Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst teile ich mit, dass der Kollege Ernst
Schwanhold am 21. Februar auf seine Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag verzichtet hat. Seine Nachfolgerin, die Abgeordnete Dr. Carola Reimann, hat am
22. Februar die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich.
({0})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Energiekonsensgespräche und Energiedialog vor dem
Aus? ({1})
2 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Umwelt und Gesundheit - Drucksache
14/2767 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({3})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstvertrauensmann-Gesetzes ({4})
- Drucksache 14/2698 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Jünger,
Rosel Neuhäuser, Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS: Ächtung der Gewalt in der
Erziehung wirkungsvoll flankieren - Drucksache
14/2720 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5})
Rechtsausschuss
4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({6})
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Rennwett- und Lotteriegesetzes - Drucksache
14/2271 - ({7})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({8}) - Drucksache 14/2762 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({9})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache
14/2798 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}): Sammelübersicht 131 zu Peti-
tionen - Drucksache 14/2790 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}): Sammelübersicht 132 zu Peti-
tionen - Drucksache 14/2791 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}): Sammelübersicht 133 zu Peti-
tionen - Drucksache 14/2792 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}): Sammelübersicht 134 zu Petitionen - Drucksache 14/2793 5 Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik
6 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({14}) zu dem
Dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
({15}) Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/665, 14/2796 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt ({16})
7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Patentvergabe des Europäischen Patentamtes auf Genmanipulation an menschlichem Erbgut
8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Weisheit,
Annette Faße, Iris Follak, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Steffi Lemke, Kerstin Müller ({17}), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerbsposition für die deutsche Landwirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern - Drucksache 14/2766 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({18})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten Naumann
und der Fraktion der PDS: Betriebliche Obergrenze von
3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen - Drucksache
14/2795 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({19})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
10 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse - Drucksache
14/2764 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({20})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Eva BullingSchröter, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten
Strom- und Wärmeerzeugung ({21}) - Drucksache 14/2693 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({22})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
12 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-WärmeKopplung ({23}) - Drucksache 14/2765 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zugleich sollen folgende Punkte von der Tagesordnung abgesetzt werden: 10 b - es handelt sich um die so
genannte Altfallregelung im Ausländerrecht -, 15 - Doping im Spitzensport - und 22 a - zweite und dritte Beratung des Flurbereinigungsgesetzes.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 87. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für
Spätaussiedler - Drucksache 14/2675 überwiesen:
Innenausschuss ({24})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Der in der 87. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss zur Mitberatung überwiesen
werden.
Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike
Mehl, Anke Hartnagel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann, Albert Schmidt ({25}),
Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherung der deutschen Nord- und Ostseeküste
vor Schiffsunfällen - Drucksache 14/2684 überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({26})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Der in der 88. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung ({27})
- Drucksache 14/2683 überwiesen:
Finanzausschuss ({28})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 2
auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen
Umwelt und Gesundheit
Risiken richtig einschätzen
- Drucksache 14/2300 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({29})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umwelt und Gesundheit
- Drucksache 14/2767 Präsident Wolfgang Thierse
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({30})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden
vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Das Wort hat Frau Bundesministerin Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh,
dass das Thema Umwelt und Gesundheit endlich mehr
Aufmerksamkeit als bislang erhält, und zwar auch im
parlamentarischen Rahmen. Da dies ein Querschnittsthema ist und mehrere Ressorts betrifft, besteht manchmal die Gefahr, dass es durch die Raster fällt und zu einem Stiefkind wird. Das war in der Vergangenheit manches Mal der Fall, aber man kann schon sagen, dass wir
seit dem Regierungswechsel eine deutliche Kehrtwende
eingeleitet haben. Wir haben eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Umwelt- und Gesundheitsministerium
und auch mit anderen Ressorts wie dem Landwirtschafts- und dem Forschungsressort begonnen. Mit diesem systematischen Ansatz und dieser gezielten Zusammenarbeit mit dem Ziel, dass wir in diesem Bereich
vorankommen, machen wir genau das, was hier am
wichtigsten und am notwendigsten ist.
Noch etwas haben wir deutlich verändert. Wir sagen:
Für uns spielt die Frage der Vorsorge eine ganz entscheidende Rolle. Im Zweifelsfall entscheiden wir uns
immer für den vorsorgenden Gesundheits- und
Verbraucherschutz.
Wir führen seit Jahren darüber eine Diskussion, die
allerdings - Stichworte: systematisch, unsystematisch häufig anhand von Beispielen geführt wird und die
manchmal auch mit Aufregung versehen ist. Das veranlasst diejenigen, die das für übertrieben halten, zu der
zynischen Rede, hier werde jede Woche ein neuer
Schadstoff verhandelt. Wenn man aber hinter diese mediale Aufbereitung schaut, die in Konjunkturen und
Zyklen vor sich geht, dann stellt man fest, dass es erstens falsch wäre, die Gefahren zu verharmlosen, nur
weil einem die Art, wie dies in den Medien behandelt
wird, nicht gefällt, und dass wir zweitens noch sehr viel
mehr darüber wissen müssen. Dies würde im Zweifelsfall die Debatte versachlichen und die Aufklärung erleichtern, wenn es Besorgnisse gibt.
Es gibt einige grundsätzliche Zusammenhänge. Sie
sind bekannt und sie sind auch unstrittig, so zum Beispiel die Tatsache, dass Schadstoffe in der Luft grundsätzlich die Entstehung von Allergien begünstigen können und dass dieses Risiko für Kinder besonders hoch
ist.
Die Fragen, in welcher Konzentration diese Stoffe
wie wirken, wie die Ursache-Wirkungs-Beziehung genau aussieht und welche Rolle andere Faktoren dabei
spielen, sind im Zweifelsfall häufig strittig, auch in der
Bewertung unter den Fachleuten. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass in unterschiedlichen
Gremien das Risiko unterschiedlich bewertet wird. Dann
stehen die Verbraucher, im Zweifelsfall aber auch die
zuständigen Behörden, die Maßnahmen ergreifen sollen,
vor einer Vielzahl von unterschiedlichen Stellungnahmen. Damit wird das Handeln nicht einfacher. Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit dem Sondergutachten
„Umwelt und Gesundheit“ und mit dem Bericht des
TAB-Projektes „Umwelt und Gesundheit“ aktuelle Dokumente erhalten haben, die sich mit einer Vielzahl von
Umweltrisikien beschäftigen. Wir haben dann in dem
Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ konkrete Handlungsschritte vereinbart, die darüber hinaus
den ganzen Komplex betreffen.
Ich will noch einmal verdeutlichen, was in dem Aktionsprogramm steht, um weitere Klarheit über die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu gewinnen. Wir haben nicht vor, Datenfriedhöfe anzulegen, mit denen
niemand etwas anfangen kann. Gerade weil die UrsacheWirkungs-Beziehung so umstritten ist, ist es wichtig,
dass wir darüber mehr erfahren, weil wir nur dann handeln können und nur dann auch angemessene Maßnahmen ergriffen werden können. Wenn Sie sich mit denjenigen unterhalten, die an Krankheiten leiden, die durch
Umwelteinflüsse hervorgerufen worden sind, dann erfahren Sie, dass sie nicht nur wegen ihrer Krankheit einen langen Leidensweg hinter sich haben, sondern auch
deshalb, weil niemand herausfinden kann, was sie genau
haben und was die Ursachen sind. Sie erfahren dann,
dass man sie für aufgeregt hält und dass sie sich angeblich etwas einbilden würden. Das ist häufig ein zusätzliches Leiden. Aus Unkenntnis über diese Zusammenhänge wird es den Menschen schwer gemacht, die richtige
Diagnose und die richtige Behandlung zu bekommen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in diesem Bereich
weiterkommen.
({0})
Im Rahmen des Aktionsprogramms haben wir eine
Neuordnung des Verfahrens zur Risikobewertung und
Setzung von Standards bei Umwelteinflüssen eingeleitet. Wir werden in Kürze eine Ad-hoc-Kommission aus
hochrangigen Experten einsetzen, die bestehende Verfahren und Strukturen der Risikobewertung und
-einschätzung einer kritischen Analyse unterziehen. Dabei geht es - das habe ich gerade schon gesagt - insbesondere um die Frage: Gelten Werte, die wir für uns Erwachsene gesetzt haben, auch für Kinder? Müssen die
Werte nicht extra untersucht werden? Der erwachsene
Mensch ist nicht immer die Norm.
({1})
Wir wollen sehr viel mehr die Vernetzung der verschiedenen Institutionen, die sich damit beschäftigen,
mit Diskussionsforen und dadurch voranbringen, dass
wir alle unterstützen, die in diesem Bereich forschen und
arbeiten. Wir haben eine Keimzelle für ein elektroniPräsident Wolfgang Thierse
sches Netz mit der Dokumentations- und Informationsstelle für Umweltfragen in Osnabrück. Wir haben aber
auch einen Bereich für Umweltmedizin am RobertKoch-Institut etabliert und wollen ihn weiter aufbauen.
Dort ist bereits eine zentrale Erfassungs- und Bewertungsstelle für umweltmedizinische Methoden eingerichtet worden. Wir haben zusätzlich eine Kommission
eingerichtet, die einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung in der Umweltmedizin leisten soll. Hier geht es
um unseren Beitrag dazu, der Verunsicherung von Ärzten und Patienten entgegenzuwirken und Erkenntnisse,
die durch die Umweltmediziner gewonnen wurden, zusammenzuführen und anderen zugänglich zu machen.
Wir werden über solche Querschnittsmaßnahmen
hinaus, die unseren Informationsstand verbessern sollen
und allen Seiten mehr Handlungsmöglichkeiten eröffnen
sollen, mit medien- und stoffbezogenen Qualitätszielen arbeiten, die wir im Interesse des gesundheitlichen
Verbraucherschutzes für besonders notwendig halten.
Ein Beispiel dafür ist, dass wir in Folge der Novellierung der EU-Trinkwasserrichtlinie ein Programm zum
Austausch der Bleileitungen einleiten wollen, die es zur
Trinkwasserversorgung immer noch gibt. Wir wissen inzwischen - da besteht kein Zweifel mehr -, dass Blei
insbesondere für Kinder außerordentlich schädlich ist
und es deshalb weiterhin sehr wichtig ist, etwas zu unternehmen.
Ein weiterer Punkt, bei dem wir meines Erachtens
noch wesentlich aktiver werden müssen, ist die Frage
der Ernährung. Auch hier müssen wir von einer Verwaltung von Schadensfällen durch Schadstoffe wegkommen. Wir dürfen uns nicht nur damit beschäftigen,
auf einen Schadensfall möglichst schnell zu reagieren
und einen Schadstoff gegebenenfalls aus dem Verkehr
zu ziehen, sondern müssen uns darüber hinaus wesentlich mehr der Frage stellen, wie es überhaupt dazu
kommt, dass solche Schadensfälle immer wieder auftreten. Wir müssen uns damit auseinander setzen, dass wir
es zum Teil mit Kriminalität, zum Teil aber auch mit
Folgen von bestimmten Anbauweisen zu tun haben.
Wir sind der Auffassung, dass es dringend geboten
ist, die Lebensmittelqualität und -sicherheit zu verbessern. Da gibt es von der Ebene der EU, wo das Thema
im Moment sehr weit oben auf der Agenda steht, über
die Ebene der Bundesregierung bis hin zur Ebene der
kommunalen Behörden noch einiges zu tun. Dabei werden wir uns vor allen Dingen die Frage stellen müssen,
wie und zu welchen Bedingungen in unserem Land Lebensmittel produziert werden.
Das Thema Umwelt und Gesundheit berührt sehr viele Menschen in ihrem Alltag. Ich habe es vorhin schon
einmal gesagt: Es berührt vor allen Dingen Menschen,
die sich in der Politik am wenigsten äußern können,
nämlich Kinder, die von den Schadstoffen in unserer
Umwelt besonders stark betroffen sind und besonders
darunter leiden. Aus diesem Grund werden wir in diesem Bereich einen Schwerpunkt bei der Umweltmedizin für Kinder setzen. Ich habe vorhin das Beispiel Blei
genannt, aber wir werden dieses Thema auch im Zusammenhang mit Abgasen und anderen Punkten zu diskutieren haben, bei denen deutlich wird, dass Kinder besonders stark unter der Lebensweise zu leiden haben, die
die Erwachsenen sich angewöhnt haben.
Wir befinden uns in einem Bereich, in dem wir nicht
nur über Daten reden dürfen und darüber, wie man diese
Daten verändert, sondern in dem wir auch darüber reden
müssen, wie wir leben und was wir mit unserer Lebensweise anrichten. Ich glaube, dass es im Interesse der
Kinder geboten ist, dass wir diesem Bereich mehr Aufmerksamkeit schenken.
({2})
Ich nehme bei der Lektüre des Antrags der
CDU/CSU-Fraktion in diesem Zusammenhang erfreut
zur Kenntnis, dass das Problembewusstsein der Opposition in diesem Bereich offensichtlich erheblich geschärft worden ist.
({3})
Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zuversichtlich, dass
wir mit dem Parlament bei der Lösung der vielen Probleme, die ich jetzt in der Kürze der Zeit nur anreißen
konnte, gut zusammenarbeiten können.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Medien konsumierende
Bürger von heute weiß, dass wir Deutschen ein gesundheitlich bedrohtes Volk sind, das überdies in einem ökologischen Notstandsgebiet lebt. Die Gefahr lauert überall, so schreiben Michael Miersch und Dirk Maxeiner: in
der Luft und in der Zahnfüllung, in der Sonne und im
Babybrei. Allergien und Krebs, Pseudokrupp und Asthma: Die Deutschen werden immer kränker, Kinder unter
fünf Jahren dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben.
Ob bei Sonnenbrand oder Leberzirrhose, die Diagnose
steht von vornherein fest: Die steigende Umweltverschmutzung ist schuld. Aber, so fragen die beiden Umweltjournalisten weiter, wie hat es inmitten der Umweltund Gesundheitskatastrophen geschehen können, dass
sich unsere Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren
fast verdoppelt hat?
Wahr ist, dass die Menschen umso gesünder sind, je
wohlhabender das Land ist, in dem sie leben. Wenn es
den Anschein hat, es gäbe heute mehr Kranke als früher,
so liegt das an einem Paradox: Je ausgereifter die medizinische Versorgung wird, desto mehr Behandlungsbedürftige gibt es.
Miersch und Maxeiner, um ein letztes Mal aus dem
„Lexikon der Öko-Irrtümer“ zu zitieren, weisen auf
das Beispiel der Zuckerkranken hin. Heute leben in
Deutschland zehn Mal mehr Zuckerkranke als vor 100
Jahren, aber nicht, weil die moderne Medizin versagt
hätte oder weil sich die Umwelt verschlechtert hätte,
sondern weil vor 70 Jahren das Insulin erfunden wurde.
({0})
Ohne Insulin würden die Betroffenen früh sterben und
es gäbe weniger Zuckerkranke.
({1})
Wer heute an Diabetes leidet, ist von Insulin abhängig,
führt ein fast normales Leben, bleibt aber Patient bis an
sein Lebensende.
Hoch entwickelte Industrieländer haben sehr viele besonders lebensgefährliche Krankheiten beseitigt. Sie
produzieren aber zweifellos auch neue: Allergien,
Atemwegserkrankungen, psychosomatische Erkrankungen, Hyperaktivität usw. Trotzdem bedeutet eine Schädigung der Umwelt nicht immer direkt oder indirekt eine Schädigung der menschlichen Gesundheit. Nicht
jede Umgestaltung der Umwelt ist eine Schädigung,
auch wenn uns das die Grünen immer gerne weismachen
wollen.
({2})
Auch ist nicht jede Belästigung des Menschen eine
Schädigung und nicht jede Schädigung ist belästigend.
Lärm führt zu Anspannung und Stress und vielleicht zu
Bluthochdruck, wirkt aber in einem Pariser Straßencafé
sehr anregend. Milben, Pollen und Katzenhaare sind
sehr natürlich und trotzdem können sie die Gesundheit
beeinträchtigen.
({3})
Die Zusammenhänge sind nicht eindimensional und
immer auch von unserer Empfänglichkeit und unseren
Gewohnheiten abhängig. Angesichts dessen, dass sich
die Grünen soeben so gefreut haben, gestatte ich mir
folgenden Hinweis - ich habe ja gerade über das Problem Lärm gesprochen -: Das Aus für den Transrapid
war auch für die Bemühungen um die Eindämmung des
modernen Lärmpegels ein Rückschlag.
({4})
Denn diese Technik hätte es gestattet, die Züge in die
Innenstädte zu führen, ohne zusätzliche teure umweltund ressourcenfressende Lärmschutzmaßnahmen durchzuführen.
({5})
Weil wir gerade dabei sind: Das ist keineswegs die
einzige Entscheidung der rot-grünen Regierung, die
umwelt- und gesundheitspolitisch zweifelhaft ist. Erst
letzte Woche überraschte uns die Regierung mit einer
weiteren zukunftsbehindernden Entscheidung: Ab sofort
ist der Anbau von gentechnisch verändertem Mais der
Firma Novartin untersagt,
({6})
obwohl er nach wie vor in Lebensmitteln zugelassen ist,
und das, obwohl das dem Bundesgesundheitsministerium unterstellte Robert-Koch-Institut vor drei Jahren im
Einklang mit EU-weiten Testverfahren eine Gefährdung
von Mensch, Tier und Umwelt beim Anbau von BtMais ausgeschlossen hat.
({7})
Grundlage für die Anweisung der Bundesregierung
waren angebliche „neue Erkenntnisse“ in einer vor kurzem fertig gestellten Studie des Freiburger Öko-Institutes, die nach Aussagen von Mitarbeitern dieses Institutes aber keine Ergebnisse neu durchgeführter wissenschaftlicher Experimente enthält, sondern eine - immerhin - mit Experteninterviews angereicherte Literaturstudie ist. So stehen wieder einmal die ideologischen grünen Glaubenspostulate gegen die wissenschaftliche Forschung.
({8})
Fortschritte in der Gentechnik werden verteufelt und behindert, weil sie im Gegensatz zum reinen Ökoleben
stehen sollen.
Daher wird die Verhinderung der Lösung von dringenden Problemen bei Umwelt und Gesundheit in Kauf
genommen. Gentechnisch verändertes Getreide wird
immer wieder in Gegensatz zum Ökolandbau gebracht.
Dabei könnte es gerade dem Ökolandbau helfen. Gentechnisch verändertes Getreide führt zu einer drastischen
Reduzierung der Düngemittel- und Pestizideinsätze mit allen segensreichen Folgen für Umwelt und Gesundheit.
Mit der Züchtung zum Beispiel mehrjährigen Reises,
die ja bereits gelungen ist und der bald die Züchtung
mehrjährigen Getreides folgen könnte, wäre das Problem der Bodenerosion praktisch gelöst, weil der Boden
nicht mehr jedes Jahr bearbeitet werden muss.
({9})
Afrika wartet auf die Züchtung salzresistenter Nahrungspflanzen, die seine Probleme lösen könnte.
Also gerade aus umwelt- und gesundheitspolitischer
Sicht ist der rot-grüne Bann über die Gentechnik antisozial und antiökologisch.
({10})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb in ihrer
Auseinandersetzung mit dem ökologischen Hinterwäldlertum der gegenwärtigen Regierung nicht nachlassen.
({11})
Es wird Frau Ministerin Fischer nicht helfen, dass sie
in ihrem Ministerium die erwähnte Freiburger Studie vor
den Augen der kritischen Öffentlichkeit versteckt hält.
Frau Ministerin Fischer, ich fordere Sie auf, diese Freiburger Studie allen Interessierten zugänglich zu machen
und sich den daraus resultierenden kritischen Fragen der
Öffentlichkeit zu stellen. Das letzte Wort zum Anbau
von Bt-Mais ist noch nicht gesprochen.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
Entschließungsantrag beweist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erneut, dass die ökologische Kompetenz
längst an sie übergegangen ist.
({12})
- Ich rede hier nur von Fakten. Darüber können Sie sich
zwar freuen - da bin auch ich erfreut -, aber Sie sollten
sie zumindest zur Kenntnis nehmen.
({13})
In Deutschland ist in den vergangenen Jahren viel erreicht worden. Das ökologische Schutzniveau ist außerordentlich hoch. Massive Umweltbelastungen durch
Spitzenkonzentrationen von Schadstoffen oder extreme
Lärmpegel sind nahezu völlig beseitigt worden. Die Belastung mit vielen Schadstoffen - ich nenne Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid, Benzol, Schwermetalle oder auch
persistente organische Verbindungen - ist stark reduziert
worden.
Trotz des erreichten hohen Schutzniveaus in Deutschland können Umweltfaktoren zur Entstehung oder Verstärkung von Erkrankungen beitragen. Die CDU/CSU
will deshalb die Grundlagen für den Umgang mit Risiken verbessern. Es geht uns um die Identifizierung und
Bekämpfung derjenigen Umwelteinflüsse, die zu gesundheitlicher Beeinträchtigung führen oder führen können. Wir wollen keinen Aktionismus, aber die Ursachen
müssen zielstrebig und wissenschaftlich erforscht, die
Faktoren müssen in ihren Wechselwirkungen klargestellt
werden.
Besonders am Herzen liegt uns der Schutz von älteren
Menschen und von Kindern. Kinder sind stärker gefährdet als Erwachsene. Ihr Immunsystem ist schwächer.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen umzusetzen:
Zuerst sollte ein Risikokatalog erarbeitet werden. Es
sollte dabei vor allem um die Überprüfung und Anpassung von Grenzwerten, die Entwicklung einheitlicher
Bewertungslinien und die Erstellung eines Konzepts für
eine ganzheitliche Betrachtung aller umweltbedingten
Gesundheitsrisiken gehen.
Zu ergreifen sind zweitens konkrete Maßnahmen, so
zum Schutz vor Lärm. Wir denken unter anderem an
eine Absenkung von Geräuschgrenzwerten für Fahrzeuge um drei bis fünf Dezibel, an die Fortführung der
Lärmsanierung an bestehenden Bundesfernstraßen, an
ein Lärmsanierungskonzept für vorhandene Schienenwege und dessen schrittweise Umsetzung, an die Fertigstellung der Fluglärmnovelle, an die Förderung technischer Maßnahmen an Fahrzeugen und Verkehrswegen.
Drittens geht es um einen verbesserten Schutz vor Allergien. Der individuelle Rechtsschutz von Allergikern
muss ausgebaut werden. Wir schlagen eine Erweiterung
der Produktkennzeichnung vor.
({14})
- Das habe ich doch eben schon begründet! Sie haben
mir nicht zugehört, Frau Kollegin Höfken; es tut mir
Leid. Aber Sie können meinen Vortrag ja anschließend
noch einmal nachlesen, wenn Sie es möchten.
({15})
Die Grenzwertermittlung von Schadstoffen muss bei
Kindern angepasst werden. Kombinationswirkungen,
Wechselbeziehungen und Dauer der Schadstoffeinwirkung sollten bei den Messungen stärker berücksichtigt
werden. Die Allergieforschung mit dem Ziel, Risikozusammenhänge offen zu legen, muss von der Bundesregierung weiter unterstützt werden. Der Informationsarbeit von Selbsthilfegruppen ist beizustehen.
Viertens schlagen wir Maßnahmen zur Bestimmung
und Risikoabschätzung bei chemischen Stoffen vor.
Wir fordern dabei vor allem ein nationales Forschungsprogramm zur Gewinnung von Erkenntnissen über die
Auswirkungen hormonartig wirkender Chemikalien auf
die menschliche Gesundheit und die Fortentwicklung
von Prüfmethoden zwecks Erfassung von schädigenden
Stoffen.
Fünftens schlagen wir Maßnahmen zum Schutz vor
bodennahem Ozon vor; das meint eine deutliche Minderung der VOC-Emissionen von verschiedenen Produkten.
({16})
- Nein, ich widerspreche mir überhaupt nicht, Herr Kollege Matschie.
({17})
Aber wir können das gern noch einmal diskutieren,
({18})
denn die Probleme ernst zu nehmen und sie zu instrumentalisieren ist ein Unterschied. Wir nehmen die Probleme ernst und wollen Maßnahmen ergreifen,
({19})
Sie aber instrumentalisieren die Probleme für Ihre Ideologie.
({20})
Meine Damen und Herren, es geht uns nicht um Alarmismus und Hysterie und es geht uns um alles andere
als um ein Zurück zur vermeintlich beschaulichen Natur.
Natur ist keineswegs immer eine freundliche Umwelt
und sie ist der Gesundheit des Menschen auch nicht immer förderlich.
({21})
- Aber ja doch! -
({22})
Wenn Sie Opfer eines Hurrikans werden und dabei umkommen, dann sind Sie durch die Natur umgekommen;
also war das Ihrer Gesundheit nicht sehr förderlich.
Muss ich Ihnen das jetzt wirklich erklären?
({23})
Ich warne auch vor leicht gemachten kausalen Ableitungen, vor einer ideologischen und oft verlogenen Verteufelung des technischen Fortschritts. Dieser Fortschritt hat uns bei weitem mehr gebracht als gekostet.
Wir wollen die Dinge ganzheitlich sehen, das heißt, sie
komplex und ohne Vorurteile betrachten. Es geht uns
darum, negative Auswirkungen der gesellschaftlichen
Entwicklungen zu korrigieren. Es geht um Gebote und
Verbote, aber auch um das Aufklären und Abwägen von
Interessen. Wir wollen nichts verharmlosen, aber eben
auch keine unbegründeten Ängste schüren.
Vielen Dank.
({24})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Lengsfeld, ich bin Rheinländerin
({0})
und bin mir daher nicht sicher, ob ich weite Teile Ihres
Vortrages ernsthaft kommentieren oder sie als stärkendes Element für den noch etwas unterentwickelten
Karneval hier in Berlin betrachten soll.
({1})
Es ist sicherlich falsch, Panik zu machen. Aber Risiken herunterzuspielen, sie zu negieren,
({2})
dieses Aktionsprogramm als Hinterwäldlertum zu bezeichnen, das ist wirklich nicht angemessen. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf Schutz vor umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen. Es ist
unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik, hier Ziele zu
entwickeln und vorsorgende Maßnahmen zu ergreifen,
die diesem Schutzbedürfnis Rechnung tragen.
Das Sondergutachten der Sachverständigen, aber
auch der aktuelle Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung sprechen eine klare Sprache und stellen einen Wirkungszusammenhang - der in vielerlei Hinsicht
als gesichert gelten darf - zwischen den von den Menschen selbst verursachten Umweltbelastungen und chronischen Erkrankungen her. Die rot-grüne Koalition
macht deutlich, dass die Schnittstelle der Politikbereiche
Umwelt und Gesundheit gefordert ist, dass hier komplexe Fragen vorliegen, die eines ganzheitlichen und ressortübergreifenden Ansatzes bedürfen - im Übrigen ein
Thema, das die SPD in der Vergangenheit immer besetzt
und aufgegriffen hat.
({3})
Das heute zu diskutierende Sondergutachten des
Umweltrates ist dabei ein ganz wichtiger Stein in dem
großen Mosaik Umwelt und Gesundheit. Es liefert einen
entscheidenden Beitrag zur Abschätzung und Bewertung
umweltbedingter Gesundheitsrisiken. Unter den zahlreichen Ergebnissen des Sondergutachtens ist eines besonders eindeutig: 16 Jahre Kohl-Regierung haben im
Bereich Umwelt und Gesundheit zu wirklich großen
Versäumnissen geführt.
({4})
Die Gutachter sehen bei der Bewältigung umweltbedingter Gesundheitsrisiken einen ganz erheblichen
Nachholbedarf. Nach ihrer Meinung wurde auch versäumt, eine Kommunikationsstruktur zwischen den beteiligten Gruppen - Ärzten, Gutachtern, Politikerinnen
und Politikern, Betroffenen - aufzubauen. Versäumt
wurde auch, Gesundheitsrisiken auf breiter Front zu
veröffentlichen, diese Ergebnisse den Menschen im
wahrsten Sinne des Wortes nahe zu bringen.
Die Gutachter treten dafür ein - ich zitiere -,
sich aus pragmatischen Gründen notfalls mit einem
geringeren Maße an gesicherten wissenschaftlichen
Erkenntnissen zu begnügen,
das heißt auf gut Deutsch: endlich zu handeln. So viel
steht fest: Die Aufarbeitung umweltbedingter Risiken,
deren Abschätzung und Bewertung wurden bisher stark
vernachlässigt. Das soll sich ändern. Das Aktionsprogramm der beiden Ministerien hat eine eindeutige Akzentuierung. Der umweltbezogene Gesundheitsschutz,
der Aspekt der Vorsorge als Gestaltungsprinzip rücken
endlich in den Mittelpunkt.
({5})
Die Wählerinnen und Wähler haben sich mit ihrem
Regierungsauftrag an die rot-grüne Koalition eindeutig
für einen bedarfsgerechten und qualitativ überzeugenden
Gesundheitsschutz ausgesprochen. Wir nehmen diesen
Auftrag ernst. Erstmalig in der Geschichte der deutschen
Politik werden mit diesem Aktionsprogramm Handlungsziele und Strategien für eine umfassende Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Folgen von Umwelteinwirkungen vorgelegt. Das Programm stellt eine
wichtige Orientierung dar, an der sich auch die Gesundheitspolitik auszurichten hat. Herausgestellt werden vor
allem nachhaltige Wirkungen politischer Maßnahmen.
Diese haben wir mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung im Gesundheitswesen bereits verankert.
Ein Beispiel ist der von uns als wichtig bewertete
Präventionsbereich. Maßnahmen der Gesundheitsförderung verbessern den allgemeinen Gesundheitszustand
nachhaltig. Sie bewirken einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen.
Dies ist ein Punkt, der uns besonders am Herzen lag.
Der alte § 20 - man kann es nicht oft genug sagen nahm bei der alten Bundesregierung nach einer nur sieben Jahre dauernden Existenz im SGB V am 13. September 1996 ein trauriges Ende. Wir haben diesen Paragraphen wieder belebt.
({6})
- Ich kenne diese Argumente, aber Sie wissen, dass unser Ansatz richtig ist.
Unsere Gesundheitsreform ermöglicht, dass die
Krankenkassen ihren Versicherten wieder Angebote zur
Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung unterbreiten dürfen und auch wieder Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung durchführen können. In diesem Sinne schafft unsere Reform eine Verbindung zwischen gesundheitspolitischer Diskussion
und Nachhaltigkeitsdebatte.
({7})
Ein anderer nachhaltig wirkender Punkt: Auch der
Einzelne - das ist gerade in der Umweltdebatte wichtig - soll in seiner Verantwortung, in seiner Initiative
gestärkt und in der Mobilisierung seiner Ressourcen und
Selbstheilungskräfte unterstützt werden. Unser Gesetz
greift auch diesen Gedanken auf. Selbsthilfegruppen
tragen zu einem günstigeren Krankheitsverlauf und zu
einem bewussteren Umgang mit chronischen Krankheiten bei und wirken auf diesem Wege langfristig stabilisierend. Selbsthilfe steht für Erfahrungsaustausch, gegenseitige Unterstützung und bedeutet eigenverantwortliches und gemeinschaftliches Handeln. Ich glaube, dass
wir hier einen ganz wichtigen Schwerpunkt gesetzt haben.
Wir haben auch das Ziel, die Patientenrechte und den
Patientenschutz zu stärken. Darum haben wir im Gesundheitsreformgesetz auch vorgesehen, dass die Informationsmöglichkeiten für Patienten und Patientinnen
verbessert werden. Dazu werden unter anderem Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung gezielt gefördert. Die Krankenkassen erhalten die Möglichkeit, Modellprojekte zur Beratung zu finanzieren.
Der gut informierte Patient, der Angebote im System
sinnvoller und selbstbewusster nutzt, wird auch mehr
Eigenverantwortung übernehmen.
Wir stärken die Rehabilitation. Im Sinne der Nachhaltigkeit gilt der Grundsatz: Präventation vor Rehabilitation, Rehabilitation vor Rente und Pflege. Die Rehabilitation kann dazu beitragen, Selbstständigkeit und Lebensqualität möglichst lange zu erhalten. Wir haben die
Seehofer’schen Begrenzungen wieder aufgehoben. Wir
haben die Mutter-Kind-Kuren gestärkt. Auch dies sind
Maßnahmen, die unseren nachfolgenden Generationen
zugute kommen.
({8})
Wir haben auch die Qualitätssicherung eingeführt.
Das ist ein ganz wichtiges Element in der stationären
und ambulanten Versorgung. Wir haben die Gesundheitsberichterstattung verbessert. Das sind alles Dinge,
die die Nachhaltigkeit sichern.
Der Antrag „Umwelt und Gesundheit“, der heute
vorgelegt und demnächst in den Ausschüssen beraten
wird, betont, dass wir eine ganz besondere Verantwortung für die Gesundheit unserer Kinder haben. Das ist
schon mehrmals erwähnt worden und sehr wichtig. Wir
müssen mehr Verantwortung für die Schwächsten unserer Gesellschaft übernehmen. Es ist zum Beispiel bekannt, dass sich Grenzwerte und Messmethoden in der
Regel am gesunden männlichen Durchschnittserwachsenen orientieren. Bekannt ist aber auch, dass Kinder
Umwelteinflüssen erheblich intensiver ausgesetzt sind.
Nach Angaben von Professor von Mühlendahl gibt es
eine Verschiebung weg von den klassischen Infektionskrankheiten hin zu umweltbedingten Erkrankungen. Die
Auswertung einer bundesweit durchgeführten Untersuchung zeigte, dass bei einem Viertel aller Jugendlichen
asthmatische und allergische Erkrankungen vorlagen.
Deshalb ist es richtig, sich um diesen Bereich verstärkt
zu kümmern, hier zu forschen, die Daten besser auszuwerten, die gesundheitsgefährdenden Belastungen deutlich zu machen und darüber aufzuklären. Das ist in der
Tat - ein oft benutzter Begriff, aber dennoch richtig eine Investition in die Zukunft.
({9})
Wir unterstützen die im Aktionsprogramm vorgelegte
Forderung nach einer Verbesserung der Gesundheitsbeobachtung und -berichterstattung. Wir unterstützen
die Forderungen, eine Kommission einzurichten, die
Vorschläge zur Neuordnung und zur Risikobewertung
erarbeiten soll, und dass die Umweltmedizin durch Weiterbildung und Qualifizierung gestärkt werden soll. Ich
denke, auch das ist ein Weg, ihr zu einer besseren Akzeptanz, Kompetenz und Anerkennung zu verhelfen.
Die hier genannten Beispiele zeigen deutlich den
Willen der rot-grünen Koalition, sich im gesundheitspolitischen Bereich an einer langfristigen Entwicklung zu
orientieren. Das Gesetz zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung stellt die Patientinnen und Patienten wieder in den Mittelpunkt. Die Förderung der Gesundheit und die Verhütung von Krankheiten erreichen
wieder einen höheren Stellenwert.
({10})
Das ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Stabilität
der Beitragssätze zu sehen, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zum Bündnis für Arbeit sowie eine wichtige soziale Säule.
({11})
Der konkrete Forderungskatalog des Antrages „Umwelt und Gesundheit“ verdeutlicht, dass die alte Stagnation überwunden ist und ressortübergreifend gedacht
und aus der Verantwortung für unsere nachfolgenden
Generationen heraus entschlossen gehandelt wird.
({12})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen liefert uns eine Fülle von
Detailinformationen zu den Wechselwirkungen von
Umweltschäden und gesundheitlichen Folgen. Ich
möchte mich an dieser Stelle bei den Gutachtern noch
einmal herzlich bedanken. Sie haben uns bereits im
Umweltausschuss ausreichend Rede und Antwort gestanden.
Das Gutachten hat erneut bewiesen, dass die Qualität
der Umwelt und die menschliche Gesundheit in einem
unmittelbaren Wirkungszusammenhang stehen. Waren
es in der Vergangenheit eher akute Erkrankungen infolge der Umweltbelastungen - ich denke dabei besonders,
Herr Paziorek, an unsere Heimat, das Ruhrgebiet -, sind
es heute eher chronische Erkrankungen, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Das macht es schwerer, kausale Zusammenhänge zu erkennen. Aber, Frau
Kühn-Mengel, der Rückgang akuter Erkrankungen darf
uns weiß Gott nicht blind gegenüber dem machen, was
in der Vergangenheit passiert ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir sehr bedeutende Erfolge gerade im Bereich von Umwelt und Gesundheit - das wird von den
Gutachtern bestätigt - unter der alten Regierung erzielt
haben.
({0})
Risikoabschätzungen müssen auf der Basis wissenschaftlicher Praxis erfolgen, wobei der Sachverständigenrat betont, dass es eine erhebliche Diskrepanz zwischen der wissenschaftlichen Risikoabschätzung und der
subjektiven Wahrnehmung seitens der Betroffenen gibt.
Wir brauchen auch nicht weit zu gehen, um dafür Belege zu finden: In der letzten Sitzungswoche haben wir
über möglicherweise hormonell wirkende chemische
Stoffe gesprochen. Zu diesem Bereich kommen die
Sachverständigen zu einer interessanten Aussage:
Hinsichtlich der menschlichen Gesundheit ergeben
sich aufgrund der vorliegenden Datenlage keine
Verdachtsmomente von einer derartigen Plausibilität, dass ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.
Die Belastung des Menschen durch Substanzen natürlichen Ursprungs sei ungleich höher als die durch synthetisch hergestellte Stoffe. Zu den natürlich hergestellten
Stoffen gehören zum Beispiel die Inhaltsstoffe der normalen, also nicht genveränderten Sojabohne, die auch
im Muttermilchersatz enthalten ist und eine erhebliche
Belastung für Kleinkinder darstellen kann.
Natürlich brauchen wir vor allem mehr Forschung im
sensiblen Bereich der hormonell wirkenden Stoffe. Aber
die Hysterie, die vor allem die Grünen hierbei an den
Tag legen, ist wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
({1})
Minister Trittin hat ein Verbot von TBT angekündigt,
obwohl er genau weiß, dass sich die Textilhersteller in
Deutschland bereits vor drei Jahren verpflichtet haben,
TBT nicht in Textilien zu verwenden. Im Bereich der
Schiffsanstriche ist eine IMO-Regelung in der Pipeline,
das wissen wir alle. Ersatzstoffe stehen zur Verfügung.
Wenn also jetzt der große Aktionismus bei Herrn Trittin
ausbricht, wird den Bürgerinnen und Bürgern umweltpolitisches Handeln wieder einmal nur vorgespielt.
({2})
Sie haben uns eine Anhörung zu TBT angekündigt,
die im März stattfinden wird. Ich frage mich allerdings,
wozu diese Anhörung dienen soll, da ein TBT-Verbot
bereits über die Presse angekündigt wurde. Bis heute
haben wir noch keine Liste der Sachverständigen, die
Sie dazu einladen wollen. Mir sieht diese Aktion sehr
stark nach einer reinen Alibiveranstaltung aus, mit der
Sie davon ablenken wollen, dass Sie in anderen Bereichen nichts getan haben.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einige
Punkte nennen, die im Gutachten angesprochen werden
und von denen wir meinen, dass eine verantwortungsbewusste Umwelt- und Gesundheitspolitik sich dieser
Themen annehmen muss. Ich nenne das Beispiel UVStrahlung: Wir wissen, dass die Häufigkeit von Melanomen in den letzten Jahren zugenommen hat, nämlich
um 6 bis 7 Prozent jährlich, und der Höhepunkt scheint
noch nicht erreicht zu sein. Hier brauchen wir dringend
eine Präventionsstrategie, um über die Gefährlichkeit
von Sonnenbänken aufzuklären. Sonnenbräune ist eben
nicht ein Ausdruck von Gesundheit, wie es immer wieder irrtümlich verbreitet wird.
Wesentlich brisanter ist das gerade so aktuelle Thema
Lärmschutz. Die Belastung durch Lärm ist in Deutschland trotz zahlreicher Baumaßnahmen in etwa gleich
geblieben. Circa 70 Prozent der Bevölkerung fühlen sich
durch Straßenverkehr belästigt. Beim Flugverkehr sind
es circa 50 Prozent. Dieser Wert ist in den letzten Jahren
sogar angestiegen. Eine Studie des UBA aus dem Jahre
1994 stellt fest, dass sich damals 46 Prozent der Menschen in den alten und 27 Prozent der Menschen in den
neuen Ländern durch Fluglärm gestört fühlten. Hier findet offensichtlich eine Ost-West-Angleichung statt und das im negativen Sinne.
Diese Regierung hat eine Änderung des Fluglärmgesetzes angekündigt. Staatssekretär Scheffler hatte hier
am 14. Oktober erklärt, die Novellierung befinde sich
bereits in der Ressortabstimmung. Seither sind nach
meiner Rechnung schon wieder vier Monate vergangen.
Je mehr der Lärm in Deutschland anstieg - 16 Prozent der Deutschen sind tagsüber einem mittleren Lärmpegel von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt -, umso leiser
und umso stiller wurde es bisher im BMU.
Jetzt hat der Minister - passend zur heutigen Debatte
und natürlich passend zur Wahl am Sonntag - ein Eckpunktepapier zur Novellierung des Fluglärmgesetzes
vorgelegt. Meine Damen und Herren, abgesehen davon,
dass das Adjektiv „nachhaltig“ neuerdings inflationär
bei Ihnen vorkommt, stimmen wir natürlich mit dem
Ziel, die Geräuschbelastung dauerhaft zu senken, überein.
65 Dezibel, das ist der Lärmpegel an einer stark befahrenen innerstädtischen Hauptstraße. Ab diesem Wert
steigt das Risiko des Herzinfarktes. Die Sachverständigen sagen uns, dass es einen Zusammenhang mit lärmbedingtem Bluthochdruck und Magnesiumunterversorgung gibt. Unser Ziel muss es also sein, die Lärmbelastung unter diesem Pegel zu halten.
Wir begrüßen es, dass es jetzt zu einer Novellierung
des Fluglärmgesetzes kommen wird. Was uns aber dabei
stört, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist erneut die Art
und Weise, wie Minister Trittin das Thema angeht. Sie
sprechen davon, dass es ein unheimlich steiniger Weg
sei und dass viele Widerstände zu überwinden seien.
Dabei gehen Sie in bewährter Manier vor und bauen sich
die Widerstände selbst auf.
Auf meine Nachfrage bei der Arbeitsgemeinschaft
Deutscher Verkehrsflughäfen sowie bei den Flughäfen
München und Düsseldorf - nicht gerade unwichtige
Flughäfen - erhielt ich die Auskunft, es habe vor der
Vorstellung der Eckpunkte keinerlei Gespräche mit den
BMU gegeben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe ja Verständnis dafür, dass man zügig vorgehen will. Aber dies
ist erneut der Versuch, mit dem Kopf durch die Wand zu
gehen und, statt einen Konsens mit den Betroffenen zu
finden, diese zunächst einmal gründlich zu verärgern.
({5})
Eine Absenkung der Werte für die Lärmschutzzonen
ist ein schwerer Eingriff. Das wissen wir alle. Insbesondere kleinere Luftfahrtunternehmen werden Probleme
haben, kurzfristig umzusteigen, und es wird zu Ausweichbewegungen kommen. Die Arbeitsgemeinschaft
befürchtet ernsthafte Probleme in der Bewältigung des
Fracht- und Ausweichverkehrs, zum Beispiel nach Brüssel, mit Weitertransport - man höre und staune - auf der
Straße.
Es kann ja wohl nicht das Ergebnis Ihrer Bemühungen zur Lärmbegrenzung sein, dass in Zukunft mehr Güter auf der Straße transportiert werden. Das wäre die
ökologische Bankrotterklärung Ihrer Initiative.
({6})
Auch das Europaproblem ist erneut nicht geklärt
worden. Minister Trittin wagt wieder einmal den nationalen Alleingang, wie schon bei der Ökosteuer und bei
der Kernkraft. Auf europäischer Ebene gibt es weder
einheitliche Messgrößen für Lärm noch uns bekannte
Initiativen für eine europäische Fluglärmrichtlinie. Warum reden Sie nicht mit den Betroffenen?
({7})
Warum versuchen Sie nicht, eine europäische Lösung zu
finden?
Meine Damen und Herren, in anderen lärmintensiven
Bereichen sind Initiativen des BMU wenig zu erkennen - im Bahnbereich nicht; im Straßenverkehrsbereich
haben Sie ebenfalls nur Ankündigungen produziert, es
sei denn, Sie sehen in der Erhöhung der Benzinpreise
einen Beitrag zur Senkung des Verkehrslärms, weil sich
weniger Menschen eine Autofahrt leisten können. Der
Straßenverkehrslärm wird von den Bürgern aber mit
Abstand als der störendste empfunden. Als Anlieger eines Plus-Marktes denke ich da nur an die Kühlwagen
mit den laufenden Motoren und Kühlanlagen. Das ist
schon etwas, was wir uns gemeinsam vornehmen müssten.
({8})
Meine Damen und Herren, es hat auch heute einen
wunderschönen Artikel in der „Berliner Zeitung“ gegeben, wie man mit wenig Geld - und wir alle wissen ja,
dass wir wenig Geld haben - der Deutschen Bahn etwas auf die Sprünge helfen könnte, etwas leiser zu werden. Man schlägt einfach vor, den Lärm dadurch um
3 Dezibel zu verringern, dass man regelmäßig die
Schienen schleift. Das wäre auch einmal ein Ansatz. Allein der Austausch von Metallklötzen gegen Kunststoffklötze könnte eine Lärmverringerung um 10 Dezibel
bewirken - auch ein Ansatz. Das sind doch die Probleme, deren Lösung wir in Angriff nehmen müssen. Wir
sollten nicht die Leute verärgern, die wir eigentlich
brauchen.
({9})
Ich möchte mich in diesem Augenblick nicht zu
feindlich äußern. Lassen Sie mich auch eine freundliche
Bemerkung zum Abschluss machen, und zwar zu Ihrer
Broschüre.
({10})
Wir Liberalen finden die Broschüre gut.
({11})
Damit finden wir endlich einmal konkrete Maßnahmen,
zum Beispiel zur Verbesserung des umwelt- und gesundheitsbezogenen Informationsmanagements, zur Risikobewertung bei Gefahrstoffen, zur zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle und zum Qualitätsmanagement. Das ist in Ordnung, damit können wir leben.
Vor allem werden in einzelnen Sektoren auch einmal
Qualitätsziele genannt, die erreicht werden sollen, ohne
dass der Weg dorthin zwingend vorgeschrieben wird.
Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, ob diese Ankündigungen auch umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, zusammen mit dem Sachverständigengutachten liefert diese Broschüre die Basis
für eine überlegte, auf rationalen Kriterien beruhende
Umweltpolitik. Halten Sie sich bitte daran! Es würde
manches erleichtern.
({12})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, Zusammenhänge zwischen
Umweltschädigungen, Umweltbelastungen und auch
schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit leugnet
hier in dem Raum niemand mehr. Trotzdem gehört es zu
den Schwächen des Gesundheitssystems, dass die sozialökologische und gesellschaftliche Bedingtheit von Gesundheit und Krankheit weitgehend ausgeblendet wird.
Damit verbindet sich eine Unterschätzung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Im Ergebnis dessen werden unter Prävention oft nur die medizinischen Vorsorgemaßnahmen der Früherkennung sowie eine Zurückdrängung individuellen Fehlverhaltens verstanden.
Krankheiten sind aber vielfach Folge von Belastungen,
die aus Lebens-, Arbeits- und Umweltverhältnissen resultieren. Der Einzelne kann sie nicht oder kaum beeinflussen.
Ziel einer präventiven Gesundheitspolitik muss es
sein, bereits in den Entstehungsbereichen von Krankheit
vorbeugend einzugreifen. Schon die Steuerung der medizinischen Versorgungsleistungen darf nicht primär
dem Markt überlassen werden. Dies gilt auch für den
Gesundheitsschutz. Dieser muss Aufgabe des Staates
sein. Er hat die Voraussetzungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik zu gestalten.
({0})
Es geht darum, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Handeln in allen relevanten Bereichen, in Arbeitswelt und Konsum, in Energieerzeugung und Verkehr
ebenso wie in Ländern und Kommunen auch an den Kriterien der Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung
auszurichten. Dabei muss es sowohl um sozial gerechte
Verhältnisse gehen als auch um ökologisch verantwortbare Beziehungen zwischen Mensch und Natur und die
Zurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsrisiken.
Wir begrüßen, dass die beiden zuständigen Bundesministerien ein gemeinsames Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ verabschiedet haben. Mit diesem
Aktionsprogramm verbindet sich die Hoffnung, dass die
Auseinandersetzung um einen wirksamen, umweltbezogenen Gesundheitsschutz auch bundesweit endlich einen
neuen Schub erhält.
Wir hoffen vor allem, dass die Bundesregierung Gesundheits- und Umweltpolitik nunmehr als integrierte
Strategie betreibt, die Nachhaltigkeit ebenso wie die Gesundheit der Bevölkerung im Blick hat; denn genau hier
sehen wir noch beträchtlichen Nachholbedarf. So ist die
Zusammenarbeit der im Schnittfeld von Gesundheit und
Umwelt tätigen Behörden und Fachorganisationen zu
verbessern. Die umweltbezogene Gesundheitsberichterstattung ist zu erweitern. Die Bevölkerung, die sich in
Initiativen auf lokaler und kommunaler Ebene oder in
Nichtregierungsorganisationen für gesündere Lebensverhältnisse einsetzt, ist wesentlich ernster einzubeziehen. Besonders dringlich sind die Förderung einschlägiger gesundheitswissenschaftlicher Forschungen sowie
der Ausbau der Grundlagendisziplinen wissenschaftlich
fundierter Prävention wie Umweltmedizin, Umwelthygiene oder Sozialepidemiologie.
Dies beachtend leistet das Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen einen
wichtigen Beitrag zur Bewertung umweltbedingter Gesundheitsrisiken, einschließlich der dafür erforderlichen
wissenschaftlich-methodischen Grundlagen. Dabei sind
zwei Aussagen für das Herangehen an Gesundheitsrisiken und ihre Bewältigung von besonderer Bedeutung:
Erstens halten wir die erneute Hervorhebung des Umweltrates für wichtig, dass für jede Risikobewertung eine umfassende wissenschaftliche Begründung unabdingbar bleibt.
Zweitens ist der Standpunkt besonders zu unterstreichen, dass es im Zweifelsfall stets notwendig ist, auch
ein geringeres Maß an gesicherter Erkenntnis und eine
noch vorläufige Risikoabschätzung bereits zur Grundlage aktiv eingreifender Vorsorgemaßnahmen zu machen.
({1})
Folgende Aussage der Europäischen Charta „Umwelt
und Gesundheit“ aus dem Jahre 1989 - Frau Lengsfeld,
dieses Datum ist besonders für Sie interessant; denn Sie
hätten aktiv werden können -
({2})
hat unseres Erachtens nichts von ihrer Aktualität verloren.
Die Gesundheit des Einzelnen und die von Bevölkerungsgruppen muss eindeutig Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen haben.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Jutta Müller, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über das
Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen. Frau Lengsfeld, bevor Sie hier so eine
Rede halten, hätten Sie wenigstens einmal in die Kurzfassung des Sondergutachtens hineinschauen können. So
dick ist die vorliegende Kurzfassung auch nicht, wie Sie
sehen.
({0})
- Dann haben Sie es nicht verstanden - wenn Sie hineingeguckt haben.
({1})
Der Sachverständigenrat hat sich übrigens schon
1987 und 1994 mit dem Thema befasst. Ich bin der neuen Bundesregierung außerordentlich dankbar, dass sie
im Gegensatz zur Regierung Kohl die Lösung des Problems nicht aussitzt, sondern dass sie in einem Aktionsprogramm die Themen Umwelt und Gesundheit endlich
einmal zusammenfasst; denn das Problem in der Vergangenheit war nicht, dass Sie gar nichts gemacht haben; vielmehr war das Problem, dass die beiden Bereiche getrennt waren und dass Sie Datenfriedhöfe angelegt
haben - genau das wollten wir nicht -, und zwar ohne
die Daten zusammenzufassen und daraus dann Schlüsse
zu ziehen.
Den Vorschlägen der Gutachter folgend wird die
Bundesregierung verschiedene Bereiche zusammenfassen, um eine Verbesserung der umweltbezogenen Gesundheitsbeobachtung und des Informationsmanagements zu erreichen. Schließlich besitzen wir entsprechende Datenbestände und müssen sie, wie gesagt, nur
noch zusammenfassen. Es soll dauerhaft ein differenziertes Beobachtungs- und Berichterstattersystem für
Umwelt und Gesundheit etabliert werden. Es muss darauf hingewirkt werden, dass die wissenschaftlichen
Bundesoberbehörden bei den mit Umwelt und Gesundheit zusammenhängenden Fragen eng zusammenarbeiten und ein aktives Informationsmanagement entwickeln.
Der Sachverständigenrat hat insbesondere bei den
Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund von UVStrahlen, Allergien und Lärm einen erheblichen Beratungsbedarf festgestellt. Am Beispiel von Allergien
kann man deutlich erkennen, dass vor allem Umweltfaktoren zu einer Besorgnis erregenden Verbreitung allergischer Erkrankungen in der Bevölkerung geführt haben.
Wir stimmen deshalb den Sachverständigen zu, die eine
verstärkte Information, Beratung und insbesondere eine
Pflicht zur Kennzeichnung von allergieauslösenden
Stoffen fordern.
Es gibt im Übrigen auch den ganz interessanten praktischen Vorschlag des Rates, dass man beispielsweise
überlegen sollte, neben einem Wärmeschutzpass für
Wohnungen auch einen Allergikerschutzpass vorzusehen, der die Eignung von Wohn- und Arbeitsräumen für
Allergiker sicherstellt. Konsequentes Energiesparen und
hygienisch einwandfreie Innenraumluft müssen sich
nicht ausschließen.
Zum Thema Lärm empfehlen die Sachverständigen
ein ganzes Bündel von Lärmminderungsmaßnahmen.
Die Belastungen des Menschen durch Lärm, insbesondere durch Flugzeuge, Schienenkraftfahrzeuge und Industriegewerbe, aber auch durch die Freizeitgestaltung, sind
nicht zu unterschätzen. Dort ist eindeutig gesagt worden:
Eine hohe Dauerbelastung durch Lärm wirkt als ernst zu
nehmender Stressfaktor und erhöht das Risiko von Herzund Kreislauferkrankungen. Das sollte man mit Beispielen wie „Straßencafé in Paris“ nicht ins Lächerliche ziehen.
({2})
Unser Ziel ist zum einen die nachhaltige Minderung
des Lärms durch technisch, planerisch und rechtlich aufeinander abgestimmte Maßnahmen. Zum anderen beabsichtigen wir Maßnahmen gegen gesundheitsschädlichen
Freizeitlärm. Wir brauchen auch auf diesem Gebiet eine
verstärkte Aufklärung, besonders bei Jugendlichen, die
in dieser Frage zu den gefährdeten Gruppen gehören.
Ähnliches gilt auch für die gesundheitlichen Risiken,
die durch die erhöhte UV-Strahlung beim Menschen
ausgelöst werden. Frau Flach, es ist natürlich klar, dass
wir noch mehr Aufklärungskampagnen durchführen
müssen, obwohl - das ist ein Phänomen - alle Dermatologen jedes Jahr vor dem Urlaub davor warnen, sich
stundenlang der prallen Sonne auszusetzen. Wenn man
an die Strände kommt, dann sieht man, dass diese Warnung nicht unbedingt ernst genommen wird.
Wir als Gesetzgeber müssen darauf achten, dass sich
die Menschen ein bisschen vernünftiger benehmen. Das
kann nur über Information passieren. Wir sind verpflichtet, auch dafür zu sorgen, dass Vorläufersubstanzen, die
die Ozonschicht schädigen, also zu einer Vergrößerung
des Ozonlochs beitragen, vom Markt verschwinden. Dagegen müssen wir selber etwas tun.
({3})
Ich halte es für notwendig, dass das Aktionsprogramm auch dazu genutzt wird, eine breite öffentliche
Debatte mit der Bevölkerung zu führen. Ich persönlich
halte es für falsch, wenn eine Diskussion „Umwelt und
Gesundheit“ ausschließlich auf Chemikalien beschränkt
würde. Wir haben es sowohl mit natürlichen Faktoren
als auch mit persönlichem Verhalten zu tun.
Das Sachverständigengutachten beschäftigt sich sehr
ausführlich mit dem Thema Risikokommunikation. EiDr. Ruth Fuchs
ne ganze Reihe von umweltbedingten Erkrankungen
könnte durch eigenes Verhalten vermieden werden. Wir
müssen aber feststellen, dass man in dem einen Zusammenhang ein Risiko akzeptiert oder sogar bewusst herbeiführt, während man in dem anderen Kontext ein
gleich großes oder sogar kleineres Risiko ablehnt.
Wir finden in dem Gutachten auch interessante Erhebungen über die unterschiedliche Einschätzung von Gefährdung infolge von Umweltbelastungen bei Bevölkerung und Wissenschaft bzw. Technikern. Ich will ein
kurzes Beispiel nennen: Man hat in der Bevölkerung eine statistische Erhebung durchgeführt und gefragt, was
man als gesundheitliche Bedrohung empfinde. 81 Prozent der Bevölkerung haben Giftmüll als gesundheitliche Bedrohung bezeichnet. Experten und Wissenschaftler schätzen Giftmüll nur zu 26 Prozent so ein. Fragt
man aber nach Spirituosen, dann kehrt sich das Verhältnis um: Während die Bevölkerung ihren Konsum nicht
ganz so schlimm findet, halten die Experten ihn für viel
schlimmer. Dass wir auf Verhaltensänderung hinwirken
müssen, ist klar. Das können wir nur tun, indem wir dieses Programm zu einer entsprechenden Diskussion nutzen.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich
gerne noch ein paar Sätze zum Entschließungsantrag der
CDU/CSU sagen. Ich freue mich, dass wir in der Einschätzung der Wichtigkeit des Themas derart eng beieinander liegen. Wenn man den Antrag liest, dann hat
man nicht das Gefühl, dass Sie 16 Jahre an der Regierung waren.
({4})
Sie fordern beispielsweise eine Lärmsanierung an
bestehenden Schienenwegen. Ich gehöre diesem Haus
jetzt seit 1990 an. Von 1990 bis 1998 hat meine Fraktion
jedes Jahr beantragt, entsprechende Mittel in den Haushalt einzustellen. Jedes Jahr haben Sie das abgelehnt.
Erst seit dem Regierungswechsel, seit Rot-Grün an der
Regierung ist, wurden 100 Millionen DM für die Lärmsanierung an Schienenwegen eingestellt.
({5})
Das ist nicht sonderlich viel; auch ich hätte mir einen
höheren Betrag gewünscht. Aber Sie wissen, wie eng die
Finanzen sind. Dass dies so ist, haben nicht wir zu verantworten, sondern Sie.
({6})
Mit unserem Koalitionsantrag „Umwelt und Gesundheit“ wollen wir die Prävention in den Mittelpunkt stellen. Wir haben uns hier ein sehr anspruchsvolles Programm gesetzt. Wir wollen natürlich auch - das ist hier
schon oft gesagt worden - stärker auf Schutzbedürfnisse
von Kindern eingehen. Wir dürfen aber nicht nur Kinder
im Auge haben, wenn wir Grenzwerte diskutieren, sondern müssen auch alte, kranke und vorbelastete Menschen im Auge haben.
Ich denke, wir haben sowohl mit dem Programm als
auch mit unserem Antrag ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm vorgelegt, das der Verbesserung des Umweltund Gesundheitsschutzes dient und das wir im Interesse
der Menschen zügig umsetzen wollen.
({7})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ein Aktionsprogramm vorgelegt bekommen. Sie werden sich wundern, wenn ich dieses Aktionsprogramm nicht in der Härte kritisiere, wie Sie es
sonst bei verschiedenen Vorträgen von mir gewohnt
sind. Ich will Ihnen auch den Grund dafür nennen: Die
Debattenredner, insbesondere aus der SPD, haben immer wieder ausgeführt, die alte Regierung habe 16 Jahre
lang nichts gemacht bzw. sie habe das Problem ausgesessen.
({0})
Wenn man sich aber intensiv mit der Thematik befasst,
stellt man fest, dass die frühere Umweltministerin Dr.
Angela Merkel ein Schwerpunktprogramm erarbeitet
und vor zwei Jahren vorgelegt hat. Das haben Sie entweder nicht gelesen oder mit Erfolg verdrängt.
Bei der Vorbereitung auf den heutigen Tag habe ich
eine Synopse erstellen lassen zu der Frage, was zu Umwelt und Gesundheit in dem vom Ministerium vor zwei
Jahren erarbeiteten Schwerpunktprogramm und was in
dem steht, was Sie heute vorgelegt haben.
({1})
- Das war überhaupt nicht geheim, sondern ist auch Ihnen zugegangen. Sie hätten es nur lesen müssen. Das ist
der Punkt.
({2})
Jetzt stelle ich fest, dass dieses vor zwei Jahren vom
Ministerium vorgestellte Programm nahezu identisch
mit dem Programm ist, das Sie jetzt vorstellen. Da gibt
es überhaupt nichts Neues. Ich will Ihnen einmal an einem Beispiel klarmachen, welche revolutionären Veränderungen sich in dem Programm finden, das Sie jetzt
vorgelegt haben. Im Trittin/Fischer-Papier steht: Senkung der Immissionsgrenzwerte kanzerogener Stoffe der
TA Luft um 75 Prozent. Im Merkel-Papier steht: Senkung der Grenzwerte von kanzerogenen Stoffen bei der
TA Luft auf ein Viertel. Ist das nicht ein gewaltiger Unterschied? Das ist geradezu revolutionär, was Sie hier
zustande gebracht haben!
({3})
Dazu, um dieses umzuformulieren - das ist das Erstaunliche - , haben Sie zwei Jahre gebraucht.
Jutta Müller ({4})
({5})
Verstehen Sie jetzt, warum Sie nicht weiterkommen?
Schon seit zwei Jahren liegen Aktionsbündel vor; schon
seit zwei Jahren liegen Schutzziel-Entwürfe vor. Was
machen Sie daraus? - Ein neues Programm, indem Sie
das alte umformulieren.
({6})
Es heißt nicht mehr: „Absenkung auf ein Viertel“, sondern: „Absenkung um 75 Prozent“. Grandios, diese
Leistung!
({7})
Kollege Lippold,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?
Im
Moment nicht. - Es ist wirklich erstaunlich. Ich könnte
die Positionen jetzt Punkt für Punkt weiter durchgehen.
Wir stellen - um Ihnen das ganz deutlich zu sagen, was
wir bei Ihnen insbesondere im Umweltbereich immer
wieder erleben - fest: Außer Ökosteuer und Diskussionen um den Ausstieg aus der Kernkraft leisten und tun
Sie nichts. Gelegentlich sprechen Sie davon, dass Sie irgendwann etwas vorlegen werden. Dann schreiben Sie
bei uns etwas ab, damit Ihre Bilanz nicht ganz so mäßig
aussieht. Die Umsetzung konkreter Dinge fehlt. Seit Ihrem Regierungsantritt ist nichts Konkretes passiert.
({0})
Das ist der Schluss, den man aus den Fakten ziehen
muss. Das halte ich Ihnen mit der gebotenen Deutlichkeit vor.
Damit Ihre Bemühungen nicht ganz so blass aussehen - das hat die Kollegin Flach ja zu Recht angesprochen - , wird rechtzeitig einen Tag vor der Debatte
im Deutschen Bundestag ein Eckpunktepapier vorgestellt, das das Umweltministerium auf Verlangen noch
nicht einmal herausgibt. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht haben Sie Angst, dass man es kritisch überschaut.
Jedenfalls bekommt man es auf Nachfrage einfach nicht.
Für eine Pressekonferenz reicht es aber. Dabei wird
dann wieder der Anschein erweckt, als würde man sich
intensiv mit den Problemen auseinander setzen.
Im Herbst letzten Jahres hat meine Fraktion den Antrag eingebracht, dass die Fluglärmnovelle jetzt endlich
von Ihnen auf den Weg gebracht wird. Es gab keine
konkrete Reaktion darauf; es wurde nicht gehandelt.
Jetzt legen Sie ein schwammiges Eckpunkteprogramm
vor. Bei Nachfragen von Journalisten nach Details stellte sich heraus, dass der Minister keine Antworten geben
kann, weil das alles noch nicht durchgeprüft sei. Was
soll das denn? Sie müssen in diesem Bereich handeln
und dürfen nicht immer nur neue Sprechblasen produzieren. Aber es passiert nichts.
({1})
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der auch mit
dem Thema Umwelt und Gesundheit zusammenhängt.
Als die Grünen in Hessen noch in der Regierung waren,
haben sie sicherheitserhöhende Maßnahmen im Kraftwerk Biblis verhindert. Jetzt, da sie nach dem Wechsel
der Regierung für Biblis nicht mehr direkt das Sagen
haben und sicherheitserhöhende Maßnahmen von der
neuen Landesregierung durchgesetzt werden, blockt das
Bundesumweltministerium diese Maßnahmen ab. Läuft
das auch unter dem Aspekt Gesundheitsschutz? Wer
sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinander setzt,
kann doch sicherheitserhöhende Maßnahmen nicht verhindern wollen. Genau das aber tut diese Bundesregierung. Auch das gehört in diesen Kontext und das muss
man Ihnen ganz einfach einmal sagen.
({2})
- Nein, das, was Sie hier machen, ist nicht gut. Sie reden
nur und handeln nicht.
({3})
Das kann man Ihnen so nicht durchgehen lassen.
({4})
Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass
Sie, Frau Fischer, mit der Gesundheitsreform und der
Diskussion darüber im letzten Jahr wirklich keinen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Menschen in dieser
Republik sich von Ihnen angenommen gefühlt haben
konnten und mit ihren Problemen von Ihnen ernst genommen werden. Nein, die hektische Vorlage eines unzureichenden Papiers, das viel mehr Bürokratie, für die
Menschen aber viel weniger Leistung in diesem wichtigen Bereich versprach,
({5})
war ein Trauerspiel. Sie kamen hier mit einer unvollständigen Vorlage an, haben dann behauptet, wir hätten
alles beschlossen, und mussten hinterher eingestehen,
dass 20 Seiten gefehlt haben. Die Menschen können sich
doch gar nicht ernst genommen fühlen, wenn eine so
schlamperte Arbeit geleistet wird.
({6})
Das gehört auch in diesen Zusammenhang, wenn man
über Umwelt und Gesundheit diskutiert, und das kann
ich Ihnen nicht ersparen.
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
das Thema Umwelt und Gesundheit erörtern, sollten wir
uns einen Moment Zeit dafür nehmen, es nicht nur für
unser Land, sondern auch global zu betrachten. Es ist
sehr verdienstvoll, dass sich die Agenda 21 intensiv mit
dieser Problematik auseinander setzt und deutlich macht,
dass menschliche Gesundheit von einer gesunden UmDr. Klaus W. Lippold ({8})
welt, von sauberem Wasser und einer ausreichenden
Menge an gesunden Nahrungsmitteln abhängt. „Wir
müssen die menschliche Gesundheit“, so heißt es dort,
„und die Gesundheit der Umwelt gleichermaßen pflegen.“
Wir haben damals diese Agenda mit getragen und mit
dafür gesorgt, dass sie weltweit publik und zum Gegenstand von Programmen und Aktivitäten wird. Wir setzen
uns heute dafür ein, dass dieser Zusammenhang auch in
der bundesdeutschen Politik beachtet wird. Das heißt,
wir müssen globales Denken in unser lokales und bundesrepublikanisches Handeln Eingang finden lassen,
wenn es um den Aspekt von Umwelt und Gesundheit
geht.
Dabei muss man sehen, dass die Probleme global viel
gravierender als bei uns sind. Anderswo sind Menschen
durch Umweltschäden in wesentlich existenziellerer
Form bedroht, als es bei uns der Fall ist. Sieht man die
Chrombelastung im Wasser, weil in Gerbereien das
Abwasser nicht gereinigt wird und der Einsatz von bestimmten Stoffen nicht vermieden wird, wie es bei uns
der Fall ist, sieht man, welche Krankheiten die Menschen davontragen, weil das Wasser verunreinigt wird
oder weil Schlämme auf die Felder aufgetragen werden,
({9}): Als Folge des Pestizidexports!)
dann wird die Verpflichtung deutlich, dass wir hier nicht
nur an uns denken dürfen, sondern dass wir auch in globalem Zusammenhang Visionen entwickeln müssen, wie
mit diesen Problemen umzugehen ist.
Deshalb stehen wir auch zu unseren internationalen
Verpflichtungen; das sage ich hier ganz deutlich. Dabei
denken wir daran, dass wir nicht nur national, sondern
auch global Luftschadstoffe eliminieren müssen. Hochsensible Gebiete in der Arktis, hochsensible Biotopsysteme im nördlichen Kanada werden heute durch Luftschadstoffe beeinträchtigt, die an völlig anderen Stellen
der Erde produziert und emittiert werden. Dies zeigt,
dass sich lokales Handeln allein zum Schutze der Umwelt nicht auszahlt, sondern dass wir global denken
müssen. Wir müssen also andere Visionen haben und
dürfen uns nicht nur in eingeschränkter Weise mit unseren eigenen Problemen beschäftigen.
({10})
Wenn wir vom Bereich der ultravioletten Strahlen
sprechen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
wir den Schutz der Ozonschicht in der Stratosphäre nach
wie vor ungeheuer ernst nehmen müssen. Der Rat von
Sachverständigen für Umweltfragen führt zutreffend
aus, dass dieses Problem zwar jetzt noch nicht unser
Kernproblem ist, dass aber schon die Länder der südlichen Hemisphäre davon viel stärker betroffen sind. Wir
wissen, dass diese - aufgrund des Ozonlochs - erhöhte
UV-B-Strahlung in einem verstärkten, um nicht zu sagen: in einem dramatischen Umfang Krebs auslöst und
Augenkrankheiten hervorruft. Damit wir hier zu wirksamen Problemlösungen kommen, müssen wir dafür
sorgen, dass der Technologietransfer in die Länder der
Dritten Welt wesentlich schneller stattfindet, als das bislang der Fall war.
Dass wir in der Bundesrepublik beispielhaft gehandelt haben, indem wir im Vergleich zur internationalen
Gemeinschaft blitzartig aus der FCKW-Produktion ausgestiegen sind, war ein notwendiger Beitrag. Aber wenn
die anderen Länder FCKW weiterproduzieren, weil wir
den Technologietransfer nicht vorantreiben, dann werden wir das Problem nicht lösen. Ich appelliere deshalb
dafür, dass wir dieses Problem nach wie vor im Auge
behalten. Wir müssen weltweit darauf achten, dass besonders vulnerable und anfällige Gruppen wie Säuglinge
und Kinder besser geschützt werden, als das derzeit der
Fall ist.
Wo stehen wir in der Bundesrepublik Deutschland?
Ich glaube, dass 16 Jahre Umweltschutzpolitik in erheblichem Maße Früchte getragen haben. In den vergangenen Jahren ist die Belastung der Bevölkerung hinsichtlich der Schadstoffkonzentrationen erheblich verringert worden. Wir haben die Konzentrationen von Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Benzol, die
Konzentrationen von Schwermetallen wie Blei sowie
von Giften wie Arsen und Quecksilber um über
70 Prozent deutlich gesenkt. Das ist angesichts dessen,
was wir heute unter dem Aspekt Umwelt und Gesundheit diskutieren, ein ganz wesentlicher Fortschritt.
({11})
Wir haben zum Schutz der Bevölkerung auch im Bereich der ionisierenden und nicht ionisierenden Strahlung fortschrittliche Rechtsvorschriften geschaffen. Die
geltenden Grenzwerte sind ausreichend. Dass wir sie
noch verbessern können, darüber müssen wir miteinander diskutieren.
Ich habe die umweltpolitischen Maßnahmen nur kurz
skizziert. Ich bin nicht ausführlich auf die Maßnahmen
zum Gewässerschutz, zum Grundwasserschutz und zum
Bodenschutz eingegangen, die ein ganz wesentlicher
Punkt in diesem Bereich sind. International sind wir die
Ersten, die ein Bodenschutzgesetz geschaffen haben und
die damit die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet
haben. Diese Maßnahmen haben zwar zu einem hohen
Schutzniveau für die menschliche Gesundheit geführt die Belastung für die Menschen konnte erheblich reduziert werden - , aber trotz dieses erreichten hohen
Schutzniveaus können Umweltfaktoren für sich allein
oder in Kombination mit anderen Faktoren zur Entstehung oder Verstärkung von Erkrankungen beitragen.
Der Zusammenhang, um den es hier geht, ist wissenschaftlich vielfach noch nicht hinreichend erforscht.
Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen uns fragen, wie
wir Umwelteinflüsse identifizieren können, wie wir eine
Beziehung zwischen Umwelteinflüssen und gesundheitlicher Beeinträchtigung herstellen können und wie wir
aus der Kenntnis von Kombinationswirkungen lernen
können. Wir haben in diesem Bereich nach wie vor einen ganz erheblichen Nachholbedarf, obgleich wir in
Deutschland auf diesem Gebiet wesentlich mehr geleistet haben als die anderen europäischen Länder.
({12})
Dr. Klaus W. Lippold ({13})
Trotzdem stehe ich zu der Verpflichtung, dass wir hier
weiterarbeiten müssen, weil der Schutz der Bevölkerung
ein solches Vorgehen erfordert.
Wann sind Umwelteinflüsse ein Gesundheitsrisiko?
Ich glaube, gerade diese Frage umfasst eines der heikelsten Probleme der genannten Themenkreise. Hier beginnt
und endet manchmal jede Diskussion. Manche Sachverhalte stellen subjektiv ein hohes Risiko dar, obwohl sie
naturwissenschaftlich gesehen ein eher niedriges Risiko
darstellen - und umgekehrt.
Laien und Experten schätzen Risiken unterschiedlich
ein; denn ihren Einschätzungen liegen unterschiedliche
Rationalitäten zugrunde. Laien haben ein intuitives Risikoverständnis. Deshalb müssen wir heute in Sachen Risiko zu mehr Transparenz kommen. Wir müssen Kriterien entwickeln, wie wir die Sachverhalte rationaler bewerten können und wie wir sie der Bevölkerung rationaler vermitteln können. Wenn wir den Menschen ihre bei
ihnen unbegründet produzierten Ängste nehmen - diese
Ängste können entstehen, weil Risikofaktoren in ihrer
Wirkung verzerrt dargestellt werden - , dann tragen wir
damit dazu bei, die Menschen vor gesundheitlichen Gefahren zu bewahren; denn auch Angst kann ein Faktor
sein, um Krankheiten oder psychische Beinträchtigunen
auszulösen. Diese Beeinflussung wollen wir vermeiden.
Wir wollen den Menschen die Ängste nehmen und sie
nicht zusätzlich schüren.
In der Vergangenheit haben Sie in dieser Frage mit
verschiedensten Stoffkampagnen genau zum Gegenteil
beigetragen. Sie haben Risiken unendlich hoch gepuscht - das Wort „Pseudokrupp“ ist heute Morgen
schon gefallen - , Ängste instrumentalisiert, um bestimmte Dinge zu verhindern. Solange Sie nicht gegen
Kernkraftwerke waren, haben Sie im Umfeld von Kohlekraftwerken die Pseudokrupp-Debatte geschürt, bei
Menschen Ängste geschaffen.
({14})
Als Sie auf die Kernkraftdiskussion umgestiegen sind,
habe ich keinen mehr aus Ihren Reihen erlebt, der auf
diese Gefahr hingewiesen hat. Instrumentalisiert haben
Sie die Ängste, und das ist falsch, weil Sie den Menschen damit noch mehr Angst gemacht haben und sie
damit stärkeren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt haben, als in der Sache selbst gegeben waren.
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das muss anders werden. Ich meine, dass wir stärker zusammenarbeiten müssen, um zu Regelungen zu kommen, mit denen wir diese Problematik zukünftig gemeinsam besser
lösen. Auch darin liegt eine Chance für die Bevölkerung, eine Chance für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Herzlichen Dank.
({15})
Nun erteile ich der
Parlamentarischen Staatssekretärin Gila Altmann das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist
so viel von Ängsten die Rede. Ich muss sagen, ich habe
am meisten Angst vor dem Halbwissen der Opposition,
so wie es sich heute Morgen dargestellt hat.
({0})
Die Politik macht sich ja so gerne für die Jugend
stark. In allen Politikfeldern reden wir heute von der Jugend: bei den Arbeitsplätzen, beim Thema Bildung, sogar bei der Rente. Aber was tun wir eigentlich dafür,
dass die Kinder und Jugendlichen gesund bleiben? Hier
setzt das Projekt „Umwelt und Gesundheit“ an.
Zur Zeitrechnung von Herrn Lippold muss ich sagen:
Wir haben das Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ letzten Sommer vorgestellt. Wenn Sie ein halbes Jahr brauchen, um es zu lesen, dann wundert mich
gar nichts mehr.
Die zunehmende Umweltbelastung trifft vor allem
Kinder und ihre Gesundheit. Kinder sind die Leidtragenden unseres ungebremsten Fortschrittsglaubens. Sie
sind weltweit besonders betroffen bei Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Hurrikans,
Frau Lengsfeld, die in der Häufigkeit auch Folge von
Umweltzerstörung sind.
({1})
Das heißt, indem wir unsere Umwelt schützen, schützen
wir auch die Gesundheit unserer Kinder.
Die zunehmende Globalisierung trägt dazu bei, dass
die weltweiten Umweltbelastungen zunehmen und damit
auch das Tempo, in dem sich Krankheiten ausbreiten.
Das Sondergutachten des Rates der Sachverständigen
für Umweltfragen fordert, dass wir uns mit den Risiken
von Umwelteinwirkungen, deren Erkennbarkeit und
Einschätzung sowie den Strategien zum Schutz wie auch
insbesondere mit der Vorsorge stärker als bisher beschäftigen. Dabei geht es auch immer wieder um die
Frage des gesellschaftlichen Kontextes, also um die Fragen: Wie viel Risiko kann oder will sich diese Gesellschaft leisten? Wo stehen Umwelt und Gesundheit in
Konkurrenz zu Wirtschaftswachstum, Beschäftigung
und menschlicher Bequemlichkeit?
Bei drei Problemfeldern sieht das Sondergutachten
zurzeit Risiken, die in dieser Gesellschaft unterschätzt
werden. Das sind die Probleme des Zusammenhangs
von Allergien und Umwelteinflüssen, die Belastung
durch ultraviolette Strahlung und die Belastung durch
Lärm.
Der Lärm ist heute schon ein paar Mal angesprochen
worden. Auch ich möchte bei diesem Beispiel bleiben.
Lärm, der akustische Abfall, ist in seiner Wirkung lange
Zeit dramatisch unterschätzt worden. Und, Frau Lengsfeld, er schädigt auch dann, wenn er positiv wahrgenommen wird.
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
({3})
Bei Letzterem, dem so genannten Freizeitlärm, zum Beispiel durch Walkmen oder in Discos, tut Aufklärung
Not. Das haben Sie ja bewiesen.
({4})
Noch ein Wort, Frau Lengsfeld, zum Transrapid, dem
„Leisetreter“. Bei 400 Stundenkilometer - so war es ja
geplant - ist der Zug 93 dB laut. Zum Vergleich:
Ein Presslufthammer erzeugt 95 dB.
({5})
Lärm beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität,
sondern erhöht den Stress. Ab einem Lärmpegel von
65 Dezibel - das wurde schon gesagt - steigt das Risiko
von Herz- und Kreislauferkrankungen, von Schwerhörigkeit einmal ganz abgesehen. Besonders sensibel sind
die Nachtzeiten und die Aufweckereignisse, das heißt
die Anzahl der Momente, in denen der Schlaf gestört
wird.
All dies sind Erkenntnisse, die sich erst im Laufe der
letzten 30 Jahre durchgesetzt haben. So alt ist nämlich
das Fluglärmgesetz.
Frau Flach, ich finde es schon prickelnd, wenn Sie
von Aktionismus sprechen. Sie haben doch die Hände
jahrelang in unverantwortlicher Weise in den Schoß gelegt, obwohl Sie etwas hätten tun können. Wenn Sie von
Beteiligung reden, so muss ich sagen, dass wir als Opposition in der letzten Legislaturperiode Anhörungen zu
diesem Thema erzwungen haben. Das hätten Sie in den
Protokollen nachlesen können. Das Desinteresse der
damaligen Regierung war offensichtlich. Es ist auch
klar, warum: Es war die Angst vor der eigenen Courage.
Denn obwohl dringend geboten, ist es nicht so einfach, gegen Fluglärm vorzugehen. Da gibt es ökonomische Interessen, zum Beispiel die der Betreiber der
Flughäfen und derjenigen, die dort ihre Arbeitsplätze
haben. Wir müssen aber auch sehen, dass diesen ökonomischen Interessen volkswirtschaftliche Kosten, und
zwar in Milliardenhöhe, entgegenstehen. Es wird Zeit,
dass wir solchen Interessen stärker als bisher das Ruhebedürfnis der Bevölkerung entgegenstellen. Das gilt insbesondere für alte Menschen, für Kranke und besonders
für Kinder als die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Die Bundesregierung nimmt das Grundrecht
auf körperliche Unversehrtheit und seine Umsetzung
sehr ernst. Wir haben das in der Koalitionsvereinbarung
festgeschrieben. Zurzeit wird ein Gesamtkonzept zum
Schutz vor Verkehrslärm erarbeitet. Dieses Konzept soll
die Basis für eine verbesserte Rechtsgrundlage bilden.
Frau Flach, auch hier haben Sie sich als sehr schlecht
informiert gezeigt, wenn Sie fordern, dass wir Schienen
schleifen sollen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass wir
dies bereits tun. 1999 und 2000 haben wir 100 Millionen DM im Haushalt des BMV für diese Lärmschutzmaßnahmen eingestellt. Es wird etwas getan.
Es ist gut, dass das Eckpunktepapier zum Fluglärmgesetz vorliegt, das übrigens in nächster Zeit mit allen
Beteiligten, Frau Flach, intensiv diskutiert wird. Ihre
Bedenkenträgerei ist wirklich allzu durchsichtig.
({6})
Das Gesetz soll unter anderem erstmalig einen allgemeinen Nachtschutz in der Umgebung von Flughäfen
einführen und es soll an den Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung orientierte neue Grenzwerte für den
Fluglärm vorschreiben. Insofern bilden die vier Bausteine - das TAB-Projekt, das gemeinsame Aktionsprogramm, das Sondergutachten und der vorliegende Antrag der Regierungsfraktionen - eine gute Grundlage für
die weitere Arbeit in diesem Bereich. Dazu gehört auch
die Grundeinstellung, dass es nicht um partielle, sondern
um gemeinsame Interessen geht.
Danke schön.
({7})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Umwelt und Gesundheit bedarf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.
Denn ohne Zweifel sind viele Ursache-WirkungsBeziehungen, beispielsweise bei der multiplen Chemikalien-Überempfindlichkeit, noch unklar. Es existieren einige, in sich schlüssige Theorien. Es stehen allerdings
gesicherte Beweisketten noch aus. Gleichwohl gibt es
augenscheinlich diese Krankheit mit ihren Müdigkeitsund Depressionsbildern, mit Symptomen wie schweren
Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsstörungen und
anderes mehr.
Die Betroffenen leiden oft unermesslich. Deshalb
spielt es nicht nur für die Erkrankten, sondern auch für
die Gesellschaft eine untergeordnete Rolle, ob sie aufgrund tatsächlich bestehender oder vermeintlicher Risiken oder auch nur aufgrund der als bedrohlich empfundenen Gesamtsituation erkranken. Ihnen muss geholfen
werden.
({0})
Doch was sind die Ursachen für das rapide Anwachsen von Überempfindlichkeiten und Allergien? Bereits
bei der letzten Debatte über endokrine Stoffe habe ich
darauf hingewiesen: Trotz vieler Erfolge bei der Verminderung von Schadstoffemissionen fungiert unser
Körper als Sammelstelle für die Nebenprodukte der
Wohlstandsgesellschaft. Einige Hundert, meist langlebige Chemikalien parken wir in unseren Organismen. Die
Umwelt wird mit Hunderttausenden von menschlich geschaffenen Chemikalien bombardiert. Stress, Lärm und
Strahlungen, summarische oder Kreuzreaktionen bzw.
katalytische Wirkungen können die Toxizität oder
Schädlichkeit verstärken, schwächen oder sogar umwandeln.
Kurz gesagt: Der Cocktail ist etwas unübersichtlich geworden.
Deshalb möchte ich zwei Ansätze des Aktionsprogramms „Umwelt und Gesundheit“ positiv hervorheben:
erstens die Interdisziplinarität, zweitens den Vorsorgegedanken.
Die Diskussion um aus der Umwelt stammende Gesundheitsrisiken erfordert eine fundierte Risikobetrachtung. Auch da stimmen wir der Regierung zu. Denn
schließlich müssen aus der Flut von tatsächlich begründeten Meldungen über neue Schadstoffe und Risiken auf
der einen Seite und dem sicher ebenso großen Strom von
Halbwahrheiten, interessengeleiteten Abwiegelungen
der Industrie und schließlich auch aus Wissenslücken resultierenden widersprüchlichen Warnungen auf der anderen Seite konkrete Schlussfolgerungen gezogen werden, die dann in der Umsetzung Geld kosten.
Bei alldem sollte aber nicht aus den Augen verloren
werden: Die Analyse steht nicht am Anfang. Dass beispielsweise der ständig wachsende Verkehr mit seinen
Emissionen von Gasen, Feinstäuben und Lärm, mit seinem Stresspotenzial und seiner Naturraumzerstörung einer der wichtigsten Risikofaktoren der Industriegesellschaft ist, liegt auf der Hand. Es gibt auch experimentelle Hinweise auf die schädliche Wirkung von Feinstäuben aus Dieselmotoren für die Lunge und das HerzKreislauf-System. Doch während Frau Fischer und Herr
Trittin am Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“
basteln, schnitzt Herr Klimmt an weiteren sechsspurigen
Autobahnen, die zusätzlichen Verkehr erzeugen werden.
Ich meine, das ist ein Witz. Gleiches gilt für die Lärmschutzprogramme, deren Erstellung schon meist nicht
finanzierbar ist, geschweige denn ihre Realisierung.
Wollen wir mit der Vermeidung von Verkehr so lange warten wie bei der von FCKW? Das Gutachten des
Sachverständigenrates dokumentiert ständig steigende
Zahlen von Hautkrebserkrankungen durch die Zerstörung der Ozonschicht. Das ist die Quittung für fehlende
Vorsorge und leichtfertigen Umgang mit umweltrelevanten Chemikalien.
Leider habe ich keine Zeit mehr, etwas zu den Berufskrankheiten zu sagen.
({1})
Niemand hier im Raum hat darüber gesprochen. Auch
zu den Opfern der unsäglichen Holzschutzmittelaffäre
kann ich nichts mehr sagen. Es ist ein großer Skandal,
dass diese Opfer nicht entschädigt wurden. Auch dafür
könnte noch etwas getan werden.
Danke.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir sehen in der Debatte
über Umwelt und Gesundheit einen wichtigen Beitrag
zur Modernisierung des Gesundheitswesens. Wir halten es für dringend notwendig, dass wir - so wichtig das
ist - nicht nur über Kosten und Organisationsstrukturen
sprechen, sondern auch über die Frage der Inhalte, wie
unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und modern
gestaltet werden und wie es den Menschen besser helfen
kann. Deshalb geht es hier um einen Ansatz, der die Inhalte der Gesundheitspolitik überdenkt und weiterentwickelt. Das halten wir für richtig.
({0})
Entscheidend hierfür sind vor allem zwei Faktoren.
Der erste Faktor- ist die Veränderung in den Krankheitsbildern. Wir erleben immer häufiger unspezifische
chronische Krankheiten, die dann oftmals Türöffner für
weiter gehende, schwere und auch sehr teuer zu behandelnde Krankheiten sind. Der zweite Faktor ist, dass wir
gerade im Medizinsektor eine der wichtigsten Innovationsbranchen der Zukunft sehen. Wir glauben, dass in
der Bundesrepublik große Chancen, auf diesem Markt
bestehen, insbesondere im europäischen Raum an der
Spitze zu sein.
({1})
Deshalb ist es sehr wichtig, die Modernisierung des Medizinsektors in allen ihren Facetten, von der technologischen Seite, der wissenschaftlichen Seite und dem Verhältnis Patient-Arzt insgesamt her, zu beleuchten und
das System, wo immer Schwachstellen sind, zu verbessern. Wir sehen die Gesundheitsreform als einen Einstieg hierfür, auf dem wir aufbauen wollen.
({2})
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich auch die
Umweltpolitiker für dieses Ziel interessieren. Denn, im
Kern ist in der Gesundheitspolitik eine ähnliche Denkweise wie in der Umweltpolitik erforderlich. Umweltpolitik ist auf Dauer nur erfolgreich, wenn wir von der
Nachsorge zur Vorsorge kommen.
({3})
Dasselbe gilt in der Gesundheitspolitik. Wir brauchen
einen vorsorgenden Gesundheitsschutz oder, um es anders auszudrücken, wir müssen - so wichtig sie bleibt weg von der Krankheitspolitik und hin zur aktiven Gesundheitsförderung kommen. Um diese Veränderung
geht es.
({4})
Das ist auch das, was die Weltgesundheitsorganisation im Hinblick auf die Aufstellung der Pläne Umwelt
und Gesundheit definiert hat, indem sie sagte: „Gesundheit müssen wir als Zustand des Wohlbefindens und
nicht nur als Zustand des Freiseins von Krankheit definieren.“
({5})
Dies ist übrigens auch die Ansicht von modernen, weiter
blickenden Medizinern. Wir sollten uns sehr viel mehr
an diesen orientieren als an verkrusteten Ständeinteressen, die leider allzu häufig blockieren und verhindern.
Um es mit Dietrich Grönemeyer zu sagen: „weg von der
Krankheitspolitik hin zur modernen Gesundheitspolitik“.
({6})
- Man kann es Ihnen nicht oft genug sagen.
({7})
Dies ist auch deshalb wichtig, weil wir dann, wenn
wir keine Modernisierung des Gesundheitswesens erreichen, in die Gefahr geraten, dass aufgrund der knappen
Mittel Selektionsmechanismen entstehen. Wir möchten
nicht, dass es am Ende heißt: Nur wer Geld hat, lebt länger, weil er sich eine umfangreichere gesundheitliche
Versorgung leisten kann. Das darf nicht sein. Auch deshalb wollen wir eine Modernisierung des Gesundheitssystems. Diese Neuorientierung ist für uns ein Kernbereich einer modernen Gesundheitspolitik.
({8})
- Herrn Grill antworte ich nicht. Bei jedem anderen
würde ich das tun, bei Ihnen aber derzeit nicht. Da haben wir leider zu viele unangenehme Erfahrungen gemacht.
({9})
Das Gesundheitswesen ist aus unserer Sicht noch viel
zu sehr auf das Kranksein ausgerichtet. Wir wollen es
sehr viel stärker sowohl auf die Verbesserung der Umwelt, um die Gesundheit zu erhalten, als auch auf die
Stärkung des Einzelnen - er soll wissen, was er tun
muss, um seine Gesundheit zu sichern und zu erhalten ausrichten.
Mit dieser Grundfrage hat sich auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen beschäftigt. In seinem Sondergutachten heißt es sinngemäß: Alle Krankheiten gehen letztlich auf genetische Faktoren oder auf Faktoren
aus der Umwelt zurück; in der Regel sind es beide. - Für
uns ist es erschreckend, dass wir in der Zwischenzeit
Studien vorliegen haben, die zu dem Ergebnis kommen,
dass in der Bundesrepublik bis zu 25 Millionen Menschen auch aufgrund von Umweltfaktoren erkrankt
sind. Dies betrifft insbesondere Allergien, Atemwegserkrankungen und Immundefekte. Das sind Zahlengrößen, angesichts deren wir nicht sagen können: Die sind
uns egal. Im Gegenteil: Das Fazit von Dietrich Grönemeyer: „Die Menschen sind zwar nicht richtig krank,
aber sie sind auch nicht richtig gesund“ ist richtig. Man
kann das auch so bezeichnen: Es gibt mehr und mehr eine Art Krankheit vor der Krankheit.
({10})
- Es ist schon interessant, dass Sie über so etwas lächeln. Viele Gesundheitsexpertern führen darüber eine
sehr wichtige Debatte. Es wird gesagt: Wir dürfen nicht
nur über den Ausbruch von Krankheiten nachdenken,
sondern müssen vor allem auch über die Faktoren sprechen, die Vorschädigungen hervorrufen. Das ist übrigens auch für die Modernisierung des Gesundheitswesens eine ganz zentrale Frage.
({11})
Ich muss Ihnen sagen: Ihre Reaktionen scheinen mir
in einem eklatanten Widerspruch zu den Aussagen Ihrer
Redner, dass sie dieses Thema wichtig nehmen, zu stehen. Wenn sie dies täten, müssten sie auch zu dieser Erkenntnis kommen.
({12})
Wir müssen über die Krankheit vor der Krankheit, also über die Vorschädigungen, sprechen und alles dafür
tun, den Umfang der Vorschädigungen zu reduzieren.
Ich weise darauf hin, dass in der sehr lesenswerten Studie „Med. in Deutschland“ steht:
Der alltägliche Medizinbetrieb steht dieser Entwicklung oftmals konzeptionslos gegenüber.
Die Folgen sind: Ausgrenzung von Patienten, ungeeignete kostentreibende Behandlungsmethoden
oder Psychiatrisierung von Kranken.
Deshalb sprechen wir über Vorschädigungen, also über
die Verursachung von Krankheiten, und nicht nur über
die Krankheit selbst. Das ist der Paradigmenwechsel, der
endlich in den Vordergrund gebracht werden muss.
({13})
Von daher ergeben sich für uns fünf wichtige Zielsetzungen.
Erstens. Wir wollen eine systematische und umfassende Erweiterung in der Bewertung von Krankheitsursachen erreichen.
Zweitens. Wir wollen vor allem die Immunologie als
wesentliches Instrument für Diagnostik und Therapie
stärken. Wir haben in Deutschland mit Paul Ehrlich in
der Immunologie eine Tradition. Wir sollten an dieser
Tradition sehr viel stärker ansetzen. Hierin liegt als dritte Säule eines Gesundheitssystems ein wesentlicher Faktor, um vorsorgend Krankheiten bekämpfen zu können.
Ich hoffe, dass wir einer Meinung sind, dass der Ausbau
der Immunologie sehr wichtig ist.
Drittens. Wir wollen durch die Gestaltung von Arbeits- und Lebensumwelt sehr viel stärker erreichen,
dass Krankheiten möglichst vermieden werden.
Michael Müller ({14})
Viertens. Wir wollen alles tun - da begrüßen wir das
Programm der Bundesforschungsministerin -, um Innovationen in diesem Bereich zu forcieren. Wir haben mit
Freude die Ankündigung vernommen, dass es einen
Schwerpunkt Gesundheitsforschung geben wird.
Fünftens. Wir wollen natürlich die Patienten, die Betroffenen selbst, zu sehr viel mehr motivieren, denn
Selbsthilfe und Selbstverantwortung sind ein wesentlicher Teil aktiver Umwelt- und Gesundheitspolitik.
Meine Damen und Herren, der Medizinsektor ist eine
der wichtigsten Wirtschaftsbranchen. Direkt und indirekt sind ungefähr zwölf Prozent aller Beschäftigten in
diesem Bereich tätig oder von ihm abhängig. In diesem
Bereich können wesentliche Innovationen und eine erhebliche Leistungsfähigkeit der Wissenschaft erreicht
werden. Deshalb möchten wir, dass die Bundesrepublik
auf diesem Feld Spitze bleibt. Wir haben leider in den
letzten Jahren vernehmen müssen, dass wir ins Hintertreffen geraten und etwas zurückgefallen sind. Deshalb
begrüßen wir die Anstrengungen, diesen Sektor zu stärken, und fordern alle Beteiligten - Wirtschaft, Wissenschaft, Medizinorganisation, Patienten, Ärzte - auf, ein
Netzwerk für eine moderne Medizinpolitik in Deutschland zu bilden.
Deshalb wollen wir auch, dass sehr viel mehr Modellprojekte im Bereich Umwelt und Gesundheit umgesetzt werden. Es geht nicht, dass nur gesagt wird - wie
wir es in den letzten Jahren oft gehört haben -: Da muss
weiter geforscht werden. Wir haben inzwischen so viele
konkrete Anhaltspunkte, dass daraus endlich modellhafte Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Das gilt auch für
MCS und CFS.
({15})
Wir wollen den Abbau von Hemmnissen gegen Erneuerungen. Damit meine ich jetzt weniger den staatlichen Sektor als vielmehr die Standes- und Selbstorganisation. Von Region zu Region erlebt man eine völlig unterschiedliche Offenheit gegenüber neuen Erkenntnissen. Es darf nicht sein, dass es vom Zufall abhängt,
ob man bestimmte Hilfen bekommt, nur weil man entweder in Süddeutschland oder in Norddeutschland, in
Ost oder West lebt.
({16})
Im Gegenteil, es muss Teil der Volksgesundheit sein,
moderne Erkenntnisse auch anzuwenden, und zwar unabhängig davon, wo man wohnt.
({17})
Wir wollen, dass die Ignoranz gegenüber neuen Erkenntnissen, die zum Teil vorhanden ist, beendet wird.
Es kann schon sein, dass sich manche in ihren Vorhersagen auch mal irren. Wer täte das nicht? Aber noch
schlimmer ist es, wenn man neue Erkenntnisse völlig
ignoriert und sie nicht zumindest einmal ernsthaft prüft
und aufgreift. Das verlangen wir auch und gerade in der
Gesundheitspolitik.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer
Zeit einzigartiger medizintechnischer und medizinversorglicher Möglichkeiten. Ich weise nur darauf hin, dass
beispielsweise in den USA durch das Internet die Beratungsintensität zwischen Medizin und Patient stark zugenommen hat. Wir haben mit solchen technischen
Möglichkeiten auch ganz andere Voraussetzungen, den
Kontakt zwischen Medizinern und Patienten zu verbessern. Wir sollten so etwas nutzen.
Es darf auch nicht sein, dass die Beratung, die
Betreuung und die Fürsorge für Patienten reduziert
werden, weil die Ärzte keine Zeit haben oder weil ihre
Beanspruchung dies einfach nicht mehr zulässt.
({18})
- Ich habe Ihnen doch gesagt, es wäre gewissermaßen
eine Chance, dies über solche Patienteninformationssysteme auszuweiten. Warum soll man das nicht versuchen? In anderen Ländern wird es gemacht. Wir können
die Bundesregierung - ich weiß, dass sie solche Überlegungen auch hat - nur unterstützen. Es ist ein sinnvoller Ansatz.
Wir möchten den Bereich immunologischer und
umweltmedizinischer Diagnostik ausbauen. Ich habe
eben schon davon gesprochen, dass für uns insbesondere
die Immuntherapie ein ganz wichtiger Ansatz ist.
Wir sehen darüber hinaus in dem technischen Fortschritt - insbesondere in miniaturisierten Verfahren, insbesondere in schonenden Operationsweisen - eine große Chance, aus der Verbindung von Vorsorge, mehr Beratung, Hightechmedizin und schonenden Behandlungsmethoden neue Vorteile für die Menschen zu erreichen.
({19})
- Ich komme jetzt dazu. Natürlich ist es richtig, dass
einzelne neue Behandlungsweisen teurer sind. Aber
durch die Umstellung auf eine solche moderne Medizin
werden erhebliche Kostenersparnisse erreicht. Das
muss man in einem Zusammenhang sehen. Es ist richtig,
dass nicht generell alles billiger wird - wer behauptet
das? -, aber in bestimmten Bereichen werden schwere
Krankheiten dadurch, dass wir mehr Vorsorge betreiben,
verhindert, was dann natürlich zu Kostenersparnissen
führt, insbesondere bei den zeitaufwendigen und sehr
kostenintensiven Behandlungsverfahren. Diesen Zusammenhang muss man sehen.
Auch die Zeit, die für die Erbringung medizinischer
Leistung nötig ist, kann durch moderne Verfahren deutlich verkürzt werden. Auch das ist ein Ansatz für Kostenreduzierung. Eine rein quantitative Betrachtung wird
uns nicht helfen. Und vor allem: Eine moderne Gesundheitspolitik hat die Chance, die Menschen zufriedener zu
machen. Das ist ein hohes Ziel unserer Politik.
Michael Müller ({20})
({21})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter
Grill, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bei der Rede des Herrn
Michael Müller in Anbetracht des Szenarios, das er gezeichnet hat, eine Frage stellen wollen, nämlich: Wie
bringt er - und manch andere, die hier geredet haben die Gefahrenbeschreibung in Einklang mit der Tatsache,
dass in der Bundesrepublik Deutschland die mittlere
Lebenserwartung stetig steigt? Denn das bestätigt die
Prognosen, die hinsichtlich der Gefährdung abgegeben
werden, nicht.
In der Bundesrepublik Deutschland hatten wir 1990
eine Situation, die das dramatisch deutlich gemacht hat:
Die mittlere Lebenserwartung in der ehemaligen DDR
lag um fünf bis zehn Jahre niedriger als die in den westlichen Industrienationen. Deswegen ist die letzte Fraktion, die in diesem Hause behaupten kann, es werde im
Zusammenhang mit Gesundheit und Umwelt nichts getan und die Menschen seien gefährdet, die Fraktion der
PDS.
({0})
Ich musste mich damals in Niedersachsen damit beschäftigen, wie wir 20 000 atemwegerkrankten Kindern
allein aus der Region Halle einen vierwöchigen Nordseeaufenthalt gönnen konnten, damit sie wieder eine
Perspektive bekamen.
Eine andere Bemerkung: In den Jahren 1982 bis 1984
haben wir eine Diskussion über die vom Kraftwerk
Buschhaus ausgehende Gefährdung der Menschen,
insbesondere der Kinder, geführt. In dieser Republik hat
damals eine Diskussion über Pseudokrupp stattgefunden - Klaus Lippold hat darauf hingewiesen -, in der
zum Ausdruck kam, dass man in Braunschweig, Helmstedt und darüber hinaus sogar Tote zu befürchten habe.
Das Kraftwerk Buschhaus läuft und kein Mensch redet
mehr über diese Frage.
Deswegen rate ich uns, die Dinge ernst zu nehmen,
sich aber davor zu hüten, Schreckensszenarien in dem
Maße zu entwickeln, wie das Herr Müller getan hat.
Denn dies steht im krassen Widerspruch zu unserer Lebenserwartung. Herr Müller, man kann das Thema wichtig nehmen; man muss aber nicht all das wichtig nehmen, was Sie heute gesagt haben.
({1})
Kollege Müller, wollen Sie antworten?
Ich habe den
Eindruck, Herr Grill war in einem anderen Raum. Denn
ich habe gar kein Szenario gezeichnet,
({0})
sondern über die Anforderungen an eine moderne Gesundheitspolitik geredet.
Auch für uns ist es im Übrigen sehr erfreulich, wenn
das durchschnittliche Lebensalter steigt. Wer sollte etwas dagegen haben? Was sind das für Alternativen, die
hier aufgezeigt werden sollen? Wir danken dafür, dass
diese technische Entwicklung das möglich gemacht hat.
Aber umgekehrt sage ich: Gerade weil wir wollen, dass
die Menschen älter und zufriedener werden und ein erfülltes Leben haben, müssen wir alles tun, um ihre Gesundheit zu sichern. Eben dies wollen wir. Insofern:
Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
({1})
Nun erteile ich noch
einmal dem Kollegen Klaus Lippold von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Es
macht euch richtig Spaß, dass ihr mich zweimal ertragen
müsst.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur
noch einmal darauf hinweisen, dass wir jetzt das, was in
der Zeit Töpfer/Merkel begonnen wurde, fortsetzen wollen. Wir gehen also bei allem, was wir erreicht haben,
davon aus, dass nach wie vor Positionen gegeben sind,
an denen wir mit Erfolg weiterarbeiten müssen.
Wir haben beim Lärmschutz - das wollte ich noch
einmal spezifisch aufgreifen - über das BundesImmissionsschutzgesetz, die Regelungen zum Arbeitsschutz und das Bauplanungsrecht gute und entscheidende Fortschritte erzielt. Ich will auch hinzufügen, dass
wir hinsichtlich der Reduzierung des Verkehrslärms einiges vorangebracht haben, aber schlussendlich sehen
müssen, dass dieser heute immer noch ein ganz entscheidender Faktor ist.
Wir haben zum Beispiel erreicht, dass die Flugzeuge
der neuen Generation mit aktivem Lärmschutz wesentlich leiser als die alten Maschinen sind. Wir sind so
weit, dass auf einigen Flughäfen fast ausschließlich diese modernen Flugzeuge und keine Flugzeuge nach Kapitel 3 mehr landen dürfen.
({0})
Dies sind alles Ansatzpunkte, die nach wie vor weiterentwickelt werden müssen; deshalb unser Antrag,
deshalb der Vorschlag einer ganzen Reihe von Punkten,
so - ich kann es Ihnen nicht ersparen - die Fertigstellung und die Umsetzung der Fluglärmnovelle. Wir wollen auch eine Absenkung der Geräuschwerte für KraftMichael Müller ({1})
fahrzeuge. Wir wollen Geräuschgrenzwerte für Reifen
nach dem Stand der Technik. Wir wollen die Fortführung - ich unterstreiche das noch einmal - der Sanierung
der bestehenden Lärmschutzwälle an Bundesstraßen und
natürlich auch an Schienenwegen. Da ich im Ballungsraum Frankfurt lebe, weiß ich doch, wo diese Probleme
bestehen und wie groß sie sind. Hier stellt sich nicht nur
die Frage des Lärmschutzes. Zusätzlich sind die Menschen von Erschütterungen betroffen. Hier müssen wir
nach wie vor Verbesserungen erzielen.
Frau Altmann, wir können nicht alles auf einmal. Wir
haben in den vergangenen Jahren viel erreicht und dass
hier nach wie vor Handlungsnotwendigkeiten bestehen,
ist gar nicht zu bestreiten. Wir brauchen die Reduzierung von Geräuschemissionen von Maschinen. Das sind
alles Vorhaben, die wir noch umsetzen wollen.
Ich finde es gut, dass der Sachverständigenrat, der
sagt, der Lärm sei ein zentraler Punkt - weshalb wir hier
insbesondere ansetzen -, gleichzeitig aber auch andere
Positionen deutlich gemacht hat, nämlich dass sich aufgrund der vorliegenden Datenlage Verdachtsmomente
nicht in der Form ergeben, wie sie bislang diskutiert
worden sind. Ich spreche von den hormonartig wirkenden Stoffen. Eine abschließende Bewertung der
Hypothese von der Störung des Hormonsystems von
Mensch und Tier durch Stoffe mit hormonähnlicher
Wirkung bedarf erst weiterer Grundlagenforschung, insbesondere stehen Untersuchungen zur Kombinationswirkung und Untersuchungen bezüglich der Aufnahme
von Phytoöstrogenen durch Säuglinge und Kleinkinder
noch aus. Dies ist ein ganz zentraler Punkt. Deswegen
brauchen wir ein nationales Forschungsprogramm zur
Erkenntnisgewinnung über die Auswirkungen hormonartig wirkender Chemikalien auf die menschliche Gesundheit und auf Ökosysteme, ein internationales Forschungs- und Arbeitsprogramm zur Fortentwicklung von
Prüfmethoden und die Bewertung einzelner Stoffe im
Rahmen des EU-Altstoffprogramms.
Ich will noch einmal deutlich machen: Wir brauchen
in diesem Bereich eine nüchterne Betrachtung und keine
Panikmache. Die Fortführung notwendiger Arbeiten ist
angesagt. Deswegen brauchen wir uns in diesem Bereich
gar nicht so weit auseinander zu reden. Wenn wir uns
darauf verständigen, dass wir Panikmache unterlassen
und nüchtern daran arbeiten, kommen wir einen ganz
erheblichen Schritt weiter.
Im Bereich bodennahes Ozon haben wir in unserem
Antrag eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht.
Auch das sind Punkte, von denen ich meine, dass wir
darüber sprechen müssen. Hier wollen wir weitergehen.
Einen Punkt - damit will ich schließen - möchte ich
besonders herausstellen. Wir haben mit den Allergien
ein neues Problemfeld in einer Größenordnung, die es
früher nicht gab. Das ist kein einfaches Problemfeld. Ich
halte es für wichtig, dass wir Maßnahmen zur Produktkennzeichnung ergreifen, dass wir die Förderung der Allergieforschung mit dem Ziel fortführen, Risikozusammenhänge offen zu legen, und auch - das haben wir
begonnen - die Informationsarbeit von Selbsthilfegruppen mit dem Ziel fortsetzen, den Selbstschutz zu fördern. Die Aufklärung von Betroffenen durch Betroffene
muss dabei eine ganz eminente Rolle spielen.
Das heißt, in all diesen Punkten besteht noch erheblicher Handlungsbedarf. Ich glaube, das ist auch für Sie
Anlass genug, unseren Antrag zu prüfen. Wir selbst
werden ihn noch einmal systematisch mit Sachverständigen erörtern. Wir werden ihn noch einmal unter Hinzunahme von Experten prüfen, weil wir meinen, in diesem Punkt ist noch mehr Sachverstand gefragt, als bislang eingebracht wurde. Wir werden hier sehr sorgfältig
vorgehen und weitere konkrete Schritte vorschlagen, wie
wir auf diesem für den Schutz der Bevölkerung ganz
maßgeblichen Weg, weitergehen können.
({2})
Ich will aber deutlich machen, dass wir gerade jetzt
diesen Weg zuversichtlich gehen können. Es gibt, wie
Kurt-Dieter Grill eben betont hat, klassische Kennzeichen dafür, dass wir Erfolge hatten. Wenn wir den Menschen vermitteln, dass sie nicht mit Pessimismus, sondern mit Optimismus in die Zukunft blicken können, ist
das eine wesentliche Grundlage. Menschen, die lachen
können, werden wesentlich seltener krank.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob ich bei dem Beitrag, den wir
vonseiten der CDU gehört haben, lachen oder weinen
soll.
({0})
- Ich halte das Lachen für gesünder. Mich erstaunt, dass
ausgerechnet die Frau Kollegin Vera Lengsfeld uns und
der Bevölkerung Verfolgungswahn vorwirft.
({1})
Ich glaube, wir sollten einmal über umweltbedingte Erinnerungslücken sprechen. Denn vor nicht allzu langer
Zeit war sie noch Vertreterin der ökologischen Kinderrechte.
({2})
Ich meine, Herr Lippold hat uns dankenswerterweise
gesagt, was Sie alles vorhatten und nicht getan haben.
Ich finde, das Thema ist in vieler Hinsicht sehr ernst.
Manchmal drängt sich mir auch der Eindruck von Zynismus bei dieser Debatte auf.
Vor 23 Jahren ist ein 12-jähriges Mädchen an den
Folgen einer Vergiftung durch das Holzschutzmittel gestorben, das ihre Eltern unwissenderweise in ihrem Haus
Dr. Klaus W. Lippold ({3})
verstrichen hatten. Nach diesem Vorfall im Jahr 1977
hat es bis 1989 gedauert, bis PCP als Holzschutzmittel
verboten wurde. Es hat eine Unmenge von Geschädigten
sowie einen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe
für Wirtschaft, Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft insgesamt gegeben.
Noch zu Zeiten der alten Bundesregierung hat es im
BML ein Gutachten - es war kein bösartiges und hysterisches dieser neuen Regierung - über Kosten und Nutzen von Pestiziden gegeben. Dieses benennt beispielsweise - an die Seite der CDU gerichtet, die nach den
Kosten und Nutzen fragt - die Kosten des Schutzes vor
sowie der Beseitigung und Vermeidung von Pestiziden,
die diese Gesellschaft aufbringt, mit etwa 240 Millionen DM jährlich. Das Gutachten nennt aber auch ein
erhöhtes Krebsrisiko bei den Arbeitern sowie Nervenschädigungen bei den Anwendern. In den ländlichen
Haushalten sind Pestizidgehalte im Hausstaub zu finden,
von dem gerade die auf dem Boden herumkrabbelnden
Kinder betroffen sind. All diese Probleme wurden von
Ihnen, von der alten Bundesregierung, das heißt von
CDU/CSU und F.D.P., über Jahre verschleppt und ignoriert.
({4})
Auch im Fall der Pestizide haben wir eine Odyssee
für die Betroffenen sowie Kosten in Milliardenhöhe zu
verzeichnen. Diese Bundesregierung beginnt mit einem
Paradigmenwechsel. Sie beginnt mit einem neuen Ansatz von Gesundheits- und Umweltpolitik, in den die
Arbeitswelt mit einbezogen ist. Bei diesem Paradigmenwechsel wird deutlich: Man hört auf mit der Einzelbetrachtung, zum Beispiel der Betrachtung, wie der
Wirkstoff, das Pestizid auf die einzelne Erdbeere im
Hinblick auf die menschliche Gesundheit wirkt, und
fängt an, den Menschen bzw. das Kind an sich und seine
Umwelt zu betrachten. Im Nahrungsmittelsektor wird
beispielsweise nicht mehr das Einzelprodukt, sondern
der Warenkorb betrachtet. Der ganzheitliche Ansatz ist
eine völlig andere Vorgehensweise, die auch Sie, werte
Kollegen von der Opposition, in Ihrem Antrag aufgegriffen haben. Wir werten dies als Unterstützung.
Das ist ein sehr anspruchsvolles Arbeitsprogramm,
wie meine Kollegen von der SPD es schon gesagt haben,
das Schritt für Schritt umgesetzt werden soll. Es bedeutet erstens die systematische Erfassung umweltbedingter
gesundheitsschädigender Faktoren, die bislang nicht in
einer vernünftigen Form - es wurde von Datenfriedhöfen gesprochen - vorhanden war, zweitens die Bewertung auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse und drittens die Ableitung entsprechender zielorientierter Maßnahmen für die Politik. Dies bedeutet, das Vorsorgeprinzip wird zum Grundprinzip von Umwelt- und Gesundheitspolitik wird. Es ist keinesfalls so, dass wir die
anderthalb Jahre der rot-grünen Regierung damit verbracht hätten, die alten Unterlagen von Frau Merkel zu
lesen.
({5})
Nein, es hat bereits entscheidende Schritte gegeben.
Mit der Gesundheitsreform ist das Vorsorgeprinzip wieder an seine bedeutende Stelle gerückt worden. Es hat
zum Beispiel beim TBT ein entsprechendes Verbot gegeben. Das war kein Aktionismus, sondern ein entsprechender Antrag wurde im Umweltausschuss schon vor
über einem halben Jahr formuliert. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, differenzierte Maßnahmen in
diesem Fall zu ergreifen. Das hat sie natürlich getan.
Auch die Zulassung von BT-Mais ist ein Schritt dieser
Bundesregierung. Der hat sehr wohl konkrete umweltpolitische und gesundheitliche Gründe. Das sind handlungsbezogene und programmbezogene Reaktionen, die
einen vernünftigen Ansatz bieten, um Umwelt und Gesundheit in diesem Land zusammenzubringen und Konzepte für die Menschen umzusetzen damit, sie eben
nicht krank, sondern gesund alt werden können.
Vielen Dank
({6})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2300 an die auf der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 14/2767
und der Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/2771 sollen an dieselben
Ausschüsse überwiesen werden, wobei der Antrag auf
Drucksache 14/2767 nicht an den Ausschuss für Tourismus und der Entschließungsantrag auf Drucksache
14/2771 nicht an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend überwiesen werden sollen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe damit Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Hermann Gröhe, Dr. Heiner Geißler, Monika
Brudlewsky weiterer Abgeordneter und Fraktion
der CDU/CSU Verfolgung von Christen in aller Welt.
- Drucksachen 14/1279, 14/2431 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über unsere Große Anfrage
und die Antwort der Bundesregierung bietet uns erstmals die Gelegenheit, im Bundestag über die Lage diskriminierter und verfolgter Christen in aller Welt zu reden. Immer wieder haben wir - auch in den letzten Tagen noch - erschütternde Nachrichten über zerstörte
Kirchen und misshandelte und ermordete Christen erhalUlrike Höfken
ten. Erst vorgestern ging die erst jetzt bekannt gewordene Hinrichtung von Missionaren im kommunistischen
Nordkorea im November des vergangenen Jahres durch
die Zeitungen.
Unsere Große Anfrage zielt auf eine systematische
und differenzierte Aufarbeitung dieses Themas insgesamt ab. Ausgangspunkt unserer Arbeit - hier befinden
wir uns in völliger Übereinstimmung mit der Antwort
der Bundesregierung - ist unser Einsatz für die Religionsfreiheit generell. Deshalb passt es durchaus in die
heutige Debatte, wenn wir im Vorfeld des Besuchs von
Bundesaußenminister Fischer im Iran gemeinsam deutlich machen, dass die jüngste Verkündung bzw. Bestätigung von Todesurteilen gegenüber Bahi im Iran nicht
hingenommen werden kann. Der Reformkurs im Iran ist
nur glaubwürdig, wenn endlich mit der unerträglichen
Verfolgung der Bahi Schluss gemacht wird.
({0})
Wir treten für verfolgte Anhänger gleich welcher religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung ein.
Zugleich sagen wir aber auch sehr deutlich: Angesichts
der christlichen Prägung unserer politischen Kultur fühlen wir uns verfolgten Christen in besonderer Weise
verbunden und zur Solidarität verpflichtet. Ich stelle erfreut fest, dass sich die Bundesregierung - wie es in ihrer Antwort heißt - durch „die zahlreichen und häufig
engen Kontakte der deutschen Zivilgesellschaft mit bedrängten Christen in aller Welt ... in besonderer Weise
gefordert ({1}), sich weltweit gerade auch für verfolgte
Christen einzusetzen“.
Ich hebe diese Erwähnung des Engagements verschiedener Gruppierungen aus dem kirchlichen
Raum und aus Menschenrechtsorganisationen auch
deshalb besonders hervor, weil ihrer tätigen Solidarität
unser aller Anerkennung gelten sollte. Es sollte diesen
Gruppen Mut machen zu hören, dass sie mit ihrem Einsatz zur Ausrichtung der Politik unseres Landes beitragen können.
Ich nenne weitere wichtige Punkte der Übereinstimmung. Wir teilen die Auffassung, dass staatliches Vorgehen gegen die Religion im Namen einer Ideologie
insgesamt abgenommen hat.
({2})
Sie werden mir diese Bemerkung erlauben: Angesichts
der Tatsache, dass Antikommunismus noch vor gar nicht
langer Zeit bei vielen in Politik und auch in den Kirchen
nahezu als eine völlig abwegige Geisteshaltung galt,
verdient es eine Hervorhebung, dass die rot-grüne Bundesregierung ausdrücklich - ich zitiere - den „Zerfall
des kommunistischen Machtblocks in Osteuropa“ als
wesentliche Ursache für diesen Zugewinn an Freiheit
nennt.
Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass noch
immer in Ländern wie der Volksrepublik China, in
Nordkorea und in Vietnam eine Religionspolitik wirksam ist, die von der kommunistischen Vorstellung von
Religion als „Opium für das Volk“ geprägt ist. Noch
immer werden in China romtreue Katholiken und Anhänger protestantischer Hauskirchen vielfach gezwungen, ihren Glauben weitgehend im Untergrund zu leben,
werden Prediger und Priester nicht registrierter Gemeinden schikaniert und inhaftiert. Erst vor zwei Wochen
wurde ein über 80-jähriger Untergrundbischof erneut inhaftiert, der bereits 30 Jahre in chinesischen Gefängnissen verbracht hat. Dabei sind auch in dieser Menschenrechtsfrage in der Volksrepublik China erhebliche regionale Unterschiede festzustellen. So herrscht in der einen Region nahezu vollständige Freiheit für die Anhänger der verschiedensten Religionsgemeinschaften,
während in anderen Regionen Religionsgemeinschaften,
in Sonderheit die nichtregistrierten, Terror und Schikanen erleiden müssen.
Angesichts dieser Situation in China reicht es nicht
aus, wenn in der Antwort der Bundesregierung lediglich
festgestellt wird, dass seitens der Volksrepublik China
oder auch Vietnams wenig Bereitschaft bestünde, Fragen der Religionsfreiheit ernsthaft zu erörtern, und dass
den Botschaften der Kontakt zu nicht registrierten Religionsgemeinschaften untersagt sei. Wir müssen nicht zuletzt im Vorfeld der Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf alles versuchen - wir werden
über dieses Thema noch anhand anderer Anträge zu diskutieren haben - , um dem Thema Religionsfreiheit in
China zu größerem Gewicht zu verhelfen. Ich nenne neben den genannten christlichen Gruppen auch die Muslime in Xinjiang, die Falun-Gong-Bewegung oder die
anhaltende Zerstörung der religiösen Kultur in Tibet.
Sicherlich stimmt es, - davon ist in der Antwort die
Rede, - dass der nichtstaatliche Druck auf Christen
ein wachsendes Problem ist. Auch 1999 - dies hat der
zuständige UN-Sonderberichterstatter festgestellt - ist
ein Anwachsen des religiösen Extremismus zu konstatieren. Zu nennen ist hier etwa ein militanter HinduNationalismus, der seit der Regierungsübernahme der
Partei BJP zu einem dramatischen Anstieg der Ausschreitungen gegen christliche Kirchen in Indien geführt
hat. Dabei will ich die Bemühungen auch indischer Regierungsstellen, dieser Gewalt entgegenzutreten, oder
insbesondere die erfreulich klaren kritischen Worte in
der indischen Presse im Hinblick auf diese Vorkommnisse nicht unerwähnt lassen.
In der Antwort wird zu Recht festgestellt, dass religiöse Konflikte häufig mit ethnischen und sozialen Konflikten verbunden sind. Sicherlich geht es im Sudan ganz
zentral um den Konflikt zwischen dem arabisch geprägten Norden und dem afrikanisch geprägten Süden, aber
es sind eben auch entscheidende Kräfte in diesem Land,
die nicht nur gegen die Christen im Süden, sondern etwa
auch gegen für abtrünnig erklärte Muslime in den NubaBergen einen „heiligen Krieg“ führen.
In der Antwort wird gesagt, dass die gewalttätigen
Auseinandersetzungen in Indonesien zwischen Christen
und Muslimen, wie wir sie vor allem auf den Molukken
erleben, das Resultat einer „gestörten Balance“ zwischen
diesen Bevölkerungsgruppen sind. Es muss aber auch
erwähnt werden, dass diese Balance durch Jahrzehnte
einer unverantwortlichen Transmigrationspolitik der indonesischen Machthaber zerstört wurde. Lauter werdende Hasstiraden der Führer einer islamistischen MinderHermann Gröhe
heit müssen uns ebenso besorgt machen wie die vielfältigen Schikanen, denen christliche Gemeinden ausgesetzt sind, wenn sie etwa versuchen, zerstörte Kirchen
wieder aufzubauen.
({3})
Die Hoffnungen vieler Christen in Indonesien beruhen
nicht zuletzt auf dem muslimischen Staatspräsidenten
Wahid, der sich vielfach für ein gutes Miteinander der
unterschiedlichen Religionen eingesetzt hat.
Wenn wir mit großer Sorge ein Anwachsen der Diskriminierung und die Verfolgung von Christen in einer
Reihe islamisch geprägter Länder betrachten, dann geht
es nicht um eine fragwürdige Verallgemeinerung.
Aber die Sorge um den Vorwurf, neue Feindbilder zu
schaffen, darf auch nicht dazu führen, dass zu Verfolgungstatbeständen in Afghanistan, in Saudi-Arabien
oder in Pakistan nicht deutlicher Klartext gesprochen
wird. Hier sehe ich weiteren Diskussionsbedarf. So
wirkt es aus meiner Sicht nahezu verharmlosend, wenn
die Bundesregierung in ihrer Antwort meint, die nach
traditioneller Auslegung der Scharia Muslimen, die
Christen werden, drohende Todesstrafe stelle eine „eher
hypothetische Gefahr“ dar, von Todesurteilen sei seit
vielen Jahren nichts bekannt.
Im Gegensatz dazu stellt der bereits erwähnte Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der
Vereinten Nationen, Amor, der in der Antwort verschiedentlich zitiert wird, fest, es komme
… in den muslimischen Ländern in der Praxis relativ häufig vor, dass Menschen hingerichtet werden,
weil sie vom islamischen Glauben abgefallen sind.
Bis heute sitzt der 30-jährige Ayub Masih in einem
pakistanischen Gefängnis, nachdem er im April 1998
wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed zum Tode verurteilt worden ist. Auch weitere Todesurteile der letzten Jahre, die in Pakistan unter anderem gegen ein 14-jähriges Kind wegen Blasphemie verkündet wurden, verbreiten Schrecken und Entsetzen unter der christlichen Minderheit in diesem Land, auch
wenn die Urteile später aufgehoben wurden.
1994 fand man einen protestantischen Pastor in einem
Vorort Teherans ermordet auf, nachdem sein Todesurteil
aufgrund internationalen Drucks zuvor aufgehoben und
er freigelassen worden war.
Auch der familiäre und soziale Druck ist häufig
lebensbedrohlich, ja tödlich. So wurde 1997 eine
22-jährige Pakistanerin von ihrem eigenen Bruder ermordet, weil sie sich für den christlichen Glauben interessierte.
Für problematisch halte ich es, wenn in der Antwort
der Bundesregierung zur Lage der Christen in den islamischen Ländern erklärt wird, „lediglich missionarische
Aktivitäten“ würden „von den meisten islamischen Staaten“ - wie es weiter heißt - „konsequent unterbunden“;
denn das Grundrecht auf Religionsfreiheit umfasst, wie
es in Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausdrücklich heißt,
… die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine
Religion oder seine Weltanschauung allein oder in
Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat
durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden.
Mir erscheint auch ein deutliches Wort zur schwierigen Lage der Christen in der Türkei notwendig. Bereits seit 1923 können keine neuen Kirchengebäude in
der Türkei errichtet werden. Immer wieder wird kirchliches Eigentum enteignet, insbesondere das der armenisch-orthodoxen Kirche. 1998 war auch eine katholische Gemeinde am Bosporus von einer größeren Grundstücksenteignung betroffen. Die seit 1971 anhaltende
Schließung des griechisch-orthodoxen Theologischen
Seminars und das erst 1997 erlassene Verbot, die armenische Sprache an die nachwachsende Generation weiterzugeben, bedrohen die Existenz christlicher Religionsgemeinschaften in der Türkei.
({4})
Für uns ist es selbstverständlich, dass wir uns zum
Recht der in Deutschland lebenden Muslime, auch der
Türken und der deutschen Staatsangehörigen türkischer
Abstammung auf Ausübung ihrer religiösen Bräuche bekennen. Eine andere Große Anfrage der Unionsfraktion
zielt hier auf weitere Verbesserungen in unserem Land.
Aber wir erwarten auch, dass der Weihnachtsbotschaft
von Staatspräsident Demirel im vergangenen Jahr endlich ein Ende der Diskriminierung von Christen in der
Türkei folgt.
({5})
In der Antwort der Bundesregierung auf die letzte
Frage heißt es:
Es herrscht kein Mangel an Aufmerksamkeit für
das Thema der Religionsfreiheit.
Dem hat beispielsweise die Deutsche Evangelische Allianz ausdrücklich widersprochen. Auch die Deutsche
Kommission Justitia et Pax hat festgestellt, dass sich im
Hinblick auf die Lage der verfolgten Christen der Eindruck verstärke, „dass sie in der internationalen Staatengemeinschaft keine ausreichende Lobby haben“.
Wenn die Bundesregierung auf den vom USAußenministerium jährlich veröffentlichten Bericht zur
Religionsfreiheit hinweist, dann muss erwähnt werden,
dass dieser Bericht erstmals im September 1999 erschien
und das Resultat einer überparteilichen Initiative, des
„International Religious Freedom Act“, im amerikanischen Kongress war, die eine für unzureichend gehaltene öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zum
Anlass hatte.
Ich hoffe, dass die Konsequenzen, die wir aus den
gewonnenen Erkenntnissen ziehen und die wir diskutieren müssen, dazu beitragen werden, höhere Aufmerksamkeit für dieses Thema zu erzielen, und dass sie dazu
beitragen, den Einsatz für Religionsfreiheit und nicht zuletzt für verfolgte Christinnen und Christen generell zu
einem Markenzeichen westlicher, vor allem deutscher
Menschenrechtspolitik zu machen.
Vielen Dank.
({6})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Karin Kortmann von
der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns in dieser Debatte mit
der Verfolgung von Christen befassen, dann tun wir dies
in der tiefsten Überzeugung, dass wir auch 52 Jahre
nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte vom Dezember 1948 weiterhin
große Anstrengungen unternehmen müssen, um allen
Menschen gleiche und unveräußerliche Rechte zu garantieren und um für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in
der Welt einzutreten.
Der Grundgedanke der Menschenrechtserklärung
setzt eine geschwisterliche Gleichheit voraus, die jegliche Unterscheidung, etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status, generell verbietet; dazu gehört eben auch das Verbot jeglicher Unterscheidung
nach der Religion. Das bedeutet, dass jede Religion das
Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
hat. Das gilt für Christen und für Yeziden ebenso wie für
Aleviten, Sikhs, die Zeugen Jehovas oder muslimische
Ahmadis.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung in gleicher Weise und mit gleicher Intensität für
die Glaubensfreiheit aller Religionen, aller religiösen
Gruppen und für die Opfer religiöser Verfolgung und
Diskriminierung unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit einsetzt; denn nur das Eintreten für weltweite
Religionsfreiheit und für Menschen aller Religionen
verdient das Prädikat der Glaubwürdigkeit.
({0})
Religionsfreiheit umfasst die Freiheit, seine Religion
oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die
Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung „allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder
privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst oder
Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden“. Das wissen
wir.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben nach Angaben
der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
Millionen von Menschen ihr Leben aus religiösen Gründen verloren und zahlreiche Menschen wurden aus religiösen Gründen in Haft genommen, misshandelt, vertrieben und verfolgt. Kollege Gröhe hat dafür sehr anschauliche Beispiele benannt.
Zahlen von jährlich aus Religionsgründen verfolgten
oder ermordeten Christen sind jedoch schwer verifizierbar, wenn man sich nicht allein auf Schätzungen der
Deutschen Evangelischen Allianz verlassen will - sie
steht nicht jedem so nahe, wie Ihnen, Herr Gröhe -,
zumal es sich oftmals um ein Bündel von politischen,
ethnischen, sozialen und religiösen Gründen handelt,
warum diese Menschen Opfer von Gewalt wurden.
Christenverfolgung ist heute nämlich nicht mehr die
Konfrontation von Kirche mit einem heidnischen oder
atheistischen Staat, sondern vorwiegend Folge des Engagements von Christen, ihres Aufstehens gegen die
Verletzung von Menschenrechten. Christen treten für
Minderheiten ein, für Schwache und für Rechtlose, für
diejenigen, deren Menschenrechte verletzt werden. Sie
treten als Fürsprecher für Demokratie ein. Sie organisieren sich in Friedenskomitees oder in kirchlichen Menschenrechtsprogrammen und setzen sich zusammen mit
anderen für Verständigung und Versöhnung ein.
Eines der vielen uns bekannten Beispiele für dieses
Engagement war das Wirken des brasilianischen Bischofs Dom Helder Camara - er ist der Begründer der
„Theologie der Befreiung“ -, der die christliche „Option
für die Armen“ als Sinnbild einer sich dem Menschen
zuwendenden Kirche, eines Christentums, das sich bedingungslos an die Seite der arbeitenden Bevölkerung
stellte, verstand und die produktive Spannung zwischen
der Verkündigung des Evangeliums und der politischen
Verantwortung und der Lebenswirklichkeit von Christen
in Lateinamerika hervorrief.
Er sagte - ich zitiere wörtlich -:
Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie
mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum die
Armen nichts zu essen haben, dann schimpfen sie
mich einen Kommunisten.
({1})
Die Ursache für die Verfolgung von Menschen christlichen Glaubens liegt darin, dass sie sich nicht mit gegebenen ungerechten Realitäten zufrieden geben, sondern
die System-, Zugangs- und Verteilungsfrage stellen.
({2})
Dennoch gibt es in Lateinamerika keine Verfolgung
von Christen, wie die Antwort der Bundesregierung
richtig wiedergibt und wie auch die evangelische Kirche, die katholische Kirche, Misereor, Brot für die Welt
und Justitia et Pax bestätigen. Auch in den mittel- und
osteuropäischen Staaten und in den GUS-Staaten wäre es nach Ansicht des katholischen Hilfswerks Renovabis übertrieben, von einer Verfolgung von Christen oder
von christlichen Kirchen zu sprechen. Sehr wohl benennen sie Behinderungen bei der Ausstellung von Arbeitserlaubnissen für Priester in Belarus, benennen Schikanen
bei der Visa-Erteilung und bei der Genehmigung von
Aufenthaltserlaubnissen für ausländische Priester und
Ordensleute in Russland.
Anders verhält es sich dagegen beispielsweise in
Ägypten. Die dortige koptische Kirche weist immer
wieder auf ihre umfassende Diskriminierung hin. Von
der alarmierenden Menschenrechtssituation sind Christen ebenso betroffen wie fundamentalistische islamische
Gemeinschaften. Übergriffen auf koptische Christen
wird nicht nachgegangen. Darauf müssen wir achten,
das müssen wir anprangern. Wir müssen dafür sorgen,
dass Instrumentarien entwickelt werden, die weitere
Übergriffe zu verhindern suchen.
({3})
Ein ähnlich negatives Bild wird von der Situation der
Christen in Afghanistan, Bangladesh, China, Myanmar,
Pakistan oder Vietnam gezeichnet. Auch hier führen die
Menschenrechtsarbeit und die Demokratisierungsversuche von Christen zu ihrer Diskriminierung.
Der Kollege Hermann Gröhe ist insbesondere auf
China eingegangen. Ich teile seine Einschätzungen.
Wenn ich in einer Pressemitteilung vom 18. Februar lese, dass China
nach Angaben seiner Regierung bei der Verbesserung der Menschenrechte keine westlichen Modelle
übernehmen
kann und
seinen Weg nur von den eigenen Gegebenheiten
aus suchen könne,
dann mag das zwar deren Haltung richtig wiedergeben,
aber die internationale Staatengemeinschaft kann das
nicht hinnehmen. Ein Punkt, den wir dabei kritisieren,
ist die Christenverfolgung.
({4})
Die Antwort der Bundesregierung geht auf eine Vielzahl von Länderbeispielen ein, deren - das möchte ich
ausdrücklich betonen - ausgewogene und sachliche Bewertung sicherlich auch ein überzeugendes Beispiel für
ihr Engagement in der Unterstützung der Religionsfreiheit ist. Beide großen christlichen Kirchen in
Deutschland haben diese Antwort der Bundesregierung
ausdrücklich gewürdigt.
Aber - das sage ich zum Schluss auch - wir müssen
Acht geben, dass wir nicht jede Form der Behinderung,
der Diskriminierung und der unsachlichen Bewertung
bereits als Verfolgung titulieren, Herr Gröhe. Der Titel
Ihrer Großen Anfrage intendiert etwas anderes als das,
worauf auch Sie eben in Ihrem Beitrag eingegangen
sind. Deshalb sollten wir die einzelnen Schritte der Behinderung, Diskriminierung und Verfolgung sehr genau
betrachten, aber auch den Mut haben, sie sauber zu unterscheiden, weil wir sonst nicht allen, die guten Willens
sind, gerecht werden.
({5})
Da aber, wo Christen und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, unter - sei es staatlicher, sei es nicht
staatlicher - Verfolgung leiden, müssen wir alle uns zur
Verfügung stehenden Instrumentarien einsetzen, um sie
zu schützen und den allgemeinen Menschenrechten zur
Wirkung zu verhelfen. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung zukünftig dafür sorgt, dass das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in die
Lage versetzt wird, Zahlenmaterial zu veröffentlichen,
damit wir auch hier dem Gedanken der Christenverfolgung etwas differenzierter nachgehen können, zum Beispiel der Frage, wo Christen ausschließlich aufgrund ihres Glaubens und nicht aufgrund ihrer menschenrechtlichen Aktivitäten verfolgt werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht
sicher, ob die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSUFraktion, die die heute zu behandelnde Große Anfrage
an die Bundesregierung formulierten, vorausgesehen
haben, dass ihre Anfrage eine über das Thema „Verfolgung von Christen in aller Welt“ hinausführende parlamentarische Diskussion provozieren würde. Es ist nämlich ebenso richtig wie verständlich und war insofern
auch abzusehen, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage die in ihrer Macht stehenden
Maßnahmen zum Schutz verfolgter Christen in aller
Welt in den allgemeineren Zusammenhang ihrer Menschenrechtspolitik stellen würde. Auch die Tatsache,
dass unsere Gesellschaft eine christlich geprägte ist,
kann seitens der offiziellen Politik nur um den Preis eines krassen menschenrechtlichen Selbstwiderspruchs
dazu führen, die Verfolgung von Christen in aller Welt
an anderen, etwa höheren Maßstäben zu messen oder
nachdrücklicher zu bekämpfen als die ebenso schlimme
Verfolgung nicht christlicher Menschen.
({0})
Leitlinien der Menschenrechtspolitik sind die
Grundsätze der Universalität, Unteilbarkeit und Interdependenz der Menschenrechte, wie sie auch von der
Zweiten Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten
Nationen in Wien 1993 formuliert und bekräftigt wurden.
({1})
Minderheitenschutz und Freiheit der Religionsausübung
sind zwei wesentliche Elemente der Menschenrechtspolitik, aber eben zwei Elemente. Dass der Maßstab dabei
der weltweite Schutz jeder Form der Religionsausübung
und jeder Form der Gewährung der Rechte von MinderKarin Kortmann
heiten sein muss, ist selbstverständlich und in den
Grundsätzen der Universalität und Unteilbarkeit verankert. Deshalb spielen die Zahlen hinsichtlich der Verfolgung von Christen für unsere Menschenrechtsdebatte
auch nicht die entscheidende Rolle. Jegliche Form der
Verfolgung von Menschen wegen ihrer Religion muss
kritisiert werden; stets muss mit geeigneten Maßnahmen
dagegen vorgegangen werden.
({2})
Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass es bei der
Verfolgung von Religionsgemeinschaften oft um weit
mehr als um die Unterdrückung religiöser Überzeugungen geht. Es handelt sich meist um eine komplexe Verschränkung von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Wie richtigerweise in der Beantwortung der Großen Anfrage herausgestellt wird, sind zum
Beispiel die Angriffe pro-indonesischer Milizen und des
indonesischen Militärs auf die überwiegend christliche
Bevölkerung Osttimors besonders im Jahr 1999 fast ausschließlich als Auswirkung eines Unabhängigkeitskonflikts und nicht eines in erster Linie religiösen Konfliktes zu werten. Aber ich hätte von der Bundesregierung
erhofft und erwartet, dass sie die Ergebnisse und Empfehlungen der unabhängigen Untersuchungskommission
der Vereinten Nationen auch in ihre Politik und in ihr
Programm übernommen hätte.
({3})
Gerade bei der Verfolgung von Christen in manchen
Teilen der Dritten Welt sind religiöse Motive oft nur der
Vorwand für tiefsitzende, historisch begründete Ressentiments gegen wirtschaftliche und soziale Privilegien
mancher christlicher Minderheiten. Dies gilt für die
Kopten in Ägypten ebenso wie für die Christen in Pakistan, China und Indien, um nur einige besonders eklatante Beispiele zu nennen. Traditionelle Animositäten und
soziale Spannungen sowie politische Akteure im Hintergrund können sich so - das ergibt sich aus der Antwort
der Bundesregierung - in vielen Ländern zu einer explosiven Mischung verbinden. Aber richtigerweise kann
man hier eben nicht darüber diskutieren, ob die Verfolgung von Christen zugenommen hat; denn jede Form
von Verfolgung ist zu verurteilen. Vielmehr muss in einer solchen Debatte die Gelegenheit genutzt werden, die
deutsche Menschenrechtspolitik insgesamt einer Würdigung und kritischen Bewertung zu unterziehen.
Menschenrechtspolitik ist notwendigerweise Politik
aus Überzeugung. Sie ist auf normierte und als allgemeinverbindlich vereinbarte Wertüberzeugungen existenziell angewiesen, mit denen nur um den Preis ihrer
Vernichtung nach Opportunitätsgesichtspunkten und
Zweckmäßigkeitserwägungen verfahren werden kann.
Mit diesen der Menschenrechtspolitik zugrunde liegenden Normen kann nicht im Stile des heutzutage so oft
und viel gerühmten politischen Pragmatismus umgegangen werden.
({4})
Wie kaum eine andere Politik ist deshalb die Qualität
der Menschenrechtspolitik, die sich im Wesentlichen
immer auf den Umgang von Mehrheiten mit Minderheiten bezieht, von der Gradlinigkeit und Glaubwürdigkeit
abhängig, mit der sie gegenüber anderen Staaten ebenso
wie im staatlichen Innenverhältnis vertreten und vollzogen wird.
Unter diesem für die Güte der Menschenrechtspolitik
entscheidenden Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit weisen die bei uns implizit und explizit vertretenen Konzepte von Menschenrechts- oder Minderheitenpolitik mehr
offene Flanken und verwundbare Stellen auf, als uns allen lieb sein sollte. Das gilt zum einen für die minderheitenpolitischen Ansätze, die zwar nicht von den namentlich genannten Verfassern der Großen Anfrage, aber
doch von einem nicht unmaßgeblichen Teil der durch
die CDU/CSU repräsentierten konservativen Politik in
Deutschland vertreten wird. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass allein der Hinweis auf die Tatsache, dass
unsere Gesellschaft in ethnischer, kultureller und somit
auch weltanschaulicher Hinsicht eine plurale und offene
Gesellschaft ist und nach dem Wollen unseres Grundgesetzes auch sein soll, in den Reihen der CDU, besonders
aber der CSU immer noch heftige Reaktionen hervorruft.
So wie gerade die von der Union vertretene Politik
des law and order als ein Produkt der Scheinheiligkeit
entlarvt wurde, so wird auch die Glaubwürdigkeit der
von ihr vertretenen Minderheitenpolitik Schaden nehmen, wenn eine Mehrheit daran festhält, dass die seit
vielen Jahren bei uns lebenden Menschen ausländischer
Herkunft nichts weiter als geduldete Gäste seien.
({5})
Glaubwürdige Menschenrechtspolitik verlangt Konsistenz und Kohärenz; sie verlangt aktives Handeln, besonders, wenn die selbst gesteckten Maßstäbe vollmundig und anspruchsvoll sind.
Die Bundesregierung hat verbal die Menschenrechte
in den Mittelpunkt ihrer Politik zu Beginn dieser Legislaturperiode gestellt.
({6})
Die Bilanz der bisherigen Taten sieht dagegen eher mager aus.
({7})
Ich will hier gar nicht betonen, wie die haushaltsrechtlichen Ansätze gerade für die Unterstützung der
Menschenrechtskommissarin hinter dem gestellten
Anspruch zurückbleiben. Es fällt auch gar nicht so sehr
ins Gewicht, dass der längst überfällige Bericht zur
Situation der Menschenrechte noch nicht vorliegt. Aber
wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
Große Anfrage zu Recht darauf hinweist, dass sie den
Opfern religiöser Verfolgung Schutz gewährt, gleich
welcher religiösen Gemeinschaft sie angehören, dann
muss sie sich auch fragen lassen, warum sie minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen aus anderen Ländern
nicht auch diesen selbstverständlichen Schutz gewährt.
Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, den
Vorbehalt zur Kinderkonvention aufzuheben, obwohl
ein einstimmiger Beschluss des Bundestages vom September 1999 sie ausdrücklich dazu auffordert.
({8})
Auch das Versprechen in der Koalitionsvereinbarung,
in Deutschland ein Institut zum Schutz der Menschenrechte zu etablieren mit dem Ziel einer kritischen Begleitung der Menschenrechtspolitik im In- und Ausland,
ist bisher nicht umgesetzt worden. Anscheinend wird
das Vorhaben, ein unabhängiges, regierungsfernes, vom
Parlament eingesetztes Institut einzurichten, von den
Kompetenzgelüsten verschiedener Ressorts demontiert.
({9})
Sprachlos ist die Bundesregierung geworden, wenn es
um die unstreitigen Menschenrechtsverletzungen gerade
in Tschetschenien geht. Nicht einmal ein deutliches
Wort der Unterstützung für die von der russischen Regierung schnöde abgewiesenen Hochkommissarin für
Menschenrechte war von der Regierung und von unserem Außenminister zu vernehmen.
({10})
Das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens
zu fördern muss - sie ist es ja auch - eine selbst gestellte
Aufgabe der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung im Innern und nach außen sein. Es wird jetzt versucht, den Scherbenhaufen im Kosovo im Sinne des avisierten multiethnischen Zusammenlebens und des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft notdürftig zu kitten. Aber wir warten noch bis heute - dazu gab es schon eine Debatte - auf konkrete Taten
zur Umsetzung des dafür beschlossenen Stabilitätspaktes
für Südosteuropa.
({11})
Das alles zeigt, dass Ankündigungen und Erstellen
von Situationsberichten das eine sind - die Zielrichtung
unterstützen wir in vielen Punkten -, dass aber der Vollzug anderthalb Jahre, nachdem die Bundesregierung die
Verantwortung übernommen hat, noch auf sich warten
lässt.
Lassen Sie mich zum Schluss noch die gestrige Entscheidung zur Zulassung von muslimischem Religionsunterricht in Berlin erwähnen. Dies ist eine am
Grundsatz der Glaubens- und Religionsfreiheit orientierte Entscheidung. Ich bedaure, dass der zuständige Senator von sich aus nicht in der Lage war, diese Entscheidung selbst zu treffen, und dass sie den Gerichten
überlassen wurde.
({12})
Glaubwürdige Menschenrechtspolitik - ich glaube,
dieser Punkt ist deutlich geworden - darf nicht den alltäglichen politischen Zwängen geopfert werden.
Vielen Dank.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika KösterLoßack vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ausgesprochen wichtig, dass sich die
Union mit der Verfolgung und Unterdrückung von Menschen in vielen Ländern der Welt auseinandersetzt.
Denn: Wenn Menschenrechte verletzt werden, wenn
Menschen an ihrer freien Religionsausübung gehindert
werden, wenn sie verfolgt oder ermordet werden, dann
müssen wir alle gemeinsam dagegen angehen.
({0})
Ob es sich dabei um Christen im Sudan, um Muslime in
Nigeria oder um Asylbewerber unterschiedlichen Glaubens in der Bundesrepublik Deutschland handelt, ist
meiner Meinung nach wirklich unerheblich.
Damit komme ich zu meinem Hauptkritikpunkt an
der Anfrage der Union. Bei den geschilderten Fällen
geht es nicht um Christenverfolgungen im engeren Sinne, sondern es geht um religiös verbrämte Menschenrechtsverletzungen. Es greift viel zu kurz, wenn man
die Menschenrechtsverletzungen an Christen in aller
Welt als Christenverfolgungen bezeichnet. Dahinter
steht in aller Regel eine Vielzahl von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Ursachen, die
einen langen historischen Vorlauf haben.
Betrachten wir zwei konkrete Beispiele:
Wenn man sich die Situation in Indonesien vergegenwärtigt, so gibt es beispielsweise auf den Molukken
schwere Menschenrechtsverletzungen an Christen. Deren Ursachen liegen allerdings nicht im christlichen
Glauben der Verfolgten, sondern in der Auseinandersetzung um Ressourcen. Muslime sind mindestens genauso
stark von Gewalt betroffen. Es wird hier die Religionszugehörigkeit instrumentalisiert, um Chaos und Hass
zu säen.
Die christlichen Dayak in Ost-Kamilantan werden
auch nicht in erster Linie ihres Glaubens wegen ausgegrenzt und diskriminiert. Sie gehören vielmehr zu den
indigenen Völkern Indonesiens, die seit Jahrhunderten
versuchen, ihr Überleben zu sichern.
Hinter diesen Auseinandersetzungen steht immer der
politische Wille, politische und wirtschaftliche Vorherrschaft zu sichern, die durch das vom Kollegen Gröhe
schon erwähnte Transmigrationsprogramm der SuhartoRegierung etabliert wurde.
In einem anderen Erdteil, in Afrika, kommt es in
Ägypten zurzeit zu heftigen Gewaltausbrüchen zwischen Muslimen und Christen. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen wurden Mitte Februar in Koscheh
mehrere Dutzend Menschen getötet, in der Mehrzahl
Christen. Der dortige Jesuitenpfarrer, Christiaan van
Nispen, sagt allerdings eindeutig, dass als Ursache für
diese Auseinandersetzungen und für die Verfolgung der
Graben zwischen Armen und Reichen wesentlich wichtiger sei als der Graben zwischen Muslimen und Christen.
({1})
Diesen Zusammenhang betonen auch die Hilfswerke
der großen Kirchen in Deutschland sowie Menschenrechtsorganisationen wie Watch Indonesia. Dies ist in
vielen Gesprächen zum Ausdruck gebracht worden.
Ein Solidaritätsvorrang gegenüber Christinnen und
Christen, wie er in der Anfrage zum Ausdruck kommt,
widerspricht dem christlichen Glauben. Nach ihm sind
alle Menschen gleich. Diesem Ansatz der Gleichwertigkeit folgen auch die christlichen Hilfswerke in ihrer
entwicklungspolitischen Arbeit. Für mich geht es deshalb um die Solidarität mit den verfolgten und unterdrückten Menschen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit,
({2})
aber nicht darum, wie die Union schreibt:
Angesichts der christlichen Prägung unserer politischen Kultur fühlen wir uns aber verfolgten Christen in besonderer Weise verbunden und zur Solidarität verpflichtet.
Ich fühle mich allen Menschen in Not ohne Ansehen ihrer Religionszugehörigkeit verbunden und bin ihnen gegenüber in gleicher Weise zur Solidarität verpflichtet.
({3})
Wir müssen uns den komplexen Ursachen der Konflikte zuwenden und versuchen, mit allen politischen
Möglichkeiten zur zivilen Konfliktprävention bzw. zur
Beilegung der Auseinandersetzungen beizutragen. Wenn
wir aber den Ausbruch latenter Konflikte verhindern
wollen, müssen wir nicht nur die Gesamtheit der Konfliktursachen in den Blick nehmen, sondern auch handeln, bevor die Konflikte ausbrechen. Wir waren über
alle diese Konflikte seit Jahrzehnten ausreichend informiert und haben immer zu spät gehandelt. Sollte ein
Konflikt gewaltsam werden, ist humanitäre Hilfe kurzfristig und rechtzeitig zu leisten, bevor Hunderttausende
vertrieben werden. Dies gilt für Menschen aller Glaubensrichtungen. Langfristig müssen wir durch außenund entwicklungspolitische Unterstützung an der Ursachenbekämpfung und gegen Gewalt, Vertreibung und
Unterdrückung arbeiten. Hierbei haben wir im Austausch mit anderen Ländern auch eine wichtige Rolle für
unsere Stiftungen und die Bildungsinstitutionen einzuplanen.
Deutlich wird die Eindimensionalität im Herangehen
der Union, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in vielen Ländern auch Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten,
Anhänger kleinerer Religionsgemeinschaften und auch
Atheisten von Gewalt und von langfristiger Ausgrenzung bedroht sind. Ist denn die Unterdrückung der Albaner im Kosovo oder der Kurden in der Türkei weniger
schlimm als die der Christen in Nigeria?
Man hätte natürlich auch fragen können, wie - beispielsweise im Kosovo - die Verfolgung islamischer
Minderheiten durch orthodoxe Christen aussieht und
umgekehrt. Es macht keinen Sinn, Menschenrechtsverletzungen an Christen anzuprangern. Es muss die Verfolgung aller Menschen im Auge behalten und in einer
Menschenrechtspolitik ohne Ansehen des religiösen
Hintergrundes beachtet werden.
({4})
Dies hebt die meines Erachtens sehr sorgfältige und
differenzierte Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage deutlich hervor. Damit komme ich zu
meinem zweiten Kritikpunkt:
Die Anfrage der CDU/CSU erweckt den Eindruck,
dass die Verfolgung von Christen schlimmer ist als die
Verfolgung von Menschen anderer Religionen. Diese
Sichtweise führt zwangsläufig dazu, dass wir uns im
Westen über Christenverfolgungen empören, während
islamische Länder dem Westen die Diffamierung des Islam vorwerfen. Beides sind nicht haltbare Pauschalierungen.
({5})
Das Schlimmste, was wir tun können, wäre, im Sinne
von Huntington einen „clash of civilizations“, also einen
Kultur- oder Religionskampf, heraufzubeschwören, und
das nicht nur im globalen Maßstab, sondern auch in
Deutschland. In den Fragen 5 bis 9 der Unionsanfrage
wird die Situation von Christen in unterschiedlichen
Systemen abgefragt. Nirgendwo werden allerdings die
Menschenrechtssituation in christlich geprägten Gesellschaften, beispielweise in Nordirland, oder die Menschenrechtsverletzungen durch Christen an Menschen
anderen Glaubens thematisiert.
Es geht doch in erster Linie darum, ein Klima der Toleranz zu schaffen und die Achtung der Menschenrechte
politisch und gesellschaftlich durchzusetzen.
({6})
Dafür müssen wir uns international einsetzen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort dafür viele Beispiele
genannt.
Das müssen wir aber auch im eigenen Land machen,
insbesondere gestützt durch Bildungs- und Ausbildungscurricula. Wir haben viel zu wenig neue Entwicklungen
in diesem Bereich. Genauso wie es international um die
Durchsetzung der Menschenrechte aller Menschen geht,
gelten auch national die Menschenrechte für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder
ihres Glaubens. Die freie Religionsausübung steht hier
an vorderer Stelle. Es ist wichtig, dass wir in der Beantwortung der Großen Anfrage diesen Aspekt besonders
hervorgehoben sehen und uns nicht auf den eingeengten
Blickwinkel der Christenverfolgung beschränken.
({7})
Ein Klima des besseren Verstehens und der Toleranz
kann durch besseres Wissen übereinander und durch einen interreligiösen Dialog auf allen Ebenen hergestellt
werden. Diese gesellschaftliche Aufgabe, die eine der
wichtigsten Aufträge der Enquete-Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“ war, müssen wir
gemeinsam angehen. Dafür ist der ganze Tenor der Unionsanfrage aus meiner Sicht eher hinderlich.
Meine Fraktion wird jedenfalls die Bundesregierung
aktiv in ihrem Vorhaben unterstützen, den interreligiösen Dialog in unserem Land auf allen Ebenen einzurichten.
Ich danke Ihnen.
({8})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hermann
Gröhe von der CDU/CSU das Wort.
Ich möchte zu dem
angesprochenen Punkt des Solidaritätsvorrangs und zu
dem Vorwurf, die Anfrage sei eine einseitige Verengung
auf eine religiöse Minderheit, etwas sagen.
Im Text der Großen Anfrage selbst steht das Bekenntnis zur Religionsfreiheit generell oben an. Die erste verfolgte Gruppe, die ich in meiner heutigen Rede genannt habe, waren die Bahai. Es ist geradezu abwegig,
bei der Zuwendung zu einem Problem zu unterstellen,
darin liege die Missachtung eines anderen Problems.
({0})
Wenn wir im Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe in Sonderheit die Lage der Roma etwa
im Balkan diskutieren, dann ist es doch abwegig zu unterstellen, wir missachteten die Not anderer Minderheiten, weil wir einem Thema eine besondere Aufmerksamkeit geben. Wir sprechen in der Anfrage selbstverständlich - ich habe es bei Indonesien in Bezug auf die
Gewalt von beiden Seiten hier auch getan - auch die
Menschenrechtsverletzungen in christlich geprägten
Kulturen an; Stichwort: privilegierte Rechtsposition orthodoxer Kirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. Die Unterstellung, dies sei einseitig, weise ich
zurück.
Wenn es darum geht, auch in unserem Land vorbildlich zu sein, so verweise ich darauf, dass ich in meiner
Rede erwähnt habe, dass wir darüber weiter diskutieren
werden. Wenn eine Große Anfrage der Unionsfraktion
auf die Situation hinweist, was wir in Deutschland an
Rechtsordnung ändern müssen, um religiöse Bräuche,
zum Beispiel von Muslimen in unserem Land, zu
ermöglichen, so kann keine Rede davon sein, dass wir
einseitig sind und einen Solidaritätsvorrang einräumen.
Es ist für uns selbstverständlich, dass wir uns für alle
einsetzen. Ich sage aber genauso deutlich, dass wir die
Aussage der Bundesregierung begrüßen, dass das
zivilgesellschaftliche Engagement einen besonderen
Schwerpunkt auch der Menschenrechtsarbeit der
Regierung bei verfolgten Christen beinhaltet.
Wenn ich mir noch eine Bemerkung dazu erlauben
darf, warum wir sagen, dass es da vielleicht Nachholbedarf gibt: Schauen Sie sich den gerade vorgelegten Menschenrechtsbericht der Europäischen Union an, die dürren Worte, die dort zum Thema Religionsfreiheit gefunden werden. Dort wird zu Recht Antisemitismus in der
ehemaligen Sowjetunion beklagt und dort wird, ebenfalls zu Recht, die Situation der Bahai im Iran angesprochen, aber zum Thema Christenverfolgung keine Silbe!
Natürlich kann man bei komplexen Konflikten nicht sagen, dass die betroffenen Menschen allein Opfer von
Religionsverfolgung seien. Dies findet in den kurzen
Texten, die zu einer Großen Anfrage gehören, bei uns
ausdrücklich Erwähnung. Aber es kann keine Frage sein,
dass von den ungefähr 2 Milliarden Christen dieser Welt
mindestens 200 Millionen in Ländern leben, in denen es
erhebliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit für
alle - ich habe hier die Muslime in Xinjiang genauso
erwähnt wie andere Gruppen - gibt. Insofern weise ich
den Vorwurf der Einseitigkeit zurück. Ich hätte mir gewünscht, wir könnten in dieser wie in anderen Menschenrechtsfragen zu einem größeren Maß an Sachlichkeit zurückkehren.
({1})
Wollen
Sie erwidern, Frau Köster-Loßack? - Bitte schön.
Lieber Kollege Gröhe, ich habe nur eine
Rückfrage zu Ihrer Äußerung: Warum haben Sie die
Fragestellung in der Großen Anfrage nicht auf religiöse
Verfolgung in aller Welt bezogen, sondern nur auf die
Christen?
Die Frage kann jetzt nicht beantwortet werden; das ist nach der
Geschäftsordnung nicht möglich. Vielleicht kann aber
der nächste Redner der CDU/CSU die Frage beantworten.
Als nächster Redner hat der Kollegen Carsten Hübner
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So schwerwiegend in Teilen der
Welt die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Christinnen und Christen in jedem Einzelfall auch sind, so
sehr begrüße ich von ganzem Herzen das Ergebnis der
Nachforschungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Großen Anfrage, dass es keine verifizierbaren Angaben über eine Zunahme der Verfolgung von
Christen gibt. Der gegenwärtige Zustand wird dadurch
keineswegs besser, aber es gibt eben keinen explizit
festzustellenden Negativtrend.
Ich möchte das deswegen hier hervorheben, weil auch
ich, ähnlich wie die Bundesregierung, die Quelle der in
der Anfrage angegebenen Zahl von 163 000 allein aufgrund ihres Glaubens getöteten Christen für wenig seriös
halte. Ich will das kurz begründen.
Zunächst einmal gehört die Deutsche Evangelische
Allianz zum so genannten evangelikalen Spektrum der
evangelischen Kirche, einem Spektrum, das man getrost
auch als den rechten Flügel der evangelischen Kirche
bezeichnen kann und zu dessen Wortwahl und Denkstrukturen so schöne Begrifflichkeiten wie „christliche
Märtyrer“ gehören. So hat etwa der Generalsekretär der
Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz, also des Dachverbandes, der finnische
Pastor Johan Candelin - übrigens unlängst Gast der internationalen Konferenz „Verfolgte Christen heute“ der
Konrad-Adenauer-Stiftung -, am 14. November bei einem Gottesdienst im amerikanischen Minneapolis auf
den folgenden, überaus interessanten Ausspruch von
Kirchenvater Tertullian hingewiesen: „Das Blut der
Märtyrer ist der Samen der Kirche.“
Dieses Religions- und Kirchenverständnis ähnelt, wie
Sie zugeben müssen, durchaus dem extremistischer
Moslems oder Hindus. Dabei ist zumindest nicht explizit
ausgeschlossen, dass man Märtyrer, also für den Glauben Gestorbene, als identitätsstiftend begreift - vielleicht ein Grund dafür, warum sich die Zahlenangaben
von dieser Seite nur schwer verifizieren lassen, selbst für
deren Urheber.
Hieß es bei der bereits erwähnten Konferenz der
Konrad-Adenauer-Stiftung am 28. Oktober letzten Jahres von diesem Johan Candelin noch, niemand wisse,
wie viele Christen ihren Glauben mit dem Leben bezahlt
hätten, befürchtete er bereits wenige Tage später, am
14. November, es könnten 1999 rund 164 000 und damit
seinen Angaben zufolge 3 000 mehr als im Vorjahr sein.
Seine Organisation und der Text der Großen Anfrage
sprachen für 1998 aber von 163 000 ermordeten Christen.
Die Bundesregierung nun eruiert als Quelle für diese
Zahl für das Gesamtjahr 1998 eine Veröffentlichung, die
bereits Anfang 1998, im Januar, erschienen ist. Sie werden verstehen, dass mich das nachdenklich macht.
Bei diesem Zahlenvergleich geht es nicht um Zynismus. Zynisch ist aus meiner Sicht vielmehr, wenn eine
zwielichtige Strömung innerhalb der evangelischen Kirche versucht, auf den Zahlen ermordeter Christen ihr
Süppchen zu kochen. Auf ein paar Tausend mehr oder
weniger kommt es dann nämlich nicht mehr an. Zynisch
ist auch, wenn man das Leiden dieser Menschen dazu
missbraucht, einen radikalen Missionseifer zu legitimieren und eine Wagenburgmentalität zu befördern. Hier
halten schlicht die Falschen ihre Hand über die Opfer
extremistischer Religionsauslegung.
Ich verstehe beim besten Willen nicht, Herr Gröhe wir kennen uns ja von der Arbeit im Ausschuss -, wieso
Sie und Ihre Fraktion gerade auf derartige Gruppen bzw.
Informationsquellen zurückgreifen. Noch weniger verstehe ich, wieso Sie in Ihrem Anfragetext ganz in der
Logik der Evangelikalen formulieren, die bedrängten
Christen fänden in der Staatengemeinschaft wegen ihrer
Glaubenspraxis nur selten Anwälte ihrer Interessen; als
sei der christlich geprägte Teil der Welt nicht derjenige,
der derzeit ganz wesentlich die gesamte Bandbreite globaler Entwicklung zumindest maßgeblich mitbestimmt.
Meine Damen und Herren, jeder Mensch, ob Christ
oder Moslem, schwarz oder weiß, der aufgrund seiner
Religionszugehörigkeit oder Religionslosigkeit - auch
das gibt es, zum Beispiel in Indonesien - verfolgt wird,
ist ein Verfolgter zu viel. Jedes individuelle Leid ist
strikt zu verurteilen und öffentlich anzuprangern.
({0})
Da Sie hier die Christen nun schon als eine Gruppe
hervorgehoben haben, sage ich es auch in dieser Richtung ganz deutlich: Was in dieser Frage in den Staaten
des ehemaligen Ostblocks an Menschenrechtsverletzungen passiert ist, ist nicht hinnehmbar und deutlich zu
verurteilen,
({1})
ebenso deutlich wie das, was derzeit in unseren engen
Partnerländern Indonesien, Pakistan, Saudi-Arabien oder
der Türkei mit Duldung oder sogar auf Veranlassung des
Staates geschieht. In Menschenrechtsfragen darf es nicht
zweierlei Maß geben - auch nicht bei China, so attraktiv
dessen Markt einigen unter uns auch erscheinen mag.
Die Religionsfreiheit ist ein Kernbestandteil der Menschenrechte. Das Gleiche gilt selbstverständlich für die
Bewertung nichtstaatlicher religiöser Extremisten zum
Beispiel in Ägypten oder Algerien, wo jede und jeder nicht zuletzt Christen, aber gerade auch Moslems, die
einer islamistischen Auslegung des Koran nicht folgen
wollen - aufgrund der dortigen Terroraktivitäten potenzieller Verfolgung ausgesetzt sind.
Dennoch warne ich davor, hinter Auseinandersetzungen zwischen Religionsgruppen per se substanzielle religiöse Motive zu vermuten. Nicht selten ist die Religion
nämlich allein die Folie, auf die von interessierten Kreisen bewusst soziale, politische und gesellschaftliche
Konflikte projiziert werden, ähnlich wie das bei verschiedenen Ethnien häufig der Fall ist.
({2})
Indonesien, also die Vorfälle um die Molukken und
die Auseinandersetzungen in Aceh und auf Ambon, ist
dafür gegenwärtig ein wirklich schreckliches Beispiel;
darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden.
Indonesien ist ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie
tradierte oder längst überwunden geglaubte religiöse
Vorurteile und Feindschaften wieder mobilisiert werden,
um soziale Konflikte zu kaschieren und die Machtstellung der Militärs zu zementieren. Wer hier an der Erscheinungsebene hängen bleibt, kann nur falsche
Schlüsse ziehen und falsch antworten.
Ich möchte mit Blick auf Lateinamerika kurz auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, nämlich darauf, dass es gerade dort in der Vergangenheit, aber leider auch noch in der Gegenwart fast ausschließlich
Christen sind, die Christen aufgrund ihres Religionsverständnisses verfolgen. Denken Sie etwa an El Salvador,
wo diejenigen Christen, die es stets mit der Macht hielten, diejenigen Christen verfolgen und ermorden ließen,
die sich eher den Zehn Geboten, der Bergpredigt oder
gar der Vertreibung der Wechsler und Händler aus dem
Tempel verpflichtet fühlten.
({3})
Selbst vor einem Bischof wurde da nicht Halt gemacht.
Auch das ist in einem gewissen Sinne als Verfolgung
von Christen aufgrund ihrer Glaubenspraxis zu bezeichnen.
Meine Damen und Herren, jede Verletzung der Menschenrechte - ob von Christen oder von Nichtchristen ist eine zu viel, muss sanktioniert und letztlich überwunden werden, selbstverständlich auch im Bereich der Religionszugehörigkeit und -ausübung. Dazu gibt es in diesem Hause sicher Einverständnis. Wovor ich aber warnen möchte, ist, eine Parzellierung der Diskussion über
dieses Problem zuzulassen, die es sicher ungewollt, aber
dennoch möglich machen würde, dass daraus wiederum
extremistische religiöse Kreise Profit schlagen. Wie zitierte doch gleich Pfarrer Candelin: „Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Kirche.“ Na vielen Dank!
({4})
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhold Hemker von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich danke den Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion ganz ausdrücklich für die Initiative, die Anlass für die heutige
Debatte ist. Zwar hätten auch nach meinem Verständnis
manche Fragestellungen etwas anders aussehen können,
aber in der Debatte hat sich bereits gezeigt, dass die differenzierte Stellungnahme der Bundesregierung das Anliegen der CDU/CSU-Fraktion sehr ernst genommen hat.
Die Beantwortung der Fragen geht über den von den
Fragestellern ursprünglich offenbar angedachten Rahmen hinaus. Das hat die Debatte eindeutig gezeigt und
das ist auch gut so.
Nach meinem Verständnis wird eines deutlich: Hinter
religiösen Auseinandersetzungen liegen immer wieder
Konflikte, die etwas mit der sozialen, der wirtschaftlichen, der kulturellen und der politischen Situation im
jeweiligen Land bzw. in der jeweiligen Region zu tun
haben. Wer sich ein wenig in der Arbeit des Weltkirchenrates und seiner Mitgliedskirchen in den letzten Jahren auskennt, weiß: Die Kirchen - unabhängig davon,
ob sie sich in einer Mehrheits- oder einer Minderheitssituation in der Gesellschaft befinden - haben sich in ihrer
Mehrheit immer um den weltlichen Teil ihrer religiösen - in diesem Fall ihrer christlichen - Botschaft
gekümmert. Das galt auch - und gilt weitestgehend
immer noch - für die große katholische Kirche, worauf
die Kollegin Karin Kortmann in besonderer Art und
Weise hingewiesen hat.
Die Kirchen haben sich immer wieder eingemischt,
wenn es um die Verletzung elementarer Menschenrechte
ging und um die Unterdrückung und Ausbeutung der
verarmten Massen im jeweiligen Staat, insbesondere in
den Entwicklungsländern. Dafür haben wir von der politischen Seite aus ein herzliches Dankeschön zu sagen.
({0})
Dies hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass sich die jeweils Herrschenden gegen Repräsentanten der christlichen Glaubensgemeinschaften gewandt haben.
Ich erinnere aber auch daran, dass Verfolgung engagierter Christen nicht nur von Andersgläubigen oder von
Kommunisten organisiert wurde und wird - wie es zum
Beispiel auch im Kontext der Großen Anfrage, bezogen
auf die Muslime, zum Ausdruck kommt -, sondern auch
von „christlich“ orientierten Kirchen, wie zum Beispiel
noch in der letzten Zeit im damals rassistischen Südafrika. Dort wurde theologisch begründet, dass Schwarze im Übrigen in der Mehrheit christliche Glaubensbrüder
und -schwestern - Menschen zweiter Klasse seien. In
diesem Zusammenhang hat es dann eben Verfolgung,
Gewalt und Mord gegeben, christlich begründet und
staatlich abgesichert. Das ist das eigentlich Schlimme an
einer solchen Situation. Ich danke insbesondere auch der
Kollegin Angelika Köster-Loßack für die anderen Beispiele, die sie in diesem Zusammenhang genannt hat.
Das ist wichtig, wenn wir in einer solchen Debatte als
Christen darüber reden.
Auch verweise ich darauf, dass unterschiedliche Interpretationen der christlichen Grundlagen - der biblischen Grundlagen im Alten und Neuen Testament und
der christlichen Tradition in Lehrschriften, Dogmen und
Synodenbeschlüssen - zu Konfliktpotenzialen zwischen christlichen Gruppen geführt haben und weltweit auch heute noch führen, auch in Europa.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stellung der
verschiedenen christlichen Kirchen in Indonesien gegenüber dem Suharto-Regime war dafür in neuerer Zeit
wieder ein klassisches Beispiel. Die Kirchen gerieten
und geraten - nicht nur in Indonesien - vor allem dadurch in Konflikte mit Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und besonders den politisch Mächtigen,
dass sie die Option für die Armen ernst nehmen. Hatten sie sich in den zurückliegenden Jahren darauf konCarsten Hübner
zentriert - das gilt nicht nur für Indonesien, sondern
auch für viele andere Entwicklungsländer; ich betone
das noch einmal -, Krankenhäuser und Schulen zu bauen und zu erhalten, ist heute die gesellschaftspolitische
Dimension kirchlichen Handelns stärker im Blick. Im
Grunde geht es dabei immer wieder um das alte StaatKirche-Verhältnis, wie wir es ja auch aus der Zeit der
NS-Diktatur kennen.
Dort, wo sich Christen an Reformbewegungen im
Bereich der Menschenrechte, des Schutzes von Minderheiten, der Demokratisierung, des Aufbaus von Sozialsystemen, an Landreformen usw. beteiligen - immer
auch im Blick auf die christlichen Grundlagen -, geraten
sie in Widerspruch zu den jeweils Herrschenden. Sie
stören im wahrsten Sinne des Wortes die von den Herrschenden gewünschte Ruhe und Ordnung, insbesondere
dann, wenn die Herrschenden im Bereich ihrer Weltanschauung eine fundamentalistische Orientierung haben.
Es ist allerdings falsch, wenn bestimmte Kreise, die
selbst eine fundamentalistische Orientierung haben wie zum Beispiel diejenigen, die sich als Deutsche
Evangelische Allianz bezeichnen und über ihren Nachrichtendienst IDEA auch entsprechende Nachrichten
fördern -, tendenziell die Meinung vertreten, dass die
Anhänger des Islam nun grundsätzlich intoleranter seien
und von daher Christen verfolgten.
Es gibt, insbesondere in Afrika, aber auch in asiatischen Ländern, viele Beispiele dafür, dass die Anhänger
verschiedener Weltregionen alle sehr tolerant miteinander umgehen und friedlich in einem Staatssystem zusammen leben. Wer zum Beispiel einmal auf Mauritius
war, wird begeistert sein von dem bunten kulturellen
Gemisch aller Menschen, die sich irgendwann auf diesem Inselparadies niedergelassen haben.
Ich verweise auch darauf, dass die kirchlichen Organisationen, die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, unabhängig davon, welche religiöse oder weltanschauliche Orientierung ihre Zielgruppen
haben, die in der Antwort der Bundesregierung genannten Grundsätze bei ihrer Arbeit anwenden. Es wird bei
der Absprache über Projekte und Programme nicht danach gefragt, welcher Glaubensgemeinschaft die Menschen angehören, die sich zum Beispiel in einzelnen unabhängigen Nichtregierungsorganisationen organisieren.
Sie handeln nach dem Grundsatz: Gott ist ein Gott für
alle - oder für keinen.
Die Zusammenarbeit der kirchlichen Organisation der
Entwicklungszusammenarbeit - das gilt übrigens nicht
nur für die deutschen - mit den nationalen Christenräten
in Asien, Afrika und Lateinamerika, wenn man so will,
den Koordinationsgremien der Kirchen in den jeweiligen Partnerländern, ist in der Regel vorbildlich. Es werden zum Beispiel in den von der EKD als schwierig eingestuften Ländern Indonesien, Indien und Pakistan ständige Konsultationen durchgeführt, immer in enger Zusammenarbeit und Absprache mit den deutschen Vertretungen in den genannten Ländern. Auch dabei wird immer wieder deutlich: Jede Form fundamentalistisch orientierter und in manchen Bereichen sogar militanter
Missionsarbeit führt zwangsläufig zu Konflikten, die
dann immer wieder in Gewalt ausarten.
Noch ein Gedanke zum Schluss: Wir sollten als
Christen ganz vorsichtig sein, wenn wir uns kritisch gegenüber Verfolgungen äußern. Denn die Geschichte der
Kirchen und derjenigen, die sich in ihnen als Christen
bezeichnet haben, ist voll von Gewaltanwendung, Krieg,
Unterdrückung und Unterwerfung, ja Ausbeutung ganzer Völker. Angesagt ist nicht zuletzt auch eine kritische
Reflexion darüber, was in der Vergangenheit angerichtet
wurde und was heute noch Grundlage für viele Konflikte ist, wenn ich nur an die willkürlichen Grenzziehungen
der Berliner Beschlüsse aus dem Jahre 1884 denke.
Eine auch im neutestamentlichen Sinne verstandene
Politik der Versöhnung im nationalen wie im internationalen Rahmen ist angesagt. Menschen wie Nelson
Mandela und vielleicht auch der jetzt gerade durch die
Wahlergebnisse auf seinem Reformweg, in seiner Arbeit
bestätigte iranische Staatspräsident Chatami - ich nenne
bewusst zwei Persönlichkeiten aus verschiedenen
religiös-kulturell geprägten Lagern - sind Vorbild für
eine gegen falschen Fundamentalismus im religiösen
und politischen Bereich gerichtete Reformpolitik. Ich
wünschte mir viele solche Vorbilder weltweit.
({1})
Die Antwort der Bundesregierung zeigt auf, dass diese im Sinne konstruktiv-kritischer Dialoge in diesem Bereich tätig ist. Ich gehe davon aus, dass die Vertreter der
Bundesregierung, wenn sie bei bilateralen Verhandlungen oder bei internationalen Konferenzen über „good
governance“ reden, alle heute hier debattierten Aspekte
berücksichtigen.
Im Übrigen - das sage ich auch als engagiertes Mitglied einer der großen Kirchen - heißt „Evangelium“,
das von allen Christen dieser Welt vertreten wird, gute,
frohe Botschaft. Vielleicht hilft ja auch die heutige Debatte dabei, dies etwas mehr zu verdeutlichen, und signalisiert das gute Anliegen auch gegenüber den Vertretern anderer Religionen und Weltanschauungen.
Vieles von dem, was als religiöse Gewalt erscheint,
ist ein Ausdruck von Entwurzelung in einer Gesellschaft, die aus den Fugen geraten zu sein scheint. Beispiele dafür sind heute schon etliche genannt worden.
Der Weg aus der Gewalt zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften in Asien - und
nicht nur dort - ist ein Weg der Rückkehr zu den Wurzeln des eigenen Glaubens und der Suche danach, wie
Glaube dem eigenen Leben und dem Leben der Gemeinschaft Sinn und Orientierung geben kann. Die
Durchsetzung dieses Grundsatzes - damit schließe ich würde denjenigen, die Verfolgungen jeder Art noch für
ein Mittel der Politik halten, den Boden für ihre Schandtaten entziehen. Wenn wir heute dazu einen kleinen Beitrag leisten, dann hat sich diese Debatte gelohnt.
Herzlichen Dank.
({2})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Carl-Dieter Spranger von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ein Volk und ein Staat, welche die religiöse Toleranz und die Achtung der Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben, können
mit der Frage der Verfolgung von Christen weltweit
nicht zögerlich oder passiv umgehen.
Deutschland und die Deutschen - das vergessen wir
gelegentlich - sind über Jahrhunderte hinweg vom
Christentum geprägt worden. Die Menschenrechte, zu
denen sich unser Volk im Grundgesetz bekennt, sind im
Wesentlichen aus christlichem Gedankengut heraus entstanden. Die Erfahrungen aus zwei Diktaturen haben uns
den hohen Stellenwert dieser Rechte bewusst werden
lassen. Gerade deshalb muss es uns, die wir religiöse
Toleranz im Inneren beachten, ein besonderes Anliegen
sein, auf diese auch im Ausland zu drängen.
({0})
Auch deswegen habe ich 1991 als Entwicklungsminister
die Achtung der Menschenrechte zu einem der fünf Kriterien gemacht, die seitdem Art und Umfang der
Entwicklungszusammenarbeit bestimmen. Über Richtigkeit und Notwendigkeit der Verknüpfung deutscher Politik mit der Achtung der Menschenrechte,der Achtung
der Religionsfreiheit besteht heute große Übereinstimmung in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages.
In ihrer Antwort auf die Anfrage der CDU/CSUFraktion nennt die Bundesregierung zahlreiche Länder,
vor allem Entwicklungsländer, mit vielen unterschiedlich schweren Verletzungen der Religionsfreiheit und
der Verfolgung von Christen. Das zeigt, wie notwendig
es war, durch eine solche Anfrage die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit auf diese weltweite, vielerorts tabuisierte Lage der Christen zu lenken. Öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu wecken und Verletzungen der Religionsfreiheit weltweit entgegenzuwirken, das ist eine Aufgabe nicht nur der Politik, sondern
aller gesellschaftlichen Kräfte.
Dieser Aufgabe stellen sich seit vielen Jahren in
großartiger Weise unsere Kirchen, ihre Entwicklungsdienste ebenso wie die Stiftungen der Parteien, die der
Achtung der Menschenrechte in zahlreichen Projekten
ständig wachsende Bedeutung eingeräumt haben. Regierung und Parlament sollten die zukünftige finanzielle
Ausstattung der Stiftungen auch an der Bedeutung dieser
Aufgabe messen.
({1})
Ich möchte auch meinen großen Respekt und meine
Hochachtung vor vielen Repräsentanten der Kirchen im
Ausland zum Ausdruck bringen, die mit Mut und Standfestigkeit in ihren Ländern der Verletzung von Menschenrechten entgegentreten und für Religionsfreiheit
eintreten. Wir alle schulden ihnen tatkräftige Unterstützung.
({2})
Die Bundesregierung scheint mir in ihrer Antwort die
Gefährdung der Glaubensfreiheit in islamischen Staaten
zu verharmlosen, wenn sie meint, dass von den meisten
islamischen Staaten lediglich missionarische Aktivitäten
konsequent unterbunden würden. Zum Wesen des christlichen Glaubens gehört es nämlich, diesen auch in der
Öffentlichkeit bekennen zu dürfen und andere Menschen
zum Glauben an Jesus Christus einzuladen. Solange wo auch immer - dies nicht ohne Androhung von Sanktionen möglich ist, geht es nicht um eine hinnehmbare
Einschränkung der Glaubensfreiheit, sondern um eine
elementare Beschränkung der Glaubensfreiheit der
Christen. Nicht die Freiheit der Religionszugehörigkeit,
sondern die Freiheit der Religionsausübung, die ihren
Gipfel in der angstfreien Möglichkeit auch zum Religionswechsel haben muss, ist entscheidend. In Gesellschaften und Staaten, in denen diese Freiheit nicht besteht, kann und darf nicht davon ausgegangen werden,
dass tatsächliche Religionsfreiheit gegeben wäre.
({3})
Die kritischen Darlegungen der Behandlung christlicher Minderheiten in der Türkei werfen nach der Debatte der letzten Wochen sowie nach den Beschlüssen der
EU in Helsinki die Frage auf, wie eigentlich unter diesem Aspekt die Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat zur EU zu rechtfertigen ist. Während man gegen Österreich einen so genannten europäischen Wertekatalog mobilisierte - den allerdings niemand kennt - ist
von Ähnlichem gegenüber der Türkei nicht die Rede.
({4})
Das entbindet die Bundesregierung allerdings nicht von
der Pflicht, aus den von ihr selbst gescholtenen Missständen in der Türkei notwendige Konsequenzen zu ziehen. Die Türkei muss sich an diesen Fragen ganz besonders messen lassen.
In diesem Zusammenhang darf noch einmal daran erinnert werden, dass sich die Türkei für den Völkermord
an den Armeniern bis heute nicht entschuldigt hat und
diese auch heute noch benachteiligt.
({5})
Ich wünsche mir, dass der Deutsche Bundestag eines
Tages dem Beispiel der französischen Nationalversammlung folgt und die Türkei zu einem solchen
Schritt auffordert.
({6})
Die Türkei ist jetzt zwar Beitrittskandidat zur Europäischen Union, doch ihre Innenpolitik ist der eines EUBeitrittskandidaten unwürdig.
Unbefriedigend ist die Antwort auf Frage 6, welche
die Verletzung von Religionsfreiheit in kommunistischen und sozialistischen Staaten betrifft. Es werden
zwar China und Vietnam genannt - Herr Kollege Gröhe
hat dazu schon Stellung genommen -, doch Nordkorea
wird überhaupt nicht erwähnt, obwohl gerade in diesen
Tagen von massiver Christenverfolgung dort berichtet
wird, bei der das Regime mit drakonischen Strafen und
zum Teil öffentlichen Hinrichtungen gegen christliche
Missionare vorgeht, die von China aus in das abgeschottete Land reisen.
Die Menschenrechtsverletzungen in Kuba werden
verharmlost, wohl auch, um die Entscheidung der zuständigen Ministerin nicht zu diskreditieren, die offizielle Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba in nächster
Zeit aufzunehmen.
({7})
Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den elementaren Grundsätzen deutscher Entwicklungspolitik.
Hier wird bewusst ein Gewaltregime gestärkt, von dem
sich zuletzt selbst eher kubafreundliche Staaten wie Mexiko oder Brasilien zu distanzieren begannen.
({8})
Während die Finanz- und Personalausstattung des
BMZ immer weiter abnimmt und die Zahl der Partnerländer des BMZ bis auf 50 heruntergefahren werden
soll, wird Kuba zulasten anderer Entwicklungsländer in
die Entwicklungszusammenarbeit aufgenommen. Dies
geht vor allem zulasten von Ländern, die sich um die
Reformierung ihrer internen Rahmenbedingungen bemüht haben und sich, im Gegensatz zu Kuba, keine
Menschenrechtsverletzungen haben zuschulden kommen
lassen. Eine solche Politik ist ungerecht und falsch.
({9})
In Deutschland hat man gelegentlich den Eindruck,
dass Toleranz gegenüber nicht christlichen Minderheiten
einen höheren moralischen Wert besitzt als Toleranz gegenüber Christen. Wer aber unterschiedliche moralische
Maßstäbe anlegt, der entlarvt sich selbst. Wer eine Doppelmoral hat, hat keine Moral.
({10})
Gerade wir, denen die Menschenrechte so am Herzen
liegen, müssen uns für Christen in aller Welt jetzt und in
Zukunft mit aller Entschiedenheit einsetzen.
({11})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis
90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema der Großen Anfrage und der heutigen Debatte gelesen habe, habe ich mich spontan um einen Debattenbeitrag bemüht. Es wird Sie vielleicht wundern, warum gerade ich hier spreche. Ich bin nachweislich nicht getauft,
nicht konfirmiert und laut Geburtsurkunde Muslim.
({0})
- Danke, dass Sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben
haben. - Es war mir als Mensch muslimischer Herkunft,
der seinen Glauben wahrscheinlich so praktiziert wie unter wenigen Ausnahmen - die meisten Taufscheinchristen, ein besonders Anliegen, hier zu diesem Thema
zu reden.
({1})
Wenn wir vom Thema Christenverfolgung sprechen,
reden wir über das Thema Fundamentalismus. Redet
man über das Thema Fundamentalismus, liegt das
Thema Islam sehr nahe. Wir setzen die beiden Begriffe
häufig gleich. Ich glaube, wir sollten uns dringend hüten, eine Religion in irgendeiner Weise zu stigmatisieren
oder eine Religion bzw. deren Anhänger in Gänze für
einzelne schlimme, nicht zu rechtfertigende Taten verantwortlich zu machen, die andere begangen haben.
({2})
Man darf nicht die Angehörigen einer Religion dafür
ganzheitlich in Haftung nehmen. Ich habe oft den Eindruck, wenn ich Fernsehen schaue, manche Zeitungen
lese oder Beiträge und Reden zum Thema Islam und
Fundamentalismus höre, dass jeder, der bei uns zwei
oder drei Worte Arabisch kann, zum Islam-Experten
geworden ist, eine Sendung im Fernsehen erhält und
darin über „das Schwert des Islam“ und andere Dinge
schwadronieren darf. Ich glaube, dass uns bei diesem
Thema etwas mehr Sachlichkeit gut tun würde.
({3})
Da wir gerade beim Thema Fundamentalismus sind:
Mir fallen zum Fundamentalismus ganz unterschiedliche
Dinge ein. Mir fällt beispielsweise ein, dass in Amerika
in Kliniken, an denen Abtreibungen vorgenommen werden, Polizeibeamte unter Einsatz ihres Lebens Ärzte und
Krankenschwestern vor Fanatikern schützen müssen, die
angeblich meinen - ich sage bewusst: angeblich -, im
Namen des Christentums einer höheren Sache nachzugehen, indem sie Jagd auf Ärzte und Krankenschwestern
machen.
({4})
Mir fällt beispielsweise ein, wenn ich mir Südamerika, Lateinamerika und das südliche Afrika anschaue,
dass dort evangelikale Christen mit ihrer Missionsarbeit
zum Teil Verheerendes mit ihrer Missionsarbeit anrichten und damit übrigens auch das, was die katholische
Kirche aufbaut, die Vorbildliches leistet, kaputtmachen.
Sie richten zum Teil schreckliche Dinge an. Auch das
fällt mir zum Thema Fundamentalismus ein.
Mir fällt, wenn ich nach Israel schaue, auch die Ermordung des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Rabin ein. Mir fällt beispielsweise das Attentat in
der Moschee ein.
Mir fällt zum Thema Fundamentalismus die Zerstörung der Moschee in Indien durch Hindu-Fanatiker ein.
Mir fallen natürlich auch die schrecklichen Bilder aus
Algerien und aus Afghanistan ein, die wir immer wieder
sehen müssen. Dort begehen die Taliban barbarische
Menschenrechtsverletzungen an Frauen, aber auch an
anderen Menschen.
Mir fallen auch die Bilder ein, die wir bisher aus dem
Iran gekannt haben und die sich hoffentlich jetzt endlich
ändern - wobei ich nicht so optimistisch bin, dass ich
sage, dass sich dort schnell etwas ändern wird.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns schon die
Mühe machen, genau hinzuschauen. Mit welchen Waffen schießen denn die Taliban? - Manche haben es anscheinend vergessen, dass es auch lange Zeit unsere Politik war, die Politik des Westens, die dazu geführt hat,
dass gesagt wurde: Der Feind meines Feindes ist mein
Freund. Und dabei ging es nicht um Menschenrechte,
dabei ging es nicht um den Schutz von Christen. Es ging
nicht um den Schutz von Minderheiten, sondern es ging
darum, dass der schnöde Mammon regiert hat, dass eigene wirtschaftliche Interessen dominiert haben, und es
ging darum, dass außenpolitische Erwägungen wichtiger
waren als Menschenrechte. Diesen Vorwurf müssen sich
alle miteinander gefallen lassen. Es waren unsere amerikanischen Freunde, die beispielsweise in Afghanistan
aus sehr durchsichtigen Interessen heraus die Taliban
mit gestützt haben und deshalb Mitverantwortung für die
Situation tragen, die wir dort haben.
({5})
- Wir sind uns sicher darüber einig, dass in Tschetschenien schreckliche Menschenrechtsverletzungen passieren. Und ich würde mir wünschen, lieber Kollege, dass
wir mehr Einfluss auf die Situation in Tschetschenien
ausüben könnten, um das schreckliche Treiben zu beenden.
Lassen Sie uns bei dem Thema der Debatte bleiben.
Wenn wir uns die Situation auf der arabischen Halbinsel
anschauen - sie ist einer der Herde der Menschenrechtsverletzungen an Christen, auch an Atheisten und anderen - , müssen wir fragen: Wie ist es denn dort? Ich
kann mich noch ganz gut an den Golfkrieg erinnern, in
dem die Menschenrechte ein wichtiges Argument waren.
Ich kann mich erinnern, dass wir der Frage der religiösen Toleranz und der Menschenrechte, den Werten, die
wir hier doch gemeinsam vertreten, einen Bärendienst
erwiesen haben, indem wir der islamischen Welt gezeigt
haben, es geht nicht um Menschenrechte. Wir haben einen Diktator unterstützt, um einen anderen Diktator zu
stürzen - Menschenrechte standen dabei nicht auf der
Tagesordnung.
({6})
Ich finde, es ist wichtig das zu erwähnen, wenn man
sich über das Thema Menschenrechte für Christen unterhält.
Ich möchte, - weil ich nicht so viel Zeit habe, - nur
noch auf einen Punkt eingehen, - er wurde heute schon
von mehreren Debattenrednern angesprochen -: Ich
glaube, wir tun den Menschen; die ihren Glauben praktizieren Unrecht, wenn wir sie dafür in Verantwortung
nehmen, was häufig Menschen unseres Berufsstandes,
Politikerinnen und Politiker, machen, indem sie nämlich
die Religion für ihre Zwecke missbrauchen. Sie missbrauchen sie für den Machterhalt, um andere zu bekämpfen oder um Oppositionelle oder Andersdenkende
auszuschalten.
({7})
Häufig sind es leider Ideologen, die die Religion ausnutzen, um Massen zu mobilisieren. Dass es dabei viele
religiöse Funktionäre gibt, die sich gern missbrauchen
lassen, muss ich hier nicht gesondert erwähnen. Auch
das ist leider eine schreckliche Realität. Umso wichtiger
ist es, dass wir denen, die sich in allen Weltreligionen
für den Dialog einsetzen - wie beispielsweise Herr
Küng, der sich für den Weltethos einsetzt -, unsere Unterstützung anbieten. Es geht darum, dass alle Weltreligionen das Gemeinsame entdecken, nämlich die Achtung vor der Schöpfung und die Achtung vor der Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens. All denen, die dafür arbeiten, muss unsere Solidarität gelten. Dass es
Menschen, die sich für eine Reform im Islam einsetzen,
besonders schwer haben, das wissen wir alle miteinander. Genau deshalb würde es uns gut zu Gesicht stehen,
dass wir ihnen unsere ungeteilte Solidarität zuteil werden lassen. Denn wir brauchen sie, wir brauchen gerade
die moderaten Kräfte innerhalb des Islam,
({8})
damit wir den Dialog der Religionen voranbringen können.
Da wir über das Thema Fundamentalismus und religiöse Toleranz reden, möchte ich noch auf einen anderen Punkt eingehen. Ich glaube, das Schlüsselwort dieser
Debatte ist das Wort „Respekt“. Respekt ist es, was wir
brauchen, wenn wir uns als Angehörige unterschiedlicher Konfessionen und unterschiedlicher Religionen gegenseitig begegnen. Ich denke, dazu gehört auch eine
Betrachtung dessen, was in der Schule geleistet wird.
Ich erinnere mich an meine Schulzeit - ich bin immer in
Deutschland zur Schule gegangen - : Was habe ich denn
über die Kultur meiner Vorfahren gelernt?
Irgendwann einmal kam mein Geschichtslehrer herein,
holte tief Luft, schaute auf mich und sagte: Damals, die
Türken vor Wien, da haben wir Glück gehabt, dass die
Jungs von Cem eins auf den Deckel bekommen haben,
denn sonst wären die Jungen jetzt alle zwangsbeschnitten und die Mädchen müssten Kopftücher tragen. - Alle
Blicke richteten sich auf mich. Ich ging nach Hause mit
dem Gefühl, aus einer schlimmen, schrecklichen Kultur
zu kommen.
Jetzt will ich gar nicht sagen, dass dies nicht Teil der
Geschichte ist. Zur Geschichte gehört auch, dass man
die schönen und die weniger schönen Dinge lernt. Daher
meine ich zur Allgemeinbildung gehört auch, dass wir
unseren Kindern beibringen, was vor 500 Jahren in Spanien los war, als die Reconquista kam,
({9})
als dort das - sicherlich mit Abstrichen - tolerante Regime, in dem Christen, Juden und Muslime in relativer
Blüte gelebt haben, beendet wurde. Auch das gehört
zum Thema, genauso, wie es dazugehört, dass wir uns in
diesem Jahrhundert anschauen, was in Bosnien passiert
ist. Wie lange haben wir gebraucht, bis wir den Völkermord dort - das richte ich an alle, Adressen, auch an
meine Adresse und an die Adresse meiner Partei -, bis
wir diesen Spuk beenden konnten?
Der Präsident signalisiert, dass ich zum Ende kommen soll. Ich will auch mit einem Zitat schließen, westöstlich, wie es dieser Debatte vielleicht gut zu Gesicht
steht:
Wenn der Mensch das Bedürfnis hat zu loben, dann
für die Vernunft, für das Wissen, für ein freundliches Wesen, für ein gutes Herz. Dummheit: Der
Dumme zeigt sich darin, dass er mit seiner Abstammung prahlt.
Dieses Zitat stammt von Hazreti Ali, einem engen Weggefährten des Propheten Mohammed. Viele kennen ihn
als den Begründer des Alevetismus.
Das zweite Zitat ist ein westliches:
Die Demokratie aufhalten wollen hieße gegen Gott
selber kämpfen.
Es stammt von Alexis de Tocqueville.
({10})
Als
nächster Redner hat Kollege Dr. Heiner Geißler von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann fast
allem zustimmen, was über die allgemeine Situation der
Menschenrechte auf der Welt gesagt worden ist. Ich
kann aber nicht ganz verstehen, dass der Sinn der Großen Anfrage der CDU ins Zwielicht gezogen wird, und
zwar offenbar mit der Unterstellung, die Verfolgung von
Christen sei meiner Fraktion ein wichtigeres Thema als
die Verfolgung anderer Minderheiten auf dieser Welt.
Ein solch absurdes Argument sollte hier nicht vorgetragen werden.
({0})
Wir haben hier im Parlament schon viele allgemeine
Menschenrechtsdebatten gehabt, und man kann anhand
der Christenverfolgung, die eben nicht bestritten werden
kann - auch nicht die spezifische Christenverfolgung,
Frau Köster-Loßack, - sehr wohl darlegen, welche
Denkstrukturen und Kausalitäten ganz allgemein Menschenrechtsverletzungen zugrunde liegen. Ich will versuchen, dies darzulegen. Ich finde, darüber sollten wir
einmal einen Meinungsaustausch führen.
Wenn hier der Eindruck erweckt werden sollte, als
gebe es spezifische Christenverfolgung nicht, dann trete
ich dem entgegen. Ein solcher Eindruck, dass also Menschen auf dieser Welt nicht allein oder hauptsächlich
deshalb verfolgt würden, weil sie Christen sind, ist
falsch und widerspricht den Realitäten. Ich hoffe, dass
dies auch niemand so darlegen wollte. Wenn wir, soweit
wir einer christlichen Religion angehören, über dieses
Thema reden, dann muss am Anfang ein Schuldbekenntnis stehen; denn im Namen des Christentums sind
in den vergangenen Jahrhunderten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden.
({1})
Die Kreuzritter haben in Jerusalem ein Blutbad angerichtet. Wie Zeitzeugen beschrieben haben, seien die
Leute im Blut der ermordeten Menschen gewatet. Im
Vorfeld dieser Kreuzzüge haben Leute wie Petrus von
Amiens, Walter Sans-Avoir und Emicho von Leiningen
den Pöbel gegen die einheimischen Nichtchristen, zum
Beispiel gegen die Juden, aufgehetzt.
Dies sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie im
Namen Gottes und auch im Namen des Christentums
schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind.
Cem Özdemir hat auf die Situation in Spanien hingewiesen, wo wir wirklich ein friedliches multikulturelles
Zusammenleben zwischen Christen, Juden und Arabern
hatten, das durch El Cid, die Gegenbewegung im 11.
Jahrhundert, durch die christlichen Spanier völlig verändert worden ist. Große Teile der jüdischen und maurischen Bevölkerung haben damals das Land verlassen.
Das Schicksal der europäischen Juden ist ein besonders trauriges Beispiel für eine Politik im Namen einer falsch verstandenen religiösen Dominierung. Ihre
Lage war gekennzeichnet von Abgrenzung und Selbstbehauptung, zwischen Resignation und Flucht sowie von
Duldung und Schutz durch Kaiser, König oder Landesherr, verbunden mit Gettobildung, Sondersteuern und
blutigen Pogromen. Am Ende stand der Völkermord
durch die Nationalsozialisten.
Es ist völlig klar, dass wir dann, wenn wir über dieses
Thema reden, zunächst ein Schuldbekenntnis ablegen
müssen. Aber das darf uns heute nicht daran hindern,
über die Situation von Millionen Menschen zu reden, die
wegen ihres Glaubens und insbesondere auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Religion verfolgt
werden. Darüber müssen wir gar nicht lange debattieren.
Dafür sind genügend Beispiele aufgeführt worden. Reden Sie einmal mit der Basler Mission und den Angehörigen der presbyterianischen Kirche im Sudan, die ich
neulich besucht habe.
Ich verwahre mich gegen alle Verharmlosungen, die
hier angeführt worden sind. Natürlich gibt es immer eine
Verzahnung von Argumenten, das ist klar. Johan Candelin, den Sie erwähnt haben, hat einmal gefragt: Woran
kann man feststellen, ab wann Christen verfolgt werden.
Antwort: Christen sind dann verfolgt, wenn sie ihren
Glauben ablegen, die Religion der Mehrheit annehmen
und sich ihre Lage dadurch verbessert. Wenn man dies
als Maßstab für die Lage der Christen heranzieht, dann
stellt man fest, dass es Christen in vielen Regionen dieser Erde besser gehen würde, wenn sie ihren Glauben
ablegten und eine andere Religion annehmen würden.
Es handelt sich nicht immer um blutige Verfolgung
und militärische Unterdrückung, sondern oft um eine
subkutane, heimliche und schikanöse Verfolgung: Es
gibt berufliche und bildungspolitische Nachteile. So
wird zum Beispiel der Besuch einer Elementarschule
von dem vorherigen Besuch eines Kindergartens abhängig gemacht. Unter dieser Voraussetzung akzeptiert man
gerne Elementarschulen in christlicher Trägerschaft,
weil man gleichzeitig festgelegt hat, dass Christen keine
eigenen Kindergärten haben können. Damit haben sie
auch keinen Zugang zu einer Elementarschule. Der Erzbischof von Khartum hat mir das erklärt: Christliche
Kirchen dürfen keine Grundstücke besitzen. Folglich
habe ich das Grundstück selber gekauft. Aber dann ist
mir gesagt worden, auf einem Privatgrundstück dürfen
keine öffentlichen Institutionen errichtet werden. - So
läuft dies ab. Christen werden allein wegen ihres Glaubens massiv behindert.
Ich sage in diesem Zusammenhang auch: Wir dürfen
uns nicht beschweren, dass die Katholiken im sudanesischen El-Obeid, wo es einen Bischofssitz gibt, ihr eigenes Wort während des Gottesdienstes nicht mehr verstehen können, weil die Lautsprecher der Moscheen auf die
Kirche gerichtet sind, wenn wir gleichzeitig in Deutschland Theater machen, weil die zweitgrößte Religion in
Deutschland, der Islam, ihre eigenen Gotteshäuser haben
möchte, und wir uns bedroht fühlen, wenn man nicht nur
die Glocken der Kirchen hört, sondern auch das Gebet,
das ein Muezzin von einem Minarett herab spricht. Man
muss hier schon konsequent bleiben
({2})
und die Toleranz aufbringen, die notwendig ist, um ein
solches Thema glaubwürdig zu behandeln.
Warum gibt es Christenverfolgung? Das ist nach
meiner Auffassung eine wichtige Frage. Die christliche
Religion, insbesondere die katholische, aber auch die
evangelische, gerät naturgemäß wegen ihres universellen Charakters in Konflikt mit allen nationalstaatlichen,
homogenen Philosophien. Genau das erleben wir im
Moment. Wenn man fragt, warum Christen verfolgt
werden, dann bekommt man als Hauptargument zur
Antwort, die wachsende Zahl der Christen bedrohe die
nationale Identität, auch die Mehrheitsreligion. Das ist
der Hauptgrund für die Auseinandersetzungen in einer
ganzen Reihe von Staaten dieser Erde. Christen treten
heute als Fürsprecher für Menschenrechte auf. Sie geraten zum Beispiel dann in Gegensatz zum Staat, Cem
Özdemir, wenn eine Religion wie der Islam seine
Rechtsordnung mittels der Scharia zur Staatsordnung
macht. Das ist nicht allein das Ziel von Nichtregierungsorganisationen; vielmehr gibt es Staaten, in denen das so
ist, zum Beispiel im Sudan oder in anderen Staaten des
Islams. Damit muss man sich auseinander setzen. Aus
der Praktizierung der Scharia folgt unmittelbar eine Verfolgung der Menschen ohne islamischen Glauben.
Am meisten hat mich das gewundert, was Sie zu Lateinamerika gesagt haben. Überlegen Sie einmal: Die
katholische Kirche tritt massiv für die Rechte der Chiapas ein. Wenn die katholische Kirche oder die evangelische Kirche, die Rechte der unterdrückten, der armen
Bevölkerung, die Rechte der aufgrund ihres Verständnisses von christlicher Nächstenliebe ausgebeuteten
Menschen artikuliert und sich aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung gegen die Großgrundbesitzer - mögen sie
sich selber als Christen bezeichnen - auf die Seite der
Unterdrückten stellt und in einer üblen Weise auch von
der mexikanischen Regierung verfolgt wird, dann nenne
ich das ganz selbstverständlich Christenverfolgung. Dagegen müssen wir uns natürlich wehren. In Lateinamerika haben sich viele in der katholischen und in der evangelischen Kirche - ich erinnere an Helder Camara und
viele andere - auf die Seite der Unterdrückten gestellt.
Diejenigen, die von den Generälen und den Diktatoren
bekämpft worden sind, sind insoweit selbstverständlich
Opfer einer Christenverfolgung gewesen.
Ich will einmal die Denkstrukturen aufzeigen, die einer solchen Verfolgung zugrunde liegen. In China ist
die Identifizierung des Staates mit der Aufgabe, die
Mentalität der Menschen im Lande unter eine geistige
Kontrolle - dem Verständnis der Mächtigen entsprechend - zu bringen, ganz klar. Es kann keine zwei Sonnen am chinesischen Himmel geben - das ist die Auffassung der chinesischen Kommunisten. Infolgedessen
können staatlich nicht erlaubte Religionen keine Chance
haben.
Aus all dem habe ich für mich selber ein Fazit gezogen - ich glaube, dass man es nachvollziehen kann - :
Religiöser Fundamentalismus allein reicht als Begründung für die Christenverfolgung oft nicht aus. Aber Nationalismus und religiöser Fundamentalismus haben
sich in vielen Gegenden der Welt zu einer unheiligen
Allianz mit dem Ziel verschworen, Menschen nur deswegen zu verfolgen, zu diskriminieren und zu töten,
weil sie oft beides waren: Angehörige einer ethnischen
Minderheit und auch einer anderen Religion.
Sehr oft waren diese Menschen aber nur Angehörige
einer Religion, die den Machtanspruch der Machthaber
durch den Universalitätsanspruch gefährdet hat. Die serbischen Kriegsverbrechen dieses und des letzten Jahrhunderts sind nicht ohne die Identifikation der Serben
als Nation mit dem orthodoxen Christentum zu verstehen. Das ist die andere Seite der Medaille.
Es wird immer wieder behauptet, diese Konflikte seien unausweichlich; ich erinnere an das Buch von Huntington „Clash of Civilization“. Dies ist absolut falsch;
vielmehr ist das Gegenteil richtig.
({3})
Es gibt auf der Erde genügend Beispiele dafür, dass die
Angehörigen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher Ethnien friedlich zusammenleben. Wir
brauchen als Konzeption, um diese Situation zu verändern - sie hat sich bereits verbessert: Die Anzahl der
Demokratien ist größer geworden, es gibt heute mehr
freie Menschen auf der Erde als noch vor 100 Jahren - ,
eine Weltfriedensordnung, in der die Menschen unabhängig davon, ob sie katholisch, hinduistisch, evangelisch oder muslimisch sind, friedlich zusammenleben
können.
Das zum Beispiel von Hans Küng formulierte Weltethos, in dem sich die verschiedenen Religionen finden
können - Sie, Cem Özdemir, haben es angesprochen -,
ist als geistig-moralische Grundlage wirklich eine Hilfe.
Die Beseitigung der Diskriminierung und die Durchsetzung der Menschenrechte unabhängig davon, welchem
Volk, welcher Nation, welcher Rasse die Menschen angehören - sind die Grundstruktur einer neuen Weltfriedensordnung, die wir anstreben müssen.
Niemand sage mir, das sei eine Utopie, die niemals
erreicht werden könne. Wenn wir vor zwölf Jahren in
Ostberlin, zum Beispiel in Berlin-Mitte oder in Prenzlauer Berg, miteinander diskutiert hätten und jemand gesagt hätte, in elf Jahren werden die Tschechoslowakei
und Polen Mitglied der NATO sein, dann wären wir in
Ostberlin sofort verhaftet und in Westberlin in die Psychiatrie gebracht worden. Innerhalb von zehn Jahren ist
es Realität geworden, obwohl diese Länder damals noch
Mitglieder des Warschauer Paktes waren.
Die Zukunft rückt näher. Die Zeit läuft so schnell ab,
dass wir es uns gar nicht leisten können, noch lange darauf zu warten. An diesem Konzept einer Weltfriedensordnung muss auch eine deutsche Bundesregierung arbeiten. Man darf vor allen Dingen ebenso wenig wie die
Verfolgung von Christen die Verletzung von Menschenrechten akzeptieren. Man muss vielmehr, wenn zum
Beispiel Geschäftsbeziehungen mit diesen Staaten angebahnt werden oder Minister dort auftauchen, die Frage
der Menschenrechte, bevor das Wort D-Mark in den
Mund genommen wird, auf den Tisch des Hauses legen.
So kommen wir in dieser Frage weiter.
({4})
Herr
Kollege Geißler!
Das gilt für die alte
Regierung,
({0})
aber genauso auch für die neue Regierung, die in dem
Punkt um kein Haar besser ist als die frühere.
({1})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Tappe von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Debatte das generelle Problem sehr umfassend gewürdigt.
Deshalb möchte ich lediglich einen kleinen Ausschnitt
beleuchten und einen regionalen Akzent setzen. Dieses
möchte ich zum Anlass nehmen, die Fragesteller um eine noch differenziertere Betrachtung dieses sicherlich
nicht kleinzuredenden Problems der weltweiten Christenverfolgung zu bitten. Zugleich möchte ich die wesentliche Quelle, die der Großen Anfrage zugrunde liegt,
mit diesem Beispiel ein wenig kritisch hinterfragen.
Ich kenne mich in Afrika ein bisschen aus und, weil
in der Anfrage der Sudan - Kollege Geißler hat ja eben
mehrfach auf dieses Land hingewiesen - als ein afrikanisches Beispiel für angebliche Christenverfolgung ausdrücklich genannt worden ist, will ich dieses Beispiel
Sudan auch verwenden, um eine von den Medien ständig verbreitete Legende ein wenig zu relativieren. Inwieweit solche Relativierungen auch für andere Regionen, bezogen auf das Problem, notwendig sind, vermag
ich nicht zu beurteilen.
Seit Jahren wird der Bürgerkrieg im Sudan in der Berichterstattung als ein Kampf des Halbmonds gegen das
Kreuz dargestellt: der muslimisch dominierte Norden
im missionarischen Krieg gegen den christlichafrikanisch geprägten Süden. In diesem Zusammenhang fällt oft auch der Begriff der Zwangsislamisierung.
Diese Sichtweise ist nach meinen Erfahrungen - diese
Einschränkung will ich gerne machen - falsch und verstellt deswegen auch den Blick auf eine baldige und, wie
ich finde, auch mögliche Lösung dieses blutigen Konflikts, der seit 40 Jahren dieses Land nicht zur Ruhe
kommen lässt und allein seit 1983 mehr als 1 Millionen
Menschenleben gefordert hat.
Ich war im letzten Jahr zweimal im Sudan, nicht nur
in Khartoum, sondern auch im so genannten christlichen
Süden. Auch das ist, nebenbei gesagt, eine Legende.
Ernst zu nehmende Schätzungen gehen davon aus, dass
auch im Südsudan nur etwa 20 Prozent der Menschen
sich zum christlichen Glauben bekennen. Ich war in
Wau, in Lunyaker und in Juba. Ich habe dort unter anderem Kirchen und Schulen besucht, mit politisch Verantwortlichen, mit Geistlichen und Lehrern gesprochen,
ebenso mit traditionellen Chiefs aus der Region und immer wieder übereinstimmend bestätigt bekommen, dass
sie trotz der durch die Kriegssituation beklagenswerten
Umstände doch relativ ungehindert arbeiten können.
Wenn dennoch in der westlichen Berichterstattung
dieser schreckliche und, wie ich finde, völlig überflüssige Bürgerkrieg fast ausschließlich als religiös motivierter Konflikt dargestellt wird - an dieser Legende strickt
auch so mancher hochrangige sudanesische Kirchenmann nicht uneigennützig; häufig wird das mit Bildern
von gewaltsamen Abrissen illegal errichteter Behelfskirchen in den Flüchtlingslagern am Rande Khartoums belegt, - dann scheint mir diese Art der Berichterstattung
einseitig interessengeleitet und nicht zuletzt von der
SPLM, einer wichtigen Konfliktpartei, unterstützungsheischend in diesem machtpolitischen Pokerspiel instrumentalisiert. Aus meiner Sicht ist der Sudankonflikt
ein für Afrika leider typischer ethnischer Konflikt, in
den auch starke soziale und ökonomische Komponenten
hineinspielen, die eine Folge der vorhandenen UnterDr. Heiner Geißler
entwicklung der afrikanischen Bevölkerungsgruppen
gegenüber den arabisierten muslimischen Nordsudanern
sind.
Meine Gespräche mit sudanesischen Vertretern aus
den Nuba-Bergen haben noch einen anderen Aspekt dieses Konfliktes deutlich gemacht, nämlich das tief sitzende Misstrauen, gewachsen aus der über Jahrhunderte genährten Erfahrung von und Angst vor Versklavung. Diese Angst wird leider durch aktuelle Vorkommnisse verstärkt, weil immer wieder Massenentführungen und in
besonders schändlicher Weise Entführungen von Kindern vorkommen. Doch auch hier gilt es festzuhalten:
Diese schlimmen Menschenrechtsverletzungen haben
keine originär religiöse Dimension. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die sich als
christlich verstehende Lord’s Resistance Army, eine
ugandische Rebellenorganisation unter Führung von
Joseph Kony, die von der muslimischen Regierung in
Khartoum unterstützt wird, aus dem Südsudan heraus in
Norduganda agiert, dort oft die Entführung ganzer
Schulklassen als besonders abscheuliches Mittel der
Kriegführung anwendet und dabei nicht unterscheidet,
ob es sich um christliche oder muslimische Kinder handelt.
({0})
Dieser Hinweis auf die LRA soll nicht dazu dienen,
die Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen in dieser geschundenen Region gegenseitig aufzurechnen und
damit zu relativieren. Minderheiten haben es überall
schwer, auch in unserem Land. In muslimisch geprägten
Ländern, vor allem, wenn sie fundamentalistische Züge
aufweisen, trifft das besonders in Bezug auf christliche
Gruppen zu. Aber im Sudan - das kann ich aus meinen
vielfältigen Erfahrungen im Wesentlichen auch für den
gesamten schwarzafrikanischen Bereich sagen - gibt es
keine organisierte oder geduldete Christenverfolgung
in der Weise, dass Menschen nur deshalb umgebracht
werden, weil sie sich zum Christentum bekennen. Dass
es im Sudan auch Übergriffe fanatischer Gruppen und
Einzelpersonen gibt, will ich dabei nicht in Abrede stellen.
Gestatten Sie mir zum Schluss, dass ich noch eine
These zur aktuellen Situation im Sudan äußere, weil dies
ein Beitrag zur Lösung bestimmter Probleme in diesem
Umfeld sein könnte. Wenn die Amerikaner den Geistlichen John Garang, den im sicheren Exil in Nairobi lebenden Chef der so genannten sudanesischen Volksbefreiungsbewegung, der als Einziger der ehemals sechs
südsudanesischen Warlords noch aktiv ist, nicht massiv
mit Geld und Waffen unterstützten, dann wäre der von
allen Konfliktparteien im Sudan sehnlichst erwünschte
Frieden längst Realität.
Wir müssten dann zumindest für diesen Teil der Welt
nicht über das Problem der Christenverfolgung diskutieren, sondern darüber, wie wir Europäer und wir Deutsche unseren Beitrag zum Frieden und zur Entwicklung
des Sudan leisten können.
({1})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Blüm
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Lieber Kollege
Tappe, auch ich war im Sudan. Am 7. Februar sind über
den Nuba-Bergen Bomben abgeworfen worden; 14 Kinder wurden getötet. Man kann sagen, dass die Flieger
unregelmäßig fliegen, aber die Menschen regelmäßig
Angst haben. Da hilft kein diplomatisches Gerede: Das
ist ein Skandal. Der Deutsche Bundestag muss sich gegen diese menschenverachtenden Methoden der Regierung in Khartoum ohne Abstriche wenden.
({0})
Ich will außerdem noch sagen, dass für mich Menschenrechte immer konkret sind. Man sollte sie nicht in
abstrakte Kategorien zwängen. Ich muss ganz konkret
sagen, dass es unter den Verfolgten Christen gibt, mit
denen ich mich solidarisiere.
({1})
- Lassen Sie mich doch wenigstens ausreden! - Das
heißt nicht, dass ich andere im Stich lasse. Aber ich finde den Grundsatz „Wenn ich nicht allen helfen kann,
dann helfe ich niemandem“ nicht richtig. Das Christentum ist der Idee der Menschenrechte verpflichtet. Es ist
daher ein Gebot, sich für Bedrängte, auch für bedrängte
Christen, einzusetzen.
Man kann die Situation in wirtschaftlicher und ideologischer Hinsicht kunstvoll analysieren. Ich stelle aber
fest: Im Moment gibt es einen menschenverachtenden
Fundamentalismus - den ich nicht mit dem Islam identifiziere -, der auf dem Boden des Islam zum heiligen
Krieg auch im Sudan aufruft. Dieser Fundamentalismus
- noch einmal gesagt: ich identifiziere ihn nicht mit dem
Islam - hat der Welt nur mehr Fanatismus und mehr
Menschenverachtung gebracht.
Ich finde, wir sollten nicht so kunstvoll debattieren
und analysieren, wer alles was gemacht hat. 14 Kinder
sind tot; es wird im Sudan weiter gebombt. Meine Antwort darauf ist: Keine Regierung, die das zulässt, kann
unsere Unterstützung haben.
({2})
Zur Erwiderung, Herr Kollege Tappe, bitte schön.
Herr Kollege Blüm, ich
stimme dem vollkommen zu, was Sie über die Vorkommnisse im Sudan gesagt haben. Man muss aber so
ehrlich sein und sagen, dass dies auf beiden Seiten passiert. Auch John Garang und seine Helfershelfer bomben
im Sudan. Dem müssen wir in dem Sinne, wie Sie es gesagt haben, mit aller Entschiedenheit begegnen.
({0})
Ich möchte meine Erwiderung zum Anlass nehmen,
eine Bitte an Sie und auch an den Kollegen Geißler zu
äußern - Sie waren ja kürzlich im Sudan; Kollege
Schuster und ich waren voriges Jahr dort -: Wäre es
nicht sinnvoll, unsere Erfahrungen und Sichtweisen, die
sicherlich unterschiedlich sein mögen, einmal miteinander abzustimmen und dies zum Anlass zu nehmen, dass
sich der Deutsche Bundestag mit einem entsprechenden
Antrag profiliert, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, im Sudan helfend tätig zu werden? Dies wäre
in unser aller Sinne.
({1})
Das
Wort hat jetzt der Staatsminister Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat die Große Anfrage zur Verfolgung von Christen gern beantwortet. Es war gut, dass sie gestellt wurde. Der Beantwortung gingen die entsprechenden Recherchen in unseren
Botschaften in den angesprochenen Ländern voraus.
Diese sind insbesondere von den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern im Auswärtigen Amt sorgfältig ausgewertet
worden. Sie und nicht der Bundesminister oder ich tun
ja diese praktische Arbeit.
Wenn es Kritik gab, so war sie in manchen Punkten
berechtigt, weil der Text auch nicht zu lang werden
durfte. Ein Hinweis zu Nordkorea: Die zitierten Vorkommnisse sind nach Redaktionsschluss eingetreten und
konnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden. Das
hat nichts damit zu tun, dass die Bundesregierung Nordkorea nicht für das zurzeit vielleicht problematischste
Überbleibsel des Kommunismus hält.
Ich möchte Ihnen eine Zusage geben: Wir werden alle
Reden sorgfältig lesen und Anmerkungen und Kritikpunkte dieser Art in ein Schreiben an den Bundestag
aufnehmen, um hier zusätzliche Aufklärung zu leisten.
({0})
Die Bundesregierung hat auch ihre Grundposition zur
Christenverfolgung, zur Religionsfreiheit von Christen
dargelegt. Diese Grundposition ist die Neutralität
gegenüber allen Weltanschauungen und Religionen.
({1})
Diese Neutralität ist nicht wertfrei. Ihr Wertbezug ist die
Aufklärung. Das wurde am anspruchsvollsten formuliert
von Immanuel Kant, dem bedeutendsten Preußen, für
diese Debatte am geeignetsten formuliert von Gotthold
Ephraim Lessing in „Nathan der Weise“ und im
20. Jahrhundert für mich am eindrucksvollsten formuliert von einer polnischen Jüdin, die daraufhin von
missgeleiteten Preußen einige Meter von hier entfernt in
den Landwehrkanal geworfen wurde: Freiheit ist immer
die Freiheit des Andersdenkenden.
({2})
Dieser weltanschaulich neutrale Staat hat gegenüber
der Religionsfreiheit zwei Verpflichtungen. Die erste
bildet die Grundlage: Er selber darf niemanden um seiner Religion willen verfolgen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist gut festzustellen, dass nach dem
Niedergang des Kommunismus - in Europa auf jeden
Fall, in anderen Teilen der Welt auch - Christenverfolgungen in den entsprechenden Ländern nicht mehr stattfinden. Wir sollten nicht darüber diskutieren, dass diese
Bundesregierung das für richtig hält.
Weshalb Nordkorea in der Antwort nicht angesprochen worden ist, habe ich bereits gesagt; China und
Vietnam haben wir in der Antwort erwähnt.
Dass im Übergang vom Kommunismus zur Demokratie vor allem in Russland auch mit der Religionsfreiheit
und den Menschenrechten noch nicht so umgegangen
wird, wie wir es uns wünschen, wissen wir. Ich verurteile an dieser Stelle namens der Bundesregierung ausdrücklich Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Das hat die Bundesregierung aber auch vorher
schon ausreichend getan.
({3})
Herr Kollege Spranger, lassen Sie mich eine Bemerkung zu Kuba machen. Gerade in dieser Debatte Kuba
zu diskutieren, ohne auch über Befreiungstheologie,
über die Ermordung von Allende und über Pinochet zu
sprechen, ist einseitig.
({4})
- Dass ich Einseitigkeit konstatiere, veranlasst Sie zu
engagierten Bemerkungen, ohne dass Sie abwarten, was
ich noch sage: Das politische Modell Kubas ist nicht das
Vorbild der Bundesregierung.
({5})
- In dieser Region ist es nicht das Vorbild. Damit Ihr
Lachen wieder aufhört: Es wäre eher Costa Rica.
({6})
- Frau Kollegin, es ist sehr traurig, wenn man in einer
Debatte über Toleranz nicht einmal so lange mit unangemessenen Zwischenrufen warten kann, bis das Argument zu Ende geführt worden ist.
({7})
Ich füge an dieser Stelle hinzu: Die Bundesregierung
wünscht es sich, dass auch die Regierung Castro den
Mut aufbrächte, den die Sandinisten in Nicaragua aufgebracht haben, und demokratisch wählen ließe.
({8})
Ich hoffe, jetzt klatschen auch Sie. - Ich bin zufällig
gleich nach der Debatte mit dem kubanischen Botschafter verabredet. Ich werde ihm dasselbe sagen.
Ich hatte das Selbstverständnis des weltanschaulich
neutralen Staates erwähnt, Religionen nicht zu verfolgen. Dies reicht aber nicht aus.
Der weltanschaulich neutrale Staat muss auch dafür
sorgen, dass alle Religionen ihr Recht bekommen. Das
ist die zweite größere Herausforderung. Hier liegt eines
der Probleme der Staaten des westlichen und des sich
erweiternden Europas mit den islamischen Staaten.
Die im Hinblick auf die Religionsfreiheit zu führende Auseinandersetzung mit den meisten muslimischen
Staaten muss zum Ziel haben, dass das Staatsverständnis
in diesem Teil der Welt sich dahin entwickelt, dass alle
Religionen geschützt werden. Es ist schon ein Problem,
wenn sich islamische Staaten unter dieser von der Religion bestimmten Bezeichnung zusammenschließen. Dies
ist auch - die kritischen Bemerkungen nehme ich sehr
bewusst auf - eines der Probleme, die sich bei der Frage
der Mitgliedschaft der Türkei in der Europäische Union
stellen. Der derzeitige Schutz anderer Religionen in der
Türkei ist nicht gewährleistet.
({9})
Bereits bevor ich dieses Amt antrat, habe ich mich bei
Italienbesuchen im Vatikan darüber informieren lassen,
wie sich in islamischen Staaten christliche Religionen
betätigen können. Das, was ich über die Türkei gehört
habe, hat mich schon immer erschreckt. Die Türkei selber will aber, dass wir ihre gesellschaftlichen Verhältnisse anhand der Anforderungen prüfen, die mit dem
Kandidatenstatus verbunden sind. Das haben wir aufgenommen. Die Prüfung auch des Verhaltens der türkischen Regierung hinsichtlich der Betätigungsmöglichkeiten der christlichen Religionen gehört zu den unabdingbaren Kriterien, die in den Fortschrittsberichten der
Europäischen Union enthalten sein werden.
({10})
Das ist einer der Gründe, weshalb wir den Kandidatenstatus wollten. Ich verspreche: So wie sich bisher das
Verhältnis der Türkei zu Griechenland gebessert hat, so
wird auch die Prüfung durch die Europäische Union zu
einer Verbesserung in dieser Hinsicht führen. Wenn dies
nicht der Fall sein wird, brauchen wir über die Vollmitgliedschaft nicht zu sprechen.
({11})
Ich bleibe bei den Ideen der Aufklärung als den
Leitgedanken der Politik der Bundesregierung und gehe
auf Ihre Frage ein, ob es nicht einen Grund gibt, dass
sich die deutsche Politik besonders um die Christen in
aller Welt kümmert. Dies ist eine berechtigte Frage. Ich
möchte sie so beantworten: Sosehr es notwendig ist,
dass der Staat Deutschland die von mir geschilderte
weltanschauliche Neutralität beibehält, so berechtigt ist
es, dass sich im politischen System der Bundesrepublik
Deutschland unter Pluralitätsgesichtspunkten die Repräsentanten dieses Systems auch für die Menschenrechte
der Christen oder - Herr Kollege Özdemir - der Muslime einsetzen. Wir sollten diese Pluralität als Teil unseres Systems verstehen. Die oben erwähnteTrennung sollten wir vornehmen. Das ist die Antwort auf ihre Frage.
Ich mache dazu aber noch eine Bemerkung. Je mehr
sich die christlichen Religionen seit dem Humanismus
mit der Aufklärung verbunden haben, umso weniger aggressiv sind sie, umso toleranter sind sie. Leider ist es
eine Tragik dieser Welt, dass hohe Toleranz auch dazu
führen kann, dass man sich nicht mehr,wenn notwendig,
verteidigt. Aus diesem Gedanken, dass christliche Religionen mit der Aufklärung am stärksten verbunden sind,
vermag ich ein besonderes Eintreten für die Christen in
aller Welt auch seitens der Bundesregierung abzuleiten.
({12})
Religionen aber gehören in die Zivilgesellschaft. Die
Zivilgesellschaft muss vom Staat in der Weise einen
Rechtsrahmen bekommen, dass es auch innerhalb der
Zivilgesellschaft keine Übergriffe einer Religion gegen
die andere oder einer Religion gegen Nichtgläubige gibt.
Das ist ein weiteres Erfordernis staatlicher Politik in Bezug auf die Religionsfreiheit. Hier ist auch ein entschiedener Appell an die Religionen zu richten. Herr Kollege
Geißler, Sie haben hinsichtlich der christlichen Religionen alles dazu gesagt. Ich könnte es annäherungsweise
nicht so gut formulieren und übernehme diese Ausführungen zur Notwendigkeit der eigenen Toleranz christlicher Religionen in den Zivilgesellschaften dieser Welt.
Lassen Sie mich schließen und auf die kritischen Bemerkungen eingehen, dass die Politik der jeweiligen
Bundesregierung nicht immer dem entspricht, was in
Menschenrechtsdebatten formuliert wird. Für mich gibt
es seit langem eine klare Erkenntnis. Internationale Politik hat drei Ziele: die Sicherheit vor militärischen Angriffen auf dieser Welt herzustellen, wirtschaftliche Beziehungen mit dem Ziel der Reichtumsvermehrung in aller Welt zu ermöglichen und die Menschenrechte zu sichern. Dazwischen gibt es Zielkonflikte.
({13})
- Immer, das hat jede Regierung erfahren. - In unserer
Antwort ist ein sehr praktischer Zielkonflikt aufgezeigt:
Mit der indischen Regierung konnte im Rahmen des
Entwicklungsdialogs nicht mehr über Religionsfreiheit
diskutiert werden, denn der Entwicklungsdialog wurde
nicht mehr durchgeführt, weil die Inder Atomwaffen erprobt haben. Wenn Sie ein Ziel verabsolutieren, können
Sie immer Kritik üben. Verabsolutieren wir das Sicherheitsziel, dann werden wir den Entwicklungsdialog einstellen, usw.
Ich bitte alle, in Menschenrechtsfragen im Geiste der
Aufklärung so engagiert zu sein, wie die Regierung und
auch ich persönlich es befürworten, dabei aber nicht zu
vergessen, dass praktische internationale Politik sich in
dem genannten Zieldreieck bewegt. Keine Regierung
wird eines der drei Ziele verabsolutieren wollen. Ich sehe auch niemanden in diesem Hause, der das wollte. An
der Stelle bitte ich um etwas Toleranz gegenüber der
Regierung.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich
schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 e sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
21. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater ({0})
- Drucksache 14/2667 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 9. September 1998
zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 5. Mai 1989 über das
grenzüberschreitende Fernsehen
- Drucksache 14/2681 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll von 1996 zur Änderung
des Übereinkommens von 1976 über die
Beschränkung der Haftung für Seeforderungen
- Drucksache 14/2696 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Protokoll von 1996
zur Änderung des Übereinkommens von
1976 über die Beschränkung der Haftung
für Seeforderungen
- Drucksache 14/2697 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung ({5})
- Drucksache 14/2444 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Zivildienstvertrauensmann-Gesetzes ({6})
- Drucksache 14/2698 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Jünger, Rosel Neuhäuser, Christina
Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS
Ächtung der Gewalt in der Erziehung
wirkungsvoll flankieren
- Drucksache 14/2720 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend ({7})
Rechtsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Tagesordnungspunkt 22 a ist abgesetzt.
Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunkten
22 b bis 22 j sowie zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 22 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes
- Drucksache 14/639 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9})
- Drucksache 14/2704 Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Dr. Joseph Theodor Blank
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/2704, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun
über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache
14/639 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 22 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
25. Mai 1998 über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft
zwischen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der
Republik Turkmenistan andererseits
- Drucksache 14/1787 ({10}) ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({12})
- Drucksache 14/2626 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Dr. Dietmar Bartsch
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/2626, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 22 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({13}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra
Pau und der Fraktion der PDS
Keine Zurückweisung von Kosovo-Flüchtlingen an den Grenzen, die Erteilung von Visa
für Familienangehörige sowie unbürokratische Ausstellung von Reisedokumenten und
Aufnahme und Schutz von unbegleiteten
Flüchtlinges- und Waisenkindern
- Drucksachen 14/1182, 14/2526 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Dietmar Schlee
Marieluise Beck ({14})
Dr. Max Stadler
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/1182 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU
und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 22 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 122 zu Petitionen
- Drucksache 14/2710 Beschlussfassung
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist diese Sammelübersicht bei Enthaltung der PDS und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 123 zu Petitionen
- Drucksache 14/2711 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 123 ist bei gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 124 zu Petitionen
- Drucksache 14/2712 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Sammelübersicht ist einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 125 zu Petitionen
- Drucksache 14/2713 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Sammelübersicht ist mit den
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 126 zu Petitionen
- Drucksache 14/2714 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 126 ist bei Zustimmung aller Fraktionen mit Ausnahme der F.D.P.Fraktion, die dagegen gestimmt hat, angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 127 zu Petitionen
- Drucksache 14/2715 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Sammelübersicht ist mit Zustimmung aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die dagegen gestimmt hat, angenommen.
Zusatzpunkt 4:
Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({21})
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes
- Drucksache 14/2271 ({22})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({23})
- Drucksache 14/2762 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Elke Wülfing
Heidemarie Ehlert
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({24}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/2798 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
aller Fraktionen mit Ausnahme der F.D.P.-Fraktion, die
abgelehnt hat, angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion
und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen der F.D.P.Fraktion angenommen.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 131 zu Petitionen
- Drucksache 14/2790 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Sammelübersicht ist bei Zustimmung aller Fraktionen bis auf die PDS-Fraktion, die
sich der Stimme enthalten hat, angenommen.
Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 132 zu Petitionen
- Drucksache 14/2791 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 133 zu Petitionen
- Drucksache 14/2792 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion
gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und F.D.P.Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 134 zu Petitionen
- Drucksache 14/2793 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 134 ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSUFraktion und der F.D.P.-Fraktion und gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte zur Drogenpolitik
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe
ich das Wort dem Kollegen Wilhelm Schmidt für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin sehr froh darüber, dem Hause mitteilen zu können, dass wir gestern zu dem hier zur Debatte
stehenden Thema nach einem erfolgreichen Vermittlungsverfahren ein echtes Vermittlungsergebnis zustande gebracht haben.
Dabei war besonders bemerkenswert, dass sich nach
intensiven Kontakten auf allen Ebenen auf der Seite einiger CDU-geführter Bundesländer Bewegung gegenüber dem Zustand ergeben hat, den wir noch vor einigen
Tagen und Wochen zu registrieren hatten.
({0})
Störrisch, starrköpfig und in ihrem ideologischen Käfig
fest verharrend zeigt sich leider nur die CDU/CSUBundestagsfraktion.
({1})
Das können wir nicht hinnehmen.
({2})
Ich sage das deswegen, weil dies offensichtlich der neue
Stil der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu sein und auch
zu werden scheint.
({3})
Das kann man möglicherweise auch daran erkennen,
dass sich Herr Merz, der designierte neue Vorsitzende,
eilfertig gleich als Erstes zu einem ersten Gespräch nach
Bayern begeben hat. Hier tönen uns auch in dieser Debatte zu diesem Thema manche bayerischen Klänge entgegen. Offensichtlich wird die CDU/CSU mehr, als wir
es bisher vermutet haben, aus Bayern ferngelenkt.
({4})
Davon könnte auch die Pressemitteilung des Kollegen
Hüppe vom 22. Februar, also von vorgestern, ein gewisses Zeugnis ablegen, denn der Kollege Hüppe hatte noch
vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass die rotgrüne Bundesregierung den Versuch unternimmt - ich
zitiere -, „im Vermittlungsausschuss einen nicht zustimmungspflichtigen Gesetzentwurf zu Fixerstuben
einzubringen, der jegliche Beteiligung der Bundesländer
ausschließt“. Er sagt weiter, dass damit zukünftig „jede
beliebige Drogenberatungsstelle einen Raum eröffnen
kann, in dem jegliche Drogen geschnieft, gespritzt oder
geraucht werden können“, und dass hinsichtlich der medizinischen Betreuung künftig auf der Seite der rotgrünen Bundesregierung keine Notwendigkeit mehr gesehen wird, eine besondere Genehmigung oder Prüfung
vorzunehmen. „Keine Behörde wird mehr darauf Einfluss nehmen können, ob beispielsweise Minderjährige,
Schwangere oder Methadon-Substituierte dort Drogen
konsumieren.“
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Hüppe - Sie sind ja
hier im Saal -: Sie haben nichts gelernt. Sie wollten in
dem Verfahren nicht zu einer erfolgreichen Vermittlung
beitragen und deswegen haben Sie sich auch sehr strikt
von einem solchen Vermittlungsverfahren ausgeschlossen. Das ist zu rügen und nicht hinzunehmen.
({5})
Ich glaube, dass Sie sich mit der starren Art und Weise, wie Sie mit diesem Thema umgehen, selber entlarven. Sie wollen nicht den Menschen helfen, Sie wollen
nicht dafür sorgen, dass die Drogenpolitik in diesem
Lande besonnen auf einen neuen Weg geführt wird. Sie
wollen nicht dazu beitragen, dass die Länder und Kommunen selbstständig Entscheidungen treffen können,
wie sie in Frankfurt, in Saarbrücken und an anderer Stelle offensichtlich so positiv verlaufen sind. Deswegen
wollen wir dies hier auch deutlich machen und entlarven, dass dies Ihre Position ist, von der wir hoffen, dass
Sie sie wenigstens später irgendwann einmal verlassen
können. Im Vermittlungsverfahren hat die CDU/CSUFraktion dies leider nicht geschafft.
Ich will aus meiner Sicht noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns ganz bewusst in dem hier in Rede stehenden Dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes auf die Einrichtung solcher Drogenkonsumräume - nun mag man sich über den Begriff streiten, aber er ist nun einmal gewählt worden - ganz speziell auch deswegen verständigt haben, weil wir für die
Einrichtung solcher Drogenkonsumräume Mindeststandards gesetzt haben. Dabei geht es eben genau darum,
das zu verhindern, was Sie uns fälschlicherweise - und,
wie ich finde, vorsätzlich fahrlässig - unterstellen.
({6})
Wir machen ganz bewusst mit zehn Mindeststandards
in diesem Gesetzentwurf darauf aufmerksam, dass wir
sowohl die Notfallversorgung als auch die medizinische
Betreuung, dass wir sehr wohl auch die Frage der Kriminalisierung des Umfelds im Auge haben, und wir gewährleisten auch durch direkte Kontakte mit der Polizei
und anderen, dass alles dies, was Sie da in die Welt gesetzt haben, nicht entstehen kann.
Von daher ist dies ein sehr besonnenes Verfahren.
Wir wollen damit auch sicherstellen, dass die Länder
nicht gezwungen werden, in dieser Weise vorzugehen,
obwohl manche statistischen Ermittlungen und Erfahrungen in der letzten Zeit sehr dafür sprechen. Wir geben ihnen nur die Chance, wir eröffnen einen Rahmen
und in diesem Rahmen können sich alle entsprechend
betätigen. Das haben einige Länder inzwischen auch
verstanden, denn nicht ohne diesen Hintergrund und ohne diesen Erfahrungswert haben sich doch wohl Hessen
und das Saarland - CDU-regierte Länder - auf diesen
Weg begeben und das Vorhaben unterstützt. Wir danken
diesen Ländern ausdrücklich dafür.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({7})
Natürlich wollen wir damit nicht den Eindruck vermitteln, als ob das der Königsweg sei. Das ist überhaupt
nicht unser Ziel. Aber es ist ein ganz wichtiger Schritt
auf dem Wege, neue Möglichkeiten einzuführen, die
auch genutzt werden können.
In diesem Zusammenhang will ich noch einmal auf
die Statistik, die sich ja mittlerweile herumgesprochen
hat, verweisen: Gerade die Länder, in denen schon solche Einrichtungen bestehen, sind jene, in denen die wenigsten zusätzlichen Drogentoten zu beklagen sind. Das
muss doch auch Ihnen, Herr Hüppe, zu denken geben.
Ich weiß nicht, warum Sie immer noch an Ihrer alten,
ideologischen Kiste festhalten.
({8})
Lassen Sie uns deswegen als Vermittlungsergebnis
festhalten, dass wir uns alle sehr bemüht haben, auf diesem Wege zueinander zu finden. Wir haben deswegen
im Vermittlungsverfahren gestern noch zwei Änderungen vorgenommen und in den Gesetzentwurf eingebaut.
Die erste Änderung ist - sie ist vom Lande Hessen eingebracht worden; auch wir finden das sehr sinnvoll -,
noch einmal deutlich zu betonen, dass die Arbeit dieser
Drogenkonsumräume ausstiegsorientiert gestaltet werden soll. Diese Betonung ist durchaus in unserem Sinne;
wir haben sie deswegen aufgenommen - übrigens einstimmig. Insofern ist es ein bisschen widersinnig, dass
die Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestern
im Vermittlungsausschuss dagegen gestimmt haben.
({9})
Zur zweiten Änderung: Rheinland-Pfalz hat den Vorschlag eingebracht, ein zentrales Register einzurichten,
in dem diejenigen erfasst werden, denen Substitutionsmittel verschrieben werden. Auch dies hat unsere Zustimmung gefunden.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass beide Änderungen auch den Interessen der Länder entgegenkommen. Das hat mit zur Entspannung der Situation beigetragen. Deswegen werden wir morgen im Bundesrat offensichtlich eine Mehrheit dafür bekommen, den Gesetzentwurf in dieser geänderten Fassung durchzusetzen.
Ich sage noch einmal Dank all denjenigen, die sich sowohl im Vermittlungsverfahren als auch im Vorwege - daran beteiligt haben, dass dieses Gesetz zustande gekommen ist. Das sage ich insbesondere in Richtung
des Gesundheitsministeriums und der Drogenbeauftragten, Frau Nickels, sowie meiner Fraktion, deren Beauftragte - die Arbeitsgruppe - sich in dieser Frage sehr engagiert habt, sodass dieses Ergebnis zustande gekommen
ist. Herzlichen Dank!
Ich hoffe auf Ihre Zustimmung zum vorgelegten Antrag.
({10})
Das Wort für die
Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat hat gestern der Vermittlungsausschuss mit Mehrheit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zugestimmt. Sie wissen: Es gab
zwei Teile: zum einen die Regelungen, die der Bundesregierung neue Möglichkeiten im Bereich der Substitution, insbesondere der methadongestützten Behandlung,
einräumen; zum anderen die Regelungen zur Legalisierung von Fixerräumen.
Ich habe schon in den vergangenen Debatten darauf
hingewiesen, dass wir von der Union eine bessere Regelung der Methadonsubstitution ausdrücklich befürworten, nicht zuletzt deswegen, weil die dramatische Zunahme der Zahl der Drogentoten im Zusammenhang mit
Methadon in den letzten zwei Jahren ein entschiedenes
Handeln erfordert.
Es muss dringend mit der zum Teil unverantwortlichen Vergabepraxis Schluss gemacht werden. Deswegen
begrüße ich - wie der Kollege Schmidt -, dass man sich
bei der Meldepflicht für Methadonpatienten auf eine
zentrale Stelle geeinigt hat, eben um Doppelverschreibungen zu verhindern und um den Schwarzmarkt im Zusammenhang mit Methadon, dessen Umfang in den letzten Jahren unzweifelhaft zugenommen hat, einzudämmen. Natürlich treten auch wir dafür ein - da besteht
auch kein Dissens -, die Qualifikation von Ärzten, die in
der Substitution tätig sind, zu verbessern.
Und - das ist der wahrscheinlich wichtigste Punkt in
diesem Bereich -: Wir müssen wieder dazu kommen,
dass Methadonpatienten psychosozial begleitet werden.
Ich darf daran erinnern, dass früher immer nur von „methadongestützter Behandlung“ die Rede war. Das
heißt, die eigentliche Behandlung bestand nicht allein in
der Abgabe des Methadon, sondern war weitaus mehr.
Heute ersetzt Methadon häufig nicht zuletzt aufgrund
fehlender finanzieller Ressourcen die Behandlung. Wir
aber sagen: Die Abgabe von Methadon kann ein Weg
sein, um die Situation von Drogenabhängigen zu verbessern, es darf aber nicht so sein, dass Patienten lediglich
ruhig gestellt oder abgefüttert werden.
({0})
Die Bundesregierung kann nun beweisen - wenn der
Gesetzentwurf angenommen wird, haben Sie dazu die
Möglichkeit -, wie ernst sie die Probleme in diesem Bereich nimmt.
Meine Damen und Herren, der umstrittenere Teil des
vorliegenden Gesetzentwurfes ist und bleibt der Bereich
der so genannten Drogenkonsumräume. Ich betone,
dass dieser Teil des Gesetzentwurfes auch nach den positiven Änderungen, die das Land Hessen im Vermittlungsverfahren durchgesetzt hat, für die Unionsfraktion
im Bundestag weiterhin unakzeptabel bleibt. Die Hauptkritikpunkte bleiben bestehen.
Die Abhängigen werden nicht durch Fixerstuben wie immer behauptet - für therapeutische Maßnahmen
Wilhelm Schmidt ({1})
gewonnen werden können, abgesehen davon, dass die
meisten der Besucher der bestehenden Fixerstuben sowieso schon mit der Drogenhilfe in Kontakt stehen. Es
gibt eine Untersuchung, in der gesagt wird, dass über ein
Drittel der Besucher einer Fixerstube in Hannover Methadonpatienten waren. Diese sind weder vor noch nach
der Einnahme des Rauschgiftes ansprechbar. Es ist auch
ganz natürlich, dass jemand, der auf seinen Schuss wartet, nicht für Gespräche offen ist. Nach dem Schuss ist
er - ganz klar - unter dem Einfluss der Droge nicht ansprechbar.
Meine Damen und Herren, die Befürworter - Herr
Schmidt hat dies heute auch wieder getan - führen immer wieder Todesstatistiken an, mit denen bewiesen
werden soll, dass Fixerräume Leben retten. Es ist schon
seltsam, wenn Frau Nickels in „Erläuterungen zur
Sucht- und Drogenpolitik“ - das ist der Titel ihrer Veröffentlichung - als Drogenbeauftragte der Bundesregierung erklärt, dass
die Anzahl der so genannten „Drogentoten“ als
Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg einer bestimmten Drogenpolitik oder bestimmter drogenpolitischer Maßnahmen nicht herangezogen werden
kann,
aber kurz darauf erklärt, dass natürlich gerade in den
Städten ein Rückgang der Anzahl der Drogentoten zu
verzeichnen sei, in denen es Fixerräume gebe. Das hat
sie noch Anfang des Jahres getan, hat aber verschwiegen, dass die Anzahl der Drogentoten in denselben Städten im Jahr vorher erheblich angestiegen war.
Ich will damit nicht sagen, dass wir Recht haben. Ich
halte es aber für falsch, Drogentote zu instrumentalisieren.
({2})
- Nein, nicht ich, sondern Ihr Kollege Schmidt hat dieses Thema zuerst aufgegriffen.
Letztlich bleiben ordnungspolitische Argumente
zugunsten der Drogenkonsumräume. Ich will diese auch
gar nicht abtun. Sie wissen, dass auch in unserer Fraktion, in unserer Partei darüber diskutiert wird, wie man
neue Wege gehen kann. Sicher ist es besser, wenn Spritzen nicht auf Spielplätzen herumliegen, sondern vernünftig entsorgt werden. Wenn das aber der eigentliche
Grund ist - er wurde auch von den Befürwortern des
Entwurfs im Bundesrat immer wieder in den Vordergrund gestellt -, dann sollte man auch sagen, dass Ordnungspolitik der Gesundheitspolitik vorgezogen wird.
Die Realität der existierenden Räume beweist dies auch.
Inzwischen werden - wie zum Beispiel in Frankfurt sogar private Wachdienste eingestellt, um die Situation
überhaupt noch im Griff zu haben.
Alles in allem bleiben also kaum Argumente dafür,
allerdings gibt es eine Menge dagegen. Dies betont auch
die Stellungnahme der UN-Drogenbehörde. Der UNSuchtstoffkontrollrat hat noch gestern, kurz vor der
Entscheidung des Vermittlungsausschusses, erneut Fixerstuben als einen Schritt auf dem Weg zur Drogenlegalisierung kritisiert.
({3})
Er hat sogar gesagt, dass die Duldung von Fixerräumen
gegen internationale Übereinkommen verstoße.
({4})
- Doch. Das haben Sie auch zur Kenntnis bekommen.
Ich weiß nämlich, dass Frau Nickels darauf bereits reagiert hat. Sie müssen zugeben, dass auch dort Fachleute
sitzen und Sie die Wahrheit nicht allein gepachtet haben.
Obwohl der Bundesregierung diese Stellungnahme
bekannt war, wurde sie einfach ignoriert.
Argumente spielen kaum noch eine Rolle. Wichtig
scheint es in der mageren Bilanz rot-grüner Drogenpolitik nur noch zu sein, irgendein Ergebnis, ob gut oder
schlecht, vorweisen zu können.
({5})
- Herr Schmidt, Sie müssen doch zugeben, dass Sie die
Mittel für die Präventionsmaßnahmen gesenkt haben.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir immer kritisiert
wurden, als wir darüber sprachen, ob man daran sparen
müsste.
({6})
Sie müssen sich an Ihren Worten messen lassen.
({7})
Ein weiterer Beweis dafür, dass es Ihnen nur um irgendein Ergebnis geht, ist, dass Sie die Kritikpunkte der
Fachleute überhaupt nicht aufgenommen haben. Selbst
diejenigen, die grundsätzlich für Fixerräume waren, haben Kritik geäußert. Sie haben aber an Ihrem Antrag so
gut wie nichts geändert. Ausnahmen sind die Punkte, die
die unionsregierten Länder und Rheinland-Pfalz eingebracht haben.
({8})
Meine Damen und Herren, ein weiterer Beweis ist darauf bezog sich meine Pressemitteilung; Herr
Schmidt, Sie können ruhig zuhören, ich habe das
schließlich bei Ihnen auch getan -, dass Sie Ihre Politik
auf Biegen oder Brechen, ob sinnvoll oder nicht, durchsetzen wollen. Meine Pressemitteilung bezog sich darauf, dass Sie einen Alternativentwurf vorgelegt haben.
({9})
Es ging darum, dass Sie die Mitbestimmung der Länder aushebeln wollten.
({10})
- So war es. Sie haben eine Alternative vorgelegt, um
den Entwurf der Zustimmungsbedürftigkeit der Länder
zu entziehen. Danach hätte in der Tat kein Bundesland übrigens auch keine Gemeinde, keine Kommune - Einfluss darauf gehabt, welchen Standard diese Räume haben werden.
({11})
Sie hätten nicht einmal einer Genehmigung bedurft. Das
ist aus meiner Sicht keine verantwortungsvolle Drogenpolitik.
({12})
- Ich habe den Popanz nicht aufgebaut.
({13})
- Es ist ein Glück, dass er nicht zur Abstimmung steht.
Aber es kommt doch auch darauf an, wie man in einem
solchen Verfahren miteinander umgeht. Es hieß: Friss
oder stirb, wenn du nicht zustimmst, wird es noch viel
schlimmer.
({14})
- Ja, so war es im Vermittlungsausschuss. Ich hätte nicht
geglaubt, dass Sie bei einem so ernsten Thema so weit
gehen würden.
({15})
Es bleibt das ernüchternde Fazit: Wir werden den
Entwurf in der Tat nicht mehr verhindern können, zumindest nicht hier im Bundestag. Es bleibt die ernüchternde Bilanz, dass noch mehr Mittel für drogenakzeptierende Maßnahmen ausgegeben werden. Immerhin
kostet jede Einrichtung zwischen 600 000 und
800 000 DM pro Jahr. Das sind Mittel, die wir dringend
in den Bereichen der Prävention, der Therapie oder, wie
am Anfang erwähnt, in der qualifizierten Methadonbehandlung nötig hätten.
Es wird zu einem drogenpolitischen Flickenteppich in
Deutschland kommen, weil die im Gesetz vorgeschriebenen Mindeststandards so schwammig und niedrig
angesetzt sind, dass fast alles möglich wird. Sie begeben
sich auf einen gefährlichen Weg und wir werden Ihnen
dabei nicht stillschweigend zusehen.
Vielen Dank.
({16})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Christa
Nickels das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hüppe, ich freue mich, dass Sie unser Substitutionsregister loben. Das hätte die alte Regierung schon lange
machen können, weil es dazu einen einstimmigen Bundesratsbeschluss aus dem Jahr 1997 gab. Das Substitutionsregister war bei uns von Anfang an im Gesetz vorgesehen. Es hat sich lediglich die Ansiedlung der zentralen
Stelle geändert. Dabei sind wir den Ländern gern entgegengekommen. Das Substitutionsregister und die zentrale Stelle waren vorgeschrieben.
Ich weise mit Nachdruck Ihren Einwurf zurück, wir
hätten an den Ländern vorbei agiert. Wir haben in einer
ausgesprochen intensiven Debatte - sie dauerte mehr als
ein halbes Jahr an - mit allen Verbänden, Trägern und
selbstverständlich allen Bundesländern erörtert, wie die
Länderinteressen berücksichtigt werden könnten. Deshalb ist unter anderem die Regelung zustande gekommen, dass die Bundesländer selber entscheiden müssen,
ob sie es ihren Städten über eine Verordnungsermächtigung ermöglichen, Drogenkonsumräume unter den genannten qualitätsorientierten Mindeststandards einzurichten.
Sie haben sich an einigen Mindeststandards hochgezogen und gesagt, man hätte noch dies und das und jenes
machen können. Dazu möchte ich Ihnen zur Kenntnis
geben, dass hierbei ausdrücklich die Wünsche der verschiedenen Länder eingeflossen sind, die einen gewissen
Gestaltungsspielraum wollten. Es waren ausdrücklich
CDU-geführte Bundesländer, die das eingefordert haben.
({0})
Ich glaube, Sie werden kaum ein Gesetz finden - das
hier ist ja eine vergleichsweise kleine Regelung -, zu
dem so intensiv, auch unter Einbeziehung der Leitung
unseres Hauses, die Länder gehört würden und deren
Anregungen mit eingeflossen sind. Ich bin mit Fleiß geprügelt worden, weil es deswegen ja auch Schwierigkeiten gibt. Bayern hat ja schon angekündigt, dass es diese
Möglichkeit nicht eröffnen wird. Wir haben aber gesagt,
das geht nicht über die Köpfe der Länder hinweg, das
muss in einem breiten Konsens derjenigen, die in der
Politik auf dem Stand von heute sind, geschehen. Herr
Hüppe, es tut mir leid, Sie sind noch ein junger Kollege,
aber ich habe sehr viele Ältere gehört, die bei der Drogen- und Suchtpolitik mehr auf dem Stand der Zeit sind
als Sie.
({1})
Wir haben hier im Bundestag im Dezember deshalb
mit großer Mehrheit dem Gesetz zugestimmt. In der
Bundesratssitzung am 4. Februar haben dann zwei
Stimmen gefehlt, obwohl wir von vornherein davon
ausgehen konnten, dass wir die Zustimmung erhalten.
Ich will aber nicht nachkarten.
Ich bin außerordentlich froh und dankbar - das möchte ich hier betonen -, dass zusätzlich zum Saarland, das
allein CDU-regiert ist - ich kann nicht genug die engagiert sachkundige und realitätsbezogene Rede der saarländischen Gesundheitsministerin im Bundesrat loben -,
auch Hessen über die Hürde gesprungen ist. Die zwei
Wünsche aus Hessen haben wir gern aufgenommen.
Denn es handelt sich unseres Erachtens um eine Klarstellung der Zielsetzung, die die einbringenden Fraktionen und selbstverständlich auch die Bundesregierung
haben.
Wenn wir Hilfe wollen, auch Überlebenshilfe, dann
ist klar, dass letztlich der Wunsch dahinter steht, dass
abhängig gewordene Menschen irgendwann einmal vollständig von der Sucht frei werden. Deshalb haben wir
gern diese beiden Worte „und ausstiegsorientiert“ mit
aufgenommen. Es ist eine Klarstellung in unserem Sinne.
({2})
Ich möchte ganz kurz ein paar Punkte aufzählen, die
wichtig sind und unsere Zielsetzung wiedergeben: Es
handelt sich um die rechtliche Klarstellung der Drogenkonsumräume, um die Einführung des Substitutionsregisters - das, wie schon gesagt, 1997 zu Recht von allen
Bundesländern eingefordert wurde - und die besondere
Qualifikation für substituierende Ärzte.
Die Mindeststandards für Drogenkonsumräume
werden im Gesetz festgelegt, weil wir eben keine
„shooting galleries“ wollen - gekachelt, gefliest, die
Leute geben sich ihren Schuss, gehen raus und finden
überhaupt keine Hilfsangebote vor. Das wollen wir ausdrücklich nicht und das wollen auch die Länder, die das
unterstützen, nicht. Darum haben wir die zehn Mindeststandards festgelegt, die gewährleisten, dass Drogenkonsumräume Beratung und Hilfe sowie weiterführende
Angebote für die Betroffenen anbieten.
Außerdem wird dadurch gewährleistet, dass Drogenkonsumräume weder der Begehung von Straftaten noch
dem Drogenmissbrauch von Menschen Vorschub leisten, die eben nicht wegen ihrer schon bestehenden Drogenabhängigkeit ohnehin täglich Opiate konsumieren.
Erstkonsumenten und Gelegenheitskonsumenten haben
keinerlei Zutritt zu diesen Räumen. Hier sollte man bitte
keinerlei Legendenbildung betreiben und Eltern verunsichern und verängstigen.
({3})
Schon abhängigen Personen sollen in den Drogenkonsumräumen gesundheitliche Hilfe, Überlebensschutz
und weiterführende Angebote im gesamten Netz der
Drogenhilfe angeboten und gewährt werden. Wenn man
sich einmal darauf einlässt und mit offenen Augen solche Einrichtungen anschaut, sieht man, dass das begrüßenswerte alltägliche Praxis ist und dass man damit
wirklich imstande ist, diesen Menschen zu helfen.
Ich möchte jetzt noch auf einige Punkte eingehen, die
von den Gegnern einer solchen Reform vorgetragen
wurden, unter anderem wieder von Herrn Hüppe heute.
Es wird behauptet, der Drogenhandel werde im Umfeld
der Einrichtungen zunehmen. Das trifft aber nach allen
bisherigen langjährigen Erfahrungen mit diesen Einrichtungen - etwa in Hamburg oder in Frankfurt - eben
nicht zu. Das wurde sogar ausdrücklich vom Bundeskriminalamt schon 1998 - und zwar noch vor der Bundestagswahl - bestätigt.
Es wird behauptet, Präventionsbemühungen und Hilfen zum Ausstieg würden unterlaufen. Auch das stimmt
nicht, Herr Hüppe, im Gegenteil: Hier werden langjährig
verelendete Drogenabhängige erreicht, die andere Angebote der Hilfe bisher nicht angenommen haben. In allen bestehenden Drogenkonsumräumen werden Betroffene in Entgiftung, in Methadonbehandlung und sogar in
Abstinenztherapien vermittelt, auch wenn das ein mühsamer und langwieriger Prozess ist. Die Alternative ist
zu sagen: „Denen muss es noch viel dreckiger gehen“,
sie einfach allein zu lassen und ihnen keine Hilfestellungen anzubieten. Das hat dann die Konsequenz, dass viele dieser Menschen hinterher tatsächlich in der Drogentotenstatistik auftauchen und zu beklagen sind.
({4})
Es wird behauptet, es sei doch paradox, dass geduldet
werde, dass unter staatlicher Aufsicht gefixt wird. Herr
Hüppe, Suchtarbeit muss sich ständig mit paradoxen Situationen befassen. Die Flucht in eine scheinbare Eindeutigkeit ist tatsächlich die Flucht aus der Realität.
Denn damit wird verkannt, dass Abhängige, die von
existierenden Hilfsangeboten eben nicht erreicht werden, unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in
der Verelendungsspirale noch weiter absteigen.
Es wird weiterhin behauptet, es werde nur für eine kleine Gruppe von Süchtigen etwas angeboten und damit
werde anderen Bereichen Geld entzogen, aber man müsse die Abhängigen insgesamt im Auge behalten. Aber
genau das tun wir von den Koalitionsfraktionen und der
Bundesregierung.
Herr Kollege Schmidt hat schon klargestellt: Wir behaupten doch hier überhaupt nicht, dass das der Königsweg ist. Es ist ein kleiner Baustein, ein kleiner, aber
wesentlicher Mosaikstein, der jetzt mit der rechtlichen
Klarstellung hinsichtlich der Drogenkonsumräume eine
Lücke in unserem insgesamt sehr ausdifferenzierten Hilfesystem im Bereich der Überlebenshilfe schließt. Der
Stein muss an diese Stelle, gerade wenn man diejenigen,
die am meisten Unterstützung und Hilfe brauchen, nicht
allein lassen will.
Ich verstehe Sie nicht. Wir tragen nicht das „hohe C“
im Parteinamen. Es ist doch auch ein Gebot der christlichen Barmherzigkeit, dass man so etwas tut. Ich verstehe Sie da überhaupt nicht mehr.
({5})
Wir dürfen nicht zynisch diejenigen, die am meisten
verelendet sind, ihrem Schicksal preisgeben.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass
diese Maßnahmen nicht den Vorschriften der internationalen Suchtstoffübereinkommen zuwiderlaufen, denn
die Bundesregierung nimmt die bekannten allgemeinen
Bedenken der zuständigen Behörden der Vereinten NaChrista Nickels
tionen gegen Drogenkonsumräume sehr ernst. Sie hat sie
sorgfältig geprüft und ihnen in dem vorliegenden Gesetz
Rechnung getragen. Danach sind Straftaten, besonders
der Drogenhandel, sowie jede Art der Beihilfe auch und
gerade in Drogenkonsumräumen nach den allgemeinen
Strafvorschriften zu verfolgen.
Frau Kollegin, Sie
müssten bitte zum Schluss kommen.
Ich
bin jetzt direkt fertig. - Außerdem müssen die Träger
der Einrichtungen in Abstimmung mit den Behörden ich zitiere - zusätzliche „Maßnahmen zur Verhinderung
von Straftaten in Drogenkonsumräumen“ sowie „im
unmittelbaren Umfeld der Drogenkonsumräume“ gewährleisten. Wir werden hier im Gespräch auch mit dem
INCB und den internationalen Suchtstoffkontrollbehörden bleiben und diesen Standpunkt auch weiter vertreten
und dafür werben.
Ich bin sehr froh, dass die Bundesländer und teilweise
auch die dort führenden CDU-Politiker gestern wirklich
mitgeholfen haben, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Ich muss sagen, ich werde mich erst richtig darüber
freuen, wenn wir morgen die Mehrheit für dieses Gesetz
im Bundesrat erzielen. Ich glaube, damit haben wir dann
wirklich ein kleines, gutes Element, das für eine sehr betroffene Gruppe, für die Angehörigen und auch diejenigen, die in diesen Bereichen arbeiten, sehr wichtig ist,
geschaffen.
Danke schön.
({0})
Es spricht jetzt
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die
F.D.P.- Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
F.D.P.-Fraktion begrüßt, dass es im Vermittlungsausschuss zu diesem Ergebnis gekommen ist.
({0})
Wir haben schon lange diese Richtung verfolgt und sie das war ja heute hier im Plenum erlebbar - bis 1998
nicht durchsetzen können. Deshalb sind wir froh, dass es
gerade auch mit Beteiligung der F.D.P. in den Ländern
zu einem sehr guten Kompromiss gekommen ist.
Ich glaube, alles das, was die Vorredner positiv dazu
gesagt haben, muss ich hier nicht wiederholen. Dazu gehört, dass Vorgaben dafür gemacht werden, wie diese
Drogenkonsumräume betrieben werden sollen. Denn gerade uns ging es nie darum, nur einfach Räume zuzulassen, ohne dann einheitliche Vorgaben zu haben, was in
diesen Räumen passiert, nämlich dass dort konsumiert
wird, dass da aber auch Angebote gemacht werden, dass
die psycho-soziale Betreuung eine entscheidende Rolle
spielt, dass es die Möglichkeit der medizinischen Beratung und der Information über Therapie gibt. Von daher
haben wir überhaupt kein Problem mit der im Vermittlungsausschuss jetzt hinzugefügten Ergänzung, dass in
diesen Räumen auch versucht wird, in Kontakt mit den
Schwerstabhängigen zu kommen, so dass sie letztendlich frei von Sucht leben können. Aber man muss auch
all die Schritte gehen, die nicht sofort und nicht unmittelbar zum Ausstieg führen, die aber dieses Ziel letztendlich ganz deutlich anstreben.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es gut, dass es
trotz immer noch sehr grundlegender Widerstände, wie
sie von Herrn Hüppe formuliert worden sind, hier im
Bundestag und - da bin ich sehr zuversichtlich, eigentlich sicher - auch morgen im Bundesrat eine Mehrheit
für den Gesetzentwurf gibt. Es hat sich in den Beratungen im Vermittlungsausschuss gezeigt: Die praktische
Erfahrung in Hessen hat dazu geführt, dass ein Land mit
einer CDU/F.D.P.-Regierung zum entscheidenden
Durchbruch beigetragen hat.
(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Christa
Nickels ({1})
Aber diese praktischen Erfahrungen dort fußen leider
immer noch auf einer ungesicherten Rechtsgrundlage.
Alle die, die sagen, Suchtabhängigkeit ist Krankheit, hat
die Gefahr umgetrieben, dass diejenigen, die helfen wollen, sich immer noch mit einem Bein in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befinden.
({2})
Gerade sie müssen sicher sein, sich nicht strafbar zu machen. Das wird mit diesem Gesetzentwurf erreicht.
Ich möchte nicht mehr auf die Änderungsvorschläge
eingehen, die die F.D.P.-Fraktion im Bundestag eingebracht hatte und die eine andere Ausgestaltung des Gesetzentwurfes zum Inhalt hatten, nämlich dass wir an die
Einrichtung solcher Räume und die Erteilung der Erlaubnis, solche Räume einzurichten, Anforderungen gestellt haben, aber dass wir dies nicht zwingend an eine
Rechtsverordnung koppeln wollten. Denn wir alle wissen und können es an den Redebeiträgen im Bundestag
wie dem des Kollegen Hüppe nachvollziehen, dass das
jetzt sehr unterschiedlich in den Ländern gehandhabt
werden wird.
Ich hoffe und wünsche, dass die Landesregierungen
alle Kommunen, die wirklich Probleme mit Suchtabhängigen, Schwerstabhängigen und mit der damit einhergehenden Kriminalisierung haben, in die Lage versetzen, entsprechende Räume einzurichten. Wir haben
nie das Ziel verfolgt, Deutschland flächendeckend mit
Drogenkonsumräumen zu überziehen; vielmehr wollten
wir rechtliche Sicherheit, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit für die Kommunen erreichen, in denen solche Räume aufgrund der örtlichen Konstellationen gebraucht werden. Das wird durch den jetzigen Gesetzentwurf sichergestellt. Deshalb stimmen wir im Bundestag dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu. Auch
die hessische F.D.P. wird dafür sorgen, dass diesem GeChrista Nickels
setzentwurf ebenfalls im Bundesrat zugestimmt werden
wird.
Vielen Dank.
({3})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Ulla Jelpke für die PDSFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Auch die PDS wird dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zustimmen. Uns geht der Gesetzentwurf - das haben wir in den vorherigen Debatten
deutlich gemacht - zwar nicht weit genug, aber im
Rahmen der Beratungen unseres eigenen Antrags in den
nächsten Wochen werden wir mit Sicherheit unsere weitergehenden Vorstellungen darlegen können.
Nach meiner Meinung ist es schlimm genug, dass wir
heute überhaupt über diesen Vermittlungsvorschlag diskutieren müssen. Das zeigt eigentlich nur, wie heuchlerisch die CDU/CSU Drogenpolitik, Drogensucht und
Drogenkriminalität diskutiert und sie auch in der Vergangenheit diskutiert hat. Man muss sich nur die Zahl
der Drogentoten, die schon erwähnt worden ist, anschauen: Es gab im letzten Jahr 1 812 Tote. Das ist ein
Anstieg um 20 Prozent in zwei Jahren.
({0})
Diese Zahl sollte uns alarmieren, endlich mehr zu tun.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es selbst in
einer Stadt wie Berlin, die von CDU und SPD gemeinsam regiert wird, noch immer nicht möglich ist, Fixerstuben einzurichten und betroffenen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich unter einigermaßen gesundheitsgemäßen Umständen ihre Spritze zu setzen. Auch in
Berlin ist die Zahl der Drogentoten von 160 auf 205 im
letzten Jahr gestiegen.
Zu Ihrer Erinnerung, Herr Hüppe: Unter den Flächenländern liegt das CSU-regierte Bayern an der Spitze hinsichtlich der Zahl der Drogentoten. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie behaupten können, dass die Einrichtung von Fixerstuben nichts gebracht habe, obwohl
die Zahl der Drogentoten dort, wo solche Räume eingerichtet worden sind, heruntergegangen ist.
Ich meine, die Drogensucht ist nicht mit Mitteln der
Strafverfolgung zu bekämpfen; vielmehr müssen wir das haben wir hier schon sehr oft diskutiert - wirklich
humane Einrichtungen schaffen und ganz konkrete Hilfen zum Beispiel durch eine umfassende Legalisierung
leisten. Wir müssen mehr Therapiemöglichkeiten schaffen, wie es schon eben von der Drogenbeauftragten dargelegt worden ist.
Die Aufklärung über jede Art von Drogen muss ausgebaut werden. Vor allen Dingen muss auch jede Art der
Werbung für Drogen verboten werden, auch für Tabak
und Alkohol. Ich verweise auf eine Kleine Anfrage
meiner Fraktion, in der sehr deutlich geworden ist, dass
es auch hier ein riesengroßes Problem gibt: Durch den
Konsum von Tabak und Alkohol sterben im Jahr 42 000
Menschen. Ich kann leider aus Zeitgründen nicht näher
auf die Folgen dieser Drogen für die Gesundheit der
Menschen und auf das eingehen, was hier ebenfalls getan werden müsste.
Grotesk und meilenweit von jeder Realität entfernt
ist nach meiner Meinung auch das Urteil der
17. Großen Strafkammer vom 26. März letzten Jahres.
Danach ist Samenhändler Jochen Forer zu einem Jahr
und vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden,
weil er in seinem Keller trotz des seit 1. Februar 1998
geltenden so genannten Hanfsamenverbots - CDU/CSU
und F.D.P. haben dies durchgesetzt - noch Hanfsamen
für die Lebensmittelherstellung lagerte. Jede höhere Instanz hat Rechtsmittel abgelehnt.
Frau Kollegin, auch
Sie müssen auf Ihre Redezeit achten.
Ich komme gleich zum Schluss.
Ich möchte nur noch einen Gedanken äußern.
Ich meine, dass solche Urteile ebenfalls verhindert
werden müssen, indem wir neue Gesetze schaffen. Wir
brauchen Reformen und vor allen Dingen eine liberalisierte Drogenpolitik. Nur das und nicht die Repression
wird den Drogenabhängigen wirklich helfen.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Dritten Gesetz zur
Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ({1})
- Drucksachen 14/1515, 14/2345, 14/2665,
14/2796 Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt ({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wird das Wort für eine weitere
Erklärung gewünscht? - Das ist ebenso nicht der Fall.
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Der
Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1
seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/2796?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die BeschlussempfehSabine Leutheusser-Schnarrenberger
lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Patentvergabe des Europäischen Patentamtes auf Genmanipulation an menschlichem Erbgut
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Bundesministerin Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben
es mit einem Vorgang zu tun, der in den vergangenen
Tagen, wie ich finde, zu Recht nicht nur sehr viel Aufmerksamkeit, sondern auch sehr heftige Reaktionen hervorgerufen hat. Das Europäische Patentamt hat bestätigt,
dass es auf eine Klonierungstechnik zur Herstellung von
embryonalen Stammzellen ein Patent erteilt hat. Es hat
sich selber dazu bekannt, dass diese Erteilung ein Versehen gewesen sei. Wir haben es einerseits mit einem
rechtlich, aber natürlich auch mit einem ethischmoralisch und damit politisch zu bewertenden Vorgang
zu tun.
Was die rechtliche Seite angeht, möchte ich vor allen
Dingen darauf hinweisen, dass das Europäische Patentamt bei der Vergabe von Patenten sozusagen die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen und
in diesem Fall von embryonalen Stammzellen regelt. Es
lässt sich viel Kritisches darüber sagen, ob wir überhaupt wollen, dass menschliche embryonale Stammzellen zum Gegenstand von kommerziellem Handeln werden. Dies wird durch die Bioethik-Richtlinie der
Europäischen Union gar nicht zugelassen.
Vor allen Dingen ist unabhängig von der Frage, ob
jemand ein kommerzielles Recht dazu hat, noch zu klären, ob die nationalen Gesetze diese Forschung überhaupt zulassen. Ich erkläre hier ganz eindeutig: Nach
dem Embryonenschutzgesetz, das wir seit zehn Jahren
haben, ist die Manipulation an embryonalen Stammzellen im Stadium der Totipotenz untersagt. Dieses Gesetz
gilt unabhängig davon, welche Patente dort erteilt werden. Dies muss aus gegebenem Anlass festgehalten werden.
Ich habe eben gesagt, dass dieser Vorgang beim Europäischen Patentamt zu Recht heftige Reaktionen hervorgerufen hat. Man kann sich darüber mit gutem Grund
sehr ärgern. Die Frage, wer dieses Patentamt eigentlich
überwacht, wird sicherlich aufgeworfen. Aber ich finde,
dieser Vorgang hat auch sein Gutes: Die Reaktionen der
letzten Tage haben doch gezeigt, dass es bei allem, was
sich in der Forschung geändert hat, offensichtlich einen
sehr breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, was die
Grenzen, die wir in diesem Bereich setzen wollen, angeht.
({0})
Ich muss ehrlich sagen: Ich bin über den Umstand froh
und ich bin erleichtert, dass die Bestimmung, wonach
wir keine Forschung und keine Manipulation an embryonalen Stammzellen vornehmen dürfen, fortbesteht.
Wir haben in der Tat enge Grenzen gesetzt, die auch
immer wieder in die Kritik geraten. Ich will zum einen
gegen das Argument, man mache damit eine Forschung
unmöglich, die helfe, menschliches Leiden zu verhindern, festhalten, dass man nicht auf embryonale Stammzellen zurückgreifen muss, um diese Forschung durchzuführen. Deswegen ist dies meines Erachtens kein
stichhaltiges Argument, um die bestehenden Grenzen
aufzuweichen. Ich glaube aber, dass wir auch wegen der
unabsehbaren Folgen, die nicht nur diese Forschung,
sondern die auch die damit möglich werdenden Eingriffe
in die menschliche Keimbahn, die nach deutschem
Recht ebenfalls untersagt sind, mit sich bringen, recht
daran tun, an dieser Grenze festzuhalten. Auch die ansonsten sehr umstrittene Bioethik-Konvention des Europarates ist an diesem Punkt eindeutig, Wir sollten die
Grenzen nicht aufweichen, weil wir nicht um die Folgen
wissen, die da auf uns zukommen.
Ich bin durchaus erleichtert, dass offenbar in unserer
Gesellschaft ein Konsens darüber möglich ist, weil wir,
um einen altmodischen Begriff zu gebrauchen, Ehrfurcht
vor dem menschlichen Leben haben. Dementsprechend
diskutieren wir auch besonders sensibel über die Grenzen. Diese Grenzen werden uns in den nächsten Monaten und Jahren immer wieder beschäftigen. Wir werden
immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob das jetzige
Embryonenschutzgesetz noch der neueren Forschungsentwicklung standhält.
Wir wurden von der Gesundheitsministerkonferenz
aufgefordert, darüber zu diskutieren, ob wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz brauchen. Wir tun das im Mai
auf einem Symposium, das sehr breit angelegt ist. Dabei
legen wir großen Wert darauf, dort alle Positionen repräsentiert zu haben. Ich glaube, dass dieses Haus gut beraten ist, sich über ein Verfahren zu verständigen, am besten jenseits der Fraktionsgrenzen, und darüber zu reden,
ob wir in der Fortpflanzungsmedizin neue, angemessenere Regelungen brauchen.
Ich mache mir darüber keine Illusionen: Diese Debatte berührt sehr stark moralisch-ethische Fragen. Das sind
einerseits immer sehr wertvolle Debatten, andererseits
oft auch sehr schwierige Debatten. Ich selber habe eine
sehr eindeutige Haltung zu einigen Punkten, die auch
stark von Moralkategorien geprägt ist. Ich will mir aber
meinerseits alle Mühe geben, die Diskussion so zu organisieren, dass jede Position, die vertreten wird, den ihr
zukommenden Respekt erfährt und wir hinterher zu einem von einer breiten Mehrheit getragenen Ergebnis
kommen. Ich glaube, dass dies das einzig Angemessene
für eine so schwierige Frage ist, bei der unterschiedliche
Rechtsgüter gegeneinander aufgewogen werden, aber
eben auch unsere höchstpersönliche Sicht auf das
menschliche Leben mit hineinkommt.
Ich selber vertrete eine eher konservative Haltung
und sage: Wir müssen bei dem, was wir medizinisch
machen, Grenzen setzen. Ich sage dies aber, wie gesagt,
Vizepräsidentin Petra Bläss
mit Respekt vor all denjenigen, die eine andere Position
mit guten Argumenten vertreten. Ich nehme an, dass einige dieser Argumente auch heute schon in der Aktuellen Stunde hier benannt werden und wir andere in der
weiteren Debatte, von der ich hoffe, dass wir sie mit der
gebotenen Ernsthaftigkeit hier in diesem Hause führen,
bekommen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort für die
Fraktion der CDU/CSU hat jetzt der Kollege Hubert
Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen und brauchen den
wissenschaftlichen Fortschritt gerade im Bereich der
Medizin. Forschungserfolge und ihre wirtschaftliche
Nutzung sichern Gesundheit, hohe Lebenserwartung und
materiellen Wohlstand. Wir brauchen und wollen den
Fortschritt der Bio- und Gentechnologie. Doch gerade
derjenige, der Akzeptanz für diese Bereiche schaffen
will, muss verbindlich sagen, wo die Grenzen liegen.
Die wesentliche Grenzlinie - ich hoffe, da sind wir
uns einig - verläuft dort, wo auf die genetische Identität
des Menschen zugegriffen wird, wo der Mensch zum
Objekt oder gar zum Produkt gentechnischer Manipulationen wird. Das Europäische Patentamt hat diese absolute Grenze verletzt. Von daher begrüße ich ausdrücklich für die Union die Entscheidung der Bundesregierung, Einspruch einzulegen.
({0})
Allerdings, auch das muss man sagen, ist es schon
bedenklich, dass wir erst - das gilt nicht nur für die Regierung, sondern auch für uns - durch Medien auf diesen Sachverhalt hingewiesen worden sind. Wir müssen
wissen, dass Patente in diesem Grenzgebiet eine fatale
Wirkung entfalten können.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir Beobachtungsmechanismen aufbauen können, die solche wirtschaftlichen
Anwendungen im Bereich des menschlichen Lebens
verfolgen. Diesmal haben wir noch einmal Glück gehabt, da die Einspruchsfrist erst im August abläuft. Aber
wir müssen die Warnung verstehen. Es muss uns besorgt
machen, was wir auf dem Gebiet der genetischen Diagnostik und der sich abzeichnenden Verfügbarmachung
des Menschen beobachten können. Wir haben heute Anlass genug, zu erkennen, dass wir das, was wir dort beobachten können, auch tatsächlich aufmerksam beobachten müssen.
Mit Recht sind wir auf den hohen Standard für den
Schutz des Menschen im Bereich Forschung und Technik in Deutschland stolz, der die Anwendung des oben
genannten Patentes verbieten würde. Darin stimmen wir
mit Ihnen, Frau Ministerin, überein. Das geltende deutsche Embryonenschutzgesetz bedroht jede Verwendung
menschlicher Embryonen, die nicht deren Erhaltung
oder der Herbeiführung einer Schwangerschaft dient insbesondere das Klonen und Keimbahneingriffe -, mit
Freiheitsstrafe.
Das Embryonenschutzgesetz hat - vor nun fast
zehn Jahren - weit vorausblickend Grenzlinien auch in
solchen Bereichen gezogen, die sich damals wissenschaftlich-technisch erst am Horizont abgezeichnet haben. Damals waren Klonen, genetische Selektion
menschlicher Embryonen im Reagenzglas und Eingriffe
in die menschliche Keimbahn noch weit entfernt von jeder kommerziellen Anwendung. Damals war es auch eine leichte Übung, entschiedenen Widerstand gegen solche Praktiken öffentlich zu bekennen.
Das ist heute anders. Die Techniken stehen vor der
Tür. Sie sind eine Anfrage an unser gemeinsames Menschenbild. Wir haben den ethischen Ernstfall. Hier sehe
ich Anlass zu Besorgnis: Im Internet lädt Ihr Ministerium, Frau Fischer, für Mai zu einem Symposium über
Fortpflanzungsmedizin ein und veröffentlicht zugleich
„Leitfragen“, die zentrale Punkte des Embryonenschutzgesetzes zur Diskussion stellen. Darunter fallen die umstrittene Präimplantationsdiagnostik, die heute in gewissen Fällen auch von der Ärztekammer befürwortet wird,
sowie die Gewinnung und Verwendung embryonaler
Stammzellen. Wer solche Fragen stellt, Frau Ministerin,
stellt natürlich auch ein Gesetz infrage. Das muss man in
diesem Zusammenhang betonen.
Das Symposium und die Leitfragen stellen den bewährten und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragenen Embryonenschutz infrage. Ich teile,
Frau Ministerin, im Übrigen nicht die Auffassung, dass
die Bioethik-Konvention ein solches Patent verbieten
würde, weil in der Tat die Keimbahntherapie durch
Art. 13 der Bioethik-Konvention nur dann verboten
wird, wenn das Ziel in der Veränderung von Nachkommen liegt. Dies wäre bei Stammzellen nicht der Fall, da
man dort Menschen nur als Ersatzteillager produzieren
will, die hinterher selbst keine Nachkommen haben
werden. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass das eine
offene Flanke ist. Es wäre besser, wenn die entsprechenden Vertreter diese Frage klären würden. Ansonsten
ergäbe sich, auch im Zusammenhang mit dem europäischen Recht, eine gefährliche Lücke.
Ich glaube, dass die Zeit gekommen ist, gemeinsam
den Lebensschutz in diesen Bereichen nach vorne zu
bringen und gemeinsam - weg von aller Ideologie - zu
handeln. Wir sollten uns auf das verständigen, was der
Nobelpreisträger Albert Schweitzer als Appell an uns alle gerichtet hat, nämlich „Ehrfurcht vor dem Leben“.
({1})
Es spricht jetzt der
Kollege Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung des
Europäischen Patentamts, der Universität Edinburgh ein
Patent zu erteilen, das unter anderem ein Verfahren zur
Isolierung, Anreicherung und selektiven Vermehrung
von so genannten tierischen Stammzellen zum Inhalt hat
und somit auch Stammzellen aus der Keimbahn oder aus
dem Embryo umfasst, hat berechtigterweise in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit und Irritationen ausgelöst. Daher bin ich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sehr dankbar, dass sich über die gestrige Befragung
der Bundesregierung hinaus heute der Deutsche Bundestag anlässlich einer Aktuellen Stunde mit dieser sehr
sensiblen Thematik befasst.
Inzwischen steht fest, dass dieses Genpatent irrtümlich erteilt wurde und darüber hinaus gegen deutsche
Gesetze sowie die eigenen EU-Patentrichtlinien verstößt. Ich danke daher der Justizministerin sehr ausdrücklich dafür, dass sie bereits gestern anlässlich der
Befragung der Bundesregierung sehr deutlich zu diesem
Thema Stellung bezogen hat.
({0})
Hier wurde sehr schnell reagiert; denn eines steht eindeutig fest: Menschliche Gene sind nicht patentierbar.
({1})
Aus einem Statement von Professor Dr. Hoppe von
der Bundesärztekammer darf ich mit Genehmigung der
Frau Präsidentin zitieren.
({2})
- Vielen Dank für den Hinweis, Herr Geis. Wenn ich
erst einmal so lange dabei bin wie Sie, dann weiß ich
darüber Bescheid. - Ich zitiere:
Es muss Klarheit darüber bestehen, dass menschliche Gene oder Gensequenzen nicht patentierbar
sind, sondern lediglich Herstellungsverfahren und
Verfahrensschritte für gentechnische Medikamente
patentfähig sein können.
Das genetische Erbe der Menschheit ist Allgemeingut und keine Handelsware. Deshalb hat die deutsche Ärzteschaft immer wieder mit Nachdruck darauf bestanden, dass der Mensch oder Teile des
Menschen nicht patentierbar sind. Neue Erkenntnisse über natürliche Gegebenheiten sind Entdeckungen, niemals aber Erfindungen. Patente können nur auf Erfindungen erteilt werden.
({3})
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des
Europäischen Patentamtes, gentechnisch veränderte
menschliche Zellen patentrechtlich zu schützen, eine außerordentlich Besorgnis erregende Entwicklung. Die Entscheidung darf keinen Bestand haben
und muss sofort korrigiert werden.
({4})
Die Bundesärztekammer, Deutsche Ärztetage, der
Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte wie
auch der Weltärztebund haben immer wieder betont, dass das Genom des Menschen zum gemeinsamen Erbe aller Menschen gehört und nicht kommerzialisiert werden darf.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine weitere Bewertung aus wirtschaftspolitischer Sicht: Nicht jede Genehmigung von Genpatenten stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland und nicht jede Ablehnung
schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland. Daher
müssen wir bei diesem sensiblen Thema alles unternehmen, damit diese falsche Patenterteilung verhindert
wird. Ich bin dem Kollegen Hüppe sehr dankbar, dass er
zum Ausdruck gebracht hat, dass zu diesem Thema in
diesem Hause bestimmt Einigkeit bestehen wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Edzard SchmidtJortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Für die
F.D.P. - das sage ich ausdrücklich - ist der Sachverhalt,
um welchen sich die Aktuelle Stunde dreht, ebenso eindeutig inakzeptabel wie, so glaube ich, für alle Fraktionen in diesem Hause. Wir verlangen deshalb von der
Bundesregierung, mögliche Schritte zur Beseitigung der
vorgekommenen gravierenden Fehlleistung im Europäischen Patentamt und zur künftigen Vermeidung erneuter, ähnlicher Vorgänge zu ergreifen.
Da ist zum einen das erteilte Patent selber. Dass ein
Verfahren - Herr Kollege Brinkmann, Sie haben diesen
Punkt eben schon angeführt - zur „Isolierung, Selektion
und Verschmelzung von transgenischen Stammzellen“
Patentierung erhielt, welches nicht ausdrücklich auf
nicht menschliche Lebewesen begrenzt wurde, ist ein
massiver Verstoß gegen geltendes Recht. Da hilft auch
das Abstraktionsprinzip beim Patentverfahren nicht.
Schon nach der Verfassung der allermeisten Mitgliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens,
aber auch nach deren linearem Recht dürfte eine Erstreckung der angegebenen Manipulationen auf menschliche
Stammzellen - also ein Eingriff in die menschliche
Keimbahn - schlichtweg verboten sein. In Deutschland
ist dies bekanntlich nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und ebenso nach dem Embryonenschutzgesetz der
Fall.
Der Verstoß gegen die EU-„Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen“ ist ebenso offenkundig. Würde die Biomedizin-Konvention des
Europarates schon in Kraft sein, würde das Europäische
Patentamt auch gegen dessen Art. 13 verstoßen haben.
Die Bundesregierung wird deshalb unbedingt Einspruch gegen das Patent erheben müssen, was sie danBernhard Brinkmann ({0})
kenswerterweise schon angekündigt hat. Sie sollte sich
darum bemühen, dass die Patentnehmer, also die Universität Edinburgh und Professor Austin Smith, aber
auch deren Forschungspartner, die australische Firma
„Stem Cell Sciences“, von dem möglichen humangenetischen Teil des Patents bis zur Rechtsmittelentscheidung des Europäischen Patentamtes keinen Gebrauch
machen. Sie scheinen das ja auch versprechen zu wollen, aber sicher ist es nicht.
Zum anderen ist es - in meinen Augen jedenfalls ein Skandal, dass das Europäische Patentamt in einem
derart sensiblen Bereich die Patentausweitung, die uns
auf den Plan ruft, wie es selber bekennt, aus Versehen
erteilt hat. Da scheinen also erhebliche Missstände zu
herrschen. Entweder ist hier tatsächlich „nur“ geschlampt worden. Dann müsste man schleunigst eine
Qualitäts- und Qualifikationskontrolle durchführen.
Oder die Unachtsamkeit ist nur vorgetäuscht. Ich weiß
es nicht. Dann müsste die gesamte Legitimation der Behörde auf den Prüfstand gestellt werden. Greenpeace hat
jedenfalls nachhaltige Vorwürfe dahin gehend erhoben,
dass das Amt schon seit über zwei Jahren fragwürdige
humangenetische Verfahren patentiere. Dem muss dringend nachgegangen werden.
({1})
Zum Dritten schließlich belegen der Vorgang, aber
auch die erschreckten Reaktionen in der Öffentlichkeit,
dass bezüglich der Möglichkeiten der Biotechnologie offenbar nur ein höchst begrenztes allgemeines Problembewusstsein herrscht. Soll weiterhin gar nicht oder nur
emotional reagiert werden, sind nicht nur verhängnisvolle Fehlentscheidungen nicht mehr zu verhindern, sondern geraten die großen therapeutischen und Erkenntnischancen dieses Forschungsfeldes insgesamt in Misskredit.
Deshalb ist es beispielsweise dringend notwendig,
dass die Bundesregierung ein so wichtiges Projekt wie
die Biomedizin-Konvention des Europarates - wie immer man zu ihr stehen mag - aus Sorge vor den Emotionen nicht mehr weiter vor sich her schiebt, sondern sich
ernsthaft und in der Sache damit befasst, mit welchem
Ergebnis auch immer.
({2})
Ebenso deutlich dürfte geworden sein, dass die nun
offenbar konsentierte Einsetzung einer Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ überfällig ist.
({3})
Es geht bei diesem Themenkomplex schließlich um
Grundlagen des Menschseins, also um Existenzfragen
der Menschheit. Da darf sich ein Parlament nicht um eine Durchdringung - auch wenn sie schwierig ist - und
gegebenenfalls um klare Normierungen drücken.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die PDSFraktion hat der Kollege Dr. Ilja Seifert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen
und Zuschauer dort oben! Ewige Jugend - ein Traum.
Ewige Schönheit - ein Traum. Ewige Gesundheit - zauberhaft. Ewiges Leben - ein Albtraum, vermute ich. All
das aber verspricht uns die Biotechnologie, die Gentechnologie, die dahinter stehende Bioethik.
Wir reden heute über ein Patent, das eigentlich nicht
hätte angenommen werden dürfen. Ich finde, es hätte
niemals beantragt werden dürfen, es hätte nicht so weit
kommen dürfen, dass es überhaupt beantragt werden
konnte.
({0})
Selbstverständlich hat die PDS bereits Einspruch eingelegt. Ich freue mich, dass die Regierung dies auch tun
wird. Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich
hierbei nicht in erster Linie um ein juristisches Problem.
Hier geht es um die Frage: Welches Menschenbild haben wir? Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit uns,
der Welt, der Natur und all dem um?
Derjenige, der entdeckt hat, was man mit den Zellkernen machen kann, Erwin Chargaff - inzwischen
95 Jahre alt - , hat sich von seiner Entdeckung mit Entsetzen abgewandt. Er warnt seit über 40 Jahren vehement davor, irreversible Veränderungen in der Natur
vorzunehmen, weil sie unanständig sind. Man kann ein
Lebewesen, das gentechnisch verändert ist, nicht „zurückrufen“. Es führt dann ein Eigenleben und ist rechtlich nicht unter Eigentumsschutz zu stellen, weder von
einer Universität, noch von einem Wissenschaftler, noch
von einer Firma , oder weiß der Teufel von wem. In diesem Hause konnten wir uns bisher obwohl es jetzt anders aussieht - nicht einmal auf die Einrichtung einer
Enquete-Kommission zu dieser Thematik einigen. Jetzt
wird sind alle aufgeschreckt, jetzt sind wir alle entsetzt.
Meine Damen und Herren, es gibt viele, die seit Jahren vor dieser Entwicklung warnen. Es gibt aber leider
auch viele, die immer nur die Chancen und Verheißungen sehen und - für sie das Schlimmste - den „Wirtschaftsstandort“ gefährdet wähnen, wenn wir das nicht
fördern würden. Fortschrittsfanatismus hilft niemandem
weiter: uns nicht und der Menschheit als solcher auch
nicht. Ich kann vor dem Machbarkeitswahn einiger Wissenschaftler, einiger Techniker und auch einiger Politkerinnen und Politiker nur warnen.
Wie leichtfertig reden wir häufig von „menschlichem
Leiden“, das es zu beseitigen, abzuschaffen gelte. Sagen
Sie doch bitte einmal, meine Damen und Herren: Worüber sollen sich denn unsere Enkelinnen und Enkel oder
die dann im Labor konstruierten Nachkommen noch
freuen, wenn sie gar nicht wissen, was Leid ist, wenn die
gar keinen Schmerz mehr kennen? Ich stelle mir eine
solche Zukunft grauenhaft vor. Deshalb: Es geht hier
nicht darum, dass nur verboten werden soll, in das
menschliche Genom einzugreifen. Ich finde, das ist viel
zu kurz gegriffen. Denn es nützt nichts, wenn ich erlaube, Ratten, Affen, Fische oder auch nur Bakterien genetisch zu verändern, und so tue, als ob ich es irgendwie
verhindern könnte, dass es nicht doch jemanden gibt, der
dieselben Technologien, dieselben Techniken, dasselbe
Wissen und dieselben Instrumente auf Menschen anwendet. Wenn wir wirklich wollen, dass die Einzigartigkeit jedes Lebewesens so bleibt, wie sie ist - dafür brauche ich kein religiöser Mensch zu sein -, dann können
wir nicht wollen, dass alles erlaubt ist, außer der Eingriff
in das menschliche Genom.
Das Parlament ist ein politischer Ort. Wir müssen
hier politisch entscheiden. Wir brauchen dazu auch Mut.
Wenn wir nicht dazu kommen, dass gesellschaftlich geächtet wird, was hier geschieht, kommen wir nicht weiter. Die Natur ist keine „Fehlkonstruktion“. Sie bedarf
keiner irreversiblen Korrektur. Lasst Sie uns erhalten,
wie sie ist, und verschandelt sie nicht durch angebliche
„Verbesserungen“, die nur von uns wegführen können:
von den Menschen und von der Natur an sich.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Gestatten Sie, dass ich hier sage: Ich
bin wirklich beeindruckt davon, wie die Diskussion von
allen Fraktionen heute hier geführt wird, wie sie eröffnet
worden ist und wie intensiv gerade im letzten Beitrag
und auch von Ihnen, Herr Dr. Schmidt-Jortzig, das
Thema behandelt worden ist: Was geschieht, wenn der
Mensch über Instrumente verfügt, die die Fragen, was
der Mensch als Mensch ist und was der Mensch als Subjekt des Menschenrechts ist, so tief berühren, dass wir
erkennen müssen, dass mit der Anwendung dieser Technologien unser gesamtes kulturelles Selbstverständnis,
das, was wir als sozial, als gerecht, als gleich empfinden
und was Moral und Ethik ausmacht, ganz tief getroffen
ist?
Wir haben diese Debatte heute als Aktuelle Stunde
beantragt, weil wir das Gefühl hatten, dass die Nachricht - die auch uns sehr überrascht hat - , dass eine solche Patentierung genehmigt worden ist, die Menschen
zutiefst erschreckt hat. Ich denke, wir müssen deutlich
machen, dass wir als Parlament uns als eine Einrichtung
betrachten, die solche tief gehenden Fragen nicht nur aktuell behandelt, sondern auch darüber hinausgehende
Antworten zu geben bereit ist und sich dieser Aufgabe
stellt.
Es wurde in den vorangegangenen Beiträgen vielfach
gefragt: Wer kontrolliert eigentlich das Europäische Patentamt? Es gibt eine Diskussion um die Inhalte der
Bioethikkonvention, bei der auch ich der Meinung bin,
dass die Grenze nicht eindeutig gezogen ist und dass
embryonale Föten Fremdinteressen unterworfen, benutzt
und verwertet werden können.
({0})
Insofern können wir uns nicht positiv darauf beziehen. Auch aus diesem Grund - das hat die Qualität der
Debatten und der Anträge in der letzten Legislaturperiode in diesem Hause ausgemacht - haben wir gesagt: Die
Bundesregierung soll nicht dieser Konvention beitreten.
(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]
Wir haben schon damals gesagt, dass ein Nein zu dieser Bioethikkonvention und die Diskussion um die mögliche Überführung der europäischen Patentierungsrichtlinien in ein parlamentarisches Geschehen von Gesetzgebung usw. nicht ausreicht, um in die Tiefe zu dringen,
die notwendig ist. Es ist ein gesellschaftlicher Konsens
und wir tun gut daran, neben der Frage, was Moral und
Ethik ist, auch festzustellen, dass die Menschenwürde
und das Menschenbild in unserer Verfassung, im
Grundgesetz, ihren unantastbaren Niederschlag gefunden haben und dass wir diese Diskussion auch als verfassungsrechtliche, grundrechtliche Diskussion führen
müssen und führen können. Wir tun gut daran, wenn wir
das, was in unserer Verfassung an Menschenwürde, an
Unantastbarkeit festgeschrieben ist, den zivilisatorischen
Konsens, den wir jenseits aller religiösen und weltanschaulichen Überzeugung haben, bestätigen und
zugleich der Wissenschaft, die hier vordrängt und den
Menschen in seiner Einzigartigkeit einer postmodernen
Beliebigkeit anheim stellen will, deutlich machen, dass
sich alles, was im Dienste der Menschheit geforscht und
entwickelt wird, auf diesen Konsens beziehen muss und
dass die Anwendungsorientiertheit, das Kommerzialisierungsinteresse unsere ethischen Grundwerte nicht auflösen darf. Die Industrie, die Forschung ist nicht ein separater Teil, sondern Teil unserer Kultur.
Von daher ist der Entschluss, den wir jetzt endlich gefasst haben, nämlich alsbald eine Enquete-Kommission
zu den Fragen Mensch, Recht, Ethik und moderne Medizin einzurichten, sehr richtig. Das steht nicht im Gegensatz zu den Positionen, die ich sehr begrüße und die
seitens der beiden Ministerinnen zu diesem Problembereich geäußert worden sind. Es zeigt, dass wir das, was
wir der Gesellschaft schuldig sind, positiv umsetzen und
dass sich alle Fraktionen des gesamten Hauses in einem
Diskurs mit der Öffentlichkeit und der Fachwelt diesen
Zukunftsfragen stellen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der
Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen!
Nun wissen wir es mit beängstigender Eindrücklichkeit:
Die Entnahme von Zellen aus menschlichen Embryonen,
die gentechnische Manipulation dieser Zellen und die
Züchtung gentechnisch manipulierter Menschen just aus
diesen Zellen sind die Visionen der Genkonzerne.
Meine Damen und Herren, das sind keine zukunftszugewandten Visionen. Das ist ein Schreckensszenario.
Dies alles wird nun überaus deutlich offenbart durch
das Patent, das am 8. Dezember 1999 vom Europäischen
Patentamt in München erteilt wurde. Wir wollen uns
nichts vormachen: Dieses Patent ist nur die Spitze des
Eisberges. Das Tabu ist bedauerlicherweise schon längst
gebrochen. Weltweit werden in Ländern, in denen das
strenge deutsche Embryonenschutzgesetz nicht gilt und
in denen nicht die gleichen ethischen Maßstäbe wie in
Deutschland angelegt werden, menschliche Embryonen
zu Forschungsobjekten. Damit ist der Ausverkauf
menschlicher Identität und Individualität vorprogrammiert.
Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass
sechs Jahre lang niemandem im Europäischen Patentamt
aufgefallen ist, dass der diesbezügliche Patentantrag „alle Teile von Tieren, insbesondere von Säugern - einschließlich des Menschen“ - umfasst. Durch die im Patent formulierten Ansprüche wird der gentechnisch veränderte Mensch eindeutig selbst zum patentierten Produkt.
Wir wissen es: Gentechniker träumen davon, mit dieser Methode nicht nur den Körper, sondern auch den
Geist bestimmen zu können. In dieser Situation ist der
Fehler des Europäischen Patentamtes zugleich ein Indikator für eine gefährliche Entwicklung, die uns im
wahrsten Sinne des Wortes in Teufels Küche führt.
Längst ist das Unternehmen Schöpfung globalisiert, und
zwar nicht nur im Verbund von Edinburgh und Australien. Die ethische Rechtfertigung erlangen die Bio- und
die Gentechnik nach dem Verständnis meiner Fraktion
durch den biblischen Schöpfungsauftrag, durch den der
Mensch ermächtigt wird, gestaltend in die Natur einzugreifen. Aber wir brauchen in diesem Falle Rechtssicherheit. Ohne entsprechende Rahmengesetzgebung gibt
es keine Rechtsgarantie für den ethisch begründeten
Schutz des menschlichen Körpers.
Ich möchte hier nicht nur politische, juristische und
medizinische Argumente anführen. Vielmehr möchte ich
eine Bemerkung zu der Tatsache machen dürfen, dass
für mich diese Entscheidung auch Ausdruck eines verhängnisvollen Zeitgeistes ist. Der Münchener Soziologe
Kurt Weis stellt einige die Ängste der Menschen gerade
in dieser Zeit repräsentierende Bilder eindrucksvoll vor.
Ich frage mit ihm: Was macht den Menschen zum
Menschen? Ist der Mensch heute angesichts der Genforschung Mittelpunkt der Schöpfung oder nur Randfigur
im Universum? Ist er Krone der Schöpfung oder nur ein
besonders erfolgreiches Säugetier? Ist der Mensch Herr
der Schöpfung oder nicht einmal Herr im eigenen Hause? Ist er moralisch ausgezeichnet oder nur durch egoistische Gene manipuliert? Ist er Be-Herrscher der Welt
oder technisches Anhängsel als Be-Diener seiner Technik? Ist er einmalig und besitzt er individuelle Identität
oder ist er bald durch Klonen zu vervielfältigen? Ist er
einmalig aufgrund seines intelligenten Gehirns oder
computerähnlich und damit bald übertreffbar? Ist er, teletechnisch gesehen, jederzeit erreichbar und ein Virtuose in interaktiven Medien oder nur ein Beziehungs- und
Kommunikationskrüppel sowie ein Informationsidiot?
Vor all diesen bedrängenden Fragen möchte ich Folgendes deutlich benennen:
Erstens. Der Mensch ist keine Erfindung. Er kann daher auch nicht patentiert werden.
Zweitens. Das genetische Erbe der Menschheit ist
keine Handelsware.
Drittens. Die EU hat die Pflicht, sich nicht nur um
den Kommerz, sondern nicht zuletzt auch um die ethische Zukunft Europas zu kümmern.
({0})
Viertens. Die europäische Politik darf es sich nicht
länger gefallen lassen, dass eine Behörde mit ihrer eigenen Gerichtsbarkeit über so wichtige ethische Zukunftsfragen entscheidet, geht es doch hier nicht nur um das
Versagen von Prüfern. Dieser Fall ist vielmehr verhängnisvoller Ausdruck eines Systems, das auf die Industrie
fixiert ist und nicht mehr auf dieEthik.
({1})
Ich fordere daher: Patente auf Gene müssen wieder
von der Bildfläche verschwinden.
({2})
Schließlich gilt es zu verhindern, dass das Klonen
von Menschen durch die Hintertür legalisiert wird.
Ich fordere: Die deutsche und die europäische Patentgesetzgebung müssen dringend verbessert und die Patentämter einer stärkeren öffentlichen Kontrolle unterstellt werden. Wir sollten nach meiner Meinung auch
überlegen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, eine zweite
Kontrollinstanz für gentechnische Verfahren einzurichten.
Kollege Lensing, Sie
müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.
Ich verstehe das gut;
ich habe auch nur noch zwei sinnvolle Gedanken - nach
meinem eigenen Verständnis - vorzubringen.
({0})
Eine solche Behörde sollte unabhängig vom Europäischen Parlament arbeiten.
Ich unterstütze in der Tat gemeinsam mit meiner
Fraktion die Bemühungen, die die Bundesregierung
jetzt - wie ich hoffe - offensiv angehen wird, um einen
Einspruch geltend machen zu können.
({1})
Durch den Tabubruch des Patentamtes ist der im Labor
produzierte und patentierte Mensch nun deutlich näher
gerückt - für mich eine Horrorvision, die es mit allen
Mitteln zu verhindern gilt.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beider Bundesministerin
für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist
ganz wichtig, dass in der Diskussion deutlich wird, die
Vorfälle im Europäischen Patentamt können keine Fraktion, keine Gruppe und - wie ich denke - auch nicht die
Bundesregierung dazu bewegen, diese Vorfälle zum Anlass für eine Deregulierungsdebatte zu nehmen. Ganz im
Gegenteil; es ist wichtig, dass der Konsens in diesem
Parlament sehr breit ist, dass die Entscheidung vom Ende der 80er-Jahre - klare ethische Grenzziehung im
Umgang mit der modernen Biomedizin - richtig ist und
sich für Deutschland auch bewährt hat. Es geht also
nicht nur um das Versagen des Europäischen Patentamtes, sondern es geht um eine Entwicklung in der biomedizinischen Forschung, bei der das, was traditionell Medikament war, verschwimmt und bei der auch die Grenzen für die Patenterteilung offenkundig ins Rutschen
kommen, vor allem dort, wo es um die Anwendung am
Menschen geht.
Es gibt und gab immer gute Gründe, Gene und vor allem ihre Genprodukte im Kontext der Entwicklung neuer Medikamente patentieren zu lassen, um wichtige Innovationen und auch Investitionen in der modernen
Pharmaforschung zu ermöglichen. Das ist bei der Entwicklung von Insulin und Interferon wie auch anderer
Wirkstoffe wirklich kein streitiges Thema. Wir stehen
jetzt aber vor einer Entwicklung, in der sich das, was wir
klassisch unter einem Medikament, einem Wirkstoff
verstanden haben, dramatisch wandelt. Ein erster Schritt
ist die somatische Gentherapie, gegen die aus meiner
Sicht keine ethischen Bedenken bestehen. Aber hier
werden - das muss deutlich hervorgehoben werden Techniken zur Veränderung des genetischen Programms
menschlicher Körperzellen entwickelt; hier wird die
gentechnisch manipulierte Körperzelle selbst zum Medikament, um Krankheiten wirksam bekämpfen zu können.
Gerade in den letzten Monaten ist deutlich zu beobachten gewesen, dass der massive Einstieg kommerzieller Interessen in das erhoffte Gentherapiegeschäft in
Amerika dazu geführt hat, dass Risiken verharmlost
oder verdunkelt wurden und Todesfälle bei der klinischen Erprobung möglicherweise zur Sicherung des
Börsenwertes von Firmen verheimlicht wurden, eine in
jeder Hinsicht inakzeptable Entwicklung.
Der Aufschwung der Stammzellforschung, insbesondere die Arbeiten an der Strategie des so genannten therapeutischen Klonens verschärfen diese Entwicklung
und werfen neue dramatische Fragen auf. Stammzellforschung bearbeitet durchaus interessante medizinische
Fragestellungen, vor allem dann, wenn es um diejenigen
Zellen geht, die jeder von uns in seiner Leber, in seinem
Hirn hat - nämlich Stammzellen, die nicht voll ausdifferenziert sind, die also in ihrer Entwicklung beeinflussbar
sind und die sich vermehren können.
Forschungsarbeiten an solchen Stammzellen sind
ethisch vertretbar; sie haben durchaus auch ein beachtliches therapeutisches Potenzial. Aber die Strategie, nach
der entkernte menschliche Eizellen das genetische Programm eines Menschen aufnehmen sollen, vielleicht
auch einmal differenzierte Zellen in totipotente Zellen
zurückverwandelt werden sollen - das ist eine dieser Visionen oder Utopien der Grundlagenforscher -, könnte
dazu führen, den Prozess der Menschwerdung asexuell
starten zu lassen. Hier ergibt sich das Problem, dass die
Technik für die Gewinnung embryonaler Stammzellen
und auch ihrer gentechnischen Manipulation plötzlich
für patentierbar erklärt wird.
Es gibt ein Patent in Großbritannien, das im Januar
erteilt worden ist und das noch viel dramatischer ist als
das, worüber wir heute reden; denn dort hat die kalifornische Firma Geron zwei Patente erhalten - so berichtet
„Science“ in seiner Ausgabe vom 28. Januar 2000, - die
dieser Firma kommerzielle Rechte an durch Klonen gewonnenen Embryonen sichert.
Diese Rechte erstrecken sich nach Aussage von David
Earp, Vizepräsident von Geron, auch auf menschliche
Embryonen. Offenkundig hat das britische Patentgericht
aus dem englischen Rechtszustand, dass Embryonenforschung in den ersten 14 Tagen erlaubt ist - mit allen
Konsequenzen: verbrauchende Embryonenforschung, alles, was möglich ist -, eine Legitimation für eine Patenterteilung in dem Bereich abgeleitet, mit der Begründung, dieses Patent decke ja nur die Forschung an
menschlichen Embryonen in den ersten frühen Entwicklungsstadien ab. Dies geht nach dem Motto: Wo
verbrauchende Embryonenforschung erlaubt ist, kann
sich auch das Patentrecht uneingeschränkt auf teilungsfähige menschliche Eizellen erstrecken.
Dann, schreibt „Science“ - das ist natürlich eine hübsche Wissenschaftssprache -, würden diese Stammzellen „geerntet“ und zur Behandlung des Patienten verwandt werden: befruchtete menschliche Eizellen in den
ersten Stadien der Zellteilung sozusagen als Saatstätte
für Stammzellen. Das ist schon eine zynische Sprache.
Ich denke, dass uns mit großer Sorge erfüllen muss, mit
welcher Zielstrebigkeit hier von interessierten Firmen
die Patentierung von geklonten, manipulierten, totipotenten menschlichen Zellen vorangetrieben wird.
Die europäische Patentrichtlinie sieht - das muss
deutlich hervorgehoben werden - Gott sei Dank, anders
als das amerikanische Patentrecht, durchaus die Patentversagung aus ethischen Gründen vor.
({0})
Dass dies im europäischen Patentrecht verankert worden
ist, liegt maßgeblich an dem Drängen der deutschen SeiWerner Lensing
te. Denn es gibt in anderen europäischen Ländern auch
Patentrechte, die die Möglichkeit der Patentversagung
aus ethischen Gründen nicht vorsehen.
({1})
Deshalb muss unsere massive Kritik an dem Europäischen Patentamt darauf zielen, dass von einer aktiven
Wahrnehmung dieser neuen Aufgabe nicht die Rede sein
kann. Das Patentamt hat bis heute nicht begriffen, dass
diese neue europäische Patentrichtlinie auch die Einhaltung ethisch gebotener Grenzen - gerade was den Eingriff in die menschlichen Erbanlagen angeht - durch das
Patentamt einfordert. Ich denke, wir sind uns einig, dass
sich das Patentamt dieser Aufgabe bisher nicht gestellt
hat und an dieser Stelle versagt hat.
Ich möchte aber noch zwei Dinge positiv würdigen.
Sie wissen, dass das Projekt zur Entschlüsselung der
menschlichen Erbanlagen eine Vielzahl von Informationen über menschliche Gene bringt und sich daher die
Frage nach Patentierung in besonderer Dringlichkeit
stellt. Es ist wichtig, an dieser Stelle positiv zu betonen:
Nur durch die Tatsache, dass das Projekt der Entschlüsselung menschlicher Erbanlagen aus öffentlichen Mitteln finanziert worden ist, besteht heute überhaupt noch
die Möglichkeit, dass das menschliche Genom mit seinen Informationen tatsächlich Gemeingut wird, öffentlich zugänglich bleibt. Denn private Firmen vor allem in
den USA versuchen massiv, eine private Aneignung dieses Wissens zu erkämpfen. Es ist wichtig, dass die Genomforscher weltweit bereit sind, gegen diese Strategie
der Unternehmen - auch in Prozessen - anzugehen. Ich
glaube, wir sollten die deutschen Wissenschaftler in der
Ablehnung der privaten Aneignung dieser Informationen
stützen.
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung zum Thema
Internationalisierung schließen. Wir sind konfrontiert
mit der Anmeldung eines Patentes, das nicht in Deutschland entstanden ist. Wenn solche Patente auf europäischer Ebene nicht zugelassen werden, kann es sein diese Entwicklung werden wir in Europa bekommen -,
dass sie in Großbritannien oder Italien zugelassen werden. Wir müssen uns der Frage, wie wir internationale
Regeln und Standards auf diesem Gebiet zumindest in
Europa durchsetzen, mit einer anderen Dramatik widmen.
({2})
Ich stimme Herrn Hüppe zu: Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin regelt diese Frage nicht
abschließend. Zu diesem Zeitpunkt, 1996, ließ sich die
Frage des therapeutischen Klonens noch gar nicht abschließend regeln, weil die Entwicklung embryonaler
Stammzellen damals nicht die Dynamik wie heute hatte.
Aber wir sind dringend darauf angewiesen, in dieser
Frage eine europäische Lösung zu finden. Deshalb lassen Sie uns in den Prozess stärker einsteigen: auf der einen Seite unsere gemeinsamen deutschen Positionen international offensiv zu vertreten, auf der anderen Seite
aber nicht die schwierige Frage wegzudrücken, was uns
internationaler Konsens wert ist, auch dann, wenn die
Regelungen nicht voll dem deutschen Schutzniveau entsprechen. Diese Frage wird sich in den nächsten Monaten noch mit viel größerer Dramatik stellen.
Herzlichen Dank.
({3})
Es spricht jetzt der
Kollege Peter Hintze für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es tut dem Deutschen Bundestag gut, dass er dieses Thema zum Anlass nimmt,
sich hier im Parlament einmal mit ethischen Grundfragen im Zusammenhang mit unserer Normbildung zu beschäftigen. Darüber besteht auch eine große Übereinstimmung.
Der schwerwiegende Fehler einer Behörde hat ein
Thema von höchster ethischer Relevanz in die öffentliche Diskussion gebracht. Wir haben das aufgegriffen
und das ist gut so. Darf der Mensch alles, was er kann?
Viele Redner haben dazu gesprochen und die Frage
nicht nur mit einem klaren Nein, sondern auch mit einem klaren Bekenntnis zur Unverletzbarkeit der Würde
des Menschen beantwortet.
Nun möchte ich einen Zwischenruf von einem Mitglied dieses Hohen Hauses aufgreifen, der gemacht
wurde, als ich zum Rednerpult ging. Er war der Meinung, zu dem Thema sei bereits alles gesagt. Ich versuche, diese Befürchtung zu widerlegen.
Hier war sehr viel von Wachsamkeit die Rede. Der
Parlamentarische Staatssekretär Catenhusen hat davon
gesprochen, dass wir eine europäische Regelung brauchen. Ich sage nur summarisch: Wir brauchen eine
weltweit greifende Regelung. Das ist klar und das hat er
auch gemeint. Hier besteht kein Widerspruch zwischen
unseren Ansichten. Ich finde es aber wichtig, dass unsere Aufforderung zur Wachsamkeit nicht in einer lähmenden Betroffenheit stecken bleibt. Diese Gefahr sehe
ich bei unserer Debatte. Ich möchte dies ganz kurz erläutern:
Erster Punkt. Die Patenterteilung war ein schwerer
Fehler. Sie ändert die Rechtslage in Deutschland unserer
Auffassung nach jedoch nicht. Ein Patent gibt niemandem das Recht, etwas zu tun, es verbietet nur einem
Dritten, etwas wirtschaftlich zu verwerten, worauf der
Patentinhaber ein Patent hat. Das ist für die Juristen unter uns eine Selbstverständlichkeit, aber für die Öffentlichkeit wichtig zu sagen, weil dem Patentamt unterstellt wird, es habe jetzt quasi die Tür zum Hades geöffnet. Ein von mir sehr geschätzter Vorredner hat vorhin
ein ähnliches Bild gebraucht. Wir müssen der Öffentlichkeit sagen, dass dieses Patent die Rechtslage in
Deutschland und Europa erfreulicherweise nicht zum
Schlechteren verändert.
Zweiter Punkt. Die Gentechnik wird das
21. Jahrhundert ähnlich nachhaltig bestimmen wie die
Computertechnik die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Ich meine, wir dürfen das Thema nicht nur unter dem
Aspekt der drohenden Gefahren und Probleme diskutieren. Ich möchte einmal alle Vorredner ansprechen, die
von der ethischen Urteilsbildung gesprochen haben. Zur
ethischen Urteilsbildung gehört natürlich auch, dass wir
Menschen uns fragen müssen, was wir mit unseren geistigen und körperlichen Gaben mit Blick auf die Überwindung von Hunger, Krankheiten oder Seuchen tun
können. Bei einigen der ganz großen Menschheitsgeißeln, beim Krebs, bei Aids, bei vielen anderen zerstörenden Krankheiten, liegt in der Gentechnologie ohne
Frage auch das Potenzial für viele ethisch sehr positiv zu
bewertende Ergebnisse.
({0})
- Es ist nach einem Beispiel gefragt worden. Ein solches
möchte ich gerne nennen: Die Firma Bayer beispielsweise produziert in den Vereinigten Staaten von Amerika - weil Nordrhein-Westfalen damals als Standort politisch unsicher schien - auf gentechnische Weise den
Blutgerinnungsfaktor VIII, den Bluter brauchen, damit
sie nicht bei einer kleinen Verletzung ausbluten und
sterben. Dies ist ein Beispiel. Auch insulinabhängige
Menschen profitieren heute davon, dass Insulinprodukte
auf gentechnischem Wege hergestellt werden, die im
Gegensatz zu aus tierischen Produkten gewonnenen
Stoffen für den menschlichen Körper besser verträglich
sind. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren positiven
Beispielen.
Ich möchte hier denen ausdrücklich widersprechen,
die sagen: Das ist schlimm, dahinter steckt eine wirtschaftliche Wirkung. Meine Damen und Herren, wir wären fahrlässig, wenn wir die positiven wirtschaftlichen
Wirkungen, die in einer guten und positiven Biotechnologie stecken, nicht erkennen und für uns nutzen, sondern sie wieder den Vereinigten Staaten von Amerika
überlassen würden, wie uns das bei der Computertechnik passiert ist.
Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, dass es
ein Problem für Deutschland und Europa sei, dass viele
kluge Köpfe im Bereich der Informatik aus Deutschland
nach Amerika gehen, weil sie sich hier nicht verstanden
fühlen und keine Wirkungsmöglichkeiten haben. Ich
möchte nicht, dass das Gleiche auf dem Gebiet der Biotechnologie passiert.
Wir können übrigens all unsere ethischen Grundsätze
nur dann durchsetzen, wenn wir dafür weltweit ein Bewusstsein schaffen. Ich möchte einmal sagen: Was deutsche Universitäten, was die Deutsche Forschungsgemeinschaft, was deutsche Unternehmen in diesem Bereich machen, entspricht nach meiner Kenntnis und Einsicht voll unseren ethischen Grundsätzen und bedarf der
Unterstützung. Ich fände es sehr bedauerlich, wenn diese
wichtige, grundsätzliche Debatte erneut zu einem großen
Fragezeichen an der Gentechnologie oder an der Biotechnologie gegen unsere Forscher, gegen unsere wissenschaftlichen Institutionen führen würde.
Im Gegenteil: Ich möchte unsere Forscher ermuntern, im
Rahmen der ethischen Grundsätze, die wir mit ihnen zusammen entwickelt haben, dieses wichtige Zukunftsfeld
der Menschheit aufzugreifen.
Ich komme zum Schluss. Der Kollege SchmidtJortzig hat gesagt, es gehe um eine Existenzfrage der
Menschen. Er hat Recht, es geht um eine Existenzfrage
der Menschen. Sie ist aber nicht mit einem einfachen
Nein oder einem nicht hinterfragten Ja zu beantworten,
wir müssen sie durch einen verantwortlichen Umgang
beantworten. Dann kann die Gentechnologie auch der
Schlüssel sein, um Hunger und Krankheiten in der Welt
zu überwinden und um wirtschaftliche und humane
Fortschritte miteinander zu verbinden. Wenn wir sie in
diesem Sinne begleiten, werden wir unserem parlamentarischen Auftrag als Normgeber gerecht.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner ist
der Kollege Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich möchte uns einfach fragen: Weshalb ist das passiert, was steckt dahinter? Welche Interessen steckten dahinter? Weshalb wollen Forscher und die sie finanzierende Wirtschaft solche Forschungen durchführen? Weshalb soll das geschehen? Ich
möchte das nicht einfach ableiten, sondern aus einem
Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der
kürzlich zu diesem Thema erschienen ist, zitieren.
Vielleicht ist es ganz gut, den Gegenstand des Patents
noch einmal kurz zu definieren. Was sind Stammzellen?
In den Gesprächen unter den Abgeordneten wurde deutlich, dass viele überhaupt nicht wissen, was damit gemeint ist. Ich zitiere:
Mit dem Begriff der Stammzelle wird jede noch
nicht ausdifferenzierte Zelle eines Embryos, Fetus
oder geborenen Menschen bezeichnet, die Teilungs- und Entwicklungsfähigkeit besitzt.
Diese nimmt im Laufe des Wachstums ab.
Ich stelle jetzt die Frage: Was kann man damit machen? Auch diese Frage wird gleich im Vorwort beantwortet:
Die Möglichkeit, pluripotente menschliche Stammzellen in Kultur zu halten,
- das heißt, im Reagenzglas weiter zu pflegen und am
Leben zu erhalten eröffnet eine völlig neue Dimension medizinischer
Forschung.
Aus diesen Möglichkeiten leitet sie ihre Forschungsziele ab. Auch davon möchte ich zwei zitieren. Sie sagt:
Langfristig zielt diese Forschung darauf, die Arbeit
mit embryonalen Stammzellen zu ersetzen und pluripotente Stammzellen aus spezialisierten Zellen
- ich sage: Körperzellen zu gewinnen.
Das heißt: Man will und muss dann nicht mehr den
Umweg über embryonale Zellen gehen, sondern es wird
angestrebt, aus Körperzellen Zellen zu entwickeln, die
das können, was bisher nur embryonale Zellen können.
Dann braucht nicht mehr beachtet zu werden, was das
Embryonenschutzgesetz schützen möchte, sondern man
umgeht die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes.
Auf die Frage: Wozu das alles? heißt es weiter:
Ein langfristiges Ziel besteht in der Generierung
komplexer Gewebeverbände oder ganzer Organe,
die die derzeitigen Engpässe und immunologisch
bedingten Probleme sowie die Risiken einer
Krankheitsübertragung bei der Organtransplantation umgehen könnten.
Das heißt, die Forschung möchte hier, unter Umgehung der vom Gesetzgeber vorgesehenen ethischen
Schranken, einen Weg finden, der trotzdem medizinischen Fortschritt möglich macht. Das ist lobenswert. Sie
möchte erreichen, dass es Menschenteile, Organhaufen
und Gewebe von Menschen geben wird, die nutzbar sind
und eingepflanzt werden können, und dabei möglichst
keine ethischen Grenzen überschreiten.
Dass das ein Eiertanz ist, merken wir, so glaube ich,
ganz deutlich. Dass sich dieser Eiertanz auch in gesetzlichen Regelungen widerspiegelt, können wir sehen, wenn
wir uns die Europäische Patentrichtlinie ansehen, die
seit einigen Jahren bekannt ist und die wir in diesem
Jahr in nationales Recht umsetzen müssen.
Wir werden die Interpretationsmöglichkeit, die diese
Richtlinie gibt, noch einmal näher in Augenschein nehmen. Das Europäische Patentamt hat sich zwar hier nicht
ganz an diese Richtlinie gehalten, aber es wurde bereits
vieles, von dem wir noch gar nicht gesprochen haben,
weil es noch nicht zur Tagesordnung durchgedrungen
ist, vom Europäischen Patentamt verwirklicht.
Was ist zum Beispiel mit dem Patent - das BgVV,
unsere eigene Behörde, beklagt es -, das eine bekannte
Kosmetikfirma innehat? Es handelt sich um ein Patent,
auch vom Europäischen Patentamt erteilt, nach dem man
mit Hilfe embryonaler Stammzellen Kosmetika testen
kann. Wir haben ja beschlossen, dass Kosmetika nicht
mehr in Tierversuchen getestet werden dürfen. Hier hat
das Patentamt reagiert und gesagt: Embryonale Stammzellen werden patentiert, eine Kosmetikfirma erhält das
Patent. Unsere eigene Behörde, das BgVV, welches die
Tests zum Schutz der Menschen vor schädlichen Chemikalien machen möchte - wir haben heute Morgen
schon darüber gesprochen - muss 1 Million Dollar Patentgebühren zahlen und im Jahr 100 000 Dollar Patentgebühren an diese Kosmetikfirma zahlen, damit sie keine Tierversuche durchführen muss. Das ist die Realität.
Und das ist nicht das erste dieser Patente.
Ich möchte zu dieser Entscheidung des Europäischen
Patentamtes noch etwas hinzufügen. Ich sage es in aller
Deutlichkeit: Ich halte es nicht für ein Versehen, sondern für ein Verdienst von Greenpeace - insbesondere
von Herrn Then, dem ich auf diesem Wege ganz besonders für seine Hartnäckigkeit danken möchte, dieses
Thema an die Öffentlichkeit zur bringen -, dass herausgekommen ist, dass das Europäische Patentamt zweimal
absichtlich bei ein und derselben Patenterteilung darauf
hingewirkt hat, dass menschliches Gewebe, menschliche
Stammzellen, patentiert werden können. Es ist nicht so,
dass es in der Beschreibung des Patentgegenstandes vergessen wurde, den Menschen auszunehmen. Vielmehr
ist in der Begründung - sie ist allerdings in Englisch
formuliert - ausdrücklich erwähnt, dass das Patent auch
auf humane Zellen Anwendung finden soll. Also: Bei
der Beschreibung des Gegenstandes ist die Beschränkung herausgelassen worden, aber später wird es ausdrücklich erwähnt.
Kollege Wodarg, Sie
müssen leider zum Schluss kommen.
Ich komme zum
Schluss. Wir müssen vieles tun: Wir müssen das
Europäische Patentamt und seine Grundlagen gründlich
durchleuchten, wir müssen dort eine bessere Kontrolle
einrichten. Wir müssen diese schwammigen Richtlinien
der Europäischen Union daraufhin durchleuchten, wo
sich Lücken befinden, die einen solchen Fall ermöglicht
haben. Ich weise darauf hin, dass der Europarat - 41 europäische Staaten - beschlossen hat, dass solche Patente
nicht mit den Menschenrechten vereinbar sind. Ich bin
ganz zuversichtlich, dass das, was der Kollege Catenhusen gesagt hat, in eine handfeste Rechtsprechung umgesetzt werden kann.
Kollege Wodarg, ich
muss Sie daran erinnern, dass es sich hier um eine Aktuelle Stunde handelt.
Ich hoffe, dass wir
den Beschluss des Europarats in der weiteren Diskussion
nutzen können.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin
Ulrike Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der aktuelle
Skandal um die Patenterteilung des Europäischen Patentamtes - ich nenne das sehr wohl einen Skandal und
glaube nicht an die Zufälligkeit - rückt das Thema der
Patentierung von Lebewesen aus den Dunkelkammern
der nicht öffentlichen Entscheidungen einer nicht kontrollierbaren Behörde dahin, wo es hingehört, in die öffentliche Debatte um die gesellschaftliche Nutzung von
Entdeckungen, von therapeutischen Verfahren im Rahmen der Bio- und Gentechnologien.
Bei der Patentierung von Lebewesen treffen zwei
sehr ambivalente Instrumente aufeinander: Zum einen
die Patentierung selbst, die einen sehr großen Nutzen beinhaltet, - auf dieser Grundlage können Investitionen
getätigt und wirtschaftliche Entwicklungen ermöglicht
werden -, zum anderen dienen Patente der Eroberung
und Festigung von Märkten; sie können zur Monopolisierung genutzt werden. Alle Firmen, die Global Player
werden wollen, gründen ihre Geschäftsstrategien auf
weitreichende internationale Patente. Genauso ist es mit
der Gentechnik: Auf der einen Seite beinhaltet sie Chancen zur Rettung von Leben, zur Forschung und zur Erreichung von positiven Dingen, die uns bisher nicht gelungen sind. Auf der anderen Seite hat sie ganz klar auch
das Potenzial, große ökologische, gesundheitliche und
soziale Risiken heraufzubeschwören und große ethische
Probleme zu verursachen.
Wenn Patentrecht und Gentechnik aufeinander treffen, zeigt sich die ganze explosive Brisanz des Konstruktes „Patentierung auf Leben“. Denn dieser Fall das ist vorhin schon erwähnt worden - ist durchaus nicht
der einzige, in dem sich das Europäische Patentamt eigenmächtig über Rechtsnormen hinweggesetzt hat. Offensichtlich ist die ganze Konstruktion marode. Das, was
Sie, Herr Lensing, als Zeitgeist bezeichnet haben, zeigt
sich immer häufiger: Die bisher meiner Ansicht nach
etwas naive Haltung in Richtung einer Technikgläubigkeit auch gerade in Bezug auf die Gentechnik animiert
diese Forscher doch ganz offensichtlich dazu, sich in
gewisser Weise zu verselbstständigen und diese Normen
zu verletzen.
Es gibt einen Grundkonsens darüber - das ist auch
gesetzlich geregelt -, dass eine Patentierung menschlicher Gene oder gar Embryonen in Deutschland nicht in
Frage kommt, aber ich möchte die Aufmerksamkeit
einmal stärker auf die Patentierung von Tieren und von
Pflanzen lenken.
({0})
Auch die Patentierung von Tieren wirft schwerwiegende ethische Fragen auf, was gerade die Anmeldung
dieses Patentes zum Ausdruck bringt. Schweine oder Fische mit menschlichen Wachstumsgenen kommen auf
die Teller. Es stellt sich die Frage, ob Menschen oder
Tiere als Ersatzteillager gehalten oder gezüchtet werden
dürfen. Das ist ein großes ethisches Problem und abgesehen davon im Übrigen auch ein gesundheitliches Problem, das Einfallstor für die Übertragung von Krankheiten, die wir bisher noch gar nicht kennen oder die auf
diese Art und Weise eben noch nicht zustande gekommen sind.
({1})
All dies gilt es zu bedenken.
Das Gleiche gilt für die Patentierung von Pflanzen.
Herr Hintze hat vom Hunger in der Welt gesprochen. Ja,
natürlich, aber Sie wissen doch: Gerade die Entwicklungsländer haben große Sorgen vor der Biopiraterie,
davor, dass die dortige Artenvielfalt an Heil- und Kulturpflanzen mit ihren Wirkstoffen patentiert wird, während am Ende die dort lebenden Menschen, weil sie
nicht die nötigen finanziellen Mittel haben, leer ausgehen, - abgesehen davon, dass die Verhinderung von
Hunger durch Gentechnik recht unmöglich ist.
Wichtig ist Folgendes: Die Politik wird sich daran
messen lassen müssen, welche Konsequenzen sie aus
dieser Situation zieht.
Erstens ist es wichtig, dass die Entscheidungen des
Europäischen Patentamtes für die Öffentlichkeit transparent werden. Es kann nicht von der Findigkeit einiger
Greenpeace-Aktivisten, denen tatsächlich Dank gebührt,
abhängen, dass derartige Fehlentscheidungen an die Öffentlichkeit kommen.
({2})
Zweitens muss das Europäische Patentamt kontrollierbar werden. Damit ist nicht allein der Gerichtsweg
gemeint. Die Bundesregierung sollte sich aber dafür einsetzen, Klagerechte für Einwender beim Europäischen
Gerichtshof zu schaffen, und eine unabhängige Einspruchsinstanz einbeziehen.
Drittens müssen die Entscheidungen des Europäischen Patentamtes rückholbar sein; auch darauf ist in
den Reden schon eingegangen worden. Gerade im Umgang mit einer neuen Technologie, in der täglich ganz
neue Erkenntnisse gewonnen werden können, kann es
nicht sein, dass Entscheidungen auf der Grundlage des
Wissensstandes von vorgestern oder selbst krasse Fehlentscheidungen nicht korrigierbar sind.
Die offene Flanke, die hier - ich glaube, vom Kollegen Brinkmann - genannt worden ist, ist im konkreten
Fall, dass die Embryonennutzung nur zur Erzeugung
von Nachkommen verboten ist und nicht als „Ersatzteillager“ für Organe. Hier liegt das Problem, dass in dieser
Art und Weise der eigentliche gesetzgeberische Willen
umgangen werden soll.
Durch den aktuellen Fall ist auch die Haftungsfrage
neu aufgeworfen worden. Es kann nicht sein, dass für
gravierende Fehler keiner haftet und keiner zur Verantwortung gezogen werden kann.
Frau Kollegin, auch
Sie müssen bitte auf die Redezeit achten.
Ja. Ein letzter Satz: Solange diese gravierenden Verfahrensmängel - es ist schon der Begriff Missstände gefallen - nicht behoben sind, sollte die EU-Patentrichtlinie
auch nicht in nationales Recht umgesetzt werden.
Zuallerletzt: Ich meine, wie auch Kollege Brinkmann
gesagt hat, dass Patente auf Erfindungen und nicht auf
Leben erteilt werden sollten, nicht auf menschliche Gene, nicht auf tierische und nicht auf pflanzliche.
Danke schön.
({0})
Es spricht jetzt der
Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Empörung über
die Erteilung des Patentes zur gentechnischen Manipulation an menschlichen Embryozellen ist einhellig. Sie
geht über alle Parteien dieses Parlamentes hinweg und
ist auch in der Öffentlichkeit spürbar. Sie entspringt
wohl der Sorge der Menschen, in einer Weise durch
Technik fremdbestimmt zu werden, die die Person in ihrem Kern trifft. Deswegen ist diese Sorge auch so groß.
Ich meine, dass wir in der Debatte auf diese Sorge der
Menschen sehr gut eingegangen sind und dass wir in einer wirklich fruchtbaren Weise miteinander diskutieren.
({0})
Wir sind uns auch darüber einig, dass die Manipulation an menschlichen Embryonalzellen nicht möglich sein
darf, weil sie der Würde des Menschen widerspricht, deren Unverletzlichkeit in Art. 1 des Grundgesetzes festgelegt ist und die der Mensch von Anfang an besitzt - sie
wird ihm nicht vom Staat verliehen -, und zwar genau
ab dem Zeitpunkt, ab dem die Individualität des Menschen vorhanden ist, nämlich ab der Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle. Unser Embryonenschutzgesetz
schützt diesen Vorgang in besonderer Weise, weil er
auch in vitro geschehen kann. Darauf hinzuweisen
scheint mir bei einer solchen Gelegenheit ebenfalls
wichtig. In Deutschland ist schon vor zehn Jahren eine
Regelung geschaffen worden, die den Sorgen der Menschen, glaube ich, gerecht wird. Natürlich sind Verbesserungen ohne weiteres denkbar.
Wir stimmen auch darin überein, dass die hier diskutierte Patentierung gegen nationales und internationales
Recht verstößt. Das festzustellen ist auch wichtig. Es
war im Grunde ein rechtswidriger Akt. Insofern stimmen wir alle überein und unterstützen die Bundesregierung darin, dagegen Einspruch einzulegen. Aber es ist
wohl auch richtig, darüber nachzudenken, ob nicht eine
Instanz in irgendeiner Form geschaffen werden muss,
die zumindest kontrolliert, ob das Europäische Patentamt Rechtsfehler begangen hat. Ihr Vorschlag, Herr
Lensing, dass in der Kontrollinstanz die ganze Technik
noch einmal überprüft werden soll, mag diskussionswürdig sein. Aber mir scheint die Forderung wichtig zu
sein, zumindest die Rechtmäßigkeit der Erteilung eines
Patentes noch einmal durch eine Kontrollinstanz überprüfen zu lassen.
Zu beachten ist auch, dass der Antrag auf Patentierung aus Großbritannien kam, einem Land, in dem die
Gesetzgebung - das darf ich mit einem gewissen Stolz
sagen - nicht so gut ist wie die in Deutschland. Das bedeutet, Herr Catenhusen, dass wir entsprechende internationale Regelungen brauchen. Wenn solche Regelungen
nicht möglich sind, dann muss die Regierung darauf
hinwirken, dass zumindest durch entsprechende nationale
Regelungen im EU-Raum dafür Sorge getragen wird,
solche Ausbrecher in Zukunft unmöglich zu machen.
Zum letzten Punkt. Wir müssen uns auch Gedanken
darüber machen, wie wir Forschung in diesem Bereich
dennoch ermöglichen können. Wir brauchen natürlich
eine Forschung für präventive Medizin, für eine bessere
Diagnostik und für eine bessere Therapie. Eine solche
Forschung darf durch unsere Sorge um den Eingriff in
die Gene des Menschen nicht verhindert werden. Mir
scheint es wichtig zu sein, eine genaue Abgrenzung zwischen Manipulation und Forschung zu finden. Darüber
nachzudenken ist auch Aufgabe unseres Parlamentes.
Ich möchte abschließend das feststellen, was ich
schon eingangs erwähnt habe: Diese Debatte hat gezeigt,
dass es hier eine große Übereinstimmung in diesem
Parlament gibt. Das auszusprechen ist richtig, weil dies
nicht allzu oft der Fall ist.
Danke schön.
({1})
Es spricht jetzt die
Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gibt eine große Übereinstimmung und ein allgemeines Erschrecken über das,
was sich im Europäischen Patentamt zugetragen hat und
was dort entschieden worden ist. Alle sind sich darüber
einig, dass diese Entscheidung gegen Recht verstößt.
Trotzdem lassen sich nach meinem Eindruck die Reden, die ich hier gehört habe, in zwei Gruppen einteilen,
auch wenn Nuancen durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt sind: Einige beklagen, dass in diesem Fall das
Gesetz, das Recht, die allgemeine Moral und die Vorstellung von Ordre public nicht ausgereicht haben, um
eine rechtswidrige Entscheidung - darüber besteht Konsens - zu verhindern. Die anderen beklagen - wie gesagt, der Unterschied liegt in Nuancen - das Vorhandensein der Genforschung und der Biotechnologie selbst als
Problem.
({0})
- Ich höre „richtig“. Genau dasselbe habe auch ich aus
dem, was Sie gesagt haben, herausgehört. Wir werden
uns entscheiden müssen, auf welcher Seite wir stehen.
Das Schreckliche ist in meinen Augen, dass das Europäische Patentamt jedenfalls dieser zweiten Seite ein
Argument geliefert hat: die anscheinend vorhandene
Unwirksamkeit von Recht angesichts von Interessen.
Danach sieht es ja aus, vor allem, wenn man nicht nur zumindest grobe - Fahrlässigkeit, sondern auch, wie es
einige tun, Absicht vermutet. Es ist schon schlimm genug, dass nicht mindestens einem Menschen, der im Europäischen Patentamt arbeitet, die Gänsehaut angesichts
dessen, was er las, gekommen ist.
Dies alles führt dazu, dass man sich fragen muss:
Was dient denn angesichts so großer Interessen, die im
Spiel sind, eigentlich dem Recht? Aber wenn man dieser
Frage nachgeht, dann führt das dazu, dass man absolut
resignieren muss. Eines wissen wir in Europa seit der
Fruchtlosigkeit des Anatomieverbots: Forschung im
Sinne von Fragen, Wissen-Wollen und Können-Wollen
ist ein Teil der menschlichen Natur.
Ebenso gehört es zur Wahrheit der menschlichen Natur, dass sie - da sie „Natur“ ist - in der Petri-Schale und
unter dem Mikroskop beobachtbar und erforschbar ist.
Wir sind sowohl Beobachter als auch Gegenstand der
Beobachtung. Wer glaubt, dass Recht dort nicht zu wirken hat und nichts auszurichten vermag, der hat verspielt. Zu denen will ich nicht gehören.
Das heißt, das Einzige, worauf ich setzen kann und
will, ist Recht. Wohl wissend, dass Recht 100 000fach
immer wieder gebrochen wird,
({1})
ist es doch die einzige Sicherheit, Herr Seifert, die ich
zum Beispiel meinem behinderten Enkelkind hinterlasse, wenn eines Tages seine Eltern und ich nicht mehr da
sind.
Danke schön.
({2})
Nächster Redner ist
der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freiheit der Forschung ist ein hohes und schützenswertes Gut. Freiheit der Forschung bedeutet aber
nicht Schrankenlosigkeit. Sie findet ihre Grenzen bei
Tatbeständen zum Schutz der Wahrung der Menschenwürde, des Lebens und der körperlichen Integrität. Diese
Grenze hat das Europäische Patentamt in München eindeutig überschritten.
Was ist passiert? Das Europäische Parlament erteilte
im Dezember für die australische Firma Stem Cell
Sciences, lizenziert von der Universität Edinburgh, ein
Patent auf ein Verfahren für die Isolierung und die genetische Manipulation von embryonalen Stammzellen. Aus
diesen embryonalen Zellen möchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Organe zum Zweck der Transplantation - Haut, Herz, Nervensystem - züchten.
Anstoß an dieser Entscheidung erregte vor allem der
Einschluss auch menschlicher Zellen in den Schutz des
Patents. Ein möglicher Eingriff in die menschliche
Keimbahn, der bei Weiterentwicklung der Technik prinzipiell auch zu patentgeschützten Menschenzüchtungen
genutzt werden könnte, steht sowohl im Widerspruch
zum deutschen Embryonenschutzgesetz als auch zur europäischen Biopatentrichtlinie. Die Anwendung dieser
Technologie bei menschlichen Zellen wäre also schlicht
illegal und das Europäische Patentamt hat inzwischen
diesen Fehler - schlichtweg eine grobe Schlamperei eingeräumt.
Niemand will das Ziel der modernen Biotechnologie
infrage stellen, dass mit der medizinischen Forschung
eine Therapie durch verbesserte Medikamente, zum Beispiel Insulin für Zuckerkranke, angestrebt wird. Ich erinnere auch daran, dass verbesserte Medikamente für
Aids-Infizierte anders gar nicht möglich gewesen wären.
Bekannt ist das berechtigte Interesse der Industrie am
Schutz ihrer in aufwendigen klinischen Studien getesteten Erfindungen durch Patente. Ethische Fragen müssen
bei der Erteilung solcher Patente natürlich Beachtung
finden. Aber getrieben durch Interessen der Industrie
wurden auch und gerade im Europäischen Patentamt in
den letzten Jahren Patente auf Gene, Tiere und Pflanzen
vergeben. Im Fall der so genannten Krebsmaus im Jahre
1992 geschah dies sogar gegen den Willen des Europäischen Parlaments.
Beruhte die Erteilung des umstrittenen Patents also
wirklich auf einem Fehler? Oder ist dies nicht Teil einer
Strategie zur Umgehung der Rechtsprechung und zur
Aufweichung ethischer Standards? Hier läuft aus meiner
Sicht in jedem Fall etwas grundfalsch. Auch in Kreisen
der Wissenschaft herrscht Klage über die „Würgepatente“ der Industrie, die auch nicht kommerzielle Forschung lizenzpflichtig und manchmal faktisch unmöglich machen. Die Menschen erwarten, dass die Politik
hier die Rahmenbedingungen zurechtrückt.
Mit der Entscheidung des Europäischen Patentamtes
sind einige Fragen der Gentechnik wieder in den Mittelpunkt gerückt. Warum werden Patente auf Gene erteilt,
wenn deren Bedeutung für den Organismus noch gar
nicht bekannt ist? Dadurch wird zum einen die medizinische Forschung selbst behindert; zum anderen werden
ethische Grundsätze nicht beachtet, da eine abschließende Bewertung noch gar nicht stattgefunden hat.
Warum darf das Europäische Patentamt administrativ,
unabhängig vom Regierungs- und Volkswillen - die
heutige Debatte hat gezeigt, dass der Volkswillen hier
eindeutig ist - und im Gegensatz zur Rechtspraxis Entscheidungen fällen?
Wir fordern genauso wie Europaparlamentarier die
Einrichtung einer unabhängigen Ethik-Kommission auf
europäischer Ebene zur Kontrolle eigenmächtiger Entscheidungen des Europäischen Patentamtes.
({0})
Wie können die beim Europäischen Patentamt entscheidenden Instanzen neutrale Gutachten gewährleisten,
wenn sie sich über die Gebühren genehmigter Patente
finanzieren? Wir fordern eine unabhängige Finanzierung
der Entscheidungsgremien. Die Enquete-Kommission
des Bundestages zur Bioethik muss sich dieser Fragen
dringend annehmen.
Daneben hat die Enquete-Kommission auch weitere
Forschungsfragen in diesem Zusammenhang zu klären.
Ein Beispiel will ich noch erwähnen: die fremdnützige
Forschung an Menschen mit geistiger Behinderung. Erst
jüngst wurde der Verdacht auf unerlaubte humangenetische Untersuchungen an Menschen mit geistiger Behinderung im St.-Josefs-Stift in Eisingen bei Würzburg von
der Staatsanwaltschaft verfolgt. Allerdings wurde vom
vertretenden Rechtsanwalt umfangreiche Beschwerde
gegen die Art der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
eingelegt, da sie nicht intensiv und genau durchgeführt
wurden.
Die Vorgänge im Europäischen Patentamt oder die
mögliche Missachtung der Menschenwürde von Behinderten bei fremdnütziger Forschung offenbaren die
Notwendigkeit eindeutiger Regelungen zum verbesserten Schutz der Menschenwürde, des Lebens und der
körperlichen Integrität bei allen Fragen der Fortpflanzungsmedizin. Fortschritte der Medizin sollen schließlich dem Menschen helfen und ihn nicht versklaven.
({1})
Ich gebe das Wort
der Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Herta DäublerGmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es ist selten vorgekommen, dass das Wort Konsens so häufig in einer Debatte im Bundestag aufgetaucht ist wie heute. Ich finde das gut und freue
mich darüber, auch wenn ich glaube, dass Margot von
Renesse durchaus Recht mit ihrer Beobachtung hat, dass
in einigen Bereichen der Bogen der Meinungen und Einstellungen auch hier ausgesprochen breit gezogen ist und
es darauf ankommen wird, im Detail diesen Konsens
auch wirklich herzustellen, der im Augenblick durch die
Empörung über diesen in der Tat unerhörten Vorgang
getragen wird.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, ich freue
mich über den Konsens. Das tue ich deshalb, weil ich
glaube, dass er ganz schön weit trägt; und das ist gut.
Zum ersten ist er bei der Bewertung der rechtlich und
ethisch falschen Patenterteilung durch das Europäische
Patentamt in München vorhanden. Lassen Sie mich hier
übrigens noch kurz anmerken, dass auch die Daten
wichtig sind: Dieses Patent wurde bereits im Jahre 1994
beantragt, im Januar vorigen Jahres erteilt und im Dezember 1999 veröffentlicht. Ich freue mich darüber, dass
uns alle übereinstimmend die Einschätzung verbindet,
die Patenterteilung müsse widerrufen beziehungsweise
auf den rechtlich und ethisch einwandfreien Rahmen beschränkt werden. Ich freue mich auch über die Unterstützung und den Zuspruch für die Einleitung des Einspruchsverfahrens.
Ich gehe davon aus - ich darf das deutlich sagen -,
dass der Widerruf beziehungsweise die Beschränkung
bald erfolgen wird und dass außerdem die Universität
Edinburgh als Patentinhaber die rechtlichen und ethischen Beschränkungen trotz der falschen Patenterteilung
schon jetzt akzeptiert. Es gibt Äußerungen, dass sie sich
so verhalten wird. Aber wir werden darauf achten und es
kontrollieren.
Ich glaube, dass der Konsens noch einen Schritt weiter reicht. Es ist richtig, dass diese Patenterteilung rechtlich und ethisch gesehen ein gravierender Fehler war.
Aber wir müssen auch die Folgen im Auge haben. Wir
sind auch darin einer Meinung, dass es nicht nur darum
gehen kann, Fehlentwicklungen zu rügen und rückgängig zu machen, sondern es muss auch darum gehen, in
der Zukunft alles dafür zu tun, dass sich derartige Vorgänge nicht wiederholen.
Deshalb - lassen Sie mich das ausdrücklich sagen stimme ich allen zu, die hier gefordert haben, es müsse
erst einmal geklärt werden, worin denn eigentlich der
Fehler gelegen habe und auf welche Weise er zustande
gekommen sei. Wir müssen zunächst klären, ob es sich
nur um ein zufälliges Missverständnis, gewissermaßen
um einen Irrtum in der Anwendung der rechtlichen Regelungen handelt oder ob hier, wie manche befürchten,
die Spitze eines Eisbergs von Problemen zu erkennen
ist, die auf unklare rechtliche Regelungen zurückzuführen sind. Dies festzustellen ist zunächst Aufgabe des Europäischen Patentamtes als der zuständigen Behörde.
Unsere Aufgabe - übrigens sowohl die der Bundesregierung als auch die des Deutschen Bundestages, aber auch
die des Europäischen Parlaments -ist es, uns darum zu
kümmern, dass die Dinge geklärt und hinterher abgestellt werden.
Ich will Ihnen deshalb berichten, was ich über die
Einleitung dieses Einspruchsverfahrens hinaus in den
letzten Tagen unternommen habe. Ich habe die deutsche
Delegation im Verwaltungsrat des Europäischen Patentamts, der in diesen Tagen in Dublin zusammengetreten
ist, angewiesen, diesen Vorgang dort zur Sprache zu
bringen, eine klare Erklärung des Präsidenten zu fordern
und Regelungen zu initiieren, die für die Zukunft erheblich mehr Sicherheit und Kontrolle ermöglichen.
Dies ist gelungen. Es hat gestern eine dreistündige
Diskussion gegeben, in der festgestellt und betont wurde, dass mit der Erteilung eines fälschlichen Patentes
nicht automatisch die Berechtigung zur Nutzung des geschützten Gegenstandes einhergeht. Der Präsident des
EPA hat eingeräumt, dass die Erteilung in rechtlicher
und ethischer Hinsicht ein Fehler gewesen sei, und angekündigt, Vorkehrungen zu treffen, damit sich derartige Fehler nicht wiederholen. Weiter hat er festgestellt,
dass trotz der fehlenden Einschränkung „non human“ wir haben heute darüber geredet - der Schutzbereich
auch dieses konkreten Patentes aufgrund der Art. 69 und
84 des Europäischen Patentübereinkommens nicht das
Klonen von Menschen umfasst. Der Verwaltungsrat hat
diese Erklärung zur Kenntnis genommen und seine Besorgnis darüber deutlich gemacht, dass der eingeräumte
Fehler überhaupt hat passieren können. Er hat den Präsidenten aufgefordert, sicherzustellen, dass künftig wirksame Vorkehrungen gegen Fehler getroffen werden.
Das ist das eine. Ich bin aber zudem der Meinung,
dass diejenigen aus dem Hause und vor allen Dingen in
der Öffentlichkeit Recht haben, die sagen, das alles reiche nicht; wir müssten vielmehr auch die Instrumente
der Kontrolle verstärken. Deshalb will ich darauf aufmerksam machen, dass Kontrollmöglichkeiten nicht
nur - Frau Kollegin Höfken - auf gerichtlichem Wege,
sondern auch durch die Öffentlichkeit schon heute bestehen, dass diese aber auch genutzt werden müssen.
Ich habe darauf hingewiesen, dass das fälschlich erteilte
Patent bereits 1994 beantragt wurde. Nach 18 Monaten
wird jede Patentanmeldung automatisch veröffentlicht.
Auch dieses Patent wurde nach 18 Monaten -also 1995
- veröffentlicht. Wird ein Patent erteilt, wird es nochmals veröffentlicht. Das war 1999 der Fall. Wir müssen
gerade in diesem Bereich sehr deutlich darauf hinweisen, dass man heute bereits Kontrollmöglichkeiten
wahrnehmen kann, die jetzt gefordert worden sind, und
zwar „online“. Sie können und sie müssen wahrgenommen werden. Auch wir selbst müssen uns mehr darum
kümmern.
Ich glaube, dass darüber hinaus noch eine Reihe von
Punkten mit dem Präsidenten des Europäischen Patentamtes zu besprechen sind. Dazu gehört die Frage des
Umgangs mit der Öffentlichkeit.
Ich habe aufmerksam zugehört, als der Kollege
Wodarg gerade auf folgenden Punkt hingewiesen hat:
Wer die Patentschrift sorgfältig liest, dem fällt auf, dass
es zwei Fehler gegeben hat. Der erste Fehler ist die Auslassung der Ausschließung menschlicher transgener
Stammzellen in der Patentschrift. Der zweite Fehler ist
die ausdrückliche Einbeziehung des menschlichen Bereiches an einer anderen Stelle der Patentschrift. Das
darf nicht sein. Auch dabei handelt es sich um einen
rechtlich und ethisch unakzeptablen Fehler.
Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass
auch der zweite Fehler in der Öffentlichkeit deutlich
gemacht wird. Es darf nicht der Eindruck entstehen,
Fehler würden nur scheibchenweise zugegeben. Wenn
dieser Eindruck angesichts der schwierigen Materie erweckt würde, dann wäre das Vertrauen perdu. Ich glaube, dass wir dieses Vertrauen dringend brauchen werden.
Lassen Sie mich einen letzen Punkt anführen. Wir
werden bei der Diskussion der Biomedizin-Konvention,
aber auch bei der Umsetzung der Bio-Patent-Richtlinie,
die noch in diesem Sommer ansteht, und bei der Regelung weiterer schwieriger Einzelfälle um den Konsens,
den wir heute allgemein beschworen haben und im Groben hoffentlich existiert, im Detail weiterringen müssen.
Wie schwierig dies sein wird, haben uns der Beitrag des
Staatssekretärs Catenhusen und andere Beiträge gezeigt.
Ich hoffe, dass dieses Haus zu einem Konsens in der Lage sein wird. Ich lade herzlich dazu ein.
Danke schön.
({0})
Nun gebe ich das
Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Erteilung des Patentes
mit der schlichten Bezeichnung EP 0695 351 hat, nachdem sie bekannt geworden ist, für Aufregung, ja für
Empörung gesorgt, für Aufregung deshalb, weil hier offensichtlich der Versuch unternommen wird, ein Verfahren zur Isolierung, Selektion und Vermehrung von tierischen transgenen Stammzellen als Patent einzuführen,
und weil dabei die menschlichen Stammzellen mit inbegriffen sind.
Es gibt aber auch Empörung darüber - das hat die
Frau Justizministerin eben deutlich gemacht -, dass hier
ganz offensichtlich eine Veröffentlichung mit den Einzelheiten - es geht ja nicht nur um die Nummer des Patentes - nicht erfolgt ist und dass dadurch die Öffentlichkeit lange Zeit im Unklaren darüber gelassen worden
ist, was hier geschieht. Ich denke, wir können denen
danken, die diesen Sachverhalt öffentlich gemacht haben
und die uns dadurch den Anlass zu dieser heutigen Diskussion gegeben haben.
Empörung ist aber auch deswegen angesagt, weil
hier, so wie es lapidar behauptet worden ist, ein Patent
versehentlich erteilt worden ist. Ich hoffe für die Werte
und für die Achtung der Würde des Menschen in diesem
Land, dass es wirklich nur ein Versehen war. Wir wissen
alle, dass gerade in der Biotechnik der Druck auf die Öffentlichkeit und auf den Gesetzgeber, Gesetze großzügig
zu fassen, immer mehr zunimmt.
Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern, sollten
die Gesetze aufgrund des größer werdenden Drucks der
Biotech-Unternehmen aufweichen, bekämen Patente wie
das soeben bewilligte für die Firmen einen unschätzbaren Wert. Ich hoffe, dass der Präsident des Europäischen
Patentamtes, den wir alle aus seiner früheren politischen
Tätigkeit sehr gut kennen, die Größe und das Durchsetzungsvermögen hat, sehr klar und für die Öffentlichkeit
nachvollziehbar aufzuklären, was wirklich gewesen ist.
Natürlich sind auch wir gefragt, unseren Beitrag dazu zu
leisten und auch die Justiz ist aufgefordert.
Nun haben wir natürlich die eine oder andere Möglichkeit. Frau Justizministerin, ich bin dankbar, dass die
heutige Aktuelle Stunde gezeigt hat, dass die
Bundesregierung auf zwei Ebenen tätig geworden ist,
nämlich einmal Einspruch dagegen einzulegen und zum
anderen auf der Versammlung des Verwaltungsrates der
europäischen Patentorganisation eine Klarstellung
herbeizuführen. Dies hilft uns weiter. Aber wir müssen
mehr tun. Alleine die Tatsache, dass man auf dem
nationalen Rechtsweg klagen kann - wir in Deutschland
zum Beispiel unter Anwendung unseres
Embryonenschutzgesetzes -, reicht nicht aus. Das Patent
kann für viele europäische Länder erteilt werden.
Angesichts der Globalisierung ist die Vermarktung und
Verwertung dieses Patentes dann sehr leicht möglich.
Wir müssen also auch sehen, dass wir auf europäischer
Ebene einen wirksamen Rechtsschutz bekommen, der
vor allen Dingen demokratisch legitimiert ist.
Ich weiß nicht, ob es ausreicht, dass man Einspruch
einlegen kann, so wie dies die Richtlinien jetzt vorsehen,
sodass eine Patentabteilung erneut entscheidet, und dass
gegen diese Entscheidung der Patentabteilung eine Beschwerde möglich ist und die Beschwerdekammer entscheidet. Ich denke schon, dass letztlich ein unabhängiges Gericht die Entscheidung treffen muss, und ich
glaube, darin sind wir uns alle einig.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Frau
Justizministerin, die heutige Debatte, die mit großer
Sorgfalt und, wie ich glaube, auch in gegenseitiger Achtung geführt worden ist, in der deutlich wurde, dass dieser Bundestag die Achtung der Würde des Menschen
über alles stellt, zeigt der Öffentlichkeit, dass wir dieses
Thema ernst nehmen, und sollte uns allen auch den Mut
geben, dass wir bei den anstehenden Beratungen zur
Umsetzung der europäischen Richtlinie in nationales
Recht mit großer Sorgfalt, mit großer Gewissenhaftigkeit und in großer Einmütigkeit vorgehen. Ich denke,
wir sind auf einem guten Weg dazu, und bedanke mich
sehr herzlich bei Ihnen für die heutige Debatte.
({0})
Damit ist die Aktu-
elle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen
- Drucksache 14/1246 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Dr. Michael Luther,
Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Forderungen der Bauhandwerker ({1})
- Drucksache 14/673 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 14/2752 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff
Volker Beck ({4})
Rainer Funke
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Rechtsausschusses
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Türk, Cornelia Pieper,
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Zahlungsverzug bekämpfen - Verfahren beschleunigen - Mittelstand stärken
- Drucksachen 14/567, 14/2752 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff
Volker Beck ({6})
Rainer Funke
c) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Rechtsausschusses
({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft,
Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Zahlungsforderungen schneller durchsetzen - Zahlungsunmoral bekämpfen
- Drucksachen 14/799, 14/2752 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Andrea Astrid Voßhoff
Volker Beck ({8})
Rainer Funke
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz, Herrn Professor Dr. Eckhart Pick, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag will heute das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen beschließen.
Schon in der letzten Legislaturperiode haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages beklagt, dass die Zahlungsmoral in Deutschland schlechter geworden sei.
Dabei handelt es sich aber nicht nur um ein deutsches,
sondern ebenso um ein europäisches Problem. Dies zeigt
auch der Vorschlag der EU-Kommission, die dies offenbar erkannt hat und eine Richtlinie zur Bekämpfung des
Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr vorgelegt hat.
Während die EU-Kommission immerhin einen Vorschlag gemacht hat, müssen wir für die vergangene Legislaturperiode aufseiten der Bundesregierung Fehlanzeige vermelden. Das muss sich jetzt ändern. Wir müssen erreichen, dass fällige Forderungen tatsächlich sofort
beglichen werden. Das fordert das BGB übrigens schon
seit 100 Jahren. In der Praxis wird es allerdings nicht erreicht. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ist dieser Zustand untragbar. Sie sind nicht in
der Lage, beliebig lange Außenstände, insbesondere solche von Bedeutung, zu überbrücken. Sie sind existenziell darauf angewiesen, dass die begründeten Forderungen auch tatsächlich erfüllt werden. Das ist sicher in erster Linie ein ökonomisches Problem.
Aber auch der Gesetzgeber kann hierzu seinen Beitrag leisten. Ich füge hinzu, dass unser Recht in vielen
Punkten wesentlich besser als sein Ruf ist. Wir haben in
einer Handwerkerfibel des Bundesministeriums der Justiz deutlich gemacht, dass es erfolgreiche Instrumente
gibt. Es gibt aber die eine oder andere Hürde, an der
rechtlich unerfahrene Handwerker und kleinere Unternehmen scheitern können. Hier setzt der Gesetzentwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen an. Der
Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung ein
ganzes Paket von effektiven Sofortmaßnahmen vorgelegt, um die Fallstricke für kleine und mittlere Unternehmen zu beseitigen. Er konnte sich dabei auf Vorarbeiten stützen, die in einer Arbeitsgruppe des Bundes
und der Länder zur Verbesserung der Zahlungsmoral
diskutiert und vorgelegt worden sind.
Zentral wichtig ist in diesem Gesetzentwurf - da besteht parteiübergreifender Konsens - die Anhebung des
Verzugszinses auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Auch die Verbesserung der Bauhandwerkersicherungsbürgschaft wird von allen Fraktionen akzeptiert. Schließlich ist es ganz wichtig, dass künftig die
Abnahme wegen wesentlicher Mängel verweigert werden darf, und zwar nur wegen wesentlicher Mängel.
In der jetzt vorgeschlagenen Fassung des Koalitionsentwurfes sind aber auch eine Reihe von Maßnahmen
enthalten, die in den Vorschlägen der anderen Fraktionen bislang keine Beachtung gefunden haben.
({0})
So soll zum Beispiel der Verzug bei Geldforderungen
künftig 30 Tage nach Erhalt der Rechnung eintreten. Es
handelt sich dabei um eine erhebliche Verbesserung gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen, da die
zusätzliche Mahnung des Vertragspartners entbehrlich
wird.
Der Entwurf sieht auch vor, dass Abschlagszahlungen
zum gesetzlichen Leitbild des Werkvertragsrechts gehören und nicht nur dem Verhandlungsgeschick der Parteien unterliegen.
In diesem Zusammenhang wollen wir auch eine Lücke in der Makler- und Bauträgerverordnung schließen.
Das dort geregelte - und zwar bewährte - Abschlagszahlungsschema beim privaten Hausbau soll auch für
den Fall vorgeschlagen werden, dass nur das Haus, nicht
jedoch das Eigentum am Grundstück an den Verbraucher geliefert wird, also auch für den normalen Häuslebauer, um es einmal so auszudrücken. Ferner soll bei
vorhandenen Mängeln der Besteller seine Vergütungszahlung künftig mindestens in Höhe des Dreifachen der
für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten
verweigern können. Das ist heute bereits in der Rechtsprechung anerkannt, meine Damen und Herren, und
nicht eine Erfindung. Deswegen kann man auch die Vertreter der Handwerkerschaft, die hier insbesondere Probleme haben, beruhigen und sagen, hier ist der Gesetzgeber lediglich der Rechtsprechung gefolgt, die ein ausgewogenes Verhältnis sucht.
Wir wollen mit diesen Bestimmungen gleichzeitig auch
dem Verbraucherschutz in einem hohen Maße Rechnung tragen. Schließlich bezweckt die Regelung zur
Durchgriffsfälligkeit, dass der Hauptunternehmer die
vom Erwerber erhaltenen Raten auch tatsächlich an die
Handwerker weiterreichen muss, die die Gewerke ausgeführt haben.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen Hinweis geben. Ich denke, dass mit diesem Gesetzentwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen auch etwas anderes erreicht wird, nämlich ein weiteres Teilergebnis in
unserer Justizreform. Das Ziel der Entlastung der Gerichte ist ein tragender Gesichtspunkt für den Vorschlag,
mit Hilfe einer Fertigstellungsbescheinigung im Urkundsverfahren die Streitklärung zu vereinfachen und
das Verfahren zu beschleunigen.
Die Durchsetzung der meisten Vergütungsforderungen aus Bauwerkverträgen wird durch den Streit um
Mängel behindert. Diesem Streit kann man nur entgegenwirken, indem zumindest eine grobe Klärung der
Mängelfrage erfolgt. Dazu schlägt der Gesetzentwurf
vor, dass das Werk als Ersatz für die Abnahme vor einem Prozess durch einen unabhängigen Sachverständigen besichtigt und begutachtet werden kann, der dann
eventuelle Mängel feststellt.
Die Fertigstellungsbescheinigung eröffnet dem Unternehmer den Weg in den schnellen Urkundsprozess.
Davon haben sowohl der Unternehmer als auch der Besteller, der Kunde, Vorteile. Der Unternehmer weiß,
dass er seinen Titel schnell bekommt, wenn er die vom
Sachverständigen eventuell festgestellten Mängel beseitigt, und auch für den Besteller wirkt es sich positiv aus,
dass der Unternehmer einen Anreiz hat, festgestellte
Mängel tatsächlich zu beseitigen.
Wir wollen in diesem Zusammenhang aber auch die
Beteiligten, nämlich Handwerkskammern und Banken,
dazu aufrufen, die Durchführung dieses neuen Verfahrens zu unterstützen. Es muss flankiert werden. Der
Entwurf schafft zwar die Voraussetzungen dafür, dass
das Verfahren zügig erledigt werden kann, aber darüber
hinaus ist es wichtig, dass der Zeitraum bis zur Erfüllung der Werkforderung durch entsprechende Kredite
überbrückt werden kann. Ich denke, dass die Risiken für
die Kreditgeber kalkulierbar sind. Es ist nun auch Sache
der Finanzwirtschaft, durch die Veränderung ihres Verhaltens gegenüber ihren Kunden einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Handwerkern zu leisten.
Ich darf abschließend feststellen, dass der Entwurf
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, wie er nun
durch den Rechtsausschuss beschlossen worden ist - ich
erkenne an, dass sich alle Fraktionen um ein Ergebnis
bemüht haben und dass insofern auch ein Wettstreit der
Ideen festzustellen ist -, die Situation der kleinen und
mittelständischen Unternehmen verbessern wird. Auf
der anderen Seite behält er ausgewogen ebenso die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge.
Vielen Dank.
({1})
Für die CDU/CSUFraktion spricht Professor Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und HerParl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
ren! Die Frage der pünktlichen Zahlung ist so alt wie der
Zahlungsverkehr selber und die Zahlungsmoral ist eigentlich eine Frage der Redlichkeit gegenüber dem Geschäftspartner. In der Regel funktioniert dies auch ohne
Beanstandung. In den Fällen, in denen besondere Risiken vorhanden sind, haben sich Vorauskasse, Nachnahme und Abbuchung eingespielt. Im Geschäftsverkehr
sollte man auch heute noch den alten germanischen
Rechtssatz gelten lassen: Trau, schau, wem. Das heißt,
schau dir den Partner an, mit dem du Geschäfte machst;
notfalls musst du es sein lassen.
Das ist in einer Zeit des Wettbewerbs und des Zwanges, den eigenen Betrieb auszulasten, natürlich leichter
gesagt als getan, sodass immer wieder Risikogeschäfte
eingegangen werden. Das ist vor allem dann bedrückend, wenn der Abnehmer eine besonders starke wirtschaftliche Stellung hat, die er nicht nur bei der Forderung nach Preiszugeständnissen gnadenlos ausnutzt,
sondern auch indem er die vereinbarten Zahlungsziele
willkürlich überschreitet. Besonders stark ist diese monopolartige Stellung auf dem Bausektor, wo der Handwerker oft mit einem Bauträger oder staatlichen Behörden als Auftraggeber zu tun hat. Gerade die Letzteren,
die staatlichen Auftraggeber, die eigentlich Vorbild sein
sollten, auch in der Einhaltung von Zahlungszielen und
vereinbarten Regelungen, haben zum Teil mit unerträglicher Verzögerungstaktik mittlere und kleine Betriebe
mit Zahlungen hingehalten, sodass diese oft an den Rand
der Existenzfähigkeit gerieten.
Hinzu kam, dass in den 90er-Jahren in den neuen
Ländern ein Bauboom ungekannten Ausmaßes aufkam,
der eine Vielzahl von Hasardeuren anzog, die kleinere
und mittlere Firmen, welche auch im Umgang mit
Baurecht nicht so erfahren waren, in nicht hinnehmbarer
Weise um ihren gerechten Lohn zu prellen versuchten,
indem sie nicht oder zu spät zahlten oder mit unberechtigten Mängelrügen überhöhte Preisnachlässe mit sofortiger Zahlung „belohnten“.
Die rechtlichen Instrumente des BGB - darauf hat
Staatssekretär Pick bereits hingewiesen - und des HGB,
die es eigentlich gab, wurden zur stumpfen Waffe in einem erst im Aufbau befindlichen Gerichtssystem der
neuen Länder mit zum Teil überforderten Rechtsanwälten, Richtern, Rechtspflegern und Gerichtsvollziehern.
Der Ruf nach verbesserten Instrumenten wurde daher
insbesondere dort laut. Aber auch Klein- und Mittelbetriebe in den alten Ländern litten zunehmend unter dem
Druck von Großbestellern.
Der durch das Bauhandwerkersicherungsgesetz eingefügte § 648 a BGB erwies sich leider auch nicht als
gute Waffe, weil die nach diesen Vorschriften vorhandene Berechtigung von Handwerkern, eine Sicherungshypothek zu fordern, in der Regel dazu führte, dass der
Besteller spätestens beim nächsten Mal diesen Unternehmer nicht mehr berücksichtigte.
({0})
Die Mahnung, die in Verzug setzte und berechtigte, höhere Zinsen als die gesetzlichen zu verlangen, wurde
von den Bestellern entweder ignoriert, oder aber der betroffene Handwerker wurde bei der nächsten Vergabe
„negativ“ beschieden. Der Schadensersatz bei der Auftragseinbuße bei Nichtstellung der Sicherheit des Bestellers war schwierig zu ermitteln. Prozesse zogen sich hin,
sodass dieses Instrument Bauhandwerker letztlich nicht
wirksam schützte.
Aus diesem Grunde hat die Fraktion der CDU/CSU
noch während der vorigen Legislaturperiode den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung
von Forderungen der Bauhandwerker“ ausgearbeitet und
vor einem Jahr vorgelegt, dem neben den Gesetzentwürfen der F.D.P. und der PDS dann auch der „Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen“
der Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die
Grünen folgte. Die Verabschiedung dieses Gesetzes verzögerte sich dadurch, dass Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich nicht einigen konnten.
({1})
- Nein. Sie konnten sich nicht einigen, lieber Herr Kollege.
({2})
In einigen Punkten können wir Ihrem Entwurf, Herr
Hartenbach, zwar zustimmen. In anderen Punkten können wir Ihnen jedoch nicht folgen und hätten lieber unsere Vorschläge durchgesetzt.
({3})
Wir sind der Meinung, dass das Volumen der Bauhandwerksleistungen, das viele hundert Milliarden DM
umfasst, in der Bundesrepublik Deutschland so groß ist,
dass mit einem eigenen, in sich geschlossenen Bauvertragsgesetz klarere Entscheidungen getroffen werden
könnten als durch die allgemeine Einarbeitung von Neuregelungen in die Verzugsregeln des BGB und in die allgemeinen Regeln des Werkvertrages.
({4})
Ob dabei die Wiederentdeckung des Gesetzes über die
Sicherung von Bauforderungen vom 1. Juni 1909, also
eines Gesetzes aus dem Kaiserreich, und dessen Einarbeitung in den Entwurf der CDU/CSU der Weisheit letzter Schluss war, mag dahingestellt bleiben. Aber ein eigenes Bauvertragsgesetz hätte für die Bauhandwerker,
aber auch für die Besteller mehr Klarheit und Sicherheit
gebracht.
({5})
Um aber die berechtigten Forderungen der Bauhandwerker zumindest teilweise zu erfüllen, haben wir
im Ausschuss die jetzt vorgesehenen Verbesserungen
zum Teil unterstützt. Wir werden die Verabschiedung
dieses Gesetzes nicht verzögern, weil für die Betroffenen der magere „SPD-Spatz“ in der Hand immer noch
besser ist als die fette Taube eines eigenen Bauvertragsgesetzes auf dem Dach, das mit dem derzeit - leider vorhandenen Mehrheiten im Parlament nicht durchgesetzt werden kann.
({6})
- Das magere „SPD-Spätzchen“ ist ja dann noch übrig.
So ist die Einfügung des § 284 Abs. 3 BGB, der den
Schuldner nach Ablauf von 30 Tagen nach Zugang einer
Rechnung in Verzug setzt und die generellen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB auf 5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz festsetzt - sie liegen in Zukunft mithin zwischen 7 und 10 Prozent -, nicht nur für die Bauhandwerker, sondern auch für alle anderen Gewerbetreibenden ein Fortschritt. Insoweit stimme ich dem zu,
Herr Staatssekretär Pick.
({7})
Eines, lieber Herr Staatssekretär, lieber Herr Professor, ist nun aber anders: Manche Juraprofessoren müssen sich jetzt neue Klausurthemen für den Verzug ausdenken, weil sie nun keine Studenten mehr mit den Unterschieden in den Bestimmungen des § 284 Abs. 1 und
Abs. 2 aufs Glatteis führen können.
Die in der Regel in Verträgen festgesetzten Teilzahlungen werden durch den neuen § 632 a BGB, insbesondere auch hinsichtlich der Sicherheiten, präzisiert.
Dem beliebten Spiel, Zahlungen durch Mängeleinrede zu verzögern, wird - zumindest teilweise - durch die
Veränderungen des § 640 BGB Einhalt geboten, nach
dem wegen unwesentlicher Mängel die Abnahme nicht
verweigert werden kann. Dabei halten wir, weil in der
Praxis sehr schwer durchführbar, die Regeln für die Bescheinigung eines Gutachters für missglückt. Hier werden wir sehen, dass das Gesetz nach einer gewissen Erfahrungszeit vereinfacht und verbessert werden muss.
Die Einfügung, dass der Besteller, der die Beseitigung
eines Mangels verlangen kann, die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung, mindestens in Höhe des
Dreifachen der erforderlichen Kosten, verweigern kann,
ist, wie bereits der Herr Staatssekretär gesagt hat, quasi
die Übernahme der gängigen Rechtsprechungspraxis
und daher sinnvoll. Im Zweifelsfalle ist dieser erhöhbar.
Eine Vereinfachung und letztlich auch eine gerechte
Lösung, die auch vielfacher Gerichtspraxis entspricht,
enthält der Zusatzabsatz 5 des § 648 a BGB, der dem
Unternehmer ohne Nachweis einen Pauschalschaden
von 5 Prozent der Auftragssumme zugesteht, wenn der
Besteller die erforderliche Sicherheit nicht leistet und
der Auftrag damit entfällt.
Zusammenfassend ist zu sagen: Wir hätten gern mehr
gehabt, und zwar durch ein eigenes Bauvertragsgesetz,
das insbesondere mehr Sicherheit für die Bauhandwerker gebracht hätte. Wir übersehen aber nicht die Verbesserungen durch diese Bestimmungen und wollen sie
deswegen weder verzögern noch verhindern. Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten.
({8})
Wenn sich die von uns befürchteten Unzulänglichkeiten
und Mängel zuungunsten der Handwerker bewahrheiten,
werden wir erneut und mit Nachdruck einen Bauvertragsgesetzentwurf entsprechend unserem Entschließungsantrag einbringen, dem zuzustimmen ich Sie bitte.
({9})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Helmut
Wilhelm.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil von einem meiner Vorredner, Herrn Staatssekretär Professor Pick, ausführlich auf die Inhalte des
neuen Gesetzes eingegangen wurde, sei es mir erlaubt,
mich etwas kürzer zu fassen.
Ich freue mich sehr, dass das Thema bisher doch relativ einmütig debattiert wurde, soweit das parlamentarische Oppositionsverständnis dies eben zugelassen hat,
denn wir sind uns einig, dass die bei großen Teilen der
Bevölkerung leider vorherrschende Einstellung - „Ich
zahle erst nach Mahnung!“ - der Korrektur bedurfte.
Auch die Tatsache, dass die Zeiträume, innerhalb deren fällige Geldforderungen durch die Schuldner beglichen werden, allgemein immer länger wurden und dass
das vermehrte Zurückbehalten von teilweise erheblichen
Forderungen kleinere und mittlere Betriebe - vor allem
im Handwerk und in der Bauwirtschaft - immer öfter in
finanzielle Bedrängnisse brachte, war einfach nicht mehr
länger hinnehmbar. Darin besteht ebenfalls Konsens.
Vor diesem Hintergrund haben wir von mehreren
zielführenden Vorschlägen und Möglichkeiten denjenigen Weg gewählt - übrigens auch aufgrund von Anregungen aus der Opposition -, der nach unserer Auffassung zunächst der geradlinigste und vor allem auch der
interessengerechteste Weg ist, um den negativen Umständen schnell und unverzüglich entgegenwirken zu
können.
Ich habe an dieser Stelle ganz bewusst das Wörtchen
„zunächst“ gebraucht, denn über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus sind bei den Koalitionsfraktionen
durchaus auch Überlegungen vorhanden, ein übergreifendes, zusammenführendes Bauvertragsrecht zu erarbeiten. Da ein Vorhaben „Bauvertragsgesetz“, das allen
denkbaren Anforderungen eines umfassenden und komplexen Bauvertrags gerecht wird, aber in Anbetracht des
erforderlichen raschen Regelungsbedürfnisses nicht geleistet werden konnte, mussten die von uns als wichtig
erachteten vielfältigen neuen Instrumentarien zunächst
in den Allgemeinen Teil und in den Werkvertragsteil des
BGB eingegliedert werden.
Dabei wurde von meiner Fraktion auch sehr auf Ausgewogenheit der Regelungen hinsichtlich des Verbraucherschutzes geachtet, denn bei aller Regelungsbedürftigkeit durfte eines auf keinen Fall vergessen werden:
Wer gesetzliche Vorschriften auf diesem Gebiet erlässt,
darf nicht einäugig nur auf die Not leidende Bauwirtschaft blicken. Auch das ohnehin schon große finanzielle Risiko der privaten Häuslebauer durfte nicht ins Unüberschaubare getrieben werden. Bei den Verbrauchern
durfte keinesfalls eine bestimmte Schwelle überschritten
werden, damit sie nicht von einem einmal gefassten
Bauentschluss Abstand nehmen. Dies nämlich kann
auch nicht im Sinn der Bauwirtschaft sein.
({0})
Für diese Überzeugung, für einen effektiven
Verbraucherschutz haben wir uns vom Bündnis 90/Die
Grünen stark eingesetzt. Wir befanden uns auf einer
Gratwanderung, die nicht zu einer schädlichen Übersicherung der Bauindustrie führen durfte.
Die notwendigen Schritte, die in Angriff genommen
wurden, mussten also folgenden Kriterien genügen: Sie
mussten ein ausgewogenes Verhältnis von Gläubigerund Schuldnerschutz gewähren. Sie mussten rechtsstaatlich unbedenklich sein. - So halte ich den Vorschlag der
Union für eine richterliche Vorabverfügung nach wie
vor nicht für vertretbar und für eines sorgfältigen und
unparteilich handelnden Richters nicht würdig - Sie
mussten transparent und verständlich sein und ohne großen bürokratischen Aufwand vollzogen werden können.
Die Forderung nach Anderkonten etwa entspricht letzterem Erfordernis nicht.
Mit dem Unionsentwurf wird vorgeschlagen, das Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen in das
BGB zu integrieren. Das konnte meines Erachtens zu
nichts führen und wurde folglich von uns auch nicht berücksichtigt. Das Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen findet ohnedies auch bisher schon weitgehend keine Beachtung und führt außerdem nicht zu einer
beschleunigten Zahlung, da es lediglich dazu verpflichtet, eingehende Baugelder und ihre Verwendung in Baubüchern festzuhalten. Es besagt aber nichts darüber, ob
und aus welchen Gründen Baugelder zurückbehalten
werden können. Das aber ist das eigentliche Problem.
Den oben geschilderten Anforderungen kann auch der
Antrag der PDS nicht gerecht werden. Ja, die PDS konterkariert sogar ihren eigenen Antrag. So fordert sie
zwar rechtsstaatlich unbedenkliche Schritte, verlangt
aber andererseits bei Mahnverfahren, die ins streitige
Verfahren übergeleitet worden sind, ein Urteil innerhalb
von 120 Tagen ab Rechtshängigkeit. Wie dies bei Bauprozessen, die die Einschaltung von Sachverständigen
erfordern, möglich sein soll, bleibt das Geheimnis der
PDS. Ohnedies scheint der Antrag der PDS von einem
grenzenlosen Misstrauen in die Justiz beseelt zu sein.
({1})
Denn in ihm ist pausenlos von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Justizkasse die Rede und weniger
von solchen der Bauvertragspartner.
Das von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Instrumentarium orientiert sich an dem Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der
Zahlungsmoral“ und den Ergebnissen der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses. Es ist geeignet,
den ungerechtfertigten Verschleppungen von Zahlungen
wirksam entgegenzutreten und zugleich den Verbraucherschutz zu verbessern.
Der bei fälligen Geldschulden automatisch eintretende Verzug nach 30 Tagen, gerechnet ab Rechnungslegung, schafft erstens Rechtsklarheit auch für den juristischen Laien - mein Vorredner, Herr von Stetten, hat
schon gesagt, dass sich die Problematik von Examensklausuren in Zukunft dramatisch verringern wird - und
führt zweitens dazu, dass die Zahlungsfrist „europäisiert“ wird. Die Anhebung des Verzugszinses von bisher 4 Prozent auf zukünftig 5 Prozent über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungs-Gesetzes -
das entspricht etwa einer Anhebung auf zurzeit
7 Prozent - bedeutet das Aus für die Inanspruchnahme
billiger „Justizkredite“.
Durch den gesetzlichen Anspruch auf Abschlagszahlungen wird der Unternehmer in die Lage versetzt,
Vor- und Teilleistungen zu erbringen, ohne aufwendige
Vorfinanzierungen tätigen zu müssen, wenn er dem
Verbraucher Eigentum oder Sicherheit an den Sachen
verschafft - übrigens wieder ein Verbraucherschutzaspekt. Die Abnahmefiktion und Abnahmepflicht bei unwesentlichen Mängeln garantiert dem Unternehmer eine
schnelle Vergütung seiner Leistung. Gleichzeitig erhält
der Besteller die gesetzliche Möglichkeit, einen „Druckzuschlag“ einzubehalten, wenn der Unternehmer vorhandene Mängel nicht beseitigt.
Die Fertigstellungsbescheinigung erspart beiden
Parteien eventuell ein gerichtliches Gutachten - zumindest beschleunigt sie ein solches -, weil sie frühzeitig
Klarheit über bestehende oder nicht bestehende Mängel
bringt, und animiert den Werkunternehmer, Mängel gegebenenfalls schnell zu beseitigen. Damit kann auch in
diesem Instrument eine Verbraucher schützende Wirkung gesehen werden.
Ich bin der Ansicht, dass uns insgesamt ein zielführender und ausgewogener Gesetzentwurf und damit ein
guter Wurf gelungen ist, der die Zustimmung des ganzen
Hauses verdienen würde.
({2})
Für die F.D.P.Fraktion spricht nun der Kollege Jürgen Türk.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns
zum wiederholten Male mit der Beschleunigung fälliger
Zahlungen in der Absicht, heute endlich dieses leidige
Problem vom Tisch zu bekommen und natürlich auch
eine Lösung zu finden.
Nicht nur Rechnungen sind fällig. Es ist auch lange
überfällig, hier wieder Ordnung zu schaffen. Die Politik
muss künftig schneller handeln, denn nur schnelle Hilfe
ist wirkliche Hilfe. Trotzdem gibt es quer durch alle Parteien Fundamentalisten - so sage ich das mal - die jetzt
fragen, warum man zur Wiederherstellung der ZahHelmut Wilhelm ({0})
lungsmoral ein Gesetz benötige. Dies sei nur eine Sache
der Liquidität und der Leistungsfähigkeit der Gerichte
sowie der Unternehmen.
Diesen Schlaubergern sage ich: Das stimmt fast alles,
aber können wir auf die Liquidität der kleinen und mittleren Unternehmen bauen, wenn die Eigenkapitaldecke
durch nicht bezahlte Rechnungen immer dünner wird?
Oder wollen wir auf eine längst überfällige Justizreform - damit meine ich nicht die geplante - warten?
Hoffen und Harren macht manchen zum Narren - und
natürlich viele Handwerker zu Pleitiers.
Hier besteht schon lange Handlungsbedarf; das richtet sich an alle, die hier sitzen. Der Staat sollte jedoch
nicht zum Überregulierer, aber auch nicht zum Nachtwächter werden. Die Erhaltung des Leistungsprinzips
und der Rechtsstaatlichkeit ist wohl eindeutig eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Ich hoffe, dass wir uns wenigstens darüber einig sind.
Akuter Handlungsbedarf besteht, weil es in Deutschland modern geworden ist, seine Rechnungen viel zu
spät oder gar nicht zu begleichen. Dies hat nichts mehr
mit Leistungsprinzip oder Rechtsstaatlichkeit zu tun.
1999 haben 29 Prozent der Schuldner, also fast ein Drittel, ihre Rechnungen nicht vereinbarungsgemäß bezahlt
und die Tendenz ist steigend. Selbst wenn dies ein europäisches Problem ist, darf es nicht sein, dass wir dieses
Problem nicht angehen.
Kaum zu glauben, aber wahr: Laut Statistik des Betriebswirtschaftlichen Instituts der Bauindustrie brauchen Bund und Länder - das muss man hier auch einmal
sagen - am längsten zur Bezahlung ihrer Rechnungen.
Der jetzige Stand ist: Der Bund benötigt 95 Tage, die
Länder liegen bei 90 Tagen und die Kommunen brauchen 73 Tage. Das kann mit Sicherheit nicht so bleiben.
Private Investoren sind schneller - aber was heißt
schon „schneller“? - , sie begleichen ihre Schulden bereits nach 55 Tagen. Trotzdem stellen private Investoren
das höhere Risiko dar, weil sie öfter vorsätzlich gar
nicht oder erst nach einem langjährigen Gerichtsprozess
zahlen. Dieser endet häufig mit einem Vergleich und
dem Ergebnis, dass die Auftraggeber nur 50 Prozent ihrer Schulden abgelten müssen. Damit kann man sicherlich nicht leben.
Die schlechte Zahlungsmoral ist kein Kavaliersdelikt,
als welches sie lange Zeit angesehen wurde, sondern eine im Sinne des Wortes mörderische Praxis: Sie trieb
1999 rund 3 100 Handwerksbetriebe in den Ruin. Allein
dadurch sind 30 000 bis 40 000 Arbeitsplätze verloren
gegangen. Deshalb haben wir noch in der alten Koalition - das muss auch einmal gesagt werden - einige
Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel
die Zwangsvollstreckungsnovelle
({1})
- bitte schön - und die Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts. Aber das Schiedsverfahrensrecht muss
natürlich auch angewendet werden. Ich erneuere hier
meinen Vorschlag an die Kammern und Verbände, endlich einmal gemeinsam regionale Schiedsgerichte als Pilotprojekte einzurichten, um die außergerichtliche Streitschlichtung auszuprobieren.
({2})
Wenn wir von diesen Dingen sprechen, muss ich
auch an das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Insolvenzgesetz erinnern. Hinsichtlich seiner Umsetzung hat
sich jedoch noch nichts getan. Es gibt viele unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten Geratene, denen mit diesem Insolvenzgesetz geholfen werden soll. Dies muss
endlich in Gang gesetzt werden, damit den unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten Geratenen und den
Gläubigern geholfen werden kann.
Da diese Maßnahmen noch nicht die erforderliche
Wirkung zeigten - das muss man realistischerweise sagen - , brachten die damaligen Regierungsparteien, also
wir, einen entsprechenden Antrag ein, der aufgrund des
Regierungswechsels natürlich nicht mehr umgesetzt
werden konnte.
({3})
Deshalb wurde die F.D.P.-Fraktion im März 1999 mit
dem Antrag „Zahlungsverzug bekämpfen - Verfahren
beschleunigen - Mittelstand stärken“ wieder initiativ.
Das Ergebnis ist der jetzt, wenn auch wieder mit Verspätung, vorgelegte Gesetzentwurf. Immerhin war unser
Antrag eine positive Provokation.
({4})
Natürlich - jetzt komme ich zur Zustimmung - sind
wir mit dem automatischen Verzugseintritt nach 30 Tagen einverstanden. Den Mindestverzugszins anzuheben
und so die Hemmschwelle zu erhöhen, ist ebenfalls richtig, weil dies den Anreiz für einen Justizkredit ein Stück
weit zurücknimmt.n Ich frage mich allerdings, warum
man nur 5 Prozent auf den Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aufschlägt; denn das Ergebnis ist:
Wir erhöhen von 4 Prozent auf 7,68 Prozent, also auf
knapp 8 Prozent, und der Überziehungskredit der Bank
kostet immer noch über 10 Prozent. Diese Lücke haben
wir immer noch nicht ganz geschlossen. Ich hätte es lieber gesehen, wenn wir uns der europäischen Norm angepasst hätten; denn sie liegt meines Erachtens auch
über 5 Prozent.
({5})
Dass man künftig wegen unwesentlicher Mängel die
Bezahlung nicht mehr verweigern kann, ist ebenfalls gut
und richtig; ebenso, dass der Auftraggeber einen angemessenen Teil der Vergütung einbehalten kann, um auf
die Beseitigung von Mängeln hinwirken zu können. Das
muss natürlich gesichert sein. Man kann sich darüber
streiten, ob das Dreifache das richtige Maß ist. Es muss
aber eine Möglichkeit geben, dass Mängel beseitigt
werden.
Für sinnvoll halte ich ferner, dass in Zukunft für
Hauptunternehmer die Verpflichtung besteht, nach erfolgter Zahlung auch die Rechnungen der Nachunternehmer, also die der kleinen Unternehmer zu begleichen.
Bei der Fertigstellungsbescheinigung, die der Abnahme gleichgesetzt werden soll, ist meines Erachtens
zu beachten, dass die Gutachtersuche und die Gutachtnenerstellung nicht wieder unzumutbare Verzögerungen
hervorrufen. Ich denke, hier kann man die ohnehin
durchzuführenden Bauabnahmen einbeziehen.
Hinsichtlich des § 648a BGB, der so genannten
Handwerkersicherung, könnte ich mir schon vorstellen, dass aus der jetzigen Kann- eine Mussbestimmung,
für die ich immer gekämpft habe, gemacht wird.
({6})
Eines ist natürlich klar: Die Kannbestimmung wird nicht
wirksam. Das ist in der Praxis nun einmal so. Wir haben
in der interfraktionellen Arbeitsgruppe zusammengesessen, und wenn wir ein wenig intensiver beraten hätten,
hätten wir auch eine praktikable Lösung finden können.
Wir wollen aber noch nachbessern; vielleicht können
wir das dann auf diesem Weg erreichen.
Über den Gesetzentwurf hinaus bleibt es notwendig,
dass in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen dafür
geschaffen werden, dass Schuldner eine Zwangsvollstreckung durch Vermögensverschiebung nicht mehr
vorsätzlich verhindern können. Das ist ein schwieriges
Problem, aber ich glaube, wir müssen es trotzdem angehen, damit nicht kriminell gehandelt und Vermögen verschoben wird.
Alles in allem aber, Herr Hartenbach, ist das Gesetz
ein Fortschritt. Deshalb wird die F.D.P. dem Gesetz
auch zustimmen.
({7})
Allerdings sollte es laufend auf seine Wirksamkeit hin
überprüft werden. Es nützt nichts, ein Gesetz nur um
seiner selbst willen zu machen. Nach In-kraft-treten sollten nach angemessenen Fristen Prüfberichte vorgelegt
werden. Wir sollten das also in der Praxis begleiten.
Stellt sich heraus, dass sich die Zahlungsmoral nicht wesentlich verbessert hat, sind in Abstimmung mit Unternehmen und Verbänden - darauf lege ich Wert - sofort
Nachbesserungen im Gesetz vorzunehmen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort für die
Fraktion der PDS hat nun der Kollege Rolf Kutzmutz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Notwendigkeit, das
Problem mangelnder Zahlungsmoral anzugehen, gab
und gibt es kaum unterschiedliche Auffassungen. - Herr
von Stetten, wenn es nur am Schauen und Trauen liegt,
dann muss ich sagen: Offensichtlich trügt der Schein
allzu oft. Das wäre aber noch das kleinere Problem. Das
größere ist, dass sich die Zechprellerei regelrecht zum
Volkssport entwickelt hat und viele kleine Betriebe
darunter leiden. -
({0})
Das Problem „Zahlungsverzug und Zahlungsmoral“, für
das heute eine gesetzgeberische Lösung gefunden werden soll, ist weder neu, noch ist seine Brisanz von unserer Fraktion bisher gering geschätzt worden. Vor fast einem Jahr, im April 1999, befasste sich dieses Haus
erstmals in dieser Wahlperiode mit drei Initiativen zu
diesem Thema. Diese drei sollen heute nun für erledigt
erklärt werden, um einem Koalitionsentwurf Gesetzeskraft zu verleihen.
Herr Kollege Wilhelm, Sie haben vorhin ausführlich
die Redebausteine vom April 1999 verwandt, als Sie das
eingeschätzt haben, was die PDS geleistet hat. Sie sollten zumindest eingestehen, dass sie eine der drei Fraktionen war, die etwas eingebracht haben. Sie sollten auch
eingestehen, dass eine Vielzahl von Vorschlägen durchaus sinnvoll ist. Auch wenn Sie mit einigen Vorschlägen
nicht einverstanden sind, haben die restlichen dazu gedient, dass die Koalition überhaupt einen ordentlichen
Vorschlag vorlegen konnte. Das sollte man in aller Fairness zugestehen.
({1})
Ich habe diesen Ablauf noch einmal beschrieben, weil
ich meine: Für einige vernünftige - und hoffentlich auch
effektive - Dinge wurde viel zu viel Zeit vertan. Über
die heute zu beschließende Anhebung und Flexibilisierung des gesetzlichen Verzugszinses herrschte schon vor
einem Jahr Einigkeit. Die automatische 30-Tage-Frist
des In-Verzug-Geratens, sofern nicht ausdrücklich etwas
anderes vereinbart wurde, ist ebenfalls ein begrüßenswerter Fortschritt zugunsten der Gläubiger. Sie entbürokratisiert und verbilligt darüber hinaus etwas die Titulierung von Forderungen. Deshalb werden wir uns als
PDS-Fraktion dem Gesetz nicht verweigern.
Darüber hinaus, so fürchte ich - ich rechne gleich mit
Ihren vehementen Protesten - , werden die neuen
Regelungen aber weitgehend folgenlos bleiben. Schon in
der Anhörung Ende September deutete sich an: Das nun
einzuführende Bescheinigungsverfahren bei Streit um
Mängel oder Fertigstellung eines Werkes wird bestenfalls ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gutachter,
aber kein wirksames Instrument zur Beschleunigung fälliger Zahlungen.
Dieses Grundproblem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, konnte auch in der Ausschussarbeit nicht beseitigt werden. Dort kamen darüber hinaus
sogar Veränderungen zustande, die dem selbst gesetzten
Ziel, Verbesserung der Zahlungsmoral, aus meiner Sicht
widersprechen. Nur beispielhaft nenne ich den ersatzlosen Wegfall der für § 641 BGB ursprünglich vorgeschlagenen Regelung, wonach bei Mängeln dennoch die
Vergütung fällig wird, wenn der Unternehmer für das
Dreifache der bescheinigten Mängelbeseitigungskosten
Sicherheit leistet.
Dadurch wird der allseits kritisierten, regelrecht grassierenden Methode der Zahlungsverweigerung durch
Mängelrüge nicht nur nicht entgegengewirkt, sondern
sogar noch Vorschub geleistet; denn jetzt heißt es, dass
der Besteller bei Mängeln die Vergütung mindestens in
Höhe des Dreifachen der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten verweigern kann. Was aber,
wenn vielleicht demnächst Gerichte die Zurückhaltung
der gesamten Vergütung für angemessen halten, nur
weil der Gesetzgeber das bisher Übliche nun als Mindestwert definiert?
Das neue Gesetz droht also in vielen Teilen folgenlos
zu bleiben oder die Lage gar zu verschlimmbessern. In
dem Fall sage ich ausdrücklich das, was auch Herr Türk
gesagt hat: Es muss betrachtet werden, wie das Gesetz
wirkt. Wir sollten Vereine, Verbände und Betroffene
immer wieder mit einbeziehen, um zu prüfen, wie es in
der Praxis ankommt.
Dieses „Verschlimmbessern“ gilt allerdings auch für
den CDU/CSU-Entwurf. Ich meine seinen Schwerpunkt
„richterliche Vorabverfügung für Teilbeträge“. Das
umgesetzt würde nichts gewonnen, weil jeder Richter
entweder auf Gutachten warten muss oder sich einer
Lawine von Befangenheitsanträgen der verklagten Besteller aussetzen müsste. Deshalb müssen wir auch Ihren
Entschließungsantrag ablehnen.
Ihre Forderung nach Modernisierung des Gesetzes
über Sicherung von Bauforderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ist bekanntlich auch
die unsrige. Vor allem stimmen wir ausdrücklich Ihrer
Feststellung zu, dass die heute zu beschließenden Maßnahmen nicht ausreichen, mangelnder Zahlungsmoral
wirksam und auf Dauer beizukommen.
Wir hoffen, dass viele Anregungen unseres, aber auch
des F.D.P.-Antrages nach der heute zu erklärenden Erledigung nicht zu den Akten gelegt und verstauben werden, sondern immer wieder zurate gezogen werden,
wenn es entsprechende Anlässe gibt. So sollte die Zentralisierung der Mahngerichte oder die Beschleunigung von Mahnverfahren durch Wegfall des gesonderten Antrages auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides
bei der anstehenden Justizrefom noch einmal bedacht
werden.
Im heute abzuschließenden Gesetzgebungsverfahren
war der Blick allzu sehr auf Gerichtsprozesse fixiert. Es
muss aber vielmehr um Maßnahmen gehen, damit solche Prozesse wesentlich seltener werden, um Maßnahmen, durch die von vornherein deutlich öfter als bisher
eine Leistung bezahlt wird. Nur das ist letztlich die Lösung des gesellschaftlichen Problems.
Danke schön.
({2})
Ich gebe der Kollegin Jelena Hoffmann für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob der Begriff
Zahlungsmoral aus Ostdeutschland kommt, weiß ich
nicht. Aber ich weiß, was viele ostdeutsche Unternehmer mit diesem Wort verbinden. Sie denken dabei an die
Liquiditätsschwierigkeiten, an die Eigenkapitaldecke,
die bei uns immer noch sehr dünn ist, und an die Insolvenz, die unerwartet und sehr oft unverschuldet vor der
Tür steht.
Ich will nicht sagen, dass die mangelnde Zahlungsmoral nur ein ostdeutsches Problem ist, aber in Ostdeutschland ist sie ein Problem. Deshalb müssen wir sehen, dass wir mit diesem Gesetz fällige Zahlungen beschleunigen.
Wir müssen darauf achten, dass wir das Problem
nicht nur für eine Branche lösen, zum Beispiel für die
Baubranche, sondern für alle Bereiche. Wir sollten dabei
auch nicht vergessen, dass ein Handwerker ein Gläubiger, aber auch ein Schuldner sein kann. Das heißt, dass
das Gesetz ausgewogen sein muss, wobei das Hauptziel
bleibt, dass die berechtigten Forderungen schneller beglichen werden müssen.
Dafür sieht das Gesetz unter anderem vor, dass 30
Tage, nachdem die Rechnung eingegangen ist, der Verzug einsetzt. Der lange Weg mit der ersten, zweiten,
dritten Mahnung wird jedem Fliesenleger in der Zukunft
erspart. Damit wird das gerichtliche Mahnverfahren
auch beschleunigt.
Schneller geht es auch mit der Fertigstellungsbescheinigung. So wird dem Hickhack mit den angeblichen Mängeln am Werk ein Riegel vorgeschoben. Vom
Unternehmer kann ein Gutachter bestellt werden, der
feststellen muss, ob das Werk nun Mängel aufweist oder
nicht. Wenn nicht, dann kann eine Fertigstellungsbescheinigung ausgestellt werden, damit der Urkundenprozess stattfinden kann.
Wichtig ist, dass wir unterscheiden müssen, warum
ein Werk, zum Beispiel ein Gebäude, nicht abgenommen und bezahlt wird. Geschieht das, weil ein kleiner
Kratzer in der Ecke entdeckt wurde oder weil die ganze
Heizung nicht funktioniert? Man muss schon unterscheiden, ob die Mängel wesentlich oder unwesentlich
sind. Wenn ein Handwerker wirklich gepfuscht hat, was
natürlich auch vorkommen kann, dann kann das Dreifache der Beseitigungskosten von der Auftragssumme abgezogen werden. Der Rest muss aber bezahlt werden.
Einen Durchbruch haben wir auch in der Frage der
Bezahlung von Subunternehmen erreicht. Das ist gerade für kleine und kleinste ostdeutsche Unternehmen
wichtig.
Wenn der Hauptauftragnehmer sein Geld bekommen
hat, darf er das Geld nicht zurückhalten, sondern muss er
es - so sieht es das Gesetz vor - an die Subunternehmer
weitergeben. Damit erreichen wir, dass Elektriker,
Klempner und Heizungsmonteure das Geld für ihre
Leistungen bekommen, sobald der Hauptauftragnehmer
das Geld erhalten hat. Der so genannte Justizkredit wird
in diesem Fall nicht mehr möglich sein. Er wird übrigens auch nicht mehr interessant sein, weil wir den Verzugszins deutlich erhöhen.
Ein großes Problem, das die Handwerker uns immer
wieder vorgetragen haben, waren die unbezahlten Vorleistungen. Ich kann mich noch erinnern, wie mir sächsische Dachdecker ganz aufgeregt erzählt haben, dass
sie in der Zukunft die Dachziegel vom Dach herunterholen werden, weil sie die Dachziegel bezahlt und eingebaut haben, aber das Geld dafür nicht bekommen.
Liebe Handwerker und besonders natürlich liebe
sächsische Dachdecker, in der Zukunft wird das nicht
nötig sein. Wir führen nämlich einen gesetzlichen
Anspruch auf Abschlagszahlungen für Teilleistungen
und auch Material ein.
Ich muss schon sagen, dass die Handwerker viele
Forderungen an uns gestellt haben.
({0})
Mit unserem Gesetz haben wir für die meisten Antworten gefunden.
Wir wollen übrigens, dass das Gesetz erst am 1. Mai
in Kraft tritt. Wir geben damit allen die Gelegenheit,
sich mit den neuen Regelungen des Gesetzes vertraut zu
machen.
Ich bin mir absolut sicher, dass die Handwerkskammern, aber auch die IHKs die positiven Auswirkungen
unseres Gesetzes erkennen werden.
({1})
Wir werden den Unternehmen das neue Gesetz gemeinsam erklären und wir werden die Unternehmen unterstützen, damit sie den Kampf gegen die schlechte
Zahlungsmoral gewinnen.
({2})
Für die CDU/CSUFraktion spricht Kollege Dr. Michael Luther.
({0})
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange währt,
wird gut - das hätte ich heute an dieser Stelle gern gesagt.
({0})
Es ist leider nicht der Fall. Ich kenne das Gesetz und ich
weiß, wie es wirken wird.
Das Bauhandwerk braucht dringend Hilfe. Jeden
Tag gehen Bauunternehmer wegen uneinbringbarer Forderungen und wegen gewollter Zahlungsverzögerungen
in Konkurs. Wir wissen das seit langem. Helfen wir
wirklich?
Dem Bundestag lagen jetzt zwei Gesetzentwürfe zur
Beratung vor. Es ist also nicht so, dass wir uns nicht mit
dem Problem befasst haben. Wir kennen alles ganz genau und wissen um die Ursachen. Was ist getan worden?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits vor einem
Jahr einen gut vorbereiteten Gesetzentwurf eingebracht,
({1})
der dem Bauhandwerk wirklich helfen würde. Die Beratungen über diesen Gesetzentwurf wurden von Ihnen
lange Zeit verschleppt.
({2})
Wir hätten schon im Frühjahr des letzten Jahres eine
Anhörung durchführen und uns mit Sachverständigen
über das Gesetz auseinander setzen können. Aber erst
nach der sächsischen Landtagswahl, am 29. September,
durfte es eine Anhörung zu diesem Gesetz geben.
({3})
- Nein, das ist die Wahrheit. - Aber es ging noch weiter.
({4})
Ich möchte den Beratungsverlauf kurz beschreiben: Berichterstattergespräche wurden angesetzt, die dann
mehrfach verschoben wurden. Warum? Ich kann es Ihnen sagen: Sie wurden verschoben, weil Ihre Justizministerin, Frau Herta Däubler-Gmelin - ich schätze sie
ansonsten sehr - , in der Öffentlichkeit mehrfach angekündigt hatte, was sie alles machen wolle. Nur, ein Gesetzentwurf lag nicht vor. Das heißt, eigene Vorstellungen von Ihnen gab es lange Zeit nicht.
({5})
Im Beratungsverfahren habe ich auch erfahren, dass
Sie nicht bereit waren, die von uns dargebotene Hand
anzunehmen und angesichts des schwierigen rechtlichen
Felds einen gemeinsamen Entwurf auf den Tisch zu legen. Sie haben uns lediglich vor vollendete Tatsachen
gestellt. Wir konnten nur noch Ja oder Nein sagen. Wir
sind der Meinung: Viele Fragen bleiben offen. Aus diesem Grunde können wir dem Gesetzentwurf leider nicht
zustimmen.
({6})
Ich möchte den Inhalt des Gesetzes wie folgt beschreiben - Herr Kollege Wolfgang Freiherr von Stetten
hat es schon getan - Das Gesetz enthält eine Reihe von
sinnvollen Regelungen, die wir unterstützen. Das Gesetz
enthält nach meiner Ansicht auch eine Reihe von nutzlosen Regelungen, die unschädlich sind und deswegen
auch nicht hätten aufgenommen werden müssen. Aber
das Gesetz enthält auch eine Reihe von schädlichen Regelungen. Das ist das Problem.
Lassen Sie mich ein paar Punkte ansprechen, von denen ich meine, dass sie dringend verbessert oder veränJelena Hoffmann ({7})
dert werden müssten. Sie geben den Bauhandwerkern
Steine statt Brot. Weil Sie aus rein ideologischen Gründen nicht den Wortlaut unseres Gesetzentwurfes übernehmen wollten, nämlich dass eine Abnahme nur bei
wesentlichen Mängeln verweigert werden kann, erfinden
Sie erst den Begriff der Geringfügigkeit und später den
der Unwesentlichkeit, wohl wissend, dass beide völlig
neue Rechtsbegriffe sind und dass erst die Rechtsprechung klären muss, was diese Begriffe eigentlich bedeuten. Die Handwerker brauchen jetzt Hilfe.
({8})
Anstatt auf die Regelung der VOB zurückzugreifen, die
den durch die Praxis der Rechtsprechung geklärten Begriff der wesentlichen Mängel enthält, erfinden Sie
neue Rechtsbegriffe. Sie geben den Bauhandwerkern
Steine statt Brot.
Ich hätte mir an dieser Stelle die Einsetzung einer
Kommission zur Gesetzesfolgenabschätzung gewünscht;
denn die Frage, was mit dem Gesetz eigentlich bewirkt
werden soll - darüber haben wir gesprochen -, konnten
weder Sie noch die Vertreter der Regierung und auch
nicht die Sachverständigen beantworten.
({9})
- Nein, auch ich kann es nicht beantworten, aber ich hätte diese Regelung auch nicht so beschlossen.
Die Errichtung eines Bauwerks, die Renovierung eines Hauses, die Leistungen eines Friseurs und die Herstellung eines Werbespots unterliegen genau demselben
Recht, nämlich dem Werkvertragsrecht. Das ist nicht
mehr zeitgemäß. Die moderne Bauwirtschaft weist heute
so viele Besonderheiten und Spezifika auf, die sich nur
noch schwer unter einem allgemeinen Werkvertragsrecht subsummieren lassen. Diese Erkenntnis hatten
wir bereits vor einigen Jahren beim Reisevertragsrecht.
Deswegen ist im BGB hierfür ein eigenständiger Regelungsteil eingeführt worden. Bislang weigern Sie sich,
so etwas auch für den technisch viel komplizierteren
Baubereich einzuführen. Deshalb bleiben auch die neuen
Regelungen zum Teil unverständlich und lassen Spielraum für Interpretationen mit meiner Meinung nach teilweise nicht vorhersehbaren Folgen für die Bauwirtschaft.
Um Zahlungsflüsse kontrollieren und um sicherstellen zu können, dass Baugeld für eine Bauleistung tatsächlich zur Bezahlung des Bauhandwerkers genutzt
wird, der die Bauleistung erbracht hat, ist die Modernisierung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen vom 1. Juni 1909 notwendig.
Ich meine, dann könnte man böswilligem oder betrügerischem Handeln begegnen, weil man nämlich im von
uns vorgeschlagenen Baubuch nachlesen könnte, was
mit dem Baugeld passiert. Sie haben zwar zugesagt, dass
auf diesem Gebiet etwas getan werden soll. Ich vermute
aber, dass das Ihre Strategie ist, um dieses Thema auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.
({10}), Herr Luther!)
Sagen Sie nicht, dass es in diesem Fall keine brauchbare Lösung gab. Ich verweise an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich auf unseren Gesetzentwurf.
({11})
Wir haben einen Versuch unternommen, eine brauchbare Formulierung vorzulegen. Sie haben noch nicht einmal ansatzweise versucht, sich mit diesem Gedanken zu
beschäftigen, ihn möglicherweise zu ergänzen und zu
verbessern; vielmehr haben Sie unseren Lösungsansatz
von vornherein ad acta gelegt. Ich denke, das Baubuch
wäre wirklich ein Beitrag gewesen, um Schwarzarbeit
ernsthaft zu bekämpfen.
({12})
Sie sind stolz auf Ihre Fertigstellungsbescheinigung.
Das klingt gut, weil es die Abnahme eines Bauwerkes
erleichtern und damit mutwilliger Abnahmeverweigerung entgegenwirken soll. Allerdings wird die Fertigstellungsbescheinigung nur erteilt - das muss ich sagen -,
wenn es überhaupt keinen Mangel gibt. Damit wird es
auch eine Fertigstellungsbescheinigung nicht geben;
denn einen mangelfreien Bau - das zeigt uns die Praxis - gibt es leider nicht.
Die Experten haben Sie bereits in der Anhörung im
September auf die Probleme der Fertigstellungsbescheinigung hingewiesen. Sie haben das zwar überarbeitet;
aber Sie waren nicht bereit, im Rahmen des Berichterstattergesprächs die Sachverständigen einzuladen, um
sich hinsichtlich der neuen Formulierungen noch einmal
beraten zu lassen.
({13})
Wir haben das dann ohne Sie durchgeführt. Wir wollten
keine neue Anhörung. Es wäre nicht fair gewesen, sich
mit diesem Thema in dieser Form zu befassen.
Ein Problem bleibt - das haben uns die Sachverständigen bestätigt, mit denen wir gesprochen haben -: Sie
schaffen ein Instrument, das die Abnahme nicht erleichtert; vielmehr fügen Sie eine Instanz ein, die für den
Bauhandwerker zusätzliche Kosten verursacht.
Ein zentrales Problem der Handwerker ist jedoch,
dass bei einem totalen Forderungsausfall, also zum
Beispiel beim Konkurs eines Generalübernehmers, der
Handwerker alles verliert. Er sieht seine eingebauten
Materialien, den Heizungsofen und das gedeckte Dach.
Allein durch den Einbau ins Gebäude verliert er seinen
Anspruch auf Eigentum und kann es deshalb nicht wieder wegnehmen. Ihre Regelungen zu § 648 a BGB - ich
zitiere aus einem Brief der Landesinnung des sächsischen Dachdeckerhandwerks - bringen „eine wesentliche Verschlechterung“ der bisherigen Situation.
Das zentrale Anliegen der Bauhandwerker, einen adäquaten Ersatz für einen Eigentumsvorbehalt zu schaffen, bleibt ungelöst. Die Handwerker berührt diese Frage
bis ins Mark. Über 180 Handwerker haben sich im September nach Berlin aufgemacht, um in der Anhörung
durch ihre Anwesenheit deutlich zu machen, dass die
Angelegenheit sie wirklich zutiefst berührt. Sie haben
uns gebeten, ihnen in diesem Punkt zu helfen. Ich kann
Ihnen sagen: Wir helfen den Handwerkern in ihrem Anliegen, das sie vorgetragen haben, nicht.
({14})
Die Union erwartet, dass Sie die angekündigten Arbeiten zum eigenständigen Bauvertrag, so wie es auf der
Justizministerkonferenz am 10. Novem-ber 1999 beschlossen wurde, zügig in Angriff nehmen, damit wenigstens in absehbarer Zeit eine Verbesserung für die
Not leidenden Handwerker zustande kommt. Die Bundesregierung stützt das Bauhandwerk weder durch das
Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen noch
durch andere Maßnahmen, die sie zu verantworten hat.
Durch Rücknahme von öffentlichen Investitionen gerade
in den neuen Bundesländern gehen weitere Aufträge
verloren.
Eines ist klar: Zur Beschleunigung fälliger Zahlungen
wird dieses Gesetz nicht wesentlich beitragen. Von den
vollmundigen Ankündigungen der Regierungsfraktionen
aus dem letzten Jahr ist nicht viel geblieben. Die Vorschläge zeigen, dass die Probleme des Handwerks von
der SPD nicht verstanden worden sind.
({15})
Mit diesem Gesetz wird Tausenden von Handwerksbetrieben, die auf die Unterstützung des Gesetzgebers bei
ihren Problemen gehofft haben, nicht geholfen.
Danke schön.
({16})
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nun für die SPD-Fraktion der
Kollege Dirk Manzewski.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen
Tag sprechen wir im Deutschen Bundestag abschließend
über das Thema Zahlungsmoral. Meine beiden Vorredner, vor allen Dingen der liebe Kollege Herr Dr. Luther,
hat nun den Gesetzentwurf der Regierungskoalition kritisiert, aber - das ist bezeichnend - zum eigenen Gesetzentwurf inhaltlich überhaupt nichts gesagt.
({0})
Das hat natürlich seinen guten Grund.
Ebenso wurden einige wesentliche Aspekte etwas
vernachlässigt, die von entscheidender Bedeutung sind.
So zum Beispiel, dass auf Initiative der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ gebildet worden ist, die nach mehreren Sitzungen, einer Verbandsanhörung und einer Sachverständigenanhörung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass
der Entwurf der Regierungskoalition bei weitem der
durchdachtere und effektivere ist. Herr Luther, das hätten Sie heute hier einmal sagen sollen.
({1})
Die Idee eines reinen Bauvertragsgesetzes, wie es
die Union vorschlägt, ist zwar nicht grundsätzlich abgelehnt worden, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist aber
zu der vorsichtig formulierten Auffassung gelangt - ich
zitiere -, dass es insoweit noch „einer näheren Untersuchung“, „einer näheren Prüfung“ und „einer vertiefenderen Erörterung“ bedarf. Das meine auch ich, Herr Luther.
({2})
Wenn man nun auch noch berücksichtigt, dass Vertreter
der Union in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe die Mehrheit gestellt haben, dann weiß man auch ganz genau, wie
man diese doch rücksichtsvollen Formulierungen richtig
zu interpretieren hat. Weniger diplomatisch hätte man
den Entwurf der Union auch als ganz großen juristischen
Mumpitz bezeichnen können.
({3})
Anschauen, Kollege Luther, darf man sich Ihren Gesetzentwurf nämlich nicht genauer.
({4})
- Hören Sie doch einmal zu. Wenn Sie ein bisschen Ahnung von der Materie haben, können Sie mich ja widerlegen.
Den Handwerkern geht es grundsätzlich und vorrangig darum, ihre berechtigten Forderungen schneller beglichen zu bekommen. Nur hierdurch geraten sie nicht in
Liquiditätsengpässe und damit nicht in die Gefahr einer
Insolvenz. Der Entwurf der CDU/CSU hilft ihnen insoweit jedoch überhaupt nicht weiter. Kollege Luther, es
reicht nicht aus, wenn man, indem man einige
Vorschriften aus der VOB, einige Vorschriften aus dem
GSB und einige Vorschriften aus dem BGB nimmt,
meint, ein eigenständiges Bauvertragsrecht und damit
eine Hilfe für das Handwerk geschaffen zu haben. Das
einzige, was Sie geschaffen haben, ist ein Berg sinnloser
Vorschriften, mehr nicht.
({5})
Das Schlimmste daran ist aber, meine Damen und
Herren, dass dieser so geschaffene Vorschriftenberg
überhaupt nur bei einer ganz geringen Vertragskonstellation gelten würde. Man muss sich ohnehin schon fragen, wieso nur Bauhandwerker von so einem Gesetz
profitieren sollen. Das Problem der Zahlungsmoral betrifft mittlerweile viele Verträge. Was die Redner der
Union jedoch wohlweislich verschwiegen haben, ist,
dass sich ihr Gesetzesentwurf noch nicht einmal auf alle
Bauverträge, bzw. auf das, was man damit bezeichnet,
bezieht. So ist zum Beispiel der gesamte typische Einfamilienhausbau hiervon nahezu ausgeschlossen. Wie
wichtig jedoch gerade dieser Bereich für das Handwerk
ist, zeigt die momentane Krise in der Bauwirtschaft.
Das ist aber noch nicht alles. Selbst bei den übrigen
Bauverträgen kommt der Gesetzentwurf der Union
kaum zur Anwendung. Nach dem Gesetzeswortlauf der
Union sollen nur Verträge für Werke an einem Bau geschützt sein. Der Wortlaut ist eindeutig. Errichtet jemand zum Beispiel für eine Firma ein Gebäude, so würde er sich sicherlich auf die von der Union angedachten
Vorschriften berufen können. Was ist jedoch mit all den
Verträgen, die er sodann selbst zur Realisierung seines
Bauvertrages abschließt? Was ist zum Beispiel mit den
Verträgen über Türen, Fenster, Fensterbänke usw. usw.,
die er in der Regel nicht selbst herstellt, sondern anfertigen lässt? Allenfalls, wenn diese von den herstellenden
Firmen auch selbst eingebaut werden, was meistens
nicht der Fall ist, würden hier die Regelungen des Gesetzentwurfes der CDU/CSU nach dessen Wortlaut
„Werk an einem Bau“ zur Anwendung kommen. Ansonsten nicht.
Nun mag man mir erklären, warum für den einen
Fensterbauer das Bauvertragsgesetz gelten soll, für den
anderen aber nicht. Beide haben ein Fenster gebaut, es
liegen jeweils Werkverträge vor; der Unterschied besteht lediglich im Einbau. Das verstehe, wer will, Herr
Dr. Luther. Der Entwurf der Union hätte sogar die Konsequenz, dass derjenige, der ein Fenster baut, aber nicht
selbst einbaut, leer ausgeht, während demjenigen, der
das Fenster nur einbaut, das Bauvertragsrecht der Union
zugute kommen würde. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann doch nun wahrlich nicht sein.
({6})
Was ist weiter mit den Verträgen zur Einrichtung der
Baustelle wie denen zur Bereitstellung des Baustroms?
Was ist mit den Verträgen zur Begleitung des Bauvorhabens wie denen zur Errichtung eines Gerüstes?
Die Union hat den Handwerkern - insbesondere in
Sachsen und Sachsen-Anhalt - zumindest suggeriert,
dass sie alle von ihrem Gesetzentwurf profitieren werden. Die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sieht, wie dargelegt, leider ganz anders aus. Es existiert
im Gesetzentwurf der Union auch keine einzige sinnvolle Vorschrift, mit der Handwerker ihre Ansprüche
schneller gerichtlich geltend machen könnten. Finden
lässt sich hierin lediglich eine so genannte Vorabverfügung, das heißt, der Richter soll im Laufe eines Verfahrens nach billigem Ermessen über Teile des Anspruchs
entscheiden können.
({7})
- Zu dieser Anhörung komme ich gleich.
Ich habe die letzten Monate genutzt, um über das
heute hier zu behandelnde Thema in meiner Heimat mit
Unternehmern und Juristen ausgiebig zu diskutieren.
Außerhalb des Bundestages haben sich von circa
40 Juristen lediglich zwei dafür ausgesprochen. Der eine
war der ehemalige Innenminister meines Bundeslandes
von der CDU, der andere der Sachverständige Dr. Raum
aus der schon angesprochenen Anhörung.
({8})
Wie sich in der Anhörung herausstellte, Herr von
Stetten, ist dieser jedoch nicht unmaßgeblich an der Idee
der so genannten Vorabverfügung beteiligt gewesen.
Wobei es im Übrigen schon bezeichnend ist, Herr
Dr. Luther, wenn man denjenigen, auf dessen Gedanken
der eigene Gesetzentwurf offenbar zumindest mit beruht, als unabhängigen Sachverständigen benennt, ohne
diesen Umstand darzulegen. Aber das spricht für Sie.
({9})
Wie soll ein Richter auch eine Entscheidung treffen,
wenn die Entscheidungsreife fehlt? Ohne Sachverständige ist ein Richter kaum in der Lage, Baumängel fehlerfrei einzuschätzen. So können unscheinbare Feuchtigkeitsschäden im Obergeschoss eines Hauses die ersten Anzeichen für schwere Mängel des Daches sein, mit
der Folge, dass dieses gegebenenfalls völlig erneuert
werden muss. Kürzlich habe ich mir ein Einfamilienhaus
angesehen, in dem das Fußbodenparkett an mehreren
Stellen Wellen aufwies. Ansonsten war es optisch ein
tolles Haus. Der Mangel war Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Das Gericht hatte einen Sachverständigen bestellt, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass
das Fundament des Hauses nicht winterfest und das
Aufbrechen des Parketts ein erstes Anzeichen für das
Brechen des gesamten Fundamentes gewesen ist. Ergebnis: Es lag eine Bauruine vor!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Materie auskennen: Welcher Richter wird sich der Gefahr
einer solchen Fehlentscheidung aussetzen? Was sich die
Union hier ausgedacht hat, hat nichts mit Ermessen zu
tun, sondern geht eindeutig in Richtung Willkür.
({10})
Meine Damen und Herren, bei vernünftiger und fachlicher Betrachtung kann man deshalb nur zu dem Schluss
kommen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, lieber Dr. Luther, § 651 m bis x, das ist nix!
({11})
Wenn wir tatsächlich etwas für die Betroffenen erreichen wollen, müssen wir an den richtigen Stellen ansetzen - und das sind vor allem die der Fälligkeit und des
Verzugs. Genau dies tut der Gesetzentwurf der Regierungskoalition. Da wir bereits inhaltlich ausführlich
hierüber diskutiert haben, will ich mich - nicht zuletzt in
Anbetracht der geringen Zeit, die mir noch zur Verfügung steht - ich nur noch auf die wesentlichen Punkte
beschränken.
Die Verzögerung der Begleichung berechtigter Forderungen muss wirtschaftlich unattraktiv gemacht werden. Dem kommt unser Gesetzentwurf durch eine deutliche Anhebung des Verzugszinssatzes nach. Niemand
soll mehr statt des teuren Bankkredites lieber den billigeren Gläubigerkredit in Anspruch nehmen können. Der
gewählte Zinssatz von 5 Prozent über dem Basiszinssatz
ist dabei nicht, wie der von der Union vorgeschlagene,
aus der Luft gegriffen, sondern bereits durch das
Verbraucherkreditgesetz in der Praxis erprobt. Der angestrebte Zinssatz lässt daher erwarten, dass er sich dauerhaft mit dem tatsächlich entstandenen Verzugsschaden
deckt.
Indem wir dem Handwerker grundsätzlich die Möglichkeit eröffnen, bei vertragsgemäßer Leistung für in
sich abgeschlossene Teile eines Werks Abschlagszahlungen zu verlangen, geben wir ihm die Möglichkeit,
größere Liquiditätsengpässe zu vermeiden und auf diese
Weise keine großen Forderungsausfälle entstehen zu
lassen.
Die Rechtsstellung des Unternehmers werden wir
dadurch verbessern, dass wir im Gesetz deutlich machen, dass eine Abnahme nur bei wesentlichen Mängeln
verweigert werden darf. Der Auftraggeber soll also nicht
mehr bei jedem noch so unbedeutenden Mangel gleich
den gesamten Werklohn zurückbehalten können. Dies
entspricht im Wesentlichen bereits der heutigen Rechtsprechung. Der Schutz des Auftraggebers bleibt dabei
gewahrt, da er die für die Beseitigung des unwesentlichen Mangels erforderlichen Kosten nebst einem
Druckzuschlag zurückbehalten kann.
Zudem wollen wir durch unser Gesetz klarstellen,
dass die unberechtigte Verweigerung der Abnahme einer
Abnahme gleichsteht. Dem kleinen Handwerker werden
wir gegenüber dem Bauträger bzw. Generalunternehmer
dadurch helfen, dass wir seine Forderung bereits dann
fällig werden lassen, wenn letzterer aufgrund der Herstellung des Werks hierfür das Entgelt oder Teile davon
kassiert hat. Der Bauträger bzw. Generalunternehmer
soll also nicht mehr, wie bisher in der Praxis häufig beobachtet, vom Hauptauftraggeber den Werklohn kassieren und die Zahlung gegenüber demjenigen, der das
Werk eigentlich hergestellt hat, mit dem Hinweis auf
vermeintliche Mängel verweigern dürfen.
Mit der so genannten Fertigstellungsbescheinigung
werden wir den Handwerkern bei verweigerter Abnahme wegen vermeintlicher Mängel die Möglichkeit einer
vorläufigen Titulierung ihres Vergütungsanspruchs
schaffen. Hierdurch wird der Anreiz, einen Bauprozess
durch mutwillige Mängeleinreden in die Länge zu ziehen, verloren gehen. Da die Parteien bereits vor einem
teuren Gerichtsverfahren das Prozessrisiko einschätzen
können, gehen wir zudem davon aus, dass wir dadurch
viele Prozesse vermeiden können.
Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für das Handwerk wird zudem die Stärkung der Bauhandwerkersicherheit bringen. Dieses Schwert des Unternehmers zur
Absicherung gegen den Konkurs des Auftraggebers war
bisher stumpf. Zwar durfte der Unternehmer den Vertrag
kündigen und Schadenersatz verlangen, wenn der Auftraggeber hierzu nicht bereit war. Die Darlegung des
Schadens war aber in der Praxis häufig schwierig.
Die pauschalierte Festsetzung einer Schadensvermutung wird dem Handwerker dies abnehmen und den
Auftraggeber eher dazu animieren, dem Unternehmer
die ihm gesetzlich zustehende Sicherheit zu verschaffen.
In gleicher Weise wird im Übrigen der Handwerker geschützt, dem der Auftraggeber im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Sicherheitsforderung zuvorkommen will, und den Vertrag selbst kündigt.
Meine Damen und Herren, wenn wir von Zahlungsmoral reden, dann reden wir insbesondere darüber, dass
Rechnungen grundsätzlich immer später beglichen werden. Das geht mittlerweile so weit, dass in der Bevölkerung vielfach der Eindruck entstanden ist, man müsse
erst nach einer zweiten Mahnung zahlen. Dieser Eindruck ist jedoch ebenso falsch wie fatal. Fällige Forderungen sind grundsätzlich sofort zu begleichen. Die
Mahnung dient lediglich dazu, den Verzug herbeizuführen, um einen weiter gehenden Schaden geltend zu
machen. Dies wollen wir verdeutlichen, indem wir die
Mahnung bei Geldforderungen entbehrlich machen und
den Verzug automatisch 30 Tage nach Fälligkeit und
Zugang einer Rechnung eintreten lassen.
Dies entspricht im Wesentlichen im Übrigen dem
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Handelsverkehr und der Rechtslage der meisten europäischen Staaten, die eine Mahnung - wie bei uns - überhaupt nicht kennen.
Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass das Maßnahmebündel im Gesetzentwurf
der Regierungskoalition zu einer beschleunigten Zahlung fälliger Forderungen und damit zu einer erheblichen Verbesserung der Situation unserer Unternehmer
führen wird. Gleichzeitig soll hiermit das letzte Wort
nicht gesprochen worden sein. Wir sehen durchaus die
besonderen Probleme in der Bauwirtschaft. Ob wir zukünftig zu einem reinen Bauvertragsrecht kommen, bedarf jedoch einer intensiveren und viel eingehenderen
Untersuchung als bisher. Dies haben wir zugesagt; wir
werden uns darum kümmern.
({12})
Erlauben Sie mir abschließend noch einige kurze
Anmerkungen. Ich möchte der Justizministerin für die
hervorragende Mitarbeit und den Einsatz ihres Hauses
danken.
({13})
Zum ersten Mal seit langem wird wieder aus dem Bereich der Justiz nicht nur von Mittelstandsförderung geredet, sondern es wird dafür etwas getan.
({14})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
hatten dazu jahrelang Zeit; Sie haben aber nichts bewegt.
({15})
Aber seit wir an der Regierung sind, kommen Ihnen nur
so die Gedanken - immerhin ein Vorteil.
({16})
Kollege Luther, wenn Sie hier der Regierungskoalition Verzögerungstaktik vorwerfen, dann muss ich unser
erstes Berichterstattergespräch im Dezember erwähnen.
Seinerzeit bin ich davon ausgegangen, dass der Bericht
der Bund-Länder-Arbeitskommission die Grundlage unseres Gespräches sein kann. Ich erinnere mich noch gut
daran, wie Sie damals unvorbereitet aufgetaucht sind
und so getan haben, als wüssten Sie von nichts. Wir waren im Übrigen dazu bereit, eine Woche später das
nächste Berichterstattergespräch zu führen. Zu diesem
Zeitpunkt hatten Sie aber keine Zeit, weil die Weihnachtsferien kurz bevorstanden.
({17})
Herr Kollege Manzewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Luther?
Nein, nicht von Herrn Luther. Ich will zum Schluss meiner Rede kommen.
Herr Kollege Manzewski, dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen,
dass Sie Ihre Redezeit schon längst überschritten haben.
({0})
Noch ein paar Sätze und dann müssen Sie zum Schluss
kommen.
Das ist in Ordnung. Ich beende meine Rede mit einer letzen Bemerkung.
Herr Kollege Luther, selbstverständlich werden wir
darauf achten - das sichere ich Ihnen zu -, inwieweit
unser Gesetz tatsächlich den von uns erhofften und meiner Auffassung nach eintretenden Erfolg bringen wird.
Sollte er wider Erwarten, so wie Sie es suggerieren,
nicht eintreten, werden wir unser ohnehin schon gutes
Gesetz sicherlich weiter verbessern.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({0})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Dr.
Michael Luther.
({0})
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kollegen! Ich will mich nicht zu dem
äußern, was Herr Manzewski gesagt hat.
({0})
Herr Kollege
Luther, die Kurzintervention ist dazu gedacht, dass man
konkret auf den Vorredner eingehen kann.
Ich will konkret
auf eine Bemerkung von ihm eingehen. Er hat wiederum
die Mär erzählt, wir hätten 16 Jahre nichts getan. Ich
will ihn fragen, ob er mir Recht gibt, dass das Problem
aufgrund der Konjunktur am Bau insbesondere in den
neuen Bundesländern erst nach 1996 aufgetreten ist.
({0})
Ich meine, deswegen konnte man vorher gar nichts tun.
Wir haben dieses Problem in den Jahren 1996/97 erkannt und es seinerzeit bereits im Deutschen Bundestag
behandelt. Es gab einen Antrag im Deutschen Bundestag, der im Jahre 1998 von der damaligen Regierungskoalition verabschiedet worden ist. Wir haben unsere eigenen Vorgaben ernst genommen, haben uns mit dem
Problem beschäftigt, über die Wahlpause einen Gesetzentwurf erarbeitet - dies geschah gemeinsam mit dem
Freistaat Sachsen; das ist richtig - und diesen dann vorgelegt.
Sie können uns also nicht vorwerfen, dass wir nichts
gemacht haben. Wir haben uns dieses Problems beizeiten angenommen.
({1})
Zur Erwiderung erhält der Kollege Manzewski das Wort.
Herr Kollege Luther, das
Problem der Zahlungsmoral ist alt. Es ist nicht erst 1996
aufgetaucht, sondern existiert schon ungefähr seit 20
Jahren. Aber selbst wenn wir vom Jahr 1996 reden, wäre
ja Zeit genug gewesen, einen konkreten Gesetzentwurf
vorzulegen.
({0})
Wenn Sie sagen, Sie hätten die ganze Sache angeschoben: Heute ist die Justizministerin von SachsenAnhalt zugegen. Sie könnte Ihnen einiges dazu sagen,
wer die Sache angeschoben hat. Sie waren es nicht, Herr
Luther.
({1})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen zu Ta-
gesordnungspunkt 5 a.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Beschleunigung fälliger Zahlungen auf den
Drucksachen 14/1246 und 14/2752, Buchstabe a.
Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
der Geschäftsordnung des Bundestages vor, unterzeich-
net vom Kollegen Dr. Michael Luther und zwölf weite-
ren Kollegen*). Die Erklärung wird zu Protokoll genommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
({0})
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.
bei Enthaltungen der CDU/CSU-Fraktion und der PDS
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
({1})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu dem soeben
angenommenen Gesetzentwurf auf Drucksache 14/2772.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der CDU/CSU abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbes-
__________
*) Anlage 2
serung der Durchsetzung von Forderungen der Bau-
handwerker auf Drucksache 14/2752, Buchstabe b. Der
Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 14/673 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Ent-
haltung der Fraktion der PDS mit den Stimmen des Hau-
ses im Übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 5b: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel „Zahlungsverzug bekämpfen -
Verfahren beschleunigen - Mittelstand stärken“, Druck-
sache 14/2752, Buchstabe c.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/567 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 5c: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Zahlungsforderungen schneller durchset-
zen - Zahlungsunmoral bekämpfen“ Drucksache
14/2752, Buchstabe d.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/799 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktion der PDS mit den Stimmen des Hauses im
Übrigen angenommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 6 a und
6 b sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ulrich Heinrich, Marita Sehn, Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Agrodiesel tanken - Gasölbetriebsbeihilfe
abschaffen
- Drucksache 14/2384 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forstn
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
b) Beratung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU
Heizöl als Kraftstoff für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft
- Drucksache 14/2690 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Weisheit, Annette Faße, Iris Follak,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Steffi Lemke, Kerstin Müller ({4}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Wettbewerbsposition für die deutsche
Landwirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und
der ländlichen Räume sichern
- Drucksache 14/2766 -
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kersten Naumann und der Fraktion der PDS
Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM
Gasölbeihilfe zurücknehmen
- Drucksache 14/2795 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Matthias Weisheit für die Fraktion der SPD das Wort
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute
über mehrere Anträge, die eines gemeinsam haben: Die
Steuerbelastung für den Treibstoff landwirtschaftlicher
Maschinen, die in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gehandhabt wird und zu starken Wettbewerbsverzerrungen führt, soll harmonisiert werden.
Ausdrücklich genannt wird dieses Ziel allerdings nur im
Antrag der Koalition. Die Opposition setzt den Weg
fort, den sie in 16 Jahren Regierungsverantwortung gegangen ist, nämlich mit nationalen Steuermitteln das
auszugleichen, was man auf europäischer Ebene zu regeln versäumt hat.
({0})
Den Kommissionsentwurf für eine europäische
Harmonisierung gibt es länger als die rot-grüne Regierung. Er war aber nie ein Schwerpunkt europäischer
Bemühungen der alten Regierung.
Annähernde Wettbewerbsgleichheit ist aber nur auf
europäischer Ebene zu erreichen. Das gilt nicht nur für
die Treibstoffbesteuerung, sondern auch für die Mehrwertsteuersätze oder die von uns Agrarpolitiker in den
letzten Monaten immer wieder beschäftigenden Probleme im Pflanzenschutz. Auch hier haben wir von der alten Regierung ein Erbe übernommen, das in der Frage
der fairen Wettbewerbschancen im Bereich der landwirtschaftlichen Sonderkulturen möglicherweise noch
gravierendere Probleme aufwirft als die Treibstoffbesteuerung.
({1})
- Keine Zwischenfrage. Nein.
Wie gesagt, die CDU/CSU macht es sich sehr einfach. Sie fordert „Heizöl in den Tank der Traktoren“ und
kann sich sicher sein, auf Bauernversammlungen mit
dieser Forderung viel Beifall einzuheimsen.
({2})
Es fragt sich, warum Sie diese anscheinend so einfache
Lösung nicht schon vor drei, vier oder fünf Jahren in
Antragsform gegossen und umgesetzt haben.
({3})
Denn schon damals gab es ordentliche Steuerunterschiede innerhalb der EU. Ich gehe sicher nicht fehl in der
Annahme, dass Ihre Umweltpolitiker - aus gutem Grund
übrigens - und Ihr Finanzminister Derartiges verhindert
haben.
Es macht auch überhaupt keinen Sinn, mineralischen
Treibstoff in der Landwirtschaft so billig zu machen,
dass Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen, die die
Landwirtschaft produziert und die angesichts der Überschüsse und des dadurch bedingten Preisverfalls im Bereich der Nahrungsmittelproduktion zu einem immer
wichtigeren Standbein der Landwirtschaft werden, aus
betriebswirtschaftlichen Gründen keinerlei Chance hat,
auch in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Unser
Ziel muss es sein, Treibstoff, den die Landwirte herstellen, in erster Linie in der Landwirtschaft zu verwenden.
({4})
Da gilt es noch technische Probleme zu lösen - dafür
haben wir im Haushalt Geld eingesetzt -, aber auch
Denkbarrieren einzureißen.
Meine Damen und Herren, der F.D.P.-Antrag, der
auch zur Diskussion steht, fordert zwar ebenfalls Heizöl
statt Diesel, was wir aber aus den genannten Gründen,
aber auch aus finanziellen Gründen nicht verantworten
könnten. Die Einsparaktionen der Koalitionsregierung
waren doch umungänglich, weil uns die alte Regierung
einen Schuldenberg hinterlassen hat, bei dem jede vierte
Steuermark zur Zinsleistung benötigt wurde. Aus dieser
Verantwortung können Sie sich nicht stehlen, auch wenn
Sie dies gern tun würden.
({5})
Auch hier gilt, was ich anfangs gesagt habe: Sie können nicht in Europa Kriterien für den Euro beschließen,
die zu absoluter Haushaltsdisziplin zwingen, und im
Nachhinein so tun, als wären Sie bei der ganzen Veranstaltung nicht dabei gewesen und könnten die ungehemmte Ausgabenpolitik so weitertreiben wie bisher.
Die F.D.P.-Forderung nach Heizöl statt Diesel ist wie
die der Union ordentlicher Wahlkampf, aber völlig unseriös. Mit dem Hinweis - leider nur in der Begründung -,
die aufgrund der Abschaffung der Gasölbetriebsbeihilfe frei werdenden Mittel im Agrarhaushalt für die Gemeinschaftsaufgabe einzusetzen, gibt es durchaus eine
Gemeinsamkeit.
Mit unserem Antrag, der die Einführung eines festen
Steuersatzes für Argradiesel beinhaltet, schaffen wir die
Vizepräsident Rudolf Seiters
Voraussetzung, die Gemeinschaftsaufgabe in dieser Legislaturperiode so zu bedienen, dass die Länder, die kofinanzieren müssen, keinerlei Grund zur Klage haben
werden.
({6})
Vielmehr werden einige Länder Probleme haben, ihre
Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
({7})
Wir werden- wegen der Notwendigkeit, im Jahre 2001
die Gasölverbilligung für das laufende Jahr bezahlen zu
müssen, erst im Jahr 2002 in der Agrarsozialpolitik
neue Akzente setzen können. Voraussetzung hierfür ist
aber, dass bei der überfälligen Reform bei den Trägern
des agrarsozialen Sicherungssystems Nägel mit Köpfen
gemacht werden.
Zuschüsse aus Mitteln der Steuerzahler sind in einer
Branche, die seit Jahrzehnten einem immensen Strukturwandel unterworfen ist, gerechtfertigt und notwendig.
Aber Solidarität innerhalb des Berufsstandes und eine
optimale Verwaltungsstruktur sind Voraussetzung für
diese staatlichen Leistungen.
Wir haben die Bäuerinnen und Bauern mit den Gesetzen zur Einkommensteuerreform, zur Ökosteuer und zur
Haushaltskonsolidierung belastet.
({8})
- Ich wiederhole: Wir haben sie belastet. - Deshalb ist
unser Ansatz richtig, bis zur Harmonisierung der
Treibstoffbesteuerung in Europa, die die Regierung
vorantreiben wird, die Wettbewerbsfähigkeit auch durch
einen stabilen Steuersatz für Agrardiesel zu sichern,
gleichzeitig aber den von den Landwirten produzierten
Biodiesel betriebswirtschaftlich nicht ins Abseits zu
stellen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch ein Wort des
Dankes. - Leider muss ich zum Schluss kommen; die
Zeit rennt. - Ich möchte mich bei allen aus meiner Fraktion und der Fraktion der Grünen bedanken, die daran
mitgewirkt haben, dass wir zu der Entlastung um
700 Millionen DM gekommen sind.
({9})
- Ja, natürlich! 700 Millionen DM mehr Geld als bisher
bedeuten eine Entlastung, darüber braucht man gar nicht
zu diskutieren!
({10})
Ich bedanke mich bei meinen Kollegen, die das mitgetragen haben, insbesondere bei Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke und bei Hans Eichel, der die Mindereinnahmen letztlich verkraften muss.
({11})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Albert Deß.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die
Energiekostensituation in der Landwirtschaft ist deshalb
notwendig, weil die Landwirtschaft durch die von RotGrün getragene Bundesregierung laufend mit neuen Belastungen konfrontiert wird. Man kann, Herr Minister,
die rot-grüne Agrarpolitik auch als „NullachtfünfzehnPolitik“ bezeichnen: null Entlastung für unsere Bauern,
dann werden unseren Bauern acht Belastungen von 15
angekündigten zugemutet und der Minister lässt sich
feiern, dass das Ganze nicht gar so schlimm gekommen
ist.
({0})
Unter dem Strich bedeutet dies aber, dass unsere
Bauern im Wettbewerb schwere Nachteile gegenüber ihren europäischen Kollegen hinnehmen müssen.
({1})
Ich bin auch der Meinung, dass diese rot-grüne Agrarpolitik die Existenz vieler bäuerlicher Betriebe in unserem Land gefährden wird. Besonders ärgert mich, dass
im Sozialbereich so unsozial gehandelt wird.
Minister Funke fordert in Presseerklärungen, dass unsere Landwirtschaft wettbewerbsfähiger werden müsse.
({2})
Das ist in Anbetracht der Politik, die Sie, Herr Minister,
zu verantworten haben, ein reines Ablenkungsmanöver.
({3})
Wie soll denn die deutsche Landwirtschaft wettbewerbsfähiger werden, wenn diese Bundesregierung ihr laufend
neue nationale Belastungen aufbürdet?
({4})
Wer pausenlos von der Wettbewerbsstärkung der
deutschen Landwirtschaft spricht, muss auch danach
handeln.
({5})
Die von der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P. geforderte Möglichkeit, Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Landwirtschaft zuzulassen, ist ein entscheidender
Schritt zur Stärkung der deutschen Landwirte im Wettbewerb. Eine solche Regelung hat auch den Vorteil, dass
keine eigene Vertriebslogistik notwendig ist. Bei der
jetzt vorgesehenen Regelung mit Agrardiesel wird mir
berichtet, dass nach Auffassung des Mineralölhandels
zusätzliche Kosten entstehen werden. Bei Heizöl als
Kraftstoff in der Landwirtschaft ist auch die Kontrolle
denkbar einfach. Es ist kein bürokratischer Aufwand
notwendig. Mit dieser Maßnahme würde die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirte innerhalb der Europäischen Union, auch im Hinblick auf die nächste WTORunde, entscheidend gestärkt.
Es ist doch in diesem Hause weitgehend unbestritten,
dass unsere Landwirtschaft wichtige Funktionen für unser Land erfüllt und Grundlage für Millionen von Arbeitsplätzen ist. Deshalb sollten wir hier einen breiten
Konsens für eine Entscheidung zugunsten der deutschen
Landwirte finden. An den finanziellen Zwängen darf
dies nicht scheitern.
({6})
Wenn wir wollen, dass unsere Landwirtschaft weiter
ihre vielfältigen Aufgaben erfüllt und dadurch Arbeitsplätze gesichert werden, müssen wir gemeinsam dafür
sorgen, dass sie auf der Kostenseite entlastet wird. Eine
solche Entscheidung ist auch ein positives Signal für unsere jungen Landwirte und ein Zeichen, mit dem wir ihnen wieder Mut für die Zukunft machen können. Dies ist
ein Mosaikstein, dem jedoch viele andere hinzugefügt
werden müssen.
Während die deutsche Landwirtschaft seit der rotgrünen Regierungsübernahme einseitig national belastet
wird, erhöhen andere Länder ihre Agrarförderungen.
({7})
Der australische Landwirtschaftsminister hat kürzlich
ein Hilfspaket für die australischen Milchfarmer in Höhe
von 2,18 Milliarden DM beschlossen. Es ist interessant,
wie dieses in Australien finanziert wird - ich habe es
bereits gestern den Kollegen dargestellt -: In Australien
wird auf den Verbraucherpreis für Milch eine Abgabe
von 14 Pfennig pro Liter erhoben, damit dieses Paket finanziert werden kann.
({8})
Warum diskutieren wir nicht gemeinsam über ähnliche
Wege, damit unsere Landwirtschaft auch in Zukunft ihre
Aufgaben erfüllen kann? Wir von der Opposition sind
bereit, mit der Regierung darüber zu diskutieren.
({9})
An diesem australischen Vorgehen ist interessant,
dass die Farmer anscheinend auch in dem Land, in dem
eine Liberalisierung am heftigsten gefordert wird, nicht
in der Lage sind, zu Weltmarktagrarpreisen Milch zu
produzieren. Sonst wäre dieses Hilfspaket in Höhe von
2,18 Milliarden DM nicht notwendig. Bezogen auf die
Förderung pro Farmer übersteigt das bei weitem das,
was in Europa für die Milchbauern ausgegeben wird.
Eine in die Zukunft gerichtete nationale Agrarpolitik,
die unseren Bauern Chancen für die Zukunft gibt, muss
die deutsche Landwirtschaft auf der Kostenseite entlasten und nicht belasten, wie dies durch die Bundesregierung laufend erfolgt. Die einseitige Ökosteuerbelastung der Landwirtschaft ist eine Ungerechtigkeit, die so
nicht hingenommen werden kann.
({10})
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung
auf, ihren Reden Taten folgen zu lassen und die deutschen Bauern spürbar zu entlasten.
Die von Rot-Grün angekündigte Entlastung ist nur
der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Die
Einführung des Agrardiesels mit einem festen Steuersatz von 57 Pfennig pro Liter ab 2001 und die Verwendung der im Rahmen der Gasölrückerstattung frei werdenden Mittel für die Agrarsozialpolitik bzw. für die in
diesem Zusammenhang bestehende Gemeinschaftsaufgabe und im Rahmen der Förderung nachwachsender
Rohstoffe bewirken eine Entlastung, die sich im Vergleich zur gigantischen Belastung der deutschen Landwirtschaft sehr bescheiden ausnimmt. Die Wettbewerbsverzerrungen durch die unterschiedlichen Dieselsteuersätze innerhalb der Europäischen Union werden nicht
beseitigt. Ein Liter deutscher „Agrardiesel“ wird immer
noch rund doppelt so viel kosten wie zum Beispiel für
die französischen und dänischen Bauern ein Liter Treibstoff.
Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion, unseren
Bauern den Einsatz von Heizöl als Kraftstoff zu gestatten. Dann wird der Liter Treibstoff nur mit einer Steuer
in Höhe von 12 Pfennig belastet. Man könnte dann zumindest bei den Kraftstoffkosten von fairen Wettbewerbsbedingungen in Europa sprechen. Wie ich erfahren
habe, werden die Österreicher einen ähnlichen Weg beschreiten. Sie werden den Dieseltreibstoff mit einer
Steuer in Höhe von 13 Pfennig pro Liter belasten. Warum gehen wir in Deutschland nicht einen ähnlichen
Weg?
Ich glaube, gerade im Energiebereich ist es wichtig,
dass die Produktionskosten niedriger werden, weil nur
dann die Produktion in unserem Lande bleibt.
({11})
Herr Minister, ich hatte vor kurzem eine Diskussion
mit einem Kollegen der Grünen in Bayern. Er hat sich
darüber aufgeregt, dass bei uns die Verbraucher Blumen
kaufen, die aus Kolumbien bzw. aus Südafrika eingeflogen werden. Wenn jetzt in Deutschland die Landwirte
und die Gärtner im Energiebereich mehr belastet werden, dann werden in Zukunft noch mehr Flugzeuge
Blumen aus dem Ausland nach Deutschland bringen und
die Produktion wird sich von Deutschland weg verlagern. Das Ganze wäre dann auch ein ökologischer Unsinn.
({12})
Deshalb müssen wir gemeinsam darum ringen, einen
Weg zu finden, der deutschen Landwirtschaft Rahmenbedingungen zu geben, sodass sie wieder Mut für die
Zukunft schöpfen kann und sich unsere jungen Bauern
wieder trauen, den Beruf des Bauern langfristig auszuüben, und sie auch in Zukunft die Chance haben, Bauern
bleiben zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fangen wir an beim Thema Wettbewerb! Ich denke,
nicht nur hier setzen wir uns ständig darüber auseinander; erinnern wir uns an die Diskussion gestern mit den
Amerikanern. Sie sagen immer, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft werde geschmälert
durch die viel bessere Situation in anderen europäischen
Ländern.
Ich will nur einmal daran erinnern - und dies nicht
zum ersten Mal -, dass es auch in sechs anderen europäischen Ländern Ökosteuern gibt. Es gibt Steuern auf
Pestizide; es gibt Steuern auf Stickstoff. Von argrarsozialer Sicherung haben viele europäische Mitgliedsländer
überhaupt noch nie etwas gehört.
Wenn Sie vergleichen, dann vergleichen Sie aber
richtig, und zwar mit allen Elementen, die es gibt. Da
sieht Deutschland überhaupt nicht so schlecht aus.
({0})
Frankreich nimmt die Modulation wahr, Großbritannien
tut das und ist in der Diskussion. Wenn wir einen europäischen Vergleich anstellen wollen, sollten wir uns
einmal in einer richtig ernsten Diskussionsrunde ansehen, wo denn die Wettbewerbsvor- und -nachteile
Deutschlands liegen.
({1})
Nächster Punkt: politische Rahmenbedingungen, die
auch den Wettbewerb bestimmen. Da zeichnet sich doch
seit vielen Jahren mehr und mehr ab, dass es gerade im
Rahmen der WTO-Verhandlungen die Greenbox ist, die
in Zukunft Fördergrundsätze für Naturschutz, für Umweltschutz, für Arbeitsplätze, für gesellschaftliche Leistungen
({2})
- für den Tierschutz, genau! - bestimmen wird. Dafür
werden Förderungsleistungen gezahlt. Und was hat die
alte Bundesregierung gemacht? Sie hat die Möglichkeiten, in diesen Wettbewerb einzusteigen, regelrecht verhindert und nichts davon eröffnet.
({3})
Das ist ein entscheidender Fehler. Wenn man von Wettbewerb redet, dann muss man diese Belange doch wahrhaftig mit einbeziehen.
({4})
Zum Bereich Garantie. Es gibt zurzeit in Europa eine
Diskussion, der auch ich nicht gerade mit Begeisterung
gegenüberstehe - Minister Funke ja auch nicht -, um die
Agenda 2000 und deren Bestand bis zum Jahre 2006.
({5})
- Wir haben das gebilligt, aber wir haben nicht gebilligt,
dass es jetzt schon wieder erodiert.
({6})
- Das hat gar nichts damit zu tun; das hat mit einer europapolitischen Entwicklung zu tun, die andere Dinge
notwendig macht und der man sich ebenfalls stellen
muss. Das hat mit den Erdbeben in der Türkei zu tun,
die wir nicht bestellt haben - die Türken ganz offensichtlich auch nicht -;
({7})
das hat mit den Aufbaunotwendigkeiten im Kosovo zu
tun, die ich auch nicht sehr komisch finde.
Ich denke, alle diese Anforderungen an die europäischen Haushalte führen dazu, dass im Bereich „Garantie“ eine Entwicklung stattfinden wird, die eine - ich
drücke es einmal so aus - „produktbezogene Förderung“
immer unsicherer macht. Das heißt, es muss auch hier das haben Sie genauso wie wir immer betont - eine zunehmende Unabhängigkeit der Landwirtschaft vom
Staat geben und man muss diese Möglichkeit wahrnehmen, muss sie initiieren und muss die Zeichen der Zeit
sehen wollen. Das tun Sie gerade nicht, indem Sie letztlich nichts anderes tun, als immer wieder die staatlichen
Maßnahmen einzuklagen, die genau diese Situation, die
man seit vielen Jahren voraussehen kann, letztendlich
doch nicht bewältigen helfen.
({8})
Der dritte Punkt: Was hat denn die alte Bundesregierung getan,
({9})
wenn sich die Bauern doch so „wohl fühlen“ konnten was man an den durchaus nicht gerade optimalen
Einkommenserlösen ablesen konnte? Sinkende Betriebszahlen, sinkende Einkommen waren doch das Ergebnis. Eine unglaubliche gesellschaftliche Isolation, die
es gerade schwer macht, jetzt Einkommen am Markt zu
erlösen, ist das Ergebnis.
({10})
Oder nehmen wir einmal die Milchquoten! Die alte
Bundesregierung hat nichts dazu getan, diese enorme
Kostenbelastung im Milchsektor wirklich anzugehen.
({11})
Jetzt gibt es endlich eine Reform. Jetzt gibt es einen
Kompromiss - gut, den hätte man sich anders denken
können. Jammern Sie jetzt nicht über die Mehrwertsteu8366
ern, die daraus entstehen können. Sie waren es, die für
eine Börse waren. Sie müssen sich jetzt etwas anderes
überlegen.
Zur Sozialversicherung. Sie beklagen sich über die
hohen Kosten der Sozialversicherung. Stimmt, ja, die
sehen wir auch. Aber wer hat denn diese überfällige Reform letztlich versäumt
({12})
und wer hat es denn versäumt, eine Zukunftsfähigkeit
dieser Systeme herzustellen und damit auch eine Entlastung der Betriebe zu erreichen? Wir sind es, die diese
Aufgaben jetzt angehen. Wir alle sagen ja nicht, dass das
leichte Aufgaben sind.
({13})
Agrodiesel. Auch dieser Bereich ist nicht angegangen worden.
Sie sagen jetzt, das sei nicht notwendig gewesen, weil
die Beihilfen niemals in der Diskussion gewesen seien.
Stimmt nicht! Wir wissen sehr genau, dass wir in jedem
Haushalt darum gerungen haben. Letztendlich ist das ein
guter Weg.
({14})
- Das darf ich nicht so laut sagen.
({15})
Außerdem ist der Agrarhaushalt in Ihrer Regierungszeit
um 17 Prozent gekürzt worden.
Auf jeden Fall haben wir letztendlich eine Lösung erreicht, nämlich ein Kombinationsmodell: Wir haben
neue Wege gesucht, um eine Entlastung herbeizuführen
und um die Ziele der Unternehmensteuerreform auch in
der Landwirtschaft umzusetzen. Wir hoffen, dass Sie
uns dabei unterstützen.
Erstens: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Sicherung der Arbeitsplätze. Natürlich wollten wir etwas
im Bereich der Belastungen auf dem Treibstoffsektor
tun - und haben es auch geschafft. Die jetzt gefundene
Regelung trägt zur Stabilisierung und zur Entbürokratisierung bei. Der Steuersatz von 57 Pfennig ist ein Mittelsatz; er liegt zwischen den Steuersätzen für Treibstoff
für Industriemaschinen und für die Maschinen, die für
den Transport gedacht sind. Heizöl einzubeziehen ist eine absurde Forderung. Zum einen ist es umweltrechtlich
gar nicht möglich, zum anderen werden Sie ja der
Landwirtschaft wohl einen gewissen Anteil an der Straßenbenutzung nicht absprechen wollen.
Zweitens. Mit dem Kombinationsmodell sind auch
deutliche ökologische Signale verbunden, nämlich eine
Unterstützung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
für umwelt- und besonders für naturschutzpolitische
Ziele.
Drittens: eine soziale Komponente. Wir haben die
Möglichkeit, im Bereich der Zukunftssicherung der Sozialversicherung über Beitragsentlastungen im Rahmen
einer effizienten Reform der Sozialversicherungsträger
unterstützend zu helfen.
({16})
Ich denke, wir werden da auf den richtigen Weg kommen. So kurzfristig, wie wir das gerne möchten, geht das
leider nicht. Auf jeden Fall wollen wir in absehbarer
Zeit zu einer Lösung kommen, die gerade die kleinen
und mittleren Betriebe im süddeutschen Raum entlastet.
({17})
Mit der Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes,
mit dem Programm zur Markteinführung der erneuerbaren Energien, mit der Förderung der biogenen Treibstoffe machen wir die Betriebe zukunftsfähig. Diese Maßnahmen haben ein Volumen von über 100 Millionen DM;
hinzu kommen übrigens noch Einsparungen durch
die Verbilligung des Stromes in Höhe von etwa
300 Millionen DM.
({18})
Dadurch eröffnen wir die Möglichkeit, sich von Kosten
zu entlasten und Einkommen zu erzielen.
Ich denke, insgesamt ist das ein Weg, der dem Ziel,
die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft zu sichern,
wahrscheinlich sehr viel näher kommt als all das, was
Sie gemacht haben.
Danke schön.
({19})
Für die F.D.P.Fraktion spricht nun der Kollege Ulrich Heinrich.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon beachtlich,
was man heute zu hören bekommt.
({0})
Nach langem, zähem Ringen hat sich die F.D.P. letztendlich durchgesetzt: Unnötige Bürokratie, die im Jahr
etwa 100 Millionen DM kostet, wird abgebaut.
({1})
Die Gasölbetriebsbeihilfe soll nach Aussage des Herrn
Ministers abgeschafft; stattdessen soll ein dritter Mineralölsteuersatz eingeführt werden. So weit, so gut nach meiner Meinung sogar sehr gut. Das war ein ausgezeichneter und richtiger Schritt. Wir waren die Ersten,
die diesen Vorschlag im Ausschuss eingebracht haben.
Damals hat noch der gesamte Ausschuss müde gelächelt
und gesagt: Das kriegt ihr nie fertig. - Minister Funke
hat das aufgegriffen und durchgesetzt. Ich bin ihm - ich
sage das so deutlich - dankbar dafür.
({2})
Was aber dann die Regierung in Aussicht gestellt hat
und was Herr Weisheit und Frau Höfken als Erfolg verkaufen wollen, bedeutet genau das Gegenteil dessen,
was in Wirklichkeit getan wird. Herr Minister Funke,
die Belastungen für unsere Bauern nehmen auch im
Kraftstoffbereich zu und nicht ab. Ihre Stellung im
Wettbewerb wird nicht verbessert, sondern verschlechtert. Mit dem durchgängigen Steuersatz von 57 Pfennig
Mineralölsteuer pro Liter Diesel bedeutet dies, dass
noch nicht einmal die zusätzliche Belastung in Höhe von
900 Millionen DM, die in Form der Ökosteuer eingeführt worden ist, kompensiert wird.
({3})
Die zusätzlichen Belastungen werden nicht kompensiert.
({4})
Die mittlerweile von Ihnen, Herr Funke, eingestandene
überproportionale und ungerechte Belastung des
Agrarsektors durch die Ökosteuer muss deshalb
vollständig ausgeglichen werden. Man darf die
Mehrbelastung in Höhe von 200 Millionen DM nicht
einfach so stehen lassen.
({5})
Gegenüber 1999 haben Sie, Herr Minister, die Gasölbeihilfe halbiert. Dann steigt der Beihilfesatz, hervorgerufen durch die Belastung aus der Ökosteuer, erst zum
Jahre 2003 schrittweise auf 700 Millionen DM. Ausgangsbasis 1999 waren 835 Millionen DM. Die Zahlen
belegen, dass durch Regierungshandeln die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern nicht besser, sondern schlechter geworden ist. Das ist eindeutig und kann
niemand widerlegen.
Ich zitiere aus Ihrer Pressekonferenz zum Agrarbericht:
Mir ist seit langem ein Dorn im Auge, dass die
Preise für Energie, und hier speziell für Dieselkraftstoff, immer weiter in Europa auseinander klaffen.
Im Ernährungsausschuss haben Sie für die deutsche
Land- und Forstwirtschaft im EU-Vergleich gravierende
Wettbewerbsnachteile aufgrund von Höchstpreisen bei
Kraftstoff eingeräumt. Sie haben es mit Ihrer Aussage
im Ernährungsausschuss auf den Punkt gebracht: Sie
sagten, im Jahre 2003 würden die Landwirte in Belgien
nur ein Viertel, in Großbritannien nur ein Drittel, in den
Niederlanden, in Dänemark und in Frankreich nur rund
die Hälfte des deutschen Dieselölpreises zahlen. Mit anderen Worten: Deutsche Landwirte zahlen gegenüber
belgischen Landwirten viermal so viel, gegenüber britischen dreimal so viel, gegenüber französischen, niederländischen und dänischen Landwirten das Doppelte. So
sieht es in Wahrheit aus.
Um den Wettbewerb zu stärken und die Benachteiligung der deutschen Landwirtschaft abzubauen, dürften
nach meinem Dafürhalten allenfalls 8 bis 10 Pfennig pro
Liter als Mineralölsteuer erhoben werden. Ich rechne
Ihnen das auch vor. Damit gäbe es gegenüber den europäischen Nachbarländern immer noch eine zusätzliche
Belastung von etwa 50 Pfennig pro Liter. Von dieser
Basis aus wären dann auch Bemühungen um eine europäische Harmonisierung realistisch. Ihr Vorhaben,
Herr Minister Funke, die Kraftstoffpreise zuerst zu erhöhen und dann nach Harmonisierung zu rufen, ist ein
allzu durchsichtiges Spiel.
({6})
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass unsere Nachbarstaaten ihre Preise für Kraftstoffe verdoppeln, um den
Deutschen auf ihrem Sonderweg zu folgen und diesen
zu bestätigen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Die Belastungen für die Landwirtschaft beliefen sich
1999 ganz konkret auf 26,5 Pfennig pro Liter Diesel. Sie
wollen sich jetzt dafür feiern lassen, dass Sie die Belastung für die Landwirtschaft auf 57 Pfennig pro Liter anheben. Gleichzeitig reden Sie aber von einer Orientierung in Richtung einer Harmonisierung nach unten.
({7})
Sie haben die Mineralölsteuer von 26,5 auf
57 Pfennig pro Liter erhöht. Das wird für die deutsche
Landwirtschaft immer schwerer verkraftbar. Zu diesen
Belastungen - hier hauen Sie noch eines drauf - kommen für die Landwirtschaft noch Belastungen durch das
Steuerentlastungsgesetz in Höhe von rund 1 Milliarde
DM und durch das Haushaltssanierungsgesetz in Höhe
von 519 Millionen DM. Die zusätzlichen Belastungen
durch die geplante Unternehmensteuerreform werden
mit etwa 300 Millionen DM beziffert. Rechnen Sie das
einmal zusammen. Wo stehen denn da Ihre Aussagen
und die Realität in Übereinstimmung? Es gibt eine erhebliche zusätzliche Belastung für die deutsche Landwirtschaft durch die Kraftstoffpreise.
({8})
Wenn Sie, Herr Minister, Ihren Ansprüchen tatsächlich
gerecht werden wollten, hätten Sie die Mineralölsteuer
nicht auf 57 Pfennig erhöhen, sondern auf 10 Pfennig
pro Liter senken müssen. Dann hätten Sie hier zu Recht
Beifall bekommen und man hätte gesagt, dies sei in
Ordnung. So gehen Sie genau in die falsche Richtung.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wundere mich schon, wie man hier von einer Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
sprechen kann. Genau das Gegenteil wird erreicht.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat nach zähem Ringen aller Beteiligten den berechtigten Forderungen der Bauern nachgegeben und sich zur Einführung des Agrardiesels bekannt. Die Anträge von
CDU/CSU und F.D.P. haben sich nach meinem Verständnis damit erledigt.
Die von der Bundesregierung beabsichtigte Regelung
ist aus finanzieller Sicht ein ausgleichender Ersatz für
die bisherige Gasölbeihilfe.
({0})
Die CDU/CSU und die F.D.P. verstehen sich aber als
Klientelparteien und wollen über eine noch günstigere
Agrardieselregelung Punkte bei den Familienunternehmen in Westdeutschland sammeln. Oder wie soll ich die
heutige Debatte über den Agrardiesel sonst auffassen?
Meine Damen und Herren, worin besteht das eigentliche Problem? Die Gasölbeihilfe wurde eingeführt, weil
die Bauern Diesel bei der Feldarbeit verbrauchen und
deshalb von einer Steuer befreit werden, die der Verkehrspolitik dient. Es kommt ja auch niemand auf die
Idee, das Heizöl mit der Mineralölsteuer für Fahrzeugdiesel zu belasten.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Nein, keine Zwischenfragen.
Die Einführung des Agrardiesels ist die sachlich begründete Lösung, die der Regelung beim Heizöl entspricht. Sie hat nichts mit den Belastungen der Landwirtschaft durch die Ökosteuer zu tun. Die PDS hat die
Agrardiesellösung schon in der Vergangenheit gefordert
und unterstützt dieses Vorhaben deshalb nachdrücklich.
In der bisherigen Diskussion wurde jedoch ein Pro
blem völlig ausgespart: Die Agrardiesellösung soll erst
ab 2001 eingeführt werden. Bis dahin gilt jedoch eine
modifizierte Gasölbeihilferegelung. Allen Betrieben
wird die Beihilfe nämlich nur bis zu einer Obergrenze
von 3 000 DM gewährt. Praktisch bedeutet das, dass die
Betriebe für ihre Betriebsfläche von über 100 Hektar
keine Beihilfe erhalten. Davon sind natürlich auch Veredelungsbetriebe betroffen. Die Gasölbeihilfe für die
Agrarbetriebe verringert sich dadurch allein in Sachsen
um 33 Millionen DM. Diese Einschnitte sind für viele
Agrarbetriebe existenzgefährdend. Die PDS fordert deshalb mit ihrem Entschließungsantrag nachdrücklich die
vollständige Beseitigung der 3 000-DM-Obergrenze
auch für das Verbrauchsjahr 2000.
({0})
CDU/CSU und F.D.P. sind nun allerdings eifrig dabei, das Problem des Agrardiesels mit der Ökosteuer zu
vermischen. Tatsache ist, dass die Landwirtschaft mit
etwa 900 Millionen DM durch die Ökosteuer belastet
wird und kaum Vorteile von der Senkung der Lohnnebenkosten hat. Der Versuch, diese Belastungen mindestens teilweise über die Agrardieselregelung abzufangen,
führt steuersystematisch zu einem Chaos, besonders
dann, wenn man die geplanten weiteren Schritte bei der
Ökosteuer berücksichtigt.
Die PDS plädiert deshalb dafür, zum eigentlichen
Ziel der Ökosteuer zurückzukehren und die
900 Millionen DM für den ökologischen Umbau der
Agrarproduktion zu verwenden. So könnten die Mittel
zum Beispiel für die Förderung des ökologischen Landbaus und einer standortgerechten Produktion sowie die
Förderung nachwachsender Rohstoffe und Energieträger
eingesetzt werden.
Auch die Einführung umweltgerechter Technologien
und Organisationsformen, zum Beispiel durch den Aufbau von agrochemischen Zentren oder Biogasanlagen,
sowie die Erweiterung der Umweltprogramme und nicht
zuletzt der Vertragsschutz und andere Naturschutzvorhaben könnten mit diesen Mitteln zielgerichtet gefördert
werden.
Wir sind überzeugt, dass die Bauern viele gute Ideen
einbringen würden, wenn der ökologische Umbau der
Agrarproduktion finanziell kräftig gefördert würde. Wir
fordern deshalb, die aus der Landwirtschaft der Ökosteuer zufließenden finanziellen Mittel in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ einzustellen und zielgerichtet für den
ökologischen Umbau einzusetzen.
Die PDS erwartet, dass Minister Funke dieses Thema,
wie versprochen, mit großem Nachdruck weiter verfolgen wird. Herr Minister Funke, halten Sie sich einfach
an Herbert Wehner, der einmal sagte: „Politik ist die
Kunst, das Notwendige möglich zu machen.“ Beweisen
Sie also, dass Sie neben Landwirt und Politiker auch
Künstler sind. Ich denke, der Beifall wäre Ihnen sicher.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wahrscheinlich der einzige Nichtlandwirtschaftspolitiker, der
heute etwas zu diesem Thema sagt, aber angesichts der
Größenordnung von 700 Millionen DM ist es sinnvoll,
dass sich auch die Finanzpolitik darüber Gedanken
macht, welchen Beitrag sie leisten kann, um den Bauern
zu helfen.
Aus unserer Sicht ist es überhaupt nicht zu bezweifeln, dass die Landwirtschaft in den letzten Jahren
erheblich unter Druck geraten ist und dass der Druck
möglicherweise noch zunehmen wird. Wenn man sich
den Landwirtschaftsbericht, und die Debatte darüber zurück ins Gedächtnis holt, sieht man, dass sich die
Einkommenssituation 1999 um 7,3 Prozent erheblich
verschlechtert hat, dass der Durchschnittsertrag eines
Betriebes nur noch 53 000 DM betrug und dass nur noch
die Hälfte aller Höfe, nämlich 190 000, überhaupt als
Haupterwerbsquelle geführt werden können.
({0})
Das erkennen wir an. Das sage ich ausdrücklich.
Wenn man sich die Situation im Bereich Schweinemast ansieht - das ist etwas, was bei mir in der Heimat
in Warendorf als dem schweinereichsten Kreis, eine
große Rolle spielt - , dann ist festzustellen, dass dort die
Einkommen dermaßen zusammengebrochen sind, dass
man sehr ernsthaft darüber nachdenken muss, ob man
nicht die eine oder andere zusätzliche Unterstützung
wirken lassen kann.
Vor diesem Hintergrund sind natürlich politisch initiierte und für sich im Einzelfall jeweils notwendige
Maßnahmen als Belastung besonders schwerwiegend.
Das gilt für die Agenda 2000, deren Auswirkung gerade
unter der deutschen Präsidentschaft gegenüber ursprünglichen Befürchtungen deutlich gedämpft worden ist, für
die Ökosteuerreform mit ihren 900 Millionen DM an
Belastung im Jahr 2003 und für Veränderungen im Bereich der Einkommensteuer.
Es ist unbestritten, dass die Landwirte im Jahr 2003
alles zusammen genommen etwa 2,3 Milliarden DM zusätzlich an Belastung hinnehmen müssen. Deswegen
gewinnen die Sorgen der Landwirtschaft eine politische
Dimension, an der eine zur Konsolidierung bereite Bundesregierung und auch die Finanzpolitik nicht vorbeigehen können. Deswegen soll eine wesentliche Entlastung
durch die Einführung des niedrigen Sondersteuersatzes
auf Diesel beschlossen werden, der für landwirtschaftliche Nutzfahrzeugen eingesetzt wird.
Wenn man sich die Landschaft in der Europäischen
Union anschaut, dann stellt man fest, dass diese leider
sehr große Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, was die
Besteuerung von Kraftstoffen in der Landwirtschaft angeht. Die meisten Länder nutzen diese Möglichkeiten.
Lediglich Griechenland, bislang auch Österreich und
Schweden, haben für die Landwirtschaft keine Sonderregelung. Deutschland hat bislang die Mineralölsteuer
teilweise in Dänemark ganz zurückerstattet. Sechs Länder erlauben den Einsatz von Heizöl als Kraftstoff. Die
übrigen vier Länder haben einen Sondersteuersatz auf
Diesel, den Agrodiesel. Sowohl das als Kraftstoff zugelassene Heizöl als auch der Agrodiesel sind in diesen
zehn Ländern eingefärbt und damit an besonderen Zapfsäulen verfügbar. Sie werden nicht über das Rückerstattungsverfahren zurückgezahlt.
Wenn man sich die Unterschiede ansieht, wird ersichtlich, dass die Kosten innerhalb der EU zwischen
1,20 DM und 20 Pfennig liegen, die der Landwirt zu
zahlen hat. Dazwischen liegt wirklich eine Welt. Bei
diesen Kostenstrukturen, muss man, denke ich, auch angesichts der Entwicklung durch die ökologische Steuerreform gegensteuern. Das wollen wir.
({1})
Der einheitliche Steuersatz von 57 Pfennig wird dazu
beitragen, dass die Belastung im Jahr 2003 deutlich abgefangen wird und dass der einzelne Landwirt auf dem
Höhepunkt der Entwicklung der ökologischen Steuerreform mit 35 Pfennig besser dasteht als in den Jahren vor
der Reduzierung der Gasölbeihilfe. Insofern ist das eine
bei der voraussehbaren Entwicklung der Dieselkosten
adäquate Lösung, die wir hier gefunden haben, zumal
die 3 000-Liter-Obergrenze bei dem neuen Modell wegfallen soll, was für größere Betriebe, für Maschinenringe
und für landwirtschaftliche Lohnunternehmen besonders
wichtig ist.
Die Alternative, Heizöl als Kraftstoff einzusetzen,
halten wir für ökologisch unverantwortbar. Heizöl unterliegt nicht den strengen Normen wie Kraftstoffe, was
den Schadstoffinhalt angeht. Es wäre unverantwortlich,
Diesel sowohl auf den Äckern als auch auf den Straßen
im ländlichen Raum einzusetzen. Also müssen wir jenseits der Finanzierungsfrage eine Lösung finden, die den
ökologischen Fortschritt im Bereich der Zusammensetzung von Kraftstoffen auch in der Landwirtschaft weiterhin aufrechterhält.
Wir sind froh darüber, dass es gelungen ist, die
375 Millionen DM, die dann für die Gasölbeihilfe nicht
mehr erforderlich sind, der Landwirtschaft insgesamt für
Sozialpolitik und zur Verbesserung der Eigenmittelausstattung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu erhalten. Ich
denke, dadurch wird auch deutlich, dass dies den Landwirten insgesamt eine echte Nettoentlastung in Höhe
von 700 Millionen DM bringt, die - so denke ich - von
ihnen auch anerkannt wird.
Wenn der Bauernverband 900 Millionen DM fordert,
so habe ich dafür Verständnis. Das ist bei solchen Verhandlungen so.
({2})
Wenn man sich aber einer Forderung zwischen null und
900 Millionen DM politisch im Rahmen eines Konsolidierungsprogramms bis auf 700 Millionen DM annähert,
dann ist das eine stolze Tat, die dem Finanzminister und
den Finanzpolitikern große Schwierigkeiten bereitet hat,
die nichtsdestotrotz notwendig ist und die man nicht
kleinreden sollte, weil man Verbandsfunktionären nach
dem Maul redet.
({3})
Herr Kollege!
Reinhard Schultz ({0})
Wir haben
die Landwirtschaft nicht im Regen stehen lassen. Ich
denke, die Lösung wird akzeptiert werden.
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Ronsöhr das Wort.
Die Bauern regen sich auf, nicht ich. - Ich habe auf einen Zuruf
von Herrn Schönfeld reagiert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Schultz hat eben davon gesprochen, dass
es durch die hausgemachten Beschlüsse eine Gesamtbelastung von 2,3 Milliarden DM für die Bauern gibt. Nun
habe ich hier ein Papier der SPD-Fraktion vom 6. Januar
2000. Darin wird von einer ganz anderen Belastung ausgegangen. Ich finde, Sie sollten dann schon bei Ihren eigenen Papieren bleiben, obwohl ich auch dabei Schwierigkeiten habe, das nachzuvollziehen.
({0})
In diesem Papier steht, die ökologische Steuerreform,
also die Ökosteuer, bringt in der ersten und zweiten Stufe für die Landwirtschaft eine Belastung von 950 Millionen DM. Es wird ja immer wieder etwas anderes gesagt; hierin stehen 950 Millionen DM. Ulrike Höfken
hat davon gesprochen, dass die zukünftige Unternehmensteuerreform für die Landwirtschaft eine Entlastung
bringt. Hier ist eine Belastung von 165 Millionen DM
im Jahre 2003 aufgezeigt. Insgesamt kommen Sie auf
eine Belastung von 2,968 Milliarden DM. Das sind etwa
700 Millionen DM mehr als das, was Sie angesprochen
haben. Darin ist noch nicht die Kürzung der Vorsteuerpauschale enthalten, die nach eigenen Berechnungen der
Bundesregierung für die Landwirtschaft auch noch einmal 400 Millionen DM ausmacht. Und nun sprechen Sie
von einer Entlastung round about - ich lege es einmal
ganz großzügig aus - von 1,1 Milliarden DM, und dann
sagen Sie: Netto kommt eine Entlastung heraus.
Ich würde doch darum bitten, dass Sie das kleine
Einmaleins irgendwie nachvollziehen. Glauben Sie doch
nicht, dass Sie den Landwirten draußen ein X für ein U
vormachen können. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Vielmehr bleibt eine erhebliche Belastung.
Ich kann Ihnen Ihr eigenes Papier ja gern zuschicken,
damit Sie Ihre eigenen Zahlen nachvollziehen können.
Das sind nicht meine Zahlen. Aber bitte: Tun Sie doch
nicht in der Öffentlichkeit so, als wenn es keine Belastung wäre, während Sie intern nach diesem Papier selbst
von einer Belastung von über 3 Milliarden DM ausgegangen sind!
({1})
Bitte schön,
zur Antwort hat Herr Kollege Schultz das Wort.
Lieber Herr
Kollege! Ich habe eben, was ich nicht hätte tun müssen,
aufgeblättert, welche Belastungen insgesamt auf die
Landwirtschaft zukommen und dass deswegen der politische Druck groß ist, zur Entlastung beizutragen. So
weit, dass die Politik sämtliche Entlastungen neutralisieren kann
({0})
und der Gesamthaushalt oder die Einkommen aller übrigen Menschen in Deutschland sozusagen als Deckungsreserve für Probleme der Landwirtschaft herhalten können, werden selbst Sie nicht gehen. Man muss zwischen
dem Interesse an einer Haushaltskonsolidierung und den
gesamten Interessen der Verbraucher und Steuerzahler
sowie besonderen Notlagen in der Landwirtschaft abwägen und dann einen Kompromiss finden, der noch tragfähig ist und von den Betroffenen angenommen wird.
Die Äußerungen des Bauernverbandes über die von
uns heute vorgestellte Lösung sind außerordentlich positiv. Nach dem RWI-Gutachten liegen die sektoralen
Auswirkungen der Ökosteuer bei 900 Millionen DM.
Das ist eindeutig und unbestritten. Die negativen Auswirkungen der Unternehmensteuerreform entstehen vor
allen Dingen durch den vorgesehenen Wegfall der Ansparabschreibung und vergleichbarer Tatbestände.
Darüber wird sicherlich zu reden sein. Aber das Gesetzgebungsverfahren läuft noch. Sie können also nicht das
einbeziehen, was politisch noch in der Pipeline ist. Wir
werden uns genau ansehen, wie sich Belastungen und
Entlastungen auf die Steuerbürger auswirken. Wir haben
versprochen, einen sehr offenen Dialog über die Unternehmensteuerreform mit allen Betroffenen zu führen.
Diesen sollten wir hier nicht abbrechen.
Ich fände es gut - das verstehe ich unter Opposition - , wenn Sie jenseits des populistischen Hinterherrennens zur Kenntnis nähmen, dass selbst der Präsident
und der Generalsekretär des Bauernverbandes das, was
wir gemacht haben, für eine große Tat halten, die sie
dieser Koalition angesichts ihrer selbst gesetzten Konsolidierungsziele so nicht zugetraut hätten. Mehr kann man
in einer solch schwierigen Lage wohl kaum erwarten.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren!
({0})
- Vielleicht kann man auf der SPD-Seite den Mund halten, damit ich meine Ausführungen vortragen kann.
({1})
Ich habe nämlich für meine Rede genügend Stoff gesammelt, um alle Argumente, die hier gebracht worden
sind, auch belegen zu können, insbesondere diejenigen
über die Belastungen.
Wir, die CDU/CSU, bringen heute wie die F.D.P. einen Antrag ein, der vorsieht, dass der deutschen Forstund Landwirtschaft die Verwendung von Heizöl erlaubt
wird. Damit sind wir einer langjährigen Forderung des
Berufsstandes gefolgt. Wir wollen die deutschen Landwirte ihren europäischen Nachbarn gleichstellen und das ist das Wichtige - wollen die Landwirte von der
Ökosteuer wirklich entlasten. Diesen Antrag - das sage
ich hier ganz offen, Herr Kollege Weisheit - werde ich
in meinem Büro an einem sicheren, aber leicht auffindbaren Ort aufbewahren, damit ich ihn dann, wenn wir
2002 wieder die Bundesregierung stellen, auch schnell
finden werde.
({2})
Keine andere Bundesregierung hat die deutschen
Landwirte so belastet wie diese rot-grüne Koalition. Ohne eine spürbare Entlastung wird es in der deutschen
Landwirtschaft einen Strukturbruch geben, mit der Folge, dass Tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen.
Das sage ich hier mit allem Ernst. Die Liste Ihrer
Schandtaten, Herr Minister Funke, und Ihrer Regierung
ist so lang, dass meine Redezeit nicht ausreicht, um sie
vollständig hier vorzutragen.
({3})
Ich liste nur einige Beispiele auf: die Rückführung der
Mehrwertsteuerpauschale um 1 Prozent, obwohl die
Zahlen eine Erhöhung zuließen; die Agendabeschlüsse;
({4})
die Ökosteuer; die Rückführung der Gasölverbilligung;
das Steuerbelastungsgesetz - so heißt es ja richtig - , das
ein Volumen von 1,1 Milliarden DM hat, und die Rückführung der Zuschüsse in die Sozialversicherung. Die
Auswirkungen der angekündigten Unternehmensteuerreform kommen noch hinzu. Der Bauernverband sagt, es
sei eine Belastung in Höhe von 350 bis 500 Millionen DM zu erwarten, weil die Abschreibungsmodalitäten vorübergehend verschlechtert würden. Wenn man
das alles addiert - ich kann das belegen - , dann kommt
man auf fast 5 Milliarden DM. Damit nehmen Sie den
deutschen Bauern ein Viertel ihres Einkommens. Das ist
die Wahrheit. Trotzdem verweisen Sie immer auf die verglichen mit den Belastungen - lächerlichen Entlastungen.
Das grausame Spiel geht noch weiter. Mir sind Informationen zugegangen, nach denen im Bundesfinanzministerium die Neufestsetzung von Einheitswerten berechnet wird. Ich habe gehört, dass eine Erhöhung um
den Faktor 10 bis 15 zu erwarten sei. Was damit letztlich
auf die bäuerlichen Familien zukommt, wage ich zurzeit
noch nicht einmal zu beschreiben.
({5})
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben die deutschen Landwirte wie keine andere Bevölkerungsgruppe einseitig mit Sonderlasten belegt. Am ungerechtesten ist dabei die Ökosteuer, weil eine Entlastung durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge wie in der übrigen Wirtschaft, wie Sie wissen, nicht
möglich war. Es gibt nun einmal wenig abhängig
Beschäftigte in den landwirtschaftlichen Betrieben.
Erst nach längerem Gewürge haben Sie der Landwirtschaft die Zurechnung zum produzierenden Gewerbe
gestattet, was ab dem Sockelbetrag von 1 000 DM die
Abzugsfähigkeit der Ökosteuer ermöglichte. Aber auch
diese Maßnahme hat nur 5 Prozent, im Wesentlichen
Gartenbaubetriebe, erreicht. Der Rest, also das Gros der
Betriebe, ist leer ausgegangen. Sie hatten also keine Entlastung durch die Ökosteuer.
({6})
- So war ‘s.
Nur der massive Druck der Bauern hier am Brandenburger Tor hat Sie letztlich dazu veranlasst, über
Agrodiesel nachzudenken und eine Steuerbelastung auf
dann 57 Pfennig ab dem Jahr 2001 zu fixieren. Damit
bleiben Sie 23 Pfennig unter der im Jahr 1999 von uns
installierten Gasölrückverbilligung. Es ist also eine Verschlechterung von immerhin noch 400 Millionen DM
oder 18 Pfennig gegenüber der Altregelung, die bis Ende
letzten Jahres galt.
Selbst wenn im Jahre 2003 die letzte Stufe der Ökosteuer auf grausame 35 Pfennig inklusive Mehrwertsteuer angewachsen ist, wird die Entlastung durch Ihr Modell noch immer geringer als unser altes Modell ausfallen, das bis Ende letzten Jahres galt. Das Ganze ist also
schlicht und einfach eine Mogelpackung.
({7})
Die jetzt geplante Einführung eines womöglich grünen Agrodiesels bedingt - neben der für Heizöl und Diesel - eine dritte Logistikschiene. Beim Mineralölhandel
und bei den Bauern löst diese Vorstellung nur noch
Kopfschütteln aus. Das Ganze ist für mich ein weiteres
Beispiel für die Weltfremdheit dieser Bundesregierung.
Stellen Sie sich einen Landwirt vor, der wegen Umweltauflagen seine Hoftankstelle aufgegeben hat. Woher
soll er in Zukunft seinen grünen Agrodiesel bekommen? Von einer Tankstelle, die extra Gerätschaften anschafft? Glauben Sie es nicht. Oder stellen Sie sich einen Betrieb vor, der auch noch gewerbliche Tätigkeiten
verrichtet. Wollen Sie dem entsprechenden Landwirt
empfehlen, wann er welchen Diesel im Tank seiner Maschinen haben soll? Es wird also so sein, dass durch die
zusätzliche Logistik weitere Kosten auf die Bauern zukommen. Verehrte Kollegen der Regierungskoalition,
ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie nachher nicht sagen
können, das habe man Ihnen vorher nicht mitgeteilt.
Wir wollen jetzt einen ganzen Schritt gehen. Wir
wollen das rot gefärbte Heizöl auch für landwirtschaftliche Fahrzeuge zulassen. Ich sage ganz offen: Ich sehe
auch hierbei Probleme in der Praxis. Deshalb empfehle
ich, die Einfärbung des Agrodiesels in Zukunft - zumindest auf dem Papier - als Option aufrechtzuerhalten.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Die rot-grüne Bundesregierung belastet die
Landwirtschaft mit rund 5 Milliarden DM.
({8})
Allein durch die Ökosteuer wird sie mit 900 Millionen DM belastet. Erst nach massivem Druck haben Sie
zuletzt versucht, die Landwirte teilweise zu entlasten.
Der Landwirtschaft wird dabei noch nicht einmal das
zugestanden, was ihr zugestanden werden müsste, wenn
die Gleichbehandlung mit der übrigen Wirtschaft erreicht würde. In Wirklichkeit bleibt Ihr Agrodieselmodell selbst im Jahre 2003 um 160 Millionen DM hinter
der Altregelung zurück, die bis Ende letzten Jahres galt.
Zweitens. Ich fordere Sie deshalb auf, die erst für das
laufende Jahr eingestellte Regelung auszusetzen und die
alte fortbestehen zu lassen, bis Ihre Regelung im nächsten Jahr greift.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Bitte schön, Herr
Heinrich.
Herr Kollege Bleser, Sie
haben uns gerade vorgerechnet, dass die Entlastung
durch den festen Steuersatz bei der Mineralölsteuer noch
nicht die Entlastung der vorausgegangenen Jahre von
835 Millionen DM erreicht. Wo soll denn die Entlastung
für die Ökosteuer herkommen, wenn noch nicht einmal
die Entlastung für die bisher gewährte Rückvergütung
von Steuern auf Dieselöl stattgefunden hat.
Genau das ist der Punkt,
Herr Kollege Heinrich.
({0})
Zunächst einmal wurde die Belastung dramatisch erhöht.
Dann wurde durch die Gewährung eines kleinen Bonbons das Gefühl vermittelt, dass bei der Regierung in
der Tat der Wille vorhanden ist, den Bauern entgegenzukommen. Ich habe das als Mogelpackung bezeichnet,
bei dieser Bezeichnung bleibe ich, Herr Kollege.
({1})
Ich komme zum dritten Punkt: Befreien Sie die
Landwirtschaft wie das übrige produzierende Gewerbe
von der Ökosteuer und bieten Sie ihr die gleichen Konditionen an, wie sie der Industrie bei der Erzeugung von
Prozessenergie bereits heute gewährt werden.
Viertens. Verschonen Sie uns von einer weiteren
Versorgungsschiene mit grünem Agrodiesel.
Eine letzte Bitte noch am Schluss: Nehmen Sie auch
die Erwerbsimker dieses Mal mit ins Boot.
Ich stelle abschließend fest: Diese erneute Nachbesserung zeigt, dass diese Bundesregierung auch in der Agrarpolitik weder eine Vision, noch konkrete Ziele, noch
ein schlüssiges Konzept für eine gute Zukunft der
Landwirtschaft hat. Meine Damen und Herren der Koalition, stimmen Sie unserem Antrag zu und Sie haben den
ersten Schritt zu einer guten Agrarpolitik gemacht.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Funke.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte hier einige Korrekturen
anbringen. Dazu greife ich einige Stichworte auf. Es ist
ja nicht das erste Mal, dass hier selbst ernannte
Lichtgestalten Dinge vortragen, die der Realität
überhaupt nicht entsprechen.
({0})
Angesichts der Tatsache, dass Sie hier fordern,
({1})
jegliche Belastung müsse durch eine entsprechende Entlastung ausgeglichen und möglichst noch überkompensiert werden, möchte ich Sie nur einmal an Ihre Regierungszeit erinnern und Sie fragen, wie sich das mit der
Kompensation entsprechender Belastungen verhielt, als
Sie ständig die Mineralölsteuer erhöhten, ohne für eine
Rückerstattung zu sorgen. War das keine Wettbewerbsverzerrung oder -verschiebung? Darüber wird nicht geredet.
({2})
- Das mögen Sie nicht hören, das verstehe ich auch,
aber wir müssen es schon erwähnen.
Von 1989 bis 1994 haben Sie die Mineralölsteuer um
50 Pfennig erhöht. Da haben Sie noch nicht von Wettbewerbsverzerrung und Wettbewerbsnachteilen geredet.
({3})
Sie haben hier alles zusammengezählt, was es
tatsächlich oder vermeintlich an Belastungen aus der
Steuerreform gibt. Ich darf Sie an Ihre Petersberger Beschlüsse erinnern und einmal nachrechnen, welche Belastungen darin für die Landwirtschaft durch die Abschaffung von Sondertatbeständen vorgesehen waren.
Darüber reden Sie überhaupt nicht. Auch daran muss
man Sie erinnern, wenn Sie hier diskutieren.
({4})
Ich habe mir auch genau angeguckt, was Ihr Steuerreformkonzept aussagt und bedeutet. Ich habe den Entwurf der CSU noch in Erinnerung. Der Eingangssteuersatz sollte auf 19 Prozent abgesenkt werden. Sie wissen
ganz genau - deswegen ist das schon ein entscheidender
Punkt - , dass es über Steuersenkungen nur dann zu einer Entlastung kommen kann - insbesondere im Bereich
der Landwirtschaft mit einem Grenzsteuersatz von
20 Prozent -, wenn der Eingangssteuersatz möglichst
niedrig ist.
({5})
In unserem Entwurf beträgt er 15 und nicht 19 Prozent.
({6})
Jetzt haben Sie nachgebessert - ich weiß das - weil die
Durchschnittsbelastung in Sachen Steuern keine Aussage darüber zulässt, welche Betriebe belastet und welche
entlastet werden.
({7})
Man muss hier über den Grenzsteuersatz diskutieren.
Nun sind auch Sie bei 15 Prozent, das ist zu begrüßen.
({8})
Aber gucken Sie sich einmal an, welche landwirtschaftlichen Betriebe keine Entlastung, sondern eine Belastung erfahren hätten.
({9})
- Herr Heinrich, ich spreche jetzt ja gar nicht Sie an,
sondern in diesem Falle die Kollegen der CDU/CSU.
({10})
Sehr wichtig ist für einen Sektor der Volkswirtschaft,
der mit einem Grenzsteuersatz von 20 Prozent belastet
wird, die Höhe des Steuerfreibetrages.
({11})
Daran haben Sie überhaupt nicht gedacht. Da wird
nachgebessert werden. Ich bin sogar überzeugt, es ist
eher ein Versehen. Das führt aber auch zu einer Belastung derer in der Landwirtschaft, die Sie unserer Güte
hier förmlich anempfehlen. Sie müssen auch an die
Steuerfreibeträge denken.
Es ist sehr unglaubwürdig, was Sie hier vortragen,
wenn Sie uns unterstellen, wir seien ausschließlich für
die Belastung, Sie aber für die Entlastung verantwortlich.
({12})
Wir sind alle sehr gern bereit, mit Ihnen über Wettbewerbsverzerrung zu reden, dann aber so, wie die Kollegin Höfken und der Kollege Schultz es hier vorgetragen haben: über die gesamte Palette. Es wäre schön gewesen, wenn Sie in 16 Jahren schon entsprechende Vorarbeit geleistet hätten. Dies betrifft nicht nur die Vereinheitlichung der Steuergesetzgebung auf europäischer
Ebene, sondern auch die Wettbewerbsverzerrung im Bereich der Pflanzenschutzmittel. Wo sind Sie denn auf
diesen Gebieten auf europäischer Ebene tätig gewesen?
Überhaupt nicht.
({13})
Wir könnten jetzt bei dem Themenkomplex der Biomasse zur Schaffung zusätzlicher Standbeine für die
Landwirtschaft darüber reden, warum Sie nicht dafür
gesorgt haben, dass diese Anwendung im Baugesetzbuch privilegiert wird, um zusätzliche Chancen auch im
Einkommen zu schaffen. Aber davon ist nichts zu finden.
({14})
Nun klage ich niemanden an, sondern beklage lediglich, dass Sie sich hier hinstellen und einseitig vortragen,
um die eigenen Fehlleistungen vergessen zu machen. Ich
halte das für nicht in Ordnung. Natürlich sagen Sie, Herr
Heinrich, der Mineralölsteuersatz dürfe nur zehn Pfennig betragen; hätten wir zehn Pfennig gewählt, hätten
Sie sicherlich begeistert zugestimmt.
({15})
Hätten wir zehn Pfennig gewählt, hätten Sie - davon bin
ich überzeugt - gesagt, es hätten nur fünf Pfennig sein
dürfen.
({16})
Deswegen hätten Sie uns auch dann kritisiert.
({17})
Ich verstehe doch die Haltung der Opposition in diesem
Punkt.
Man kann - das ist unstrittig - darüber reden, welche
Belastungen und Entlastungen es durch die Unternehmensteuerreform geben wird bzw.geben kann. Ich sage
ausdrücklich: geben kann. Das kann man gegenwärtig,
wenn man seriös rechnet, überhaupt noch nicht sagen:
ich meine jetzt ausschließlich den Sektor Landwirtschaft. Denn dass es in der Zeitschiene zu einer entsprechenden Entlastung kommt, ist mittlerweile bei allen,
die zunächst Horrorgemälde gezeichnet haben, unumstritten.
({18})
Auch das gehört zur Wahrheit und muss hinzugefügt
werden. Die Zahlen, die ursprünglich spontan genannt
worden sind, sind mittlerweile widerrufen oder zumindest korrigiert worden.
Wir sind also sehr gern bereit, über Wettbewerbsverzerrungen und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu reden. Das gilt im Übrigen auch in strukturpolitischen Fragen und nicht nur in den Punkten, die Sie hier
angesprochen haben. Summa-summarum: Angesichts
der obwaltenden Umstände auch angesichts der Markierungen in der finanzpolitischen Situation, innerhalb deren wir uns zu bewegen hatten, bin ich dankbar, dass wir
diese Lösung erreicht haben.
({19})
Ich bedanke mich ausdrücklich bei all denen, die dazu beigetragen haben und die geholfen haben, dieses
möglich zu machen. Spricht man mit denen, für die die
Arbeit letztlich geleistet worden ist, erntet man sehr viel
Verständnis, soweit man sachlich vorträgt und nicht versucht, Dinge parteipolitisch zu instrumentalisieren. Das
sage ich auch hinsichtlich ganz bestimmter Vertreter von
Verbänden.
({20})
Mit diesem Dankeschön an alle, die dazu beigetragen
haben, verbinde ich die Überzeugung, dass wir auch hinsichtlich des Abbaus von Bürokratie, soweit wir dies
so umsetzen können, ein gutes Stück vorangekommen
sind. Wenn gesagt wird, andere hätten zuerst den Gedanken gehabt und wir hätten ihn übernommen: Was
Urheberrechte anbelangt, Herr Heinrich, sind wir sehr
großzügig.
({21})
Uns kommt es auf die Effekte und die Wirksamkeit an.
Die ist allemal gewährleistet.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({22})
Ich schließe
damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/2384 und
14/2690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Vorlagen auf den Drucksa-
chen 14/2766 und 14/2795 sollen an dieselben Aus-
schüsse überwiesen werden. Sind Sie einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7a und 7b auf.
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 14/2668 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Römischen Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998
({2})
- Drucksache 14/2682 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Federführung strittig)
Ausschuss. für. Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordung
Innenausschuss
Ausschuss. für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter dem
Eindruck der Grausamkeiten des preußisch-französischen Krieges 1870/71 machte der Schweizer
Gustave Moynier 1872 den ersten förmlichen Vorschlag
für einen internationalen Strafgerichtshof. Wie oft haben
wir uns seitdem angesichts millionenfachen Leids gewünscht - und auch gefordert -, dass die Verantwortlichen für Krieg, Vertreibung und Völkermord für ihre
Verbrechen vor einem unabhängigen internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.
Nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen,
nach den internationalen Jugoslawien- und RuandaTribunalen stehen wir mit dem im Juli 1998 in Rom verabschiedeten Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs an der Schwelle zu einem von politischer Opportunität unabhängigen Weltrechtsprinzip bei der Verfolgung schwerster Verbrechen. Das Statut ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts und legt das
Fundament für eine Institution, die die Herrschaft des
Rechts in den internationalen Beziehungen künftig deutlich stärken wird.
Die überragende Mehrheit der Staaten - 120 insgesamt - hat sich in Rom für die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes ausgesprochen. 94 Regierungen haben das Statut bis heute unterzeichnet, darunter
alle 15 EU-Mitgliedstaaten. Deutschland war vor und
während der Konferenz einer der entschiedensten Befürworter und hat sich mit großem Nachdruck für einen
unabhängigen, effektiven und damit glaubwürdigen Internationalen Strafgerichtshof eingesetzt - gemeinsam
mit vielen unserer europäischen Partner, gemeinsam mit
Kanada, Australien, Südafrika, Argentinien und vielen
anderen.
Das Ergebnis ist ein Kompromiss; aber es ist ein guter Kompromiss. Es ist gelungen, das Völkerrecht trotz
unterschiedlicher Rechtssysteme und Rechtstraditionen
der Mitglieder der Vereinten Nationen in einem völkerrechtlichen Vertrag zusammenzufassen und zugleich
deutlich weiterzuentwickeln.
Ob es um die Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha, die Gräuel in Osttimor oder um den Fall
Pinochet geht: Klare und glaubwürdige strafrechtliche
Konsequenzen sind seit langem überfällig. Sie sind
auch - das sollte nicht unterschätzt werden - ein wirksames Element umfassender Konfliktprävention; denn
die Wirkung eines effektiven Internationalen Strafgerichtshofes ist eine dreifache:
Erstens können die Verantwortlichen für Krieg, Vertreibung und Völkermord nicht länger damit rechnen,
unter dem Schutzschirm nationaler Souveränität straflos
auszugehen. Mein französischer Kollege Hubert Védrine
hat das Statut zu Recht einen „Sieg über die Straflosigkeit“ genannt.
Zweitens wird von der Arbeit des Gerichtshofes eine
Abschreckungs- und Präventionswirkung ausgehen, die
das Kalkül potenzieller Täter mitbestimmen wird. Sie
werden sich künftig nirgends mehr sicher fühlen können. Das ist einer der ganz wichtigen präventiven Gesichtspunkte.
({0})
Drittens wird der Strafgerichtshof auf die nationalen
Strafrechtssysteme und die dortigen Rechtsüberzeugungen positiv ausstrahlen. Dies ist gerade im Zeitalter der
Globalisierung und der Entwicklung sehr vieler nationaler Rechtssysteme ebenfalls ein wichtiger Gesichtspunkt.
Amnesty International hat das Ergebnis von Rom
deshalb als „Revolution der rechtlichen und moralischen
Haltung der Staatengemeinschaft“ gegenüber der Verfolgung und Ahndung von Schwerstverbrechen bezeichnet.
Sieben Staaten haben das Statut bis heute ratifiziert,
zuletzt Norwegen vor genau einer Woche. Es wird in
Kraft treten, wenn 60 Staaten ratifiziert haben, voraussichtlich in knapp zwei Jahren. Angesichts der Bedeutung, die die Bundesregierung dem Gerichtshof und der
mit ihm verbundenen Verrechtlichung der internationalen Beziehungen beimisst, ist es ein gutes Signal,
wenn Deutschland auch bei der Ratifikation zur ersten
Gruppe gehören wird.
({1})
Das Ratifikationsgesetz ist deshalb zusammen mit der
erforderlichen Anpassung von Art. 16 des Grundgesetzes den Gesetzgebungsorganen mit der Bitte um rasche
Verabschiedung zugeleitet worden. Ich würde mich
freuen, Frau Präsidentin, wenn es angesichts der breiten
Unterstützung im Bundestag für die Ziele des Strafgerichtshofes - die Vorgängerregierung hat sich ja um die
Verhandlungen in Rom verdient gemacht - zu einer Ratifizierung noch vor der Sommerpause kommen könnte.
({2})
Das französische Parlament hat das Statut vor zwei Tagen mit großer Mehrheit angenommen. Die EU-Staaten
haben sich als gemeinsames Ziel gesetzt, den Ratifizierungsprozess bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes sieht die internationale Verfolgung von vier Kernverbrechen vor. Es
sind dies Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie - nach Einigung über
eine angemessene Definition - das Verbrechen der Aggression. Der künftig in Den Haag ansässige Gerichtshof
kann aufgrund einer Staatenbeschwerde, einer Initiative
des UN-Sicherheitsrates oder des Anklägers tätig werden. Aber er wird nach dem Prinzip der Komplementarität nur dann tätig, wenn Staaten nicht willens oder
nicht in der Lage sind, eine bestimmte schwere Straftat
ernsthaft selbst zu verfolgen. Er wird die nationale Gerichtsbarkeit also nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Deutschland hat maßgeblich zu entscheidenden Artikeln für eine erfolgreiche Arbeit des Gerichtshofes beigetragen, etwa zur starken Stellung des Anklägers, der
auf eigene Initiative hin und unabhängig tätig werden
kann. Von großer Bedeutung ist auch die insgesamt weit
gefasste und strikte Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem
Gerichtshof. Zugleich wurde bei den Verhandlungen
über das komplexe, in 13 Kapitel und 128 Artikel gegliederte Vertragswerk besonderer Wert auf die Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze gelegt: auf das Rückwirkungsverbot, auf die Rechte des Beschuldigten und
auf das Verbot der Doppelbestrafung. Die Verhängung
der Todesstrafe durch den Gerichtshof ist
selbstverständlich ausgeschlossen.
Zahlreiche Fragen, die für die spätere Arbeit und den
Erfolg des Strafgerichtshofes von großer Bedeutung
sind, müssen noch geklärt werden. In New York tagt im
März erneut die Vorbereitungskommission bei den Vereinten Nationen, in der bis zum In-Kraft-Treten des Statuts wichtige Instrumente wie die Verfahrens- und Beweisordnung und die Finanzierungsregelungen erarbeitet
werden. Hier gilt es aber auch zu verhindern, dass dem
Strafgerichtshof skeptisch gegenüberstehende Staaten
den in Rom erreichten Kompromiss nachträglich verwässern.
Deutschland hätte sich schon in Rom eine robustere
Zuständigkeitsregelung des Strafgerichtshofes gewünscht. Sie darf nicht noch weiter geschwächt werden,
meine Damen und Herren. Die Integrität des Römischen
Statuts muss auch bei den jetzt anstehenden Verhandlungen gewahrt bleiben, damit die Gerichtsbarkeit des
Strafgerichtshofes nicht ins Leere läuft.
({3})
Deutschland wird weltweit dafür werben, dass weitere Unterzeichnungen und Ratifikationen des Römischen
Statuts möglichst bald erfolgen, und wird andere Staaten
bei ihren Ratifikationsbemühungen unterstützen. Wir
werden uns auch bemühen, Staaten, die dem Staatsgerichtshof skeptisch gegenüberstehen, darunter leider
auch die USA, weiterhin zu einer konstruktiven Mitarbeit zu bewegen.
„Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ - das war das Motto der Gerichtshofbefürworter während der Verhandlungen. Die weltpolitischen Ereignisse seit dem Abschluss des Statuts in Rom
1998 haben gezeigt, wie dringlich wir eine Institution
wie den Internationalen Strafgerichtshof brauchen - leider, füge ich hinzu. Er wird kein Wundermittel gegen
Krieg, Gewalt und Verbrechen sein; aber er gibt der
Staatengemeinschaft ein Instrument an die Hand, das in
entscheidenden Fällen verhindern kann, dass der Verweis auf die nationale Souveränität als Deckmantel für
schwere und schwerste Verbrechen und anschließende
Straffreiheit missbraucht wird.
Das in der Präambel des Römischen Statuts formulierte Ziel, dass „um der heutigen und künftigen Generationen willen ein mit dem System der Vereinten Nationen in Beziehung stehender unabhängiger ständiger Internationaler Strafgerichtshof errichtet wird, der Gerichtsbarkeit über die schwersten Verbrechen hat, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“, verdient deshalb unsere uneingeschränkte
Unterstützung.
Ich bitte Sie um die Zustimmung des Bundestages zu
den vorgelegten Gesetzentwürfen.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Röttgen.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes
ist in der Tat ein großes Ziel erreicht worden, ein Ziel,
das von den Vereinten Nationen und all den Staaten, die
an einer friedlichen Weltordnung interessiert sind, seit
mehr als einem halben Jahrhundert verfolgt worden ist.
Darum ist es nicht zu hoch gegriffen, zu sagen, dass dies
ein historischer Erfolg ist, dass es nun eine solche internationale Gerichtsbarkeit gibt, eine Gerichtsbarkeit, die
die kardinale und stets beklagte Schwäche des Völkerrechts überwindet, die in mangelnder Durchsetzungskraft bestanden hat. Das ist die Veränderung, die stattfindet.
Es gibt neben dem materiellen Völkerrecht nun eine
Institution, die in der Lage ist, dies durchzusetzen. Das
ist eine prinzipielle Veränderung, die vielfache Wirkungen hat. Der Bundesaußenminister hat drei Wirkungen
genannt. Eine wichtige Wirkung ist ganz sicher die Abschreckung der Diktatoren, der Kriegsverbrecher. Ich
will zu den drei Wirkungen, die Sie genannt haben, eine
vierte hinzufügen.
Dadurch, dass es gelungen ist, ein unabhängiges Gericht - nicht konzipiert als Organ des Sicherheitsrates,
das durch Veto von seiner Tätigkeit hätte ausgeschaltet
werden können - einzurichten, ist jedenfalls in einem
gewissen Umfang die Verfolgung schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch der Opportunität
der internationalen Interessenpolitik entzogen. Das ist
natürlich ein Grund, warum die USA in diesem Prozess
skeptisch waren. Es obliegt jetzt nicht mehr dem Vorbehalt der Opportunität der eigenen nationalen Interessen auch als Weltmacht -, ob ein Kriegsverbrecher verfolgt
wird, sondern der Gerichtshof entscheidet. Er hat, wie
Sie zu Recht ausgeführt haben, die Mittel dazu, die Anklage durchzusetzen, und ist nicht vom Goodwill mächtiger Staaten abhängig. Auch das ist ein enormer Fortschritt: dass es einen unabhängigen und damit einen
starken Gerichtshof gegeben hat.
({0})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, begrüßen diesen Fortschritt nachdrücklich. Es ist auch so, dass er in der Kontinuität der Außen- und Justizpolitik liegt. Die Vorgängerregierung hat an diesem Erfolg wesentlich mitgearbeitet. Es war auch immer ein Konsens in diesem Hause - das ist etwas sehr Positives -, dass wir dies gemeinsam erreicht und unterstützt haben.
Dennoch müssen wir uns bewusst machen - bei aller
Freude -, dass ein Prozess erst begonnen und nicht sein
Ende gefunden hat. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zahl der für das In-Kraft-Treten des Statutes notwendigen Ratifikationen, nämlich 60, noch lange
nicht erreicht ist und dass es. sicher noch lange dauern
wird, bis diese hohe Zahl erreicht sein wird.
Ich will auf eine zweite inhaltliche Schwäche eingehen, weil wir jetzt anfangen, das Völkerrecht ernst zu
nehmen. Es gehört auch dazu, dass wir nicht vor lauter
Freude die Schwächen verkennen. Das ist die Frage der
Zuständigkeit des Gerichtshofes. Die Judikatur erstreckt sich nur auf Mitgliedsstaaten, auf deren Territorium die Verbrechen begangen worden sind, oder auf
solche, denen der Beschuldigte als Staatsangehöriger
angehört. Das ist eine erhebliche Einschränkung der JuBundesminister Joseph Fischer
dikatur. Das bedeutet negativ gesprochen, dass der Diktator, der seine eigenen Bürger in einem Land massakriert, das nicht Mitgliedstaat des Statutes ist, dieser Judikatur nicht unterliegt. Es ist eine schmerzhafte Schwäche dieses Statutes, dass es gerade die diktatorischen
Staaten vor die Wahl stellt, ob sie sich selbst der Judikatur unterwerfen wollen. Das müssen wir sehen. Wir
müssen diese Schwäche, die in diesem Statut beinhaltet
ist, erkennen und daran arbeiten, dass sie überwunden
wird.
Ich will das nicht schlechtreden, aber ich will deutlich
machen, dass dies ein beginnender Prozess der Institutionalisierung einer internationalen Gerichtsbarkeit ist,
der Kompromisse beinhaltet und darum auch verbesserungsbedürftig ist.
Die Bundesrepublik Deutschland möchte, getragen
von allen Fraktionen, von allen Parteien, diesem Statut
beitreten, und zwar in vollem Umfang. Dazu gehört,
dass wir unsere Verfassung ändern müssen, womit wir
uns schwer getan haben. Wir haben es auch im Zusammenhang mit dem Gesetz zum JugoslawienStrafgerichtshof und zum Ruanda-Strafgerichtshof erörtert.
Wir müssen Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, das
unbedingte Auslieferungsverbot, das deutsche Staatsangehörige schützt, ändern, wenn wir die Wirksamkeit
auch für Deutsche und für Deutschland in vollem Umfang herstellen wollen. Wir tun dies nicht leichtfertig,
denn die Bundesrepublik Deutschland hat die Schutzverpflichtung, ihre Staatsangehörigen, ihre Bürger nicht
an Staaten und Gerichte auszuliefern, die die notwendigen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Garantien nicht geben.
In dem Fall des Statutes sind diese Garantien erfüllt.
Der vorgesehene Entwurf der Verfassungsänderung
sieht auch die Auslieferung an Staaten vor. Es muss in
jedem Einzelfall per Gesetz geregelt werden, ob der
Staat, den wir als Adressaten der Auslieferung in Betracht ziehen, diese rechtsstaatlichen, menschenrechtlichen Garantien erfüllt. Das ist kein Freibrief, sondern
hier hat die Bundesrepublik Deutschland eine Schutzfunktion gegenüber ihren Bürgern zu erfüllen.
Die Verfassungsänderung durch ein Gesetz zum Römischen Statut zu vollziehen fällt uns auch wegen des
bereits angesprochenen Prinzips der Komplementarität
leicht. Dieses Prinzip führt dazu, dass die Anklage vor
dem Internationalen Strafgerichtshof nur zulässig ist,
wenn die Staaten, deren nationale Gerichtsbarkeit zuständig ist, entweder unfähig oder unwillig zur Strafverfolgung sind. Auch wenn sich das Völkerrecht, die Tatbestände der Kriegsverbrechen und der Verletzung des
humanitären Völkerrechts, in seinem materiellen Gehalt
nicht eins zu eins im deutschen Strafgesetzbuch wiederfindet, erfüllen wir die Voraussetzung, dass die internationale Strafgerichtsbarkeit im Verhältnis zur Strafgerichtsbarkeit in Deutschland subsidiär ist, weil wir die
Tatbestände der Sache nach und dem Gewicht nach auch
in Deutschland haben. Das heißt, es wird in diesem Fall
keine praktische Anwendung der Auslieferung zu erwarten sein.
Aber das ist nicht der entscheidende Grund. Ich weise
nur darauf hin, dass die praktischen Auswirkungen, was
den Internationalen Strafgerichtshof anbelangt, wegen
dieses Grundsatzes der so genannten Komplementarität
gering sein werden und dass darüber hinaus die rechtsstaatlichen Garantien erfüllt sind.
Allerdings müssen wir, Frau Bundesjustizministerin,
in dem Gesetz schon zitieren, dass es sich hierbei nach
dem Zitiergebot des Art. 19 um eine Einschränkung auf
gesetzlicher Grundlage des Grundrechts aus Art. 16
Abs. 2 handelt. Da besteht noch ein Nachbesserungsbedarf hinsichtlich des einfachen Gesetzes. Ich glaube, das
Zitiergebot verlangt von uns, dass wir die Einschränkung von Art. 16 Abs. 2 explizit aufnehmen.
Ein zweiter Gesichtspunkt, den ich hier ansprechen
möchte und den wir sicherlich im Rechtsausschuss bei
den Facherörterungen noch aufgreifen können: Ich bin
der Überzeugung, dass wir, wenn wir die Auslieferung
im Hinblick auf den Ruanda- und den JugoslawienStrafgerichtshof ebenfalls ermöglichen wollen, auch
diese Gesetze ändern müssen. Denn diese Gesetze sind
auf der alten verfassungsrechtlichen Grundlage erfolgt,
das heißt keine Auslieferung von Deutschen an diese
Strafgerichtshöfe. Wenn wir ermöglichen wollen - das
ist der politische Konsens -, dass nun auch wegen
Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda
ausgeliefert werden können soll, dann müssen diese Gesetze wegen des Zitiergebotes ebenfalls ergänzt werden.
Die Begründung der Verfassungsänderung sagt, dies sei
nicht nötig, es könne ohne Änderung der Gesetze zu den
Strafgerichtshöfen, die ich angesprochen habe, ausgeliefert werden. Das scheint mir wegen Art. 19 Abs. 1 nicht
möglich zu sein. Darum sollten wir uns sehr rasch darüber verständigen, dass diese beiden Gesetze aufgrund
des Zitiergebotes noch geändert werden und die Einschränkung von Art. 16 Abs. 2 aufgeführt wird.
Im rechtspolitischen Teil dieser Frage möchte ich den
Kollegen der anderen Fraktionen und der Bundesregierung eine Anregung unserer Fraktion übermitteln. Wir
nähern uns der Hälfte der Legislaturperiode und stellen
fest, dass wir an der einen oder anderen Stelle verfassungsrechtlichen Diskussionsbedarf haben. Gestern
war die Debatte über die Änderung des Art. 12 a des
Grundgesetzes, Stichwort: Frauen in der Bundeswehr,
aus Anlass der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Sache Kreil. Außerdem haben wir die
Diskussion über Art. 87 a, Begrenzung des Einsatzes der
Streitkräfte, und möglicherweise noch andere verfassungsrechtliche Fragen. Wir regen an und schlagen vor,
einmal im Zusammenhang über die anstehenden verfassungsrechtlichen Fragen zu diskutieren, weil wir es für
richtig halten, eine fachliche Diskussion zu führen, die
auf Konsens angelegt ist. Wir suchen immer gern den
Streit, aber wir sind auch dafür, dass es gerade in Verfassungsfragen bei einem breiten Konsens bleibt.
({1})
- So ist es.
Darum ist unsere in dieser Debatte ausdrücklich vorgetragene Bitte, im Bereich der Rechtspolitik in dieser
Legislaturperiode fraktionsübergreifend über den verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf, den wir sehen, ein
Gespräch zu führen. Herr Kollege Stiegler und Herr
Kollege Hartenbach, wir wollen nicht über den vorliegenden Gesetzentwurf verhandeln. Die CDU/CSUFraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu. Wir wollen
mit dieser Bitte vielmehr eine vernünftige verfassungsrechtliche Diskussion initiieren. Ich glaube, dem steht
nichts im Wege. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt ausdrücklich den enormen Fortschritt, der erreicht worden
ist. Ich habe ihn als historisch bezeichnet.
In einer Zeit, in der die Welt zusammenwächst und
damit die Konflikte, die es auf dieser Welt gibt, näher
bei uns sind, ist die Errichtung eines Internationalen
Strafgerichtshofes ein Beitrag zur friedlichen Ordnung
dieser Welt. Daher ist das Ergebnis, über das wir heute
diskutieren, ein sehr schönes. Wir unterstützen es nachdrücklich.
Danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin der Justiz, Herta
Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute mit der Umsetzung des Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof beginnen können. In der Tat - wir haben es vorhin
gehört -, der Weg von der Geburt der Idee zu einem solchen Strafgerichtshof im Jahre 1872 bis zu jenem historischen 17. Juli 1998 war sehr lang, viel zu lang. Dass
die Verabschiedung des Statuts am 17. Juli 1998 nach
langen Mühen und vielen gescheiterten Versuchen möglich wurde, auch das ist - ich unterstreiche das, was bisher gesagt wurde - ein historischer Schritt.
Nun wissen wir alle, dass wir mit dem Prädikat „historisch“ zurückhaltend umgehen sollten. Aber ich teile
Ihre Auffassung: In dem vorliegenden Falle ist diese
Bezeichnung gerechtfertigt. Denn politisch dokumentiert
dieser Vertrag die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, zum Jahrhundert- bzw. Jahrtausendwechsel
ein neues und vor allem ein neuartiges internationales
Gericht zu gründen.
Mit dem Internationalen Strafgerichtshof wird der
bislang leider vorherrschenden Straflosigkeit schwerster
Massenverbrechen der Kampf angesagt. Die kraftvoll
von Rom ausgehende Botschaft soll lauten: Die Stärke
des Rechts soll an die Stelle des Rechts des Stärkeren
treten. Und: Die Schreibtischtäter und Folterknechte dieser Welt - wo immer sie sich aufhalten - dürfen sich
nirgendwo und zu keiner Zeit mehr sicher fühlen. Sie
können nicht mehr darauf vertrauen, dass ihre Taten auf
Dauer ungesühnt bleiben.
({0})
Dieses Signal ist angesichts der Massenverbrechen,
der Völkermordtaten, die wir immer wieder zur Kenntnis nehmen müssen, außerordentlich wichtig. Gerechtigkeit möge werden, damit die Welt nicht zugrunde geht,
so soll das Motto in Abwandlung des gerade Juristen
sehr bekannten Wortes heißen, „Fiat iustitia ne pereat
mundus“ - Gerechtigkeit möge werden, damit die Welt
nicht zugrunde geht.
Wie wirksam diese Botschaft sein kann, ja wie wirksam sie sein wird, das zeigt schon heute die Arbeit des
Ruanda- und vor allen Dingen die des Den Haager Jugoslawien-Gerichtshofs. Beider Arbeit, so mühsam sie
im Einzelnen ist - ich meine auch den JugoslawienGerichtshof -, hat einen ganz entscheidenden Anteil
daran, dass es gelingen kann, die allgemeine Atmosphäre der Rechtlosigkeit, des Hasses und der Teilung in diesen Regionen, speziell auch im ehemaligen Jugoslawien,
langsam, aber sicher abzubauen.
Wir alle wissen - das hat die Kompromisse, von denen bereits gesprochen wurde, und die gescheiterten
Versuche hervorgerufen -, dass das Vorhaben eines Internationalen Strafgerichtshofes auch Ängste provoziert
hat, und zwar vor allem bei Staaten, die ganz peinlich
auf die Wahrung ihrer Souveränität bedacht sind. Diese
Ängste haben verhindert - ich teile diese Trauer, auch
wenn ich realistisch bin -, dass man schon jetzt so weit
gehen konnte, wie wir das eigentlich gewollt hätten.
Nur, Kompromisse waren - das war uns allen klar - unausweichlich.
Ich halte es für sehr beeindruckend, in welchem Maße die Staaten am Ende doch bereit waren, die überkommenen Souveränitätsbedenken zurückzustellen.
So konnte beispielsweise erreicht werden, dass der Ankläger die internationale Strafverfolgung bei Vorliegen
eines Anfangsverdachts einleiten kann, ohne dass zuvor
ein Staat sein Plazet geben musste. Welch ein Fortschritt! Das war noch vor wenigen Jahren undenkbar
und dieser Fortschritt konnte auch nur erreicht werden,
weil es neben den engagierten Regierungen und Staaten
wie der Bundesrepublik Deutschland - ich sage an dieser Stelle ausdrücklich Dank auch an die frühere Bundesregierung - eine Menge an Nichtregierungsorganisationen gegeben hat, die sich zusammengeschlossen haben und die die Idee eines Internationalen Strafgerichtshofs ungemein konsequent und auch mit großem internationalen Nachdruck deutlich unterstützt haben.
({1})
Ohne sie wäre das nicht gegangen. Deshalb sei ihnen an
dieser Stelle Dank gesagt, stellvertretend für alle dem
Gründer dieser Koalition, William Pace.
Meine Damen und Herren, der Internationale Strafgerichtshof kann - dies ist ebenfalls besonders wichtig gerade auch staatliche Repräsentanten zur Rechenschaft
ziehen, wenn sie die Staatsgewalt zu einem Terrorinstrument gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger
pervertieren. Auch dies ist ein Bruch mit einer alten
Tradition, der zeigt, dass die Weltgemeinschaft zu Beginn des dritten Jahrtausends nicht mehr gewillt ist,
massenweise begangene Verbrechen wie Mord, Folter
und Vertreibung unter Hinweis auf die bestehende staatliche Souveränität achselzuckend hinzunehmen.
({2})
Dieser Schritt ist ein fundamentaler Schritt hin zu mehr
Individualschutz in der Völkerrechtsordnung, und den
wollen wir wieder verstärken.
Hinzu kommt noch etwas anderes. Der neue Strafgerichtshof wird eine ständige Einrichtung sein. Auch
das ist wichtig, denn damit wird die internationale Reaktionsbereitschaft bereits vor der Tat gesichert. Damit
wird deutlich gemacht, dass die internationale Strafgerichtsbarkeit ein zentraler, ein präventiver Teil der Weltfriedensordnung sein soll. Dieses Element wollen wir
weiter unterstützen und ausbauen.
Rechtlich gesehen ist der Fortschritt mit dem Internationalen Strafgerichtshof - also: mit dem Römischen
Statut - vor allem in folgenden Punkten gewaltig: Zum
Ersten werden die völkerrechtlichen Verbrechen des
Völkermords, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sowie die Kriegsverbrechen in einem einheitlichen Dokument zusammengestellt. Damit wird zum Zweiten
anerkannt, dass das Völkerstrafrecht eben nicht nur im
Krieg, sondern in weitem Umfang auch im Bürgerkrieg
begangene Abscheulichkeiten umfasst, und zum Dritten
werden - weil damit nicht genug - die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Statut als Straftatbestände zur Ahndung schwerster Menschenrechtsverletzungen sogar in Friedenszeiten fest etabliert.
Außerdem enthält das Römische Statut erstmals einen
Allgemeinen Teil des materiellen Völkerstrafrechts.
Auch das ist angesichts der unterschiedlichen nationalen
Lösungen ein ganz erheblicher Fortschritt. Im Strafprozessrecht sind ebenfalls neue Wege eingeschlagen worden. Dank der großen, aber auch effizienten Kompromissbereitschaft auf allen Seiten ist es gelungen, eine
Art „kleine Völkerstrafprozessordnung“ zu erarbeiten,
die - man höre und staune! - in etwa gleichgewichtigem
Umfang Elemente des angloamerikanischen und des
kontinentalen Rechtsdenkens enthält.
Noch etwas kommt hinzu: Ganz zentral und ganz besonders bedeutsam ist der hohe rechtsstaatliche Standard dieses Statuts. Lassen Sie uns das deutlich ausdrücken: So wichtig die effiziente und effektive Verfolgung
völkerrechtlicher Verbrechen ist, so wichtig ist auch die
Legitimität dieses Vorgehens; dies erfordert die uneingeschränkte Wahrung der Rechte der beschuldigten Personen und daneben auch der Zeuginnen und Zeugen sowie vor allem der Opfer. Alle diese Anforderungen erfüllt das Statut. Es beachtet - auch das ist wichtig die international anerkannten Menschenrechtsstandards
peinlich genau.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Wichtig ist
auch das Feld der staatlichen Zusammenarbeit mit
diesem Gerichtshof. Wir wissen, dass dieser Gerichtshof
nicht über eine eigene Polizei verfügen kann. Deshalb
wird er auf die Unterstützung der Vertragsstaaten in
Form der Überstellung verdächtiger Personen und der
Übersendung von Beweismaterial angewiesen sein. Ohne diese Unterstützung wäre das ganze Projekt zum
Scheitern verurteilt. Deshalb enthält das Statut ein Regime der Zusammenarbeit mit deutlich schärferen
Pflichten für die Vertragsstaaten als die, die wir heute
im zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr kennen. Wir
wollen das und wir werden diese Pflichten im Ausführungsgesetz zum Statut punktgenau erfüllen.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich
zu der Arbeit, die jetzt vor uns liegt. Denn in der Tat ist
das Unternehmen Internationaler Strafgerichtshof mit
der Annahme des Römischen Statuts nicht beendet. Wir
haben schon gehört, dass der Internationale Strafgerichtshof die Arbeit erst aufnehmen kann, wenn
60 Ratifikationen vorliegen; sieben gibt es bis heute.
Wir wollen, dass die Arbeitsaufnahme sehr bald erfolgen kann. Deshalb haben wir uns das ehrgeizige Ziel gesetzt - zusammen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union -, unsere innerstaatlichen Zustimmungsverfahren zum Statut bis zum Ende des Jahres 2000 abgeschlossen zu haben. Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Ich freue mich - lassen Sie mich das ausdrücklich sagen -, dass wir die Unterstützung aller Fraktionen dieses Hauses dabei haben.
Weil dieser Zeitplan so ehrgeizig ist, haben wir Ihnen
im Gesetzgebungsverfahren jetzt zwar den Entwurf des
Vertragsgesetzes und den Entwurf des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vorgelegt, bevor der Entwurf eines Ausführungsgesetzes ganz fertig ist. Bei der
Erarbeitung dieses Ausführungsgesetzes werden wir eine ganze Menge von Überlegungen zu berücksichtigen
haben. Ich kann Ihnen schon heute ankündigen, dass wir
diese Arbeit in Kooperation mit Ihnen auf möglichst effiziente Weise vorantreiben wollen. Uns ist das Ausführungsgesetz deswegen wichtig, weil wir sicherstellen
wollen, dass es in Kraft getreten ist, bevor der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen kann.
Jetzt zu dem Ihnen ebenfalls zugeleiteten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes. Diese Ergänzung ist notwendig. Würden wir als Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs unsere eigenen Staatsangehörigen von der Überstellung an diesen Gerichtshof
prinzipiell ausnehmen, würde das die Grundidee des
Vorhabens ad absurdum führen. Das wollen wir nicht.
Deswegen soll durch Änderung - eigentlich ist es eine Ergänzung - des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes
die Auslieferung und die Überstellung deutscher Staatsangehöriger an diesen Gerichtshof ermöglicht werden.
Aber in der Tat gehen mit dieser Ergänzung - darauf ist
schon hingewiesen worden - zwei zusätzliche Erweiterungen einher: Die eine erlaubt zum Ersten die Auslieferung Deutscher auch an andere internationale Gerichtshöfe. Das zielt in der Tat auf den so genannten Jugoslawien- und Ruanda-Strafgerichtshof. Wir holen damit
nach, wozu die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich längst verpflichtet ist, aber noch nicht die entsprechenden nationalen Gesetze geschaffen hat.
Zum Zweiten ermächtigt die Verfassungsänderung
den Gesetzgeber auch dazu, die Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger an Mitgliedstaaten der Europäischen
Union vorzusehen. Das ist auch eine vernünftige Erweiterung. Das EU-Auslieferungsübereinkommen von 1996
begreift ja die Auslieferung eigener Staatsangehöriger
innerhalb von EU-Mitgliedstaaten längst als Regelfall.
Deutschland musste bislang immer eine Ausnahme für
sich in Anspruch nehmen. Das soll sich ändern. Künftig
kann es dem innerhalb Europas gesetzten Maßstab entsprechen und insofern gleichziehen mit unseren Partnern
in der Europäischen Union. Wir kommen damit dem
kürzlich auf dem Europäischen Rat in Tampere bekräftigten Ziel der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechtes in der Europäischen Union
einen wesentlichen Schritt näher.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch einen ganz anderen, aber auch zentralen
Punkt bezüglich des Internationalen Strafgerichtshofs
ansprechen. Wir alle wissen, dass dieses Gericht - so
wichtig seine Errichtung auch ist - die strafrechtliche
Verfolgung der völkerrechtlichen Massenverbrechen
nicht allein garantieren kann. Die verstärkte Bereitschaft
der Vertragsstaaten zur Strafverfolgung auf der nationalen Ebene muss hinzukommen. In der deutschen Justiz
ist das bereits als Aufgabe begriffen worden. Auch dafür
sei herzlich Dank gesagt.
Dieser Gedanke hat eine Auswirkung für den Internationalen Strafgerichtshof, weil das Statut bekanntlich
den Gedanken der Komplementarität festschreibt. Das
heißt: Ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist nur dann zulässig, wenn es auf der nationalen Ebene am Willen oder an der Fähigkeit zur Strafverfolgung fehlt. Dieser Komplementaritätsgrundsatz
bringt zum Ausdruck, dass die nationalen Strafverfolgungsinstanzen auch nach Gründung des Internationalen
Strafgerichtshofs gefordert bleiben, und zwar primär.
Ich möchte unterstreichen, dass wir diese Botschaft sehr
ernst nehmen und deshalb Verdächtige auch und insbesondere dann, wenn es sich um Deutsche handelt, selbst
verfolgen wollen, statt sie dem Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen. Wir tun das natürlich auch deshalb, weil wir wissen: Wir können das, wir wollen das
und wir brauchen diesen Internationalen Strafgerichtshof
nicht unnötig zu belasten.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung beschlossen, eine neue und bessere Rechtsgrundlage für
die Ahndung von Völkerstraftaten in Deutschland zu
schaffen. Eine Arbeitsgruppe, der auch Wissenschaftler
angehören, arbeitet derzeit daran. Ziel ist, mit diesem
Völkerstrafgesetzbuch den spezifischen Unrechtsgehalt
der Völkerstraftaten im deutschen Recht angemessen zu
erfassen, die Rechtsanwendung erheblich zu vereinfachen und überdies ein Mehr an Rechtsklarheit und -bestimmtheit zu erreichen. Dies soll - meine Damen und
Herren, lassen Sie mich das sagen - vor allem auch unseren Soldatinnen und Soldaten zugute kommen und ihnen mehr Sicherheit geben. Gleichzeitig aber ist das
Völkerstrafgesetzbuch auch wegen seiner internationalen Symbolkraft ein wertvoller Beitrag zur weiteren
Konsolidierung des Völkerstrafrechts.
In der Tat liegt eine Menge Arbeit vor uns. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Arbeit der früheren
Bundesregierung. Ich bedanke mich dafür, dass Sie die
Unterstützung der jetzigen Bundesregierung zugesagt
haben. Ich danke Ihnen auch für Ihre Anregungen und
darf sagen: Unser Zeitplan ist sehr ehrgeizig. Es wäre
aber gut, wenn wir ihn einhalten könnten. Dann nämlich
würde am Ende dieses Prozesses, wenn der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit wirklich aufgenommen
haben wird, gesagt werden können, dass Deutschland
seiner gewachsenen internationalen Verantwortung und
seiner schon immer in Anspruch genommenen rechtsstaatlichen Verantwortung, also seiner Verantwortung
für den Rechtsstaat, gerecht geworden ist.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Die F.D.P. begrüßt nachdrücklich - das wird Sie nicht
überraschen -, dass die Bundesregierung nun mit der
Ratifizierung des Römischen Statuts des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs beginnt.
Deutschland hat bei der Einführung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit für die völkerrechtlichen
Kernverbrechen aus guten Gründen immer eine Vorreiterrolle gespielt und deshalb nicht nur bei der entscheidenden Staatenkonferenz im Sommer 1998, sondern
namentlich in dem langen Arbeitsprozess zuvor sowie in
den Detaillierungsverhandlungen seither zu den engagiertesten Förderern der Entwicklung gehört. Ich erinnere daran, dass - jedenfalls habe ich dies Pressemitteilungen entnommen - zuletzt ein Vorschlag gerade auch der
Deutschen zusammen mit Kanada das sehr schwierige
Geschäft der Definition des Aggressionstatbestandes vorangebracht hat.
Die Bildung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs ist im humanitären Völkerrecht in der Tat ein
Fortschritt par excellence. Es kommt damit - das ist
schon verschiedentlich betont worden, ich glaube aber,
dass es richtig ist, das noch einmal zu betonen - eine
Entwicklung ans Ziel, die, jedenfalls konkret, vor mehr
als einem halben Jahrhundert, mit den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg 1945 bis 1949 begann und
nun die Ächtung, die Verfolgung und die Ahndung von
Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Angriffskrieg zur erklärten Sache
der gesamten Welt macht.
Jetzt wird also ein Teil der Bemühungen um Frieden
und Menschenrechte zur normalen Pflicht des praktischen Normvollzugs. Eine Aufgabe zwischenstaatlicher
Bemühungen wird zum Gegenstand der Weltinnenpolitik. Das ist nachhaltig zu begrüßen. Ich scheue mich
ein wenig vor dem Prädikat „historisch“, aber eigentlich
wäre es hier angebracht.
Zudem wird die Dominanz militärischer Aspekte bei
der Lösung internationaler Konflikte ganz eindeutig zurückgedrängt, weshalb in manchen Staaten die Militärs
heftig dagegen opponiert haben und wohl auch noch opponieren.
Schließlich bekommen die Menschenrechte nachhaltige Verstärkung, weil ein Verstoß, wenigstens gegen ihre elementarsten Formen, nun nicht nur politische Reaktionen hervorruft, sondern direkte strafrechtliche Folgen
hat. Die Herrschaft des Rechts allgemein wird also ausgebaut und damit rückt die Vision einer Weltfriedensordnung durch Recht ein deutliches Stück näher.
({0})
Ich will es bei dieser Skizze der Folgen des Schrittes
von Rom belassen; es ist schon von anderen darauf hingewiesen worden. Über den Inhalt des Gerichtshofsstatutes im Einzelnen werden wir noch in den Ausschüssen
beraten. Aber eine kleine weiterreichende, nämlich europäische Perspektive will ich noch hervorheben.
Seit In Kraft Treten des Amsterdamer Vertrags vor
bald einem Jahr ist der Aufbau eines gemeinsamen
Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausdrückliches Ziel der Europäischen Union. Es sollen
schrittweise - ich zitiere Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen
in bestimmten Bereichen organisierter Kriminalität ergriffen werden. Das ist der Einstieg in ein europäisches
Strafgesetzbuch.
Niemand sollte sich skeptisch zurücklehnen, weil so
etwas realiter doch nicht zu erreichen sei; man wisse ja,
dass die Europäer, wenn es um ihre Rechtsordnung geht,
bockbeinig und herzlich zerstritten seien. Rom hat uns
hier eines Besseren belehrt. Was dort 150 Staaten der
ganzen Welt zustande gebracht haben, werden erst recht
die 15 in Europa schaffen können. Wir sollten also auch
den europäischen Drive des Römischen Statuts, der hier
hineingekommen ist, deutlich sehen.
({1})
Meine Damen und Herren, mit dem Ratifikationsgesetz verbindet die Bundesregierung den Entwurf einer
Änderung des Grundgesetzes. Auch diesen Schritt begrüßen wir, selbst wenn es im Einzelnen noch Klärungsbedarf gibt und - ich werde das gleich noch vortragen Präzisierungen erwünscht sind.
Die Auflösung der strikten Abschottung der eigenen
Staatsbürger gegenüber nicht heimatstaatlichen Justizzugriffen ist an der Zeit; denn der Maßstab eines allein
auf sich bezogenen Nationalstaats hat seine Berechtigung verloren, jedenfalls für einen Staat wie Deutschland im Zentrum Europas. Deutschland engagiert sich
nicht nur nachdrücklich, wie seine Verfassung besagt,
bei der Verwirklichung eines vereinten Europas, welches namentlich den gemeinsamen Rechtsraum anstrebt.
Deutschland integriert sich vielmehr auch in den Organisationen der Völkergemeinschaft und ist dazu bereit,
Hoheitsrechte zu übertragen.
Damit sind aber auch Jurisdiktionsverschiebungen
möglich, soweit gleiche rechtsstaatliche Standards der
Rechts- und Prozessordnung garantiert werden können.
Diese Garantenpflicht gegenüber den eigenen Staatsangehörigen verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland,
diese Bedingungen genau einzuhalten. Deshalb muss die
Öffnung des Auslieferungsschutzes für internationale
Gerichtshöfe wohl doch noch hinterfragt werden. Soll
sie für alle Felder gelten oder nicht doch nur für Strafgerichtshöfe? Und vor allem: Soll sie für jede zwischenstaatliche Justizeinrichtung, jeden zwischenstaatlichen
Gerichtshof gelten, nicht nur für solche, die ausdrücklich
unter der Verantwortung der Vereinigten Nationen stehen, also möglicherweise auch dort, wo wir nicht die
Garantie dafür geben können, dass die drohenden Strafen, das angewendete Prozessrecht und gegebenenfalls
auch die Vollzugsordnung den Maßstäben unseres
Rechtsstaates genügen? Das eben wird dem deutschen
Staatsangehörigen von seinem Schutzverband, das heißt:
dem Staat garantiert. Und das war und ist auch die Ratio
des bestehenden Auslieferungsverfahrens.
In der Sache sind wir uns wahrscheinlich völlig einig,
dass ein einzelnes Auslieferungsgesetz in der Tat nur
zustande kommen kann, wenn der Staat, an den ausgeliefert werden soll, das internationale Gericht, an das
ausgeliefert werden soll, die gleichen rechtsstaatlichen
Standards bewahren und gewähren, wie wir sie in
Deutschland kennen. Für eine Durchbrechung der geltenden Regelungen muss dieser Maßstab ausdrücklich in
die Verfassung aufgenommen werden.
Herr Kollege,
denken Sie bitte an die Zeit.
Ja, ich denke
daran, zumal das Lämpchen hier wunderschön leuchtet.
({0})
„Präsident“ steht darauf, nicht „Präsidentin“; das muss
geändert werden.
({1})
Ich bin bei meinem vorletzten Satz. Die Öffnung der
überkommenen Sperre zugunsten der Mitgliedstaaten
der EU bzw. ihrer Gerichte befürworten wir ausdrücklich, weil in dem europäischen gemeinsamen Raum des
Rechts diese Gewähr übernommen und erreicht werden
kann. Lassen Sie uns also in den Ausschusssitzungen auf
diesen Punkt noch einmal genauer schauen!
Herzlichen Dank.
({2})
Jetzt erhält
Frau Kollegin Kenzler das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Zustandekommen des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs mehr als
ein halbes Jahrhundert nach den Nürnberger und Tokioter Tribunalen ist zweifellos ein bedeutsames Ereignis
im internationalen Leben. Mit dem Statut wird der
rechtliche Rahmen dafür geschaffen, dass sich
Einzelpersonen, auch wenn sie hohe Ämter ausüben
oder ausgeübt haben, vor einem internationalen Gericht
wegen schwerster internationaler Verbrechen verantworten müssen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt
werden können.
Das Statut bestimmt die Tatbestandsmerkmale der
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen hinreichend eindeutig und übernimmt den
Tatbestand des Völkermordes aus der entsprechenden
Konvention von 1947. Es sieht eine Gerichts- und Verfahrensordnung vor, die rechtsstaatlichen Erfordernissen
entspricht und einen fairen Prozess garantiert. Zum Teil
sind die Verfahrensvorschriften sogar so penibel und detailliert, dass Behinderungen für ein zügiges Verfahren
zu befürchten sind.
Das Statut enthält jedoch auch wesentliche Mängel.
Wir wissen, dass es einen nach langen Verhandlungen
erreichten Kompromiss darstellt, der beinahe am Widerstand der USA und anderer Staaten gescheitert wäre.
Wir wissen auch, dass der Bundestag auf den Inhalt des
Statuts keinen Einfluss mehr hat. Er kann nur Ja oder
Nein zum Ratifikationsgesetz sagen. Nach Lage der
Dinge muss man Ja sagen. Aber man muss sich der
Mängel bewusst sein, damit nicht euphorische Erwartungen entstehen, die dieser Gerichtshof nicht erfüllen
kann und wird. Dazu einige Anmerkungen:
Erstens. Die USA, China, Indien und einige weitere
Staaten haben in Rom trotz aller Zugeständnisse gegen
das Statut gestimmt. Sie werden dem Statut in absehbarer Zeit auch sicher nicht beitreten. Andere Staaten werden sich erwartungsgemäß mit der Ratifikation Zeit lassen. Nach Art. 124 kann ein Staat erklären, dass er sieben Jahre lang, nachdem das Statut für ihn in Kraft getreten ist, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs für
Kriegsverbrechen nicht anerkennt. Verfahren können
nur in den Fällen durchgeführt werden, wo entweder der
Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Täter besitzt, oder
der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich das Verbrechen
ereignet hat, Partner des Statuts ist. Nach Art. 17 gilt der
Grundsatz der Komplementarität; das heißt: Der Gerichtshof kommt nur zum Zuge, wenn ein vorrangig zuständiger Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist,
die Strafverfolgung durchzuführen.
Wann das der Fall ist, wird in einem komplizierten Verfahren entschieden.
Die Überstellung mutmaßlicher Täter an den Gerichtshof ist mit vielen Hürden versehen. Der Gerichtshof wird in erster Linie auf Initiative eines Vertragsstaates oder des Sicherheitsrates tätig. Dem Ankläger ist es zwar erlaubt, aus eigener Initiative Ermittlungen einzuleiten. Diese Eigeninitiative wird ihm aber
durch prozedurale Vorschriften schwer gemacht.
Das alles behindert von vornherein die Wirksamkeit
des Gerichts ganz erheblich. Es wurden genügend Hindernisse in das Statut eingebaut, die es den Staaten ermöglichen, ihre eigenen Bürger der Gerichtsbarkeit des
Strafgerichtshofs zu entziehen.
Zweitens. Der Gerichtshof hängt zwar nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, am Gängelband des Sicherheitsrates - das ist zu begrüßen -, aber immerhin wird dem
Sicherheitsrat nach Art. 16 das Recht eingeräumt,
durch ein nach Kapitel VII der UN-Charta beschlossenes
entsprechendes Ersuchen für einen Zeitraum von 12
Monaten die Einleitung oder die Fortführung eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens zu verhindern und durch
neuerliches Ersuchen diesen Zeitraum zu verlängern.
Das ist eine erstaunliche Beschneidung der Souveränität des Gerichtshofs durch die Ständigen Mitglieder
des Sicherheitsrates. Die USA und andere ständige Mitglieder, die womöglich gar nicht dem Statut angehören,
bestimmen über die zeitweilige Aussetzung der Gerichtsbarkeit im Einzelfall.
Drittens. Scharfe Kritik verdient die Tatsache, dass
die Anwendung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen nicht in die Tatbestandsmerkmale der
Kriegsverbrechen aufgenommen wurde. Der Einsatz
dieser mörderischen Waffen soll also in diesem Rahmen
straffrei bleiben, obwohl ein völkerrechtliches Verbot
ihrer Anwendung besteht.
({0})
Das Verbrechen der Aggression ist zwar in Art. 5
aufgenommen; bestraft werden kann es aber vorerst
nicht. Es muss erst von den Partnern des Statuts eine Bestimmung angenommen werden, die dieses Verbrechen
definiert und Bedingungen für die Ausübung der
Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen
festlegt. Dabei existiert bereits eine von der
Generalversammlung 1974 einstimmig angenommene
Definition der Aggression. Offensichtlich soll in diesem
Punkt der Gerichtshof in die Abhängigkeit von Entscheidungen des Sicherheitsrates, praktisch der
Ständigen Mitglieder, gebracht werden.
Die vorgeschlagene Änderung des Art. 16 des
Grundgesetzes scheint mir eine rechtlich gebotene Konsequenz aus der Verbindlichkeit des Statuts für Deutschland zu sein. Wenn man die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs akzeptiert, muss man natürlich
auch akzeptieren, dass Deutsche ausgeliefert werden
können.
Das Statut soll erst am ersten Tag des Monats in Kraft
treten, der auf den 60. Tag nach der 60. Hinterlegung der
entsprechenden Urkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen folgt. Hoffentlich liegt dieser Tag nicht
mehr in allzu weiter Ferne.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartenbach.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen heute mit dem
Verfahren zur Ratifizierung des Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Erforderlich dazu ist auch, dass wir Art. 16 des Grundgesetzes so weit ändern, dass in bestimmten Fällen auch
Deutsche an diesen Internationalen Strafgerichtshof und
an andere internationale Gerichtshöfe ausgeliefert werden können, wenn gegen sie wegen schwerer Verbrechen ermittelt wird. Bei diesen schweren Verbrechen
handelt es sich um Verbrechen des Völkermords, gegen
die Menschlichkeit, um Kriegsverbrechen und - wie bereits gesagt - um Verbrechen der Aggression.
Eine Auslieferung erfolgt nur, wenn die Verfahren
national, also hier bei uns in Deutschland, nicht durchgeführt werden können, etwa weil sie verjährt sind. Dies
wird in aller Regel nicht der Fall sein.
Andererseits muss man wissen, dass es selbstverständlich sein muss, dass unser Land - auch und besonders eingedenk unserer eigenen Geschichte - diejenigen,
die dieser schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt werden, entweder selbst verfolgt
oder, wenn eine Verfolgung nicht möglich ist, eben an
einen internationalen Strafgerichtshof ausliefert, damit
verfolgt werden kann.
Wir sind froh, dass die Bundesrepublik Deutschland
diesen Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof
wiederum als eines der ersten Länder ratifizieren will.
Bereits bei der Unterzeichnung des Römischen Statuts
hatte die Bundesrepublik eine Vorreiterrolle, hat gleichsam als Motor fungiert. Für diese positive Gestaltung
möchte ich heute den damaligen Ministern, unter anderem Ihnen, Herr Schmidt-Jortzig, herzlich danken.
({0})
Wir brauchen in dieser Welt dringend einen Internationalen Strafgerichtshof. Er ist notwendig und erforderlich, damit künftig kein Diktator in dieser Welt mehr sicher sein kann, dass seine Verbrechen ungesühnt bleiben. Ich habe mich zusammen mit Frau von Renesse vor
nicht allzu langer Zeit in Ruanda über den dortigen Genozid informiert. Wir haben uns in Tansania sehr eingehend mit der Arbeit des dortigen Strafgerichtshofes
befasst. Dabei ist deutlich geworden, wie wichtig es ist,
dass entsprechende Verbrechen von einem internationalen Gericht geahndet werden, das alle Möglichkeiten der
Ermittlungen hat. Wer wie wir erlebt hat, dass dieser
Gerichtshof mit großer Akribie und Sorgfalt vorgeht, der
weiß, dass dies auch künftig bei allen Verfahren wegen
Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die leider noch immer geschehen und
geschehen werden, möglich sein muss.
Wir begrüßen es, dass in dem Vertrag alle rechtsstaatlichen Grundsätze, wie wir sie aus unserem Strafverfahrensrecht kennen, berücksichtigt werden. Dies garantiert auf jeden Fall, dass Verfahren - so haben wir es
auch in Afrika erlebt - nach rechtsstaatlich einwandfreien Regeln durchgeführt werden. Aber das bedeutet auch,
dass Urteile solcher Gerichtshöfe ein hohes Maß an Wirkung in der Welt erzielen werden. Wir versprechen uns
davon, nein, wir wissen, dass der Internationale Strafgerichtshof schon allein durch seine Existenz und die Erfahrungen mit den beiden anderen Strafgerichtshöfen
präventiv wirken wird, also der Verhinderung von
Verbrechen dienen wird.
Wir müssen das Grundgesetz ändern und das vorliegende Gesetz ratifizieren. Unser demokratisch legitimierter Rechtsstaat hat ein hohes Maß an Verantwortung, dass Verbrechen des Völkermords, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der
Welt künftig nicht mehr geschehen. Aber wir tragen
auch Verantwortung dafür, dass die Arbeit eines Strafgerichtshofs effektiv gestaltet wird. Das heißt, wir müssen auch dafür sorgen, dass sich die Verbrecher nicht irgendwo verstecken können, sondern dass sie ermittelt,
ausgemacht und ausgeliefert werden.
({1})
Ich bin sehr dankbar, dass wir heute - das ist feststellbar - ein hohes Maß an Übereinstimmung finden.
Ich freue mich auf die künftigen Beratungen, die wir sicherlich ebenfalls in einem hohen Maß an Übereinstimmung durchführen werden. Wir stellen uns gemeinsam
der Verantwortung und werden gemeinsam etwas für die
Geschundenen dieser Welt tun können.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt hat der
Kollege Ruprecht Polenz das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Alle Vorrednerinnen und
Vorredner haben die Einrichtung des Internationalen
Strafgerichtshofs begrüßt. Sie haben dabei das besondere Engagement der Bundesrepublik Deutschland hervorgehoben. Wir erinnern uns daran, dass dieses Vorhaben
auch immer von allen Fraktionen und allen Parteien hier
im Haus unterstützt worden ist. Ich kann mich deshalb
den Ausführungen nur anschließen, ebenso wie dem
Dank an die frühere Bundesregierung und an die NGOs,
insbesondere Amnesty International, Human Rights
Watch, die Vereinigung europäischer Jura-Studenten,
das Lawyers‘ Committee for Human Rights und natürlich die internationale NGO-Coalition for an International Criminal Court. Alle haben die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs zu ihrer Sache gemacht.
Ich habe zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die
Schilderung der abschließenden Verhandlungen in Rom
nachgelesen, die der Völkerrechtsreferent im Auswärtigen Amt, Peter Kaul, zu Papier gebracht hat. Es ist für
die Bewertung des Erreichten wichtig, sich vor Augen
zu führen, dass es vor den entscheidenden Verhandlungen in Rom 1 400 Dissenspunkte und fast 200 verschiedene Optionen zu verschiedenen Stellen des Status
gab. Man muss sich also diese Meinungsverschiedenheiten vergegenwärtigen, wenn man den erreichten Kompromiss richtig bewerten will.
Es ist ja richtig: Auf der einen Seite gibt es Staaten das gilt bis heute fort, und wir werden es auch in den
Folgeverhandlungen noch spüren -, die um ihre Souveränität besorgt sind. Sie wollen einen eher schwachen,
mehr symbolischen Strafgerichtshof, dessen Tätigwerden möglichst von Einzelfallermächtigungen des Sicherheitsrats abhängig gemacht werden soll. Ihnen ist es
wichtig - dies ist etwa in den USA artikuliert worden -,
dass Angehörige des eigenen Staates möglichst nicht vor
diesen Gerichtshof gezerrt werden können. Dabei wird
das Ziel einer möglichst universellen Akzeptanz dieses
Strafgerichtshofs eher vorgeschoben, um das Vorhaben
selbst zu verwässern. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite stehen die gerichtshoffreundlichen, so genannten gleich gesinnten Staaten, darunter
die Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen einen
möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen
und damit glaubwürdigen Internationalen Strafgerichtshof. Er soll möglichst klare und obligatorische Zuständigkeitsregeln haben und soll seine Strafgerichtsbarkeit
immer dann ausüben können, wenn der nationale Strafrichter seinen Aufgaben nicht oder nur ungenügend
nachgekommen ist oder diese nicht wahrnehmen konnte.
Vor diesem Hintergrund also müssen wir das Statut
bewerten. Der Außenminister hat das Abstimmungsergebnis in Erinnerung gerufen: 120 haben mit Ja gestimmt. Es gab 7 Gegenstimmen: China, Irak, Israel,
Jemen, Katar, Libyen und die USA - also eine etwas
bunte Reihe. Es gab 21 Stimmenthaltungen, darunter Indien und Pakistan.
Vieles ist zur Wirksamkeit des Statuts gesagt worden;
aber man muss sich schon vergegenwärtigen, dass in den
28 Staaten, die nicht zugestimmt haben, die Hälfte der
Weltbevölkerung lebt. Also so ganz schnell wird es
überall für die Diktatoren möglicherweise noch nicht
Ernst.
Trotzdem schließe ich mich den hier vorgenommenen
Bewertungen an, weil im Ergebnis ein Statut erreicht
werden konnte, das für die Errichtung eines ausreichend
starken und unabhängigen Gerichts eine tragfähige
Grundlage bildet. Bis heute haben 94 Staaten dieses Statut unterzeichnet und sieben haben es bereits ratifiziert.
Es wird noch etwa zwei Jahre dauern, bis das Statut in
Kraft treten kann. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung heute das Ratifizierungsverfahren einleitet.
Frau Ministerin, wir sollten das Ziel vor der Sommerpause erreichen. Wenn das geschieht, wären wir bei den
Ersten, die das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen
haben.
Dies dürfte übrigens auch für Österreich gelten. Ich
habe mich einmal erkundigt: Die neue Regierung in Österreich wird Mitte April den entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament einbringen. Nach Auskunft der
österreichischen Botschaft würde sich die jetzige Regierung und vor allem die neue Außenministerin für die Ratifizierung besonders engagieren. Herr Minister, es ist
vielleicht eine Chance, das bei nächster Gelegenheit
auch einmal zu registrieren und anzuerkennen.
Ich möchte noch etwas zur Haltung der USA sagen,
weil die bisherige Einlassung der Vereinigten Staaten
von Amerika außerordentlich problematisch ist. Die
Bundesregierung sollte alles tun, um die Haltung der
USA zu beeinflussen, damit auch die Vereinigten Staaten dem Abkommen schlussendlich beitreten. Auch wir
als Abgeordnete haben eine Chance, dabei mitzuhelfen.
Das darf allerdings nicht um den Preis einer weiteren
Verwässerung geschehen. Die Hauptbedenken der USA
lassen sich etwa so zusammenfassen: Ein Ankläger
könnte aus politischen Gründen amerikanische Soldaten
vor dieses internationale Gericht zerren. Man will amerikanische Soldaten in offizieller Mission schützen. Das sind die Kernbedenken.
Aber davor schützt schon der Grundsatz der Komplementarität des Internationalen Strafgerichtshofs.
Sobald die USA selbst ein Strafverfahren betreiben, hat
dies Vorrang. Gemäß Art. 18 des Statuts können die
USA mit dem Hinweis auf eigene Ermittlungen erreichen, dass der Ankläger seine Ermittlungen um sechs
Monate zurückstellt. Wenn der Ankläger zu dem Ergebnis käme, diese Ermittlungen seien nicht ernsthaft, dann
kann er dies nicht selbst feststellen und seine Ermittlungen einfach wieder aufnehmen; vielmehr obliegt diese
Feststellung der Ermittlungskammer des Gerichtshofs.
Gegen deren Entscheidung kann der betroffene Staat
wiederum Berufung einlegen. Erst wenn die Berufungskammer dies zurückweist, könnte der Ankläger seine
Ermittlungen fortführen.
Diese Regelungen, meine sehr geehrten Damen und
Herren, bringen den Vorrang nationaler Strafverfolgung nun wirklich ausreichend zum Tragen. Man geht
hier eigentlich schon ein Stück zu weit. Wenn man sich
vor Augen führt, dass der Internationale Strafgerichtshof
einen großen Fortschritt in Bezug auf den Schutz der
elementaren Menschenrechte bringt, dann haben wir
allen Anlass, den Vereinigten Staaten von Amerika vor
Augen zu halten, dass ihre ablehnende Haltung - wenn
sie denn dabei bleiben sollten - auch einen Bruch mit
der eigenen völkerrechtsprägenden Tradition der USA
bedeuten würde, die ja wesentliche Impulse für das Entstehen des Völkerbundes und der Vereinten Nationen
selbst gegeben haben. Damit einher ginge auch ein erheblicher Glaubwürdigkeitsverlust für die Menschenrechtspolitik der USA. Es ist ja schwer miteinander vereinbar, dass das State Department über alle Staaten dieser Welt jedes Jahr Menschenrechtsberichte erstellt, sich
die USA aber gleichzeitig weigern, sich dem Internationalen Strafgerichtshof zu unterstellen, der, wie es in der
Präambel des Statuts heißt,
die schwersten Verbrechen, welche die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes berühren,
nicht unbestraft
lassen will und der dazu beitragen soll,
der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und
so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen.
Wir sollten hier gemeinsam jede Chance nutzen, die
Haltung der Vereinigten Staaten im Sinne einer Zustimmung zu dem Statut zu beeinflussen.
Nun gibt es noch einen weiteren Punkt, der etwas
Wasser in den Wein der Hoffnung fließen lässt: Damit
Verbrecher sehr schnell einem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof zugeführt und gegebenenfalls verurteilt werden können, ist - das ist schon gesagt
worden - der Gerichtshof auf die Zusammenarbeit mit
den Staaten angewiesen. Er selbst hat dazu nämlich keine eigenen Möglichkeiten. Rechtlich zu dieser Zusammenarbeit sind aber nur die Vertragsstaaten verpflichtet.
Auch deshalb kommt es auf eine möglichst breite Basis
bei der Ratifizierung an. Wenn der oder die Angeklagte
dem Gericht nicht überstellt wird, dann kann überhaupt
nicht verhandelt werden. Wir haben diese Erfahrung ja
mit den zur Fahndung ausgeschriebenen Karadzic und
Mladic gemacht. Wir wollen einmal sehen, ob sie noch
dem eigentlich für im ehemaligen Jugoslawien begangene Verbrechen vorgesehenen Gerichtshof überstellt werden.
Ich möchte aber schon darauf hinweisen, Herr Minister - über den Punkt werden wir auch in einem anderen
Kontext noch sprechen müssen -, dass das Defizit an
internationalen Polizeikräften immer mehr zu einem
Problem wird, das wir nicht nur jetzt in Bosnien und im
Kosovo feststellen, sondern das sich zunehmend auch
zeigen wird, wenn der Internationale Strafgerichtshof
seine Arbeit aufnimmt. Hier müssen wir in Deutschland - wir engagieren uns im Kosovo und in Bosnien in
vorderer Linie mit unseren Polizeikräften, aber sicherlich immer noch nicht ausreichend - auch darüber nachdenken, ob nicht die Schnittstellen zwischen Militär und
Polizei ein Stück weit neu definiert werden müssen.
Diese Debatte brauchen wir heute nicht zu führen, aber
sie wird auf uns zukommen.
({0})
- Nicht im Inneren, aber die Schnittstellen im Äußeren
stehen zur Debatte, zum Beispiel die Frage, ob die Bundeswehr, Herr Minister, dafür zuständig war bzw. wäre,
Kriegsverbrecher sozusagen im polizeilichen Sinne zu
verfolgen und sicherzustellen. Diese Debatte haben wir
ja geführt. Es zeigte sich, dass es diese Schnittstellen
gab.
Unsere Fraktion wird dem Statut zustimmen. Es wird
mit breiter Mehrheit in diesem Hause - ich denke, einstimmig - ratifiziert werden. Das ist auch gut so.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Margot von Renesse.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat uns schon
gut getan, dass uns, als wir, der Kollege Hartenbach, die
Kollegin Lilo Friedrich und ich, in Ruanda waren, bei
dem Internationalen Gerichtshof in Arusha, der sich mit
dem Völkermord in Ruanda beschäftigt, immer wieder
gesagt wurde, als wie gut man die Rolle Deutschlands
bei den Verhandlungen zu den Römischen Verträgen erlebt hat und wie sehr sie noch in Erinnerung ist.
Das hat uns umso mehr gut getan, als bei der Lektüre
des ersten Urteils jeder Deutschen und jedem Deutschen
die zweite Rolle förmlich entgegensprang, die wir bei
der Entwicklung des internationalen Strafrechts gespielt
haben, zumal wenn dieses sehr stark durch Common
Law, also durch das starke Gewicht der Proceedings geprägt ist; denn wesentliche Proceedings stammen aus
Nürnberg. Dass in einem Urteil, das in Arusha in Tansania, im schwärzesten Afrika, gefällt wurde, immer wieder deutlich zu sehen ist, dass Nürnberg, der EichmannProzess und der Barbie-Prozess die Entwicklung des internationalen Strafrechts geprägt haben, war auch ein
Erlebnis. Beides sollte man im Auge behalten, wenn
man die Verantwortung Deutschlands für diesen großen
Schritt, den wir gehen, bedenkt und wenn man mit Stolz,
aber eben auch mit dem Gefühl für die eigene Geschichte an dieses Thema herangeht.
Die alte Bundesregierung hat es gut gemacht, und die
neue muss es gut machen und sich auch darin bewähren,
wie es weitergeht. Dazu äußere ich eine erste Bitte: Es
hat mir nicht gut getan, dass wir im juristischen Staff in
Arusha nicht vertreten waren. Die juristische Pipeline
zwischen Deutschland und dem auch von unserer Vergangenheit geprägten Strafrecht wäre für die Entwicklung einer internationalen Law-Family wichtig, weil wir
nun einmal leidvolle Erfahrungen gesammelt haben. In
Arusha ist auch deutlich vermerkt worden, dass dieses
Engagement bisher nicht in dem Umfang vorhanden
war, wie es hätte sein können und vielleicht hätte sein
sollen.
Meine zweite Bitte: Die Frau Justizministerin hat
schon angedeutet, dass das Engagement für den Internationalen Gerichtshof mit dem, was wir jetzt gesetzlich
beschließen, noch nicht abgeschlossen ist. Vielmehr
müssen wir auch die Zusammenarbeit mit Gerichtshöfen, die es schon gibt, und dem Ständigen Gerichtshof,
den es hoffentlich bald geben wird, tatsächlich befördern. Dazu gehört - auch das ist eine Erfahrung aus
Arusha - die Unterstützung der Zeugenschutzprogramme, insbesondere, Kollegin Lilo Friedrich, in Bezug auf
Zeuginnen, die, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, ihre Existenz und mitunter ihr Leben aufs
Spiel setzen, wenn sie wahrheitsgemäß aussagen. Dazu
gehört - das sage ich an die Adresse der jetzigen Opposition -, dass man als Unterstützerstaat in Einzelfällen
auch bereit sein muss, die Existenz von Zeuginnen und
Zeugen durch Aufnahme im eigenen Land mit veränderter Identität zu garantieren.
({0})
Die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichtshöfen bedeutet mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Wir
wissen das und ich weiß, dass gerade auch bei der Bundesregierung diese Erkenntnis vorhanden und dieses
Thema gut aufgehoben ist. Wir tun einen Schritt zum
Frieden. Gerade weil wir in Arusha und in Ruanda waren, haben wir gesehen, wie aus den nicht aufgearbeiteten, traumatisierenden Erlebnissen der Vergangenheit
neuer Hass und neue Rachebedürfnisse entstehen. Die
internationale Zivilgesellschaft braucht nicht nur die
Bedrohung der Machthaber, sondern auch das Gefühl
der Gerechtigkeit für die Opfer.
Merkwürdigerweise hat der Internationale Gerichtshof Auswirkungen auf die ruandische Strafjustiz. Die
Zurückdrängung der Todesstrafe ist ein Ergebnis der
Wirkung von Arusha: In Ruanda wird die Todesstrafe
nicht mehr vollzogen und in dem neuen Gerichtsverfahren demnächst wohl auch dann, wenn es um Völkermord
geht, abgeschafft. Das ist ein großer Erfolg.
({1})
Ich möchte das Wort, das die Justizministerin auf
schönem Latein an den Anfang gestellt hat, „Fiat iustitia
ne pereat mundus“, durch ein noch viel älteres Wort ergänzen: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, Verbrechen ist
der Menschheit Verderben.“
({2})
Ich schließe
damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/2668
und 14/2682 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/2668 soll zusätzlich an den Auswärtigen
Ausschuss überwiesen werden. Gibt es anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Globalisierung als Chance: Der Weg nach
vorne für Europa
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Soziale und demokratische Weltwirtschaftsordnung statt neoliberale Globalisierung
- Drucksachen 14/1132, 14/954, 14/2028 Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht zuerst an
die beiden antragstellenden Fraktionen, zunächst an die
Abgeordnete Gudrun Kopp, F.D.P.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! In einer halben Stunde kann
man so ein Thema, welches das weite Gebiet der Globalisierung umfasst, natürlich nicht abhandeln. Deshalb
möchte ich ganz kurz auf einen liberalen Zukunftsentwurf für unsere Gesellschaft im europäischen wie auch
im globalen Gefüge eingehen.
Das Besondere an diesem Antragstext ist, dass
dieser - bis auf minimale Änderungen - aus der Feder
von Bundeskanzler Schröder und von dem britischen
Premier Blair stammt. Große Elemente dieses Textes
können wir, die Liberalen, voll und ganz unterstützen;
denn sie entsprechen unserem Parteiprogramm aus dem
Jahre 1997. Sie finden darin Forderungen nach Übernahme von Eigenverantwortung des Einzelnen, dem nötigen Umbau der Sozialsysteme, spürbaren Steuerentlastungen gerade für den Mittelstand, notwendiger Entbürokratisierung und Flexibilisierung am Arbeitsmarkt.
Kurzum: Mit diesen Forderungen soll Deutschland fit
gemacht werden für den globalen Wettbewerb.
Im Kanzler-Credo heißt es wörtlich: „Soziale Gerechtigkeit lässt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen.“ Es heißt weiter: Ohne ideologische
Vorbedingungen wolle er - der Bundeskanzler - nach
praktischen Lösungen für Probleme suchen, mit neuen
Konzepten für veränderte Realitäten.
Diese Auffassung ist zu begrüßen. Unsere Unterstützung hierfür ist aber absolut nicht als programmatische
Annäherung an die SPD zu verstehen. Denn Vorsicht:
Bei uns zählen allein die Taten. Nur diese sprechen für
Glaubwürdigkeit der Politik gegenüber den Bürgern.
({0})
Ich komme damit gleich zu einem wichtigen Thema
in Deutschland, zu dem Ladenschluss. Hilmar Kopper
hat uns kürzlich wissen lassen, dass man sich beispielsweise in den USA über unseren Streit hinsichtlich der
Ladenschlusszeiten köstlich amüsiert. Hierzu heißt es
sowohl in dem Schröder/Blair-Papier als auch in unserem Antrag:
Dienstleistungen kann man nicht auf Lager halten:
Der Kunde nutzt sie, wie und wann er sie braucht zu unterschiedlichen Tageszeiten ... Wir brauchen
nicht weniger, sondern mehr Flexibilität.
- Absolut richtig!
({1})
Ich hoffe, dass es für unseren Gesetzentwurf zur Abschaffung des Ladenschlusses an Werktagen auch eine
entsprechende Mehrheit geben wird.
({2})
Doch Bundeskanzler Schröder und auch Wirtschaftsminister Müller sehen hier leider keinen Handlungsbedarf.
Das ist sehr bedauerlich.
({3})
Oder blicken wir auf den wichtigen E-Commerce,
den Internet-Handel, dessen Nutzerkreis von heute circa
11 Millionen Personen nach europäischen Schätzungen
bis zum Jahre 2001 auf sage und schreibe 39 Millionen
Nutzer sprunghaft steigen wird. Dazu hat mir Herr
Staatssekretär Mosdorf schriftlich erklärt, dass diese Attraktivität des Internet-Handels in erster Linie an der
Tatsache liegt, dass es im Internet keinerlei Öffnungsbegrenzungen gibt. Wenn wir fit für die Zukunft und für
die Globalisierung sein wollen, dann müssen wir noch
einiges nachholen, damit wir auch den traditionellen
Handel in die Lage versetzen, sich in diesem Bereich einen Marktanteil zu sichern.
({4})
Oder blicken wir auf die Rentendiskussion. Im Papier heißt es dazu: „Die sozialen Sicherungssysteme
müssen sich den Veränderungen in der Lebenserwartung, der Familienstruktur anpassen.“ Dazu kann ich nur
sagen: sehr richtig. Dann wird es Zeit - das sage ich besonders zur SPD-Fraktion -, sich nicht länger gegen die
Einführung des demographischen Faktors zu sperren.
Besonders bedeutungsvoll ist es, wenn es heißt - ich
zitiere -, der Staat solle schädliches Marktversagen
nicht korrigieren. Das ist richtig. Nur, ich habe noch die
wirklich sehr medienwirksame Holzmann-Rettung in Erinnerung und verweise in diesem Zusammenhang auch
gleich auf den Antrag der F.D.P.-Fraktion, auf bestehende Tarifverträge mit Öffnungsklauseln zu reagieren, damit auf betrieblicher Ebene zwischen Unternehmern und
Arbeitnehmern Vereinbarungen getroffen werden können, die dem jeweiligen Zustand des Unternehmens tatsächlich entsprechen.
Ich stelle fest: Wir sind noch ein ganzes Stück vom
Fitmachen unseres Landes für die Globalisierung entfernt. Ich freue mich ganz besonders auf die Arbeit in
der Enquete-Kommission „Globalisierung“, in der wir
sicherlich einzelne Punkte sehr genau herausarbeiten
werden.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Lötzer.
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Die Globalisierung schreitet tatsächlich
mit Riesenschritten voran. Die politische Gestaltung, die
wir im Gegensatz zu Ihnen eher wollen, hinkt hinterher,
und unserer Meinung nach hinkt die Regierung mit.
Mit unserem Antrag wollen wir der Diskussion um
die politische Gestaltung Beine machen. Allen, die nur
die Fortschritte der Globalisierung und des Fitmachens
im Wettbewerb feiern, möchte ich mit dem Schlussdokument der UNCTAD-Konferenz der letzten Woche sagen: Die Einkommensunterschiede bleiben groß, die
Anzahl der armen Menschen ist gewachsen, Ungleichgewichte in der internationalen Ökonomie haben zugenommen, die Instabilität der internationalen Finanzarchitektur bleibt ein ernstes Problem.
Viele Redner forderten in Bangkok den Abbau von
Handelsbeschränkungen zumindest für die 48 ärmsten
Länder. Das Ergebnis war eher eine Beerdigung erster
Klasse. Vorschläge zur Lösung des Konflikts um soziale
Mindeststandards durch einen Mindestlohn für arme
Familien, wenn sich diese dazu verpflichten, ihre Kinder
in die Schule zu schicken, und im Gegenzug ein weitgehender Verzicht auf die Rückzahlung von Schulden
durch die Entwicklungsländer erklärt wird, sind ins Leere gelaufen. In Bangkok mahnte der malaysische Premierminister die Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur an und stellte fest: Solange es sie nicht
gibt, müssen wir damit rechnen, dass das Wirtschaftssystem weltweit instabil bleibt.
Peter Nunnenkamp vom Institut für Weltwirtschaft in
Kiel kommentiert: Die Reform kommt nicht voran. Die
Positionen der G 20 sind unvereinbar, die internationalen Banken verlegen sich auf Blockade. - Eine Antwort
darauf geben Sie im Jahreswirtschaftsbericht nicht.
Circa ein Fünftel des Weltsozialproduktes wird von
den multinationalen Konzernen produziert, erklären
Sie, Kollege Mosdorf, in Ihrer Presseerklärung zur
UNCTAD-Konferenz. Wir haben in unserem Antrag
Maßnahmen dagegen vorgeschlagen. Doch während die
französische Regierung mit einem Maßnahmenkatalog
Front gegen Firmenübernahmen macht, bringen Sie das
Fusionskarussell mit der Steuerreform weiter in
Schwung. Dass Sie jetzt ein Expertengremium dafür einrichten, ist ein längst überfälliger, aber zumindest ein
erster Schritt.
({0})
Ein NGO-Vertreter resümierte die Ergebnisse in
Bangkok so:
Sie haben die Armut wie einen Fußball behandelt:
sich gegenseitig die Pässe zugespielt, aber nie auch
nur versucht, ein Tor zu schießen.
In der Diskussion hier sind noch nicht einmal die Pässe
angekommen, die wir mit unserem Antrag zu schlagen
versucht haben. Ich denke, die gesellschaftliche Auseinandersetzung, zum Beispiel die Kampagne zur Regulierung der Finanzmärkte, die gerade europaweit begonnen
hat, gewerkschaftliche Auseinandersetzungen und
NGOs werden dazu beitragen, Sie eines Besseren zu belehren.
Danke.
({1})
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist eine sehr bizarre Debatte, die wir heute führen. Von
der PDS wird uns vorgehalten, wir würden uns zu sehr
auf die Marktwirtschaft konzentrieren. Die F.D.P. zitiert
aus einem Dokument des Bundeskanzlers und des britischen Premierministers. Wir befinden uns in der Neuen
Mitte und fühlen uns auf beiden Seiten sehr wohl.
({0})
Wir sind sehr sicher, dass dies der richtige Kurs ist.
Lassen Sie mich zur PDS sagen: Ich komme gerade
von der UNCTAD-Konferenz aus Bangkok zurück.
Wenn auf dieser Konferenz eines klar geworden ist,
dann das, dass die Schwellenländer und die Entwicklungsländer festgestellt haben, dass Direktinvestitionen
heute eine viel größere Bedeutung haben als öffentliche
Entwicklungshilfe, die auch weiterhin gesehen wird.
Das ist die Kernthese: Länder, deren Märkte über eine
längere Zeit relativ weit geöffnet sind, haben doppelt so
hohe Wachstumsraten, haben doppelt so positive Entwicklungschancen wie abgeschottete, protektionistische
Märkte. Deshalb unterscheiden wir uns von Ihrem Politikkonzept, das noch aus der alten Zeit stammt und
nichts mit den modernen Anforderungen zu tun hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur F.D.P.
kommen. Frau Kopp, ich habe Ihre Ausführungen mit
großem Vergnügen verfolgt. Ich sehe auch mit großem
Interesse, dass Graf Lambsdorff der F.D.P. empfiehlt,
auf die SPD zuzugehen,
({1})
und klarmacht, dass die SPD im Bund eine vernünftige
Politik betreibt. Er hat im Bund eine Koalition der
F.D.P. mit der SPD vorgeschlagen. Möllemann hat vorgeschlagen, man solle endlich die Brandmauern zwischen F.D.P. und SPD einreißen.
({2})
Das sind interessante, neue Töne. Dass Sie nun auch
noch ein ganzes Dokument abschreiben, hätte nicht sein
müssen. Aber Sie haben es getan und damit gleichzeitig
gesagt, dass wir im Grunde auf einem richtigen Kurs
sind.
Meine Damen und Herren, ich habe mir einmal die
Mühe gemacht, Ihren Antrag genau anzuschauen. Mir ist
aufgefallen, dass Sie einige wenige Sätze aus dem Dokument weggelassen haben.
({3})
Einer dieser Sätze ist für uns Sozialdemokraten ein ganz
kardinaler Satz. Es heißt nämlich in dem Dokument, das
Gerhard Schröder und Tony Blair unterschrieben haben:
Wir unterstützen eine Marktwirtschaft, nicht aber eine
Marktgesellschaft.
Den Satz haben Sie weggelassen. Daran ist der Unterschied zu erkennen. Wir sind der Auffassung, dass
Marktwirtschaft Sinn macht und das Marktwirtschaft
der beste Regelungsmechanismus ist. Wir sind aber dagegen, dass man den Markt auf gesellschaftliche Verhältnisse überträgt. Wir sind gegen eine Marktgesellschaft, genauso wie wir gegen eine Machtgesellschaft
sind.
({4})
Mir fällt auch auf, dass Sie den Bezug zum Bündnis
für Arbeit weggelassen haben.
({5})
- Nein, das ist schon ein wichtiger Punkt. Sie müssen
einmal etwas zuhören und versuchen, das zu verarbeiten.
Mir ist aufgefallen, dass Sie den ganzen Bereich, der
in Holland, in Dänemark und auch bei den Briten eine
große Rolle gespielt hat, das, was wir im Bündnis für
Arbeit organisieren, einen Dialog zwischen gesellschaftlichen Gruppen, weggelassen haben. Nun werfe
ich Ihnen nicht vor, dass Sie den ganzen Steuerentlastungsteil weggelassen haben, der in dem Papier steht.
Denn das Papier, das Sie vorgelegt haben, stammt vom
11. Juni. Zu diesem Zeitpunkt war unser Steuerkonzept
noch nicht auf dem Markt. Aber Sie müssen doch
zugeben, Frau Kopp, dass wir eine Steuerkonzeption
vorgelegt haben, die - das sehen wir anders als die
PDS - uns weiterhilft und die Dynamik und Wachstum
in unseren Markt bringt.
({6})
Das können Sie deshalb in Ihrem Dokument durchaus
weglassen, weil wir das schon selber machen.
Es gibt einen weiteren Punkt, den Sie weggelassen
haben: die ökologische Steuerreform. Da haben wir
gesagt, dass wir die Kosten der Arbeit senken wollen,
die sehr hoch sind. In Ihrer Regierungszeit sind die
Lohnnebenkosten exorbitant gestiegen, sie sind eine
enorme Belastung geworden. Wir haben uns dazu
durchgerungen, diesen - nicht bequemen - Weg der
Ökosteuer zu gehen und haben gesagt: Lasst uns versuchen, alles zu tun, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu
verbessern und gleichzeitig zwei Effekte zu erzielen,
nämlich den Faktor Arbeit zu entlasten und gleichzeitig
Incentives zu geben, damit der Energieeinsatz in Zukunft effizient erfolgt.
Es gibt noch eine andere Sache, Frau Kopp, die auch für
die F.D.P. interessant ist. Sie haben nämlich in Ihr Papier, dessen Inhalt Sie aus dem Schröder-Blair-Papier
sozusagen abgeschrieben und das Sie als Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht haben, den Satz übernommen:
Ein aktiver Staat in einer neu verstandenen Rolle
hat einen zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen
Entwicklung zu leisten.
Das ist ein ganz wichtiger Satz. Mir war bekannt, dass
Ihre bisherige Linie war: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt. Der Staat kam da nicht vor. Wir haben die
Vorstellung von einem aktiven Staat, der allerdings
nicht so sein darf, wie wir ihn übernommen haben, nämParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
lich mit 49 Prozent Staatsquote. Diese Staatsquote wollen wir zurückführen. Wir wollen aber nicht zurück zum
Nachtwächterstaat. Wir wollen einen leistungsfähigen,
modernen Staat. Dass Sie diesen Kernsatz in Ihrem Antrag haben, lässt mich hoffen, dass wir, was die Rolle
des Staates angeht, in vernünftiger Weise zu einer interessanten Diskussion kommen.
Darüber hinaus haben Sie in Ihren Antrag einen Satz
aufgenommen, den Gerhard Schröder und Tony Blair
ausdrücklich gewollt haben:
Armut, insbesondere unter Familien und Kindern,
bleibt ein zentrales Problem. Wir brauchen gezielte
Maßnahmen für die, die am meisten von Marginalisierung und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.
Das ist ein wichtiger Satz, der sich auf den Zustand unseres Landes bezieht. Dafür waren Sie 16 Jahre verantwortlich.
({7})
Wir machen jetzt die Kindergeldreform und wir entlasten die Familien. Ich finde es gut, dass Sie diesen Satz
aufnehmen, denn das ist ein programmatischer Fortschritt gegenüber der Regierungszeit der F.D.P., den wir
vermerken sollten.
Außerdem übernehmen Sie aus dem Dokument von
Gerhard Schröder und Tony Blair den Satz:
Wir sollten sicherstellen, dass die Ausbildung eine
wesentliche Rolle in unseren aktiven Arbeitsmarktpolitiken für Arbeitslose und die von Arbeitslosigkeit betroffenen Haushalte spielt.
Auch das ist ein wichtiger Satz. Aber wenn ich mir Ihre
Kommentierung unseres JUMP-Programms ansehe,
wenn ich mir ansehe, wie Sie heruntermachen, was wir
für junge Leute tun, gerade für diejenigen, die arbeitslos
sind und keinen Ausbildungsplatz finden, stelle ich fest,
dass es eine Differenz zwischen dem Antrag, den Sie
uns hier vorlegen, und Ihrer praktischen Politik gibt. Das
darf man nicht durchgehen lassen.
({8})
Es soll ja so sein, dass es uns allen ein bisschen Spaß
macht, solche Dinge zu diskutieren. Mein Vorschlag an
die F.D.P. wäre: Nehmen Sie das komplette Dokument
von Gerhard Schröder und Tony Blair und verabschieden Sie es auf Ihrem F.D.P.-Bundesparteitag. Erst dann
sind Sie glaubwürdig.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Erich Fritz.
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Mosdorf, ich finde es
schön, dass jetzt, da der Lenz naht, die Werbegespräche
anfangen und dass Sie die Signale aus der F.D.P. auffangen. Auch die grünen Kollegen werden schon ganz
unruhig. Sie trauen sich gar nicht mehr in diese Debatte.
({0})
Sie Herr Kollege Mosdorf, haben gerade in Anlehnung an den Antrag der F.D.P. gesagt, Sie wollten die
Staatsquote deutlich senken. Mir fällt auf, dass Sie dieses Ziel verfolgen, indem Sie die Staatsquote erst einmal
von 48 auf 50 Prozent steigern.
({1})
Wir hatten nämlich 1998 eine Staatsquote von
48 Prozent, während wir jetzt bei 50 Prozent liegen. Wir
haben sie trotz der hohen Lasten der deutschen Einheit
von 51 auf 48 Prozent reduziert.
({2})
Ich hätte es begrüßt, wenn wir über das Thema Globalisierung in einem anderen Zusammenhang etwas
ernsthafter hätten diskutieren können als auf der Grundlage dieser beiden Anträge. Auch wir hatten einen Antrag. Wir haben die Diskussion im Plenum mit unserem
Antrag damals erst vor der Ministerkonferenz der WTO
in Seattle erreicht. Dann hat es eine Diskussion im Ausschuss darüber gegeben und damit war der Diskussionsbedarf für meine Begriffe eigentlich erschöpft.
({3})
Ich finde es nicht in Ordnung, dass man hier eine so
seltsame Debattenkultur pflegt, die niemandem etwas
bringt.
({4})
Eigentlich hätten wir mit dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt einen Ansatzpunkt für einen zweiten
Aspekt gehabt, nämlich wie man so etwas wie eine
Weltinnenpolitik gestalten kann. Bei diesem Tagesordnungspunkt ist über den Internationalen Strafgerichtshof
diskutiert worden. Er ist ein wesentliches Element einer
solchen weltweiten politischen Gestaltung.
Wir müssen im Zusammenhang mit der Globalisierung eine ähnliche Diskussion führen. Da haben wir eine seltsame Ausgangslage: Die PDS bekämpft den Neoliberalismus, und zwar ungefähr so wie früher die DDR
den imperialistischen Monopolkapitalismus, nämlich
ohne jede selbstkritische Anwandlung.
({5})
Das Feindbild ist klar. Es steht fest und wird bekämpft.
In der Gegenwart sind Sie noch nicht richtig angekommen.
Die SPD - einige wenige Ausnahmen gibt es; das
will ich zugestehen - verschweigt die Vorteile, die in
der Globalisierung stecken, drückt sich nach wie vor daParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
vor, aus ihrem traditionellen wirtschaftlichen Denken
herauszukommen, und diskutiert zum überwiegenden
Teil aus der Sicht der Nachteile und der Gefährdungen,
die es ohne Zweifel auch gibt. Aber Zukunft gewinnt
man eben nicht durch Reparaturgeschäfte und die Diskussion darüber, sondern durch Gestaltungskraft und
den Mut, Freiheit und Eigenverantwortung Raum zu geben.
({6})
Die F.D.P. spricht über die Vorteile der Globalisierung und kümmert sich nach meiner Auffassung viel zu
wenig um die neu entstehenden Ungleichheiten und die
Geschwindigkeit dieses Prozesses, die natürlich zu massiven Verwerfungen führen kann, die man auch im Blick
haben muss, wenn man sich um das Ganze kümmern
will.
Wir denken, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit
beide Seiten gleichwertig bedienen. Wenn wir genau
hinschauen, dann erleben wir eine Beschleunigung des
Globalisierungsprozesses, die politisch gewollt begonnen hat und nach der Auflösung der Blöcke sinnvoll ist,
die aber durch sich selbst steuernde Faktoren angetrieben wird.
Gesunkene Transportkosten beschleunigen die Arbeitsteilung. Schnelle, uneingeschränkte Kommunikationsverbindungen im Zusammenhang mit verändertem
Anlageverhalten von Sparern bzw. Kapitalanlegern ermöglichen effektivsten Kapitaleinsatz und führen Rückschläge sind natürlich nie ausgeschlossen - zu einem beschleunigten weltweiten Wachstum. Die wissenschaftliche Forschung bringt heute in kürzester Zeit eine
Fülle neuer Ergebnisse und verbreitert die wirtschaftlichen Betätigungs- und Handlungsbereiche mit einer Geschwindigkeit, wie sie vorher nicht vorstellbar war.
Aber sie erhöht auch die Geschwindigkeit der Notwendigkeit des Strukturwandels in den entwickelten
Volkswirtschaften. Sie stellt uns vor Anpassungsleistungen und -notwendigkeiten und verlangt von
uns, dass wir uns auf unbequeme Veränderungen
einstellen, vor denen man sich gerne drückt, vor allen
Dingen dann, wenn man einen solchen populistischen
Wahlkampf gemacht hat wie zu Lafontaines Zeiten.
Man muss den Menschen schon erklären, dass aus den
Vorteilen, aus den Wohlstandsgewinnen und aus den
entstehenden Freiheitsräumen auch Nachteile, Schwierigkeiten und erhöhte Anforderungen erwachsen im Hinblick auf höhere Qualifikation, größere Flexibilität und
all das, was damit zusammenhängt.
Das, was ich gerade beschrieben habe, führt zu steigender Produktivität und höherer Effizienz. Das ist sehr
gut für diese Welt und davon profitieren übrigens nicht
nur die großen Industrieländer.
Der Kapitalexport bringt Vorteile für Anleger in den
reichen Ländern, aber auch für die Arbeitskräfte in den
Aufholländern, wie ich es einmal nennen möchte. Der
Handel, der das Ganze durch die entstehende Arbeitsteilung noch einmal beschleunigt, ist sowohl für uns als
auch für die arbeitende Bevölkerung in den sich entwickelnden Ländern von Vorteil. Allerdings stellt er bei
uns weniger Qualifizierte vor große Probleme. Deshalb
ist die Entwicklung der Wissensgesellschaft, die Entwicklung zu höherer Qualifikation das eine, die sozialpolitische Aufgabe aber, wie man mit denjenigen umgeht, die in diesem Zusammenhang nicht mehr mitkommen, das andere.
Angesichts dieser Beschleunigungsprozesse in den
letzten Jahren wird immer deutlicher, dass sich die Anforderungen an politisches Handeln und Regieren
verändern. Sie verändern sich schneller, als mancher das
wahrhaben will. Die Denkgewohnheiten müssen verändert werden. Sowohl die Finanzkrise in Asien als auch
das Zurückfallen der afrikanischen Länder zeigt, dass
„good governance“ unerlässlich ist, wenn man diese
Prozesse gestalten will und wenn man an den positiven
Effekten, die daraus zu erzielen sind, beteiligt sein will.
Dazu gehört aber auch, dass man protektionistische Methoden außen vor lässt und nicht der Gefahr erliegt, sich
dieser wieder zu bedienen. Das wiederum verlangt, dass
man den Menschen deutlich sagt, was auch in unserem
Land im Hinblick auf die Steuerpolitik, die Politik der
sozialen Systeme, auf Flexibilisierung und Deregulierung verändert werden muss.
Das Zweite: Eine entgrenzte Wirtschaft kann nicht
mit nationalstaatlich begrenzter Politik gestaltet werden.
Wir alle wissen, dass es kompliziert ist, multilaterale
Rahmenbedingungen herzustellen; das geht allemal
langsamer als das, was sich durch wirtschaftliche Tätigkeit vollzieht. Multilaterale Rahmenbedingungen im Arbeits- und Umweltbereich, Mindeststandards, Regelungen im Kapitalverkehr, für Investitionen und die Wettbewerbsordnung müssen entstehen; ihr Fehlen verstärkt
nämlich genau das Gefühl, man sei diesem Prozess
hoffnungslos ausgeliefert. Dieses Gefühl gibt es aber
nicht nur in benachteiligten Entwicklungsländern, das
gibt es auch bei uns.
Deshalb denke ich, das Parlament hat allen Anlass,
diesen Zusammenhängen noch mehr und intensiver zu
begegnen, als wir es bisher getan haben.
In Seattle, bei der WTO-Ministerkonferenz ist wohl
ziemlich deutlich geworden, dass es - einmal unabhängig von dem tatsächlichen Ablauf, der sehr stark durch
die Taktik der US-Position bestimmt war - die Chance
gibt, zu vernünftigen Regelungen zu kommen, dass es
die Chance gibt, dass sich die Entwicklungsländer als
einheitliche Gruppe - oder vielleicht auch als zwei
Gruppen - formieren und die Furcht etwa vor der Regelung und der Einführung von Mindeststandards in dem
Maße verlieren werden, in dem klar ist, dass es sich
nicht um protektionistische Maßnahmen der Industrieländer handelt, sondern dass es darum geht, ihren eigenen Fortschritt zu befördern und sich selbst die Möglichkeit zu geben, Humankapital zu bilden, das dann in
Zukunft Wertschöpfung auf einer höheren Ebene erbringen kann.
Ich bin der Ansicht, dass die geschilderten Verhandlungen auch eine andere Art des Regierungshandelns
verlangen. Der Unterausschuss „Globalisierung“ wird
sich voraussichtlich demnächst in dieser Richtung bemerkbar machen. Ich denke, dass unsere Art der ResErich G. Fritz
sortpolitik überhaupt nicht mehr in diese Zeit passt und
dass sich da etwas verändern muss.
Ich finde auch, dass viele Recht haben, die sagen,
dass es einen Weg geben muss, diese multilateralen,
fundamentale Richtungsentscheidungen treffenden Vereinbarungen stärker demokratisch und damit parlamentarisch zu begleiten. Ich habe deshalb diese Initiative in
Seattle unterstützt - wie alle Kollegen, die dabei waren - und bin gespannt, ob es gelingt, innerhalb der
WTO eine solche parlamentarische Begleitung zu organisieren, weil sie zusammen mit einer völlig neuen
Betrachtung dessen, was heute über das Internet an internationaler Öffentlichkeit von NGOs entsteht, einen
wesentlichen Bestandteil einer zukünftigen Legitimation
dieser Politik möglich macht. Das wird in den Augen
der Menschen, die das von fern staunend betrachten und
vielleicht manchen komplexen Zusammenhang nicht
verstehen, eine entscheidende Frage sein, dass wir hier
nämlich Entscheidungen treffen, die wahrscheinlich auf
Generationen hin das Leben der einzelnen Menschen in
allen Ländern dieser Welt verändern.
Herr Kollege Fritz,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja, sofort. - Deswegen
denke ich, dass wir gut daran tun, diesen Pfad zu verfolgen.
Ein Satz noch, Frau Präsidentin, wenn ich darf: Nach
allen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Innovationszyklen und langfristige Wellen der Wirtschaftsentwicklung stehen wir im Augenblick an einer
Stelle, an der wir damit rechnen können, diesen Prozess
in einer Zeit positiver wirtschaftlicher Rahmendaten zu
gestalten. Diese Zeit muss man nutzen, denn anschließend wird es nicht mehr möglich sein. In Zeiten, in denen etwa große Wirtschaftsmächte wie die USA in konjunkturelle Schwierigkeiten kommen, werden die protektionistischen Geister schneller wieder da sein, als wir
es uns vorstellen können; dann ist die Chance vorbei.
Deshalb haben wir allen Grund, denke ich, auch hier
gemeinsame Positionen zu finden.
({0})
Die Länge dieses
Satzes war ja fast rekordverdächtig.
({0})
Ich erteile jetzt der Kollegin Margareta Wolf für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Fritz, ich teile fast alles, was Sie
hier vorgetragen haben; was ich nicht teile, ist ausschließlich die Bemerkung, dass wir schon ganz unruhig
würden, weil sich die F.D.P. im Bewerbungsverfahren
befinde. Da werden wir mitnichten unruhig, Herr Kollege Fritz; im gesamten Europa redet man über „Wettbewerb der Ideen“, „Wettbewerb der Kreativität“. Wenn
ich mich bewerbe, indem ich - und das auch nur rudimentär - ein Papier von Schröder/Blair abschreibe, ist
das nach meinem Empfinden nicht unbedingt Ausweis
von Kreativität. Das heißt, die F.D.P. hinkt der Entwicklung wie immer hinterher.
Frau Kopp, wenn Sie das Papier um die beiden wesentlichen Punkte Ladenschluss und E-Commerce ergänzen und glauben, damit werde man die Herausforderungen der Globalisierung meistern,
({0})
ist das für mich zumindest kein sehr weit führender Beitrag. Und lassen Sie mich auch noch diese Bemerkung
machen: Ich möchte nicht in einer Partei sein, deren
Mitglied Kubicki im Wahlkampf mit Herrn Rühe an der
Kieler Förde spazieren geht, während nach Frau Wagner
nun auch Herr Möllemann seinen Parteivorsitzenden desavouiert und gleichzeitig die Strategie der F.D.P. in
Schleswig-Holstein aushebelt.
({1})
Ich weiß nicht, wer sich eine solche Art von Politik bei
einem Koalitionspartner wünscht.
Ich teile ausdrücklich die Einschätzung von Herrn
Fritz, was die Ergebnisse von Seattle angeht: Es gibt so
etwas wie die Angst vor der Globalisierung. Ich glaube,
das sollten wir in der Tat ernst nehmen. Es ist wenig
hilfreich - auch das haben Sie dargestellt -, in den klassischen Schwarz-Weiß-Schemen zu denken. Globalisierung ist weder nur Unheil noch nur Leitstern. Wir tun
sehr gut daran, nach den Erfahrungen mit Seattle vermehrt über die Vorbereitung der nächsten WTO-Runde
zu reden, vermehrt über Instrumente zu reden, mit denen
diese Prozesse transparenter gestaltet werden können,
und vermehrt die öffentliche Debatte mit den so genannten Nichtregierungsorganisationen zu führen, innerhalb
und außerhalb dieses Hauses.
Herr Kollege Mosdorf, Sie haben darauf hingewiesen,
dass in dem Antrag, den die F.D.P. hier vorgelegt hat,
ein ganz entscheidender Satz fehlt, nämlich dass Tony
Blair und Gerhard Schröder für soziale Marktwirtschaft und nicht für die Marktgesellschaft sind. Herr
Mosdorf, mich hat es eigentlich nicht gewundert, dass
der Satz fehlt. Ich habe gestern extra noch einmal in Ihrem Grundsatzprogramm nachgelesen, Frau Kopp. Dort
reden Sie nicht mehr von „sozialer Marktwirtschaft“,
sondern ausschließlich von „Gefälligkeitsdemokratie“,
({2})
was, wie ich finde, die „Marktgesellschaft“ noch toppt.
Insofern hat es mich nicht tatsächlich überrascht, dass
dieser Satz fehlt.
({3})
- Frau Kollegin Kopp, es geht dort um die Gefälligkeitsdemokratie.
({4})
- Dann führen Sie einmal eine interne Debatte. Ich kann
mich noch genau daran erinnern, wie Herr Westerwelle
dies hier im Grundsatz dargelegt hat. Aber das wechselt
bei Ihnen ja wöchentlich. „Gefälligkeitsdemokratie“
steht bei Ihnen drin, auch wenn Sie sagen, dass Sie das
nicht wollen. Ich wäre ja zufrieden, wenn wir uns wieder
auf die soziale Marktwirtschaft zurückbesinnen würden.
Ich glaube, dass es auf dem Weg zu einer neuen Politik jenseits von rechts und links innerhalb von Europa
schon jetzt ein Ergebnis gibt: Die großen politischen
Lager, auf der einen Seite die Staatsinterventionisten
und auf der anderen Seite die Marktideologen, haben
beide verloren. Wir haben uns über den Beitrag von
Tony Blair und Gerhard Schröder gefreut. Wir sehen in
ihm einen Debattenbeitrag innerhalb Europas zur Verständigung über strategisch-programmatische Aktionen in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik, aber
auch in der Finanzpolitik. Denn wir glauben, es geht
heute nicht mehr darum, sich wechselseitig Vorwürfe zu
machen oder sich irgendwelchen ökonomischen Schulen
zuzuordnen.
({5})
Vielmehr geht es darum, einen Wettbewerb um die
besten Instrumente in Europa zu beginnen.
({6})
Ich bin sehr froh, dass Giddens die Debatte in Europa
maßgeblich vorantreibt, dass sich Herr D'Alema mit
Herrn Clinton zusammensetzen kann, dass man anders
miteinander redet und zum Beispiel über das Wort „Sozialismus“ auch einmal lächeln kann.
Man wird in der Bundesrepublik dem Problem hoher
Arbeitslosigkeit und der Aufgabe, den Sozialstaat wirklich fit zu machen für den Strukturwandel, nur gerecht
werden, wenn man über die nationalen Grenzen hinaus
Politik betreibt. Man wird Wirtschaftspolitik durch lebenslanges Lernen ergänzen müssen. Dann werden wir
die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind,
bewältigen können.
Abschließend noch diese Bemerkung - auch das wurde von den Vorrednern schon gesagt -: Ich glaube nicht,
dass man dem Thema Globalisierung mit einer Debatte
vor dem Hintergrund dieser beiden Anträge und mit
Fünf- bis Siebenminutenbeiträgen gerecht wird. Damit
ignorieren wir die Debatten, die nach Seattle - auf den
Straßen und hier im Hause - stattgefunden haben. Wir
sollten diese Kritik ernst nehmen und mit unseren Geschäftsführern in dieser Richtung diskutieren.
({7})
Danke schön.
({8})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Sigrid SkarpelisSperk für die SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann der letzten Bemerkung der
Kollegin Wolf nur zustimmen: Eine halbe Stunde für ein
solches Thema ist zu wenig. Aber eines muss ich auch
sagen: Mit zwei schon angejahrten Anträgen aus dem
vergangenen Jahr
({0})
und dem verfrühten Karnevalsscherz der F.D.P. wird
leider eine Chance vertan, ernsthaft über eines der zentralen Probleme der Globalisierung und der Weiterentwicklung des Welthandels sowie über die Lehren und
Schlussfolgerungen zu sprechen, die wir aus dem Scheitern der WTO-Konferenz in Seattle vom Dezember 1999
ziehen sollten.
({1})
- Herr Kollege Protzner, nehmen Sie zur Kenntnis, dass
die Kollegen der CDU, die in Seattle waren, sich durchaus der überparteilich bestehenden Meinung anschlossen
und Ihr Dazwischenreden einigermaßen sinnlos ist. Wir
sollten uns hier konsequent über die Probleme unterhalten und nicht einfach dazwischenblöken, wenn Sie mir
die Bemerkung gestatten.
({2})
Denn - täuschen wir uns nicht - was in Seattle auf
den Straßen sichtbar wurde, war nicht der Protest einer
kleinen gewalttätigen Minderheit, - wie US-Präsident
Clinton es zu Recht betonte -, sondern eine breite Koalition aus dem Herzblut der beiden großen Volksparteien
der USA. Gewerkschaften demonstrierten friedlich und
einträchtig mit Umweltorganisationen, der Verbraucherbewegung, der Bürgerrechtsbewegung, den Verbänden bäuerlicher Familienbetriebe, den kleinen Fischereibetrieben und vielen Intellektuellen.
Sie alle einte - wir haben das in Seattle erlebt - gegenüber der Welthandelsorganisation als einer der wesentlichen Akteure der Globalisierung ein zunehmendes
Gefühl der politischen Ohnmacht, des wirtschaftlichen
Ausgeliefertseins und der sozialen Unsicherheit. Die
Menschen hatten - im politischen Spektrum von ganz
rechts über die breite Mitte bis ganz links - die Befürchtung, dass eine weitgehend anonyme Handelsbürokratie
im Verein mit Big Business über ihre Arbeit, ihr Einkommen, ihre Lebensqualität und über die Zukunft ihrer
Kinder verfügt und diese sich zunehmend der demokratischen Kontrolle der Nationen entzögen.
Ein Kritikpunkt hat in Seattle Gegner wie Befürworter einer weiteren Liberalisierung des Welthandels geeint, nämlich die mangelnde Transparenz der Welthandelsorganisation, was Inhalte, Abläufe und Entscheidungsverfahren angeht, und - von allen unbestritten die fehlende, demokratische Kontrolle der Organisation
selbst.
Margareta Wolf ({3})
Der Kollege Fritz hat zu Recht angesprochen, dass
es - angeführt von US-Senator Bill Roth - eine breite
Unterstützung der in Seattle anwesenden Parlamentarier
dafür gegeben hat, vorzuschlagen, der WTO in Genf eine parlamentarische Begleitung und Kontrolle mitzugeben. Ich meine, der Deutsche Bundestag und seine
Fraktionen sollten sich dieser Forderung anschließen
und sie aktiv unterstützen.
({4})
Die Welthandelsorganisation braucht neben einer
demokratischen Legitimation unbezweifelbar eine Reform an Haupt und Gliedern. Es war schlicht skandalös,
wie die kleinen Länder, vor allem die ärmsten Entwicklungsländer, auf der Konferenz behandelt wurden. Ihr
öffentlicher Protest war berechtigt.
Wenn wir so mit den kleinen Nationen umgehen, dürfen
wir uns nicht wundern, wenn sie auf der Konferenz sagen: Nicht mehr so mit uns, sonst habt ihr uns gegen
euch. Das kann man nur unterstützen.
({5})
Transparenz, Teilhabe aller Mitglieder und Demokratisierung sind also unabweisbar, wenn wir weiterkommen wollen, reichen aber nicht aus. Auch die Ziele und
Inhalte müssen sich ändern. Die Europäische Union hatte mit ihrem Vorschlag eines umfassenden Mandats
und der „neuen Themen“ - mit breiter Unterstützung
der Bundesregierung und des deutschen Parlaments; wir
hatten im Deutschen Bundestag im Oktober vergangenen Jahres darüber diskutiert, unter den Themen waren
die Einbeziehung von Arbeits- und Sozialstandards erste Schritte in Richtung einer gerechteren, sozial- und
umweltverträglichen Welthandelsordnung vorgeschlagen, die auch einen weltweiten Wettbewerb und dessen
Regulierung einbezieht.
Die Verwirklichung einer solchen neuen Ordnung
wäre ein anspruchsvolles und kühnes Vorhaben für eine
immer enger zusammenwachsende Welt, in der Wirtschafts- und Währungskrisen schnell von einer Weltregion in die andere umspringen und globale Konsequenzen von ungebremstem Ressourcenverbrauch und zunehmender Umweltverschmutzung unübersehbar und
immer weniger zu verantworten sind.
Deswegen ist es notwendig, dass wir uns nicht nur in
der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“, sondern
auch in unseren aktuellen Diskussionen über die Fortführung der WTO-Verhandlungen nicht allein über mehr
Demokratie und eine bessere Organisation, sondern ebenso über die Grundpfeiler einer solchen Weltwirtschaftsordnung unterhalten. Dazu gehören ohne Zweifel
die Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung und
der schrittweisen Umsetzung verbindlicher und sanktionierbarer Umweltabkommen, die Stärkung eines
möglichst schwankungsfreien qualitativen Wirtschaftswachstums und eine Vermeidung großer Währungskrisen durch die Reduzierung von Wechselkursschwankungen durch eine verstärkte Regulierung der Weltfinanzmärkte und natürlich effektive Wettbewerbskontrollen weltweiter wirtschaftlicher Macht. Das ist besonders
für uns Sozialdemokraten sehr wichtig. Sehr wichtig ist
weiterhin die verbindliche Verankerung humanitärer,
sozialer, gesundheitlicher und kultureller Rechte in allen
Teilbereichen einer solchen Weltwirtschaftsordnung
sowie die Verpflichtung aller internationaler Institutionen auf ihre Durchsetzung.
Wenn wir nicht wollen, dass die Menschen gegen
diese neuen Ordnungen angehen und das Tempo, das
Sie, Herr Fritz, zu Recht beschworen haben, beklagen
und bemängeln, dass es ihnen zu schnell gehe, dass sie
sich aufgefressen fühlten und dass sie Ängste hätten,
müssen wir mit den Menschen reden und sie überzeugen, dass wir nicht an einem neuen Turmbau
zu Babel oder gar an der Etablierung eines arbeit- und
umweltfressenden Molochs arbeiten, sondern an einer
Weltverfassung einer globalen Wirtschaft, die den Interessen der Völker der Welt und der Zukunft unserer
Kinder wirklich dient.
Das bedeutet, Frau Kollegin Kopp, dass es nicht
reicht, nur allgemeine Sätze aufzuschreiben. Es reicht
auch nicht, wenn wir sagen, dass der Welthandel und die
globale Weltordnung uns allen helfen würden.
({6})
Wir dürfen die Bedingungen, unter denen sich eine sozial- und umweltverträgliche neue Weltwirtschaftsordnung wirklich zugunsten der gesamten Menschheit positiv auf die Interessen der Völker auswirkt und der Zukunft unserer Kinderdient, nicht nur beschreiben, sondern wir müssen darüber mit den Menschen diskutieren.
Wir müssen diese Bedingungen Schritt für Schritt auf
jedem Feld und in jeder internationalen Organisation
wirklich umsetzen. Denn sonst werden uns die Menschen entweder für Propagandaredner oder für
Windbeutel halten, die nicht darauf hinarbeiten, dass die
Politik das tut, was sie tun soll, nämlich Leben, Arbeit
und Wirtschaft gestalten.
({7})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der F.D.P. zur Globalisierung auf der
Drucksache 14/2028, Buchstabe a. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1132 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion an-
genommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zur Weltwirtschaftsordnung auf
der Drucksache 14/2028, Buchstabe b. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/954 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf.
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Clau dia Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Lu
ther, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Einheitliches Versorgungsrecht für die
Eisenbahner herstellen
- Drucksache 14/2522 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt
Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post der DDR
- Drucksache 14/2729 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Manfred Grund.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Versorgungsrecht der ehemaligen Reichsbahner der DDR
steht keineswegs ein neues Thema auf der Tagesordnung
dieses Hauses. Wir haben uns in der Vergangenheit wiederholt damit beschäftigt, zuletzt im April 1998, als die
PDS den Antrag gestellt hatte, ein zeitlich befristetes
Versorgungssystem sui generis einzuführen. Dieser Vorschlag ist damals von allen anderen in diesem Haus vertretenen Fraktionen einstimmig abgelehnt worden. Gemeinsam waren wir uns aber darin einig, dieses Thema
in der kommenden, das heißt in der jetzigen, Wahlperiode noch einmal aufgreifen zu wollen. Diese damals gezeigte Einmütigkeit sollte die Basis für das gemeinsame
Bemühen um eine sachgerechte Lösung im Interesse der
betroffenen Menschen sein.
({0})
Von daher geht auch jeder Vorwurf fehl, wir als
CDU/CSU würden jetzt in der Opposition etwas einfordern, was wir in Zeiten der Regierungstätigkeit noch abgelehnt hätten. Richtig ist, dass das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bislang stets
eine den spezifischen Besonderheiten der Eisenbahnerversorgung der DDR Rechnung tragende Regelung als
mit dem Prinzip der Beitragsbezogenheit der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vereinbar abgelehnt hat.
Aber erstens haben sich nachweislich alle Kolleginnen
und Kollegen - auch die von der jetzigen Regierungskoaltion - , die sich früher mit diesem Thema näher beschäftigt haben, mit diesem Ergebnis schon damals nicht
abgefunden. Das gilt für mich persönlich ebenso wie für
die damaligen Koalitionskollegen von der F.D.P.
Zweitens ist jetzt ein umgekehrtes Szenario zu befürchten. Nach allem, was in den vergangenen Monaten
an Aussagen zu dieser Thematik von der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium,
Frau Kollegin Mascher, zu vernehmen war, hat sich die
Haltung des Ministeriums in dieser Frage nicht geändert,
obwohl es - das ist neu - inzwischen eine Reihe von
einschlägigen Urteilen des Bundessozialgerichts gibt, in
denen eindeutig nachgewiesen wird, dass die bislang
praktizierte Rentenberechnung für die Reichsbahner
eindeutig falsch ist. Man darf deshalb gespannt sein, wie
sich hierzu die SPD einlassen wird, hatte sie sich doch
als Opposition einst selbst für eine dem Anliegen der Eisenbahner gerecht werdende Lösung stark gemacht.
Die Tatsache, dass wir es hier mit einer noch offenen
Frage im weiten Feld der Rentenüberleitung zu tun haben, darf indessen nicht den Blick dafür verstellen, welche gewaltigen und großartigen Anstrengungen die damalige, von der CDU/CSU geführte Bundesregierung
unternommen hat, die Rentenansprüche und Rentenanwartschaften aus der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR in die gesetzliche Rentenversicherung der
Bundesrepublik zu überführen.
({1})
Trotz mancher Probleme und vieler anfänglicher Ungereimtheiten gehört die Schaffung eines einheitlichen
Rentenrechts im wiedervereinigten Deutschland zu den
herausragenden Leistungen im deutsch-deutschen Einigungsprozess.
In kaum einem anderen Bereich hat die Rechtsangleichung zwischen Ost und West mehr Vertrauen in den
bundesdeutschen Rechtsstaat und seine sozialen Sicherungssysteme geschaffen wie im Rentenrecht. Millionen
von Rentnern in den neuen Bundesländern erhielten
erstmals eine Rente, die in etwa ihrer Lebensarbeitsleistung entsprach. Sie wurden so aus einer sozialen Randlage befreit, in der sie sich vorher über Jahrzehnte quasi
als Almosenempfänger von Politbüro-Gnaden befanden.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir ein besonderes Anliegen, wenige Monate vor dem zehnten
Jahrestag der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion
noch einmal daran zu erinnern. Worum geht es bei der
zugegeben nicht ganz einfachen Materie? Es geht um
die Anerkennung der historisch gewachsenen Ansprüche
und Anwartschaften der Beschäftigten der Deutschen
Reichsbahn auf Altersversorgung, vergleichbar der betrieblichen Altersversorgung bei der früheren Deutschen
Bundesbahn. Die Besonderheit der Altersversorgung der
Deutschen Reichsbahn lag darin begründet, dass es sich
Vizepräsidentin Petra Bläss
um eine Gesamtversorgung, bestehend aus einem Anteil
der Sozialpflichtversicherung und einem aus dem
Dienstverhältnis resultierenden Versorgungsanteil, handelte. Die Reichsbahner hatten ab 1956 Anspruch auf
eine erhöhte Sozialpflichtversicherungsrente. Die daraus
zu erzielende höchste Versorgungsleistung - in
Abhängigkeit der Anzahl absolvierter Dienstjahre - lag
mit 800 Mark um bis zum 1,8fachen höher als die
allgemeine Sozialpflichtversicherung mit ihrer Bemessungsgrenze von 600 Mark. An dieser gesetzlich garantierten höheren Rentenversorgung änderte sich auch
nichts mit der Einführung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung FZR, im Jahre 1971. Änderungen ergaben
sich erst mit der Eisenbahnerverordnung von 1974, mit
der die Bewertungskriterien für die Versorgungsleistungen modifiziert wurden. An die Stelle der nach Dienstjahren bemessenen Prozentsätze des anrechnungsfähigen
Tariflohnes trat die Einführung eines jährlichen Steigerungssatzes von 1,5 Prozent.
Für die Rentenberechnung ist aus heutiger Sicht entscheidend, dass die bis dahin erworbene Altersversorgung der Beschäftigten im Zuge von Günstigkeitsberechnungen letztendlich mit oder ohne Beitritt zur
FZR erhalten blieb. Für die Eisenbahner war es deshalb
weder rechtlich geboten noch faktisch notwendig, ihre
Anwartschaften auf eine erhöhte Sozialversicherungsrente durch Beitritt zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung und Zahlung von eigenständigen entsprechenden Beiträgen aufrechtzuerhalten.
({3})
Das Bundessozialgericht hat in seinen bereits erwähnten Entscheidungen angesichts dieser Gegebenheiten der Eisenbahnerversorgung auf der Grundlage geltenden Rechts auf eine Höherbewertung der Altersversorgung erkannt. Die bisherige Begrenzung des für die
Rentenberechnung zu berücksichtigenden Arbeitsverdienstes auf 600 Mark ist danach aufzugeben. Vielmehr
ist nach § 256 a SGB VI der reale Monatslohn zugrunde
zu legen. Vergleichbares gilt übrigens für die Beschäftigten bei der Deutschen Post.
({4})
Meine Damen und Herren, die Rentenversicherungsträger sehen diese Entscheidungen des Bundessozialgerichtes über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht
als bindend an. Weiterhin stellen sie sich auf den Standpunkt, Entgelte oberhalb von 600 Mark nur zu berücksichtigen, insoweit auch Beiträge zur FZR abgeführt
worden sind. Es bedarf nicht viel Vorstellungskraft, um
nachzuvollziehen, was dies für das Rechtsvertrauen von
Tausenden von Reichsbahnern bedeuten muss.
({5})
Wir sind der Meinung, dass die Haltung der Rentenversicherungsträger korrigiert werden muss und die Berechnung der Altersrenten für alle Reichsbahner nach
Maßgabe des Urteils erfolgen muss.
({6})
Dabei sehen wir auch durchaus die sich daraus ergebenden schwierigen finanziellen Probleme für die gesetzliche Rentenversicherung. Nach Schätzung der BfA wären bei Bahn und Post ungefähr 130 000 Personen von
einer solchen Regelung betroffen. Die zusätzlichen Belastungen würden sich auf ungefähr 130 Millionen DM
jährlich belaufen.
Diese finanzielle Belastung allein kann nach meinem
Rechtsverständnis jedoch keine Rechtfertigung dafür
sein, dass berechtigte, durch das zuständige oberste Bundesgericht bestätigte Ansprüche auf Dauer negiert
werden. Wenn die Rentenversicherungsträger nicht zu
einer dem Bundessozialgericht folgenden Haltung zu
bewegen sind, ist die Bundesregierung gefordert, den
Reichsbahnern durch eine gesetzliche Klarstellung in
§ 256 a SGB VI zu ihren berechtigten Rentenansprüchen
zu verhelfen.
Besonders schwer wiegt aus Sicht der Reichsbahner,
dass bislang keine Überführung der Altersversorgung
der Deutschen Reichsbahn in bundesdeutsches Recht
stattgefunden hat. Dabei ist der Erwerb von Ansprüchen
und Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn überhaupt nicht umstritten. Dies wird auch von der Bundesregierung in der
Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf Drucksache
14/1426 so gesehen. Jedoch seien - so die Bundesregierung in ihrer Antwort - die Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung 1974 in die Sozialversicherung überführt worden und von daher nicht mit der Zusatzversorgung für Beschäftigte der Deutschen Bundesbahn vergleichbar.
Ich denke, dass die von der Eisenbahnergewerkschaft
vorgelegten Dokumente und Unterlagen genügend Anhalt dafür bieten, diese Sichtweise noch einmal einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Wie gesagt war die Altersversorgung der Reichsbahn
seit 1956 als eine durch Umlageverfahren finanzierte
Gesamtversorgung ausgestaltet, bestehend aus einem
Anteil der allgemeinen Sozialpflichtversicherung und
einem diesen ergänzenden Versorgungsanteil. Dementsprechend wurden bei der Rentenberechnung durch das
Ministerium für Verkehrswesen beide Teile getrennt berechnet und auch getrennt ausgewiesen. Den Sozialpflichtanteil erhielt die Reichsbahn von der Sozialversicherung erstattet. Die Aufwendungen für den Versorgungsanteil wurden als Beitragsleistung der Arbeitnehmer in Form von einbehaltenem Lohn vom Arbeitgeber
Deutsche Reichsbahn getragen.
Bei dieser gesonderten Ausweisung der Anteile blieb
es auch ab 1974 mit der neuen Eisenbahnerverordnung.
Die Finanzierung erfolgte von da ab in voller Höhe aus
dem Staatshaushalt, wurde aber, was den Versorgungsanteil anbelangt, durch die sich aus der Kostensenkung
bei der Deutschen Reichsbahn resultierenden erhöhten
Gewinnabführungen an den Staatshaushalt abgesichert.
Im Zuge der Zusammenführung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zur Deutschen
Bahn AG ist im Eisenbahnneuordnungsgesetz der Fortbestand der Zusatzversorgung für die Beschäftigten
der Deutschen Bundesbahn gesichert worden. Für die
Reichsbahner unterblieb eine entsprechende Regelung,
trotz vieler struktureller Parallelen zu der Versorgung
der ehemaligen Bundesbahner. Wir sind der Auffassung,
dass dieser Sachverhalt in seiner Eigenheit im Interesse
der Betroffenen noch einmal ruhig und sachlich im Ausschuss und hier im Parlament aufgearbeitet werden sollte.
({7})
Es macht wenig Sinn, dass alle Parteien in Gesprächen mit den Eisenbahnern ihr Verständnis für deren Situation signalisieren, dass sich aber in der Substanz relativ wenig bewegt. Wir sollten deshalb gemeinsam die
Kraft für eine befriedende und befriedigende Lösung
finden.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Erika Lotz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir reden heute über den Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Schaffung eines einheitlichen Versorgungsrechts für die Eisenbahner.
Nun muss ich sagen, dass schon allein der Titel irreführend ist. Speziell zielt der Antrag auf die Verbesserung
der Alterssicherung ehemaliger Beschäftigter der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post ab.
Sie von der CDU/CSU-Opposition fordern zum einen, dass bei der Berechnung der Renten dieser Personen Arbeitsverdienste auch oberhalb von 600 DM angerechnet werden sollen, ungeachtet dessen, ob Beiträge
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt wurden. Zum anderen kritisieren Sie - Herr Grund hat es
auch schon vorgetragen - , dass historisch gewachsene
und rechtmäßig erworbene Ansprüche und Anwartschaften aus der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn
bislang nicht in bundesdeutsches Recht überführt worden seien.
Bevor ich mich nun in der Sache äußere, möchte ich
mein großes Erstaunen über diesen CDU/CSU-Antrag
zum Ausdruck bringen, auch wenn Ihnen das vielleicht
nicht gefällt. Das Renten-Überleitungsgesetz ist die
rechtliche Grundlage für ein einheitliches Rentenrecht in
ganz Deutschland. Dieses Renten-Überleitungsgesetz ist
am 20. Juni 1991 vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Sie erinnern sich doch hoffentlich
noch, dass sich die Regierungskoalition seinerzeit aus
CDU/CSU und F.D.P. zusammensetzte. Regiert hat diese Koalition bis Herbst 1998, als der Wähler sie auf die
Oppositionsbänke schickte.
({0})
Sie hatten also in all diesen Jahren durchaus mehrfach
die Möglichkeit, das Anliegen, das Sie in Ihrem jetzigen
Antrag vom 18. Januar 2000 vortragen, rechtlich zu regeln. Oder welchen Zeitraum verstehen Sie unter „historisch“?
Lassen Sie mich auch darauf hinweisen, dass sowohl
in der 12. als auch in der 13. Legislaturperiode die
rentenrechtliche Situation der ehemaligen Beschäftigten
der Deutschen Reichsbahn von verschiedener Seite
problematisiert worden ist. Wir von der SPD-Fraktion
hatten uns zuletzt 1996 im Bundestag dafür eingesetzt,
den in den Beschäftigungszeiten, die im Zeitraum von
März 1971 bis Dezember 1973 bei der Deutschen
Reichsbahn oder bei der Deutschen Post angefallen sind
tatsächlich erzielten Arbeitsverdienst bei der Rentenberechnung - unabhängig von der Zahlung von Beiträgen
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung - zu berücksichtigen. Obwohl die entsprechenden Forderungen von
den Betroffenen nicht nur an uns, sondern auch an die
damalige Regierungskoalition herangetragen worden
sind, also an den der heutigen Antragsteller, haben Sie
sich in Ihrer Regierungszeit nicht dafür ausgesprochen.
Es hat keine Mehrheiten für die Verbesserung der
rentenrechtlichen Situation der entsprechenden Personengruppe gegeben, obwohl es sich nur um ein kleines
Problem gehandelt hat. Damals haben Sie den Antrag
einfach abgeschmettert und heute wollen Sie sozusagen
die Rächer der Enterbten spielen. Ich denke, das werden
Ihnen die Leute so nicht durchgehen lassen.
({1})
Inzwischen hat das Bundessozialgericht - auch Herr
Grund hat darauf hingewiesen - sechs Revisionen aus
dem Bereich der Rentenversicherung der Angestellten
einschließlich des Rechts der Rentenüberleitung und des
Rechts der Überführung von Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen
DDR entschieden. Im Kern ging es in diesem Verfahren
darum, in welcher Höhe die in der ehemaligen DDR vor
dem 1. Juli 1990 aus entgeltlicher Beschäftigung erzielten Arbeitsverdienste von Beschäftigten der Deutschen
Reichsbahn oder der Deutschen Post bei der Ermittlung
der persönlichen Entgeltpunkte für eine Rente nach
dem Sozialgesetzbuch VI rechtserheblich sein können.
Umstritten war vor allem die Frage, ob Arbeitsverdienste, soweit sie über 600 Mark monatlich betragen
haben, auch dann als in der Pflichtversicherung versichertes Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sind, wenn die
Beschäftigten von der Möglichkeit der Beitragszahlung
zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung keinen
Gebrauch gemacht haben.
Die Rentenversicherungsträger haben die Rechtspraxis, Entgelte oberhalb von 600 DM für ehemalige Bahnund Postangehörige nur dann zu berücksichtigen, wenn
Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt worden sind. Die Urteile des Bundessozialgerichts
laufen darauf hinaus, die Kläger ebenfalls so zu stellen,
auch wenn sie keine Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt haben.
Wenn Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, sich Ihre frühere Beurteilung des Sachverhaltes in Erinnerung rufen, dann müssen Sie sicherlich feststellen, dass die Urteile nicht der Zielsetzung des
Gesetzgebers beim Rentenüberleitungsgesetz entsprechen; denn für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte aus Arbeitsverdiensten im Beitrittsgebiet sollten
ausschließlich die tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste
und Einkünfte maßgebend sein, für die im Rahmen der
bestehenden Beitragsbemessungsgrenzen Beiträge zur
Sozialversicherung, einschließlich der freiwilligen Zusatzrentenversicherung, gezahlt worden sind.
Die Rentenversicherungsträger sehen nun die zu diesem Sachverhalt getroffenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht als ständige Rechtsprechung an
und haben deshalb nur die Einzelurteile umgesetzt. Klar
ist jedoch allen Beteiligten, dass die durch die Rechtsprechung entstandene Situation auf Dauer nicht als
tragfähige Lösung angesehen werden kann.
Wir werden deshalb so schnell wie möglich Regelungen schaffen, die den Willen des Gesetzgebers in Bezug
auf die Urteile des Bundessozialgerichtes vom
10. November 1998 rechtlich klarstellen. Herr Grund,
die von der SPD in der Vergangenheit dazu vertretene
Position wird dabei nicht unberücksichtigt bleiben.
({2})
Bereits jetzt kann ich jedoch sagen, dass es für die
Schaffung eines neuen Versorgungsrechts ein Aufgreifen der 1956 in der ehemaligen DDR eingeführten betrieblichen Altersversorgung keine gesetzliche Handhabe gibt; denn beide Versorgungssysteme sind bereits
1974 in die Sozialversicherung der ehemaligen DDR
überführt worden.
Die Geltungsdauer der damaligen Vertrauensschutzbestimmungen ist durch den Einigungsvertrag auf den
31. Dezember 1991 begrenzt worden. Einen darüber hinausgehenden Vertrauensschutz für Versicherte regelt
das Renten-Überleitungsgesetz.
Nun stellen Sie in Ihrem Antrag fest, dass der Einigungsvertrag eine erneute Überführung der Ansprüche
und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung oder in das Tarifrecht des öffentlichen
Dienstes erfordert. Dazu möchte ich feststellen, dass
dies einfach nicht zutreffend ist. Wenn Sie sich einmal
ältere Drucksachen aus Ihrer Regierungszeit zu Gemüte
führen, in denen beispielsweise Fragen von Abgeordneten der jetzigen Regierungskoalition beantwortet wurden, dann werden Sie feststellen, dass der damalige Parlamentarische Staatssekretär Kraus dieses am 23.
September 1997 in einer Antwort auf eine Frage auch so
dargestellt hat. Vielleicht sehen Sie sich das noch einmal
an. Mich wundert nämlich schon, dass Sie hier jetzt ganz
andere Positionen vertreten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir erscheint es vor
diesem Hintergrund sinnvoll, die inhaltliche Diskussion
über Ihren Antrag im Rahmen des bevorstehenden Gesetzgebungsverfahrens wieder aufzugreifen. Ich hatte ja
gesagt: Eine Klärung ist notwendig, die Bundesregierung arbeitet daran. Wir werden in den Ausschussberatungen und hier im Parlament die Argumente noch austauschen. Meine Bitte wäre, nicht ganz nach dem Prinzip zu verfahren: Was gebe ich auf das, was ich gestern
gesagt habe? Vielmehr sollten Sie sich auch das noch
einmal genau anschauen, was Sie damals vertreten haben.
Frau Kollegin Lotz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?
Nein, ich möchte sie jetzt nicht
mehr zulassen. Ich denke, andere Kolleginnen und Kollegen möchten auch noch reden. Wir können die Debatte
dann ja im Ausschuss fortführen und uns dort austauschen.
Ich danke schön.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Manfred
Grund.
Frau Kollegin, was in
der Vergangenheit sowohl von Ihrer als auch von unserer Seite gesagt wurde, kann sich durchaus sehen lassen.
Ich habe mir schon die Mühe gemacht, einmal in den
Unterlagen der letzten Jahre nachzuschauen, was sowohl
von unserer Seite als auch von Ihrer Seite zu diesem
Thema kam. Ich habe damals noch im Bundestag in
Bonn dazu gesagt, dass bei der Überführung der Altersversorgung der Reichsbahner eine Regelungslücke entstanden ist, die geschlossen werden sollte.
({0})
Ich habe auch davon gesprochen, dass aufgeschoben
nicht gleich aufgehoben ist und wir in der jetzigen
Wahlperiode das Thema auf die Agenda setzen wollten.
Damals hat von Ihrer Seite die Kollegin Rennebach
gesprochen und gesagt - das kann sich durchaus sehen
lassen, wenn Sie bei der Abfolge bleiben würden -:
Die SPD vertritt die berechtigten Anliegen der Beschäftigten der Reichsbahn und Post. In unserem
Gesetzentwurf vom Mai 1995 zur Novellierung der
Rentenüberleitung haben wir rentenrechtliche Berücksichtigung des vollen Arbeitsentgelts im Zeitraum vom 1. März 1971 bis 30. Juni 1990 verlangt,
weil Reichsbahner und Postbeschäftigte - mit wenigen Ausnahmen - angesichts der zugesagten Versorgungsansprüche keine Beiträge zur FZR gezahlt
haben.
Wenn man die Reden in diesem Kontext sieht, muss
man sagen: Die Regierung hat gewechselt, die Stichwortgeber sind die gleichen geblieben.
({1})
Frau Kollegin Lotz,
zur Erwiderung, bitte.
Herr Grund, ich will es einfach
wiederholen: Sie hatten seit 1991 - ich sage an der Stelle nicht: seit 16 Jahren - und vor allen Dingen, nachdem
die Betroffenen die Anliegen vorgetragen hatten, Gelegenheit, dies zu tun. Das haben Sie nicht gemacht. Ich
hatte vorhin ja auch gesagt, dass unser Anliegen, also
das, was die SPD-Fraktion in der Vergangenheit vertreten hat, auch Berücksichtigung finden wird. Ich weiß gar
nicht, warum Sie diese Kurzintervention hier jetzt noch
gemacht haben.
({0})
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Irmgard Schwaetzer für die
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser kurze Wortwechsel hat schon deutlich gemacht, wie schwierig es
ist, die in der DDR entstandenen Rentenanwartschaften
nach den Prinzipien des alten, gewachsenen westdeutschen Rentenrechtes zu übertragen. Wir haben uns in all
den Jahren sehr schwer damit getan. Mit dem heute zu
debattierenden Problem haben sich in der vergangenen
Legislaturperiode alle Fraktionen beschäftigt. Ich erwähne hier besonders die Kollegin Dr. Gisela Babel,
aber auch die Kollegin Pieper und den Kollegen Lühr,
die immer wieder versucht haben, diese Frage, die nach
unserer Auffassung unbefriedigend geregelt war, einer
Lösung zuzuführen.
In einem Punkt möchte ich Sie, liebe Frau Lotz, noch
ergänzen. Natürlich kann man sich immer darauf zurückziehen, dass man das seit 1991 hätte anders regeln
können. Aber jetzt gibt es einen Anlass, nämlich das Urteil des Bundessozialgerichtes vom November 1998.
Das war nach dem Regierungswechsel.
({0})
Insofern ist es durchaus folgerichtig, dass das Thema
jetzt wieder hier auf den Tisch kommt. Sie haben gesagt,
die Regierung denke nach. Das ist immer gut. Aber wir
möchten schon sehr schnell wissen, wo dieses Nachdenken enden wird.
Die F.D.P. wird sich auf der Grundlage dieses Urteils
dem berechtigten Anliegen der Eisenbahner nicht verschließen.
({1})
Auch die Bundesregierung hat im Übrigen schon im
letzten Jahr auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU zutreffend darauf hingewiesen, dass mit dem Urteil des
Bundessozialgerichts - sie hat es nicht auf die Einzelfälle beschränkt und sich damit erkennbar nicht der Interpretation der Rentenversicherungsträger angeschlossen,
dass das Urteil nur auf die vor dem Bundessozialgericht
verhandelten Fälle anzuwenden sei - offensichtlich auch
Einkommen über 600 Mark rentenrechtlich zu werten
seien, selbst wenn keine Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt worden sind.
Insofern wünsche ich mir, Frau Mascher, dass Sie
heute die Zusage geben, dass die Bundesregierung an
der in ihrer Antwort im Juli des letzten Jahres gegebenen
Haltung festhält. Natürlich muss dann geklärt werden,
wie diese Zeiten finanziert werden. Dabei sollte sie allerdings berücksichtigen, dass, auch wenn hier kein Generationenvertrag vorliegt, eine Finanzierung gefunden
werden kann, wie es zu anderen Zeiten bei in die Rentenversicherung übernommenen Lasten auch schon gemacht worden ist.
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
sich die F.D.P. in der vergangenen Legislaturperiode
schon hätte vorstellen können, dass es andere Lösungen
für diese Frage gibt.
({2})
Wir haben immer wieder angeregt, dass dieses Anliegen
der Eisenbahner in den Tarifverträgen Berücksichtigung findet oder dass Ansprüche gegenüber dem Bundeseisenbahnvermögen geltend gemacht werden können.
Beides wäre eine tragfähige Lösung gewesen. Allerdings
haben sich die Gewerkschaften um dieses berechtigte
Anliegen der Eisenbahner nicht gekümmert. Insofern ist
jetzt der Gesetzgeber am Zuge.
Wir werden den Antrag der CDU/CSU unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Helmut
Wilhelm.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Anträge von CDU/CSU und PDS sind auf
die Umsetzung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 zur rentenrechtlichen
Bewertung von Beschäftigungszeiten bei der Deutschen
Reichsbahn und darüber hinaus auch der Deutschen Post
in der ehemaligen DDR gerichtet. Gefordert wird aus
Gründen der Gleichbehandlung mit ehemaligen Bundesbahn- und Bundespostmitarbeitern und zur Überführung
der Ansprüche aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen die Überleitung der Altersvorsorge dieses Personenkreises in bundesdeutsches Recht.
Das Bundessozialgericht hat am 10. November 1998
entschieden, in welcher Höhe die in der DDR erzielten
Arbeitsverdienste bei der Berechnung einer Rente nach
dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches rechtserheblich sein können. Diese Frage war im Übrigen auch Gegenstand einer Petition, über die der Petitionsausschuss
des Bundestages im September 1999 zu entscheiden hatte. Hierbei wurde einstimmig beschlossen, die Petition
dem Bundesarbeitsminister als Material zu überweisen,
weil der Ausschuss hier Regelungsbedarf gesehen hat.
Das Bundesarbeitsministerium wird eine Gesetzesinitiative zur gesetzlichen Klarstellung der sich aus den UrteiErika Lotz
len des Bundessozialgerichts ergebenden Fragen initiieren.
Die Einbeziehung von Ansprüchen ehemaliger
Reichsbahnmitarbeiter in die Zusatzversorgung der
Deutschen Bundesbahn bzw. der Deutschen Bahn AG
ist dabei allerdings nicht möglich, weil diese nach dem
Eisenbahnneuordnungsgesetz - das ebenso wie das
Renten-Überleitungsgesetz unter der CDU/CSU-Ägide
zustande gekommen ist - nur auf die Arbeitnehmer Anwendung finden kann, die vor Gründung der DB AG
dort versichert waren.
Auch im Einigungsvertrag gibt es für diese Forderung keine Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht
hat im Übrigen nicht etwa entschieden, dass im Beitrittsgebiet erworbene Ansprüche aus Zusatz- oder Sonderversorgungen der Eigentumsgarantie des Art. 14
Grundgesetz unterliegen, sondern es hat klargestellt,
dass Art. 14 erst mit dem Beitritt der DDR nach Maßgabe des Einigungsvertrages zum Tragen kommt.
Die Bundesregierung wird also eine Gesetzesinitiative zur Klarstellung des Rahmens der Entscheidung des
Bundessozialgerichtes ergreifen. Dies wird sie auch für
die Beschäftigten der Deutschen Post entsprechend tun.
Die Forderung zwei im CDU/CSU-Antrag kommt aber
hierbei nicht in Betracht; denn diese käme der Neuschaffung einer zusätzlichen Sicherung für ehemalige Beschäftigte von Reichsbahn und Deutscher Post gleich.
({0})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Monika Balt für die PDSFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Ausgangssituation für
unseren Antrag war, dass die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post in der DDR
historisch gewachsene Ansprüche auf eine Altersversorgung erworben haben. Im Prozess der deutschen Einheit
wurden aber keinerlei Regelungen zur Weitergewährung
der erworbenen Ansprüche und Anwartschaften getroffen. Das muss ja wohl die damalige Bundesregierung
veranlasst haben.
({0})
Wohl aber wurde das Vermögen der Deutschen Reichsbahn, aus dem die Beiträge rechtmäßig gezahlt wurden,
in das Bundesvermögen überführt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Nun haben ehemalige Beschäftigte von Reichsbahn
und Post zum einen eine Lücke in der rentenrechtlichen
Anerkennung ihrer Einkünfte nach dem SGB VI. Zum
anderen berücksichtigt das bundesdeutsche Rentenrecht
nicht ihre Versorgungsansprüche. Trotz der Entscheidung des Bundessozialgerichtes - im Urteil wird die
Fehlerhaftigkeit der bis dahin praktizierten Rentenberechnung eindeutig nachgewiesen - handeln die Rentenversicherungsträger nicht danach. Die Rechtsprechung
durch das Bundessozialgericht sei noch nicht gefestigt.
Außerdem argumentierten sie mit einer fehlenden
Erstattungsregelung durch den Bund.
Das Bundessozialgericht entschied auch für die Beschäftigen, die am 1. Januar 1974 nicht der freiwilligen
Zusatzrentenversicherung beitraten, dass deren Einkommen über 600 Mark bei der Rentenberechnung zu
berücksichtigen seien. Mit dem Urteil sollte die Ungleichbehandlung in der Alterssicherung gegenüber den
Kolleginnen und Kollegen der bundesdeutschen Bahn
und Post beseitigt werden. Die Altersversorgungsansprüche der Bundesbahner wurden ja schon beispielhaft
gesichert; eine befriedigende und gerechte Regelung für
die Reichsbahner steht aber immer noch aus.
({1})
Deshalb fordert die PDS-Fraktion die Bundesregierung auf, bis spätestens 30. September 2000 eine rechtliche Regelung vorzulegen, welche die rentenrechtlichen
Ansprüche der Reichsbahner und Postler in vollem Umfange berücksichtigt. Darüber hinaus müssen Versorgungsregelungen geschaffen werden, die die Ansprüche
und Anwartschaften aus den Versorgungsordnungen der
Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post entsprechend anerkennen. Eine Anspruchsberechtigung soll
rückwirkend ab 1. Juli 1990 für alle hiervon Betroffenen
gelten.
({2})
Die Finanzierung kann durch den Bund erfolgen, da
die Sondervermögen der Deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post nach der Einheit zu Bundesvermögen
wurden. Außerdem ist das Bundeseisenbahnvermögen
für die finanzielle Sicherung einzusetzen. Bei Bahn und
Post darf es im gleichen Betrieb keine Ungleichbehandlung in der Altersversorgung geben. Deshalb muss das
Gleichbehandlungsprinzip für Ost und West endlich
Realität werden.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/2522 und 14/2729 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN
Einbürgerungsverfahren human gestalten -
Einbürgerungshindernisse beseitigen
- Drucksachen 14/1757, 14/2565 Berichterstattung:
Abgeordnete Lilo Friedrich ({1})
Helmut Wilhelm ({2})
Meinrad Belle
Marieluise Beck ({3})
Dr. Max Stadler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Lilo Friedrich, Wolfgang Zeitl-
mann, Marieluise Beck, Max Stadler, Ulla Jelpke und
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.*) Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch.
Wir kommen deshalb gleich zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Gestaltung des Einbürgerungsverfahrens auf Drucksache
14/2565. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1757 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Erleichterung der Verwaltungsreform in den
Ländern ({4})
- Drucksache 14/640 ({5})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6})
- Drucksache 14/2797 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Hans-Otto Wilhelm ({7})
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Michael Bürsch, Hans-Otto
Wilhelm.**) Ekin Deligöz, Max Stadler, Petra Pau und
der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.***)
({8})
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf des Bundesrates zur Erleichterung der Ver-
waltungsreform in den Ländern in der Aus-
schussfassung. Dies betrifft die Drucksachen 14/640 und
14/2797. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen
__________
*) Anlage 3
**) Der Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor
***) Anlage 4
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/2801 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig ange-
nommen.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz der in der zweiten
Beratung angenommenen Änderungen unmittelbar in die
dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstan-
den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies mit
der erforderlichen Mehrheit beschlossen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Pass- und Personalausweisrechts
- Drucksache 14/2726 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Rüdiger Veit, Wolfgang Bos-
bach, Cem Özdemir, Max Stadler, Petra Pau sowie der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper ha-
ben auch hierzu ihre Reden zu Protokoll gegeben.*)
Deshalb kann ich an dieser Stelle bekannt geben, dass
interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 14/2726 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen wird. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Hübner, Dr. Barbara Höll, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit
mit Kuba im Jahr 2000
- Drucksache 14/2263 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9})
Auswärtiger Ausschuss
__________
*) Anlage 5
Vizepräsidentin Petra Bläss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS ein Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Carsten Hübner für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich war deswegen dagegen,
die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll
zu geben, weil die Ministerin Kuba im Mai einen ersten
Besuch abstatten will. Dies wird der erste Besuch eines
deutschen Ministers auf Kuba seit der Revolution sein.
Ich war auch deshalb dagegen, weil es sich dabei wohl
weniger um einen Anstands- als um einen Arbeitsbesuch
handeln wird. Warum sollte das Parlament vor diesem
Hintergrund darauf verzichten, der Ministerin eine erste
Positionsbestimmung mit auf den Weg zu geben bzw.
hier ihre Meinung und ihre Pläne abzufragen - und sei
es anhand unseres Antrages?
Ich persönlich bin daran interessiert, weil die Ministerin seit Ihrem Amtsantritt in dieser Frage in der Öffentlichkeit eine konsequente Haltung eingenommen hat und
sich zudem andeutet, dass die Koalitionsfraktionen in
dieser Frage ebenfalls eine parlamentarische Initiative
anstreben werden.
Doch nun zum Antrag selbst: Ich erwarte nicht, dass
gerade aufseiten der CDU/CSU ein großer Jubel bezüglich Inhalt und Charakter unseres Antrages ausbrechen
wird. Ich erwarte jedoch, dass hier nicht mit gespaltener
Zunge geredet wird, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
({0})
Es ist richtig und auch von uns nicht zu bestreiten,
dass die Menschenrechtslage auf Kuba in vielen Bereichen problematisch ist. Es gibt politische Gefangene, eine restriktive Justiz inklusive der Todesstrafe, Einschränkungen der Meinungsfreiheit und anderer demokratischer Rechte. Dies zu sagen und anzumahnen, meine Damen und Herren, ist auch für uns eine Selbstverständlichkeit.
({1})
Aber es muss ebenso eine Selbstverständlichkeit sein,
dies nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu tun
und auch nach diesem Gebot zu reagieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Da befindet sich die Bundesrepublik im Gegensatz zu vielen anderen Ländern derzeit noch in einer erheblichen Schieflage, die allein ideologisch motiviert ist.
Anders ist es nicht zu erklären, dass es seit langer
Zeit bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit und
enge politische Beziehungen mit Staaten wie Nigeria,
Indonesien, Kolumbien usw. gibt. Selbst mit dem Südafrika der Apartheid waren enge ökonomische Beziehungen die Praxis, während Kuba bis heute bewusst abgekoppelt bleibt, obwohl die dortige Menschenrechtslage
bei aller Kritik ungleich besser ist als etwa in den angesprochenen Ländern. Dieser Widerspruch muss endlich
überwunden werden.
({2})
Zweitens. Die Verwirklichung von sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechten ist auf Kuba trotz des inzwischen international geächteten Wirtschaftsembargos
der USA und erheblicher ökonomischer Einbrüche nach
dem Ende des RGW weitaus fortgeschrittener als in den
umliegenden Ländern der Region. Ich nenne hier nur das
Schul- und Universitätssystem oder das Gesundheitswesen. Das gilt es anzuerkennen und gleichzeitig dafür zu
sorgen, dass mit entwicklungspolitischen Maßnahmen
eine Erosion dieser Errungenschaften und der weitere
Verfall der Infrastruktur aufgehalten und ins Gegenteil
verkehrt wird.
In diesem Prozess die Rolle der Zivilgesellschaft, der
Kirchen und weiterer gesellschaftlicher Akteure zu stärken ist eine Kernforderung unseres Antrags.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kuba ist ein ganz
besonderer Fall. Es kann aus vielerlei Gründen ein überaus interessantes entwicklungspolitisches Modell sein.
Ich will hier nur einige Aspekte nennen.
Erstens. Die Befürworter dieses Projektes reichen von
Olaf Henkel über die Bundesregierung bis hin zu Kirchenvertretern. Andere westliche und lateinamerkanische Länder sind trotz des Drucks der USA bereits aktiv.
Es gibt also gesellschaftsübergreifend und international
eine ganze Reihe von Partnern.
Zweitens. Das, was in vielen Entwicklungsländern
erst mühevoll entstehen muss - ich nannte als Beispiel
das flächendeckende Gesundheits- und Bildungswesen -, ist in seiner Struktur bereits etabliert und muss
deshalb lediglich reformiert und gefördert werden.
Drittens. Kuba ist bereits jetzt trotz aller Probleme
bereit, anderen Ländern Hilfe zu leisten. Ich nenne nur
den Schuldenerlass gegenüber Nicaragua nach der
Mitch-Katastrophe, immerhin 50 Millionen US-Dollar,
die Ausbildung von Ärzten und Technikern aus Entwicklungsländern oder den Einsatz kubanischer Ärzte in
vielen armen Ländern der Region und auch in Afrika.
({3})
Viertens. Die Menschenrechtslage ist ein strukturelles
Problem. Reformen sind unabdingbar. Dennoch haben
wir es nicht mit einem verselbstständigten Militär- oder
Polizeiapparat mit den entsprechenden Konsequenzen zu
tun. Das gilt es bei Reformvorhaben hervorzuheben. Das
macht Hoffnung auf einen Erfolg partnerschaftlichen
Dialogs und Engagements.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie
schlicht darum bitten, unseren Antrag sachlich zu diskutieren, mehr nicht. Damit wäre in diesem Land und für
die Menschen auf Kuba schon viel gewonnen.
Danke.
({4})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Glück, dass so
viele Reden zu Protokoll gegeben worden sind, sodass
wir die Zeit nun wunderbar für die Debatte nutzen können.
Bereits im letzten Jahrtausend hat die Ministerin die
Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba verkündet,
nämlich am 17. Dezember, wenn ich mich recht erinnere. Das heißt, wir gehen schon einer neuen Zeit entgegen, aber jetzt muss noch Butter bei die Fische kommen.
Kuba, ein Land mit 11 Millionen Einwohnern, lebt
zunehmend vom Tourismus sowie vom Zuckerrohr-,
Tabak- und Kaffeeanbau. Nach dem Zusammenbruch
der kommunistischen Diktaturen in Zentral- und Osteuropa und dem weitgehenden Entzug der Unterstützung
durch die betreffenden Länder sieht sich Kuba nach wie
vor großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen
ausgesetzt.
In Kuba gibt es keine parlamentarische, pluralistische
Demokratie. Vielmehr herrscht ein die politischen
Grund- und Freiheitsrechte verletzendes System mit einem die Bevölkerung überziehenden Überwachungsnetz. Die Planwirtschaft führt auch in diesem Land zu
Ineffizienz und Mangel, zur Verschwendung von Arbeitskraft, Material und Rohstoffen sowie zu weitgehender Lähmung von Eigeninitiative und Kreativität.
Auf der anderen Seite hat Kuba eine Reihe von entwicklungspolitischen Erfolgen aufzuweisen: Die Kindersterblichkeit ist niedriger, als sogar in manchen Industrieländern, alle Kinder und Jugendlichen haben kostenlosen Zugang zu Bildung und Ausbildung, die Lebenserwartung ist mit 76 Jahren etwa so hoch wie in der
Bundesrepublik Deutschland, sie liegt ein bisschen darunter. Das, was in der Entwicklungszusammenarbeit als
zentral angesehen wird, nämlich die Befriedigung der
Grundbedürfnisse, war in Kuba weitgehend gelungen,
ist jedoch jetzt, nach dem Zusammenbruch der osteuropäischen Diktaturen, aber auch durch das 1962 verhängte US-Embargo, aufgrund ausbleibender Hilfen in vielen
Bereichen infrage gestellt.
Richtig ist auch, dass sich Castro gegen Veränderungen wehrt, wie sie etwa in Zentral- und Osteuropa stattgefunden haben und noch immer stattfinden. Aber ohne
politische und wirtschaftliche Reformen und eine sie
von außen unterstützende Politik wird es keine durchgreifende, auf Dauer tragfähige Verbesserung der Lebenssituation der kubanischen Bevölkerung geben.
({0})
Nachhaltige Entwicklung braucht diese unterstützende Politik von außen. Deswegen begrüßt es die SPDBundestagsfraktion ausdrücklich, dass die Bundesregierung, insbesondere die Leitung des BMZ, beschlossen hat, erstmals die offizielle EZ mit Kuba aufzunehmen.
({1})
Frau Ministerin, Sie bekommen in dieser Frage unsere
volle Unterstützung.
({2})
Im „Spiegel“ vom 7. Februar dieses Jahres habe ich
unter der Überschrift „Heide bei Fidel“ zur Aufnahme
der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba gelesen:
Der entwicklungspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag
- ich sehe ihn leider nicht Klaus-Jürgen Hedrich geißelt das Vorhaben als
„bewusste Stärkung eines Gewaltregimes“. Die
„Hofierung eines Diktators mit Millionen deutscher
Entwicklungsgelder“ stehe in eklatantem Widerspruch zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung.
Kollege Hedrich - ich kann ihn jetzt leider nicht ansprechen -, das ist schade. Es geht nicht um die Hofierung eines Diktators, sondern schlicht darum, durch die
Entwicklungszusammenarbeit zum demokratischen
Wandel auf Kuba beizutragen, indem auch oppositionelle Gruppen auf Kuba unterstützt werden.
Denn es waren doch gerade die oppositionellen Gruppen, die uns im Vorfeld der Entscheidung bestätigt haben, dass auch sie sich von der Aufnahme der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit längerfristig positive gesellschaftliche und politische Impulse erhoffen. Dies
nehmen wir ernst und dies setzen wir um.
Ein weiterer Aspekt zur vorgetragenen Kritik: Unter
der alten Bundesregierung gehörte die Volksrepublik
China mit zu den größten Empfängern deutscher Entwicklungshilfe. Man kann ja wohl kaum sagen, dass
China ein Musterland der Demokratie sei, wo Partizipation und Menschenrechte groß geschrieben werden. Ich
denke, das hier postulierte Beispiel ist ein eklatantes
Beispiel für Doppelmoral.
({3})
Kollege Spranger sprach heute Morgen davon, dass
Menschenrechtsverletzungen in Kuba verharmlost werden, um die Entscheidung der zuständigen Ministerin
nicht zu diskreditieren. Ich denke, er hat nicht verstanden, was es bedeutet, ein Land zu unterstützen, das auf
einem sehr holprigen Wege zur Demokratie ist, und was
Entwicklungszusammenarbeit in diesem Zusammenhang
leisten kann.
({4})
Er hat heute Morgen auch noch andere Dinge über Kuba
gesagt, die ich besser nicht wiederhole. Denn dies wären
wieder Beispiele für Doppelmoral und die wollen wir ja
hier nicht noch zahlreicher werden lassen.
({5})
Viele Länder - Frankreich, Spanien, Italien oder auch
Kanada - haben längst mit der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba begonnen. Wir sind da etwas spät dran,
aber nicht zu spät. Die Vorgängerregierung hat eben
nicht auf praktischen Realismus gesetzt, wie er bereits
bei anderen Regierungen, Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen anzutreffen ist.
Gleichwohl stelle ich fest: Wir können nicht davon ausgehen, dass sich die Situation in Kuba kurzfristig verbessert. Aber über welches andere Entwicklungsland
können wir das schon sagen? Es wäre sicherlich auch
eine Illusion, wenn wir auf Kuba mit den nun avisierten
Mitteln weit reichende Bewegungen auslösen könnten.
Dennoch sage ich: Eine weitere Blockade von Kuba
wäre verkehrt. Die Politik des Embargo und der Isolierung, ausgehend besonders von den USA, hat keine
Veränderungen bewirken können. Sie trägt vielmehr zur
inneren Verhärtung bei. Der politische Dialog und die
Aufnahme von entwicklungspolitischen Beziehungen zu
Kuba sind daher der einzig richtige Weg, um mittel- und
langfristig Fortschritte zu erreichen. Nur durch einen aktiven Beitrag von unserer Seite können wir zu einem
friedlichen Wandel auf Kuba beitragen.
({6})
Überdies stand in Art. 29 des Einigungsvertrages,
dass die gesamtdeutsche Regierung verpflichtet ist, die
gewachsenen außenwirtschaftlichen Strukturen der Beziehungen der alten DDR unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten und unter Beachtung marktwirtschaftlicher Grundsätze sowie der Zuständigkeiten
der Europäischen Gemeinschaften fortzuentwickeln und
auszubauen. Die Regierung Kohl hat sich daran nicht
gehalten.
Auch deshalb sollte die Bundesregierung mit zu jenen
Staaten gehören, die einen positiven Wandel in Kuba
unterstützen. Sie ist meines Erachtens dazu verpflichtet.
Schon in früheren Legislaturperioden sind Delegationen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Kuba gewesen. Ziel der Reise, so heißt es in
einem Reisebericht, war es nicht, dort Entwicklungsprojekte zu besuchen, sondern Möglichkeiten der Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit im Hinblick auf
die Kriterien der Bundesregierung und im Hinblick auf
die diesbezüglichen Beschlüsse des Deutschen Bundestages zu prüfen. Eine Veränderung der Situation durch
eine wirtschaftliche Öffnung - auch durch Entwicklungshilfe aus Deutschland - ist als wahrscheinlich
anzusehen. Das wurde schon 1986 geschrieben. Wir sind
jetzt dabei, dies zu realisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schade, dass
sich die damalige Leitung des Hauses diese Position
nicht zu Eigen gemacht hat. Wir könnten heute zum
Beispiel in der Förderung der Zivilgesellschaft weiter
sein, als wir es sind.
({7})
Dies betrifft einen weiteren Punkt, die konkrete Projektarbeit. Die Bundesregierung startet ihre Zusammenarbeit mit Kuba mit einem Umweltschutzprojekt. Damit steht die Bundesregierung nicht nur im Einklang mit
dem Bundestagsbeschluss von 1993, in dem die Umwelt
als eines von möglichen Zusammenarbeitsfeldern mit
Kuba ausdrücklich erwähnt worden ist. Sie bewegt sich
mit ihrer Neuausrichtung auch auf einer Linie mit dem
gemeinsamen europäischen Standpunkt von 1996, der
im November 1999 bestätigt und bekräftigt wurde.
Wie sehr sich die Rahmenbedingungen sowohl politisch als auch wirtschaftlich geändert haben, zeigt auch
der Besuch einer Delegation des BDI und des IberoAmerika-Vereins in Kuba im letzten Jahr. Die Delegation wurde im Übrigen von Olaf Henkel angeführt - wir
haben das schon gehört -, wobei ich davon ausgehe,
dass sich das ganze Haus sicher ist, dass der BDIPräsident nicht zur Hofierung eines Diktators nach Kuba
reiste. Henkel hat nur weniger Berührungsängste als die
CDU. - Vielleicht raucht er auch gern Havannas; das
müssen wir ihn einmal fragen.
({8})
In der Pressemitteilung des BDI vom 7. Mai des letzten Jahres heißt es, dass der kubanische Markt ein interessanter Zukunftsmarkt sei, den wir uns sichern sollten. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen
Blocks - so heißt es weiter - habe Kuba 85 Prozent seines Handels mit den sozialistischen Ländern verloren.
Jetzt geht der Handel in umgekehrter Richtung. „Heute
ist die Europäische Union Kubas wichtigster Wirtschaftspartner.“
Und weiter heißt es:
Die Bedingungen für ein deutsches Engagement
sind auch deswegen gut, weil rund 30 000 Kubaner
in der ehemaligen DDR gearbeitet oder studiert haben und Deutsch sprechen.
Dieses Pfund sollten wir nutzen.
Vor dem Hintergrund der Globalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte nicht nur die deutsche
Wirtschaft auf Kuba aktiv werden; gerade die Politik,
insbesondere die Entwicklungszusammenarbeit, sollte
diesen Prozess ebenfalls positiv begleiten.
Im Januar war ich zusammen mit dem Kollegen
Kraus und dem Kollegen Günther in Kuba. Wir haben
dabei in verschiedenen Gesprächen mit offiziellen Gesprächspartnern auf bekannte kritische Positionen zu
Aspekten der kubanischen Politik hingewiesen und dazu
Stellung genommen, was politische Rechte und Bürgerrechte angeht. Wir waren uns auch einig in der Ablehnung jeglicher Isolations- und Konfrontationspolitik wir alle drei -, wie ja gerade auch die vorgesehene Aufnahme amtlicher Entwicklungszusammenarbeit zeigt.
Wir haben zugleich darauf hingewiesen, dass auch Kuba
gefordert ist, für den gewünschten Aufbau insbesondere
der Wirtschaftsbeziehungen die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Einig war sich die Delegation aber vor allem in einem
Punkt: Auch bei fortbestehenden Differenzen mit Kuba
- etwa im Bereich der politischen Bürgerrechte - gibt es
eine große Bereitschaft zur Intensivierung der Zusammenarbeit. Die jetzige neue Situation ermöglicht es
der Politik auch, die schon jetzt auf Kuba arbeitenden
Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen verstärkt
zu unterstützen. Ich nenne hier die Friedrich-EbertStiftung und die Hanns-Seidel-Stiftung oder die Deutsche Welthungerhilfe, den DAAD und die HumboldtStiftung. Wir als Entwicklungspolitiker haben allen
Grund, stolz auf die Stiftungen und auf die NGOs zu
sein, die dort ihre Arbeit tun und im Vorfeld der Entscheidung der Ministerin schon sehr, sehr gute Arbeit
geleistet haben, auf der sie aufbauen kann.
Auch in unserem Gespräch mit Kardinal Ortega
kam deutlich zum Ausdruck, dass er sich eine
fortgesetzte Zusammenarbeit des Auslandes mit Kuba
wünsche, denn diese trage zu Veränderungen zunächst
im wirtschaftlichen Bereich bei, die auf längere Sicht
auch politische Veränderungen mit sich brächten.
Auch das Gespräch mit Vertretern nicht zugelassener
Parteien sowie mit Menschenrechtsorganisationen zeigte
Übereinstimmung darin, dass die Gesprächsteilnehmer
eine fortgesetzte und intensivere Zusammenarbeit des
Auslands mit Kuba wünschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer dies alles bedenkt und die Realitäten richtig einschätzt, der kann nur
zu dem Urteil gelangen, dass die Aufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kuba der richtige
und zukunftsweisende Weg ist. Die jetzige Entscheidung
der Bundesregierung, den Start der Beziehungen mit einem bilateralen entwicklungspolitischen Umweltschutzprojekt zu beginnen, ist von GTZ und DED sorgfältig vorbereitet worden. Mit der Entwicklungsmaßnahme unterstützt die Bundesrepublik Deutschland den
kubanischen Aktionsplan gegen Wüstenausbreitung und
Dürre. Es sind dies konkrete Pilotmaßnahmen gegen
Versalzung, gegen Bodenerosion und zum Schutz der
Ufer des größten kubanischen Flusses, des Rio Cauto.
Beteiligt werden an dem Projekt auch kubanische Nichtregierungsorganisationen und nicht organisierte Bauern.
Dies ist eine von uns allen gewollte Stärkung der Zivilgesellschaft.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich nochmals auf den Disput eingehen, - -
Frau Kollegin, das
müssten Sie ganz, ganz kurz machen, denn Ihre Redezeit
ist schon vorbei.
Ja, das mache ich jetzt
ganz kurz. Ich bin gleich fertig. Ach so, da ist schon ein
Minuszeichen vor der Zeit! Das habe ich nicht gesehen.
({0})
Ich bin gleich fertig.
Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der von uns allen geschätzte Limburger Bischof Franz Kamphaus, der
sehr viel für die Entwicklungszusammenarbeit getan hat,
hat in einer Stellungnahme eindeutig Position zugunsten
eines Besuchs bezogen. Laut Bischof Kamphaus steht
Kuba seit Jahren im Blick kirchlichen Interesses. Es sei
daher ausdrücklich zu begrüßen, wenn nun das staatliche
Interesse an dem Land wachse. Ich kann dazu nur sagen:
Der Bischof ist ein kluger, aufgeschlossener Mann, und
wo er Recht hat, hat er Recht.
({1})
Nur noch einmal zur
Erläuterung an alle: Bei der Redezeit ist alles nach der
Null minus.
Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Erika Reinhardt.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entwicklungspolitik
ist ja nicht nur ein Instrumentarium zur direkten Behebung von Not und Elend; vielmehr ist Entwicklungspolitik auch ein politisches Instrument mit dem Ziel Hilfe
zur Selbsthilfe. Sicherlich ist Kuba, die größte Insel der
Großen Antillen, eine sehr wichtige Region und hat sicherlich auch Bedeutung; das ist gar keine Frage. Ich
war selber in Kuba und habe erlebt, was sich dort entwickelt hat und was nicht. Es war natürlich auch in der
Vergangenheit richtig, Gespräche zu führen, Kuba zu
besuchen und den Versuch zu unternehmen, zu einer
Zusammenarbeit zu kommen. In erster Linie muss es
aber unser Ziel sein, die Nichtregierungsorganisationen
zu unterstützen.
Der Deutsche Bundestag, also dieses Parlament, hat
am 14. Januar 1993 einen Beschluss gefasst, der immer
noch seine Gültigkeit hat. Da heißt es: Die Zusammenarbeit mit Kuba ist so zu gestalten, dass sie nicht als Unterstützung der dortigen Diktatur verstanden werden
kann. - Der vorliegende Antrag der PDS missachtet diesen Beschluss und hat nur ein Ziel: nämlich eine Diktatur zu unterstützen. Denn die PDS will nicht Hilfe für
die Kubaner, sondern Solidarität mit einem der letzten
kommunistischen Dinosaurier dieser Erde.
({0})
Die PDS fordert die Aufnahme offizieller - ich betone
immer wieder: offizieller - Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba. Damit man auch gleich weiß, was zu tun
ist, schlägt die PDS natürlich Projekte in Sektoren wie
Infrastruktur, Umwelt, Energie, Gesundheitsvorsorge,
Agrarproduktion und Bildung vor, also ein Rundumpaket, mit dem man den Staat von außen wieder aufbauen
möchte.
({1})
Begründet wird das Ganze mit der Versorgungskrise in
Kuba, die durch das US-Wirtschafts- und Handelsembargo ausgelöst worden ist.
({2})
Nur damit das klar ist: Ich halte Embargos grundsätzlich nicht für Erfolg versprechend, weil solche Maßnahmen es dem Diktator - oder dem Staatsmann - im
Grunde genommen ermöglichen, die Verantwortung, die
eigentlich er hat, ins Ausland zu schieben, anderen zuzuschieben und zu sagen: Ich bin ja eigentlich nicht
schuld; nur die sind schuld, weil sie mich boykottieren.
- Ich halte nichts von Embargos, weil sie wenig verändern.
Sie von der PDS verschweigen, dass die Krise in Kuba in erster Linie durch interne Faktoren verursacht
wurde: durch eine kurz vor dem Staatsbankrott stehende
Planwirtschaft - machen wir uns da nichts vor -, ein totalitäres Einparteiensystem, Menschenrechtsverletzungen und durch Unterdrückung der individuellen Bürgerrechte und Grundfreiheiten.
({3})
- Das ist schon ein Unterschied, liebe Kollegin Tröscher
- wir sind nicht auf einem Auge blind - China hat zumindest freie Wahlen.
({4})
Kuba ist jedenfalls die letzte klassische Diktatur.
({5})
Verstehen Sie mich bitte richtig: Eine offizielle bilaterale Entwicklungszusammenarbeit kann es nicht geben, solange sich die Rolle des Staates nicht verändert
und solange nicht einmal ein kleiner Schritt auf dem
Weg zur Demokratisierung zugelassen wird.
({6})
Was wir wollen, ist die Unterstützung auf nichtstaatlicher Ebene, bei den Kirchen, Stiftungen - das ist
schon angesprochen worden - und sonstigen Nichtregierungsorganisationen. Das ist Hilfe. Dort wird gute
Arbeit geleistet und den Kubanern im Grunde genommen geholfen. Seit Jahrzehnten machen dies die Stiftungen, die Kirchen und die Zivilgesellschaft dort.
({7})
Die relative Unabhängigkeit dieser Entwicklungshilfe
von diplomatischen und administrativen Zwängen staatlicher Regierungspolitik bietet die Chance zu direkter
Hilfe, auch ohne das System politisch aufzuwerten. Sie
helfen eher, den Umbruch des totalitären Einparteiensystems in Richtung eines demokratischen Mehrparteiensystems zu beschleunigen, indem die Menschenrechte
und die Beteiligung der Bevölkerung am politischen
Meinungsprozess ausreichend Beachtung finden. Deswegen ist diese Art der Hilfe die bessere.
Es war Minister Spranger, der in Kuba in den letzten
Jahren auf nichtstaatlicher Ebene sinnvolle Kooperationsansätze wie Beratungsprojekte der politischen Stiftungen, der Kirchen und der Nichtregierungsorganisationen initiiert hat. Die rot-grüne Regierung hat aber genau in diesem Bereich der Entwicklungshilfe den Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen die
Mittel im Haushalt massiv gekürzt und die Zahl der
Partnerländer soll wesentlich reduziert werden.
Sozusagen im Gegenzug kündigt nun die Ministerin
Wieczorek-Zeul die Aufnahme der offiziellen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba an: Also
auf der einen Seite steht wieder ein Land mehr, aber auf
der anderen Seite werden Mittel abgebaut. Als erste
Maßnahme schlägt die Ministerin ein Projekt zur Wüstenbekämpfung in Höhe von 11 Millionen DM vor. Ich
dachte zuerst, das wäre ein Karnevalsscherz. Aber nein,
die Ministerin meint es ernst.
In der Entwicklungspolitik gibt es klare Vorgaben,
um mit Empfängerländern eine offizielle Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Der vom ehemaligen
Minister Spranger entwickelte Kriterienkatalog für
die Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit ist
auch von Ihnen, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul,
akzeptiert worden. In Kuba, einem der letzten kommunistischen Zwangsregime dieser Erde, ist keines der
fünf Kriterien erfüllt. Ich erläutere Ihnen diese Kriterien
sehr gern noch einmal; denn es scheint, dass einige
Entwicklungspolitiker in den Reihen von PDS, SPD und
auch der Bündnisgrünen diese vergessen haben.
({8})
In Kuba wird die Bevölkerung nicht an der politischen Willensbildung beteiligt. Es existieren weder
Rechtsstaatlichkeit noch Rechtssicherheit.
({9})
- Das ist so. Die Wirtschaftsordnung orientiert sich nicht
am Markt.
({10})
Das Handeln Fidel Castros ist nicht entwicklungsorientiert. Kuba unterhält nach wie vor eine der größten Armeen Lateinamerikas. Bei solchen Dingen sind Sie sonst
immer sehr skeptisch, aber hier scheint das keine Rolle
zu spielen.
({11})
Und schließlich: Die Menschenrechte werden von Fidel
Castro mit Füßen getreten.
Die nun von Ministerin Wieczorek-Zeul angekündigte Aufnahme der offiziellen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba steht daher in eklatantem Widerspruch zu den elementarsten Grundsätzen deutscher
Entwicklungszusammenarbeit und manövriert Deutschland in ein entwicklungspolitisches Glaubwürdigkeitsdilemma.
({12})
Das, was die rot-grüne Regierung hier beabsichtigt, ist
ein verhängnisvoller Einschnitt in der deutschen Entwicklungspolitik, ich würde sogar sagen: in der deutschen Außenpolitik.
Nebenbei bemerkt: Sie müssen sich schon die Frage
gefallen lassen, warum Sie Österreich zukünftig in den
bilateralen Beziehungen wie ein halbautoritäres Entwicklungsland behandeln wollen,
({13})
während der Diktator Castro von Ihnen auf dem diplomatischen Parkett hofiert wird.
Aber zurück zu Kuba: Es ist nicht so, als habe sich
außer Ihnen bislang noch niemand mit der Frage offizieller entwicklungspolitischer Beziehungen zu Kuba
auseinander gesetzt. Im Gegenteil! Aber die vergangenen Versuche, mit dem Regime in Kuba ins Gespräch zu
kommen, sind alle gescheitert, weil die kubanische
Staatsführung strikt am Ziel der zentralen Lenkung von
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft festhält, weil Kuba
am Einparteiensystem festhält, weil Kuba die Meinungsund Pressefreiheit nicht zulässt. Das war genau das Bild,
das wir auch 1996 von Kuba hatten.
Ich sage noch einmal: Wir sind zur Zusammenarbeit
bereit. Ich halte es für sinnvoll, dass man mehr im Bereich der Nichtregierungsorganisationen macht. Da müssen Sie Geld zur Verfügung stellen, aber nicht auf staatlicher Ebene.
({14})
„Die Rolle des Staates bleibt eben unangefochten, das
sozialistische System soll beibehalten werden“, so
sprach Fidel Castro noch vor wenigen Wochen.
Das Ziel einer verantwortungsvollen Entwicklungspolitik ist: Demokratisierung, Marktöffnung, Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung
an politischen Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit und
Rechtssicherheit. Die PDS würde mit ihrem Antrag genau das Gegenteil dessen bewirken.
({15})
- Ich habe ihn ganz genau gelesen. Mir ist kein Satz
entgangen. - Mit der offiziellen Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba kommt es zur Aufwertung einer der letzten Diktaturen dieser Erde und zur
Verlängerung der Unterdrückung und der Not des kubanischen Volkes.
({16})
Ich betone nochmals: Zusammenarbeit ja, aber keine
staatliche, sondern eine auf der Ebene der Stiftungen,
Kirchen und Nichtregierungsorganisationen.
({17})
Die CDU/CSU-Fraktion wird nicht nur den Antrag
der PDS ablehnen, sondern auch weiterhin wachsam
bleiben,
({18})
wenn Alt-68er die deutsche Entwicklungspolitik zu einem Instrument der internationalen Solidarität mit
kommunistischen Diktaturen degradieren wollen.
Danke schön.
({19})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist nicht die Zeit - ich sage
an die Adresse der CDU: auch nicht der Anlass -, in einer Regierungserklärung zu der Frage der Entwicklungsarbeit mit Kuba zu sprechen. Das werden wir in einer eigenen entwicklungspolitischen Debatte tun und
dann unsere Position im Detail darstellen. Ich wollte nur
an die Adresse der Kollegin gerichtet, die vor mir gesprochen hat, etwas zitieren und damit meine Position
zum Ausdruck bringen - ich hoffe, Sie stimmen dieser
Position auch zu -:
Die Frage ist doch, auf welche Weise wir die Menschenrechte am wirksamsten fördern können. Und
deshalb muss die Antwort die Gegebenheiten in
den Partnerländern berücksichtigen. Die Maßstäbe,
die wir dabei anwenden, sind weltweit die gleichen.
Wenn ... abzusehen ist, dass sich die Lage der Menschenrechte alleine durch Druck von außen kaum
verbessern lässt, ist es sinnvoller, mit gemeinschaftlich vereinbarten Programmen Reformen von innen
zu unterstützen.
Ich teile diese Position. Wir wollen mit Programmen
von innen Reformen bewegen. Bezogen auf China ist
das die Position, die der damalige Minister Spranger in
einem Papier zur Frage der Entwicklungszusammenarbeit im Zusammenhang mit den Menschenrechten bezogen hat.
({0})
Da muss ich ehrlich sagen: In solchen Fragen verbitte
ich mir wirklich eindrücklich diese Art von Doppelzüngigkeit und Heuchelei, die da an den Tag gelegt wird.
({1})
In Bezug auf China hat die frühere Regierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in manchen Jahren Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt.
Jetzt geht es bei Kuba zunächst einmal um
3 Millionen DM. Ich fordere Sie auf, nicht nur in Bezug
auf das jetzt diskutierte Thema, sondern auch in Bezug
auf andere Fragen - vielleicht erinnern Sie sich ein
Stück an Ihre Geschichte - solche Unterstellungen, die
den Positionen widersprechen, die Sie selbst zur Frage
der Menschenrechte eingenommen haben, zu unterlassen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Zur Erwiderung erteile ich das Wort der Frau Kollegin Reinhardt, bitte.
Frau Ministerin, Sie
haben natürlich korrekt zitiert. Nur sollten Sie berücksichtigen, dass sich „von innen“ - was wir immer gesagt
haben - auf Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und
Stiftungen bezieht. Mit dem, was Sie jetzt vorhaben, beschreiten Sie einen ganz anderen Weg. Auch den Vergleich mit China halte ich für falsch, denn in China dort gefällt uns vieles nicht und ich würde mir wünschen, dass manches schneller geht - waren zumindest
klare Anzeichen einer schrittweisen Demokratisierung
vorhanden.
({0})
- Das mag Ihnen gefallen oder nicht, aber es ist so. Jedenfalls hat man freie Wahlen zugelassen.
({1})
In Kuba sind selbst die Nichtregierungsorganisationen
an den Staat gebunden. Und das ist der Unterschied.
Deshalb glaube ich, dass unser Weg, nämlich Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen zu unterstützen, der richtige ist. Im Staat Kuba selbst muss
sich aber auch etwas bewegen, damit man erkennt, dass
überhaupt ein Wille da ist, den Weg der Demokratisierung zu gehen, nämlich die Zivilgesellschaft an dem
Prozess zu beteiligen. Das ist bisher nicht der Fall.
({2})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich hatte eigentlich von der Kollegin
Reinhardt erwartet, dass sie mir erläutert - das haben Sie
mir über die Bänke hinweg versprochen -, wieso man
durch eine technische Zusammenarbeit in einem sinnvollen Projekt ein Regime hofiert und auf dem diplomatischen Parkett gesellschaftsfähig macht, wieso es aber
etwas anderes ist, wenn man als Oberhaupt der katholischen Kirche nach Kuba fährt, Fidel Castro umarmt und
küsst. Was der Unterschied zwischen diesen beiden
Verhaltensweisen ist, das wollten Sie mir eigentlich erklären. Ich glaube, selbst Sie hätten von diesem Podium
aus den Papst nicht kritisiert, oder?
({0})
Ich möchte nicht über Kuba reden, ohne die Vergangenheit Kubas und auch meine Vergangenheit, die mit
Kuba zu tun hat, zu erläutern.
({1})
Herr Kollege
Ströbele, bevor Sie das tun, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß?
Nein, im Augenblick nicht, danach.
({0})
Ich gehöre zu denen, die überhaupt keinen Hehl daraus machen und auch gar nicht verbergen wollen, dass
sie einmal große Hoffnungen in Fidel Castro und die
kubanische Revolution gesetzt haben. Ich gehöre zu denen, die auch in Berlin mit dem Slogan auf der Straße
waren: Kuba si, Yankee no! Damit wollten wir eine
freie, unabhängige und unbeeinflusste Entwicklung in
Kuba. Und wir wollten den Krieg der USA gegen Kuba
brandmarken - Schweinebucht und Ähnliches.
Heute stelle ich aber fest - und das fehlt mir ein bisschen in dem Antrag und bei der Argumentation der
PDS -, dass man der Wahrheit und der Realität im heutigen Kuba ins Auge schauen muss. Denn leider ist Fidel
Castro bei allen Verdiensten, die er sicherlich in der
Dritten Welt erworben hat, heute ein autoritärer Diktator, der es zulässt, dass in seinem Land Menschenrechte
verletzt werden, und der demokratische Entwick
lungen - jedenfalls die Entwicklung eines Mehrparteiensystems - nicht zulässt und der - da haben Sie sicher
Recht - keine Rechtssicherheit gewährt.
Aber unsere Hoffnungen haben sich damals auf Kuba
gerichtet, weil es das einzige Land Lateinamerikas war,
in dem es tatsächlich gelungen ist, das Analphabetentum
nachhaltig zu bekämpfen; in dem es tatsächlich gelungen ist, für die gesamte Bevölkerung eine Gesundheitsversorgung zu garantieren, wie es in keinem der anderen
Länder Lateinamerikas der Fall war; in dem es möglich
war; - und ich habe mir das selber angeschaut -, jedem
Kleinkind in einem karibischen, also tropischen Land
einen halben Liter Milch pro Tag zu geben. Das konnte
man sehen; das war von der DDR dort eingeführt worden. Und in dem Land ist es heute noch so, dass keine
Menschen an Hunger sterben, anders als in vielen anderen Ländern Lateinamerikas. Das muss man zunächst
einmal zur Kenntnis nehmen.
({1})
Und wenn man das weiß und wenn man die verhängnisvolle und negative Entwicklung in Kuba beobachtet,
muss man natürlich die Frage stellen: Woher kommt
das? Hat das Embargo, hat die US-Politik, hat die Politik
Europas, die zu einer Isolierung Kubas beigetragen haben, vielleicht auch etwas damit zu tun, dass eine solche
abgeschottete Entwicklung in diesem Land möglich gewesen ist, sodass es unabhängig und unbeeindruckt vom
Niedergang der realsozialistischen Staaten nach wie vor
und in dieser Weise existiert?
Um damit Schluss zu machen, sollte man die Isolation durchbrechen. Damit befinden wir uns nicht nur auf
der Seite des Papstes und der kirchlichen Organisationen, die uns das empfehlen - diese sind für mich nicht
immer Vorbild -, sondern wir befinden uns damit auch
auf der Seite der Europäischen Union, die meiner Ansicht nach zu Recht gefordert hat, dass man eine technische Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen in Kuba organisiert, dass man dort fördert, dass
NGOs überhaupt entstehen können, weil dies im her8408
kömmlichen Sinne dort gar nicht möglich ist. Sie fordert, dass man so etwas fördert, dass man diese Projekte
finanziell unterstützt und Ansätzen dazu Hoffnung
macht.
Vielleicht gelingt es durch eine solche Politik, die den
Realitäten ins Auge schaut und die natürlich auch die
dortigen Fehlentwicklungen benennt, Einfluss in Kuba
zu gewinnen - für eine andere, eine friedliche Entwicklung zu einem anderen Kuba, zu einer anderen Gesellschaftsordnung, ohne dass dann das passiert, was viele
befürchten, ohne dass die Contras aus den USA, aus
Florida herüberkommen und all das dort wieder installieren, wogegen die kubanische Revolution einmal angetreten ist und damals zu Recht angetreten war.
({2})
Das wollen wir mit unseren Partnern in der EU erreichen. Wir sagen natürlich auch den offiziellen Vertretern Kubas und Fidel Castro: Wir erwarten von ihnen,
dass sie zu demokratischen Verhältnissen finden und
dass sie die Menschenrechte achten. Das wird Begleitmusik zu dieser technischen Zusammenarbeit mit Kuba
sein. Jeder weitere Schritt, auch zu offiziellen Beziehungen, die ich grundsätzlich für die Zukunft bejahe, muss
davon abhängig sein, dass Fortschritte in diesen Bereichen gemacht werden.
Wenn wir das überall immer anmelden, dann kann
die Durchbrechung der Isolation zu einer besseren
Gesellschaftsordnung in Kuba führen, die all das, was
wir sonst in Lateinamerika in Diktaturen beobachten,
feststellen und kritisieren müssen, in Zukunft vermeidet
und in der das Horrorbild der Contras von Florida auf
keinen Fall Wirklichkeit wird, nämlich die Wiedererrichtung einer Diktatur in Kuba, wie sie vorher unter Batista bestand.
Herr Kollege
Ströbele, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Deshalb finden wir das, was die Ministerin,
was das BMZ angedacht hat, richtig: dass wir die technische Zusammenarbeit aufnehmen und damit mit unseren EU-Partnern einen wichtigen Schritt nach vorne machen.
({0})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Joachim Günther für die
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte
sagen, wir können es kurz machen: Im Prinzip hat sich
der PDS-Antrag überholt. Die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba wird trotz aller Bedenken, die wir auf
Menschenrechtsebene haben, weitergeführt und zum
Teil ausgeweitet.
Aus Sicht meiner Partei geht es vor allem darum,
Entwicklungshilfe auf solchen Gebieten zu leisten, auf
denen sie unmittelbar der Bevölkerung zugute kommt.
Ich denke da an Landwirtschaft, an Ernährung. Auf
diesen Sektoren hat zum Beispiel die Deutsche Welthungerhilfe in Kuba bereits einiges vollbracht.
Es geht darum, dass wir auf Gebieten etwas voranbringen, bei denen es um unwiederbringbare Verluste
bei Natur und Umwelt geht. Hierfür ist der HumboldtNationalpark ein sehr positives Beispiel. Es geht weiter
um die Gefahr der Wüstenbildung in Ostkuba. Ich kann
es mir ersparen, das weiter auszuführen, denn das hat
Kollegin Tröscher bereits ausführlich - in der Minuszeit,
wie gesagt wurde - hier dargelegt.
Aus Sicht der F.D.P.-Bundestagsfraktion bildet der so
genannte gemeinsame Standpunkt der Europäischen
Union vom 2. Dezember 1996 die Grundlage der Gestaltung der Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba.
Die EU verfolgt damit das Ziel, durch einen intensiven
politischen Dialog den Prozess des Übergangs zu einer
pluralistischen Demokratie, zur Achtung der Menschenrechte und zu den Grundfreiheiten sowie eine nachhaltige Erholung und Verbesserung des Lebensstandards der
kubanischen Bevölkerung zu ermöglichen.
Zu diesem Dialog zählen wir auch die Entwicklungshilfe, die wir ungeachtet von Meinungsverschiedenheiten bei den Menschenrechten, bei der Situation der politischen Gefangenen - auch das haben wir in Kuba gehört - und bei den rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen fortsetzen wollen. Dies entspricht auch dem deutschen Interesse an der Verbesserung der Lage in Kuba
sowie auch der Pflege von Beziehungen, die es zum einen früher zwischen der DDR und Kuba gegeben hat, ist
aber zum anderen auch gegenüber den vielen Deutsch
sprechenden Kubanern gerechtfertigt, die ebenfalls ein
Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit pflegen.
Die Kubapolitik der USA, die von einflussreichen
Exilkubanern vorrangig mitgestaltet wird, ist wegen ihrer Auswirkungen auf die kubanische Bevölkerung aus
unserer Sicht kontraproduktiv. Sie fördert nicht den
Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft und erst
recht nicht den Übergang zu einer liberalen Wirtschaftsordnung.
({0})
Diese Auffassung haben schon die frühere Bundesregierung und die Europäische Union den amerikanischen
Partnern wiederholt mitgeteilt. Sie gilt, soweit ich das
erkennen kann, auch für die neue Bundesregierung.
Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Kuba - das haben Sie richtig dargelegt - fand bisher unterhalb der staatlichen Ebene statt. Die Bundesregierung
hebt die Entwicklungshilfe auf die staatliche Ebene. Das
entspricht auch unseren Vorstellungen. Deshalb ist aus
der jetzigen Sicht der Antrag der PDS eigentlich überflüssig.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/2263 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des
Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und
See-Krankenkasse
- Drucksache 14/2764 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die
Kolleginnen und Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak,
Wolfgang Lohmann, Katrin Dagmar Göring-Eckardt,
Dr. Dieter Thomae sowie Dr. Ruth Fuchs haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.*) - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2764 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Gesundheit und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit bereits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Februar, 9 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen allen einen geruhsamen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.