Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ mitgeteilt. Das Wort für den einleitenden
fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute
den Gesetzentwurf zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beschlossen. Damit
wird ein Vorhaben zugunsten von Zwangsarbeitern und
anderen NS-Opfern umgesetzt, das bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen ist und durch Initiativen deutscher Unternehmen sowie multilaterale Gespräche unter
Leitung von Graf Lambsdorff und dem stellvertretenden
amerikanischen Finanzminister Eizenstat vorbereitet
worden ist.
Ausgangspunkt des Gesetzentwurfes ist das vielfältige und große Unrecht, das in der NS-Zeit von Deutschen
insbesondere den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland und seinen Nachbarstaaten zugefügt worden ist. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger vor allem
der besetzten Gebiete in Osteuropa wurden überdies zur
Zwangsarbeit herangezogen. In vielfältiger Hinsicht waren deutsche Unternehmen in die Zufügung verfolgungsbedingter Vermögensschäden durch das NS-Regime verstrickt.
Zum Ausgleich dieser Schäden hat in der Vergangenheit eine Reihe deutscher Unternehmen Ausgleichsleistungen in Höhe von rund 100 Millionen DM geleistet.
Der Hauptanteil an Wiedergutmachungsleistungen wurde aus staatlichen Mitteln finanziert: bislang 104 Milliarden DM. Mit der Stiftung wollen die deutschen Unternehmen und die Bundesregierung ein zusätzliches, für
die beteiligten Unternehmen in finanzieller Hinsicht abschließendes Zeichen moralischer Verantwortung setzen.
Lassen Sie mich kurz zu dem Inhalt des Gesetzentwurfes Folgendes sagen: Die Stiftung wird mit 10 Milliarden DM ausgestattet, davon je 5 Milliarden DM seitens der öffentlichen Hand und der Unternehmen. Daraus sollen Leistungen insbesondere an ehemalige
Zwangsarbeiter und an Personen, die nationalsozialistisch bedingt sonstige Personenschäden erlitten haben,
zum Beispiel Opfer pseudomedizinischer Versuche,
oder zum Ausgleich von Schäden, die Kinder von
Zwangsarbeitern durch Unterbringung in den so genannten Kinderheimen erlitten haben, gezahlt werden. Soweit
verfolgungsbedingte Vermögensschäden nicht bereits
durch das Bundesentschädigungsgesetz oder das Bundesrückerstattungsgesetz erfasst wurden, soll jetzt ein
Ausgleich dieser Vermögensschäden ermöglicht werden.
Die Stiftung ist auch für sonstige Vermögensschäden
aus der Zeit des NS-Regimes geöffnet, sofern an deren
Zufügung deutsche Unternehmen direkt und schadensursächlich beteiligt waren.
Das Gesetz legt die Organe und die Organisation der
Stiftung fest. Die Verteilung der Mittel soll mithilfe von
Partnerorganisationen erfolgen. Unabhängige Beschwerdeausschüsse bei diesen Partnerorganisationen sollen die
Rechtmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Leistungen sicherstellen.
Der Gesetzentwurf musste jetzt im Kabinett beschlossen werden, um eine Verabschiedung des Gesetzes noch
vor der Sommerpause dieses Jahres möglich zu machen.
Ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf parallel über
die Fraktionen dieses Hohen Hauses eingebracht werden
wird. Er soll eine zeitlich weniger gedrängte intensive
Beratung ermöglichen. Eine parallele Einbringung des
Gesetzentwurfes halte ich aber auch im Hinblick auf den
Inhalt der Regelungen für besonders wünschenswert.
Wir streben Einvernehmen über den Gesetzentwurf mit
allen Fraktionen diesen Hohen Hauses an; gestern hatten
wir dazu ein weiteres Gespräch. Es wäre schön, wenn
wie bei den Fragen der Wiedergutmachung - da ist es
die Regel - der breite Konsens unseres Parlaments dieses wichtige Vorhaben tragen würde.
Der Gesetzentwurf gibt den derzeitigen Stand der internationalen Gespräche mit den Opfergruppen und den
Regierungen der USA und der osteuropäischen Staaten
wieder. Graf Lambsdorff hat diese Verhandlungen im
Auftrag des Bundeskanzlers geführt und der Bundeskanzler hat ihm im Kabinett in seiner Anwesenheit ausdrücklich für seine verdienstvollen Bemühungen und
seine verantwortungsvolle Verhandlungsführung gedankt.
({0})
Graf Lambsdorffs Verhandlungen haben hinsichtlich
wichtiger Fragen bisher noch kein abschließendes Ergebnis erzielen können. Im Zuge der parlamentarischen
Beratungen werden daher noch einzelne Ergänzungen
erfolgen können und müssen. Dies gilt zuvörderst für die
Verteilung der Mittel, das Hauptthema der Verhandlungen, die Graf Lambsdorff heute und morgen bestreiten
wird.
An den Verhandlungen sind Abgeordnete aller Fraktionen dieses Hauses seit langem beteiligt. Dies war
nicht nur wichtig, um alle Fraktionen am Informationsfluss und Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen,
sondern auch als Demonstration des Einvernehmens
über die Bedeutung dieses Vorhabens und unseres Umgangs mit Schuld und Verantwortungsbewusstsein für
diese Aufgabe. Wir wollen und müssen zu schnellen,
fairen und angemessenen Leistungen der Stiftungen für
die sehr betagten Opfer, die Adressaten von NS-Unrecht, gelangen.
Ich danke Ihnen,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für den Bericht.
Ich eröffne die Befragung. Ich bitte, zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Liegt der Wunsch nach einer Befragung
der Bundesregierung vor? - Herr Kollege Seifert.
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis würde ich gern zwei Fragen hintereinander stellen.
Herr Staatssekretär Diller, Sie sagten einleitend, dass
es der Bundesregierung darum geht, ein abschließendes
Zeichen gegen das Unrecht, das an Millionen Menschen
verübt wurde, zu setzen. Ich gehe davon aus, dass das
auch im Einvernehmen mit den osteuropäischen Ländern geregelt wird. Liegt Ihnen mehr an dem Zeichen
oder mehr an dem Abschluss?
Ich kann nicht verhehlen, dass mich die Debatte der
letzten Zeit deshalb gelegentlich unangenehm berührte,
weil ich den Eindruck haben musste, dass es der Bundesregierung und insbesondere der deutschen Wirtschaft
eher darum geht, einen Schlussstrich zu ziehen und Ruhe zu haben. Das fände ich nicht so gut. Wo liegen die
Akzente der Bundesregierung in Bezug auf ein abschließendes Zeichen?
Herr Kollege, beides ist wichtig. Es ist
wichtig, dass wir jetzt, nach so langer Zeit, dieses moralische Zeichen setzen, und es ist wichtig, dass wir zu einem Abschluss kommen, damit auch die noch Lebenden
nicht nur das moralische Anliegen empfinden, sondern
auch die Leistungen empfangen können, die wir in diesem Stiftungsgesetz vorsehen.
Eine weitere Frage
des Kollegen Seifert.
Herr Staatssekretär, vielen
Dank, dass Sie noch einmal die moralische Verpflichtung deutlich betont haben.
Ich habe noch eine andere Frage. Sie sprachen davon,
dass auch Opfer pseudomedizinischer Versuche von dieser Stiftung bedacht werden sollen. Darf ich das dahin
gehend verstehen, dass Sie jetzt auch den so genannten
Euthanasieopfern und Zwangssterilisierten die ihnen
meines Erachtens mehr als zustehende Entschädigung
möglichst rasch auszahlen wollen? Oder bedarf es noch
weiterer Anstrengungen seitens des Parlamentes und der
Regierung, damit auch diese Menschen möglichst bald sie sind schließlich schon in hohem Alter; Sie sagten es
eben - wenigstens eine geringfügige geldliche Entschädigung für das ihnen zugefügte Leid bekommen?
Der Gesetzentwurf sieht bezüglich der
Stiftungsmittel eine Aufteilung der Opfer in Gruppen
entsprechend der Schwere des zugefügten Leids vor.
Die erste Gruppe besteht beispielsweise aus denjenigen, die sowohl KZ-Haft als auch Zwangsarbeit erleiden
mussten. Deshalb besteht die Frage, in welche Gruppierung die von Ihnen angesprochenen Betroffenen eingestuft werden. Nach § 11 des Gesetzentwurfes wird im
Rahmen der Leistungsberechtigung auf diejenigen abgehoben, die in einem Konzentrationslager, einer anderen
Haftstätte oder in einem Getto unter vergleichbaren Bedingungen inhaftiert waren und zur Arbeit gezwungen
wurden.
Die zweite Gruppe besteht aus denjenigen, die aus ihrem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reiches in
den Grenzen von 1937 oder in ein vom Deutschen Reich
besetztes Gebiet deportiert wurden, zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen oder
im öffentlichen Bereich gezwungen wurden und unter
anderen Bedingungen als zu den unter Punkt 1 genannten inhaftiert oder haftähnlichen Bedingungen bzw. vergleichbaren besonders schlechten Lebensbedingungen
unterworfen waren. Diese Regelung gilt nicht für Personen, die nach Österreich deportiert worden sind.
Die dritte Gruppe besteht aus denjenigen, die im
Zuge rassischer Verfolgung unter wesentlicher und
schadensursächlicher Beteiligung deutscher Unternehmen Vermögensschäden im Sinne der Wiedergutmachungsgesetze erlitten haben und mangels Erfüllung der
Wohnsitzvoraussetzung des BundesentschädigungsgeParl. Staatssekretär Karl Diller
setzes hierfür keine Leistungen erhalten konnten oder
aufgrund ihres Wohnsitzes oder dauernden Aufenthaltes
in einem Gebiet, mit dessen Regierung die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, nicht imstande waren, fristgerecht Rückerstattungsansprüche geltend zu machen. Sonderregelungen
im Rahmen des International Committee of Holocaust
Era Insurance Claims bleiben unberührt.
Die Partnerorganisationen können im Rahmen der ihnen nach diesem Stiftungsgesetz zugewiesenen Mittel
Leistungen auch solchen Opfern nationalsozialistischer
Unrechtsmaßnahmen gewähren, die nicht zu einer der
genannten Fallgruppen gehören.
({0})
Herr Staatssekretär,
wollen Sie darauf noch antworten? Die Frage war, ob
auch medizinische Opfer davon betroffen sind. - Dann
hat der Kollege Volker Beck eine Frage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir - auch im Kontext
der Fragen, die Herr Seifert gestellt hat - zu, dass insbesondere im Rahmen der Öffnungsklausel durch die Partnerorganisationen weitere humanitäre Aspekte abgedeckt werden können, dass dies länderspezifisch geschehen kann und dass angesichts der Frage, die Sie,
Herr Seifert, angesprochen haben, ob nämlich der
Schlussstrich oder die moralische Verantwortung, die
wir gemeinsam übernehmen wollen, im Vordergrund
steht, deutlich wird, dass es uns vor allem um die moralische Verantwortung geht und im Hinblick auf die Frage des Schlussstriches nur um Rechtsfragen?
Dies wird in § 16 des Gesetzentwurfes sehr deutlich
ausformuliert. Man will nämlich einerseits Rechtssicherheit gewähren und andererseits wird im dritten Absatz des § 16 gesagt: „Weitergehende Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenregelungen bleiben hiervon
unberührt“, was bedeutet, dass zum einen Rechtsansprüche, die nach deutschem Entschädigungsrecht bestehen,
durch diese Stiftung nicht verloren gehen und dass zum
anderen das in der Koalitionsvereinbarung niedergelegte
Projekt einer Bundesstiftung „Entschädigung für NSUnrecht“ für die „vergessenen Opfer“ nach dieser Diskussion vom Parlament noch einmal unter finanziellen,
moralischen und rechtlichen Gesichtspunkten vorurteilsfrei geprüft wird.
Bitte schön.
Dem ist so.
Eine Frage des Kollegen Wolfgang Zeitlmann.
Herr Staatssekretär, können Sie mir näher erläutern, welche Schadensersatzansprüche unter der Rubrik „Vermögensschaden“ konkret abgeglichen werden sollen? In der
Presse gibt es diesbezüglich Meldungen, die ein bisschen widersprüchlich sind.
Herr Kollege, bezüglich der Vermögensschäden gibt es zunächst einmal folgende Bestimmung:
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 umfassen die Stiftungsmittel die
Beträge, die dem International Committee of Holocaust
Era Insurance Claims von der Stiftung oder deutschen
Versicherungsunternehmen für Leistungen aus Versicherungsschäden zur Verfügung gestellt wurden oder
noch werden. Schadensersatzansprüche haben diejenigen, die im Zuge rassischer Verfolgung unter wesentlicher und schadensursächlicher Beteiligung deutscher
Unternehmen, Vermögensschäden im Sinne der Wiedergutmachungsgesetze erlitten haben.
Eine weitere Frage? - Herr Kollege Zeitlmann.
Herr Staatssekretär, darf ich ergänzend fragen: Stimmen dann Berichte nicht, in denen es heißt, dass es sich in diesem Bereich um eine institutionelle Förderung von Organisationen und eventuellen Siedlungsprojekten handelt?
Diese Frage würde ich gerne prüfen lassen, aber ich vermute, die Antwort heißt nein.
Eine Frage des Kollegen Bosbach.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zu der Abgrenzung von Sklavenarbeit und Zwangsarbeit im Hinblick auf diejenigen
Opfer, die in einem Arbeitserziehungslager interniert
waren. Hier gibt es, auch unter Historikern, unterschiedliche Auffassungen, ob richtigerweise eine Eingruppierung in die Rubrik Sklavenarbeit mit der Folge einer
Pro-Kopf-Entschädigung bis zu 15 000 DM oder eine
Eingruppierung in die Rubrik Zwangsarbeit mit Höchstbeträgen bis zu 5 000 DM pro Kopf vorgenommen werden sollte. Wie ist hierzu die Einschätzung der Bundesregierung?
Zu meiner zweiten Frage. Es ist unstreitig, dass wir
im Interesse unseres Staates, der Bundesrepublik
Deutschland, und insbesondere der deutschen Industrie
dringend eine umfassende Rechtssicherheit brauchen. In
der Bundesrepublik Deutschland soll sie hergestellt
werden durch das nun zur Beratung anstehende Stiftungsgesetz, im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten
von Amerika durch ein Regierungsabkommen und dann
durch ein Statement of Interest der Vereinigten Staaten
von Amerika zu den jeweils angerufenen Gerichten.
Meine Frage lautet: Wie kann diese notwendige und umfassende Rechtssicherheit im Verhältnis zu den anderen
Hauptherkunftsländern der Opfer hergestellt werden?
Zu meiner dritten Frage. Der Fonds hat ein Vermögen
von insgesamt 10 Milliarden DM, jeweils zur Hälfte gespeist von der deutschen Industrie und vom deutschen
Steuerzahler. Vor allen Dingen der Bund und auch die
Länder wollen sich beteiligen. Wie kann sichergestellt
werden - und welche Instrumentarien hat die Bundesregierung, um dies zu prüfen -, dass die Mittel, die bereitgestellt werden, die Opfer auch tatsächlich erreichen, um
zu vermeiden, was wir in der Vergangenheit leider erleben mussten, dass die Gelder zwar zur Verfügung gestellt werden, dass aber nachher viele Opfer, Opfergruppen oder Opferverbände darüber klagen, dass die zugedachten Mittel die noch lebenden Opfer nicht erreicht
haben?
Zu Frage eins würde ich Ihnen gerne eine
schriftliche Antwort zukommen lassen.
Zu Frage zwei: Um diese Frage geht es in den endgültigen und abschließenden Verhandlungen.
Zu Frage drei: Sie wissen - gestern haben wir darüber
auch gesprochen -, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich
vorsieht, dass die Stiftung zunächst einmal einen Haushaltsplan aufzustellen hat und dieser vom Finanzministerium genehmigt werden muss. Die Verwendung der
Mittel unterliegt der Kontrolle des Bundesrechnungshofes. Graf Lambsdorff hat heute Morgen im Kabinett darauf hingewiesen, dass dafür Wirtschaftsprüfer eingesetzt werden sollen, sodass, denke ich, Ihrem Anliegen
damit hinreichend Rechnung getragen worden ist.
Herr Kollege Bosbach, ich möchte an dieser Stelle
noch auf Folgendes hinweisen - das spielte gestern im
Rahmen unserer Gespräche eine große Rolle -: Ihrem
Anliegen, in § 3 den Hinweis auf die Länder herauszunehmen, ist das Bundeskabinett gefolgt. In der Begründung haben wir exakt die Formulierung aufgenommen,
die gestern Abend mit Ihnen bezüglich der Beteiligung
der Länder abgesprochen worden ist.
Eine Frage des Kollegen Claus.
Herr Staatssekretär, wenn die
Bundesregierung Interesse daran hat, dass alle Fraktionen des Bundestages diesen Gesetzentwurf parallel einbringen, was ich verstehe und unterstütze, so möchte ich
Sie fragen: Ist in dem Entwurf auch vorgesehen, dass alle Fraktionen an dem Stiftungskuratorium beteiligt werden sollen? Für den Fall, dass das nicht so sein sollte:
Sehen Sie in diesem Punkt noch Verhandlungsspielraum?
Herr Kollege, wir haben gestern in Anwesenheit Ihrer Fraktionskollegin Frau Jelpke gerade über
diesen Aspekt mit allen Fraktionen diskutiert. Nach der
Gesetzgebungspraxis ist es so, dass die Fraktionen zunächst einmal den Gesetzentwurf übernehmen, den die
Bundesregierung beschlossen hat, und zwar buchstabengetreu. In dem Gesetzentwurf ist die Zahl der Kuratoriumsmitglieder des Deutschen Bundestages mit drei
Mitgliedern festgeschrieben. Es ist aber nicht festgeschrieben, welche Fraktion wie viele Mitglieder entsendet. Dieser Punkt ist also im Laufe der Beratungen zu
klären.
Gestern gab es Äußerungen seitens der Koalitionsfraktionen, sich einer breiten Diskussion zu öffnen; denn
es ist bei allen Beteiligten das Interesse vorhanden, einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu beschließen.
Herr Kollege
Zeitlmann.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben das gestrige Gespräch mit den Fraktio-
nen dieses Hauses erwähnt. Ich frage Sie: Hat es zu dem
Gesetzestext vor dem gestrigen Termin gemeinsame Ge-
spräche mit den Fraktionen, insbesondere mit den Frak-
tionen der Opposition, gegeben?
Herr Kollege, ich selbst habe zweimal an
Diskussionen in einem fachfremden Ausschuss teilge-
nommen - nämlich im Innenausschuss -, um dort da-
rüber zu berichten, was wir gesetzgeberisch vorhaben.
Ich verweise darauf, dass seit Herbst letzten Jahres alle
Fraktionen an den Plenarsitzungen der Verhandlungen
teilgenommen haben.
Ich selbst habe daran nicht teilgenommen. Aber ich
habe mir berichten lassen, dass die Vertreter der Frakti-
onen aktiv an den Debatten teilgenommen haben. Von
daher ist a) über den Fortgang der Verhandlungen und b)
über die gesetzgeberischen Tätigkeiten, die parallel dazu
stattfinden, informiert worden.
Herr Staatssekretär, ich wollte Sie eigentlich nicht nach den Verhandlungen fragen, sondern ich wollte Sie fragen, ob nach
Ihrem Wissen bei der Vorbereitung des Gesetzestextes
im Vorfeld - also über das Gespräch gestern Abend hinaus - weitere Gespräche mit anderen Fraktionen stattgefunden haben.
Wir haben im Innenausschuss über den
Stand unserer gesetzgeberischen Vorhaben berichtet.
Schon damals - das ist jetzt von der PDS wieder angesprochen worden - hat die Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die im Kuratorium vertreten sein
sollen, eine Rolle gespielt.
Sie müssen Herrn Bosbach fragen, ob ihm der Gesetzentwurf gestern Abend zum ersten Mal präsentiert
worden ist - in dieser Fassung sicherlich, weil er erst im
Laufe des gestrigen Tages seinen Feinschliff bekommen
hat. Auch Herr Bosbach hat mitbekommen, dass noch
während unseres Gespräches eine korrigierte Fassung
desjenigen Entwurfs vorgelegt wurde, den ich Ihnen als
Beratungsgrundlage auf den Tisch legen konnte. Insofern handelt es sich um einen permanenten Prozess, der
die zwischenzeitlichen Ergebnisse aus den Verhandlungen einbindet.
Eine Frage des Kollegen Volker Beck.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass man fast
davon sprechen könnte, dass die Oppositionsfraktionen
in einer beispiellosen Weise in die Vorbereitungen zu
diesem Gesetzgebungsverfahren eingebunden worden
sind,
({0})
dass in zahlreichen Verhandlungsrunden verschiedene
Entwurfsstadien im Kreise der Berichterstatter beleuchtet und diskutiert worden sind und dass die Argumente
aus allen Fraktionen in die Vorbereitung des Kabinettsbeschlusses einfließen konnten?
({1})
Herr Kollege, als Regierungsvertreter
möchte ich mich der Meinung enthalten. Aber wenn das
Ihre Wertung ist, dann ist es gut so.
Kollege Bosbach.
Ich melde mich
wegen der Frage des Kollegen Beck. Es handelt sich
selbstverständlich nicht um eine rhetorische Frage, ich
bitte um eine Beantwortung.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie darin überein, dass
wir bei den Verhandlungsrunden von Anfang an zugegen waren, ohne aber zunächst in die Verhandlungen
eingegriffen zu haben? Das war auch gar nicht gewünscht, weil wir ja zuerst eine Einigung über die Gesamthöhe des Fondsvermögens erzielen wollten. Seit
Anfang dieses Jahres beteiligen wir uns aber aktiv an
den Verhandlungen.
Wir haben die Entwürfe - das ist jetzt der vierte Entwurf - immer zeitnah erhalten; das ist richtig. Aber
stimmen Sie mir zu, dass eine Mitarbeit der Opposition
an der Erarbeitung der Texte ausdrücklich deshalb nicht
gewünscht war, damit wir nicht Augen- und Ohrenzeugen der Verhandlungen zwischen Rot und Grün werden?
Zu der letzten Frage: Es entzieht sich
meiner Kenntnis, ob das jemand als bestimmenden
Grund angesehen hat. Es ist in der Tat so, wie Sie gesagt
haben, Herr Bosbach: Alle Oppositionsfraktionen standen in ständigem Kontakt mit den Regierungsvertretern,
sie waren auch bei den Verhandlungen. Von daher
stimmt die Einschätzung des Kollegen Beck sicherlich.
({0})
Nach dieser beispielhaft freundlichen Antwort gibt es keine weitere
Frage zu diesem Themenkomplex.
Darf ich fragen, ob im Rahmen der Regierungsbefragung Fragen zu anderen Themen gestellt werden möchten? - Herr Kollege Koppelin.
Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob es heute im Kabinett eine Diskussion über den geplanten Export des Spürpanzers Fuchs
in die Vereinigten Arabischen Emirate gegeben hat.
Der „Stern“ wird darüber morgen ausführlich berichten;
es werden auch Aussagen des Staatssekretärs Kolbow
bzw. des Bundesverteidigungsministers Scharping angeführt. Gibt es im Kabinett eine einheitliche Meinung
zum Export des Spürpanzers Fuchs in die Vereinigten
Arabischen Emirate? Falls - wie ich es von dieser Regierung erwarte - die Frage nicht beantwortet werden
kann, frage ich, ob es überhaupt eine Exportvoranfrage
gibt.
Herr Staatsminister,
bitte schön.
Herr Koppelin, das war nicht Thema der Kabinettssitzung. Wie Sie wissen, befasst sich der Bundessicherheitsrat mit solchen Fragen und dieser hat sich damit bisher noch nicht abschließend befassen können.
Eine weitere Frage
des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, darf
ich fragen, wie es möglich ist, dass, wenn diese Fragen,
was ich akzeptiere, nicht im Kabinett, sondern im Bundessicherheitsrat behandelt werden, wir fast täglich
Meinungen von Vertretern der Ministerien, die Mitglied
im Bundessicherheitsrat sind, in den Medien lesen können. Spüren Sie eigentlich dem nach, der plaudert? Wie
ist Ihre Haltung? Oder muss ich als Abgeordneter alles
den Medien entnehmen?
Herr Koppelin, einer Entscheidung geht immer eine Meinungsbildung voraus.
Bitte schön, Herr
Koppelin.
Herr Staatsminister, da
Sie früher als Abgeordneter in einer Oppositionsfraktion
waren: Teilen Sie meine Auffassung, dass auch Sie früher gesagt hätten, dass die Regierung, wenn sie damals
so geantwortet hätte wie Sie heute, kneift und sich um
eine Antwort herumdrückt, weil es unterschiedliche
Auffassungen in der Koalition gibt?
Kneifen kann uns beim Thema Rüstungsexport sicherlich niemand vorwerfen. Das würde auch Ihrer Diagnose widersprechen, wir würden öffentlich zu lebhaft
darüber diskutieren.
({0})
Gibt es sonstige
Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall.
Dann danke ich dem Parlamentarischen Staatssekretär
Diller und dem Staatsminister Volmer und beende die
Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- ({0}) Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel:
Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der Tatsache,
dass über die Hälfte der deutschen KFOR-Soldaten in den neuen
Bundesländern beheimatet ist, deren verständlichem Wunsch
entgegenzukommen, künftig bei Heimaturlaubs-Flügen neben
Köln/Bonn auch Berlin oder Leipzig anzufliegen, um die überdurchschnittlich lange Anreise in die Heimatstandorte zu
erleichtern?
Herr Präsident! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dehnel, die
von Ihnen angesprochene Regelung ist bereits bei der
Rückkehr früherer Kontingente kritisch hinterfragt worden. So mussten zum Beispiel Soldaten aus bayerischen
Standorten - Herr Zeitlmann dreht uns gerade den Rücken zu - nach einem Einsatz im Kosovo aus organisatorischen Gründen in Köln/Bonn landen und eine achtstündige Busreise - das habe ich gelernt, als ich den
Standort Brannenburg mit ihm besucht habe - auf sich
nehmen.
Ihre Frage war aber hilfreich, weil man noch einmal
überprüfen muss, warum so etwas geschieht. Es gibt
folgende Gründe - sie scheinen mir stichhaltig zu sein,
wenn sie auch unbefriedigend sind -:
Erstens. Jede Zwischenlandung verursacht zusätzliche Kosten und erhöht den Zeitaufwand für das fliegende Personal. Sie müssen möglicherweise eine weitere
Crew mitnehmen.
Das Zweite ist - das scheint mir das gewichtigste Argument zu sein -: Die Kontrolle der Rückkehrer durch
den Zoll und die eigenen, bundeswehrspezifischen Formalitäten müssten dann an den verschiedenen Zielorten
erfolgen. Wir haben leider Gründe dafür, dies jeweils
organisieren zu müssen.
Drittens. Es hat sich außerdem ergeben, dass es bei
jedem Einsatzkontingent - auch jetzt zum Beispiel bei
den Soldaten, die zu 65 Prozent aus den neuen
Bundesländern stammen - ganz viele Standorte gibt, aus
denen sie kommen - es sind nicht etwa nur geschlossene
Verbände -, sodass eine eindeutige Zuordnung zu den
unterschiedlichen Flughäfen schwierig ist. Dies gilt
zumal, weil die Leute zwar oft an einem Standort
arbeiten, aber ihre Familien, bei denen sie Urlaub
machen, woanders leben. Ich will aber nicht verhehlen um das abschließend festzustellen -, dass die
augenblickliche Regelung noch unbefriedigend ist.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, es freut mich, dass Sie das Problem genauso sehen.
Ich habe aber nicht nach Zwischenlandungen gefragt,
sondern meine wirklich ein direktes Anlanden in Berlin.
Dort gibt es auch einen Militärflughafen und da dürfte es
ja relativ einfach sein - für meine Begriffe und auch
nach Einschätzung durch die Soldaten -, dort die Soldaten in den Urlaub zu entlassen.
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass wir Gelegenheit hatten, bei den KFOR-Truppen zugegen zu sein.
Sie können die Grüße und den Dank Herrn Staatssekretär Kolbow bitte ausrichten. Wir haben uns darüber sehr
gefreut.
Aber wenn wir dann von den Soldaten solche Fragen
bekommen, möchten wir schon gern, dass diese Fragen
auch entsprechend beantwortet werden, bzw. dass man
ihnen auch hilft. Ich glaube schon - vielleicht sehen Sie
es auch so -, dass man dann zumindest Berlin - wenn
schon nicht Leipzig - als direkten Landeort angeben
könnte. Sehen Sie das genauso?
Wir haben uns wirklich
der Mühe unterzogen und haben einmal aufgeschlüsselt,
woher die Leute kommen und welchen Heimatort sie
haben. Danach ist das ungeheuer differenziert zu sehen
und dann ist Berlin auch nicht so attraktiv, wie wir geglaubt haben, wenn man die Prozentsätze sieht. Bei dem
jetzigen Einsatz wäre vielleicht sogar Hannover der richtige Ort, weil von da aus verschiedene Bereiche erreichbar wären.
Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Wenn es sich
um Urlaub handelt und wir bei den sechs Monaten bleiben müssen, glaube ich, dass wir uns sowieso einmal
überlegen müssen, ob wir das eigentlich mit unseren eigenen Bundeswehrmaschinen machen müssen oder ob
man es nicht durch eine vernünftige Organisation mit
zivilen Luftfahrtgesellschaften so macht, dass die Piloten dann umsteigen können. Dann könnten die Formalitäten beim Einstieg erfolgen, wie wir das ja heute auch
kennen, und die Leute würden anschließend dichter an
ihren Heimatort herankommen. Diese Frage ist nicht
einfach mit Berlin und Köln/Bonn zu beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich muss doch noch
eine Frage stellen. Ist Ihnen bekannt, dass es für Missstimmung bei den Soldaten, die in Richtung München
bzw. Hannover mitgeflogen sind, gesorgt hat, dass dann,
als der Bundeskanzler oder der Staatssekretär anwesend
waren, dort eine Zwischenlandung möglich war, dass
aber dann, wenn sie das wünschen, dies nicht möglich
ist?
Nun würde ich in der Tat
das Zeitbudget eines deutschen Bundeskanzlers etwas
anders einschätzen als einen - wenn auch intensiven Einsatz auf dem Balkan. Ich kann Ihnen sagen: Heute
Morgen haben wir im Unterausschuss „Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern“ über dieses Thema
gesprochen und dort die Zahlen vorgetragen, die für Sie
heute Nachmittag auch wichtig sind. Ich gehe am Wochenende nach Bosnien und wir werden anschließend,
Anfang April, mit dem Unterausschuss im Kosovo sein.
Wir nehmen uns für diesen Besuch ein bisschen mehr
Zeit, als Sie hatten. Aber wir kennen das Thema. Das ist
nur nicht so einfach zu lösen. Aber Ihre Frage war deshalb hilfreich, weil man dann noch einmal hinterfragt
und kritisch überlegt: Gibt es da keine andere Lösung?
Wir arbeiten daran.
Vielen Dank.
Ich rufe die Frage 2
des Kollegen Werner Siemann auf:
Welche aktuellen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung
hinsichtlich des Drogen- und Alkoholmissbrauchs bei Angehörigen der deutschen KFOR- und SFOR-Kontingente vor?
Herr Kollege Siemann, erfreulicherweise - so muss man sagen - ist die Zahl der
Alkohol- und Drogenmissbrauchsdelikte nicht so groß,
wie man befürchten könnte. Wir haben auch erst seit
1998 eine verlässliche Grundlage.
Danach ergibt sich Folgendes: Wir haben schon über
60 000 Soldaten - natürlich zum Teil die gleichen, manche schon doppelt und dreifach - auf dem Balkan in
Auslandseinsätzen gehabt. Alkoholmissbrauchsfälle haben wir 13 gehabt und Drogenmissbrauchsfälle 35.
({0})
Da kann man wirklich sagen: Das ist im Vergleich eine
geringe Gesamtzahl und das spricht eigentlich für die
Disziplin und die Einsatzbereitschaft der deutschen
Kontingente, auch für die sorgfältige Personalauswahl,
vielleicht auch für die gute Dienstaufsicht durch die
Kommandeure vor Ort sowie für das Verantwortungsbewusstsein unserer dort eingesetzten Soldaten.
Eine Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin, was haben Sie denn befürchtet und worauf gründeten sich diese Befürchtungen?
Auch Sie haben ja die
Frage vor dem Hintergrund gestellt, dass man immer
wieder etwas über Ausfälle oder über zurückkehrende
Soldaten hört. Wir können für die Bundeswehr sagen,
dass das Ganze erfreulich gut verlaufen ist. Vier bis
sechs Monate unterwegs und von seiner Familie getrennt
zu sein würde, könnte ich mir vorstellen, selbst für Bundestagsabgeordnete unter Umständen ein Problem bedeuten; schon die Trennung von einer Woche ist schwer.
Aber das ist gut verlaufen. Wir haben natürlich, wie in
jeder Armee, Probleme mit Alkohol oder, leider zunehmend, bei den jüngeren Leuten auch mit Drogenmissbrauch. Diese sind aber bei der Bundeswehr unverhältnismäßig gering.
Eine zweite Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin, entsprechen die Zahlen der Vorfälle auf dem Balkan, die, wie Sie gesagt haben, verhältnismäßig niedrig
sind, vergleichbaren Zahlen im Inland oder handelt es
sich um Auffälligkeiten?
Herr Kollege Siemann,
diese Frage sollten wir in den Verteidigungsausschuss
verlegen, um das Zahlenverhältnis in Ruhe zu diskutieren. Die Zahlen sind bei den deutschen Streitkräften auf
jeden Fall - noch - ungleich geringer; aber es gibt Probleme. Das hat auch die Wehrbeauftragte dankenswerterweise angesprochen, und zwar nicht zum ersten Mal.
Ich nehme Ihr Angebot an.
Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf:
Um welchen Prozentsatz werden die Regelsätze der Sozialhilfe zum 1. Juli 2000 gemäß den Bestimmungen in § 22 Abs. 6
Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes erhöht werden?
Herr Kollege
Weiß, die Regelsätze erhöhen sich zum 1. Juli 2000 um
den Vomhundertsatz, um den sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung verändert.
Zusatzfrage?
Frau
Staatssekretärin, da bei der damaligen Beschlussfassung
im Deutschen Bundestag über die Verlängerung dieser
Übergangsregelung, dass der Sozialhilferegelsatz in dem
Maße steigt wie die Rente, seitens der Regierungsfraktionen als Begründung angegeben worden ist, dass man
davon ausgehe, dass die Renten stärker als in den vergangenen Jahren anstiegen und diese Regelung deswegen auch für die Sozialhilfeempfänger angemessen sei,
frage ich Sie: Sieht sich die Bundesregierung jetzt nicht
veranlasst, eine Korrektur vorzunehmen, nachdem feststeht, dass die Rente voraussichtlich nur um 0,6 Prozent
steigt und nicht mehr um die Beträge, die damals, als
das Gesetz beschlossen wurde, in Rede standen?
Nein, die
Bundesregierung sieht dazu keine Veranlassung. Wir
gehen davon aus, dass die Anpassung entsprechend der
Preissteigerungsrate des Vorjahres nach wie vor den laufenden Bedarf deckt.
Zweite Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, wie sind die Absichten der Bundesregierung hinsichtlich der Regelung zur Anpassung der
Regelsätze in der Sozialhilfe für die kommenden Jahre,
da ja die Übergangsregelung bezüglich der Anpassung
in diesem Jahr ausläuft?
Herr Weiß,
Sie wissen, dass wir entsprechend unseren früheren Erklärungen nach Auswertung der noch von der alten
Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten hier
eine Neufestsetzung der Regelsätze planen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Grehn.
Frau Staatssekretärin, wie
bewerten Sie die unterschiedlichen Folgen für die Sozialhilfeempfänger in Ost und West angesichts der Tatsache, dass die Eckregelsätze in den neuen Bundesländern
niedriger liegen als in den alten Bundesländern, sich die
Preise aber teilweise auf einem Niveau von 110 Prozent
der Preise in den alten Bundesländern bewegen?
Herr Grehn,
wenn man die Entwicklung der Gesamtpreissteigerungsrate in Ostdeutschland betrachtet, stellt man fest, dass
diese sogar geringfügig unter der Preissteigerungsentwicklung in Westdeutschland liegt.
Von daher bestreite ich nicht, dass es einzelne Preisgruppen mit einer höheren Steigerungsrate gibt. Aber
insgesamt halten wir das für vertretbar.
({0})
Sie haben zu dieser
Frage nur eine Zusatzfrage. Aber Sie können bei der
nächsten Frage eine neue stellen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Schnieber-Jastram.
Frau
Staatssekretärin, bedeutet Ihre Antwort auf die Frage des
Kollegen Weiß, dass es im nächsten Jahr auf jeden Fall
ein neues Bedarfsbemessungsschema für die Sozialhilfe
geben wird?
Meine Antwort bedeutet, dass wir an einem solchen Bedarfsdeckungsschema arbeiten und dass wir eine Neufestsetzung der Regelsätze vornehmen.
Ich rufe die Frage 4
des Kollegen Peter Weiß auf :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der Sozialhilfeempfänger und die Entwicklung der Regelsätze der Sozialhilfe angesichts der im Jahr 2000 zu erwartenden Inflationsrate
({0}) und der Zusatzbelastungen
durch die so genannte Ökosteuer, die Sozialhilfeempfänger in
vollem Umfang ohne Kompensationsmöglichkeiten treffen?
Herr Weiß,
die in Ihrer Frage enthaltenen Unterstellungen sind nicht
zutreffend. Die Regelsätze der Sozialhilfe sind nach
Auffassung der Bundesregierung auch unter Berücksichtigung der für die Jahre 2000 und 2001 vorgesehenen
Anpassung entsprechend der Preissteigerungsrate des
Vorjahres weiterhin so ausgestaltet, dass sie den laufenden Bedarf decken.
Die These, die Ökosteuer führe zu nicht kompensierbaren Zusatzbelastungen für Sozialhilfeempfänger, ist in
mehrfacher Hinsicht falsch. Zwar können sich durch die
Vizepräsident Rudolf Seiters
Einführung und Erhöhung der Stromsteuer sowie die
Anhebung der Mineralölsteuer die Energiepreise erhöhen. Insofern können sich gewisse Auswirkungen auf
das Preisniveau ergeben. Im Rahmen der Sozialhilfe
schlagen sich die Energiekosten jedoch größtenteils in
den Heizkosten nieder, die in der Regel voll übernommen werden und somit nicht aus dem Regelsatz bestritten werden müssen. Bei den im Regelsatz enthaltenen
Kosten für Haushaltsenergie kann sich durch die Erhöhung des Strompreises um 2 Pfennig je Kilowattstunde
im Jahre 1999 eine Mehrbelastung von monatlich
3,43 DM und im Jahre 2000 bei einer weiteren Anhebung des Strompreises um einen halben Pfennig je Kilowattstunde eine zusätzliche Mehrbelastung von monatlich 86 Pfennig ergeben, wenn der tatsächliche Verbrauch 148 Kilowattstunden im Monat beträgt.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Jahren von
1991 bis 1999 die Kosten für Haushaltsenergie lediglich
um 6,6 Prozent gestiegen sind, die Regelsätze insgesamt
jedoch um 15,4 Prozent. Zudem ist die Stromsteuer nur
ein Kosten bildender Faktor, der nicht unbedingt auf den
Preis durchschlägt. Vielmehr ist im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes teilweise mit absolut sinkenden Strompreisen zu rechnen.
Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, sieht die Bundesregierung - im Gegensatz zu dem, was Sie gerade vorgetragen haben - nicht
doch eine erhebliche Differenz darin, dass die Sozialhilferegelsätze in diesem Jahr nur um 0,6 Prozent angehoben werden, die aktuelle Inflationsrate, die zu guten Teilen auf die Auswirkungen der Ökosteuer zurückzuführen
ist - dies soll bei einer späteren Frage in dieser Fragestunde noch erörtert werden -, aber bei 1,8 Prozent
liegt?
Herr Weiß,
zum einen finden diese Anhebungen immer zur Mitte
des Jahres statt, sodass Sie da einen Durchschnitt bilden
müssen.
Zum Zweiten ist die Inflationsrate, auch wenn sie in
diesem Jahr höher ist, im nächsten Jahr möglicherweise
wieder niedriger, wovon zum Beispiel die Rentner und
auch die Sozialhilfeempfänger, soweit wir die Regelsätze bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht neu festgesetzt
haben, profitieren würden.
Zweite Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, da die Regelsätze der Sozialhilfe das
maßgebliche Kriterium für die Festsetzung des steuerfreien Existenzminimums für Familien und ihre Kinder
sind, möchte ich fragen, ob Sie sich, nachdem Sie mit
Datum vom 4. Januar 2000 dem Deutschen Bundestag
die Unterrichtung durch die Bundesregierung über die
Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien
für das Jahr 2001 vorgelegt haben, angesichts der aktuell
in Rede stehenden Erhöhungen bei Rente wie Sozialhilfe
um nur 0,6 Prozent veranlasst sehen, die Berechnungen
für das Existenzminimum noch einmal nach unten zu
korrigieren.
Wir haben
keine Veranlassung, die Festsetzung des Existenzminimums noch einmal zu korrigieren.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Grehn.
Frau Staatssekretärin, liegen der Bundesregierung Kenntnisse vor, welche Wirkungen diese unterschiedlichen Regelungen auf die
Kommunen in Ost und West angesichts der unterschiedlichen finanziellen Belastung in beiden Teilen Deutschlands und der eher bescheidenen - um nicht zu sagen:
prekären - finanziellen Situation der Kommunen in den
neuen Bundesländern haben?
Herr Grehn, ich
kann mir nicht vorstellen, dass die entsprechend der
Preissteigerungsrate des Vorjahres vorgenommene Anpassung die Träger der Sozialhilfe - Sie sprachen die
Kommunen an - zusätzlich belastet; eher das Gegenteil
ist der Fall. Auch ich weiß, dass die Finanzsituation prekär ist, aber aus dieser Anpassung der Sozialhilfe können Sie keine zusätzliche Belastung ableiten.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Peter Dreßen.
Frau Staatssekretärin, die
Stromkosten gehen ja, wie Sie schon erwähnt haben,
nach unten. Dadurch tritt eine Erleichterung für die Sozialhilfeempfänger ein. Außerdem habe ich erlebt, dass
Sozialämter es Sozialhilfeempfängern verweigern, ein
Auto für ihren täglichen Bedarf anzumelden. So brauchen die gestiegenen Benzinkosten nicht bei der Sozialhilfe berücksichtigt zu werden,
({0})
auch wenn ich es als sehr strikte Auslegung empfinde,
dass man Sozialhilfeempfängern das Auto nicht belässt.
Ist es denn wirklich so, dass, weil ein Auto nicht zum
Bedarf von Sozialhilfeempfängern zählt, deshalb auch
die entsprechenden Mehrkosten aus der Ökosteuer nicht
berücksichtigt werden?
Herr Dreßen,
es kommt immer auf die konkrete Einzelfallprüfung an,
ob ein Auto für den Sozialhilfeempfänger erforderlich
ist oder nicht. Deswegen kann ich Ihnen Ihre Frage so
generell nicht beantworten. Sofern aber kein Auto vorhanden ist, spielen in der Tat die Benzinpreise für den
Sozialhilfeempfänger keine Rolle.
Dabei ist sicher die Frage zu stellen, inwiefern sich
die Ökosteuer auf die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs ausgewirkt hat. Davon sind Sozialhilfeempfänger
möglicherweise betroffen.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage der Kollege Seifert.
Frau Staatssekretärin, habe
ich Sie richtig verstanden, dass aufgrund dessen, dass
die Anpassung der Regelsätze niedriger als die Inflationsrate ausfällt, die Kommunen sozusagen auf Kosten
der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, die, relativ gesehen, weniger bekommen als vorher,
möglicherweise noch ein bisschen besser wegkommen
als vorher?
Nein, Herr
Seifert, da haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe
die Frage von Herrn Grehn so verstanden, dass er
befürchtet, dass auf die ostdeutschen Kommunen, die
sich in einer prekären Finanzsituation befinden,
aufgrund der entsprechend der Preissteigerungsrate des
Vorjahres vorgenommenen Anpassung eine Mehrbelastung zukommt. Dieses habe ich abgestritten. Hier
lag, wie ich denke, ein Missverständnis vor.
Ich rufe die Frage 5
des Kollegen Olaf Scholz auf:
Sind der Bundesregierung Vertragsgestaltungen bekannt, wo
im Hinblick auf das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit
und §§ 7a und 7b Viertes Buch des Sozialgesetzbuches ({0}) Auftragnehmer ({1}) erklären müssen: „Ich versichere, dass ich nicht als „Scheinselbstständiger“
im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB IV anzusehen bin, und verpflichte
mich, im Falle von Anfragen hinsichtlich meiner rechtlichen
Stellung alle erforderlichen Informationen zur Klärung meines
Status zu liefern. Ich stimme bereits jetzt zu, dass im Falle einer
Prüfung des Vorliegens eines Beschäftigungsverhältnisses eine
Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe der Entscheidung der
BfA bzw. eines anderen Versicherungsträgers eintreten soll
({2}).“?
Herr Kollege
Scholz, Sie haben zwei Fragen zur Problematik der
Scheinselbstständigkeit gestellt. Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, darf ich sie zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch
die Frage 6 des Abgeordneten Olaf Scholz auf:
Teilt die Bundesregierung die in dem Protokoll der Sitzung
des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom
10. November 1999 zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass
solch eine Vertragsklausel/Erklärung jedenfalls im Hinblick auf
§ 7b SGB IV unwirksam ist, weil die Zustimmung des Arbeitnehmers gemäß § 7b Ziffer 1 SGB IV nur nachträglich und nicht
vorab erteilt werden kann, und - falls eine versicherungspflichtige Betätigung vorliegt - indiziert, dass der Arbeitgeber
vorsätzlich oder grob fahrlässig von einer selbstständigen
Tätigkeit ausgegangen ist?
Der Bundesregierung ist bekannt, dass als freie Journalisten tätigen
Honorarempfängern in Einzelfällen derartige Erklärungen zur Unterschrift vorgelegt wurden. Die Bundesregierung teilt die von Ihnen angeführte Auffassung des
Ausschusses, dass die Zustimmungserfordernis dem
Schutz des Beschäftigten dient. Die Sozialversicherungspflicht tritt von der Aufnahme der Beschäftigung
an ein, wenn der Beschäftigte seine Zustimmung zum
späteren Eintritt der Sozialversicherungspflicht nicht erteilt. Die Versicherungsträger haben sorgfältig zu prüfen, ob eine wirksame Zustimmungserklärung vorliegt.
Bei Zustimmungen im Voraus liegt eine wirksame Zustimmung regelmäßig nicht vor, sondern nur bei solchen
Erklärungen, die erst nach der Bekanntgabe der Entscheidung, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt,
abgegeben werden. Bei einer Zustimmung im Voraus
besteht regelmäßig die Gefahr, dass sie unter dem
Druck, einen Auftrag ohne die Unterzeichnung einer
solchen Erklärung nicht zu erhalten, zustande gekommen ist.
Auch nach Auffassung der Bundesregierung lässt ein
Verhalten von Auftraggebern, die Auftragnehmern vorab eine zustimmende Erklärung zum späteren Eintritt
der Versicherungspflicht abfordern, darauf schließen,
dass diese erhebliche Zweifel daran haben, dass eine
selbstständige Tätigkeit überhaupt vorliegt. Es ist davon
auszugehen, dass die Sozialversicherungsträger, die die
Gesetze in eigener Verantwortung ausführen, ihrer Prüfungspflicht ordnungsgemäß nachkommen.
Jetzt haben Sie vier
Zusatzfragen.
Ich will mich aber auf eine beschränken. - Die Auskunft ist ja sehr befriedigend für
alle, die jetzt solche Vertragsformulare vorgelegt bekommen. Es ist auch schon hilfreich, dass diese Ansicht
der Bundesregierung einmal im Deutschen Bundestag
bekannt gegeben worden ist, weil diese Regelung so eine gewisse Verbreitung findet. Wird sich die Bundesregierung auch bemühen, die Sozialversicherungsträger
und etwaige beteiligte Verbände von dieser Auffassung
gesondert zu informieren, und möglicherweise darauf
hinwirken, dass das in einer erweiterten Fassung des
Rundschreibens der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zum Ausdruck kommt, sodass das allgemein
Verbreitung findet?
Herr Scholz,
vielen Dank für diese Anregung. Das Arbeitsministerium wird sie gerne aufgreifen. Ich würde mich
auch freuen, wenn in den einschlägigen VerParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
bandspublikationen insgesamt stärker darauf hingewiesen wird; denn es geht ja um den Schutz der Betroffenen. Wir vonseiten des Arbeitsministeriums werden jedenfalls zur Verbreitung beitragen.
Ich rufe die Frage 7
der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:
Wie hoch ist der Verlust für den Eckrentner pro Monat, der
dadurch entsteht, dass die Bundesregierung den Rentnern bei der
Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 nicht den Kaufkraftverlust
des Jahres 2000, sondern nur den des Jahres 1999 ausgleicht,
wenn man von einer Preissteigerungsrate im Jahr 2000 in Höhe
von 1,6 Prozent ausgeht?
Frau
Schnieber-Jastram, Sie stellen die Frage, warum wir bei
der Rentenanpassung den Kaufkraftverlust entsprechend
der Preissteigerungsrate des Jahres 1999 ausgleichen
und uns nicht auf die - erst für zwei Monate bekannten Tatsachen des Jahres 2000 beziehen. Ich möchte Ihnen
darauf entsprechend antworten.
Das im Dezember vergangenen Jahres verabschiedete
Haushaltssanierungsgesetz sieht in Übereinstimmung
mit dem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, dass die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000
und zum 1. Juli 2001 der jeweiligen Preisentwicklung
des Vorjahres folgen. Um das noch einmal zu verdeutlichen: § 255c, der zum aktuellen Rentenwert in den Jahren 2000 und 2001 Aussagen trifft, lautet:
({0}) Abweichend von § 68 und § 255a Abs. 2 ändern
sich der aktuelle Rentenwert und der aktuelle Rentenwert ({1}) zum 1. Juli der Jahre 2000 und 2001
jeweils in dem Verhältnis, in dem der Preisindex
für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im
Bundesgebiet des jeweils vergangenen Kalenderjahres von dem Preisindex für die Lebenshaltung
aller privaten Haushalte im Bundesgebiet im jeweils vorvergangenen Kalenderjahr abweicht.
({2}) Bei der Bestimmung der Veränderungsrate des
Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten
Haushalte im Bundesgebiet für das Jahr 1999 sind
die dem Statistischen Bundesamt zu Beginn des
Jahres 2000 und für das Jahr 2000 die zu Beginn
des Jahres 2001 vorliegenden Daten zugrunde zu
legen.
In voller Übereinstimmung mit diesen gesetzlichen
Bestimmungen wird die Bundesregierung die Rentensteigerungen in den alten und in den neuen Bundesländern entsprechend der inzwischen vom Statistischen
Bundesamt dargestellten Preissteigerungsrate des Jahres
1999 zum 1. Juli des Jahres auf 0,6 vom Hundert festsetzen.
Zusatzfrage?
Frau
Staatssekretärin, ich würde gerne wissen, ob Sie die
Auffassung teilen, dass Sie den Rentnern - ich weiß
nicht, ob Sie sich noch erinnern - die Unwahrheit gesagt
haben. Der Bundesarbeitsminister hat noch am 20. Januar dieses Jahres im Zusammenhang mit der Rentenanpassung versprochen - ich zitiere -:
Die Kaufkraft soll erhalten bleiben und nicht wie in
der Vergangenheit abgesenkt werden.
Entgegen diesem Versprechen findet ein voller Kaufkraftausgleich bei der Anpassung der Renten für das
Jahr 2000 natürlich nicht statt. Teilen Sie das?
Frau
Schnieber-Jastram, wenn man sich die jahresdurchschnittliche Entwicklung ansieht - im ersten Halbjahr
werden die Renten ohne Berücksichtigung des Demographiefaktors um 1,34 Prozent und ab dem 1. Juli entsprechend der Preissteigerungsrate angepasst -, dann
muss man feststellen, dass die Renten unter Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung um insgesamt 1,1 Prozent steigen. So ergibt sich ein Kaufkraftverlust von lediglich 0,5 Prozent.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, ich möchte nachfragen, weil mir das
nicht logisch erscheint: Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der Kaufkraftverlust für die Rentner nach
vorläufigen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes
im Februar dieses Jahres bei 1,8 Prozent liegt und dass
die Renten zum 1. Juli 2000 nur um 0,6 Prozent angepasst werden sollen? Kann die Bundesregierung weiter bestätigen, dass den Rentnern hierdurch ein Verlust
von 250 DM pro Jahr entsteht?
Nein, das
kann Ihnen die Bundesregierung nicht bestätigen, weil
Sie sich ausschließlich auf die Kaufkraftentwicklung im
Februar des Jahres 2000 beziehen. Ich habe gerade versucht, deutlich zu machen, dass Sie hierbei den gesamten Jahresverlauf berücksichtigen müssen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Grehn.
Frau Staatssekretärin, angesichts des Missverständnisses bei meiner ersten Frage
möchte ich Sie nun fragen, ob der Bundesregierung klar
ist, dass den Kommunen zusätzliche Belastungen durch
Sozialhilfe empfangende Rentner entstehen, weil kein
Ausgleich in Höhe der Inflationsrate gewährt wird - die
Differenz beträgt nach gegenwärtigen Berechnungen
1,2 Prozent; genau darin besteht die Belastung für die
Kommunen -, und dass dadurch das Existenzminimum
der Rentner sowie der Sozialhilfeempfänger, das durch
die ergänzende Sozialhilfe abgedeckt wird, nicht mehr
gesichert ist? Meine Frage ist: Liegen Ihnen dazu Erkenntnisse vor?
Nein, darüber
liegen mir keine Erkenntnisse vor. Bekanntermaßen ist
jetzt erst März. Um das zu erläutern: Im Moment erhalten die Rentnerinnen und Rentner eine Anpassung, die
sich auf die Daten aus dem letzten Jahr stützt und die
über der jetzigen Preissteigerungsrate liegt. Deswegen
kann ich Ihnen dazu noch nichts sagen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Meckelburg.
Ganz egal, wie
die Zahlen Mitte oder Ende des Jahres aussehen werden,
Frau Staatssekretärin: Ist die Bundesregierung bereit,
den Rentnern dann im nächsten Jahr einen Kaufkraftverlustausgleich zu zahlen, wenn das Versprechen, das Sie
gemacht haben, nämlich für die Inflationsrate dieses
Jahres einen Ausgleich zu geben, nicht erfüllt wird?
Herr
Meckelburg, ich weiß nicht, auf welche Versprechen Sie
sich beziehen. Wir haben unsere Erklärungen immer genau dem Wortlaut des Paragraphen, den ich vorhin zitiert habe, entsprechend abgegeben. Wir haben immer
gesagt: Wir passen entsprechend der Preissteigerungsrate des Vorjahres an. Rein technisch, Herr Meckelburg,
geht es gar nicht anders. Genau so, wie wir die Renten
nur entsprechend der Nettolohnentwicklung des Vorjahres anpassen können, weil uns nur dazu gesicherte Zahlen vorliegen, können wir die Renten nur dann entsprechend der Preissteigerungsrate anpassen, wenn sie durch
das Statistische Bundesamt zu Beginn des Jahres festgelegt wird und gesichert ist.
Wir halten uns an das vom Bundestag beschlossene
Gesetz und werden auch im Jahr 2001 für eine entsprechende Anpassung der Renten sorgen. Im Moment ist
noch nicht klar, wie hoch die Preissteigerungsrate im
nächsten Jahr sein wird. Möglicherweise profitieren die
Rentner von einer günstigeren Entwicklung.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Laumann.
Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch ein
durchschnittlicher Rentnerhaushalt in der Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung der Ökosteuer
belastet wird?
Ja, die realen
Einkommen der Rentnerhaushalte sind um durchschnittlich 0,02 Prozent niedriger als vor der Einführung der
Ökosteuer.
({0})
- Ich beziehe mich hier auf Aussagen des Statistischen
Bundesamtes. - Dazu muss man sagen, dass die Rentnerhaushalte ein anderes Verbrauchsverhalten haben.
Das Statistische Bundesamt weist die Rentnerhaushalte
auch gesondert aus.
({1})
Ich habe das also nicht erfunden, ich habe das nicht selber mit dem Taschenrechner ausgerechnet, sondern ich
gebe Ihnen die offizielle Aussage dazu wieder.
({2})
- Ja, angesichts dessen, was ich vorhin schon dargestellt
habe - auch was die Entwicklung der Strompreise betrifft -, scheint mir das durchaus plausibel zu sein.
({3})
- Nein, das muss er nicht.
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen Louven.
Frau Staatssekretärin
Mascher, wir haben am 14. November 1996 vor dem
Hintergrund der Rentenreform, die durch Norbert Blüm
schon eingebracht worden war, den Rentenversicherungsbericht 1995 im Bundestag diskutiert. Sie haben
damals in der Debatte Folgendes gesagt - das können
Sie auf Seite 12423 nachlesen -:
({0})
Die richtige Antwort lautet: keine weiteren Leistungskürzungen ... keine Manipulation an der Rentenformel. ... Die Bewältigung der Aufgaben, vor
der die Rentenversicherung steht, ist nicht angepackt worden.
Wie fühlen Sie sich heute angesichts eines erneuten
Rentenbetrugs und dieser Aussage?
Herr Louven,
ich fühle mich ganz wohl dabei,
({0})
weil ich Ihrer Behauptung widerspreche, es handele sich
bei der Anpassung entsprechend der Preissteigerungsrate
um einen Rentenbetrug. Ein Rentenbetrug wäre es doch
nur, wenn wir den Rentnern die Unwahrheit gesagt hätten,
({1})
wenn wir das Gesetz, das wir im Deutschen Bundestag
in aller Öffentlichkeit beschlossen haben, nicht umsetzen würden. Wir setzen es jetzt um. Wir haben uns nicht
klammheimlich im Arbeitsministerium irgendetwas ausgedacht, sondern wir setzen ein geltendes Gesetz um.
Von daher finde ich Ihren Begriff „Rentenbetrug“ wirklich unangemessen.
Weitere
Zusatzfrage des Kollegen Seifert.
Ich möchte erst einmal meine
Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass Herr Kollege Louven von einem „erneuten Rentenbetrug“ sprach.
Damit gibt er ja zu, dass die CDU/CSU selber auch einen Rentenbetrug gemacht hat. Vielen Dank für diese
nachträgliche Aufklärung.
Frau Mascher, meine Frage bezieht sich noch einmal
auf die Antwort, die Sie dem Kollegen Grehn gaben,
dass wir ja erst März haben: Darf ich davon ausgehen,
dass in Ihrem Ministerium vorausschauend gearbeitet
wird, sodass Sie also jetzt schon Berechnungen darüber
anstellen, wie sich denn diese geringfügige Erhöhung
der Rente auf die Sozialhilfe-Zahlungsverpflichtung der
Kommunen auswirken wird, wenn ab 1. Juli nicht mehr
die Rentenerhöhung vom vergangenen Jahr, sondern die
von diesem Jahr wirkt, und Sie dann gegebenenfalls im
Vorhinein verhindern, dass die Kommunen zusätzlich
belastet werden, falls Sie die Rente doch höher ansetzen,
als es bisher geplant ist? Ich denke, wir würden hier im
Hohen Haus möglicherweise sogar kurzfristig eine große Koalition zustande bringen, die dann einer Gesetzesänderung zustimmen würde, die den Rentnern zugute
käme.
Herr Seifert,
trotz hoch entwickelter Rechenprogramme und trotz
ausgefeilter Statistiken ist dem Arbeitsministerium nicht
bekannt, wie hoch der Anteil der Rentnerinnen und
Rentner, die ergänzende Sozialhilfe bekommen, in den
einzelnen Gemeinden ist. Daher können wir die von Ihnen gewünschte Berechnung weder im Vorhinein noch
aktuell erstellen.
Weitere
Zwischenfrage des Kollegen Strobl.
Frau Staatssekretärin,
kann die Bundesregierung bestätigen, dass sie erwägt,
die Nettolöhne neu zu definieren?
Nein, das
kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Ich kann dazu aber, um Sie nicht ganz zu enttäuschen, sagen: Der
Arbeitsminister diskutiert im Moment darüber, ob das,
was künftig an privater Vorsorge geleistet wird, in die
Nettolohnberechnung einbezogen werden soll.
({0})
- Das haben Sie alles gelesen, Herr Strobl. Das ist doch
für Sie nichts Neues. Ich denke, diese Überlegung als
solche ist noch nicht strafbar.
Weitere
Zusatzfrage des Kollegen Romer.
Frau Staatssekretärin,
wie hoch ist der Verlust für den Eckrentner pro Monat,
der dadurch entsteht, dass die Bundesregierung den
Rentnern bei der Rentenanpassung zum 1. Juli 2000
nicht den Kaufkraftverlust des Jahres 2000, sondern den
des Jahres 1999 ausgleicht, wenn man von einer Preissteigerungsrate im Jahr 2000 in Höhe von 1,6 Prozent
ausgeht?
({0})
Herr Romer,
ich kann Ihnen diese Rechnung nicht aufmachen, weil
wir, wie gesagt, Mitte März dieses Jahres die Preissteigerungsrate für das gesamte Jahr noch nicht kennen. Wir
müssen darüber hinaus auch berücksichtigen, dass die
Anpassung der Renten immer unterjährig stattfindet, sodass Sie sehen müssen, wie sich das im gesamten Jahr
entwickelt. Ich kann Ihnen die Antwort auf Ihre Frage
im Moment noch nicht geben.
Weitere
Zusatzfrage des Kollegen Wolf.
Frau Staatssekretärin, ich
beziehe mich auf die Aussage, dass es keinen Rentenbetrug gegeben hätte. Wofür hat sich dann eigentlich der
Bundeskanzler in der Sendung „Sabine Christiansen“
bei der deutschen Bevölkerung entschuldigt, als es um
die Renten ging? Können Sie uns das sagen?
Das kann ich
Ihnen sagen. Der Bundeskanzler hat sich dafür entschuldigt, dass viele Rentnerinnen und Rentner durch diese
ganze Diskussion in hohem Maße verunsichert sind. Ich
halte es für sehr nachvollziehbar, dass sich der Bundeskanzler für diese Verunsicherung der Rentnerinnen und
Rentner entschuldigt. Ich denke, es gibt fraktionsübergreifend die Position, dass wir alles tun sollten, um die
Rentnerinnen und Rentner nicht ständig in Angst und
Schrecken zu versetzen.
({0})
Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Frau
Staatssekretärin, nachdem Sie auf die Frage des Kollegen Strobl mit dem zweiten Nachsatz doch etwas zu den
neuen Überlegungen hinsichtlich der Berücksichtigung
der Nettolohnentwicklung bei der Rente gesagt haben,
möchte ich Sie fragen: Welche Belastungen kommen
voraussichtlich auf die Rentner zu, wenn die Bundesregierung die Nettolöhne in dem von Ihnen angesprochenen Sinn neu definiert?
Herr Weiß,
dazu kann ich Ihnen gar nichts sagen. Ihre Fraktion, Ihre
Partei, ist mit fünf Mitgliedern in der Rentenkonsensrunde vertreten. Wir werden am 6. April dieses Jahres
über die Entwicklung der privaten Vorsorge beraten.
Wir werden dann im Laufe weiterer drei Termine darüber diskutieren, wie die Rentenanpassung in Zukunft
aussieht. Sie werden sicher von Herrn Seehofer oder
Herrn Kues, die Mitglieder in dieser Kommission sind,
ständig über den Stand der Diskussion auf dem Laufenden gehalten werden. Wir wollen in diesen Konsensgesprächen darüber beraten. Ich kann Ihnen heute noch
kein Ergebnis sagen.
Zusatzfrage des Kollegen Singhammer.
Frau Staatssekretärin, in welcher Höhe wirkt sich nach Ihrer Schätzung diese doppelte Schlechterstellung der Rentner einmal durch die Entkoppelung vom Nettolohn jetzt zum
1. Juli mit der geringeren Anpassung und den bekannten
Schwierigkeiten und zum anderen durch die Wirkungen
der Ökosteuer, die als gezielte Steuer besonders die
Rentner trifft und für die Rentner nur eine belastende,
aber keine entlastende Wirkung hat - aus? Können Sie
sich vorstellen, dass diese doppelte Schlechterstellung
von den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland als
massive Täuschung empfunden wird?
Herr
Singhammer, wenn Sie sich die Zahlen ansehen, sehen
Sie, dass das reale Einkommen der Rentnerhaushalte
durchschnittlich um 0,02 Prozent niedriger liegt. Hier
kann ich von einer - wie Sie das formulieren - massiven
Schlechterstellung nicht sprechen.
Zusatzfrage der Frau Kollegin Rönsch.
({0})
Frau
Staatssekretärin, teilen Sie die Beurteilung des Deutschen Mieterbundes, der seine Mitglieder und besonders
die Rentner aufgefordert hat, für die durch die Ökosteuer
angehobenen Heizkosten Geld zurückzulegen? Wie bereiten Sie die Kommunen, besonders die Sozialämter in
den Kommunen darauf vor, dass diejenigen, die Sozialhilfe bzw. Wohngeld beziehen, auch von diesen höheren
Heizkosten betroffen sind? Können Sie mitteilen, was
Sie den Kommunen gesagt haben, wie diese erhöhten
Kosten abgefangen werden?
Frau Rönsch,
da ich Ihnen für die zahlenmäßige Entwicklung keine
konkreten Summen nennen kann, kann ich Ihnen auch
nichts dazu sagen, wie wir hier einen Ausgleich für die
Kommunen schaffen. Wie gesagt, wir werden sehen,
wie sich das am Ende des Jahres darstellt.
({0})
Entschuldigung, es gibt nur eine Frage. Nur der Fragesteller
selbst kann zwei Zusatzfragen stellen.
({0})
- Frau Staatssekretärin, wollen Sie darauf antworten?
Ich teile diese
Ansicht nicht, weil wir, wie Sie ja wissen, auch beim
Wohngeld endlich eine positive Veränderung vorgenommen haben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Storm.
Frau Staatssekretärin,
teilen Sie die Einschätzung, dass der massive Anstieg
der Inflationsrate in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr, der dann auch zu einer realen Rentenminderung in
diesem Umfang führt, zu einem Teil auf die Einführung
der Ökosteuer zurückzuführen ist, und wie begründen
Sie diese Einschätzung?
Ich kann es
nur wiederholen: Die Frage, wie sich die Inflationsrate
in diesem Jahr entwickelt, kann man nach zweieinhalb
Monaten insgesamt noch nicht beantworten. Sie wissen
auch, dass es dabei immer Unterschiede zwischen den
Wintermonaten und den Sommermonaten gibt. Ich denke, diese Entwicklung sollten wir erst einmal abwarten.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dreßen.
Frau Staatssekretärin, können
Sie vielleicht noch einmal die Gründe nennen, warum
die neue Bundesregierung die Rentenpläne der alten Regierung zurückgenommen hat? War es nicht so, dass wir
Sorge hatten, das Rentenniveau, das die alte Bundesregierung vorgeschlagen hat, einfach nicht akzeptieren zu
können, weil dadurch Rentnerinnen und Rentner tatsächlich in den Bereich der Sozialhilfe kamen? Waren das
nicht die ausschlaggebenden Gründe dafür, dass die Regierung tatsächlich wieder das Ruder herumreißen musste, um den Rentnern ein Einkommen zu sichern, das
auch ihren Ansprüchen einigermaßen entgegenkommt?
({0})
- Ja, wenn Sie so fragen.
Ja, es war in
der Tat die Sorge, dass mit dem dauerhaften Eingriff in
die Rentenanpassung durch den Demographiefaktor Jahr um Jahr eine Minderung um 0,5 Prozent - insbesondere Rentnerinnen immer stärker in den Bereich der
ergänzenden Sozialhilfe abgleiten.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.
Frau Staatssekretärin,
teilen Sie erstens meine Ansicht hinsichtlich der Erhöhung des Wohngeldes - die ich natürlich von der Sache
her begrüße - dass sie zunächst einmal nur die Mietsteigerungen der zurückliegenden zehn Jahre auffängt, und
das noch nicht einmal genau zu 100 Prozent?
Ist Ihnen zweitens, wenn Sie diese Einschätzung des
Mieterbundes nicht teilen können, vielleicht bekannt,
dass beispielsweise das RWI oder auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hinsichtlich der Belastung einkommensschwacher Bürger - darunter auch
einkommensschwacher Rentnerhaushalte - durch die
Ökosteuer, die sich dann in den Wohnnebenkosten niederschlägt, ausgeführt haben, dass sie am stärksten getroffen werden?
Frau
Ostrowski, ich hätte mir gewünscht, dass wir eine kontinuierliche Wohngeldanpassung unter der alten Bundesregierung gehabt hätten,
({0})
sodass wir jetzt nicht in diesem großen Kraftakt versuchen müssten, das, was über Jahre hinweg versäumt
worden ist, aufzuholen. Jetzt wird also das Nachhinken
der Wohngeldentwicklung erstmals aufgefangen.
Richtig ist auch, dass man sich sehr genau anschauen
muss, in welchem Maße die unterschiedlichen Haushaltstypen durch die Ökosteuer belastet werden. Ich habe Ihnen eine Zahl schon genannt: Die Belastung der
Einkommen der Rentnerhaushalte durch die Ökosteuer
beträgt 0,02 Prozent. Das ist vielleicht auch nicht wünschenswert, aber sicherlich noch im Rahmen dessen,
was sozial vertretbar ist, wenn man die Zielsetzung der
Ökosteuer betrachtet, nämlich die höhere Belastung des
Energieverbrauchs und die von uns allen gewünschte
Entlastung der Arbeitskosten mit dem Ziel besserer
Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Damit
sind die Zusatzfragen beantwortet. Wir kommen nun zu
Frage 8 der Kollegin Schnieber-Jastram:
Von welchen Einspareffekten im Jahr 2000 ging die Bundesregierung aufgrund der Einführung der Rentenanpassung entsprechend der Inflationsrate anstatt der nettolohnbezogenen
Rentenanpassung zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes aus und welchen Einspareffekt legt sie
ihren Berechnungen zum jetzigen Zeitpunkt zugrunde?
Frau
Schnieber-Jastram, mit der Anhebung der Renten in den
Jahren 2000 und 2001 im Rahmen der jeweiligen vorjährigen Preissteigerungsrate wurde im Unterschied zur
Nettoanpassung, bezogen auf zwei Jahre, ein Einsparvolumen von circa 3 Prozent erwartet. Die Gesamtbilanz
kann erst nach Ermittlung der Nettolohn- und -gehaltssteigerungen des Jahres 2000 sowie der Preissteigerungsrate des Jahres 2000 aufgestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.
Frau
Staatssekretärin, können Sie uns auch mitteilen, wann
das etwa sein wird?
Die endgültige Kenntnis über die Entwicklung der Nettolohn- und
-gehaltssteigerungen des Jahres 2000 werden wir Mitte
oder Ende Januar 2001 haben. Während des laufenden
Jahres müssen wir mit Prognosen umgehen, die von unterschiedlichen Gremien erstellt werden - ich denke hier
an das Sachverständigengutachten und den Jahreswirtschaftsbericht - und die nach meinen Erfahrungen im
letzten Jahr in erstaunlicher Weise schwanken.
Eine
weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Frau
Staatssekretärin, bei dieser Diskussion habe ich manchmal den Eindruck, dass Sie es vielleicht insgeheim
schon bereuen, dass Sie unsere Rentenreform damals zurückgenommen haben, weil Sie damit ein Haus abgerissen haben, ohne Baupläne für ein neues zu haben. Teilen
Sie diesen Eindruck?
Nein, diesen
Eindruck teile ich nicht. Wir haben Baupläne für das
neue Haus.
({0})
Wir werden - ich kann darauf nur noch einmal verweisen - auch mit fünf Kollegen der CDU/CSU über die
Qualität unserer Baupläne diskutieren und dann sehen,
welche schönen Pläne für Balkone, Wintergärten oder
Dachterrassen Sie vorlegen.
({1})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Laumann.
Frau Staatssekretärin Mascher, ist Ihnen bekannt, um wie viel Prozent
das Rentenniveau in Deutschland seit dem Amtsantritt
der jetzigen Bundesregierung abgesenkt worden ist?
Herr
Laumann, Sie haben, glaube ich, mit verfolgt, dass zum
Beispiel die Veränderung der europäischen Statistikverordnung und die Einordnung des Kindergeldes nicht
mehr als Gehaltsbestandteil, sondern als eine soziale
Transferleistung Auswirkungen auf die Berechnung des
Rentenniveaus haben. Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass das Rentenniveau allein nicht mehr als Aussage über die Qualität der Absicherung im Alter taugt.
Hier hat sich das Rentenniveau verändert, und zwar sowohl bei den Berechnungen nach Ihrem alten Rentenversicherungsrecht als auch nach unseren neuen Regelungen, ohne dass sich für die Rentnerinnen und Rentner
irgendetwas in Mark und Pfennig geändert hätte. Von
daher halte ich die Diskussion darüber, wie hoch denn
das Rentenniveau sei oder ob es abgesunken sei, für
nicht sachdienlich.
({0})
- Nein, am Inhalt des Geldbeutels hat sich eben erstaunlicherweise gar nichts geändert, obwohl das Rentenniveau erst um einen Punkt nach oben und dann wieder
um einen Punkt nach unten gegangen ist. Das sind rein
statistische Berechnungen. Das Rentenniveau, um das
noch einmal deutlich zu machen, sagt nur etwas über das
Verhältnis zwischen Nettolohn und Nettorente, aber
nichts darüber aus, wie hoch die Nettorente und der Nettolohn sind.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Meckelburg.
Frau Staatssekretärin, im letzten Jahr habe ich häufiger den Satz
gehört, dass sich die Rentnerinnen und Rentner auf die
Rentenerhöhung in diesem Jahr besonders freuen können. Können Sie bestätigen, dass die Rentenanpassung
entsprechend der Entwicklung der Nettolöhne in Westdeutschland in den letzten zehn Jahren, außer in den
beiden Jahren 1995 und 1998, höher als die Rentenanpassung um 0,6 Prozent, die Sie in diesem Jahr vorsehen, ausgefallen ist?
Herr
Meckelburg, wenn man so argumentiert, dann muss man
aber auch sehen - Sie unterschlagen es als Vertreter Ihrer Partei oder Ihrer Fraktion freundlicherweise -, wie
die Preissteigerungsrate in den jeweiligen Jahren war;
denn das Verhältnis von Nettoanpassung zu Preissteigerungsrate ist bei dieser Betrachtungsweise relevant.
Auch Sie wissen - als Sozialpolitiker haben Sie es sicherlich bedauert -, dass die nettolohnbezogene Anpassung der Renten in den letzten vier Jahren Ihrer Regierung hinter der Preissteigerungsrate zurückgeblieben ist.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Rönsch.
Frau
Staatssekretärin, wie beurteilen Sie, dass eine Ministerin
Ihrer Regierung handschriftlich einen Brief ergänzt hat,
in dem sie sich dafür verbürgt, sich im Kabinett dafür
einzusetzen, dass es bei der Nettolohnbezogenheit der
Rente bleibt? Dies ist im November letzten Jahres geschehen.
Kennen Sie irgendwelche Einzelmeinungen, mit denen man sich im Kabinett dafür besonders stark gemacht
hat, dass die Nettolohnbezogenheit tatsächlich gewährleistet ist?
Frau Rönsch,
ich habe an der entsprechenden Kabinettsitzung nicht
teilgenommen; aber ich gehe davon aus, dass es der Kollegin, von der Sie gerade gesprochen haben, wie auch
den anderen Kollegen sicherlich nicht leicht gefallen ist,
die Entscheidung zu treffen, eine Anpassung entsprechend der Preissteigerungsrate vorzunehmen, und dass
es darüber auch im Kabinett eine Diskussion gegeben
hat. Über Einzelheiten kann ich Ihnen nichts sagen, weil
ich nicht dabei war.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Grehn.
Frau Staatssekretärin, ich
habe zugegebenermaßen eine sehr spezifische Frage.
Vor fast einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht
die Entscheidung über die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR getroffen. Die gesetzliche Vorlage lässt auf sich warten. Es ist noch nicht
abzusehen, wann sie kommt. In der Zwischenzeit gibt es
mehrere Steigerungen. Nach welchen Steigerungssätzen,
nach welchem Steigerungsmodus wird für diejenigen,
für die seit April 1999 das Urteil gilt, die Rente berechnet werden?
Herr Grehn,
wir konnten erst ab Januar dieses Jahres an der konkreten Formulierung des Gesetzentwurfs arbeiten, weil uns
die Begründungen von Urteilen des Bundessozialgerichtes, die zu diesem Sachzusammenhang gehören, erst seit
Januar dieses Jahres schriftlich vorliegen. Wir haben
unverzüglich die Formulierung des Gesetzestextes vorgenommen. Ich denke, wir werden möglicherweise noch
vor der Sommerpause, sonst unmittelbar danach, in die
Beratungen einsteigen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Strobl.
Frau Staatssekretärin,
überlegt die Bundesregierung, auch Selbstständige und
Beamte in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen? Wie würde sich dies auf die Rentenfinanzen auswirken?
Herr Strobl,
diese Frage wird sehr häufig gestellt. In aller Regel geht
man dabei davon aus, dass Selbstständige überhaupt
nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.
Sie wissen selbst, dass das nicht der Fall ist. Zum Beispiel sind Handwerker in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es gibt eine Künstlersozialkasse und auch die
arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen sind seit 1. Januar letzten Jahres in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die Diskussion und
auch die Äußerungen aus dem Bereich der Wissenschaft. Interessanterweise hat ein Kollege der F.D.P. bei
einer Veranstaltung in Regensburg gefordert, dass wir
alle, die nicht in gesetzlich geregelten Alterssicherungssystemen sind - Beamtenversorgung oder berufsständische Versorgungen sind ja gesetzlich geregelte Alterssicherungssysteme -, in ein gesetzlich geregeltes System - ich würde sagen: gesetzliche Rentenversicherung;
Herr Storm sagt: gesetzlich verbindlich geregelte private
Versicherung - einbeziehen. Auch angesichts der europäischen Entwicklung - wenn Sie die Situation in den
anderen europäischen Ländern betrachten, dann stellen
Sie fest, dass sich in fast allen europäischen Ländern die
Selbstständigen in gesetzlich geregelten Alterssicherungssystemen befinden - ist dies ein Punkt, über den
wir weiter diskutieren müssen. Ich bin gespannt, ob im
Rahmen der Konsensrunde auch vonseiten der CDU/
CSU dazu Vorschläge gemacht werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Louven.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben soeben auf die Frage des Kollegen Dreßen,
warum die Bundesregierung unsere Rentenreform
zurückgenommen habe, geantwortet, dass Sie verhindern wollten, dass die Rentner eine um 0,5 Prozent
geringere Anpassung erhalten. Können Sie bestätigen,
dass die Anpassung, die Sie jetzt vornehmen, niedriger
ist als die Anpassung, die in der von uns verabschiedeten Rentenreform vorgesehen war?
Nein, das
kann ich nicht bestätigen. Erstens habe ich - um es ganz
präzise zu sagen - festgestellt: Ich war in Sorge, dass
durch die im Rahmen der Anpassung Jahr für Jahr vorgesehenen Abschläge - diese waren nicht auf zwei Jahre
begrenzt, sondern sollten Jahr für Jahr so lange vorgenommen werden, bis ein Rentenniveau von 64 Prozent
erreicht worden wäre - insbesondere bei Frauen die
Rente das Niveau der Sozialhilfe - möglicherweise hätte
sie sogar darunter gelegen - erreicht. Aufgrund dieser
Sorge haben wir die ursprüngliche Anpassung ausgesetzt und werden wir sie abschaffen.
Sie sollten zweitens berücksichtigen, dass es zu unterjährigen Rentenanpassungen kommt und dass wir die
Renten im letzten Jahr zum 1. Juli um 1,34 Prozent dies ist ohne Berücksichtigung des Demographiefaktors
erfolgt; sonst wären es nämlich nur 0,84 Prozent gewesen - angepasst haben und in diesem Jahr entsprechend
der Preissteigerungsrate anpassen. Dadurch kommt es
für die Rentnerinnen und Rentner zu einer durchschnittlichen Steigerung ihrer Renten von 1,1 Prozent. In diesem Jahr liegen wir also genau auf der Marke, die Sie
für korrekt, für sozialpolitisch vertretbar gehalten haben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Frau
Staatssekretärin, da Sie sich vorhin außerstande erklärt
haben, schon jetzt präzise auf die Frage der Kollegin
Schnieber-Jastram zu antworten, möchte ich Sie fragen:
Kann die Bundesregierung zumindest bestätigen, dass
durch die in diesem Jahr erfolgte Einführung der Rentenanpassung entsprechend der Inflationsrate der Einspareffekt in der gesetzlichen Rentenversicherung geringer ausfällt als zunächst von ihr angenommen und berechnet, weil die Nettolöhne in geringerem Umfang ansteigen als zunächst angenommen, und könnten Sie darüber hinaus darstellen, wie sich die Einbeziehung der
630-Mark-Jobs in die Versicherungspflicht auf diese
Nettolohnentwicklung auswirkt?
Herr Weiß,
ich kann Ihnen das nicht darstellen, weil wir die Anpassung der Renten in den Jahren 2000 und 2001 insgesamt
betrachten müssen. Wir haben die ursprünglich vorgesehene Anpassung für zwei Jahre ausgesetzt. Wir erwarten
uns davon den Effekt, die Rentenbeiträge zu stabilisieren. Deswegen kann ich Ihnen dazu nichts sagen. Sie
werden mich auch durch noch so geschickte Fragen
nicht dazu verleiten, dazu Stellung zu nehmen.
({0})
- Nein, Frau Rönsch.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.
Der mathematischen
Richtigstellung halber und als Unterstützung für Sie im
Hinblick auf die Frage des Kollegen der CDU/CSU zum
Vergleich der alljährlichen Steigerungsraten frage ich
Sie, Frau Staatssekretärin: Geben Sie mir Recht, dass
der alleinige Vergleich der Steigerungsraten natürlich
nichts aussagt, sondern man immer Bezug auf die absolute Höhe nehmen muss, von der aus eine Steigerung erfolgt? Ein Beispiel: Angenommen, das Ausgangsniveau
wäre 1 DM und man steigert um 100 Prozent, kommt
man zu 2 DM. Wenn die nächstfolgende Regierung diese 2 DM nur um 50 Prozent steigert, kann man natürlich
nicht so sehr über diese 50 Prozent schimpfen; denn das
absolute Niveau ist dann auf 3 DM gestiegen.
Vielen Dank,
Frau Ostrowski. Ich bedanke mich für diese mathematische Unterstützung.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen 9 bis 14 sollen
schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Die Fragen 15 und 16 sind zurückgezogen worden
und die Fragen 17 und 18 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Ich rufe Frage 19 der Abgeordneten Christine
Ostrowski auf:
Wie sind die Aussagen des Bundesministers für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, anlässlich der Eröffnung der Starterkonferenz „Die soziale Stadt“ am
1./2. März 2000 in Berlin zu werten, dass die Bundesregierung
trotz angespannter Haushaltslage als Bundesfinanzhilfen für das
Programm „Die soziale Stadt“ jährlich 100 Millionen DM bereitgestellt habe, da sich im Bundeshaushalt 2000 im Haushaltstitel „Zuweisungen zur Förderung von Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ zwar 100 Millionen DM als
Verpflichtungsermächtigung finden, von denen jedoch lediglich
30 bis 15 Millionen DM pro Jahr bis zum Jahr 2004 zur Auszahlung kommen sollen?
Herr Großmann, bitte.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Ostrowski, die Feststellung des Bundesministers Reinhard Klimmt, der Bund
stelle für das neue stadtentwicklungspolitische Programm „Die soziale Stadt“ jährlich 100 Millionen DM
Finanzhilfen zur Verfügung, ist richtig. In den Haushaltsjahren 1999 und 2000 sowie in der Finanzplanung
bis zum Jahre 2003 steht für dieses Programm ein jährlicher Verpflichtungsrahmen von 100 Millionen DM zur
Verfügung.
Entsprechend dem System der Städtebaufinanzierung
sind die jährliche Bereitstellung der Bundesfinanzhilfen,
also der Verpflichtungsrahmen, und die über fünf Jahre
verteilte, rein kassenmäßige Abwicklung des Verpflichtungsrahmens voneinander zu trennen.
Eine Zusatzfrage? - Frau Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär, ich
bedanke mich, dass Sie es nunmehr korrekt ausgedrückt
haben, dass Sie also gesagt haben, dass diese
100 Millionen DM, die jährlich bereitgestellt werden, als
Verpflichtungsrahmen bereitgestellt werden. Geben Sie
mir Recht, dass der Begriff „Verpflichtungsrahmen“ in
der offiziellen Presseerklärung des Bundesbauministers
fehlte und dadurch in der Öffentlichkeit der Eindruck
erweckt wurde, dass diese 100 Millionen DM regelrecht
als Kassenmittel zur Verfügung stehen, wie Sie im Übrigen auch in den Presseresonanzen nachlesen können?
Ich
kann Ihnen leider nicht Recht geben. Frau Ostrowski,
schauen wir uns einmal die Praxis an: Es ist de facto so,
dass diese Tranche von 100 Millionen DM für dieses
Peter Weiß ({0})
Programm bereits für die Jahre 1999 und 2000 mit Bewilligungsbescheiden belegt wird. Das heißt, die Städte
und Gemeinden können mit dem Programm „Die soziale
Stadt“ schon in vollem Umfang der Verpflichtungsermächtigung disponieren. Dies ist in der Pressemitteilung
transportiert worden; so hat es die Öffentlichkeit auch
verstanden.
Eine
weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Ich denke, die Öffentlichkeit hat es anders verstanden. Das ist nachzulesen.
Aber dies sei einmal dahingestellt.
Sind Sie denn bereit, wenn Sie in Zukunft Presseerklärungen und offizielle Dokumente veröffentlichen,
sprachlich korrekt zu sein?
({0})
Da
ich Ihnen in meiner Antwort auf die vorherige Frage
schon gesagt habe, dass ich Ihre Ansicht nicht teile, sondern dass ich vielmehr der Meinung bin, dass wir
sprachlich korrekt gearbeitet haben, ist eine Korrektur
nicht notwendig.
Gibt es
zu diesem Punkt weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht
der Fall.
Die Frage 20 soll schriftlich beantwortet werden. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 21 bis 23 zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes sollen ebenfalls schriftlich beantwortet
werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Zunächst
kommen wir zu Frage 24 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel:
Was unternimmt die Bundesregierung im KosovoKrisengebiet, um neben der Friedenssicherung auch den Aufbau
von Unternehmen mit deutscher Unterstützung und Beteiligung
zu fördern, wie das beispielsweise durch die österreichische Regierung bei österreichischen Unternehmen praktiziert wird?
Herr Kollege Dehnel, Sie fragten nach den Maßnahmen der Bundesregierung im Kosovo-Krisengebiet.
Die Bundesregierung misst der Entwicklung des privaten Wirtschaftssektors im Kosovo mittel- und langfristig
entscheidende Bedeutung bei. Deutsche Unternehmen
können durch Handel und Investitionen, Transfer von
Know-how und Kapital in den Kosovo einen wichtigen
Beitrag hierzu leisten.
Deshalb hat die Bundesregierung in Zusammenarbeit
mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft
frühzeitig deutsche Unternehmen zu entsprechendem
Engagement ermutigt. Gemeinsam mit dem DIHT und
deutschen Handelskammern wurden Informations- und
Beratungsveranstaltungen durchgeführt. In mehr als
1 000 Fällen wurden einzelne Unternehmen individuell
über Geschäftsmöglichkeiten im Kosovo informiert und
beraten. Zahlreichen deutschen Unternehmensvertretern
wurden Kontakte zu Gesprächspartnern vor Ort vermittelt. Hierbei haben die Mitarbeiter des Büros des Zivilen
Koordinators für Kosovo-Soforthilfe sowie des gemeinsamen Büros von GTZ, DEG und KfW in Pristina ebenso eine wichtige Rolle gespielt wie Angehörige des
KFOR-Kontingents der deutschen Bundeswehr.
Zudem hat der Deutsche Industrie- und Handelstag,
gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, in Pristina ein Büro des Beauftragten der deutschen Wirtschaft für den südlichen Balkan eingerichtet, dessen Aufgabe die Beratung und
Betreuung deutscher Unternehmen und ihrer Interessen
im Kosovo ist. Auch bei der Vergabe von Projekten im
Rahmen des Wiederaufbaus hat sich die deutsche Wirtschaft beteiligen können.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatsminister,
Sie haben gerade viele Maßnahmen aufgeführt. Kennen
Sie aber Zahlen, die den Erfolg darstellen? Wie viele
Unternehmen konkret sind dort tätig geworden? Welche
Maßnahmen waren erfolgreich?
Ich kann Ihnen zumindest sagen, dass der größte
im vergangenen Jahr von der EU-Task-Force für den
Wiederaufbau im Kosovo vergebene Einzelauftrag im
Umfang von 14 Millionen Euro an einen deutschen Bewerber, nämlich an die GTZ, gegangen ist. Eine genaue
Aufstellung im Hinblick auf Privatunternehmen liegt
mir im Moment nicht vor.
Eine
weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Die Frage 25 des Kollegen Koschyk soll schriftlich
beantwortet werden.
Ich möchte an dieser Stelle kurz bekannt geben, dass
zu den Fragen 7 und 8 eine Aktuelle Stunde vonseiten
der CDU/CSU-Fraktion beantragt worden ist, die direkt
nach der Fragestunde stattfinden wird. Dies sage ich zur
Information an die Fraktionen, damit möglichst viele
Kollegen an der Aktuellen Stunde teilnehmen können.
Wir kommen nun zur Beantwortung der Frage 26 des
Abgeordneten Matthäus Strebl:
Wie beurteilt die Bundesregierung die konkreten Schritte der
EU zur Beschleunigung des Beitrittsprozesses der Türkei?
Herr Kollege Strebl, Sie fragen nach dem Beitrittsprozess in Bezug auf die Türkei. Der Europäische
Rat in Helsinki hat die Türkei formell in den Beitrittsprozess einbezogen und einen Rahmen für die Strategie
zur Heranführung der Türkei an die EU festgelegt.
Als nächste Schritte stehen an: die Wiederaufnahme
des politischen Dialogs; die Einsetzung von Ausschüssen durch den Assoziationsrat EU-Türkei am
10. April zur Vorbereitung des Abgleichs der Rechtssysteme, des so genannten Screeningprozesses; eine Rahmenverordnung als Rechtsgrundlage für die Heranführungsstrategie einschließlich der Finanzmittel und ein
Ratsbeschluss zur Beitrittspartnerschaft mit Prioritäten
und Zielen für die Übernahme des Acquis.
Die EU hat mit der Anerkennung des Kandidatenstatus klare Verhältnisse geschaffen. Die Türkei kann die
EU nicht mehr mit dem Vorwurf, die Türken würden
gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern diskriminiert, in die Defensive drängen. Die Türkei muss
sich jetzt - wie die anderen Kandidaten - ohne Wenn
und Aber an den Kopenhagener Kriterien messen lassen.
Beitrittsverhandlungen können erst dann aufgenommen
werden, wenn die Türkei die politischen Kopenhagener
Kriterien erfüllt.
Die Konkretisierung der Beitrittskriterien im Rahmen
der Beitrittspartnerschaft wird unrealistischen Erwartungen der Türkei im Hinblick auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entgegenwirken. Ob die genannten
Schritte zu einer Beschleunigung des Beitrittsprozesses
führen werden, hängt von der Reformfähigkeit und dem
Reformwillen der Türkei ab.
Zusatzfrage des Kollegen Singhammer.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, dass der Zwischenbericht der EU-Kommission über die Beitrittsverhandlungen der Türkei Menschenrechtsverletzungen
vorwirft? Wie verhält es sich damit, dass einerseits die
Bundesregierung sagt, in dieser Situation sei eine Isolierung der Türkei der falsche Weg, im Gegenteil, man
müsse die Beitrittsverhandlungen intensivieren, und dass
andererseits im Falle der Republik Österreich, der niemand Menschenrechtsverletzungen vorwirft, die Isolierung als das richtige politische Rezept angeboten wird?
Ist das nicht ein Fall von merkwürdiger politischer
Asymmetrie?
Herr Präsident, die Zusatzfrage des Kollegen
Singhammer ist identisch mit der Frage 27 des Kollegen
Strebl. Herr Strebl, wenn es Ihnen recht ist, möchte ich
beide Fragen zusammen beantworten.
Dann rufe ich die Frage 27 des Kollegen Strebl auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass
eine zunehmende Euro-Skepsis bei der Bevölkerung der Beitrittskandidaten wegen der EU-weiten Isolierung Österreichs
festzustellen ist, und welche Folgerungen zieht sie daraus für ihre Politik?
Die Bundesregierung sieht keinen Zusammenhang
zwischen den Reaktionen der EU-Mitgliedstaaten auf
die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich einerseits und der Einstellung der Bevölkerung der Beitrittskandidaten zur EU andererseits.
Was die Türkei angeht: Der EU-Beitrittsprozess soll
dazu führen, dass sich die Türkei den für die anderen der
EU angehörenden Staaten schon geltenden menschenrechtlichen Kriterien anschließt und sich ihnen unterwirft. Der Screeningprozess wird dazu beitragen, die
Türkei an die europäischen Standards heranzuführen.
Zusatzfrage, Kollege Strebl.
Herr Staatsminister,
zurück zur Isolierung von Österreich durch die EU. Wie
wir wissen, gibt es dort eine Koalition aus ÖVP und
FPÖ. Würde, wenn es andere Konstellationen der Koalition gäbe, zum Beispiel der Sozialisten und der Freiheitlichen, eine Blockierung ebenso greifen?
Die Konstellation ist doch sehr spekulativ.
({0})
Weitere
Zusatzfrage, Herr Strebl? - Das ist nicht der Fall.
Zusatzfrage des Kollegen Müller.
Herr Staatsminister,
Ihre Antwort ruft mich zu dieser Frage auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass SPÖ-Kanzler Klima zunächst der FPÖ ein Regierungsangebot unterbreitet hat?
Erst nachdem Herr Haider dies nicht angenommen hat,
sind bei der Verhandlungsaufnahme durch Bundeskanzler Schüssel die entsprechenden Sanktionen eingeleitet
worden.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass diese Gespräche
gescheitert sind und damit eine solche Konstellation
nicht Realität wurde.
({0})
Damit
kommen wir zu Frage 28 des Kollegen Dr. Gerd
Müller:
Plant die deutsche Bundesregierung, beim Sondergipfel der
EU in Lissabon Initiativen zu ergreifen, um zu einer Normalisierung im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich sowie
der EU und Österreich beizutragen, und wenn ja, welche?
Herr Müller, diese Frage wird mit Nein beantwortet.
Zusatzfrage, Herr Kollege Müller.
Herr Staatsminister,
wie begründet und bewertet die Bundesregierung die
Tatsache, dass der Außenminister Fischer dem für den
Völkermord in Tschetschenien zuständigen Präsidenten
Putin die Hand reicht und Bundeskanzler Schröder Diktator Castro zur EXPO einlädt, aber dem demokratisch
gewählten Bundeskanzler Österreichs den Handschlag
verweigert?
Herr Kollege, ich sehe diese Frage nicht als Nachfrage zu Ihrer Hauptfrage an.
({0})
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege Müller? - Das ist nicht der
Fall.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Spranger.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung
des finnischen Außenministers vor wenigen Tagen, die
EU möge ihre Sanktionen gegen Österreich aufheben?
Kalkuliert die Bundesregierung auch ein, wenn sie bei
ihrer bisherigen Haltung bleibt, dass damit der Widerstand vor allem kleinerer Länder gegen die Ausdehnung
der Mehrheitsentscheidungen in der EU zunehmen
wird?
Herr Spranger, ich beantworte die Frage gerne,
weise aber darauf hin, dass Sie die Frage, die Sie als
Nachfrage zur Frage des Kollegen Müller gestellt haben,
in Frage 30 als Hauptfrage formuliert haben. Insofern
weiß ich nicht, wann ich Ihnen eine Antwort geben soll.
({0})
Herr
Staatsminister, da die Frage nun gestellt wurde, ist jetzt
die Gelegenheit, sie zu beantworten.
Gut. Dann tue ich es hier. Es gibt keine Maßnahmen der EU gegen Österreich, sondern eine abgestimmte politische Reaktion von 14 EU-Mitgliedstaaten.
Im Übrigen gibt es bei Nicht-EU-Mitgliedern eine
Diskussion darüber, ob diese Politik der EU-Mitgliedstaaten befürwortet wird oder nicht. Insbesondere die
Nicht-EU-Mitgliedstaaten sind in einer anderen Situation als die EU-Mitgliedstaaten, die auf eine enge Zusammenarbeit programmiert sind. Wenn es diese Staaten
angesichts der politischen Situation in Österreich für
sinnvoll halten, den internationalen Austausch auf die
juristisch vorgesehenen und geschäftsmäßig notwendigen Gepflogenheiten zu reduzieren, dann ist dies eine
berechtigte politische Entscheidung der entsprechenden
Staaten.
Ansonsten möchte ich darauf hinweisen, dass insbesondere auch konservative Staatsführer unter diesen
14 EU-Mitgliedstaaten, so der französische Staatspräsident Chirac und der spanische Regierungschef Aznar,
diese politische Linie inhaltlich voll mittragen und teilweise sogar ihre Förderer und Befürworter waren.
Ich verstehe, Herr Spranger, dass Sie als Mitglied der
CSU, die sich ja auch in der EVP befindet, große Probleme mit den Debatten innerhalb der EVP haben,
({0})
die sich politisch ja gerade wohl an dieser Frage spaltet.
({1})
Herr
Kollege Müller, Sie hatten bisher nur eine Zusatzfrage;
Sie können gern Ihr Recht nutzen, eine zweite Frage zu
stellen.
Herr Staatsminister,
angesichts Ihrer nebulösen Ausführungen möchte ich eine für alle verständliche, konkrete Frage stellen: Welche
Forderungen haben Sie denn an die Bundesregierung in
Österreich, um im Dialog, im bilateralen und im europäischen Dialog, wieder zur Normalität zurückzukehren?
Man muss ja dem Partner sagen, was man wirklich erwartet. Welche Forderungen haben Sie denn?
Diese Fragen werden auf dem europäischen Sonderrat in Lissabon, der in wenigen Tagen stattfinden
wird, ausführlich beraten werden.
({0})
Zusatzfrage der Kollegin Rönsch, bitte!
Herr
Staatsminister, ich frage an dieser Stelle noch einmal
nach: Was waren denn die Ursachen für den Boykott
und könnten Sie mir auch mitteilen, ob Herr Bundeskanzler Schröder mit Motor für diesen Boykott gewesen
ist? Weil Sie eben andere Regierungen in Europa herangezogen haben, hätte ich gern den Stellenwert der Rolle
des Bundeskanzlers an dieser Stelle gewusst.
Die Ursache war die Teilhabe der Haider-Partei
FPÖ an der österreichischen Regierung. Der Bundeskanzler war nicht Motor des politischen Bestrebens, den
politischen Kontakt zu Österreich dementsprechend zu
reduzieren. Allerdings hat Deutschland, nachdem andere
europäische Partner dort eine forciertere Tonart angeschlagen haben, im Geleitzug der Europäer mitgemacht.
Zusatzfrage des Kollegen Lippelt!
Herr Staatsminister, finden Sie nicht den Rücktritt des
Vorsitzenden der österreichischen Freiheitlichen Volkspartei ein hervorragendes Ergebnis der EU-Mitgliedstaaten?
({0})
- Ich habe doch von der FPÖ gesprochen.
Wir sehen, dass es in Österreich auch im Regierungslager politische Reaktionen auf den politischen
Druck der 14 europäischen Staaten gibt. Ich rechne damit, dass diese Frage in wenigen Tagen auf dem Europäischen Rat in Lissabon vertieft werden wird.
Zusatzfrage des Kollegen Fritz.
Herr Staatsminister, da
Sie sich offensichtlich schwer tun, hier Gründe für die
Haltung der EU vorzutragen, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie denn die Aussage des Bundesaußenministers
heute Morgen im Wirtschaftsausschuss, man sei zu diesen Aktionen aus außenwirtschaftlichen Gründen gegenüber Israel und den USA gezwungen gewesen.
({0})
Ich war heute Morgen im Wirtschaftsausschuss
nicht dabei. Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass Israel sogar seinen Botschafter abgezogen hat und dass die
USA die Politik der 14 europäischen Staaten voll unterstützen.
({0})
Wir
kommen jetzt zur Frage 29 des Kollegen Müller:
Welche angeblichen Verstöße der österreichischen Bundesregierung gegen den EU-Vertrag sind Grundlage der beschlossenen Maßnahmen der deutschen Bundesregierung und der EU
zur Einschränkung der Beziehungen zu Österreich?
Herr Müller, die Antwort lautet: Es gibt keine
Maßnahmen der EU gegen Österreich, sondern nur eine
abgestimmte politische Reaktion der 14 Mitgliedstaaten
gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Der EUVertrag ist hiervon nicht berührt. Im Übrigen verweise
ich auf die ausführlichen Antworten von Bundesminister
Fischer in der Fragestunde vom 16. Februar dieses Jahres.
Herr
Müller, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Deshalb darf
ich zumindest den ersten Teil noch einmal zur Beantwortung stellen. Meine Frage ist: Welche angeblichen
Verstöße der österreichischen Bundesregierung gegen
geltendes europäisches Recht sind denn die Grundlage
für die beschlossenen Maßnahmen und auf welcher
rechtlichen Basis geschehen diese Maßnahmen, bilateral
und im europäischen Kontext?
Herr Müller, Sie insinuieren in Ihrer Frage, dass es
beschlossene Maßnahmen der EU gäbe. Es gibt aber keine Maßnahmen der EU, sondern nur Maßnahmen von
14 EU-Mitgliedstaaten. Der Hintergrund - ich habe ihn
gerade erklärt - ist die Regierungsbeteiligung der FPÖ.
Zusatzfrage des Kollegen Spranger.
Herr Staatsminister, was sagt die Bundesregierung zu der Feststellung
des früheren französischen Staatspräsidenten Giscard
d’Estaing vor wenigen Tagen im „Focus“, dass die europäischen Verträge der EU und ihren Mitgliedstaaten
nicht das Recht geben, sich in nationale politische Entscheidungen einzumischen, die in demokratischen Wahlen getroffen worden sind?
Die 14 EU-Mitgliedstaaten haben ein großes Interesse daran, dass Österreich als akzeptiertes Mitglied der
EU auch in Zukunft eng mit ihnen zusammenarbeitet,
und wollen mit ihrer Politik dafür den Boden bereiten.
Zusatzfrage des Kollegen Hintze.
Herr Staatsminister,
selbst wenn man einmal für einen kurzen Augenblick Ihre Unterstellung als richtig annimmt, dass die bisherigen
diskriminierenden Maßnahmen gegen Österreich zwischenstaatliche Maßnahmen gewesen seien: Würden Sie
mir trotzdem zustimmen, dass die Entscheidung des
Ratspräsidenten, die Republik Österreich im Vorfeld des
Gipfels nicht zu besuchen, sondern den österreichischen
Bundeskanzler nach Brüssel einzubestellen, eine diskriminierende Maßnahme auf EU-Ebene ist? Wo ist für
diese Maßnahme, die nichts mit zwischenstaatlicher Diskriminierung zu tun hat, die Rechtsgrundlage?
Wir begrüßen, dass der Ratspräsident den österreichischen Kanzler zum Gespräch getroffen hat. Soweit
wir wissen, hat sich Herr Schüssel über den Ort nicht
beschwert.
({0})
Es liegt
im Ermessen des Antwortgebers, wie er die Frage beantwortet. Ich habe keine inhaltliche Wertung vorzunehmen. Ich bedauere das.
Wir kommen damit zur Frage 30 des Abgeordneten
Carl-Dieter Spranger:
Wie beurteilt die Bundesregierung die europäischen Reaktionen in Italien und in den skandinavischen Staaten, die in den
von der Europäischen Union gegenüber Österreich verhängten
Sanktionsmaßnahmen eine ungerechtfertigte Einmischung in die
inneren Angelegenheiten sehen, und welche Konsequenzen erwachsen aus diesen Einschätzungen für die Diskussion über den
künftigen Weg der europäischen Integration?
Herr Spranger, es gibt keine Maßnahmen der EU
gegen Österreich, sondern eine abgestimmte politische
Reaktion der 14 EU-Mitgliedstaaten gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Auch die Regierungen Italiens und der skandinavischen EU-Mitgliedstaaten,
Finnland, Schweden und Dänemark, waren am Abstimmungsprozess über diese politische Reaktion beteiligt
und tragen die Position mit.
Zusatzfrage, Kollege Spranger?
Herr Volmer,
nachdem der Bundeskanzler angekündigt hat, bei einer
Beteiligung der Alleanza Nazionale an einer italienischen Regierung ähnlich rechtswidrig zu reagieren wie
gegenüber Österreich, was im Übrigen zu außerordentlichen Protesten in ganz Italien geführt hat, frage ich, warum die Bundesregierung nicht schon längst in gleicher
Form gegen die Regierungsbeteiligung von Kommunisten in Frankreich und Italien
({0})
protestiert und Quarantänemaßnahmen ergriffen hat.
Herr Spranger, ich weise die Unterstellung zurück,
der Bundeskanzler habe „rechtswidrig“ reagiert.
({0})
- Wenn Ihre Prämisse nicht stimmt, habe ich Schwierigkeiten, auf Ihre Schlussfolgerungen zu reagieren.
({1})
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger.
Was sagt die
Bundesregierung zu der Meinung des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Zilk:
Ich kann nicht verstehen, dass für diese demokratisch entstandene Regierung, zu der es im Moment
offenbar keine Alternative gibt, ein ganzes Volk in
Geiselhaft genommen wird.
Ich möchte betonen, dass weder die Bundesregierung noch die anderen 13 EU-Mitgliedstaaten das österreichische Volk in Geiselhaft nehmen. Das ist eine politische Haltung, die sich allein gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ richtet.
Zusatzfrage des Kollegen Fritz.
Nachdem Sie die Maßnahmen der Bundesregierung gegen Österreich aufgrund
der Koalitionsbeteiligung der Partei des Rechtspopulisten Haider für gerechtfertigt halten: Würden Sie auch
fordern, dass 15 Bundesländer gegenüber der Regierungsbeteiligung des Linkspopulisten Gysi bzw. seiner
Partei in Mecklenburg-Vorpommern in gleicher Weise
innerstaatlich vorgehen?
Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, den
einzelnen Länderregierungen und Koalitionen Ratschläge zu geben, Herr Fritz.
Damit
kommen wir zur Frage 31 des Kollegen Spranger:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Signal, das von den
gegenüber Österreich von der Europäischen Union verhängten
Maßnahmen auf die ostmittel- und südosteuropäischen Beitrittskandidaten ausgeht?
Herr Spranger, die 14 EU-Mitgliedstaaten, die in
abgestimmter Weise bilateral auf die Regierungsbildung
in Österreich unter Beteiligung der FPÖ politisch reagiert haben, haben damit von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre bilateralen Beziehungen zur österreichischen Regierung so zu gestalten, wie es im Interesse der gemeinsamen Grundwerte - der Freiheit, der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit - geboten ist. Sie haben dadurch gegenüber den ost, mittel- und südosteuropäischen Beitrittskandidaten
verdeutlicht, dass Sie diesen Grundwerten nicht nur in
Bezug auf die Beitrittsfähigkeit einen hohen Stellenwert
einräumen - das ist das politische Kriterium von Kopenhagen -, sondern dass Sie sich auch im EU-Kreis für
die Einhaltung dieser Grundwerte, wenn sie gefährdet
erscheinen, entschlossen einsetzen. Damit wurde auch
ein Signal der Glaubwürdigkeit der EU-Politik an die
Beitrittskandidaten gesandt.
Zusatzfrage, Herr Spranger.
Herr Volmer,
wie bringt die Bundesregierung ihre ständige Beteuerung, weltweit auf die Achtung der Menschenrechte hinzuwirken, mit der Tatsache in Einklang, dass sie und die
EU-Staaten das Selbstbestimmungsrecht des österreichischen Volkes und die Achtung einer vom österreichischen Volk in freien Wahlen gewählten Regierung massiv verletzen?
Das Selbstbestimmungsrecht des österreichischen
Volkes ist überhaupt nicht eingeschränkt worden.
({0})
Aber wir haben das Recht, unsere bilateralen Beziehungen einem anderen Staat gegenüber so zu gestalten, wie
wir das im Rahmen unseres Selbstbestimmungsrechts
für notwendig halten.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Spranger, bitte.
Wie aber bringen Sie die Sanktionen und die Quarantänehaltung gegenüber Österreich in Einklang mit Ihrer Behauptung,
Sie würden das Selbstbestimmungsrecht der Österreicher und deren demokratische Entscheidungen respektieren? Dies müsste ja zur sofortigen Aufhebung Ihrer
Quarantäne- und Sanktionsmaßnahmen führen.
Zu dem politischen Dialog, der manchmal auch
sehr streitig verlaufen kann, wenn Grundwerte infrage
stehen, gehört eben auch, dass man sich hin und wieder
deutlich die Meinung sagt.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Rönsch.
Herr
Staatsminister, was haben die Österreicher Ihrer Meinung nach zu erbringen, damit sie wieder in die europäische Staatengemeinschaft aufgenommen werden?
({0})
Offensichtlich ist durch die bisherige Politik der
14 Mitgliedstaaten - wie der Kollege Lippelt sagte nicht nur erreicht worden, dass sich Herr Haider nach
Kärnten zurückgezogen hat; vielmehr haben diverse Erklärungen von Kanzler Schüssel dazu geführt, dass einige Dinge klargestellt worden sind. Ich denke, dass sich
der Sonderrat in Lissabon in wenigen Tagen vertieft mit
dieser Frage befassen wird.
({0})
Zusatzfrage des Kollegen Pflüger.
Herr Volmer,
würden Sie es im Hinblick darauf, dass Sie einräumen,
dass es auf österreichischer Seite eine gewisse Bewegung gibt - die Demonstrationen, Äußerungen von
Herrn Schüssel, das Regierungsprogramm -, nicht für
sinnvoll halten, während der portugiesischen Präsidentschaft auf den nächsten Gipfeln zu erwägen, mit Hinweis darauf eine Gelegenheit zu ergreifen, diese Sanktionen zu beenden, bevor die EU in dieser Frage unterschiedliche Wege geht, womit zu rechnen ist, wenn man
sich die innenpolitische Diskussion in den jeweiligen
Ländern anschaut?
Herr Pflüger, im Moment stelle ich fest, dass alle
14 Staaten, unterstützt von vielen anderen Staaten in der
Welt, gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich sehe nicht
die Gefahr, dass es, wie Sie gerade dargestellt haben, zu
Spaltungen kommt. Allerdings nehme ich an, dass
darüber in Lissabon geredet wird und dass dort die eine
oder andere Idee vorgebracht wird. Aus unserer Sicht ist
es Aufgabe der portugiesischen Präsidentschaft, die auch
die bisherigen politischen Maßnahmen koordiniert hat,
die weitere Meinungsbildung zu koordinieren.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen Hiksch.
Herr Staatsminister, können Sie
mir bestätigen, dass manche Äußerungen vom rechten
Rand der CSU, aber auch ihres Vorsitzenden Stoibers,
der ja beispielsweise von der durchrassten Gesellschaft
gesprochen hat und in einer Kampagne gesagt hat, das
Boot sei voll,
({0})
durchaus dafür sprechen, dass eine politische Nähe zwischen der FPÖ auf der einen Seite und dem rechten
Rand der CSU auf der anderen Seite besteht? Können
Sie mir weiter bestätigen, dass die vielen Fragen, die
von Mitgliedern der CSU-Fraktion zu Österreich gestellt
werden, in Wirklichkeit etwas damit zu tun haben, dass
sich die CSU vielleicht selbst angesprochen fühlt?
Die Tatsache, dass es diese öffentlichen Freundschaftsbekundungen von führenden CSU-Politikern gegenüber Herrn Haider in den letzten Wochen gab, ist sicherlich nicht dazu angetan, den Argwohn, der bei einigen unserer westlichen Nachbarn gegenüber bestimmten
politischen Bestrebungen im deutschsprachigen Alpenraum existiert, zu mindern.
({0})
Zusatzfrage des Kollegen Müller.
Herr Staatsminister,
sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es weder
von der CSU noch aus dem sonstigen konservativen Lager Freundschaftsbekundungen gegenüber Herrn Haider
gab, sondern vielmehr einen offiziellen Besuch und
Freundschaftsbekundungen gegenüber unserem Freund
Wolfgang Schüssel?
Ich habe wahrgenommen, dass Sie es an Solidaritätsadressen gegenüber Herrn Haider nicht haben mangeln lassen.
({0})
Wir
kommen jetzt zur Frage 32 des Kollegen Peter Hintze:
Ist das Verhalten des EU-Ratspräsidenten António Guterres,
auf der traditionellen Rundreise des Ratspräsidenten durch alle
Hauptstädte der Europäischen Union Österreich nicht zu besuchen, von der Bundesregierung gebilligt worden, und welche
Haltung nimmt sie hierzu ein?
({0})
Herr Hintze, die Vorbereitung einer Präsidentschaftsreise liegt in den Händen der jeweiligen Regierung des Landes, welches die EU-Präsidentschaft innehat. Im Rahmen der Präsidentschaftsreise hat auch eine
Begegnung mit dem österreichischen Bundeskanzler
stattgefunden. Der Bundesregierung ist nicht bekannt,
dass es in diesem Zusammenhang Kritik der österreichischen Regierung an der Präsidentschaft gegeben hätte.
Zusatzfrage.
Hätte es die Bundesregierung ebenfalls begrüßt, wenn der Ratspräsident den
deutschen Bundeskanzler Schröder nicht in Berlin aufgesucht, sondern nach Brüssel einbestellt hätte?
Dazu gab es keinen Grund. Von daher ist diese
Frage sehr spekulativ.
Zweite Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass der Bundeskanzler der
Republik Österreich in Zukunft so behandelt wird wie
die anderen Regierungschefs in Europa?
Wie der Präsident der EU die Staatschefs der EU
adressiert, liegt allein in seiner Vollmacht, er führt die
Amtsgeschäfte.
({0})
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Carl-Dieter Spranger.
Angesichts der
Tatsache, dass schon von den Umgangsformen die Rede
war, würde mich interessieren, was die Bundesregierung
tut, um das läppische und unwürdige Verhalten von Ministern, insbesondere denen aus Belgien und Frankreich,
in entsprechenden Runden zu unterbinden, die mit ihrer
Art und der fehlenden Toleranz gegenüber anderen Mitgliedstaaten die EU international geradezu lächerlich
machen.
Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie die von
14 Mitgliedstaaten beschlossenen politischen Maßnahmen mitträgt, aber nicht bereit ist, darüber hinausgehende Vorstöße von einzelnen Mitgliedstaaten zu unterstützen.
Ich rufe die Frage
33 des Kollegen Peter Hintze auf:
Wird sich Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Europäischen Rat in Lissabon aus politischen Gründen gegenüber dem
österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel anders verhalten als gegenüber den anderen Regierungschefs der Europäischen Union?
Der Bundeskanzler, Herr Hintze, wird sich in Lissabon im Rahmen der abgestimmten Haltung bewegen.
({0})
Ich denke, da gibt
es eine Zusatzfrage, Herr Kollege Peter Hintze, bitte.
Können Sie bitte dem
Deutschen Bundestag die konkreten Auswirkungen dieses von Ihnen angeführten Grundsatzes erläutern?
Ja. „Abgestimmte Haltung“ besagt zum Beispiel,
dass es kein so genanntes Familienfoto geben wird. Da
es dieses nicht geben wird, wird sich der Bundeskanzler
auch nicht alleine mit Herrn Schüssel ablichten lassen.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage:
Herr Staatsminister, ich
habe noch folgende Zusatzfrage: Welche Leistungen des
kubanischen Diktators Fidel Castro rechtfertigen es, dass
die Bundesregierung ihn mit der offiziellen Einladung
durch Bundeskanzler Schröder zur EXPO 2000 - ich
verdanke diesen Hinweis dem Kollegen Pflüger - besser
behandelt als den österreichischen Bundeskanzler
Schüssel im Rahmen der üblichen Praxis in der Europäischen Union?
Herr Hintze, ich denke, dass wir die Frage, wie
man mit Entwicklungsländern umgeht, denen es an demokratischer Kultur mangelt, trennen sollten vom Umgang zwischen europäischen Staaten, die sich auf einen
bestimmten gemeinsamen Wertekodex verpflichtet haben. Die Bundesregierung möchte betonen, dass sie auch
im Verhältnis zu Dritte-Welt-Staaten versucht, Menschenrechte und Demokratie zu fördern und durchzusetzen. Aber die Mechanismen sind da natürlich andere als
innerhalb der europäischen Staatenfamilie.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schmidt ({0}).
Herr
Staatsminister, haben wir im Rahmen der „abgestimmten Haltung“, die Sie soeben beschrieben haben, zu erwarten, dass sich der auf dem Europäischen Rat in Lissabon sicherlich ebenfalls anwesende Bundesminister
des Auswärtigen an seine Sponti-Tradition erinnert und
Anleihe nimmt bei seinen Ministerkollegen, dem belgischen und dem französischen Finanzminister, und
auch , - wie im Ecofin-Rat vor einigen Wochen geschehen - mit einem „Nein danke!“-Button erscheint, der
den österreichischen Bundeskanzler persönlich diskriminiert und in seiner Ehre verletzt?
Herr Schmidt, ich lasse mich, wenn der Bundesaußenminister zu Kongressen fährt, nicht vorher über sein
Outfit unterrichten.
({0})
Herr Kollege
Schmidt, Sie haben nur eine Zusatzfrage. Bei den nächsten beiden ordentlichen Fragen, die Sie gestellt haben,
haben Sie sogar vier Zusatzfragen.
Jetzt bekommt der Kollege Pflüger das Wort.
Herr Kollege
Volmer, dass die EU einen ethischen Mindeststandard
schützt und diesen auch durchsetzt, wird niemand
bestreiten. Aber gehört nicht zu diesem ethischen Mindeststandard, der schützenswert ist - nicht zuletzt, sondern eher zuerst -, die Akzeptanz von freien Wahlen in
den Mitgliedsländern? Gibt es nicht, wenn Sie so wollen, ein Menschenrecht, dass diese akzeptiert werden?
Herr Kollege Pflüger, die Wahlen werden in dem
Sinne respektiert. Aber wenn sich in einem europäischen
Land eine neue politische Richtung konstituiert,
({0})
die signifikant von dem abweicht, was dort bisher vorzufinden war, dann haben die anderen europäischen Staaten das Recht, ihre Politik diesem Land gegenüber bilateral neu zu justieren.
Jetzt kommt der
Kollege Singhammer dran.
Herr Staatsminister, welche Vorkehrungen taktischer Art und welche Vorsichtsmaßnahmen trifft die Bundesregierung, um
eventuellen unfreiwilligen Fotos mit österreichischen
Regierungsmitgliedern zu entkommen oder völlig
spontanen Aktionen wie einer dargereichten Hand ausweichen zu können?
Die Bundesregierung hat - da können Sie sicher
sein - genug Routine, um sich auf dem diplomatischen
Parkett zu bewegen.
({0})
Jetzt kommt der
Kollege Spranger mit einer Zusatzfrage.
Herr Vollmer,
halten Sie es für einen Ausdruck von Zivilcourage und
Wahrhaftigkeit, dass dieselben Damen und Herren, die
vor den Kameras einen solchen persönlichen Kontakt
nicht stattfinden lassen und möglichst auf Distanz gehen, anschließend, wenn die Kameras weg sind, zu vertraulichen Gesprächen mit ihren österreichischen Kollegen zusammentreffen und ihnen erklären, so bös sei es
nicht gemeint, man solle doch das, was man ihnen öffentlich zufügt, nicht so ernst nehmen?
Herr Spranger, man sollte froh darüber sein, wenn
es außer der offiziellen Diplomatie auch noch andere
Kanäle gibt, auf denen versucht wird, zu sondieren, wie
man bestimmte missliche Situationen überwinden kann.
Ich rufe jetzt die
Frage 34 des Kollegen Christian Schmidt ({0}) auf:
Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung der jeweilige
Stand der Verhandlungen der EU mit den einzelnen osteuropäischen Beitrittskandidaten der ersten Runde zu den Kapiteln
Freizügigkeit, Beschäftigung und Sozialpolitik zu beurteilen?
Zu Kapitel 2, Freizügigkeit: Herr Schmidt, die
Bundesregierung wird bei den in Kürze beginnenden
Verhandlungen gemäß der Koalitionsvereinbarung für
angemessene Übergangsfristen bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eintreten. Die Beitrittsländer der so
genannten ersten Gruppe - das sind, wie Sie wissen, Polen, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern - haben
erwartungsgemäß keine Übergangsregelungen für diesen
Bereich beantragt.
Zu Kapitel 13, Beschäftigung und Sozialpolitik: Dieses Kapitel enthält die überarbeiteten. „Gemeinsamen
Positionen“. Es wird bei den Verhandlungen mit den
Beitrittskandidaten der so genannten ersten Gruppe mit Ausnahme von Zypern - vorläufig noch nicht abgeschlossen; vielmehr soll über dieses Kapitel zu einem
späteren Zeitpunkt weiterverhandelt werden. Nach Auffassung der Mitgliedstaaten und der Kommission müssen in diesem Bereich trotz aller Fortschritte noch erhebliche Anstrengungen von den Beitrittsländern unternommen werden.
Es bedarf darüber hinaus noch weiterer eingehender
Informationen seitens der Kandidatenländer zum Verfahren, zum Zeitplan der Übernahme und zur Durchsetzung des Sozial-Acquis sowie zu den von Polen und
Slowenien beantragten Übergangsfristen im Arbeitsschutz. Die Bundesregierung misst der Übernahme sowie der tatsächlichen und nachvollziehbaren Umsetzung
des Sozial-Acquis zum Zeitpunkt des Beitritts große Bedeutung bei.
Die endgültige deutsche Position bezüglich des Kapitels „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ wird unter anderem
wesentlich von den Fortschritten in den Verhandlungen
über Kapitel 13 und von dem Aufbau stabiler sozialer
Systeme in den Beitrittsländern abhängen.
Eine Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, unter dem Eindruck Ihrer Darlegungen
frage ich, über welche Zahlen gegenwärtig verhandelt
wird bzw. welche Zahlen von der Bundesregierung in
die Verhandlungen eingebracht worden sind und wie die
Kommission darauf reagiert hat.
Wie Sie wissen, reden wir bewusst nicht über Zahlen. Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran,
dass der EU-Erweiterungsprozess möglichst zügig vorankommt sowie möglichst schnell und positiv abgeschlossen wird. Aber die Gründlichkeit gebietet es, dass
alle Themen hinreichend intensiv behandelt werden.
Ich rufe die Frage
35 des Kollegen Christian Schmidt auf:
Welche Übergangsfristen hat die Bundesregierung als Verhandlungsposition der EU gefordert und durchgesetzt, und aus
welchen Gründen geschah dies?
Herr Schmidt, grundsätzlich sollen - wie bei früheren EU-Erweiterungsverhandlungen - Übergangsfristen und Übergangsregelungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Das ist nicht zuletzt für das Funktionieren des Binnenmarktes wichtig.
Das Vorgehen der EU zielt zudem darauf ab, inhaltliche Diskussionen über die Ausgestaltung von Übergangsregelungen erst am Ende der Verhandlungen zu
führen. Eine frühzeitige Debatte hierüber birgt die Gefahr der Blockade und weckt Begehrlichkeiten.
Für Deutschland ist eine Übergangsfrist im Bereich
der Arbeitnehmerfreizügigkeit besonders wichtig. In der
Koalitionsvereinbarung heißt es hierzu:
Um beitrittsbedingte wirtschaftliche oder soziale
Brüche zu vermeiden, sind angemessene Übergangsfristen zum Beispiel bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit erforderlich.
Die Verhandlungen über das Kapitel Freizügigkeit werden erst im Laufe der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft eröffnet. Die Bundesregierung wird die
Notwendigkeit von Übergangsregelungen im Verhandlungsprozess frühzeitig deutlich machen. Dies geschieht
im Übrigen schon seit geraumer Zeit in bilateralen Gesprächen mit Beitrittsländern und Mitgliedstaaten. Aus
den oben genannten verhandlungstaktischen Gründen
werden die Einzelheiten einer von uns für notwendig
gehaltenen Übergangsregelung jedoch so spät wie möglich präzisiert.
Auch im Bereich der Landwirtschaft werden voraussichtlich Übergangsfristen zu gegebener Zeit beantragt
werden.
Eine Zusatzfrage? Keine.
Dann rufe ich die Frage 36 des Kollegen Singhammer
auf:
Wie ist das Verfahren zur Festlegung der Verhandlungspositionen der EU für die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten, und welche konkreten Einflussmöglichkeiten auf Festlegungen der Verhandlungspositionen hat die Bundesregierung schon
genutzt.
Die Verhandlungspositionen der EU zu den einzelnen Kapiteln werden auf Grundlage von Entwürfen
der Kommission vom Rat beraten und von diesem einvernehmlich als „Gemeinsame Position“ angenommen.
Dadurch ist sichergestellt, dass die Gemeinsamen Positionen der EU Anliegen der Bundesregierung hinreichend Rechnung tragen. Die Bundesregierung bringt ihre Positionen im Übrigen regelmäßig im Rahmen der
fortlaufenden Beratungen über die „Gemeinsamen Positionen“ ein. Konkret hat die Bundesregierung beispielsweise sichergestellt, dass die „Gemeinsamen Positionen“ zum Kapitel “Gesellschaftsrecht“ eine Regelung
zum Schutz von Arzneimittelherstellern in den EUMitgliedstaaten vor Paralleleinfuhren aus Beitrittsländern enthalten. Im Kapitel „Beschäftigung und Soziales“
hat sich die Bundesregierung beispielsweise erfolgreich
für die Aufnahme von Formulierungen zur rechtzeitigen
und vollständigen Übernahme von Sozialvorschriften
durch die Beitrittsländer in die gemeinsame Verhandlungsposition der EU eingesetzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie stellt die Bundesregierung sicher, dass der
Deutsche Bundestag rechtzeitig über die einzelnen Verhandlungsschritte, Schritte mit weitestreichender Bedeutung, informiert wird?
Herr Singhammer, die Bundesregierung berichtet
über den Prozessfortschritt regelmäßig insbesondere
dem Europaausschuss.
Dazu eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Müller.
Herr Staatsminister,
ist Ihnen bekannt, dass die Verhandlungen mit den Beitrittsstaaten ausschließlich von EU-Beamten geführt
werden und dass die nationalen Parlamente vollkommen
unzureichend über den Stand der Verhandlungen informiert werden? Wären Sie bereit, im Parlament, im Deutschen Bundestag, bereits in den nächsten Wochen eine
Debatte über den derzeitigen Stand der Beitrittsverhandlungen zu führen?
Herr Müller, wenn Beamte in der EU verhandeln,
heißt das nicht, dass sie dies abseits der politischen Willensbildung tun. Sie tun es auf der Basis dessen, was
Kommission und Rat als gemeinsame Position beschlossen haben. In diese gemeinsame Position fließen die
Meinungen der jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten ein. Dabei findet selbstverständlich eine Rückkoppelung mit der parlamentarischen Willensbildung
statt. Ich denke, dass die Bundesregierung ein Eigeninteresse daran hat, vor wichtigen Weichenstellungen rechtzeitig eine offene Debatte im Deutschen Bundestag darüber zu führen.
Ich rufe die Frage
37 des Kollegen Singhammer auf:
Welche Forderungen von EU-Beitrittskandidaten, Übergangsfristen zur Anwendung des EU-Rechts vorzusehen, sind
der Bundesregierung bekannt und wie beurteilt sie diese?
Herr Singhammer, die Beitrittskandidaten haben in
vielen Bereichen des Acquis Anträge auf Übergangsfristen gestellt, so zum Beispiel hinsichtlich der Kapitel
freier Warenverkehr, freier Kapitalverkehr, Steuern,
Energie, Umwelt und Außenbeziehungen. Die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung hierzu ist, dass
insbesondere in binnenmarktrelevanten Bereichen Übergangsfristen nur restriktiv gewährt werden sollten.
Eine Alternative zu Übergangsregelungen sind die so
genannten Schutzklauseln, wie sie auch in vergangenen
Erweiterungsrunden angewendet wurden. Sie greifen,
wenn eine nachhaltige Störung des Marktes festgestellt
werden kann. Schutzmaßnahmen sind im Binnenmarkt
weniger störend. In Bereichen hingegen, die erhebliche
Anpassungsanstrengungen und beträchtliche finanzielle
Aufwendungen erfordern - etwa Umwelt, Energie und
Infrastruktur -, sind zeitlich limitierte Übergangsregelungen akzeptabel, sofern das jeweilige Beitrittsland
aufzeigt, dass der erforderliche Angleichungsprozess im
Gang ist und dass sich das Land an detaillierte, realistische Angleichungspläne hält, die die erforderlichen Investitionen berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gibt es Forderungen von Beitrittskandidaten
hinsichtlich Übergangsfristen beim Erwerb vom Eigentum an Grund und Boden, und wenn ja, welche Staaten
sind es und wie sehen diese Forderungen aus?
Herr Kollege Singhammer, ich muss Sie bitten, eine schriftliche Beantwortung auf diese Frage zu akzeptieren, da mir die entsprechende Übersicht nicht im Augenblick vorliegt.
Ich rufe die Frage
38 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtssituation in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Hinblick auf die
Voranfrage des Landes zur Lieferung von insgesamt 64 Spürpanzern des Typs Fuchs, und wann wird über eine Lieferung im
Bundessicherheitsrat entschieden?
Die Prüfung der zusätzlichen Voranfrage für die
Lieferung der Spürpanzer des Typs Fuchs in die Vereinigten Arabischen Emirate auf der Grundlage der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ in ihrer Neufassung vom 19. Januar dieses Jahres ist noch
nicht abgeschlossen. Im Rahmen dieser Prüfung werden
alle für den Ausfuhrantrag wesentlichen Umstände erwogen werden, insbesondere auch die Frage der Beachtung der Menschenrechte. Es steht noch nicht fest, wann
die Bundesregierung darüber entscheiden wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
wie pflegt die Bundesregierung mit vom Bundessicherheitsrat positiv beschiedenen Voranfragen umzugehen?
Wenn der Bundessicherheitsrat eine Voranfrage positiv
beschieden hat, wird dann auch entsprechend geliefert?
Die Voranfrage wird von privatwirtschaftlichen
Unternehmen gestellt. Durch die Voranfrage soll herausgefunden werden, ob sich die Bundesregierung einer
Lieferung entsprechend dem Außenwirtschaftsgesetz in
den Weg stellen wird oder nicht. In dem Moment, in
dem der Bundessicherheitsrat die Voranfrage positiv bescheidet, hat das Unternehmen grünes Licht. Ob es dann
wirklich die Lieferung beantragt, ist seine Sache.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
ist Ihnen bekannt, dass der Bundessicherheitsrat hinsichtlich 29 von den 64 Spürpanzern, die jetzt geliefert
werden sollten, bereits im Januar 1999 eine Voranfrage
positiv beschieden hat?
({0})
Nach der Antwort, die Sie gerade gegeben haben,
bedeutet das, dass die Firma, die diese Voranfrage
gestellt hat, 29 Spürpanzer liefern könnte.
Sie haben gerade den Beschluss des Bundessicherheitsrates vom letzten Jahr richtig zitiert. Wie sich die
Firma jetzt verhält, ist ihre Sache.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister
Volmer.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Norbert Röttgen
auf:
Ist es der Bundesregierung bekannt, dass seit längerer Zeit
im Bereich des Bonner Bundesgrenzschutzpräsidiums West
({0}) im Bundeshaushalt zugewiesene Stellen in erheblichem
Umfang, so beispielsweise im Bereich Arbeiter ein Drittel der
Stellen, nicht besetzt sind und darüber hinaus ein überdurchschnittlich hoher Krankenstand besteht, und wie bewertet die
Bundesregierung diese Situation?
Lieber Kollege Röttgen, ich bitte
darum, die Fragen 39 und 40 zusammen beantworten zu
dürfen. Ich denke, damit sind Sie einverstanden.
So ist es - Ich rufe
also auch die Frage 40 des Kollegen Norbert Röttgen
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die offenen und für einen
geordneten Dienstablauf dringend benötigten Stellen zu besetzen
und den überdurchschnittlich hohen Krankenstand zu untersuchen und diesem entgegenzuwirken, und wenn ja, bis wann?
Es trifft zu, dass in einzelnen
Standorten des BGS nicht alle freien Stellen besetzt
sind. In Swisttal-Heimerzheim und Sankt AugustinHangelar sind von insgesamt 425,5 im Organisationsund Dienstpostenplan ausgewiesenen Planstellen 88,5
Stellen zurzeit unbesetzt.
Diese Tatsache beruht einerseits auf der im November 1993 noch vom früheren Bundesminister Kanther
angeordneten grundsätzlichen Stellenbesetzungssperre,
deren Ziel es ist, zunächst Personal aus so genannten
Überhangbehörden in Dienststellen und Behörden umzusetzen, in denen personelle Vakanzen zu verzeichnen
sind. Dieser Umsetzungsprozess ist nicht abgeschlossen
und wird mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung
konsequent fortgesetzt. Soweit ein Bedarf an Neu8700
einstellungen nachgewiesen wird, werden Ausnahmen
von der Stellenbesetzungssperre zugelassen.
Darüber hinaus resultiert die oben beschriebene Situation auch aus der noch nicht beendeten personellen
Umsetzung der BGS-Neuorganisation, in deren Rahmen
auch Arbeiter und Angestellte der unteren Lohn- und
Vergütungsgruppen aus den aufgelösten Standorten des
BGS sozial verträglich umgesetzt werden sollen. Dies
setzt eine gewisse Bereitschaft zur Mobilität voraus, die
noch nicht in allen Fällen gegeben ist.
Die Krankenstatistik der Standorte SwisttalHeimerzheim und Sankt Augustin im Bereich des Bundesgrenzschutzpräsidiums West weist in der Tat einen
Krankenstand aus, der um circa 25 bis 30 Prozent über
den Durchschnitt liegt. Unserer Meinung nach ist dies
darauf zurückzuführen, dass die BGS-Verwaltungsstelle im Standort Sankt Augustin circa 20 Prozent mehr
Schwerbehinderte beschäftigt als gesetzlich gefordert.
Hinzu kommt, dass sich die Situation durch weitere
Abwesenheiten aufgrund von Mutterschutz und Erziehungsurlaub noch verschärft.
Das Personaldefizit im Standort Swisttal-Heimerzheim ist nicht gravierend. Die krankheitsbedingten Ausfälle können daher nicht auf eine Arbeitsüberforderung
zurückgeführt werden. Die Ursachen der krankheitsbedingten Abwesenheit werden derzeit vom zuständigen
Bundesgrenzschutzpräsidium West untersucht.
Eine Zusatzfrage.
Meine Zusatzfrage
bezieht sich darauf, ob Sie nähere Angaben zum Willen
der Bundesregierung machen können, die nicht besetzten Stellen zu besetzen, denn hier gibt es - darauf zielen
auch meine Fragen ab - einen erheblichen Bedarf. Ich
darf darauf hinweisen, worin insbesondere auch die Beschäftigten diese dringende Notwendigkeit sehen:
Im Bereich der Arbeiter ist jede dritte Stelle nicht besetzt. Sie haben zugestanden, dass der Krankenstand mit
20 Prozent erheblich ist. Wir haben also die Situation,
dass hier jede zweite Stelle nicht besetzt ist. Das führt
dazu, dass - zum Teil über lange Zeiträume, Sie haben
ja auf den Zeitpunkt 1993 rekurriert; es geht also um
jahrelang andauernde Zustände - zum Beispiel Polizeivollzugskräfte des BGS, die eine Aufgabe im Bereich
der Sicherheit haben, über einen längeren Zeitraum als
Gärtner, als Möbelpacker oder in der Verwaltung tätig
sind.
Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass es unter
dem Gesichtspunkt der sozialen Verantwortung des
Dienstherrn für die Beschäftigten nicht hinnehmbar ist,
dass dies über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschieht, ohne dass eine konkrete Perspektive für eine
Veränderung aufgezeigt wird?
Sind Sie nicht zweitens der Auffassung, dass auf diese Weise sozusagen heimlich, auf indirektem Wege an
der Aufgabe Sicherheit gespart wird? Denn diejenigen
Polizeivollzugskräfte, die als Gärtner, als Möbelpacker
oder in der Verwaltung tätig sind, können ihrem eigentlichen Auftrag nicht nachkommen.
Ich erlaube mir, - es waren zwei Fragen, die ich
schriftlich gestellt habe - drittens die Frage: Teilen Sie
meine rechtliche Einschätzung, dass Polizeivollzugskräften, die über einen langen Zeitraum eine solche
zweckentfremdete Tätigkeit ausüben, in ihrem Recht auf
amtsangemessene Verwendung verletzt sind und damit
auch mit Aussicht auf Erfolg rechtlich gegen diese
Maßnahme vorgehen könnten?
Vierte Zusatzfrage. Sie haben gesagt, es sei vorgesehen, aus aufgelösten Dienststellen im Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern nachzubesetzen. Es
handelt sich um Dienststellen, die weit entlegen sind, in
Goslar und Gifhorn, soweit der BGS betroffen ist. Halten Sie es für realistisch anzunehmen, dass eine Nachbesetzung bei Teilzeitkräften im Arbeiterbereich etwa entsprechend der Besoldungsgruppe BAT VII, also bei Bediensteten mit kleinen Nettogehältern, aus Standorten erfolgt, die mehrere hundert Kilometer entfernt sind?
Herr Kollege Röttgen, Sie wissen, dass wir uns in einer Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes befinden und dass das auch personelle
Konsequenzen hat. Sie wissen auch, dass wir uns im Interesse der Beschäftigten dort, wo es zu Standortauflösungen kommt, gerade für das Tarifpersonal bemühen,
eine Weiterbeschäftigung zu finden, dass das nicht einfach ist, wissen Sie so gut wie ich aber wir müssen uns
darum bemühen.
Zweite Bemerkung zu Ihren Fragen: Es gibt ein Problem aus der Vergangenheit. Es gibt einen Erlass des
ehemaligen Bundesinnenministers Kanther zur Nichtbesetzung von Stellen im BGS außerhalb des Polizeivollzugsbereiches. Dieser wurde Jahr für Jahr konsequent
angewendet - mit der von Ihnen beschriebenen Folge.
Auch ich sage: Es ist nicht gut, dass solche Umstände
eingetreten sind, wie Sie sie geschildert haben, dass beispielsweise ein Polizeivollzugsbeamter gärtnerische Arbeiten oder Hausmeistertätigkeiten verrichtet. Aber ich
bitte, bei aller Kritik zu berücksichtigen, warum diese
Defizite in den zurückliegenden Jahren entstanden sind.
Wir haben gerade jetzt eine erste Maßnahme getroffen, indem wir beispielsweise gerade in diesen Bereichen ermöglicht haben, notwendig zu besetzende Stellen
auf die verschiedenen Grenzschutzpräsidien zu verteilen. Dass damit die Defizite der vergangenen Jahre nicht
mit einem Mal ausgeglichen werden können, ist klar,
aber das Problem ist erkannt. Ich bitte Sie, an die Ursachen zu denken und gemeinsam mit uns zur Verbesserung der Situation beizutragen.
Die Frage 41 des
Kollegen Wolfgang Börnsen ({0}) wird schriftlich
beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich möchte mich dennoch bei den Parlamentarischen
Staatssekretären Diller und Mosdorf bedanken, dass sie
so lange ausgeharrt haben. Aber der Präsident hat keinen
Ermessensspielraum zur Verlängerung der Fragestunde.
Soweit die Fragen 42 bis 67 nicht zurückgezogen worden sind, werden sie schriftlich beantwortet. Die schriftlichen Antworten werden in den Anhang zum Plenarprotokoll aufgenommen.
Ich rufe auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Rente und Rentenanpassung entsprechend der
Inflationsrate
Diese Aktuelle Stunde wird zu den Antworten der
Bundesregierung auf die Fragen 7 und 8 gemäß Anlage 5 Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde verlangt. Das Wort zur Geschäftsordnung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem soeben ins
Plenum eilenden Kollegen Karl-Josef Laumann das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal, Herr Bundesminister Riester, möchte ich deutlich sagen, dass CDU/CSU natürlich weiterhin mit Ihnen
und den Koalitionsfraktionen zusammen daran arbeiten
wollen, in der Rentenfrage zu einem vernünftigen Kompromiss und zu einer dauerhaften Regelung zu kommen,
damit die Rentendiskussion etwas ruhiger wird als sie es
zurzeit ist. Ich darf Ihnen das auch in meiner neuen
Funktion, die ich für die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales meiner Fraktion habe, ausdrücklich anbieten.
Eines müssen wir aber auch sehen: Seitdem Sie als
Arbeitsminister für die Renten verantwortlich sind, ist es
leider so, dass sich die Meinungen, wie die Renten angepasst werden und worauf sich die Rentner in diesem
Land noch verlassen können, von Monat zu Monat ändern. Sie haben im Wahlkampf zusammen mit Ihren politischen Freunden dargelegt, dass der demographische
Faktor, den wir damals eingeführt haben - so stand es
auch in Ihrem Wahlprogramm -, das Rentenniveau so
tief senken würde, dass viele Rentner der Sozialhilfe anheim fallen würden.
Sie sind in der Rentenpolitik mit dem Motto, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen, angetreten. Ich
denke, Sie sind als Koalition nicht deshalb gewählt worden, damit Ihnen die Opposition sagt, wie es weitergeht,
sondern um eigene Konzepte vorzulegen. Was haben Sie
gemacht? Sie haben nach der Bundestagswahl als erste
Handlung in der Rentenpolitik die nettolohnbezogene
Rentenerhöhung, den demographischen Faktor und große Teile unserer Rentenreform außer Kraft gesetzt, aber
bis heute - anderthalb Jahre später - noch kein Gesamtkonzept dafür vorgelegt, wie sie sich die Alterssicherung
in der Bundesrepublik Deutschland vorstellen.
({0})
Sie haben den Rentnerinnen und Rentnern gesagt:
Wir koppeln für zwei Jahre die Rentenerhöhungen von
der Nettolohnentwicklung ab. Wir haben darüber im
Bundestag offen debattiert, unsere Meinung dazu kennen Sie. Ihre Rentenpolitik ist keine verlässliche Rentenpolitik, sondern eine Rentenpolitik nach Kassenlage.
Sie haben Ihre Abgeordneten mit Berechnungen durch
die Wahlkreise geschickt, wonach es unter der Regierung der CDU/CSU Jahre gegeben habe, in denen die
Preissteigerungsrate durch die Rentenerhöhungen nicht
aufgefangen worden sei. Dies hatte mit der damaligen
Rentensystematik zu tun, wonach die Renten in gleicher
Weise wie die Nettolöhne steigen sollten. Damals gab es
nun einmal eine solche Entwicklung.
Sie haben den Eindruck erweckt, wir garantierten
zumindest, dass die Renten in gleichem Maße wie die
Preise steigen. Jetzt erleben wir, dass die Preissteigerungsrate in unserem Land in diesem Jahr wahrscheinlich bei 1,6 oder 1,8 Prozent liegen wird. Sie nehmen
das vorige Jahr als Bemessungsgrundlage, in dem wir
eine Preissteigerungsrate von 0,6 Prozent hatten. Das
heißt, jeder Rentner in diesem Land verliert durch Ihre
Politik 1 Prozent Kaufkraft. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({1})
Sie tragen auch dafür die Verantwortung, dass die
Rentner durch die Ökosteuer belastet werden, dies aber
bei den Rentenerhöhungen, für dieses Jahr, weil die
Ökosteuer in diesem Jahr erst richtig greift, kaum eine
Rolle spielen wird. Die Rentner werden auf diese Weise
zwei Mal zur Kasse gebeten: zum einen, indem sie die
Ökosteuer zahlen müssen, und zum anderen, indem sich
diese nach dem Modell bei den Rentenerhöhungen nicht
auswirken wird.
Um es auf den Punkt zu bringen - dies muss in der
deutschen Öffentlichkeit deutlich werden -: Sie sind,
was Rentenerhöhungen angeht, für eine Trickserei verantwortlich und mit dieser Trickserei fördern Sie weder
die Verlässlichkeit der Rentenversicherung noch das
Vertrauen in sie. Das gilt sowohl für die ältere als auch
für die jüngere Generation. Deswegen möchte ich Sie
auffordern, möglichst schnell in die Öffentlichkeit zu
treten und zumindest zuzugeben, dass es ein ganz großer
Fehler war, den demographischen Faktor und damit eine
berechenbare Grundlage dafür, wie sich das Rentenniveau in den nächsten Jahren in Deutschland einpendeln
wird, außer Kraft zu setzen.
Schönen Dank.
({2})
Für die SPDFraktion gebe ich dem Kollegen Adolf Ostertag das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Laumann, ich kann
anknüpfen: Endlich haben wir Verabredungen getroffen,
damit es Rentenkonsensgespräche gibt. Das ist richtig.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Dafür ist es höchste Zeit geworden, damit die ständige
Verunsicherung in diesem Land endlich beendet werden
kann.
Die Ziele unserer Rentenstrukturreform sind klar. Sie
sind seit Monaten auch Ihnen bekannt: Wir wollen einen
stabilen Beitragssatz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und natürlich auch für die Unternehmen, wir
wollen eine langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung zu akzeptablen Bedingungen, wir wollen eine
den Lebensstandard sichernde Alterssicherung aufrechterhalten und wir wollen die Altersarmut bekämpfen.
Zur Stabilisierung der Rentenkasse und im Sinne von
Generationengerechtigkeit haben diese Regierung und
die sie tragende Koalition in den letzten 15, 16 Monaten
schon viel getan. Daran müssen Sie anscheinend immer
wieder erinnert werden: Wir haben die Sozialversicherungspflicht für die 630-Mark-Jobs eingeführt. Es war
schwer, aber es war richtig; das zeigt sich von Monat zu
Monat mehr.
({0})
Ebenso war die Einbeziehung der Scheinselbstständigen richtig. Wir haben versicherungsfremde Leistungen,
die Kindererziehungszeiten und die einigungsbedingten
Kosten, aus der Rentenkasse herausgenommen. Wie Sie
wissen, haben wir darüber jahrelang diskutiert und es
immer wieder gefordert; doch Sie haben sich keinen
Millimeter bewegt. Was wir getan haben, war genau
richtig, und es geschah zum richtigen Zeitpunkt. Wir
haben den Beitrag zur Rentenversicherung in zwei
Schritten gesenkt. Wahrscheinlich haben Sie auch das
nicht registriert. Bei Ihnen ist er über Jahrzehnte ständig
gestiegen.
({1})
Das Ergebnis dieser Politik sehen wir ja: Wir haben
seit 1994 endlich wieder die gesetzlich vorgesehene
Schwankungsreserve von einem Monat in der Rentenkasse.
({2})
Das heißt, wir sind, was die Rente angeht, auf einem guten Weg.
Trotzdem müssen wir feststellen, dass die gegenwärtige Diskussion natürlich zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen hat.
({3})
Das ist nicht zu bestreiten. Laut einer Umfrage von Forsa glauben nur noch 15 Prozent der Befragten, dass die
Renten langfristig gesichert seien, während 70 Prozent
der Meinung sind, dass die Zukunft der Renten unsicher
sei.
Da repräsentative Umfragen bekanntlich nicht die
volkswirtschaftlichen Zusammenhänge überprüfen, sondern lediglich Stimmungslagen abfragen, kann man
schon sagen, dass sich hierin die parteipolitische Auseinandersetzung um die anstehenden Maßnahmen zur
Rentenreform niederschlägt. Ich glaube, das ist nicht
verwunderlich.
Im Wesentlichen sind dafür zwei Entwicklungen verantwortlich:
Erstens: Ihre Verunsicherungstaktik der letzten Monate
({4})
- natürlich -, die nicht die Interessen der Menschen in
den Mittelpunkt stellt, sondern vor allen Dingen ein
kurzfristiges Ablenkungsmanöver war. Sie steht für die
konzeptionelle Hilflosigkeit, die Sie in den letzten Monaten an den Tag gelegt haben.
({5})
Es gab immer nur Effekthascherei anstelle der Bereitschaft zu einem breiten Konsens. Ihre Politik war mit
Polemik, aber nicht mit Inhalten verbunden. Ich glaube,
das rächt sich.
Zweitens. Sie haben über viele Jahre eine Rentenpolitik praktiziert, die letzten Endes den über Jahrzehnte
vorhandenen Rentenkonsens aufgehoben hat. Ihr Sündenregister aus der Entwicklung der letzten Jahre ist bekannt. Ich will das im Einzelnen nicht aufzählen. Ich
möchte nur daran erinnern, dass wir noch 1992 ein gemeinsames Konzept gefunden haben; diesen Konsens
haben Sie aber 1996 durch die Anhebung des Renteneintrittsalters für Arbeitslose aufgekündigt. Sie haben im
Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz mit
der Heraufsetzung der Altersgrenzen und der reduzierten
Bewertung von Anrechnungszeiten besonders einschneidende Verschlechterungen vorgenommen. Im
Rentenreformgesetz des Jahres 1999, mit dem der so genannte demographische Faktor eingeführt worden ist,
haben Sie massive Verschlechterungen bei den Erwerbsminderungsrenten durchgesetzt. - Diese Aufzählung ist beliebig verlängerbar. Sie sollten sich an diese
Maßnahmen erinnern.
Jetzt haben Sie endlich begriffen, dass die großen
Parteien im Rentenbereich zusammenarbeiten sollten,
und sind an einen „Rententisch“ zurückgekehrt. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass sich Ihr derzeitiges
Vorgehen, an einem Tisch zu sitzen und gleichzeitig gegen die Regierung zu polemisieren, langfristig für Sie
nicht auszahlen wird.
({6})
Sie behaupten, wir wollten die Renten kürzen. Wir kürzen die Renten nicht, wir passen sie vielmehr in diesen
zwei Jahren, wie seit Monaten angekündigt und beschlossen, an die Preissteigerungsrate an. Das heißt, die
Renten steigen weiterhin.
Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass die Rentenanpassung seit 1994 beständig unterhalb der Inflationsrate
lag. Auch dazu müssten Sie sich bekennen; darüber
sollten Sie nicht hinwegreden. Die damalige Regierungspolitik - und nicht nur die damalige Rentenformel - war daran schuld; denn Sie haben das Niveau der
Arbeitnehmereinkommen durch eine ganze Reihe von
Maßnahmen nach unten gedrückt. Ich habe ja soeben auf
Gesetze verwiesen, die Sie in diesen Jahren durchgesetzt
haben. Das hat sich im Rahmen der Nettolohnorientierung bei den Rentnerinnen und Rentnern niedergeschlagen. Dies hatte letzten Endes zur Folge, dass die Rentensteigerungen seit 1995 immer unterhalb der Inflationsrate lagen. Erst im Jahre 1999 lag die Rentensteigerung
wieder darüber, wie Sie wissen.
Im Rahmen der heutigen Debatte ist festzustellen auch in der Fragestunde war das schon zu hören -:
Wenn wir den von Ihnen beschlossenen Demographiefaktor nicht ausgesetzt hätten, dann wäre im vergangenen Jahr die Steigerung der Renten wesentlich geringer ausgefallen. Sie hätte dann nicht bei 1,34, sondern
nur bei 0,82 Prozent gelegen.
Meine Damen und Herren, wir haben einen guten
Weg beschritten. Ich bin der Meinung, dass die zeitnahe
Anpassung, so wie wir sie jetzt vorsehen, richtig ist.
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt zum Schluss kommen.
Noch ein paar Sätze.
({0})
Bekennen Sie sich endlich zu Ihrer Politik! Akzeptieren Sie das, was Sie in der Vergangenheit getan haben,
nämlich wie die Renten berechnet wurden. Auch wir haben keine anderen Programme. Dieselben Menschen, die
bei Ihnen 16 Jahre lang gerechnet haben, rechnen noch
immer im zuständigen Ministerium. Lenken Sie nicht
ab, sondern arbeiten Sie mit; denn die Rentenpolitik der
Bundesregierung ist verantwortungsvoll, langfristig bezahlbar und natürlich auch zukunftsgerichtet. Von daher
meine ich: Nach vielen Jahren tun wir wieder etwas für
die Generationengerechtigkeit.
Vielen Dank.
({1})
Für die Fraktion der
F.D.P. spricht die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben überhaupt
kein Problem damit, uns zu dem zu bekennen, was wir
in der Vergangenheit beschlossen haben.
({0})
Denn auch die Ausführungen der Bundesregierung in
der Fragestunde zeigen, dass der Weg, den wir eingeschlagen hatten und den Sie nach Übernahme der Regierung außer Kraft gesetzt haben, der bessere gewesen wäre.
({1})
Dieser Weg hätte nämlich nicht zur Verunsicherung der
Rentner geführt, sondern wäre ein solider Weg zur Stabilisierung der Rentenversicherung gewesen.
Die Rentenanpassung nach der Inflationsrate, die Sie
jetzt beschlossen haben, ist nur Stückwerk. Das kam in
den Antworten, die die Bundesregierung heute gegeben
hat, sehr stark zum Ausdruck. Die für die Jahre 2000
und 2001 vorgesehene Anpassung der Renten an die Inflationsrate ist ein Fehler.
({2})
Auch in Ihren Reihen wird schon darüber diskutiert.
Denn auch Sie wissen, dass eine Stabilisierung der Rentenversicherung mit der Weiterführung dessen, was die
alte Koalition auf den Weg gebracht hat, besser hätte erreicht werden können.
Wenn Sie im Jahre 2000 nicht einmal Ihre Ankündigung wahr machen können, das heißt, wenn Sie den
Rentnern, wie Sie es gesagt haben, nicht einmal den Inflationsausgleich gewähren, dann haben Sie das entgegen Ihren Entscheidungen bewirkt. In diesem Jahr zeigen sich nämlich angesichts der Erhöhung der Energiepreise die Auswirkungen Ihrer Ökosteuer ganz deutlich.
Das heißt, Sie können - das merken Sie - den Kuchen,
den Sie verteilen wollen, nicht vorher selber essen. Dann
funktioniert das einfach nicht.
({3})
Deswegen dämmert es Ihnen jetzt vielleicht, dass die
Beibehaltung des Demographiefaktors einfach besser
gewesen wäre.
({4})
Herr Ostertag, ich habe zu Anfang schon gesagt: Wir
haben kein Problem damit, uns zu unserer Vergangenheit zu bekennen. Aber wenn Sie hier sagen - Sie haben
das Ganze beschlossen; wir haben aber ja wohl das
Recht, dies zu kommentieren -, dass unsere Kommentare, nicht aber der Unsinn, den Sie beschlossen haben,
dazu geführt hätten, dass die Rentner verunsichert sind,
dann verwechseln Sie wirklich Ursache und Wirkung.
({5})
Ich finde es einfach nicht in Ordnung, dass Sie sich nicht
zu Ihren Taten bekennen. Das sollten Sie wirklich tun.
Sie haben den Vorschlag dieser völlig unsystematischen
Anpassung der Renten an die Inflationsrate in die Diskussion gebracht.
Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen: Sie sagen, dass die Renten seit 1994 mehrfach an ein Niveau
unterhalb der Inflationsrate angepasst wurden. Das ist
richtig. Aber diese Anpassung galt auch für die Einkommen der Arbeitnehmer.
({6})
Im Jahre 2000 haben Arbeitnehmer im Vergleich zur Inflationsrate eine deutlich höhere Einkommenssteigerung.
({7})
Das ist der Unterschied: Sie stellen die Rentner schlechter als die Arbeitnehmer, während die Rentner nach unserem Vorschlag in gleichem Ausmaß wie die Arbeitnehmer an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten beteiligt würden.
({8})
Ich finde, diese Aktuelle Stunde führt uns nicht weiter, weil zu viele Schlachten der Vergangenheit geschlagen werden.
({9})
Für den Auslöser mögen die Kolleginnen und Kollegen
der Union die Verantwortung übernehmen.
({10})
Ich sehe den hohen Wert dieser Aktuellen Stunde nicht.
({11})
Es wäre wichtiger, dass wir uns darüber unterhalten, wie
wir die Zukunft gestalten. Wir befinden uns in den Konsensgesprächen.
({12})
Ich begrüße es, dass nun auch die Union die Zahlenbasis
akzeptiert und bereit ist, über die sachlichen Rahmenbedingungen der Umgestaltung zu sprechen, wenn auch
noch nicht zu verhandeln. Wir könnten schon verhandeln, aber daraus wird vor dem 14. Mai dieses Jahres
nichts.
Besprechen wir also - das ist ja auch sinnvoll - die
Rahmenbedingungen, unter denen die Rente zukünftig
gestaltet werden soll. Auch diese Diskussion hat ihren
Wert und ihre Wichtigkeit. Ich möchte aus unserer Sicht
betonen, dass wir es sehr begrüßen, dass innerhalb der
vier größten Fraktionen hier im Hause inzwischen ein
Konsens dahin gehend hergestellt ist, dass wir die Statik
innerhalb der drei Säulen der Alterssicherung neu austarieren müssen.
({13})
Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung zurücknehmen, weil die Beiträge für die jüngere Generation sonst einfach nicht mehr zu leisten wären.
({14})
Wir müssen die Säule der privaten Altersvorsorge und
die Säule der betrieblichen Altersvorsorge stärken.
({15})
Das heißt, wir müssen endlich die Effizienz der Kapitalmärkte auch für die Altersvorsorge der nächsten
Rentnergenerationen in unsere Überlegungen und Entscheidungen mit einbeziehen. Das ist der Kernpunkt.
({16})
Darüber hinaus müssen wir eine eigenständige Alterssicherung für Frauen beschließen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn uns dies gelingt, dann haben wir
wirklich etwas für die Zukunft und auch für die Generationengerechtigkeit getan. Ich denke, wir alle sollten
daran mitwirken.
Danke.
({17})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Katrin
Dagmar Göring-Eckardt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Laumann, ich finde, man muss sich entscheiden: entweder konstruktiv Rentengespräche führen
oder destruktiv eine neue Auflage von der Nummer mit
der Rentenlüge befördern.
({0})
Worauf gründet dies und was wollen Sie uns eigentlich sagen? Wir sollen die Renten entsprechend der für
das Jahr 2000 geltenden Inflationsrate anpassen. Sie alle
haben ganz genau vor Augen, dass dies nicht geht und
dass es die einzig sinnvolle und vernünftige Variante ist,
so wie bisher immer vorzugehen und die Rentenanpassung entsprechend der Entwicklung des vergangenen
Jahres vorzunehmen.
({1})
Dies ist die einzige tatsächlich verlässliche Orientierung.
Man fragt sich schon - diese Frage müssen Sie einmal beantworten -, was Sie sagen würden, wenn die Inflationsrate jetzt höher wäre. Dann würden Sie wahrscheinlich sagen: Rentenlüge - die Regierung gibt jetzt
mehr. Dies müssen Sie in der Konsequenz und in der
Logik dessen, was Sie da sagen, beantworten.
Herr Laumann, für mich ist das einzig und allein Populismus. Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen, es gebe einen riesigen Reformbedarf hinsichtlich
der Rente - am liebsten möchten Sie jede Woche noch
dramatischere Zahlen vorlegen -, und auf der anderen
Seite im gleichen Atemzug die Debatte nach dem Motto
anzetteln: Auch in diesem Jahr könnten wir noch eines
drauflegen.
Damit Sie mich bitte nicht falsch verstehen: Natürlich
haben wir einen extrem hohen Reformbedarf. Aus meiner Sicht muss er mit aller Klarheit beschrieben werden.
Vor allen Dingen aber müssen die richtigen KonsequenDr. Irmgard Schwaetzer
zen gezogen werden. Ich möchte einfach wissen,
was Sie in diesem Zusammenhang für Vorschläge haben. Diese liegen nämlich immer noch nicht auf dem
Tisch.
({2})
Ich will klar sagen, dass ich überhaupt keine Lust habe, mich Ihrer Art von Wahlkampfrhetorik anzuschließen, Ihnen also vorzuwerfen, was Sie vielleicht jahrelang versäumt haben, Ihnen darzulegen, dass die Situation in der Rentenversicherung, vor der wir heute stehen,
eben nicht vom Himmel gefallen ist, sondern aufgrund
Ihrer Ignoranz in Ihrer Regierungszeit entstanden ist.
({3})
Sie müssen sich schon fragen lassen, ob man nicht
angesichts der Tatsache, dass meine Generation mit dem
Satz „Die Rente ist sicher“ aufgewachsen ist, dass aber
dieser Satz eben nicht stimmt und nicht der Wahrheit
entspricht, von einer Rentenlüge sprechen sollte.
({4})
Liegt im Moment nicht eine Situation vor, die dazu
führt, dass die junge Generation sehr verunsichert ist?
Sie ist verunsichert über die Art und Weise, wie die Debatte geführt wird.
({5})
Sie ist verunsichert aufgrund der Frage, ob sie aus diesem System jemals eine für ihr Leben angemessene Altersversorgung bekommt. Dass die junge Generation
verunsichert ist, zeigt sich unter anderem darin, dass
schon lange zuvor, schon während Ihrer Regierungszeit,
junge Menschen gesagt haben: Darauf verlasse ich mich
nicht mehr; ich will privat vorsorgen.
Wir wollen jetzt - ich dachte eigentlich, dass wir das
gemeinsam machen - auf diese Entwicklung reagieren.
Wir brauchen zukünftig mehrere Säulen in der Altersversorgung. Frau Schwaetzer hat diesen Punkt schon
angesprochen. Wir wollen, dass die Altersversorgung
generationenfest ist, und wir wollen die demographische
Entwicklung in unsere Überlegungen einbeziehen.
({6})
Wir wollen vor allen Dingen ein System, in dem sich alle, Jung und Alt, darauf verlassen können, dass sie am
Ende eine Altersversorgung haben, von der sie leben
können und die ihrer Lebensleistung entspricht, und dass
sie nicht von Armut betroffen sind.
Ich habe verdammt wenig Lust, die alten Geschichten
aufzuwärmen.
({7})
Das ist platter Wahlkampf, dem die Sachpolitik wieder
einmal zum Opfer fällt. Ich frage mich aber schon:
Wem, glauben Sie, nützt das? Meinen Sie, dass es den
Alten nützt, denen Sie möglicherweise versprechen wollen, dass sie mehr bekommen - übrigens mehr, als in Ihren alten Vorschlägen vorgesehen war? Meinen Sie,
dass es den Jungen nützt, die Sie weiter verunsichern? In
meinen Augen führt diese Art von Kampagnen nur zu
einem: Niemand glaubt mehr an Ihren ernsthaften Willen, tatsächlich Lösungen zu finden, die den Ausgleich
zwischen den Generationen herstellen, Lösungen, die
Alt und Jung wieder zusammenbringen und die in Zukunft die Existenz der sozialen Systeme sicherstellen.
Ich würde mir wünschen, dass wir als Politiker in der
Lage sind, einen anderen Stil als den der populistischen
Auseinandersetzung zu fahren.
({8})
- Ja. - Das Problem ist weiß Gott so gravierend, dass
wir uns als Entscheidungsträger zusammenraufen sollten. Ich persönlich denke, dass das allen nützen würde.
Den Streit, den wir heute auf Ihren Wunsch hin hier
ausfechten, nimmt uns niemand mehr als sachlichen
Streit ab. Jeder wird diesen Streit als reines Wahlkampfgetöse durchschauen. Lassen Sie uns doch verdammt
noch mal um die besten Konzepte streiten und nicht um
die lautesten Auftritte in einer Aktuellen Stunde!
({9})
Lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Wir kürzen
den Rentnern nicht ihre erarbeitete Rente.
({10})
Diese Sicherheit haben sie und werden sie weiterhin haben. Wir müssen aber auch sehen, dass es den berechtigten Wunsch der Jungen nach Sicherheit und den Wunsch
gibt, dass ihre Belastungen nicht weiter steigen und sie
selbst mit einer adäquaten Alterssicherung rechnen können.
Für diese Art der Generationengerechtigkeit stehen
Bündnis 90/Die Grünen. Darum werden wir auf sachlichem Niveau streiten. Ich hoffe, dass wir die Zusammenarbeit auf dieser Ebene fortsetzen können. Ich hoffe
vor allen Dingen, dass Sie es wirklich noch wollen.
Vielen Dank.
({11})
Für die Fraktion der
PDS spricht die Kollegin Monika Balt.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wenn das der so viel gepriesene Konsens ist, der uns heute vorgeführt wird, dann
kommen mir so langsam Zweifel.
({0})
Die Rentenkonsensgespräche werden aus unserer Sicht
immer dubioser. Erst wird die PDS als einzige der Fraktionen im Bundestag und damit die von ihr vertretenen
Wählerinnen und Wähler von den Rentenkonsensgesprächen ausgeschlossen und ausgegrenzt. Und dann
vereinbart man noch, dass die Öffentlichkeit über den
jeweiligen Verlauf der Gespräche erst gar nicht mehr informiert wird. Das ist eher ein politischer Skandal.
Diese Gespräche mutieren zu Geheimgesprächen.
Das kann doch nicht Praxis demokratischer Gesellschaft
sein.
({1})
Wenn dann doch etwas veröffentlicht wird, ist es garantiert ein neuer Vorschlag, wie das Rentenniveau gekürzt
werden kann, ohne dass es draußen jemand bemerkt.
Auch der neue Vorschlag von Arbeitsminister Riester,
Beiträge zur privaten Altersvorsorge vom Bruttolohn
abzuziehen, ist dahin gehend zu bewerten. Er ist nicht
mehr als ein billiger Taschenspielertrick, mit dessen Hilfe das durchschnittliche Nettoeinkommen sinkt und
gleichzeitig der Rentenanstieg begrenzt wird.
Grundsätzlich haben alle Parteien, die an den Rentenkonsensgesprächen beteiligt sind, nur die Ausgabenseite
im Kopf. Dass es auch eine Einnahmenseite gibt, scheinen sie völlig zu ignorieren. Die PDS ist die einzige Partei, die sich über die Einnahmenseite der gesetzlichen
Rentenversicherung ernsthafte Gedanken macht.
In unseren kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellten
Eckpunkten eines Rentenreformkonzeptes schlagen wir
unter anderem vor, den versicherten Personenkreis allmählich auf die gesamte erwachsene Bevölkerung auszudehnen. So wollen wir zukünftig Beamte und Selbstständige einschließlich Minister und uns Abgeordnete in
die gesetzliche Rentenversicherung mit einbeziehen. In
einem ersten Schritt wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze anheben; gleichzeitig sollen die daraus resultierenden zusätzlichen Rentenansprüche nur noch degressiv steigen. Darüber hinaus schlagen wir vor, den
Beitrag der Arbeitgeber auf eine Wertschöpfungsabgabe
der Unternehmen umzustellen. Die Unternehmen sollen
sich entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beteiligen. So werden zum Beispiel arbeitsintensivere Betriebe gegenüber den kapitalintensiven Betrieben
entlastet. Das würde nicht nur zu beträchtlichen Mehreinnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, sondern auch zu einer für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer spürbaren Senkung des Beitragssatzes.
Das ist wohl in unser aller Sinne.
({2})
Das, was die Regierungsfraktionen und die CDU/
CSU betreiben, ist letztlich nichts anderes, als das Vertrauen der jungen Generation in die Rentenversicherung
ganz und gar zu erschüttern. Denn wenn das Rentenniveau sinkt, kann die Attraktivität der Rentenversicherung nur abnehmen. Wenn aber die gesetzliche Rentenversicherung eine Zukunft haben soll, dürfen die Leistungen nicht ständig beschnitten werden. Wir fordern
die sofortige Rückkehr zur Nettolohnanpassung.
({3})
Minister Riester macht zwar einen richtigen Schritt in
die Richtung einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung zur Verhinderung von Altersarmut. Was dabei
herauskommt und angedacht ist, ist allerdings nichts anderes als ein unbürokratischeres Auszahlen einer Sozialhilfe. So können wir Altersarmut nicht verhindern. Denn
das soziokulturelle Existenzminimum ist weitaus höher
anzusiedeln, nämlich bei mindestens 50 Prozent des
durchschnittlichen Nettoeinkommens.
({4})
Meine Damen und Herren, vor allem Frauen weisen
vielfältig unterbrochene Erwerbsbiografien auf. Deren
Folge sind natürlich niedrigere Rentenansprüche. Von
den unsteten Erwerbsbiografien werden aber auch in
Zukunft die Männer betroffen sein. Wir als PDS plädieren für eine allmähliche Umwandlung der Hinterbliebenenrente in eigenständige Ansprüche für Männer und
Frauen. Dazu könnte die Einführung eines Grundbetrages in der gesetzlichen Rente dienen. Das könnte im
Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung geregelt
werden und würde dann bedeuten, dass alle, die in der
GRV 35 Jahre beitragspflichtig angesiedelt und zugehörig sind, einen Mindestentgeltpunktebetrag erhalten, sozusagen als Joker.
Nach den Vorstellungen des Arbeitsministeriums soll
die vollständige Angleichung der Ostrenten an das
Westniveau erst bis zum Jahre 2030 erfolgen. Dies halten wir für völlig unakzeptabel.
({5})
Deshalb schlagen wir vor, diese Zeitspanne auf einen
überschaubaren Horizont von zehn Jahren zu verkürzen.
Durch die zukünftige allgemeine Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre wird zum Beispiel die Attraktivität der gesetzlichen Rentenversicherung weiter beschnitten. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien wollen wir
die Altersgrenze flexibel gestalten. So könnte ein früherer Renteneintritt von der Summe der Beitragsjahre abhängig gemacht werden.
Letztlich: Ziel der gesetzlichen Rentenversicherung
muss es bleiben, ein normales Leben für das Alter zu sichern. Dieses Ziel muss für alle Versicherten ohne zusätzliche private Anstrengung erreichbar sein. Deshalb
hält die PDS konsequent an der beitragsorientierten, umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung fest,
die sich explizit als Vertrag der Generationensolidarität
versteht.
Danke.
({6})
Für die Bundesregierung spricht nunmehr der Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, Walter Riester.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Frau Schwaetzer, ich möchte zuerst Sie ansprechen. Wir haben sicherlich in vielen Punkten unterschiedliche Auffassungen. Ich habe Ihnen heute innerlich aber sehr zugestimmt, als Sie sagten, diese Aktuelle
Stunde wäre dann, wenn sie nicht genutzt würde, um
nach vorn zu blicken, umsonst.
Ich will deshalb keinen weiten Blick zurückwerfen,
weil wir uns dann, wenn wir es täten, alle - ich sage
jetzt bewusst „alle“ -, die an Reformen mitgewirkt haben, eingestehen müssten, dass die Reformen in der
Vergangenheit in Bezug auf die Langfristzielsetzung,
die Alterssicherung langfristig auszurichten, unzureichend - um es einmal vorsichtig zu sagen - waren. Sie
haben nicht ausgereicht. Deswegen sind wir nun gerade
dabei, das zu ändern.
Aber es passt vielleicht hierher, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen, und dazu will ich einen kurzen Ausblick geben. Die Zwischenbilanz gilt den Fragen: Wo
stehen heute - nach der jetzt diskutierten Rentenerhöhung - ab dem 1. Juli die Rentner, wo stehen die Beitragszahler, wo steht das Rentenversicherungssystem? Es mag Sie vielleicht überraschen: Wenn wir die so genannte Standardrente nehmen, so liegt sie am 1. Juli fast
exakt bei dem gleichen Betrag, ob man den Demographieabschlag genommen hätte oder die Rentenerhöhung
des letzten Jahres und die in diesem Jahr zusammenzählt. Die Differenz beträgt genau 2,58 DM. Dort kann
also bei aktueller Betrachtung nicht das Problem liegen.
Betrachten wir die Beitragszahler! Bei den Beitragszahlern ist der Beitrag um 1 Prozentpunkt abgesenkt
worden. Wenn wir den Gesamtverlauf sehen, gilt: Ohne
die Ökosteuer und bei einer Weiterentwicklung des Beitrages ohne die Maßnahmen des letzten Jahres wären
wir sogar 1,1 Prozentpunkte auseinander. Das sind insgesamt 16,5 Milliarden DM, um die die Beitragszahler
und die Betriebe entlastet worden sind.
Nun betrachten wir das Rentenversicherungssystem.
Dabei will ich das, was ich jetzt sage, nicht als Vorwurf
gewertet wissen; es ist ein schlichter Fakt. Als die neue
Regierung angetreten ist, hat das Rentenversicherungssystem noch Rücklagen von 21 Tagen gehabt. Das Gesetz fordert mindestens eine Rücklage von einem Monat.
Wir haben dieser Rücklage im letzten Jahr 8,4 Milliarden DM zugeführt und das Rentenversicherungssystem
steht seit 1994 erstmals wieder auf der Grundlage der
vom Gesetz geforderten Schwankungsreserve. Diese
Zwischenbilanz ist also - so möchte ich zuerst einmal
sagen - eine stabile und gesunde Zwischenbilanz.
({0})
Trotzdem, meine Damen und Herren, reicht es nicht
aus. Das ist ein erster Schritt. Es muss weitergehen.
Deswegen begrüße ich, dass wir in einen parteiübergreifenden Konsens hinsichtlich der Stabilisierung
der Alterssicherung eintreten. Dazu gehört in der Tat,
dass die Sozialversicherungsrente ergänzt - ich betone
„ergänzt“ - werden muss durch eine breitere Eigenvorsorge, eine breitere Entfaltung der betrieblichen Altersvorsorge - wenn es geht; das ist auch eine Frage der
steuerlichen Möglichkeiten - und dazu gehört, dass wir
aus schmalen Strängen wirkliche stabile Säulen machen.
An dem Problem arbeiten wir und das wird einer der
nächsten Punkte sein, die in den gemeinsamen Rentenkonsensgesprächen aufgenommen werden.
Nur, dabei können wir nicht stehen bleiben. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir versuchen wollen,
den Zeitraum von 30 Jahren zu klären und zu regeln einen Zeitraum, wie er noch nie in einer Rentenreform
angegangen worden ist. Ich glaube, das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, und ich würde mich wirklich freuen, wenn
wir im Verlaufe dieses Jahres sagen könnten: Für diesen
Zeitraum können wir über die voraussichtliche Entwicklung des Beitrages und über die voraussichtliche Entwicklung des Rentenniveaus Auskunft geben.
Aber auch das reicht noch nicht. Ich gebe Ihnen Recht,
dass die jetzige Hinterbliebenenrente sicherlich nicht
den Ansprüchen aller Lebensgemeinschaften gerecht
wird. Deswegen wollen wir zwar bei den jetzigen Witwern und Witwen sowie bei den zurzeit Verheirateten,
von denen mindestens einer 40 Jahre ist, nichts ändern,
weil man sich auf neue Systeme nur schwer einstellen
kann. Aber wir möchten für die Jungen neue Systeme
entwickeln. Wir möchten in diesen Systemen Kindererziehung und Kinderbetreuung besser berücksichtigen.
Da möchten wir mit der Opposition versuchen, einen
Konsens zu erreichen.
Außerdem wollen wir das Rentenversicherungssystem im unteren Bereich stärker armutssicher machen.
Nun sagen Sie, das sei nur eine bürokratische Erleichterung. Wenn es das allein wäre, wäre das schon sehr viel
für die Frauen, die nicht zum Sozialamt gehen wollen
oder können, zum Beispiel weil sie sich schämen.
({1})
Dann wäre das schon viel gegenüber der jetzigen Situation.
Ich sage aber auch - um etwaigen Einwänden zu begegnen -: Das wollen wir nicht über die Beitragszahler
finanzieren, sondern das müsste, wie im Übrigen auch
jetzt über die kommunale Regelung, vom Steuerzahler
finanziert werden.
Das sind wichtige Schritte, die wir angehen. Ich denke, dass die Öffentlichkeit gute Signale bekommt, wenn
wir über die besseren Konzepte streiten und die Vergangenheit insofern abhaken, als wir uns gemeinsam eingestehen - der Rentenkonsens 1992 ist ja mit Zustimmung
aller Parteien zustande gekommen -, dass der Versuch
einer Langfristsicherung der Altersvorsorge nicht ausreichend war. Dann könnten wir nach vorne schauen und
die Konzepte angehen, die der Bürger von uns erwartet.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Johannes Singhammer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Bundesminister, das ehrliche Bemühen um einen Rentengipfel und um Ergebnisse kann natürlich nicht zum
Verbot einer Diskussion über aktuelle rentenpolitische
Fragen führen.
({0})
Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
Die 17 Millionen Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland, von denen viele hier zusehen, sind verunsichert, weil diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler in den letzten eineinhalb Jahren fortgesetzt Unsauberkeiten und Rentenschwindel produziert haben.
Deswegen müssen Sie sich anhören, was wir dazu zu
sagen haben.
({1})
Das ist keine Vergangenheitsbewältigung, sondern die
Analyse dessen, woher die derzeitigen Schwierigkeiten
in der Diskussion rühren.
Vor einem Jahr erklärte
Ich stehe dafür, dass die Renten in Zukunft auch so
steigen wie das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. Das ist ein Prinzip, das wir nicht antasten
werden.
126 Tage später erklärte Gerhard Schröder in einem
Interview mit der „Bild“-Zeitung:
Wir haben die Nettolohnformel für die nächsten
zwei Jahre nur ausgesetzt, um wieder dauerhaft Sicherheit in die Renten zu bringen.
Im Herbst dann die kleinlaute Entschuldigung in der
Sendung „Sabine Christiansen“:
Gar keine Frage: Ich habe das seinerzeit vor dem
Hintergrund von Berechnungen gesagt, die ich für
zutreffend hielt, und das war ein Irrtum. Das habe
ich einzugestehen. Lassen Sie es mich mal so sagen: Wenn ich könnte, würde ich zu jedem hingehen und sagen, dieser Irrtum tut mir Leid.
({0})
Wir brauchen keinen Bundeskanzler, der sich entschuldigt, sondern wir brauchen einen Bundeskanzler,
der die Wahrheit sagt, und zwar zu jeder Stunde.
({1})
Wir brauchen auch keinen Bundeskanzler, der zu dem
neudeutschen und politisch korrekten Instrumentarium
der „Nachinformation“ der Bevölkerung greift.
({2})
Auch das wollen wir nicht.
Weil Sie die Jacke falsch zugeknöpft haben,
({3})
nützt es nichts, wenn Sie jetzt unten herumfummeln und
versuchen, irgendwo wieder Ordnung hineinzubringen.
Sie müssen die Jacke völlig aufknöpfen und dann versuchen, das richtig auf die Reihe zu bekommen.
({4})
Ihre aktuellen Schwierigkeiten rühren daher.
Natürlich entsteht bei vielen Rentnern Besorgnis,
wenn sie jetzt hören, dass die Nettolohnformel anders
berechnet werden soll. Niemand glaubt, dass die andere
Art der Berechnung dazu führt, dass am Schluss mehr
dabei herauskommt; vielmehr vermutet oder weiß jeder,
dass die Neuberechnung - wie immer sie aussehen
wird - zu einem Absinken des Rentenniveaus führen
wird.
Dazu sagen wir ganz klar: Da können wir nicht mitmachen. Wir sind zu jeder Art von konstruktiver Zusammenarbeit bereit. Aber für eine Mittäterschaft an einem neuen Rentenschwindel können Sie uns nicht gewinnen.
({5})
Hinzu kommt die Ökosteuer. Es war Ihnen bei all
diesen Überlegungen von vornherein bekannt: Die Ökosteuer trifft vor allem die Rentner, weil sich die Entlastungswirkung bei den Lohnnebenkosten nicht auf sie erstreckt. Die Rentner spüren deshalb eine doppelte Belastung: Sie spüren sie einmal ab dem 1. Juli dieses Jahres,
wenn die Erhöhungen geringer ausfallen, als zunächst
angekündigt und erwartet. Sie spüren zusätzlich die
vermehrten Ausgaben, wenn sie an die Tankstelle fahren, wenn sie heizen wollen oder die Mietnebenkosten
bezahlen müssen.
Wir meinen, dass dies so nicht richtig sein kann, und
fordern Sie auf: Gehen Sie zurück zu der ursprünglichen
Regelung und geben Sie den Rentnern das, was sie erwarten könnten, das heißt in dem Fall: 1,8 Prozent ab
dem 1. Juli. Das ist die richtige Lösung.
({6})
Die Rentnerinnen und Rentner wissen, dass ein
gigantisches Problem auf die Rentenversicherung zukommt. Es ist das demographische Problem. Auf der einen Seite - Gott sei Dank - steigt die durchschnittliche
Lebenserwartung der Menschen in Deutschland jedes
Jahr um vier Wochen. Das ist die Zeit eines Urlaubs.
Darüber sind wir froh und glücklich.
Auf der anderen Seite befinden sich die Geburtenzahlen im freien Fall. Das ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern so. Nun
weiß jeder: Die Kombination dieser beiden Entwicklungen, immer weniger Kinder und eine immer längere Lebenserwartung, führt zu einer ganz schwierigen, bisher
nie gekannten Herausforderung in der Rentenversicherung. Diese wollen wir in der Tat gemeinsam angehen.
Ich sage Ihnen aber auch: Eine Frühverrentung, eine
Diskussion über die Rente mit 60 ist der falsche Weg.
Der richtige Weg geht in eine ganz andere Richtung.
Das gehört dazu, wenn man die Wahrheit über die Rente
sagen will. Wir sind bereit, diesen schwierigen Weg zu
gehen. Wir erwarten aber auch, dass in der aktuellen Tagespolitik die Unsauberkeiten aufhören.
({7})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort der Kollegin
Thea Dückert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Laumann und Herr Singhammer haben hier quasi eine
kleine Abbitte für die Aktuelle Stunde geleistet, indem
sie noch einmal versichert haben, dass sie dennoch an
Konsensgesprächen interessiert seien. Ich meine, Herr
Laumann, Sie haben Recht, das zu tun; denn es ist in der
Tat so, dass diese Aktuelle Stunde und das Verhalten der
CDU/CSU in den Konsensgesprächen doch eher eine
Politik der gespaltenen Zunge als eine klare Linie darstellen.
({0})
Ich selbst bin in den Konsensgesprächen ein Stück
auf den Eindruck hereingefallen, den Sie erweckt haben
- dass Sie nach anfänglichen Schwierigkeiten erst einmal Zeit schinden wollten, haben wir verstanden -, den
Eindruck, Sie seien tatsächlich an Konsensgesprächen
interessiert. Was hier passiert, ist etwas ganz anderes.
Sie machen sehr deutlich, dass Sie zurzeit keine verantwortliche inhaltliche Diskussion über die Rente haben
wollen.
({1})
Sie machen deutlich, dass Sie eigentlich eher an populistischen Kampagnen, auf den NRW-Wahlkampf zugeschnitten, interessiert sind.
({2})
Da ist Ihnen kein Argument zu schade, nicht das Argument, das Rüttgers zum Beispiel mit seinem ausländerfeindlichen Spruch „Kinder statt Inder“ platziert hat,
({3})
aber auch nicht das Argument, mit dem Sie die Rentner
verunsichern, das wieder aufgewärmte Argument von
der Rentenlüge. Der NRW-Wahlkampf, nicht die Rentendebatte, ist der wahre Hintergrund für diese Aktuelle
Stunde.
Ich lasse mich gern einmal auf das Argument ein, das
Sie hier immer wieder strapazieren: die Anpassung der
Rente entsprechend der Preissteigerung bzw. der Inflationsrate. Wir, meine Damen und Herren, haben vor einem Jahr in sehr großer Offenheit eine sehr unpopulistische Maßnahme beschlossen. Sie wird auch umgesetzt.
Die unpopulistische Maßnahme beinhaltet, die Rentenanpassung in den nächsten zwei Jahren entsprechend der
Preissteigerungsrate vorzunehmen.
({4})
Damals wie heute haben wir das niemals verschwiegen,
sondern haben immer offen über die Systematik
argumentiert und - das wissen Sie sehr wohl - immer
darauf hingewiesen, dass der Anpassungsmechanismus
dazu führt, dass die Rentenanpassung jeweils im Juli
eines Jahres erfolgt. Das war so und bleibt so. Die
Offenheit, mit der wir uns dieser Debatte gestellt haben
und von den Rentnerinnen und Rentnern in dieser Situation einen Beitrag gefordert haben, um das Rentensystem weiter zu stabilisieren, ist auch auf Verständnis
gestoßen. Diese große Offenheit, mit der wir diese Diskussion geführt haben, ist das Gegenteil von einer Lüge.
({5})
In dem Zusammenhang sage ich auch, dass es sich
gerade angesichts der vorgebrachten Argumente immer
lohnt, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Ich
weiß, dass Sie das nicht wollen. Das zeigt ja auch Ihre
jetzige Intervention. Sie wollen das nicht, weil es unbequem ist. Ich erinnere Sie aber doch noch einmal daran,
was im Jahre 1995 passiert ist: Die von Ihnen vorgenommene Rentenanpassung lag 0,71 Prozent unterhalb
der Inflationsrate. Was ist im Jahre 1996 passiert? Die
von Ihnen vorgenommene Rentenanpassung lag
0,64 Prozent unterhalb der Inflationsrate.
({6})
Im Jahre 1997 lag sie 0,65 Prozent und im Jahre 1998
1,7 Prozent unterhalb der Inflationsrate; im Jahre 1999
unter Rot-Grün lag die Rentenanpassung dagegen
0,76 Prozent über der Inflationsrate.
({7})
So wird doch ein Schuh daraus! Daran sieht man auch,
mit was für einer gespaltenen Zunge Sie hier argumentieren.
({8})
Ehe Sie uns eine Lüge vorwerfen, sollten Sie sich an
die eigene Nase fassen. In der offenen Debatte im letzten Jahr haben wir - das wird uns von den Medien und
zum Teil auch aus Ihren Reihen bestätigt - sehr ehrlich
argumentiert,
({9})
indem wir über den notwendigen enormen Handlungsbedarf im Rentensystem gesprochen und die Generationengerechtigkeit thematisiert haben.
Meine Damen und Herren, mit dem ersten Schritt, der
Anpassung der Rente entsprechend der Inflationsrate,
haben wir nicht nur den Beitrag der älteren Generation
eingefordert und bekommen, sondern wir haben zunächst einmal in einer schwierigen Ausgangssituation
den notwendigen Spielraum und die Basis für eine zukünftige Rentenstrukturreform geschaffen. Wir haben
noch sehr viel mehr gemacht: Bevor wir jetzt überhaupt
in die Diskussion um die Einzelheiten der Rentenstrukturreform einsteigen, haben wir erst einmal wieder zusätzlichen Spielraum geschaffen, nachdem Sie ihn in der
Vergangenheit verspielt hatten. Wir alle wissen, dass die
gesetzliche Rentenversicherung ergänzt werden und auf
weitere Säulen wie auf die private und die betriebliche
Vorsorge gesetzt werden muss. Mit der Steuerreform
haben wir beispielsweise allein an die privaten Haushalte fast 30 Milliarden DM zurückgegeben, die den Spielraum auch für Menschen mit kleinen Einkommen erhöhen, die private Vorsorge auszubauen. Bereits heute, wo
Sie sich immer noch zieren und verweigern, haben wir
die Ausgangssituation für ein Konzept zur Rentenstrukturreform verbessert.
Wenn es uns wirklich gelingt, die Beiträge für die
junge Generation zu stabilisieren, mit dem zurzeit diskutierten Angebot zur Unterstützung von kleineren Einkommen die betriebliche und die private Vorsorge auszubauen, eine bedarfsorientierte Grundsicherung einzuführen, um die Rente zukünftig auch armutsfest zu machen, und die eigenständige Absicherung von Frauen
auszubauen, dann haben wir dieses Rentensystem in der
Tat für die zukünftige Entwicklung fit gemacht. Es wird
zu einem modernen Mischsystem kommen. Wir fangen
damit an, einen Weg zu gehen, auf dem unsere Nachbarländer schon längst weiter fortgeschritten sind.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU,
den Wahlkampf in NRW überstanden haben, wenn Sie
Ihren neuen Bundesvorstand gewählt haben - ich wünsche Ihnen viel Glück dazu -, dann, so denke ich, sind
Sie möglicherweise wieder in der Lage, in den Konsensgesprächen inhaltlich zu arbeiten.
({10})
Wir laden Sie ein, wir warten darauf.
Vielen Dank.
({11})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Peter Weiß ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rentenkonsensgespräche haben dann einen Sinn, verantwortlicher Umgang mit dem Thema Rente, den Frau Dr. Dückert gefordert hat, hat dann einen Sinn, wenn man sich auf das,
was öffentlich gesagt und angekündigt wird, verlassen
kann
({0})
und nicht jeweils nach wenigen Wochen feststellen
muss, dass alles nicht mehr stimmt, was diese rot-grüne
Bundesregierung, was dieser Arbeitsminister zum Thema Rente vorträgt.
({1})
Das ist der Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde.
Der Bundeskanzler verspricht den Rentnerinnen und
Rentnern nettolohnbezogene Rentensteigerungen. Nach
wenigen Wochen einkassiert! Dann wird versprochen, es
gebe den Inflationsausgleich. Fakt ist: Es gibt in diesem
Jahr den Inflationsausgleich nicht, es gibt Rentenerhöhungen von 0,6 Prozent bei einer Inflationsrate von, wie
derzeit absehbar, 1,8 Prozent. Diese Steigerung der Inflationsrate ist im Übrigen im Wesentlichen durch die
Einführung der Ökosteuer verursacht.
({2})
Auch die Rückkehr zur nettolohnbezogenen Rentenerhöhung, wie von Herrn Riester angekündigt, gibt es
nicht. Vielmehr versucht man mit einem Buchungstrick,
die Nettolohnanpassung nach unten zu rechnen. Damit
ist auch dieses von Riester einmal gegebene Versprechen bereits gebrochen. Wir haben also Rentenbetrug
Nummer eins, zwei und drei erlebt. Was erleben wir
denn noch?
({3})
Wenn Sie zu Ihrer Verteidigung - wie vorhin auch
Frau Staatssekretärin Mascher in der Fragestunde - vortragen, es sei doch logisch, dass es wie im Gesetz vorgesehen laufen müsse, nämlich dass die Inflationsrate des
Vorjahres für die Rentensteigerung in diesem Jahr
zugrunde gelegt werden muss, dann, so muss ich sagen,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, widersprechen
Sie leider Ihrer eigenen Argumentation. Das haben Sie
heute vorgeführt.
({4})
Als Sie Ihren Rentenbetrug Nummer eins begründen
mussten, haben Sie in Anzeigen folgenden Vergleich
angestellt: Sie haben die nettolohnbezogenen Rentenerhöhungen in der Vergangenheit mit den aktuellen Inflationsraten der jeweiligen Jahre verglichen. Dann müssen
Sie sich auch gefallen lassen, dass wir die gleiche Argumentation wie Sie anwenden, nämlich einen Vergleich der Rentensteigerung mit der aktuellen Inflationsrate vornehmen.
({5})
Sie müssen sich eben gefallen lassen, dass die Bürgerinnen und Bürger Sie an Ihrer eigenen Argumentation und
Logik messen, nämlich dass die Rentenanpassung von
plus 0,6 Prozent zum 1. Juli selbstverständlich mit der
aktuellen Inflationsrate von 1,8 Prozent verglichen wird.
({6})
- So ist es aber. Das haben Sie gesagt. Das war Ihre Argumentation. Sie müssen es sich gefallen lassen, dass
Ihnen das von den Bürgerinnen und Bürgern vorgehalten
wird.
({7})
Noch schlimmer ist, dass es gar nicht allein um das
Thema Rente geht. Ihrem Rentenbetrug folgt sogleich
als nächstes Manöver der Betrug an den Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern. Am
22. April 1999 hat die rot-grüne Mehrheit im Deutschen
Bundestag eine Übergangsregelung im Bundessozialhilferecht um zwei Jahre verlängert, nach der die Sozialhilfesätze analog der Rente angepasst werden.
({8})
Bei der damaligen Bundestagsdebatte haben Sie erklärt, das sei deswegen vertretbar, weil sich die Renten
in den nächsten Jahren wahrscheinlich wesentlich stärker als in der Vergangenheit erhöhen dürften. Deswegen
sei dies auch für die Sozialhilfeempfänger eine ganz
praktische Sache. Jetzt gibt es - das ist das Faktum keine nettolohnbezogene Rentenerhöhung, es gibt keinen Inflationsausgleich, es gibt ein Minus. So werden
auch die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger von Ihnen betrogen.
({9})
Ihr drittes Manöver - nach Rentenbetrug und Sozialhilfebetrug -: ist der Betrug an unseren Familien und ihren Kindern.
({10})
- Ich komme noch auf das Bundesverfassungsgericht zu
sprechen.
({11})
Das maßgebliche Kriterium für die Berechnung des
steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Familien
mit Kindern ist die Festlegung der Sozialhilferegelsätze.
({12})
Wenn die Renten und die Sozialhilferegelsätze nicht
mehr in Höhe des Inflationsausgleichs angepasst werden, dann wird auch das Existenzminimum von Familien mit Kindern nicht mehr entsprechend angepasst.
Schlimmer noch: Einer der Hauptpreistreiber in der aktuellen Inflationsentwicklung, nämlich die von Rot-Grün
eingeführte so genannte Ökosteuer, trifft nicht nur die
Rentner und die Sozialhilfebezieher, sondern erst recht
auch die Familien mehrfach, weil sie keine Möglichkeit
haben, die Mehrbelastungen auszugleichen.
({13})
Der in Familienfragen beschlagene und besonders
ausgewiesene Sozialrechtler Jürgen Borchert hat letzte
Woche im „Focus“ zu Recht festgestellt: Die Ökosteuer
erweist sich als Höhepunkt „der materiellen Erdrosselung der Mehrkinderhaushalte“. So ist es leider.
Was haben Sie von Rot-Grün uns in der Vergangenheit alles vorgeworfen! Sie haben uns tagtäglich soziale
Kälte unterstellt.
({14})
Wenn ich das, was Sie heute dazwischengerufen und in
der Vergangenheit vorgetragen haben, mit dem jetzt von
Rot-Grün begangenen Renten-, Sozialhilfe- und Familienbetrug vergleiche, dann kann ich dazu nur eines sagen: Sie haben eine sozialpolitische Eiszeit eingeleitet!
({15})
Für die SPDFraktion spricht die Kollegin Ulla Schmidt aus Aachen.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eigentlich gedacht,
dass der rheinische Karneval und die Zeit der Büttenreden vorbei sind, weil die Fastenzeit angefangen hat.
({0})
Aber wahrscheinlich hat der Kollege Weiß dies noch
nicht mitbekommen; denn seine ganze Rede bewegte
sich auf dem gleichen Niveau wie seine Forderung im
Wahlkreis, dass jeder Abgeordnete noch einmal 2 Milliarden DM extra ausgibt. Da wundert es natürlich nicht,
dass Sie am Ende Ihrer Regierungszeit einen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM angehäuft haben und dass
wir 90 Milliarden DM an Zinsen pro Jahr zahlen müssen
({1})
- das hören Sie nicht gerne -, die uns fehlen, um sie in
Dinge zu investieren, die uns wirklich nach vorne bringen.
({2})
Wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre es eigentlich
zum Lachen.
({3})
Peter Weiß ({4})
Ich sehe den Kollegen Seehofer.
Herr Kollege, wenn Sie in Zeitungsinterviews - Sie geben jeden Tag ein Interview; manchmal wechseln auch
Ihre Positionen - dem Arbeitsminister empfehlen, einen
zweiten Rentenbetrug zu unterlassen, dann frage ich Sie:
Haben Sie eigentlich schon einmal im Spiegel nachgeschaut, ob Ihnen angesichts einer solchen Empfehlung
nicht die Schamröte ins Gesicht steigt? Für eine solche
Empfehlung gibt es nur zwei Gründe: Entweder verstehen Sie nichts von Rentenpolitik, oder es ist blanker Populismus, der Sie solche Zeitungsinterviews geben lässt;
denn Sie wissen, dass eine Anpassung der Renten immer
nur auf der Basis der Daten des Vorjahres möglich ist
und dass wir die Renten nicht in Höhe der geschätzten
Inflationsrate dieses Jahres anheben können. Es kann ja
sein, dass die inflationsbedingte Anpassung der Renten
im nächsten Jahr höher ist als die Preissteigerung im
nächsten Jahr. Das ist dann ein Plus.
({5})
- Hören Sie zu schreien auf! Das ist auch bei jeder
nettolohnbezogenen Anpassung so gewesen. Wo kämen
wir denn hin, wenn wir in diesem Jahr entscheiden
würden, wie hoch die Anpassung der Renten
entsprechend der geschätzten Inflationsrate ausfallen
soll, um anschließend den Rentnern wieder ein bisschen
wegzunehmen? Das ist doch keine seriöse Politik. Das,
was Sie hier vorbringen, ist doch Kleinkinderkram.
({6})
Der Kollege Singhammer fordert hier: Herr Minister,
machen Sie endlich ordentliche Politik und erhöhen Sie
die Rente jetzt um 1,8 Prozent! So muss es sein! Haben
Sie vergessen, was Sie beschlossen hatten? Sie stellen
sich hierhin wie ein Baby, das vom Himmel gefallen ist,
und sagen: Das ist die Welt; erkläre sie mir einmal! Haben Sie vergessen, dass nach Maßgabe Ihrer Rentenpolitik von den von Ihnen geforderten 1,8 Prozent, um die
die Renten angepasst werden sollten, 0,6 Prozent hätten
abgezogen werden müssen, weil Sie nämlich mit der
willkürlichen Einführung des demographischen Faktors
die Abkehr von der nettolohnbezogenen Anpassung der
Rente auf 15 Jahre beschlossen hatten? Nichts anderes
haben Sie gemacht!
({7})
Der Kollege Blüm redet den Zeitungen gegenüber
immer von „unsozial und kopflos“. „Unsozial“ sagt ein
Minister, der in den letzten Jahren in der Rentenpolitik
nur eines gemacht hat: die Ausgabenseite zu beschneiden, und zwar immer zulasten der Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler. Das, was nötig gewesen wäre, nämlich einmal die Einnahmenseite anzugehen, konnte man
in Ihrer Partei überhaupt nicht durchsetzen. Wir haben
die Einnahmenseite verändert. Wir haben demnächst
3 Milliarden DM mehr pro Jahr in der Rentenversicherung,
({8})
weil wir uns endlich an das schwierige Problem der ungeschützt Beschäftigten herangemacht haben. Das haben
Sie nicht gemacht.
({9})
„Unsozial“ sagt ein Minister, der mit dem Wachstumsund Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 in bestehende Rentenanwartschaften eingegriffen hat, was bei
den Frauen zu Rentenkürzungen von durchschnittlich
200 bis 300 DM geführt hat. Wer so etwas getan hat,
braucht über Inflationsausgleich wirklich nicht zu reden.
({10})
„Unsozial“ sagt ein Minister, der 1983 - vielleicht erinnern Sie sich noch - als erste Amtshandlung im Haushaltssicherungsgesetz den Zeitpunkt der Rentenanpassung so en passant vom 1. Januar auf den 1. Juli verschoben hat. Das sagt ein Minister, der die Bedingungen
für die Hinterbliebenenrente verschlechtert hat.
Wir können über alles reden, und vielleicht waren
viele Dinge auch notwendig. Einen Vorwurf müssen Sie
sich aber gefallen lassen: Ihre Rentenpolitik war nie davon geprägt, wirklich dafür zu sorgen, dass die Renten
armutsfest sind. Sie haben vielmehr alles zulasten der
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler geregelt und haben nicht dafür gesorgt, dass es zu einer Gerechtigkeit
zwischen Jung und Alt und zu einer Beständigkeit der
Rente kommt, sodass man wirklich hätte sagen können:
Die Rente ist sicher.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege Julius
Louven spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister
Riester, Sie haben eben erklärt, dass Sie die Aktuelle
Stunde für unnötig halten, und gemeint, wenn wir über
Rente reden, müssten wir uns alle eingestehen, in der
Vergangenheit nicht das Notwendige geleistet zu haben.
Ich will Ihnen dazu sagen, dass wir von Ihnen gelernt
haben, dass man in Aktuellen Stunden bestimmte Dinge
aufarbeiten und diskutieren kann und muss. Ich denke,
allein der Artikel im „Focus“ dieser Woche und die Äußerung von Herrn Rürup machen deutlich, dass eine Aktuelle Stunde zur Rentenproblematik angebracht ist.
Ihre Aktuellen Stunden in der Vergangenheit waren
immer geprägt von der Tendenz, unser Handeln sei
überflüssig. Herr Ostertag hat uns ja eben unsere Sünden
bei der Reha, bei den Ausbildungszeiten und bei der Erhöhung der Altersgrenze vorgehalten. Ich frage Sie, Herr
Ostertag und Herr Minister: Was wäre heute eigentlich,
wenn wir das nicht getan hätten? Ich frage Sie des Weiteren: Warum haben Sie das denn nicht rückgängig geUlla Schmidt ({0})
gemacht, wenn es so falsch ist? Anderes haben Sie doch
auch rückgängig gemacht.
Bevor ich auf Ihre Äußerungen eingehe, die alten Geschichten interessierten Sie nicht, will ich noch einige
Sätze an Frau Schmidt richten. Frau Schmidt, Sie sagen:
Wir haben die Einnahmensituation durch die Neuregelungen für geringfügig Beschäftigte
({1})
- und Scheinselbstständige - um 3 Milliarden DM verbessert. Dann müssen Sie doch fairerweise auch anerkennen, dass damit neue Leistungsansprüche entstehen,
wenn auch nicht sofort. Die Faustregel ist doch: 1 DM
Beitragseinnahme erfordert irgendwann 1,20 DM oder
1,30 DM an Ausgaben.
({2})
Von daher sollten Sie das nicht als Erfolg feiern.
Nun aber zu den alten Geschichten. Wir hatten am
8. Mai 1996 eine Aktuelle Stunde, weil sich die Minister
Waigel und Seehofer im CSU-Vorstand dahin gehend
geäußert hatten, dass an einem demographischen Faktor
kein Weg vorbeiführe. Damals äußerte sich Ihr Sprecher
Dreßler:
Die Regierung und die Koalition sollten sich nicht
einbilden, sie könnten erst die nettolohnbezogene
Rentenformel als langfristige Sicherung des Generationenvertrages feiern und dann nur vier Jahre
später ... wieder abschaffen... Die Herren Blüm,
Kohl und Waigel
- und Seehofer begehen einen Wortbruch... Wir werden diesen
Wortbruch beim Namen nennen.
Nun können Sie sagen: Was interessiert uns Dreßler?
Der ist demnächst irgendwo Botschafter. Ich kann Ihnen
aber entgegenhalten: Sie alle, die Sie damals schon hier
waren, haben Dreßler immer wieder frenetisch Beifall
gespendet.
({3})
In dieser Aktuellen Stunde hat sich auch Herr Dreßen
geäußert. Wo ist er jetzt? - Er ist leider weg. Ich kann
Ihnen aber nicht vorenthalten, was Herr Dreßen sagte:
... wenn der Bundeshaushalt ... den Bilanzgesetzen
für Wirtschaftsunternehmen unterliegen würde,
dann würden die Herren Kohl, Waigel, Blüm neben
Jürgen Schneider in einer Gefängniszelle schmoren ... Diese Herren sind ... die Totengräber des
Systems.
Einer der politischen Offenbarungseide wird uns nun
durch das klaffende Loch in der Rentenversicherung
präsentiert. Das ist nicht nur unsozial, sondern grenzt an
Kriminalität. Damals machten wir uns daran, die Probleme zu lösen.
In besagter Debatte hat sich auch Ihr Fraktionsvorsitzender Scharping geäußert. Er hat darauf hingewiesen,
dass es im Parlament keine Debatte gegeben habe. Er
hat erklärt:
... sondern mit allerlei Interviewäußerungen Verunsicherung und Angst zu säen, ohne konkret zu sagen, was geschehen soll, ist ein Verhalten, das sich
selbst richtet. Sie haben die Wählerinnen belogen;
Sie haben die Rentner und Rentnerinnen betrogen.
({4})
Am 27. Juni 1997 fand die erste Lesung zu unserem
Rentenreformgesetz statt. Damals hat sich Herr Dreßler
wieder markig geäußert. Sie können dies im Protokoll
der Sitzung vom 27. Juni 1997 auf Seite 16775 nachlesen: Was wir versprochen haben - so Dreßler -, wird die
SPD halten. Sie wird nicht das Wort brechen. Wir werden den Wählern vortragen, „ob sie Ihren Weg, Herr
Blüm, der Kürzung gehen wollen oder unseren Weg der
Strukturveränderung“.
({5})
Zur Nettoformel sagte Dreßler auf eine Frage von
Heiner Geißler Folgendes: Die SPD hat das 1989 nicht
nur mitgetragen, sie hat vielmehr einen Parteitagsbeschluss, der dies verlangt. - Ich rede hier von der Nettoformel, die wir gemeinsam eingeführt haben. - In dieser
Frage sind wir nicht das Anhängsel von CDU/CSU. Wir
haben eine eigenständige Position, die wir durchgesetzt
haben. Dies ist ein himmelweiter Unterschied.
Insofern, meine Damen und Herren, haben Sie zu Beginn der Legislaturperiode gegen einen Parteitagsbeschluss verstoßen.
({6})
Auch am 14. November 1996 hatten wir eine Rentendebatte. Darin hat uns Dreßler vorgeworfen:
Die CDU/CSU ist dafür verantwortlich, dass Frauen und Männer länger arbeiten müssen, dass die
gekürzte Anrechenbarkeit von Ausbildungszeiten
die Rente vermindert ... die Rehabilitation, drastisch eingeschränkt werden.
Ich sage es nochmals, Herr Ostertag: Stellen Sie sich
vor, wir hätten dies nicht getan!
Nun könnte ich Ihnen noch weitere schöne Zitate von
all denen bringen, die in der letzten Legislaturperiode an
den Rentendebatten teilgenommen haben.
({7})
Leider fehlt mir dazu die Zeit. Aber - Frau Schmidt,
verlassen Sie sich darauf - ich bekomme noch Gelegenheit, Frau Mascher, Herrn Andres und Herrn Schreiner
zu zitieren. Auch Herr Ostertag hat sich geäußert. Herrn
Dreßen habe ich schon zitiert. Ich komme noch dazu,
Ihnen diese Aussagen vorzuhalten. Sie haben immer so
getan, als sei Handeln nicht notwendig. Sie haben es als
unsozial gebrandmarkt.
({8})
Heute stehen Sie vor dem Dilemma, dass Sie die Probleme nicht gelöst bekommen.
({9})
Ich sage Ihnen dennoch abschließend: Wir sind zu
Konsensverhandlungen bereit, aber nicht nach dem Motto „Die CDU/CSU fürs Grobe und Riester und Genossen
fürs Schöne“. Nach diesem Motto läuft ein Rentenkonsens mit uns nicht.
({10})
Für die SPDFraktion spricht die Kollegin Erika Lotz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich denke, die Not bei der Union ist
groß, dass sie wieder zu diesem Thema eine Aktuelle
Stunde beantragen muss. Ich frage mich: Warum wieder
diese Aktuelle Stunde?
({0})
Ich denke, das hängt nicht nur mit dem Wahlkampf in
NRW zusammen. Ich glaube, dabei geht es auch um Ablenkung von Spendensammlungen oder schwarzen Kassen in Hessen.
({1})
Das mag Ihnen nicht gefallen, aber diese Aktuelle Stunde hat aus meiner Sicht auch diesen Hintergrund.
Herr Singhammer, Sie haben sich hier hingestellt und
den Bundeskanzler angegriffen und sozusagen Wahrheit
gefordert. Ich denke, dem muss man eigentlich nichts
hinzufügen. Diese Aussage spricht für sich.
({2})
Mit Ihrer Aktuellen Stunde erreichen Sie genau das,
was aus unserer Sicht nicht geschehen sollte: Sie verunsichern wieder Rentnerinnen und Rentner, und das ganz
gewaltig.
({3})
Aber auch die Medien scheinen Ihnen zumindest zeitweise auf den Leim gegangen zu sein, wenn ich an die
Diskussion um die Rentenanpassung zum 1. Juli denke.
({4})
Es war immer so, das ist hier schon ausgeführt worden dass sich die Rentenanpassung an der Entwicklung im
Vorjahr orientiert, nur ist es eben in diesem Jahr - die
Preissteigerung.
({5})
- Sie scheinen uns ja sehr viel zuzutrauen, Herr neuer
sozialpolitischer Sprecher Laumann. Sie trauen uns zu,
schon im Januar zu wissen, wie hoch die Preissteigerung
in diesem Jahr sein wird, um die entsprechende Anpassung vornehmen zu können. Aber was Sie tun, ist aus
meiner Sicht unverantwortlich - unverantwortlich, weil
Sie damit ganz einfach Rentner und Rentnerinnen verunsichern.
({6})
Herr Laumann, Sie haben die Konsensgespräche angeführt, im Grunde ein wenig die Hand ausgestreckt.
Aber das, was dann über eine ganze Zeit an Argumentation erfolgt ist, hat sehr wenig mit Konsens zu tun. Es
wäre sicher sinnvoll, uns nicht nur vorzuhalten, kein
Konzept zu haben. Sie kennen es doch genau; Arbeitsminister Riester hat es schon x-mal vorgetragen.
({7})
Aber Sie beharren immer auf dem Demographiefaktor. Was hat denn der Demographiefaktor an sich? Er ist
doch nur ein zusätzlicher Faktor in der Anpassungsformel, eingefügt von Ihnen, um die Lebenserwartung der
65-Jährigen einzurechnen. Sie tun so, als sei dies wissenschaftlich begründet. Das ist aus meiner Sicht eine
Pseudowissenschaft.
({8})
Was sagt denn dieser Faktor? - Die jeweilige Anpassung um die zurückliegenden Werte aus neun oder acht
Jahren soll den Rentenanstieg dämpfen. Warum neun,
warum nicht acht Jahre, warum nicht das vor uns liegende Jahr?
({9})
Eine weitere Frage. Sie hatten ja beschlossen, dass
dieser Faktor nur zur Hälfte wirken soll. Warum nur zur
Hälfte? Wann hätten Sie das eventuell geändert? Die
Arbeitgeberverbände hatten ja die ganze Zeit über gefordert, den Faktor voll zu berechnen.
({10})
Dann soll bei 64 Prozent aufgehört werden. Wo war
die Garantie dafür? Wer glaubt Ihnen denn, dass Sie da
Halt gemacht hätten?
Hören Sie doch auf, in den Verhandlungen, in den
Konsensgesprächen so zu tun, als ob Sie ein Konzept
hätten, sondern setzen Sie sich mit unserem Konzept
auseinander!
({11})
- Mit dem, das Ihnen vorgetragen worden ist, mit dem,
was auf dem Tisch liegt.
({12})
- Es ist doch lachhaft, was Sie hier machen.
({13})
Es zeigt, dass Sie an einem Konsens überhaupt nicht interessiert sind. Das, was Sie hier machen, ist billige Polemik.
({14})
Sie tun so, als würden Sie mit Ihrem Demographiefaktor
den jungen Menschen einen Dienst erweisen, aber genau
Ihr Konzept, Ihr demographischer Faktor hätte doch bewirkt, dass die jüngeren Leute, diejenigen, die unter
50 Jahre alt sind, besonders davon betroffen werden.
({15})
Einen Satz will ich zu dem Vorwurf hinsichtlich der
Ökosteuer noch sagen. Dieser Vorwurf wird von Ihnen
hochgekocht; aber auch Frau Schwaetzer hat sich darauf
eingelassen. Ihr Gedächtnis scheint sehr kurz zu sein.
Sie scheinen auch auf ein kurzes Gedächtnis der Wähler
und Wählerinnen zu setzen. Unter Ihrer Regierung ist
die Mineralölsteuer von 49 Pfennig auf 98 Pfennig angehoben worden.
({16})
Jetzt sind es gerade einmal 12 Pfennig an sozialökologischer Steuer, die darauf aufgeschlagen wurden. Diese
Einnahme kommt voll der Rentenversicherung zugute,
der Sie in der Vergangenheit nur Belastungen aufgebürdet haben.
({17})
Von daher: Reden Sie nicht nur über einen Konsens,
sondern verhalten Sie sich auch ein bisschen danach! Ich
gebe den Mut noch nicht ganz auf, dass wir in weiteren
Gesprächen zu einer Einigung kommen können. Allerdings setzt das von Ihrer Seite ein Stück mehr Bewegung voraus.
Danke schön.
({18})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Horst Seehofer.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es geht schlicht und
einfach um die Frage, in welchem Umfang und Ausmaß
für 17 Millionen Rentner am 1. Juli dieses Jahres
die Rente erhöht wird. Es ist schlimm, mit welcher
Kaltschnäuzigkeit Vertreter der Regierungskoalition
von diesem Sachverhalt, der für die Lebensbedürfnisse,
den Lebensstandard und die Lebensbedingungen von
17 Millionen Menschen von großer Bedeutung ist, hier
abzulenken versuchen, indem sie das Ganze als angebliche Vergangenheitsbewältigung oder Wahlkampf abqualifizieren.
({0})
Das ist für 17 Millionen Menschen von höchster Bedeutung.
({1})
Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass eine Sozialdemokratie kaltschnäuzig darüber hinweggeht.
({2})
Ich möchte Ihnen einmal sagen, worum es tatsächlich
geht. Der „Spiegel“ schreibt in dieser Woche über
Riesters Rententrick. Nach allgemeinem Sprachgebrauch spricht man von einem Trick, wenn Menschen
andere Menschen über ihre wahren Absichten täuschen.
Leider Gottes ist dies in den letzten eineinviertel Jahren
in der deutschen Rentenpolitik zur Methode geworden.
({3})
Das müssen wir aussprechen.
Es geht jetzt gar nicht darum, dass Sie entgegen Ihrer
Wahlaussage die Rentner von der Nettolohnentwicklung
abgekoppelt haben. Wir haben hier Aktuelle Stunden erlebt, in denen diese Wunde von der Opposition aufgedeckt und kritisiert worden ist. Sie haben davon gesprochen, wir würden die Rentner verunsichern, und wir sind
dann davon überrascht worden, dass sich der Bundeskanzler entschuldigt hat. Im Allgemeinen entschuldigt
man sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht dafür, dass man die Wahrheit gesagt hat, sondern dafür,
dass man die Leute angelogen hat. Das ist die Realität.
({4})
Aber darum geht es uns gar nicht. Uns geht es darum,
dass Sie erstens das Gegenteil von dem getan haben,
was Sie im Wahlkampf gesagt haben, und zweitens von
der Nettolohnentwicklung abgerückt sind. Es war fünfzigjähriger Konsens in Deutschland, dass die Rentner an
der wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitnehmer dadurch teilhaben, dass die Renten an die Löhne angekoppelt bleiben. Das haben Sie jetzt für zwei Jahre aufgegeben und gegenüber der Öffentlichkeit so begründet: Regt
euch mal nicht so auf! Wir sorgen dafür, dass die Rentner auf jeden Fall ihre Kaufkraft ausgeglichen bekommen. - An diesen Aussagen, Frau Schmidt, waren auch
Sie beteiligt. Sie haben noch im November 1999, vor
wenigen Wochen, gesagt: Die Bundesregierung hat
einen Inflationsausgleich und damit eine Sicherung der
Kaufkraft zugesagt, egal wie sich die Preise entwickeln.
({5})
Der Bundeskanzler hat auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag der IG-Metall am 6. Oktober 1999, also
nach der Abkoppelung von der Nettolohnentwicklung,
gesagt: Nun noch ein Wort zur Anpassung der Renten in
den nächsten beiden Jahren nach der Preisentwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit das völlig klar
ist: Es handelt sich hier nicht um Kürzungen, sondern
um den Erhalt der Kaufkraft.
Sie müssen den Leuten sagen, was Sie vorhaben. Die
Bundesregierung muss darüber im April noch einen Beschluss fassen. Im letzten Jahr betrug die Inflationsrate
0,6 Prozent. Die aktuelle Inflationsrate liegt nach dem
Statistischen Bundesamt bei 1,8 Prozent und nach den
Prognosen der Regierung für das ganze Jahr 2000 bei
1,5 Prozent.
Sie wählen für die Rentenerhöhung am 1. Juli dieses
Jahres nicht den Kaufkraftausgleich für den Preisanstieg,
den die Rentner durch die von Ihnen veranlasste Ökosteuer in diesem Jahr erleben, sondern Sie wählen zur
Schonung der Rentenversicherung und der Bundeskasse
die Inflationsrate aus dem letzten Jahr. Hierbei bahnt
sich ein neuer Wortbruch an, weil Sie den Rentnern einen Kaufkraftausgleich versprochen haben.
({6})
Sie haben nicht nur den Kaufkraftausgleich versprochen. Sie haben den älteren Leuten auch gesagt: Das ist
etwas Wunderbares; denn dadurch unterscheiden wir
uns von der Regierung Helmut Kohl. Die hat nämlich,
so Riester, mehrere Jahre keinen Inflationsausgleich gewährt. Herr Riester, Sie haben gesagt: Wir nehmen jetzt
das erste Mal seit vier Jahren wieder einen echten Kaufkraftausgleich vor. Sie haben uns mit dem Vorwurf an
den Pranger gestellt, wir hätten das nicht gemacht.
Wir erheben den Vorwurf, dass Sie seit vielen Monaten, so schreibt der „Spiegel“, mit Tricks gegenüber der
älteren Bevölkerung arbeiten. Tricks heißt: Sie machen
das Gegenteil dessen, was Sie in der Öffentlichkeit versprechen. Das tun Sie jetzt wieder.
({7})
Es ist eine ureigene Aufgabe einer Opposition - jenseits der Konsensgespräche, auf die ich noch zu sprechen komme -, den Finger in die Wunde zu legen und
der Öffentlichkeit die Augen dafür zu öffnen, dass zwischen den Worten und den Taten der Bundesregierung
ein so großer Unterschied wie zwischen Karl Marx und
Bill Gates besteht. So groß ist der Unterschied mittlerweile.
({8})
Herr Riester, wir möchten Sie davor schützen, den
nächsten Fehler zu begehen. Sie bekräftigen beinahe in
allen Interviews - zuletzt wieder in der „Bild“-Zeitung die Rückkehr zur Nettolohnformel im Jahre 2002.
Gleichzeitig stellen Sie in Ihrem Hause Überlegungen
an, wie man ab dem Jahre 2002 nicht mehr zur Nettolohnformel zurückkehrt, indem Sie zwar weiterhin davon sprechen: „Wir kehren zur Nettolohnformel zurück“, aber die Nettolohnformel neu definieren, so wie
Sie sie sich vorstellen. Gegenüber dem geltenden Recht
würde das ein Minus bedeuten.
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Deshalb fordern wir Sie auf: Kehren Sie zur Nettolohnanpassung zurück! Wir sind bereit, auch den Demographiefaktor - es handelt sich um einen Abzug von der
Nettolohnentwicklung um 0,4 Prozent - mitzutragen,
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weil wir im Gegensatz zu Ihnen keine Blockadepolitik
machen, sondern staatspolitische Verantwortung bei der
Alterssicherung anstreben.
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Dazu sind wir bereit. Dieser Weg hieße Verlässlichkeit
und würde das Vertrauen in die Rentenversicherung
wieder sichern.
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Ein Letztes. Wenn nun von Finanzbelastungen die
Rede ist, dann möchte ich einmal an die Kolleginnen
und Kollegen der SPD appellieren: In einer Zeit, in der
diesem Parlament ein Gesetzentwurf vorliegt, nach dem
Kapitalgesellschaften, also insbesondere Banken und
Versicherungen, bei der Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen steuerfrei gestellt werden sollen immerhin handelt es sich zulasten des Bundeshaushaltes
um ein Privilegium der großen Konzerne -, belasten Sie
den Steuerzahler mit über 4 Milliarden DM. Sie verkaufen damit die Seele der Sozialdemokratie, wenn Sie
gleichzeitig sagen: Aber für den Kaufkraftausgleich der
Rentner haben wir zu wenig Geld.
Herr Kollege
Seehofer, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Diese Politik ist nicht
stimmig.
Herr Riester, wir sind zu diesem Rentenkonsens bereit; wir führen ernsthafte Gespräche. Ich prognostiziere
Ihnen heute: Wenn wir in die Entscheidungsphase
kommen, dann werden Sie möglicherweise für die Hilfe
im Umgang mit manchen neoliberalen Vorstellungen
und für die Unterstützung bei manchem, was Sie der
SPD-Fraktion zumuten müssen, noch dankbar sein.
Herr Kollege
Seehofer, die Redezeit.
Was die Wahrheit betrifft, sind wir bereit, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, wie wir es vor der Wahl getan haben.
Herr Kollege
Seehofer, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Bei aller Bereitschaft
zum Konsens: Wir sind nicht bereit, uns an Täuschungen und Tricks in der Tagespolitik zu beteiligen; deshalb
wird es trotz dieses Konsenses dabei bleiben, dass wir
als Opposition Ihnen im Tagesgeschäft auf die Finger
schauen.
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Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Olaf Scholz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Sache, dass mittlerweile die Rentenkonsensgespräche stattfinden. Es ist eine gute Sache, dass allseits beteuert wird, nun wolle man
da ordentlich miteinander umgehen. Aber es ist eine
schlechte Sache, wenn das äußere Beiwerk, die öffentlichen Diskussionen außerhalb der Rentenkonsensgespräche, so ausgestaltet ist, dass man das Geschehen nicht
ernsthaft nachempfinden kann. Genau das aber erleben
wir hier gegenwärtig.
Es gehört zu Konsensgesprächen, dass man Argumente nennt, die wirklich gelten und für die man am
Ende auch einstehen will. Außerdem gehört zu Konsensgesprächen - Herr Seehofer, darüber haben Sie am
Schluss gesprochen, als Sie von „Wahrheit“ geredet haben -, dass man keinen unwahren Eindruck vermittelt,
sondern in der Tat präzise über diejenigen Dinge spricht,
die wirklich zu sagen sind. Darum will ich über ein paar
Unseriositäten und Unrichtigkeiten dieser Debatte sprechen.
Die erste ist das, was Sie zum Anlass dieser Aktuellen Stunde genommen haben, die Anpassung nach dem
Inflationsausgleich. Hierzu hat der Bundestag ein Gesetz
beschlossen. Das war keine Geheimveranstaltung; Sie
alle waren dabei. Sie waren zwar gegen das, was wir beschlossen haben; aber Sie haben zugehört und können
die entsprechenden Gesetzestexte nachlesen. Sie könnten den Menschen dann auch wahrerweise sagen, dass
dort steht, dass für zwei Jahre eine Aussetzung der bisherigen Anpassungsformel erfolgt und dass sich in dieser Zeit die Rente jeweils nach der Inflationsrate des
Vorjahres entwickeln soll. In keinem dieser Gesetzestexte steht, dass die Regierung, wie Sie soeben unrichtig
und unwahr suggeriert haben,
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einen Handlungsspielraum hätte, der etwas anderes ermöglichte als eine Anpassung um 0,6 Prozent, über die
jetzt diskutiert wird.
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Wenn die Regierung anders handeln würde, wäre das ein
Gesetzesbruch. Der Bundestag müsste etwas anderes
und Neues beschließen, damit die Regierung das überhaupt könnte.
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Deshalb ist es sehr wichtig, dass nicht darüber diskutiert wird, dass die Bundesregierung etwas anderes tut,
als der Gesetzgeber letztes Jahr beschlossen hat. Wir
sollten vielmehr darüber diskutieren, dass die CDU/CSU
suggeriert, wir hätten im letzten Jahr etwas anderes beschlossen als das, was schwarz auf weiß in den Gesetzen
steht. Ihr Vorgehen entspricht der Unwahrheit und ist
nicht gut für die Rentenkonsensgespräche.
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Die Verschiebung der Wahrheit scheint auch ansonsten etwas zu sein, was Sie im Rahmen dieser Diskussion
für wichtig halten. Ich will deshalb auf Folgendes hinweisen: Wir diskutieren im Rahmen der für zwei Jahre
vorgesehenen Aussetzung der bisherigen Rentenanpassung und der Anpassung entsprechend der Inflationsrate
des Vorjahres über ein Problem, das Sie gerne gehabt
hätten. Denn tatsächlich ist es so, dass die Rentenanpassungen in den letzten Jahren, also seit 1995, immer
schlechter ausgefallen sind, als sie ausgefallen wären,
wenn sie um die Inflationsrate erhöht worden wären.
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Das heißt, die alte Rentenformel hat dazu geführt, dass
die Renten geringer gestiegen sind als die Inflationsrate.
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Und warum? Das hat etwas damit zu tun, dass die Politik der alten Bundesregierung 16 Jahre lang dazu beigetragen hat, dass die Sozialversicherungsbeiträge für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber von 32 auf 42 Prozent
angestiegen sind und sich dadurch die Nettolöhne natürlich nicht ordentlich entwickeln konnten.
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Das hat etwas damit zu tun, dass Sie eine Steuerpolitik
betrieben haben, die den Familien, Menschen mit geringem Einkommen, dem Mittelstand sowie den normalen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern netto immer
weniger von ihrem Bruttolohn belassen hat. Das hat dazu geführt, dass es überhaupt keine Aussicht mehr gab
auf eine Anpassung nach der Entwicklung der Nettolöhne, die die Anpassung nach der Inflationsrate hätte übertreffen können. Hätten Sie weiter regiert, wäre das trotz
aller vorgesehenen Formeln niemals anders gewesen.
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Nach diesen zwei Jahren - mit Ausnahme des ersten
Jahres unserer Regierung, in dem dies schon der Fall
war - wird es das erste Mal dauerhaft die Möglichkeit
geben, dass die Anpassung der Renten wieder oberhalb
der Inflationsrate liegt. Das hat etwas mit der Steuerund Sozialpolitik der Regierung zu tun und darüber sollten Sie richtig sprechen.
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Ich will zum letzten Punkt kommen, den ich in diesem Zusammenhang für bedeutsam halte, nämlich dazu,
dass Sie bereits das nächste Thema ansprechen, angesichts dessen Sie die Wirklichkeit verschieben wollen:
Es handelt sich um die Frage, was in zwei Jahren sein
soll. Da hört man von verschiedenen Seiten - das kann
man übrigens auch nachlesen -, dass man sich - mit
Ausnahme der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und des zuständigen Ministers - nicht sicher ist,
ob man wirklich zur Nettolohnanpassung bzw. zur Anpassung der Renten entsprechend der Lohnentwicklung
wirklich zurückkehren soll. Sie sind dagegen - das haben Sie soeben gesagt -, indem Sie noch einmal den
Demographiefaktor, der für viele Jahre eine Abkehr von
der Nettolohnanpassung darstellt, benannt haben.
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Es gibt übrigens noch viele andere Konzepte, die alle
seitens Ihrer Kommissionsvertreter vorgebracht werden
und die alle besagen: Eine Anpassung nach der Nettolohnformel geht nicht. Auch bei der F.D.P. wird
darüber so diskutiert. Sie werfen jetzt dem Minister, der
angesichts Ihrer Meinung standhaft die Wiederanpassung der Renten entsprechend der Entwicklung der Löhne verteidigt und Sie in den kommenden Gesprächen
von seiner Haltung überzeugen will, vor, er wolle das
nicht. Das ist Demagogie statt Politik. Ich hoffe, Sie
nehmen davon Abstand.
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Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und
unseren Gästen auf den Tribünen weiterhin einen
angenehmen Aufenthalt in Berlin.
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- Ja, hoffentlich weiterhin.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. März 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.