Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses ({0}) zu den gegen
die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 14/2761 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Die Abgeordnete Erika Simm wünscht das Wort zur Berichterstattung. Ich erteile Ihnen das Wort, Kollegin Simm.
Sehr verehrter Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der 14. Deutsche Bundestag
hat neben der Prüfung der Bundestagswahl auch über
Wahleinsprüche zu entscheiden, mit denen wahlberechtigte Bürger Einwendungen gegen die Vorbereitung und
Durchführung der fünften Direktwahl der Abgeordneten
zum Europäischen Parlament erheben. Diese Beanstandungen können sich sowohl auf die Art und Weise der
Durchführung der Wahl selbst als auch auf die Feststellung des Wahlergebnisses beziehen. Gegen die Wahlen
zum 5. Europäischen Parlament sind 41 Wahleinsprüche
eingegangen, über die heute zu entscheiden ist.
In den meisten Fällen konnte nach gründlicher Prüfung kein Wahlfehler festgestellt werden. Selbst dann,
wenn ein Wahlfehler festgestellt worden ist, kann er
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zum Erfolg des Wahleinspruchs führen, wenn sich der Fehler nicht auf die Verteilung der
Mandate der deutschen Abgeordneten im Europäischen
Parlament auswirkt. In keinem der zu prüfenden Einsprüche war dies der Fall. Dennoch geht der Wahlprüfungsausschuss jedem Vortrag gründlich nach, nicht zuletzt deshalb, um für zukünftige Wahlen Missstände abstellen und Anregungen für eine Überprüfung der Wahlrechtsvorschriften bzw. Vorschläge für eine Verbesserung der Vorbereitung und Durchführung der Wahl an
die Bundesregierung geben zu können. Derartige Anregungen werden üblicherweise in einer Entschließung mit
Prüfungsbitten an die Bundesregierung zusammengefasst. Dazu verweise ich auf Ziffer 3 der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses.
Nachfolgend möchte ich - auch wenn hier kein vollständiger Bericht über jeden einzelnen Wahleinspruch
möglich und angebracht ist - zumindest exemplarisch
auf einige Aspekte hinweisen, die bei der Europawahl
1999 zu Einsprüchen geführt haben. Hervorzuheben ist
die bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der Bundestagswahl geäußerte Anregung, die Teilnahme von im
Ausland lebenden Wahlberechtigten an der Wahl durch
bessere Information und Verlängerung der Fristen zu erleichtern.
({0})
So hatte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ein so genanntes Infoblatt zur Europawahl erstellt, welches einen Vordruck enthielt, mit dem wahlberechtigte Deutsche im Ausland Antragsformulare für die
Eintragung in das Wählerverzeichnis anfordern konnten.
Dies ist im Grundsatz zu begrüßen. Bedauerlicherweise
ist dieses Infoblatt zu spät versandt worden, sodass viele
im Ausland lebende Deutsche wegen der längeren Postlaufzeiten den Antrag zur Eintragung in das Wählerverzeichnis nicht mehr fristgerecht stellen konnten. Die
Versendung derartiger Infoblätter sollte deshalb in Zukunft rechtzeitig erfolgen.
({1})
Ein Schwerpunkt der Beanstandungen bei der Europawahl lag darin, dass nicht deutsche Bürger der Europäischen Union, die in der Bundesrepublik Deutschland
ihren ständigen Wohnsitz haben, nur auf Antrag in das
Wählerverzeichnis eingetragen werden. Der Antrag
musste bei der letzten Wahl bis zum 34. Tag vor der
Wahl gestellt sein. Viele Unionsbürger waren jedoch
davon ausgegangen, dass sie wie deutsche Wahlberechtigte von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen werden. Sie haben deshalb die Antragsfrist versäumt.
Bestärkt wurden einige von ihnen in dieser Annahme
dadurch, dass sie bereits 1994 ihr Wahlrecht zur Europawahl in Deutschland ausgeübt hatten und deshalb
meinten, dass ein einmaliger Antrag zur Eintragung in
das Wählerverzeichnis auch auf nachfolgende Wahlen
wirke. Andere Unionsbürger wiederum hatten für die am
gleichen Tag in ihrer Wohnsitzgemeinde stattfindenden
Kommunalwahlen eine Wahlbenachrichtigung erhalten,
ohne dass sie dafür einen Antrag hätten stellen müssen,
und vermuteten deshalb, auch für die Europawahl ihre
Stimme abgeben zu dürfen, was jedoch nach der geltenden Rechtslage ohne gesonderten Antrag nicht möglich
ist.
Diese Rechtslage hat bei einer Reihe von Unionsbürgern zu Unverständnis und Verärgerung geführt. Auch
die Europäische Kommission hat die geltende deutsche
Regelung in der Europawahlordnung bereits beanstandet. Eine diesbezügliche Rechtsänderung ist nun geplant. Der Wahlprüfungsausschuss unterstützt mehrheitlich ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die
Wahlrechtsvorschriften dahin gehend zu ändern, dass
hier lebende, nicht deutsche Unionsbürger, die 1999
oder bei künftigen Europawahlen auf ihren Antrag in
Deutschland in ein Wählerverzeichnis eingetragen worden sind, bei dann folgenden Europawahlen von Amts
wegen wieder eingetragen werden, ohne einen neuerlichen Antrag stellen zu müssen.
Eine weitere zu klärende Frage betraf den Zeitpunkt
des Eingangs von Wahlbriefen und deren Berücksichtigung bei der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses. Die Stadt Solingen hat 243 Wahlbriefe, die
am Montag nach der Wahl aus dem Postfach der Stadt
abgeholt worden sind, als nicht mehr rechtzeitig eingegangen gewertet und deshalb bei der Feststellung des
Wahlergebnisses nicht berücksichtigt. Diese Wahlbriefe
stammten aus der Briefkastenleerung am Freitag vor der
Wahl und sind noch am Freitag in das Postfach der Stadt
Solingen bei der Deutschen Post AG einsortiert worden.
Sie hätten somit am Samstag vor der Wahl aus dem
Postfach der Stadt abgeholt werden können, was nicht
geschehen ist. Dem Wähler kann dieses Versäumnis des
Wahlamtes der Stadt Solingen nicht zugerechnet werden. Die Wahlbriefe gelten mit dem Einsortieren in das
Postfach der Stadt als eingegangen, weil sie damit in den
Machtbereich des Empfängers gelangt sind. Sie hätten
bei der Feststellung des Wahlergebnisses mitgezählt
werden müssen.
In einem anderen Fall hat die Stadtverwaltung Bonn
mit der Deutschen Post AG extra eine eigene Postleitzahl für das Postaufkommen zur Europawahl vereinbart,
um dieses von dem allgemeinen Posteingang zu trennen
und die schnelle Beförderung von Briefwahlanträgen zu
gewährleisten. Die Deutsche Post AG hat es jedoch versäumt, ihre Mitarbeiter im zuständigen Briefzentrum davon zu unterrichten. Deshalb haben die Mitarbeiter des
Briefzentrums, die mit der besonderen Postleitzahl
nichts anfangen konnten, die Post zunächst einfach gesammelt. Nach einer Woche wurden der Stadt Bonn
dann zehn Behälter mit Briefwahlanträgen übergeben,
wodurch die Bearbeitung der Anträge erheblich verzögert worden ist. Derartige Informationsfehler müssen
künftig vermieden werden.
Nur als Anmerkung: In beiden Fällen - wir haben
nachrechnen lassen - hatte aber dieser Fehler keine
Auswirkungen. Wenn er also vermieden worden wäre,
hätte sich am Ergebnis nichts geändert. Deswegen konnte den Einsprüchen nicht stattgegeben werden.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die
Veröffentlichung von Wählerbefragungen nach der
Stimmabgabe über ihre Wahlentscheidung vor Ablauf
der Wahlzeit verboten ist. Dieses Verbot richtet sich
insbesondere an die Massenmedien wie Rundfunk und
Fernsehanstalten. Es soll verhindern, dass Wahlberechtigte, die noch nicht gewählt haben, sich durch die vorzeitige Veröffentlichung von Umfrageergebnissen in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen lassen. Gegen dieses
Verbot wurde auch bei der Europawahl wieder verstoßen. Ich bitte deshalb die hier angesprochenen Medien dringend, die Veröffentlichung von Wählerbefragungen vor Ablauf der Wahlzeit bei zukünftigen Wahlen
zu unterlassen.
Des Weiteren muss bei künftigen Europawahlen trotz
möglicher Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung darauf geachtet werden, dass der Wahlvorstand mit
der Stimmauszählung im Wahllokal erst nach Ende der
Stimmabgabe in den anderen Mitgliedstaaten beginnen
darf. Durch diese Regelung soll ebenfalls eine mögliche
Beeinflussung von Wählern in anderen Mitgliedstaaten
durch das vorzeitige Bekanntwerden von Wahlergebnissen verhindert werden.
In Ziffer 3 der vorliegenden Beschlussempfehlung
wird die Bundesregierung deshalb ausdrücklich darum
gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass die entsprechende
Vorschrift des Europawahlgesetzes bei künftigen Europawahlen eingehalten wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Sorgfalt und großer
Mühe, die sich unsere Mitarbeiter im Sekretariat gegeben haben - dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei
ihnen,
({2})
ohne sie hätten wir diese Wahleinsprüche nicht so flott
erledigen können; ich bin stolz darauf, dass es dieses
Mal nicht so lange gedauert hat -, sind uns zwei kleine
Versehen unterlaufen, auf die ich hinweisen möchte, ehe
wir über das Votum abstimmen, weil die Anlagen dementsprechend geändert werden müssen. Es sind zwei
Fälle. Der erste Fall betrifft die Anlage 30 mit dem Aktenzeichen EuWP 34/99. In dem Kapitel „Entscheidungsgründe“ - nur dort ist dieser kleine Fehler unterlaufen - muss das Wort „nicht“ gestrichen werden. Der
Passus lautet dann: Der Einspruch ist zulässig, jedoch
offensichtlich unbegründet.
Der zweite Fall findet sich in der Anlage 35 mit dem
Aktenzeichen EuWP 7/99. Dort muss der Passus bezüglich des Einspruches im Kapitel „Entscheidungsgründe“
heißen: Er ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegründet.
Ich bitte, Herr Präsident, diese Berichtigung der, wie
gesagt, nur in den Begründungen der EinspruchsentErika Simm
scheidungen aufgetretenen zwei Fehler bei der Abstimmung zugrunde zu legen.
Abschließend möchte ich Sie bitten, der Beschlussempfehlung, die vom Wahlprüfungsausschuss bei einer
Stimmenthaltung zu Ziffer 3, Buchstabe a, zweiter Spiegelstrich, im Übrigen aber einstimmig verabschiedet
worden ist, insgesamt zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Herzlichen Dank,
Frau Kollegin Simm.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf
Drucksache 14/2761 mit den soeben vorgetragenen Berichtigungen? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: nationaler beschäftigungspolitischer Aktionsplan 2000. Das Wort für den einleitenden
fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Kollegin
Barbara Hendricks.
Danke schön, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die
Bundesregierung den nationalen beschäftigungspolitischen Aktionsplan 2000 verabschiedet. Der NAP, wie
er in Kurzform genannt wird, ist wichtiger Bestandteil
einer koordinierten europäischen Beschäftigungsinitiative.
Mit dem Vertrag von Amsterdam hat die Europäische
Union die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur gemeinsamen Aufgabe erklärt. Zusammen mit den Strategien,
auf ein möglichst spannungsfreies Zusammenspiel von
Lohnentwicklung, Finanz- und Geldpolitik hinzuwirken - dem so genannten Köln-Prozess -, durch Strukturreformen für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Funktionierens der Märkte beizutragen - dem so genannten Cardiff-Prozess -, bildet
der so genannte Luxemburg-Prozess den dritten Eckpfeiler des europäischen Beschäftigungspaktes.
Im Rahmen dieses Luxemburg-Prozesses legen die
Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission dem
Europäischen Rat jährlich einen gemeinsamen Bericht
über die Beschäftigungslage und über die Umsetzung
von beschäftigungspolitischen Leitlinien vor. Grundlage
hierfür bilden die nationalen Aktionspläne. Mit dem Luxemburg-Prozess wird somit ein ständiger beschäftigungspolitisch orientierter Überwachungs-, Anpassungsund Umsetzungsprozess in Gang gehalten.
Der NAP stützt sich auf eine breite Basis. Es handelt
sich um einen Bericht der Bundesregierung, der unter
Federführung des Bundesfinanzministeriums entstanden
ist. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt naturgemäß im
Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung. Die Länder waren ebenfalls beteiligt. Auch die Sozialpartner haben entsprechend unserer
Vorstellung eines gesellschaftlichen Dialogs mitgewirkt.
Der Europäische Rat in Helsinki vom Dezember des
vergangenen Jahres hat sich auf der Grundlage des letzten gemeinsamen Beschäftigungsberichtes auf 21 beschäftigungspolitische Leitlinien verständigt, die weitgehend eine Fortschreibung der vorangegangenen Leitlinien darstellen. Der Bericht folgt dieser Gliederung.
Der NAP nimmt die im Jahreswirtschaftsbericht entwickelte beschäftigungspolitische Strategie der Bundesregierung auf und übersetzt sie in konkrete Maßnahmen.
Der Bericht beschreibt die Maßnahmen, die zur Umsetzung der Leitlinien ergriffen worden sind oder die sich
in der Planung befinden. Der NAP 2000 beschreibt die
Grundlinien der Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Frauen-, Mittelstands- sowie der Steuer- und Abgabenpolitik, die
sich im Zusammenspiel zu einer beschäftigungsfördernden Gesamtstrategie ergänzen. Gleichzeitig gibt er Rechenschaft über die deutsche Reaktion auf die Empfehlungen, die der Europäische Rat als Folge der Ergebnisse des letzten Beschäftigungsberichts für Deutschland
formulierte.
Schwerpunkte des nationalen Aktionsprogramms zur
Beschäftigungspolitik sind folgende: Der rasche technische Fortschritt und die zunehmende Wettbewerbsintensität - Stichwort Globalisierung - lösen einen permanenten Strukturwandel aus. Er ist zugleich Ergebnis und
Voraussetzung einer stärkeren Wachstumsdynamik. Die
Wahrnehmung von Wachstums- und Innovationschancen hängt entscheidend davon ab, wie rasch und wie
stark die Märkte auf veränderte Rahmenbedingungen
und wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Strukturreformen müssen deshalb gleichermaßen am Steuer- und
Transfersystem, am Arbeitsmarkt sowie an den übrigen
Güter- und Faktormärkten ansetzen.
Mit dem Zukunftsprogramm 2000 und der Steuerreform 2000 hat die Bundesregierung die Weichen für eine umfassende und wirksame Modernisierung der Wirtschaft gestellt. Die Empfehlungen des Europäischen Rates hinsichtlich einer stärker wachstums- und beschäftigungsorientierten Steuerpolitik sowie einer Verringerung der Arbeitskosten durch Senkung der Steuer- und
Abgabenlasten haben wir bereits beherzigt. Unser mittelfristiges Konzept der Haushaltskonsolidierung und
der Steuersenkungen schafft - zusammen mit den notwendigen Strukturreformen - die Basis für mehr Investitionen und Arbeitsplätze.
In der Arbeitsmarktpolitik geht es vor allem darum,
aktiven Maßnahmen eindeutigen Vorrang vor passiven
Lohnersatzleistungen einzuräumen. Ein wichtiges Ziel
ist es, den Zugang in die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich zu verringern. So hat die Bundesregierung das Arbeitsförderungsrecht stärker zielgruppenorientiert und
entschiedener auf die Verhinderung von LangzeitarbeitsErika Simm
losigkeit ausgerichtet. Zudem wird das erfolgreiche Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit mit
Angeboten zur Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugendlicher im laufenden Jahr fortgesetzt. Zukunftsaufgaben werden finanziell gestärkt bzw. gesichert. Deshalb werden die Investitionen in Forschung,
Bildung und Wissenschaft Jahr für Jahr erhöht und die
Investitionen in die Infrastruktur verstetigt.
Moderne Innovationspolitik ist eine Querschnittsund Managementaufgabe, die nur in Zusammenarbeit
verschiedener Politikbereiche erfolgreich gestaltet werden kann. Somit gilt es, ein Klima zu schaffen, in dem
Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
neue Entfaltungsmöglichkeiten erhalten und der notwendige Unternehmergeist gefördert wird. Der jungen
Generation wie der Gesellschaft insgesamt sollen neue
Wege zu aktivem Handeln, zu Innovation und Verantwortung eröffnet werden. Nur eine ständig lernende Gesellschaft kann diesen Herausforderungen gerecht werden.
Weitere wichtige Zukunftsaufgaben sind Strukturreformen auf den Güter- und Faktormärkten, die darauf
abzielen, den Wettbewerb zu stärken, Raum für private
Initiative zu öffnen und neue Wachstums- und Beschäftigungschancen zu erschließen. Die Bewältigung der Beschäftigungsprobleme und die notwendigen Reformen
sind nur mit der Unterstützung aller gesellschaftlichen
Gruppen möglich. Gesellschaftlicher Dialog und sozialer Ausgleich sind deshalb elementare Bestandteile der
wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeption der Bundesregierung. Das von der Bundesregierung initiierte Bündnis
für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit
schafft einen dauerhaften Rahmen für diesen Dialog und
regt dazu an, Reformen und Beschäftigungspotenziale
zu identifizieren und zu aktivieren.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass ein
entscheidender Abbau der Arbeitslosigkeit nur im wechselseitigen Zusammenspiel günstiger makroökonomischer Rahmenbedingungen und nachhaltiger Strukturreformen zu erreichen ist. Die erfolgreiche Umsetzung eines umfassenden Reformkonzepts setzt aber ein hohes
Maß an sozialem Konsens voraus. Der NAP ist Teil dieser Strategie. Er legt Rechenschaft über konkrete Politik
ab und verbindet nationales Handeln mit europäischer
Perspektive.
Danke schön.
Herzlichen Dank,
Frau Kollegin. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem
Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet
wurde. - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung ist im Herbst 1998 mit der
Aussage angetreten, sich an der Zahl der Arbeitsplätze
messen zu lassen. Wir hatten 1998 erstmals die Zahl von
4 Millionen Arbeitslosen überschritten. Nach einem Jahr
neuer Bundesregierung wurde sie 1999 und jetzt auch
im Januar und Februar 2000 wieder überschritten. Sie
legen hier einen Aktionsplan ohne Aktion vor. Ich frage
Sie - vielleicht habe ich das überlesen oder eben bei Ihnen überhört -, welche konkreten Aktionen Sie vorhaben.
Ich frage Sie insbesondere nach dem Umgang der Bundesregierung mit den Vorschlägen, die die Bundesbank,
die OECD, der Sachverständigenrat und der Internationale Währungsfonds in den letzten Monaten vorgelegt
haben.
Ich frage Sie nach Strukturreformen im Bereich des
Arbeitsrechts, des Tarifrechts und des Arbeitsmarktrechts. Ich habe von Ihnen dazu noch nichts gehört und
habe Ihrer Veröffentlichung vorhin nur entnehmen können, dass etwas Bewegung in den Bereich der Arbeitszeit kommen soll. Ich frage in diesem Punkt nach: Ist die
Bundesregierung jetzt endlich bereit, das nachzubessern,
was bei Holzmann illegal läuft, nämlich dass zugunsten
von Arbeitsplätzen betriebliche Tarifabschlüsse zugelassen werden? Sind Sie bereit, entsprechende gesetzliche
Möglichkeiten für alle Unternehmen und alle Branchen
zu schaffen?
Sind Sie ferner bereit, auch das Problem der informationstechnischen Berufe anzugehen, auf das der Bundeskanzler hingewiesen hat? Es liegt ja darin begründet,
dass unser Arbeitsmarkt und unsere Arbeitsvermittlung
viel zu langsam auf die schnelle Entwicklung in der
Welt reagieren. Hier sind dringend Strukturreformen
notwendig. Plant die Bundesregierung konkrete Gesetzesvorhaben? Wenn ja: Welche können Sie hier benennen?
Herr Kollege, wir sind zu
allen diesen Aufgaben bereit, zumal wir wissen, dass Sie
uns diese Aufgaben hinterlassen haben. Alle diese
Strukturreformen sind deshalb notwendig, weil sie in Ihrer Regierungszeit nicht angegangen worden sind. Auf
die Einzelheiten wird mein Kollege Gerd Andres jetzt
eingehen.
({0})
Bevor wir zu weiteren Fragen zu diesem Themenbereich kommen, gebe ich
dem Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
Herr Präsident, ich
bitte um Verständnis dafür, dass ich angesichts des Umfangs der Frage des Abgeordneten Protzner mindestens
eine halbe Stunde benötigen würde, um diese umfangreiche Frage zu beantworten.
Ich hoffe, Sie können sich beherrschen.
Ich kann mich beherrschen. Deswegen will ich es ein bisschen zuspitzen
und meine Antwort mit der Bemerkung einleiten, dass
der Kollege Protzner in den letzten anderthalb Jahren offensichtlich im Deutschen Bundestag nicht anwesend
war.
Ich will ihn zunächst daran erinnern, dass die alte
Bundesregierung mit der Spitzenzahl von 4,8 Millionen
registrierten Arbeitslosen in das Jahr 1998 gestartet war.
Es ist uns im vergangenen Jahr gelungen, die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt um 180 000 abzusenken.
Wenn Sie sich mit dem nationalen Aktionsplan, der dem
Parlament zugeleitet wird, auseinander setzen, werden
Sie feststellen, dass wir im Rahmen der Luxemburger
beschäftigungspolitischen Leitlinien eine ganze Reihe
von Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, die dazu
geführt haben, dass wir im Wesentlichen zwei Trends
ganz entscheidend geändert haben, Herr Abgeordneter
Protzner.
Erstens. Die Zahl der arbeitslos registrierten Jugendlichen unter 25 Jahren steigt nicht mehr an, sondern ist
deutlich zurückgegangen, um mehr als 40 000. Zweitens. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr
Maßnahmen auf den Weg gebracht - dies ist ein weiteres wichtiges beschäftigungspolitisches Ziel der Luxemburger Leitlinien -, um den Trend des Ansteigens der
Langzeitarbeitslosigkeit zu brechen und ihn umzukehren.
Wir gehen nach all dem, was wir auf der Grundlage
der Prognosen von Sachverständigenrat und Jahreswirtschaftsbericht wissen, davon aus, dass es uns gelingen
wird, die Zahl der arbeitslos registrierten Menschen in
diesem Jahr um etwa 200 000 nach unten zu entwickeln.
({0})
Möglicherweise wird diese Zahl noch übertroffen werden.
Hinsichtlich der Frage der Umwandlung von passiven
in aktive Maßnahmen hat die neue Bundesregierung eine
deutliche Trendumkehr einleiten können, indem sie die
arbeitsmarktpolitischen Instrumente - im Gegensatz zu
dem, was die Vorgängerregierung getan hat - verstetigt
hat. Auch dieses ist eine der beschäftigungspolitischen
Leitlinien, wie Sie sicherlich wissen, Herr Protzner, um
hier entsprechend agieren zu können. Sie sehen an diesen Beispielen, dass wir schon wesentliche Schritte eingeleitet haben, die noch weitere Früchte tragen werden.
Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass sich
die beschäftigungspolitischen Empfehlungen der Kommission, über die auch meine Kollegin Hendricks gesprochen hat, auf die Politik der alten Bundesregierung
bezogen haben, nämlich auf den nationalen Aktionsplan
1998. Ich würde Ihnen raten, sich diese Empfehlung
einmal anzuschauen. Dann würden Sie möglicherweise
Ihre Frage im Plenum des Deutschen Bundestages ein
bisschen zurückhaltender stellen.
Angesichts Ihrer Frage im Zusammenhang von
OECD und Weltwährungsfonds würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal anzuschauen, auf welche Grundlage
sich diese Berichte und Positionen beziehen.
Denn es ist bemerkenswert, dass sich die Dinge, die öffentlich gehandelt werden, in ihrem Beurteilungszeitraum im Wesentlichen auf das Jahr 1998 beziehen. Das
bedeutet, dass dies Wahrnehmungen und Empfehlungen
sind, die sich vornehmlich auf Ihre eigene Politik beziehen.
Weitere Fragen dazu?
Ich habe eine weitere Frage dazu. Frau Staatssekretärin, ich habe nicht
nach Beispielen - deswegen verbitte ich mir auch die
Belehrungen von der Regierungsbank -, sondern nach
Gesetzesvorhaben gefragt.
({0})
- Ich habe gesagt, ich verbitte mir das schlicht und einfach.
Ich habe nach Gesetzesvorhaben gefragt und beziehe
mich hier ausdrücklich auf die Aussage der Frau Staatssekretärin Hendricks, die in ihrer Ankündigung - ich zitiere wörtlich - von „Strukturreformen“ gesprochen hat.
Im weiteren Verlauf ihrer Rede habe ich aber keine Vorschläge für Strukturreformen gefunden.
Herr Andres, auch die Beispiele, die Sie hinsichtlich
der europäischen Vereinbarungen angesprochen haben,
weisen mich nicht auf Strukturreformen hin. Ich frage
Sie daher noch einmal nach den Strukturreformen und
verweise hier ausdrücklich auf Holzmann und ITBerufe.
Kollegin Hendricks.
Zunächst einmal sind die
Fragen der Strukturreform umfassender zu betrachten.
Wenn ich meinen engeren Zuständigkeitsbereich sehe,
muss ich darauf hinweisen: Wir haben wesentliche
Strukturreformen in der Steuerpolitik in die Wege geleitet, die Beschäftigungsmöglichkeiten erweitern und die
Aufnahme einer Beschäftigung attraktiver machen. Zum
Arbeitsmarktbereich wird sich gleich mein Kollege Gerd
Andres äußern.
Wenn Sie sich dagegen verwahren, von der Regierung belehrt zu werden, so kann ich dazu nur sagen, dass
die Regierung antworten kann, wie sie will. Dieses
Recht steht ihr nach der Geschäftsordnung zu.
({0})
Sie darf antworten, wie sie will. Natürlich - darf sie was völlig klar ist - nicht beleidigend werden. Aber
sonst darf sie antworten, wie sie will. Das müssen Sie
bitte zur Kenntnis nehmen.
Was die IT-Berufe anbelangt, finde ich es schon erstaunlich, dass Sie gerade diesen Bereich anmahnen. Der
Kollege Ihrer Fraktion, der sich in den vergangenen JahParl. Staatssekretär Gerd Andres
ren Zukunftsminister genannt hat und der sich in den
letzten Tagen durch eine haarsträubende Äußerung in
diesem Zusammenhang hervorgetan hat, sieht offenbar
nicht mehr, welche Verantwortung er dafür hat, dass in
den vergangenen Jahren zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten in den IT-Berufen bestanden haben. Er ist heute
vorsichtshalber nicht anwesend, weil er sich sonst mit
seinen haarsträubenden Äußerungen konfrontiert sehen
müsste. Sie sollten ein bisschen vorsichtig sein. Sie wissen, dass die Bundesregierung in deutscher Initiative einen Dialog 21 mit der Wirtschaft verabredet hat, wonach
über die schon verabredeten 40 000 Ausbildungsmöglichkeiten hinaus weitere 60 000 Ausbildungsmöglichkeiten vorgesehen werden. Es sind in kurzer Zeit Initiativen in Gang gesetzt worden, die leider durch so genannte Zukunftsminister und andere Regierungsverantwortliche in der Vergangenheit - um es vorsichtig auszudrücken - verschlafen worden sind.
Zum Arbeitsmarktbereich wird sich jetzt mein Kollege Andres äußern.
({1})
Bitte schön.
Herr Protzner, ich
will noch einmal ausdrücklich sagen: Wenn Sie die Frage stellen, was die Regierung praktisch getan hat, dann
müssen Sie es schon mir überlassen, Ihnen Beispiele zu
nennen, wo die Regierung praktisch gehandelt hat. Da
Sie danach fragen, was wir weiter vorhaben, werde ich
die Gelegenheit dazu ausdrücklich nutzen, um Sie umfassend - so weit dies im Rahmen der Befragung geht zu informieren, damit Sie auf einen vernünftigen Informationsstand kommen. Dies ist auch ein Anliegen dieser
Diskussion hier.
Zu der Leitlinie Nr. 1 - Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - habe ich bereits geantwortet. Betreffend
die Leitlinie Nr. 2 - Verhütung der Langzeitarbeitslosigkeit - habe ich deutlich gemacht, dass wir den Trend,
der sich unter Ihrer Regierungszeit ständig verstärkt hat,
umgedreht haben und gute Erfolge vorweisen können.
Die Leitlinie Nr. 3 setzt sich auseinander mit dem Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen. Auch dazu
habe ich Ihnen bereits einiges genannt.
Ich will als Beispiel die Leitlinie Nr. 14 herausgreifen. Meine Kollegin aus dem Bundesfinanzministerium
hat bereits darauf hingewiesen: Wir haben dadurch, dass
wir in mehreren Reformschritten die Lohn- und Einkommensteuer reformieren und in einem ganz großen
Paket die Unternehmensteuer verändern werden, wesentlich auf das reagiert, was in diesen beschäftigungspolitischen Leitlinien enthalten ist.
Die Leitlinien Nr. 15 und Nr. 16 setzen sich mit der
Modernisierung der Arbeitsorganisation auseinander.
Frau Hendricks hat schon darauf hingewiesen, dass es
sich um eine Frage handelt, die wir im Bündnis für Arbeit diskutieren. Da messen wir dem Bündnis eine ganz
besondere Bedeutung zu. Ich kann Sie darauf hinweisen,
dass wir in Dialogform in entprechenden Arbeitsgruppen hinsichtlich Fragen der Arbeitszeit, der Teilzeitarbeit, aber auch der Altersteilzeit wichtige Fortschritte
erzielt haben.
Gerade heute hat das Bundeskabinett neben der Verabschiedung des nationalen Aktionsplanes auch beschlossen, das Gesetz über die Altersteilzeit nach Absprachen im Bündnis für Arbeit erneut zu verändern.
Wie ich finde, ist das ein wichtiger strukturpolitischer
Schritt, mit dem wir entsprechend reagieren und
Schlussfolgerungen aus Empfehlungen der Kommission
ziehen.
Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass heute,
gerade in dieser Stunde, parteiübergreifende Gespräche
über eine umfassende Rentenreform stattfinden. Eine der
Maßgaben, nämlich die gesetzlich definierten Lohnnebenkosten abzusenken, hat die Bundesregierung bereits
im vergangenen Jahr umgesetzt. Zum 1. Januar hat sie
sie noch einmal abgesenkt. Ich weise auch darauf hin,
dass wir zum 1. April des vergangenen Jahres die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte und zum 1. Januar dieses Jahres noch einmal
um 0,2 Prozentpunkte abgesenkt haben. Binnen neun
Monaten macht das faktisch eine Absenkung von einem
ganzen Prozentpunkt aus. Sie können in den Annalen Ihrer Bundesregierung einmal nachschauen, wann das Ihnen letztmalig gelungen ist. Wir werden mit einer umfassenden Reform der Rentenversicherung in diesem
Jahr mit dazu beitragen, dass eine Neutarierung der Verbindung zwischen Beschäftigungssystem und sozialem
Sicherungssystem stattfindet.
Ich könnte endlos weitermachen; aber ich schenke es
mir erst einmal und freue mich auf weitere Fragen von
Ihrer Seite. Ich werde immer die Gelegenheit nutzen,
das zu erläutern, was die Bundesregierung auf den Weg
bringt. Sie können das im nationalen Aktionsplan nachlesen. Der Bundestag berät ihn entsprechend. Wir reagieren mit diesem nationalen Aktionsplan. Ich denke,
wir sind sehr erfolgreich tätig. In diesem Sinne beantworte ich Ihre Frage.
Herr Kollege Seifert,
bitte schön. Sie haben das Wort zu einer Frage.
Herr Staatssekretär Andres ich gehe einmal davon aus, dass Sie antworten werden,
auch wenn sich die Frage an die gesamte Regierung
richtet -, Sie sprachen vorhin davon, ein nationales Aktionsprogramm aufzulegen, das zielgruppenorientiert
sein soll. In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob
Sie auch für Menschen mit Behinderungen ein entsprechendes Eingliederungsprogramm aufgelegt haben; denn
die Massenarbeitslosigkeit in diesem Bereich ist bekanntermaßen wesentlich höher als die allgemeine - die ist
schon schlimm genug. Mich interessiert, ob Sie in diesem Programm entsprechende Maßnahmen anbieten
oder ob Sie das alles auf die allgemeinen behindertenpolitischen Maßnahmen verschieben. Für die Betroffenen
ist dies ziemlich wichtig.
Kollege Andres.
Herr Abgeordneter
Seifert, Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen,
dass die Bundesregierung während ihrer Präsidentschaft
insbesondere die Fragen der Behindertenpolitik zu einem zentralen Aktionsfeld gemacht hat. Wir haben dazu
während unserer Präsidentschaft eine umfangreiche
Konferenz auf europäischer Ebene durchgeführt und wir
haben auch dafür gesorgt, dass die Eingliederung von
Behinderten in den Arbeitsmarkt eines der zentralen
Themen in dieser Zeit gewesen ist.
Sie wissen, dass wir im nationalen Aktionsplan auch
Beispiele dafür aufnehmen, wie wir in diesem Beschäftigungssektor agieren wollen. Sie sind darüber informiert, dass wir nicht nur über eine Neukodifizierung des
Behindertenrechtes in einem so genannten Sozialgesetzbuch IX diskutieren. Dazu haben wir uns auf Eckpunkte
geeinigt und entsprechende Verabredungen mit den
Verbänden und den Betroffenen getroffen. Darüber hinaus werden wir relativ kurzfristig, noch vor der Sommerpause, Fragen der Eingliederung von Behinderten in
den Arbeitsmarkt verstärkt behandeln.
Wir bringen eine Novelle des Schwerbehindertengesetzes auf den Weg, mit dem das Ziel verfolgt werden
soll, binnen zwei Jahren praktisch nachvollziehbar die
Zahl der registrierten arbeitslosen Schwerbehinderten
um mindestens - ich betone: mindestens! - 50 000 abzusenken, also neue Beschäftigungschancen und -felder zu
eröffnen. Ich denke, das ist neben der Frage der Wiedereingliederung eine ganz zentrale Frage.
Ich kann Ihnen berichten, dass wir am vergangenen
Montag im Arbeits- und Sozialministerrat insbesondere
über eine Initiative der portugiesischen Präsidentschaft
diskutiert haben. Diese hat die Frage der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu einem der zentralen Themen ihrer
Präsidentschaft gemacht. Auch hier spielt die Reintegration insbesondere behinderter Menschen in den Arbeitsprozess eine entsprechende Rolle.
Ich kann darauf verweisen, dass wir die Absicht haben, den Deutschen Bundestag in diesem Jahr mit entsprechenden Gesetzesinitiativen zu befassen.
Kollegin KnakeWerner.
Ich richte meine
Frage auch gleich an den Herrn Staatssekretär. Die Frau
Staatssekretärin hat mit Blick auf die Arbeitsmarktpolitik vorgetragen, dass aktive Maßnahmen Vorrang haben
sollen. Dabei hat sie erwähnt, dass die Maßnahmen mit
Blick auf Langzeitarbeitslose und Jugendarbeitslosigkeit
fortgeführt werden sollen. Ich habe keine einzige neue
Maßnahme gehört. Das halte ich aber angesichts der Arbeitslosenzahlen, die wir immer noch haben, für notwendig. Herr Staatssekretär, so Leid es mir tut: Eine
Trendwende kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Es mag sein, dass die aktuellen Arbeitslosenzahlen
einen kleinen Hoffnungsschimmer darstellen. Aber auch
das gilt bekanntermaßen nur für Westdeutschland. Wenn
sie nach Ostdeutschland sehen - das tun Sie ja; Sie haben Ostdeutschland zur Chefsache gemacht -, dann werden Sie unschwer erkennen können, dass dort im
Vergleich zum Vorjahr die Arbeitslosenzahlen sogar
noch angestiegen sind. Das hat viel damit zu tun, dass es
180 000 arbeitsmarktpolitische Maßnahmen weniger
gab.
Ich frage Sie deshalb: Welche Überlegungen gibt es
im nationalen Aktionsplan ganz besonders mit Blick auf
Ostdeutschland? Das ist die erste Frage. Gibt es weitere
neue Maßnamen, die Sie sich vornehmen? In 14 Tagen
wird in Lissabon über Vollbeschäftigung diskutiert.
Mich interessiert schon, wie die Schritte hin zu dieser
Vollbeschäftigung aussehen sollen, wie immer Sie sie
definieren.
Die zweite Frage in diesem Zusammenhang betrifft
die Arbeitszeit. Sie haben erwähnt, dass die Arbeitszeit
in Bewegung kommt. Wir haben Nachbarländer, die
probieren, die Arbeitslosigkeit dadurch abzubauen, dass
sie Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung vornehmen,
beispielsweise Frankreich durch die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche. Meine Frage: Gibt es bei
der Bundesregierung Überlegungen, auch in dieser Richtung aktiv zu werden, Aktionen, Gesetzesvorlagen für
den nationalen Beschäftigungsplan vorzubereiten?
Herr Staatssekretär.
Frau KnakeWerner, zunächst bezieht sich dieser nationale Aktionsplan auf die beschäftigungspolitischen Leitlinien von
Luxemburg. Er ist auch so aufgebaut. In meinen Antworten auf die Fragen von Herrn Protzner habe ich
schon dargelegt, dass beispielsweise die Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit - das sind ganz wichtige Eckpfeiler dieser beschäftigungspolitischen Leitlinien - zentrale Eckpfeiler dieser
Leitlinien sind.
Ich darf Ihnen darlegen, dass wir durch Beschluss der
Bundesregierung das Jugendsofortprogramm für dieses
Jahr verlängern, und ich habe darauf hingewiesen, dass
es unser Ziel ist, Jugendliche überhaupt nicht erst in die
Situation von sechs Monaten und länger Arbeitslosigkeit
kommen zu lassen. Als Mitglied der Bundesregierung
bin ich sehr stolz darauf, dass uns dies in einem ganz
bedeutenden Umfang gelungen ist. Die Zahl der Jugendarbeitslosen lag im Durchschnitt des vergangenen Jahres
um 42 400 niedriger als im Vorjahr, sodass man hier zunächst einmal feststellen muss: Wir haben damit Erfolge
erreicht.
Dadurch, dass wir beschlossen haben, das Jugendsofortprogramm zu verlängern und in diesem Jahr fortzuführen, setzen wir unsere Bemühungen, in diesem Bereich
zu weiteren erkennbaren Fortschritten zu kommen, fort.
Zur Leitlinie Nr. 2, Langzeitarbeitslosigkeit. Sie haben gesagt, Sie könnten da keine Anstrengungen fest8504
stellen. Hier ist es ebenfalls so, dass wir durch die Gesetzespakete, die wir mit Wirkung zum 1. August des
vergangenen Jahres in Kraft gesetzt haben, Bedingungen
verändert haben, die auch für die neuen Bundesländer
ganz bedeutend und ganz wichtig sind. Ich kann Ihnen
sagen: Wir werden in diesem Jahr mit entsprechenden
Veränderungen des SGB III unsere Aktivitäten in diesem Zusammenhang weiter vorantreiben und verbessern.
Dass wir einen zwischen den neuen Bundesländern
und den alten Bundesländern gespaltenen Arbeitsmarkt
haben, ist bekannt. Hier spielen natürlich auch die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Situation für die neuen Bundesländer eine entsprechende
Rolle. Wir müssen schauen, dass wir diese gespaltene
Situation durch die Verstärkung des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr ein Stück weit abmildern können.
Aber es bleibt Tatbestand, dass in den neuen Bundesländern beschäftigungspolitisch noch kräftige Nachholbedarfe bestehen, die man nicht dadurch beseitigen kann,
dass man bekannte Instrumente einfach konserviert.
Man muss überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, beispielsweise die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik effizienter einzusetzen. Dem werden wir uns in diesem Jahr widmen.
Ihre Frage zum Thema Arbeitszeit ist, würde ich fast
vermuten, davon geprägt, dass Sie auf Frankreich anspielen. Hier hat es beispielsweise die Maßnahme gegeben, durch Gesetzgebung Wochenarbeitszeiten zu verändern. Sie wissen, dass wir ein anderes System haben.
Bei uns gibt es Gott sei Dank Tarifautonomie. Es gibt
seit vielen Jahren in unterschiedlichen Tarifbereichen
Bemühungen, zu einer 35-Stunden-Woche zu kommen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Weiterentwicklung dieses Pfades Angelegenheit der Tarifvertragsparteien ist. Alles, was mit neuen Arbeitszeitmodellen zusammenhängt, wird im Bündnis für Arbeit
diskutiert, und zwar mit der Grundüberlegung, nach
Möglichkeit in einem Konsens zu gemeinsamen Positionen zu kommen, die auch zu einer Modernisierung des
Arbeitslebens in arbeitszeitpolitischer Hinsicht führen
können.
Wir befinden uns in einer intensiven Diskussion über
andere Modelle und Formen von Teilzeitarbeit. Es gibt
Gespräche darüber, wie die gesamtgesellschaftlich festzustellende Mehrarbeit durch freiwillige Vereinbarungen und Absprachen reduziert werden kann. Wir sehen
auch, dass es in diesem Zusammenhang Möglichkeiten
gibt, den Aufbau von Beschäftigung über solche Maßnahmen zu erreichen.
Eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, eine kurze Nachfrage. Ich habe gesagt, dass Sie Ihre
Maßnahmen zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit zu Recht fortsetzen. Meine Frage war: Wo sind die neuen Maßnahmen?
Denn mein Eindruck ist, dass das nicht ausreicht. Ich
habe ganz bewusst Ostdeutschland angeführt. Da geht es
mir nicht um die Konservierung traditioneller Maßnahmen. Ich bin sehr dafür, dass auch dort zielgenauer gearbeitet wird, aber ich wüsste gerne, wie. Gibt es Vorschläge zu neuen Maßnahmen, die Sie bereits in Ihre
Überlegungen und Vorbereitungen aufgenommen haben? Das ist das eine.
Das Zweite. Ich habe Frankreich genannt. Auch ich
bin, wie Sie, eine Anhängerin der Tarifautonomie; das
wissen Sie auch. Meine Frage ist trotzdem: Finden Sie
nicht ein Arbeitszeitgesetz, wie wir es zurzeit haben, das
die 60-Stunden-Woche ermöglicht, kontraproduktiv,
wenn man Beschäftigung schaffen und Arbeitslosigkeit
abbauen will?
Herr Staatssekretär.
Ich will zunächst
einmal sagen, dass es uns ganz entscheidend darauf ankommt, den Konsolidierungs- und Verstetigungspfad,
den wir eingeschlagen haben, auch fortzusetzen.
Ich nenne ein weiteres Beispiel: Im vergangenen Jahr
haben wir trotz der Einsparungsbemühungen auch beim
Bundeszuschuss die finanziellen Mittel für die aktive
Arbeitsmarktpolitik um fünfeinhalb Milliarden DM erhöht. Wir haben das im Haushalt der Bundesanstalt für
Arbeit durch entsprechende Maßnahmen auch realisieren können. Im Haushalt der Bundesanstalt haben wir
für dieses Jahr noch einmal eineinhalb Milliarden DM
für die aktive Arbeitsmarktpolitik im weitesten Sinne
dazugelegt. Ich beziehe mich damit auf eine Aussage im
Rahmen Ihrer vorangegangenen Frage, in der Sie gesagt
haben, wir hätten die Mittel gekürzt. Das ist auf Bundesebene nicht festzustellen; das möchte ich einmal festhalten. Es geht also darum, zu verstetigen und entsprechende Positionen zu entwickeln.
Angesichts Ihrer Frage, was es denn Neues gebe, habe ich darauf hingewiesen, dass wir die Absicht haben,
im Bereich der Arbeitsmarktpolitik entsprechende Veränderungen - auch durch weitere Anpassungen des
SGB III - vorzunehmen. Ich finde, es macht Sinn, sich
die Veränderungen, die sich aus einer Maßnahme ergeben, die wir zum 1. August des vergangenen Jahres vollzogen haben und bei der es darum ging, insbesondere
die Zielgruppe der älteren Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen durch veränderte Bedingungen stärker in die
Beschäftigung einzubeziehen, genauer anzuschauen und
diese Position zu verstetigen. Es geht nicht darum, irgendetwas Neues zu erfinden, sondern Kurs zu halten.
Im Übrigen gehört zum Thema Beschäftigungspolitik
auch, die ansonsten bestehenden Rahmenbedingungen
und Positionen im Auge zu behalten. Dazu gehört
Wachstum. Dazu gehören entsprechende Reformen im
Bereich der Sozialpolitik. Dazu gehören entsprechende
steuerpolitische Maßnahmen auch für Unternehmen, die
wir angehen werden und die dazu führen werden, dass
sich nach unserer Überzeugung die Beschäftigungssituation deutlich verbessert.
Als Letztes möchte ich dazu feststellen: Wir legen
Wert darauf, im Bündnis für Arbeit im Konsens zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Wenn dies nicht
möglich sein sollte, dann sind der Gesetzgeber und die
Bundesregierung selbstverständlich aufgefordert zu
handeln. In einem solchen zeitlichen Zusammenhang
sehen wir auch Diskussionen hinsichtlich des Arbeitszeitgesetzes oder anderer Positionen. Ich habe soeben
dargelegt, dass gemäß dem heutigen Kabinettsbeschluss
das Altersteilzeitgesetz noch verbessert wird: Die Bezugsdauer wird verlängert und der Geltungsbereich des
Gesetzes ausgedehnt, um auch über diese Instrumente
beschäftigungspolitische Wirkungen erreichen zu können. - Das Bündnis für Arbeit ist also zunächst auf Konsens angelegt. Wenn ein solcher nicht zu erzielen sein
sollte, dann stehen möglicherweise gesetzgeberische
Veränderungen an. Das bezieht sich ausdrücklich auch
auf die Frage des Arbeitszeitgesetzes.
Ich möchte jetzt dem
Kollegen Meckelburg Gelegenheit zu einer Frage geben.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine ganze Reihe von Maßnahmen,
die Sie durchgeführt haben, dargelegt und festgestellt,
der Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 180 000 habe innerhalb eines Jahres stattgefunden. Ich will über
diese Zahl nicht streiten, will aber gleichzeitig dagegenhalten, dass wir von der Bundesanstalt für Arbeit in
Nürnberg wissen - dies wurde ihrerseits angekündigt -,
dass im letzten und in diesem Jahr und in den kommenden Jahren die Zahl der Arbeitslosen allein deswegen
jährlich um 200 000 zurückgehen wird, weil weniger
junge Menschen Arbeit nachfragen, als ältere Menschen
aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Das heißt, dass,
wenn man sich die Zahlen ansieht, im Grunde genommen nichts passiert ist, um es einmal einfach auszudrücken.
Deswegen habe ich an Sie die Frage, ob Sie im Zusammenhang des Programms, das Sie aufgelegt haben,
über eine beschäftigungspolitische Leitlinie nachgedacht
haben, die dazu führen könnte, alle Programme danach
zu durchforsten, wie effektiv sie bei der Verfolgung des
Zieles, junge Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu
bringen, wirklich sind. Wenn während Ihrer Regierungszeit 46 Milliarden DM - das ist mehr als vorher - ausgegeben werden, man aber feststellt, die Arbeitslosigkeit geht bis auf das, was auf demographische
Effekte zurückzuführen ist, nicht zurück, dann besteht
hier, so finde ich, eine dringliche Aufgabe. Können Sie
sich vorstellen, auch in diesem Bereich tätig zu werden?
Herr Staatssekretär.
Herr Meckelburg,
ich drehe es einmal herum: Wenn man der Position, aus
demographischen Gründen erledige sich das Problem
der Arbeitslosigkeit von selbst, folgen würde, müsste
man eigentlich nichts tun. Ich will dazu ausdrücklich
feststellen - ich habe dazu schon einige Beispiele genannt -: In Ihrer Regierungszeit ist von 1993 an Jahr für
Jahr die Zahl der registrierten arbeitslosen jungen Menschen, die unter 25 Jahre alt sind, angestiegen. Wir haben uns vorgenommen, diesen Trend zu brechen und eine gegenteilige Entwicklung einzuleiten. Wir haben das
im vergangenen Jahr geschafft und wir werden diese Politik fortsetzen. Da lassen wir uns von niemandem beirren.
Die gleiche Situation besteht leider bei der Zahl der
Langzeitarbeitlosen. Ich empfehle Ihnen einen Blick in
die Statistiken, aber Sie wissen es selbst: Seit 1993 ist
die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen, also derer, die ein Jahr und länger arbeitslos sind, Jahr für Jahr
angestiegen. Wir haben uns vorgenommen, diesen Trend
zu brechen und umzukehren. Auch darin lassen wir uns
nicht beirren.
Im Übrigen glauben wir, dass es Sinn macht, die Leute eher bei Beschäftigung und Qualifizierung zu unterstützen, als ihnen in der Zeit der Arbeitslosigkeit Hilfe
leisten zu müssen. Deswegen war es Ziel der Bundesregierung - dieses haben wir umgesetzt -, eine Verstetigung der aktiven und nicht der passiven Maßnahmen zu
erreichen. Dies ist auch Inhalt einer unserer beschäftigungspolitischen Leitlinien, die in Luxemburg
entwickelt und verabschiedet worden sind. Wir setzen
diesen Trend fort und sind ganz optimistisch, dass es uns
gelingen wird, die Zahl der Langzeitarbeitslosen deutlich zu senken und bei der Beschäftigungsentwicklung
Fortschritte zu erzielen.
Ich will noch zu einem Punkt kommen, weil Sie ihn
angesprochen haben: Sie wissen sehr genau, dass ein
großer Teil der 46 Milliarden DM, die für aktive Beschäftigungspolitik ausgegeben werden, für die Qualifizierung verwandt wird. Wir halten es nämlich für wichtig und bedeutsam, dass neben der Zielsetzung, die
Menschen so schnell wie möglich in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, auch etwas dafür getan werden
muss, die Qualifikation der Arbeitslosen zu erhalten.
Das ist einer der Grundpfeiler der beschäftigungspolitischen Leitlinien, nämlich die Förderung der Beschäftigungsbefähigung. Daran arbeiten wir. Deswegen sind
wir der Auffassung, dass das, was wir mit dem nationalen Aktionsplan vorlegen, vernünftig und richtig ist.
Diesen werden wir in den nächsten Jahren umsetzen.
Den Kollegen
Koppelin drängt es, eine Frage zu stellen, weil er in den
Haushaltsausschuss muss. Ich bitte darum, ihm die Gelegenheit zu geben, seine Frage zu stellen, die einen anderen Themenbereich berühren wird.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich hätte ganz gerne von der Bundesregierung gewusst, ob die Entscheidung der interministeriellen Arbeitsgruppe, eine Hermesbürgschaft für ein neues
Atomkraftwerk in China zu geben, heute im Kabinett
eine Rolle gespielt hat, nachdem wir von der Empörung
der Grünen-Fraktion gelesen haben und das Außenministerium der Hermesbürgschaft für ein neues Atomkraftwerk in China zugestimmt hat? Oder gibt es dazu
noch Diskussionen innerhalb der Koalition?
Frau Hendricks.
Herr Kollege Koppelin,
das hat heute im Kabinett keine Rolle gespielt.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Ich stelle also fest, dass
es im Kabinett vonseiten der grünen Minister keinen
Protest gegen diese Hermesbürgschaft gegeben hat. Ist
das korrekt?
Herr Kollege Koppelin,
Protest ist nicht die übliche Ausdrucksweise im Kabinett.
Ich sage es noch einmal: Das hat im Kabinett keine
Rolle gespielt.
({0})
Damit kehren wir zu
dem ursprünglichen Themenbereich zurück. Kollege
Michelbach hat noch eine Frage. Er ist der letzte angemeldete Fragesteller. Danach gehen wir zur Fragestunde
über.
Ich habe aus aktuellem Anlass noch eine Frage an die Bundesregierung:
Inwieweit wird durch die steuerpolitische Begünstigung
der Großbetriebe durch die Steuervorschläge der Bundesregierung ein Verdrängungswettbewerb und eine Unternehmenskonzentration zulasten kleiner und mittlerer
Unternehmen gezielt gefördert? Inwieweit leistet die
Steuerfreiheit von Gewinnen, die Kapitalgesellschaften
aufgrund des Unternehmensteuersenkungsgesetzes erzielen, einen Beitrag zum Konzentrationsprozess im
Banken- und Versicherungswesen? Ich spreche insbesondere die aktuelle Megafusion von Dresdner Bank und
Deutscher Bank an, aber natürlich generell die großen
Kapitalgesellschaften. Ist diese Annahme nicht gleichzeitig ein Beweis dafür, dass andere Firmen den Übernahmeverlust, der dann ausgeschlossen wird, jetzt noch
kurzfristig nutzen? Inwieweit sind mit diesen Steuergeschenken Einnahmeausfälle im aktuellen Haushalt
verbunden?
Bitte, Frau
Hendricks.
Herr Präsident, ich bitte
zunächst um einen Hinweis gemäß der Geschäftsordnung: Die Frage, die Herr Michelbach jetzt im Rahmen
der Regierungsbefragung gestellt hat, hat er in fast gleicher Weise als Frage 30 in der anschließenden Fragestunde eingereicht.
({0})
Ich möchte Sie bitten, zu entscheiden, wann ich die Frage beantworten soll.
Frau Kollegin, ich
schaue einmal nicht in die Geschäftsordnung, sondern
sage aus Kollegialität: Geben Sie die Antwort jetzt, dann
können wir sie uns hinterher sparen.
Herzlichen Dank, Herr
Präsident.
Nach dem Entwurf des Steuersenkungsgesetzes sind
Gewinne, die Kapitalgesellschaften erzielen, grundsätzlich natürlich steuerpflichtig, Herr Kollege. Der Gesetzentwurf sieht allerdings vor, dass Gewinne aus der Veräußerung von in- oder ausländischen Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt werden. Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit der Umstellung vom körperschaftssteuerlichen Vollanrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Sie dehnt den Regelungsbereich einer in der
vorletzten Legislaturperiode, also unter Ihrer Verantwortung, für ausländische Kapitalbeteiligungen geschaffenen Regelung auf alle Beteiligungen aus.
Die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne beseitigt
bisherige steuerliche Hemmnisse bei der Umstrukturierung von Unternehmensbeteiligungen. Von einer konzentrationsfördernden Wirkung kann nicht ausgegangen
werden. Die Maßnahme führt vielmehr zu einer an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientierten Beteiligungspolitik der Unternehmen.
Bitte schön, eine
Nachfrage.
Vielen Dank für die
Möglichkeit der Nachfrage. Ich habe meine Frage aus
aktuellem Anlass gestellt und bitte darum, die aktuelle
Situation nicht nur bei der Dresdner Bank und der Deutschen Bank, sondern auch bei BMW und Rover zu sehen. Inwieweit und in welcher Größenordnung führt der
Verkauf der Beteiligung an der Firma Rover durch
BMW, wenn er noch in diesem Jahr stattfindet, zu steuerlichen Mindereinnahmen und damit zu Verlusten im
Haushalt? Mit dem Unternehmensteuersenkungsgesetz
wird die Übernahme von Verlusten bei Kapitalgesellschaften ja ausgeschlossen.
Herr Kollege Michelbach,
es ist Ihnen natürlich bekannt, dass ich zu steuerlichen
Einzelfällen keine Stellung nehmen kann, sofern diese
nicht sowieso öffentlich bekannt sind. Insofern muss ich
meine Antwort einschränken.
Kommen wir zunächst zu dem, was auch der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, nämlich zum Zusammenschluss von Deutscher Bank und Dresdner Bank. Wie
wir von den Beteiligten gehört haben, ist dies ein Zusammenschluss unter Gleichen. Ich gehe nicht davon
aus, dass damit Verluste verbunden sind. Das ist mein
aktueller Kenntnisstand. Die steuerlichen Tatbestände
im Einzelnen kann ich natürlich nicht beurteilen, aber es
deutet alles darauf hin, dass diese Vereinigung nicht
damit verbunden sein wird, dass Verluste geltend gemacht werden können. Das kann ich nur aufgrund dessen sagen, was öffentlich bekannt ist.
Was BMW und Rover anbelangt, ist öffentlich bekannt, dass in den vergangenen Jahren, seit BMW Rover
als Beteiligung gehalten hat, regelmäßig allein durch
den Besitz der Beteiligung erhebliche Verluste zu verzeichnen waren, und zwar dadurch, dass Rover Verluste
gemacht hat. Die Verluste - ich nenne Ihnen diese Zahlen, die aus öffentlichen Quellen wie den Bilanzpressekonferenzen des Unternehmens stammen, aus dem Gedächtnis - bewegen sich in den vergangenen drei Jahren
in einer Größenordnung zwischen 1,8 und 2,4 Milliarden DM. Das sind die Zahlen, die ich im Kopf habe.
Diese Verluste jedenfalls sind im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten steuerlich geltend gemacht worden.
Es liegt jedenfalls auf der Hand, dass das Unternehmen
dies getan hat. Ich zitiere nicht aus den Steuerakten, aber
es ist zu erwarten, dass das Unternehmen diese Verluste
im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten steuerlich
geltend gemacht hat.
Sollten durch die Veräußerung der Beteiligung an
Rover Verluste anfallen, so würden diese in der Tat in
diesem Jahr im Rahmen der noch bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten durch das Unternehmen geltend
gemacht werden können.
Es ist aber in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es für das Steueraufkommen nur eine marginale Bedeutung hat, ob Verluste aus laufendem Geschäftsbetrieb oder aus Veräußerung geltend gemacht
werden. Wenn sie sich in etwa gleicher Höhe bewegen,
ist es für das Steueraufkommen völlig gleichgültig. Das
liegt auf der Hand.
Ich kann nicht beurteilen, ob die Verluste, die durch
die Veräußerung der Anteile an Rover entstehen, die
möglicherweise vorgenommen wird - es handelt sich
bisher nur um ein Gerücht -, tatsächlich höher sein werden als die Verluste aus dem laufenden Betrieb in den
vergangenen Jahren.
Herr Michelbach,
noch eine Frage.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht die Situation, dass bei der Megafusion von Dresdner Bank und Deutscher Bank in Verbindung mit der Allianz erhebliche Kapitalbeteiligungen
steuerfrei, also gewissermaßen als Steuergeschenk zulasten des Fiskus, restrukturiert werden und damit letzten Endes auch eine Einseitigkeit gegenüber den Wettbewerbern entsteht, die diese Steuerfreiheit nicht erreichen, insbesondere Personengesellschaften?
Herr Kollege Michelbach,
die Steuerfreiheit bei der Veräußerung von Beteiligungsbesitz scheint offenbar für die Deutsche Bank und
die Dresdner Bank nicht von Relevanz zu sein; denn die
beiden Unternehmen haben angekündigt, ihre Fusion
zum 1. Juli dieses Jahres, also unter der Herrschaft des
geltenden alten Rechts, zu vollziehen. Wenn die Steuerfreiheit für sie so bedeutsam wäre, hätten sie sie ein Jahr
später gemacht. Sie tun es nicht, also kann die Steuerfreiheit für sie nicht von solcher Relevanz sein.
Damit beende ich
die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/2877 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich rufe die erste Frage des Abgeordneten
Dirk Niebel auf:
Inwieweit hat die Bundesregierung vorgesehen, im Fall des
Ausstiegs aus der Kernenergie bei abgeschalteten Atomanlagen
die Entwicklung von Technologien zu deren Rückbau, Entsorgung und Endlagerung zu fördern und gegebenenfalls in welchem Umfang?
Sie wird von Staatssekretär Rainer Baake beantwortet.
Herr
Abgeordneter Niebel, national und international liegen
inzwischen ausreichende Erfahrungen mit der Stilllegung und dem Abbau von Atomkraftwerken vor. Allein
in Deutschland erfolgt gegenwärtig der Rückbau von 16
Atomkraftwerken. Von diesen 16 Projekten sind inzwischen zwei abgeschlossen. Dazu kommt der Rückbau
von 30 Forschungsreaktoren. Davon ist der Rückbau
von acht Anlagen inzwischen abgeschlossen.
Die Bundesregierung hat eine systematische Zusammenstellung und Analyse aller Aspekte und Erfahrungen
der Stilllegung von Reaktoranlagen vorgenommen. Entscheidende Elemente sind hierbei der Strahlenschutz bei
der Demontage, die Handhabung und Entsorgung der
aktivierten und kontaminierten Komponenten, Ausrüstungen und Bauwerke sowie die Behandlung und Lagerung von radioaktiven Abfällen.
Für die Praxis sind ferner die Freigabe und Freimessung nicht belasteter Abfallmengen von Bedeutung.
Weiterhin sind Kriterien für Recycling und Freigabe von
Bauwerken und Standortflächen, die auf international
abgestimmten Empfehlungen beruhen, von großer praktischer Bedeutung.
Der Abbau von Atomkraftwerken ist zwar eine technisch anspruchsvolle Aufgabe, die erforderlichen Verfahren und Techniken sind aber heute erprobt und insgesamt am Markt verfügbar. Weitere Entwicklungen und
Anpassungen werden laufend betreiberseitig vorgenommen.
Die Bundesregierung sieht daher vor diesem Hintergrund bei der Stilllegung von Reaktoranlagen derzeit
grundsätzlich keinen zusätzlichen Förderungsbedarf. Ich
will der Vollständigkeit halber erwähnen, dass das Ministerium für Bildung und Forschung in begrenztem
Umfang ausgewählte Entwicklungsvorhaben im Bereich
fortgeschrittener Zerlegungstechniken sowie leistungsfähiger Freimessungstechniken unterstützt.
Gegenwärtig werden von der Bundesregierung im
Rahmen der Ressortaufgaben vom Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für
Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet
der Entsorgung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen Mittel in Höhe von circa 55 Millionen DM pro
Jahr bereitgestellt.
Sind Sie zufrieden,
Herr Kollege? - Das ist schön.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten
Fink auf:
Trifft es zu, dass - wie Pressemitteilungen zu entnehmen
war - die Zuwendungen des Bundes an die Stiftung für das sorbische Volk bis 2003 von 16 Millionen DM auf 14 Millionen
DM reduziert werden sollen, und wenn ja, welche konzeptionellen Vorstellungen hat die Bundesregierung, um die Weiterführung der Arbeit der Stiftung im künstlerischen und kulturellen
Bereich gemeinsam mit den Ländern zu sichern?
Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael
Naumann zur Verfügung.
Herr Abgeordneter, für den Zeitraum vom
Jahr 2000 bis zum Jahr 2003 hat die Bundesregierung
folgende Gesamtbundeszuschüsse zur Förderung der
Stiftung für das sorbische Volk in Bautzen zur Verfügung gestellt bzw. vorgesehen: Im Jahr 2000 16 Millionen DM, 2001 15 Millionen DM, 2002 14,5 Millionen DM und 2003 14 Millionen DM. Für den Zeitraum
von 2004 bis 2007 werden derzeit von uns Zuschüsse für
die Sorbenstiftung in Höhe von jährlich 14 Millionen DM eingestellt.
Die bis 2007 insofern gesicherte Bundesförderung
macht strukturelle und organisatorische Änderungen in
der Kulturarbeit der Stiftung für das sorbische Volk,
aber auch für die von ihr mitfinanzierten kulturellen Einrichtungen notwendig. Diese Änderungen sind bei der
Sitzung des Stiftungsrates der Stiftung am 1. März 2000
bereits andiskutiert worden. Der Stiftungsrat hat dabei
beschlossen, die Stiftungskommission zu beauftragen,
die notwendigen organisatorischen und strukturellen
Veränderungen, die mit dieser Absenkung notwendig
werden, beschleunigt zu prüfen, Umsetzungsmodelle zu
erarbeiten und abschließende Vorschläge für die baldige
Umsetzung vorzulegen. Der Stiftungsrat wird, soweit
ich weiß, am 31. Mai 2000 diese Vorschläge überprüfen.
Herr Kollege Fink,
Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.
Sehen Sie trotzdem noch
eine Möglichkeit, die Förderung nicht zu reduzieren,
sondern in gleicher Höhe fortzusetzen? Sie wissen ja,
dass das sorbische Volk in dem weiteren Erhalt seiner
Kultur und Sprache, das heißt auch Theater- und Verlagsarbeit, auf diese entsprechende Zuwendung angewiesen ist.
Herr Abgeordneter, die Sorben mit einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 60 000 Menschen werden nicht nur vom Bund, sondern auch von den Ländern
komplementär finanziert, sodass für diese zahlenmäßig
kleine Gruppe nach den Kürzungsprozessen für die kulturelle Förderung eine Gesamtsumme von sage und
schreibe 28 Millionen DM zur Verfügung steht. Das entspricht pro Kopf - ich habe mir das einmal ausgerechnet - ungefähr der Förderungssumme für die irische Bevölkerung aus den Kassen der EU. Mit anderen Worten:
Ich bin der Meinung - ich glaube, auch die Stiftung
selbst ist dieser Meinung -, dass diese Summe durchaus
angemessen, um nicht zu sagen großzügig ist.
Herr Kollege Seifert
hat noch eine Nachfrage. Ist das korrekt?
({0})
- Bitte schön, Herr Fink.
Der Vergleich ist durchaus
berechtigt. Es besteht jedoch der Unterschied, dass die
sorbische Kultur und damit auch ein Stück gewisser
Traditionen in Deutschland mehr und mehr zurückgeht.
Dies nehmen wir wissentlich in Kauf. Halten Sie es
nicht doch für notwendig, dass es aus diesem Grund eine
ganz bestimmte Aufmerksamkeit und Förderung dieser
Tradition in Deutschland, unabhängig von allen möglichen Vergleichen mit anderen Nationen, geben müsste?
Herr Abgeordneter, keiner würde mehr bedauern als ich, wenn irgendeine besondere - in diesem
Fall ja auch uralte - Sprache der deutschen Sprachgemeinschaft verloren ginge bzw. unterginge. Es liegt an
der Stiftung selbst, dafür zu sorgen, dass die bisherige
Sprachförderung - wenn Sie so wollen - erfolgreicher
ist.
Wir beobachten den Rückgang von Minderheitensprachen unter dem Ansturm der Massenmedien, vor allem durch die Wirkung des Fernsehens, auch auf anderen ähnlichen Sprachinseln. In Connemara in Irland etwa - deshalb habe ich dieses Beispiel herangezogen -,
befindet sich das Gälische massiv auf dem Rückzug.
Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Sprache im vorigen Jahrhundert praktisch schon ausgestorben gewesen
wäre, wenn nicht ein in Irland berühmter deutscher
Grammatiker um Jahr 1870 eine Grammatik des Gälischen verfasst hätte. Das heißt: Man darf bei dem Auf
und Ab der Sprachen die Hoffnung nie verlieren.
({0})
Kollege Seifert, Sie
können eine Nachfrage stellen.
Herr Präsident, vielen Dank
für die Möglichkeit zur Nachfrage.
Herr Staatsminister, ich bin sehr erstaunt über die
Langmut und Geduld meines Kollegen Professor Fink,
denn ich muss sagen, Sie wissen so gut wie ich, dass in
Bautzen und Umgebung die Luft angesichts der Kürzungen, die dort ins Haus stehen, lichterloh brennt. Die
sorbische Bevölkerung und insbesondere die Intellektuellen dort wissen, dass die Mittel aufgrund der Kürzungen, die Sie jetzt über fast 10 Jahre vornehmen - Sie
rechnen das durch die Komplementärfinanzierung der
Länder auf 28 Millionen DM hoch -, die Mittel keinesfalls ausreichen.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass es in dieser Zeit
natürlich Lohnsteigerungen und Ähnliches gibt. Mit einem gekürzten Etat können die Aufgaben, die dort bewältigt werden müssen, nicht bewältigt werden. Insofern
halte ich die Antwort, die Sie hier gegeben haben, in
höchstem Maße für nicht erfreulich.
Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Darauf richtet sich meine Frage: Wie wollen Sie
dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung des
deutschen Volkes für das kleine, aber wichtige sorbische
Volk nachkommen, wenn Sie die Gelder für dieses Volk
weiter kürzen?
Herr Abgeordneter, erstens sollten Sie nicht
den Eindruck mitnehmen, dass hier eine gewisse Nonchalance gegenüber der Wichtigkeit der kulturellen Förderung der Sorben und Wenden bei der Bundesregierung
existiere. Das ist nicht der Fall.
Zweitens wissen Sie aber so gut wie ich, dass die
Förderungspraxis in der Vergangenheit, das heißt zu
Zeiten der DDR, was die Sorben oder, wenn Sie so wollen das slawisch repräsentative Volk in dem Gebiet der
DDR anbelangte, auch hochpolitische Untertöne hatte.
Diese Untertöne herrschen Gott sei Dank nicht mehr
vor. Das heißt, wir sind heute in der Lage, eine vor allem kulturell und weniger politisch motivierte Sprachund Kulturförderung im Interesse der Sorben und Wenden aufrechtzuerhalten.
Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass es noch andere Sprachgruppen in Deutschland
gibt, wie zum Beispiel die Friesen. Sie erhalten bei der
Pflege ihrer Sprache, die nicht minder alt ist und mit
Verlaub in diesem Hause ebenso wenig verstanden werden würde wie das Sorbische, im Augenblick vom
Bund, soweit ich es sehe, überhaupt keine nennenswerte
Unterstützung. Das sind etwa 10 000 bis 12 000 Menschen, das heißt ein knappes Fünftel der Anzahl der
Sorben und Wenden, die auf 28 Millionen DM blicken
können.
({0})
- Bei den Bayern weiß ich, dass ihre Sprache beim
„Bayernkurier“ gut aufgehoben wird. Dort wird gutes
Deutsch geschrieben.
({1})
- Viele Grüße an Herrn Scharnagl.
Herzlichen Dank. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die Fragen 3 bis 9 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ich rufe die
Frage 10 des Kollegen Joachim Schmidt auf:
Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung Eigenleistungen der Regionen im Rahmen der Inno-Regio-Vorhaben bei,
und was versteht sie unter Eigenleistung?
Die Antwort gibt der Parlamentarische Staatssekretär
Wolf-Michael Catenhusen.
Kollege Schmidt. Hauptkriterien für die Auswahl der regionalen Innovationskonzepte zur Förderung in der Phase 3
von Inno-Regio werden ihre Beiträge zur Verbesserung
der Beschäftigungssituation, der Wettbewerbsfähigkeit
und der Wertschöpfung der Region sein. Dabei geht es
nicht darum, einmalige Effekte in Bezug auf diese drei
Punkte zu erzielen. Es ist vielmehr unsere Intention,
dass selbsttragende Strukturen und Prozesse in den Regionen angestoßen und etabliert werden, die ihre Innovationsfähigkeit auch dauerhaft verbessern.
Um dieses Ziel erreichen zu können, muss ein hohes
Maß an Engagement der regionalen Akteure auch längerfristig gesichert werden. Dies trifft sowohl für die Sicherung der personellen und materiellen Voraussetzungen zur Umsetzung des Konzeptes als auch für die frühzeitige Bereitstellung komplementärer privater finanzieller Mittel zu.
Deshalb hat die Eigenleistung der Region bzw. ihrer
Akteure einen hohen Stellenwert bei der Bewertung der
Inno-Regio-Konzepte. Sie kann zum einen im unentgeltlichen Zurverfügungstellen der notwendigen Infrastruktur oder des erforderlichen Personals bestehen. Zum anderen muss aber insbesondere für die wirtschaftlich relevanten Projekte ein finanzieller Eigenanteil der Antragsteller gesichert werden. Die Mindesthöhe des Eigenanteils richtet sich natürlich nach der Art des jeweiligen Einzelvorhabens.
Kollege Schmidt,
bitte.
Herr Staatssekretär, präferiert die Bundesregierung bestimmte Eigenleistungen?
Nein,
es ist vernünftig, wenn wir im Rahmen der Konzeptprüfung Aussagen nur im konkreten Förderzusammenhang
treffen. Es kommt auch sehr darauf an, inwieweit bestimmte wirtschaftliche Zielsetzungen mit der Schaffung
von Arbeitsplätzen verbunden werden. Dabei muss man
jeweils im Einzelfall entscheiden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Schmidt.
In welcher Weise werden sich Zugänge bzw. Abgänge von Partnern in der kommenden Phase 3 auf
den Mittelumfang und die direkte Vergabe der Fördermittel auswirken?
Dies
ist eine hypothetische Frage, bei der man gut beraten ist,
sie nicht hypothetisch zu beantworten. Jeder weiß, dass
die gesamte Fördersumme im Bereich von Inno-Regio
begrenzt sein wird. Es geht um insgesamt 500 Millionen DM. Man wird natürlich im Rahmen des Gesamtkonzepts abwägen müssen, inwieweit man einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Qualität der ausgewählten Projekte und den gesamten beabsichtigten und
angestoßenen Innovationstätigkeiten in einer Vielzahl
von Regionen erzielen kann. Aber es ist sicherlich nicht
so: je kleiner, desto größer die Chance. Das wäre ein falsches Prinzip.
Ich rufe Frage 11 des
Kollegen Joachim Schmidt auf:
Welche gesellschaftsrechtlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Konzipierung virtueller Unternehmen im Rahmen der Inno-Regio-Vorhaben?
Kollege Catenhusen, bitte.
Im
Rahmen von Inno-Regio sollen in den Regionen Strukturen etabliert werden, die einen dauerhaften und selbsttragenden regionalen Innovationsprozess ermöglichen.
Zur Verdeutlichung dieses Ziels hat das Inno-RegioTeam des BMBF die Elemente, die solche Strukturen
und ein entsprechendes Netzwerk kennzeichnen, am
Beispiel der Organisationsform eines virtuellen Unternehmens erläutert. Aus dem virtuellen Charakter dieser
Struktur resultiert, dass sie keine eigene Rechtsform besitzt. Es steht natürlich jeder regionalen Initiative frei,
eine für sie optimale Organisation und Struktur zu entwickeln und umzusetzen sowie deren Funktionsweise
und Wechselwirkung entsprechend den Inno-RegioZielen auch zu veranschaulichen.
Gemäß der Förderrichtlinie der Inno-Regio besteht in
der Umsetzungsphase 3 die Möglichkeit einer zweijährigen Anschubfinanzierung zu 100 Prozent der Ausgaben für die Etablierung eines regionalen Netzwerks und
seines Managements. Wenn die regionale Initiative von
dieser Möglichkeit und in diesem Umfang Gebrauch
machen möchte, dann müsste die Organisations- und
Rechtsform für diesen Zeitraum und für die Erfüllung
dieser zeitlich begrenzte Aufgabe, die nicht identisch
mit der Umsetzung des Gesamtkonzepts ist, allerdings
so gewählt werden, dass mit ihr noch keine gewerblichen Zwecke verfolgt werden können. Hierfür würden
sich zum Beispiel ein gemeinnütziger Verein oder eine
ähnliche Rechtsform anbieten.
Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, diese Aufgaben beispielsweise einer privatwirtschaftlich
agierenden GmbH zu übertragen. In diesem Fall müsste
diese dann einen Eigenanteil an den förderfähigen Kosten in Höhe von 50 Prozent erbringen. Das sind allgemeine Fördergrundsätze, die auch bekannt sind.
Kollege Schmidt.
Gehe ich richtig in der Annahme, dass die Bundesregierung auch hier kein Modell präferiert?
Das
ist korrekt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Regierung in diesem Zusammenhang die Bildung von Genossenschaften?
Das
ist eine interessante Frage. Wir werden unvoreingenommen prüfen, inwieweit hierdurch das Ziel
des Inno-Regio-Konzeptes optimal erreicht werden
kann.
Ich rufe die Frage 12
des Abgeordneten Norbert Röttgen auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass aufgrund
der Art und Weise der von der Bundesregierung betriebenen Fusion der Fraunhofer-Gesellschaft und der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, GMD, qualifizierte Wissenschaftler abwandern, und wie beabsichtigt die Bundesregierung
dieser Gefahr entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr
Kollege Röttgen, die Bundesregierung geht davon aus,
dass durch die bisher gefassten Beschlussempfehlungen
der Ausschüsse der beiden Aufsichtsgremien und der
Vereinbarungen der Vorstandsvorsitzenden grundsätzlich gute Voraussetzungen für eine Fusion bestehen. Die
Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft wird im Bereich
der Forschung für neue Märkte, das heißt im Bereich der
prospektiven, an zukünftigen potenziellen Märkten orientierten Forschung, dauerhaft verstärkt. Hierzu wird
auch ein entsprechender Fonds mit Mitteln eingerichtet,
deren Verteilung nicht von Drittmittelerträgen abhängt.
Dieser Fonds wird zunächst für den Bereich der IuK in
dieser neu strukturierten Fraunhofer-Gesellschaft vorgesehen und soll bei entsprechender Verstärkung auch später allen Fraunhofer-Gesellschaft-Instituten offen stehen.
Daneben ist beabsichtigt, dass in der erweiterten FhG
die bisherigen Kriterien zur Verteilung der
Grundfinanzierung um Kriterien der Honorierung von
Erfolgen bei Ausgründungen und beim Einwerben von
öffentlichen nationalen und internationalen Drittmitteln,
insbesondere von Mitteln der EU, ergänzt werden.
Wir sind davon überzeugt, dass der Zusammenschluss bei beiden Partnern, GMD und FhG, zu einer
deutlichen Verbreiterung der wissenschaftlichen und
technologischen Basis mit neuen Themen und einer entsprechenden Forschungskultur führen wird. Die erweiterte FhG gewinnt damit eine zusätzliche Attraktivität
auch für die Wissenschaftler der GMD.
Dies alles setzt aber voraus, dass die notwendigen
Entscheidungen über den Rahmen des Fusionsprozesses
in den Aufsichtsgremien von GMD und FhG bald, das
heißt in der ersten Aprilhälfte, getroffen werden; denn es
wäre für den Fortgang des Fusionsprozesses nicht sehr
förderlich, wenn Tendenzen auf beiden Seiten, in der
Bewahrung des Status quo das Ideale zu sehen, durch
zeitliche Verschleppung von wichtigen Entscheidungen
gestärkt werden.
Kollege Röttgen.
Herr Staatssekretär,
in einer Zeit, in der nicht nur diskutiert wird, sondern
Maßnahmen ergriffen werden, Computerexperten aus
dem Ausland in einer Zahl von 20 000, wie es das Kabinett beschlossen hat, anzuwerben, sollte man mit den in
Deutschland vorhandenen Experten der Informationstechnologie vernünftig umgehen. Ihrer Antwort lässt
sich entnehmen, dass Sie den Sachverhalt und die Empfindungen der betroffenen Wissenschaftler, die Ihre Fusionspläne ausgelöst haben, noch nicht zur Kenntnis genommen haben.
Darum darf ich Ihnen den Sachverhalt noch einmal
ganz kurz darstellen. Bei einer Umfrage in der von der
Fusion betroffenen GMD haben 82 Prozent der Mitarbeiter erklärt: So nicht! Sie sagen, sie lehnen die handstreichartig aufgezwungenen Fusionspläne der Bundesregierung ab. Alle acht Leiter der IuK-Institute der
GMD, Wissenschaftler mit unbestritten internationaler
Reputation, sagen: So, wie die Bundesregierung das
Ganze über unsere Köpfe hinweg von oben herab inszeniert, können wir das nicht mittragen.
Ist Ihnen bekannt, dass am heutigen Tage die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter der GMD in einem
Beschluss die Fusion abgelehnt haben? Meine Frage ist:
Sind Sie bereit, diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, anders als es in Ihrer Antwort angeklungen ist?
({0})
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus, wenn offensichtlich die eine Institution mit internationaler Reputation sagt: „So machen wir das nicht!“? Dazu habe ich
nichts gehört.
Herr
Röttgen, ich antworte immer gerne auf die Fragen, die
konkret gestellt werden. Sie haben mich nach der Gefahr
der Abwanderung von Wissenschaftlern gefragt, und ich
habe Ihnen die dazugehörige Antwort gegeben. Wenn
Sie jetzt die Frage nach Empfindungen von Wissenschaftlern stellen und dem, was an konkreten Diskussionen in der GMD läuft, dann können Sie voraussetzen,
dass nicht nur die Abgeordneten in der Region Bonn,
sondern auch Parlamentarische Staatssekretäre und Minister, die in Bonn und Berlin arbeiten, über die Vorgänge in der Großforschungseinrichtung, die in unserem
Zuständigkeitsbereich liegen, voll informiert sind.
Ich glaube, dass man bei der Bewertung dieser Vorgänge Folgendes beachten muss. Hier stoßen zwei Kulturen aufeinander. Wir haben es zum einen mit einer
Großforschungseinrichtung zu tun, die bisher weit überwiegend institutionell gefördert wurde, die sich längerfristigen Zielsetzungen verschrieben hat. Die andere Unternehmenskultur orientiert sich stark an Auftragsforschung, vor allem auch für die Industrie, mit
dem Zwang, zur Finanzierung der Einrichtung einen Eigenanteil von 60 Prozent über solche Forschungsprojekte zu bringen. Ihre Tätigkeit ist sehr viel stärker marktnah orientiert.
Forschungspolitisch ist es reizvoll, dieses zusammenzubringen und damit eine neue Unternehmenskultur in
beiden Bereichen voranzubringen. Dass in einer solchen
Situation Unklarheiten bestehen, zum Beispiel auf der
Ebene der Verwaltung der GMD, muss man voraussetzen. Dass hier in Deutschland überall dort, wo über Fusionen diskutiert wird, eine gewisse Neigung vorhanden
ist, in der Bewahrung des Status quo das Geeignete zu
sehen, werfen Sie anderen gesellschaftlichen Gruppen ja
in der Regel vor.
Ich denke, dass es wichtig ist, den Prozess, den die
Bundesministerin Bulmahn Ende letzter Woche eingeleitet hat, in den nächsten Wochen fortzusetzen. Es muss
nämlich das direkte Gespräch zwischen denjenigen, die
am Schluss zu entscheiden haben, und den von den Entscheidungen Betroffenen gesucht werden. Frau Bundesministerin Bulmahn hat ja dieses Angebot allen Beschäftigten der GMD und der FhG unterbreitet. Wir
werden dieses Gespräch suchen, auch nach der Betriebsversammlung, die ja noch in dieser Woche bei der
GMD stattfindet.
Lassen Sie mich aber auch deutlich sagen: Es handelt
sich hierbei um Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben
wahrzunehmen haben. Es geht übrigens nicht um den
Verlust von Arbeitsplätzen. Es besteht nämlich die Zusicherung des Bundes, dass kein Arbeitsplatz hier verloren
gehen wird und die Beschäftigten eine gesicherte Perspektive haben. Es geht auch nicht darum, dass das finanzielle Budget der GMD beschnitten wird. Auch hierzu gibt es entsprechende Garantien. Über eine Fusion
unter solchen Bedingungen zu diskutieren würde von
vielen Beschäftigten in anderen Bereichen, etwa der
Wirtschaft, als eine ausgesprochen komfortable Situation betrachtet werden. Außerdem muss man noch sehen,
dass während eines Übergangszeitraums von drei bis
fünf Jahren Schritt für Schritt vorgegangen wird, zum
Teil mit der Möglichkeit der Korrektur. Das ist ein angemessener Weg, die Sorgen der Betroffenen zur
Kenntnis zu nehmen und darauf zu antworten.
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ausführen.
Ich glaube, dass die Bundesregierung von beiden Seiten,
von der GMD wie von der FhG, erwarten muss und erwarten kann, dass mehr Verständnis als bisher für die
Ausgangssituation und die entsprechenden Unternehmenskulturen in der jeweils anderen Einrichtung, die
künftig zum Partner wird, aufgebracht werden muss. Einen Teil der kritischen Diskussion in der GMD führe ich
darauf zurück, dass bisher vielleicht nicht auf beiden
Seiten ein entsprechendes Verständnis hierfür entwickelt
worden ist.
Kollege Röttgen.
Die inhaltliche Konzeption ist Gegenstand der nächsten Frage. Bei der ersten Frage - ich darf Sie noch einmal darum bitten, darauf zu antworten - geht es um die von den Wissenschaftlern und der Belegschaft der Bundesregierung
vorgeworfenen handwerklichen Mängel. Die Wissenschaftler haben keine Angst um ihren Arbeitsplatz; sie
könnten überall auf der Welt ihre wissenschaftliche Tätigkeit ausüben. Sie sorgen sich um die wissenschaftliche Qualität. Sie beklagen, dass die Bundesregierung
nicht mit ihnen redet, sondern von oben herab etwas
verkündet und dekretiert, was die Qualität ihrer Leistung
infrage stellt. Sie befürchten, dass sie in den nächsten
ein bis zwei Jahren nicht zur Forschungstätigkeit in ihrem Bereich kommen, sondern die Energien in Fusionsschwierigkeiten aufgerieben werden. In diesem Bereich
findet ja im Grunde genommen alle halbe Jahre eine Revolution statt.
({0})
Weil nicht mit ihnen geredet wird, stelle ich nun die
Frage: Wie wollen Sie auf diesen Sachverhalt reagieren?
Suchen Sie das Gespräch mit den Wissenschaftlern,
nehmen den Beschluss der Geschäftsleitung und der Belegschaft, von denen die Fusion abgelehnt wird, ernst
oder Sie bleiben bei Ihrem Stil, rechtlich eine Fusion zu
dekretieren? Sind Sie auch bereit, über Alternativen
nachzudenken und die Fusion als Prozess zu verstehen?
Das könnte dadurch geschehen, dass schon am Anfang
strategische Koordination und Kooperation sowie virtuelle Verbünde praktiziert werden. Sind Sie im Gegensatz
zu Ihrer bisherigen Haltung bereit, mit den betroffenen
Wissenschaftlern Gespräche zu führen?
Herr
Röttgen, ich habe einige Schwierigkeiten mit Ihrem Beitrag. Eben wurde in einem anderen Zusammenhang von
Belehrung von dieser Seite an Ihre Adresse gesprochen.
Es ist ja interessant, dass man das je nach Thema immer
sehr unterschiedlich interpretieren kann.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
ist unser Staatssekretär Uwe Thomas Kuratoriumsvorsitzender der GMD und steht im Gespräch mit dem Betriebsrat. Unser Haus wird auch am Freitag bei der Betriebsversammlung vertreten sein. Ich gehe, Herr
Röttgen, erst einmal davon aus, dass Sie wissen, dass wir
in diesen Prozess eingeschaltet sind. Ich gehe auch
davon aus, Herr Röttgen, dass durchaus eine Kommunikation besteht.
Ich weise auch noch einmal darauf hin, gerade weil
vielen Kollegen hier im Hause die Vorgänge im Detail
nicht bekannt sind, dass die Initiative dazu von Wissenschaftlern ausgegangen ist und das erste Dokument in
diesem Prozess eine Erklärung des Chefs der GMD und
des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft ist, die von
uns begrüßt und unterstützt worden ist.
Wir haben diesen Ball aufgenommen. In den letzten
Tagen haben der Senatsausschuss der FraunhoferGesellschaft und ein entsprechender Ausschuss der
GMD konkrete Vorschläge dazu unterbreitet, wie der
Prozess zu organisieren ist. Wenn Sie, Herr Röttgen,
einfordern, die Fusion als Prozess zu gestalten, kann ich
Ihnen sagen, dass genau das vorgeschlagen wird. Das ist
auch Gegenstand der Neun-Punkte-Erklärung. Jeder
weiß, dass mit den im April zu treffenden Entscheidungen ein Prozess eingeleitet wird, der auch für nachträgliche Korrekturen offen sein soll. Das endgültige Bild der
fusionierten GMD und FhG wird nicht im Detail beschrieben. Vielmehr bleibt es dem Engagement und der
Verständigung der Mitarbeiter von GMD und FhG überlassen, wie sich bestimmte Fragestellungen langfristig
entwickeln.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Sie
haben in Ihrer Bemerkung, in Ihrer Rede - Fragestunden
werden ja immer mehr zu „Redestunden“ -, auch einen
Hinweis auf die Qualität längerfristig orientierter Forschung gegeben. Im Kern geht es darum, inwieweit sich
die GMD über die Jahre hin stärker an Marktentwicklungen und Marktbedürfnissen orientiert, als sie das in
ihrer bisherigen Struktur getan hat. Damit sage ich nicht,
dass sie das bisher nicht getan hätte; in Zukunft muss sie
das stärker tun. Natürlich gibt es Wissenschaftler, die
das nicht möchten. An dieser Stelle ist die Frage nach
dem gesellschaftlichen Erfordernis zu stellen. Wenn wir
davon ausgehen, dass es gerade im Bereich der I- und
T-Technik - das haben Sie selbst gesagt - zu einer immer stärkeren Beschleunigung der Verschränkung von
Grundlagenforschung und Marktgeschehen kommt,
dann macht das klassische Modell institutionell geförderter und langfristig angelegter Grundlagenforschung
im I- und T-Bereich weniger Sinn als früher.
Das Interessante an der Debatte im Moment ist, dass
über den Status quo geredet wird - man will seine Ruhe
behalten -, nicht aber über die Frage, welche angemessene Struktur die Forschung im I- und K-Bereich angesichts der sich dramatisch beschleunigenden Entwicklung auf die Dauer haben muss. Das Argument, man
fühle sich gestört und wolle mit der Fusion in Ruhe gelassen werden, kann die Bundesregierung allerdings
nicht gelten lassen. Ließe sie es gelten, dann müsste sie
überall in der Gesellschaft die Parole verbreiten, alles so
zu lassen, wie es ist; denn das sanfteste Ruhekissen ist
immer, weiter so wie bisher zu machen. Das kann hier
nicht die erkenntnisleitende Parole sein.
Herr Hauser, bitte.
Herr Staatssekretär, es geht nicht um die Befürchtung einzelner
Mitarbeiter, sich möglicherweise mit der Fusion von
GMD und FhG beschäftigen, einen anderen Arbeitsplatz
einnehmen oder den Gesichtskreis erweitern zu müssen.
Das gilt übrigens nicht nur für die Mitarbeiter der GMD,
auf die Sie eben einzig abgehoben haben - möglicherweise lag das an den Fragen -, sondern in ganz erheblichem Maße auch für die der FhG. Das Problem ist vielmehr, inwieweit die Grundlagenforschung im I- und KBereich in der Bundesrepublik Deutschland vor dem
Hintergrund gesichert werden kann, dass nach dem
PITAC-Report von Anfang 1999 in den Vereinigten
Staaten eine wesentliche Verstärkung der Grundlagenforschung stattfinden soll, und zwar bis zum Jahre 2004
um 1,378 Milliarden Dollar gegenüber dem Haushaltsjahr 1999. Ein weiteres Problem ist, dass man aufseiten
der FhG sagt, es müsse beim Verhältnis 40 : 60 von institutioneller Förderung und Drittmitteln bleiben, auch
wenn dieses Verhältnis bei der GMD gegenwärtig - das
ist evaluiert worden - 70 : 30 beträgt, was aber bedeuten
würde, dass dann, wenn es bei den Strukturen, die die
FhG auch für die Zukunft für sich einfordert, bliebe,
nach einer Übergangszeit bei der GMD Grundlagenforschung kaum noch möglich wäre, allenfalls bei einem
Max-Planck-Institut, nämlich dem Deutschen Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz in Saarbrücken
und Kaiserslautern, und ansonsten an den Universitäten,
was sich ja bereits aus dem Eckpunktepapier ergibt, in
dem das Wort „Grundlagenforschung“ nur im Zusammenhang mit den Universitäten vorkommt.
Kollege Hauser, ich freue mich, dass Sie in Ihrer Eingangsbemerkung deutlich gemacht haben, dass es durchaus
berechtigt ist, über Fusionen dieser Art gründlich nachzudenken, und dass man von den Wissenschaftlern eine
Kooperationsbereitschaft einfordern muss.
Sie haben einen ganz wichtigen Aspekt angesprochen, nämlich die Frage des Verhältnisses von Grundlagenforschung und marktorientierter Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik.
Das ist die eigentliche strategische Frage, vor der wir
stehen. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass in
den Beiträgen, die zurzeit von vielen Seiten zu dem
Thema geliefert werden, diese Frage im Mittelpunkt
steht; denn es ist natürlich erkennbar, dass bei der
Fraunhofer-Gesellschaft, etwa in der Stellungnahme des
Hauptausschusses des Wissenschaftlich-Technischen
Rates, die Forderung vertreten wird, es solle bei der FhG
alles so bleiben, wie es ist. Wenn man den Weg einer
Verschmelzung von GMD und FhG geht, dann wird sich
vieles in der GMD ändern. Aber auch bei der Fraunhofer-Gesellschaft wird nicht alles so bleiben, wie es ist.
Ich will das an dem Punkt, den Sie genannt haben er wurde auch in den neun Punkten angeschnitten -,
verdeutlichen: Auch die Fraunhofer-Gesellschaft betreibt zurzeit Arbeiten, die strategisch und längerfristig
orientiert sind. Man könnte sie auch als Grundlagenforschung bezeichnen, weil die Fraunhofer-Gesellschaft
darauf angewiesen ist, Know-how für die Produktentwicklung von übermorgen selbst in ihren eigenen Einrichtungen zu entwickeln. Wir suchen jetzt unter dem
neuen gemeinsamen Dach nach einem Weg, der das Positive in der GMD, nämlich die längerfristig orientierte
Forschung, zu einem - allerdings unter veränderten Bedingungen - Strukturprinzip der FhG insgesamt macht,
indem wir den Fonds für die Erforschung neuer Märkte
bilden wollen.
Man könnte nun sagen, Grundlagenforschung sei etwas ganz anderes. Wir sagen: nein. Denn im IT-Bereich
ist Grundlagenforschung von heute immer die Vorbereitung auf die Märkte von übermorgen. In diesem Sinne
ist es eine Frage der Unternehmenskultur.
Man kann Verständnis für die Sorgen von Institutsdirektoren der GMD haben, nämlich die Sorge, dass ihr
Bereich im Rahmen der neuen Struktur der FhG sozusagen untergebuttert wird. Aber wenn wir gleichzeitig das
Angebot machen, dass die Mittel, die für die Grundlagenforschung in der GMD heute bereitstehen, nicht gestrichen, sondern in einen Fonds für die Erforschung
neuer Märkte überführt werden, dann ist es dabei unsere
Absicht, etwas Neues zu schaffen. Wir wollen nämlich
das Know-how für die Märkte und für die Produkte von
übermorgen auch in diesen neuen Strukturen - vielleicht
etwas zielorientierter als bisher - bereitstellen. Wir halten dies für eine richtige Strategie.
Dieser Prozess wird erst dann zu einem fruchtbaren
Ergebnis führen, wenn wir uns nach bestimmten Strukturentscheidungen darauf verlassen können, dass sich
beide Seiten auf diesen Prozess des gegenseitigen LerParl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
nens und des Kompromissschließens einlassen. Zurzeit
gibt es eine Zwischenphase, in der jeder versucht, sich
gegenüber dem künftigen Partner abzugrenzen. Das ist
verständlich, weil man damit versuchen will, die Ausgangsposition gegenüber dem anderen möglichst günstig
zu gestalten.
Die Stellungnahme des Wissenschaftlich-Technischen Rates ist aber nur eine Stimme in der Diskussion.
Sie können davon ausgehen, dass wir in den nächsten
Wochen unsere Gespräche mit dem Betriebsrat, mit der
Geschäftsleitung und mit anderen Vertretern der GMD
verstärken werden, weil wir das Gefühl haben, dass eine
verstärkte direkte Kommunikation zwischen dem BMBF
und den Beschäftigten notwendig ist, um klarzumachen,
was unsere Ziele sind, und um zu verhindern, dass es zu
einer nur auf Abgrenzung und Abschottung gerichteten
Diskussion im Vorfeld notwendiger Entscheidungen
kommt.
Danke schön. - Wir
kommen nun zur Frage 13 des Kollegen Röttgen:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, damit die IuK-Institute - IuK: Information und Kommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft entgegen dem Beschluss des
Hauptausschusses des Wissenschaftlich-Technischen Rates der
Fraunhofer-Gesellschaft zu einer mit der GMD konsensfähigen
Position zurückkehren, wie sie in der Presseerklärung der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn,
vom 29. September 1999 festgehalten ist?
Auf
Ihre Frage möchte ich Ihnen antworten: Der Ausschuss
des Senats der FhG und der Ausschuss des Aufsichtsrates der GMD zur Begleitung der Fusion haben auf ihrer
gemeinsamen Sitzung am 23. Februar 2000, also fünf
Tage nach dem Beschluss des Hauptausschusses des
Wissenschaftlich-Technischen Rates der FhG in Hannover, zum weiteren Fortgang der Zusammenführung von
GMD und FhG einen gemeinsamen Beschlussvorschlag
für die Sitzung der Aufsichtsgremien im April formuliert.
An diesem einstimmigen Beschlussvorschlag haben
übrigens der Vertreter des BMBF wie auch der Vertreter
des WTR der FhG mitgewirkt. In diesem Beschlussvorschlag wird das Eckpunktepapier von Professor
Warnecke und Professor Tsichritzis vom 28. Januar begrüßt und in seinen Punkten 1 bis 9 als Leitlinie für die
beabsichtigte Zusammenführung der beiden Einrichtungen gesehen.
Neben den oben dargestellten Entwicklungen des
FhG-Finanzierungsmodells wurde vorgeschlagen, Professor Tsichritzis zum 1. Mai 2000 als einen von zwei
Vizepräsidenten in den Vorstand der FhG zu berufen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass dieser Beschluss eine geeignete Basis für einen Konsens, der eine
Grundlage für den weiteren Fortgang der Fusion darstellen kann, geschaffen hat.
Kollege Röttgen.
„Die Zeit“ hat getitelt: „Fusion ohne Vision“. Meine Frage ist: Sind auch
Sie der Auffassung, dass bislang im Konsens eine inhaltliche Strategie für die geplante Fusion fehlt? Dies ist eine Rechtsfrage; der Rechtsmantel ist da, aber der Inhalt
fehlt. Teilen Sie meine Auffassung, dass es an einer inhaltlichen Strategie fehlt? Wenn ja: Auf welchem Wege
sind Sie bereit, eine solche inhaltliche Strategie als Voraussetzung einer Fusion zu entwickeln?
In einer vorherigen Bemerkung ist dem BMBF der Vorwurf
gemacht worden, die ganze Sache par ordre du mufti
durchzuziehen.
({0})
Es ist nicht unsere Intention, die Strategie im Detail vorzugeben. Es geht darum, einen Integrationsprozess einzuleiten, auf dessen Basis die Wissenschaftler und Institutsleitungen beider Seiten in einem mehrjährigen Prozess bestrebt sind, ihre gemeinsame Vision über die
künftigen Aufgaben der öffentlich geförderten Forschungskompetenz im Rahmen der FhG zu entwickeln.
Unsere Vision in diesem Bereich kann man relativ
einfach beschreiben. Wir wissen, dass wir mit dieser
neuen Struktur die einmalige Chance haben, in anderer
Verknüpfung als bisher einen wechselseitigen Prozess
von Forschung und Innovation in Deutschland anzustoßen mit einer neuen Qualität, so hoffen wir, der direkten
Interaktion zwischen öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen und der Breite der IT-Wirtschaft, nicht
nur der großen Konzerne, sondern auch der mittelständischen Industrie.
Ich denke, dass das eine überfällige Strukturanpassung war, weil das Innovationsgeschehen im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnik mit einer
solchen Dramatik und Rasanz verläuft, dass die Zeitspanne der notwendigen Rückkopplungsprozesse zwischen industrieller Innovation und entsprechenden Vorläufen in der Forschung immer kürzer wird und wir deshalb eine sehr viel flexiblere, offenere und auch eine für
Kooperation ideale Struktur nutzen wollen.
Wir sind auf der einen Seite der Auffassung, dass die
Struktur der GMD optimierungsbedürftig war und ist.
Wir sind auf der anderen Seite der Meinung, dass dieser
Prozess auch bei der Fraunhofer-Gesellschaft eine stärkere Akzentuierung auf Vorlaufforschung für Produkte
von morgen und übermorgen erfordert, und glauben,
dass wir durch die Zusammenführung eine vernünftige
Struktur für das Wechselspiel im Innovationsprozess
schaffen können.
Noch eine ganz kurze Zwischenfrage.
Ich lasse sie zu.
Das Vorhandensein
einer inhaltlichen Strategie zwischen den beteiligten
Einrichtungen und dem BMBF ist nicht die Voraussetzung für die Fusion? Habe ich das richtig verstanden?
Ich
habe Ihnen gesagt, es gibt grundsätzliche Zielsetzungen,
die mit einer Strukturreform verbunden sind. Es kann
nicht sein, dass das BMBF im Detail den beiden Partnern die Strategie vorgibt. Ich möchte Ihnen eines klar
sagen: Strategien werden nicht für eine große Zeitspanne
formuliert; auch diese Einrichtung wird sich vielmehr alle drei bis fünf Jahre auf dem Forschungsmarkt neu
positionieren müssen. Das heißt, es kommt hier darauf
an, die Dynamik, mit der sich die neue Forschungsinfrastruktur dem Markt und Innovationsgeschehen stellt, zu
wecken und das Ganze voranzubringen. Wir sind sehr
zuversichtlich, wenn der schwierige Prozess dieser Wochen überwunden ist und die Strukturentwicklungen klar
sind, dass die Bereitschaft beider Seiten, die Synergieeffekte zu nutzen, in der Kooperation einen beiderseitigen
Vorteil zu sehen, Kräfte freisetzt. Wenn es um Strukturveränderungen im institutionellen Gefüge geht, ist es
immer so, dass die Gefahr droht, dass man sich an der
Wahrung bestehender Strukturen „verkämpft“.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Tauss.
Herr Staatssekretär, nachdem
wir in Deutschland in Zeiten der Verantwortung der alten Bundesregierung - gerade unter Herrn Rüttgers - einen unglaublichen Rückstand im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie im internationalen Vergleich hinnehmen mussten, sehen Sie eine Chance, dass wir in Deutschland durch die von Ihnen mit angestoßenen Maßnahmen die Möglichkeit haben, ein
Stück weit eine kritische Masse zu bekommen, die zu
einem Schub bei der Informations- und Kommunikationstechnologie führt, der dazu beiträgt, die Rückstände aufzuholen?
Die
Bündelung der Kompetenzen, die heute in der Fraunhofer-Gesellschaft einerseits und in der GMD andererseits
bestehen, halten auch wir für eine qualitative Stärkung
des Potenzials der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen. Im internationalen Vergleich schaffen wir
damit eine Struktur, die im Weltmaßstab kritische Masse
sicherlich in hohem Maße erbringt.
Ich darf den Vergleich mit den Vereinigten Staaten
aufgreifen, den Herr Hauser vorhin gezogen hat. Die
Amerikaner diskutieren, ihre Grundlagenforschung zu
verstärken. Ist das aber unser aktuelles Hauptinnovationsdefizit? Ist es im Moment nicht vielleicht so, dass
sich die Gewichte ein bisschen mehr angleichen müssen? Die Amerikaner haben vielleicht bei der Beschleunigung des Innovationsprozesses etwas vernachlässigt,
was zum Bereich der strategisch orientierten Forschung
gehört.
Unser Innovationsproblem ist die stärkere Verknüpfung von strategisch orientierter Forschung mit Anwendung und Entwicklung. Die Annäherung der Strukturen
vollziehen wir jetzt mit diesem Schritt, den wir hoffentlich im April im Konsens und mit breiter Basis in den
Aufsichtsräten beider Einrichtungen beschließen können.
Kollege Hauser.
Herr Staatssekretär, nach der Frage des Kollegen Tauss ist es mir
möglich, zur Sache zurückzukommen.
({0})
- Keine Sorge. - Könnte es nicht sinnvoll sein, zunächst
die Grundstrukturen - ich stimme Ihnen völlig zu, dass
Sie nichts im Detail vorgeben können - abzusichern, so
wie das auch bei CAESAR geschehen ist, indem man
das Triplett zwischen Grundlagenforschung, Vorlaufforschung und anwendungsorientierter Forschung gebildet
hat? Erst danach hat man die Fusion vollzogen. Man ist
nicht zuerst in die institutionelle Fusion marschiert, um
dann abzuwarten, wer sich durchsetzt, der Größere oder
der Kleinere, der Schwächere oder der Stärkere.
Wenn
Sie den CAESAR-Weg vorschlagen, dann kann ich das
nur so interpretieren, dass Sie, Herr Hauser, dafür plädieren, beides aufzulösen und anschließend ganz neu
aufzubauen. Den Weg wollen wir aber nicht gehen.
({0})
- Weil eben nichts bestand. Aber man hat sozusagen aus
dem Nichts heraus etwas Neues geschaffen.
Da in diesem Fall beide Institutionen existieren, besteht der Weg nicht darin, dass wir das Prinzip, Tripletts
aufzubauen, vorgeben, um dann zu schauen, was passiert; denn auf diese Weise kann es zu einer organischen
Kooperation und Verknüpfung der Aufgaben beider
nicht kommen.
Ich will Ihnen allerdings verdeutlichen, was der Inhalt
der neun Punkte ist, die jetzt Grundlage für den Fusionsprozess sein sollen. Es handelt sich um sehr allgemeine Rahmenbedingungen, die vieles hinsichtlich konstruktiver Zusammenarbeit und Präzisierung durch engagiertes Zusammenwirken offen lassen.
Wir sagen nur: Es soll um eine Fortentwicklung und
Ergänzung des FhG-Modells gehen. Es wird darum gehen, dass sich der überwiegende Teil der Kapazitäten
der GMD am Fraunhofer-Modell orientieren wird. Es
bleibt zu klären, in welchem Ausmaß. Genauso ist der
Frage nachzugehen, dass die erweiterte FraunhoferGesellschaft unter der Bezeichnung „Forschung für neue
Märkte“ stärker längerfristig orientierte Vorlaufforschung einführen will.
Als Modellversuch wollen wir einen entsprechenden
Fonds für die IuK-Forschung aufbauen, der zu 100 Prozent grundfinanziert bleibt. Wir wollen in der Zwischenzeit Erfahrungen sammeln. Es wird Evaluierungen geben. Der Versuch wird unternommen werden, bestimmte
Überlegungen einmal dem Belastungstest durch unabhängigen Sachverstand auszusetzen.
Es muss endlich der Schritt vollzogen werden, den
wir bis jetzt nicht gehen konnten: ein Institutsverbund
der IuK-Institute von GMD und FhG zur Abstimmung
gemeinsamer Strategien. Darauf sollen die Institute aufbauen und sie sollen die Strategie für das künftige gemeinsame Haus entwickeln. Wir haben auch gesagt: Die
Verwaltung soll überprüft werden.
Das genau sind Elemente, unter denen ein solcher
Prozess Schritt für Schritt unter aktiver Beteiligung, getragen von den Direktoren der Institute der GMD und
den entsprechenden Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft, vonstatten geht. Sie sollen im Grunde genommen
die Träger der Strategieerarbeitung sein.
Sie müssen auch eines sehen: Diese Institute werden
doch nicht aus dem Stand sagen: „Die Welt sieht neu
aus“, sondern sie werden Aufgabenpakete, die sie haben,
weiterbearbeiten und daneben das neue Haus errichten.
Das muss ein organischer Übergang sein. Deshalb können wir nicht zu Beginn des Prozesses sozusagen die detaillierte Strategie vorgeben.
Verstehen Sie doch bitte, dass wir den Beteiligten gerade die Chance geben wollen, in einem mehrjährigen
Übergangsprozess selbst die Feinstruktur dieser neuen
Strategie zu entwickeln. Das ist meiner Ansicht nach objektiv im Interesse der Betroffenen.
Was ich feststelle, ist, dass sich das Engagement zurzeit auf die Frage konzentriert, wie man sich voneinander abgrenzen kann, und nicht auf die Frage, wie der positive Synergieeffekt genutzt werden kann. Ich akzeptiere an dieser Stelle den zarten Hinweis von Ihrer Seite:
Alle Beteiligten, die Leitung der GMD wie auch die Leitung der FhG und das BMBF, müssen ihre Anstrengungen verstärken, diese Strategie in der Breite der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erläutern und für Zustimmung zu werben.
({1})
Danke schön.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Ulrich Irmer
auf:
In welcher Weise lässt sich die von der Bundesregierung beabsichtigte Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kuba in Einklang mit den von ihr für eine erfolgreiche
Entwicklungspolitik geforderten Prinzipien der Menschenrechte,
der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bringen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Irmer, ich glaube, wir haben
überhaupt keine Differenz, wenn es um die Frage geht,
dass es in Kuba bei den Menschenrechten, bei der
Rechtsstaatlichkeit und in der Demokratie große Defizite gibt. Aber die Defizite in genau diesen Bereichen gibt
es auch in einer Reihe von anderen Ländern, die Partner
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sind.
Die kubanischen Defizite konnten durch eine Isolierungs- und Blockadepolitik über 40 Jahre lang nicht abgebaut werden. Die Bundesregierung sieht in der Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit einen geeigneten Weg, um die Wagenburgmentalität aufzulockern und das Interesse der kubanischen Seite an einem ernsthaften politischen Dialog zu erhöhen und sich
für Veränderungen zu öffnen.
Bitte schön, Kollege
Irmer.
Frau Staatssekretärin, Ihre
Regierung ist mit dem Anspruch angetreten, dass sie ihre gesamte Politik unter den Grundsatz der Menschenrechte stellen wird. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass
es andere Länder gibt, mit denen Zusammenarbeit besteht, in denen auch nicht gerade appetitliche Zustände
herrschen, dann muss ich Sie doch fragen, ob Sie dies
für einen ausreichenden Grund halten, die Zusammenarbeit jetzt mit einem besonders unappetitlichen Regime
erneut aufzunehmen, und ob Sie angesichts der Tatsache, dass die Menschenrechtsverletzungen in Kuba in
der letzten Zeit eher zugenommen haben, auch nur den
Hauch einer Chance sehen, dass sich dort irgendwelche
Reformbemühungen durchsetzen könnten.
Zum Ersten, Herr Kollege Irmer, möchte
ich Ihnen ganz klar sagen: Die Entwicklungszusammenarbeit steht unter fünf Kriterien, nämlich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation, soziale Marktwirtschaft und entwicklungsorientierte Innenpolitik.
({0})
- Herr Kollege Irmer, diese Kriterien sind keine Ausschlusskriterien, sondern es sind Kriterien, die uns
Handlungsorientierung geben. Das heißt: Wenn wir in
einem Partnerland die Möglichkeit haben, Maßnahmen
zu unterstützen, die genau entlang dieser Kriterien zur
Besserung führen, dann unterstützen wir Programme
und Projekte zur Verbesserung zum Beispiel im Menschenrechtsbereich, zum Beispiel in der Partizipation
und im demokratischen Prozess.
Zum Zweiten wird Ihre Aussage, dass sich die Menschenrechtslage verschlechtert hat, international nicht
einhellig geteilt. Die Europäische Union ist in ihrer Einschätzung der Menschenrechtslage auf Kuba sehr kontrovers. Es gibt Länder, die das Gleiche sagen wie Sie.
Es gibt aber auch Länder im Rahmen der Europäischen
Union, die genau das Gegenteil sagen. Wir als Bundesrepublik Deutschland sind der Auffassung: Selbstverständlich ist die Menschenrechtslage Besorgnis erregend, gerade nachdem wieder Dissidenten nach dem
iberoamerikanischen Gipfel in Havanna verurteilt worden sind. Trotzdem sagen wir, dass eine Kooperation
uns die Möglichkeit eines kritischen politischen Dialogs
eröffnet, bei dem wir eine stärkere Respektierung der
Menschenrechte einfordern können.
Bitte schön, Kollege
Irmer.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie eben dankenswerterweise die fünf Kriterien
aufgezählt haben und ich dazu nur feststellen kann, dass
keines von diesen Kriterien in Kuba auch nur ansatzweise erfüllt ist, muss ich Sie doch fragen, ob nicht angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungsmittel für andere Länder von der Bundesregierung gekürzt worden
sind, die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba geradezu als eine Ohrfeige wirken muss gegenüber Ländern,
die sich in der Vergangenheit ganz besonders angestrengt haben, aber jetzt mit Mittelkürzungen und sogar
mit dem Schließen der Botschaften - obwohl das einen
anderen Etat betrifft, das weiß ich sehr wohl - bestraft
werden, wie es zum Beispiel im Falle des Landes Benin
geschieht, das wirklich große Erfolge in der Demokratisierung erzielt hat.
Herr Kollege Irmer, die Bundesregierung
und das BMZ befinden sich zurzeit in einer Diskussion
darüber, mit welchen von über 130 Ländern wir in Zukunft verstärkt zusammenarbeiten, also welche Länder
Schwerpunktländer und welche Länder Programmländer
sein werden. Insofern trifft Ihre Aussage, dass Benin da
herausfallen wird, nicht zu; denn wir sind überhaupt
noch nicht zu einer entsprechenden Entscheidung gekommen.
Was wir mit Kuba in der Entwicklungszusammenarbeit beginnen, ist die Unterstützung bei der Umsetzung
des nationalen Entwicklungsplans zur Bekämpfung der
Degradation der Böden. Diese nationalen Entwicklungspläne beruhen auf der völkerrechtlichen Vereinbarung
im Rahmen der Wüstenkonvention. Das Essenzielle bei
dieser Wüstenkonvention ist Folgendes: Die nationalen
Aktionspläne zur Bekämpfung der Degradation der Böden müssen zusammen mit der lokalen Bevölkerung erarbeitet werden. In unserem Projekt, das wir jetzt mit
Kuba beginnen wollen, ist die Kooperation nicht nur mit
den staatlich organisierten Bauern, sondern auch mit den
nicht organisierten Bauern und mit allen gesellschaftlichen Kräften entlang des Flusses, an dem das Programm
umgesetzt wird, ein wichtiges Element. Das Projekt ist
gemeinhin unter dem Begriff der Wüstenbekämpfung
bekannt. In Kuba geht es allerdings nicht darum, das
Vordringen der Wüsten zu bekämpfen - insofern ist das
hier ein missverständlicher Begriff -, sondern es geht
darum, zusammen mit der lokalen Bevölkerung etwas
gegen die Degradation, also die Verschlechterung, der
Böden zu tun.
Kollege Gehrcke zu
einer Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
würde es Sie verwundern, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, dass gerade der Kollege Irmer in der letzten
Legislaturperiode durch seine Reisen nach Kuba als Abgeordneter sehr viel dazu beigetragen hat, die parlamentarische Zusammenarbeit mit Kuba zu entwickeln, und
dass er sich in diesem Sinne auch für die Aufnahme der
Entwicklungszusammenarbeit engagiert eingesetzt hat?
Und würden Sie mir zustimmen, dass viele internationale Erfahrungen, wie Kollege Irmer bestens weiß, dafür
sprechen, dass Dialog, Kooperation und Austausch mehr
helfen als Embargo und Sanktionen?
Nein, das würde mich nicht verwundern.
Denn auch in der letzten Legislaturperiode haben Kollegen aus derselben Fraktion, der F.D.P.-Fraktion, im
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung durchaus für die Aufnahme der Entwicklungskooperation plädiert, weil nämlich ein konstruktives Engagement im Falle Kubas unter Umständen größere Chancen schafft, die Blockadehaltung zu durchbrechen.
Wir sehen heute, dass 40 Jahre Blockade nur zu einer
Wagenburgmentalität und nicht zum Erfolg geführt haben.
({0})
Ich finde es richtig, dass sich die jetzige Bundesregierung Gedanken macht, wie man durch einen kritischen
politischen Dialog, das heißt in einem konstruktiven Engagement, dazu beitragen kann, dass die Menschen in
Kuba größere Freiräume bekommen, um ihre eigenen
politischen Meinungen zu äußern. Wir wollen nicht nur
sagen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte gewahrt werden. Uns geht es darum, zu befördern, dass auch die bürgerlichen Freiheitsrechte respektiert werden.
Es gibt offensichtlich keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Irmer
auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aufkündigung des „konstruktiven Engagements“ der kanadischen
Regierung mit Kuba und der Einstellung der kubanischkanadischen Entwicklungszusammenarbeit wegen fortgesetzter
Missachtung der Menschenrechte?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Die breit angelegte kanadisch-kubanische
Entwicklungszusammenarbeit wurde nicht eingestellt,
sondern wird derzeit überprüft. Laufende Vorhaben
werden weiter gefördert. Die kanadischen Erfahrungen
legen allerdings die Folgerung nahe - diese Folgerung
wurde auch von einem prominenten kubanischen Oppositionellen gezogen -, dass der Politikdialog und die Zusammenarbeit mit einzelnen Gebern nicht ausreichen,
sondern dass möglichst viele Partner - einschließlich der
Europäischen Union - einen konstruktiv-kritischen Dialog mit Kuba führen sollten.
Herr Kollege Irmer,
eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, vor dem
Hintergrund Ihrer zu Recht ausgebliebenen Überraschung über meine Aktivitäten in Richtung Kuba möchte ich Sie denn doch fragen, ob nicht Ihrer Meinung
nach zwischen der Analyse - sie ist richtig -, dass die
Isolierung Kubas eher zur Verfestigung des Regimes geführt hat, und der Tatsache, dass jetzt eine entsprechende Entwicklungshilfe begonnen werden soll, ein Unterschied besteht.
Denn es ist ja so, dass andere Länder, wie sich am
Beispiel Kanada zeigt - auch die Europäische Union -,
zwar an Kuba appelliert haben, politische Gefangene
freizulassen, dieser Appell aber nicht dazu geführt hat,
dass politische Gefangene freigekommen sind, sondern
nur dazu, dass sich die Menschenrechtslage in Kuba,
wie wir soeben gemeinsam festgestellt haben, eher verschärft hat. Dies sage ich unbeschadet dessen, dass ich
natürlich durchaus die These vertrete, dass das CastroRegime längst beseitigt wäre, wenn die Vereinigten
Staaten nicht eine derartig sinnlose Isolierungspolitik
mit einer solchen Konsequenz gegenüber Kuba durchgeführt hätten.
Herr Kollege Irmer, ich möchte noch einmal klarstellen, dass die kanadische Regierung keineswegs das so genannte konstruktive Engagement mit Kuba aufgekündigt und auch die Entwicklungszusammenarbeit nicht eingestellt hat.
Richtig ist - das ist dem aktuellen Bericht der deutschen Botschaft in Havanna zu entnehmen -, dass der
kanadische Ministerpräsident nach der Verurteilung der
so genannten Vierergruppe, der Dissidenten, und nach
dem ibero-amerikanischen Gipfel die Bemerkung machte, man werde die kanadische Politik im Lichte der Ereignisse überdenken. Die einzige Konsequenz, die es
gegeben hat, war, dass ein noch nicht beschlossenes Projekt zurückgestellt worden ist. Im Übrigen herrscht zurzeit zwischen Kanada und Kuba eine völlige Normalität
der Beziehungen, auch in der Entwicklungszusammenarbeit.
Zur Europäischen Union: Ich möchte noch einmal
klarstellen, dass es auch in der EU Länder gibt - zum
Beispiel Spanien und Frankreich -, die mit Kuba bereits
eine Entwicklungskooperation betreiben. Wir haben
jetzt beschlossen, eine Entwicklungskooperation auf
staatlicher Ebene aufzunehmen, nachdem es schon seit
Jahren über Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen eine solche Entwicklungskooperation gibt. Wir machen also keinen völlig neuen Schritt, sondern führen
auf staatlicher Ebene Projekte ein und weiter, aber immer mit der Stoßrichtung - das versichere ich Ihnen -,
dass wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit demokratische Elemente befördern wollen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Irmer? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben Spanien erwähnt. Dieses Land stellt aufgrund
der Vergangenheit einen Sonderfall dar.
Aber fürchten Sie nicht, dass Sie sich im Rahmen der
Europäischen Union in eine gewisse Isolation begeben
angesichts des Umstandes, dass die Europäische Union
die Aufnahme Kubas in die Gruppe der AKP-Staaten
und eine entsprechende Zusammenarbeit nach wie vor
ablehnt, und zwar mit ausdrücklichem Hinweis darauf,
dass die Menschenrechte dort in ganz erheblichem Maße
verletzt werden? Mir will auch nicht einleuchten, dass
Antidesertifikationsprogramme zur Förderung der Menschenrechtslage beitragen sollen.
Herr Kollege Irmer, ich möchte Sie hiermit darüber informieren, dass sich die Länder im Rahmen der Wüstenkonvention - sie wurde mittlerweile von
über 150 Staaten ratifiziert - völkerrechtlich verpflichtet
haben, die Programme im Rahmen der nationalen Aktionsprogramme in einem partizipativen Prozess zu konzipieren und auch umzusetzen.
Ich lade Sie ein, mit zur nächsten Wüstenkonferenz
zu reisen. Sie werden dann Gelegenheit haben, mit den
Vertreterinnen und Vertretern der entsprechenden Regierungen zu diskutieren. Oder ich lade Sie ein, mit nach
Kuba zu reisen, nachdem dort mit diesem Programm begonnen wurde, damit Sie sich vor Ort persönlich davon
überzeugen können.
Die Fragen 16 und
17 werden schriftlich beantwortet. Daher danken wir der
Frau Staatssekretärin nach dieser freundlichen Antwort
für die Beantwortung der vielen Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister
Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Die Fragen 18, 19,
20 und 21 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Ruprecht Polenz
auf:
Ist es zutreffend, dass der von Deutschland gelieferte
Kampfpanzer Leopard 1 niemals in Kampfhandlungen gegen die
PKK oder in Akte der inneren Repression gegen kurdische Zivilisten in Ostanatolien aktiv verwickelt war, wie dies von der
deutschen Rüstungsindustrie dargelegt wird?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr Kollege Polenz, Sie fragten nach menschenrechtswidrigen Einsätzen des Leopard 1 in der Türkei.
Meine Antwort darauf: Die Bundesregierung konnte
bisher keine Erkenntnisse gewinnen, dass der Kampfpanzer Leopard 1 in Kampfhandlungen gegen die PKK
oder in Akte der inneren Repression in Ostanatolien eingesetzt wurde.
Ich rufe dann die
Frage 23 des Kollegen Polenz auf:
Wann ist der abgesagte Besuchstermin des Bundeskanzlers
in die Türkei vereinbart worden, und ist es nicht zutreffend, dass
die eigentliche Begründung für die Absage im Zusammenhang
mit der Diskussion um die Lieferung des Kampfpanzers Leopard 2 an die Türkei zu sehen ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Polenz, Sie fragten nach den Gründen für die
Absage des Bundeskanzlers bezogen auf seinen geplanten Türkei-Besuch. Die Reise des Bundeskanzlers in die
Türkei - so meine Antwort - ist angesichts der zeitlichen Nähe zu der Reise des Bundespräsidenten in die
Türkei, die vom 6. bis 8. April 2000 stattfindet, nicht
abgesagt, sondern verschoben worden. Die Diskussion
um eine mögliche Lieferung des Kampfpanzers Leopard 2 an die Türkei hat bei der Verschiebung der Reise
keine Rolle gespielt.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Wann war dem Auswärtigen Amt oder dem Kanzleramt die Reise des
Bundespräsidenten bekannt?
Wir wussten, dass der Bundespräsident grundsätzlich eine Reise nach Griechenland und in die Türkei
plante. Diese Planung ist aber erst relativ spät konkretisiert worden.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, wann waren denn Ihrem Haus die Reisepläne des Bundeskanzlers bekannt?
Da müsste ich einmal nachhören. Ich habe die Daten nicht im Einzelnen im Kopf.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Polenz? - Bitte sehr.
Gibt es inzwischen
einen neuen Termin für einen Besuch des Bundeskanzlers in der Türkei?
Danach werde ich mich gerne beim Bundeskanzleramt erkundigen.
Nun rufe ich die
Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Welche Menschenrechtsverletzungen in der Türkei sind in
diesem Jahr dem Auswärtigen Amt bekannt geworden, und welche Besserungen der Menschenrechtssituation hat die türkische
Regierung in Aussicht gestellt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Uhl, Sie fragten ganz allgemein nach Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Ich antworte wie
folgt: Die Menschenrechtslage in der Türkei ist weiter
als unbefriedigend zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere
für den Südosten des Landes. Die Staatsschutzbestimmungen des allgemeinen Strafrechts, die Notstandsdekrete sowie das Antiterrorgesetz eröffnen Einschränkungsmöglichkeiten in Bezug auf die Meinungs- und
Pressefreiheit. Häufig werden diese Vorschriften sehr
weit ausgelegt und nicht einheitlich angewandt. Hinzu
kommen Berichte über Verstöße türkischer Sicherheitskräfte gegen menschenrechtlich relevante Regelungen
des türkischen Rechts wie zum Beispiel das Folterverbot.
Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung sorgfältig. Bekannt gewordene Einzelfälle bezieht sie in die
Erörterung menschenrechtlicher Fragen mit der türkischen Regierung ein. Seit dem Europäischen Rat von
Helsinki bietet die türkische EU-Kandidatur eine grundlegend neue und verbesserte Basis hierfür. Auch türkische Menschenrechtsorganisationen, mit denen die Bundesregierung enge Kontakte unterhält, befürworten die
Einbindung der Türkei in die Kopenhagener Beitrittskriterien nachdrücklich.
Das türkische Parlament hat mit Gesetz vom 24. Februar 2000 die Geltung des am 26. August 1999 erlassenen so genannten Reuegesetzes - das ist ein Gesetz, das
auf bestimmte Straftäter im Zusammenhang mit den bekannten politischen Auseinandersetzungen in der Türkei
anzuwenden ist - um weitere sechs Monate bis zum
29. August 2000 verlängert. Das Reuegesetz gewährt
bestimmten Straftätern Strafermäßigung oder sogar
Straferlass, wenn sie sich freiwillig den Sicherheitsbehörden stellen und aktiv zur Bekämpfung der Organisation, der sie angehört haben, beitragen. Diese sehr enge
Definition der Reichweite des Reuegesetzes zeigt aber
auch, dass der Kreis derer, die in den Genuss dieses Gesetzes kommen, sehr klein sein dürfte.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Erste Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, nachdem der Türkei der Status als Beitrittskandidat
für die EU verliehen worden ist, stelle ich die Frage: Ist
die Bundesregierung der Auffassung, dass dieser Umstand dazu angetan ist, schon jetzt eine positive Menschenrechtsprognose für die Türkei auf mittlere Sicht zu
stellen?
Nein, wir geben keine Prognose ab. Wir erhoffen
uns, dass die Anwendung der Kopenhagener Kriterien,
die mit der Perspektive eines EU-Beitritts notwendigerweise verbunden ist, dazu beiträgt, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei nachhaltig und durchgreifend verbessert. Für den Fall, dass dies nicht so sein
sollte, wird sich der Prozess eines eventuellen EUBeitritts umso länger hinauszögern.
Vielen Dank. Ich
mache darauf aufmerksam, dass es jetzt Fragen zum
Themenkomplex „Export von Leopard-Kampfpanzern“
gibt, deren Beantwortung in andere Zuständigkeiten
fällt. So rufe ich nacheinander die Fragen 34, 41 und 35
auf, die Herr Siegmar Mosdorf bzw. Frau Brigitte Schulte
beantworten werden.
Ich rufe Frage 34 des Kollegen Johannes
Singhammer auf:
Stimmen nach Ansicht der Bundesregierung Prognosen, dass
bei einer Ablehnung des Exports von Panzern des Typs Leopard
2 in die Türkei allein rund 6 000 Arbeitsplätze in den nächsten
10 Jahren verloren gingen, und würde sich eine Nichtbelieferung
der Türkei bei einer türkischen Bestellung auch auf Verkäufe in
andere Länder, beispielsweise nach Griechenland, auswirken?
Herr Staatssekretär Mosdorf, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, bei dem möglichen Verlust von
6 000 Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren, die
Sie in Ihrer Frage erwähnen, handelt es sich um Angaben der Panzer bauenden Industrie. Mangels belegbarer
eigener Erkenntnisse kann die Bundesregierung daher
zurzeit zu diesen Angaben keine Stellung nehmen.
Zu den möglichen Auswirkungen einer Nichtbelieferung der Türkei mit Panzern auf einen Verkauf an andere Länder liegen der Bundesregierung keine entsprechenden Erkenntnisse vor.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann, wenn sich diese
von der wehrtechnischen Industrie gemachten Angaben
über Arbeitsplatzverluste als zutreffend herausstellen
sollten, bereit, für die Sicherung dieser Arbeitsplätze
ähnliche Aktivitäten zu entwickeln, wie das beispielsweise im Falle Holzmann geschehen ist?
Herr Kollege, Sie stellen hypothetische Fragen, auf die ich natürlich keine Antwort gebe, zumal ich die beiden Fälle
auch nicht vergleichen möchte.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass
eine Unterscheidung zwischen Arbeitsplätzen in der
wehrtechnischen Industrie und Arbeitsplätzen in anderen
Bereichen hinsichtlich ihrer moralischen Qualität nicht
möglich ist, dass eine Unterscheidung zwischen so genannten guten und schlechten Arbeitsplätzen ausscheidet, dass also vielmehr um jeden Arbeitsplatz, egal, in
welcher Branche er sich befindet, mit der gleichen Mühe
und der gleichen Besorgnis gerungen werden muss?
Herr Kollege, wir haben uns als Bundesregierung Grundsätze gegeben, die ich vor wenigen Wochen hier erläutern durfte. Sie können diesen Grundsätzen entnehmen, wie wir
in solchen Fällen verfahren.
Jetzt rufe ich die
Frage 41 des Abgeordneten Johannes Singhammer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung, vor allem auch aufgrund
der Haushaltskürzung im Bundesministerium der Verteidigung
von 18,3 Milliarden DM bis 2003, die Feststellungen des Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie, dass von einem weiteren Personalabbau von 10 000
Stellen bis 2003 ausgegangen werden müsse, nachdem die Zahl
der dort Beschäftigten bereits im Zeitraum von 1990 bis 1999
von 280 000 auf 100 000 geschrumpft ist?
Frau Brigitte Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung. Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege, die neue
Bundesregierung hat bei ihrem Amtsantritt im Herbst
1998 eine dramatische Finanzlage vorgefunden, die
maßgeblich die alte Bundesregierung zu verantworten
hatte. Ich darf Sie daran erinnern: In den 16 Jahren der
CDU/CSU-F.D.P.-Regierung sind die Schulden des
Bundes, die im Jahre 1982 bei 300 Milliarden DM lagen, auf 1,5 Billionen DM - auf das Fünffache - angestiegen. Insoweit war es unvermeidlich, dass versucht
wird, in allen Bereichen, damit auch bei der Bundeswehr, zu sparen.
Ungeachtet dessen wurden von Finanzminister
Eichel - darauf möchte ich besonders hinweisen, denn
daraufhin erfolgten Beschaffungen - sowohl im Jahre
1999 als auch im Jahre 2000 zusätzliche Mittel im Einzelplan 60 für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung für internationale Einsätze zur
Verfügung gestellt. Das ist dem Kollegen Rühe zur
Amtszeit des Finanzministers Waigel nie gelungen.
So wurden für das Jahr 2000 zusätzlich 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, mit denen Beschaffungen erfolgen, nämlich Ersatzbeschaffungen und zusätzliche Ausrüstung. Im Jahre 1999 haben wir immerhin
441 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 mehr bekommen.
Der kommende mittelfristige Finanzplan steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Ergebnisse der Strukturüberlegungen und der Entscheidung zur Modernisierung der Bundeswehr und der Streitkräfte. Dabei ist es
bei der Bundeswehr unumstritten, dass das veraltete Gerät der Bundeswehr dringend modernisiert bzw. neues
Gerät beschafft werden muss. Zuerst wird es aber notwendig sein, zeitgemäße Strukturentscheidungen zu treffen und dann den Finanzplan anzupassen. Ich gehe davon aus, dass sich der tatsächliche Haushaltsumfang und
die mittelfristige Finanzplanung an diesen Erkenntnissen
orientieren.
Was die Feststellung des Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie betrifft, so
kann die Bundesregierung und so kann ich sie nach
19-jähriger Tätigkeit im Verteidigungsbereich nicht
nachvollziehen. Zutreffend ist - mein Kollege Mosdorf
hat es gesagt -, dass die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen war. Soweit aber Unternehmen einen weiteren
Personalabbau wegen angeblicher Einsparungen planen,
ist das ihre unternehmerische Entscheidung.
Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht nachvollziehen, warum noch in den letzten Jahren in Thüringen ein
neues Instandsetzungswerk für Radfahrzeuge geschaffen
wurde, und das mit öffentlichen Mitteln, obwohl genügend Kapazitäten in den alten und neuen Bundesländern
zur Verfügung standen. Ich kann Ihre Frage und die des
Arbeitskreises der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie als eine politische Frage verstehen,
aber nicht als eine sachlich orientierte Frage.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, dies war eine politisch-sachliche Frage, wenn
ich dies hinzufügen darf. Ich möchte eine weitere politisch-sachliche Frage anschließen: Was können Sie den
vielen Tausend Beschäftigten in der wehrtechnischen
Industrie, die in größter Sorge um ihren Arbeitsplatz
sind, und ihren vielen Zehntausend Angehörigen, die
ebenfalls diese Sorge haben, über die weiteren Pläne der
Bundesregierung sagen? Können Sie zu ihrer Beruhigung beitragen?
Ich kann sie insofern beruhigen, als wir im letzten Jahr über 700 Millionen DM
mehr ausgegeben haben, als die letzte Bundesregierung
das wollte. Sehr wundersam, Herr Kollege Singhammer,
ist, dass sich im Jahr 1998 die Zahl der Instandsetzungsaufträge für Radfahrzeuge der Bundeswehr teilweise
verdoppelt hat und wir das Malheur vorfanden, dass wir,
statt notwendige Maßnahmen durchführen zu können,
offensichtlich aus parteipolitischen Gründen beschlossene Maßnahmen - vielleicht hat es etwas mit dem Wahljahr bzw. den Spenden zu tun gehabt - abbauen mussten.
Ich möchte auf die Vertreter der von Ihnen genannten
Einrichtung, zu denen ich bereits ein paar passende
Worte gesagt habe, zurückkommen. Es wurden im
Wahljahr vielleicht, um entsprechende Wirkung zu erzielen, an bestimmten Orten neue Firmen gegründet und
gleichzeitig die Kapazitäten in bestehenden Firmen abgebaut. Ich nenne die Firmen Wegmann in Kassel sowie
Krauss-Maffei, die sich im Wahlkampf dafür loben ließen, dass sie neue Kapazitäten schafften, während sie
gleichzeitig Arbeitsplätze in Kassel abbauten. Das kann
man als Steuerzahler nicht akzeptieren.
Ich könnte diese Beispiele fortsetzen. Ich war gerade
in den letzten Tagen intensiv damit beschäftigt. Ich halte
das für sehr unsinnig und unverantwortlich. Wir bräuchten das Geld für eine Haubitze, die Sie angeschafft haben. Sie nennt sich „Panzerhaubitze 2000“ und kostet
den deutschen Steuerzahler mehrere Milliarden DM. Es
war nicht einmal das Geld zur Verfügung, damit dieses
Gerät für einen möglichen Einsatz im Kosovo zur Verfügung gestellt werden konnte.
Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Singhammer?
Wie hoch
schätzen Sie die Ausfälle an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, wenn nur Tausend Arbeitskräfte arbeitslos werden? Sind Sie mit mir der Meinung, dass diese
Beträge, die an einer Stelle eingespart werden können,
aufgrund des Wegfalls von Arbeitsplätzen an anderer
Stelle den Bundeshaushalt teuer zu stehen kommen?
Ich teile Ihre Meinung
überhaupt nicht. Wir haben heute im Kanzleramt einen
zweiten Vertrag unterschrieben, an dem sich 94 überwiegend mittelständische und größere Unternehmen beteiligt haben, die mit der Bundeswehr in Anwesenheit
des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesverteidigungsministers Verträge zur Kooperation abschließen
wollen. Wenn Sie uns nicht eine so schlechte Organisation auch im zivilen Bereich der Bundeswehr hinterlassen hätten, sondern dort moderne Managementmethoden
eingeführt hätten, dann hätten wir keine Probleme damit,
diese Kooperation fortzusetzen.
Die Firmen sind sehr daran interessiert, mit uns zu
kooperieren und mit uns endlich auch die Dauer der Beschaffungsvorgänge in bestimmten Bereichen herunterzufahren. So wollen sie beispielsweise statt in 15 Jahren
in sieben Jahren etwas machen. Deswegen ist das, was
Sie sagen, alles hypothetisch und trifft die Wirklichkeit
nicht. Eines kann ich Ihnen sagen: Wir werden Firmen
nicht deshalb erhalten, weil es in einem Wahlkampf opportun war, ein siebentes und achtes Los des Panzers
Leopard 2 zu kaufen, obwohl wir diesen nicht brauchen.
Dieses wird hoffentlich bei einer sozialdemokratisch
und vom Bündnis 90/Die Grünen geführten Bundesregierung nicht vorkommen. Von dieser Art Entscheidung
wird es in der Zukunft noch ein paar geben.
({0})
Ich erteile der Kollegin Lippmann das Wort für eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie
sprachen gerade von den rot-grünen Aktivitäten und davon, was mit Ihnen machbar ist und was nicht. Ich erinnere mich daran, dass in den Koalitionsvereinbarungen, insbesondere aber auch in den Programmen von
SPD und Grünen, vom Abbau der Rüstungsindustrie
sowie von der Auflage von Konversionsprogrammen für
den rüstungs- und wehrtechnischen Bereich die Rede
war. Gibt es Planungen in Ihrem Haus oder in anderen
Bereichen der Bundesregierung, solche Konversionsprogramme aufzulegen?
Liebe Frau Kollegin
Lippmann, zynischerweise muss ich sagen: Das hat die
alte Bundesregierung ja bereits für uns geleistet, indem
sie in massiver Weise - man spricht von 180 000 Arbeitsplätzen; manche sprechen von 200 000 - Arbeitsplätze abgebaut hat. Aber sie hat es bedauerlicherweise
wenig systematisch gemacht.
({0})
Denn das betrifft zum Teil auch qualifizierte Tätigkeiten, deren Kompetenz wir auch in der Zukunft brauchen werden.
Frau Lippmann, nun kann man heute Gott sei Dank
vieles auch in der Rüstungsindustrie aus der deutschen
Technologie in anderen Bereichen oder der internationalen Technologie beziehen. Eines haben die meisten Kollegen unterschätzt: Wie groß der Nachholbedarf bei der
Modernisierung der Bundeswehr ist.
Auch wenn Sie gegen internationale Einsätze sind,
wollen Sie wohl nicht, dass die Soldaten, die daran teilnehmen, nicht - zu ihrem eigenen Schutz - vernünftig
ausgestattet sind. Insoweit bin ich relativ gelassen. Wir
werden nicht unbedingt eigenes, selbstentwickeltes Gerät für die Bundeswehr brauchen. Wir werden da auch
die Zweibahnstraße aus ziviler Technologie und militärischer Technologie nutzen können. Aber wir haben natürlich auch einen Nachholbedarf bei der Modernisierung. Dem werden auch Sie sich nicht verschließen können.
Nun hat Herr Kollege Dr. Schockenhoff eine Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, Sie sagen, die alte Bundesregierung
habe bis zu 200 000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie abgebaut. Können Sie mir einen einzigen Arbeitsplatz benennen, den die Regierung abgebaut hat?
Das war ja das Problem,
dass Sie natürlich Ihre Haushalte herunterfahren mussten - im Gegensatz zu uns, Herr Kollege, die wir im
letzten Jahr die Mittel für Beschaffungsmaßnahmen angehoben haben und auf anderen Gebieten gespart haben.
In der genannten Unterlage steht - das war doch wohl
die Frage, die Kollege Singhammer dem Kollegen
Mosdorf gestellt hat -, dass tatsächlich zwischen 1990
und 1999 die Zahl der Arbeitsplätze von 280 000 auf
100 000 geschrumpft ist. Er hat sich übrigens dabei auch
wieder auf den Arbeitskreis der Betriebsräte der deutschen wehrtechnischen Industrie berufen. Aus dieser
Quelle stammt die Zahl von 180 000 bis 200 000 Arbeitsplätzen.
Nun rufe ich die
Frage 35 des Kollegen Dr. Uhl auf:
Schließen die von der Bundesregierung jetzt verabschiedeten
Exportrichtlinien, in denen der Export von Rüstungsgütern in
Nicht-NATO-Länder grundsätzlich nicht vorgesehen ist, eine
Exportgenehmigung in ein Land, das der NATO nicht angehört,
aber eine demokratisch legitimierte Regierung hat, wie Chile
oder Österreich, aus?
Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Mosdorf
zur Verfügung. Sie haben das Wort.
Herr Dr.
Uhl, die Bundesregierung antwortet auf Ihre Frage wie
folgt: Die politischen Grundsätze der Bundesregierung
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern unterscheiden zwischen Ausfuhren in
NATO-Staaten, EU-Staaten und NATO-gleichgestellte
Staaten auf der einen Seite und Lieferungen in sonstige
Länder auf der anderen Seite. Österreich als EUMitgliedstaat gehört zum Kreis der privilegierten Länder. Lieferungen sind daher grundsätzlich nicht zu beschränken.
Über Ausfuhren von Rüstungsgütern in Drittländer
außerhalb des oben genannten Kreises von Ländern wird
jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der
einschlägigen Bestimmungen, der politischen Grundsätze sowie des EU-Verhaltenskodex entschieden.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, welches Interesse hat die Bundesregierung am Erhalt
von nationalen Kernkompetenzen und Mindestkapazitäten in der Wehrtechnik angesichts des Umstandes,
dass bei der Produktion von Großkampfwagen - aber
nur dort - deutsche Firmen noch in der Weltspitze sind?
Wir haben
ein großes Interesse daran, dass die Kernkompetenzen
erhalten bleiben, Herr Abgeordneter.
Jetzt hat Frau Kollegin Lippmann eine Frage. Bitte sehr.
Ich beziehe mich auf die
Ausgangsfrage des Kollegen und möchte gern von Ihnen
wissen, ob Sie die folgende Frage beantworten können,
nachdem das Verteidigungsministerium heute Vormittag
nicht in der Lage war, uns diese Frage kurzfristig zu beantworten.
Wie wird die mögliche Lieferung von 64 bewaffneten
Spürpanzern Fuchs der Firma HWK aus Kassel an die
Vereinigten Arabischen Emirate unter Berücksichtigung
der neuen Rüstungsexportrichtlinien und insbesondere
unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage von der
Bundesregierung beurteilt?
Frau Kollegin, es liegt hierzu nur eine Voranfrage vor. Die Bundesregierung hat sich damit noch nicht im Einzelnen beschäftigt.
Nun rufe ich die
Frage 36 des Kollegen Dr. Schockenhoff auf:
Tagt der Bundessicherheitsrat öffentlich oder geheim und
was war der Grund dafür, das unterschiedliche Abstimmungsverhalten der beteiligten Ressorts bei der Frage einer Lieferung
des Testpanzers Leopard 2A6 in den Medien darzustellen?
Diese Frage wird auch der Staatssekretär Siegmar
Mosdorf beantworten. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schockenhoff, die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim. Über das Abstimmungsverhalten
der einzelnen Mitglieder hat es seitens der Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt eine Verlautbarung gegeben.
Zu Darstellungen der Medien über vertrauliche Angelegenheiten des Bundessicherheitsrates nimmt die Bundesregierung grundsätzlich nicht Stellung.
({0})
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Herr
Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass die Ministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Außenminister
auf Parteiveranstaltungen, bei denen Medien zugelassen
und zugegen waren, ihr Abstimmungsverhalten im Bundessicherheitsrat öffentlich begründet haben und steht
dieses Verhalten nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, den Sie gerade beschrieben haben? Wenn Sie dieser Einschätzung folgen können, frage ich Sie: Halten
Sie angesichts dieses Widerspruchs Konsequenzen innerhalb der Bundesregierung für erforderlich?
Herr Kollege Schockenhoff, die Bundesregierung hat selber eine
Geschäftsordnung und an die hält sie sich.
({0})
Zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, können Sie das gerade von mir beschriebene Verhalten zweier Regierungsmitglieder bestätigen
und lässt sich dieses mit der Geschäftsordnung der Bundesregierung in Einklang bringen?
Herr Kollege Schockenhoff, ich war nicht auf den Bundesversammlungen der Grünen persönlich anwesend.
Deshalb kann ich das in Ihrer Frage beschriebene Verhalten nicht bestätigen.
({0})
Ich rufe nun die
Frage 42 des Kollegen Schockenhoff auf:
Sind Pressemeldungen wie in der Wirtschaftswoche Nr. 7
vom 10. Februar 2000, Seite 9, zutreffend, wonach der Testpanzer vom Typ Leopard 2, der vor einigen Wochen in die Türkei
geliefert wurde, in Wirklichkeit nicht von der Herstellerfirma
stammt, sondern von der Bundeswehr aus eigenen Beständen geliefert und von der Herstellerfirma nur aufgerüstet wurde, und
wenn ja, musste die Türkei dies nicht als zusätzliches Signal auffassen, dass die deutsche Bundesregierung für den Fall eines Zuschlags dem Gesamtgeschäft keine Steine in den Weg legen
würde?
Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung. Bitte sehr.
Frau Präsidentin, Herr
Kollege, die Pressemeldung ist so - ich betone: so nicht zutreffend. Das Bundesamt für Wehrtechnik und
Beschaffung hat mit Leihvertrag vom 3. August 1998,
also noch zur Zeit der alten Bundesregierung von
CDU/CSU und F.D.P., der Firma Krauss-MaffeiWegmann einen Kampfpanzer Leopard 2 zur firmeneigenen Weiterentwicklung des Waffensystems für den
Zeitraum von 1998 bis 2008 überlassen. Ein Teil der
Entwicklungsergebnisse wird dem Bund dafür unentDr. Hans-Peter Uhl
geltlich zur Verfügung gestellt. Die Kosten für Betrieb
und Instandsetzung dieses Fahrzeuges trägt die Firma.
Es trifft zu, dass die Firma Krauss-Maffei-Wegmann
dieses Fahrzeug der Türkei für eine Vergleichserprobung zur Verfügung gestellt hat. Die Bundesregierung
hat der temporär begrenzten Ausfuhr zugestimmt. Eine
Präjudizierung der Ausfuhrentscheidung bezüglich des
Gesamtgeschäfts ist daraus nicht ableitbar.
Eine Zusatzfrage? Herr Kollege, bitte.
Ist der Bundesregierung bei diesem Geschäft, dem sie zugestimmt hat, bekannt gewesen, dass es aus der Sicht der Türkei nach ihren eigenen Auslobungsbedingungen selbstverständlich
sein musste, dass ein Land, das der Übersendung eines
Testpanzers zugestimmt hat, auch bereit ist, dem endgültigen Geschäft für den Fall zuzustimmen, dass dieser
Testpanzer im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens den
Zuschlag erhält?
Nein, Herr Polenz, das ist
eine freie Entscheidung der Bundesregierung. Das, was
sich die Türkei vorstellt, ist eine andere Sache. Wir haben zugestimmt, dass die Türkei den Testpanzer erhält,
weil sie bereits seit langem den Leopard 1 hat, nämlich
seit über 20 Jahren. Das ist bekannt. Aber damit ist nicht
das Geschäft mit dem Leopard 2 präjudiziert, auch dann
nicht, wenn die Türkei diese Vorstellung gehabt haben
sollte. Ich hatte aber gar nicht den Eindruck, dass sie
diese Vorstellung hatte. Ich kenne die Verhältnisse in
der Türkei aufgrund der guten Zusammenarbeit schon
etwas länger. Ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Ob das
Geschäft mit dem Leopard 2 zustande kommt, wird sich
ergeben. Erst einmal müssen wir abwarten, ob die Türkei ihn überhaupt aussucht.
({0})
- Das war etwas anderes.
Nun hat der Kollege
Singhammer eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die 2 Millionen Menschen mit türkischem
Pass, die in Deutschland leben, wenn weiterhin in so
brüskierender Weise eine Hinhaltetaktik gegenüber der
Türkei verfolgt wird, die Panzer benötigt, um die
Selbstverteidigung sicherzustellen?
Wenn die 2 Millionen
Türken in Deutschland ihren Landsleuten in der Türkei
bewusst machen würden, wie gut es sich in einem demokratischen Rechtsstaat leben lässt, der seine Prinzipien auch in der Praxis verwirklicht hat, und wenn darüber hinaus in der Türkei jene Kräfte unterstützt würden, die einen demokratischen Rechtsstaat wirklich zu
fördern versuchen - es hat ja Fortschritte gegeben -,
dann wäre das keine Diskussion; denn die Türkei ist auf
vielen Gebieten ein sehr verlässlicher Partner. Es hängt
jetzt ganz entscheidend von diesen 2 Millionen Türken
ab, ob sie sich darum bemühen, zu sagen, wie das ist,
wenn man in einem demokratischen Rechtsstaat lebt,
und ihn den Bürgern in der Türkei auch wirklich vorzuleben.
Nun kommt Kollege
Niebel mit einer Frage. - Wir sind bei Frage 42, Herr
Kollege, weil Sie gerade erst gekommen sind.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich verfolge die Debatte persönlich anwesend schon etwas länger. Deswegen habe ich mich auch entschieden,
hier nachzufragen.
Frau Staatssekretärin, Sie haben bei der vorhergehenden Frage gesagt, dass es noch kein Präjudiz gibt, nur
weil der Testpanzer geliefert wurde, dass hinterher auch
Panzer geliefert werden können. Darauf wollte ich zurückkommen.
Ich habe mir Ende letzten Jahres ein Auto gekauft
und habe natürlich verschiedene Modelle Probe gefahren. Wenn mir jetzt ein Händler gesagt hätte, du bekommst das Auto zur Probefahrt und darfst es dir anschauen, aber ich verkaufe es dir hinterher nicht, hätte
ich mich sehr gewundert. Meinen Sie nicht, dass es bei
Panzern ähnlich ist?
({0})
Herr Kollege Niebel, bei
Autos wäre ich ja sofort einverstanden. Damit schießt
man in der Regel keine anderen tot.
({0})
- Doch, Sie haben Recht. Ich nehme es sofort zurück.
Auch das Auto ist ein potenzielles Mordfahrzeug, wenn
man nämlich damit nicht vernünftig umgeht, aber das
andere ist potenziell dazu da, jemanden zu bekämpfen.
Also lassen Sie uns mit Gelassenheit betrachten, wie
sich das Verhalten der Türkei weiterentwickelt. Dann
müssen Sie abwarten, ob die Türkei wirklich das Gerät
haben möchte. Dann kommt es auf die Bedingungen an,
zum Beispiel, ob das Geschäft so aussieht, dass wir dabei mit Mitteln der Steuerzahler wieder draufzahlen. Das
alles wollen wir einmal in Ruhe abwarten.
Nun kehren wir zurück zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Herr Staatsminister Dr. Volmer steht zur Beantwortung
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Siemann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung im Nachhinein die von
ihr gewählte Strategie, den Überschwemmungsopfern in Mosambik erst nur finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen und erst später personelle und technische Hilfe in das Katastrophengebiet zu entsenden, und welche Folgerungen zieht die
Bundesregierung konkret in Bezug auf Krisenfrüherkennung,
Koordination und schnelle Reaktionsfähigkeit aus der dramatischen Entwicklung in Mosambik für künftige Katastrophenhilfen national und auf europäischer Ebene?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Siemann, nach Ansicht der Bundesregierung
wurde die richtige Strategie gewählt. Die Erfahrungen
der vergangenen Jahre und die Verfügbarkeit der Mittel
sprechen dafür, humanitäre Maßnahmen zunächst mit
Hilfe lokal verfügbarer Ressourcen durchzuführen, da
diese rasch und effizient umgesetzt werden können.
Hierfür wurden Mittel bereitgestellt, wobei von Anfang
an darauf hingewiesen wurde, dass der Finanzbeitrag der
Bundesregierung bei Bedarf aufgestockt werden könne.
Auf Bundeswehr und Bundesgrenzschutz sollte nur dann
zurückgegriffen werden, wenn alle lokal verfügbaren
Mittel ausgeschöpft worden sind. Diese Ausnahmesituation ist im Falle von Mosambik eingetreten, kann aber
nicht uneingeschränkt auf andere humanitäre Krisensituationen übertragen werden.
Die Bundesregierung hat aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und des BMZ bereits in der ersten kritischen
Phase Anfang Februar Mittel für die medizinische
Betreuung und Versorgung von Überschwemmungsopfern in Maputo mit Hilfsgütern und Trinkwasser bereitgestellt. Diese Maßnahmen konnten über bereits im
Land tätige Hilfsorganisationen rasch und effizient umgesetzt werden.
Unmittelbar nach der unvorhersehbaren dramatischen
Entwicklung, die wesentlich durch das Öffnen von
Dämmen am Oberlauf der betreffenden Flüsse verschärft wurde, wurden durch Auswärtiges Amt und
BMZ weitere Mittel zur Verfügung gestellt, darunter
500 000 DM für den Einsatz von Rettungshubschraubern.
Als ersichtlich wurde, dass keine ausreichende Zahl
von Hubschraubern der Region für den Einsatz von Rettungsflügen verfügbar war, entschloss sich die Bundesregierung zur Entsendung von sieben Hubschraubern
und Einheiten der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes zur Rettung und Versorgung der Flutopfer.
Die Bundesregierung hat auf die dramatische Verschärfung der Lage schnell reagiert und unverzüglich eine Entscheidung über den Einsatz von Hubschraubern
der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes herbeigeführt. Die Tatsache, dass für den Transport der Hubschrauber nur außerhalb Deutschlands verfügbare Großraumflugzeuge, so die Antonov, eingesetzt werden
konnten, hat allerdings zu unvermeidlichen Vorlaufzeiten geführt. Die Umsetzung der Maßnahmen vor Ort erfolgte rasch und in Abstimmung mit den internationalen
Koordinierungsstrukturen vor Ort. Die Koordinierung
der Einsätze in Beira zwischen den dort operierenden
Akteuren funktioniert reibungslos.
Die Bundesregierung befürwortet im Übrigen nachdrücklich die Bemühungen der betroffenen Staaten in
der Region, in Zukunft bei der Krisenprävention
und -reaktion enger zusammenzuarbeiten.
Auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung
durch den deutschen EU-Botschafter und den Vertreter
im neuen politischen und sicherheitspolitischen Komitee
am 2. und 3. März 2000 Vorschläge unterbreitet, wie bei
der weiteren Ausgestaltung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die notwendigen
Fähigkeiten geschaffen werden, damit in Fällen wie Mosambik schnell und effizient geholfen werden kann.
Die deutschen Vorschläge sind bei unseren europäischen Partnern auf positive Resonanz gestoßen. Die portugiesische Präsidentschaft hat die Vorschläge aufgegriffen und strebt bereits für den Europäischen Rat in Lissabon am 23./24. März konkrete Ergebnisse an.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister,
ist es richtig, dass die von Ihnen erwähnte Antonow einer Belgrader Firma gehört, dass also der Auftrag für
den Transport der Hubschrauber an Jugoslawien gegangen ist, obwohl das verhängte Embargo nur teilweise
aufgehoben worden war?
Das ist mir im Moment nicht bekannt. Ich will das
nicht absolut ausschließen. Das müsste ich aber prüfen.
Aber selbst wenn dem so wäre, was folgte daraus angesichts der großen Not im Krisengebiet? Wenn in Europa
überhaupt nur wenige Großraum-Transportflugzeuge
existieren, dann wird man diese dort chartern müssen,
wo man sie so schnell wie möglich bekommen kann.
Ich rufe jetzt die
Frage 26 des Abgeordneten Martin Hohmann auf:
Worauf gründet sich die Annahme der Bundesregierung, die
von der Conference on Jewish Material Claims against Germany
genannte Anzahl von 135 000 heute noch lebenden jüdischen
Sklavenarbeitern sei „im Wesentlichen zutreffend“ ({0}), wenn die historische Forschung ({1}) davon ausgeht, dass am 8. Mai 1945 lediglich 200 000 Juden die
Zwangsarbeits-, Konzentrations-, Vernichtungslager und Todesmärsche im nationalsozialistischen Herrschafts- und Einflussbereich überlebt hatten?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Hohmann, Sie fragten nach den Zahlen der
heute noch lebenden jüdischen Sklavenarbeiter, die von
den geplanten Entschädigungen profitieren könnten. Die
Claims Conference hat dazu folgende Angaben gemacht: Es leben noch: 35 000 ehemalige Zwangsarbeiter, die Gesundheitsschadensrenten nach dem deutschen
Bundesentschädigungsgesetz erhalten, 63 000 ehemalige
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Zwangsarbeiter von den im Rahmen des so genannten
Artikel-2-Abkommens Berechtigten, 20 000 ehemalige
Zwangsarbeiter, die im Rahmen des von deutscher Seite
bezuschussten Fonds der Claims Conference für Holocaust-Überlebende in Mittel- und Osteuropa Renten beziehen.
Die vorgenannten Zahlen ergeben sich entweder unmittelbar aus deutschen Zahlungen, wie zum Beispiel
die Zahl der BEG-Rentenempfänger, oder sie sind Gegenstand periodischer Verhandlungen mit der Claims
Conference über die laufende Finanzierung des Artikel2-Abkommens und des deutschen Beitrags zum Osteuropa-Fonds der Claims Conference. In diesen beiden
Projekten wendet die Claims Conference deutsche Kriterien an.
Zusätzlich führt die Claims Conference 20 000 ehemalige Zwangsarbeiter an, die staatliche israelische Invalidenrenten erhalten.
Die Claims Conference hat über die zuvor genannten
138 000 Fälle hinaus weitere 24 000 Personen angemeldet, die ihrer Auffassung nach als dislozierte Zwangsarbeiter in offenen Gettos im Sinne der Definitionen des
Referentenentwurfes für das Gesetz zur Errichtung der
geplanten Bundesstiftung zusätzlich der Kategorie A zuzurechnen sind.
Bei allen genannten Zahlen muss berücksichtigt werden, dass die üblicherweise als „displaced persons“ bezeichnete Gruppe weit überwiegend Zuflucht in Israel
bzw. im westlichen Ausland gefunden hat. Die für
„displaced persons“ genannten Zahlen beziehen weder
die Auswanderung der Juden aus Mittel- und Osteuropa
seit 1948 noch die Zahl der dort verbliebenen Überlebenden ein.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Nein, danke schön. Damit haben wir den Bereich des Auswärtigen Amtes erledigt. Ich danke dem
Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau
Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Hohmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf ein Verfahren hinzuwirken, in dem die Conference on Jewish Material Claims against
Germany die Personen gegenüber der Bundesregierung namentlich benennt, die Leistungen aus Steuer- bzw. Stiftungsmitteln
erhalten sollen, um sicherzustellen, dass eine schnelle und direkte Hilfe an tatsächliche Opfer nachweislich erfolgt?
Frau Staatssekretärin, bitte
Herr Kollege Hohmann,
im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung
einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, den die Bundesregierung am 26. Januar 2000 beschlossen hat, sind angemessene Prüfungsrechte vorbehalten: Bei den für die einzelnen Partnerorganisationen,
zu denen auch die Jewish Claims Conference gehört,
festzulegenden Geldbeträgen handelt es sich um Plafonds. Die Auszahlung erfolgt vierteljährlich aufgrund
des aktuellen Bedarfs, das heißt der konkreten Zahl der
Anträge. Die Empfänger müssen den Verzicht auf weitere Forderungen aus NS-Unrecht schriftlich erklären. Die
Verzichtserklärungen sind der Stiftung zu übergeben. In
der Begründung zum Gesetzentwurf ist außerdem ein
Hinweis auf die Kontrolle der Partnerorganisationen
durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufgenommen
worden.
Keine Zusatzfrage?
- Vielen Dank.
Ich rufe nun die Frage 28 des Kollegen Dr. Fink auf:
Sieht die Bundesregierung angesichts der Kontroversen um
die Rückgabe von beweglichem Kulturgut an die adeligen Häuser in den neuen Bundesländern Handlungsbedarf und wie steht
sie zu einer entsprechenden Änderung des Entschädigungs- und
Ausgleichsleistungsgesetzes ({0}) mit dem Ziel, dem bereits
einsetzenden Schwund von Kulturgütern aus dem öffentlichen
Raum zu begegnen und diese dauerhaft für die Öffentlichkeit zu
sichern?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Fink, eine
Novellierung des § 5 des Ausgleichsleistungsgesetzes ist
nicht geplant. Die jetzige Regelung stellt einen Kompromiss zwischen dem öffentlichen Interesse am Kulturgut und den vermögensrechtlichen Ansprüchen der
besatzungsrechtlich Enteigneten dar, der erst nach äußerst schwierigen und langwierigen Gesetzesberatungen
erreicht werden konnte. Eine Verschlechterung der Position der früheren Eigentümer im Sinne eines Restitutionsausschlusses trifft in dem auch politsch umstrittenen
und höchst sensiblen Bereich der Besatzungsenteignungen der Jahre von 1945 bis 1949 auf verfassungsrechtliche Bedenken. Im Übrigen begrüßt und unterstützt die
Bundesregierung Lösungen, die der Bewahrung und Sicherung der Museumsbestände in den neuen Ländern
dienen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte.
Bietet das jetzige Kriterium für den unentgeltlichen Nießbrauch von 20 Jahren
zur Ausstellung für die Öffentlichkeit bestimmten Kulturgutes nicht zu viel Spielraum für Auslegung und Manipulation?
Nein, Herr Kollege. Der
so genannte öffentliche Nießbrauch ist auf 20 Jahre festgelegt. Ein Teil dieser Zeit ist bereits verstrichen. Wir
halten auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Verlängerung dieser Frist nicht für möglich.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Welche Auswirkungen
erwartet die Bundesregierung für den Bestand der beweglichen Kulturgüter im öffentlichen Raum Ostdeutschlands für die Zeit nach Ablauf des unentgeltlichen Nießbrauchsrechtes?
Darüber kann man, Herr
Kollege, natürlich nur spekulieren. Es gibt in einigen
Ländern einvernehmliche Regelungen mit einzelnen
früheren adeligen Häusern, die zur Befriedung und zum
Erhalt des Kulturgutes im öffentlichen Raum beigetragen haben. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass
einzelne Besitzer Kulturgüter nach Ablauf dieser
20-Jahres-Frist veräußern, möglicherweise auch ins
Ausland, denn wir haben ja keine Ausfuhrbestimmungen, die die Veräußerung von Kulturgütern ins Ausland
verbieten.
Nun rufe ich die
Frage 29 des Kollegen Strobl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung - vor dem Hintergrund
der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone Airtouch - die Forderung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft ({0}) nach Schaffung eines nationalen „Übernahmegesetzes“, in dem die Verpflichtung von Bieter und Übernahmekandidat zur Abschätzung der Beschäftigungsfolgen festgelegt
sein soll?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Strobl, die
Bundesregierung hält ein nationales Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen für notwendig. Sie
misst einer umfassenden Information der Arbeitnehmer
im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen eine
hohe Bedeutung bei. Die Bundesregierung strebt an, den
Bieter zu verpflichten, in seiner Angebotsunterlage seine
Absichten in Bezug auf die künftige Geschäftstätigkeit
der Zielgesellschaft, insbesondere auf die Beschäftigten
bzw. die Beschäftigungsbedingungen darzustellen. Die
Leitung des Zielunternehmens soll ebenfalls verpflichtet
werden, in ihrer Stellungnahme zum Übernahmeangebot
die Auswirkungen der Übernahme auf die Interessen der
Beschäftigten der Zielgesellschaft darzulegen.
In dem Gespräch der Bundesregierung mit einer
hochrangigen Expertengruppe am 9. März, also in der
vergangenen Woche, wurden zum Thema Informationspflichten insbesondere hinsichtlich der Arbeitnehmerseite konstruktive Vorschläge gemacht, die von der Bundesregierung aufgenommen werden. In dieser Sitzung
hat der Bundeskanzler bekräftigt, dass die deutsche Mitbestimmung auch bei einer Übernahme aus dem Ausland Bestand haben wird.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte.
Frau Staatssekretärin,
heißt das, dass wir mit einem entsprechenden Gesetz-
entwurf der Bundesregierung rechnen können und bis
wann wird dieser Gesetzentwurf vorliegen?
Sie können mit einem
entsprechenden Gesetzentwurf auf jeden Fall noch in
diesem Jahr rechnen. Möglicherweise werden wir das
Gesetz bis zum Ende dieses Jahres sogar schon verab-
schieden können.
Keine weitere Zu-
satzfrage? - Danke schön.
Die Fragen 301) und 312) sind erledigt, wie mir gesagt
worden ist.
({0})
Die Fragen 32 und 33 die Fragen 37, 38, 39 und 40
sowie die Fragen 43 bis 50 werden schriftlich beanwor-
tet3).
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei den Vertretern der Bundesregierung für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Bundespolitische Auswirkung der neuerlichen
Parteispendensammelaktion
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wilhelm Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ExBundeskanzler Helmut Kohl hat es in der vorigen Woche und in den davor liegenden Tagen gefallen, mit einer Spendensammelaktion quer durch Deutschland
Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hat dazu gedient, Geld
zusammenzutragen und ihm selbst die Haut zu retten.
({0})
Ein solcher Vorgang kann nicht schweigend hingenommen werden.
({1})
Deswegen waren wir der Meinung, dass der Deutsche
Bundestag in Form einer Aktuellen Stunde darüber de-
battieren muss.
1) Seite 8506 B
2) Seite 8507 C
3) Die Antworten zu den Fragen 38 bis 40 lagen bei Redaktionsschluss
noch nicht vor.
Wir haben schon im Vorfeld gehört, dass die
CDU/CSU mit dieser Aktuellen Stunde deswegen nicht
einverstanden sein würde, weil die Formalismen einer
Aktuellen Stunde angeblich nicht eingehalten worden
sind. Ich kann Ihnen, Herr Repnik, und den anderen
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition dazu nur
sagen:
Erstens. Es gibt zurzeit keine gültigen formalen Absprachen über die Einhaltung der Kriterien und über die
Inhalte von Aktuellen Stunden. Zweitens. Wir haben
dennoch aufgrund der früheren Regeln unsere Aktuelle
Stunde nicht nur so benannt, sondern wir werden sie
auch inhaltlich so führen, dass diese Regeln eingehalten
werden. Drittens. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer sich
hinter Formalismen versteckt, der hat in der Sache etwas
zu verbergen.
({2})
Wenn die Zeitungen in Deutschland, wie auch die übrigen Medien, Schlagzeilen wie „Ex-Kanzler führt vor,
wie man tätige Buße ohne Reue üben kann“
({3})
oder „Keine Spur von schlechtem Gewissen“ produzieren, dann kann man doch nicht davon sprechen, dass das
ein normaler Vorgang sei. Wir wollen insbesondere von
der CDU wissen, wie sie sich zu dieser Spendenaffäre
stellt. Wir wollen auch der deutschen Öffentlichkeit präsentieren, wie sich diese Tatbestände einordnen lassen.
({4})
75 Prozent aller Deutschen sind offensichtlich der
Meinung, dass Helmut Kohl, Herr Kanther und manch
anderer der CDU-Rechtsbrecher Schadenersatz zu leisten haben. Recht haben sie. Wir unterstreichen diese
Forderung.
({5})
Diese Menschen wollen übrigens nicht, dass andere für
diese Herren Schadenersatz leisten. Das ist genau das,
was Herr Kohl versucht hat. Darum stinkt diese Angelegenheit meilenweit gen Himmel.
Ich will Ihnen klaren Wein einschenken.
({6})
Herr Kohl hat in dieser Frage nicht nur eine Spendenaktion zugunsten der CDU veranstalten wollen, sondern er
hat auch seine eigene Haut retten wollen. Man muss ja
wissen, worauf der Vorwurf hinsichtlich des strafrechtlichen Tatbestandes der Untreue basiert, nämlich auf einem Vermögensschaden. Herr Kohl versucht durch diese Spenden, die er zusammengetragen hat, den Eindruck
zu erwecken, als wenn er den Vermögensschaden von
der CDU abgewendet hätte, sodass der Vorwurf der Untreue gegen ihn nicht mehr gilt.
({7})
Den Schaden abzuwenden ist nur ein Vorwand, den er
nutzen möchte, um seine Haut zu retten. Wir werden ihn
nicht gelten lassen.
Wenn man einmal die Liste der Spenderinnen und
Spender durchgeht, dann kommen einem weit darüber
hinaus noch manch andere Zweifel. Unter den Spendern
sind die Herren Kirch, Cramer, Reim, Schumann,
Weidenfeld und andere, die Verleger sind.
({8})
Haben sie ihr Imperium mit Hilfe Kohls in der Zeit
der CDU/CSU- und F.D.P.-geführten Regierung vielleicht erheblich erweitern können?
({9})
Odewald war Treuhandaufseher mit einem hohen
Gehalt. Hat er sich für die entsprechende Eingruppierung revanchiert? Unternehmer oder Unternehmensverbandsvertreter wie Kellerhals, Guthardt, Kindermann, Langmann, Maucher, Müller, Schalck,
Scheufele, Schmitt und Wirtz wissen sicher besser als
wir, ob sie sich hier für etwas erkenntlich zeigen wollen.
Ich finde, dass man an dieser Stelle nicht nur die Namen
nennen muss, sondern dass sich auch der Untersuchungsausschuss damit beschäftigen muss. Wir werden
auch diese Dinge aufklären.
({10})
Meine Damen und Herren, der Ablasshandel ist schon
vor einigen hundert Jahren beendet worden. Er wird
auch bei Herrn Kohl nichts mehr fruchten. Ich kann daher nur sagen, dass wir einen weiteren Teil des großen
Skandals auf der Seite der CDU zu registrieren haben.
Ich finde auch, dass die Auffassung der Bevölkerung
richtig ist, dass mit der Führungskrise, mit der sich die
CDU gerade beschäftigt, die Spendenaffäre längst nicht
bereinigt und beseitigt werden kann.
({11})
Es wurde bisher nichts aufgeklärt, jedenfalls nicht
ausreichend. Der Aufklärungswille der CDU in Berlin,
aber auch der in Wiesbaden, ist mangelhaft und unterentwickelt. Herr Kohl setzt seine bekannte und für uns
unfassbare Inkonsequenz fort. Er nennt nach wie vor
nicht die Namen der ursprünglichen Spenderinnen und
Spender. Deswegen sollten sich alle, die damit zu tun
haben - ich erinnere nur an das Interview des Herrn von
Brauchitsch in der vorigen Woche -, offenbaren und
nachdrücklich mehr dazu beitragen, als es bisher bei der
Aufklärung geschehen ist.
Herr Kollege, wir
sind in einer Aktuellen Stunde.
Wilhelm Schmidt ({0})
Herr Kohl hat
in einem Beitrag, der heute in der „Süddeutschen Zeitung“ abgedruckt worden ist, eine faire Behandlung gefordert. Wir machen das,
({0})
indem wir das der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben. Er
hat außerdem seinen Rückzug aus der Politik angedeutet
und angekündigt. Wir finden, dass er das konsequent
umsetzen sollte. Wir fordern: Herr Kohl, geben Sie Ihr
Bundestagsmandat auf!
({1})
Das Wort hat nun
der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es bei dieser Aktuellen Stunde? Ein Bürger
dieser Republik, in diesem Fall Helmut Kohl, sammelt
bei Bürgern dieser Republik Spenden für eine politische
Partei - ein völlig normaler und ein legaler Vorgang.
({0})
Wenn dies zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht wird und gerade wenn wir den Beitrag des Kollegen Schmidt vor Augen haben, dann liegt der Verdacht
nahe, dass dahinter keine lauteren Beweggründe stehen.
({1})
Deshalb halten wir diese Aktuelle Stunde für unzulässig.
Ich will an dieser Stelle den Streit darüber nicht fortsetzen; den haben wir an anderer Stelle geführt. So viel
sei aber gesagt: Das Einwerben von Spenden an politische Parteien ist eine Freiheitsbetätigung des Bürgers,
die staatliche Institutionen so lange nicht zu interessieren hat, wie er sich - dieser Bürger - im Rahmen seiner
verfassungsrechtlichen Freiheiten bewegt. Da aber diese
Freiheit zu respektieren ist, verbietet sich nach unserer
Überzeugung jede staatliche Intervention, auch eine
durch das Parlament. Diese Grenze ist eindeutig überschritten.
Natürlich muss bei diesem Handeln das Gesetz geachtet werden. Doch dies ist im Gegensatz zu den von
Dr. Kohl eingeräumten und bedauerten Verfehlungen in
den Jahren 1993 bis 1998 ganz eindeutig der Fall.
({2})
Deswegen ist es schäbig, unfair und ehrenrührig sowohl dem Spendenwerber als auch - Herr Kollege
Schmidt, wie Sie es eben getan haben - den Spendern
gegenüber, wenn Sie versuchen, diese Aktion in den
Dreck zu ziehen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kölner
Professor Dr. Otto Depenheuer hat vor wenigen Tagen
in der „FAZ“ einen bemerkenswerten Aufsatz geschrieben, den ich Ihnen zur Lektüre empfehle. Ich will nur
zwei Sätze aus diesem Aufsatz zitieren. Er schreibt unter
anderem:
Spenden sind nicht nur verfassungsrechtlich legal,
sondern zugleich verfassungstheoretisch legitim
und verfassungspolitisch erwünscht. Es besteht eine
Verfassungserwartung, dass die Bürger ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung auch durch finanzielle
Unterstützung der Tätigkeit der Parteien nachkommen.
({4})
Nichts anderem als dieser Verfassungserwartung sind
die Bürger, die in diesen Tagen gespendet haben, nachgekommen.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn heute
wie auch bei einer Reihe von Talkshows der letzten Wochen von SPD-Funktionären legales und illegales Verhalten gleichgesetzt wird, zeigt dies, dass es Ihnen nicht
um Recht und Gesetz geht. Sie wollen die CDU und deren Spender moralisch verunglimpfen, um die CDU finanziell auszutrocknen.
({6})
Wenn gar die Verfassungsministerin Däubler-Gmelin
diffamierend von der Fortsetzung des Systems Kohl
spricht, dann zeigt dies nicht nur ein bedenkliches
Verfassungsverständnis der Justizministerin, sondern
dies verletzt auch - gerade mit Blick auf die Spender jede Regel der Political Correctness.
({7})
Die Führung der CDU Deutschlands hat - das wird
auch Ihnen nicht entgangen sein - eine sehr kritische
Position zu den vergangenen Verstößen gegen das Parteiengesetz eingenommen. Dies gilt auch für die Nennung von Spendernamen. Aber wir wehren uns ganz
entschieden dagegen, dass jetzt die Leistungen von
Helmut Kohl als Bundeskanzler und Parteivorsitzender
dagegen aufgerechnet werden und dass von interessierter Seite eine gnadenlose und - wie soeben wieder dargestellt - erbärmliche Hetzkampagne gegen ihn betrieben wird.
({8})
Kollege Schmidt, ich sage mit allem Nachdruck, gerade nach Ihren Einlassungen: An der Redlichkeit der
Spender, zu denen, wie Sie ganz genau wissen, auch ein
prominentes SPD-Mitglied gehört,
({9})
lassen wir keinen Zweifel aufkommen. Diese Spender
haben in einer für meine Partei schwierigen Zeit mit fi8530
nanziellem Engagement und mit ihrem guten Namen Solidarität gezeigt. Dafür danke ich ihnen.
({10}).
Meine Partei hat in den letzten Monaten ungeheuere
Anstrengungen unternommen, um die uns belastenden
Sachverhalte aufzuklären.
({11})
Natürlich ist dies ein schmerzhafter Prozess, den wir uns
um der Wahrhaftigkeit willen zumuten; wir wollen neues Vertrauen beim Bürger begründen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie sieht es bei
Ihnen, bei der SPD, aus?
Herr Kollege, wir
sind in einer Aktuellen Stunde.
Ich will nur noch
einen Sachverhalt herausgreifen. - Von Tag zu Tag wird
deutlicher, dass sich Mitglieder der Regierungen Rau
und Clement erhebliche Verfehlungen haben zuschulden
kommen lassen.
({0})
Sie haben sich von einer öffentlichen Bank Privatreisen
bezahlen lassen. Sie haben über Jahre hinweg das Landesparlament und die Öffentlichkeit belogen. Von Aufklärung, von Einsicht oder gar von Reue, Kollege
Schmidt, keine Spur, geschweige denn von Wiedergutmachung. Ein größeres Maß an Heuchelei und an doppelter Moral habe ich selten erlebt. Deshalb richtet sich
Ihr Vorwurf gegen Sie selbst.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich weise darauf hin, dass wir in einer
Aktuellen Stunde sind. Da beträgt die Redezeit fünf Minuten.
Das Wort hat nun der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht damit getan, dass in der Union zurzeit fröhliches Stühlerücken herrscht und dass die Union meint, sie könne sich
restaurieren. Sie restauriert sich tatsächlich; aber sie tut
es gegenwärtig nach rechts. Man kann das daran verfolgen, wie Sie sich jüngst in der Einwanderungsdebatte
geäußert haben. Man kann es auch daran erkennen, dass
Sie die Chance zur Erneuerung der Demokratie, die in
dieser Krise liegt - Sie selbst haben es so bezeichnet -,
nicht nutzen.
Sie sind offensichtlich nicht gewillt, wirklich Konsequenzen aus Ihrem Ansehensverlust zu ziehen. Durch
Ihr Verhalten, insbesondere durch das Verhalten Ihrer
Parteiführung und Ihrer Fraktionsführung, haben alle
Demokraten gleichermaßen einen Ansehensverlust zu
beklagen. Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sich ehrlich
mit dem auseinander, was Sie an Schaden angerichtet
haben, und seien Sie bereit, mit uns gemeinsam Konsequenzen zu ziehen - in Richtung Selbstbeschränkung
der Parteien in der Demokratie! Wirken Sie beispielsweise - mit uns gemeinsam - daran mit, dass wir über
Instrumente der direkten Demokratie diskutieren! Wirken Sie daran mit, dass wir darüber diskutieren, wie die
Rolle der Parteien in der Demokratie neu definiert werden kann! Seien Sie bereit, sich konsequent einzubringen! Hören Sie damit auf, ständig mit dem Finger auf
andere zu zeigen!
({0})
Ihr ehemaliger Zukunftsminister Rüttgers, das
Schmuckstück aus der Ära Kohl,
({1})
spricht von „Kinder statt Inder“. Die Union ist mittlerweile wieder so schwarz, dass sie nachts im Kohlenkeller Schatten wirft. Selbst der Schlagschatten von Herrn
Kohl macht die Sache nicht noch dunkler.
Worum geht es in dieser Sache? Es geht darum, dass
die Union die Demokratie über lange Zeit mehr oder
weniger mit dem Auge des kalten Krieges gesehen hat.
Wir sind nicht die Gegner gewesen; vielmehr waren wir
Feinde, die es mit aller Gewalt von der Macht fern zu
halten galt. Für dieses Ziel war Ihnen kein Mittel zu
schäbig.
({2})
Damit, meine Damen und Herren, werden Sie sich
auseinander zu setzen haben.
({3})
Sie hatten lange Zeit ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie - ausgerechnet Sie, die Sie lange Zeit geglaubt
haben, dass Sie die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit für sich gepachtet haben. Der Rechtsstaat hat sich
bewährt. Auch hier meine Einladung an Sie, sich mit
diesem Rechtsstaat intensiver auseinander zu setzen. Ich
glaube, das würde der Union gut tun.
({4})
Recht ist für Sie offensichtlich etwas, was man von
anderen einfordert. Wenn man sich nicht an Gesetze
hält, die man selber erlassen hat, dann hat man ein beliebiges Verhältnis zu ihnen.
({5})
Recht gilt offensichtlich nur für die Bürger, aber nicht
auch für diejenigen, die die Gesetze selber erlassen haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte in dieser Debatte eines klar machen, damit hier kein falscher ZunHans-Peter Repnik
genschlag entsteht. Es ging zu keinem Zeitpunkt darum,
dass Unsicherheit darüber herrscht, welche Gesetze gelten. Wir haben zum Beispiel ein klares Parteiengesetz,
das Sie mit erlassen haben. Es spricht eine deutliche
Sprache. Sie haben diese Gesetze eingedenk der Tatsache, dass es sie gibt, mit Füßen getreten. Es gab zu keinem Zeitpunkt Unsicherheit darüber, was das Gesetz
sagt. Das Gesetz ist eindeutig.
Aber offensichtlich waren Sie nicht willens, sich an dieses Gesetz zu halten.
({6})
Meine Damen, meine Herren, ich fordere die Union
dringend auf, ihren Prozessvertreter zurückzuziehen. Ich
halte es für einen Skandal, dass Sie den Bundestagspräsidenten, der sich an Recht und Gesetz hält, in dieser
Weise angreifen,
({7})
dass Sie immer noch nicht bereit sind, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was Sie an Schaden für die Bundesrepublik Deutschland angerichtet haben. Es ist ein
Skandal, dass Ihr Prozessvertreter - das muss die Öffentlichkeit erfahren - sagt, dass das Parteiengesetz verfassungswidrig sei, das Parteiengesetz, das Sie mit erlassen haben. Ich frage Sie: Sind Sie der Meinung, dass das
Parteiengesetz verfassungswidrig ist? Wenn dem nicht
so ist - ich gehe davon aus, dass Sie wie wir der Meinung sind, dass dem nicht so ist -, fordere ich Sie auf,
Ihren Prozessvertreter so schnell wie möglich zurückzuziehen.
({8})
Wir machen Ihnen gern das Angebot, sich über die
Zahlungsmodalitäten zu unterhalten.
({9})
Jeder hat von uns ein Interesse daran, dass die Union
wegen der Zahlungsmodalitäten
({10})
nicht in die Situation kommt, dass sie kaputtgeht. Das
will niemand. Das haben alle deutlich gemacht. Nur, eines geht nicht: dass Sie auf der einen Seite Schaden anrichten und auf der anderen Seite nicht bereit sind, den
von Ihnen angerichteten Schaden, wie sich das gehört,
wieder gutzumachen. Dafür werden Sie den Kopf hinhalten müssen.
Ich komme zum Schluss: Ich habe das Gefühl, dass
die Frage der Rückzahlung und die Frage des Spendensammelns, was Herr Kohl gegenwärtig macht, so eine
Art Täter-Opfer-Ausgleich à la Union, à la Kohl sind.
Bloß, Sie scheinen da etwas falsch verstanden zu haben:
Opfer ist nicht die Union, meine Damen und Herren.
Opfer ist die deutsche Öffentlichkeit, Opfer ist die Bevölkerung dieses Landes, Opfer ist die Wahrheit.
({11})
Das scheinen Sie zu verwechseln. Das hat mit TäterOpfer-Ausgleich nichts zu tun. Hier geht es um Verfassungsbruch, hier geht es darum, dass die Öffentlichkeit
einen Anspruch darauf hat, alles schonungslos zu erfahren. Die Öffentlichkeit wird informiert werden.
Wir werden uns damit auseinander setzen, meine
Damen und Herren. Im Untersuchungsausschuss wird
alles auf den Tisch kommen, ob es Ihnen gefällt oder
nicht gefällt.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Dr. Westerwelle, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Özdemir, Sie haben sich zu
Beginn Ihrer Ausführungen als Rechtsstaatspolitiker
empfohlen. Sie haben jedoch am Schluss Ihrer Ausführungen gezeigt, dass Sie den Rechtsstaat augenscheinlich missverstanden haben.
({0})
Herr Kollege, ich will in aller Ruhe darauf antworten.
Sie haben der Partei der CDU ein Angebot gemacht,
über Rückzahlungsmodalitäten zu reden. Nur: Sie haben
in dieser Frage kein Angebot zu machen.
({1})
Der Bundestagspräsident entscheidet unabhängig. Er ist
nicht der verlängerte Arm der Regierungsparteien, sondern nimmt in dieser Frage die Interessen des ganzen
Deutschen Bundestages und die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr.
({2})
Zum Zweiten: Ich bin der Auffassung, dass die Entscheidung des Bundestagspräsidenten korrekt gewesen
ist. Es ist allerdings geradezu absurd, die Meinung zu
vertreten, jemand, der einen belastenden Verwaltungsakt
bekommt, könne dagegen nicht vor Gericht ziehen.
({3})
Es ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich möglich,
dass man etwas angreift, was man nicht für richtig hält.
({4})
Was jedem Bürger selbstverständlich zusteht, steht auch
der CDU zu. Ich glaube zwar nicht, dass sie viel Erfolg
mit dieser Klage haben wird. Aber dass sie es versucht,
gehört zum Rechtsstaat dazu.
({5})
Ich will noch etwas zu dem Thema sagen, das eigentlich auf der Tagesordnung steht, nämlich zu der Spendensammelaktion des Altkanzlers Helmut Kohl. Nicht
die Tatsache, dass der alte Bundeskanzler Helmut Kohl
Spenden sammelt, ist das Problem. Das Problem ist,
dass er sich unverändert weigert, die Namen der früheren Spender zu nennen.
({6})
Es ist nach unserer Verfassung das selbstverständliche
Recht eines Abgeordneten, heiße er Schmitz, Özdemir
oder Dr. Kohl, Spenden zu sammeln, um seine Partei zu
stärken. Aber es ist nicht das Recht eines Abgeordneten,
das Transparenzgebot des Art. 21 unseres Grundgesetzes
unentwegt zu verletzen.
({7})
Das ist der eigentliche Punkt, über den wir uns unterhalten müssen. Herr Dr. Kohl mag Spenden für die Union
sammeln, aber er ist nach unserer Verfassung verpflichtet, die Namen der - alten - Spender zu nennen, und er
sollte das tun.
({8})
Tut er es nicht, verstößt er gegen die Verfassung unserer
Bundesrepublik Deutschland. Ein Abgeordneter, der,
vorsätzlich und anhaltend gegen die Verfassung verstößt, ist wohl kaum in der Lage, als Parlamentarier richtig zu wirken.
({9})
Herr Kollege Schmidt, es ist schon interessant, dass
am heutigen Tag zwei Dinge zusammenfallen: Sie kritisieren in einer, wie ich finde, sehr polemischen Weise,
die Union, was Ihr gutes Recht ist, aber Sie tun das an
einem Tag, an dem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement vor dem Untersuchungsausschuss im
Hinblick auf die Flugaffäre ganz schön ins Schwimmen
gekommen ist.
({10})
Ich möchte Ihnen deswegen den Vorschlag machen,
dass wir - das halte ich für sehr erforderlich - darüber
reden, wie man solche Entwicklungen künftig verhindern kann, wie man vor allem im Gesetz Vorkehrungen
treffen kann, dass so etwas nicht wieder vorkommt.
Wenn der Schatzmeister eines Ortsverbandes einen
Rechenschaftsbericht abgibt, dann mag es immer wieder
mal zu Fahrlässigkeiten kommen - ich vermute, bei jeder Partei. Bei Tausenden von Schatzmeistern ist das der
Fall. Das ist nicht das Problem. Aber wenn jemand vorsätzlich, absichtlich in erheblichem Umfange und anhaltend gegen das Transparenzgebot der Verfassung verstößt, dann ist das ein Problem. Dann müssen wir darüber reden, ob das ohne persönliche Konsequenzen
bleiben kann oder ob das Parteiengesetz bei derartigen
systematischen Verstößen nicht strafbewehrt werten
muss. Das ist die Frage, die der Bundestag zu beantworten hat.
({11})
Ich habe, offen gestanden, herzlich wenig Verständnis dafür, dass hier von interessierter Seite der Eindruck
erweckt wird, als könne man sich mit 6 Millionen DM
seiner Verpflichtungen entledigen. Das ist nicht der Fall.
Nicht mit 6 Millionen DM, nicht mit 60 Millionen DM
und nicht mit 180 Millionen DM kann man sich von der
Verfassung in irgendeiner Weise distanzieren. Man hat
sich daran zu halten, egal, welche Freunde man hat,
egal, wie reich die Freunde sind.
({12})
Aber ich sage Ihnen genauso klar: Es ist wie ein
Stück aus dem Tollhaus, dass die Ministerpräsidentin
des Landes Schleswig-Holstein die Spendensammelaktion zugunsten der Union mit einem Boykottaufruf gegen einen industriellen Spender kommentiert.
({13})
Dies ist in meinen Augen ein Akt der Intoleranz,
({14})
ein Akt, der nicht von demokratischer Kultur zeugt.
({15})
Ich finde, dass Herr Maucher eine Entscheidung getroffen hat, die er für sich -
Herr Kollege, Sie
sind weit über die Redezeit.
- ich bin beim
letzten Satz, Frau Präsidentin - zu verantworten hat. Es
ist sein Bürgerrecht zu entscheiden, ob er sie für richtig
hält oder nicht. Aber wenn jetzt jedes Mal eine Partei einen Boykottaufruf gegen einen Bürger unterschreibt,
weil dieser eine andere, konkurrierende Partei unterstützt,
({0})
ist das das Ende der politischen Kultur. So etwas sollte
in diesem Hause nicht Einzug halten.
({1})
Jetzt hat das Wort
der Kollege Roland Claus, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die PDS hat diesen
Finanzskandal bisher mit sehr viel Sachlichkeit,
gebotener Fairness und auf jeden Fall ohne Häme
begleitet. - Manche von uns - nicht ich - meinen, dies
sei zu viel der Sachlichkeit, zu viel der Fairness. - Aber
eines muss klargestellt werden: Das bedeutet nicht, dass
sich die PDS an einer öffentlichen Irreführung beteiligt.
Denn es ist öffentliche Irreführung, was die Christlich
Demokratische Union hier mit uns treibt. Damit meine
ich nicht Helmut Kohl, sondern die CDU.
({0})
In Bezug auf uns haben Sie es sich - im Übrigen
nicht nur die CDU - ziemlich leicht gemacht. Sie haben
gesagt: Das geht die PDS nun wirklich nichts an. Das ist
unser Geld, um das es hier geht. - Ich hoffe, dass das in
letzter Konsequenz stimmt.
Was den Streit um die Zulässigkeit dieser Debatte
anbetrifft, müssen wir feststellen: Es kann nicht hingenommen werden, dass Sie hier erklären, das sei Sache
der CDU oder gar Privatsache von Helmut Kohl. Den
Schaden, den Sie der Demokratie in diesem Lande zufügen, bekommen wir doch alle ab, und zwar, so glaube
ich, in Ostdeutschland noch stärker als in den alten Bundesländern. Diesen Schaden können wir letztendlich nur
gemeinsam beseitigen. Denn eines steht fest: Auf so viel
Unrecht ist das geltende Recht nicht vorbereitet. Deswegen gibt es doch diese vielen Fragezeichen.
({1})
Eines will ich Ihnen deutlich sagen: Sie können mit dem
Parlament nicht das veranstalten, was Helmut Kohl mit
Ihnen veranstaltet. Deshalb können Sie die Zulässigkeit
dieser Debatte hier nicht infrage stellen.
({2})
Nun ist in der CDU von einem Neuanfang die Rede.
Ihr vermeintlicher Neuanfang wird ohne eine wirkliche
Kritik des Rechts- und Verfassungsbruchs unternommen. Denn das ist das eigentliche Problem; darauf ist
hier schon ausdrücklich hingewiesen worden. Sie werden nicht von der SPD oder von anderen Parteien hier
im Hause verunglimpft; das können Sie selber sehr viel
besser. Sie sollten diesen Verfassungs- und Rechtsbruch
ernsthaft eingestehen, ehe Sie über so etwas wie einen
Neuanfang sprechen. Deshalb betone ich: Mit diesem so
genannten Neuanfang wird kein Gras über die Sache
wachsen. Allenfalls verschleiern und vernebeln Sie damit. Sie wollen die Angelegenheit dorthin bringen, wo
sie herkommt: in den Spendensumpf. Sie haben den
Neubau CDU in den Sumpf gesetzt. Das wird sich, denke ich, noch rächen.
({3})
Die Frage ist, warum Sie so handeln. Das Signal, das
von Ihrer Basis kommt, lautet ja offenbar: Nun ist es genug! Mehr wollen wir nicht wissen! Einige bei Ihnen tönen sogar, man müsse jetzt den Kampfanzug an- und das
Büßerhemd ausziehen. Angesichts dessen kann ich nur
feststellen: Wem solche Töne herausrutschen, bei dem
ist der Stahlhelm unter die Hirnschale geraten.
({4})
Wenn Sie uns mit der Botschaft kommen: „Aufklärung
war gestern; jetzt geht es zur Sache“, dann kann man
darauf nur antworten: Das ist im wahrsten Sinne des
Wortes Flick-Schusterei.
Trotzdem bleibt die spannende Frage: Warum verhält
sich die CDU so, wie sie sich verhält? Sie merkt wohl,
dass Kohl viele Anhänger hat. Kohl bleibt Kohl, aber
Kohl ist damit nicht allein. Das Hauptproblem, das hier
schon angesprochen wurde, ist, dass die Logik des kalten Krieges fortgesetzt wird, wonach der Zweck alle
Mittel heiligt.
Ich möchte daran erinnern, wie Helmut Kohl diesen
Rechtsbruch im Zweiten Deutschen Fernsehen erklärt
hat. Er musste sich ja irgendetwas ausdenken, dass ihm
das Ganze schwer übel genommen werden würde, war
ihm klar -, was plausibel klang, damit ihm das Ganze
abgenommen wird. Da hat er von einer vermeintlichen
Übermacht der PDS im Jahre 1993 gesprochen Das
stimmt an keiner Stelle, sondern hat nur damit zu tun,
dass ihm das, was vor 1993 war, nicht mehr erinnerlich
ist. - Er hat diesen Hinweis auf die PDS bemüht, um zu
signalisieren: Der Kampf gegen die PDS bzw. den
Kommunismus rechtfertigt alle Mittel. - Das ist das eigentliche Problem, das wir angehen müssen und bei dessen Lösung Chancen bestehen.
So bleibt es für Sie bei dem unsäglichen Prinzip:
Geld statt Wahrheit. Angesichts dessen muss ich Sie
fragen: Was ist das anderes als Ablasshandel?
In Ostdeutschland werden wir mit den Folgen dieses
Skandals länger zu tun haben als in Westdeutschland.
Sie sollten daran denken, dass jeder Hausmeister, der
den Beamtenstatus erhielt, auf das Grundgesetz schwören musste. Zur gleichen Zeit hat der damalige Kanzler
Recht und Verfassung gebrochen. In diesem Zusammenhang wird in Ostdeutschland oft auch ein Systemvergleich angestellt, den ich hier aber nicht leisten kann.
Ich stelle zum Schluss fest: Die PDS bleibt bei ihrem
Grundsatz: Wir wollen Anerkennung durch eigene Leistung erringen und nicht aufgrund des Schadens anderer.
Wer das nicht glaubt, dem sagen wir: Den öffentlich organisierten Nachweis dafür haben wir angetreten, und
zwar mit einem Wahlergebnis von knapp 1,4 Prozent in
Schleswig-Holstein.
Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns gemeinsam die vorhandenen Chancen, die diese Krise bietet, nutzen! Lassen Sie uns darüber reden, wie man diese verwerfliche
Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Geld überwinden kann! Unsere Fraktion wird im April mit der Einbringung eines Änderungsgesetzes zum Parteiengesetz
einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, über den sich
reden lässt. Die darin liegenden Chancen können aber
erst genutzt werden, wenn wir uns darüber klar sind,
wenn sich auch die Union darüber klar ist, dass ein
Grundsatz gelten muss: Schluss mit dem kalten Krieg in
den Köpfen!
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Susanne Kastner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die unendlichen Finanzgeschichten
der CDU, die täglich neuen Klagen über die selbstverschuldete Armut und die dadurch auftretende Sammelleidenschaft des Herrn Kohl sind meines Erachtens an
Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten.
({0})
Herr Kollege Repnik, ich muss Ihnen an dieser Stelle
sagen: Normal ist an dieser Situation überhaupt nichts.
Statt sich zusammenzusetzen, einen auf die neue Lage
abgestimmten Finanzplan aufzustellen und sich von der
Sammelleidenschaft Ihres Altbundeskanzlers zu distanzieren, ist in Pressemitteilungen und Äußerungen seitens
der Union immer nur von dem schweren Los der CDU
die Rede. Mir treibt dies mit Sicherheit nicht Tränen in
die Augen.
({1})
Vielmehr bekomme ich wie viele Bürgerinnen und Bürger, sicherlich auch wie viele hier im Saal, angesichts
dieses Ablasshandels schlicht und einfach einen dicken
Hals, und zwar gegenüber denen, die für einen solchen
Zweck spenden, und gegenüber demjenigen, der diese
Spenden sammelt und weitergibt, um von seiner Partei
eines Tages doch wieder in die Arme genommen zu
werden.
Ich komme wie viele Kolleginnen und Kollegen, von
denen sich einige auch im Saal befinden, von einem eintägigen Besuch aus dem Kosovo zurück. Ich habe den
Erlös des SPD-Fraktionsfestes in Bonn für den Aufbau
einer Schule in Korisa und für den Wiederaufbau von
Häusern in Greifkovce an die dortige Bevölkerung weitergeben dürfen; denn wir haben im letzten Sommer
ein - erfolgreiches - Fest ausgerichtet, um mit dem Erlös der Bevölkerung im Kosovo, die unter den Folgen
des Krieges litt und noch leidet, helfen zu können.
({2})
Ich habe miterleben dürfen, wie dankbar die Kinder
und Erwachsenen eines so geschundenen Landes für
diese Spendengelder sind - Spendengelder für eine bessere Zukunft, für die Möglichkeit, dass Kinder wieder
eine gute Schulbildung bekommen, und für die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in diesem Land.
({3})
Und ich sage in diesem Zusammenhang: Ich bin stolz
darauf, dass es für die SPD-Bundestagsfraktion eine
Selbstverständlichkeit war, diesen Anlass zu nutzen, um
Spenden für den Wiederaufbau eines Landes zu sammeln, für das wir in der Tat eine besondere Verantwortung tragen.
({4})
- Ja, Herr Grund, das musste einmal gesagt werden. Ich
erkläre Ihnen auch gleich den Zusammenhang:
({5})
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, werter
Herr Grund, ist das richtige Ziel einer großen Spendensammelaktion, nicht eine Sammlung, die dem Eigennutz, dem Selbsterhaltungstrieb einer Person und einer
Partei gewidmet ist, wie es uns im Laufe der letzten
Woche vorgestellt wurde.
Wir alle miteinander wissen - und sind uns sicher
darüber einig -, dass in unserer Demokratie die Parteien
eine besondere und herausgehobene Stellung haben und
dass aus diesem Grund eine ausgewogene Parteienlandschaft sehr wichtig ist. Ich bin deshalb auch nicht gegen
Spenden an Parteien, wenn diese im Rahmen des Gesetzes bleiben. Man sollte aber bitte nicht so tun, als wäre
die Ausgewogenheit zwischen den Parteien - und damit
unsere Demokratie - durch den jetzigen Zustand der
CDU massiv gefährdet. Das ist schlichtweg falsch und
die Bürgerinnen und Bürger wissen dies auch.
Ich habe bei meinen Gesprächen in Korisa erfahren,
dass allein dort bis zum nächsten Winter noch 1 500
Häuser winterfest gemacht werden müssen, und zwar für
die Familien, die noch bis heute bei Freunden und Bekannten Unterschlupf gefunden haben. Ich habe erlebt,
dass die Bundeswehr mit hohem menschlichen Engagement das Ihrige für den Wiederaufbau tut. Aber auch die
Bundeswehr kann ohne vernünftig eingesetztes Geld nur
wenig tun.
({6})
Deshalb möchte ich diejenigen in der Wirtschaft und in
den Medien, die so viel Geld für Spenden übrig haben,
auffordern, diese Mittel in Projekte und Länder zu lenken, die es bitter nötig haben.
({7})
Wenn Herr Kohl so viele Menschen kennt, die so viel
Geld übrig haben, wäre es wirklich schön, wenn er seine
Energie darauf verwenden würde, dass dieses Geld den
Menschen gespendet wird, deren Leben durch Umweltkatastrophen und Kriege bedroht ist.
({8})
So, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, würde der lädierte Ruf der Union sicher viel schneller wieder besser werden.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf,
diese unwürdigen Spendensammlungen zu beenden. Als
Vertreter einer christlichen Partei sind Sie sicher in der
Lage, den Spruch aus der Apostelgeschichte richtig zu
interpretieren, in der es heißt:
Geben ist seliger denn Nehmen.
Sie haben in der Vergangenheit oft genug genau umgekehrt gehandelt,
({10})
nämlich nach dem Motto: „Nehmen ist seliger denn Geben.“ Es ist wirklich an der Zeit, dass Sie Ihr Verhalten
ändern.
({11})
Wenn Sie einmal im Duden zu diesem Spruch nachschlagen, können Sie dort lesen, dass man das ironisch
zu jemandem sagt, der über einen übergroßen Egoismus
verfügt.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Vielleicht denken Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union,
einmal darüber nach.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in
dieser Aktuellen Stunde um den Tatbestand, dass der
Altbundeskanzler in den Jahren 1993 bis 1998 anonyme
Spenden in Höhe von 2,1 Millionen DM gesammelt hat.
Diese hätte er normalerweise an das Präsidium des Bundestages weiterleiten müssen, so schreibt es das Parteiengesetz vor. Das hat er aber nicht getan, sondern er hat
dieses Geld für die Parteiarbeit eingesetzt und damit gegen ein wichtiges Gesetz verstoßen. Er hat sich dafür
entschuldigt. Er will mit dieser Spendenaktion einen
Beitrag dazu leisten, den finanziellen Schaden - nur um
diesen kann es gehen - für die Union auszugleichen.
Das Ergebnis dieser Spendenaktion ist Ihnen bekannt:
Bisher haben über 30 Persönlichkeiten mehr als
6 Millionen DM gespendet. Das ist sicher ein beträchtlicher Geldbetrag. Diese Aktion hat - das hat die bisherige Diskussion gezeigt - in der Öffentlichkeit und auch
hier im Hause - das kann nicht überraschen - unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.
Bevor ich darauf eingehe, will ich zunächst einmal
von dieser Stelle aus ein herzliches Dankeschön an Dr.
Kohl sagen.
({0})
Nicht zuletzt als Landesschatzmeister meiner Partei finde ich es beeindruckend, dass das Ehepaar Kohl aus eigenen Mitteln 700 000 DM dazugegeben hat. Das ist
selbst für einen Altbundeskanzler viel Geld.
({1})
- Wenn Sie sich ein bisschen beruhigt haben, sage ich
von dieser Stelle den Spendern ein besonderes Dankeschön.
({2})
Politische Parteien - ich glaube, darin stimmen wir in
diesem Hause überein - sind tragende Säulen unserer
parlamentarischen Demokratie.
({3})
Alle Parteien - das zeigen die Rechenschaftsberichte brauchen Spenden. Insofern sind Spenden ein Beitrag
zur Stabilisierung unserer demokratischen Ordnung.
Sie haben hier gesagt, Sie wollten den Bundeskanzler
fair behandeln. Jetzt höre ich, er wolle nur seine Haut
retten.
({4})
Sie sprechen von „Peinlichkeiten“. Ich kann Herrn
Frank Hofmann zitieren, der gesagt hat, es handele sich
bei dieser Spendenaktion um eine „Beleidigung für jeden ehrbaren Bürger“. Dazu kann ich nur sagen: Das ist
eine peinliche Reaktion Ihrerseits.
Die Spitze der Peinlichkeit
({5})
- der Kollege Westerwelle hat schon darauf hingewiesen - ist wieder einmal die Ministerpräsidentin aus dem
schönen Land Schleswig-Holstein, aus dem ich komme.
({6})
Ihr Aufruf - ich zitiere wörtlich, was sie in einer Zeitung
gesagt hat - lautet: Genossen, gebt euren Kindern was
anderes zu essen! In den Regalen gebe es auch Babykost
anderer Hersteller. - Ich meine, sie sollte sich dafür in
aller Öffentlichkeit entschuldigen.
({7})
Wer im Glashaus sitzt, sollte vorsichtig sein.
({8})
Mir kam eine ZDF-Meldung auf den Schreibtisch; einige kennen sie. Ich verlese sie:
Die SPD gerät wegen der Parteispenden in der Ära
Helmut Schmidt in Erklärungsnot.
({9})
- Darf ich weiterlesen? Das ist eine ZDF-Meldung.
({10})
Alfred Nau, der ehemalige SPD-Schatzmeister, sammelte für den Wahlkampf von Schmidt 7,6 Millionen DM.
({11}).
Im Rechenschaftsbericht von 1982 werden die Spender nicht namentlich ausgewiesen,
({12})
ein Verstoß gegen das damalige Parteiengesetz.
({13}).
- Sobald Sie mit Ihrem Brüllen, was bekanntlich kein
Beweis für gute Argumente ist, fertig sind, werde ich
weiter zitieren.
({14})
In der ZDF-Meldung heißt es, das sei ein Verstoß gegen das damalige Parteiengesetz von 1967. Der Staatsrechtler Professor Hufen wird zitiert mit der Aussage:
Wenn ein Rückerstattungsanspruch besteht, das wird zurzeit geprüft, wie das Präsidium
mitgeteilt hat - dann verjähren die Ansprüche
erst nach 30 Jahren. Das war 1982. Seien Sie
also vorsichtig, meine Herren!
({15})
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich kann dem Chefredakteur des „Focus“ nur zustimmen -
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Wir sind in der Aktuellen Stunde.
Ich habe aber nicht
fünf Minuten geredet, Frau Präsidentin.
Es tut mir Leid, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Dann komme ich zum
Schluss und erkläre: Die Spendenaktion des AltBundeskanzlers verdient Respekt. Natürlich kann sie
Geschehenes nicht ungeschehen machen, sie ist aber ein
konstruktiver Beitrag zu einem schwierigen Thema.
Danke schön.
({0})
Jetzt hat das Wort
Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist richtig und notwendig, um zunächst einmal auf ein etwas eigenartiges Zusammentreffen verschiedener Zufälle hinzuweisen. Die
zukünftige Bundesvorsitzende der Christlich Demokratischen Union stellt sich in die Öffentlichkeit und sagt:
Wir müssen einen Neuanfang machen, das Alte wird abgeschlossen, das Kapitel Spendenaffäre können wir
schließen.
Zufällig erklärt zur gleichen Zeit der Ex-Kanzler
Helmut Kohl in einer Pressekonferenz, er habe nun über
6 Millionen DM gesammelt, er werde dieses Geld an die
CDU abführen und damit könne die Sache beendet werden.
Der Kollege Schmidt schämt sich nicht, in einem Interview zu erklären, dass der Abgeordnete Ströbele von
den Grünen und SPD-Abgeordnete den Zeugen aus
Bayern, den rechtschaffenen Staatsanwalt Maier, in seiner Zeugenaussage beeinflusst hätten. Das sollen wir getan haben.
({0})
Nun zu den Zeugen, die als nächste vor den Untersuchungsausschuss geladen sind: Herr Lüthje ist krank.
Herr Schreiber, der noch vor ein paar Tagen erklärt hat,
er wolle alles vor dem Untersuchungssausschuss sagen,
er wolle aus Kanada herkommen oder seine Aussage
vielleicht über Video in die Bundesrepublik tragen, sagt
nun, er wolle vor dem Ausschuss nicht aussagen.
Und der Zeuge, der morgen gehört werden soll, Herr
Weyrauch, der noch bis vor wenigen Tagen erklärt hat,
er wolle endlich im Untersuchungsausschuss gehört
werden und umfassend alles auf den Tisch legen, lässt
uns durch seinen Anwalt mitteilen, er wolle nicht aussagen, er mache von seinem Aussageverweigerungsrecht
Gebrauch.
({1})
Am gleichen Tag, an dem dies erklärt wird, erhalten
wir endlich die Erklärung der CDU, dass Herr Weyrauch
von seiner Verschwiegenheitspflicht als Steuerberater
befreit ist. Sobald Sie sicher sein können, dass er keine
Aussage machen wird, erklären Sie: Jetzt befreien wir
ihn von der Verschwiegenheitspflicht. - Dieses eigenartige Zusammentreffen von Zufällen deutet darauf hin:
Sie wollen keine Aufklärung, Sie wollen dieses Kapitel
abschließen und die Arbeit des Untersuchungsausschusses durch immer neue Anträge auf Aktenbeiziehung
unmöglich machen.
({2})
Ich sage Ihnen: Damit kommen Sie bei uns nicht
durch! Wir werden die Arbeit in dem Untersuchungsausschuss erheblich beschleunigen. Wir werden an mehreren Tagen in der Woche verhandeln, wir werden in
den Ferien verhandeln und wir werden bis abends verhandeln. Wir werden bis zum Sommer ein erstes Ergebnis der Spendenaffäre der CDU vorlegen. Wir wollen
die Fakten auf den Tisch haben. Wir wollen Ihnen nicht
durchgehen lassen, dass Sie versuchen, sich in der Öffentlichkeit wieder als die Partei von „law and order“
mit Forderungen nach Videoüberwachung von Straßen
und Plätzen in ganz Deutschland zu profilieren. Wissen
Sie, was „law and order“ heißt? - Gesetz und Recht! Sie
als Partei von Gesetz und Recht - bei diesem ehemaligen Vorsitzenden? Da machen Sie sich doch lächerlich.
({3})
Sie sollten Kameras für CDU-Geschäftsstellen fordern,
damit dort endlich Klarheit reinkommt.
({4}) [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Die Schatzmeisterei hätte
man überwachen müssen mit Kameras!)
- Bei der Schatzmeisterei vielleicht auch.
Bei meinen „Kofferstunden“, die ich abends in der Bundesrepublik abhalte, erzähle ich den Leuten, was sich
aus den Akten so zusammengesammelt hat. Ich verlange
von Ihnen, dass Sie mir und der Bevölkerung einmal erklären: Was halten Sie eigentlich davon, dass Ihre Vertrauenspersonen, auf die die Politik von Helmut Kohl
nach eigener Aussage aufgebaut war - Herr Weyrauch,
Herr Lüthje und Herr Kiep -, einfach feststellen, bei
dem Konto „Norfolk“, das angeblich der CDU gehört
hat, sind 1,5 Millionen Schweizer Franken übrig?
Was machen die drei ehrenwerten Herren? Sie
beschließen, das Geld untereinander aufzuteilen. Wer
hat das entschieden? - Herr Kiep! So steht es in dem Bericht, den Sie selber vorgelegt haben. Die CDU soll sich
dazu äußern, ob sie dies gut findet: Finden Sie das richtig? War der überhaupt dazu befugt? Wird das nachträglich gebilligt? Das sind Fragen, die sich die Bevölkerung
stellt. Wir wollen wissen, wie dies bei Ihnen gehandhabt
worden ist.
({5})
Dies gilt vor allen Dingen, nachdem dasselbe Trio
kurz vorher auch die 1 Million DM aus dem berühmten
Koffer aus der Schweiz unter sich aufgeteilt hat. Der eine kriegt 370 000 DM, der andere 370 000 DM plus
Mehrwertsteuer und der dritte bezahlt damit seinen
Rechtsanwalt in Höhe von 340 000 DM. Das haben die
unter sich entschieden. Das war angeblich CDU-Geld.
Das müssen Sie einmal erklären: Ist das gebilligt worden? Wussten davon der CDU-Vorsitzende und der Generalsekretär nichts? Wie stehen Sie denn heute dazu?
Was sagt die Partei dazu? Ruft sie nach dem Staatsanwalt? Ruft sie nach Schadenersatz? Beantworten Sie
diese Fragen, die man in der Öffentlichkeit stellt!
({6})
Ich will einen letzten Punkt anführen. Sie haben hier
neue Zeitungsartikel und neue Meldungen aus der Presse
zitiert, mit denen Sie diese alten Kamellen herholen wollen. Was 1976 vielleicht mit Herrn Nau gewesen ist,
können wir auch aufklären.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Nur dieses noch, ein letzter Satz. Klären wir
doch erst einmal auf: Warum hat eigentlich die hessische CDU aus Spendengeldern, die in der Schweiz waren und an sie zurückgeflossen sind, 45 000 DM an die
Staatsbürgerliche Vereinigung Bayern gezahlt? Waren
das Zinsen? Was war das eigentlich? Damit sind wir bei
der CSU. Ich denke, der Untersuchungsausschuss hat bis
zum Ende der Legislaturperiode zu tun, um Licht in dieses Dunkel der Union zu bringen - und zwar ohne Videokameras.
({0})
Jetzt hat Kollege
Andreas Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die hier in Rede stehende Spendenaktion ist völlig legal.
Sie entspricht den Gesetzen. Sie ist auch legitim.
Der eigentliche Skandal bei dieser Frage ist, dass Sie
versuchen, diese Debatte dazu zu nutzen,
({0})
um anständige Menschen in Deutschland, die etwas gespendet haben - was den Gesetzen entspricht -, hier zu
kriminalisieren. Dies ist, meine Damen und Herren, der
eigentliche Skandal in dieser Debatte.
({1})
Das Kalkül, das Sie mit dieser Kriminalisierung verfolgen, ist völlig klar: Sie wollen der CDU die finanzielle Basis entziehen,
({2})
um das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien in
Deutschland zu zerschlagen.
({3})
Dies ist ein niederträchtiges Motiv, das hier auch einmal
öffentlich so benannt werden muss, meine Damen und
Herren.
({4})
Es wird bei dieser Debatte höchste Zeit, dass wir die
doppelte Moral, die Heuchelei, die auf Ihrer Seite immer
mehr Fuß fasst, hier auch einmal zur Sprache bringen.
Ich will das an drei Punkten exemplarisch deutlich machen.
({5})
Der erste Punkt bezieht sich auf Sie, Herr Kollege
Ströbele. Sie stellen sich hier als Vertreter von Recht
und Ordnung hin und erzählen in jedem Interview - wie
Ihre Partei es auch sonst immer tut -, dass derjenige, der
gegen ein Gesetz verstößt, zum Beispiel gegen ein Parteienfinanzierungsgesetz, sein Mandat verlieren soll.
Dies ist Ihre Forderung, die Sie - genauso wie andere
aus Ihrer Partei - in jedem Interview erheben.
({6})
Dann sagen Sie der Bevölkerung bitte auch, dass Sie
durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung - das war die
Baader-Meinhof-Bande - rechtskräftig zu zehn Monaten
Haft verurteilt worden sind. Wenn Sie solche Forderungen aufstellen, dann gehen sie zuerst an Sie. Dann geben
bitte zuerst Sie Ihr Mandat zurück, Herr Kollege
Ströbele.
({7})
Der zweite Punkt hinsichtlich der doppelten Moral in
dieser Debatte betrifft Kollegen Müntefering. Meine
Damen und Herren, ich halte es schlichtweg für unerträglich, wie Kollege Müntefering im Fernsehen als Hüter von Wahrheit, Moral und Anstand in dieser Frage
auftritt. Es ist nämlich der Kollege, der hier von uns
Aufklärung verlangt und gleichzeitig als Landesvorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen alles tut, um die
Aufklärung des Finanzskandals der SPD in NordrheinWestfalen zu verhindern und zu hintertreiben.
({8})
Jetzt schaue ich den Kollegen Struck an. Sie werden
sich genau erinnern, dass - wenn es um die Frage der
Wahrheit geht - auch der Kollege Müntefering ein konkretes Problem aus jüngster Vergangenheit hat. Er hat
nämlich am 25. Februar 1998 vor der Presse eingestehen
müssen, dass er bezüglich des Termins der Benennung
des Kanzlerkandidaten damals bewusst die Unwahrheit
gesagt hat.
({9})
Er hat dann gesagt, man müsse die richtigen Dinge zum
richtigen Zeitpunkt machen. Er hat sich nicht einmal
entschuldigt.
Herr Kollege Struck, ich weiß nicht, ob Sie persönlich sich erinnern, wie Sie diesen Vorgang - damals als
Parlamentarischer Geschäftsführer; hier kommt wieder
die Doppelmoral zum Vorschein - in einem Interview
des Deutschlandfunks am 26. Februar 1998 kommentiert
haben. Hören Sie gut zu - Originalton Peter Struck -:
Ein Bundesgeschäftsführer muss einmal auch entgegen seinen eigenen Erkenntnissen etwas verkünden, das
nicht ganz der Wahrheit entspricht, wenn es der Partei
dient.
({10})
Wer so redet, sollte hier beim Thema Wahrheit nicht den
moralischen Zeigefinger gegen die Union richten.
Der dritte Punkt betrifft das Thema Transparenzgebot. Wir haben, was Hessen betrifft, massiv gegen das
Transparenzgebot verstoßen. Das sehen wir so, da sind
wir selbstkritisch, dafür müssen wir die Konsequenzen
tragen.
({11})
Das ist völlig unbestritten.
Aber auch die Sozialdemokraten verschleiern seit
Jahrzehnten ihre wahren Vermögensverhältnisse.
({12})
Frau Kollegin Wettig-Danielmeier hat die wahren Vermögensverhältnisse in den letzten Jahrzehnten immer
verschleiert,
({13})
weil nämlich die Beteiligungen an den Verlagen und
Zeitungen mit einer Summe angegeben worden sind, die
dem realen Wert nicht entspricht.
({14})
Der reale Wert Ihres Vermögens ist um ein Vielfaches
höher als der Wert, der im Rechenschaftsbericht Ihrer
Partei ausgewiesen ist.
Andreas Schmidt ({15})
({16})
Wir werden über dieses Thema - das will ich hier ankündigen - auch im Untersuchungsausschuss zu sprechen haben.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr
dafür, dass wir die Aufklärung weiter vorantreiben.
({18})
Ich bin auch sehr dafür, dass wir uns zu unseren Verfehlungen bekennen und bereit sind, die Konsequenzen
zu tragen. Nur, es ist an der Zeit, dass wir alle Parteien
nach den gleichen Maßstäben bewerten.
Es ist höchste Zeit, dass Sie weniger mit dem moralischen Zeigefinger auf uns zeigen und mehr vor Ihrer eigenen Haustür kehren.
Herzlichen Dank.
({19})
In der Aktuellen
Stunde zum Thema „Bundespolitische Auswirkung der
neuerlichen Parteispendensammelaktion“ hat nun der
Kollege Dieter Wiefelspütz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Tiefstand der parlamentarischen Debatte
({0})
hat einen Namen: Er lautet Bernhardt.
({1})
Ich bin wirklich bestürzt, Herr Kollege Repnik, dass
Sie solche Redebeiträge ermöglichen.
({2})
Hier tritt jemand ans Mikrofon, der sich ausdrücklich
({3})
- hören Sie doch bitte einmal zu! - bei demjenigen bedankt, der auf ganz nachhaltige Weise dem Ansehen, ja
der Glaubwürdigkeit Ihrer Partei Schaden zugefügt hat,
und zwar nicht nur Ihrer Partei,
({4})
sondern uns allen, allen demokratischen Politikern. Sie
sollten sich Ihres Beitrages schämen, Herr Bernhardt.
({5})
Ich finde Ihr Rechtsbewusstsein, das Sie hier zum Ausdruck bringen, entsetzlich.
Diese Debatte ist von großer Bedeutung. Ich bin - das
muss ich Ihnen freimütig sagen - bestürzt über das
Rechtsbewusstsein, das sich in manchen Debattenbeiträgen offenbart. Ich komme auch auf Ihren Redebeitrag
zurück, Herr Westerwelle, weil Sie nach meiner Meinung gut beraten wären, noch einmal über manche Formulierung genauer nachzudenken. Ich habe den Eindruck, nein, ich habe die Gewissheit, dass die CDU/CSU
in einer nachhaltigen Glaubwürdigkeitskrise ist, aus der
Sie nur dann herauskommen, wenn Sie bereit sind, den
Sumpf, in dem Sie sich verirrt haben, auszutrocknen.
Das wird nicht schmerzfrei möglich sein. Wir werden
Ihnen auf die Finger schauen, wie Sie das machen. Wir
werden es nicht zulassen, dass Sie sich durch den Nebeneingang davonstehlen, wie Sie es immer wieder aufs
Neue versuchen.
({6})
Wir haben festzustellen, dass Teile Ihrer Fraktion das ist auch heute zum Ausdruck gekommen - ein gestörtes Rechtsbewusstsein haben. Ich möchte das belegen: Als der Bundestagspräsident in korrekter Amtsausübung verkündete, von der CDU 41 Millionen DM zurück zu verlangen, haben Sie im Vorfeld versucht,
Druck zu machen, nach dem Motto: Der Täter bestimmt
die Höhe der Strafe. In welchem Land leben wir, wo der
Täter die Höhe der Strafe bestimmt!
({7})
- Herr von Klaeden, natürlich ist das keine Strafe. Ich
habe das im übertragenen Sinne gemeint.
({8})
- Hören Sie doch bitte einmal zu! Dies ist eine ernsthafte Debatte. Ich hoffe, sie wird von vielen Menschen
wahrgenommen.
Wie geht es weiter? In dieser Frage möchte ich mich
auch auf den Beitrag des Kollegen Westerwelle beziehen. Sie haben gesagt, die Spendenaktion - das ist das
Thema dieser Debatte - sei völlig in Ordnung. Ich bitte
Sie einmal, über die Konsequenzen nachzudenken: Da
macht jemand etwas, was gegen Recht und Gesetz ist.
Das räumen Sie ein. Dieser finanzielle Schaden - darüber rede ich jetzt - muss wieder gutgemacht werden.
Das ist auch in Ordnung. Aber wollen Sie sich dabei von
anderen helfen lassen?
({9})
Da wird jemand als Täter erwischt und lässt sich die
Strafe von anderen bezahlen.
Andreas Schmidt ({10})
({11})
Das ist Ausdruck eines gestörten Rechtsbewusstseins.
Das stört nachhaltig den Rechtsfrieden.
({12})
Wir bestrafen heute in Deutschland Ladendiebe.
({13})
Wir bestrafen Menschen, die auf der Straße zu schnell
fahren - und Sie akzeptieren, dass die Strafe von anderen bezahlt wird! Herr Westerwelle, ich bitte Sie herzlich, über die moralische Dimension dessen, was Sie für
richtig gehalten haben, noch einmal nachzudenken.
({14})
Das ist nämlich nicht in Ordnung. Die Bürger haben
nicht Ihr gestörtes Rechtsbewusstsein. Sie merken, dass
sich jemand durch die Hintertür davonmachen will.
Natürlich ist es legitim und legal, Spenden zu sammeln. Aber Spenden, um die eigene Tat wieder gutzumachen?
({15})
Wenn Sie das für richtig halten, werden Sie eines Tages
verschwinden. Sie werden Ihre Glaubwürdigkeit nie
wieder zurückbekommen. Ich sage das mit großer
Ernsthaftigkeit und ohne Schadenfreude. Wir haben kein
Interesse daran, dass sich die CDU/CSU selber vor die
Wand fährt.
({16})
Sie haben es selber in der Hand, dies zu korrigieren.
Aber mit dieser Art von Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit, die Sie an den Tag legen, wird es nicht gelingen. Herr Repnik, Ihre Rede triefte in Teilen vor
Selbstmitleid.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Sie werden dadurch Ihre
Glaubwürdigkeit nicht zurückerlangen.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Friedhelm Julius Beucher, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbesondere wenn ich
an den Redebeitrag des Kollegen Schmidt denke - teilweise auch an den des Kollegen Repnik -, frage ich
mich: Ist es eigentlich Hilflosigkeit, Dreistigkeit oder
rotzfrech, wie wir es von Ladendieben kennen, wie Sie
hier argumentieren?
({0})
Haben Sie wirklich nicht die bundespolitischen Auswirkungen dieser zweiten Kohlschen Spendenwelle bemerkt, mithilfe von Michael Holm über Dieter-Thomas
Heck bis zum Uschi-Glas-Freundeskreis?
({1})
Ich sage Ihnen: Anstatt hier lauthals zu tönen, sollten Sie
über den fast schon nicht mehr reparablen Schaden am
Rechtsempfinden der Menschen draußen im Lande, den
Sie angerichtet haben, nachdenken.
Egal um welche Umfragen es sich handelt - Kollege
Schmidt hat darauf hingewiesen -: Über zwei Drittel der
Bevölkerung wollen, dass Kohl, Kiep und Kanther
Schadenersatz leisten. Das ist einfach ein normales
Rechtsempfinden der Menschen. Wer Schaden verursacht, muss auch dafür aufkommen. Es gibt keine eigene
Kohl-Gerechtigkeit, wie Sie uns hier einreden wollen.
({2})
Macht und Geld haben offensichtlich bei Herrn Kohl
inzwischen die Sinne verstellt. Das kommt aber daher,
wenn man sich im Leben so viel mit Geld erkauft. Das
müssen ja, was die Pöstchen in der CDU angeht, einige
von Ihnen wissen.
({3})
- Das war ein Hinweis, damit auch die Leute draußen
einmal die Unverschämtheiten hören, die hier so unter
der Hand laufen.
Diese Spendensammelaktion ist neben einzelnen Absurditäten in diesem peinlichen Theater insbesondere
aus Ihrem Umfeld - dazu gehören vor allen Dingen diejenigen, die hier heute nicht sitzen und diese Debatte
still in ihrem Kämmerlein verfolgen -, ein konkreter
Angriff auf das Rechtsempfinden der Menschen.
({4})
Im Übrigen ist diese Sammelaktion auch ein sehr egoistischer Akts. - Kollege Wiefelspütz hat darauf hingewiesen: - : Kohl lässt sich von fremden Leuten den
Schaden bezahlen, den er materiell verursacht hat.
({5})
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es hier
nur um das Geld von nach 1993 geht. Was ist eigentlich
mit den Schwarz-Millionen vor 1993?
({6})
Von Frau Merkel wissen wir, dass Sie weiter mit der
Summe von 10 Millionen DM ungeklärter Herkunft zu
kämpfen haben. Bei Ihnen war der Geldfluss nach dem
Flick-Skandal offensichtlich nicht gestoppt. Dass Sie außerdem mit Ihren Schwarzgeldern auch den Staat betrogen haben, wird in der Debatte immer vergessen.
Es war nicht der Sinn des Parteiengesetzes, Verschleierungsmöglichkeiten für Großverdiener zu ermöglichen. Nein, Sie kippen hier offensichtlich rücksichtslos
das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung.
({7})
Dazu gehört auch der Skandal der verschwundenen
Akten im Kanzleramt, ebenso wie das Herumwerfen mit
den Provisionen und anderen Geldern in Millionenhöhe,
sei es bei Panzerdeals oder der Leuna-Privatisierung.
Diese Schmiergeldgeschichten werden wir trotz Ihrer
Verweigerungshaltung schon noch aufklären.
({8})
Jeder Bürger muss sich darauf verlassen können, dass
seine Geburtsurkunde beim Standesamt ebenso wie seine Rentenunterlagen bei seinem Versicherungsträger ordentlich geführt und aufbewahrt werden. Was für einen
normalen Beamten und Angestellten gilt, muss auch für
den Chef einer Ministerialbehörde gelten. Das muss man
einfach erwarten können.
Die Kohl/Bohl-Vertuschertruppe, unter deren Augen
zufälligerweise genau diese Akten aus dem Kanzleramt
verschwanden, die möglicherweise Aufschluss über die
Leuna-Affäre hätten geben können, muss sich öffentlich
für diesen lockeren Umgang mit dem Recht verantworten.
In diesem CDU-Skandal wird doch alles auf den
Kopf gestellt, ebenso wie die Vielfalt der angewendeten
Kniffe und Tricks bis hin zu kriminellen Machenschaften erschreckt und einfach anwidert.
({9})
Frau Krause findet in den Anzugtaschen des ehemaligen
Verkehrsministers 100 000 DM mit der Banderole einer
Schweizer Bank. Frau Hürland-Büning bekommt für
fragwürdigenin Klammern: ({10}) - Telefonate! - 8 Millionen DM und zahlt davon Provisionen an
Herrn Holzer, der Herrn Kohl dringendst ersucht, sich
im Leuna-Geschäft doch für Elf Aquitaine zu entscheiden. Herr Pfahls, Ihr ehemaliger Staatssekretär, der jetzt
mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, war ständig mit Kiep bei Bohl/Elf-Besprechungen im Kanzleramt dabei. Herr Koch muss kontinuierlich die Bilanzen
der CDU Hessen berichtigen.
Bei so viel Schwarzgeld ist es natürlich verständlich,
dass einem dunkel vor Augen wird und dabei letztlich
die Wahrheit durcheinander gerät.
({11})
Hören Sie mit Ihrer Nebelkerzenwerferei auf und tragen
Sie zur Aufklärung bei! Rufen Sie nicht lauthals nach
Klarheit, wenn Sie die Auskunftsverweigerer im Untersuchungsausschuss beklatschen.
({12})
Verlassen Sie sich darauf, dass Herr Weyrauch morgen
kommen muss. Selbst der stellvertretende Ausschussvorsitzende Herr Friedrichs hat sich nicht entblödet zu
entschuldigen, dass Herr Weyrauch morgen auf diese
Weise antritt.
Merken Sie sich das, meine Damen und Herren von
der CDU und der CSU, was ich Ihnen jetzt zum Schluss
sage, und sagen Sie es auch Herrn Kohl, den Sie jetzt
ebenso wie Herrn Schäuble - ich weiß gar nicht, ob er
sich auf diesem Platz wohl fühlen wird - auf die hinteren Bänke verbannt haben: Es gibt keine eigene KohlGerichtsbarkeit.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Die Gerichtsbarkeit in diesem Land gilt für alle Bürgerinnen und
Bürger. Das muss auch so sein.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPDFraktion führt hier ein Schauspiel auf.
({0})
Wie bei vielen Stücken dreht es sich um Macht und Moral. Wie bei den meisten dieser Stücke werden hehre
moralische Gesichtspunkte vorgeschoben, um zu verschleiern, dass es um die Macht und um sonst nichts
geht.
({1})
Sie wollen, dass die CDU dauerhaft aus dem politischen Wettbewerb ausscheidet,
({2})
um Ihr kümmerliches rot-grünes Projekt ungestört aufzupäppeln. Deshalb weisen Sie immer auf Hessen hin.
Auch da geht es nicht um Moral, sondern um die Bundesratsmehrheit, um nichts anderes.
({3})
Ihnen ist dazu nahezu jedes Mittel recht. Ihre Emp-
fehlungen, Herr Özdemir, können Sie sich wirklich spa-
ren.
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat
denn die Hessen-Wahl im vorigen Jahr ver-
fälscht? Wer war das denn?)
Frau Müller hat sich ähnlich verhalten, als sie nach Festsetzung der maßlosen 41 Millionen DM durch Herrn
Thierse meinte: „Die sollen jetzt nicht herumzicken“!
Wir werden uns aber nicht unserer Rechte begeben.
Die Entscheidung des Präsidenten ist für uns finanziell existenzbedrohend und juristisch zweifelhaft.
({4})
Entgegen der ursprünglichen Äußerung des Präsidenten
ist diese auch keineswegs einmütig von seinen Beratern
unterstützt und mitgetragen worden.
({5})
Es gab ernste Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung Thierses auch aus dem Kreis seiner Berater, was
aber die Öffentlichkeit nicht erfahren sollte.
({6})
Wir vertrauen hierbei auf die Überprüfung der Entscheidung Thierses durch unsere unabhängige Gerichtsbarkeit. Keinesfalls aber, Herr Özdemir, werden wir das
Schicksal und die Zukunft unserer großartigen Partei in
die Hände unserer politischen Gegner legen. Wir lassen
uns nicht wie Lämmer zur Schlachtbank führen.
({7})
Die Spendensammelaktion von Helmut Kohl für die
CDU hat verschiedenste Reaktionen ausgelöst, wie man
auch heute wieder beobachten kann. Wohltuend ist die
unaufgeregte Feststellung der „Rheinischen Post“:
Es ist nichts daran auszusetzen, dass honorige Bürger auf einwandfreie Weise einer Partei Geld zukommen lassen und dazu als Boten einen von ihnen
verehrten Staatsmann im Ruhestand wählen.
Besonders aufseiten von Rot und Grün überwogen
Zorn und Neid die Aussagen. Die schlimmste Entgleisung stammt zweifellos von Frau Simonis. Ich habe dafür nach historischen Vorbildern gesucht. Aus dem Geschichtsunterricht kann ich mich noch an Ausgaben von
Streichers „Stürmer“ erinnern. Daran erinnert mich das,
was ich da gehört habe. Das ist ein Skandal.
({8})
Ich fordere Frau Simonis auf -
Einen Moment, Herr
Kollege!
Ich fordere Frau
Simonis von dieser Stelle aus auf, dies zurückzunehmen
und sich dafür zu entschuldigen.
Herr Kollege, ich
unterbreche Sie und erteile Ihnen wegen des von Ihnen
gebrauchten Vergleichs einen Ordnungsruf. Sie sollten
wirklich zur Sache zurückkehren.
({0})
Entlarvend war
übrigens der Zusammenhang, in dem ihr die Entgleisung
passierte.
Herr Kollege, Sie
sollten sich entschuldigen; das würde uns allen gut tun.
({0})
- Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben nicht das Wort.
Das Wort hat der Kollege, dem ich noch einmal Gelegenheit gebe, sich zu entschuldigen. Dann können wir in
der Debatte fortfahren.
Frau Präsidentin,
wenn Sie diesen Vergleich für unangebracht halten,
({0})
dann beuge ich mich Ihnen und nehme das zurück.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir es im Augenblick bewenden. Herr Kollege, Sie haben weiter das Wort.
Diese Entgleisung ist Frau Simonis vor dem SPD-Landesparteitag in
Bochum in Anwesenheit der gesamten ehrenwerten
Vielfliegergesellschaft von Nordrhein-Westfalen pasKlaus-Peter Willsch
siert. Gemäß Berichterstattung der „Rheinischen Post“
kamen übrigens laute Buhrufe auf, als die Spender des
„WAZ“-Verlegers und SPD-Mitglieds Schumann erwähnt wurde. Daran zeigte sich auch, was Sie eigentlich
bedrückt und bekümmert: Nicht, dass gespendet worden
ist, sondern dass an uns, die CDU, und nicht an Sie gespendet worden.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich all jenen, die
gespendet haben, und auch dem Initiator der Aktion danken.
({0})
Ihnen empfehle ich: Hören Sie auf Ihren Altvorsitzenden
Hans-Jochen Vogel, der die Spendensammlung zur Wiedergutmachung der Bußgeldzahlung lobte, indem er
feststellte, dass Kohl damit das tue, wozu jeder verpflichtet sei, der einen Schaden verursacht habe, nämlich
den Schaden zu mindern. „Das ist erfreulich“, sagte er
wörtlich.
Ich komme zum Schluss.
({1})
Wir lassen uns von Ihnen nicht in Sippenhaft nehmen,
nicht wir als Fraktion und auch nicht unsere 600 000
Mitglieder im Land.
({2})
Probleme im eigenen Haus lösen wir selbst,
({3}) - Wilhelm Schmidt
[Salzgitter] [SPD]: Und die Staatsanwalt-
schaft!)
weil Deutschland diese Partei und die Ideen, für die diese Partei steht, braucht. Ihnen geht es ja nicht um 2 oder
6 Millionen DM, Ihnen geht es um die Generalabrechnung mit einer Periode und einer Politik, zu der
Sie eine innere Distanz hatten.
({4})
Ihnen geht es darum, die Partei CDU aus dem politischen Wettbewerb herauszuschmeißen.
Aber Deutschland braucht die CDU. Ohne die Politik
der CDU hätten wir in all den Jahren der Bundesrepublik Deutschland eine andere, eine schlechtere Republik
erlebt. Gegen Ihren erbitterten Widerstand haben wir die
Westintegration durchgesetzt, die uns die Freiheit gebracht hat, gegen Ihren Widerstand die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt, die uns den Wohlstand gebracht
hat,
({5})
gegen Ihren erbitterten Widerstand - damals haben Sie
sich vor Kasernen angekettet - den Doppelbeschluss
durchgesetzt, womit wir den Kommunismus niedergerungen und auch dem Osten die Freiheit gebracht haben.
({6})
Nun ist Ihre Redezeit abgelaufen, Herr Kollege.
Das hat schließlich die Einheit Deutschlands gebracht, die Sie innerlich
nie wollten. Deshalb führen Sie hier diesen Zirkus auf.
({0})
Nun erteile ich dem
Kollegen Dr. Peter Struck, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Verehrter Herr Kollege
Vorredner, Sie haben eine für das ganze Parlament beschämende Rede gehalten, auch für Ihre eigene Fraktion.
({0})
Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, Ihre Worte zu
überdenken und den Vergleich, den Sie zwischen Frau
Simonis und Herrn Streicher, dem „Stürmer“-Herausgeber, gezogen haben, zurückzuziehen und sich dafür
öffentlich zu entschuldigen. Das ging weit über das
normale Maß einer parlamentarischen Auseinandersetzung hinaus.
({1})
Ich beabsichtige nicht, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich rede ganz bewusst als letzter Redner, weil
ich mir die Debatte anhören und einen Eindruck davon
gewinnen wollte, wie die Bürger wohl diese Debatte
bewerten. Ich komme auf einen Text zurück, den ich Ihnen jetzt vortragen möchte:
Die bekannt gewordenen Verstöße gegen das Parteiengesetz, gegen die Grundsätze der Transparenz
und der innerparteilichen Demokratie haben unsere
Partei, für die die Einhaltung von Recht und Gesetz
zu ihrer Identität gehört, ins Mark getroffen. Weitaus bedeutender als der daraus entstandene finanzielle Schaden ist deshalb der Glaubwürdigkeitsund Vertrauensverlust, der eingetreten ist.
Ich habe aus dem Entwurf des CDU-Vorstandes für
den Leitantrag für den Essener Parteitag im April zitiert.
Ich habe allerdings den Eindruck, meine verehrten Redner von der CDU/CSU-Fraktion, dass Sie sich an dieses
Prinzip, das Sie hier fordern, bei Ihren gerade vorgetragenen Reden überhaupt nicht gehalten haben.
({2})
Wenn das wirklich so ist, wie Sie es aufgeschrieben
haben - vielleicht hat es ja die Frau Merkel aufgeschrieben, ohne jemanden einzubeziehen -, dann frage ich Sie:
Warum tun Sie eigentlich nichts gegen den Vertrauensverlust? Klären Sie doch auf! Klären Sie doch auf, wer
Helmut Kohl gespendet hat! Es ist richtig, was Ströbele
und andere gesagt haben: Das Problem sind nicht die
Spenden, die er jetzt eingesammelt hat.
Ich habe auch nicht zu kritisieren, wer Herrn Kohl
gespendet hat.
({3})
Das ist die Angelegenheit derjenigen, die gespendet haben. Sie müssen das mit ihrem Gewissen vereinbaren.
({4})
Ich habe allerdings zu kritisieren, dass durch diese Aktion der ursprüngliche Tatbestand verschleiert wird, nämlich dass er sich bis heute weigert, die Spender zu nennen, die damals das Geld gegeben haben.
({5})
Ich kann mich noch gut an die Situation hier in diesem Plenarsaal erinnern, als ich in einer Rede über die
Frage gesprochen habe, ob denn die Politik von Herrn
Kohl möglicherweise käuflich gewesen sei, und ich
kann mich auch noch gut an seine Empörung und an
seine Zwischenfragen bei meiner Rede erinnern. Wenn
Sie es denn wirklich ernst damit meinen, die Angelegenheit aufzuklären und zu beweisen, Sie seien nicht
käuflich gewesen, dann sagen Sie, Herr Kohl, doch bitte
um Gottes willen, von wem Sie die 2 Millionen DM bekommen haben! Wenn Sie das nicht tun, bleibt der Verdacht.
({6})
Ich hätte mir auch gewünscht - ich lese interessiert
die Zeitungen; Herr Kohl beabsichtigt offenbar, in das
Plenum zurückzukehren und seine Arbeit wieder aufzunehmen, was man von jedem Abgeordneten wohl auch
verlangen kann, weil wir dafür gewählt wurden -, dass
er heute in dieser Aktuellen Stunde die Gelegenheit ergriffen hätte, dazu Stellung zu nehmen. Wo ist er denn?
({7})
Ich frage mich auch, wie eine Bemerkung von Herrn
Kohl in einem Interview zu bewerten ist, das er gestern
der „Welt“ gegeben hat. Er hat gesagt:
Erstaunt bin ich nur, wenn ich daran denke, dass
mancher, der früher unbedingt meine Nähe gesucht
hat, dem ich geholfen habe, heute davon nichts
mehr wissen will.
({8})
Wie ist das eigentlich zu verstehen?
({9})
Muss man nicht auch die Frage stellen, ob ehemalige
Generalsekretäre, auch Generalsekretärinnen, und all
die, die im nahen Umfeld von Herrn Kohl waren und mit
dem System Kohl verwoben waren, doch vielleicht mehr
gewusst haben, als sie jetzt behaupten? Muss man jetzt
nicht diese Frage stellen? Muss man nicht auch die Frage stellen, wer denn die 100 000 DM von Herrn Schreiber bekommen hat? Herr Schäuble, Frau Baumeister
oder beide?
({10})
Das ist doch die Situation, mit der wir zu tun haben und
die wir zu diskutieren haben.
Es ist offenbar die Strategie der Union - das ist eben
bei den Reden deutlich geworden -: Schmeißen wir mal
mit Dreck auf die anderen, dann merkt man nicht, wie
schmutzig wir sind! - Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen.
({11})
Wir werden den Sachverhalt im Untersuchungsausschuss aufklären. Wir werden klarstellen, dass unsere
Republik keine Kauf-mich-Republik ist und keine Bimbes-Republik war. Da kann Herr Kohl noch so viele Hypotheken auf sein Haus aufnehmen: Die größte Hypothek für diese Demokratie ist er selbst, solange er sein
Verhalten nicht ändert.
({12})
Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, noch eine letzte
Bemerkung zu dem Kollegen Schmidt. Ich kann ja verstehen, dass Sie sagen, wir müssen die anderen irgendwie hereinziehen, damit wir nicht so schlecht dastehen.
Es handelt sich vielleicht teilweise um eine politische
Auseinandersetzung. An dieser Stelle ist aber diese Art
und Weise der politischen Auseinandersetzung unangebracht.
Um eines bitte ich Sie sehr: Die Schatzmeisterin der
SPD hat in einem Interview der „Welt“, das Sie heute
mit Sicherheit nachgelesen haben, dargelegt, dass die
Bilanzierung der Beteiligungen der SPD nach den
Grundsätzen des Handelsgesetzbuches erfolgt. Ich kann
nun wirklich nicht erkennen, warum Sie das zum Anlass
nehmen zu sagen, das wollen wir im Untersuchungsausschuss bereden. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.
Das ist ein reines Ablenkungsmanöver und ist unredlich
gegenüber einer Kollegin, die auch einen Anspruch auf
Ehre hat, verehrter Herr Kollege Schmidt.
({13})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 16. März, 9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.