliziert, heißt es, man kann
sowieso nichts mehr machen, zurzeit läuft es doch prima - so sind die gängigen Verdrängungsmechanismen.
Ich bin froh, dass sich die Fraktionen des Deutschen
Bundestages durchgerungen haben, sich diesem Thema
zu stellen.
({1})
Ich weiß, dass unser Tun von der Pharmaindustrie und
von den Life-Science-Unternehmen intensiv beachtet
wird und dass es nicht an Versuchen und Beeinflussungen mangeln wird. Wir haben jedoch auch gegenüber
diesem wichtigen Wirtschaftszweig die Aufgabe - kurzfristigen Kapitalinteressen zum Trotz -, für eine nachhaltige Entwicklung zu sorgen.
Wir sind in Deutschland stolz darauf, dass unsere Automobilindustrie die umweltfreundlichsten Autos entwickelt und weltweit vermarktet. Hermann Scheer hat
gestern in einer sehr beeindruckenden Rede deutlich
gemacht, dass auch im Energiewirtschaftsbereich nur
derjenige eine Zukunft haben kann, der nachhaltig plant
und auch in die soziale und ökologischen Verträglichkeit
seiner Produkte investiert.
Gleiches gilt uneingeschränkt auch für den Bereich
der Biotechnologie. Es wäre falsch und wir wären falsch
beraten, wenn wir hier plötzlich mit Mindeststandards
zufrieden wären. Unsere Nachbarn - das weiß ich aus
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erwarten von Deutschland auch im Bereich der Biotechnologie anspruchsvolle Entwicklungen. Anspruchsvolle
Entwicklungen im Bereich der Life-Sciences können
aber nur dann nachhaltig genannt werden, wenn die ethischen Grundwerte, wenn das Menschenbild und die
Menschenrechte durch diese Entwicklung, durch die
Produkte und die Verfahren, die hier entstehen, nicht gefährdet werden.
Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber hat diese
Ziele bei seinen Regelungen bisher hochgehalten und
sollte davon nicht abgehen. Wir wollen ihm durch die
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ ein dafür unentbehrliches Instrument zur Verfügung stellen. Die Einsetzung der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ im
Deutschen Bundestag ist unverzichtbar. Sie kann aber
nur dann ihre Funktion als Instrument der ethischen
Rückkopplung wahrnehmen, wenn sie in ihrer Zusammensetzung und in ihrer Arbeitsweise nicht durch mächtige Forschungs- und Wirtschaftsinteressen, die bis in
das Parlament hineinreichen, entwertet wird.
Wer die Enquete-Kommission aus innerster Überzeugung für überflüssig hält und dieses innerhalb und außerhalb des Parlaments laut und deutlich kundtut, mit
dem will ich mich trefflich streiten. Schlimm wäre es,
wenn die Sitzungen der Enquete-Kommission zu Alibioder Feigenblattveranstaltungen werden, wie das Beispiel vieler Ethik-Kommissionen in Amerika zeigt.
Die Enquete-Kommission soll nicht Marketinginstrument für Fachleute sein, die ohnehin schon meinen,
alles zu wissen. In ihr soll gerungen werden, und zwar
öffentlich, damit später kein Parlamentarier sagen kann,
er habe nicht gewusst, was in diesen, die Grundrechte
der Menschen dieses Landes direkt betreffenden Fragen
im Deutschen Bundestag entschieden wurde.
({2})
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Werner
Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Der
Deutsche Bundestag trifft heute mit der Einsetzung einer
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ eine ausgesprochen bedeutsame Entscheidung;
denn diese Thematik ist von außerordentlicher Tragweite, ergeben sich doch in der biomedizinischen Forschung
umwälzende Erkenntnisse in einem wahrhaft atemberaubenden, ja manchmal sogar in einem wirklich beängstigenden Tempo.
Entstehen und Werden des menschlichen Lebens sind
endgültig ihrer Geheimnisse entkleidet. Sie werden immer häufiger ins medizinische Labor verlagert. Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms mit
all seinen Segens-, aber auch Horrorversionen ist nur
noch eine Frage der Zeit. Biomedizinische Forschung das beweist die alltägliche Erfahrung - ist längst nicht
mehr an nationale Grenzen gebunden. Vielmehr verbreitet sich wissenschaftliches Know-how mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit weltweit und gewinnt damit zugleich ein erhebliches - wir haben es schon gehört - ökonomisches Potenzial.
Können über diese bestürzende Entwicklung überhaupt keine Zweifel bestehen, so klaffen auf nationaler
wie internationaler Ebene die Ansichten über die Anwendung und mehr noch über die ethischen Grenzen
dieser Anwendung genauso weit auseinander wie die
Beurteilung ihrer politischen und rechtlichen Konsequenzen. Bedauerlicherweise kann von einem breiten
ethischen Konsens leider nirgends mehr die Rede sein.
Gesetzestexte werden gleichsam über Nacht hinfällig,
wie dies beispielsweise der nach dem Klonen des Schafes Dolly im Jahre 1998 erstellte Bericht der Bundesregierung zum Handlungsbedarf beim Embryonenschutzgesetz zeigt. Nicht zuletzt die jüngste unverantwortliche Fehlentscheidung des Europäisches Patentamtes zur Vergabe eines Patents auf Genmanipulation
am menschlichen Erbgut zeigt in dramatischer Weise die
dringende Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion
der zugrunde liegenden ethischen Fragen.
({0})
Zunehmende Forderungen aus der Wissenschaft nach
einer Nivellierung der strengen deutschen Standards tun
ihr Übriges, den Druck auf die Legislative zu erhöhen.
Deshalb brauchen wir den öffentlichen Diskurs jetzt und
nicht erst dann, wenn die rasanten Entwicklungen die
Reaktionsfähigkeit des Staates bereits überfordern. Hier
wird die Enquete-Kommission einen entscheidenden
und unverwechselbaren Beitrag zu leisten haben.
Wie weit unser Zeitgeist bereits von den klassischen
Werten einer traditionellen, der Menschenwürde verpflichteten Ethik entfernt ist, zeigt die Absichtserklärung
des schottischen Dolly-Vaters Wilmut, zukünftig - man
höre! - embryonale Stammzellen zu, wie es absolut verharmlosend heißt, „therapeutischen Zwecken“ zu klonen. Er wird zitiert mit:
Die meisten Menschen denken bei Embryonen an
sehr kleine Menschen. Tatsächlich ist ein menschlicher Embryo nach sechs oder sieben Tagen nur ein
kleiner Zellball ohne Persönlichkeit.
Ich halte diese Behauptung für ungeheuerlich, degradiert
man doch damit bewusst den Embryo zu einem
materiellen Etwas und damit zu einem seelenlosen
Konglomerat von Zellen, das zu Untersuchungszwecken
durchaus zerstückelt, gentechnisch manipuliert und je
nach Forschungsprogramm sogar vollkommen ungeniert
zu fremdbestimmten Zwecken verwandt werden darf.
„Träume und Albträume des modernen Lebens“,
stellt der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter fest,
„stehen sich in kaum einem anderen Bereich so schroff
gegenüber wie gerade in der Medizin“. Angesichts solcher schrankenlosen Eigengesetzlichkeit der biomedizinischen Entwicklung mangelt es nicht an verzagten
Stimmen. Daher hört man schon heute wiederholt, die
Ohnmacht des Staates sei gegenüber den explosiven
Vorgängen von Biotechnologie und Biomedizin längst
offensichtlich.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Situation unsere Enquete-Kommission einsetzen, will diese
doch den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen und Verbänden sowie den Kirchen ein willkommenes öffentliches Forum bieten, sich angemessen
und deutlich in den öffentlichen Entscheidungsprozess
einzubringen.
Zudem - dessen bin ich mir sehr sicher - werden
die angestrebten sachorientierten Ergebnisse einen
erheblichen Beitrag zur fundierten Bewertung einzelner
Technologien, zugleich aber auch zur Vermeidung vorschneller und womöglich in kürzester Zeit überholter
Reaktionen des Gesetzgebers leisten. Schließlich sollten
wir uns nicht grundlos neuen und viel versprechenden
Therapiemöglichkeiten der Biomedizin durch eine zu
rigide Gesetzgebung verschließen.
Andererseits gilt auch dies: Eine ethische und soziale
Bewertung neuer Handlungsperspektiven darf nicht allein durch die betroffenen Wissenschaftler erfolgen.
({1})
Ob Embryonenforschung oder Gentechnologie, ob Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen oder
Abtreibung, ob Präimplantationsdiagnostik oder Xenotransplantation - bei grundlegenden Fragestellungen,
welche die Würde des Menschen betreffen, brauchen
wir den öffentlichen gesellschaftlichen Dialog.
({2})
Dass es einen deutlichen Klärungsbedarf gibt, dafür
gibt es genügend Beispiele. Ich nenne nur einige wenige.
Zur Pränataldiagnostik: Pränatale Medizin hat - das
wissen wir -, ich betone: zu Recht - einen hohen und
positiven Stellenwert. Durch das Erkennen einer sich
ungestört entwickelnden Schwangerschaft wird zahllosen Frauen die Angst vor einem kranken Kind genommen. Das ist gut so.
Andererseits erhöht die Pränataldiagnostik zugleich
in außerordentlicher Weise den Druck auf die Schwangeren. So soll nicht übersehen werden, dass die Pränataldiagnostik bei Unsicherheiten oder möglichen leichten Behinderungen des Fötus immer häufiger zu einer
tödlichen Indikation führt, gemäß dem Motto: Ohne genetisches Gütesiegel keine Austragung!
({3})
Zur somatischen Gendiagnostik: Auch hier liegen
uns nicht nur Ergebnisse, sondern auch Fragen vor. So
stellt sich beispielsweise die Frage: Ist eine Röntgenschwester, bei der eine genetisch bedingte Veranlagung
zu Krebs diagnostiziert wird, verpflichtet, dies ihrem
Arbeitgeber zu sagen? Wie soll dieser reagieren, wenn
es ihm mitgeteilt wird?
Wie sollen wir das Schicksal einer jungen amerikanischen Frau bewerten, die sich bei einer Eliteuniversität bewarb und alle Eingangsprüfungen bestand, aber
anschließend aufgrund eines Gentests, der eine Disposition bezüglich einer bestimmten schweren Erkrankung
ergab, ausgeschlossen wurde, mit der menschenverachtenden Begründung, der Kostenaufwand stehe in keinem
Verhältnis zum Nutzen?
Ich bin der Auffassung, dass wir uns auf vier Punkte
besonders konzentrieren sollten:
Erstens. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und
Möglichkeiten der modernen Medizin erfordern zur
Wahrung der menschlichen Würde unsere ganz besondere Verantwortung.
Zweitens. Auf der einen Seite verpflichtet uns zwar
der christliche Schöpfungsauftrag, die Forschung, die
Medizin und die Technik überall dort zu nutzen und zu
fördern, wo sie dem Leben dienen. Aber auf der anderen
Seite gebietet unser christliches Verständnis vom Menschen mit der gleichen Deutlichkeit, überall dort absolute Schranken zu setzen, wo es das Gebot der Unverfügbarkeit des Lebens erfordert.
({4})
Der Mensch wird sich spätestens dort selbst zur Bedrohung, wo die von ihm geschaffene Technik nicht mehr
dem Leben, seiner Unantastbarkeit und seiner Entfaltung
dient.
Drittens. Entsprechend dem Zeugnis der Bibel ist der
Mensch geschaffen nach Gottes Bild. Daher hat menschliches Leben von Beginn an, also ab der Verschmelzung
von Ei und Samenzelle, den höchsten Anspruch auf
Schutz und Achtung seiner Würde, und dies unabhängig
von einem späteren Erfolg oder Misserfolg, unabhängig
von einer Behinderung oder Krankheit, unabhängig von
seiner weiteren Lebensperspektive und vor allem unabhängig vom wertenden Urteil des Forschers, des Arztes,
der Eltern oder gar eines Versicherungsvertreters.
({5})
Viertens. Alle Versuche, den Menschen physiologisch oder genetisch auf bestimmte Zwecke hin zu „optimieren“ - ein fürchterlicher Begriff -, verstoßen gegen
die menschliche Würde. Solche Versuche wären auch
unmoralisch, weil menschliches Leben nicht Produkt,
sondern unmittelbare Schöpfung Gottes ist und damit
der Machbarkeit entzogen wird.
Diese vier Kriterien sind die unverrückbaren Positionen, unter denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre
Arbeit in der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der
modernen Medizin“ aufnehmen wird. Die Freigabe genetischer Erbsubstanz zur Manipulation oder gar die Zulassung der Tötung von menschlichem Leben hätte außerordentlich fatale und unverantwortbare Wirkungen
auf unser gesellschaftliches Zusammenleben.
Deshalb gilt - ich wiederhole es -: Die unbedingte
Lebensgarantie und die stärkste Kontrolle haben beim
Schutz behinderten oder ungeborenen Lebens absolute
Priorität.
Schließlich ist es keineswegs konsequent, auf der einen Seite - zu Recht - mit erbitterter Härte gegen Klonexperimente, gegen Präimplantationsdiagnostik, gegen
Keimbahnmanipulation oder gegen die Erzeugung embryonaler Stammzellen vorzugehen, auf der anderen Seite jedoch zugleich mit gleichgültiger Miene hinzunehmen, wenn beispielsweise ungeborene Kinder im achten
Monat Gefahr laufen, schon wegen einer Hasenscharte
abgetrieben zu werden.
({6})
Eine von christlichen Grundsätzen geprägte konsequente Haltung gebietet es daher, im Rahmen unserer
Arbeit in der Enquete-Kommission, für den Schutz der
Menschenwürde in allen Bereichen mit Verantwortungsgefühl und Überzeugungskraft zu streiten.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Noch keine Kultur und noch keine Gesellschaft vor uns stand davor, dass durch die Anwendung einer Technik der Begriff vom Menschen selbst
von seiner Auflösung bedroht ist.
Im Zuge der Akzeptanzförderung der Biomedizin
werden für den Beginn und das Ende des Lebens neue
Definitionen von Personalität in die Welt geworfen.
Vielleicht glaubt man tatsächlich, damit der Ethik Genüge zu tun, aber es wird im Kern jenseits der Menschenrechtsdogmatik zweckrational argumentiert. Man
stellt das Menschenrecht, das Projekt der Moderne, einer
postmodernen Beliebigkeit anheim.
Was ist der Mensch? Ab wann und bis wann ist er
Subjekt? Die Unterscheidung zwischen Mensch und
Person ist eine definitorische Aufspaltung des Untrennbaren. Um welche unermessliche Dimension von
Fremdbestimmung des Menschen würde es sich einmal
handeln, wenn wir zuließen, dass die Keimbahn gentechnischer Manipulation unterworfen, der Mensch als
Individuum und als Gattungsart seiner Einzigartigkeit
beraubt würde?
Das sind Fragen grundsätzlicher Art. Wir sind im
werteprogressiven Sinn aufgefordert, in der Tradition
der Menschenrechtskultur Tabus zu halten. Tabu und
Aufklärung gehören zusammen. Der menschliche Embryo in seiner frühen Phase der Entwicklung ist bereits
Objekt kommerzieller Verwendung in Form von patentierbarem biologischen Material geworden. Er ist Ausgangsmaterie zur Herstellung und Herausbildung von
Menschenteilen für die Verwendung in der medizinischen Therapie: nicht in Deutschland, aber anderswo.
So taucht die Frage auf: Sind nationale, kulturelle,
ethische Grenzen, grund- und verfassungsrechtliche Garantien in einer globalisierten Welt noch zu halten, in
der durch die Verbindung von Informations- und Gentechnologie diese Forschung an allen Orten der Welt
nach Anwendung drängt? Nicht nur auf welchem Verständnis vom Menschen sind unsere Werte, unsere wertvollen Tabus gebaut, sondern auch wie können wir sie
über den nationalen Wertekonsens hinaus normgebend
dem europäischen Grundrechtscharta-Konvent befruchtend hinzufügen? Wie können wir diesen Prozess gestalten?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diesen
enormen Herausforderungen nur gerecht werden, wenn
wir mit aller Emphase und Sachlichkeit die Arbeit der
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
betreiben. Was im Dienste der Menschheit geforscht und
angewendet wird, muss sich auf das verfassungsrechtlich geschützte, ganzheitliche Menschenbild und die
Menschenwürde beziehen. An niemand anderen können
diese Norm- und Regelsetzungen delegiert werden. Das
muss das Parlament tun.
({0})
Um auf eine aktuelle Frage einzugehen: Nach dem
bestehenden Embryonenschutzgesetz ist es egal, ob die
Zellentwicklung in das Stadium der Toti- oder Pluripotenz fortgeschritten ist. Der Embryo ist zu keinem anderen Zweck entstanden als zu dem, von einer Frau geboren zu werden. Hier bleibt kein Interpretationsspielraum
offen, auch wenn Gen-Ingenieure das hoffen.
({1})
Die entleibte Fruchtbarkeit der Frau hat die größten
Begehrlichkeiten auf die Nutzbarmachung menschlichen
Lebens geweckt. Ob Präimplantation oder Pränataldiagnostik, sie alle betreffen die Frau, ihre Selbstbestimmung und die soziale und gesellschaftliche Dimension
von Mutterschaft in einer Weise, wie das noch mit
keiner Technik je geschehen ist. Die Entschlüsselung
der genetischen Beschaffenheit generiert die Entscheidung über Krankheitswertigkeit und Lebenswert. Austragungsort von Selektion ist der Körper der Frau. Ich
möchte nicht, dass wir diese Perspektive vergessen.
Wir haben die Aufgabe, die Komplexität des Themas
transparent und allgemein verständlich zu machen, denn
wir wollen den Austausch mit der Bevölkerung. Das
muss die Enquete-Kommission leisten. Gerade heute
soll nicht vergessen werden: Es ist dem nachhaltigen
Engagement einer informierten und aufgeklärten Öffentlichkeit sowie der Presse entscheidend mitzuverdanken,
dass die Enquete-Kommission letztlich doch eingesetzt
wird. Sie, die Kirchen, die Natur- und Geisteswissenschaften, die Behindertenverbände, gehören unverzichtbar zu den dialogführenden Parteien dazu. Diese haben
ihre aufgeklärte Position nicht zuletzt in ihrer Kritik an
der europäischen Bioethik-Konvention formuliert, die
diesen unverzichtbaren Schutzstandard eben gerade
nicht hinreichend garantieren kann. Wir müssen sehr
ernsthaft daran arbeiten, dass es nicht über die supranationale Ebene zu einer Nivellierung unserer Standards
kommt.
Die deutsche Enquete-Kommission hat unbedingt eine europäische Wirkung. Wenn jetzt beispielsweise in
England der DNA-Chip für die private Krankenversicherung Verwendung findet, zeigt das: Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms darf niemals mit einem
individuellen Krankheitsrisiko in Verbindung gebracht
werden.
({2})
Das Krankheitsrisiko zu individualisieren bedeutet
die Autonomie zu pervertieren. Was Selbstbestimmung
genannt wird, ist Diskriminierung, ist das Gegenteil von
Freiheit und Gleichheit. So wie der Zivilität eine zukunftsfähige Weiterentwicklung des solidarischen Sozialstaats zugrunde zu legen ist, so darf Leitbild der genetisch und molekular ausgerichteten Biomedizin nicht die
genetische Verbesserung des Menschen sein. Wenn das
sicher ist, bewegen wir uns auf festem Grund.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor SchmidtJortzig von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Die F.D.P. begrüßt die Einsetzung der
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ nachdrücklich. Wir glauben, dass es dringend
geboten ist, dass sich auch und gerade das Parlament mit
diesen Fragen und den Problemen auf diesem Gebiet
umfassend beschäftigt. Wir sind uns - gottlob - noch
gar nicht ganz einig darüber, was alles dazu gehört.
Manche Aspekte haben wir schon gehört. Herr Kollege
Lensing und Herr Kollege Wodarg, Sie haben darauf
hingewiesen.
Ich möchte nur einen zusätzlichen Bereich ansprechen, der auch in diesem Problemfeld anzusiedeln ist.
Dies ist der große Fragenkomplex um Sterbehilfe,
Sterbebegleitung und/oder die Palliativmedizin. Wir
wissen, dass die wissenschaftliche Forschung täglich
weiter greift. Hier ergeben sich allenthalben Fragen sowohl bezüglich segensreicher Therapiemöglichkeiten als
auch umgekehrt bezüglich Horrorvorstellungen. Darauf
ist schon hingewiesen worden. Man denke nur daran,
dass die berühmt-berüchtigte Dolly-Methode auch bei
Menschen anwendbar ist.
Es gibt also eine Fülle von Problemen, die alle einer
Erörterung und eben auch der rechtlichen Regulierung
bedürfen, weil man nie ausschließen kann, dass sich hier
Experimentierer bar eigener ethischer Beschränkungen
tummeln und Dinge treiben, die mit unserem Menschenbild, unserer Verpflichtung vor der Verfassung und
vor allem der Verantwortung vor den nachfolgenden
Generationen ebenso wie vor unserer spezifischen Vergangenheit nicht vereinbar sind.
Hier zu gemeinsamen Grundregeln zu kommen ist
bestimmt schwierig, aber davor zu kapitulieren und sich
schnell in das Argument mit der Unabstimmbarkeit zu
flüchten wäre meines Erachtens unvertretbar.
Vielmehr gilt es, dass das Parlament sich auf seine Führungsaufgabe und seine Funktion als Anstoßgeber für
öffentliche und tief gehende Diskussionen besinnt.
({0})
Ich glaube jedenfalls, dass das demokratische Mandat
im Grunde und erst recht wohl in diesem Bereich weniger dazu berechtigt, allgemeinen Meinungen, Ängsten
oder eben Entscheidungsverweigerungen nachzugeben,
als vielmehr dazu verpflichtet, sich in noch so schwierigen Situationen persönlich zu bekennen, miteinander um
ein möglichst gutes Urteil und eine möglichst gemeinverträgliche Lösung zu ringen, die Verantwortung zu
akzeptieren und dann eben auch Entscheidungen zu treffen.
Meine Damen und Herren, freilich weiß man zusätzlich - das hat mich jedenfalls die Erfahrung aus der letzten Legislaturperiode mit dem Gesetz über die Organtransplantation gelehrt -, als wie unangenehm die Befassung mit solch existenziellen Themen von vielen empfunden wird. Möglicherweise - ich will das nur ganz
zart andeuten - beruht darauf im Übrigen auch, dass der
jetzige Tagesordnungspunkt so ganz am Ende der Wochenagenda versteckt wurde. Nur als ein Beispiel für einen Tagesordnungspunkt, der deutlich vorangestellt
wurde, sei etwa der tourismuspolitische Bericht der
Bundesregierung erwähnt. Ich hoffe sehr, dass das mit
den Ergebnissen der Enquete-Kommission nicht so gehen wird.
({1})
Für die Arbeit ist es ja vielleicht gar nicht so schlecht,
wenn wir etwas ruhiger beginnen.
Also: Lassen wir uns von Schwierigkeiten nicht beeindrucken, sondern gehen wir die große Aufgabe guten
Mutes an. Die Liberalen jedenfalls wollen sich hier beherzt einbringen.
Vielen Dank.
({2})
Das
Wort hat jetzt Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDSFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! In gar nicht
allzu ferner Zukunft soll es durch einen kleinen genetischen Eingriff möglich sein, Krankheiten zu heilen, vor
denen wir alle Angst haben. Ist das nicht ein hehres Ziel,
eine ethisch hoch stehende Aufgabe? Leider kann man
mit denselben Methoden auch andere Dinge tun, mit
denselben Techniken, mit denselben Instrumenten und
auch von denselben Menschen ausgeführt: Man kann
umweltresistente Menschen herstellen. Wollen wir das?
Man kann dem Schönheitswahn, der uns durch die Werbung aufgezwungen wird, dadurch Nahrung geben, dass
man sagt: Wir machen euch so schön, wie ihr sein wollt!
Und: Ihr bleibt ewig jung. Das ist alles möglich.
Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass das eigentlich Menschliche darin besteht, dass wir alle voller Fehler sind, dass es die Menschen gerade ausmacht, dass
wir nicht perfekt sind, dass uns auch einmal etwas wehtut?
Wir setzen heute eine Bioethik-Enquete-Kommission ein, und ich bin froh darüber. Endlich hat der Druck
vieler Behindertenorganisationen, vieler Wohlfahrtsverbände, vieler Selbsthilfegruppen und auch der Druck
von Einzelpersönlichkeiten dazu geführt, dass hier im
Bundestag diese Kommission eingesetzt wird. Nicht zufällig auch ein bisschen, weil die PDS schon im November vergangenen Jahres einen entsprechenden Antrag
eingebracht hat. Wir wollen heute, auch wenn alle, die
bisher geredet haben, sich sehr positiv äußerten, nicht so
tun, als ob es nicht so gewesen wäre, dass in den großen
Fraktionen erheblicher Widerstand gegen die Einsetzung
einer solchen Kommission bestand. Und das ist bedauerlich.
Ich will nicht verhehlen, dass ich es nach wie vor
auch bedauere, dass ideologische Verbohrtheit bei Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, verhindert hat, dass wir einen gemeinsamen
Antrag einbringen konnten.
({0})
In der Sache sind wir doch gar nicht auseinander. Daher
hatte ich eigentlich gedacht, dass wir, nachdem wir in
der Behindertenpolitik schon einmal gemeinsame Anträge einbringen konnten, das auch bei so wichtigen
Dingen tun könnten. Das Zeichen nach außen wäre gewesen, dass der Bundestag um die Wichtigkeit der Aufgabe weiß und mit parteipolitischem Hickhack aufhört,
der hier wirklich nicht angebracht ist.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die
Frage, ob wir wirklich alles tun wollen, was wir tun
können. Ich glaube es nicht. Die Enquete-Kommission
wird die schwierige Aufgabe haben, all das zu besprechen. Diejenigen, die warnen und sagen, die Risiken seien so groß, dass wir sie nicht alle eingehen sollten, erscheinen als Fortschrittsverhinderer. Aber bitte schön,
meine Damen und Herren, welch ein Fortschritt ist es,
wenn am Ende das, was Sie, die Sie religiös geprägt
sind, Schöpfung nennen, nicht mehr existiert?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Als letzter Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von Renesse
von der SPD-Fraktion das Wort. - Bedauerlicherweise
bleiben Ihnen nur noch drei Minuten Redezeit, Frau von
Renesse. Beim nächsten Tagesordnungspunkt sind Sie
allerdings als erste Rednerin vorgesehen.
Das ist dann die Kompensation.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mir
wenig Zeit bleibt, möchte ich nach den vielen sehr beherzigenswerten grundsätzlichen Reden, die wir eben
gehört haben, versuchen, Sie an einem, wie man sagt,
Schlüsselerlebnis teilhaben zu lassen, das ich vor etwa
17 Jahren hatte.
Damals hatte ich mich zum ersten Mal mit der seinerzeit auch für mich unerhörten Reproduktionsmedizin
zu befassen. Die medizinisch unterstützte Fortpflanzung
schien mir eine Entschleierung von Tabus - des Geheimnisvollen, des Dunklen und des Liebevollen, auch
des Menschenwürdigen - zu sein, abgesehen davon,
dass meine familienrechtlichen Vorstellungen völlig
durcheinander kamen. Als ich mich damit beschäftigte,
war für mich der zwingende Gedanke: Das ist alles
furchtbar, ab damit ins Strafgesetzbuch. Mir war klar,
dass angesichts der Vielzahl dieser Techniken, die möglich werden würden, Menschenwürde in einem ganz
wichtigen Stadium von Menschsein, nämlich bei der
Entstehung des Menschen, erheblich in Gefahr geriet.
Menschenwürde ist ja immer in Grenzsituationen gefragt: beim Entstehen und Beenden von Leben, bei
Krankheit und Behinderung. Wir brauchen die Menschenwürde eines 35-jährigen Olympioniken in der Regel nicht zu schützen. Aber da, wo die Menschenwürde
in Gefahr ist, tritt auch ihr Ernstfall ein.
Damals rief ich meine Schwester an, die Radiotherapeutin und urologische Onkologin in Oslo und eine sehr
fromme Frau ist, die morgens Bibellesungen macht. Ich
fragte sie, ob sie von diesen Möglichkeiten wisse und
was sie davon halte. Sie antwortete: Was willst du, damit arbeite ich. Auf meine erstaunte Nachfrage erläuterte sie mir, ein großer Teil ihrer Patienten seien junge
Hodenkrebspatienten. Müsse man ihnen sagen, dass sie
Krebs haben, sei es schon schwierig genug. Müsse man
ihnen darüber hinaus sagen, dass sie Hodenkrebs haben,
dann - das war für meine Schwester nachvollziehbar;
übrigens im Gegensatz zu vielen Gynäkologen in Bezug
auf Frauen mit gynäkologischen Krebsen - sei das für
sie ein Einbruch in ihr Selbstverständnis. Da die Therapie sehr langwierig und belastend war, konnte sie ihre
Patienten nur heilen, wenn sie nicht in Depressionen
verfielen. Sie brauchte daher diese Techniken, um den
jungen Männer sagen zu können, sie könnten mit Sicherheit leibliche Kinder haben, wenn sie es wollten. So
konnte sie sie heilen. Inzwischen ist der Hodenkrebs
weitgehend heilbar.
Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich habe im Anschluss daran über etwas nachgedacht, was ein menschliches Grundgesetz ist: die Ambivalenz all dessen, was
wir tun. Als am Ende des finsteren, des nicht wissenschaftlichen Mittelalters Wissenschaft auf der Bildfläche
erschien, sprach man von „aude sapere“: „Wage es, etwas zu wissen.“ Dies war ein Aufbruch und zugleich eine Verurteilung.
Die tragische Dialektik menschlichen Tuns wird uns
beschäftigen. Hoffentlich schlagen wir Brücken zu den
verschiedenen Ebenen, in denen leider noch unterschiedliche Ethiken existieren. Die Scientific Society denkt
manchmal anders als die Betroffenen. Hoffentlich schlagen wir Brücken zwischen den Nationen und zwischen
den verschiedenen Perzeptionsschichten. Es ist nicht alles des Teufels, was Menschen tun, aber alles kann des
Teufels sein!
Danke.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Einsetzung einer Enquete-Kommission auf Drucksache 14/3011. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
damit einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ ist damit
eingesetzt.
Wir kommen zur Abstimmung der Fraktion der PDS
zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Menschenrechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“
auf Drucksache 14/2153. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
will ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung ({0})“ der Fraktionen SPD und Bündnis
90/Die Grünen, Drucksache 14/2765, bekannt geben.
Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben gestimmt 308,
mit Nein haben gestimmt 171, Enthaltungen keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 476
davon
ja: 302
nein: 171
ungültig: 3
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter
Bartels
Eckhardt Barthel
({1})
Klaus Barthel
({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius
Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding
({3})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Rainer Brinkmann
({4})
Hans-Günter
Bruckmann
Dr. Michael Bürsch
Wolf-Michael
Catenhusen
Dr. Herta DäublerGmelin
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich
({6})
Harald Friese
Anke Fuchs ({7})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf
({9})
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({10})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
({11})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann
({12})
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann ({14})
Frank Hofmann
({15})
Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Ilse Janz
({16})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika KrügerLeißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange
({17})
Detlev von Larcher
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann
({18})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({19})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
({20})
Jutta Müller
({21})
Christian Müller ({22})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
({23})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter
Rossmann
Birgit Roth ({24})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({25})
Silvia Schmidt
({26})
Dagmar Schmidt
({27})
Wilhelm Schmidt
({28})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({29})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({30})
Brigitte Schulte
({31})
Volkmar Schultz ({32})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica SchwallDüren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid SkarpelisSperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({33})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({34})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({35})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
({36})
Helmut Wieczorek
({37})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({38})
Brigitte Wimmer
({39})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({40})
Waltraud Wolff ({41})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({42})
Marieluise Beck
({43})
Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska EichstädtBohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
({44})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika KösterLoßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
({45})
Christa Nickels
Christine Scheel
Irmingard ScheweGerigk
({46})
Werner Schulz ({47})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm
({48})
Margareta Wolf
({49})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller ({50})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Gustav-Adolf Schur
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine BergmannPohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({51})
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({52})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjürgen Doss
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer ({53})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({54})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({55})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Norbert Geis
Georg Girisch
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Helmut Kohl
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({56})
Dr. Paul Laufs
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
({57})
Dr. Manfred Lischewski
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Lohmann
({58})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
({59})
Dr. Martin Mayer
({60})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller ({61})
Elmar Müller
({62})
Bernd Neumann
({63})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({64})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch
({65})
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Christian Schmidt
({66})
Andreas Schmidt
({67})
Dr. Andreas
Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß
({68})
Gerald Weiß ({69})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
({70})
Hans-Otto Wilhelm
({71})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz
Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich
Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard SchmidtJortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Ungültig
CDU/CSU
BÜNDNIS 90/ DIE
GRÜNEN
Volker Beck ({72})
Kerstin Müller ({73})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler ({74}), Klaus, Neumann ({75}), Gerhard, Siebert, Bernd,
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU
__________________________________
Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b so-
wie den Zusatzpunkt 8 auf:
21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Unrechtserklärung der nationalsozialistischen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichsstrafgesetzbuch sowie Rehabilitierung und Entschädigung für die schwulen und lesbischen Opfer des NS-Regimes
- Drucksache 14/2619 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({76})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Rehabilitierung und Entschädigung für die
strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 14/2620 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({77})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alfred Hartenbach, Margot von Renesse,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wilhelm Schmidt ({78}), Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Volker Beck ({79}), Kerstin
Müller ({80}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rehabilitierung der im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen
- Drucksache 14/2984 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({81})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von
Renesse das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Als wir in der letzten Legislaturperiode über das NS-Aufhebungsgesetz sprachen - Herr
Beck, Sie erinnern sich -, waren wir uns darüber einig,
dass die Homosexuellen - die Menschen mit dem „rosa
Winkel“, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen sind: Sie konnten, sowohl was Rehabilitierung
als auch was Entschädigung angeht, nicht anders behandelt werden als alle, die einem speziellen NS-Unrecht
zum Opfer gefallen waren - gleichgültig, ob sie noch
lebten oder durch die Täter von damals vernichtet worden sind. Es war uns zu diesem Zeitpunkt völlig klar,
dass ihre Ehre wiederhergestellt werden muss.
Seinerzeit gab es gerade auch über diesen Punkt
Streit. Ich will an einen anderen Sachzusammenhang erinnern, der sozusagen den Vorwand dafür lieferte, dass
es überhaupt dazu kommen konnte. Wir waren uns in
der letzten Legislaturperiode zum Glück einig, dass jedenfalls diejenigen, die durch die Erbgesundheitsgerichte der NS-Zeit so etwas Schreckliches wie Zwangssterilisierung haben erdulden müssen, vom Gesetz erfasst
werden mussten.
Das war lange Zeit nicht klar. Denn die Frage, ob es
sich um spezielles NS-Unrecht handelte, war streitig,
und zwar deshalb, weil es das - gerade bei Zwangssterilisationen ist das ein erschreckender Tatbestand - innerhalb Deutschlands und auch außerhalb Deutschlands vor
der nationalsozialistischen Zeit und auch noch danach
gegeben hat. Es wird gefragt, wieso das ein spezielles
NS-Unrecht sei. Das hat es doch immer gegeben, wenn
auch während der nationalsozialistischen Zeit in besonders schlimmer Weise.
In der letzten Legislaturperiode war Gott sei Dank allen klar, dass das, was die Nazis aus einem furchtbaren
Irrtum heraus, der schon vor und noch nach der nationalsozialistischen Zeit obwaltete, gemacht hatten, nur
noch begrenzt mit einem furchtbaren Irrtum zu tun hatte.
Das Vorgehen der Nazis war vielmehr von Vernichtungswillen, Verfolgung sowie Beseitigung der - wie
das manchmal in solchen Entscheidungen hieß - Elemente des Abschaums und der Volkszerstörung und
-vernichtung geprägt. Ähnliche Probleme - Herr Beck
erinnert sich auch daran - hatten wir auch bei den
Deserteuren. Die Spezifität des nationalsozialistischen
Unrechts erschien hier unklar. Zum Glück ist das ausgestanden.
Damals bestand für mich, für uns alle die Frage: Wieso trifft das eigentlich immer noch nicht für die Opfer
von Verurteilungen nach § 175 RStGB zu? Diese sind
in der Weimarer Republik und in der Nazizeit eben nicht
nur verurteilt worden. - So schlimm diese Urteile auch
waren. Es war ja keine leichte Sache, nach § 175 RStGB
verurteilt zu werden. - Diese Verurteilungen hatten
nichts mehr mit juristischer Praxis zu tun. Es handelte
sich nur noch um Tötung, Vernichtung, Beseitigung und
Ausmerzung und führte bis hin zu den KZs.
Diese Auseinandersetzung haben wir jetzt Gott sei
Dank hinter uns. Mit der neuen Regierung ist klar - auch
der vorliegende Antrag macht dies deutlich; uns war
dies eigentlich von Anfang an klar -, dass wir spätestens
dann, wenn wir die Gesamtheit der die homosexuellen
Paare betreffenden Rechtsbestimmungen ändern wollen,
eine endgültige Bereinigung auch dieses Kapitels herbeiführen müssen.
Nach wie vor stellt sich die Frage der Vorgehensweise. Ist das mit dem alten Gesetz erreichbar oder bedürfen
wir eines neuen? Falls es eines neuen Gesetzes bedarf,
werden wir es einbringen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. In diesem Zusammenhang bestehen inzwischen Gott sei Dank keine Fragen mehr. Ich nehme an,
auch die andere Seite dieses Hauses sieht dies angesichts
der übrigen von mir angesprochenen Sachzusammenhänge so.
({0})
- Na wunderbar. Dann gibt es in dieser Frage wahrscheinlich Einheitlichkeit in diesem Hause.
Ein Extraproblem ist die Frage: Was machen wir mit
den Verurteilungen nach § 175 StGB nach 1945?
Denn es hat sie auch nach 1945 gegeben. Erst die Große
Koalition hat damit 1969 unter Führung des damaligen
Justizministers Dr. Gustav Heinemann ein Ende gemacht. Bis 1969 galt in der alten Bundesrepublik der
§ 175 StGB fort. Erst in der vergangenen Legislaturperiode haben wir die letzten Unterschiede in der Strafrechtsbehandlung homosexueller und heterosexueller
Handlungen endgültig bereinigt. Es hat schrecklich lange gedauert.
Was machen wir also mit den nach § 175 StGB Verurteilten? Inzwischen wissen wir - Straßburger Urteile
machen dies deutlich -: Bei all diesen Verurteilungen
handelt es sich um Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention des Europarates. Wie gehen wir damit um?
Ein uraltes strafrechtliches Problem, mit dem wir uns
auseinander setzen müssen, ist, dass Unrechtsurteile,
auch wenn sie falsch sind bzw. auf falschem Recht
beruhen, nicht schon deswegen automatisch aufhebbar
sind.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Das ist anders - ich komme noch einmal auf einen
bereits von mir angesprochenen Punkt zurück - bei den
Vorgehensweisen in der Zeit zwischen 1933 und 1945.
Weil alle diese Urteile keine Urteile waren, die einen
Tatbestand umsetzten, und zwar so deutlich, dass nicht
einmal mehr juristisch argumentiert wurde, sondern nur
noch der Vernichtungswille zum Ausdruck kam, deswegen kann man sie genauso generell aufheben, wie man
das auch im Hinblick auf die Waldheim-Urteile getan
hat, wohl wissend, dass es sich um Menschen handelte,
die auch in einem Rechtsstaat der Verurteilung hätten
zugeführt werden müssen. Aber weil dies Urteile waren,
die nicht einmal mehr die Qualität eines Urteils hatten,
deswegen haben wir uns entschlossen, die WaldheimUrteile alle aufzuheben. Das haben wir auch bei den Desertionsurteilen getan.
Meines Erachtens - das sage ich hier ganz persönlich - kann man das bei den Urteilen gegen Homosexuelle aus der Zeit von 1933 bis 1945 ohne Weiteres auch
tun. Ich persönlich sage sogar: Man muss es tun.
({1})
Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben.
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen; deswegen gibt
es noch kein eindeutiges Ergebnis, eines, das für alle
feststeht. Mein Ergebnis habe ich bereits genannt.
Ich denke, dass man auch denjenigen, die nach 1945
verurteilt worden sind, zumindest in einem Punkt entgegen kommen muss: Man muss ihnen ihre Ehre wiedergeben. Es würde nichts verschlagen, wenn sich die
Bevölkerung, vertreten durch dieses Parlament, bei all
denen entschuldigt, die im Namen dieses Staates zu leiden hatten, obwohl sie niemandem Unrecht getan haben.
Das ist mein Wunsch. Ich hoffe, dass die Bundesregierung entsprechend handelt.
Danke sehr.
({2})
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte über den Entwurf
eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Bundeswehr vor Verunglimpfung hat der Abgeordnete Beck
am 30. September letzten Jahres seinen Redebeitrag mit
den Worten begonnen: „Die Wiedervorlagemappe der
Union scheint wirklich unerschöpflich zu sein.“ Weiter
sagte er, dass es die Union mit ihrem Antrag gar nicht so
ernst zu nehmen scheine; denn sie präsentiere ihn nach
1996 zum zweiten Mal.
({0})
In dem Redebeitrag des Abgeordneten Stünker in der
gleichen Debatte, den er mit der Feststellung begonnen
hat, dass sich der Bundestag nicht zum ersten Mal mit
diesem Gesetz beschäftige, findet sich der Zwischenruf
wiederum des Abgeordneten Beck: „Das ist inzwischen
ein Running Gag!“ Ein weiterer Zuruf vom Bündnis 90/
Die Grünen lautete: „Denen fällt nichts mehr ein!“ Ich
möchte die heutige Debatte nicht mit der Beck‘schen
Geringschätzung führen,
({1})
wenngleich ich feststellen muss, dass auch dieses Gesetz
nicht zum ersten Mal den Deutschen Bundestag beschäftigt.
Ich bin zum ersten Mal Redner zu diesem Gesetz. Ich
weiß, dass man sich sehr schnell der Gefahr und dem
Vorwurf aussetzt, ein Ewiggestriger zu sein, wenn man
diese Anträge, die auf dem Tisch liegen, nicht sofort unkritisch und unreflektiert in vollem Umfang bejaht. Damit Sie der Debatte ganz entspannt folgen können, kann
ich Ihnen für mich - ich denke, auch für meine ganze
Fraktion - klipp und klar sagen: Ich begrüße die Aufhebung von § 175 und § 175 a Nr. 4. Bedauerlicherweise
kam die Aufhebung vielleicht viel zu spät. Ich verurteile
aufs Schärfste die Rechtsanwendungspraxis der Gerichte
bezüglich der NS-Zeit.
Dennoch gebieten die Vorlagen, dass man sich mit
ihnen differenziert auseinander setzt, wobei ich eine objektive Betrachtung unter Ausblendung der Urheberschaft zweier Anträge vornehmen möchte. Es ist aber
schon befremdlich, dass ausgerechnet die PDS als Nachfolgepartei der SED diese Anträge stellt, die ebenfalls in
einem Unrechtsstaat vor Terror, Mord, Bespitzelung,
Denunziation und Rechtsbeugung keinen Halt gemacht
hat.
({2})
Soweit der Antrag darauf zielt, dass der Bundestag
feststellen möge, dass die Verschärfung der Vorschriften
oder die Vorschriften selber typisch nationalsozialistisches Unrecht seien, muss ich Ihnen unter Ausblendung
der Urheberschaft sagen - ich will jetzt keine Rechtsexegese vornehmen, aber die Dogmatik gebietet es nun
einmal das zu sagen -, dass der Bundestag dafür der falsche Adressat ist.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1957
in der amtlichen Entscheidungssammlung Band 6 auf
Seite 389 ff. festgestellt, dass die Vorschriften der
§§ 175 ff. kein typisch nationalsozialistisches Unrecht
sind. Nun könnte man über den Inhalt trefflich streiten.
Das will ich aber gar nicht tun. Möglicherweise würde
man heute unter den gegebenen Lebensverläufen und
Anschauungen auch anders urteilen. Aber diese Entscheidung, die auf eine Verfassungsbeschwerde eines
vom Landgericht Hamburg verurteilten Homosexuellen
erging, entfaltet nun einmal Bindungskraft. § 31 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes legt fest:
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
binden die Verfassungsorgane des Bundes und der
Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
Daran kommt man nicht vorbei. Es mag ein formalistisch anmutender Einwand sein. Aber jedenfalls steht er
diesem Petitum der PDS entgegen.
Um eine andere Geschichtsklitterung gar nicht aufkommen zu lassen, möchte ich einen ganz kleinen historischen Exkurs machen. Die §§ 175 und 175 a Nr. 4
des Reichsstrafgesetzbuches sind nicht das Gewächs der
Nationalsozialisten. Es kam ihnen sehr zupass, wie die
Verschärfung und die unmenschlichen Anwendung später gezeigt haben. Aber die Geschichte der strafrechtlichen Würdigung gleichgeschlechtlicher Beziehungen
geht zurück auf das Alte Testament, das dritte Buch
Moses, ging fort über die Constitutio Criminalis Carolina im 16. Jahrhundert und wurde schließlich im gemeinen deutschen Recht 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch
übernommen.
({4})
Das ist in der Tat nicht das Problem. Die Probleme
fokussieren sich, soweit es um die Aufhebung geht, auf
die Zeit zwischen 1935 und 1945, wie meine Vorrednerin schon gesagt hat.
Frau Renesse, Sie haben Ihre Regierung im Übrigen
zu Unrecht als Urheber genannt. Dies geschah noch unter der Regierung von CDU/CSU und F.D.P.
({5})
Das möchte ich der Richtigkeit halber sagen, ohne polemisch zu werden. Da wir Juristen aber einen hohen
Anspruch haben, gebietet es die Richtigkeit.
In dem Gesetz über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile gibt es in § 1 eine Generalklausel,
wonach Urteile aufzuheben und die Verfahren einzustellen sind, wenn sie die Grundsätze der Menschlichkeit
verletzen, wenn sie religiöser oder rassistischer Natur
sind. Dann gibt es eine Spezialklausel, nämlich § 2
Nr. 3, und dazu einen Kanon in der Anlage. Es ist darüber ein Streit entstanden, ob die §§ 175 und 175 a
Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches mit in den Kanon von
§ 2 Nr. 3 aufgenommen werden sollen, mit der Konsequenz, dass alle in der Zeit zwischen 1935 und 1945 gefällten Urteile automatisch dem Verfall anheim gegeben
werden und die Verfahren eingestellt werden.
({6})
Es gibt einen ähnlichen - oder sogar gleich lautenden - Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg, der
zurzeit im Rechtsausschuss des Bundesrates behandelt
wird. Dort wird über genau diese Frage gestritten. Bezeichnenderweise war es ein Vertreter des Bundesjustizministeriums, der die Schwierigkeit aufgezeigt hat,
wenn man eine Pauschalaufhebung und keine Einzelantragstellung und Einzelrehabilitierung macht, wenn alle
in den Jahren 1935 bis 1945 erfolgten Urteile aufgehoben werden, ohne Ansehen dessen, ob eine Tatbestandswidrigkeit vorgelegen hat oder ob sie im justizförmlichen Verfahren ergangen sind.
Es spricht in der Tat eine fast unwiderlegbare Vermutung dafür, dass alle Urteile Nichturteile oder ein Aliud
zu Urteilen sind, dass aber in der Zeit vor 1935 und nach
1945 die Urteile Bestand haben. Diejenigen, die vor
oder nach dieser Zeit verurteilt worden sind, könnten natürlich sagen: Wäre ich nur in dieser Zeit verurteilt worden, so würde an mir kein Stigma haften.
Es ist eine fast tragische Situation, dass man mit der
Abschaffung des einen Unrechts sozusagen einen neuen
Ungleichtatbestand schafft, indem man die einen rehabilitiert, und zwar pauschal über die Generalklausel des
§ 1, und die anderen hängen lässt. Insofern könnte ich
mich mit dem Prüfantrag der SPD anfreunden, obwohl
ich nicht weiß, wie viele Erkenntnisse man noch gewinnen will, wenn man das an anderer Stelle diskutiert.
Vielleicht gibt es empirische Erfahrungen, ob es einen
Fall gibt, bei dem jemand, der zwischen 1935 und 1945
verurteilt worden ist, auf Antrag nicht rehabilitiert wurde. Das kann ich mir nicht vorstellen. Daher halte ich
die Aufnahme der §§ 175 und 175a Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches in diesen Kanon für obsolet. Ich finde,
dass die Fälle in dem Gesetz, das in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist, abschließend geregelt
worden sind.
Deswegen komme ich nun zu den übrigen Anträgen,
die eher abstrakt formuliert worden sind. In dem Antrag
der SPD wird jede Form der Gewaltanfeindung und
-diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt.
Meine Damen und Herren von der SPD, dieser Antrag
hat einen geradezu trivialen Charakter, weil ich nicht nur
Gewaltdiskriminierung und -anfeindung von Schwulen
und Lesben verurteile, sondern auch gegenüber allen
anderen Personengruppen, und übrigens auch gegenüber
den Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung
und dem Überwachungspersonal von Castor-Transporte
({7})
auch gegenüber Soldaten, Polizisten und jeder Art von
Menschen- und Personengruppen, ohne Ansehen, ob sie
heterosexuell oder homosexuell sind.
({8})
Soweit Sie eine Entschuldigung durch den Deutschen Bundestag begehren, so möchte ich darauf hinweisen, dass ich am Anfang gesagt habe, dass ich mit
Bedauern festgestellt habe, dass die Aufhebung der
§§ 175 und 175 a Nr. 4 zunächst 1969 und dann endgültig 1994 vielleicht zu spät gekommen ist. Aber wenn wir
uns für alles, was der Gesetzgeber bei retrospektiver Betrachtungsweise als Unrecht erkennt und aufhebt,
gleichzeitig immer wieder bedauern und entschuldigen
wollen,
({9})
dann erinnert mich das ein bisschen - ich muss es sagen,
meine Damen und Herren an Koketterie.
({10})
Die Aufhebung des Gesetzes und die Streichung sind
doch sicherlich nicht unter ausdrücklicher Zurückstellung des Bedauerns oder der Entschuldigung geschehen.
Deswegen muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich könnte damit leben, wenn sich der Deutsche Bundestag nicht wieder einmal ausdrücklich dafür entschuldigt; denn es gibt
auch viele andere Verurteilungen, die auf Strafnormen
fußen, die im Laufe von Strafrechtsreformen weggefallen sind.
Ich nenne zum Beispiel den Kuppelparagraphen.
Ich bin 1952 geboren. Als pubertierender Jüngling, so
glaube ich, noch vor der Strafrechtsreform 1969 wurde
ich von der Mutter meiner damaligen Freundin vor
22 Uhr nach Hause geschickt worden, weil es hieß: Ich
will mich doch nicht noch wegen Kuppelei anzeigen lassen.
Meine Damen und Herren, das ist im Recht eben so.
Insofern stehen zwei Prinzipien sozusagen unversöhnlich im Raum: das Prinzip der formellen Gerechtigkeit
oder Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit.
Ich habe dafür auch keinen genialen Vorschlag und weiß
kein Rezept dafür. Ich weiß nur, dass beiden Prinzipien
Rechnung getragen werden muss, und glaube deshalb,
dass das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der letzten Legislaturperiode einen
würdigen Schlusspunkt darstellt.
Vielen Dank.
({11})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck
das Wort.
Herr Gehb, Ihre Rede hat, so glaube ich, deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass wir diese Debatte noch
einmal hier im Hohen Haus führen.
Wir widmen uns heute einem besonders dunklen Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte. 1935 wurde der
§ 175 in Tatbestandsfassung und Strafmaß massiv verschärft. Waren zuvor nur bestimmte Sexualpraktiken
strafbar, wurde nun die totale Kriminalisierung von
Homosexualität verordnet. Tausende schwule Männer
wurden in Konzentrationslager verschleppt, in denen sie
einen rosa Winkel tragen mussten. Nur die wenigsten
überlebten den Terror der Lager. 50 000 Männer wurden
von der NS-Justiz wegen - wie es damals hieß - widernatürlicher Unzucht verurteilt. Von bundesdeutschen
Gerichten wurden bis 1969 nochmals 50 000 Verurteilungen nach § 175 des Strafgesetzbuches ausgesprochen.
Dieser Paragraph hat auch in der Bundesrepublik Existenzen vernichtet. Die drohende Strafverfolgung hat das
Leben ganzer Generationen von Homosexuellen überschattet.
Ein zentrales Anliegen unseres Antrages ist es daher,
dass sich der Deutsche Bundestag ausdrücklich von dieser unseligen Rechtstradition distanziert.
({0})
Als Gesetzgeber müssen wir endlich die Kraft haben,
uns bei den homosexuellen Bürgern ausdrücklich für
diese Verfolgung zu entschuldigen. Ein solches Schuldbekenntnis des Gesetzgebers ist wirklich eine historische Zäsur. Es ist ein längst überfälliges Signal an die
Schwulen und Lesben, aber auch an die Gesellschaft
insgesamt.
Der Antrag befasst sich auch mit der noch ausstehenden vollen gesetzlichen Rehabilitierung der Opfer des
§ 175 in der NS-Zeit. Bündnis 90/Die Grünen und SPD
sind 1998 noch mit dem Anliegen gescheitert, § 175 in
das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile aufzunehmen. Deshalb ist es selbstverständlich, dass man unter neuen Mehrheitsverhältnissen
versucht, nun dieses Anliegen durchzusetzen.
Herr Gehb, ich darf Sie einmal daran erinnern: Was
war der Hintergrund des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile? Anlass dafür, dass
Frau Lore Peschel-Gutzeit als Berliner Justizsenatorin
diese Diskussion hier in Berlin im Abgeordnetenhaus
angestoßen hat, war, dass die Schüler einer Berliner
Schule, die nach Niemöller benannt war, gesagt haben:
Wir wollen, dass das Strafrechtsurteil gegen diesen Widerstandskämpfer aus der Zeit des Nationalsozialismus
aufgehoben wird. Wir brauchten zwei Jahre, bis wir herausgefunden haben, dass dieses Urteil bereits aufgehoben war. Dann haben wir gesagt: Eine solche Debatte ist
doch unwürdig. Es ist unwürdig, dass wir nicht wissen,
ob das Urteil gilt oder nicht. Deshalb haben wir damals
trotz der Feststellung, dass das Urteil aufgehoben war,
ein Gesetz gefordert, das die alte Koalition schließlich
mitgetragen hat.
Dieselbe Situation wie bei Niemöller haben wir doch
jetzt bei den homosexuellen Opfern. Durch die Generalklausel besteht die Möglichkeit, dass manche Urteile
aufgehoben sind, manche auch nicht. Das Justizministerium hat in der letzten Wahlperiode gesagt, zumindest
seien es nicht alle. Keiner weiß, was gilt. Wollen Sie
denn 80-jährige Männer zur Staatsanwaltschaft schicken, damit diejenigen, die sie als Institution über Jahre
auch in der Bundesrepublik verfolgt haben, ihnen sagen,
ob ihr Urteil gilt oder nicht? Das ist doch ein unwürdiges Verfahren; das können wir diesen Menschen nicht
zumuten.
({1})
Deshalb sollten wir hier Rechtsklarheit schaffen. Das
Gleiche gilt übrigens für die Wehrmachtsdeserteure. Die
Rechtsgrundlagen der Verurteilung gehören in die Anlagen des § 2. Das sind wir diesen Opfern wirklich schuldig.
({2})
Eine solche pauschale Aufhebung wäre auch keine
Sonderbehandlung, sondern würde lediglich HomoDr. Jürgen Gehb
sexuelle in Sachen Rehabilitierung mit den anderen Opfern der NS-Justiz gleichstellen.
Herr Kollege, Sie haben das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1957 angesprochen. Sie haben es falsch
zitiert. Damals hat Karlsruhe gesagt, § 175 - in diesem
Punkt haben Sie sich geirrt - sei nicht insoweit nationalsozialistisches Unrecht, dass ihm in einem Rechtsstaat
jede Wirkung versagt bleiben müsste. Sie haben behauptet, Karlsruhe habe festgestellt, das sei kein nationalsozialistisches Unrecht. Das hat Karlsruhe nicht gesagt.
Karlsruhe konnte sich zu dieser Frage damals auch nur
wenig qualifiziert äußern, denn die erste wissenschaftliche Publikation über nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung ist 20 Jahre jünger als dieses Urteil.
Deshalb kann man es den Karlsruher Richtern nicht
wirklich zum Vorwurf machen, dass sie sich in zwei
Punkten geirrt haben: ob es grundgesetzkonform ist und
ob es mit der europäischen Menschenrechtskonvention
übereinstimmt. Sie haben damals auch gesagt, es stimme
mit der europäischen Menschenrechtskonvention überein. Inzwischen gibt es vier Urteile des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte, die vergleichbare
Rechtslagen in anderen Ländern als menschenrechtswidrig und als Konventionsverstoß geahndet und die Aufhebung dieser Vorschriften herbeigeführt haben.
Lassen Sie uns daher das Karlsruher Urteil liegen lassen! Lassen Sie uns Recht nach moralischen Kriterien
schaffen! Lassen Sie uns gemeinsam den Opfern die Ehre zurückgeben und uns als Bundestag für unsere historischen Verfehlungen als Institution entschuldigen! Ich
glaube, es ist eine Größe der Demokratie, Fehler zu erkennen. Die Demokratie erlaubt eine Fehlerkorrektur im
demokratischen Prozess. Diese Freiheit sollten wir uns
nehmen.
Eine weitere Frage wird im Antrag angesprochen,
nämlich die der Entschädigung. Homosexuelle NS-Opfer wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt. Sie wurden auf minderrangige Gesetze und Härtefonds verwiesen. Eine Entschädigung im eigentlichen Sinne hat es für diese Gruppe nicht gegeben. Nur sehr wenige Menschen aus dieser
Gruppe haben überlebt und leben noch heute. Deshalb
ist es wichtig, dass wir im Einzelfall helfen können. Im
Koalitionsvertrag haben wir eine Tür dafür, nämlich die
zweite Bundesstiftung Entschädigung für NS-Unrecht,
über die wir in den nächsten Jahren noch diskutieren
müssen und mit der wir auch dieser Gruppe helfen müssen.
Aber eine weitere Frage ist noch offen. Unverzüglich
nach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozialisten die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung der
Weimarer Republik. Vereine wurden aufgelöst, Zeitschriften verboten. Die Selbstorganisation homosexueller Männer und Frauen wurde damit so nachhaltig getroffen, dass in vielen Bereichen der damalige Stand
jahrzehntelang nicht wieder erreicht werden konnte.
Hier wird intensiv zu beraten sein, ob es Möglichkeiten
gibt, bezüglich des Ausbleibens einer Entschädigung
und Restitution nach dem damaligen Entschädigungsund Restitutionsrecht für diese juristischen Personen eine politische Lösung zu schaffen.
Unweit von hier, dort, wo die „schwangere Auster“
steht, stand vor einigen Jahrzehnten das Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld. Dort war der
Sitz des Wissenschaftlichen Humanitären Komitees.
Dieses wurde 1933 von der SA und der NSDAP gestürmt.
Die Bücher wurden auf dem Platz der Bücherverbrennung verbrannt. Das Institut wurde nach 1945 nicht wieder zurückgegeben, sondern das Eigentum ging an das
Land Berlin über und wurde damals dem Stiftungszweck
der Stiftung, die dort bestand, entzogen. Wir brauchen
hier eine politische Lösung. Wir müssen darüber reden,
wie wir auch dieses Unrecht wieder gutmachen. Die
Gruppe der Homosexuellen können wir für dieses Unrecht entschädigen und dafür sollten wir einen Anlauf
unternehmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Da ich heute im Vergleich zu den
anderen die kürzeste Redezeit habe, habe ich nur die
Gelegenheit, einige wenige Gedanken anzusprechen.
Dass wir über dieses Thema aufgrund verschiedener
Anträge schon oft diskutieren mussten, kann man nur
außerordentlich begrüßen. Es gibt viele Opfergruppen,
die zu Recht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses
stehen. Aber es gibt auch Opfergruppen, bei denen das
nicht der Fall ist. Ich denke, dass die Opfergruppe, die
heute Gegenstand der Debatte ist, zu denen gehört, die
häufig vergessen werden. Man merkt es bei Inschriften
von Denkmalen und bei vielen anderen Gelegenheiten.
Deshalb begrüße ich es, dass wir uns heute wieder einmal mit dieser Frage beschäftigen müssen.
Für uns ist klar, dass der § 175 RStGB des Reichstagsgesetzbuches und die Verschärfung, die durch den
Nationalsozialismus durchgesetzt worden ist, zu typischem NS-Unrecht gehören. Ich hatte im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit Gelegenheit, Urteile aus der
NS-Zeit zu lesen. Das, was Sie vorhin angesprochen haben, Frau von Renesse, lugte aus jedem einzelnen Wort
hervor, nämlich der pure Vernichtungswille, der pure
Wille, sich mit einer Person überhaupt nicht zu beschäftigen
({0})
- Ja -. Es war der pure Vernichtungswille, der dazu
führte, dass Urteile verhängt wurden, die außerhalb jeder
Vernunft und außerhalb jeder Akzeptanz sind. Deshalb
begrüße ich es, dass wir darüber nachdenken, wie wir
mit diesem Unrecht umgehen.
Volker Beck ({1})
Wir haben vor ein paar Jahren das Aufhebungsgesetz
verabschiedet. Damals ist darüber diskutiert worden,
inwieweit das ausreichend ist. Wir als F.D.P. hätten uns
durchaus mehr vorstellen können. Eines allerdings hat
mich überrascht: Beide Vertreter der Koalition haben
angedeutet, dass sie in Richtung einer generellen Aufhebung gehen. Wenn das Ihre Auffassung ist, wundert
es mich aber, dass Sie hier nicht einen entsprechenden
Antrag, sondern lediglich einen Prüfantrag eingebracht
haben. Ich denke, das wäre konsequent gewesen.
({2})
Ich glaube, man sollte hier nicht große Ankündigungen machen, wenn die Antragslage dann weit dahinter
zurückbleibt. Aber ich will das nicht zum Streitpunkt
machen, weil ich denke, dass es uns allen nicht nützt,
wenn wir das tun. Ich glaube sogar, dass es sehr wichtig
ist, hier zu einer breiten politischen Übereinstimmung zu
kommen. Deshalb will ich für meine Fraktion signalisieren, dass wir zu diesen Gesprächen bereit sind.
Ich persönlich neige sehr stark zu einer generellen
Aufhebung, nämlich weil das, was Sie vorhin angesprochen haben, Herr Gehb, zutreffen wird: Wir werden kein
Urteil finden, das rechtsstaatlichen Maßstäben entspricht. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird so gering
sein, dass sich nach meiner Auffassung eine generelle
Aufhebung geradezu aufdrängt.
Aber auch das Problem, wie wir mit der Zeit nach
1945 umgehen, wird nicht ganz leicht zu lösen sein. Es
gibt in diesem Zusammenhang Urteile, die die Lebensperspektive von vielen Menschen zerstört haben. Diese
Konsequenz ist nicht deswegen eingetreten, weil sie irgendetwas getan haben, worüber man diskutieren kann,
sondern sie ist deswegen eingetreten, weil Menschen
sich geliebt haben. Ich denke, dass wir gut beraten sind,
auch hier einen Weg zu finden, wobei ich gestehen
muss, dass ich ähnliche Fragen wie Herr Gehb habe, und
zwar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir auch
in anderen Bereichen in den 50er-Jahren Moralvorstellungen, aber auch Urteile hatten, bei denen wir heute die
Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
({3})
Sie haben den Kuppeleiparagraphen und viele andere
Urteile genannt. Es sind für kleinste Vergehen hohe
Freiheitsstrafen verhängt worden, die dann auch verbüßt
werden mussten. Aber bei all den Verurteilungen gibt es
einen Unterschied: Die Verurteilungen nach § 175 des
Strafgesetzubuches wirkten sich sehr viel intensiver auf
Berufschancen, auf Lebenschancen und viele andere
Dinge aus, sodass von daher sicherlich eine unterschiedliche Behandlung geboten ist. Ich bin froh, dass wir
wieder darüber diskutieren, einen neuen Anlauf unternehmen und neue Chancen bekommen. Ich glaube, die
Sache ist es wert.
Vielen Dank.
({4})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk, PDSFraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Debatte über den Umgang mit
Opfern des § 175 sowohl zu nationalsozialistischer Zeit
als auch in der Nachkriegszeit ist von der PDS auf die
Tagesordnung des Bundestages gesetzt worden. Der
Grund ist folgender: Der Bundestag hat 1998 beschlossen, typisch nationalsozialistische Urteile als Unrecht
anzuerkennen und per Gesetz aufzuheben. Mit diesem
Gesetz sollte ein Schlussstrich unter das Justizunrecht
aus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen werden.
Das ist - so muss man leider konstatieren - nicht gelungen. Die konservative Mehrheit des Bundestages - genauer gesagt: die CDU/CSU-Fraktion - hat verhindert,
dass auch die Urteile nach dem berüchtigten SchwulenParagraphen 175 und 175a Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches, zu einen Bestandteil der Liste im Gesetz zur
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile wurden.
In der Praxis muten wir es bis heute den betroffenen
Opfern zu, in Einzelfallverfahren bei der Staatsanwaltschaft überprüfen zu lassen, ob ihnen in ihrem speziellen
Fall nationalsozialistisches Unrecht angetan wurde. Ich
halte das für unzumutbar und freue mich darüber, dass
offensichtlich auf mehreren Seiten die Bereitschaft besteht, hier etwas zu ändern. Die Pflicht zur Einzelfallprüfung unterstellt ja, dass es Verurteilungen nach diesen Paragraphen gab, die nicht unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit und unter Verletzung der Menschenwürde erfolgten. Damit wird auch
geleugnet, dass die in § 175 und § 175a Nr. 4 sanktionierte strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ein Teil
der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie
war.
Die PDS fordert in ihrem Antrag, dass die entsprechenden Urteile, auf die ich verwiesen habe, als typisch
nationalsozialistische Unrechtsurteile anerkannt und generell aufgehoben werden.
({0})
Ich meine, das ist das Mindeste, was die Bundesregierung tun muss, wenn sie will, dass ihre Aussage, sie
wolle der Diskriminierung von Homosexuellen ein Ende
bereiten, noch ernst genommen werden soll. Die Ehre
der Opfer muss endlich wieder hergestellt werden und
die Betroffenen sind zu entschädigen. Das geschieht
spät; für die meisten Opfer ist es schon zu spät.
Es ist durchaus zu begrüßen, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgestern zur heutigen Debatte noch
schnell einen Antrag zur Rehabilitierung der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorgelegt haben. Leider bleibt der jetzige Antrag weit hinter den
Forderungen der Grünen aus der letzten Legislaturperiode zurück.
({1})
Damals wurde noch eine umfassende rechtliche und moralische Rehabilitierung sowie eine finanzielle Entschädigung der Opfer gefordert. Jetzt wird lediglich verlangt,
der Bundestag möge sein Bedauern aussprechen. Ich
meine, das reicht nicht aus.
({2})
Es kommt noch schlimmer: Die Bundesregierung
wird gebeten zu prüfen, ob die jetzige Praxis der Einzelfallprüfung ausreichend ist. Nachdem sie schon anderthalb Jahre regiert, ist das peinlich. Das hätte man längst
tun können.
({3})
De facto wird mit dem Antrag von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen indirekt die jetzige Praxis der Einzelfallprüfung legitimiert. Sie fallen damit den Opfern und ihren
Angehörigen in den Rücken. Das muss man so klar sagen.
({4})
Enttäuschend ist auch, dass sich in Ihrem Antrag keine Forderung nach kollektiven Entschädigungsleistungen mehr findet. Die Homosexuellen-Verfolgung der
Nazis - das haben Sie ja auch gesagt - richtete sich nicht
nur gegen einzelne Personen, zerstört bzw. zerschlagen
wurde die gesamte sozio-kulturelle Infrastruktur von
Lesben und Schwulen in der damaligen Zeit. Die PDSFraktion fordert deshalb die Einrichtung einer öffentlich
finanzierten Stiftung als eine Form der kollektiven Wiedergutmachung an den Lesben und Schwulen.
Die strafrechtliche Verfolgung - Sie wissen das - von
Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung war
nach 1945 nicht zu Ende.
Frau Kollegin
Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Beck?
Aber bitte.
Frau Kollegin, bevor hier falsche Dinge über die Antragslage in Umlauf geraten, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Punkt IV Ziffer 2
die Frage der kollektiven Schädigung, also die Vernichtung der Einrichtungen der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung angesprochen, ein Bericht der Bundesregierung zu dem Umfang dieser Vorgänge eingefordert
und die Bundesregierung ersucht wird,
„gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln, wie Lücken bei der Entschädigung, Rückerstattung und
beim Rentenschadensausgleich für homosexuelle
NS-Opfer geschlossen werden können“,
also auch die juristischen Personen in diesem Zusammenhang mit eingeschlossen werden, dass damit Ihr Petitum, das Sie ja dankenswerterweise bis ins Detail aus
unserer Vorlage von 1995 übernommen haben, aufgenommen wurde und wir diese Fragen mit der Bundesregierung im Ausschuss auf der Grundlage dieses Antrages diskutieren wollen?
Herr Beck, ich nehme zur
Kenntnis, dass ein Bericht - Sie haben es vorgelesen gefordert wird und dazu aufgefordert wird, gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln. Herr Beck, Sie waren in
der letzten Legislaturperiode schon sehr viel weiter.
({0})
Sie werfen uns vor, dass wir aus Ihrem Antrag aus der
damaligen Zeit abgeschrieben haben. Das ist im Übrigen
nicht wahr. Wahrscheinlich kennen Sie Ihren eigenen
Antrag nicht mehr. Also, es bleibt bei der skandalösen
Situation, dass Sie lediglich einen Bericht einfordern,
statt hier endlich Taten sprechen zu lassen. Es ist wirklich schwach - gerade für die Bündnisgrünen -, das hier
auch noch verteidigen zu wollen.
({1})
Herr Gehb, vielleicht wird es für Sie jetzt besonders
interessant. Ich möchte - möglicherweise ist das hier
nicht allen klar - noch Folgendes sagen. Die DDR ist
bereits 1950 zur Weimarer Fassung des § 175 zurückgekehrt, der wurde auch nur noch bis 1958 angewandt
wurde. Er stand zwar bis zur Strafrechtsreform 1968
noch im Strafgesetzbuch der DDR, aber angewandt
wurde er nur bis 1958. Die Verfolgungsintensität und
auch die Zahl der Verurteilungen waren außerordentlich
gering. Es handete sich um einige Hundert Fälle.
In der Bundesrepublik hingegen wurden Schwule
nach der nationalsozialistischen Fassung des § 175 bis
1969 strafrechtlich verfolgt. Das war ein eklatanter Verstoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung.
Das unterscheidet diesen Fall auch von anderen Fällen,
die Sie Herr Gehb, hier angeführt und, von denen Sie
gesagt haben, dass sich natürlich die Auffassung zu bestimmten Strafrechtsparagraphen ändern kann und man
nicht in jedem Fall eine Entschuldigung des Bundestages verlangen kann. Aber hier handelt es sich von Anfang an um die Verletzung von Menschenrechten. Das
war schon damals Unrecht. Deswegen ist es eine andere
Situation.
Die Zahl der Verurteilten überstieg sogar noch die
in der NS-Zeit. Es handelt sich um 50 000 bis 60 000
Fälle. Das muss man sich einmal vorstellen! Hier geht es
nach unserer Auffassung darum, die Strafen aus dem
Strafregister zu tilgen und die Betroffenen zu entschädigen, so wie es der zweite Antrag der PDS hier vorsieht.
({2})
Wiedergutmachung - das muss hier klar sein - ist
nicht zum Nulltarif zu haben. Es reicht nicht aus, wenn
der Bundestag lediglich sein Bedauern ausdrückt, wie es
eben der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
fordert.
8970 Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Den Opfern der Homosexuellenverfolgung in der Naziund auch in der Nachkriegszeit gerecht zu werden, heißt,
sie rechtlich und moralisch zu rehabilitieren und angemessen zu entschädigen. Erst dann kann ein Schlussstrich unter das leidvolle Kapitel der Homosexuellenverfolgung in Deutschland gezogen werden.
Danke.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/2619 und 14/2620 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2984 ({0}) zur federführenden Beratung
an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und den Haushaltsausschuss zu
überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. April 2000, 13 Uhr ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluss ausgeharrt haben, ein erholsames - wenn
auch sicherlich arbeitsreiches - Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.