Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/15/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses ({0}) zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen - Drucksache 14/2761 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Die Abgeordnete Erika Simm wünscht das Wort zur Berichterstattung. Ich erteile Ihnen das Wort, Kollegin Simm.

Erika Simm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 14. Deutsche Bundestag hat neben der Prüfung der Bundestagswahl auch über Wahleinsprüche zu entscheiden, mit denen wahlberechtigte Bürger Einwendungen gegen die Vorbereitung und Durchführung der fünften Direktwahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament erheben. Diese Beanstandungen können sich sowohl auf die Art und Weise der Durchführung der Wahl selbst als auch auf die Feststellung des Wahlergebnisses beziehen. Gegen die Wahlen zum 5. Europäischen Parlament sind 41 Wahleinsprüche eingegangen, über die heute zu entscheiden ist. In den meisten Fällen konnte nach gründlicher Prüfung kein Wahlfehler festgestellt werden. Selbst dann, wenn ein Wahlfehler festgestellt worden ist, kann er nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zum Erfolg des Wahleinspruchs führen, wenn sich der Fehler nicht auf die Verteilung der Mandate der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament auswirkt. In keinem der zu prüfenden Einsprüche war dies der Fall. Dennoch geht der Wahlprüfungsausschuss jedem Vortrag gründlich nach, nicht zuletzt deshalb, um für zukünftige Wahlen Missstände abstellen und Anregungen für eine Überprüfung der Wahlrechtsvorschriften bzw. Vorschläge für eine Verbesserung der Vorbereitung und Durchführung der Wahl an die Bundesregierung geben zu können. Derartige Anregungen werden üblicherweise in einer Entschließung mit Prüfungsbitten an die Bundesregierung zusammengefasst. Dazu verweise ich auf Ziffer 3 der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Nachfolgend möchte ich - auch wenn hier kein vollständiger Bericht über jeden einzelnen Wahleinspruch möglich und angebracht ist - zumindest exemplarisch auf einige Aspekte hinweisen, die bei der Europawahl 1999 zu Einsprüchen geführt haben. Hervorzuheben ist die bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der Bundestagswahl geäußerte Anregung, die Teilnahme von im Ausland lebenden Wahlberechtigten an der Wahl durch bessere Information und Verlängerung der Fristen zu erleichtern. ({0}) So hatte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ein so genanntes Infoblatt zur Europawahl erstellt, welches einen Vordruck enthielt, mit dem wahlberechtigte Deutsche im Ausland Antragsformulare für die Eintragung in das Wählerverzeichnis anfordern konnten. Dies ist im Grundsatz zu begrüßen. Bedauerlicherweise ist dieses Infoblatt zu spät versandt worden, sodass viele im Ausland lebende Deutsche wegen der längeren Postlaufzeiten den Antrag zur Eintragung in das Wählerverzeichnis nicht mehr fristgerecht stellen konnten. Die Versendung derartiger Infoblätter sollte deshalb in Zukunft rechtzeitig erfolgen. ({1}) Ein Schwerpunkt der Beanstandungen bei der Europawahl lag darin, dass nicht deutsche Bürger der Europäischen Union, die in der Bundesrepublik Deutschland ihren ständigen Wohnsitz haben, nur auf Antrag in das Wählerverzeichnis eingetragen werden. Der Antrag musste bei der letzten Wahl bis zum 34. Tag vor der Wahl gestellt sein. Viele Unionsbürger waren jedoch davon ausgegangen, dass sie wie deutsche Wahlberechtigte von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen werden. Sie haben deshalb die Antragsfrist versäumt. Bestärkt wurden einige von ihnen in dieser Annahme dadurch, dass sie bereits 1994 ihr Wahlrecht zur Europawahl in Deutschland ausgeübt hatten und deshalb meinten, dass ein einmaliger Antrag zur Eintragung in das Wählerverzeichnis auch auf nachfolgende Wahlen wirke. Andere Unionsbürger wiederum hatten für die am gleichen Tag in ihrer Wohnsitzgemeinde stattfindenden Kommunalwahlen eine Wahlbenachrichtigung erhalten, ohne dass sie dafür einen Antrag hätten stellen müssen, und vermuteten deshalb, auch für die Europawahl ihre Stimme abgeben zu dürfen, was jedoch nach der geltenden Rechtslage ohne gesonderten Antrag nicht möglich ist. Diese Rechtslage hat bei einer Reihe von Unionsbürgern zu Unverständnis und Verärgerung geführt. Auch die Europäische Kommission hat die geltende deutsche Regelung in der Europawahlordnung bereits beanstandet. Eine diesbezügliche Rechtsänderung ist nun geplant. Der Wahlprüfungsausschuss unterstützt mehrheitlich ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die Wahlrechtsvorschriften dahin gehend zu ändern, dass hier lebende, nicht deutsche Unionsbürger, die 1999 oder bei künftigen Europawahlen auf ihren Antrag in Deutschland in ein Wählerverzeichnis eingetragen worden sind, bei dann folgenden Europawahlen von Amts wegen wieder eingetragen werden, ohne einen neuerlichen Antrag stellen zu müssen. Eine weitere zu klärende Frage betraf den Zeitpunkt des Eingangs von Wahlbriefen und deren Berücksichtigung bei der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses. Die Stadt Solingen hat 243 Wahlbriefe, die am Montag nach der Wahl aus dem Postfach der Stadt abgeholt worden sind, als nicht mehr rechtzeitig eingegangen gewertet und deshalb bei der Feststellung des Wahlergebnisses nicht berücksichtigt. Diese Wahlbriefe stammten aus der Briefkastenleerung am Freitag vor der Wahl und sind noch am Freitag in das Postfach der Stadt Solingen bei der Deutschen Post AG einsortiert worden. Sie hätten somit am Samstag vor der Wahl aus dem Postfach der Stadt abgeholt werden können, was nicht geschehen ist. Dem Wähler kann dieses Versäumnis des Wahlamtes der Stadt Solingen nicht zugerechnet werden. Die Wahlbriefe gelten mit dem Einsortieren in das Postfach der Stadt als eingegangen, weil sie damit in den Machtbereich des Empfängers gelangt sind. Sie hätten bei der Feststellung des Wahlergebnisses mitgezählt werden müssen. In einem anderen Fall hat die Stadtverwaltung Bonn mit der Deutschen Post AG extra eine eigene Postleitzahl für das Postaufkommen zur Europawahl vereinbart, um dieses von dem allgemeinen Posteingang zu trennen und die schnelle Beförderung von Briefwahlanträgen zu gewährleisten. Die Deutsche Post AG hat es jedoch versäumt, ihre Mitarbeiter im zuständigen Briefzentrum davon zu unterrichten. Deshalb haben die Mitarbeiter des Briefzentrums, die mit der besonderen Postleitzahl nichts anfangen konnten, die Post zunächst einfach gesammelt. Nach einer Woche wurden der Stadt Bonn dann zehn Behälter mit Briefwahlanträgen übergeben, wodurch die Bearbeitung der Anträge erheblich verzögert worden ist. Derartige Informationsfehler müssen künftig vermieden werden. Nur als Anmerkung: In beiden Fällen - wir haben nachrechnen lassen - hatte aber dieser Fehler keine Auswirkungen. Wenn er also vermieden worden wäre, hätte sich am Ergebnis nichts geändert. Deswegen konnte den Einsprüchen nicht stattgegeben werden. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Veröffentlichung von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über ihre Wahlentscheidung vor Ablauf der Wahlzeit verboten ist. Dieses Verbot richtet sich insbesondere an die Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehanstalten. Es soll verhindern, dass Wahlberechtigte, die noch nicht gewählt haben, sich durch die vorzeitige Veröffentlichung von Umfrageergebnissen in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen lassen. Gegen dieses Verbot wurde auch bei der Europawahl wieder verstoßen. Ich bitte deshalb die hier angesprochenen Medien dringend, die Veröffentlichung von Wählerbefragungen vor Ablauf der Wahlzeit bei zukünftigen Wahlen zu unterlassen. Des Weiteren muss bei künftigen Europawahlen trotz möglicher Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung darauf geachtet werden, dass der Wahlvorstand mit der Stimmauszählung im Wahllokal erst nach Ende der Stimmabgabe in den anderen Mitgliedstaaten beginnen darf. Durch diese Regelung soll ebenfalls eine mögliche Beeinflussung von Wählern in anderen Mitgliedstaaten durch das vorzeitige Bekanntwerden von Wahlergebnissen verhindert werden. In Ziffer 3 der vorliegenden Beschlussempfehlung wird die Bundesregierung deshalb ausdrücklich darum gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass die entsprechende Vorschrift des Europawahlgesetzes bei künftigen Europawahlen eingehalten wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Sorgfalt und großer Mühe, die sich unsere Mitarbeiter im Sekretariat gegeben haben - dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei ihnen, ({2}) ohne sie hätten wir diese Wahleinsprüche nicht so flott erledigen können; ich bin stolz darauf, dass es dieses Mal nicht so lange gedauert hat -, sind uns zwei kleine Versehen unterlaufen, auf die ich hinweisen möchte, ehe wir über das Votum abstimmen, weil die Anlagen dementsprechend geändert werden müssen. Es sind zwei Fälle. Der erste Fall betrifft die Anlage 30 mit dem Aktenzeichen EuWP 34/99. In dem Kapitel „Entscheidungsgründe“ - nur dort ist dieser kleine Fehler unterlaufen - muss das Wort „nicht“ gestrichen werden. Der Passus lautet dann: Der Einspruch ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegründet. Der zweite Fall findet sich in der Anlage 35 mit dem Aktenzeichen EuWP 7/99. Dort muss der Passus bezüglich des Einspruches im Kapitel „Entscheidungsgründe“ heißen: Er ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegründet. Ich bitte, Herr Präsident, diese Berichtigung der, wie gesagt, nur in den Begründungen der EinspruchsentErika Simm scheidungen aufgetretenen zwei Fehler bei der Abstimmung zugrunde zu legen. Abschließend möchte ich Sie bitten, der Beschlussempfehlung, die vom Wahlprüfungsausschuss bei einer Stimmenthaltung zu Ziffer 3, Buchstabe a, zweiter Spiegelstrich, im Übrigen aber einstimmig verabschiedet worden ist, insgesamt zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Simm. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 14/2761 mit den soeben vorgetragenen Berichtigungen? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: nationaler beschäftigungspolitischer Aktionsplan 2000. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Kollegin Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Danke schön, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die Bundesregierung den nationalen beschäftigungspolitischen Aktionsplan 2000 verabschiedet. Der NAP, wie er in Kurzform genannt wird, ist wichtiger Bestandteil einer koordinierten europäischen Beschäftigungsinitiative. Mit dem Vertrag von Amsterdam hat die Europäische Union die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur gemeinsamen Aufgabe erklärt. Zusammen mit den Strategien, auf ein möglichst spannungsfreies Zusammenspiel von Lohnentwicklung, Finanz- und Geldpolitik hinzuwirken - dem so genannten Köln-Prozess -, durch Strukturreformen für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Funktionierens der Märkte beizutragen - dem so genannten Cardiff-Prozess -, bildet der so genannte Luxemburg-Prozess den dritten Eckpfeiler des europäischen Beschäftigungspaktes. Im Rahmen dieses Luxemburg-Prozesses legen die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission dem Europäischen Rat jährlich einen gemeinsamen Bericht über die Beschäftigungslage und über die Umsetzung von beschäftigungspolitischen Leitlinien vor. Grundlage hierfür bilden die nationalen Aktionspläne. Mit dem Luxemburg-Prozess wird somit ein ständiger beschäftigungspolitisch orientierter Überwachungs-, Anpassungsund Umsetzungsprozess in Gang gehalten. Der NAP stützt sich auf eine breite Basis. Es handelt sich um einen Bericht der Bundesregierung, der unter Federführung des Bundesfinanzministeriums entstanden ist. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt naturgemäß im Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Länder waren ebenfalls beteiligt. Auch die Sozialpartner haben entsprechend unserer Vorstellung eines gesellschaftlichen Dialogs mitgewirkt. Der Europäische Rat in Helsinki vom Dezember des vergangenen Jahres hat sich auf der Grundlage des letzten gemeinsamen Beschäftigungsberichtes auf 21 beschäftigungspolitische Leitlinien verständigt, die weitgehend eine Fortschreibung der vorangegangenen Leitlinien darstellen. Der Bericht folgt dieser Gliederung. Der NAP nimmt die im Jahreswirtschaftsbericht entwickelte beschäftigungspolitische Strategie der Bundesregierung auf und übersetzt sie in konkrete Maßnahmen. Der Bericht beschreibt die Maßnahmen, die zur Umsetzung der Leitlinien ergriffen worden sind oder die sich in der Planung befinden. Der NAP 2000 beschreibt die Grundlinien der Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Frauen-, Mittelstands- sowie der Steuer- und Abgabenpolitik, die sich im Zusammenspiel zu einer beschäftigungsfördernden Gesamtstrategie ergänzen. Gleichzeitig gibt er Rechenschaft über die deutsche Reaktion auf die Empfehlungen, die der Europäische Rat als Folge der Ergebnisse des letzten Beschäftigungsberichts für Deutschland formulierte. Schwerpunkte des nationalen Aktionsprogramms zur Beschäftigungspolitik sind folgende: Der rasche technische Fortschritt und die zunehmende Wettbewerbsintensität - Stichwort Globalisierung - lösen einen permanenten Strukturwandel aus. Er ist zugleich Ergebnis und Voraussetzung einer stärkeren Wachstumsdynamik. Die Wahrnehmung von Wachstums- und Innovationschancen hängt entscheidend davon ab, wie rasch und wie stark die Märkte auf veränderte Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Strukturreformen müssen deshalb gleichermaßen am Steuer- und Transfersystem, am Arbeitsmarkt sowie an den übrigen Güter- und Faktormärkten ansetzen. Mit dem Zukunftsprogramm 2000 und der Steuerreform 2000 hat die Bundesregierung die Weichen für eine umfassende und wirksame Modernisierung der Wirtschaft gestellt. Die Empfehlungen des Europäischen Rates hinsichtlich einer stärker wachstums- und beschäftigungsorientierten Steuerpolitik sowie einer Verringerung der Arbeitskosten durch Senkung der Steuer- und Abgabenlasten haben wir bereits beherzigt. Unser mittelfristiges Konzept der Haushaltskonsolidierung und der Steuersenkungen schafft - zusammen mit den notwendigen Strukturreformen - die Basis für mehr Investitionen und Arbeitsplätze. In der Arbeitsmarktpolitik geht es vor allem darum, aktiven Maßnahmen eindeutigen Vorrang vor passiven Lohnersatzleistungen einzuräumen. Ein wichtiges Ziel ist es, den Zugang in die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich zu verringern. So hat die Bundesregierung das Arbeitsförderungsrecht stärker zielgruppenorientiert und entschiedener auf die Verhinderung von LangzeitarbeitsErika Simm losigkeit ausgerichtet. Zudem wird das erfolgreiche Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit mit Angeboten zur Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugendlicher im laufenden Jahr fortgesetzt. Zukunftsaufgaben werden finanziell gestärkt bzw. gesichert. Deshalb werden die Investitionen in Forschung, Bildung und Wissenschaft Jahr für Jahr erhöht und die Investitionen in die Infrastruktur verstetigt. Moderne Innovationspolitik ist eine Querschnittsund Managementaufgabe, die nur in Zusammenarbeit verschiedener Politikbereiche erfolgreich gestaltet werden kann. Somit gilt es, ein Klima zu schaffen, in dem Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie neue Entfaltungsmöglichkeiten erhalten und der notwendige Unternehmergeist gefördert wird. Der jungen Generation wie der Gesellschaft insgesamt sollen neue Wege zu aktivem Handeln, zu Innovation und Verantwortung eröffnet werden. Nur eine ständig lernende Gesellschaft kann diesen Herausforderungen gerecht werden. Weitere wichtige Zukunftsaufgaben sind Strukturreformen auf den Güter- und Faktormärkten, die darauf abzielen, den Wettbewerb zu stärken, Raum für private Initiative zu öffnen und neue Wachstums- und Beschäftigungschancen zu erschließen. Die Bewältigung der Beschäftigungsprobleme und die notwendigen Reformen sind nur mit der Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen möglich. Gesellschaftlicher Dialog und sozialer Ausgleich sind deshalb elementare Bestandteile der wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeption der Bundesregierung. Das von der Bundesregierung initiierte Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit schafft einen dauerhaften Rahmen für diesen Dialog und regt dazu an, Reformen und Beschäftigungspotenziale zu identifizieren und zu aktivieren. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass ein entscheidender Abbau der Arbeitslosigkeit nur im wechselseitigen Zusammenspiel günstiger makroökonomischer Rahmenbedingungen und nachhaltiger Strukturreformen zu erreichen ist. Die erfolgreiche Umsetzung eines umfassenden Reformkonzepts setzt aber ein hohes Maß an sozialem Konsens voraus. Der NAP ist Teil dieser Strategie. Er legt Rechenschaft über konkrete Politik ab und verbindet nationales Handeln mit europäischer Perspektive. Danke schön.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Bitte schön.

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung ist im Herbst 1998 mit der Aussage angetreten, sich an der Zahl der Arbeitsplätze messen zu lassen. Wir hatten 1998 erstmals die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen überschritten. Nach einem Jahr neuer Bundesregierung wurde sie 1999 und jetzt auch im Januar und Februar 2000 wieder überschritten. Sie legen hier einen Aktionsplan ohne Aktion vor. Ich frage Sie - vielleicht habe ich das überlesen oder eben bei Ihnen überhört -, welche konkreten Aktionen Sie vorhaben. Ich frage Sie insbesondere nach dem Umgang der Bundesregierung mit den Vorschlägen, die die Bundesbank, die OECD, der Sachverständigenrat und der Internationale Währungsfonds in den letzten Monaten vorgelegt haben. Ich frage Sie nach Strukturreformen im Bereich des Arbeitsrechts, des Tarifrechts und des Arbeitsmarktrechts. Ich habe von Ihnen dazu noch nichts gehört und habe Ihrer Veröffentlichung vorhin nur entnehmen können, dass etwas Bewegung in den Bereich der Arbeitszeit kommen soll. Ich frage in diesem Punkt nach: Ist die Bundesregierung jetzt endlich bereit, das nachzubessern, was bei Holzmann illegal läuft, nämlich dass zugunsten von Arbeitsplätzen betriebliche Tarifabschlüsse zugelassen werden? Sind Sie bereit, entsprechende gesetzliche Möglichkeiten für alle Unternehmen und alle Branchen zu schaffen? Sind Sie ferner bereit, auch das Problem der informationstechnischen Berufe anzugehen, auf das der Bundeskanzler hingewiesen hat? Es liegt ja darin begründet, dass unser Arbeitsmarkt und unsere Arbeitsvermittlung viel zu langsam auf die schnelle Entwicklung in der Welt reagieren. Hier sind dringend Strukturreformen notwendig. Plant die Bundesregierung konkrete Gesetzesvorhaben? Wenn ja: Welche können Sie hier benennen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, wir sind zu allen diesen Aufgaben bereit, zumal wir wissen, dass Sie uns diese Aufgaben hinterlassen haben. Alle diese Strukturreformen sind deshalb notwendig, weil sie in Ihrer Regierungszeit nicht angegangen worden sind. Auf die Einzelheiten wird mein Kollege Gerd Andres jetzt eingehen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bevor wir zu weiteren Fragen zu diesem Themenbereich kommen, gebe ich dem Staatssekretär Gerd Andres das Wort.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich angesichts des Umfangs der Frage des Abgeordneten Protzner mindestens eine halbe Stunde benötigen würde, um diese umfangreiche Frage zu beantworten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich hoffe, Sie können sich beherrschen.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich kann mich beherrschen. Deswegen will ich es ein bisschen zuspitzen und meine Antwort mit der Bemerkung einleiten, dass der Kollege Protzner in den letzten anderthalb Jahren offensichtlich im Deutschen Bundestag nicht anwesend war. Ich will ihn zunächst daran erinnern, dass die alte Bundesregierung mit der Spitzenzahl von 4,8 Millionen registrierten Arbeitslosen in das Jahr 1998 gestartet war. Es ist uns im vergangenen Jahr gelungen, die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt um 180 000 abzusenken. Wenn Sie sich mit dem nationalen Aktionsplan, der dem Parlament zugeleitet wird, auseinander setzen, werden Sie feststellen, dass wir im Rahmen der Luxemburger beschäftigungspolitischen Leitlinien eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, die dazu geführt haben, dass wir im Wesentlichen zwei Trends ganz entscheidend geändert haben, Herr Abgeordneter Protzner. Erstens. Die Zahl der arbeitslos registrierten Jugendlichen unter 25 Jahren steigt nicht mehr an, sondern ist deutlich zurückgegangen, um mehr als 40 000. Zweitens. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Maßnahmen auf den Weg gebracht - dies ist ein weiteres wichtiges beschäftigungspolitisches Ziel der Luxemburger Leitlinien -, um den Trend des Ansteigens der Langzeitarbeitslosigkeit zu brechen und ihn umzukehren. Wir gehen nach all dem, was wir auf der Grundlage der Prognosen von Sachverständigenrat und Jahreswirtschaftsbericht wissen, davon aus, dass es uns gelingen wird, die Zahl der arbeitslos registrierten Menschen in diesem Jahr um etwa 200 000 nach unten zu entwickeln. ({0}) Möglicherweise wird diese Zahl noch übertroffen werden. Hinsichtlich der Frage der Umwandlung von passiven in aktive Maßnahmen hat die neue Bundesregierung eine deutliche Trendumkehr einleiten können, indem sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente - im Gegensatz zu dem, was die Vorgängerregierung getan hat - verstetigt hat. Auch dieses ist eine der beschäftigungspolitischen Leitlinien, wie Sie sicherlich wissen, Herr Protzner, um hier entsprechend agieren zu können. Sie sehen an diesen Beispielen, dass wir schon wesentliche Schritte eingeleitet haben, die noch weitere Früchte tragen werden. Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass sich die beschäftigungspolitischen Empfehlungen der Kommission, über die auch meine Kollegin Hendricks gesprochen hat, auf die Politik der alten Bundesregierung bezogen haben, nämlich auf den nationalen Aktionsplan 1998. Ich würde Ihnen raten, sich diese Empfehlung einmal anzuschauen. Dann würden Sie möglicherweise Ihre Frage im Plenum des Deutschen Bundestages ein bisschen zurückhaltender stellen. Angesichts Ihrer Frage im Zusammenhang von OECD und Weltwährungsfonds würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal anzuschauen, auf welche Grundlage sich diese Berichte und Positionen beziehen. Denn es ist bemerkenswert, dass sich die Dinge, die öffentlich gehandelt werden, in ihrem Beurteilungszeitraum im Wesentlichen auf das Jahr 1998 beziehen. Das bedeutet, dass dies Wahrnehmungen und Empfehlungen sind, die sich vornehmlich auf Ihre eigene Politik beziehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Fragen dazu?

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine weitere Frage dazu. Frau Staatssekretärin, ich habe nicht nach Beispielen - deswegen verbitte ich mir auch die Belehrungen von der Regierungsbank -, sondern nach Gesetzesvorhaben gefragt. ({0}) - Ich habe gesagt, ich verbitte mir das schlicht und einfach. Ich habe nach Gesetzesvorhaben gefragt und beziehe mich hier ausdrücklich auf die Aussage der Frau Staatssekretärin Hendricks, die in ihrer Ankündigung - ich zitiere wörtlich - von „Strukturreformen“ gesprochen hat. Im weiteren Verlauf ihrer Rede habe ich aber keine Vorschläge für Strukturreformen gefunden. Herr Andres, auch die Beispiele, die Sie hinsichtlich der europäischen Vereinbarungen angesprochen haben, weisen mich nicht auf Strukturreformen hin. Ich frage Sie daher noch einmal nach den Strukturreformen und verweise hier ausdrücklich auf Holzmann und ITBerufe.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Zunächst einmal sind die Fragen der Strukturreform umfassender zu betrachten. Wenn ich meinen engeren Zuständigkeitsbereich sehe, muss ich darauf hinweisen: Wir haben wesentliche Strukturreformen in der Steuerpolitik in die Wege geleitet, die Beschäftigungsmöglichkeiten erweitern und die Aufnahme einer Beschäftigung attraktiver machen. Zum Arbeitsmarktbereich wird sich gleich mein Kollege Gerd Andres äußern. Wenn Sie sich dagegen verwahren, von der Regierung belehrt zu werden, so kann ich dazu nur sagen, dass die Regierung antworten kann, wie sie will. Dieses Recht steht ihr nach der Geschäftsordnung zu. ({0}) Sie darf antworten, wie sie will. Natürlich - darf sie was völlig klar ist - nicht beleidigend werden. Aber sonst darf sie antworten, wie sie will. Das müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen. Was die IT-Berufe anbelangt, finde ich es schon erstaunlich, dass Sie gerade diesen Bereich anmahnen. Der Kollege Ihrer Fraktion, der sich in den vergangenen JahParl. Staatssekretär Gerd Andres ren Zukunftsminister genannt hat und der sich in den letzten Tagen durch eine haarsträubende Äußerung in diesem Zusammenhang hervorgetan hat, sieht offenbar nicht mehr, welche Verantwortung er dafür hat, dass in den vergangenen Jahren zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten in den IT-Berufen bestanden haben. Er ist heute vorsichtshalber nicht anwesend, weil er sich sonst mit seinen haarsträubenden Äußerungen konfrontiert sehen müsste. Sie sollten ein bisschen vorsichtig sein. Sie wissen, dass die Bundesregierung in deutscher Initiative einen Dialog 21 mit der Wirtschaft verabredet hat, wonach über die schon verabredeten 40 000 Ausbildungsmöglichkeiten hinaus weitere 60 000 Ausbildungsmöglichkeiten vorgesehen werden. Es sind in kurzer Zeit Initiativen in Gang gesetzt worden, die leider durch so genannte Zukunftsminister und andere Regierungsverantwortliche in der Vergangenheit - um es vorsichtig auszudrücken - verschlafen worden sind. Zum Arbeitsmarktbereich wird sich jetzt mein Kollege Andres äußern. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Protzner, ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Wenn Sie die Frage stellen, was die Regierung praktisch getan hat, dann müssen Sie es schon mir überlassen, Ihnen Beispiele zu nennen, wo die Regierung praktisch gehandelt hat. Da Sie danach fragen, was wir weiter vorhaben, werde ich die Gelegenheit dazu ausdrücklich nutzen, um Sie umfassend - so weit dies im Rahmen der Befragung geht zu informieren, damit Sie auf einen vernünftigen Informationsstand kommen. Dies ist auch ein Anliegen dieser Diskussion hier. Zu der Leitlinie Nr. 1 - Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - habe ich bereits geantwortet. Betreffend die Leitlinie Nr. 2 - Verhütung der Langzeitarbeitslosigkeit - habe ich deutlich gemacht, dass wir den Trend, der sich unter Ihrer Regierungszeit ständig verstärkt hat, umgedreht haben und gute Erfolge vorweisen können. Die Leitlinie Nr. 3 setzt sich auseinander mit dem Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen. Auch dazu habe ich Ihnen bereits einiges genannt. Ich will als Beispiel die Leitlinie Nr. 14 herausgreifen. Meine Kollegin aus dem Bundesfinanzministerium hat bereits darauf hingewiesen: Wir haben dadurch, dass wir in mehreren Reformschritten die Lohn- und Einkommensteuer reformieren und in einem ganz großen Paket die Unternehmensteuer verändern werden, wesentlich auf das reagiert, was in diesen beschäftigungspolitischen Leitlinien enthalten ist. Die Leitlinien Nr. 15 und Nr. 16 setzen sich mit der Modernisierung der Arbeitsorganisation auseinander. Frau Hendricks hat schon darauf hingewiesen, dass es sich um eine Frage handelt, die wir im Bündnis für Arbeit diskutieren. Da messen wir dem Bündnis eine ganz besondere Bedeutung zu. Ich kann Sie darauf hinweisen, dass wir in Dialogform in entprechenden Arbeitsgruppen hinsichtlich Fragen der Arbeitszeit, der Teilzeitarbeit, aber auch der Altersteilzeit wichtige Fortschritte erzielt haben. Gerade heute hat das Bundeskabinett neben der Verabschiedung des nationalen Aktionsplanes auch beschlossen, das Gesetz über die Altersteilzeit nach Absprachen im Bündnis für Arbeit erneut zu verändern. Wie ich finde, ist das ein wichtiger strukturpolitischer Schritt, mit dem wir entsprechend reagieren und Schlussfolgerungen aus Empfehlungen der Kommission ziehen. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass heute, gerade in dieser Stunde, parteiübergreifende Gespräche über eine umfassende Rentenreform stattfinden. Eine der Maßgaben, nämlich die gesetzlich definierten Lohnnebenkosten abzusenken, hat die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr umgesetzt. Zum 1. Januar hat sie sie noch einmal abgesenkt. Ich weise auch darauf hin, dass wir zum 1. April des vergangenen Jahres die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte und zum 1. Januar dieses Jahres noch einmal um 0,2 Prozentpunkte abgesenkt haben. Binnen neun Monaten macht das faktisch eine Absenkung von einem ganzen Prozentpunkt aus. Sie können in den Annalen Ihrer Bundesregierung einmal nachschauen, wann das Ihnen letztmalig gelungen ist. Wir werden mit einer umfassenden Reform der Rentenversicherung in diesem Jahr mit dazu beitragen, dass eine Neutarierung der Verbindung zwischen Beschäftigungssystem und sozialem Sicherungssystem stattfindet. Ich könnte endlos weitermachen; aber ich schenke es mir erst einmal und freue mich auf weitere Fragen von Ihrer Seite. Ich werde immer die Gelegenheit nutzen, das zu erläutern, was die Bundesregierung auf den Weg bringt. Sie können das im nationalen Aktionsplan nachlesen. Der Bundestag berät ihn entsprechend. Wir reagieren mit diesem nationalen Aktionsplan. Ich denke, wir sind sehr erfolgreich tätig. In diesem Sinne beantworte ich Ihre Frage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Seifert, bitte schön. Sie haben das Wort zu einer Frage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär Andres ich gehe einmal davon aus, dass Sie antworten werden, auch wenn sich die Frage an die gesamte Regierung richtet -, Sie sprachen vorhin davon, ein nationales Aktionsprogramm aufzulegen, das zielgruppenorientiert sein soll. In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob Sie auch für Menschen mit Behinderungen ein entsprechendes Eingliederungsprogramm aufgelegt haben; denn die Massenarbeitslosigkeit in diesem Bereich ist bekanntermaßen wesentlich höher als die allgemeine - die ist schon schlimm genug. Mich interessiert, ob Sie in diesem Programm entsprechende Maßnahmen anbieten oder ob Sie das alles auf die allgemeinen behindertenpolitischen Maßnahmen verschieben. Für die Betroffenen ist dies ziemlich wichtig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Seifert, Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung während ihrer Präsidentschaft insbesondere die Fragen der Behindertenpolitik zu einem zentralen Aktionsfeld gemacht hat. Wir haben dazu während unserer Präsidentschaft eine umfangreiche Konferenz auf europäischer Ebene durchgeführt und wir haben auch dafür gesorgt, dass die Eingliederung von Behinderten in den Arbeitsmarkt eines der zentralen Themen in dieser Zeit gewesen ist. Sie wissen, dass wir im nationalen Aktionsplan auch Beispiele dafür aufnehmen, wie wir in diesem Beschäftigungssektor agieren wollen. Sie sind darüber informiert, dass wir nicht nur über eine Neukodifizierung des Behindertenrechtes in einem so genannten Sozialgesetzbuch IX diskutieren. Dazu haben wir uns auf Eckpunkte geeinigt und entsprechende Verabredungen mit den Verbänden und den Betroffenen getroffen. Darüber hinaus werden wir relativ kurzfristig, noch vor der Sommerpause, Fragen der Eingliederung von Behinderten in den Arbeitsmarkt verstärkt behandeln. Wir bringen eine Novelle des Schwerbehindertengesetzes auf den Weg, mit dem das Ziel verfolgt werden soll, binnen zwei Jahren praktisch nachvollziehbar die Zahl der registrierten arbeitslosen Schwerbehinderten um mindestens - ich betone: mindestens! - 50 000 abzusenken, also neue Beschäftigungschancen und -felder zu eröffnen. Ich denke, das ist neben der Frage der Wiedereingliederung eine ganz zentrale Frage. Ich kann Ihnen berichten, dass wir am vergangenen Montag im Arbeits- und Sozialministerrat insbesondere über eine Initiative der portugiesischen Präsidentschaft diskutiert haben. Diese hat die Frage der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu einem der zentralen Themen ihrer Präsidentschaft gemacht. Auch hier spielt die Reintegration insbesondere behinderter Menschen in den Arbeitsprozess eine entsprechende Rolle. Ich kann darauf verweisen, dass wir die Absicht haben, den Deutschen Bundestag in diesem Jahr mit entsprechenden Gesetzesinitiativen zu befassen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin KnakeWerner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich richte meine Frage auch gleich an den Herrn Staatssekretär. Die Frau Staatssekretärin hat mit Blick auf die Arbeitsmarktpolitik vorgetragen, dass aktive Maßnahmen Vorrang haben sollen. Dabei hat sie erwähnt, dass die Maßnahmen mit Blick auf Langzeitarbeitslose und Jugendarbeitslosigkeit fortgeführt werden sollen. Ich habe keine einzige neue Maßnahme gehört. Das halte ich aber angesichts der Arbeitslosenzahlen, die wir immer noch haben, für notwendig. Herr Staatssekretär, so Leid es mir tut: Eine Trendwende kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Es mag sein, dass die aktuellen Arbeitslosenzahlen einen kleinen Hoffnungsschimmer darstellen. Aber auch das gilt bekanntermaßen nur für Westdeutschland. Wenn sie nach Ostdeutschland sehen - das tun Sie ja; Sie haben Ostdeutschland zur Chefsache gemacht -, dann werden Sie unschwer erkennen können, dass dort im Vergleich zum Vorjahr die Arbeitslosenzahlen sogar noch angestiegen sind. Das hat viel damit zu tun, dass es 180 000 arbeitsmarktpolitische Maßnahmen weniger gab. Ich frage Sie deshalb: Welche Überlegungen gibt es im nationalen Aktionsplan ganz besonders mit Blick auf Ostdeutschland? Das ist die erste Frage. Gibt es weitere neue Maßnamen, die Sie sich vornehmen? In 14 Tagen wird in Lissabon über Vollbeschäftigung diskutiert. Mich interessiert schon, wie die Schritte hin zu dieser Vollbeschäftigung aussehen sollen, wie immer Sie sie definieren. Die zweite Frage in diesem Zusammenhang betrifft die Arbeitszeit. Sie haben erwähnt, dass die Arbeitszeit in Bewegung kommt. Wir haben Nachbarländer, die probieren, die Arbeitslosigkeit dadurch abzubauen, dass sie Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung vornehmen, beispielsweise Frankreich durch die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche. Meine Frage: Gibt es bei der Bundesregierung Überlegungen, auch in dieser Richtung aktiv zu werden, Aktionen, Gesetzesvorlagen für den nationalen Beschäftigungsplan vorzubereiten?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatssekretär.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau KnakeWerner, zunächst bezieht sich dieser nationale Aktionsplan auf die beschäftigungspolitischen Leitlinien von Luxemburg. Er ist auch so aufgebaut. In meinen Antworten auf die Fragen von Herrn Protzner habe ich schon dargelegt, dass beispielsweise die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit - das sind ganz wichtige Eckpfeiler dieser beschäftigungspolitischen Leitlinien - zentrale Eckpfeiler dieser Leitlinien sind. Ich darf Ihnen darlegen, dass wir durch Beschluss der Bundesregierung das Jugendsofortprogramm für dieses Jahr verlängern, und ich habe darauf hingewiesen, dass es unser Ziel ist, Jugendliche überhaupt nicht erst in die Situation von sechs Monaten und länger Arbeitslosigkeit kommen zu lassen. Als Mitglied der Bundesregierung bin ich sehr stolz darauf, dass uns dies in einem ganz bedeutenden Umfang gelungen ist. Die Zahl der Jugendarbeitslosen lag im Durchschnitt des vergangenen Jahres um 42 400 niedriger als im Vorjahr, sodass man hier zunächst einmal feststellen muss: Wir haben damit Erfolge erreicht. Dadurch, dass wir beschlossen haben, das Jugendsofortprogramm zu verlängern und in diesem Jahr fortzuführen, setzen wir unsere Bemühungen, in diesem Bereich zu weiteren erkennbaren Fortschritten zu kommen, fort. Zur Leitlinie Nr. 2, Langzeitarbeitslosigkeit. Sie haben gesagt, Sie könnten da keine Anstrengungen fest8504 stellen. Hier ist es ebenfalls so, dass wir durch die Gesetzespakete, die wir mit Wirkung zum 1. August des vergangenen Jahres in Kraft gesetzt haben, Bedingungen verändert haben, die auch für die neuen Bundesländer ganz bedeutend und ganz wichtig sind. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden in diesem Jahr mit entsprechenden Veränderungen des SGB III unsere Aktivitäten in diesem Zusammenhang weiter vorantreiben und verbessern. Dass wir einen zwischen den neuen Bundesländern und den alten Bundesländern gespaltenen Arbeitsmarkt haben, ist bekannt. Hier spielen natürlich auch die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Situation für die neuen Bundesländer eine entsprechende Rolle. Wir müssen schauen, dass wir diese gespaltene Situation durch die Verstärkung des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr ein Stück weit abmildern können. Aber es bleibt Tatbestand, dass in den neuen Bundesländern beschäftigungspolitisch noch kräftige Nachholbedarfe bestehen, die man nicht dadurch beseitigen kann, dass man bekannte Instrumente einfach konserviert. Man muss überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, beispielsweise die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik effizienter einzusetzen. Dem werden wir uns in diesem Jahr widmen. Ihre Frage zum Thema Arbeitszeit ist, würde ich fast vermuten, davon geprägt, dass Sie auf Frankreich anspielen. Hier hat es beispielsweise die Maßnahme gegeben, durch Gesetzgebung Wochenarbeitszeiten zu verändern. Sie wissen, dass wir ein anderes System haben. Bei uns gibt es Gott sei Dank Tarifautonomie. Es gibt seit vielen Jahren in unterschiedlichen Tarifbereichen Bemühungen, zu einer 35-Stunden-Woche zu kommen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Weiterentwicklung dieses Pfades Angelegenheit der Tarifvertragsparteien ist. Alles, was mit neuen Arbeitszeitmodellen zusammenhängt, wird im Bündnis für Arbeit diskutiert, und zwar mit der Grundüberlegung, nach Möglichkeit in einem Konsens zu gemeinsamen Positionen zu kommen, die auch zu einer Modernisierung des Arbeitslebens in arbeitszeitpolitischer Hinsicht führen können. Wir befinden uns in einer intensiven Diskussion über andere Modelle und Formen von Teilzeitarbeit. Es gibt Gespräche darüber, wie die gesamtgesellschaftlich festzustellende Mehrarbeit durch freiwillige Vereinbarungen und Absprachen reduziert werden kann. Wir sehen auch, dass es in diesem Zusammenhang Möglichkeiten gibt, den Aufbau von Beschäftigung über solche Maßnahmen zu erreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, eine kurze Nachfrage. Ich habe gesagt, dass Sie Ihre Maßnahmen zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit zu Recht fortsetzen. Meine Frage war: Wo sind die neuen Maßnahmen? Denn mein Eindruck ist, dass das nicht ausreicht. Ich habe ganz bewusst Ostdeutschland angeführt. Da geht es mir nicht um die Konservierung traditioneller Maßnahmen. Ich bin sehr dafür, dass auch dort zielgenauer gearbeitet wird, aber ich wüsste gerne, wie. Gibt es Vorschläge zu neuen Maßnahmen, die Sie bereits in Ihre Überlegungen und Vorbereitungen aufgenommen haben? Das ist das eine. Das Zweite. Ich habe Frankreich genannt. Auch ich bin, wie Sie, eine Anhängerin der Tarifautonomie; das wissen Sie auch. Meine Frage ist trotzdem: Finden Sie nicht ein Arbeitszeitgesetz, wie wir es zurzeit haben, das die 60-Stunden-Woche ermöglicht, kontraproduktiv, wenn man Beschäftigung schaffen und Arbeitslosigkeit abbauen will?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatssekretär.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich will zunächst einmal sagen, dass es uns ganz entscheidend darauf ankommt, den Konsolidierungs- und Verstetigungspfad, den wir eingeschlagen haben, auch fortzusetzen. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Im vergangenen Jahr haben wir trotz der Einsparungsbemühungen auch beim Bundeszuschuss die finanziellen Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik um fünfeinhalb Milliarden DM erhöht. Wir haben das im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit durch entsprechende Maßnahmen auch realisieren können. Im Haushalt der Bundesanstalt haben wir für dieses Jahr noch einmal eineinhalb Milliarden DM für die aktive Arbeitsmarktpolitik im weitesten Sinne dazugelegt. Ich beziehe mich damit auf eine Aussage im Rahmen Ihrer vorangegangenen Frage, in der Sie gesagt haben, wir hätten die Mittel gekürzt. Das ist auf Bundesebene nicht festzustellen; das möchte ich einmal festhalten. Es geht also darum, zu verstetigen und entsprechende Positionen zu entwickeln. Angesichts Ihrer Frage, was es denn Neues gebe, habe ich darauf hingewiesen, dass wir die Absicht haben, im Bereich der Arbeitsmarktpolitik entsprechende Veränderungen - auch durch weitere Anpassungen des SGB III - vorzunehmen. Ich finde, es macht Sinn, sich die Veränderungen, die sich aus einer Maßnahme ergeben, die wir zum 1. August des vergangenen Jahres vollzogen haben und bei der es darum ging, insbesondere die Zielgruppe der älteren Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen durch veränderte Bedingungen stärker in die Beschäftigung einzubeziehen, genauer anzuschauen und diese Position zu verstetigen. Es geht nicht darum, irgendetwas Neues zu erfinden, sondern Kurs zu halten. Im Übrigen gehört zum Thema Beschäftigungspolitik auch, die ansonsten bestehenden Rahmenbedingungen und Positionen im Auge zu behalten. Dazu gehört Wachstum. Dazu gehören entsprechende Reformen im Bereich der Sozialpolitik. Dazu gehören entsprechende steuerpolitische Maßnahmen auch für Unternehmen, die wir angehen werden und die dazu führen werden, dass sich nach unserer Überzeugung die Beschäftigungssituation deutlich verbessert. Als Letztes möchte ich dazu feststellen: Wir legen Wert darauf, im Bündnis für Arbeit im Konsens zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Wenn dies nicht möglich sein sollte, dann sind der Gesetzgeber und die Bundesregierung selbstverständlich aufgefordert zu handeln. In einem solchen zeitlichen Zusammenhang sehen wir auch Diskussionen hinsichtlich des Arbeitszeitgesetzes oder anderer Positionen. Ich habe soeben dargelegt, dass gemäß dem heutigen Kabinettsbeschluss das Altersteilzeitgesetz noch verbessert wird: Die Bezugsdauer wird verlängert und der Geltungsbereich des Gesetzes ausgedehnt, um auch über diese Instrumente beschäftigungspolitische Wirkungen erreichen zu können. - Das Bündnis für Arbeit ist also zunächst auf Konsens angelegt. Wenn ein solcher nicht zu erzielen sein sollte, dann stehen möglicherweise gesetzgeberische Veränderungen an. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf die Frage des Arbeitszeitgesetzes.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich möchte jetzt dem Kollegen Meckelburg Gelegenheit zu einer Frage geben.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Sie durchgeführt haben, dargelegt und festgestellt, der Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 180 000 habe innerhalb eines Jahres stattgefunden. Ich will über diese Zahl nicht streiten, will aber gleichzeitig dagegenhalten, dass wir von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg wissen - dies wurde ihrerseits angekündigt -, dass im letzten und in diesem Jahr und in den kommenden Jahren die Zahl der Arbeitslosen allein deswegen jährlich um 200 000 zurückgehen wird, weil weniger junge Menschen Arbeit nachfragen, als ältere Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Das heißt, dass, wenn man sich die Zahlen ansieht, im Grunde genommen nichts passiert ist, um es einmal einfach auszudrücken. Deswegen habe ich an Sie die Frage, ob Sie im Zusammenhang des Programms, das Sie aufgelegt haben, über eine beschäftigungspolitische Leitlinie nachgedacht haben, die dazu führen könnte, alle Programme danach zu durchforsten, wie effektiv sie bei der Verfolgung des Zieles, junge Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, wirklich sind. Wenn während Ihrer Regierungszeit 46 Milliarden DM - das ist mehr als vorher - ausgegeben werden, man aber feststellt, die Arbeitslosigkeit geht bis auf das, was auf demographische Effekte zurückzuführen ist, nicht zurück, dann besteht hier, so finde ich, eine dringliche Aufgabe. Können Sie sich vorstellen, auch in diesem Bereich tätig zu werden?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatssekretär.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Meckelburg, ich drehe es einmal herum: Wenn man der Position, aus demographischen Gründen erledige sich das Problem der Arbeitslosigkeit von selbst, folgen würde, müsste man eigentlich nichts tun. Ich will dazu ausdrücklich feststellen - ich habe dazu schon einige Beispiele genannt -: In Ihrer Regierungszeit ist von 1993 an Jahr für Jahr die Zahl der registrierten arbeitslosen jungen Menschen, die unter 25 Jahre alt sind, angestiegen. Wir haben uns vorgenommen, diesen Trend zu brechen und eine gegenteilige Entwicklung einzuleiten. Wir haben das im vergangenen Jahr geschafft und wir werden diese Politik fortsetzen. Da lassen wir uns von niemandem beirren. Die gleiche Situation besteht leider bei der Zahl der Langzeitarbeitlosen. Ich empfehle Ihnen einen Blick in die Statistiken, aber Sie wissen es selbst: Seit 1993 ist die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen, also derer, die ein Jahr und länger arbeitslos sind, Jahr für Jahr angestiegen. Wir haben uns vorgenommen, diesen Trend zu brechen und umzukehren. Auch darin lassen wir uns nicht beirren. Im Übrigen glauben wir, dass es Sinn macht, die Leute eher bei Beschäftigung und Qualifizierung zu unterstützen, als ihnen in der Zeit der Arbeitslosigkeit Hilfe leisten zu müssen. Deswegen war es Ziel der Bundesregierung - dieses haben wir umgesetzt -, eine Verstetigung der aktiven und nicht der passiven Maßnahmen zu erreichen. Dies ist auch Inhalt einer unserer beschäftigungspolitischen Leitlinien, die in Luxemburg entwickelt und verabschiedet worden sind. Wir setzen diesen Trend fort und sind ganz optimistisch, dass es uns gelingen wird, die Zahl der Langzeitarbeitslosen deutlich zu senken und bei der Beschäftigungsentwicklung Fortschritte zu erzielen. Ich will noch zu einem Punkt kommen, weil Sie ihn angesprochen haben: Sie wissen sehr genau, dass ein großer Teil der 46 Milliarden DM, die für aktive Beschäftigungspolitik ausgegeben werden, für die Qualifizierung verwandt wird. Wir halten es nämlich für wichtig und bedeutsam, dass neben der Zielsetzung, die Menschen so schnell wie möglich in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, auch etwas dafür getan werden muss, die Qualifikation der Arbeitslosen zu erhalten. Das ist einer der Grundpfeiler der beschäftigungspolitischen Leitlinien, nämlich die Förderung der Beschäftigungsbefähigung. Daran arbeiten wir. Deswegen sind wir der Auffassung, dass das, was wir mit dem nationalen Aktionsplan vorlegen, vernünftig und richtig ist. Diesen werden wir in den nächsten Jahren umsetzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Den Kollegen Koppelin drängt es, eine Frage zu stellen, weil er in den Haushaltsausschuss muss. Ich bitte darum, ihm die Gelegenheit zu geben, seine Frage zu stellen, die einen anderen Themenbereich berühren wird.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich hätte ganz gerne von der Bundesregierung gewusst, ob die Entscheidung der interministeriellen Arbeitsgruppe, eine Hermesbürgschaft für ein neues Atomkraftwerk in China zu geben, heute im Kabinett eine Rolle gespielt hat, nachdem wir von der Empörung der Grünen-Fraktion gelesen haben und das Außenministerium der Hermesbürgschaft für ein neues Atomkraftwerk in China zugestimmt hat? Oder gibt es dazu noch Diskussionen innerhalb der Koalition?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Koppelin, das hat heute im Kabinett keine Rolle gespielt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich stelle also fest, dass es im Kabinett vonseiten der grünen Minister keinen Protest gegen diese Hermesbürgschaft gegeben hat. Ist das korrekt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Koppelin, Protest ist nicht die übliche Ausdrucksweise im Kabinett. Ich sage es noch einmal: Das hat im Kabinett keine Rolle gespielt. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kehren wir zu dem ursprünglichen Themenbereich zurück. Kollege Michelbach hat noch eine Frage. Er ist der letzte angemeldete Fragesteller. Danach gehen wir zur Fragestunde über.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe aus aktuellem Anlass noch eine Frage an die Bundesregierung: Inwieweit wird durch die steuerpolitische Begünstigung der Großbetriebe durch die Steuervorschläge der Bundesregierung ein Verdrängungswettbewerb und eine Unternehmenskonzentration zulasten kleiner und mittlerer Unternehmen gezielt gefördert? Inwieweit leistet die Steuerfreiheit von Gewinnen, die Kapitalgesellschaften aufgrund des Unternehmensteuersenkungsgesetzes erzielen, einen Beitrag zum Konzentrationsprozess im Banken- und Versicherungswesen? Ich spreche insbesondere die aktuelle Megafusion von Dresdner Bank und Deutscher Bank an, aber natürlich generell die großen Kapitalgesellschaften. Ist diese Annahme nicht gleichzeitig ein Beweis dafür, dass andere Firmen den Übernahmeverlust, der dann ausgeschlossen wird, jetzt noch kurzfristig nutzen? Inwieweit sind mit diesen Steuergeschenken Einnahmeausfälle im aktuellen Haushalt verbunden?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, Frau Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident, ich bitte zunächst um einen Hinweis gemäß der Geschäftsordnung: Die Frage, die Herr Michelbach jetzt im Rahmen der Regierungsbefragung gestellt hat, hat er in fast gleicher Weise als Frage 30 in der anschließenden Fragestunde eingereicht. ({0}) Ich möchte Sie bitten, zu entscheiden, wann ich die Frage beantworten soll.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, ich schaue einmal nicht in die Geschäftsordnung, sondern sage aus Kollegialität: Geben Sie die Antwort jetzt, dann können wir sie uns hinterher sparen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Nach dem Entwurf des Steuersenkungsgesetzes sind Gewinne, die Kapitalgesellschaften erzielen, grundsätzlich natürlich steuerpflichtig, Herr Kollege. Der Gesetzentwurf sieht allerdings vor, dass Gewinne aus der Veräußerung von in- oder ausländischen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt werden. Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit der Umstellung vom körperschaftssteuerlichen Vollanrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Sie dehnt den Regelungsbereich einer in der vorletzten Legislaturperiode, also unter Ihrer Verantwortung, für ausländische Kapitalbeteiligungen geschaffenen Regelung auf alle Beteiligungen aus. Die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne beseitigt bisherige steuerliche Hemmnisse bei der Umstrukturierung von Unternehmensbeteiligungen. Von einer konzentrationsfördernden Wirkung kann nicht ausgegangen werden. Die Maßnahme führt vielmehr zu einer an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientierten Beteiligungspolitik der Unternehmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, eine Nachfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Möglichkeit der Nachfrage. Ich habe meine Frage aus aktuellem Anlass gestellt und bitte darum, die aktuelle Situation nicht nur bei der Dresdner Bank und der Deutschen Bank, sondern auch bei BMW und Rover zu sehen. Inwieweit und in welcher Größenordnung führt der Verkauf der Beteiligung an der Firma Rover durch BMW, wenn er noch in diesem Jahr stattfindet, zu steuerlichen Mindereinnahmen und damit zu Verlusten im Haushalt? Mit dem Unternehmensteuersenkungsgesetz wird die Übernahme von Verlusten bei Kapitalgesellschaften ja ausgeschlossen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, es ist Ihnen natürlich bekannt, dass ich zu steuerlichen Einzelfällen keine Stellung nehmen kann, sofern diese nicht sowieso öffentlich bekannt sind. Insofern muss ich meine Antwort einschränken. Kommen wir zunächst zu dem, was auch der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, nämlich zum Zusammenschluss von Deutscher Bank und Dresdner Bank. Wie wir von den Beteiligten gehört haben, ist dies ein Zusammenschluss unter Gleichen. Ich gehe nicht davon aus, dass damit Verluste verbunden sind. Das ist mein aktueller Kenntnisstand. Die steuerlichen Tatbestände im Einzelnen kann ich natürlich nicht beurteilen, aber es deutet alles darauf hin, dass diese Vereinigung nicht damit verbunden sein wird, dass Verluste geltend gemacht werden können. Das kann ich nur aufgrund dessen sagen, was öffentlich bekannt ist. Was BMW und Rover anbelangt, ist öffentlich bekannt, dass in den vergangenen Jahren, seit BMW Rover als Beteiligung gehalten hat, regelmäßig allein durch den Besitz der Beteiligung erhebliche Verluste zu verzeichnen waren, und zwar dadurch, dass Rover Verluste gemacht hat. Die Verluste - ich nenne Ihnen diese Zahlen, die aus öffentlichen Quellen wie den Bilanzpressekonferenzen des Unternehmens stammen, aus dem Gedächtnis - bewegen sich in den vergangenen drei Jahren in einer Größenordnung zwischen 1,8 und 2,4 Milliarden DM. Das sind die Zahlen, die ich im Kopf habe. Diese Verluste jedenfalls sind im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten steuerlich geltend gemacht worden. Es liegt jedenfalls auf der Hand, dass das Unternehmen dies getan hat. Ich zitiere nicht aus den Steuerakten, aber es ist zu erwarten, dass das Unternehmen diese Verluste im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten steuerlich geltend gemacht hat. Sollten durch die Veräußerung der Beteiligung an Rover Verluste anfallen, so würden diese in der Tat in diesem Jahr im Rahmen der noch bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten durch das Unternehmen geltend gemacht werden können. Es ist aber in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es für das Steueraufkommen nur eine marginale Bedeutung hat, ob Verluste aus laufendem Geschäftsbetrieb oder aus Veräußerung geltend gemacht werden. Wenn sie sich in etwa gleicher Höhe bewegen, ist es für das Steueraufkommen völlig gleichgültig. Das liegt auf der Hand. Ich kann nicht beurteilen, ob die Verluste, die durch die Veräußerung der Anteile an Rover entstehen, die möglicherweise vorgenommen wird - es handelt sich bisher nur um ein Gerücht -, tatsächlich höher sein werden als die Verluste aus dem laufenden Betrieb in den vergangenen Jahren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Michelbach, noch eine Frage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht die Situation, dass bei der Megafusion von Dresdner Bank und Deutscher Bank in Verbindung mit der Allianz erhebliche Kapitalbeteiligungen steuerfrei, also gewissermaßen als Steuergeschenk zulasten des Fiskus, restrukturiert werden und damit letzten Endes auch eine Einseitigkeit gegenüber den Wettbewerbern entsteht, die diese Steuerfreiheit nicht erreichen, insbesondere Personengesellschaften?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, die Steuerfreiheit bei der Veräußerung von Beteiligungsbesitz scheint offenbar für die Deutsche Bank und die Dresdner Bank nicht von Relevanz zu sein; denn die beiden Unternehmen haben angekündigt, ihre Fusion zum 1. Juli dieses Jahres, also unter der Herrschaft des geltenden alten Rechts, zu vollziehen. Wenn die Steuerfreiheit für sie so bedeutsam wäre, hätten sie sie ein Jahr später gemacht. Sie tun es nicht, also kann die Steuerfreiheit für sie nicht von solcher Relevanz sein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit beende ich die Befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 14/2877 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich rufe die erste Frage des Abgeordneten Dirk Niebel auf: Inwieweit hat die Bundesregierung vorgesehen, im Fall des Ausstiegs aus der Kernenergie bei abgeschalteten Atomanlagen die Entwicklung von Technologien zu deren Rückbau, Entsorgung und Endlagerung zu fördern und gegebenenfalls in welchem Umfang? Sie wird von Staatssekretär Rainer Baake beantwortet.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Niebel, national und international liegen inzwischen ausreichende Erfahrungen mit der Stilllegung und dem Abbau von Atomkraftwerken vor. Allein in Deutschland erfolgt gegenwärtig der Rückbau von 16 Atomkraftwerken. Von diesen 16 Projekten sind inzwischen zwei abgeschlossen. Dazu kommt der Rückbau von 30 Forschungsreaktoren. Davon ist der Rückbau von acht Anlagen inzwischen abgeschlossen. Die Bundesregierung hat eine systematische Zusammenstellung und Analyse aller Aspekte und Erfahrungen der Stilllegung von Reaktoranlagen vorgenommen. Entscheidende Elemente sind hierbei der Strahlenschutz bei der Demontage, die Handhabung und Entsorgung der aktivierten und kontaminierten Komponenten, Ausrüstungen und Bauwerke sowie die Behandlung und Lagerung von radioaktiven Abfällen. Für die Praxis sind ferner die Freigabe und Freimessung nicht belasteter Abfallmengen von Bedeutung. Weiterhin sind Kriterien für Recycling und Freigabe von Bauwerken und Standortflächen, die auf international abgestimmten Empfehlungen beruhen, von großer praktischer Bedeutung. Der Abbau von Atomkraftwerken ist zwar eine technisch anspruchsvolle Aufgabe, die erforderlichen Verfahren und Techniken sind aber heute erprobt und insgesamt am Markt verfügbar. Weitere Entwicklungen und Anpassungen werden laufend betreiberseitig vorgenommen. Die Bundesregierung sieht daher vor diesem Hintergrund bei der Stilllegung von Reaktoranlagen derzeit grundsätzlich keinen zusätzlichen Förderungsbedarf. Ich will der Vollständigkeit halber erwähnen, dass das Ministerium für Bildung und Forschung in begrenztem Umfang ausgewählte Entwicklungsvorhaben im Bereich fortgeschrittener Zerlegungstechniken sowie leistungsfähiger Freimessungstechniken unterstützt. Gegenwärtig werden von der Bundesregierung im Rahmen der Ressortaufgaben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet der Entsorgung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen Mittel in Höhe von circa 55 Millionen DM pro Jahr bereitgestellt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sind Sie zufrieden, Herr Kollege? - Das ist schön. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Fink auf: Trifft es zu, dass - wie Pressemitteilungen zu entnehmen war - die Zuwendungen des Bundes an die Stiftung für das sorbische Volk bis 2003 von 16 Millionen DM auf 14 Millionen DM reduziert werden sollen, und wenn ja, welche konzeptionellen Vorstellungen hat die Bundesregierung, um die Weiterführung der Arbeit der Stiftung im künstlerischen und kulturellen Bereich gemeinsam mit den Ländern zu sichern? Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Naumann zur Verfügung.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, für den Zeitraum vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2003 hat die Bundesregierung folgende Gesamtbundeszuschüsse zur Förderung der Stiftung für das sorbische Volk in Bautzen zur Verfügung gestellt bzw. vorgesehen: Im Jahr 2000 16 Millionen DM, 2001 15 Millionen DM, 2002 14,5 Millionen DM und 2003 14 Millionen DM. Für den Zeitraum von 2004 bis 2007 werden derzeit von uns Zuschüsse für die Sorbenstiftung in Höhe von jährlich 14 Millionen DM eingestellt. Die bis 2007 insofern gesicherte Bundesförderung macht strukturelle und organisatorische Änderungen in der Kulturarbeit der Stiftung für das sorbische Volk, aber auch für die von ihr mitfinanzierten kulturellen Einrichtungen notwendig. Diese Änderungen sind bei der Sitzung des Stiftungsrates der Stiftung am 1. März 2000 bereits andiskutiert worden. Der Stiftungsrat hat dabei beschlossen, die Stiftungskommission zu beauftragen, die notwendigen organisatorischen und strukturellen Veränderungen, die mit dieser Absenkung notwendig werden, beschleunigt zu prüfen, Umsetzungsmodelle zu erarbeiten und abschließende Vorschläge für die baldige Umsetzung vorzulegen. Der Stiftungsrat wird, soweit ich weiß, am 31. Mai 2000 diese Vorschläge überprüfen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Fink, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehen Sie trotzdem noch eine Möglichkeit, die Förderung nicht zu reduzieren, sondern in gleicher Höhe fortzusetzen? Sie wissen ja, dass das sorbische Volk in dem weiteren Erhalt seiner Kultur und Sprache, das heißt auch Theater- und Verlagsarbeit, auf diese entsprechende Zuwendung angewiesen ist.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Sorben mit einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 60 000 Menschen werden nicht nur vom Bund, sondern auch von den Ländern komplementär finanziert, sodass für diese zahlenmäßig kleine Gruppe nach den Kürzungsprozessen für die kulturelle Förderung eine Gesamtsumme von sage und schreibe 28 Millionen DM zur Verfügung steht. Das entspricht pro Kopf - ich habe mir das einmal ausgerechnet - ungefähr der Förderungssumme für die irische Bevölkerung aus den Kassen der EU. Mit anderen Worten: Ich bin der Meinung - ich glaube, auch die Stiftung selbst ist dieser Meinung -, dass diese Summe durchaus angemessen, um nicht zu sagen großzügig ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Seifert hat noch eine Nachfrage. Ist das korrekt? ({0}) - Bitte schön, Herr Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Der Vergleich ist durchaus berechtigt. Es besteht jedoch der Unterschied, dass die sorbische Kultur und damit auch ein Stück gewisser Traditionen in Deutschland mehr und mehr zurückgeht. Dies nehmen wir wissentlich in Kauf. Halten Sie es nicht doch für notwendig, dass es aus diesem Grund eine ganz bestimmte Aufmerksamkeit und Förderung dieser Tradition in Deutschland, unabhängig von allen möglichen Vergleichen mit anderen Nationen, geben müsste?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, keiner würde mehr bedauern als ich, wenn irgendeine besondere - in diesem Fall ja auch uralte - Sprache der deutschen Sprachgemeinschaft verloren ginge bzw. unterginge. Es liegt an der Stiftung selbst, dafür zu sorgen, dass die bisherige Sprachförderung - wenn Sie so wollen - erfolgreicher ist. Wir beobachten den Rückgang von Minderheitensprachen unter dem Ansturm der Massenmedien, vor allem durch die Wirkung des Fernsehens, auch auf anderen ähnlichen Sprachinseln. In Connemara in Irland etwa - deshalb habe ich dieses Beispiel herangezogen -, befindet sich das Gälische massiv auf dem Rückzug. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Sprache im vorigen Jahrhundert praktisch schon ausgestorben gewesen wäre, wenn nicht ein in Irland berühmter deutscher Grammatiker um Jahr 1870 eine Grammatik des Gälischen verfasst hätte. Das heißt: Man darf bei dem Auf und Ab der Sprachen die Hoffnung nie verlieren. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Seifert, Sie können eine Nachfrage stellen.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident, vielen Dank für die Möglichkeit zur Nachfrage. Herr Staatsminister, ich bin sehr erstaunt über die Langmut und Geduld meines Kollegen Professor Fink, denn ich muss sagen, Sie wissen so gut wie ich, dass in Bautzen und Umgebung die Luft angesichts der Kürzungen, die dort ins Haus stehen, lichterloh brennt. Die sorbische Bevölkerung und insbesondere die Intellektuellen dort wissen, dass die Mittel aufgrund der Kürzungen, die Sie jetzt über fast 10 Jahre vornehmen - Sie rechnen das durch die Komplementärfinanzierung der Länder auf 28 Millionen DM hoch -, die Mittel keinesfalls ausreichen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es in dieser Zeit natürlich Lohnsteigerungen und Ähnliches gibt. Mit einem gekürzten Etat können die Aufgaben, die dort bewältigt werden müssen, nicht bewältigt werden. Insofern halte ich die Antwort, die Sie hier gegeben haben, in höchstem Maße für nicht erfreulich. Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Darauf richtet sich meine Frage: Wie wollen Sie dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung des deutschen Volkes für das kleine, aber wichtige sorbische Volk nachkommen, wenn Sie die Gelder für dieses Volk weiter kürzen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, erstens sollten Sie nicht den Eindruck mitnehmen, dass hier eine gewisse Nonchalance gegenüber der Wichtigkeit der kulturellen Förderung der Sorben und Wenden bei der Bundesregierung existiere. Das ist nicht der Fall. Zweitens wissen Sie aber so gut wie ich, dass die Förderungspraxis in der Vergangenheit, das heißt zu Zeiten der DDR, was die Sorben oder, wenn Sie so wollen das slawisch repräsentative Volk in dem Gebiet der DDR anbelangte, auch hochpolitische Untertöne hatte. Diese Untertöne herrschen Gott sei Dank nicht mehr vor. Das heißt, wir sind heute in der Lage, eine vor allem kulturell und weniger politisch motivierte Sprachund Kulturförderung im Interesse der Sorben und Wenden aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass es noch andere Sprachgruppen in Deutschland gibt, wie zum Beispiel die Friesen. Sie erhalten bei der Pflege ihrer Sprache, die nicht minder alt ist und mit Verlaub in diesem Hause ebenso wenig verstanden werden würde wie das Sorbische, im Augenblick vom Bund, soweit ich es sehe, überhaupt keine nennenswerte Unterstützung. Das sind etwa 10 000 bis 12 000 Menschen, das heißt ein knappes Fünftel der Anzahl der Sorben und Wenden, die auf 28 Millionen DM blicken können. ({0}) - Bei den Bayern weiß ich, dass ihre Sprache beim „Bayernkurier“ gut aufgehoben wird. Dort wird gutes Deutsch geschrieben. ({1}) - Viele Grüße an Herrn Scharnagl.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die Fragen 3 bis 9 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Joachim Schmidt auf: Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung Eigenleistungen der Regionen im Rahmen der Inno-Regio-Vorhaben bei, und was versteht sie unter Eigenleistung? Die Antwort gibt der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Kollege Schmidt. Hauptkriterien für die Auswahl der regionalen Innovationskonzepte zur Förderung in der Phase 3 von Inno-Regio werden ihre Beiträge zur Verbesserung der Beschäftigungssituation, der Wettbewerbsfähigkeit und der Wertschöpfung der Region sein. Dabei geht es nicht darum, einmalige Effekte in Bezug auf diese drei Punkte zu erzielen. Es ist vielmehr unsere Intention, dass selbsttragende Strukturen und Prozesse in den Regionen angestoßen und etabliert werden, die ihre Innovationsfähigkeit auch dauerhaft verbessern. Um dieses Ziel erreichen zu können, muss ein hohes Maß an Engagement der regionalen Akteure auch längerfristig gesichert werden. Dies trifft sowohl für die Sicherung der personellen und materiellen Voraussetzungen zur Umsetzung des Konzeptes als auch für die frühzeitige Bereitstellung komplementärer privater finanzieller Mittel zu. Deshalb hat die Eigenleistung der Region bzw. ihrer Akteure einen hohen Stellenwert bei der Bewertung der Inno-Regio-Konzepte. Sie kann zum einen im unentgeltlichen Zurverfügungstellen der notwendigen Infrastruktur oder des erforderlichen Personals bestehen. Zum anderen muss aber insbesondere für die wirtschaftlich relevanten Projekte ein finanzieller Eigenanteil der Antragsteller gesichert werden. Die Mindesthöhe des Eigenanteils richtet sich natürlich nach der Art des jeweiligen Einzelvorhabens.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schmidt, bitte.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, präferiert die Bundesregierung bestimmte Eigenleistungen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Nein, es ist vernünftig, wenn wir im Rahmen der Konzeptprüfung Aussagen nur im konkreten Förderzusammenhang treffen. Es kommt auch sehr darauf an, inwieweit bestimmte wirtschaftliche Zielsetzungen mit der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden werden. Dabei muss man jeweils im Einzelfall entscheiden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In welcher Weise werden sich Zugänge bzw. Abgänge von Partnern in der kommenden Phase 3 auf den Mittelumfang und die direkte Vergabe der Fördermittel auswirken?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Dies ist eine hypothetische Frage, bei der man gut beraten ist, sie nicht hypothetisch zu beantworten. Jeder weiß, dass die gesamte Fördersumme im Bereich von Inno-Regio begrenzt sein wird. Es geht um insgesamt 500 Millionen DM. Man wird natürlich im Rahmen des Gesamtkonzepts abwägen müssen, inwieweit man einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Qualität der ausgewählten Projekte und den gesamten beabsichtigten und angestoßenen Innovationstätigkeiten in einer Vielzahl von Regionen erzielen kann. Aber es ist sicherlich nicht so: je kleiner, desto größer die Chance. Das wäre ein falsches Prinzip.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe Frage 11 des Kollegen Joachim Schmidt auf: Welche gesellschaftsrechtlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Konzipierung virtueller Unternehmen im Rahmen der Inno-Regio-Vorhaben? Kollege Catenhusen, bitte.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Im Rahmen von Inno-Regio sollen in den Regionen Strukturen etabliert werden, die einen dauerhaften und selbsttragenden regionalen Innovationsprozess ermöglichen. Zur Verdeutlichung dieses Ziels hat das Inno-RegioTeam des BMBF die Elemente, die solche Strukturen und ein entsprechendes Netzwerk kennzeichnen, am Beispiel der Organisationsform eines virtuellen Unternehmens erläutert. Aus dem virtuellen Charakter dieser Struktur resultiert, dass sie keine eigene Rechtsform besitzt. Es steht natürlich jeder regionalen Initiative frei, eine für sie optimale Organisation und Struktur zu entwickeln und umzusetzen sowie deren Funktionsweise und Wechselwirkung entsprechend den Inno-RegioZielen auch zu veranschaulichen. Gemäß der Förderrichtlinie der Inno-Regio besteht in der Umsetzungsphase 3 die Möglichkeit einer zweijährigen Anschubfinanzierung zu 100 Prozent der Ausgaben für die Etablierung eines regionalen Netzwerks und seines Managements. Wenn die regionale Initiative von dieser Möglichkeit und in diesem Umfang Gebrauch machen möchte, dann müsste die Organisations- und Rechtsform für diesen Zeitraum und für die Erfüllung dieser zeitlich begrenzte Aufgabe, die nicht identisch mit der Umsetzung des Gesamtkonzepts ist, allerdings so gewählt werden, dass mit ihr noch keine gewerblichen Zwecke verfolgt werden können. Hierfür würden sich zum Beispiel ein gemeinnütziger Verein oder eine ähnliche Rechtsform anbieten. Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, diese Aufgaben beispielsweise einer privatwirtschaftlich agierenden GmbH zu übertragen. In diesem Fall müsste diese dann einen Eigenanteil an den förderfähigen Kosten in Höhe von 50 Prozent erbringen. Das sind allgemeine Fördergrundsätze, die auch bekannt sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schmidt.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gehe ich richtig in der Annahme, dass die Bundesregierung auch hier kein Modell präferiert?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Das ist korrekt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie beurteilt die Regierung in diesem Zusammenhang die Bildung von Genossenschaften?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Das ist eine interessante Frage. Wir werden unvoreingenommen prüfen, inwieweit hierdurch das Ziel des Inno-Regio-Konzeptes optimal erreicht werden kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Norbert Röttgen auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass aufgrund der Art und Weise der von der Bundesregierung betriebenen Fusion der Fraunhofer-Gesellschaft und der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, GMD, qualifizierte Wissenschaftler abwandern, und wie beabsichtigt die Bundesregierung dieser Gefahr entgegenzuwirken? Bitte, Herr Staatssekretär.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Kollege Röttgen, die Bundesregierung geht davon aus, dass durch die bisher gefassten Beschlussempfehlungen der Ausschüsse der beiden Aufsichtsgremien und der Vereinbarungen der Vorstandsvorsitzenden grundsätzlich gute Voraussetzungen für eine Fusion bestehen. Die Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft wird im Bereich der Forschung für neue Märkte, das heißt im Bereich der prospektiven, an zukünftigen potenziellen Märkten orientierten Forschung, dauerhaft verstärkt. Hierzu wird auch ein entsprechender Fonds mit Mitteln eingerichtet, deren Verteilung nicht von Drittmittelerträgen abhängt. Dieser Fonds wird zunächst für den Bereich der IuK in dieser neu strukturierten Fraunhofer-Gesellschaft vorgesehen und soll bei entsprechender Verstärkung auch später allen Fraunhofer-Gesellschaft-Instituten offen stehen. Daneben ist beabsichtigt, dass in der erweiterten FhG die bisherigen Kriterien zur Verteilung der Grundfinanzierung um Kriterien der Honorierung von Erfolgen bei Ausgründungen und beim Einwerben von öffentlichen nationalen und internationalen Drittmitteln, insbesondere von Mitteln der EU, ergänzt werden. Wir sind davon überzeugt, dass der Zusammenschluss bei beiden Partnern, GMD und FhG, zu einer deutlichen Verbreiterung der wissenschaftlichen und technologischen Basis mit neuen Themen und einer entsprechenden Forschungskultur führen wird. Die erweiterte FhG gewinnt damit eine zusätzliche Attraktivität auch für die Wissenschaftler der GMD. Dies alles setzt aber voraus, dass die notwendigen Entscheidungen über den Rahmen des Fusionsprozesses in den Aufsichtsgremien von GMD und FhG bald, das heißt in der ersten Aprilhälfte, getroffen werden; denn es wäre für den Fortgang des Fusionsprozesses nicht sehr förderlich, wenn Tendenzen auf beiden Seiten, in der Bewahrung des Status quo das Ideale zu sehen, durch zeitliche Verschleppung von wichtigen Entscheidungen gestärkt werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in einer Zeit, in der nicht nur diskutiert wird, sondern Maßnahmen ergriffen werden, Computerexperten aus dem Ausland in einer Zahl von 20 000, wie es das Kabinett beschlossen hat, anzuwerben, sollte man mit den in Deutschland vorhandenen Experten der Informationstechnologie vernünftig umgehen. Ihrer Antwort lässt sich entnehmen, dass Sie den Sachverhalt und die Empfindungen der betroffenen Wissenschaftler, die Ihre Fusionspläne ausgelöst haben, noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Darum darf ich Ihnen den Sachverhalt noch einmal ganz kurz darstellen. Bei einer Umfrage in der von der Fusion betroffenen GMD haben 82 Prozent der Mitarbeiter erklärt: So nicht! Sie sagen, sie lehnen die handstreichartig aufgezwungenen Fusionspläne der Bundesregierung ab. Alle acht Leiter der IuK-Institute der GMD, Wissenschaftler mit unbestritten internationaler Reputation, sagen: So, wie die Bundesregierung das Ganze über unsere Köpfe hinweg von oben herab inszeniert, können wir das nicht mittragen. Ist Ihnen bekannt, dass am heutigen Tage die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter der GMD in einem Beschluss die Fusion abgelehnt haben? Meine Frage ist: Sind Sie bereit, diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, anders als es in Ihrer Antwort angeklungen ist? ({0}) Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus, wenn offensichtlich die eine Institution mit internationaler Reputation sagt: „So machen wir das nicht!“? Dazu habe ich nichts gehört.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Röttgen, ich antworte immer gerne auf die Fragen, die konkret gestellt werden. Sie haben mich nach der Gefahr der Abwanderung von Wissenschaftlern gefragt, und ich habe Ihnen die dazugehörige Antwort gegeben. Wenn Sie jetzt die Frage nach Empfindungen von Wissenschaftlern stellen und dem, was an konkreten Diskussionen in der GMD läuft, dann können Sie voraussetzen, dass nicht nur die Abgeordneten in der Region Bonn, sondern auch Parlamentarische Staatssekretäre und Minister, die in Bonn und Berlin arbeiten, über die Vorgänge in der Großforschungseinrichtung, die in unserem Zuständigkeitsbereich liegen, voll informiert sind. Ich glaube, dass man bei der Bewertung dieser Vorgänge Folgendes beachten muss. Hier stoßen zwei Kulturen aufeinander. Wir haben es zum einen mit einer Großforschungseinrichtung zu tun, die bisher weit überwiegend institutionell gefördert wurde, die sich längerfristigen Zielsetzungen verschrieben hat. Die andere Unternehmenskultur orientiert sich stark an Auftragsforschung, vor allem auch für die Industrie, mit dem Zwang, zur Finanzierung der Einrichtung einen Eigenanteil von 60 Prozent über solche Forschungsprojekte zu bringen. Ihre Tätigkeit ist sehr viel stärker marktnah orientiert. Forschungspolitisch ist es reizvoll, dieses zusammenzubringen und damit eine neue Unternehmenskultur in beiden Bereichen voranzubringen. Dass in einer solchen Situation Unklarheiten bestehen, zum Beispiel auf der Ebene der Verwaltung der GMD, muss man voraussetzen. Dass hier in Deutschland überall dort, wo über Fusionen diskutiert wird, eine gewisse Neigung vorhanden ist, in der Bewahrung des Status quo das Geeignete zu sehen, werfen Sie anderen gesellschaftlichen Gruppen ja in der Regel vor. Ich denke, dass es wichtig ist, den Prozess, den die Bundesministerin Bulmahn Ende letzter Woche eingeleitet hat, in den nächsten Wochen fortzusetzen. Es muss nämlich das direkte Gespräch zwischen denjenigen, die am Schluss zu entscheiden haben, und den von den Entscheidungen Betroffenen gesucht werden. Frau Bundesministerin Bulmahn hat ja dieses Angebot allen Beschäftigten der GMD und der FhG unterbreitet. Wir werden dieses Gespräch suchen, auch nach der Betriebsversammlung, die ja noch in dieser Woche bei der GMD stattfindet. Lassen Sie mich aber auch deutlich sagen: Es handelt sich hierbei um Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrzunehmen haben. Es geht übrigens nicht um den Verlust von Arbeitsplätzen. Es besteht nämlich die Zusicherung des Bundes, dass kein Arbeitsplatz hier verloren gehen wird und die Beschäftigten eine gesicherte Perspektive haben. Es geht auch nicht darum, dass das finanzielle Budget der GMD beschnitten wird. Auch hierzu gibt es entsprechende Garantien. Über eine Fusion unter solchen Bedingungen zu diskutieren würde von vielen Beschäftigten in anderen Bereichen, etwa der Wirtschaft, als eine ausgesprochen komfortable Situation betrachtet werden. Außerdem muss man noch sehen, dass während eines Übergangszeitraums von drei bis fünf Jahren Schritt für Schritt vorgegangen wird, zum Teil mit der Möglichkeit der Korrektur. Das ist ein angemessener Weg, die Sorgen der Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu antworten. Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ausführen. Ich glaube, dass die Bundesregierung von beiden Seiten, von der GMD wie von der FhG, erwarten muss und erwarten kann, dass mehr Verständnis als bisher für die Ausgangssituation und die entsprechenden Unternehmenskulturen in der jeweils anderen Einrichtung, die künftig zum Partner wird, aufgebracht werden muss. Einen Teil der kritischen Diskussion in der GMD führe ich darauf zurück, dass bisher vielleicht nicht auf beiden Seiten ein entsprechendes Verständnis hierfür entwickelt worden ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die inhaltliche Konzeption ist Gegenstand der nächsten Frage. Bei der ersten Frage - ich darf Sie noch einmal darum bitten, darauf zu antworten - geht es um die von den Wissenschaftlern und der Belegschaft der Bundesregierung vorgeworfenen handwerklichen Mängel. Die Wissenschaftler haben keine Angst um ihren Arbeitsplatz; sie könnten überall auf der Welt ihre wissenschaftliche Tätigkeit ausüben. Sie sorgen sich um die wissenschaftliche Qualität. Sie beklagen, dass die Bundesregierung nicht mit ihnen redet, sondern von oben herab etwas verkündet und dekretiert, was die Qualität ihrer Leistung infrage stellt. Sie befürchten, dass sie in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht zur Forschungstätigkeit in ihrem Bereich kommen, sondern die Energien in Fusionsschwierigkeiten aufgerieben werden. In diesem Bereich findet ja im Grunde genommen alle halbe Jahre eine Revolution statt. ({0}) Weil nicht mit ihnen geredet wird, stelle ich nun die Frage: Wie wollen Sie auf diesen Sachverhalt reagieren? Suchen Sie das Gespräch mit den Wissenschaftlern, nehmen den Beschluss der Geschäftsleitung und der Belegschaft, von denen die Fusion abgelehnt wird, ernst oder Sie bleiben bei Ihrem Stil, rechtlich eine Fusion zu dekretieren? Sind Sie auch bereit, über Alternativen nachzudenken und die Fusion als Prozess zu verstehen? Das könnte dadurch geschehen, dass schon am Anfang strategische Koordination und Kooperation sowie virtuelle Verbünde praktiziert werden. Sind Sie im Gegensatz zu Ihrer bisherigen Haltung bereit, mit den betroffenen Wissenschaftlern Gespräche zu führen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Röttgen, ich habe einige Schwierigkeiten mit Ihrem Beitrag. Eben wurde in einem anderen Zusammenhang von Belehrung von dieser Seite an Ihre Adresse gesprochen. Es ist ja interessant, dass man das je nach Thema immer sehr unterschiedlich interpretieren kann. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ist unser Staatssekretär Uwe Thomas Kuratoriumsvorsitzender der GMD und steht im Gespräch mit dem Betriebsrat. Unser Haus wird auch am Freitag bei der Betriebsversammlung vertreten sein. Ich gehe, Herr Röttgen, erst einmal davon aus, dass Sie wissen, dass wir in diesen Prozess eingeschaltet sind. Ich gehe auch davon aus, Herr Röttgen, dass durchaus eine Kommunikation besteht. Ich weise auch noch einmal darauf hin, gerade weil vielen Kollegen hier im Hause die Vorgänge im Detail nicht bekannt sind, dass die Initiative dazu von Wissenschaftlern ausgegangen ist und das erste Dokument in diesem Prozess eine Erklärung des Chefs der GMD und des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft ist, die von uns begrüßt und unterstützt worden ist. Wir haben diesen Ball aufgenommen. In den letzten Tagen haben der Senatsausschuss der FraunhoferGesellschaft und ein entsprechender Ausschuss der GMD konkrete Vorschläge dazu unterbreitet, wie der Prozess zu organisieren ist. Wenn Sie, Herr Röttgen, einfordern, die Fusion als Prozess zu gestalten, kann ich Ihnen sagen, dass genau das vorgeschlagen wird. Das ist auch Gegenstand der Neun-Punkte-Erklärung. Jeder weiß, dass mit den im April zu treffenden Entscheidungen ein Prozess eingeleitet wird, der auch für nachträgliche Korrekturen offen sein soll. Das endgültige Bild der fusionierten GMD und FhG wird nicht im Detail beschrieben. Vielmehr bleibt es dem Engagement und der Verständigung der Mitarbeiter von GMD und FhG überlassen, wie sich bestimmte Fragestellungen langfristig entwickeln. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Sie haben in Ihrer Bemerkung, in Ihrer Rede - Fragestunden werden ja immer mehr zu „Redestunden“ -, auch einen Hinweis auf die Qualität längerfristig orientierter Forschung gegeben. Im Kern geht es darum, inwieweit sich die GMD über die Jahre hin stärker an Marktentwicklungen und Marktbedürfnissen orientiert, als sie das in ihrer bisherigen Struktur getan hat. Damit sage ich nicht, dass sie das bisher nicht getan hätte; in Zukunft muss sie das stärker tun. Natürlich gibt es Wissenschaftler, die das nicht möchten. An dieser Stelle ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Erfordernis zu stellen. Wenn wir davon ausgehen, dass es gerade im Bereich der I- und T-Technik - das haben Sie selbst gesagt - zu einer immer stärkeren Beschleunigung der Verschränkung von Grundlagenforschung und Marktgeschehen kommt, dann macht das klassische Modell institutionell geförderter und langfristig angelegter Grundlagenforschung im I- und T-Bereich weniger Sinn als früher. Das Interessante an der Debatte im Moment ist, dass über den Status quo geredet wird - man will seine Ruhe behalten -, nicht aber über die Frage, welche angemessene Struktur die Forschung im I- und K-Bereich angesichts der sich dramatisch beschleunigenden Entwicklung auf die Dauer haben muss. Das Argument, man fühle sich gestört und wolle mit der Fusion in Ruhe gelassen werden, kann die Bundesregierung allerdings nicht gelten lassen. Ließe sie es gelten, dann müsste sie überall in der Gesellschaft die Parole verbreiten, alles so zu lassen, wie es ist; denn das sanfteste Ruhekissen ist immer, weiter so wie bisher zu machen. Das kann hier nicht die erkenntnisleitende Parole sein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Hauser, bitte.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es geht nicht um die Befürchtung einzelner Mitarbeiter, sich möglicherweise mit der Fusion von GMD und FhG beschäftigen, einen anderen Arbeitsplatz einnehmen oder den Gesichtskreis erweitern zu müssen. Das gilt übrigens nicht nur für die Mitarbeiter der GMD, auf die Sie eben einzig abgehoben haben - möglicherweise lag das an den Fragen -, sondern in ganz erheblichem Maße auch für die der FhG. Das Problem ist vielmehr, inwieweit die Grundlagenforschung im I- und KBereich in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund gesichert werden kann, dass nach dem PITAC-Report von Anfang 1999 in den Vereinigten Staaten eine wesentliche Verstärkung der Grundlagenforschung stattfinden soll, und zwar bis zum Jahre 2004 um 1,378 Milliarden Dollar gegenüber dem Haushaltsjahr 1999. Ein weiteres Problem ist, dass man aufseiten der FhG sagt, es müsse beim Verhältnis 40 : 60 von institutioneller Förderung und Drittmitteln bleiben, auch wenn dieses Verhältnis bei der GMD gegenwärtig - das ist evaluiert worden - 70 : 30 beträgt, was aber bedeuten würde, dass dann, wenn es bei den Strukturen, die die FhG auch für die Zukunft für sich einfordert, bliebe, nach einer Übergangszeit bei der GMD Grundlagenforschung kaum noch möglich wäre, allenfalls bei einem Max-Planck-Institut, nämlich dem Deutschen Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz in Saarbrücken und Kaiserslautern, und ansonsten an den Universitäten, was sich ja bereits aus dem Eckpunktepapier ergibt, in dem das Wort „Grundlagenforschung“ nur im Zusammenhang mit den Universitäten vorkommt.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Kollege Hauser, ich freue mich, dass Sie in Ihrer Eingangsbemerkung deutlich gemacht haben, dass es durchaus berechtigt ist, über Fusionen dieser Art gründlich nachzudenken, und dass man von den Wissenschaftlern eine Kooperationsbereitschaft einfordern muss. Sie haben einen ganz wichtigen Aspekt angesprochen, nämlich die Frage des Verhältnisses von Grundlagenforschung und marktorientierter Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Das ist die eigentliche strategische Frage, vor der wir stehen. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass in den Beiträgen, die zurzeit von vielen Seiten zu dem Thema geliefert werden, diese Frage im Mittelpunkt steht; denn es ist natürlich erkennbar, dass bei der Fraunhofer-Gesellschaft, etwa in der Stellungnahme des Hauptausschusses des Wissenschaftlich-Technischen Rates, die Forderung vertreten wird, es solle bei der FhG alles so bleiben, wie es ist. Wenn man den Weg einer Verschmelzung von GMD und FhG geht, dann wird sich vieles in der GMD ändern. Aber auch bei der Fraunhofer-Gesellschaft wird nicht alles so bleiben, wie es ist. Ich will das an dem Punkt, den Sie genannt haben er wurde auch in den neun Punkten angeschnitten -, verdeutlichen: Auch die Fraunhofer-Gesellschaft betreibt zurzeit Arbeiten, die strategisch und längerfristig orientiert sind. Man könnte sie auch als Grundlagenforschung bezeichnen, weil die Fraunhofer-Gesellschaft darauf angewiesen ist, Know-how für die Produktentwicklung von übermorgen selbst in ihren eigenen Einrichtungen zu entwickeln. Wir suchen jetzt unter dem neuen gemeinsamen Dach nach einem Weg, der das Positive in der GMD, nämlich die längerfristig orientierte Forschung, zu einem - allerdings unter veränderten Bedingungen - Strukturprinzip der FhG insgesamt macht, indem wir den Fonds für die Erforschung neuer Märkte bilden wollen. Man könnte nun sagen, Grundlagenforschung sei etwas ganz anderes. Wir sagen: nein. Denn im IT-Bereich ist Grundlagenforschung von heute immer die Vorbereitung auf die Märkte von übermorgen. In diesem Sinne ist es eine Frage der Unternehmenskultur. Man kann Verständnis für die Sorgen von Institutsdirektoren der GMD haben, nämlich die Sorge, dass ihr Bereich im Rahmen der neuen Struktur der FhG sozusagen untergebuttert wird. Aber wenn wir gleichzeitig das Angebot machen, dass die Mittel, die für die Grundlagenforschung in der GMD heute bereitstehen, nicht gestrichen, sondern in einen Fonds für die Erforschung neuer Märkte überführt werden, dann ist es dabei unsere Absicht, etwas Neues zu schaffen. Wir wollen nämlich das Know-how für die Märkte und für die Produkte von übermorgen auch in diesen neuen Strukturen - vielleicht etwas zielorientierter als bisher - bereitstellen. Wir halten dies für eine richtige Strategie. Dieser Prozess wird erst dann zu einem fruchtbaren Ergebnis führen, wenn wir uns nach bestimmten Strukturentscheidungen darauf verlassen können, dass sich beide Seiten auf diesen Prozess des gegenseitigen LerParl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen nens und des Kompromissschließens einlassen. Zurzeit gibt es eine Zwischenphase, in der jeder versucht, sich gegenüber dem künftigen Partner abzugrenzen. Das ist verständlich, weil man damit versuchen will, die Ausgangsposition gegenüber dem anderen möglichst günstig zu gestalten. Die Stellungnahme des Wissenschaftlich-Technischen Rates ist aber nur eine Stimme in der Diskussion. Sie können davon ausgehen, dass wir in den nächsten Wochen unsere Gespräche mit dem Betriebsrat, mit der Geschäftsleitung und mit anderen Vertretern der GMD verstärken werden, weil wir das Gefühl haben, dass eine verstärkte direkte Kommunikation zwischen dem BMBF und den Beschäftigten notwendig ist, um klarzumachen, was unsere Ziele sind, und um zu verhindern, dass es zu einer nur auf Abgrenzung und Abschottung gerichteten Diskussion im Vorfeld notwendiger Entscheidungen kommt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Wir kommen nun zur Frage 13 des Kollegen Röttgen: Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, damit die IuK-Institute - IuK: Information und Kommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft entgegen dem Beschluss des Hauptausschusses des Wissenschaftlich-Technischen Rates der Fraunhofer-Gesellschaft zu einer mit der GMD konsensfähigen Position zurückkehren, wie sie in der Presseerklärung der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, vom 29. September 1999 festgehalten ist?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Auf Ihre Frage möchte ich Ihnen antworten: Der Ausschuss des Senats der FhG und der Ausschuss des Aufsichtsrates der GMD zur Begleitung der Fusion haben auf ihrer gemeinsamen Sitzung am 23. Februar 2000, also fünf Tage nach dem Beschluss des Hauptausschusses des Wissenschaftlich-Technischen Rates der FhG in Hannover, zum weiteren Fortgang der Zusammenführung von GMD und FhG einen gemeinsamen Beschlussvorschlag für die Sitzung der Aufsichtsgremien im April formuliert. An diesem einstimmigen Beschlussvorschlag haben übrigens der Vertreter des BMBF wie auch der Vertreter des WTR der FhG mitgewirkt. In diesem Beschlussvorschlag wird das Eckpunktepapier von Professor Warnecke und Professor Tsichritzis vom 28. Januar begrüßt und in seinen Punkten 1 bis 9 als Leitlinie für die beabsichtigte Zusammenführung der beiden Einrichtungen gesehen. Neben den oben dargestellten Entwicklungen des FhG-Finanzierungsmodells wurde vorgeschlagen, Professor Tsichritzis zum 1. Mai 2000 als einen von zwei Vizepräsidenten in den Vorstand der FhG zu berufen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass dieser Beschluss eine geeignete Basis für einen Konsens, der eine Grundlage für den weiteren Fortgang der Fusion darstellen kann, geschaffen hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Die Zeit“ hat getitelt: „Fusion ohne Vision“. Meine Frage ist: Sind auch Sie der Auffassung, dass bislang im Konsens eine inhaltliche Strategie für die geplante Fusion fehlt? Dies ist eine Rechtsfrage; der Rechtsmantel ist da, aber der Inhalt fehlt. Teilen Sie meine Auffassung, dass es an einer inhaltlichen Strategie fehlt? Wenn ja: Auf welchem Wege sind Sie bereit, eine solche inhaltliche Strategie als Voraussetzung einer Fusion zu entwickeln?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

In einer vorherigen Bemerkung ist dem BMBF der Vorwurf gemacht worden, die ganze Sache par ordre du mufti durchzuziehen. ({0}) Es ist nicht unsere Intention, die Strategie im Detail vorzugeben. Es geht darum, einen Integrationsprozess einzuleiten, auf dessen Basis die Wissenschaftler und Institutsleitungen beider Seiten in einem mehrjährigen Prozess bestrebt sind, ihre gemeinsame Vision über die künftigen Aufgaben der öffentlich geförderten Forschungskompetenz im Rahmen der FhG zu entwickeln. Unsere Vision in diesem Bereich kann man relativ einfach beschreiben. Wir wissen, dass wir mit dieser neuen Struktur die einmalige Chance haben, in anderer Verknüpfung als bisher einen wechselseitigen Prozess von Forschung und Innovation in Deutschland anzustoßen mit einer neuen Qualität, so hoffen wir, der direkten Interaktion zwischen öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen und der Breite der IT-Wirtschaft, nicht nur der großen Konzerne, sondern auch der mittelständischen Industrie. Ich denke, dass das eine überfällige Strukturanpassung war, weil das Innovationsgeschehen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik mit einer solchen Dramatik und Rasanz verläuft, dass die Zeitspanne der notwendigen Rückkopplungsprozesse zwischen industrieller Innovation und entsprechenden Vorläufen in der Forschung immer kürzer wird und wir deshalb eine sehr viel flexiblere, offenere und auch eine für Kooperation ideale Struktur nutzen wollen. Wir sind auf der einen Seite der Auffassung, dass die Struktur der GMD optimierungsbedürftig war und ist. Wir sind auf der anderen Seite der Meinung, dass dieser Prozess auch bei der Fraunhofer-Gesellschaft eine stärkere Akzentuierung auf Vorlaufforschung für Produkte von morgen und übermorgen erfordert, und glauben, dass wir durch die Zusammenführung eine vernünftige Struktur für das Wechselspiel im Innovationsprozess schaffen können.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Noch eine ganz kurze Zwischenfrage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich lasse sie zu.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Vorhandensein einer inhaltlichen Strategie zwischen den beteiligten Einrichtungen und dem BMBF ist nicht die Voraussetzung für die Fusion? Habe ich das richtig verstanden?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich habe Ihnen gesagt, es gibt grundsätzliche Zielsetzungen, die mit einer Strukturreform verbunden sind. Es kann nicht sein, dass das BMBF im Detail den beiden Partnern die Strategie vorgibt. Ich möchte Ihnen eines klar sagen: Strategien werden nicht für eine große Zeitspanne formuliert; auch diese Einrichtung wird sich vielmehr alle drei bis fünf Jahre auf dem Forschungsmarkt neu positionieren müssen. Das heißt, es kommt hier darauf an, die Dynamik, mit der sich die neue Forschungsinfrastruktur dem Markt und Innovationsgeschehen stellt, zu wecken und das Ganze voranzubringen. Wir sind sehr zuversichtlich, wenn der schwierige Prozess dieser Wochen überwunden ist und die Strukturentwicklungen klar sind, dass die Bereitschaft beider Seiten, die Synergieeffekte zu nutzen, in der Kooperation einen beiderseitigen Vorteil zu sehen, Kräfte freisetzt. Wenn es um Strukturveränderungen im institutionellen Gefüge geht, ist es immer so, dass die Gefahr droht, dass man sich an der Wahrung bestehender Strukturen „verkämpft“.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage des Kollegen Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem wir in Deutschland in Zeiten der Verantwortung der alten Bundesregierung - gerade unter Herrn Rüttgers - einen unglaublichen Rückstand im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie im internationalen Vergleich hinnehmen mussten, sehen Sie eine Chance, dass wir in Deutschland durch die von Ihnen mit angestoßenen Maßnahmen die Möglichkeit haben, ein Stück weit eine kritische Masse zu bekommen, die zu einem Schub bei der Informations- und Kommunikationstechnologie führt, der dazu beiträgt, die Rückstände aufzuholen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Die Bündelung der Kompetenzen, die heute in der Fraunhofer-Gesellschaft einerseits und in der GMD andererseits bestehen, halten auch wir für eine qualitative Stärkung des Potenzials der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen. Im internationalen Vergleich schaffen wir damit eine Struktur, die im Weltmaßstab kritische Masse sicherlich in hohem Maße erbringt. Ich darf den Vergleich mit den Vereinigten Staaten aufgreifen, den Herr Hauser vorhin gezogen hat. Die Amerikaner diskutieren, ihre Grundlagenforschung zu verstärken. Ist das aber unser aktuelles Hauptinnovationsdefizit? Ist es im Moment nicht vielleicht so, dass sich die Gewichte ein bisschen mehr angleichen müssen? Die Amerikaner haben vielleicht bei der Beschleunigung des Innovationsprozesses etwas vernachlässigt, was zum Bereich der strategisch orientierten Forschung gehört. Unser Innovationsproblem ist die stärkere Verknüpfung von strategisch orientierter Forschung mit Anwendung und Entwicklung. Die Annäherung der Strukturen vollziehen wir jetzt mit diesem Schritt, den wir hoffentlich im April im Konsens und mit breiter Basis in den Aufsichtsräten beider Einrichtungen beschließen können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Hauser.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach der Frage des Kollegen Tauss ist es mir möglich, zur Sache zurückzukommen. ({0}) - Keine Sorge. - Könnte es nicht sinnvoll sein, zunächst die Grundstrukturen - ich stimme Ihnen völlig zu, dass Sie nichts im Detail vorgeben können - abzusichern, so wie das auch bei CAESAR geschehen ist, indem man das Triplett zwischen Grundlagenforschung, Vorlaufforschung und anwendungsorientierter Forschung gebildet hat? Erst danach hat man die Fusion vollzogen. Man ist nicht zuerst in die institutionelle Fusion marschiert, um dann abzuwarten, wer sich durchsetzt, der Größere oder der Kleinere, der Schwächere oder der Stärkere.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Wenn Sie den CAESAR-Weg vorschlagen, dann kann ich das nur so interpretieren, dass Sie, Herr Hauser, dafür plädieren, beides aufzulösen und anschließend ganz neu aufzubauen. Den Weg wollen wir aber nicht gehen. ({0}) - Weil eben nichts bestand. Aber man hat sozusagen aus dem Nichts heraus etwas Neues geschaffen. Da in diesem Fall beide Institutionen existieren, besteht der Weg nicht darin, dass wir das Prinzip, Tripletts aufzubauen, vorgeben, um dann zu schauen, was passiert; denn auf diese Weise kann es zu einer organischen Kooperation und Verknüpfung der Aufgaben beider nicht kommen. Ich will Ihnen allerdings verdeutlichen, was der Inhalt der neun Punkte ist, die jetzt Grundlage für den Fusionsprozess sein sollen. Es handelt sich um sehr allgemeine Rahmenbedingungen, die vieles hinsichtlich konstruktiver Zusammenarbeit und Präzisierung durch engagiertes Zusammenwirken offen lassen. Wir sagen nur: Es soll um eine Fortentwicklung und Ergänzung des FhG-Modells gehen. Es wird darum gehen, dass sich der überwiegende Teil der Kapazitäten der GMD am Fraunhofer-Modell orientieren wird. Es bleibt zu klären, in welchem Ausmaß. Genauso ist der Frage nachzugehen, dass die erweiterte FraunhoferGesellschaft unter der Bezeichnung „Forschung für neue Märkte“ stärker längerfristig orientierte Vorlaufforschung einführen will. Als Modellversuch wollen wir einen entsprechenden Fonds für die IuK-Forschung aufbauen, der zu 100 Prozent grundfinanziert bleibt. Wir wollen in der Zwischenzeit Erfahrungen sammeln. Es wird Evaluierungen geben. Der Versuch wird unternommen werden, bestimmte Überlegungen einmal dem Belastungstest durch unabhängigen Sachverstand auszusetzen. Es muss endlich der Schritt vollzogen werden, den wir bis jetzt nicht gehen konnten: ein Institutsverbund der IuK-Institute von GMD und FhG zur Abstimmung gemeinsamer Strategien. Darauf sollen die Institute aufbauen und sie sollen die Strategie für das künftige gemeinsame Haus entwickeln. Wir haben auch gesagt: Die Verwaltung soll überprüft werden. Das genau sind Elemente, unter denen ein solcher Prozess Schritt für Schritt unter aktiver Beteiligung, getragen von den Direktoren der Institute der GMD und den entsprechenden Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft, vonstatten geht. Sie sollen im Grunde genommen die Träger der Strategieerarbeitung sein. Sie müssen auch eines sehen: Diese Institute werden doch nicht aus dem Stand sagen: „Die Welt sieht neu aus“, sondern sie werden Aufgabenpakete, die sie haben, weiterbearbeiten und daneben das neue Haus errichten. Das muss ein organischer Übergang sein. Deshalb können wir nicht zu Beginn des Prozesses sozusagen die detaillierte Strategie vorgeben. Verstehen Sie doch bitte, dass wir den Beteiligten gerade die Chance geben wollen, in einem mehrjährigen Übergangsprozess selbst die Feinstruktur dieser neuen Strategie zu entwickeln. Das ist meiner Ansicht nach objektiv im Interesse der Betroffenen. Was ich feststelle, ist, dass sich das Engagement zurzeit auf die Frage konzentriert, wie man sich voneinander abgrenzen kann, und nicht auf die Frage, wie der positive Synergieeffekt genutzt werden kann. Ich akzeptiere an dieser Stelle den zarten Hinweis von Ihrer Seite: Alle Beteiligten, die Leitung der GMD wie auch die Leitung der FhG und das BMBF, müssen ihre Anstrengungen verstärken, diese Strategie in der Breite der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erläutern und für Zustimmung zu werben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid zur Verfügung. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Ulrich Irmer auf: In welcher Weise lässt sich die von der Bundesregierung beabsichtigte Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kuba in Einklang mit den von ihr für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik geforderten Prinzipien der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bringen? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Kollege Irmer, ich glaube, wir haben überhaupt keine Differenz, wenn es um die Frage geht, dass es in Kuba bei den Menschenrechten, bei der Rechtsstaatlichkeit und in der Demokratie große Defizite gibt. Aber die Defizite in genau diesen Bereichen gibt es auch in einer Reihe von anderen Ländern, die Partner der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sind. Die kubanischen Defizite konnten durch eine Isolierungs- und Blockadepolitik über 40 Jahre lang nicht abgebaut werden. Die Bundesregierung sieht in der Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit einen geeigneten Weg, um die Wagenburgmentalität aufzulockern und das Interesse der kubanischen Seite an einem ernsthaften politischen Dialog zu erhöhen und sich für Veränderungen zu öffnen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Ihre Regierung ist mit dem Anspruch angetreten, dass sie ihre gesamte Politik unter den Grundsatz der Menschenrechte stellen wird. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass es andere Länder gibt, mit denen Zusammenarbeit besteht, in denen auch nicht gerade appetitliche Zustände herrschen, dann muss ich Sie doch fragen, ob Sie dies für einen ausreichenden Grund halten, die Zusammenarbeit jetzt mit einem besonders unappetitlichen Regime erneut aufzunehmen, und ob Sie angesichts der Tatsache, dass die Menschenrechtsverletzungen in Kuba in der letzten Zeit eher zugenommen haben, auch nur den Hauch einer Chance sehen, dass sich dort irgendwelche Reformbemühungen durchsetzen könnten.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Zum Ersten, Herr Kollege Irmer, möchte ich Ihnen ganz klar sagen: Die Entwicklungszusammenarbeit steht unter fünf Kriterien, nämlich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation, soziale Marktwirtschaft und entwicklungsorientierte Innenpolitik. ({0}) - Herr Kollege Irmer, diese Kriterien sind keine Ausschlusskriterien, sondern es sind Kriterien, die uns Handlungsorientierung geben. Das heißt: Wenn wir in einem Partnerland die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu unterstützen, die genau entlang dieser Kriterien zur Besserung führen, dann unterstützen wir Programme und Projekte zur Verbesserung zum Beispiel im Menschenrechtsbereich, zum Beispiel in der Partizipation und im demokratischen Prozess. Zum Zweiten wird Ihre Aussage, dass sich die Menschenrechtslage verschlechtert hat, international nicht einhellig geteilt. Die Europäische Union ist in ihrer Einschätzung der Menschenrechtslage auf Kuba sehr kontrovers. Es gibt Länder, die das Gleiche sagen wie Sie. Es gibt aber auch Länder im Rahmen der Europäischen Union, die genau das Gegenteil sagen. Wir als Bundesrepublik Deutschland sind der Auffassung: Selbstverständlich ist die Menschenrechtslage Besorgnis erregend, gerade nachdem wieder Dissidenten nach dem iberoamerikanischen Gipfel in Havanna verurteilt worden sind. Trotzdem sagen wir, dass eine Kooperation uns die Möglichkeit eines kritischen politischen Dialogs eröffnet, bei dem wir eine stärkere Respektierung der Menschenrechte einfordern können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, nachdem Sie eben dankenswerterweise die fünf Kriterien aufgezählt haben und ich dazu nur feststellen kann, dass keines von diesen Kriterien in Kuba auch nur ansatzweise erfüllt ist, muss ich Sie doch fragen, ob nicht angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungsmittel für andere Länder von der Bundesregierung gekürzt worden sind, die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba geradezu als eine Ohrfeige wirken muss gegenüber Ländern, die sich in der Vergangenheit ganz besonders angestrengt haben, aber jetzt mit Mittelkürzungen und sogar mit dem Schließen der Botschaften - obwohl das einen anderen Etat betrifft, das weiß ich sehr wohl - bestraft werden, wie es zum Beispiel im Falle des Landes Benin geschieht, das wirklich große Erfolge in der Demokratisierung erzielt hat.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Kollege Irmer, die Bundesregierung und das BMZ befinden sich zurzeit in einer Diskussion darüber, mit welchen von über 130 Ländern wir in Zukunft verstärkt zusammenarbeiten, also welche Länder Schwerpunktländer und welche Länder Programmländer sein werden. Insofern trifft Ihre Aussage, dass Benin da herausfallen wird, nicht zu; denn wir sind überhaupt noch nicht zu einer entsprechenden Entscheidung gekommen. Was wir mit Kuba in der Entwicklungszusammenarbeit beginnen, ist die Unterstützung bei der Umsetzung des nationalen Entwicklungsplans zur Bekämpfung der Degradation der Böden. Diese nationalen Entwicklungspläne beruhen auf der völkerrechtlichen Vereinbarung im Rahmen der Wüstenkonvention. Das Essenzielle bei dieser Wüstenkonvention ist Folgendes: Die nationalen Aktionspläne zur Bekämpfung der Degradation der Böden müssen zusammen mit der lokalen Bevölkerung erarbeitet werden. In unserem Projekt, das wir jetzt mit Kuba beginnen wollen, ist die Kooperation nicht nur mit den staatlich organisierten Bauern, sondern auch mit den nicht organisierten Bauern und mit allen gesellschaftlichen Kräften entlang des Flusses, an dem das Programm umgesetzt wird, ein wichtiges Element. Das Projekt ist gemeinhin unter dem Begriff der Wüstenbekämpfung bekannt. In Kuba geht es allerdings nicht darum, das Vordringen der Wüsten zu bekämpfen - insofern ist das hier ein missverständlicher Begriff -, sondern es geht darum, zusammen mit der lokalen Bevölkerung etwas gegen die Degradation, also die Verschlechterung, der Böden zu tun.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gehrcke zu einer Zusatzfrage, bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, würde es Sie verwundern, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, dass gerade der Kollege Irmer in der letzten Legislaturperiode durch seine Reisen nach Kuba als Abgeordneter sehr viel dazu beigetragen hat, die parlamentarische Zusammenarbeit mit Kuba zu entwickeln, und dass er sich in diesem Sinne auch für die Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit engagiert eingesetzt hat? Und würden Sie mir zustimmen, dass viele internationale Erfahrungen, wie Kollege Irmer bestens weiß, dafür sprechen, dass Dialog, Kooperation und Austausch mehr helfen als Embargo und Sanktionen?

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Nein, das würde mich nicht verwundern. Denn auch in der letzten Legislaturperiode haben Kollegen aus derselben Fraktion, der F.D.P.-Fraktion, im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durchaus für die Aufnahme der Entwicklungskooperation plädiert, weil nämlich ein konstruktives Engagement im Falle Kubas unter Umständen größere Chancen schafft, die Blockadehaltung zu durchbrechen. Wir sehen heute, dass 40 Jahre Blockade nur zu einer Wagenburgmentalität und nicht zum Erfolg geführt haben. ({0}) Ich finde es richtig, dass sich die jetzige Bundesregierung Gedanken macht, wie man durch einen kritischen politischen Dialog, das heißt in einem konstruktiven Engagement, dazu beitragen kann, dass die Menschen in Kuba größere Freiräume bekommen, um ihre eigenen politischen Meinungen zu äußern. Wir wollen nicht nur sagen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte gewahrt werden. Uns geht es darum, zu befördern, dass auch die bürgerlichen Freiheitsrechte respektiert werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt offensichtlich keine Zusatzfrage mehr. Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Irmer auf: Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aufkündigung des „konstruktiven Engagements“ der kanadischen Regierung mit Kuba und der Einstellung der kubanischkanadischen Entwicklungszusammenarbeit wegen fortgesetzter Missachtung der Menschenrechte? Frau Staatssekretärin, bitte.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Die breit angelegte kanadisch-kubanische Entwicklungszusammenarbeit wurde nicht eingestellt, sondern wird derzeit überprüft. Laufende Vorhaben werden weiter gefördert. Die kanadischen Erfahrungen legen allerdings die Folgerung nahe - diese Folgerung wurde auch von einem prominenten kubanischen Oppositionellen gezogen -, dass der Politikdialog und die Zusammenarbeit mit einzelnen Gebern nicht ausreichen, sondern dass möglichst viele Partner - einschließlich der Europäischen Union - einen konstruktiv-kritischen Dialog mit Kuba führen sollten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Irmer, eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund Ihrer zu Recht ausgebliebenen Überraschung über meine Aktivitäten in Richtung Kuba möchte ich Sie denn doch fragen, ob nicht Ihrer Meinung nach zwischen der Analyse - sie ist richtig -, dass die Isolierung Kubas eher zur Verfestigung des Regimes geführt hat, und der Tatsache, dass jetzt eine entsprechende Entwicklungshilfe begonnen werden soll, ein Unterschied besteht. Denn es ist ja so, dass andere Länder, wie sich am Beispiel Kanada zeigt - auch die Europäische Union -, zwar an Kuba appelliert haben, politische Gefangene freizulassen, dieser Appell aber nicht dazu geführt hat, dass politische Gefangene freigekommen sind, sondern nur dazu, dass sich die Menschenrechtslage in Kuba, wie wir soeben gemeinsam festgestellt haben, eher verschärft hat. Dies sage ich unbeschadet dessen, dass ich natürlich durchaus die These vertrete, dass das CastroRegime längst beseitigt wäre, wenn die Vereinigten Staaten nicht eine derartig sinnlose Isolierungspolitik mit einer solchen Konsequenz gegenüber Kuba durchgeführt hätten.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Kollege Irmer, ich möchte noch einmal klarstellen, dass die kanadische Regierung keineswegs das so genannte konstruktive Engagement mit Kuba aufgekündigt und auch die Entwicklungszusammenarbeit nicht eingestellt hat. Richtig ist - das ist dem aktuellen Bericht der deutschen Botschaft in Havanna zu entnehmen -, dass der kanadische Ministerpräsident nach der Verurteilung der so genannten Vierergruppe, der Dissidenten, und nach dem ibero-amerikanischen Gipfel die Bemerkung machte, man werde die kanadische Politik im Lichte der Ereignisse überdenken. Die einzige Konsequenz, die es gegeben hat, war, dass ein noch nicht beschlossenes Projekt zurückgestellt worden ist. Im Übrigen herrscht zurzeit zwischen Kanada und Kuba eine völlige Normalität der Beziehungen, auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Zur Europäischen Union: Ich möchte noch einmal klarstellen, dass es auch in der EU Länder gibt - zum Beispiel Spanien und Frankreich -, die mit Kuba bereits eine Entwicklungskooperation betreiben. Wir haben jetzt beschlossen, eine Entwicklungskooperation auf staatlicher Ebene aufzunehmen, nachdem es schon seit Jahren über Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen eine solche Entwicklungskooperation gibt. Wir machen also keinen völlig neuen Schritt, sondern führen auf staatlicher Ebene Projekte ein und weiter, aber immer mit der Stoßrichtung - das versichere ich Ihnen -, dass wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit demokratische Elemente befördern wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Irmer? - Bitte.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben Spanien erwähnt. Dieses Land stellt aufgrund der Vergangenheit einen Sonderfall dar. Aber fürchten Sie nicht, dass Sie sich im Rahmen der Europäischen Union in eine gewisse Isolation begeben angesichts des Umstandes, dass die Europäische Union die Aufnahme Kubas in die Gruppe der AKP-Staaten und eine entsprechende Zusammenarbeit nach wie vor ablehnt, und zwar mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass die Menschenrechte dort in ganz erheblichem Maße verletzt werden? Mir will auch nicht einleuchten, dass Antidesertifikationsprogramme zur Förderung der Menschenrechtslage beitragen sollen.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Kollege Irmer, ich möchte Sie hiermit darüber informieren, dass sich die Länder im Rahmen der Wüstenkonvention - sie wurde mittlerweile von über 150 Staaten ratifiziert - völkerrechtlich verpflichtet haben, die Programme im Rahmen der nationalen Aktionsprogramme in einem partizipativen Prozess zu konzipieren und auch umzusetzen. Ich lade Sie ein, mit zur nächsten Wüstenkonferenz zu reisen. Sie werden dann Gelegenheit haben, mit den Vertreterinnen und Vertretern der entsprechenden Regierungen zu diskutieren. Oder ich lade Sie ein, mit nach Kuba zu reisen, nachdem dort mit diesem Programm begonnen wurde, damit Sie sich vor Ort persönlich davon überzeugen können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Fragen 16 und 17 werden schriftlich beantwortet. Daher danken wir der Frau Staatssekretärin nach dieser freundlichen Antwort für die Beantwortung der vielen Fragen. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Die Fragen 18, 19, 20 und 21 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Ruprecht Polenz auf: Ist es zutreffend, dass der von Deutschland gelieferte Kampfpanzer Leopard 1 niemals in Kampfhandlungen gegen die PKK oder in Akte der inneren Repression gegen kurdische Zivilisten in Ostanatolien aktiv verwickelt war, wie dies von der deutschen Rüstungsindustrie dargelegt wird? Herr Staatssekretär, bitte sehr.

Not found (Gast)

Herr Kollege Polenz, Sie fragten nach menschenrechtswidrigen Einsätzen des Leopard 1 in der Türkei. Meine Antwort darauf: Die Bundesregierung konnte bisher keine Erkenntnisse gewinnen, dass der Kampfpanzer Leopard 1 in Kampfhandlungen gegen die PKK oder in Akte der inneren Repression in Ostanatolien eingesetzt wurde.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe dann die Frage 23 des Kollegen Polenz auf: Wann ist der abgesagte Besuchstermin des Bundeskanzlers in die Türkei vereinbart worden, und ist es nicht zutreffend, dass die eigentliche Begründung für die Absage im Zusammenhang mit der Diskussion um die Lieferung des Kampfpanzers Leopard 2 an die Türkei zu sehen ist? Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Not found (Gast)

Herr Polenz, Sie fragten nach den Gründen für die Absage des Bundeskanzlers bezogen auf seinen geplanten Türkei-Besuch. Die Reise des Bundeskanzlers in die Türkei - so meine Antwort - ist angesichts der zeitlichen Nähe zu der Reise des Bundespräsidenten in die Türkei, die vom 6. bis 8. April 2000 stattfindet, nicht abgesagt, sondern verschoben worden. Die Diskussion um eine mögliche Lieferung des Kampfpanzers Leopard 2 an die Türkei hat bei der Verschiebung der Reise keine Rolle gespielt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wann war dem Auswärtigen Amt oder dem Kanzleramt die Reise des Bundespräsidenten bekannt?

Not found (Gast)

Wir wussten, dass der Bundespräsident grundsätzlich eine Reise nach Griechenland und in die Türkei plante. Diese Planung ist aber erst relativ spät konkretisiert worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wann waren denn Ihrem Haus die Reisepläne des Bundeskanzlers bekannt?

Not found (Gast)

Da müsste ich einmal nachhören. Ich habe die Daten nicht im Einzelnen im Kopf.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Polenz? - Bitte sehr.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gibt es inzwischen einen neuen Termin für einen Besuch des Bundeskanzlers in der Türkei?

Not found (Gast)

Danach werde ich mich gerne beim Bundeskanzleramt erkundigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl auf: Welche Menschenrechtsverletzungen in der Türkei sind in diesem Jahr dem Auswärtigen Amt bekannt geworden, und welche Besserungen der Menschenrechtssituation hat die türkische Regierung in Aussicht gestellt? Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Gast)

Herr Uhl, Sie fragten ganz allgemein nach Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Ich antworte wie folgt: Die Menschenrechtslage in der Türkei ist weiter als unbefriedigend zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere für den Südosten des Landes. Die Staatsschutzbestimmungen des allgemeinen Strafrechts, die Notstandsdekrete sowie das Antiterrorgesetz eröffnen Einschränkungsmöglichkeiten in Bezug auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Häufig werden diese Vorschriften sehr weit ausgelegt und nicht einheitlich angewandt. Hinzu kommen Berichte über Verstöße türkischer Sicherheitskräfte gegen menschenrechtlich relevante Regelungen des türkischen Rechts wie zum Beispiel das Folterverbot. Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung sorgfältig. Bekannt gewordene Einzelfälle bezieht sie in die Erörterung menschenrechtlicher Fragen mit der türkischen Regierung ein. Seit dem Europäischen Rat von Helsinki bietet die türkische EU-Kandidatur eine grundlegend neue und verbesserte Basis hierfür. Auch türkische Menschenrechtsorganisationen, mit denen die Bundesregierung enge Kontakte unterhält, befürworten die Einbindung der Türkei in die Kopenhagener Beitrittskriterien nachdrücklich. Das türkische Parlament hat mit Gesetz vom 24. Februar 2000 die Geltung des am 26. August 1999 erlassenen so genannten Reuegesetzes - das ist ein Gesetz, das auf bestimmte Straftäter im Zusammenhang mit den bekannten politischen Auseinandersetzungen in der Türkei anzuwenden ist - um weitere sechs Monate bis zum 29. August 2000 verlängert. Das Reuegesetz gewährt bestimmten Straftätern Strafermäßigung oder sogar Straferlass, wenn sie sich freiwillig den Sicherheitsbehörden stellen und aktiv zur Bekämpfung der Organisation, der sie angehört haben, beitragen. Diese sehr enge Definition der Reichweite des Reuegesetzes zeigt aber auch, dass der Kreis derer, die in den Genuss dieses Gesetzes kommen, sehr klein sein dürfte. Vizepräsidentin Anke Fuchs

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, nachdem der Türkei der Status als Beitrittskandidat für die EU verliehen worden ist, stelle ich die Frage: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass dieser Umstand dazu angetan ist, schon jetzt eine positive Menschenrechtsprognose für die Türkei auf mittlere Sicht zu stellen?

Not found (Gast)

Nein, wir geben keine Prognose ab. Wir erhoffen uns, dass die Anwendung der Kopenhagener Kriterien, die mit der Perspektive eines EU-Beitritts notwendigerweise verbunden ist, dazu beiträgt, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei nachhaltig und durchgreifend verbessert. Für den Fall, dass dies nicht so sein sollte, wird sich der Prozess eines eventuellen EUBeitritts umso länger hinauszögern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Vielen Dank. Ich mache darauf aufmerksam, dass es jetzt Fragen zum Themenkomplex „Export von Leopard-Kampfpanzern“ gibt, deren Beantwortung in andere Zuständigkeiten fällt. So rufe ich nacheinander die Fragen 34, 41 und 35 auf, die Herr Siegmar Mosdorf bzw. Frau Brigitte Schulte beantworten werden. Ich rufe Frage 34 des Kollegen Johannes Singhammer auf: Stimmen nach Ansicht der Bundesregierung Prognosen, dass bei einer Ablehnung des Exports von Panzern des Typs Leopard 2 in die Türkei allein rund 6 000 Arbeitsplätze in den nächsten 10 Jahren verloren gingen, und würde sich eine Nichtbelieferung der Türkei bei einer türkischen Bestellung auch auf Verkäufe in andere Länder, beispielsweise nach Griechenland, auswirken? Herr Staatssekretär Mosdorf, bitte.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Herr Kollege, bei dem möglichen Verlust von 6 000 Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren, die Sie in Ihrer Frage erwähnen, handelt es sich um Angaben der Panzer bauenden Industrie. Mangels belegbarer eigener Erkenntnisse kann die Bundesregierung daher zurzeit zu diesen Angaben keine Stellung nehmen. Zu den möglichen Auswirkungen einer Nichtbelieferung der Türkei mit Panzern auf einen Verkauf an andere Länder liegen der Bundesregierung keine entsprechenden Erkenntnisse vor.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann, wenn sich diese von der wehrtechnischen Industrie gemachten Angaben über Arbeitsplatzverluste als zutreffend herausstellen sollten, bereit, für die Sicherung dieser Arbeitsplätze ähnliche Aktivitäten zu entwickeln, wie das beispielsweise im Falle Holzmann geschehen ist?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, Sie stellen hypothetische Fragen, auf die ich natürlich keine Antwort gebe, zumal ich die beiden Fälle auch nicht vergleichen möchte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Unterscheidung zwischen Arbeitsplätzen in der wehrtechnischen Industrie und Arbeitsplätzen in anderen Bereichen hinsichtlich ihrer moralischen Qualität nicht möglich ist, dass eine Unterscheidung zwischen so genannten guten und schlechten Arbeitsplätzen ausscheidet, dass also vielmehr um jeden Arbeitsplatz, egal, in welcher Branche er sich befindet, mit der gleichen Mühe und der gleichen Besorgnis gerungen werden muss?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, wir haben uns als Bundesregierung Grundsätze gegeben, die ich vor wenigen Wochen hier erläutern durfte. Sie können diesen Grundsätzen entnehmen, wie wir in solchen Fällen verfahren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt rufe ich die Frage 41 des Abgeordneten Johannes Singhammer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung, vor allem auch aufgrund der Haushaltskürzung im Bundesministerium der Verteidigung von 18,3 Milliarden DM bis 2003, die Feststellungen des Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie, dass von einem weiteren Personalabbau von 10 000 Stellen bis 2003 ausgegangen werden müsse, nachdem die Zahl der dort Beschäftigten bereits im Zeitraum von 1990 bis 1999 von 280 000 auf 100 000 geschrumpft ist? Frau Brigitte Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung. Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege, die neue Bundesregierung hat bei ihrem Amtsantritt im Herbst 1998 eine dramatische Finanzlage vorgefunden, die maßgeblich die alte Bundesregierung zu verantworten hatte. Ich darf Sie daran erinnern: In den 16 Jahren der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung sind die Schulden des Bundes, die im Jahre 1982 bei 300 Milliarden DM lagen, auf 1,5 Billionen DM - auf das Fünffache - angestiegen. Insoweit war es unvermeidlich, dass versucht wird, in allen Bereichen, damit auch bei der Bundeswehr, zu sparen. Ungeachtet dessen wurden von Finanzminister Eichel - darauf möchte ich besonders hinweisen, denn daraufhin erfolgten Beschaffungen - sowohl im Jahre 1999 als auch im Jahre 2000 zusätzliche Mittel im Einzelplan 60 für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung für internationale Einsätze zur Verfügung gestellt. Das ist dem Kollegen Rühe zur Amtszeit des Finanzministers Waigel nie gelungen. So wurden für das Jahr 2000 zusätzlich 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, mit denen Beschaffungen erfolgen, nämlich Ersatzbeschaffungen und zusätzliche Ausrüstung. Im Jahre 1999 haben wir immerhin 441 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 mehr bekommen. Der kommende mittelfristige Finanzplan steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Ergebnisse der Strukturüberlegungen und der Entscheidung zur Modernisierung der Bundeswehr und der Streitkräfte. Dabei ist es bei der Bundeswehr unumstritten, dass das veraltete Gerät der Bundeswehr dringend modernisiert bzw. neues Gerät beschafft werden muss. Zuerst wird es aber notwendig sein, zeitgemäße Strukturentscheidungen zu treffen und dann den Finanzplan anzupassen. Ich gehe davon aus, dass sich der tatsächliche Haushaltsumfang und die mittelfristige Finanzplanung an diesen Erkenntnissen orientieren. Was die Feststellung des Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie betrifft, so kann die Bundesregierung und so kann ich sie nach 19-jähriger Tätigkeit im Verteidigungsbereich nicht nachvollziehen. Zutreffend ist - mein Kollege Mosdorf hat es gesagt -, dass die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen war. Soweit aber Unternehmen einen weiteren Personalabbau wegen angeblicher Einsparungen planen, ist das ihre unternehmerische Entscheidung. Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht nachvollziehen, warum noch in den letzten Jahren in Thüringen ein neues Instandsetzungswerk für Radfahrzeuge geschaffen wurde, und das mit öffentlichen Mitteln, obwohl genügend Kapazitäten in den alten und neuen Bundesländern zur Verfügung standen. Ich kann Ihre Frage und die des Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie als eine politische Frage verstehen, aber nicht als eine sachlich orientierte Frage.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, dies war eine politisch-sachliche Frage, wenn ich dies hinzufügen darf. Ich möchte eine weitere politisch-sachliche Frage anschließen: Was können Sie den vielen Tausend Beschäftigten in der wehrtechnischen Industrie, die in größter Sorge um ihren Arbeitsplatz sind, und ihren vielen Zehntausend Angehörigen, die ebenfalls diese Sorge haben, über die weiteren Pläne der Bundesregierung sagen? Können Sie zu ihrer Beruhigung beitragen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Ich kann sie insofern beruhigen, als wir im letzten Jahr über 700 Millionen DM mehr ausgegeben haben, als die letzte Bundesregierung das wollte. Sehr wundersam, Herr Kollege Singhammer, ist, dass sich im Jahr 1998 die Zahl der Instandsetzungsaufträge für Radfahrzeuge der Bundeswehr teilweise verdoppelt hat und wir das Malheur vorfanden, dass wir, statt notwendige Maßnahmen durchführen zu können, offensichtlich aus parteipolitischen Gründen beschlossene Maßnahmen - vielleicht hat es etwas mit dem Wahljahr bzw. den Spenden zu tun gehabt - abbauen mussten. Ich möchte auf die Vertreter der von Ihnen genannten Einrichtung, zu denen ich bereits ein paar passende Worte gesagt habe, zurückkommen. Es wurden im Wahljahr vielleicht, um entsprechende Wirkung zu erzielen, an bestimmten Orten neue Firmen gegründet und gleichzeitig die Kapazitäten in bestehenden Firmen abgebaut. Ich nenne die Firmen Wegmann in Kassel sowie Krauss-Maffei, die sich im Wahlkampf dafür loben ließen, dass sie neue Kapazitäten schafften, während sie gleichzeitig Arbeitsplätze in Kassel abbauten. Das kann man als Steuerzahler nicht akzeptieren. Ich könnte diese Beispiele fortsetzen. Ich war gerade in den letzten Tagen intensiv damit beschäftigt. Ich halte das für sehr unsinnig und unverantwortlich. Wir bräuchten das Geld für eine Haubitze, die Sie angeschafft haben. Sie nennt sich „Panzerhaubitze 2000“ und kostet den deutschen Steuerzahler mehrere Milliarden DM. Es war nicht einmal das Geld zur Verfügung, damit dieses Gerät für einen möglichen Einsatz im Kosovo zur Verfügung gestellt werden konnte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Singhammer?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie hoch schätzen Sie die Ausfälle an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, wenn nur Tausend Arbeitskräfte arbeitslos werden? Sind Sie mit mir der Meinung, dass diese Beträge, die an einer Stelle eingespart werden können, aufgrund des Wegfalls von Arbeitsplätzen an anderer Stelle den Bundeshaushalt teuer zu stehen kommen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Ich teile Ihre Meinung überhaupt nicht. Wir haben heute im Kanzleramt einen zweiten Vertrag unterschrieben, an dem sich 94 überwiegend mittelständische und größere Unternehmen beteiligt haben, die mit der Bundeswehr in Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesverteidigungsministers Verträge zur Kooperation abschließen wollen. Wenn Sie uns nicht eine so schlechte Organisation auch im zivilen Bereich der Bundeswehr hinterlassen hätten, sondern dort moderne Managementmethoden eingeführt hätten, dann hätten wir keine Probleme damit, diese Kooperation fortzusetzen. Die Firmen sind sehr daran interessiert, mit uns zu kooperieren und mit uns endlich auch die Dauer der Beschaffungsvorgänge in bestimmten Bereichen herunterzufahren. So wollen sie beispielsweise statt in 15 Jahren in sieben Jahren etwas machen. Deswegen ist das, was Sie sagen, alles hypothetisch und trifft die Wirklichkeit nicht. Eines kann ich Ihnen sagen: Wir werden Firmen nicht deshalb erhalten, weil es in einem Wahlkampf opportun war, ein siebentes und achtes Los des Panzers Leopard 2 zu kaufen, obwohl wir diesen nicht brauchen. Dieses wird hoffentlich bei einer sozialdemokratisch und vom Bündnis 90/Die Grünen geführten Bundesregierung nicht vorkommen. Von dieser Art Entscheidung wird es in der Zukunft noch ein paar geben. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Lippmann das Wort für eine Zusatzfrage.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, Sie sprachen gerade von den rot-grünen Aktivitäten und davon, was mit Ihnen machbar ist und was nicht. Ich erinnere mich daran, dass in den Koalitionsvereinbarungen, insbesondere aber auch in den Programmen von SPD und Grünen, vom Abbau der Rüstungsindustrie sowie von der Auflage von Konversionsprogrammen für den rüstungs- und wehrtechnischen Bereich die Rede war. Gibt es Planungen in Ihrem Haus oder in anderen Bereichen der Bundesregierung, solche Konversionsprogramme aufzulegen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Liebe Frau Kollegin Lippmann, zynischerweise muss ich sagen: Das hat die alte Bundesregierung ja bereits für uns geleistet, indem sie in massiver Weise - man spricht von 180 000 Arbeitsplätzen; manche sprechen von 200 000 - Arbeitsplätze abgebaut hat. Aber sie hat es bedauerlicherweise wenig systematisch gemacht. ({0}) Denn das betrifft zum Teil auch qualifizierte Tätigkeiten, deren Kompetenz wir auch in der Zukunft brauchen werden. Frau Lippmann, nun kann man heute Gott sei Dank vieles auch in der Rüstungsindustrie aus der deutschen Technologie in anderen Bereichen oder der internationalen Technologie beziehen. Eines haben die meisten Kollegen unterschätzt: Wie groß der Nachholbedarf bei der Modernisierung der Bundeswehr ist. Auch wenn Sie gegen internationale Einsätze sind, wollen Sie wohl nicht, dass die Soldaten, die daran teilnehmen, nicht - zu ihrem eigenen Schutz - vernünftig ausgestattet sind. Insoweit bin ich relativ gelassen. Wir werden nicht unbedingt eigenes, selbstentwickeltes Gerät für die Bundeswehr brauchen. Wir werden da auch die Zweibahnstraße aus ziviler Technologie und militärischer Technologie nutzen können. Aber wir haben natürlich auch einen Nachholbedarf bei der Modernisierung. Dem werden auch Sie sich nicht verschließen können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Kollege Dr. Schockenhoff eine Zusatzfrage.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie sagen, die alte Bundesregierung habe bis zu 200 000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie abgebaut. Können Sie mir einen einzigen Arbeitsplatz benennen, den die Regierung abgebaut hat?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Das war ja das Problem, dass Sie natürlich Ihre Haushalte herunterfahren mussten - im Gegensatz zu uns, Herr Kollege, die wir im letzten Jahr die Mittel für Beschaffungsmaßnahmen angehoben haben und auf anderen Gebieten gespart haben. In der genannten Unterlage steht - das war doch wohl die Frage, die Kollege Singhammer dem Kollegen Mosdorf gestellt hat -, dass tatsächlich zwischen 1990 und 1999 die Zahl der Arbeitsplätze von 280 000 auf 100 000 geschrumpft ist. Er hat sich übrigens dabei auch wieder auf den Arbeitskreis der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie berufen. Aus dieser Quelle stammt die Zahl von 180 000 bis 200 000 Arbeitsplätzen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 35 des Kollegen Dr. Uhl auf: Schließen die von der Bundesregierung jetzt verabschiedeten Exportrichtlinien, in denen der Export von Rüstungsgütern in Nicht-NATO-Länder grundsätzlich nicht vorgesehen ist, eine Exportgenehmigung in ein Land, das der NATO nicht angehört, aber eine demokratisch legitimierte Regierung hat, wie Chile oder Österreich, aus? Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Mosdorf zur Verfügung. Sie haben das Wort.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Dr. Uhl, die Bundesregierung antwortet auf Ihre Frage wie folgt: Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern unterscheiden zwischen Ausfuhren in NATO-Staaten, EU-Staaten und NATO-gleichgestellte Staaten auf der einen Seite und Lieferungen in sonstige Länder auf der anderen Seite. Österreich als EUMitgliedstaat gehört zum Kreis der privilegierten Länder. Lieferungen sind daher grundsätzlich nicht zu beschränken. Über Ausfuhren von Rüstungsgütern in Drittländer außerhalb des oben genannten Kreises von Ländern wird jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen, der politischen Grundsätze sowie des EU-Verhaltenskodex entschieden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welches Interesse hat die Bundesregierung am Erhalt von nationalen Kernkompetenzen und Mindestkapazitäten in der Wehrtechnik angesichts des Umstandes, dass bei der Produktion von Großkampfwagen - aber nur dort - deutsche Firmen noch in der Weltspitze sind?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Kernkompetenzen erhalten bleiben, Herr Abgeordneter.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat Frau Kollegin Lippmann eine Frage. Bitte sehr.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich beziehe mich auf die Ausgangsfrage des Kollegen und möchte gern von Ihnen wissen, ob Sie die folgende Frage beantworten können, nachdem das Verteidigungsministerium heute Vormittag nicht in der Lage war, uns diese Frage kurzfristig zu beantworten. Wie wird die mögliche Lieferung von 64 bewaffneten Spürpanzern Fuchs der Firma HWK aus Kassel an die Vereinigten Arabischen Emirate unter Berücksichtigung der neuen Rüstungsexportrichtlinien und insbesondere unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage von der Bundesregierung beurteilt?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Kollegin, es liegt hierzu nur eine Voranfrage vor. Die Bundesregierung hat sich damit noch nicht im Einzelnen beschäftigt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 36 des Kollegen Dr. Schockenhoff auf: Tagt der Bundessicherheitsrat öffentlich oder geheim und was war der Grund dafür, das unterschiedliche Abstimmungsverhalten der beteiligten Ressorts bei der Frage einer Lieferung des Testpanzers Leopard 2A6 in den Medien darzustellen? Diese Frage wird auch der Staatssekretär Siegmar Mosdorf beantworten. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Schockenhoff, die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim. Über das Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitglieder hat es seitens der Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt eine Verlautbarung gegeben. Zu Darstellungen der Medien über vertrauliche Angelegenheiten des Bundessicherheitsrates nimmt die Bundesregierung grundsätzlich nicht Stellung. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Außenminister auf Parteiveranstaltungen, bei denen Medien zugelassen und zugegen waren, ihr Abstimmungsverhalten im Bundessicherheitsrat öffentlich begründet haben und steht dieses Verhalten nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, den Sie gerade beschrieben haben? Wenn Sie dieser Einschätzung folgen können, frage ich Sie: Halten Sie angesichts dieses Widerspruchs Konsequenzen innerhalb der Bundesregierung für erforderlich?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Schockenhoff, die Bundesregierung hat selber eine Geschäftsordnung und an die hält sie sich. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie das gerade von mir beschriebene Verhalten zweier Regierungsmitglieder bestätigen und lässt sich dieses mit der Geschäftsordnung der Bundesregierung in Einklang bringen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Schockenhoff, ich war nicht auf den Bundesversammlungen der Grünen persönlich anwesend. Deshalb kann ich das in Ihrer Frage beschriebene Verhalten nicht bestätigen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe nun die Frage 42 des Kollegen Schockenhoff auf: Sind Pressemeldungen wie in der Wirtschaftswoche Nr. 7 vom 10. Februar 2000, Seite 9, zutreffend, wonach der Testpanzer vom Typ Leopard 2, der vor einigen Wochen in die Türkei geliefert wurde, in Wirklichkeit nicht von der Herstellerfirma stammt, sondern von der Bundeswehr aus eigenen Beständen geliefert und von der Herstellerfirma nur aufgerüstet wurde, und wenn ja, musste die Türkei dies nicht als zusätzliches Signal auffassen, dass die deutsche Bundesregierung für den Fall eines Zuschlags dem Gesamtgeschäft keine Steine in den Weg legen würde? Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Bitte sehr.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Frau Präsidentin, Herr Kollege, die Pressemeldung ist so - ich betone: so nicht zutreffend. Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung hat mit Leihvertrag vom 3. August 1998, also noch zur Zeit der alten Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P., der Firma Krauss-MaffeiWegmann einen Kampfpanzer Leopard 2 zur firmeneigenen Weiterentwicklung des Waffensystems für den Zeitraum von 1998 bis 2008 überlassen. Ein Teil der Entwicklungsergebnisse wird dem Bund dafür unentDr. Hans-Peter Uhl geltlich zur Verfügung gestellt. Die Kosten für Betrieb und Instandsetzung dieses Fahrzeuges trägt die Firma. Es trifft zu, dass die Firma Krauss-Maffei-Wegmann dieses Fahrzeug der Türkei für eine Vergleichserprobung zur Verfügung gestellt hat. Die Bundesregierung hat der temporär begrenzten Ausfuhr zugestimmt. Eine Präjudizierung der Ausfuhrentscheidung bezüglich des Gesamtgeschäfts ist daraus nicht ableitbar.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage? Herr Kollege, bitte.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung bei diesem Geschäft, dem sie zugestimmt hat, bekannt gewesen, dass es aus der Sicht der Türkei nach ihren eigenen Auslobungsbedingungen selbstverständlich sein musste, dass ein Land, das der Übersendung eines Testpanzers zugestimmt hat, auch bereit ist, dem endgültigen Geschäft für den Fall zuzustimmen, dass dieser Testpanzer im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens den Zuschlag erhält?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Nein, Herr Polenz, das ist eine freie Entscheidung der Bundesregierung. Das, was sich die Türkei vorstellt, ist eine andere Sache. Wir haben zugestimmt, dass die Türkei den Testpanzer erhält, weil sie bereits seit langem den Leopard 1 hat, nämlich seit über 20 Jahren. Das ist bekannt. Aber damit ist nicht das Geschäft mit dem Leopard 2 präjudiziert, auch dann nicht, wenn die Türkei diese Vorstellung gehabt haben sollte. Ich hatte aber gar nicht den Eindruck, dass sie diese Vorstellung hatte. Ich kenne die Verhältnisse in der Türkei aufgrund der guten Zusammenarbeit schon etwas länger. Ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Ob das Geschäft mit dem Leopard 2 zustande kommt, wird sich ergeben. Erst einmal müssen wir abwarten, ob die Türkei ihn überhaupt aussucht. ({0}) - Das war etwas anderes.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Singhammer eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die 2 Millionen Menschen mit türkischem Pass, die in Deutschland leben, wenn weiterhin in so brüskierender Weise eine Hinhaltetaktik gegenüber der Türkei verfolgt wird, die Panzer benötigt, um die Selbstverteidigung sicherzustellen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wenn die 2 Millionen Türken in Deutschland ihren Landsleuten in der Türkei bewusst machen würden, wie gut es sich in einem demokratischen Rechtsstaat leben lässt, der seine Prinzipien auch in der Praxis verwirklicht hat, und wenn darüber hinaus in der Türkei jene Kräfte unterstützt würden, die einen demokratischen Rechtsstaat wirklich zu fördern versuchen - es hat ja Fortschritte gegeben -, dann wäre das keine Diskussion; denn die Türkei ist auf vielen Gebieten ein sehr verlässlicher Partner. Es hängt jetzt ganz entscheidend von diesen 2 Millionen Türken ab, ob sie sich darum bemühen, zu sagen, wie das ist, wenn man in einem demokratischen Rechtsstaat lebt, und ihn den Bürgern in der Türkei auch wirklich vorzuleben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt Kollege Niebel mit einer Frage. - Wir sind bei Frage 42, Herr Kollege, weil Sie gerade erst gekommen sind.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich verfolge die Debatte persönlich anwesend schon etwas länger. Deswegen habe ich mich auch entschieden, hier nachzufragen. Frau Staatssekretärin, Sie haben bei der vorhergehenden Frage gesagt, dass es noch kein Präjudiz gibt, nur weil der Testpanzer geliefert wurde, dass hinterher auch Panzer geliefert werden können. Darauf wollte ich zurückkommen. Ich habe mir Ende letzten Jahres ein Auto gekauft und habe natürlich verschiedene Modelle Probe gefahren. Wenn mir jetzt ein Händler gesagt hätte, du bekommst das Auto zur Probefahrt und darfst es dir anschauen, aber ich verkaufe es dir hinterher nicht, hätte ich mich sehr gewundert. Meinen Sie nicht, dass es bei Panzern ähnlich ist? ({0})

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Niebel, bei Autos wäre ich ja sofort einverstanden. Damit schießt man in der Regel keine anderen tot. ({0}) - Doch, Sie haben Recht. Ich nehme es sofort zurück. Auch das Auto ist ein potenzielles Mordfahrzeug, wenn man nämlich damit nicht vernünftig umgeht, aber das andere ist potenziell dazu da, jemanden zu bekämpfen. Also lassen Sie uns mit Gelassenheit betrachten, wie sich das Verhalten der Türkei weiterentwickelt. Dann müssen Sie abwarten, ob die Türkei wirklich das Gerät haben möchte. Dann kommt es auf die Bedingungen an, zum Beispiel, ob das Geschäft so aussieht, dass wir dabei mit Mitteln der Steuerzahler wieder draufzahlen. Das alles wollen wir einmal in Ruhe abwarten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kehren wir zurück zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister Dr. Volmer steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Siemann auf: Wie bewertet die Bundesregierung im Nachhinein die von ihr gewählte Strategie, den Überschwemmungsopfern in Mosambik erst nur finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen und erst später personelle und technische Hilfe in das Katastrophengebiet zu entsenden, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung konkret in Bezug auf Krisenfrüherkennung, Koordination und schnelle Reaktionsfähigkeit aus der dramatischen Entwicklung in Mosambik für künftige Katastrophenhilfen national und auf europäischer Ebene? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Siemann, nach Ansicht der Bundesregierung wurde die richtige Strategie gewählt. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre und die Verfügbarkeit der Mittel sprechen dafür, humanitäre Maßnahmen zunächst mit Hilfe lokal verfügbarer Ressourcen durchzuführen, da diese rasch und effizient umgesetzt werden können. Hierfür wurden Mittel bereitgestellt, wobei von Anfang an darauf hingewiesen wurde, dass der Finanzbeitrag der Bundesregierung bei Bedarf aufgestockt werden könne. Auf Bundeswehr und Bundesgrenzschutz sollte nur dann zurückgegriffen werden, wenn alle lokal verfügbaren Mittel ausgeschöpft worden sind. Diese Ausnahmesituation ist im Falle von Mosambik eingetreten, kann aber nicht uneingeschränkt auf andere humanitäre Krisensituationen übertragen werden. Die Bundesregierung hat aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und des BMZ bereits in der ersten kritischen Phase Anfang Februar Mittel für die medizinische Betreuung und Versorgung von Überschwemmungsopfern in Maputo mit Hilfsgütern und Trinkwasser bereitgestellt. Diese Maßnahmen konnten über bereits im Land tätige Hilfsorganisationen rasch und effizient umgesetzt werden. Unmittelbar nach der unvorhersehbaren dramatischen Entwicklung, die wesentlich durch das Öffnen von Dämmen am Oberlauf der betreffenden Flüsse verschärft wurde, wurden durch Auswärtiges Amt und BMZ weitere Mittel zur Verfügung gestellt, darunter 500 000 DM für den Einsatz von Rettungshubschraubern. Als ersichtlich wurde, dass keine ausreichende Zahl von Hubschraubern der Region für den Einsatz von Rettungsflügen verfügbar war, entschloss sich die Bundesregierung zur Entsendung von sieben Hubschraubern und Einheiten der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes zur Rettung und Versorgung der Flutopfer. Die Bundesregierung hat auf die dramatische Verschärfung der Lage schnell reagiert und unverzüglich eine Entscheidung über den Einsatz von Hubschraubern der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes herbeigeführt. Die Tatsache, dass für den Transport der Hubschrauber nur außerhalb Deutschlands verfügbare Großraumflugzeuge, so die Antonov, eingesetzt werden konnten, hat allerdings zu unvermeidlichen Vorlaufzeiten geführt. Die Umsetzung der Maßnahmen vor Ort erfolgte rasch und in Abstimmung mit den internationalen Koordinierungsstrukturen vor Ort. Die Koordinierung der Einsätze in Beira zwischen den dort operierenden Akteuren funktioniert reibungslos. Die Bundesregierung befürwortet im Übrigen nachdrücklich die Bemühungen der betroffenen Staaten in der Region, in Zukunft bei der Krisenprävention und -reaktion enger zusammenzuarbeiten. Auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung durch den deutschen EU-Botschafter und den Vertreter im neuen politischen und sicherheitspolitischen Komitee am 2. und 3. März 2000 Vorschläge unterbreitet, wie bei der weiteren Ausgestaltung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die notwendigen Fähigkeiten geschaffen werden, damit in Fällen wie Mosambik schnell und effizient geholfen werden kann. Die deutschen Vorschläge sind bei unseren europäischen Partnern auf positive Resonanz gestoßen. Die portugiesische Präsidentschaft hat die Vorschläge aufgegriffen und strebt bereits für den Europäischen Rat in Lissabon am 23./24. März konkrete Ergebnisse an.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es richtig, dass die von Ihnen erwähnte Antonow einer Belgrader Firma gehört, dass also der Auftrag für den Transport der Hubschrauber an Jugoslawien gegangen ist, obwohl das verhängte Embargo nur teilweise aufgehoben worden war?

Not found (Gast)

Das ist mir im Moment nicht bekannt. Ich will das nicht absolut ausschließen. Das müsste ich aber prüfen. Aber selbst wenn dem so wäre, was folgte daraus angesichts der großen Not im Krisengebiet? Wenn in Europa überhaupt nur wenige Großraum-Transportflugzeuge existieren, dann wird man diese dort chartern müssen, wo man sie so schnell wie möglich bekommen kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe jetzt die Frage 26 des Abgeordneten Martin Hohmann auf: Worauf gründet sich die Annahme der Bundesregierung, die von der Conference on Jewish Material Claims against Germany genannte Anzahl von 135 000 heute noch lebenden jüdischen Sklavenarbeitern sei „im Wesentlichen zutreffend“ ({0}), wenn die historische Forschung ({1}) davon ausgeht, dass am 8. Mai 1945 lediglich 200 000 Juden die Zwangsarbeits-, Konzentrations-, Vernichtungslager und Todesmärsche im nationalsozialistischen Herrschafts- und Einflussbereich überlebt hatten? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Hohmann, Sie fragten nach den Zahlen der heute noch lebenden jüdischen Sklavenarbeiter, die von den geplanten Entschädigungen profitieren könnten. Die Claims Conference hat dazu folgende Angaben gemacht: Es leben noch: 35 000 ehemalige Zwangsarbeiter, die Gesundheitsschadensrenten nach dem deutschen Bundesentschädigungsgesetz erhalten, 63 000 ehemalige Vizepräsidentin Anke Fuchs Zwangsarbeiter von den im Rahmen des so genannten Artikel-2-Abkommens Berechtigten, 20 000 ehemalige Zwangsarbeiter, die im Rahmen des von deutscher Seite bezuschussten Fonds der Claims Conference für Holocaust-Überlebende in Mittel- und Osteuropa Renten beziehen. Die vorgenannten Zahlen ergeben sich entweder unmittelbar aus deutschen Zahlungen, wie zum Beispiel die Zahl der BEG-Rentenempfänger, oder sie sind Gegenstand periodischer Verhandlungen mit der Claims Conference über die laufende Finanzierung des Artikel2-Abkommens und des deutschen Beitrags zum Osteuropa-Fonds der Claims Conference. In diesen beiden Projekten wendet die Claims Conference deutsche Kriterien an. Zusätzlich führt die Claims Conference 20 000 ehemalige Zwangsarbeiter an, die staatliche israelische Invalidenrenten erhalten. Die Claims Conference hat über die zuvor genannten 138 000 Fälle hinaus weitere 24 000 Personen angemeldet, die ihrer Auffassung nach als dislozierte Zwangsarbeiter in offenen Gettos im Sinne der Definitionen des Referentenentwurfes für das Gesetz zur Errichtung der geplanten Bundesstiftung zusätzlich der Kategorie A zuzurechnen sind. Bei allen genannten Zahlen muss berücksichtigt werden, dass die üblicherweise als „displaced persons“ bezeichnete Gruppe weit überwiegend Zuflucht in Israel bzw. im westlichen Ausland gefunden hat. Die für „displaced persons“ genannten Zahlen beziehen weder die Auswanderung der Juden aus Mittel- und Osteuropa seit 1948 noch die Zahl der dort verbliebenen Überlebenden ein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Nein, danke schön. Damit haben wir den Bereich des Auswärtigen Amtes erledigt. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Hohmann auf: Ist die Bundesregierung bereit, auf ein Verfahren hinzuwirken, in dem die Conference on Jewish Material Claims against Germany die Personen gegenüber der Bundesregierung namentlich benennt, die Leistungen aus Steuer- bzw. Stiftungsmitteln erhalten sollen, um sicherzustellen, dass eine schnelle und direkte Hilfe an tatsächliche Opfer nachweislich erfolgt? Frau Staatssekretärin, bitte

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hohmann, im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, den die Bundesregierung am 26. Januar 2000 beschlossen hat, sind angemessene Prüfungsrechte vorbehalten: Bei den für die einzelnen Partnerorganisationen, zu denen auch die Jewish Claims Conference gehört, festzulegenden Geldbeträgen handelt es sich um Plafonds. Die Auszahlung erfolgt vierteljährlich aufgrund des aktuellen Bedarfs, das heißt der konkreten Zahl der Anträge. Die Empfänger müssen den Verzicht auf weitere Forderungen aus NS-Unrecht schriftlich erklären. Die Verzichtserklärungen sind der Stiftung zu übergeben. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist außerdem ein Hinweis auf die Kontrolle der Partnerorganisationen durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufgenommen worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Keine Zusatzfrage? - Vielen Dank. Ich rufe nun die Frage 28 des Kollegen Dr. Fink auf: Sieht die Bundesregierung angesichts der Kontroversen um die Rückgabe von beweglichem Kulturgut an die adeligen Häuser in den neuen Bundesländern Handlungsbedarf und wie steht sie zu einer entsprechenden Änderung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes ({0}) mit dem Ziel, dem bereits einsetzenden Schwund von Kulturgütern aus dem öffentlichen Raum zu begegnen und diese dauerhaft für die Öffentlichkeit zu sichern? Frau Staatssekretärin, bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Fink, eine Novellierung des § 5 des Ausgleichsleistungsgesetzes ist nicht geplant. Die jetzige Regelung stellt einen Kompromiss zwischen dem öffentlichen Interesse am Kulturgut und den vermögensrechtlichen Ansprüchen der besatzungsrechtlich Enteigneten dar, der erst nach äußerst schwierigen und langwierigen Gesetzesberatungen erreicht werden konnte. Eine Verschlechterung der Position der früheren Eigentümer im Sinne eines Restitutionsausschlusses trifft in dem auch politsch umstrittenen und höchst sensiblen Bereich der Besatzungsenteignungen der Jahre von 1945 bis 1949 auf verfassungsrechtliche Bedenken. Im Übrigen begrüßt und unterstützt die Bundesregierung Lösungen, die der Bewahrung und Sicherung der Museumsbestände in den neuen Ländern dienen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Bietet das jetzige Kriterium für den unentgeltlichen Nießbrauch von 20 Jahren zur Ausstellung für die Öffentlichkeit bestimmten Kulturgutes nicht zu viel Spielraum für Auslegung und Manipulation?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Herr Kollege. Der so genannte öffentliche Nießbrauch ist auf 20 Jahre festgelegt. Ein Teil dieser Zeit ist bereits verstrichen. Wir halten auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Verlängerung dieser Frist nicht für möglich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung für den Bestand der beweglichen Kulturgüter im öffentlichen Raum Ostdeutschlands für die Zeit nach Ablauf des unentgeltlichen Nießbrauchsrechtes?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Darüber kann man, Herr Kollege, natürlich nur spekulieren. Es gibt in einigen Ländern einvernehmliche Regelungen mit einzelnen früheren adeligen Häusern, die zur Befriedung und zum Erhalt des Kulturgutes im öffentlichen Raum beigetragen haben. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass einzelne Besitzer Kulturgüter nach Ablauf dieser 20-Jahres-Frist veräußern, möglicherweise auch ins Ausland, denn wir haben ja keine Ausfuhrbestimmungen, die die Veräußerung von Kulturgütern ins Ausland verbieten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 29 des Kollegen Strobl auf: Wie beurteilt die Bundesregierung - vor dem Hintergrund der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone Airtouch - die Forderung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft ({0}) nach Schaffung eines nationalen „Übernahmegesetzes“, in dem die Verpflichtung von Bieter und Übernahmekandidat zur Abschätzung der Beschäftigungsfolgen festgelegt sein soll? Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Strobl, die Bundesregierung hält ein nationales Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen für notwendig. Sie misst einer umfassenden Information der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen eine hohe Bedeutung bei. Die Bundesregierung strebt an, den Bieter zu verpflichten, in seiner Angebotsunterlage seine Absichten in Bezug auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft, insbesondere auf die Beschäftigten bzw. die Beschäftigungsbedingungen darzustellen. Die Leitung des Zielunternehmens soll ebenfalls verpflichtet werden, in ihrer Stellungnahme zum Übernahmeangebot die Auswirkungen der Übernahme auf die Interessen der Beschäftigten der Zielgesellschaft darzulegen. In dem Gespräch der Bundesregierung mit einer hochrangigen Expertengruppe am 9. März, also in der vergangenen Woche, wurden zum Thema Informationspflichten insbesondere hinsichtlich der Arbeitnehmerseite konstruktive Vorschläge gemacht, die von der Bundesregierung aufgenommen werden. In dieser Sitzung hat der Bundeskanzler bekräftigt, dass die deutsche Mitbestimmung auch bei einer Übernahme aus dem Ausland Bestand haben wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, heißt das, dass wir mit einem entsprechenden Gesetz- entwurf der Bundesregierung rechnen können und bis wann wird dieser Gesetzentwurf vorliegen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Sie können mit einem entsprechenden Gesetzentwurf auf jeden Fall noch in diesem Jahr rechnen. Möglicherweise werden wir das Gesetz bis zum Ende dieses Jahres sogar schon verab- schieden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Keine weitere Zu- satzfrage? - Danke schön. Die Fragen 301) und 312) sind erledigt, wie mir gesagt worden ist. ({0}) Die Fragen 32 und 33 die Fragen 37, 38, 39 und 40 sowie die Fragen 43 bis 50 werden schriftlich beanwor- tet3). Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei den Vertretern der Bundesregierung für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Bundespolitische Auswirkung der neuerlichen Parteispendensammelaktion Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ExBundeskanzler Helmut Kohl hat es in der vorigen Woche und in den davor liegenden Tagen gefallen, mit einer Spendensammelaktion quer durch Deutschland Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hat dazu gedient, Geld zusammenzutragen und ihm selbst die Haut zu retten. ({0}) Ein solcher Vorgang kann nicht schweigend hingenommen werden. ({1}) Deswegen waren wir der Meinung, dass der Deutsche Bundestag in Form einer Aktuellen Stunde darüber de- battieren muss. 1) Seite 8506 B 2) Seite 8507 C 3) Die Antworten zu den Fragen 38 bis 40 lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Wir haben schon im Vorfeld gehört, dass die CDU/CSU mit dieser Aktuellen Stunde deswegen nicht einverstanden sein würde, weil die Formalismen einer Aktuellen Stunde angeblich nicht eingehalten worden sind. Ich kann Ihnen, Herr Repnik, und den anderen Kolleginnen und Kollegen von der Opposition dazu nur sagen: Erstens. Es gibt zurzeit keine gültigen formalen Absprachen über die Einhaltung der Kriterien und über die Inhalte von Aktuellen Stunden. Zweitens. Wir haben dennoch aufgrund der früheren Regeln unsere Aktuelle Stunde nicht nur so benannt, sondern wir werden sie auch inhaltlich so führen, dass diese Regeln eingehalten werden. Drittens. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer sich hinter Formalismen versteckt, der hat in der Sache etwas zu verbergen. ({2}) Wenn die Zeitungen in Deutschland, wie auch die übrigen Medien, Schlagzeilen wie „Ex-Kanzler führt vor, wie man tätige Buße ohne Reue üben kann“ ({3}) oder „Keine Spur von schlechtem Gewissen“ produzieren, dann kann man doch nicht davon sprechen, dass das ein normaler Vorgang sei. Wir wollen insbesondere von der CDU wissen, wie sie sich zu dieser Spendenaffäre stellt. Wir wollen auch der deutschen Öffentlichkeit präsentieren, wie sich diese Tatbestände einordnen lassen. ({4}) 75 Prozent aller Deutschen sind offensichtlich der Meinung, dass Helmut Kohl, Herr Kanther und manch anderer der CDU-Rechtsbrecher Schadenersatz zu leisten haben. Recht haben sie. Wir unterstreichen diese Forderung. ({5}) Diese Menschen wollen übrigens nicht, dass andere für diese Herren Schadenersatz leisten. Das ist genau das, was Herr Kohl versucht hat. Darum stinkt diese Angelegenheit meilenweit gen Himmel. Ich will Ihnen klaren Wein einschenken. ({6}) Herr Kohl hat in dieser Frage nicht nur eine Spendenaktion zugunsten der CDU veranstalten wollen, sondern er hat auch seine eigene Haut retten wollen. Man muss ja wissen, worauf der Vorwurf hinsichtlich des strafrechtlichen Tatbestandes der Untreue basiert, nämlich auf einem Vermögensschaden. Herr Kohl versucht durch diese Spenden, die er zusammengetragen hat, den Eindruck zu erwecken, als wenn er den Vermögensschaden von der CDU abgewendet hätte, sodass der Vorwurf der Untreue gegen ihn nicht mehr gilt. ({7}) Den Schaden abzuwenden ist nur ein Vorwand, den er nutzen möchte, um seine Haut zu retten. Wir werden ihn nicht gelten lassen. Wenn man einmal die Liste der Spenderinnen und Spender durchgeht, dann kommen einem weit darüber hinaus noch manch andere Zweifel. Unter den Spendern sind die Herren Kirch, Cramer, Reim, Schumann, Weidenfeld und andere, die Verleger sind. ({8}) Haben sie ihr Imperium mit Hilfe Kohls in der Zeit der CDU/CSU- und F.D.P.-geführten Regierung vielleicht erheblich erweitern können? ({9}) Odewald war Treuhandaufseher mit einem hohen Gehalt. Hat er sich für die entsprechende Eingruppierung revanchiert? Unternehmer oder Unternehmensverbandsvertreter wie Kellerhals, Guthardt, Kindermann, Langmann, Maucher, Müller, Schalck, Scheufele, Schmitt und Wirtz wissen sicher besser als wir, ob sie sich hier für etwas erkenntlich zeigen wollen. Ich finde, dass man an dieser Stelle nicht nur die Namen nennen muss, sondern dass sich auch der Untersuchungsausschuss damit beschäftigen muss. Wir werden auch diese Dinge aufklären. ({10}) Meine Damen und Herren, der Ablasshandel ist schon vor einigen hundert Jahren beendet worden. Er wird auch bei Herrn Kohl nichts mehr fruchten. Ich kann daher nur sagen, dass wir einen weiteren Teil des großen Skandals auf der Seite der CDU zu registrieren haben. Ich finde auch, dass die Auffassung der Bevölkerung richtig ist, dass mit der Führungskrise, mit der sich die CDU gerade beschäftigt, die Spendenaffäre längst nicht bereinigt und beseitigt werden kann. ({11}) Es wurde bisher nichts aufgeklärt, jedenfalls nicht ausreichend. Der Aufklärungswille der CDU in Berlin, aber auch der in Wiesbaden, ist mangelhaft und unterentwickelt. Herr Kohl setzt seine bekannte und für uns unfassbare Inkonsequenz fort. Er nennt nach wie vor nicht die Namen der ursprünglichen Spenderinnen und Spender. Deswegen sollten sich alle, die damit zu tun haben - ich erinnere nur an das Interview des Herrn von Brauchitsch in der vorigen Woche -, offenbaren und nachdrücklich mehr dazu beitragen, als es bisher bei der Aufklärung geschehen ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, wir sind in einer Aktuellen Stunde. Wilhelm Schmidt ({0})

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kohl hat in einem Beitrag, der heute in der „Süddeutschen Zeitung“ abgedruckt worden ist, eine faire Behandlung gefordert. Wir machen das, ({0}) indem wir das der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben. Er hat außerdem seinen Rückzug aus der Politik angedeutet und angekündigt. Wir finden, dass er das konsequent umsetzen sollte. Wir fordern: Herr Kohl, geben Sie Ihr Bundestagsmandat auf! ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es bei dieser Aktuellen Stunde? Ein Bürger dieser Republik, in diesem Fall Helmut Kohl, sammelt bei Bürgern dieser Republik Spenden für eine politische Partei - ein völlig normaler und ein legaler Vorgang. ({0}) Wenn dies zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht wird und gerade wenn wir den Beitrag des Kollegen Schmidt vor Augen haben, dann liegt der Verdacht nahe, dass dahinter keine lauteren Beweggründe stehen. ({1}) Deshalb halten wir diese Aktuelle Stunde für unzulässig. Ich will an dieser Stelle den Streit darüber nicht fortsetzen; den haben wir an anderer Stelle geführt. So viel sei aber gesagt: Das Einwerben von Spenden an politische Parteien ist eine Freiheitsbetätigung des Bürgers, die staatliche Institutionen so lange nicht zu interessieren hat, wie er sich - dieser Bürger - im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Freiheiten bewegt. Da aber diese Freiheit zu respektieren ist, verbietet sich nach unserer Überzeugung jede staatliche Intervention, auch eine durch das Parlament. Diese Grenze ist eindeutig überschritten. Natürlich muss bei diesem Handeln das Gesetz geachtet werden. Doch dies ist im Gegensatz zu den von Dr. Kohl eingeräumten und bedauerten Verfehlungen in den Jahren 1993 bis 1998 ganz eindeutig der Fall. ({2}) Deswegen ist es schäbig, unfair und ehrenrührig sowohl dem Spendenwerber als auch - Herr Kollege Schmidt, wie Sie es eben getan haben - den Spendern gegenüber, wenn Sie versuchen, diese Aktion in den Dreck zu ziehen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kölner Professor Dr. Otto Depenheuer hat vor wenigen Tagen in der „FAZ“ einen bemerkenswerten Aufsatz geschrieben, den ich Ihnen zur Lektüre empfehle. Ich will nur zwei Sätze aus diesem Aufsatz zitieren. Er schreibt unter anderem: Spenden sind nicht nur verfassungsrechtlich legal, sondern zugleich verfassungstheoretisch legitim und verfassungspolitisch erwünscht. Es besteht eine Verfassungserwartung, dass die Bürger ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung auch durch finanzielle Unterstützung der Tätigkeit der Parteien nachkommen. ({4}) Nichts anderem als dieser Verfassungserwartung sind die Bürger, die in diesen Tagen gespendet haben, nachgekommen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn heute wie auch bei einer Reihe von Talkshows der letzten Wochen von SPD-Funktionären legales und illegales Verhalten gleichgesetzt wird, zeigt dies, dass es Ihnen nicht um Recht und Gesetz geht. Sie wollen die CDU und deren Spender moralisch verunglimpfen, um die CDU finanziell auszutrocknen. ({6}) Wenn gar die Verfassungsministerin Däubler-Gmelin diffamierend von der Fortsetzung des Systems Kohl spricht, dann zeigt dies nicht nur ein bedenkliches Verfassungsverständnis der Justizministerin, sondern dies verletzt auch - gerade mit Blick auf die Spender jede Regel der Political Correctness. ({7}) Die Führung der CDU Deutschlands hat - das wird auch Ihnen nicht entgangen sein - eine sehr kritische Position zu den vergangenen Verstößen gegen das Parteiengesetz eingenommen. Dies gilt auch für die Nennung von Spendernamen. Aber wir wehren uns ganz entschieden dagegen, dass jetzt die Leistungen von Helmut Kohl als Bundeskanzler und Parteivorsitzender dagegen aufgerechnet werden und dass von interessierter Seite eine gnadenlose und - wie soeben wieder dargestellt - erbärmliche Hetzkampagne gegen ihn betrieben wird. ({8}) Kollege Schmidt, ich sage mit allem Nachdruck, gerade nach Ihren Einlassungen: An der Redlichkeit der Spender, zu denen, wie Sie ganz genau wissen, auch ein prominentes SPD-Mitglied gehört, ({9}) lassen wir keinen Zweifel aufkommen. Diese Spender haben in einer für meine Partei schwierigen Zeit mit fi8530 nanziellem Engagement und mit ihrem guten Namen Solidarität gezeigt. Dafür danke ich ihnen. ({10}). Meine Partei hat in den letzten Monaten ungeheuere Anstrengungen unternommen, um die uns belastenden Sachverhalte aufzuklären. ({11}) Natürlich ist dies ein schmerzhafter Prozess, den wir uns um der Wahrhaftigkeit willen zumuten; wir wollen neues Vertrauen beim Bürger begründen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie sieht es bei Ihnen, bei der SPD, aus?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, wir sind in einer Aktuellen Stunde.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will nur noch einen Sachverhalt herausgreifen. - Von Tag zu Tag wird deutlicher, dass sich Mitglieder der Regierungen Rau und Clement erhebliche Verfehlungen haben zuschulden kommen lassen. ({0}) Sie haben sich von einer öffentlichen Bank Privatreisen bezahlen lassen. Sie haben über Jahre hinweg das Landesparlament und die Öffentlichkeit belogen. Von Aufklärung, von Einsicht oder gar von Reue, Kollege Schmidt, keine Spur, geschweige denn von Wiedergutmachung. Ein größeres Maß an Heuchelei und an doppelter Moral habe ich selten erlebt. Deshalb richtet sich Ihr Vorwurf gegen Sie selbst. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, dass wir in einer Aktuellen Stunde sind. Da beträgt die Redezeit fünf Minuten. Das Wort hat nun der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht damit getan, dass in der Union zurzeit fröhliches Stühlerücken herrscht und dass die Union meint, sie könne sich restaurieren. Sie restauriert sich tatsächlich; aber sie tut es gegenwärtig nach rechts. Man kann das daran verfolgen, wie Sie sich jüngst in der Einwanderungsdebatte geäußert haben. Man kann es auch daran erkennen, dass Sie die Chance zur Erneuerung der Demokratie, die in dieser Krise liegt - Sie selbst haben es so bezeichnet -, nicht nutzen. Sie sind offensichtlich nicht gewillt, wirklich Konsequenzen aus Ihrem Ansehensverlust zu ziehen. Durch Ihr Verhalten, insbesondere durch das Verhalten Ihrer Parteiführung und Ihrer Fraktionsführung, haben alle Demokraten gleichermaßen einen Ansehensverlust zu beklagen. Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sich ehrlich mit dem auseinander, was Sie an Schaden angerichtet haben, und seien Sie bereit, mit uns gemeinsam Konsequenzen zu ziehen - in Richtung Selbstbeschränkung der Parteien in der Demokratie! Wirken Sie beispielsweise - mit uns gemeinsam - daran mit, dass wir über Instrumente der direkten Demokratie diskutieren! Wirken Sie daran mit, dass wir darüber diskutieren, wie die Rolle der Parteien in der Demokratie neu definiert werden kann! Seien Sie bereit, sich konsequent einzubringen! Hören Sie damit auf, ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen! ({0}) Ihr ehemaliger Zukunftsminister Rüttgers, das Schmuckstück aus der Ära Kohl, ({1}) spricht von „Kinder statt Inder“. Die Union ist mittlerweile wieder so schwarz, dass sie nachts im Kohlenkeller Schatten wirft. Selbst der Schlagschatten von Herrn Kohl macht die Sache nicht noch dunkler. Worum geht es in dieser Sache? Es geht darum, dass die Union die Demokratie über lange Zeit mehr oder weniger mit dem Auge des kalten Krieges gesehen hat. Wir sind nicht die Gegner gewesen; vielmehr waren wir Feinde, die es mit aller Gewalt von der Macht fern zu halten galt. Für dieses Ziel war Ihnen kein Mittel zu schäbig. ({2}) Damit, meine Damen und Herren, werden Sie sich auseinander zu setzen haben. ({3}) Sie hatten lange Zeit ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie - ausgerechnet Sie, die Sie lange Zeit geglaubt haben, dass Sie die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit für sich gepachtet haben. Der Rechtsstaat hat sich bewährt. Auch hier meine Einladung an Sie, sich mit diesem Rechtsstaat intensiver auseinander zu setzen. Ich glaube, das würde der Union gut tun. ({4}) Recht ist für Sie offensichtlich etwas, was man von anderen einfordert. Wenn man sich nicht an Gesetze hält, die man selber erlassen hat, dann hat man ein beliebiges Verhältnis zu ihnen. ({5}) Recht gilt offensichtlich nur für die Bürger, aber nicht auch für diejenigen, die die Gesetze selber erlassen haben. Meine Damen und Herren, ich möchte in dieser Debatte eines klar machen, damit hier kein falscher ZunHans-Peter Repnik genschlag entsteht. Es ging zu keinem Zeitpunkt darum, dass Unsicherheit darüber herrscht, welche Gesetze gelten. Wir haben zum Beispiel ein klares Parteiengesetz, das Sie mit erlassen haben. Es spricht eine deutliche Sprache. Sie haben diese Gesetze eingedenk der Tatsache, dass es sie gibt, mit Füßen getreten. Es gab zu keinem Zeitpunkt Unsicherheit darüber, was das Gesetz sagt. Das Gesetz ist eindeutig. Aber offensichtlich waren Sie nicht willens, sich an dieses Gesetz zu halten. ({6}) Meine Damen, meine Herren, ich fordere die Union dringend auf, ihren Prozessvertreter zurückzuziehen. Ich halte es für einen Skandal, dass Sie den Bundestagspräsidenten, der sich an Recht und Gesetz hält, in dieser Weise angreifen, ({7}) dass Sie immer noch nicht bereit sind, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was Sie an Schaden für die Bundesrepublik Deutschland angerichtet haben. Es ist ein Skandal, dass Ihr Prozessvertreter - das muss die Öffentlichkeit erfahren - sagt, dass das Parteiengesetz verfassungswidrig sei, das Parteiengesetz, das Sie mit erlassen haben. Ich frage Sie: Sind Sie der Meinung, dass das Parteiengesetz verfassungswidrig ist? Wenn dem nicht so ist - ich gehe davon aus, dass Sie wie wir der Meinung sind, dass dem nicht so ist -, fordere ich Sie auf, Ihren Prozessvertreter so schnell wie möglich zurückzuziehen. ({8}) Wir machen Ihnen gern das Angebot, sich über die Zahlungsmodalitäten zu unterhalten. ({9}) Jeder hat von uns ein Interesse daran, dass die Union wegen der Zahlungsmodalitäten ({10}) nicht in die Situation kommt, dass sie kaputtgeht. Das will niemand. Das haben alle deutlich gemacht. Nur, eines geht nicht: dass Sie auf der einen Seite Schaden anrichten und auf der anderen Seite nicht bereit sind, den von Ihnen angerichteten Schaden, wie sich das gehört, wieder gutzumachen. Dafür werden Sie den Kopf hinhalten müssen. Ich komme zum Schluss: Ich habe das Gefühl, dass die Frage der Rückzahlung und die Frage des Spendensammelns, was Herr Kohl gegenwärtig macht, so eine Art Täter-Opfer-Ausgleich à la Union, à la Kohl sind. Bloß, Sie scheinen da etwas falsch verstanden zu haben: Opfer ist nicht die Union, meine Damen und Herren. Opfer ist die deutsche Öffentlichkeit, Opfer ist die Bevölkerung dieses Landes, Opfer ist die Wahrheit. ({11}) Das scheinen Sie zu verwechseln. Das hat mit TäterOpfer-Ausgleich nichts zu tun. Hier geht es um Verfassungsbruch, hier geht es darum, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, alles schonungslos zu erfahren. Die Öffentlichkeit wird informiert werden. Wir werden uns damit auseinander setzen, meine Damen und Herren. Im Untersuchungsausschuss wird alles auf den Tisch kommen, ob es Ihnen gefällt oder nicht gefällt. Herzlichen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Westerwelle, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Özdemir, Sie haben sich zu Beginn Ihrer Ausführungen als Rechtsstaatspolitiker empfohlen. Sie haben jedoch am Schluss Ihrer Ausführungen gezeigt, dass Sie den Rechtsstaat augenscheinlich missverstanden haben. ({0}) Herr Kollege, ich will in aller Ruhe darauf antworten. Sie haben der Partei der CDU ein Angebot gemacht, über Rückzahlungsmodalitäten zu reden. Nur: Sie haben in dieser Frage kein Angebot zu machen. ({1}) Der Bundestagspräsident entscheidet unabhängig. Er ist nicht der verlängerte Arm der Regierungsparteien, sondern nimmt in dieser Frage die Interessen des ganzen Deutschen Bundestages und die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr. ({2}) Zum Zweiten: Ich bin der Auffassung, dass die Entscheidung des Bundestagspräsidenten korrekt gewesen ist. Es ist allerdings geradezu absurd, die Meinung zu vertreten, jemand, der einen belastenden Verwaltungsakt bekommt, könne dagegen nicht vor Gericht ziehen. ({3}) Es ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich möglich, dass man etwas angreift, was man nicht für richtig hält. ({4}) Was jedem Bürger selbstverständlich zusteht, steht auch der CDU zu. Ich glaube zwar nicht, dass sie viel Erfolg mit dieser Klage haben wird. Aber dass sie es versucht, gehört zum Rechtsstaat dazu. ({5}) Ich will noch etwas zu dem Thema sagen, das eigentlich auf der Tagesordnung steht, nämlich zu der Spendensammelaktion des Altkanzlers Helmut Kohl. Nicht die Tatsache, dass der alte Bundeskanzler Helmut Kohl Spenden sammelt, ist das Problem. Das Problem ist, dass er sich unverändert weigert, die Namen der früheren Spender zu nennen. ({6}) Es ist nach unserer Verfassung das selbstverständliche Recht eines Abgeordneten, heiße er Schmitz, Özdemir oder Dr. Kohl, Spenden zu sammeln, um seine Partei zu stärken. Aber es ist nicht das Recht eines Abgeordneten, das Transparenzgebot des Art. 21 unseres Grundgesetzes unentwegt zu verletzen. ({7}) Das ist der eigentliche Punkt, über den wir uns unterhalten müssen. Herr Dr. Kohl mag Spenden für die Union sammeln, aber er ist nach unserer Verfassung verpflichtet, die Namen der - alten - Spender zu nennen, und er sollte das tun. ({8}) Tut er es nicht, verstößt er gegen die Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland. Ein Abgeordneter, der, vorsätzlich und anhaltend gegen die Verfassung verstößt, ist wohl kaum in der Lage, als Parlamentarier richtig zu wirken. ({9}) Herr Kollege Schmidt, es ist schon interessant, dass am heutigen Tag zwei Dinge zusammenfallen: Sie kritisieren in einer, wie ich finde, sehr polemischen Weise, die Union, was Ihr gutes Recht ist, aber Sie tun das an einem Tag, an dem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement vor dem Untersuchungsausschuss im Hinblick auf die Flugaffäre ganz schön ins Schwimmen gekommen ist. ({10}) Ich möchte Ihnen deswegen den Vorschlag machen, dass wir - das halte ich für sehr erforderlich - darüber reden, wie man solche Entwicklungen künftig verhindern kann, wie man vor allem im Gesetz Vorkehrungen treffen kann, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Wenn der Schatzmeister eines Ortsverbandes einen Rechenschaftsbericht abgibt, dann mag es immer wieder mal zu Fahrlässigkeiten kommen - ich vermute, bei jeder Partei. Bei Tausenden von Schatzmeistern ist das der Fall. Das ist nicht das Problem. Aber wenn jemand vorsätzlich, absichtlich in erheblichem Umfange und anhaltend gegen das Transparenzgebot der Verfassung verstößt, dann ist das ein Problem. Dann müssen wir darüber reden, ob das ohne persönliche Konsequenzen bleiben kann oder ob das Parteiengesetz bei derartigen systematischen Verstößen nicht strafbewehrt werten muss. Das ist die Frage, die der Bundestag zu beantworten hat. ({11}) Ich habe, offen gestanden, herzlich wenig Verständnis dafür, dass hier von interessierter Seite der Eindruck erweckt wird, als könne man sich mit 6 Millionen DM seiner Verpflichtungen entledigen. Das ist nicht der Fall. Nicht mit 6 Millionen DM, nicht mit 60 Millionen DM und nicht mit 180 Millionen DM kann man sich von der Verfassung in irgendeiner Weise distanzieren. Man hat sich daran zu halten, egal, welche Freunde man hat, egal, wie reich die Freunde sind. ({12}) Aber ich sage Ihnen genauso klar: Es ist wie ein Stück aus dem Tollhaus, dass die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein die Spendensammelaktion zugunsten der Union mit einem Boykottaufruf gegen einen industriellen Spender kommentiert. ({13}) Dies ist in meinen Augen ein Akt der Intoleranz, ({14}) ein Akt, der nicht von demokratischer Kultur zeugt. ({15}) Ich finde, dass Herr Maucher eine Entscheidung getroffen hat, die er für sich -

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie sind weit über die Redezeit.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin - zu verantworten hat. Es ist sein Bürgerrecht zu entscheiden, ob er sie für richtig hält oder nicht. Aber wenn jetzt jedes Mal eine Partei einen Boykottaufruf gegen einen Bürger unterschreibt, weil dieser eine andere, konkurrierende Partei unterstützt, ({0}) ist das das Ende der politischen Kultur. So etwas sollte in diesem Hause nicht Einzug halten. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS hat diesen Finanzskandal bisher mit sehr viel Sachlichkeit, gebotener Fairness und auf jeden Fall ohne Häme begleitet. - Manche von uns - nicht ich - meinen, dies sei zu viel der Sachlichkeit, zu viel der Fairness. - Aber eines muss klargestellt werden: Das bedeutet nicht, dass sich die PDS an einer öffentlichen Irreführung beteiligt. Denn es ist öffentliche Irreführung, was die Christlich Demokratische Union hier mit uns treibt. Damit meine ich nicht Helmut Kohl, sondern die CDU. ({0}) In Bezug auf uns haben Sie es sich - im Übrigen nicht nur die CDU - ziemlich leicht gemacht. Sie haben gesagt: Das geht die PDS nun wirklich nichts an. Das ist unser Geld, um das es hier geht. - Ich hoffe, dass das in letzter Konsequenz stimmt. Was den Streit um die Zulässigkeit dieser Debatte anbetrifft, müssen wir feststellen: Es kann nicht hingenommen werden, dass Sie hier erklären, das sei Sache der CDU oder gar Privatsache von Helmut Kohl. Den Schaden, den Sie der Demokratie in diesem Lande zufügen, bekommen wir doch alle ab, und zwar, so glaube ich, in Ostdeutschland noch stärker als in den alten Bundesländern. Diesen Schaden können wir letztendlich nur gemeinsam beseitigen. Denn eines steht fest: Auf so viel Unrecht ist das geltende Recht nicht vorbereitet. Deswegen gibt es doch diese vielen Fragezeichen. ({1}) Eines will ich Ihnen deutlich sagen: Sie können mit dem Parlament nicht das veranstalten, was Helmut Kohl mit Ihnen veranstaltet. Deshalb können Sie die Zulässigkeit dieser Debatte hier nicht infrage stellen. ({2}) Nun ist in der CDU von einem Neuanfang die Rede. Ihr vermeintlicher Neuanfang wird ohne eine wirkliche Kritik des Rechts- und Verfassungsbruchs unternommen. Denn das ist das eigentliche Problem; darauf ist hier schon ausdrücklich hingewiesen worden. Sie werden nicht von der SPD oder von anderen Parteien hier im Hause verunglimpft; das können Sie selber sehr viel besser. Sie sollten diesen Verfassungs- und Rechtsbruch ernsthaft eingestehen, ehe Sie über so etwas wie einen Neuanfang sprechen. Deshalb betone ich: Mit diesem so genannten Neuanfang wird kein Gras über die Sache wachsen. Allenfalls verschleiern und vernebeln Sie damit. Sie wollen die Angelegenheit dorthin bringen, wo sie herkommt: in den Spendensumpf. Sie haben den Neubau CDU in den Sumpf gesetzt. Das wird sich, denke ich, noch rächen. ({3}) Die Frage ist, warum Sie so handeln. Das Signal, das von Ihrer Basis kommt, lautet ja offenbar: Nun ist es genug! Mehr wollen wir nicht wissen! Einige bei Ihnen tönen sogar, man müsse jetzt den Kampfanzug an- und das Büßerhemd ausziehen. Angesichts dessen kann ich nur feststellen: Wem solche Töne herausrutschen, bei dem ist der Stahlhelm unter die Hirnschale geraten. ({4}) Wenn Sie uns mit der Botschaft kommen: „Aufklärung war gestern; jetzt geht es zur Sache“, dann kann man darauf nur antworten: Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Flick-Schusterei. Trotzdem bleibt die spannende Frage: Warum verhält sich die CDU so, wie sie sich verhält? Sie merkt wohl, dass Kohl viele Anhänger hat. Kohl bleibt Kohl, aber Kohl ist damit nicht allein. Das Hauptproblem, das hier schon angesprochen wurde, ist, dass die Logik des kalten Krieges fortgesetzt wird, wonach der Zweck alle Mittel heiligt. Ich möchte daran erinnern, wie Helmut Kohl diesen Rechtsbruch im Zweiten Deutschen Fernsehen erklärt hat. Er musste sich ja irgendetwas ausdenken, dass ihm das Ganze schwer übel genommen werden würde, war ihm klar -, was plausibel klang, damit ihm das Ganze abgenommen wird. Da hat er von einer vermeintlichen Übermacht der PDS im Jahre 1993 gesprochen Das stimmt an keiner Stelle, sondern hat nur damit zu tun, dass ihm das, was vor 1993 war, nicht mehr erinnerlich ist. - Er hat diesen Hinweis auf die PDS bemüht, um zu signalisieren: Der Kampf gegen die PDS bzw. den Kommunismus rechtfertigt alle Mittel. - Das ist das eigentliche Problem, das wir angehen müssen und bei dessen Lösung Chancen bestehen. So bleibt es für Sie bei dem unsäglichen Prinzip: Geld statt Wahrheit. Angesichts dessen muss ich Sie fragen: Was ist das anderes als Ablasshandel? In Ostdeutschland werden wir mit den Folgen dieses Skandals länger zu tun haben als in Westdeutschland. Sie sollten daran denken, dass jeder Hausmeister, der den Beamtenstatus erhielt, auf das Grundgesetz schwören musste. Zur gleichen Zeit hat der damalige Kanzler Recht und Verfassung gebrochen. In diesem Zusammenhang wird in Ostdeutschland oft auch ein Systemvergleich angestellt, den ich hier aber nicht leisten kann. Ich stelle zum Schluss fest: Die PDS bleibt bei ihrem Grundsatz: Wir wollen Anerkennung durch eigene Leistung erringen und nicht aufgrund des Schadens anderer. Wer das nicht glaubt, dem sagen wir: Den öffentlich organisierten Nachweis dafür haben wir angetreten, und zwar mit einem Wahlergebnis von knapp 1,4 Prozent in Schleswig-Holstein. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns gemeinsam die vorhandenen Chancen, die diese Krise bietet, nutzen! Lassen Sie uns darüber reden, wie man diese verwerfliche Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Geld überwinden kann! Unsere Fraktion wird im April mit der Einbringung eines Änderungsgesetzes zum Parteiengesetz einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, über den sich reden lässt. Die darin liegenden Chancen können aber erst genutzt werden, wenn wir uns darüber klar sind, wenn sich auch die Union darüber klar ist, dass ein Grundsatz gelten muss: Schluss mit dem kalten Krieg in den Köpfen! Vielen Dank. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt die Kollegin Susanne Kastner, SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die unendlichen Finanzgeschichten der CDU, die täglich neuen Klagen über die selbstverschuldete Armut und die dadurch auftretende Sammelleidenschaft des Herrn Kohl sind meines Erachtens an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. ({0}) Herr Kollege Repnik, ich muss Ihnen an dieser Stelle sagen: Normal ist an dieser Situation überhaupt nichts. Statt sich zusammenzusetzen, einen auf die neue Lage abgestimmten Finanzplan aufzustellen und sich von der Sammelleidenschaft Ihres Altbundeskanzlers zu distanzieren, ist in Pressemitteilungen und Äußerungen seitens der Union immer nur von dem schweren Los der CDU die Rede. Mir treibt dies mit Sicherheit nicht Tränen in die Augen. ({1}) Vielmehr bekomme ich wie viele Bürgerinnen und Bürger, sicherlich auch wie viele hier im Saal, angesichts dieses Ablasshandels schlicht und einfach einen dicken Hals, und zwar gegenüber denen, die für einen solchen Zweck spenden, und gegenüber demjenigen, der diese Spenden sammelt und weitergibt, um von seiner Partei eines Tages doch wieder in die Arme genommen zu werden. Ich komme wie viele Kolleginnen und Kollegen, von denen sich einige auch im Saal befinden, von einem eintägigen Besuch aus dem Kosovo zurück. Ich habe den Erlös des SPD-Fraktionsfestes in Bonn für den Aufbau einer Schule in Korisa und für den Wiederaufbau von Häusern in Greifkovce an die dortige Bevölkerung weitergeben dürfen; denn wir haben im letzten Sommer ein - erfolgreiches - Fest ausgerichtet, um mit dem Erlös der Bevölkerung im Kosovo, die unter den Folgen des Krieges litt und noch leidet, helfen zu können. ({2}) Ich habe miterleben dürfen, wie dankbar die Kinder und Erwachsenen eines so geschundenen Landes für diese Spendengelder sind - Spendengelder für eine bessere Zukunft, für die Möglichkeit, dass Kinder wieder eine gute Schulbildung bekommen, und für die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in diesem Land. ({3}) Und ich sage in diesem Zusammenhang: Ich bin stolz darauf, dass es für die SPD-Bundestagsfraktion eine Selbstverständlichkeit war, diesen Anlass zu nutzen, um Spenden für den Wiederaufbau eines Landes zu sammeln, für das wir in der Tat eine besondere Verantwortung tragen. ({4}) - Ja, Herr Grund, das musste einmal gesagt werden. Ich erkläre Ihnen auch gleich den Zusammenhang: ({5}) Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, werter Herr Grund, ist das richtige Ziel einer großen Spendensammelaktion, nicht eine Sammlung, die dem Eigennutz, dem Selbsterhaltungstrieb einer Person und einer Partei gewidmet ist, wie es uns im Laufe der letzten Woche vorgestellt wurde. Wir alle miteinander wissen - und sind uns sicher darüber einig -, dass in unserer Demokratie die Parteien eine besondere und herausgehobene Stellung haben und dass aus diesem Grund eine ausgewogene Parteienlandschaft sehr wichtig ist. Ich bin deshalb auch nicht gegen Spenden an Parteien, wenn diese im Rahmen des Gesetzes bleiben. Man sollte aber bitte nicht so tun, als wäre die Ausgewogenheit zwischen den Parteien - und damit unsere Demokratie - durch den jetzigen Zustand der CDU massiv gefährdet. Das ist schlichtweg falsch und die Bürgerinnen und Bürger wissen dies auch. Ich habe bei meinen Gesprächen in Korisa erfahren, dass allein dort bis zum nächsten Winter noch 1 500 Häuser winterfest gemacht werden müssen, und zwar für die Familien, die noch bis heute bei Freunden und Bekannten Unterschlupf gefunden haben. Ich habe erlebt, dass die Bundeswehr mit hohem menschlichen Engagement das Ihrige für den Wiederaufbau tut. Aber auch die Bundeswehr kann ohne vernünftig eingesetztes Geld nur wenig tun. ({6}) Deshalb möchte ich diejenigen in der Wirtschaft und in den Medien, die so viel Geld für Spenden übrig haben, auffordern, diese Mittel in Projekte und Länder zu lenken, die es bitter nötig haben. ({7}) Wenn Herr Kohl so viele Menschen kennt, die so viel Geld übrig haben, wäre es wirklich schön, wenn er seine Energie darauf verwenden würde, dass dieses Geld den Menschen gespendet wird, deren Leben durch Umweltkatastrophen und Kriege bedroht ist. ({8}) So, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, würde der lädierte Ruf der Union sicher viel schneller wieder besser werden. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf, diese unwürdigen Spendensammlungen zu beenden. Als Vertreter einer christlichen Partei sind Sie sicher in der Lage, den Spruch aus der Apostelgeschichte richtig zu interpretieren, in der es heißt: Geben ist seliger denn Nehmen. Sie haben in der Vergangenheit oft genug genau umgekehrt gehandelt, ({10}) nämlich nach dem Motto: „Nehmen ist seliger denn Geben.“ Es ist wirklich an der Zeit, dass Sie Ihr Verhalten ändern. ({11}) Wenn Sie einmal im Duden zu diesem Spruch nachschlagen, können Sie dort lesen, dass man das ironisch zu jemandem sagt, der über einen übergroßen Egoismus verfügt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht denken Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, einmal darüber nach. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in dieser Aktuellen Stunde um den Tatbestand, dass der Altbundeskanzler in den Jahren 1993 bis 1998 anonyme Spenden in Höhe von 2,1 Millionen DM gesammelt hat. Diese hätte er normalerweise an das Präsidium des Bundestages weiterleiten müssen, so schreibt es das Parteiengesetz vor. Das hat er aber nicht getan, sondern er hat dieses Geld für die Parteiarbeit eingesetzt und damit gegen ein wichtiges Gesetz verstoßen. Er hat sich dafür entschuldigt. Er will mit dieser Spendenaktion einen Beitrag dazu leisten, den finanziellen Schaden - nur um diesen kann es gehen - für die Union auszugleichen. Das Ergebnis dieser Spendenaktion ist Ihnen bekannt: Bisher haben über 30 Persönlichkeiten mehr als 6 Millionen DM gespendet. Das ist sicher ein beträchtlicher Geldbetrag. Diese Aktion hat - das hat die bisherige Diskussion gezeigt - in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause - das kann nicht überraschen - unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Bevor ich darauf eingehe, will ich zunächst einmal von dieser Stelle aus ein herzliches Dankeschön an Dr. Kohl sagen. ({0}) Nicht zuletzt als Landesschatzmeister meiner Partei finde ich es beeindruckend, dass das Ehepaar Kohl aus eigenen Mitteln 700 000 DM dazugegeben hat. Das ist selbst für einen Altbundeskanzler viel Geld. ({1}) - Wenn Sie sich ein bisschen beruhigt haben, sage ich von dieser Stelle den Spendern ein besonderes Dankeschön. ({2}) Politische Parteien - ich glaube, darin stimmen wir in diesem Hause überein - sind tragende Säulen unserer parlamentarischen Demokratie. ({3}) Alle Parteien - das zeigen die Rechenschaftsberichte brauchen Spenden. Insofern sind Spenden ein Beitrag zur Stabilisierung unserer demokratischen Ordnung. Sie haben hier gesagt, Sie wollten den Bundeskanzler fair behandeln. Jetzt höre ich, er wolle nur seine Haut retten. ({4}) Sie sprechen von „Peinlichkeiten“. Ich kann Herrn Frank Hofmann zitieren, der gesagt hat, es handele sich bei dieser Spendenaktion um eine „Beleidigung für jeden ehrbaren Bürger“. Dazu kann ich nur sagen: Das ist eine peinliche Reaktion Ihrerseits. Die Spitze der Peinlichkeit ({5}) - der Kollege Westerwelle hat schon darauf hingewiesen - ist wieder einmal die Ministerpräsidentin aus dem schönen Land Schleswig-Holstein, aus dem ich komme. ({6}) Ihr Aufruf - ich zitiere wörtlich, was sie in einer Zeitung gesagt hat - lautet: Genossen, gebt euren Kindern was anderes zu essen! In den Regalen gebe es auch Babykost anderer Hersteller. - Ich meine, sie sollte sich dafür in aller Öffentlichkeit entschuldigen. ({7}) Wer im Glashaus sitzt, sollte vorsichtig sein. ({8}) Mir kam eine ZDF-Meldung auf den Schreibtisch; einige kennen sie. Ich verlese sie: Die SPD gerät wegen der Parteispenden in der Ära Helmut Schmidt in Erklärungsnot. ({9}) - Darf ich weiterlesen? Das ist eine ZDF-Meldung. ({10}) Alfred Nau, der ehemalige SPD-Schatzmeister, sammelte für den Wahlkampf von Schmidt 7,6 Millionen DM. ({11}). Im Rechenschaftsbericht von 1982 werden die Spender nicht namentlich ausgewiesen, ({12}) ein Verstoß gegen das damalige Parteiengesetz. ({13}). - Sobald Sie mit Ihrem Brüllen, was bekanntlich kein Beweis für gute Argumente ist, fertig sind, werde ich weiter zitieren. ({14}) In der ZDF-Meldung heißt es, das sei ein Verstoß gegen das damalige Parteiengesetz von 1967. Der Staatsrechtler Professor Hufen wird zitiert mit der Aussage: Wenn ein Rückerstattungsanspruch besteht, das wird zurzeit geprüft, wie das Präsidium mitgeteilt hat - dann verjähren die Ansprüche erst nach 30 Jahren. Das war 1982. Seien Sie also vorsichtig, meine Herren! ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann dem Chefredakteur des „Focus“ nur zustimmen -

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Wir sind in der Aktuellen Stunde.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe aber nicht fünf Minuten geredet, Frau Präsidentin.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es tut mir Leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann komme ich zum Schluss und erkläre: Die Spendenaktion des AltBundeskanzlers verdient Respekt. Natürlich kann sie Geschehenes nicht ungeschehen machen, sie ist aber ein konstruktiver Beitrag zu einem schwierigen Thema. Danke schön. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist richtig und notwendig, um zunächst einmal auf ein etwas eigenartiges Zusammentreffen verschiedener Zufälle hinzuweisen. Die zukünftige Bundesvorsitzende der Christlich Demokratischen Union stellt sich in die Öffentlichkeit und sagt: Wir müssen einen Neuanfang machen, das Alte wird abgeschlossen, das Kapitel Spendenaffäre können wir schließen. Zufällig erklärt zur gleichen Zeit der Ex-Kanzler Helmut Kohl in einer Pressekonferenz, er habe nun über 6 Millionen DM gesammelt, er werde dieses Geld an die CDU abführen und damit könne die Sache beendet werden. Der Kollege Schmidt schämt sich nicht, in einem Interview zu erklären, dass der Abgeordnete Ströbele von den Grünen und SPD-Abgeordnete den Zeugen aus Bayern, den rechtschaffenen Staatsanwalt Maier, in seiner Zeugenaussage beeinflusst hätten. Das sollen wir getan haben. ({0}) Nun zu den Zeugen, die als nächste vor den Untersuchungsausschuss geladen sind: Herr Lüthje ist krank. Herr Schreiber, der noch vor ein paar Tagen erklärt hat, er wolle alles vor dem Untersuchungssausschuss sagen, er wolle aus Kanada herkommen oder seine Aussage vielleicht über Video in die Bundesrepublik tragen, sagt nun, er wolle vor dem Ausschuss nicht aussagen. Und der Zeuge, der morgen gehört werden soll, Herr Weyrauch, der noch bis vor wenigen Tagen erklärt hat, er wolle endlich im Untersuchungsausschuss gehört werden und umfassend alles auf den Tisch legen, lässt uns durch seinen Anwalt mitteilen, er wolle nicht aussagen, er mache von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. ({1}) Am gleichen Tag, an dem dies erklärt wird, erhalten wir endlich die Erklärung der CDU, dass Herr Weyrauch von seiner Verschwiegenheitspflicht als Steuerberater befreit ist. Sobald Sie sicher sein können, dass er keine Aussage machen wird, erklären Sie: Jetzt befreien wir ihn von der Verschwiegenheitspflicht. - Dieses eigenartige Zusammentreffen von Zufällen deutet darauf hin: Sie wollen keine Aufklärung, Sie wollen dieses Kapitel abschließen und die Arbeit des Untersuchungsausschusses durch immer neue Anträge auf Aktenbeiziehung unmöglich machen. ({2}) Ich sage Ihnen: Damit kommen Sie bei uns nicht durch! Wir werden die Arbeit in dem Untersuchungsausschuss erheblich beschleunigen. Wir werden an mehreren Tagen in der Woche verhandeln, wir werden in den Ferien verhandeln und wir werden bis abends verhandeln. Wir werden bis zum Sommer ein erstes Ergebnis der Spendenaffäre der CDU vorlegen. Wir wollen die Fakten auf den Tisch haben. Wir wollen Ihnen nicht durchgehen lassen, dass Sie versuchen, sich in der Öffentlichkeit wieder als die Partei von „law and order“ mit Forderungen nach Videoüberwachung von Straßen und Plätzen in ganz Deutschland zu profilieren. Wissen Sie, was „law and order“ heißt? - Gesetz und Recht! Sie als Partei von Gesetz und Recht - bei diesem ehemaligen Vorsitzenden? Da machen Sie sich doch lächerlich. ({3}) Sie sollten Kameras für CDU-Geschäftsstellen fordern, damit dort endlich Klarheit reinkommt. ({4}) [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Schatzmeisterei hätte man überwachen müssen mit Kameras!) - Bei der Schatzmeisterei vielleicht auch. Bei meinen „Kofferstunden“, die ich abends in der Bundesrepublik abhalte, erzähle ich den Leuten, was sich aus den Akten so zusammengesammelt hat. Ich verlange von Ihnen, dass Sie mir und der Bevölkerung einmal erklären: Was halten Sie eigentlich davon, dass Ihre Vertrauenspersonen, auf die die Politik von Helmut Kohl nach eigener Aussage aufgebaut war - Herr Weyrauch, Herr Lüthje und Herr Kiep -, einfach feststellen, bei dem Konto „Norfolk“, das angeblich der CDU gehört hat, sind 1,5 Millionen Schweizer Franken übrig? Was machen die drei ehrenwerten Herren? Sie beschließen, das Geld untereinander aufzuteilen. Wer hat das entschieden? - Herr Kiep! So steht es in dem Bericht, den Sie selber vorgelegt haben. Die CDU soll sich dazu äußern, ob sie dies gut findet: Finden Sie das richtig? War der überhaupt dazu befugt? Wird das nachträglich gebilligt? Das sind Fragen, die sich die Bevölkerung stellt. Wir wollen wissen, wie dies bei Ihnen gehandhabt worden ist. ({5}) Dies gilt vor allen Dingen, nachdem dasselbe Trio kurz vorher auch die 1 Million DM aus dem berühmten Koffer aus der Schweiz unter sich aufgeteilt hat. Der eine kriegt 370 000 DM, der andere 370 000 DM plus Mehrwertsteuer und der dritte bezahlt damit seinen Rechtsanwalt in Höhe von 340 000 DM. Das haben die unter sich entschieden. Das war angeblich CDU-Geld. Das müssen Sie einmal erklären: Ist das gebilligt worden? Wussten davon der CDU-Vorsitzende und der Generalsekretär nichts? Wie stehen Sie denn heute dazu? Was sagt die Partei dazu? Ruft sie nach dem Staatsanwalt? Ruft sie nach Schadenersatz? Beantworten Sie diese Fragen, die man in der Öffentlichkeit stellt! ({6}) Ich will einen letzten Punkt anführen. Sie haben hier neue Zeitungsartikel und neue Meldungen aus der Presse zitiert, mit denen Sie diese alten Kamellen herholen wollen. Was 1976 vielleicht mit Herrn Nau gewesen ist, können wir auch aufklären.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur dieses noch, ein letzter Satz. Klären wir doch erst einmal auf: Warum hat eigentlich die hessische CDU aus Spendengeldern, die in der Schweiz waren und an sie zurückgeflossen sind, 45 000 DM an die Staatsbürgerliche Vereinigung Bayern gezahlt? Waren das Zinsen? Was war das eigentlich? Damit sind wir bei der CSU. Ich denke, der Untersuchungsausschuss hat bis zum Ende der Legislaturperiode zu tun, um Licht in dieses Dunkel der Union zu bringen - und zwar ohne Videokameras. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat Kollege Andreas Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hier in Rede stehende Spendenaktion ist völlig legal. Sie entspricht den Gesetzen. Sie ist auch legitim. Der eigentliche Skandal bei dieser Frage ist, dass Sie versuchen, diese Debatte dazu zu nutzen, ({0}) um anständige Menschen in Deutschland, die etwas gespendet haben - was den Gesetzen entspricht -, hier zu kriminalisieren. Dies ist, meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal in dieser Debatte. ({1}) Das Kalkül, das Sie mit dieser Kriminalisierung verfolgen, ist völlig klar: Sie wollen der CDU die finanzielle Basis entziehen, ({2}) um das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien in Deutschland zu zerschlagen. ({3}) Dies ist ein niederträchtiges Motiv, das hier auch einmal öffentlich so benannt werden muss, meine Damen und Herren. ({4}) Es wird bei dieser Debatte höchste Zeit, dass wir die doppelte Moral, die Heuchelei, die auf Ihrer Seite immer mehr Fuß fasst, hier auch einmal zur Sprache bringen. Ich will das an drei Punkten exemplarisch deutlich machen. ({5}) Der erste Punkt bezieht sich auf Sie, Herr Kollege Ströbele. Sie stellen sich hier als Vertreter von Recht und Ordnung hin und erzählen in jedem Interview - wie Ihre Partei es auch sonst immer tut -, dass derjenige, der gegen ein Gesetz verstößt, zum Beispiel gegen ein Parteienfinanzierungsgesetz, sein Mandat verlieren soll. Dies ist Ihre Forderung, die Sie - genauso wie andere aus Ihrer Partei - in jedem Interview erheben. ({6}) Dann sagen Sie der Bevölkerung bitte auch, dass Sie durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung - das war die Baader-Meinhof-Bande - rechtskräftig zu zehn Monaten Haft verurteilt worden sind. Wenn Sie solche Forderungen aufstellen, dann gehen sie zuerst an Sie. Dann geben bitte zuerst Sie Ihr Mandat zurück, Herr Kollege Ströbele. ({7}) Der zweite Punkt hinsichtlich der doppelten Moral in dieser Debatte betrifft Kollegen Müntefering. Meine Damen und Herren, ich halte es schlichtweg für unerträglich, wie Kollege Müntefering im Fernsehen als Hüter von Wahrheit, Moral und Anstand in dieser Frage auftritt. Es ist nämlich der Kollege, der hier von uns Aufklärung verlangt und gleichzeitig als Landesvorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen alles tut, um die Aufklärung des Finanzskandals der SPD in NordrheinWestfalen zu verhindern und zu hintertreiben. ({8}) Jetzt schaue ich den Kollegen Struck an. Sie werden sich genau erinnern, dass - wenn es um die Frage der Wahrheit geht - auch der Kollege Müntefering ein konkretes Problem aus jüngster Vergangenheit hat. Er hat nämlich am 25. Februar 1998 vor der Presse eingestehen müssen, dass er bezüglich des Termins der Benennung des Kanzlerkandidaten damals bewusst die Unwahrheit gesagt hat. ({9}) Er hat dann gesagt, man müsse die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt machen. Er hat sich nicht einmal entschuldigt. Herr Kollege Struck, ich weiß nicht, ob Sie persönlich sich erinnern, wie Sie diesen Vorgang - damals als Parlamentarischer Geschäftsführer; hier kommt wieder die Doppelmoral zum Vorschein - in einem Interview des Deutschlandfunks am 26. Februar 1998 kommentiert haben. Hören Sie gut zu - Originalton Peter Struck -: Ein Bundesgeschäftsführer muss einmal auch entgegen seinen eigenen Erkenntnissen etwas verkünden, das nicht ganz der Wahrheit entspricht, wenn es der Partei dient. ({10}) Wer so redet, sollte hier beim Thema Wahrheit nicht den moralischen Zeigefinger gegen die Union richten. Der dritte Punkt betrifft das Thema Transparenzgebot. Wir haben, was Hessen betrifft, massiv gegen das Transparenzgebot verstoßen. Das sehen wir so, da sind wir selbstkritisch, dafür müssen wir die Konsequenzen tragen. ({11}) Das ist völlig unbestritten. Aber auch die Sozialdemokraten verschleiern seit Jahrzehnten ihre wahren Vermögensverhältnisse. ({12}) Frau Kollegin Wettig-Danielmeier hat die wahren Vermögensverhältnisse in den letzten Jahrzehnten immer verschleiert, ({13}) weil nämlich die Beteiligungen an den Verlagen und Zeitungen mit einer Summe angegeben worden sind, die dem realen Wert nicht entspricht. ({14}) Der reale Wert Ihres Vermögens ist um ein Vielfaches höher als der Wert, der im Rechenschaftsbericht Ihrer Partei ausgewiesen ist. Andreas Schmidt ({15}) ({16}) Wir werden über dieses Thema - das will ich hier ankündigen - auch im Untersuchungsausschuss zu sprechen haben. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr dafür, dass wir die Aufklärung weiter vorantreiben. ({18}) Ich bin auch sehr dafür, dass wir uns zu unseren Verfehlungen bekennen und bereit sind, die Konsequenzen zu tragen. Nur, es ist an der Zeit, dass wir alle Parteien nach den gleichen Maßstäben bewerten. Es ist höchste Zeit, dass Sie weniger mit dem moralischen Zeigefinger auf uns zeigen und mehr vor Ihrer eigenen Haustür kehren. Herzlichen Dank. ({19})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

In der Aktuellen Stunde zum Thema „Bundespolitische Auswirkung der neuerlichen Parteispendensammelaktion“ hat nun der Kollege Dieter Wiefelspütz das Wort. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Tiefstand der parlamentarischen Debatte ({0}) hat einen Namen: Er lautet Bernhardt. ({1}) Ich bin wirklich bestürzt, Herr Kollege Repnik, dass Sie solche Redebeiträge ermöglichen. ({2}) Hier tritt jemand ans Mikrofon, der sich ausdrücklich ({3}) - hören Sie doch bitte einmal zu! - bei demjenigen bedankt, der auf ganz nachhaltige Weise dem Ansehen, ja der Glaubwürdigkeit Ihrer Partei Schaden zugefügt hat, und zwar nicht nur Ihrer Partei, ({4}) sondern uns allen, allen demokratischen Politikern. Sie sollten sich Ihres Beitrages schämen, Herr Bernhardt. ({5}) Ich finde Ihr Rechtsbewusstsein, das Sie hier zum Ausdruck bringen, entsetzlich. Diese Debatte ist von großer Bedeutung. Ich bin - das muss ich Ihnen freimütig sagen - bestürzt über das Rechtsbewusstsein, das sich in manchen Debattenbeiträgen offenbart. Ich komme auch auf Ihren Redebeitrag zurück, Herr Westerwelle, weil Sie nach meiner Meinung gut beraten wären, noch einmal über manche Formulierung genauer nachzudenken. Ich habe den Eindruck, nein, ich habe die Gewissheit, dass die CDU/CSU in einer nachhaltigen Glaubwürdigkeitskrise ist, aus der Sie nur dann herauskommen, wenn Sie bereit sind, den Sumpf, in dem Sie sich verirrt haben, auszutrocknen. Das wird nicht schmerzfrei möglich sein. Wir werden Ihnen auf die Finger schauen, wie Sie das machen. Wir werden es nicht zulassen, dass Sie sich durch den Nebeneingang davonstehlen, wie Sie es immer wieder aufs Neue versuchen. ({6}) Wir haben festzustellen, dass Teile Ihrer Fraktion das ist auch heute zum Ausdruck gekommen - ein gestörtes Rechtsbewusstsein haben. Ich möchte das belegen: Als der Bundestagspräsident in korrekter Amtsausübung verkündete, von der CDU 41 Millionen DM zurück zu verlangen, haben Sie im Vorfeld versucht, Druck zu machen, nach dem Motto: Der Täter bestimmt die Höhe der Strafe. In welchem Land leben wir, wo der Täter die Höhe der Strafe bestimmt! ({7}) - Herr von Klaeden, natürlich ist das keine Strafe. Ich habe das im übertragenen Sinne gemeint. ({8}) - Hören Sie doch bitte einmal zu! Dies ist eine ernsthafte Debatte. Ich hoffe, sie wird von vielen Menschen wahrgenommen. Wie geht es weiter? In dieser Frage möchte ich mich auch auf den Beitrag des Kollegen Westerwelle beziehen. Sie haben gesagt, die Spendenaktion - das ist das Thema dieser Debatte - sei völlig in Ordnung. Ich bitte Sie einmal, über die Konsequenzen nachzudenken: Da macht jemand etwas, was gegen Recht und Gesetz ist. Das räumen Sie ein. Dieser finanzielle Schaden - darüber rede ich jetzt - muss wieder gutgemacht werden. Das ist auch in Ordnung. Aber wollen Sie sich dabei von anderen helfen lassen? ({9}) Da wird jemand als Täter erwischt und lässt sich die Strafe von anderen bezahlen. Andreas Schmidt ({10}) ({11}) Das ist Ausdruck eines gestörten Rechtsbewusstseins. Das stört nachhaltig den Rechtsfrieden. ({12}) Wir bestrafen heute in Deutschland Ladendiebe. ({13}) Wir bestrafen Menschen, die auf der Straße zu schnell fahren - und Sie akzeptieren, dass die Strafe von anderen bezahlt wird! Herr Westerwelle, ich bitte Sie herzlich, über die moralische Dimension dessen, was Sie für richtig gehalten haben, noch einmal nachzudenken. ({14}) Das ist nämlich nicht in Ordnung. Die Bürger haben nicht Ihr gestörtes Rechtsbewusstsein. Sie merken, dass sich jemand durch die Hintertür davonmachen will. Natürlich ist es legitim und legal, Spenden zu sammeln. Aber Spenden, um die eigene Tat wieder gutzumachen? ({15}) Wenn Sie das für richtig halten, werden Sie eines Tages verschwinden. Sie werden Ihre Glaubwürdigkeit nie wieder zurückbekommen. Ich sage das mit großer Ernsthaftigkeit und ohne Schadenfreude. Wir haben kein Interesse daran, dass sich die CDU/CSU selber vor die Wand fährt. ({16}) Sie haben es selber in der Hand, dies zu korrigieren. Aber mit dieser Art von Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit, die Sie an den Tag legen, wird es nicht gelingen. Herr Repnik, Ihre Rede triefte in Teilen vor Selbstmitleid.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie werden dadurch Ihre Glaubwürdigkeit nicht zurückerlangen. Herzlichen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Friedhelm Julius Beucher, SPDFraktion.

Friedhelm Julius Beucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbesondere wenn ich an den Redebeitrag des Kollegen Schmidt denke - teilweise auch an den des Kollegen Repnik -, frage ich mich: Ist es eigentlich Hilflosigkeit, Dreistigkeit oder rotzfrech, wie wir es von Ladendieben kennen, wie Sie hier argumentieren? ({0}) Haben Sie wirklich nicht die bundespolitischen Auswirkungen dieser zweiten Kohlschen Spendenwelle bemerkt, mithilfe von Michael Holm über Dieter-Thomas Heck bis zum Uschi-Glas-Freundeskreis? ({1}) Ich sage Ihnen: Anstatt hier lauthals zu tönen, sollten Sie über den fast schon nicht mehr reparablen Schaden am Rechtsempfinden der Menschen draußen im Lande, den Sie angerichtet haben, nachdenken. Egal um welche Umfragen es sich handelt - Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen -: Über zwei Drittel der Bevölkerung wollen, dass Kohl, Kiep und Kanther Schadenersatz leisten. Das ist einfach ein normales Rechtsempfinden der Menschen. Wer Schaden verursacht, muss auch dafür aufkommen. Es gibt keine eigene Kohl-Gerechtigkeit, wie Sie uns hier einreden wollen. ({2}) Macht und Geld haben offensichtlich bei Herrn Kohl inzwischen die Sinne verstellt. Das kommt aber daher, wenn man sich im Leben so viel mit Geld erkauft. Das müssen ja, was die Pöstchen in der CDU angeht, einige von Ihnen wissen. ({3}) - Das war ein Hinweis, damit auch die Leute draußen einmal die Unverschämtheiten hören, die hier so unter der Hand laufen. Diese Spendensammelaktion ist neben einzelnen Absurditäten in diesem peinlichen Theater insbesondere aus Ihrem Umfeld - dazu gehören vor allen Dingen diejenigen, die hier heute nicht sitzen und diese Debatte still in ihrem Kämmerlein verfolgen -, ein konkreter Angriff auf das Rechtsempfinden der Menschen. ({4}) Im Übrigen ist diese Sammelaktion auch ein sehr egoistischer Akts. - Kollege Wiefelspütz hat darauf hingewiesen: - : Kohl lässt sich von fremden Leuten den Schaden bezahlen, den er materiell verursacht hat. ({5}) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es hier nur um das Geld von nach 1993 geht. Was ist eigentlich mit den Schwarz-Millionen vor 1993? ({6}) Von Frau Merkel wissen wir, dass Sie weiter mit der Summe von 10 Millionen DM ungeklärter Herkunft zu kämpfen haben. Bei Ihnen war der Geldfluss nach dem Flick-Skandal offensichtlich nicht gestoppt. Dass Sie außerdem mit Ihren Schwarzgeldern auch den Staat betrogen haben, wird in der Debatte immer vergessen. Es war nicht der Sinn des Parteiengesetzes, Verschleierungsmöglichkeiten für Großverdiener zu ermöglichen. Nein, Sie kippen hier offensichtlich rücksichtslos das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung. ({7}) Dazu gehört auch der Skandal der verschwundenen Akten im Kanzleramt, ebenso wie das Herumwerfen mit den Provisionen und anderen Geldern in Millionenhöhe, sei es bei Panzerdeals oder der Leuna-Privatisierung. Diese Schmiergeldgeschichten werden wir trotz Ihrer Verweigerungshaltung schon noch aufklären. ({8}) Jeder Bürger muss sich darauf verlassen können, dass seine Geburtsurkunde beim Standesamt ebenso wie seine Rentenunterlagen bei seinem Versicherungsträger ordentlich geführt und aufbewahrt werden. Was für einen normalen Beamten und Angestellten gilt, muss auch für den Chef einer Ministerialbehörde gelten. Das muss man einfach erwarten können. Die Kohl/Bohl-Vertuschertruppe, unter deren Augen zufälligerweise genau diese Akten aus dem Kanzleramt verschwanden, die möglicherweise Aufschluss über die Leuna-Affäre hätten geben können, muss sich öffentlich für diesen lockeren Umgang mit dem Recht verantworten. In diesem CDU-Skandal wird doch alles auf den Kopf gestellt, ebenso wie die Vielfalt der angewendeten Kniffe und Tricks bis hin zu kriminellen Machenschaften erschreckt und einfach anwidert. ({9}) Frau Krause findet in den Anzugtaschen des ehemaligen Verkehrsministers 100 000 DM mit der Banderole einer Schweizer Bank. Frau Hürland-Büning bekommt für fragwürdigenin Klammern: ({10}) - Telefonate! - 8 Millionen DM und zahlt davon Provisionen an Herrn Holzer, der Herrn Kohl dringendst ersucht, sich im Leuna-Geschäft doch für Elf Aquitaine zu entscheiden. Herr Pfahls, Ihr ehemaliger Staatssekretär, der jetzt mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, war ständig mit Kiep bei Bohl/Elf-Besprechungen im Kanzleramt dabei. Herr Koch muss kontinuierlich die Bilanzen der CDU Hessen berichtigen. Bei so viel Schwarzgeld ist es natürlich verständlich, dass einem dunkel vor Augen wird und dabei letztlich die Wahrheit durcheinander gerät. ({11}) Hören Sie mit Ihrer Nebelkerzenwerferei auf und tragen Sie zur Aufklärung bei! Rufen Sie nicht lauthals nach Klarheit, wenn Sie die Auskunftsverweigerer im Untersuchungsausschuss beklatschen. ({12}) Verlassen Sie sich darauf, dass Herr Weyrauch morgen kommen muss. Selbst der stellvertretende Ausschussvorsitzende Herr Friedrichs hat sich nicht entblödet zu entschuldigen, dass Herr Weyrauch morgen auf diese Weise antritt. Merken Sie sich das, meine Damen und Herren von der CDU und der CSU, was ich Ihnen jetzt zum Schluss sage, und sagen Sie es auch Herrn Kohl, den Sie jetzt ebenso wie Herrn Schäuble - ich weiß gar nicht, ob er sich auf diesem Platz wohl fühlen wird - auf die hinteren Bänke verbannt haben: Es gibt keine eigene KohlGerichtsbarkeit.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Friedhelm Julius Beucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Gerichtsbarkeit in diesem Land gilt für alle Bürgerinnen und Bürger. Das muss auch so sein. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch, CDU/CSUFraktion.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPDFraktion führt hier ein Schauspiel auf. ({0}) Wie bei vielen Stücken dreht es sich um Macht und Moral. Wie bei den meisten dieser Stücke werden hehre moralische Gesichtspunkte vorgeschoben, um zu verschleiern, dass es um die Macht und um sonst nichts geht. ({1}) Sie wollen, dass die CDU dauerhaft aus dem politischen Wettbewerb ausscheidet, ({2}) um Ihr kümmerliches rot-grünes Projekt ungestört aufzupäppeln. Deshalb weisen Sie immer auf Hessen hin. Auch da geht es nicht um Moral, sondern um die Bundesratsmehrheit, um nichts anderes. ({3}) Ihnen ist dazu nahezu jedes Mittel recht. Ihre Emp- fehlungen, Herr Özdemir, können Sie sich wirklich spa- ren. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat denn die Hessen-Wahl im vorigen Jahr ver- fälscht? Wer war das denn?) Frau Müller hat sich ähnlich verhalten, als sie nach Festsetzung der maßlosen 41 Millionen DM durch Herrn Thierse meinte: „Die sollen jetzt nicht herumzicken“! Wir werden uns aber nicht unserer Rechte begeben. Die Entscheidung des Präsidenten ist für uns finanziell existenzbedrohend und juristisch zweifelhaft. ({4}) Entgegen der ursprünglichen Äußerung des Präsidenten ist diese auch keineswegs einmütig von seinen Beratern unterstützt und mitgetragen worden. ({5}) Es gab ernste Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung Thierses auch aus dem Kreis seiner Berater, was aber die Öffentlichkeit nicht erfahren sollte. ({6}) Wir vertrauen hierbei auf die Überprüfung der Entscheidung Thierses durch unsere unabhängige Gerichtsbarkeit. Keinesfalls aber, Herr Özdemir, werden wir das Schicksal und die Zukunft unserer großartigen Partei in die Hände unserer politischen Gegner legen. Wir lassen uns nicht wie Lämmer zur Schlachtbank führen. ({7}) Die Spendensammelaktion von Helmut Kohl für die CDU hat verschiedenste Reaktionen ausgelöst, wie man auch heute wieder beobachten kann. Wohltuend ist die unaufgeregte Feststellung der „Rheinischen Post“: Es ist nichts daran auszusetzen, dass honorige Bürger auf einwandfreie Weise einer Partei Geld zukommen lassen und dazu als Boten einen von ihnen verehrten Staatsmann im Ruhestand wählen. Besonders aufseiten von Rot und Grün überwogen Zorn und Neid die Aussagen. Die schlimmste Entgleisung stammt zweifellos von Frau Simonis. Ich habe dafür nach historischen Vorbildern gesucht. Aus dem Geschichtsunterricht kann ich mich noch an Ausgaben von Streichers „Stürmer“ erinnern. Daran erinnert mich das, was ich da gehört habe. Das ist ein Skandal. ({8}) Ich fordere Frau Simonis auf -

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Einen Moment, Herr Kollege!

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich fordere Frau Simonis von dieser Stelle aus auf, dies zurückzunehmen und sich dafür zu entschuldigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, ich unterbreche Sie und erteile Ihnen wegen des von Ihnen gebrauchten Vergleichs einen Ordnungsruf. Sie sollten wirklich zur Sache zurückkehren. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entlarvend war übrigens der Zusammenhang, in dem ihr die Entgleisung passierte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Sie sollten sich entschuldigen; das würde uns allen gut tun. ({0}) - Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben nicht das Wort. Das Wort hat der Kollege, dem ich noch einmal Gelegenheit gebe, sich zu entschuldigen. Dann können wir in der Debatte fortfahren.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, wenn Sie diesen Vergleich für unangebracht halten, ({0}) dann beuge ich mich Ihnen und nehme das zurück.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir es im Augenblick bewenden. Herr Kollege, Sie haben weiter das Wort.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Entgleisung ist Frau Simonis vor dem SPD-Landesparteitag in Bochum in Anwesenheit der gesamten ehrenwerten Vielfliegergesellschaft von Nordrhein-Westfalen pasKlaus-Peter Willsch siert. Gemäß Berichterstattung der „Rheinischen Post“ kamen übrigens laute Buhrufe auf, als die Spender des „WAZ“-Verlegers und SPD-Mitglieds Schumann erwähnt wurde. Daran zeigte sich auch, was Sie eigentlich bedrückt und bekümmert: Nicht, dass gespendet worden ist, sondern dass an uns, die CDU, und nicht an Sie gespendet worden. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich all jenen, die gespendet haben, und auch dem Initiator der Aktion danken. ({0}) Ihnen empfehle ich: Hören Sie auf Ihren Altvorsitzenden Hans-Jochen Vogel, der die Spendensammlung zur Wiedergutmachung der Bußgeldzahlung lobte, indem er feststellte, dass Kohl damit das tue, wozu jeder verpflichtet sei, der einen Schaden verursacht habe, nämlich den Schaden zu mindern. „Das ist erfreulich“, sagte er wörtlich. Ich komme zum Schluss. ({1}) Wir lassen uns von Ihnen nicht in Sippenhaft nehmen, nicht wir als Fraktion und auch nicht unsere 600 000 Mitglieder im Land. ({2}) Probleme im eigenen Haus lösen wir selbst, ({3}) - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und die Staatsanwalt- schaft!) weil Deutschland diese Partei und die Ideen, für die diese Partei steht, braucht. Ihnen geht es ja nicht um 2 oder 6 Millionen DM, Ihnen geht es um die Generalabrechnung mit einer Periode und einer Politik, zu der Sie eine innere Distanz hatten. ({4}) Ihnen geht es darum, die Partei CDU aus dem politischen Wettbewerb herauszuschmeißen. Aber Deutschland braucht die CDU. Ohne die Politik der CDU hätten wir in all den Jahren der Bundesrepublik Deutschland eine andere, eine schlechtere Republik erlebt. Gegen Ihren erbitterten Widerstand haben wir die Westintegration durchgesetzt, die uns die Freiheit gebracht hat, gegen Ihren Widerstand die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt, die uns den Wohlstand gebracht hat, ({5}) gegen Ihren erbitterten Widerstand - damals haben Sie sich vor Kasernen angekettet - den Doppelbeschluss durchgesetzt, womit wir den Kommunismus niedergerungen und auch dem Osten die Freiheit gebracht haben. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun ist Ihre Redezeit abgelaufen, Herr Kollege.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hat schließlich die Einheit Deutschlands gebracht, die Sie innerlich nie wollten. Deshalb führen Sie hier diesen Zirkus auf. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Dr. Peter Struck, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Vorredner, Sie haben eine für das ganze Parlament beschämende Rede gehalten, auch für Ihre eigene Fraktion. ({0}) Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, Ihre Worte zu überdenken und den Vergleich, den Sie zwischen Frau Simonis und Herrn Streicher, dem „Stürmer“-Herausgeber, gezogen haben, zurückzuziehen und sich dafür öffentlich zu entschuldigen. Das ging weit über das normale Maß einer parlamentarischen Auseinandersetzung hinaus. ({1}) Ich beabsichtige nicht, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich rede ganz bewusst als letzter Redner, weil ich mir die Debatte anhören und einen Eindruck davon gewinnen wollte, wie die Bürger wohl diese Debatte bewerten. Ich komme auf einen Text zurück, den ich Ihnen jetzt vortragen möchte: Die bekannt gewordenen Verstöße gegen das Parteiengesetz, gegen die Grundsätze der Transparenz und der innerparteilichen Demokratie haben unsere Partei, für die die Einhaltung von Recht und Gesetz zu ihrer Identität gehört, ins Mark getroffen. Weitaus bedeutender als der daraus entstandene finanzielle Schaden ist deshalb der Glaubwürdigkeitsund Vertrauensverlust, der eingetreten ist. Ich habe aus dem Entwurf des CDU-Vorstandes für den Leitantrag für den Essener Parteitag im April zitiert. Ich habe allerdings den Eindruck, meine verehrten Redner von der CDU/CSU-Fraktion, dass Sie sich an dieses Prinzip, das Sie hier fordern, bei Ihren gerade vorgetragenen Reden überhaupt nicht gehalten haben. ({2}) Wenn das wirklich so ist, wie Sie es aufgeschrieben haben - vielleicht hat es ja die Frau Merkel aufgeschrieben, ohne jemanden einzubeziehen -, dann frage ich Sie: Warum tun Sie eigentlich nichts gegen den Vertrauensverlust? Klären Sie doch auf! Klären Sie doch auf, wer Helmut Kohl gespendet hat! Es ist richtig, was Ströbele und andere gesagt haben: Das Problem sind nicht die Spenden, die er jetzt eingesammelt hat. Ich habe auch nicht zu kritisieren, wer Herrn Kohl gespendet hat. ({3}) Das ist die Angelegenheit derjenigen, die gespendet haben. Sie müssen das mit ihrem Gewissen vereinbaren. ({4}) Ich habe allerdings zu kritisieren, dass durch diese Aktion der ursprüngliche Tatbestand verschleiert wird, nämlich dass er sich bis heute weigert, die Spender zu nennen, die damals das Geld gegeben haben. ({5}) Ich kann mich noch gut an die Situation hier in diesem Plenarsaal erinnern, als ich in einer Rede über die Frage gesprochen habe, ob denn die Politik von Herrn Kohl möglicherweise käuflich gewesen sei, und ich kann mich auch noch gut an seine Empörung und an seine Zwischenfragen bei meiner Rede erinnern. Wenn Sie es denn wirklich ernst damit meinen, die Angelegenheit aufzuklären und zu beweisen, Sie seien nicht käuflich gewesen, dann sagen Sie, Herr Kohl, doch bitte um Gottes willen, von wem Sie die 2 Millionen DM bekommen haben! Wenn Sie das nicht tun, bleibt der Verdacht. ({6}) Ich hätte mir auch gewünscht - ich lese interessiert die Zeitungen; Herr Kohl beabsichtigt offenbar, in das Plenum zurückzukehren und seine Arbeit wieder aufzunehmen, was man von jedem Abgeordneten wohl auch verlangen kann, weil wir dafür gewählt wurden -, dass er heute in dieser Aktuellen Stunde die Gelegenheit ergriffen hätte, dazu Stellung zu nehmen. Wo ist er denn? ({7}) Ich frage mich auch, wie eine Bemerkung von Herrn Kohl in einem Interview zu bewerten ist, das er gestern der „Welt“ gegeben hat. Er hat gesagt: Erstaunt bin ich nur, wenn ich daran denke, dass mancher, der früher unbedingt meine Nähe gesucht hat, dem ich geholfen habe, heute davon nichts mehr wissen will. ({8}) Wie ist das eigentlich zu verstehen? ({9}) Muss man nicht auch die Frage stellen, ob ehemalige Generalsekretäre, auch Generalsekretärinnen, und all die, die im nahen Umfeld von Herrn Kohl waren und mit dem System Kohl verwoben waren, doch vielleicht mehr gewusst haben, als sie jetzt behaupten? Muss man jetzt nicht diese Frage stellen? Muss man nicht auch die Frage stellen, wer denn die 100 000 DM von Herrn Schreiber bekommen hat? Herr Schäuble, Frau Baumeister oder beide? ({10}) Das ist doch die Situation, mit der wir zu tun haben und die wir zu diskutieren haben. Es ist offenbar die Strategie der Union - das ist eben bei den Reden deutlich geworden -: Schmeißen wir mal mit Dreck auf die anderen, dann merkt man nicht, wie schmutzig wir sind! - Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen. ({11}) Wir werden den Sachverhalt im Untersuchungsausschuss aufklären. Wir werden klarstellen, dass unsere Republik keine Kauf-mich-Republik ist und keine Bimbes-Republik war. Da kann Herr Kohl noch so viele Hypotheken auf sein Haus aufnehmen: Die größte Hypothek für diese Demokratie ist er selbst, solange er sein Verhalten nicht ändert. ({12}) Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, noch eine letzte Bemerkung zu dem Kollegen Schmidt. Ich kann ja verstehen, dass Sie sagen, wir müssen die anderen irgendwie hereinziehen, damit wir nicht so schlecht dastehen. Es handelt sich vielleicht teilweise um eine politische Auseinandersetzung. An dieser Stelle ist aber diese Art und Weise der politischen Auseinandersetzung unangebracht. Um eines bitte ich Sie sehr: Die Schatzmeisterin der SPD hat in einem Interview der „Welt“, das Sie heute mit Sicherheit nachgelesen haben, dargelegt, dass die Bilanzierung der Beteiligungen der SPD nach den Grundsätzen des Handelsgesetzbuches erfolgt. Ich kann nun wirklich nicht erkennen, warum Sie das zum Anlass nehmen zu sagen, das wollen wir im Untersuchungsausschuss bereden. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Das ist ein reines Ablenkungsmanöver und ist unredlich gegenüber einer Kollegin, die auch einen Anspruch auf Ehre hat, verehrter Herr Kollege Schmidt. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 16. März, 9.00 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.