Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist
eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Entlastung
durch Einführung einer ökologischen und sozialen
Steuerreform“ auf Drucksache 14/66 ({0}) zu erweitern.
Dieser Antrag soll jetzt gleich zusammen mit dem
Tagesordnungspunkt 7 aufgerufen werden. Sind Sie mit
dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 sowie den soeben
aufgesetzten Zusatzpunkt 10 auf:
7. Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg in die
ökologische Steuerreform
- Drucksache 14/40 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Tourismus
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entlastung durch Einführung einer ökologischen und sozialen Steuerreform
- Drucksache 14/66 ({2}) Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({3})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Herr Bundesminister Lafontaine.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf greift eine Reform
auf, über die in unserer Gesellschaft, aber auch in vielen
anderen Staaten seit vielen Jahren diskutiert wird. Es
wird darüber diskutiert, daß die Besteuerung der Arbeit
zu hoch geworden ist und daß die Besteuerung des Verbrauchs von Umwelt- und Energieressourcen zu gering
ist. Daher wird weltweit in der Veränderung dieser
Struktur ein wichtiges Projekt der Modernisierung gesehen. Auf den internationalen Gipfeln, die sich mit der
Reduktion der Umweltbelastungen beschäftigen, ist
auch die Steuer- und Abgabenstruktur stets ein wichtiges
Thema.
Bereits 1920 hat der englische Ökonom Pigou darauf
hingewiesen, daß wir betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten mehr in Übereinstimmung bringen müssen. Insofern gehen wir heute ein Projekt an, das
über viele Jahre liegen blieb, das aber - auch in Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn - dringend
angegangen werden muß.
({0})
Daß die Belastung der Arbeitsplätze durch Steuern
und Abgaben zu hoch geworden ist, ist unstreitig. Alle
Parteien haben in ihren Wahlprogrammen auf folgenden
Widerspruch hingewiesen: Während wir auf der einen
Seite zuwenig Arbeitsplätze haben, leisten wir uns auf
der anderen Seite eine Steuer- und Abgabenstruktur, die
dem Ziel, mehr Arbeitsplätze anzubieten, diametral entgegensteht. Nicht nur die Folgen der Tatsache, daß der
Aufbau Ost teilweise aus den Sozialversicherungskassen
finanziert worden ist, haben wir hierbei zu überwinden,
sondern auch die Tatsache, daß durch eine Reihe von
zusätzlichen Regelungen die sogenannten gesetzlichen
Lohnnebenkosten in den letzten Jahren immer höher
geworden sind. Dabei betrifft die Erhöhung der gesetzlichen Lohnnebenkosten nicht in erster Linie produzierende Industriebetriebe, bei denen der Anteil der Personalkosten an den Produktionskosten relativ niedrig ist;
die Erhöhung der Lohnnebenkosten betrifft in erster
Linie viele Dienstleister und Handwerksbetriebe, bei
denen der Anteil der Lohnnebenkosten an den gesamten
Kosten relativ hoch ist. Deshalb ist es notwendig, die
Höhe der Lohnnebenkosten zurückzuführen. Die neue
Koalition beginnt damit.
({1})
Die Zurückführung der Höhe der gesetzlichen Lohnnebenkosten werden wir in drei Schritten angehen. Wir
sprechen heute über den ersten Schritt. Es werden weitere folgen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Höhe der
gesetzlichen Lohnnebenkosten, nachdem sie in den
letzten Jahren explosionsartig angestiegen ist, in dieser
Legislaturperiode auf unter 40 Prozent zu senken. Dies
ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel. Wir tun heute
den ersten Schritt.
({2})
Dabei geht es darum, einen Ausgleich für die den Sozialversicherungskassen fehlenden Beträge zu finden.
Dieser Ausgleich soll dadurch zustande kommen, daß
moderat, schrittweise der Umweltverbrauch, der Energieverbrauch, stärker belastet wird.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß solche Anstrengungen in der gesamten Europäischen Gemeinschaft vorgenommen werden. Es ist also kein Alleingang. Wenn wir über die Grenzen schauen, dann müssen
wir feststellen, daß mit diesen Schritten, die wir heute in
der ersten Stufe machen wollen, sehr positive Erfahrungen in den Niederlanden, in Österreich, in Schweden, in
Finnland und in Dänemark gemacht worden sind.
Im übrigen ist bereits 1993 im Weißbuch der Europäischen Kommission genau diese Strukturreform vorgeschlagen worden. Wir haben also, wenn Sie so wollen,
fünf Jahre versäumt, im europäischen Kontext den
ersten Schritt zu unternehmen. Deshalb ist es höchste
Zeit, dies jetzt zu tun.
({3})
Es gibt Stimmen, die die positiven Arbeitsmarktentwicklungen beispielsweise in Holland auch auf die
Struktur- und Abgabenreform zurückführen. Darüber
brauchen wir uns heute nicht großartig zu streiten. Es
stimmt, daß die Stimmen in der Gesellschaft und in der
Wissenschaft hierzu unterschiedliche Ergebnisse verkünden. Gleichwohl glaube ich, daß über allem ein Gedanke stehen muß: Der Energieverbrauch, wie er in den
Industriestaaten zur Gewohnheit geworden ist, ist nicht
verallgemeinerungsfähig, ist nicht globalisierbar.
({4})
Wenn es eine Herausforderung der Globalisierung gibt,
dann die, meine Damen und Herren, daß wir den Energieverbrauch der Industriestaaten zurückführen müssen.
Insofern handelt es sich hierbei im Sinne der europaweiten Diskussion um ein Projekt der Moderne, um ein
Projekt der Modernisierung.
Es ist auch nicht sachgemäß, wenn von den Kritikern
darauf hingewiesen wird, daß eine nicht vertretbare Belastung für die Bevölkerung angestrebt wird. Ich möchte
hier nur zwei Zahlen in Erinnerung rufen: In der Regierungszeit unserer Vorgänger wurde beispielsweise der
Spritpreis durch Steuererhöhungen um 50 Pfennig erhöht, ohne daß es zu einer gleichgewichtigen Senkung
der Lohnnebenkosten gekommen wäre.
({5})
Wenn man dies auf die durchschnittliche Fahrleistung
eines Durchschnittsverbrauchers umrechnet, dann entsprach dies einer Mehrbelastung von 660 DM im Jahr.
Unsere Vorschläge, die wir hier vorlegen, mit der Senkung der Lohnnebenkosten gegengerechnet, führen zu
einer Mehrbelastung von 20 DM im Jahr. Wir haben
immer darauf hingewiesen, daß wir die Steuerreform
und die ökologische Steuer- und Abgabenreform in
einem Zusammenhang sehen. Wir bitten also um eine
sachgemäße Diskussion.
Angesichts des Benzinpreisniveaus in Deutschland,
das deutlich unter dem vieler europäischer Staaten liegt
- gestern habe ich in London gesehen, daß dort SuperKraftstoff für über 2 DM angeboten wird -, und angesichts der Entwicklung, daß die Ölpreise auf einem
historisch niedrigen Stand sind, daß die Preise im Vergleich zu vor zwei Jahren um 10 Pfennig gefallen sind,
ist dies ein sehr mäßiger Schritt, der niemanden überfordert, aber endlich ein wichtiges Projekt angeht und der
Realisierung zuführt.
({6})
Dabei müssen wir natürlich die Interessen unserer
Wirtschaft beachten. Wenn die Wirtschaft über diese
Strukturreform diskutiert, wäre es allerdings fair, immer
auch die Lohnnebenkosten heranzuziehen. Wer bei dieser Diskussion nur auf die Energieverbrauchsverteuerung hinweist und über die Entlastung, die die Senkung
der Lohnnebenkosten mit sich bringt, nicht redet, der
argumentiert nicht sachbezogen, sondern versucht, mit
billiger Polemik irgendwelche Reformprojekte in Mißkredit zu bringen.
({7})
Wir haben die Klagen der Wirtschaftsverbände über
die viel zu hohen Lohnnebenkosten jahrelang gehört.
Wir versuchen von zwei Seiten - ich sage dies noch
einmal - die Senkung der Lohnnebenkosten anzugehen,
zum einen von der Seite der Steuer- und Abgabenstruktur, zum anderen von der Seite der Kostenstruktur. Deshalb erwarten wir jetzt, daß, wenn über dieses Reformprojekt diskutiert wird, immer auch die Absenkung der
Lohnnebenkosten in Rechnung gestellt wird.
Darüber hinaus haben wir der produzierenden Wirtschaft auf Grund der Wettbewerbsstrukturen deutlich
weniger Erhöhungen zugemutet als den Normalverbrauchern. Auch das sollte man berücksichtigen. Wir belasten sie mit lediglich 25 Prozent der vorgesehenen Erhöhungen und haben die energieintensiven Branchen
ausgenommen. Das war stets gewünscht und mit den
Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften auch so
vereinbart. Wir halten uns daran und legen jetzt eine
entsprechende Strukturreform vor.
({8})
Auch hier legen wir Wert darauf, daß wir damit unsere
vor der Wahl gegebenen Zusagen eingelöst haben.
Natürlich kann man darüber diskutieren, in welchem
Umfang das produzierende Gewerbe zur Leistung dieser
Steuer herangezogen oder nicht herangezogen wird;
natürlich kann man darüber diskutieren, ob es sinnvoll
ist, energieintensive Branchen von einer solchen Erhöhung auszunehmen. Aber wenn man das tut, sollte man,
bitte schön, auch Vorsicht bei der Forderung nach einer
europaweiten Harmonisierung walten lassen. Für eine
europaweite Harmonisierung muß es ja eine Begründung geben. Die Begründung zielt im wesentlichen auf
die Wettbewerbssituation ab. Wenn wir also auf der
einen Seite Argumentationen hören, es sei nicht nachvollziehbar, daß energieintensive Branchen ausgenommen würden oder daß das produzierende Gewerbe nicht
in dem gleichen Umfang belastet werde wie der Normalverbraucher, und wenn auf der anderen Seite stets
die Forderung nach einer europaweiten Harmonisierung
aus Wettbewerbsgründen erhoben wird, dann muß ich
feststellen: Das ist eine in sich widersprüchliche Argumentation. Mit dieser Vorlage versuchen wir, beiden
Argumenten Rechnung zu tragen.
({9})
Was die energieintensiven Branchen angeht, habe ich
da und dort gehört, daß das Ziel der Steuerreform verfehlt würde, wenn die energieintensiven Branchen letztendlich ausgenommen würden. Auf den ersten Blick
erscheint eine solche Argumentation plausibel; der
zweite Blick zeigt aber, daß das nicht so ist. Es handelt
sich hierbei um eine Steuerung über den Preis. Diese
Preissteuerung ist marktwirtschaftlich. Es ist nämlich
jetzt den Unternehmen und den Verbrauchern - es geht
hier auch um den Aspekt „weniger Staat“; auch das
wollen wir doch einmal sagen - freigestellt, ob sie ihre
Verbrauchsgewohnheiten im bisherigen Umfang beibehalten; sie haben auch die Möglichkeit, durch Reduktion ihres Verbrauchs Gewinne zu machen, wenn auch
bescheidenere. Daran wollte ich einmal erinnern. Bei
den Lohnnebenkosten verhält es sich dagegen so, daß
über das Geld verfügt wird, das eingespart wird.
({10})
Wenn man also in bezug auf die energieintensiven
Branchen auf den ersten Blick hin sagt, daß die Ausnahme den Eindruck erweckt, als würden die größten
Verbraucher nicht zu einer Steuerleistung herangezogen
({11})
- das ist so; selbstverständlich, Herr Kollege Gysi -,
dann muß auf den zweiten Blick unter dem Gesichtspunkt der Preissteuerung festgestellt werden: Dies ist
kein wirklich durchschlagendes Argument. Denn bei den
energieintensiven Branchen ist der Kostenblock für die
Energie bereits heute so hoch, daß diese Branchen nun
tatsächlich gezwungen sind und gezwungen waren, immer wieder Rationalisierungsanstrengungen zu unternehmen, um mit weniger Energieverbrauch die gleiche
Leistung zu erbringen.
({12})
Wenn das energieintensive Branchen nicht tun, wer soll
es denn dann überhaupt tun? Sie sind, wenn Sie so wollen, in dieser Beziehung in der gleichen Situation wie
die Betriebe, die sehr hohe Arbeitskosten haben und
deren Personalkosten einen sehr hohen Anteil ihrer
Gesamtkosten ausmachen. In energieintensiven Branchen funktioniert bereits das, was wir eigentlich wollen,
daß nämlich große Anstrengungen unternommen werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Aber,
wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen: Auf
Grund der Energiepreisentwicklung der letzten Jahre,
auf Grund der Ölpreisentwicklung der letzten Jahre
funktioniert es eben im Alltag oft nicht. Deswegen tun
wir heute den ersten Schritt mit Regelungen für Verbraucher und auch beispielsweise Dienstleister, bei
denen die Energiekosten keinen so hohen Anteil an den
Gesamtkosten ausmachen.
({13})
Natürlich müssen wir, wenn wir solche Ausnahmetatbestände für die Wirtschaft im Gesetz festschreiben,
das mit der Europäischen Kommission abstimmen. Ich
weise darauf hin: Diese Abstimmung haben auch unsere
Nachbarstaaten vorgenommen. Wir haben mit den entsprechenden Gespräche begonnen. Auf Grund der Bedeutung dieses Sachargumentes fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet, in diesem Zusammenhang darauf
hinzuweisen.
Wenn es dann in einem ersten Schritt gelingt, durch
eine Entlastung bei den Arbeitskosten und durch eine
moderate und schrittweise Belastung des Energieverbrauchs und des Umweltverbrauchs die Lohnnebenkosten von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent zu senken,
dann ist das ein wichtiger Punkt und gibt der Wirtschaft
ein Signal, das sie aufgreifen sollte. Von daher meine
ich, daß man auch diesen Aspekt unserer Reform würdigen sollte.
({14})
Im übrigen möchten wir darauf hinweisen, daß sowohl dieser Reformentwurf in bezug auf die Arbeitskosten als auch die Steuerreform, die wir vorgelegt
haben, einer Forderung Rechnung tragen, die uns immer
wieder, auch von den Wirtschaftsverbänden und
Gewerkschaften, vorgetragen wurde. Wir haben immer
wieder das Argument gehört, die staatliche Steuer- und
Abgabenpolitik soll moderate Tarifabschlüsse unterstützen; sie soll weiterhin die Möglichkeit bieten, bei
Stetigkeit des Verhaltens Wachstum und Beschäftigung
zu stimulieren. Deshalb ist es wünschenswert, daß man
diese Seite sowohl des Steuergesetzes als auch des Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform
sieht und daß man auch sieht, daß hier ein Gesamtkonzept vorgelegt wird, das darauf abzielt, notwendige
Strukturreformen mit einer ökonomischen Entwicklung
zu verbinden, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung
führen kann, wenn alle Marktteilnehmer die entsprechenden Angebote auch annehmen.
({15})
In der öffentlichen Debatte ist, wie immer bei solchen
Schritten, mehr Mut gefordert worden. In der Regel
steht die Aufforderung zu mehr Mut in Verbindung mit
der speziellen Situation des Betroffenen, die so zu kennzeichnen ist, daß er trotz mehr Mutes nicht betroffen
sein will. Es gibt aber noch eine andere Überlegung, die
man einfach gelten lassen muß: Die Untersuchungen
über die Strukturveränderungen, die in den letzten Jahren vorgenommen worden sind, und Preissignale, die in
den letzten Jahren in der einen oder anderen Richtung
gesetzt worden sind, kamen immer zu dem Ergebnis,
daß es wirtschaftlich vernünftig ist, nicht allzu große
Schnitte an einer Stelle des Netzes vorzunehmen, bevor
man nicht weiß, welche Reaktionen an völlig anderer
Stelle eines engmaschigen Netzes zu erwarten sind.
Insofern zeigt die Erfahrung, daß es ökonomisch vernünftig ist, schrittweise vorzugehen.
({16})
Genau so ist unser Reformkonzept angelegt: Wir senken in einem ersten Schritt die Lohnnebenkosten um
0,8 Punkte. In einem zweiten Schritt werden wir in ähnlicher Größenordnung voranschreiten. Wir werden das
Vorgehen europäisch abstimmen und dabei alle auf den
Sachverhalt stoßen, daß uns viele Reformstaaten Europas schon ein gutes Stück voraus sind. Deshalb ist es
notwendig, daß wir jetzt den ersten Schritt unternehmen.
({17})
Natürlich müssen wir auch die sozialen Aspekte solcher Entscheidungen berücksichtigen und versuchen,
sie, soweit es irgend geht, ins Lot zu bringen. Ich habe
bereits auf die Ölpreisentwicklung der letzten Jahre
verwiesen, die man ja nicht völlig aus der Betrachtung
herausnehmen kann, wenn man über die sozialen
Aspekte von Energiepreiserhöhungen spricht. Vor einiger Zeit war der Benzinpreis eben noch 10 Pfennig höher als heute, und ich habe keine große Debatte darüber
in Erinnerung, daß diese Situation sozial völlig inakzeptabel gewesen sei. Deshalb sollte man eine solche
Debatte auch dann nicht anfangen, wenn eine Strukturreform angegangen wird, deren Schrittfolge noch moderater ist. Ich weise noch einmal darauf hin: Sie ist längst
überfällig.
Dann den Rentnerhaushalt anzuführen ist sicherlich
möglich und vielleicht auch geboten. Aber man muß
gleichzeitig darauf hinweisen, daß die Renten dadurch,
daß sie - mit Verzögerung - den Nettolöhnen folgen,
({18})
nun stärker erhöht werden. Weil die Renten, wenn auch
mit Verzögerung, angepaßt werden, werden die Rentner
von den beiden Gesetzen, die wir in den letzten Wochen
beschlossen haben - vom Steuerentlastungsgesetz und
vom jetzt zu behandelnden Gesetz -, profitieren.
({19})
Natürlich sind manche Gruppen - das soll gar nicht in
Abrede gestellt werden - zusätzlich belastet. Daher
haben wir die Preissteuerung genau eingepaßt und etwa
für Nachtspeicherheizungen eine Sonderregelung geschaffen, was man natürlich unter dem Gesichtspunkt
der reinen Lehre - mit Hinweis auf die Technologie und
die ökologischen Gesichtspunkte von Nachtspeicherheizungen - wieder kritisieren kann. Wir wissen aber, daß
diese Form der Beheizung gerade in großen Wohneinheiten, wo viele sozial schwächere Familien wohnen,
eingesetzt wird. Diesem Aspekt haben wir durch diese
Sonderregelung Rechnung zu tragen versucht.
Meine Damen und Herren, die Schrittfolge der Preissteigerungen ist Ihnen bekannt. Auf die Notwendigkeit
der europäischen Einbindung habe ich hingewiesen.
Letztendlich haben wir einen marktwirtschaftlichen
Ansatz gefunden, der es - im Gegensatz zur schlichten
Belastung durch zu hohe Lohnnebenkosten - den Verbraucherinnen und Verbrauchern, seien es Privathaushalte oder seien es Betriebe, freistellt, die Energieverbrauchsgewohnheiten im bisherigen Umfange beizubehalten oder mit neuen Technologien und anderen Verhaltensweisen zu reagieren.
Entscheidend ist aber, daß es ein wirklich großes
Projekt der Moderne gibt - darauf kann man nicht oft
genug hinweisen -, das aus der Tatsache resultiert, daß
der bisherige Energieverbrauch nicht globalisierungsfähig, nicht endlos in die Zukunft fortschreibbar ist.
Deshalb ist es höchste Zeit, daß wir diese Reform angehen.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Lafontaine, wir sind Ihnen dafür dankbar, daß Sie den Gesamtzusammenhang zwischen dem Gesetzesvorhaben
hergestellt haben, das Sie heute einbringen, und der
Steuerpolitik der neuen Bundesregierung. Man kann in
der Tat über die ökologische Steuerreform nicht sprechen, ohne über die Steuerpolitik insgesamt zu diskuBundesminister Oskar Lafontaine
tieren. Man kann über die Steuerpolitik in dieser Woche
nicht diskutieren, ohne noch einmal einen kurzen Blick
auf das zurückzuwerfen, was der Sachverständigenrat
zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
am Mittwoch dieser Woche in Bonn vorgelegt hat.
({0})
Der Sachverständigenrat hat sich in seltener Klarheit
noch einmal mit der Steuerpolitik dieser Bundesregierung, aber auch mit der Steuerpolitik der letzten Bundesregierung
({1})
auseinandergesetzt. Er schreibt wörtlich:
Der Sachverständigenrat sieht den adäquaten Ansatz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der
Verbesserung der Angebotsbedingungen.
({2})
Er widerspricht der Behauptung, die desolate Lage
des Arbeitsmarkts nach 16 Jahren grundsätzlich angebotsorientierter Politik beweise deren Wirkungslosigkeit. Die in den achtziger Jahren erzielten Erfolge, die erst abbrachen, als unter den Belastungen der Vereinigung die bis dahin verfolgte
Linie nicht mehr durchgehalten wurde, . . .
- das ist eine Kritik, die man durchaus akzeptieren
kann . . . Ebenso positive Erfahrungen in anderen Ländern widerlegen die These vom Scheitern der
Angebotspolitik. Die Wirtschaftspolitik sollte die
angebotspolitische Linie fortsetzen, nicht mit weniger, sondern mit mehr Konsequenz als bisher.
({3})
Herr Lafontaine, Sie und die Bundesregierung werden in diesem Zusammenhang anschließend auf die
Grenzen und Gefahren Ihrer neuen Politik hingewiesen.
Ich denke, das Sachverständigengutachten hätte mehr
verdient, als so achtlos in den Papierkorb geworfen zu
werden, wie der Bundeskanzler und Sie das in dieser
Woche gemacht haben.
({4})
Aber ich will in diesem Zusammenhang noch einmal
auf die grundsätzlichen Unterschiede in unserer steuerpolitischen Konzeption zu sprechen kommen. Der Sachverständigenrat formuliert die Bedingungen, die erfüllt
werden müssen, um eine beschäftigungsorientierte
Steuerpolitik zu verwirklichen. Er kommt zu der
Schlußfolgerung:
Gemessen an diesen Anforderungen
- ein Steuersatz von 15 bis unter 40 Prozent; konsequente Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und ein Entlastungsvolumen von
30 Milliarden DM, das der Sachverständigenrat noch
einmal ausdrücklich für notwendig und für wünschenswert erklärt greift die jetzt vorgelegte Steuerreformkonzeption
zu kurz: Die Senkung der Steuersätze bleibt - vor
allem im Bereich höherer Einkommen - zu zaghaft
und ist für den Unternehmensbereich noch unsicher, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
trifft besonders Unternehmen, die Nettoentlastung
kommt zu spät und ist zu gering.
Das ist fast genau das, was ich Ihnen am letzten Freitag
von dieser Stelle aus vorgehalten habe.
({5})
Dankenswerterweise setzt sich der Sachverständigenrat auch sehr ausführlich mit Ihrem Konzept der ökologischen Steuerreform auseinander. Wir haben heute
morgen in der Rede des Bundesfinanzministers vielfältige Hinweise darauf bekommen, daß eine intensive Abstimmung mit den europäischen Partnern notwendig ist.
Diese Einschätzung wird vom Sachverständigenrat
geteilt - wörtlich -:
Da ein Alleingang eines Landes zudem mit erheblichen wirtschaftlichen Lasten verbunden ist, sollte
sich die Bundesregierung für einen gemeinsamen
Ansatz der OECD-Länder, zumindest aber für eine
gemeinsame Linie der Europäischen Union einsetzen.
({6})
Warum legen Sie dann heute morgen einen Gesetzentwurf vor, in dem ein Alleingang vorgesehen ist, bevor
Sie sich auf eine gemeinsame Linie auf der Ebene der
Europäischen Union verständigt haben?
({7})
Die Widersprüche reißen nicht ab. Sie selbst haben
auf die Probleme hingewiesen, die Sie in der Abgrenzung von energieintensiven und weniger energieintensiven Betrieben haben. Nun muß man darüber intensiv
sprechen. Aber, Herr Lafontaine, wie kommen Sie
eigentlich dazu, als Abgrenzungskriterium einen Energieverbrauch von 6,4 Prozent an den Gesamtbetriebskosten heranzuziehen? Wie kommt dieses Kriterium
eigentlich zustande? Welche umweltpolitische Bedeutung haben 6,4 Prozent Energieverbrauch an den Gesamtbetriebskosten? Ich sage Ihnen, wie Sie dazu kommen; ich will Ihnen die Antwort geben. Sie haben ausgerechnet, welches Aufkommen Sie brauchen, und dann
haben Sie zurückgerechnet, wie hoch die Energiebelastung in etwa sein muß, damit die Betriebe erfaßt werden. Herr Lafontaine, das hat mit einer umweltpolitisch
oder steuerpolitisch sachgerechten Abgrenzung nun
wirklich überhaupt nichts zu tun.
({8})
Sie werden in allergrößte Schwierigkeiten geraten das Thema Steuervereinfachung haben Sie in diesem Zusammenhang richtigerweise gar nicht angesprochen; es
ist gut gewesen, daß Sie das nicht angesprochen haben -,
({9})
wenn es um die praktische Anwendung eines solchen
Konzeptes geht. Wie soll das eigentlich gehen: bei verschiedenen Betriebsstätten, bei Verbundstandorten, wo
mehrere Produkte in einer Linie erzeugt werden, wo
nebeneinander verschiedene Produkte hergestellt werden
- die einen sind in der Liste, die anderen nicht -, wo
eine gemeinsame Energieabrechnung erfolgt? Wie soll
das, was Sie vorhaben, in der Praxis funktionieren?
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat sich bei einer Vielzahl von Entscheidungen
immer wieder mit der Frage beschäftigen müssen, wie
bestimmte Ungleichbehandlungen in der Steuerpolitik
verfassungsrechtlich zu bewerten sind. Gegen diese vorgesehene pauschale Zuordnung zu den energieintensiven
Betrieben oder zu den nicht energieintensiven Betrieben
bestehen aus unserer Sicht im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
({10})
Es gehört zu den immer wiederkehrenden Formulierungen des Bundesverfassungsgerichtes, daß eine zulässige Typisierung dort ihre Grenzen hat, wo die
tragenden Abgrenzungskriterien willkürlich erscheinen
und die Belastungsgleichheit verletzt wird. Herr
Lafontaine, das ist ein Akt der steuerpolitischen Willkür, den Sie dem Bundestag mit diesem Gesetzentwurf
heute vorlegen.
({11})
Wie willkürlich und widersprüchlich auch die
Abgrenzung über den Energiekostenfaktor von
6,4 Prozent an den gesamten Produktionskosten ist, will
ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen. Die Produktionskosten werden einschließlich sämtlicher Rohstoffe, Betriebsstoffe, Hilfsmittel, allem, was dazugehört, berechnet. Wenn ein Unternehmen teure Rohstoffe
verarbeitet, dann ist der Energiekostenanteil relativ gering.
({12})
Wenn ein Unternehmen billige Rohstoffe verarbeitet,
dann ist der Energiekostenanteil relativ hoch. Beide
Unternehmen verbrauchen möglicherweise gleich viel
Energie. Die mit den teuren Rohstoffen werden jedoch
nicht von Ihrer Energiesteuer betroffen, die mit den billigen Rohstoffen werden von Ihrer Energiesteuer betroffen. Dies ist erneut ein Akt der steuerpolitischen Willkür. Die Abgrenzung wird Ihnen nicht gelingen, Herr
Lafontaine.
({13})
Wir haben nicht nur von Ihnen, sondern auch von anderen Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten
Tagen immer wieder etwas dazu gehört, was auf europäischer Ebene notwendig ist und wie schwierig das für
die Betriebe in Deutschland ist. Dankenswerterweise ist
der Bundeswirtschaftsminister hier. Ich hätte ihn gerne
gefragt, warum er sich bei den Beratungen in der Regierung nicht mit dem durchsetzen konnte, was er noch vor
wenigen Tagen in einem Interview im Berliner „Tagesspiegel“ gesagt hat. Dieser hat Ihnen gegenüber, Herr
Müller, geäußert:
Der Mittelstand klagt, daß energieintensive Konzerne von der Energiesteuer befreit werden sollen,
er
- der Mittelstand aber nicht.
Darauf die wörtliche Antwort des Bundeswirtschaftsministers:
Diese Klage halte ich für berechtigt. Industrie,
Handwerk und Mittelstand müssen von dieser Steuer
solange befreit werden, bis sie in der Europäischen
Union einheitlich eingeführt wird.
({14})
Herr Müller, Sie haben in der öffentlichen Diskussion
um Ihr neues Amt - ich denke, mit Recht - eine ganze
Reihe von Vorschußlorbeeren bekommen. Aber ich
würde Ihnen schon gerne die Frage stellen, warum Sie
sich bei den Beratungen im Kabinett im Interesse insbesondere des Handwerks und des Mittelstandes in dieser
Frage offensichtlich nicht durchsetzen konnten.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetzgebungsverfahren ist so eingeleitet, daß der Bundesrat dem Gesetz
nicht zustimmen muß. Das ist natürlich kein Zufall. Sie
wollen diese Energiesteuer so erheben, daß Sie einer
Debatte im Bundesrat möglichst aus dem Wege gehen
können.
Enthielte Ihr Gesetz nicht nur die Energiesteuer, sondern auch die darauf zusätzlich anfallende Mehrwertsteuer, und berücksichtigte es die sich daraus ergebende
Notwendigkeit, das Finanzausgleichsgesetz zu ändern,
sowie die weitere Konsequenz, daß das höhere Aufkommen nicht durch einen Entschließungsantrag, den
Sie uns hier in der Nacht vorgelegt haben, sondern per
Gesetz der Rentenkasse zugeordnet wird, dann hätten
Sie hier heute ein zustimmungspflichtiges Gesetz mit
einem Gesamtkonzept über ökologische und soziale
Aspekte dieser Steuerpolitik vorlegen müssen.
Sie haben das natürlich aus dem Grunde nicht getan,
weil Sie der Debatte im Bundesrat ausweichen wollen.
Vor allen Dingen wollen Sie der Diskussion mit dem
Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen
ausweichen, der noch am Dienstag dieser Woche hier in
Bonn aktenkundig gemacht hat, daß er eine weitere Belastung sämtlicher Betriebe in Nordrhein-Westfalen mit
zusätzlichen Steuern für nicht akzeptabel hält.
Meine Damen und Herren, die Bundesratsbank ist
heute morgen vollständig leer, sieht man von einer
Reihe pflichtbewußter Beamter ab. Stünde der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen zu dem, was
er hier am Dienstag morgen in Bonn öffentlich gesagt
hat, und verträte er die Interessen des Landes NordrheinWestfalen wirklich gegen dieses steuerpolitische Konzept, dann wäre er heute morgen nicht nur hier,
({15})
sondern dann hätte er auch die Gelegenheit benutzt, zum
Thema Belastung der Betriebe insbesondere in Nordrhein-Westfalen durch Ihre Ökosteuer, Herr Lafontaine,
etwas zu sagen.
({16})
Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, den Sie dankenswerterweise auch angesprochen
haben, nämlich die Belastung derer, die von einer Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge überhaupt
nicht profitieren. Sie haben die Rentner angesprochen;
aber es sind natürlich nicht nur die Rentner. Es sind die
nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden, es sind Studenten, es sind sozial Schwache mit geringen Einkommen,
die keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Meine
Damen und Herren, dazu gehören auch die Freiberufler,
die Landwirte, die Forstwirte und die in Gartenbaubetrieben Tätigen, die ihre eigenen berufsständischen Versorgungswerke haben. Alle diejenigen, die ich genannt
habe, werden von den Entlastungen überhaupt nicht betroffen; sie sind allein von den Belastungen betroffen.
Deswegen gibt es in diesem Ökosteuerkonzept eine
Schieflage zu Lasten insbesondere derer, Herr Lafontaine, für die Sie sich im Wahlkampf besonders stark
gemacht haben.
({17})
Ich hätte es im übrigen sehr begrüßt, wenn an dieser
Debatte heute morgen ein Fachminister teilgenommen
hätte, der seit mehreren Wochen immer wieder öffentlich, wenn auch für mich bisher erkennbar nicht hier im
Deutschen Bundestag die besondere Interessenlage des
Berufsstandes vertritt, der ihm besonders anempfohlen
ist; ich meine den Bundeslandwirtschaftsminister. Meine
Damen und Herren, durch die Steuerreform, die die Regierung vorgelegt hat, wird die Landwirtschaft entgegen allen anderen Beteuerungen und Ankündigungen
mit rund 1,5 Milliarden DM zusätzlich belastet.
({18})
- Ich freue mich, daß ich den Zwischenruf „Na und?“,
der hier aus der SPD gekommen ist, verstanden habe.
({19})
Ich weiß nicht, wer ihn gemacht hat, aber ich bedanke
mich für diesen Zwischenruf. Dieser Zwischenruf ist
aktenkundig.
({20})
Weitere Belastungen in Höhe von 300 bis
350 Millionen DM kommen durch die sogenannte ökologische Steuerreform auf die Land- und Forstwirtschaft
sowie die Gartenbaubetriebe in Deutschland zu. Wir
hätten erwartet, daß der Bundeslandwirtschaftsminister
heute morgen an dieser Stelle zu den nicht ausgeglichenen zusätzlichen Belastungen für die deutsche Landund Forstwirtschaft etwas sagt, meine Damen und Herren.
({21})
Herr Lafontaine, lassen Sie mich zum Schluß auf
zwei Punkte zu sprechen kommen, die ich auch am
letzten Freitag angesprochen habe und die ich Ihnen in
Zukunft Woche für Woche, wenn Sie wollen, vorhalten
werde.
({22})
Erstens. Wir bleiben dabei: Wir wollen nicht nur vom
Bundeskanzler eine unverbindliche, sondern von Ihnen
als dem zuständigen Fachminister eine verbindliche
Zielbestimmung hinsichtlich der weiteren Entwicklung
der Staatsquote haben. Dies ist nicht irgendein beliebiges Thema, sondern die Entwicklung der Staatsquote ist
die entscheidende Größenordnung für Erfolg oder Mißerfolg Ihrer Politik im Hinblick auf den Arbeitsmarkt.
({23})
Wir wollen wissen, wie Sie als verantwortlicher Ressortminister in der Gesamtkonzeption Ihrer Steuerpolitik, von der Sie zu Recht gesprochen haben, die Entwicklung der Staatsquote in den nächsten Jahren in
Deutschland sehen.
Zweitens. Herr Lafontaine, nachdem der Bundeskanzler hier gestern mal eben im Vorbeigehen vier Milliarden DM Steuereinnahmen abgeräumt hat - zu Lasten
des Bundes, der Länder und der Gemeinden -:
({24})
Wir wollen von Ihnen auch endlich den Haushaltsplan
des Jahres 1999 vorgelegt bekommen.
({25})
Herr Minister Lafontaine, Sie können doch nicht
draußen und hier ständig erzählen, Sie trügen eine Altlast, eine Erblast der alten Bundesregierung
({26})
mit einer Vielzahl von ungeklärten Etatposten vor sich
her, Sie wüßten nicht, wie Sie die Löcher stopfen sollten, und es dann zulassen, daß in Ihrer Abwesenheit gestern hier mal eben beschlossen wird, daß weitere vier
Milliarden DM bei den 620-DM-Beschäftigungsverhältnissen durch den Wegfall der Pauschalbesteuerung fehlen werden.
({27})
Wir wollen von Ihnen eine Gesamtkonzeption über
die Staatsquote und über den Haushaltsplan des Jahres
1999. Ansonsten bleibt all das, was Sie letzte Woche
und heute morgen an steuerpolitischer Konzeption hier
vorgelegt haben, ein Flickwerk. Es bleibt ein Flickwerk
ohne erkennbaren roten Faden in Ihrer Finanz- und
Haushaltspolitik.
({28})
Es wird vor allen Dingen nicht das erreichen, Herr
Lafontaine, was wir uns alle doch gemeinsam zum Ziel
gesetzt haben: nämlich eine Verbesserung der Lage auf
dem Arbeitsmarkt.
Vielen Dank.
({29})
Es spricht jetzt
der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir legen mit diesem Gesetzentwurf einen Vorschlag vor, der eine schlimme Fehlentwicklung der vergangenen Jahre zu korrigieren versucht.
Wir alle haben es erlebt, daß von 1990 bis 1998 der
Anteil der Sozialversicherungsbeiträge an den Bruttolohnkosten von einstmals 35 Prozent auf mittlerweile
fast 43 Prozent angestiegen ist.
({0})
Diese Entwicklung, die Belastung des Faktors Arbeit
mit Sozialversicherungsbeiträgen, die politisch von der
letzten Regierung zu verantworten ist, ist eine, lieber
Herr Merz, der zentralen Ursachen für die Entwicklung
der Arbeitslosigkeit in diesem Lande.
({1})
Wenn Sie hier die Sachverständigen zitieren, dann
hätten Sie vielleicht einen kleinen Blick in die Gutachten der vergangenen Jahre werfen können. Durch all diese Gutachten zieht sich wie ein roter Faden
({2})
- wie ein schwarzer Faden, lieber Kollege Rezzo - die
Forderung, die Belastung des Faktors Arbeit mit Sozialversicherungsabgaben zu senken.
({3})
Sie haben hier in Ihrer Regierungszeit das komplette
Gegenteil gemacht. Sie haben die Belastung des Faktors
Arbeit immer weiter in immer neue Rekordhöhen getrieben.
({4})
Wir senken jetzt diese Belastung. Das ist der arbeitsmarktpolitische Kern der Reformen, die wir hier vorlegen.
Wir wollen nicht mehr steuern. Wir wollen umsteuern. Wir wollen die Unternehmen, statt sie dazu anzuhalten, beim Faktor Arbeit möglichst zu rationalisieren,
mit einem marktwirtschaftlichen Instrument dazu bringen, Energie rationeller einzusetzen.
({5})
Wir haben hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
den Energieverbrauch in drei Schritten verteuert. Das
wird direkte Beschäftigungsimpulse auslösen.
({6})
Es wird gleichzeitig dazu führen, daß sich Energiesparinvestitionen schneller amortisieren, und es wird dazu
beitragen, Energieversorgung zukunftssicherer, umweltverträglicher und kostengerechter sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang war es - das sind die
Schwierigkeiten, die man hat, wenn man mit einer solchen Politik anfängt - nicht möglich, Strom zum Beispiel aus erneuerbaren Energieträgern bereits jetzt
von der Stromsteuer auszunehmen. Sie wissen, es gibt
erhebliche europarechtliche Probleme.
({7})
Wir wollen das Geld, was über die Stromsteuer in nicht
sinniger Weise eingenommen wird, den erneuerbaren
Energien zugute kommen lassen. Wir wollen ein Förderprogramm in der Größenordnung der
300 Millionen DM, die aus Einnahmen aus der Stromsteuer auf regenerative Energien stammen, auflegen, das
sichert und anstößt, wofür diese Regierung ebenfalls
steht, nämlich die Verdoppelung des Anteils der regenerativen Energien an der Stromerzeugung.
({8})
Auch damit setzen wir einen klaren Kontrapunkt zu der
Politik, die von Ihnen zu verantworten war. Sie haben
regenerative Energien nicht gefördert,
({9})
sondern durch das Stromeinspeisegesetz kräftig gedekkelt. Ein völlig falscher Weg!
({10})
In der Diskussion um die ökologische Steuerreform
haben wir wie in vielen anderen Bereichen, in denen es
um Steuern geht, allesamt miteinander die Neigung, zuerst über die Belastung und weniger über die Entlastung
zu sprechen. Ich will an dieser Stelle nachdrücklich darauf hinweisen: Diese erste Stufe einer ökologischsozialen Steuerreform entlastet Haushalte und Unternehmen durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge um rund 11 Milliarden DM. Diese Ausgestaltung der ökologischen Steuerreform ist im übrigen auch
wirtschaftsverträglich. Sie nimmt sehr wohl Rücksicht
auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Ich finde,
wir haben einen guten Mittelweg gefunden.
Zum Thema nationale Alleingänge, lieber Herr Merz:
Gucken Sie sich einmal Holland oder Skandinavien an!
Dort gibt es diese Ökosteuer schon lange. Von einem
Alleingang kann gar nicht die Rede sein. Auf Grund
Ihrer Versäumnisse hinken wir leider hinterher.
({11})
Aber anders als dort haben wir nicht als ersten Schritt
das produzierende Gewerbe völlig ausgeschlossen, sondern haben - wie es auch dort inzwischen der Fall ist das produzierende Gewerbe mit einem reduzierten
Steuersatz von 25 Prozent belegt.
Wenn ich höre, daß die Kosten für eine Arbeitsstunde
durch unsere Reform „lediglich“ um 48 Pfennig reduziert würden - immerhin, in den letzten Jahren ist die
Arbeitsstunde Jahr für Jahr kontinuierlich um Beträge
dieser Größenordnung verteuert worden -, so muß ich
darauf hinweisen, daß der produzierenden Wirtschaft
eine Erhöhung um 0,5 Pfennig pro Kilowattstunde
Strom nicht als Attacke begriffen werden kann. Inzwischen gibt es hierzu erste Berechnungen, zum Beispiel
aus Betrieben, die - wie die Zementindustrie - sogar
völlig befreit sind. Das bedeutet für die Heidelberger
Zement AG eine Entlastung um 300 000 DM pro Rechnungsjahr auf Grund der ökologischen Steuerreform.
({12})
Wo bleiben die Argumente? Von wegen, das sei wirtschaftsfeindlich, meine Damen und Herren!
({13})
- Sie können natürlich für eine Rasenmähermethode
plädieren. Wir aber wollen sachgerecht - und das heißt
auch branchenorientiert - vorgehen.
({14})
Wie wenig willkürlich das ist, meine Damen und
Herren von der geneigten Opposition, erkennen Sie,
wenn Sie die Liste der Branchen betrachten, die sich im
Rahmen der Klimaschutzpolitik dazu verpflichtet haben,
durch eigene Anstrengungen den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen um 20 Prozent zu vermindern.
Wenn Sie sich diese Liste ansehen und vergleichen, wo
bei uns die Steuerbefreiungen ansetzen, so sehen Sie,
daß dies fast vollständig identisch ist. Das heißt, wir befreien die Betriebe, die aus eigener Anstrengung und auf
Grund ihrer hohen Energiestruktur Kosten einsparen.
({15})
- Herr Hirche, wenn Sie mit mir über Selbstverpflichtung diskutieren wollen, können wir das gerne machen.
Auch im Konzept einer ökologischen Steuerreform der
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen sind Selbstverpflichtungen enthalten. Gegen Selbstverpflichtung gibt
es den Verzicht auf Besteuerung. Das jetzt vorgelegte
Modell einer ökologisch-sozialen Steuerreform befreit in
der Regel die Betriebe, die sich verpflichtet haben, in
diesem Bereich selber Reduktionen zu schaffen. Sie
sehen: Selbstverpflichtung wird selbst im Ansatz der
Grünen-Bundestagsfraktion an dieser Stelle deutlich.
({16})
Nun komme ich zu dem, was in der zweiten und
dritten Stufe noch nachzuarbeiten sein wird. Erstens
müssen wir hinsichtlich einer europäischen Richtlinie
für die Besteuerung von Energie nacharbeiten, die Sie
über Jahre hinweg blockiert haben. Damit haben wir
jetzt schon im Konzert mit anderen europäischen Ländern angefangen,
({17})
die allesamt bessere Arbeitsmarktbilanzen vorzuweisen
haben als Sie. Wir werden das Konzept, Arbeit zu verbilligen und Umweltverbrauch zu verteuern, langfristig
selbstverständlich nur umsetzen können, wenn wir das
in europäischer Gemeinsamkeit tun.
({18})
- Herr Waigel, ich habe die ganze Zeit darauf gewartet,
daß Sie an dieser Stelle dazwischenreden.
({19})
Wer war es denn, der eine europäische Lösung verhindert hat, anschließend in den Wahlkampf gezogen ist
und gesagt hat: Wir wollen keine nationalen Alleingänge? Niemand anders als Sie waren es!
({20})
- Herr Waigel, ich habe gehört, das sei falsch.
({21})
- Dann behaupten Sie, daß die gesamte Kommission der
Europäischen Gemeinschaft die Unwahrheit sagt.
({22})
- Sei es drum. - Es könnte ja sein, daß Ihre Abwahl etwas damit zu tun hat, wie Sie sich in dieser Angelegenheit verhalten haben.
({23})
Neben der gemeinsamen Anstrengung unter der deutschen Präsidentschaft, eine europäische Richtlinie zu
schaffen, gibt es ein Zweites, das in einer zweiten und
dritten Stufe gelöst werden muß: Wir müssen, wenn wir
eine andere Energiestruktur, einen neuen Energiemix
ohne Atom wollen, bei der Erhebung der Stromsteuer
unterschiedliche Wirkungsgrade von Kraftwerken
entsprechend berücksichtigen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dies konnte in der ersten
Stufe nicht geschehen. An dieser Stelle, denke ich, wird
an dem Grundsatz, den wir heute vorgelegt haben, nachzuarbeiten sein. Dieser Grundsatz bedeutet den Einstieg
in eine neue, in eine andere Steuerpolitik, die künftig
nicht mehr die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern belastet, sondern den Verbrauch der
Natur, um auf diese Weise mehr Arbeit in diesem Lande
zu schaffen.
({0})
Herr Minister,
es bestand der Wunsch nach einer Zwischenfrage.
({0})
- Abgeordnete und auch Minister haben das Recht, Zwischenfragen zuzulassen oder auch nicht. Außerdem hatte
der Herr Minister bereits das Rednerpult verlassen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig
Thiele.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Trittin, nach den Diskussionen der
letzten Tage habe ich den Eindruck, daß Sie und der
Bundeskanzler die Chaostage nicht nur in Hannover erlebt haben, sondern sie auch in Bonn einführen wollen.
({0})
Das halte ich für gänzlich unangemessen.
Was bedeuten denn die Versprechungen eines Bundeskanzlers in einer Regierungserklärung, die er vor
zehn Tagen in diesem Hause abgegeben hat, wenn der
Inhalt dieser Regierungserklärung nicht einmal diese
zehn Tage Bestand hat? Warum beschließt man denn
eine Koalitionsvereinbarung, in der eine Beschränkung
der 620-Mark-Arbeitsverträge enthalten ist, wenn man
sie direkt danach wieder aufhebt? Das zeigt doch nur,
daß Ihr Regierungsprogramm in sich widersprüchlich,
ohne jegliche Linie ist und daß Sie es täglich ändern
müssen. Das ist aber kein Zufall; dahinter steckt ein System, nämlich ein komplett falsches Politikverständnis.
({1})
Die rotgrüne Politik geht davon aus, daß mehr Nachfrage mehr Arbeitsplätze schafft, daß sich durch ein
stärkeres Verteilen von Wohltaten die Probleme unseres
Landes lösen lassen, daß dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden und daß dadurch die Arbeitslosigkeit
sinkt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen
von der rotgrünen Koalition, Sie haben ein grundsätzlich
falsches Denken, Sie haben eine grundsätzlich falsche
Philosophie; deshalb gehen Sie den falschen Weg.
({2})
Ihre Steuerpolitik dient dabei nur als ein weiteres
Beispiel einer falschen Grundstrategie, die staatsorientiert, abgabefreundlich und bürokratisch ist. Sie entspricht nicht der Wirklichkeit der Globalisierung, sie
entspricht auch nicht der Wirklichkeit der Europäisierung, und vor allem entspricht sie nicht dem Grundgedanken des Wettbewerbs, den es inzwischen international gibt. Wettbewerb findet statt. Die Frage ist nur, ob er
mit oder ohne uns stattfindet.
({3})
Wenn er ohne uns stattfindet, dann bedeutet das, daß die
Arbeitslosigkeit in unserem Lande nicht sinkt, sondern
steigt. Deshalb wollen wir, daß unser Land beim Wettbewerb mitmacht.
({4})
Deshalb sind die Abschottung und das Beschließen
von nationalen Sonderwegen der falsche Weg. Deshalb
schafft auch ein nationaler Alleingang bei Energiesteuern
({5})
keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Ein nationaler Alleingang im Bereich der Energiesteuern vernichtet Arbeitsplätze in unserem Land.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, das
Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform ist
ein riesiger Etikettenschwindel.
({6})
Der Begriff „öko“ soll lediglich glauben machen, daß
mit dieser zusätzlichen Steuer ein guter Zweck verfolgt
wird, nämlich daß die Umwelt tatsächlich nachhaltig
entlastet wird. Das ist aber nicht der Fall. Darauf komme
ich gleich noch zu sprechen. Es soll abkassiert werden für mehr Staat, für mehr Staatsausgaben und für weniger
Sparsamkeit der öffentlichen Hand, für ein Steigen und
nicht für ein Sinken der Staatsquote.
({7})
Schon bei der Einbringung dieses Gesetzes erklären
die Grünen, daß dies nur die erste Stufe sei. Das heißt,
Jahr für Jahr werden wir neue Diskussionen über neue
Steuererhöhungen in unserem Lande führen dürfen. Dies
widerspricht aber der Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der öffentlich erklärt hat: Erhöhung der
Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Liter, mehr nicht!
Zitat: „Mein Kanzlerwort gilt.“
({8})
Dazu kann ich nur sagen, daß wir es an dieser Stelle mit
Franz Beckenbauer halten und sagen: Schaun mer mal.
Wir sind auch letzte Nacht um einiges klüger geworden.
({9})
Mit diesem Gesetz wird neben einer Erhöhung der
Mineralölsteuer erstmals seit über zehn Jahren in unserem Land eine komplett neue Steuer eingeführt, nämlich
eine Stromsteuer. Ein solches Gesetz, das eine neue
Steuer mit einer neuen Bemessungsgrundlage enthält,
muß sorgfältig und gründlich debattiert werden. Es
reicht nicht, in Koalitionskränzchen zu tagen und irgendwann einmal in der Nacht diese oder jene Runde
einzuberufen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ein
neues Steuergesetz bedarf einer ordentlichen Beratung.
({10})
Diese Beratung ist nicht sichergestellt, da die Anhörung
zu diesem Gesetz schon am Montag, dem 30.11., die abschließende Beratung am Mittwoch, dem 2.12., im Finanzausschuß und die abschließende Lesung im Deutschen Bundestag schon am 4. Dezember stattfinden sollen. Dies ist ein schlampiges Gesetzgebungsverfahren,
das auch zu einem schlampigen Gesetz führen würde.
({11})
Nachdem die Koalitionsfraktionen aber in der letzten
Nacht beschlossen haben, daß dieses sogenannte Ökosteuergesetz erst am 1. April in Kraft treten soll, hat die
F.D.P. beantragt, noch am heutigen Tage eine Sondersitzung des Finanzausschusses zur Änderung des Zeitplans
der Beratungen durchzuführen.
({12})
Darauf haben alle einen Anspruch. Ich freue mich, Frau
Kollegin Scheel, daß Sie mir als Vorsitzende des Ausschusses schon angedeutet haben, daß wir den Termin
vom 30. November wohl streichen und dann in der
nächsten Woche einen neuen Zeitplan für unsere Ausschußberatung verabschieden werden.
({13})
Herzlichen Dank für die Erkenntnis und die Bereitschaft, zumindest im Verfahren Anregungen und Bedenken der Wirtschaft und von betroffenen Arbeitnehmern tatsächlich aufzunehmen!
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz ist offensichtlich nur deshalb so entworfen worden,
weil die neue Regierung Geld braucht. Wahlkampfversprechen sollen gehalten werden, sie müssen aber auch
teuer bezahlt werden. Deshalb wird eine Steuermehrbelastung unter dem Titel Ökosteuer beschlossen, damit
der Bürger meint, es geschehe etwas Gutes, weil er
durch diese Steuer die Umwelt entlaste.
Das ganze Gesetz in sich ist aber höchst widersprüchlich. Wenn der Energieverbrauch eingedämmt
werden soll, dann muß man ja zumindest wohl den
Energieverbrauch belasten. Dies geschieht aber nicht,
weil gerade energieintensive Betriebe ausgenommen
werden sollen. Dieses Gesetz hilft der Umwelt soviel,
wie es der Gesundheit helfen würde, wenn Sie Kettenraucher von der Tabaksteuer befreien.
({15})
Das kann doch wohl nicht der richtige Weg sein, für die
Umwelt tatsächlich eine entsprechende Wirkung zu erzielen.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den
letzten Monaten haben wir uns darüber unterhalten, daß
Gesetze, insbesondere Steuergesetze, einfach und gerecht sein sollen. Das, was Sie hier vorlegen, ist weder
einfach noch ist es gerecht, was die Verteilungswirkung
angeht, was die Belastung für unterschiedliche Branchen
angeht, was Bürger betrifft, die den öffentlichen Personennahverkehr benutzen. Denn auch der öffentliche
Personennahverkehr, der von Ihnen dann ja wieder über
Subventionen gefördert werden soll, wird hier erst einmal mit einer zusätzlichen Steuer belastet, mit der Folge,
daß die normale Karte für die Busse, für die Bahn, für
den öffentlichen Verkehr, den wir in Deutschland haben,
von Ihnen künstlich verteuert wird. Es kann doch nicht
sein, daß Sie sich davon tatsächlich umweltpolitisch
positive Effekte erhoffen. Das wird in der Form nicht
eintreten.
Nein, das Gesetz ist in sich widersprüchlich. Es verfolgt keine politische Linie. Die Bürger sollen lediglich
mit über 11 Milliarden DM zusätzlich belastet werden.
Dieses Gesetz entlastet nicht die Umwelt, durch dieses Gesetz werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, und durch dieses Gesetz werden auch die Lohnnebenkosten auf Dauer nicht gesenkt.
Erstens. Die meisten Umweltprobleme sind grenzüberschreitender Natur. Dies gilt insbesondere für die
weltweiten CO2-Emissionen, an denen Deutschland
insgesamt einen Anteil von weniger als 5 Prozent hat,
die deutsche Industrie sogar nur von weniger als 1 Prozent. Nach Berechnungen des RWI wäre der weltweite
Ausstoß von CO2 dagegen bereits heute um 17 Prozent
niedriger, wenn die Unternehmen in den anderen Ländern die Umweltstandards hätten, die wir in unserem
Land in unseren Unternehmen schon haben. Das ist der
richtige Weg. So muß Innovation gefördert werden, damit dadurch die Umweltbelastung weltweit gesenkt
wird.
({17})
Ein nationaler Alleingang kann diese Probleme der
Umwelt überhaupt nicht lösen.
Zweitens. Neue Arbeitsplätze sollen durch dieses Gesetz entstehen. Da dieses Gesetz im nationalen Alleingang beschlossen wird, sind erhebliche Folgen für die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erwarten.
({18})
Denn ein nationaler Alleingang bedeutet eine Verteuerung von Arbeit in Deutschland auch bei den Branchen,
die sich im europäischen Wettbewerb und im internationalen Wettbewerb befinden. Bei einem nationalen Alleingang nimmt deshalb die internationale Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen in Deutschland
Schaden. Und eine europäische Lösung benachteiligt
Unternehmen in Europa gegenüber außereuropäischen
Wettbewerbern.
Alle wichtigen OECD-Länder, die sich bislang mit
ähnlichen Konzepten befaßt haben, haben diese fallengelassen. In den Ländern, die im nationalen Alleingang
Ökosteuern eingeführt haben, ist die Industrie entweder
davon ausgenommen oder nur geringen Steuersätzen
unterworfen worden.
({19})
Unter Umweltaspekten ist auch zu bedenken, daß es
schädlich ist, wenn gerade die Industrie mit ihren Arbeitsplätzen in andere Länder ausweicht, wo niedrigere
Umweltstandards gelten, weil auch das wieder zu einer
stärkeren Belastung der Umwelt führt. Das alles ist Teil
Ihres unausgegorenen Konzeptes.
({20})
Mit diesem Gesetz wird also sowohl das Ziel eines
höheren Umweltschutzes als auch das Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze verfehlt. Es wird noch ein
drittes Ziel verfehlt. Die Lohnnebenkosten werden
durch diese Reform nicht dauerhaft gesenkt. Wer die
Lohnnebenkosten dauerhaft senken will, muß eine
Strukturveränderung hinsichtlich der Lohnnebenkosten
vornehmen und die demographische Entwicklung in der
Rentenversicherung berücksichtigen. Wir haben entsprechende Maßnahmen beschlossen, die Sie aber wieder zurückdrehen wollen. Ich sage Ihnen schon jetzt
voraus, daß Sie mit diesen zusätzlichen Einnahmen nicht
in der Lage sein werden, die Strukturmaßnahmen, die
Sie an die Stelle unserer Maßnahmen setzen wollen, ordentlich zu finanzieren.
({21})
Die deutsche Wirtschaft ist schon jetzt gezwungen,
mit Energie so sparsam wie möglich umzugehen, um
international wettbewerbsfähig zu bleiben. Dennoch gibt
es auch in unserem Land energieintensive Prozesse aus physikalischen Gründen und weil hohe Umweltstandards häufig nur mit Hilfe energieintensiver Anlagen erreicht werden, bei denen wir weltweit führend sind. Bei
der Beurteilung, welche Branchen aus Wettbewerbsgründen von der Energiesteuer ausgenommen werden
sollen, zieht der Gesetzentwurf den Energiekostenanteil
an den gesamten Produktionskosten heran. Dies führt
zum Beispiel bei der Bearbeitung hochwertiger Vorprodukte dazu - in meiner Heimatstadt Osnabrück gibt es
die Firma KME Kabelmetall, die Kupfer verarbeitet -,
daß Firmen trotz hohen Energieeinsatzes, dessen Kosten
aber relativ zum Einkaufspreis - beispielsweise dem des
Kupfers - niedrig sind, durch die Energiesteuer voll belastet werden. Andere Firmen mit günstigeren Vorprodukten dagegen werden geringer belastet. Man muß
deshalb dazu übergehen, diese Betriebe zu entlasten,
damit Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.
Ich möchte ein zweites Beispiel nennen. Glaswolle
fällt nach dem Gesetzentwurf als Erzeugnisgruppe mit
einem Energiekostenanteil von 6,8 Prozent unter die
Ausnahmeregelung. Steinwolle fällt aber nicht darunter,
obwohl ihre Herstellung genau den gleichen Energieaufwand benötigt. Sie ist nur unter einer anderen Rubrik,
nämlich unter Vermischtes, eingruppiert, wofür eine
Grenze von 3,3 Prozent ausgewiesen ist. Wenn man für
diese Steuer lediglich das statistische Basismaterial heranzieht, das sich nur auf einzelne Betriebe und Wirtschaftszweige bezieht, dann verfehlt man elementar das
Ziel, energieintensive Betriebe von der Energiesteuer
auszunehmen.
Folgen Sie einfach dem Votum der Ministerpräsidenten, die gesagt haben: Nehmen Sie die energieintensiven Betriebe komplett heraus!
Der sinnvollste Weg ist der, den die F.D.P. vorgeschlagen hat, nämlich ein dritter Mehrwertsteuersatz
auf Energie, weil damit sichergestellt ist, daß das produzierende Gewerbe und damit diese Arbeitsplätze in
unserem Lande nicht zusätzlich belastet werden.
({22})
Dieser Gesetzentwurf ist mit äußerst heißer Nadel gestrickt. Die unterschiedliche Behandlung von Unternehmen läßt sich sachlich nicht rechtfertigen. Eine politische Linie ist nicht erkennbar. Handeln Sie lieber vernünftig! Warum legen Sie nicht die Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer um? Das haben die Grünen
doch immer gefordert. Warum tun Sie es denn jetzt
nicht?
({23})
Warum wandeln Sie nicht die Kilometerpauschale in
eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale
um? Das sind doch auch Forderungen, die Sie erhoben
haben und bei deren Realisierung wir Sie gerne unterstützen würden. Entsprechende Regelungen wurden aber
bisher nicht getroffen.
({24})
Die Frage lautet daher: Wo ist bei den Grünen das Programm geblieben? Wo sind Ihre Überzeugungen geblieben? Davon ist nichts zu spüren.
({25})
Ich appelliere an Sie: Machen Sie Schluß mit dem
Abzocken der Bürger! Gestern haben Sie Ihre Ideologie
zu den 620-Mark-Arbeitsverträgen beiseite gelegt. Ich
möchte Sie bitten, als nächstes diese sogenannte Ökosteuer ebenfalls zu kassieren.
Herzlichen Dank.
({26})
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Diese Reform, die ökologische
Steuerreform genannt wird, stellt für mich den Abschied
der Grünen von ihrer Ankündigung dar, der Politik der
neuen Bundesregierung einen ökologischen Stempel
aufdrücken zu wollen.
({0})
Diese Steuerreform ist aus mehreren Gründen nicht
ökologisch. Der eine ist hier schon mehrfach genannt
worden. Sie geben als ökologisches Ziel aus, daß der
Energieverbrauch über eine zusätzliche Steuer gesenkt
werden soll. Es soll einen Anreiz geben, den Energieverbrauch zu senken. Wenn man aber in einem solchen
Gesetz sagt, daß die, die am meisten Energie verbrauchen, davon ausgenommen werden, dann konterkariert
man dieses Ziel in dem gleichen Gesetz, und damit wird
das ganze Ziel unglaubwürdig.
({1})
- Herr Schlauch, ich will Ihnen sagen: Das ist so, als ob
Sie ein Gesetz einbringen, in dem Sie sagen, daß die
Verursacher von Umweltschäden ab jetzt auch für die
Kosten zur Behebung der Schäden haften, und in einem
zweiten Absatz sagen, daß das aber nicht für jene gilt,
die besonders große Umweltschäden verursachen. Das
ist doch völlig absurd, was Sie auf dieser Strecke einbringen.
({2})
Ich sage Ihnen noch einen zweiten Fall, der bisher
noch nicht benannt worden ist. Es gibt eine abgesenkte
Steuer für das produzierende Gewerbe. Diese gilt aber
erst ab einem Verbrauch von 50 000 Kilowattstunden im
Jahr. Das heißt, ein Gewerbebetrieb, der nur 40 000 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, muß volle Steuern
bezahlen. Also wird er durch dieses Gesetz animiert, den
Energieverbrauch zu erhöhen, damit er in den Genuß einer abgesenkten Steuer kommt. Auch das ist völlig kontraproduktiv zu der ökologischen Zielstellung.
Es gibt einen dritten Punkt. Was wird aus den Einnahmen? Sie sagen, Sie wollen die Einnahmen verwenden, um die Lohnnebenkosten zu senken. Bei einer
ökologischen Steuerreform müßten die Einnahmen doch
verwendet werden, um mit dem ökologischen Umbau zu
beginnen, um Nachhaltigkeit zu ermöglichen, um den
öffentlichen Nah- und Fernverkehr ökologisch und auch
sozial zu gestalten. Wenn Sie die Einnahmen so verwenden würden, dann könnte man vielleicht von einer
ökologischen Steuerreform sprechen. Das kann man
doch aber nicht tun, wenn Sie eine Verbindung zu den
Lohnnebenkosten herstellen, zumal Sie sich damit in
folgende Schwierigkeit bringen: Wenn der Energieverbrauch auf Grund dieser Reform wider Erwarten tatsächlich gesenkt werden sollte, dann hieße das doch, daß
Ihre Steuereinnahmen zurückgehen. Wenn aber Ihre
Steuereinnahmen zurückgehen, hieße das, daß Sie nicht
mehr das Geld zur Senkung der Lohnnebenkosten hätten, und dann müßten Sie entweder die Lohnnebenkosten wieder erhöhen oder die Steuern erhöhen. Das ist
ein Kreislauf, aus dem Sie überhaupt nicht herauskommen. Deshalb ist das Ganze alles mögliche, aber mit Sicherheit keine ökologische Steuerreform.
({3})
Ich sage Ihnen: Sie ist außerdem ungerecht. Darum
kommen Sie, Herr Minister Lafontaine, auch mit merkwürdigen Verweisen auf zukünftige Folgen bei den
Renten etc. nicht herum.
Fakt ist doch, daß zum Beispiel auch die energieintensive Industrie, also die Großindustrie, die Sie von der
Steuer befreien, in den Vorzug der Senkung der Lohnnebenkosten kommt. Das heißt, sie hat einzig und allein
einen Vorteil und bezahlt überhaupt nicht mehr. Wer finanziert diesen Vorteil? - Das sind in Wirklichkeit die
Sozialhilfeempfängerin, die Rentnerin und der Bäckermeister. Das ist höchst ungerecht und auch sozial völlig
unverträglich. Das muß ich Ihnen so deutlich sagen.
({4})
Das sind all die Gruppen, die hier schon genannt
worden sind und für die Sie keinen Ausgleich vorsehen.
Die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen, die
Landwirte, die Studierenden, die Wehrpflichtigen, die
Zivildienstleistenden - all die werden das bezahlen
({5})
und bekommen keinen Ausgleich oder werden damit
vertröstet, daß es irgendwann später für sie einen Vorteil
bringt. Das ist wirklich sozial höchst ungerecht.
Es gibt noch einen vierten Punkt, der hier auch noch
nicht angesprochen worden ist: Das ist der Osten. Sie
haben nämlich zwei Dinge in bezug auf den Osten vergessen: Wir haben dort schon höhere Energiekosten und
wesentlich geringere Einnahmen als in den alten Bundesländern. Nun werden die Energiekosten noch höher,
ohne daß die Einnahmen gesteigert werden. Damit wird
es im Osten besonders ungerecht. Dafür haben Sie keinerlei Ausgleichsansatz in Ihr Gesetz aufgenommen.
({6})
Wenn man die Lohnnebenkosten wirklich senken
will, dann muß man ganz andere Schritte unternehmen.
Hierzu haben wir Vorschläge gemacht, die aber bisher
überhaupt keine Berücksichtigung gefunden haben. Zunächst einmal müßte man sich darüber unterhalten, wer
eigentlich Sozialversicherungsbeiträge bezahlt und
wer nicht. Warum sind die besonders gut Verdienenden,
die Bundestagsabgeordneten einbezogen, hohe Beamte
und viele andere von dieser Versicherungspflicht eigentlich befreit? Wenn wir die Bemessung diesbezüglich gerechter gestalten würden, könnte man auch die
Beiträge senken.
({7})
Ein zweiter Punkt, der uns ganz wichtig ist, ist folgender: Warum machen Sie denn nicht eine mutige
Strukturreform? Was Sie machen, ist doch das, was wir
kennen: aus der einen Tasche heraus, in die andere Tasche hinein. - Das hilft uns doch nicht weiter. Wir haben
einen Vorschlag gemacht. Tun Sie einen mutigen
Schritt, indem Sie sagen: Wir streichen den Arbeitgeberanteil zu den Versicherungssystemen und ersetzen
ihn durch eine höchst flexible Bruttowertschöpfungsabgabe: Jedes Unternehmen zahlt nach seiner realen
Leistungsfähigkeit und nicht länger nach der Zahl der
Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne, so daß
nicht mehr die arbeitsintensiven Unternehmen doppelt
und dreifach bestraft werden, wie das heute der Fall ist.
Das wäre arbeitsmarktpolitisch eine höchst sinnvolle
Reform.
({8})
Herr Kollege
Dr. Gysi, damit haben Sie eigentlich Ihren Schlußpunkt
gefunden.
Es gibt auch noch andere
Möglichkeiten, die Schaffung von Arbeitsplätzen mit
Ökologie zu verbinden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel:
Wenn Sie wirklich beabsichtigen, eine Strukturreform
durchzuführen, sollten Sie einmal darüber nachdenken,
ob Reparaturleistungen des Handwerks nicht mit
einer niedrigeren Mehrwertsteuer als heute belastet werden könnten. Hiermit erzielten Sie drei positive Effekte:
Erstens könnte der Endverbraucher diese Handwerksleistungen billiger in Anspruch nehmen, zweitens würde
das Handwerk gestärkt, und drittens wäre es ökologisch
sinnvoll, weil sich Reparaturen im Vergleich zu Neuanschaffungen wieder lohnen würden. Das wäre eine sinnvolle Verbindung von sozialer und ökologischer Politik.
({0})
- Sie haben gestern gerade einmal über 4 Milliarden DM
Steuereinnahmen gestrichen, ohne einen Satz dazu zu
sagen, wie Sie das Ganze ausgleichen wollen.
({1})
Dann haben Sie das Ganze als besonders sozial verkauft,
aber hinzugefügt, es entstünden keine Ansprüche durch
Einzahlung in die Versicherungssysteme. Das hatten wir
in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt noch
nie; das will ich hier deutlich sagen. Wir sind von diesem Vorschlag nicht sehr begeistert.
({2})
Mein letzter Satz: Diese ökologische Steuerreform ist
weder ökologisch noch gerecht, noch sozial.
({3})
Sie ist nichts anderes als eine zusätzliche Einnahmequelle, um anderes finanzieren zu können. Da das so ist,
sollten Sie diese Steuerreform wenigstens anders benennen, um keinen Etikettenschwindel zu betreiben.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlev von Larcher.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf uns Sozialdemokraten und auf die von uns geführte Koalition ist
Verlaß.
({0})
Wir haben vor der Wahl angekündigt, daß wir die Lohnnebenkosten senken und damit die Nettoeinkünfte der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöhen werden.
Wir haben in unserem Wahlprogramm und in zahllosen Wahlkampfreden gesagt: Wir machen eine sozialökologische Steuerreform. Wir haben das vor der Wahl
angekündigt, und jetzt tun wir es. Auf uns ist Verlaß!
({1})
Schon drei Wochen nach der Konstituierung des 14.
Bundestages legen wir den entsprechenden Gesetzentwurf vor. Schon vor einer Woche haben wir unseren Gesetzentwurf zur Reform der Einkommensteuer vorgelegt
und in erster Lesung beraten. Das zeigt: Diese Koalition
redet nicht nur, sondern sie tut, was sie sagt.
({2})
- Herr Thiele und offenbar mit ihm die F.D.P. kritisieren
alle Seiten dieses Gesetzentwurfs. Herr Thiele schließt
sich der Kritik von Herrn Gysi an,
({3})
gleichzeitig weist er auf den internationalen Wettbewerb
hin. Das ist sehr widersprüchlich, Herr Thiele. Sie sollten sich für eine Linie entscheiden, dann könnte man Sie
ernst nehmen.
({4})
- Sie haben die gleichen Argumente wie Herr Gysi gebracht
({5})
und zugleich die anderen. Schauen Sie im Protokoll Ihrer Rede nach.
Die Regelungen des heutigen Gesetzentwurfs werden
zum 1. April des neuen Jahres wirksam. Dann sinkt der
Beitrag zur Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte. Wir klagen nicht über zu hohe Sozialversicherungsbeiträge, wir senken sie. Das Thema ist für uns alle nicht
neu:
Der Einsatz des Faktors Arbeit muß durch eine
Senkung der Lohnzusatzkosten relativ verbilligt
werden, der Energie- und Rohstoffverbrauch durch
eine schrittweise Anpassung der Energiepreise relativ verteuert werden, beides zu einer aufkommensneutralen Lösung intelligent verbunden werden. So lautet die Aufgabe.
- Jetzt müßte eigentlich die CDU/CSU Beifall klatschen, denn dieses Zitat stammt von Herrn Schäuble und
wurde auch schon von meiner Kollegin Matthäus-Maier
in der Sitzung am 24. September 1997 vorgetragen.
({6})
Ich erinnere die CDU an ihren Parteitag in Karlsruhe.
Schauen Sie sich einmal die Protokolle an. Selbst in der
F.D.P. soll ja dieser Gedanke nicht unbekannt sein; sie
hat hier sogar einen dementsprechenden Gesetzentwurf
eingebracht. Wahrscheinlich war aber Herr Thiele nicht
dabei, als dieser Gesetzentwurf eingebracht wurde, denn
heute hat er ihn nicht mehr gekannt.
({7})
In vielen europäischen Staaten hat der Gedanke der
Energiesteuer schon zu praktischen Konsequenzen geführt. Vorreiter im Hinblick auf die Energiebesteuerung sind wir beileibe nicht. Das sind vielmehr zum
Beispiel Dänemark, Schweden und die Niederlande.
Auch andere Länder sind in diesem Zusammenhang
schon genannt worden. Diese Länder erwarten von
Deutschland, daß wir eine solche Energiebesteuerung
jetzt nachholen. Sie erwarten das mit Recht. Wer hier
noch von einem nationalen Alleingang spricht, der will
die Öffentlichkeit in die Irre führen.
({8})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirche?
Bitte sehr.
Herr Kollege von Larcher,
ist Ihnen bewußt, daß zum Beispiel in Dänemark trotz
der Existenz einer Stromsteuer der Strompreis um
25 Prozent unter dem Strompreis in Deutschland liegt,
wo es keine Stromsteuer gibt?
({0})
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze?
Lieber Herr Kollege, sie
haben jedenfalls eine Stromsteuer eingeführt, weil sie
den Verbrauch verteuern und genau dieses Signal geben
wollten. Wir holen das nach.
({0})
Gestatten Sie
eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Hirche?
Bitte sehr.
Ist Ihnen bekannt, daß in
Dänemark in den letzten Jahren, das heißt seit Einführung der Ökosteuer, der CO2-Ausstoß nachweislich gestiegen ist?
Das ist mir nicht bekannt. Das kann man nachprüfen. Für den Fall, daß das
so ist, bin ich ganz sicher, daß die Dänen mit uns einen
Schritt weitergehen und den CO2-Ausstoß verringern.
Sie werden das erleben.
Einen ersten Schritt zur ökologischen Umgestaltung
unseres Steuersystems tun wir vorsichtig und wohlabgewogen. Ab dem 1. April 1999 wird die Steuer auf
Benzin und Diesel um 6 Pfennig erhöht. Die Steuer auf
Heizöl erhöhen wir um 4 Pfennig je Liter. Erdgas werden wir mit 0,32 Pfennig je Kilowattstunde zusätzlich
besteuern. Je Kilowattstunde Strom wird man ab
1. April 1999 Steuern in Höhe von 2 Pfennig zahlen.
Den Anstieg der Energiekosten gleichen wir nicht
einfach nur aus. Mit dem Mehr an verfügbarem Einkommen geben wir den Menschen mehr Entscheidungsfreiheit. Denn sie entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen. Das ist übrigens mehr Marktwirtschaft.
Nun wird gesagt - wir haben dies erst heute wieder
gehört -, die Ökosteuer beeinträchtige die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Diesen Bedenken sind wir weit entgegengekommen.
Wir ermäßigen die Steuersätze für das produzierende
Gewerbe, ja wir befreien sogar die besonders energieintensiven Industriezweige von dieser Steuer. Die jetzt gefundene Regelung stellt sicher, daß nur sehr wenige
Unternehmen durch die ökologische Steuerreform in
nennenswertem Umfang belastet werden.
Die Mehrzahl gerade auch der mittelständischen Unternehmen - der Finanzminister hat darauf hingewiesen
-, die viel Personal beschäftigen, entlasten wir sogar
durch die sinkenden Rentenversicherungsbeiträge. Zudem profitieren derzeit sehr viele Unternehmen von sinkenden Strompreisen infolge der Liberalisierung der
Elektrizitätsmärkte.
Manche meinen auch, wir seien den Bedenken zu
weit entgegengekommen. Ich habe für diese Einwände
durchaus Verständnis. Ich hätte mir - das will ich hier
freimütig sagen - durchaus vorstellen können, daß wir
auch für das produzierende und das energieintensive
Gewerbe mehr Anreize zum sparsamen Umgang mit
Energie geben.
Auch ist die Abgrenzung zwischen energieintensiven
und nicht energieintensiven Betrieben schwierig.
({0})
Hierbei könnte man folgendes überlegen: Wir könnten ja
die gefundene Regelung befristen und nach dieser Frist
nur noch diejenigen Unternehmen begünstigen, die
nachweisen, daß sie in bezug auf die Energieeinsparung
alles getan haben, was ihnen möglich ist. Diesen Nachweis könnten sie durch ein Öko-Audit führen. Darüber
sollten wir einmal nachdenken.
({1})
Auf der anderen Seite ist auch wahr: Viel mehr als
auf die Größe der Schritte kommt es auf den langfristig
sichtbaren Pfad der Entwicklung an. Mit unserem heutigen Gesetzentwurf erfolgt der Einstieg. Die nächsten
Schritte sind ebenso wichtig.
({2})
Wir werden in der Europäischen Union energisch
darauf hinarbeiten, daß es zu gemeinsamen Regeln für
die Energiebesteuerung kommt. Ich bin sicher: Wir werden dies sehr schnell erreichen. Denn auch hier war der
ehemalige Bundeskanzler der Bremser in Europa.
({3})
- Fahren Sie nach Brüssel; da wird Ihnen das gesagt.
({4})
- Herr Waigel, die Wahrheit muß man hören können.
Die gemeinsamen Regeln in Europa werden Wettbewerbsverzerrungen durch die Energiebesteuerung ausschließen. Danach können wir die Begünstigung bestimmter Branchen beenden.
Diejenigen Unternehmen, die jetzt eine geringe
Mehrbelastung in Kauf nehmen müssen, können sich
darauf einstellen, daß sie dann unter vergleichbaren Bedingungen wie die europäische Konkurrenz produzieren
können.
Meine Damen und Herren, es heißt, wir sollten bei
den Innovationen nicht nur die Risiken, sondern vor allem die Chancen sehen. Das ist richtig. Die meisten, die
das sagen, denken dabei an neue Technologien, neue
Produktionsverfahren und neue Produkte. Es gibt aber
auch gesellschaftliche Innovationen, und auch dafür
sollte dies gelten. Die ökologische Steuerreform ist eine
solche gesellschaftliche Innovation.
({5})
Reden wir also über die Chancen! Mit der langsamen
und berechenbaren Anhebung der Steuern auf den Energieverbrauch geben wir Wirtschaft und Verbrauchern
klare marktwirtschaftliche Signale. Sie können sich so
bereits heute auf zukünftige Rahmenbedingungen einstellen. Unternehmen können mit einer solchen verläßlichen Planungsgrundlage ihre Aktivitäten besser und betriebswirtschaftlich sinnvoll auf das Ziel ausrichten, das
auch Sie für vernünftig halten, nämlich den Energieverbrauch bzw. die CO2-Emissionen zu verringern.
({6})
Das gilt für die Planung von Investitionen, Herr Thiele,
und für Produktionsabläufe, bei denen die Prozeßenergie
zukünftig eine größere Rolle spielen wird. Das gilt auch
für die Entwicklung neuer Produkte, zum Beispiel kraftstoffsparender Automobile, oder die Weiterentwicklung
von Technologien zur besseren Nutzung regenerativer
Energien.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wie bringen
Sie die ökologische Steuerreform damit in Einklang, daß
der Bundeskanzler den Aufbau Ost zur Chefsache gemacht hat? Wie erklären Sie sich, daß sich mehrere ostdeutsche Firmen in einem offenen Brief an den Bundeskanzler und den Staatsminister für den Aufbau Ost gewandt haben und darauf hingewiesen haben, daß die
steigenden Energiepreise letztendlich zur Vernichtung
von Arbeitsplätzen insbesondere in den neuen Bundesländern beitragen? Wissen Sie von dem Vorhaben der
Rautenbach AG in Wernigerode, Investitionen in Höhe
von 40 Millionen DM nächstes Jahr nicht in Wernigerode, in Sachsen-Anhalt, zu tätigen, sondern in Osteuropa,
weil von der Bundesregierung angekündigt worden ist,
daß sich die Energiepreise erhöhen werden, insbesondere für den Mittelstand in den neuen Bundesländern?
({0})
Frau Kollegin, wenn Sie
mir zugehört hätten, hätten Sie bemerkt, daß ich auf die
Belastungen der Betriebe, insbesondere der mittelständischen Betriebe, eingegangen bin. Es ist doch kein
Wunder, daß, wenn ein Gesetz vorgelegt wird, jeder versucht, noch in den Beratungen seine Interessen vertreten
zu sehen.
Ich könnte Ihnen jetzt von den Handwerksbetrieben
in meinem Wahlkreis berichten, die ich im Wahlkampf
und auch zuvor aufgesucht habe und denen ich die Frage
gestellt habe: Was belastet euch am meisten? Da war
immer von den Lohnnebenkosten die Rede.
({0})
Sie werden diesem Gesetz zustimmen; sie werden nicht
dagegen sein.
Was will ich damit sagen? Im Laufe der Beratungen
werden wir noch viele Einwände hören. Herr Thiele,
auch Sie haben hier einen Pappkameraden aufgebaut.
({1})
- Natürlich haben Sie einen Pappkameraden aufgebaut.
Sie haben von dem Zeitplan gesprochen, der vom Inkrafttreten zum 1. Januar ausgegangen ist; da war das,
was Sie gesagt haben, richtig. Wenn das Inkrafttreten
aber erst zum 1. April erfolgt, ist es doch selbstverständlich, daß wir die Beratungen im Finanzausschuß
strecken können.
({2})
Sie müssen hier also gar nicht solch ein Theater machen.
Herr Kollege
von Larcher - Detlev von Larcher ({0}): Ich antworte noch auf
die Frage.
Gerade haben
Sie auch noch dem Kollegen Thiele geantwortet. Aber
jetzt besteht der Wunsch nach einer Nachfrage.
Ich möchte jetzt diesen
Gedanken vollenden.
In den Beratungen werden wir noch ganz viele Einwände hören und den Versuch vieler Interessengruppen
erleben, daß ihre Interessen berücksichtigt werden. Das
muß man sorgfältig prüfen. Prüfet alles, und dann entscheidet richtig, lautet die Devise!
({0})
Herr Kollege, Sie werden
doch sicherlich zugeben, daß nicht nur die Lohnnebenkosten Kosten für die Betriebe sind, sondern daß letztendlich auch die Energiepreise, die Preise für Strom die
Betriebskosten erhöhen können. Ich frage Sie noch einmal: Bedeuten Ihre Äußerungen, daß der Aufbau Ost für
Sie nicht mehr Chefsache ist?
({0})
Nein, das heißt es
selbstverständlich nicht. Das Wort des Bundeskanzlers
gilt, Frau Kollegin.
({0})
Ich sprach von den Chancen, die die ökologische
Steuerreform bietet. Wir schaffen damit auch für die
Verbraucher Anreize - vorher habe ich davon gesprochen, wie wir Anreize für das produzierende Gewerbe
schaffen -, frühzeitig besonders energiesparende Produkte zu nutzen. Damit unterstützen wir auch die
Markteinführung zukunftsweisender, weil energiesparender Technologien. Es kann nicht oft genug gesagt
werden - ganz besonders den Skeptikern -: In der gesellschaftlichen Innovation Ökosteuer stecken große
Chancen für technologische und wirtschaftliche Innovationen.
({1})
Mit unserer Ökosteuer verbessern wir also die Bedingungen für die deutsche Wirtschaft auf dem internationalen Markt; denn sie wird sich neue technologische
Vorsprünge erarbeiten - jedenfalls gilt das für diejenigen, die wirklich Unternehmer sind - und Rückstände
aufholen, die nicht zuletzt durch den Kleinmut und die
Untätigkeit der abgewählten Bundesregierung in der
Frage der Energiebesteuerung entstanden sind. Hier liegen also die großen Chancen für innovative Unternehmen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen; Chancen
für die Schaffung neuer Arbeitsplätze liegen aber auch
darin, daß wir die Lohnnebenkosten konsequent abbauen.
({2})
Ich rufe also von dieser Stelle uns allen hier, den
Unternehmen in unserem Lande und den Interessenverbänden zu: Nutzen wir die Chancen!
({3})
Es ist übrigens beklagt worden, man könne den roten
Faden nicht sehen. Deswegen haben wir heute einen
Antrag auf Drucksache 14/66 ({4}) vorgelegt, damit
auch die Farbenblinden, Herr Merz und Herr Thiele,
({5})
den roten Faden erkennen können. Sie finden darin eine
kurze Zusammenfassung dessen, was wir vorhaben. Ich
bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Michelbach.
({0})
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege von Larcher, auf die SPD ist ja wirklich Verlaß:
({0})
Verlaß im Chaos, Verlaß bei Steuererhöhungen. Das
sieht man bei dieser Ökosteuer.
({1})
Da haben Sie wirklich recht.
({2})
Der Gesetzentwurf zum Einstieg in die ökologische
Steuer- und Abgabenreform zeigt: Die rotgrüne Zauberformel „Energie verteuern, Arbeit verbilligen“ geht nicht
auf; sie ist durch ein miserables Gesetz entzaubert worden. Dieses Gesetz hat keinen marktwirtschaftlichen, es
hat in weiten Teilen einen planwirtschaftlichen Ansatz.
({3})
Die Ökosteuer wird vielmehr zum Bankräuber für Verbraucher, Mittelständler und Landwirte, zum Taschendieb für Hausfrauen, Rentner, Studenten und Pendler
und zum Betrüger an den Chancen des ländlichen Raumes. Das ist die Situation.
({4})
Der Gesetzentwurf ist weder ein zielführender Einstieg in eine ökologische Steuerreform noch eine zielführende Reform zur Senkung der Abgaben.
({5})
Für mich ist dies ein abstruses Sammelsurium aus Ideologie, Illusion, Dirigismus und staatlicher Willkür.
({6})
Zu diesem Urteil muß man kommen, weil der Gesetzentwurf keinerlei Umweltziele erreicht und keinerlei
Lenkungsanreize bietet, sondern eine reine Geldbeschaffungsmaßnahme für rotgrüne Wahlversprechungen darstellt,
({7})
weil Verbraucher und Pendler über Gebühr belastet
werden und bei Bürgern soziale Härten entstehen - in
Deutschland gibt es ohnehin schon die höchsten Strompreise -, weil dadurch kein einziger Arbeitsplatz geschaffen werden kann, da die Senkung der Lohnnebenkosten zu gering ausfällt, und weil es keine Einbindung
der Wirtschaft in ein energiepolitisches Gesamtkonzept
gibt. Damit wird unser Steuerrecht nur komplizierter.
Dazu kommt - das ist besonders wichtig -, daß die Preise steigen und damit die Inflation zunimmt, so daß die
Investitionen in unseren Betrieben behindert werden.
Das ist kein Gesamtkonzept für mehr Wachstum und
Beschäftigung;
({8})
das ist ein massives Abkassiermodell. Es verdient höchstens die Note 6,4.
({9})
Zum Thema Ideologie und Illusion dieses Gesetzes.
Es gibt keine doppelte Dividende, mit der man mehrere
Probleme gleichzeitig löst. Die erste Dividende, ökologische Lenkungseffekte, wird ebensowenig erreicht das gibt inzwischen jeder zu, auch bei den Grünen - wie
die zweite Dividende, die Steigerung der Beschäftigung. Wie zu errechnen ist, führt die ökosteuerfinanzierte Quersubventionierung der Lohnnebenkosten weder zu einer nennenswerten Senkung der Abgabenquote
noch zu einer nennenswerten Entlastung der Arbeitskosten. Sinkende Beiträge? Das ist angesichts des Rückgängigmachens unserer Reformen geradezu eine Farce.
Selbst wenn die Senkung um 0,8 Prozent, die Sie angeben, greifen würde: Das macht in meinem Betrieb nur
25 Pfennig pro Arbeitsstunde aus. Glauben Sie, daß ich
mit 25 Pfennig pro Arbeitsstunde auch nur einen Arbeitsplatz mehr schaffen kann? Unter dem Strich habe
ich in meinem Betrieb Mehrkosten von 48 000 DM.
Damit kann ich weniger investieren, damit kann ich weniger Arbeitsplätze schaffen. Das ist die Wahrheit dieses
Gesetzes.
({10})
Die rotgrünen Ökosteuervorschläge erinnern an eine
geradezu klassische Schmalspurökonomie, die auf eine
ökologisch nicht wirksame Lenkung der Wirtschaft abzielt.
({11})
Wenn Herr Trittin von Marktwirtschaft spricht und davon, daß er den Faktor Arbeit von Kosten entlasten will,
dreht sich bei mir der Magen um.
({12})
Er ist sicher der falscheste Zeuge für den Vorwurf an
uns, wir hätten die Sozialversicherungsbeiträge seit 1990
nur erhöht. Da war doch was? Da gab es die Wiedervereinigung.
({13})
Hat Herr Trittin das schon vergessen? Vielleicht hat er
sie nie gewollt.
({14})
Die rotgrüne Koalition schürt mit diesem Gesetz eher
eine Ökologie- und Fiskalillusion. Man kann dazu auch,
wie der Kollege Thiele, „Etikettenschwindel“ sagen.
({15})
Der Widerstand des Steuerzahlers soll vergleichsweise
gering sein, wird ihm jedoch suggeriert, daß er die Umwelt schone und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
beitrage. Dem Verbraucher wird vermittelt, er zahle für
etwas besonders Gutes. Tatsache ist jedoch: Die Ökosteuer ist für die meisten Bürger, für die meisten Betriebe eine Steuererhöhung, gewissermaßen mit Ökoschein
als Volksverdummung.
({16})
Noch nie ist mit den Wörtern „Innovation“ und „Modernisierung“ mehr Schindluder getrieben worden als bei
dieser Ökosteuerreform.
({17})
Denn es handelt sich weder um eine Innovation noch um
eine Modernisierung.
({18})
Meiner Meinung nach wissen Sie gar nicht, was Sie
tun. Ihr Entwurf enthält Widersprüche. Erklären Sie mir
einmal folgendes: Im Vorblatt zu diesem Gesetz heißt
es: „Die Preise“ für Energienutzung „sind in Deutschland zu niedrig“.
({19})
In der Begründung der Steuerbefreiungen heißt es: Das
Energiepreisniveau in Deutschland ist eines der höchsten in der Europäischen Union. Das ist doch ein Widerspruch, und das in der Begründung eines Gesetzentwurfs.
({20})
Lesen Sie Ihr Gesetz nicht, kennen Sie es nicht?
Die Mehrbelastung eines typischen Vierpersonenhaushaltes durch diese Ökosteuer beträgt in der ersten
Stufe 341 DM pro Jahr. Das ist klar zu errechnen.
Schreibt man die Zahl mit den von Ihnen bisher vorgesehenen Stufen fort, steigt die Mehrbelastung des angesprochenen Vierpersonenhaushaltes auf 1 020 DM.
Demgegenüber beträgt seine Entlastung bei einem
Bruttoverdienst von 60 000 DM mit der Reduzierung
um 0,8 Prozent gerade einmal 240 DM.
({21})
Die normale Familie zahlt also drauf. Das heißt, es geht
nicht nur um die Firmen, die draufzahlen, es geht insbesondere auch um die normale Familie. Auch diese kassieren Sie glatt ab.
({22})
Ein Wort zu Dirigismus und staatlicher Willkür in
diesem Gesetz. Die rotgrüne Politik geht mit dem Einstieg in die Ökosteuerreform und in weitere Stufen an
die Substanz unseres Wirtschaftsstandortes, da die Ökosteuer zu einer zusätzlichen Belastung der deutschen
Wirtschaft und der Verbraucher führt. Auf Grund der wenn man sich den internationalen Vergleich ansieht -,
bereits ohnehin hohen Steuer- und Abgabenbelastung
deutscher Unternehmen, wird sich der Prozeß der Arbeitsplatzverlagerung und -rationalisierung mit einer
Ökosteuer beschleunigen, wenn die Scham des Einstiegs
überwunden ist und weitere Erhöhungsstufen kommen.
Darauf setzen Sie. Eine nationale Ökosteuer ist für die
deutsche Wirtschaft die falsche Therapie. Die Ökosteuer
ist insbesondere für den Mittelstand ein Vernichtungsprogramm, weil Sie viele Branchen des Mittelstandes
nicht ausnehmen. Deswegen ist dies ein Arbeitsplatzund Mittelstandsvernichtungsprogramm.
({23})
Ein Wort zu der Bemessungsgrundlage, die Sie in
dem Gesetzentwurf vorgesehen haben. Die Ökosteuer ist
damit nicht nur Illusion, sondern auch ein Akt staatlicher
Willkür. Die Bemessungsgrundlage mit der Auswahl an
Ausnahmeregelungen erzeugt tiefe und tiefgehende Ungerechtigkeiten - nichts anderes - und eine Teilung der
Wirtschaft. Noch nie hat ein Gesetz in Deutschland eine
Teilung der Wirtschaft in dieser Form hervorgerufen,
wie Sie das beabsichtigen.
Dies führt bei Firmen, die den Umweltschutz bisher
betrieben haben, zu Wettbewerbsverzerrungen und zu
Benachteiligungen. Das ist für mich eine Förderung des
Altmaschinenmarktes. Der, der bisher eine umweltfreundliche Maschine angeschafft hat und damit unter
6,4 Prozent Energieverbrauch an den Gesamtbetriebskosten liegt, hätte am besten die alte Maschine noch weiterlaufen lassen, weil er dann wieder über 6,4 Prozent
Energieverbrauch gelegen hätte und damit letzten Endes
durch die Ökosteuer entlastet worden wäre.
({24})
Das ist doch eine schizophrene Politik. Die darf doch
gar nicht so betrieben werden. Die betroffenen Betriebsbranchen werden geteilt, eine Teilung der Wirtschaft,
die unglückselig ist und die Sie noch bereuen werden.
Es steckt natürlich eine Staatswillkür dahinter. Das kann
in keinem Fall so durchgehen.
({25})
Auch bei Ihren geliebten energieintensiven Großunternehmungen, die Sie auf deren Druck aus der Besteuerung herausgenommen haben, haben Sie letzten Endes
völligen Unsinn gemacht,
({26})
zum Beispiel bei der Zuckerindustrie, die ganz eng mit
der Landwirtschaft verbunden ist. So gehören beispielsweise die Zuckerindustrie, aber auch energieintensive
Handwerksbetriebe sowie Mischfirmen aus dem Bereich
des Handels und der Produktion nicht zu Ihren begünstigten Branchen. Was haben Ihnen diese Leute getan,
daß deren Betriebe von Ihnen nicht ausgenommen werden? Das muß man hier einmal deutlich machen.
({27})
Die Abgrenzung zwischen den Betrieben und die Befreiung von der Ökosteuer sind unter ökologischen und
wirtschaftlichen Gesichtspunkten völliger Unsinn. Sie
betreiben hier gewissermaßen ein Ökolotteriespiel.
({28})
Der Gipfel der Willkür ist, daß Kohle als größter
Umweltverschmutzer nicht direkt besteuert wird, dafür
aber bestimmte regenerative Energien, wie zum Beispiel
Strom aus Wasserkraftanlagen über 5 kW, ausgenommen werden. Auch das muß man doch deutlich machen.
Ich komme zum Schluß.
({29})
Herr Bundesfinanzminister, es besteht kein Bedarf in
Sachen zusätzlicher steuerlicher Belastung für den Bürger und die Unternehmen. Die Ökosteuer erweist sich
als ein reines Abkassiermodell, um Ihre Staatskassen zu
füllen und um Geld für die Umsetzung Ihrer Verteilungsideologie zu beschaffen.
({30})
Daß Sie Geld ohne Ende für Ihre Verteilungsspiele
brauchen, sehe ich ein;
({31})
denn wenn man in einer Woche
Herr Kollege,
bitte machen Sie noch einen Satz und dann Schluß.
- 10 Milliarden DM
für die Ökosteuer und 4,5 Milliarden DM für 620-DMKräfte ausgibt, dann verstehe ich, daß man nicht genug
Geld hat. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben es durch
Ihre Steuerpolitik fertiggebracht, uns innerhalb von vier
Wochen in ein Steuerchaos zu stürzen.
({0})
Es gilt das Prinzip: Geldbeschaffung über alles. Bei Ihnen muß man Angst haben, daß Sie zur Geldbeschaffung
noch eine Alkoholsteuer erfinden, von der Alkoholiker
ausgenommen werden.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war nicht anders zu erwarten: Wenn die neue
Regierung mit einem wirklichen Reformprojekt Ernst
macht, dann wittert die rechte Seite dieses Hohen
Hauses Gefahr für den Standort Deutschland.
({0})
Als neuer Abgeordneter ist es für mich allerdings auch
interessant, zu sehen, welche neuen Allianzen sich hier
auftun: Horrorszenarien von rechts, Populismus von
ganz links;
({1})
das gibt insgesamt keinen Sinn.
({2})
Meine Damen und Herren, die ökologisch-soziale
Steuerreform setzt einen Wandel in Gang, einen Wandel, der zur Neuausrichtung des technischen Fortschritts
in Richtung Ressourceneffizienz führen wird, hin zur
Entlastung der Umwelt und hin zu mehr zukunftsfähigen
Arbeitsplätzen. Uns ist bewußt, daß dieser erste Schritt
auf einem langen Weg ein kleiner ist. Wenn es allein
nach den Grünen gegangen wäre, hätte dieser Schritt zugegebenermaßen etwas anders ausgesehen. Aber es ist
ein erster Schritt, und vor allen Dingen geht er in die
richtige Richtung.
({3})
Das Ziel ist für uns vollkommen klar: Arbeit muß in
diesem Lande billiger, Umwelt- und Energieverbrauch
müssen teurer werden. Es ist schade, daß Herr Schäuble
und Herr Repnik jetzt nicht hier sind; vielleicht ist ihnen
diese Diskussion unangenehm. Aber bei diesen beiden
Herren und auch bei einigen anderen aus der CDU/CSUFraktion sind die Fakten doch längst angekommen. Ich
will mir jetzt nicht die Mühe machen, die entsprechenden Reden zu zitieren, vor allen Dingen die von Herrn
Schäuble. Ich habe eine wunderbare Rede von Herrn
Schäuble dabei, die er am 20. September letzten Jahres
vor dem CSU-Arbeitskreis „Umwelt“ in Ingolstadt zur
ökologischen Steuerreform gehalten hat. Ich kann nur
sagen: Er hat verstanden, wo die Probleme liegen. Er hat
erkannt, daß das, was wir jetzt tun, der richtige Weg ist.
({4})
Ich glaube, er muß sich sehr verbiegen, wenn er jetzt
gegen die ökologische Steuerreform wettert.
({5})
Wir haben heute in den Zeitungen lesen können, daß
der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer ausdrücklich begrüßt hat, daß der Einstieg in die ökologische Steuerreform in Deutschland jetzt gelingt.
({6})
Herr Töpfer ist nicht der schlechteste Kronzeuge aus
Ihren Reihen. Ich habe allerdings vollstes Verständnis
dafür, daß er sich in Nairobi etwas wohler fühlt als hier.
({7})
Der Unterschied zwischen dem, was Schäuble und
Repnik machen wollten, und dem, was wir jetzt vorlegen, liegt nicht in der Sache; der Unterschied liegt im
Handlungswillen.
({8})
Für sie war die ökologische Steuerreform immer nur
eine gute Idee. Für ihre Umsetzung ist aber nichts
gemacht worden. Wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch. Das ist der entscheidende Unterschied.
({9})
In Bonn ist zumindest bei den Insidern bekannt, daß es
1995 im Kanzleramt ein Gespräch zwischen dem ehemaligen Bundeskanzler und dem BDI-Vorsitzenden Henkel
gegeben hat. Dort ist verabredet worden: Eine ökologische Steuerreform wird es nicht geben, solange dieser
Kanzler im Amt ist. Einer der beiden, Bundeskanzler
Kohl, ist inzwischen abgewählt worden. Mal sehen, was
aus dem anderen wird. Ich bin da zuversichtlich.
({10})
Meine Damen und Herren, vielleicht sollten wir trotz
der Unruhe auf seiten der neuen, der noch jungen Opposition kurz versuchen, unseren Standort zu bestimmen.
Es wurde bereits darüber gesprochen, daß in der akademischen Welt seit langem, eigentlich schon seit 1920
mit Pigou, aber vor allen Dingen in den letzten 10 bis
15 Jahren über die ökologische Steuerreform weitgehendes Einvernehmen besteht. Wir wissen alle: Die
Preise sagen uns heute nicht die ökologische Wahrheit.
({11})
Wir wälzen Lasten auf zukünftige Generationen ab.
Wenn wir uns die aktuellen Trends anschauen, dann
müssen wir feststellen: Die Energiepreise sinken. Die
Spirale nach unten hält an. Das Ergebnis ist offenkundig: Weil Preisanreize zur Energieeinsparung, zum effizienten Umgang mit Ressourcen fehlen, haben wir verstärkt Klimaveränderungen, Waldschäden und auch
Probleme mit Atommüll und anderen Folgen der Kernenergie. Das ist nicht zu verantworten.
Man muß moralisch oder ethisch gar nicht nur mit
den zukünftigen Generationen argumentieren; denn wir
haben auch in der Gegenwart gute Argumente. Es gibt
nämlich glasklare Alternativen zu dem Energiemodell,
das wir derzeit haben. Wenn man sich anschaut, was auf
den Zukunftsmärkten - Energieeffizienz, erneuerbare
Energien und Energiedienstleistungen - alles passiert,
dann kann man sagen: Da ist Musik drin. Das sind echte
Zukunftsmärkte. Auf diesen attraktiven Geschäftsfeldern
müssen wir dabeisein.
({12})
Man kann ganz deutlich sagen: Niedrige Energiepreise
sind für diese Zukunftsbranchen direkt schädlich.
({13})
Wenn wir den Ingenieursverstand auf Energieeffizienz und -einsparung lenken wollen, dann können wir
kein Interesse an niedrigen Energiepreisen haben. Daß
wir entsprechenden Ingenieursverstand in diesem Lande
haben, wird die rechte Seite dieses Hohen Hauses
sicherlich bestätigen.
({14})
Es ist ganz wichtig, daß wir den Anspruch haben, die
Nummer eins in Sachen Klimaschutz und ökologischer
Modernisierung zu werden. Auch dafür brauchen wir die
ökologische Steuerreform.
({15})
Meine Damen und Herren, für uns ist die Aufkommensneutralität ganz wichtig. In dem Punkt unterscheiden wir uns übrigens auch von Herrn Gysi. Das,
was durch die Energiesteuer hereinkommt, soll voll und
ganz an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben
werden. Die alte Regierung - das wurde schon gesagt hat in den letzten sieben Jahren bei den Autofahrern
zweimal kräftig zugelangt; aber das Geld ist in den
schwarzen Löchern von Theo Waigel verschwunden und
nicht zurückgegeben worden. Das ist der entscheidende
Unterschied.
({16})
Das, was wir im Bereich der Erneuerung des Verkehrswesens, der Förderung erneuerbarer Energien usw.
sinnvollerweise tun müssen, soll aus der Streichung von
ökologisch kontraproduktiven Subventionen finanziert
werden, aber nicht aus der ökologischen Steuerreform.
Das ist der entscheidende Gedanke.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Hirche?
Ja, gerne. Bitte, Herr Hirche.
({0})
Herr Kollege Loske, ich
weiß ja, daß Sie in dieser Diskussion sehr engagiert
sind; wir haben auch mehrfach miteinander darüber gesprochen. Wie wollen Sie es korrigieren, daß ausgerechnet die Bahn mit der neuen Steuer belastet wird, und
wie soll das, wenn man jetzt dem Gedanken des Umsteigens auf öffentlichen Nah- und Fernverkehr folgt,
eigentlich miteinander in Verbindung gebracht werden?
({0})
Das Gesetzgebungsverfahren steht ja noch bevor,
und es wird noch über Detailprobleme geredet werden.
Zeitlich haben wir jetzt etwas mehr Luft bekommen; das
ist auch gut so. Wir haben gerade gehört, daß die Anhörung verschoben wird.
Grundsätzlich kann ich - auch in Absprache mit unserem verkehrspolitischen Sprecher - folgendes sagen:
Wir haben in der Tat eine Mehrbelastung bei der Bahn.
Sie wird aber durch die Senkung der Lohnzusatzkosten
entlastet. Wenn dann die verbleibende Nettobelastung
auf die Tonnen- bzw. Personenkilometer umgelegt wird,
dann werden wir eine durchschnittliche Mehrbelastung
von 15 Pfennigen pro 100 Kilometer haben. Das ist natürlich im Moment noch ein Wert, der über den Daumen
ermittelt wurde. Bei Benzin wären es, wenn wir einmal
von einem Verbrauch von 10 Litern pro 100 Kilometer
ausgehen, 60 Pfennige mehr pro 100 Kilometer, so daß
die Bahn sogar relativ bessergestellt ist. Es wird also
überhaupt kein Anreiz geschaffen, Verkehr von der
Schiene auf die Straße zurückzuverlagern.
({0})
Wir machen mit der ökologischen Steuerreform auch
deshalb Ernst, weil wir glauben, daß sie einen Beitrag
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten kann. Wir
sagen nicht, sie sei der Königsweg zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit; das wissen alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Aber die Steuerreform kann dazu einen
Beitrag leisten. In diesem Zusammenhang muß man
allerdings auch einmal deutlich sagen, daß unter dieser
Regierung die Lohnnebenkosten ständig angestiegen
sind. Es war die Rede von einem Anstieg von 35 auf
43 Prozent.
({1})
- Unter der alten Regierung, Entschuldigung. Man muß
sich zugegebenermaßen erst daran gewöhnen.
({2})
In einigen Bereichen wollen wir in Zukunft - das
werden wir dann noch sehen - durchaus Kontinuität an
den Tag legen; ich nenne hier nur das Stichwort Außenpolitik. Aber in diesem Bereich wollen wir definitiv keine Kontinuität. Mit den hohen Lohnnebenkosten muß
Schluß sein.
({3})
Für uns Grüne ist sehr wichtig, daß die Belastung und
die Entlastung zeitlich zusammenfallen. Das ist ganz
zentral für uns. Wenn wir die Energiesteuern erhöhen,
müssen im Gegenzug die Rentenversicherungsbeiträge
sinken. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen,
daß dies Teile eines Gesamtbildes sind: Arbeit soll billiger und Umweltverbrauch teurer werden. Das muß in
allen Schritten gelten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz
den Blick auf die europäische Ebene richten; von ihr
war ja schon die Rede. Es ist in der Tat ein Märchen,
wenn immer wieder behauptet wird, Deutschland habe
die höchsten Energiepreise. Der Bundesfinanzminister
hat bereits darauf hingewiesen, daß wir bei den Benzinpreisen im europäischen Mittelfeld liegen. Wir sind ja
mit Ausnahme von Luxemburg von Ländern umgeben,
die wesentlich höhere Benzinpreise als wir haben.
({4})
Hier muß man realistisch bleiben und die Kirche im
Dorf lassen.
Bei den Strompreisen ist es differenzierter. Bei den
normalen Tarifkunden liegen wir auch im Mittelfeld, bei
den Sondervertragskunden zugegebenermaßen im oberen Drittel und bei den Gewerbetarifkunden sogar ganz
oben. Das ist aber auch ein Ergebnis der Tatsache, daß
wir monopolistische Strukturen in der Energiewirtschaft
haben. Diese monopolistischen Strukturen müssen weg.
({5})
Wir brauchen mehr Wettbewerb, und dann werden dort
auch die Preise zurückgehen.
({6})
Aber, meine Damen und Herren von der rechten Seite, es kann doch nicht sinnvoll sein, daß durch den
Wettbewerb, den wir ja wollen, die Strom- und Energiepreise heruntergehen. Dann können wir auch guten Gewissens Stromsteuern draufpacken. Das ist überhaupt
kein Problem.
Ich möchte doch noch einmal auf die Rolle der alten
Bundesregierung in Brüssel zurückkommen. Es wurde
mit gespaltener Zunge gesprochen. Das war doch ganz
eindeutig. Hier in Deutschland hat man gesagt: Wir machen das nur, wenn wir das in Europa durchsetzen können. Auf Europaebene hat man dann alles dafür getan,
damit es nicht durchgesetzt wird. Damit ist jetzt Feierabend.
({7})
Herr Thiele, ich möchte Sie noch einmal ansprechen:
Lassen Sie doch bitte dieses dumme Gerede vom nationalen Alleingang. Wenn wir gut sind, wenn wir das
schaffen, was wir uns jetzt vorgenommen haben, dann
schaffen wir es, wieder in die europäische Spitzengruppe aufzuschließen. Das ist kein nationaler Alleingang.
Das ist vielmehr ein Nachziehen in vielen Bereichen.
({8})
Es gibt an unserem Entwurf Kritik. Das ist klargeworden und wird auch in den nächsten Wochen noch
klarwerden. Wie sollte es auch anders sein; das ist
selbstverständlich. Bei dieser Kritik müssen wir die Argumente wägen. Dafür haben wir jetzt etwas mehr Zeit Gott sei Dank, kann ich nur sagen. Bei der Kritik sollte
aber die Kirche im Dorf gelassen werden. Man sollte
sachfremde, nur interessengeleitete Polemik etwas zurückstellen; denn das Thema ökologische Steuerreform
ist ein großes Reformprojekt, bei dem wir im Prinzip einen gesellschaftlichen Konsens brauchen. Wir sollten
die Sache jetzt nicht so herunterreden, daß sie öffentlich
völlig diskreditiert wird.
({9})
Ich glaube, daß dieses Hohe Haus dabei insgesamt eine
Verantwortung trägt.
({10})
Ich glaube auch - das will ich doch noch zu einigen
Vorrednern sagen -, daß sich die Kritik den Anforderungen der Plausibilität stellen muß. Man kann nicht
beides wollen. Man kann nicht auf der einen Seite sagen: Wenn Ihr die Industrie einbezieht, geht der Standort
Deutschland unter, und auf der anderen Seite sagen: Die
ökologische Lenkungswirkung bleibt aus, weil Ihr Teile
der Industrie ausnehmt. Das geht nicht zusammen; entweder, oder.
({11})
Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren das muß ich schon sagen, wenn ich Herrn Merz zuhöre -,
daß es Ihnen nicht so sehr um Ökologie geht, sondern
daß es sehr stark um Effekthascherei geht, wenn ich das
einmal so sagen darf.
({12})
Herr Kollege,
Ihre Redezeit ist eigentlich abgelaufen. Es besteht noch
der Wunsch nach einer Zwischenfrage, die ich noch zulassen würde; auf die können Sie dann noch antworten.
Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Bitte, gern.
Herr Kollege Loske,
die alte Koalition hatte beschlossen, einen dritten
Mehrwertsteuersatz auf Energie einzuführen, weil das
der einzige Weg ist,
({0})
eine Zusatzbelastung auf Arbeitsplätze in unserem Lande zu verhindern. Das ist der beste Weg, um die Arbeitsplätze von Zusatzkosten freizuhalten. Ich frage Sie:
Warum gehen Sie diesen Weg nicht?
Meines Wissens war die Sache vage in Aussicht
gestellt und keineswegs ein Beschluß der Koalition. Ansonsten hätten Sie es ja machen können. Sie haben es
aber nicht gemacht. Das ist der entscheidende Unterschied.
({0})
Meine Redezeit ist leider abgelaufen.
Ich glaube, man kann sagen, die Zeit des Zauderns
und Zögerns in Sachen ökologischer Steuerreform ist
jetzt vorbei. Wir wollen handeln. Wir hoffen auf eine
sachliche Diskussion.
Danke schön.
({1})
Herr Kollege
Loske, das war Ihre erste Rede hier im Parlament. Ich
möchte Ihnen im Namen des Hauses dazu gratulieren.
({0})
Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS bekennt sich
grundsätzlich zum Ziel der Verteuerung des Umweltverbrauchs. Wir verschließen uns auch nicht der Einführung von Energiesteuern und der Erhöhung der Mineralölsteuer. Das Wort „ökologisch“ dient der rotgrünen
Regierung bei diesem Gesetzentwurf aber nur als Etikett
für eine Steuererhöhung, mit der Haushaltslöcher gestopft werden sollen, die durch die Senkung der Rentenbeiträge entstehen werden.
({0})
Es dient gleichzeitig als Etikett, um für diese Steuererhöhung gesellschaftliche Akzeptanz zu finden.
({1})
Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der
Koalition, zeigt eindeutig: Nicht überall, wo „ökologisch“ draufsteht, ist auch Öko drin. Vielleicht sollte
man ein geschütztes Warenzeichen auch für Gesetzentwürfe einführen, wie etwa bei Lebensmitteln.
({2})
Durch den Gesetzentwurf wird keine Lenkungswirkung beabsichtigt; es wird auch keine Lenkungswirkung
erzielt. Das wissen Sie.
Erstens. Es werden nicht die erzeugten, sondern die
verkauften Kilowattstunden verteuert.
({3})
Das heißt, daß die Steuer fällt erst am Ende der Verarbeitungskette an. Steuergegenstand sind demnach nicht
die einzelnen Energieträger, sondern verarbeitete Fabrikate. Es ist natürlich ein wesentlicher Unterschied, wenn
erst Heizöl, Benzin und Strom besteuert werden. Denn
damit ist es gleichgültig, auf welche Art und Weise und
wie effizient die Energie tatsächlich hergestellt wird.
Wichtig ist nur noch, was verkauft wird.
Zweitens - das sind übrigens keine populistischen
Dinge, sondern Argumente, die zählen -: Sie nehmen
die energieintensiven Branchen aus. Das haben wir
heute schon in mehreren Beiträgen gehört. Interessant
ist, daß insgesamt bereits 27 Branchen ausgenommen
sind. Das macht etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs
im produzierenden Gewerbe aus. Wie soll so noch eine
Lenkungswirkung erzielt werden?
({4})
Drittens - zur Frage des ermäßigten Steuersatzes ab
50 000 Kilowattstunden: Auch insofern besteht kein Anreiz, Energie zu sparen.
Ich muß noch einmal sagen: Die propagierten Ziele
von SPD und Grünen - Einsparen von Energie, Erhöhung der Energieeffizienz und Förderung regenerativer
Energien - sind in Ihrem Gesetzentwurf nicht mehr zu
finden. Sie sollen und können so nicht erreicht werden.
({5})
Das sieht man bereits, wenn man nur die ersten Seiten
des Gesetzentwurfes anguckt:
Das zusätzliche Aufkommen aus der Energiebesteuerung dient
- ausschließlich der Finanzierung der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge.
Auf der folgenden Seite steht dann, daß auch „ein Programm zur Förderung regenerativer Energien ausgeglichen“ werden soll. Von welchem Geld denn? Das frage
ich mich wirklich.
Mit der Einführung dieser Stromsteuer wird eine
weitere Verschiebung von der direkten zur indirekten
Besteuerung exerziert. Die Zeche zahlen am Ende die
Verbraucherinnen und Verbraucher, - insbesondere
diejenigen mit Kindern und mit einem geringen Einkommen.
({6})
Herr Loske, was Sie gesagt haben, stimmt einfach
nicht. Hören Sie sich die Zahlen an! Ein durchschnittlicher Vierpersonenhaushalt mit einem zu versteuernden
Einkommen von monatlich 3 000 DM wird trotz der
Senkung der Lohnnebenkosten um 0,4 Prozent - nur so
viel kommt ja bei den privaten Haushalten an - immer
noch mit zirka 240 DM pro Jahr mehr belastet. Eine
Entlastungswirkung wird erst ab einem Monatseinkommen von 8 000 DM eintreten. Das ist also Ihre Neue
Mitte, die Sie anstreben. Da wird sich der Rest aber
wirklich sehr freuen.
({7})
Man muß außerdem in Rechnung stellen, daß Haushalte mit einem geringeren Einkommen einen wesentlich höheren Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben müssen, etwa 12 Prozent. Bei Gutverdienenden
sind das nur noch 2 Prozent. Herr von Larcher, ich finde
Ihre Aussage, man solle sich als Verbraucher und Verbraucherin einmal andere Geräte kaufen, schlicht eine
Frechheit. Jeder Sozialhilfeempfänger und jede Sozialhilfeempfängerin wird sich über den Hinweis freuen,
sich ein Dreiliterauto zu kaufen. Das fängt ja bei
Waschmaschine und Kühlschrank an.
({8})
Sie wissen auch, daß die Sozialämter grundsätzlich
keine Stromkosten übernehmen, sondern nur in Ausnahmefällen, wie bei Überschuldung. Heizkosten werden nur in angemessener Art und Weise übernommen.
Die Großindustrie dagegen erhält - lassen Sie mich
noch Zahlen von Frau Hustedt hinzufügen - eine Riesenentlastung;
({9})
denn von den 11,2 Milliarden DM, die Sie anstreben,
werden tatsächlich nur 2 Milliarden DM von der Großindustrie gezahlt. Durch die Entlastung bei den Lohnnebenkosten spart sie aber 6 Milliarden DM ein.
Es ist eindeutig, daß dieser Gesetzentwurf nicht der
Einstieg in eine ökologische Steuerreform ist. Nein, es
ist die Erhebung einer Verbrauchsteuer mit einem ökologischen Mäntelchen. Wir lehnen das ab. Wir bleiben
bei unseren Vorschlägen, die wir vorhin noch einmal
genannt haben!
Frau Kollegin,
die Zeit ist doch erheblich überschritten.
Das sind eine verkehrsmittelunabhängige Pauschale und andere Maßnahmen wie
ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Reparaturen.
Lassen Sie uns über wirkliche Strukturreformen und
nicht über eine Steuererhöhung diskutieren, die die Verdiener mit kleinem und niedrigem Einkommen belastet!
Ich danke.
({0})
- Das war ausgezeichnet.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei allen Kompromissen
und bei allen schwer zu lösenden Aufgaben muß das
Wichtigste klar sein: Wir vollziehen hiermit den Einstieg in eine ganz wichtige Kurskorrektur unserer Wirtschaftsordnung. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Über Jahrzehnte hinweg haben wir Beschäftigungsund Wohlstandsfragen auch über die Ausbeutung der
Natur gelöst. Heute kommen Arbeitsplatzvernichtung
und Umweltzerstörung zusammen. Wer die Probleme
der Zukunft lösen will, muß deshalb zu einer Veränderung der Faktorbesteuerung und zu einer Veränderung
der wirtschaftlichen Dynamik kommen. Der Einstieg
hierzu erfolgt über die Idee, Arbeit und Umwelt miteinander zu verbinden. Das ist die historische Chance.
Nichts anderes wird die Zukunftsprobleme lösen können.
({1})
Bei der bisherigen Diskussion fällt auf, daß die meisten Redner von einem statischen Verständnis der Wirklichkeit ausgehen.
({2})
Unser Gedanke ist es aber, eine neue Dynamik in Gang
zu setzen. Natürlich zeigt sich am Anfang noch nicht das
Ergebnis, das wir erreichen wollen. Aber das Entscheidende ist, daß wir einen neuen Weg eröffnen, der - im
Gegensatz zu dem, was heute besteht, was immer mehr
zu einer Verbindung von Arbeitsplatzvernichtung und
Umweltzerstörung führt - zukunftsverträglich ist.
({3})
Ich muß schon sagen: Ich wundere mich sehr über die
Beiträge der Oppositionsfraktionen. Die PDS nehme ich
aus. Die hat aus meiner Sicht in ökologischen Fragen
wenig Kompetenz.
({4})
Das ist historisch immer so gewesen. Da hat sie noch
viel nachzuarbeiten. - Was soll's!
({5})
- Ich hoffe, daß Sie nacharbeiten. Aus Ihrem Beitrag
war dies noch nicht zu erkennen. - Ich nenne als Beispiel zunächst die CDU. Die CDU schreibt in ihrem
Programm „Konzept 2000“, Deutschland könne sich
durch ein schrittweises Umsteuern im nationalen Alleingang eine Vorreiterrolle bei der notwendigen wirtschaftlichen Umstellung verschaffen. - Das schreibt die
CDU!
({6})
Sie sagt weiter, ernsthafte Probleme seien nur in wenigen energieintensiven Branchen zu erwarten, etwa dort,
wo der Energieanteil am Produktionswert bei 4 Prozent
oder mehr liege. - Das schreibt die CDU!
({7})
Aber bei Herrn Merz klingt das heute ganz anders. Man
sollte die eigenen Beschlüsse auch einmal lesen!
({8})
Sie schreiben weiter, eine geeignet ausgestaltete
Energiebesteuerung müsse daher als „Kompromiß zwischen umweltökonomischer Exaktheit und administrativer Praktikabilität“ gesehen werden. - Genau das machen wir. Was werfen Sie uns eigentlich vor? Kennen
Sie Ihre Papiere nicht?
({9})
Herr Thiele, auch Ihnen kann ich das vorhalten. In
dem Beschluß ihrer Bundestagsfraktion von 1995
schreibt die F.D.P.:
({10})
In ihrem Wahlkampfprogramm von 1994 fordert die
F.D.P. die stufenweise aufkommensneutrale und EUweite Einführung einer CO2-Energiesteuer und - jetzt
kommt's - als Schrittmacher einen nationalen Alleingang.
({11})
Meine Damen und Herren, Ihr Gedächtnis ist kurz.
Gott sei Dank gibt es Papiere, die man nachlesen kann.
Der Einstieg in die ökologische Steuerreform ist für
uns ein Beitrag, Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Wir setzen dabei vor allem auf die Innovationskräfte. Ich will zwei Beispiele nennen.
Erstens. Die Kienbaum Unternehmensberatung hat in
einer Erhebung über Wirtschaftsbetriebe in der Bundesrepublik nachgewiesen, daß die Betriebsergebnisse alleine durch eine Veränderung der Faktorbesteuerung um
bis zu 15 Prozent verbessert werden können. Das sind
immerhin, volkswirtschaftlich gesehen, bis zu
200 Milliarden DM. Denn heute werden volkswirtschaftliche Werte durch zu niedrige Kosten - beispielsweise für Abluft, Abwasser oder Abfall - verschleudert,
statt daß sie sinnvoll genutzt werden.
Zweitens. Die Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestages zur Klimaproblematik, an der damals alle
Fraktionen beteiligt waren, hat nachgewiesen: In der
Bundesrepublik gibt es ein nicht genutztes Energieeinsparpotential von über 40 Prozent. Meine Damen und
Herren, ich denke, es ist Konsens hier im Hause, daß wir
die Klimaschutzanstrengungen ernst nehmen. Wenn wir
sie aber ernst nehmen, dann dürfen wir nicht nur darüber
reden, sondern dann müssen wir auch die wirtschaftlichen Instrumente dafür schaffen, daß es zu mehr Klimaschutz in der Bundesrepublik kommt.
({12})
Ich will hinzufügen: Bei aller positiven Wertung der
Verbesserung der Industriestruktur in den neuen Bundesländern können entsprechende Erfolge nicht nur das
Ergebnis des Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft
sein.
({13})
Auch in den neuen Bundesländern muß sehr viel mehr
geschehen, als bisher getan wurde.
({14})
Auch aus diesem Grund gilt also, daß eine ökologische
Steuerreform ein Gebot ökonomischer Vernunft ist, um
Innovationen anzustoßen.
Gerade dann, wenn man von einer marktwirtschaftlichen Ordnung ausgeht, ist die Frage der richtigen
Preissignale von großer Bedeutung. Dann aber müssen
wir feststellen:
Erstens. In der Bundesrepublik haben wir einen wachsenden Anteil externer Kosten, das heißt, viele Kosten
werden in der Preisbildung nicht berücksichtigt. Marktwirtschaftliche Effizienz zeichnet sich aber dadurch aus,
daß sie externe Kosten möglichst geringhält. Ich denke,
daß dies unter Marktwirtschaftlern unbestritten ist.
Zweitens. Es paßt nicht zusammen, auf der einen
Seite ständig über das Ordnungsrecht und über Bürokratisierungen zu klagen, aber gleichzeitig marktwirtschaftliche Elemente abzulehnen. Das geht nicht zusammen.
({15})
Weil wir die sozial-ökologische Marktwirtschaft ernst
nehmen, bekennen wir uns zu der ökologischen Steuerreform. Denn nicht die Frage „ob“, sondern nur noch die
Frage „wie“ ist entscheidend.
({16})
Wir haben für die ökologische Steuerreform auch den
Spielraum. In den letzten 25 Jahren - das ist schon
mehrfach angesprochen worden - ist der Faktor Arbeit
immer stärker besteuert worden; er erbringt heute rund
38 Prozent des Steueraufkommens, Energie und Ressourcen kommen nur auf 8 Prozent. Das heißt, die Produktivität ist durch die falschen Preissignale zu Lasten
des Faktors Arbeit sehr einseitig verteilt worden.
Wenn wir sehen, wie sich in den letzten Jahren die
Energiepreise entwickelt haben, dann erkennen wir, daß
für die Ökosteuer Platz ist. Unter anderem steht übrigens
auch in dem CDU-Papier, daß die ökologische Steuerreform auch im Strombereich sehr wohl möglich ist, weil
die meisten Betriebe schon durch den Wegfall des Kohlepfennigs eine erhebliche Entlastung erfahren haben. Das ist völlig richtig.
({17})
Hinzu kommt, daß die Energiepreise auch auf dem
Weltmarkt, beispielsweise die Mineralölpreise, deutlich
gesunken sind. Real liegen sie heute unter dem Niveau
von 1973.
({18})
Allein in diesem Jahr sind sie um 10 Pfennig gesunken.
Wenn die ökologische Steuerreform dann kein möglicher Ansatz ist, dann verstehe ich die wirtschaftlichen
Realitäten nicht.
Wir sehen den Gesetzentwurf als Einstieg. Wir wollen weitergehen, auch das steht fest. Deshalb sagen wir
auch in Richtung Wirtschaft: Arbeiten Sie mit uns konstruktiv zusammen, statt zu versuchen, diese Reform zu
blockieren und zu verhindern! Das werden Sie nicht
schaffen. Mit konstruktiver Zusammenarbeit werden
auch Sie sehr viel besser fahren.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Larcher hat gesagt: Wir haben das angekündigt, wir tun das, auf uns ist Verlaß, wir setzen
klare Signale.
({0})
Diese Äußerungen, Herr Kollege Larcher, sind ja wohl
mehr als irreführend. Was Sie mit diesem Gesetzesvorhaben praktizieren, ist etwas, was kein Wissenschaftler
Michael Müller ({1})
aus der betroffenen Branche je realisiert hätte: die perfekte Chaostheorie.
({2})
Sie ändern alle fünf Minuten die Preisincentives. Sie
sprechen einmal von dieser Höhe und einmal von jener
Höhe der Preisänderung. Sie ändern alle fünf Minuten
den Zuschnitt der betroffenen Branchen. Sie ändern alle
fünf Minuten die Ausnahmeregelungen, und Sie ändern
alle fünf Minuten den Zeitplan, um den es hier geht.
Und das nennen Sie klare Signale! Wer sich an das, was
Sie gesagt haben, anpassen will, der weiß nicht, woran
er sich anpassen soll.
({3})
Das, was Sie jetzt sagen, gilt doch morgen nicht mehr.
({4})
So ist Ihre Grundlinie. Deshalb werden Sie doch in der
Zeitung mit den Worten zitiert, daß Sie ein „heilloses
Wirrwarr“ angerichtet haben.
({5})
Ich zitiere schlicht und ergreifend „Die Welt“: „Heilloses Wirrwarr“.
({6})
Der Kollege Loske hat versucht, dies auf eine etwas
andere Art darzustellen. Er hat davon gesprochen, daß es
hier um ein wirkliches Reformprojekt geht. Alle diejenigen, die wissenschaftlich gearbeitet haben, halten etwas
vom Sachverständigenrat. Der Sachverständigenrat sagt
dazu: „Umweltpolitisch verfehlt und beschäftigungspolitisch fragwürdig.“
({7})
So einfach ist das. Und das nennen Sie ein „richtiges Reformprojekt“.
Herr Kollege Loske, es ist so, daß auch Sie, obgleich
Sie an der Erstellung mitgewirkt haben, bereits im Detail
angedeutet haben - ich meine damit die Bemerkung von
Herrn von Larcher zu den permanenten Änderungen -,
daß diese Reform hinsichtlich der Ausnahmeregelungen
auf Dauer so nicht durchzuhalten sei. Während also auf
der einen Seite von „klarer Initiative“ und von einem
„deutlichen Reformprojekt“ gesprochen wird, üben Sie
schon an Ihrem eigenen Reformprojekt Kritik, indem
Sie sagen: So kann es nicht weitergeführt werden.
Warum wollen Sie es denn in dieser Form beschließen? Warum überlegen Sie nicht erst einmal ruhig fünf
Minuten, bevor Sie mit einem so unausgegorenen Wirrwarr in dieses Haus kommen? Hinterher muß es dann
wieder geändert werden. Da gibt es einen anderen Kollegen von Ihnen, der sagt: Das werden wir dann in der
Ausschußberatung machen. - Warum legen Sie uns
nicht ein ausgewogeneres Konzept vor? So jedenfalls,
meine Damen und Herren, kann man das nicht machen.
Herr Kollege Müller, ich will ganz deutlich sagen:
Beschlußlage in der Union war: Selbstverpflichtung statt
Steuererhöhung.
({8})
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Ich habe das sehr
lange betrieben. Sie sollten das hier wirklich nicht einfach so unterschlagen.
Ich habe noch eine Frage an den Kollegen Loske.
Herr Loske, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Novellierung des Energiewirtschaftsrechts dazu geführt hat,
daß die Preise in der Energiewirtschaft zurückgehen.
Halten Sie diese positive Entwicklung für so ausreichend, daß Sie jetzt die Klage gegen dieses Energiewirtschaftsrecht zurückziehen? Das wäre doch etwas. Das
wäre doch einmal ein mutiges Bekenntnis. Aber sich
hier hinzustellen und zu sagen, das sei eigentlich gar
nicht so schlecht, gleichzeitig aber die Klage weiterlaufen zu lassen, heißt auch das: schlüssiges Konzept? Ich
glaube, nicht.
Zur Lenkungswirkung der Preise will ich mich gar
nicht einlassen. Aber ein anderer Punkt: Wenn ich Ihren
Gesetzentwurf nach den Kriterien der Umweltverträglichkeitsprüfung anginge, würde er völlig durchfallen.
Ich komme jetzt auf den Punkt, der heute schon einmal
angesprochen wurde, Ihnen aber immer wieder in die
Wunde gerieben werden muß: Ökologisch ist das, was
Sie machen, nahezu eine Frechheit: Sie nehmen die
maximalen Verschmutzer, die maximalen Belaster aus,
bestrafen statt dessen die kleinen und mittelständischen
Betriebe und geben noch durch Grenzziehung eine Anreizwirkung, so daß sich ein Unternehmer überlegen
muß, ob es für ihn nicht kostengünstiger ist, ein paar
Kilowatt mehr Energie zu verbrauchen, weil die Einsparung, die er dann erhält, das bißchen Mehrverbrauch
mehr als ausgleicht. Das nennen Sie ökologisch!
({9})
Hier werden die Weichen völlig falsch gestellt, und
Sie nennen das eine ökologisch orientierte Steuerreform.
Das ist doch keine Reform! Das ist ein Einnahmenbeschaffungskonzept. Das weiß der Finanzminister genau,
weil er es ja so festgelegt hat, daß die Einnahmen die zu
erwartenden Ausgaben decken, und weil er ständig in
neue Schwierigkeiten kommt, wenn bei Ihnen wieder
eine neue Lösung gefordert wird, die die Gleichung, die
er gerade hinbekommen zu haben meint, wieder verschiebt. Nein, so kann man das nicht machen.
Im übrigen ist das ja auch eine Bestrafung für diejenigen, die in der Vergangenheit - die deutsche Wirtschaft hat ja auf Energieeffizienz hingearbeitet - energieeffizient waren. Die, die nichts gemacht haben, werden jetzt belohnt, und die, die etwas gemacht haben,
werden bei Ihnen nicht einmal ausgenommen.
({10})
Aus diesem Widerspruch kommen Sie einfach nicht heraus.
Dr. Klaus W. Lippold ({11})
Wenn ich das unter Mobilitätsaspekten betrachte das klang in der Diskussion ja nur ganz gelinde an -, so
nehme ich einmal den öffentlichen Nahverkehr: Hier
werden die Akzente ganz gründlich falsch gesetzt. Davon habe ich aber hier nichts gehört. Der Kollege Lennartz hat gemeint, man solle doch den öffentlichen Nahverkehr von der Belastung ausnehmen. Darauf hat der
Umweltkollege Müller - ich muß das immer in Abgrenzung vom Wirtschaftsminister sagen - gesagt, das sei ja
wohl das völlig Falsche. Früher hat man mir immer erzählt - auch in der Enquete-Kommission -, wir müßten
den öffentlichen Verkehr begünstigen, denn der sei
ökologisch vorteilhaft. Man kann darüber differenziert
diskutieren, aber das, was Sie sich hier leisten, eine zusätzliche Belastung draufzusetzen und das Ganze dann
immer noch ökologisch vernünftig zu nennen, ist schon
ganz toll.
Sie haben ja selbst gesagt, daß es auf die Dauer keine
Logik hat, diese Ausnahmen beizubehalten, Herr Loske.
Aber ich zitiere noch einmal Ihren Kollegen stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses, Winfried
Hermann, Bündnis 90/Die Grünen. Er kritisierte in der
Kölner Tageszeitung „Express“, bei der Ökosteuer gebe
es aus ökologischer Sicht große Defizite und teilweise
unsinnige Regelungen, die im Anhörungsverfahren,
spätestens aber in der nächsten Stufe korrigiert werden
sollten. - Was stimmt denn nun eigentlich, „klares Reformkonzept“ oder „unsinnige Regelung“? Und warum
korrigieren Sie nicht gleich, sondern wollen die Korrektur noch um ein paar Jahre verschieben, unsinnige
Regelungen noch ein paar Jahre belassen? Das ist ja mit
das Schönste, was man sich anhören kann, aber es paßt
zum Gesamtstart dieser Regierung. Da beißt die Maus
keinen Faden ab.
({12})
Machen wir uns doch nichts vor, Herr Loske: Im
Benchmarking zählen schlicht die Gesamtkosten, die wir
im Energiebereich haben. Wenn Sie die Gesamtbelastung im Energiebereich Wirtschaft in der Bundesrepublik nehmen, dann gilt der Satz, der vorhin gesagt wurde, daß wir bis auf einige ganz wenige Ausnahmen in
nicht so großen Industrieländern bereits an der Spitze
liegen. Das ist der Fall. Deshalb kann man das nicht einfach so abtun, als ob es dadurch keine Verlagerung gäbe.
Das ist ja gegebenenfalls auch ein Punkt: Wenn Produktion nicht mehr hier in Deutschland stattfindet, sondern
durch andere, nichtdeutsche Unternehmen im Ausland,
dann glauben Sie doch nicht, daß diese Produktionen
dort umweltschonender sind, als wenn wir das hier in
der Bundesrepublik herstellen würden. Das heißt, Sie
tragen noch mit dazu bei, daß wir durch Produkte, die
dann im Ausland und nicht hier hergestellt werden, zu
einer weiteren Umweltbelastung kommen. Dabei behaupten Sie aber immer noch, daß diese Maßnahmen
umweltpolitisch und ökologisch vernünftig sind. Diese
Auffassung kann ich Ihnen nicht abnehmen.
({13})
Es geht nicht darum, daß man den Unternehmen das
Geld nimmt, sondern darum, daß man den Unternehmen, gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmen, das Geld beläßt,
({14})
damit sie es in produktive und umweltschutzorientierte
Verfahren investieren. Wie soll ein Betrieb investieren,
wenn Sie ihm erst das Geld wegnehmen? Anschließend
sagen sie ihm: Jetzt erreiche einmal die neu gesteckten
Ziele! Das ist doch ein nicht zu verstehender Unfug.
Von dem Geld, das Sie den Betrieben zurückgeben ich kann Ihnen das für einige hessische Regelungen
nachweisen; das sind meine Lieblingsregelungen -, wird
immer eine kräftige Verwaltungsquote abgezogen, so
daß nichts mehr zurückfließen kann. Sie nehmen beispielsweise 130 Millionen DM ein und sagen hinterher:
Mit 7 Millionen DM unterstützen wir das Öko-Audit.
Diese Maßnahme stellen Sie dann noch als Leistung dar,
nachdem Sie den betroffenen Betrieben 130 Millionen
DM aus der Tasche gezogen haben. Wo kommen wir
denn da hin? So kann man uns nicht überzeugen.
({15})
Erforderlich ist es, so wie wir es gemacht haben, Anreize für Einsparungen zu geben, zum Beispiel im Bereich der Wärmedämmung.
({16})
Warum schaffen Sie keine Anreize? Warum wollen Sie
den Menschen nur das Geld nehmen? Führen Sie
Zinszuschüsse und Besteuerungserleichterungen ein,
mobilisieren Sie damit privates Kapital! Damit werden
Sie die ökologische Energieeinsparung und die Beschäftigung erreichen. Das ist nachweisbar und kann
nicht bestritten werden. Diese Auffassung haben wir
früher sogar gemeinsam eine Zeitlang geteilt, bevor Sie
sich davon verabschiedet haben.
Ich freue mich, daß wir heute in der Frage der Selbstverpflichtung bei Teilen der Opposition zu einer anderen
Einschätzung kommen. Wenn ich daran denke, wie wir
früher mit Ihnen Selbstverpflichtung durchdeklinieren
mußten - Sie haben sie abgelehnt und gesagt, sie sei unzureichend -,
({17})
dann komme ich zu der Erkenntnis, daß wenigstens ein
Lernprozeß feststellbar ist. Darüber freue ich mich.
Warum aber sprechen Sie dann erst im Zusammenhang mit der zweiten und der dritten Stufe von Selbstverpflichtung anstatt Ökosteuer? Wenn ich Herrn Trittin
richtig verstehe, hat er der Industrie entsprechende Regelungen in Aussicht gestellt. Warum äußern Sie sich
nicht eindeutig? Und warum sagen Sie es nicht gleich?
Wenn Sie die Reform auf diese Weise durchführen
wollen, muß ich fragen: Warum verzichten Sie dann
nicht auf Diskussionen über Ausnahmeregelungen?
Treffen Sie doch gleich vernünftige Regelungen in
Richtung Selbstverpflichtung! Dann könnten wir uns die
jetzige Diskussion sparen.
Dr. Klaus W. Lippold ({18})
Ich habe immer noch nicht begriffen, wie Sie Ihre Reform mit dem Grundsatz vereinbaren können, daß Bürokratie abgebaut werden soll und daß Vorgänge transparenter und einfacher in der Handhabung gemacht werden
sollen. Wenn ich die vielen Ungereimtheiten in Ihren
Formulierungen betrachte - ich könnte reihenweise aufzählen, was an diesen Formulierungen nicht erklärbar,
nicht sauber abgegrenzt und nicht verständlich ist -,
({19})
dann komme ich zu dem Schluß, daß durch diese Ungereimtheiten Heerscharen von Unternehmensberatern,
Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern beschäftigt werden. Es handelt sich doch nicht um eine Vereinfachung.
Eine solche Verkomplizierung mit einem Schlag ist
schon ein Geniestreich, der im Widerspruch zur Regierungserklärung steht.
({20})
Aber was heißt schon Regierungserklärung? Die Politik
wird neuerdings ja nicht von demjenigen gemacht, der
die Regierungserklärung vorträgt.
Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! In dieser Form
ist er untauglich. Wenn man untaugliche Maßnahmen
korrigiert, dann werden sie nie so vernünftig, als wenn
man von Anfang an vernünftige Maßnahmen vorlegt.
Herzlichen Dank.
({21})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Hans Martin Bury.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lippold,
nun wischen Sie sich einmal den Schaum vom Mund.
({0})
Ihre Rede war schwach; Sie klangen fast wie Michelbach.
({1})
Es ist ja nicht neu, daß in diesem Haus über die ökologische Steuerreform und die Notwendigkeit einer Reduktion des Energieverbrauchs gesprochen wird. Neu
und für Union und F.D.P. gleichermaßen irritierend ist:
Wir reden nicht nur, wir handeln.
({2})
In Deutschland wird wieder regiert, nicht mehr lamentiert. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der erste
Schritt zur Umgestaltung unseres Steuersystems mit
dem Ziel, Arbeit billiger zu machen und Energieverbrauch zu reduzieren, ein erster behutsamer Schritt, der
Verbraucher und Unternehmen nur mit sehr moderaten
Belastungen konfrontiert.
Dennoch hat der Gesetzentwurf nicht nur hier im
Haus eine intensive und kontroverse Diskussion ausgelöst. Vorstände quer durch alle Branchen beschäftigen
sich plötzlich mit dem Energieverbrauch ihres Unternehmens. Das ist gut so. Schließlich geht es beim Einstieg in die ökologische Steuerreform nicht um die Erschließung neuer Einnahmequellen für den Haushalt.
({3})
Im ersten Schritt wird die deutsche Wirtschaft insgesamt um schätzungsweise 3 Milliarden DM entlastet.
Den steigenden Energiekosten in Höhe von gut
2 Milliarden DM stehen Entlastungen in Höhe von rund
5 Milliarden DM durch die Senkung der Lohnnebenkosten gegenüber. Die Entlastung kann noch höher ausfallen; denn Energiepreise sind nicht identisch mit Energiekosten.
({4})
Rationalisierungsprozesse und energiesparende Innovationen sind ausdrücklich erwünscht. Es geht um eine
Rationalisierung von Energie statt der bislang üblichen
Rationalisierung von Arbeit.
Ich will, daß zukünftig der Aktienkurs eines Unternehmens steigt, wenn der Vorstand auf der Bilanzpressekonferenz ankündigt, Energie zu sparen, statt daß er wie bisher - steigt, wenn der Vorstand ankündigt, Mitarbeiter zu entlassen.
({5})
Es ist keine Frage: Der vorliegende Gesetzentwurf ist
ein Kompromiß zwischen den Interessen des Umweltschutzes und denen der Wirtschaft. Das unter starkem
Wettbewerbsdruck stehende produzierende Gewerbe
wird im Vergleich zum Normalsatz um 75 Prozent entlastet. Auch unsere ökologische Steuerreform steht unter
dem Primat des politischen Hauptziels dieser Bundesregierung, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist richtig, daß die besonders energieintensiven Branchen völlig freigestellt werden, weil sie auf Grund des hohen Energiekostenanteils
ohnehin einen starken ökonomischen Anreiz für Energieeinsparungen haben und diesen aus eigenem Interesse
nutzen.
Nun stimmt es, daß die Abgrenzung der energieintensiven Unternehmen zu erheblichen Definitionsschwierigkeiten führt.
({6})
Wir werden die vorgesehene Abgrenzung im weiteren
Gesetzgebungsverfahren sorgfältig auf ihre Plausibilität
und Praktikabilität hin prüfen müssen.
({7})
Der Gesetzentwurf definiert die Energieintensität über
den Anteil an den Produktionskosten. Die Einwände
sind nicht völlig von der Hand zu weisen,
({8})
Dr. Klaus W. Lippold ({9})
daß das bei der Bearbeitung hochwertiger Rohstoffe zu
falschen Ergebnissen führen kann.
({10})
Insofern wäre es richtig - da stimme ich Ihnen zu -, bei
der Wertschöpfung anzusetzen; denn sonst erscheint die
Produktion um so weniger energieintensiv, je höher die
Vorkosten sind.
({11})
Noch besser wäre es aus wirtschaftspolitischer Sicht,
das gesamte produzierende Gewerbe aus der ersten Stufe
herauszunehmen, es dann aber ausnahmslos in die
zweite, europäisch abgestimmte Stufe einzubeziehen.
Bekanntlich diente der Verweis auf die Notwendigkeit europäischer Lösungen bei der alten Koalition allerdings nur dazu,
({12})
die eigene Untätigkeit zu kaschieren.
({13})
- Und in Europa zu blockieren! Auch damit wird jetzt
Schluß sein. Wir unterstützen die Bundesregierung dabei, sich mit Nachdruck für eine baldige Harmonisierung der Energiebesteuerung auf europäischer Ebene
einzusetzen und dafür im Rahmen der deutschen Präsidentschaft die entsprechende Initiative zu starten. Wir
werden uns nicht länger hinter Europa verstecken, sondern mit denen, die uns heute voraus sind, eine gemeinsame Lösung anstreben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ansatz ist die
sinnvolle Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie.
Zur Wirtschaftsmodernisierung gehört eben auch, Fehlentwicklungen im Steuersystem zu korrigieren und die
Effizienz der Marktwirtschaft zu nutzen, um die Umwelt
zu schonen. Die ökologische Steuerreform fördert neue
energiesparende Produkte und Produktionsverfahren,
und sie trägt dazu bei, daß deutsche Unternehmen und
die deutsche Wirtschaft insgesamt bei diesen Zukunftstechnologien weltweit führend bleiben.
({14})
Das Wort hat Bundesminister Werner Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die Zeit ist weit fortgeschritten. Ich möchte daher nur wenige Bemerkungen machen.
Die Debatte hat gezeigt, daß die Ökosteuer einmal
Bestandteil der Programme aller Parteien war. Ich verstehe sehr wohl, daß man, wenn man in der Opposition
ist, gegen die SPD oder die Grünen argumentieren muß.
Aber ich bitte Sie, nicht in Opposition gegen die Natur
zu verfallen;
({0})
denn so klingt es manchmal.
({1})
Insbesondere - das will ich kritisch vermerken - hat
mich doch etwas gestört, daß Sie die energieintensive
Industrie und die Beschäftigten in dieser Industrie hier
manchmal verbal mit Kettenrauchern und Alkoholikern
vergleichen. Ich finde, das ist nicht in Ordnung, auch
wenn ich weiß, daß der Vergleich so nicht unbedingt
gemeint war. Aber es klingt an, daß diese Industrien,
weil sie viel Energie verbrauchen - das ist manchmal
wohl Ihre These -, ganz besonders belastet werden sollten.
({2})
Das kann ich als Minister für Wirtschaft so einfach nicht
hinnehmen.
({3})
Ich bin richtig zitiert worden. Ich habe gesagt, man
sollte das produzierende Gewerbe vielleicht ganz herausnehmen. Dann wurde gefragt, ob ich in diesem Punkt
erfolgreich war. Es sind 50 Prozent des produzierenden
Gewerbes zur Zeit als energieintensiv eingestuft und
damit von der Steuer ausgenommen; der Rest erhält 75
Prozent Nachlaß. Ich finde, das ist schon einmal ein guter Ansatz.
({4})
Ich bitte nun auch die Wirtschaft, diese Regelung nicht
laufend und immer wieder zu kritisieren; denn mit dieser
Lösung kann die deutsche Wirtschaft nach meiner festen
Überzeugung leben. Das produzierende Gewerbe beinhaltet Handwerk, Mittelstand und Industrie.
({5})
Ich fordere insbesondere die Wirtschaftsverbände dazu auf, nicht laufend nur die Steuerbelastungen durch
die Energiesteuer alleine und isoliert in den Raum zu
stellen, sondern auch die sinkenden Lohnnebenkosten
bei den Belastungen zu berücksichtigen.
({6})
Erst dann sollte man sich dazu äußern, ob die Neuregelung Gewinne oder Verluste mit sich bringt.
({7})
Man kann danach fragen, warum als Wert 6,4 Prozent
und nicht 6,5 oder 6,3 Prozent gewählt wurden. Der
Wert ist so gebildet, daß nach unserer ganz sicheren
Überzeugung kein Betrieb unter dem Strich belastet
wird, sondern die allermeisten Betriebe entlastet werden,
so daß die Wirtschaft mit diesem Satz leben kann.
({8})
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Diese
ökologische Steuerreform ist eine vernünftige Sache. Sie
belastet den Naturverbrauch und führt daher dazu, daß
weniger Natur verbraucht wird. Sie senkt die Kosten des
Faktors Arbeit und führt unter dem Strich zu mehr Arbeit, auch wenn die Umsetzung in kleinen Schritten geschieht.
({9})
Mit der Umsetzung der ersten Stufe in ihrer jetzigen
Ausgestaltung wird ein kleiner Schritt getan; ich wiederhole mich. Ihre Aussage, daß die Schritte nicht groß
genug wären, spiegeln Sie bitte einmal an den Reaktionen, die es draußen - auch bei Ihnen - gäbe, wenn die
Schritte größer wären.
({10})
Wir gehen sehr bewußt Schritt für Schritt vor, weil Reformen nicht einfach mit ganzer Wucht übergestülpt
werden können. Wichtig ist, daß das dahinterstehende
Denken stimmt. Unter diesem Aspekt bleibt unter dem
Strich auch jetzt schon übrig: Die Bürger werden mehr
Geld in ihrem Portemonnaie haben; die Betriebe werden
in den allermeisten Fällen entlastet und nicht belastet.
Ob der Bürger mit dem Mehrbetrag in seinem Portemonnaie die Energiesteuer bezahlt oder die Konsumhoheit nutzt, Energie zu sparen und sich dafür etwas anderes zu kaufen, ist ihm anheimgestellt. Auch diesen Effekt könnten Sie würdigen.
Vielen Dank.
({11})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hirche das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsminister hat eben gesagt, die produzierenden Betriebe wären am Ende noch
Gewinner dieser neuen Steuer.
({0})
Ich möchte an einem ganz kleinen Beispiel einmal deutlich machen, daß diese Rechnung überhaupt nicht aufgeht.
Nehmen Sie einmal ein typisches mittelständisches
Unternehmen mit einem Energiekostenanteil von 5 Prozent, einem Lohnkostenanteil von 20 Prozent und einem
Gewinn von 2 Prozent, jeweils am Umsatz gemessen.
({1})
Bei einem Umsatz von 10 Millionen DM fallen dann
500 000 DM Energiekosten an.
({2})
Nach dem Gesetzesvorschlag, über den das Parlament
hier beschließen soll, werden sich diese Kosten um etwa
50 000 DM erhöhen.
({3})
Die Entlastung bei den Lohnnebenkosten beträgt aber
nur 6 000 DM. Der Gewinn von 200 000 DM wird damit auf 156 000 DM reduziert, also um 22 Prozent.
({4})
Das Problem ist, daß dieser verringerte Gewinn dazu
führt, daß weniger Investitionen möglich sind und daß
Arbeitsplätze gefährdet werden.
Das ist der eine Punkt, der in diesem Zusammenhang
von großer Wichtigkeit ist.
({5})
Herr Minister Müller, nicht wir haben die Diskussion
um die Unterscheidung zwischen energieintensiven und
weniger energieintensiven Betrieben aufgebracht. Sie
haben sich - aus Ihrer Sicht verständlicherweise - gegen
die herangezogenen Beispiele gewehrt. Die Begründung
der Koalition für die Einbringung dieses Gesetzentwurfes besteht doch vielmehr darin, daß der Energieverbrauch schädlich ist und reduziert werden muß. Deswegen ist völlig unverständlich, daß derjenige, der die meiste Energie verbraucht, von der vorgesehenen Energiebesteuerung zuerst ausgenommen wird.
Das verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz und ist,
so glaube ich, für die mittelständischen Betriebe kein
gutes Beispiel dafür, wie in Deutschland Arbeitsplätze
in der Wirtschaft behandelt werden sollten. Wir halten
das für falsch.
({6})
Herr Bundesminister Müller, wollen Sie auf diese Kurzintervention antworten? - Sie haben das Wort.
Ich möchte nur einen Satz dazu sagen.
Ich bitte auch, bei dem soeben von Ihnen genannten
Beispiel immer zuerst die Senkung der Lohnnebenkosten zu berücksichtigen.
({0})
Ich möchte denjenigen Betrieb erleben, der nach dieser
Senkung wirklich noch so belastet wird, daß all die Klagen der Verbände eine Rechtfertigung finden.
({1})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Gunnar Uldall.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Minister, mein Kollege Friedrich Merz, der sich leider entschuldigen mußte und Ihnen das auch mitgeteilt hatte - er mußte einer anderen
Verpflichtung nachkommen -, hat in seiner Rede Bezug
genommen auf Ihr Interview vom 7. November 1998 im
„Tagesspiegel“ in dem Sie gesagt hatten:
Diese Klage halte ich für berechtigt. Industrie,
Handwerk und Mittelstand müssen von dieser Steuer so lange befreit werden, bis sie in der Europäischen Union einheitlich eingeführt wird.
Herr Minister, gerade nach Ihrer Rede kann ich nur
fragen: Warum machen Sie in dieser Frage einen Rückzieher? Warum lassen Sie sich durch die anderen Kräfte
innerhalb der Koalition sozusagen überrollen? Warum
sind Sie nicht bei Ihrer ursprünglichen Meinung geblieben? Sie sind der Minister, der bei uns in Deutschland
für die Ordnungspolitik im Bereich der Wirtschaft zuständig ist.
({0})
Hier sollten Sie Rückgrat zeigen und sich nicht durch irgendwelche ideologischen, ökologischen oder sonstigen
finanzpolitischen Überlegungen einbinden lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, es gab einen guten Grund,
weswegen die Ordnungspolitik von Ludwig Erhard nicht
im Finanzministerium, sondern im Wirtschaftsministerium angesiedelt wurde. Denn das Finanzministerium
steht immer unter dem Druck, unter tagespolitischen
Gesichtspunkten zu entscheiden und Geld zu beschaffen.
Der Ordnungspolitiker muß die langfristige Perspektive
im Blick haben.
({2})
Das wünschen wir uns sehr von Ihnen, Herr Minister.
Aufgabe eines Ordnungspolitikers ist, darauf zu achten, daß wir gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa
und für die unterschiedlichen deutschen Unternehmen
haben. Dies ist nicht gegeben. Unser Kollege Bury hat
soeben festgestellt, wie wichtig es sei, daß wir eine europäische Harmonisierung erreichen.
({3})
Aber eine europäische Harmonisierung ist nicht vorhanden. Trotzdem werden solche Maßnahmen ergriffen.
Die von Ihnen vorgesehene Reform - das haben verschiedene Beiträge gezeigt - entlastet eben nicht, sondern belastet. Der typische mittelständische Handelsbetrieb - das hat Kollege Michelbach an Hand seines eigenen Betriebes vorgerechnet - und der typische Handwerksbetrieb werden belastet, nicht entlastet.
Da Sie auf die Industrie Bezug nehmen, möchte ich
auf folgendes hinweisen: Ich habe heute ein Schreiben
von einem rohstoffverarbeitenden Betrieb bekommen,
der von den Schwankungen der Rohstoffpreise auf dem
Weltmarkt abhängig ist. Wenn die Weltmarktpreise
hoch sind, dann ist er nach Ihrer Definition nicht energieintensiv. Wenn die Weltmarktpreise niedrig sind - was
wir alle uns wünschen -, ist er energieintensiv und
müßte eigentlich entlastet werden.
({4})
Die Statistiken sind also zum falschen Zeitpunkt aufgestellt worden. Deswegen werden diese Betriebe jetzt mit
einer zusätzlichen Steuer belastet.
Meine Damen und Herren, diese neue gesetzliche
Regelung mit den vielen, vielen Ausnahmen ist ein großer Schritt zu mehr Regulierung im Steuerrecht, ist ein
Schritt zu mehr staatlicher Lenkung. Aber was wir in
Deutschland brauchen, ist mehr Deregulierung und ein
freieres Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte. Dies sicherzustellen ist Aufgabe des für die Ordnungspolitik im
Bereich der Wirtschaft zuständigen Ministers.
Wir wünschen, Herr Minister, daß Sie in den kommenden Jahren in dieser Frage immer eine klare Position
beziehen und bei den Positionen bleiben, wie Sie sie ursprünglich in dem „Tagesspiegel“-Interview vertreten
haben.
({5})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/40 und 14/66 ({0}) an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/40 soll außerdem
zur Mitberatung dem Ausschuß für Tourismus überwie-
sen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e sowie
Zusatzpunkt 7 auf:
8. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines
Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte
- Drucksache 14/45 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Tourismus
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Versorgungsreformgesetzes 1998 ({2})
- Drucksache 14/46 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({3})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Dr.
Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der
Arbeitslosenhilfe ({4})
- Drucksache 14/15 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des von der Abgeordneten Dr.
Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes
({6}) und des Euro-Einführungsgesetzes
({7})
- Drucksache 14/13 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({8})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes Schlechtwettergeld-Gesetz ({9})
- Drucksache 14/39 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({10})
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, Jörg van
Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung
des Kündigungsschutzgesetzes
- Drucksache 14/44 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({11})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich gebe dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Wir stehen vor großen Umwälzungsprozessen
in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Veränderungen auf
den Arbeitsmärkten sind zum Teil Ausdruck dieser
Umwälzungen. Für viele Menschen bringt der Wandel
Unsicherheit und Vertrauensverluste mit sich.
Wir sind vor sechs Wochen von den Bürgern und
Bürgerinnen gewählt worden, weil sie Sicherheit und
Vertrauen zurückgewinnen wollen. Sie erwarten von der
Politik, inmitten dieses Strukturwandels nicht allein gelassen zu werden. Nur wenn die Menschen Vertrauen in
sich und die Politik zurückgewinnen, sind sie bereit, die
Veränderungen auch aktiv mitzutragen. Wir wollen, daß
sie wieder Wagnisse auf sich nehmen und der Zukunft
optimistisch entgegengehen.
Darum bringen wir Reformen auf den Weg, die den
Namen „Reform“ auch verdienen. Unsere Reformen
sollen Verbesserungen und keine Verschlechterungen
bringen. Umgekehrt werden wir das, was in der Vergangenheit als Reform vertreten worden ist, in der Realität
aber die Lebenswirklichkeit der Menschen verschlechtert hat, zurücknehmen. Die sogenannten Reformen der
Vergangenheit haben in unserer Gesellschaft Schaden
angerichtet. Diesen Schaden reparieren wir heute in
einem ersten Schritt. Ganz oben auf unserer Liste steht
dabei die Rentenpolitik.
Wir nehmen die Rentenniveaukürzung der alten
Bundesregierung zurück. Wir streichen den von der
alten Regierung eingeführten demographischen Faktor,
der in Wirklichkeit nur ein linearer Kürzungsfaktor ist,
aus der Rentenformel.
({0})
Die mit diesem Faktor herbeigeführte lineare Rentenniveaukürzung ist ungerecht und hätte viele Klein- und
Kleinstrentner in die Nähe der Sozialhilfe gebracht.
Zurücknehmen werden wir auch die Kürzungen bei den
Renten derjenigen, die nicht mehr aus eigener Kraft
ihren Lebensunterhalt verdienen können.
Die Verschlechterung bei den Erwerbsunfähigkeitsund Berufsunfähigkeitsrenten wie auch die Geltung des
demographischen Faktors werden wir bis zu einer Neuregelung der Rentenreform für die Jahre 1999 und 2000
aussetzen. Beide Korrekturen werden zum 1. Januar
1999 wirksam. Dies ist nicht nur dringend geboten, sondern auch durch unseren Einstieg in die ökologische
Steuerreform gegenfinanziert.
({1})
Die Rentenversicherung muß zukunftssicher, armutsfest und verläßlich werden. Deshalb werden wir schon
im nächsten Jahr eine Rentenstrukturreform auf den
Weg bringen, die die Folgen der demographischen
Entwicklung gerecht zwischen den Generationen verteilt. Aber das wird nicht reichen. Zusätzlich sind
Vizepräsident Rudolf Seiters
Einfallsreichtum und Kreativität gefragt, um einen neuen Generationenpakt zwischen Jung und Alt zu schließen.
In den nächsten fünf Jahren kommen rund 3 Millionen Menschen in das Alter zwischen 60 und 65 Jahren,
gleichzeitig befinden sich heute schon 1,7 Millionen
junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren weniger in
Erwerbsarbeit, als dies 1991 der Fall war. Ich fordere
alle gesellschaftlichen Akteure auf, sich an der Diskussion um eine solide, sozial gerechte und verläßliche
Antwort auf diese Entwicklung zu beteiligen.
({2})
Konstruktive Vorschläge sind gefragt. Nicht die breite
Erörterung dessen, was nicht geht, wird uns bei der Lösung der anstehenden Probleme weiterhelfen,
({3})
auch nicht das Aufbauen schier unüberwindlicher Hindernisse. Das heißt nicht, daß ich dem Streit in der Sache aus dem Wege gehe. Aber wir brauchen einen Streit,
der uns in der Sache wirklich weiterführt.
Ein Ort der konstruktiven Auseinandersetzung kann
das von uns initiierte Bündnis für Arbeit und Ausbildung sein. Gerade deshalb bin ich dagegen, Vorbedingungen für die Bündnisgespräche einzubringen, im
Gegenteil: Klare Signale aller, einen eigenständigen
Beitrag zu leisten und sich zu bewegen, können das
Bündnis zum Erfolg bringen.
Die Bundesregierung tritt mit einem solchen Beitrag
an; denn wir senken den Beitrag zur Rentenversicherung
um 0,8 Prozentpunkte zum 1. April nächsten Jahres
({4})
und entlasten damit sowohl die Betriebe als auch die
Arbeitnehmer.
({5})
Einen solchen großen Schritt zur Entlastung der Arbeitskosten hat es in den letzten 16 Jahren trotz vollmundiger Ankündigungen nicht gegeben. Wir reden
nicht nur von der Senkung der Lohnnebenkosten, wir
setzen sie auch durch.
({6})
Beides brauchen wir: eine wettbewerbsfähige und leistungsstarke Wirtschaft sowie Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die wieder mehr Geld in der Tasche haben und die Wirtschaft auch von der Nachfrageseite her
ankurbeln können.
({7})
Insgesamt entlasten wir die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und die Wirtschaft pro Jahr um 11 Milliarden DM. Bei der Finanzierung dieses Vorhabens stehen wir auf einem soliden und verläßlichen Fundament.
({8})
Künftig zahlt der Bund der Rentenversicherung das Geld
für die zusätzlich beschlossenen Leistungen.
({9})
Dieses Vorgehen sorgt für mehr Beitragsgerechtigkeit.
Beiträge für die Kindererziehungszeiten und die Anpassung der Ostrenten werden von der Allgemeinheit der
Steuerzahler getragen und nicht mehr nur von den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von den Betrieben.
({10})
Wir verbessern damit die Finanzierungsgrundlage der
Sozialversicherungen.
Das gilt auch für die geringfügig Beschäftigten.
Bundeskanzler Schröder hat gestern in diesem Hause
dargelegt, wie wir uns die Neuregelung zu den 620-DMJobs vorstellen.
({11})
- Das hat er nicht dargelegt.
({12})
Statt der Pauschalsteuer wird ein Beitrag von 10 bzw.
12 Prozent vom Arbeitgeber in die Sozialversicherungskassen eingezahlt.
({13})
Der Beschäftigte braucht keinen Beitrag zu leisten.
({14})
Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden in
der Zukunft von der ersten Stunde an sozialversichert.
({15})
Das ist ein Anliegen, für das wir lange, lange gekämpft
haben.
Sie selbst sind sonst doch sehr dafür, daß man, wenn
man Leistungen erhalten will, vorher Beiträge eingezahlt
haben muß.
({16})
Jeder, der einen Eigenbeitrag in Höhe von 7,5 Prozent
leistet, hat einen Leistungsanspruch aus dem gesamten
in die Rentenversicherung eingezahlten Beitrag.
({17})
Ich denke, daß wir mit dieser Lösung einen guten
Kompromiß gefunden haben. Es ist ein Kompromiß,
der weder die Wirtschaft über Gebühr belastet noch die
Befürchtungen vieler geringfügig Beschäftigter ignoriert. Er verhindert die Erosion der Sozialversicherungssysteme; er macht das weitere Aufsplitten von
Arbeitsverhältnissen unattraktiver; er verhindert Ausweichreaktionen in Richtung Schwarzarbeit, er wird
mittelfristig durch das Einfrieren der 620-DM-Grenze
die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung eindämmen, und er bietet den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern die Möglichkeit, sich für das Alter zusätzlich abzusichern.
({18})
Meine Damen und Herren, mehr Gerechtigkeit haben
wir in unserem Wahlprogramm den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern versprochen. Heute lösen wir dieses
Versprechen ein. Wir nehmen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aus ordnungs- und sozialpolitischen Gründen zurück.
({19})
Im übrigen hat diese Maßnahme auf dem Rücken der
Kranken nicht zu den von der Wirtschaft versprochenen
Einstellungen geführt.
({20})
Die Kürzung der Entgeltfortzahlung hat zwar - nach
Aussagen der Wirtschaft - zu Einsparungen zwischen
15 und 20 Milliarden DM geführt. Nur: Mehr Arbeitsplätze haben wir nicht erwarten können.
({21})
- Mein lieber Herr, doch nicht durch die Kürzung der
Lohnfortzahlung.
({22})
- Das weiß ich sehr genau aus der Praxis, aus sehr, sehr
vielen Gesprächen in den Betrieben, möglicherweise
etwas konkreter als Sie, Frau Schwaetzer.
({23})
Eines allerdings haben Sie damit in der Tat ausgelöst:
daß der soziale Frieden in diesem Lande sehr nachhaltig
gestört wurde.
({24})
Wer nicht durch Tarifverträge vor Einkommensminderung geschützt ist, wird jetzt zusätzlich zu seiner Krankheit noch mit Lohnabzug bestraft. Dieser Ungleichheit
setzen wir ein Ende. Eine moderne und sozial gerechte
Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn auch die
Balance zwischen den Hauptakteuren in der Volkswirtschaft stimmt. Wer einseitig die Rechte einer Gruppe
beschneidet, gefährdet nicht nur den sozialen Frieden er löst Unfrieden aus.
({25})
Wir sind gegen den einseitigen Abbau von Arbeitnehmerrechten. Deshalb nehmen wir auch die arbeitnehmerfeindliche Einschränkung des Kündigungsschutzes zurück.
({26})
Auch diese Maßnahme hat nicht zu den versprochenen
Einstellungen geführt. Welch große Erwartungen mit der
Einschränkung des Kündigungsschutzes verbunden waren, zeigt ein Blick in die damalige Gesetzesbegründung. In der Bundestagsdrucksache 13/4612 vom
10. Mai 1996 heißt es:
Es kann davon ausgegangen werden, daß ein Teil
der Betriebe ... bei Anhebung des Schwellenwertes
neue Einstellungen vornehmen wird. Wenn jeder
der Betriebe, die gegenwärtig zwischen fünf und
neun Arbeitnehmer beschäftigen, zusätzlich nur einen Arbeitnehmer einstellt, ergibt dies eine halbe
Million möglicher Neueinstellungen.
({27})
Diese Rechnung ist offensichtlich nicht aufgegangen.
Selbst der Zentralverband des Deutschen Handwerks
räumt heute ein, daß für das Einstellungsverhalten - wie
könnte es auch anders sein? - die konjunkturelle Lage
und die Beschäftigungserwartungen das entscheidende
Motiv sind.
({28})
Dies bestätigt auch eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft im Jahr 1997 durchgeführte Untersuchung. Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P.,
wollen nun den Schwellenwert für den gesetzlichen Kündigungsschutz auf 20 Arbeitnehmer heraufsetzen. Wenn
Ihr Vorschlag Realität würde, wären rund 36 Prozent der
Arbeitnehmer und 90 Prozent der Betriebe aus dem allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommen.
({29})
Der gesetzliche Kündigungsschutz ist verfassungsrechtlich durch das Sozialstaatsgebot und den Gleichheitsgrundsatz verankert. Erleichterungen für Kleinbetriebe,
die den gebotenen Kündigungsschutz einschränken,
müssen sachlich gerechtfertigt sein.
({30})
Diese Rechtfertigung kann ich Ihrem Gesetzentwurf
nicht entnehmen. Ich sage Ihnen: Um diese Rechtfertigung zu akzeptieren, fehlt mir die Phantasie.
({31})
- Es mag sein, daß Ihre Phantasie in Bereiche hineinreicht, wo meine längst versagt.
({32})
Ich setze meine Phantasie lieber für kreative Lösungen
ein, als sie für falsche Maßnahmen zu strapazieren. Ich
habe - das möchte ich Ihnen sagen - zumindest so viel
Phantasie, daß ich mir vorstellen kann, was in einem 45oder 50jährigen Arbeitnehmer vorgeht, der weiß, daß er
von einem Tag auf den anderen entlassen werden kann,
der weiß, daß er im Arbeitsmarkt heute kaum noch
unterzubringen ist. Dafür - für das Menschliche - reicht
meine Phantasie.
({33})
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen effektiven Kündigungsschutz, und zwar auch deshalb, weil
aus ihm durchaus produktive Wirkungen hervorgehen.
Es wirkt leistungsfördernd, wenn sich die Arbeitnehmer
vor willkürlicher Kündigung geschützt sehen. Dies können Sie im übrigen beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nachlesen.
({34})
- Warum wollen Sie den Kündigungsschutz dann aufheben? Wo liegt denn dann der Grund dafür?
({35})
- Wir haben doch gerade vorexerziert bekommen, daß
es nicht zu mehr Mehreinstellungen führt. Seit der Entscheidung, den Schwellenwert heraufzusetzen, arbeiten
im Handwerk 135 000 Menschen weniger.
({36})
Das hat nichts mit der Neuregelung zu tun, um auch das
klar zu sagen. Aber es macht Ihnen doch deutlich, daß
die Entscheidung, den Kündigungsschutz aufzuheben,
nicht zu mehr Einstellungen geführt hat. Im übrigen gibt
es das Beschäftigungsförderungsgesetz, in dem geregelt
ist - und zwar nicht nur für Kleinbetriebe, sondern für
jeden Betrieb -, daß eine Neueinstellung bis zu 24 Monate befristet werden kann, und zwar dreimal hintereinander. Dieses Schrittes hätte es also gar nicht bedurft.
({37})
Die Rechte unserer Arbeitnehmer stärken wir auch in
dem Bereich, in dem sie in unvertretbarem Maße einer
ausländischen Unterbietungskonkurrenz ausgesetzt sind,
nämlich auf dem Bau. Deshalb heben wir die Befristung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf. Dazu sind wir
im übrigen auch europarechtlich verpflichtet. Die Befristung des Gesetzes war ein falsches Signal und hat seiner Umsetzung in die Praxis nur geschadet. Lohn- und
Sozialdumping auf Baustellen muß weiterhin bekämpft
werden. Immer wieder werden von den Aufsichtsbehörden skandalöse Zustände auf deutschen Baustellen aufgedeckt. Stundenlöhne von 5 DM und weniger auf deutschen Baustellen können und wollen wir nicht akzeptieren.
({38})
Um hier wirkungsvoller eingreifen zu können, erweitern
wir die Kontrollrechte der Behörden und verschärfen
den Bußgeldrahmen. Außerdem hat der Arbeitsminister
künftig das Recht, tariflich geregelte Arbeitsbedingungen im Bau auch auf nichttarifgebundene Arbeitgeber
und Arbeitnehmer auszuweiten.
({39})
Das führt zu einer effizienteren Lösung als bisher, weil
jetzt schnelle Entscheidungen möglich sind. Das ist eine
klare Entscheidung für die Stärkung der Tarifautonomie.
Wir nehmen das Votum der tarifabschließenden Parteien
hier sehr, sehr ernst. Sie haben die Kompetenz, sie kennen die Branche.
Ich kann Ihnen meine Erfahrungen gerne schildern.
Die Verschleppung bei der Mindestregelung, die die
BDA verursacht hat, war ein unmittelbarer Eingriff in
die Rechte der den Tarifvertrag allein gestaltenden
Tarifvertragsparteien. Es wurden die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und der Bauindustrieverband gezwungen, ihre eigenen Tarifverträge nach unten
zu korrigieren. Diese Form des Eingreifens in die Tarifautonomie wird es mit mir nicht geben.
({40})
Mit dieser Neuregelung sorgen wir für mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitgeber sollen sich
keine Wettbewerbsvorteile mehr durch Lohndumping
verschaffen können. Mit der Weiterentwicklung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und mit der Wiederherstellung des Anstandes bei Entgeltfortzahlung und Kündigungsschutz setzen wir ein Signal für neue Verläßlichkeit in der Politik und für die Stärkung der Sozialpartnerschaft. Beides ist unerläßlich, wenn wir endlich
wieder Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielen wollen
und wenn wir uns neuen Herausforderungen in einem
neuen Sozialsystem stellen wollen.
Herzlichen Dank.
({41})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat Frau Birgit Schnieber-Jastram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Riester, das waren
viele Sprüche.
({0})
Sie werden sich an Ihren Sprüchen messen lassen müssen.
({1})
Wenn Sie von Umwälzungsprozessen sprechen, die
auf uns zukommen, dann, glaube ich, verschweigen Sie
den Menschen manch eine Konsequenz, die diese Umwälzungsprozesse haben werden. Das finde ich unaufrichtig, Herr Riester.
({2})
Sie sagen, wir hätten mit all unseren Maßnahmen
Schaden angerichtet. Auch das, Herr Riester, ist unaufrichtig.
({3})
Wir haben in diesem Land 400 000 Arbeitsplätze geschaffen. Machen Sie das erst einmal nach!
({4})
Sie sagen, Herr Riester, Sie nehmen unsere Entwürfe
zurück. Ich erlebe eine andere Realität. Bisher nehmen
Sie laufende Meter eigene Entwürfe zurück.
({5})
Wer an die gestrige Diskussion denkt, der weiß das sehr
gut.
Vielleicht sollten Sie sich einmal in Ihren eigenen
Reihen umsehen. Da gibt es manch einen, der offensichtlich weitsichtiger ist als Sie. Wenn Sie sich ansehen, was Ihr Parteifreund Florian Gerster, Sozialminister
in Rheinland-Pfalz, zur Frage der Rentenversicherung
sagt, dann werden Sie nicht Ihre Position, sondern unsere Position wiederfinden. Florian Gerster sagt nämlich:
Es muß eine maßvolle Absenkung des Rentenniveaus
geben, damit wir eine sozial gerechte, sinnvolle Antwort
auf demographische Veränderungen haben. - Das ist
nicht Ihr Konzept.
({6})
Während der gestrigen 620-Mark-Diskussion haben
Sie von Chancen gesprochen, große Ankündigungen
gemacht. Sie nutzen diese Chancen aber nicht; Sie
setzen die Ankündigungen nicht um. Chancen vertan,
Versprechen gebrochen - das wird Ihre Devise in der
Sozialpolitik in diesem Land sein.
({7})
Gegen ein drohendes demographisches Ungleichgewicht fällt Ihnen nichts Besseres ein, als zunächst einmal
die von uns getroffenen Gegenmaßnahmen für zwei
Jahre auszusetzen. Danach sollen strukturelle Veränderungen beschlossen werden, über die überhaupt nichts
Genaues bekannt ist. Es ist also sehr gut möglich, daß
die Reformen, die heute empört abgelehnt werden, von
der Regierung in zwei Jahren ein wenig umverpackt
wieder auf den Tisch kommen. Darauf bin ich gespannt.
({8})
Es gibt, Herr Riester, drei Anforderungen der Bürger
an eine Regierung: Ehrlichkeit über die Absichten und
Folgen einer Reform,
({9})
das Bemühen um ein realistisches und finanzierbares
Modell und soziale Verantwortung. Das heißt: Beziehen
Sie bitte Jung und Alt in Ihre Konzepte ein.
({10})
Unsere Rentenreform wurde dem gerecht.
Ich finde es in dem Zusammenhang übrigens ganz
interessant, wie sich die Grünen auf dieses Problem eingelassen haben. Oswald Metzger sehe ich jetzt nicht. Er
hat noch wenige Wochen vor der Wahl erklärt, die
Rentenpläne der SPD seien absolut unverantwortlich
und schlicht Unfug.
({11})
Ich sage Ihnen: Der Mann hat recht. Unverantwortlich
ist es, was Sie in diesem Feld machen.
Ich will, um Ihnen die Unvernunft Ihres Beschlusses
darzulegen, gerne aus dem Gutachten des Sachverständigenrates zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
zitieren:
Die neue Regierung sollte dieses Gesetz
- gemeint ist die Rentenreform nicht zurücknehmen, sondern ganz im Gegenteil
den mit der Gesetzesänderung eingeschlagenen
Weg konsequent fortsetzen.
Ansonsten drohe eine immer stärkere Beitragsbelastung,
oder das Rentensystem gerate in Finanzschwierigkeiten.
({12})
Das sagen Ihnen, Herr Riester, alle Fachleute; das sagt
Ihnen Herr Professor Rürup, obwohl er Sozialdemokrat
ist, das sagt Ihnen der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, und das sagt Ihnen auch Ihr grüner
Koalitionspartner, den Sie mit dieser Ökosteuer, die keine ist, an die Leine gelegt haben. Sie müssen es glauben;
denn es ist so. Hören Sie in diesem Bereich auf die
Experten!
({13})
Meine Überzeugung ist - ich nehme Wetten an -:
Kommt es zu einer sogenannten Strukturreform der
Rente in zwei Jahren, dann wird darin ein demographischer Faktor enthalten sein. Dagegen können Sie heute
wettern, soviel Sie wollen - wir werden uns hier wiedersehen.
({14})
Aber die Tatsache, daß Sie wider bessere Einsicht
und wider besseren Rat handeln, bezieht sich ja nicht
nur auf die Rentenfrage. Sie haben im Wahlkampf, um
den Mittelstand einzufangen - man könnte mit Blick auf
Herrn Stollmann auch sagen: um ihn zu täuschen -, viel
auf den Altbundeskanzler Helmut Schmidt und seine
Politik gesetzt. Der Altbundeskanzler hat aber Anfang 1997 einem „Handlungskatalog für Deutschland“,
verfaßt von der SPD-Bundestagsfraktion, ausdrücklich
als richtig hervorgehoben, in dem es unter anderem
heißt, daß es eine „neue Basis für die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall“ geben müsse. - Das war in dem Sinne gemeint, in dem sie von uns, der christlich-liberalen
Koalition, beschlossen wurde. - Des weiteren hat er die
„Anrechnung von Urlaubstagen auf Kuren“ und „höhere
Eigenleistungen bei Arzneimitteln“ gefordert. Was gilt
eigentlich das Wort dieses Altbundeskanzlers in Ihren
Reihen noch? Es ist „just for fun“ und gerade für den
Wahlkampf gut genug.
({15})
Der erwähnte Handlungskatalog wird für die heutige
Gesetzesvorlage besonders interessant:
Der Kündigungsschutz ist so umzugestalten, daß er
für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu einer
Einstellungsbremse für Arbeitslose wird.
Schreiben Sie sich hinter die Ohren, was kluge Leute
aus Ihren Reihen sagen, und handeln Sie danach! Beauftragen Sie doch nicht Ihre Leute mit Aufgaben, die
nachher nirgendwo einen Widerhall finden!
({16})
Das gleiche gilt für die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, die Sie wie eine Monstranz vor sich her
tragen. Die Neuregelung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall hat für die Betriebe eine Entlastung in
Höhe von 20 Milliarden DM gebracht, sie hat uns im
internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger gemacht
und Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Da können
Sie so lange reden, wie Sie wollen. Haben wir mehr Arbeitsplätze in diesem Land oder nicht? Der soziale Frieden ist jedenfalls durch diese Maßnahme nicht gestört.
Der soziale Frieden wird jedoch durch Ihre Einlassung
und durch das, was die Gewerkschaften machen, gestört:
Sie kämpfen für diejenigen, die „drin sind“, und vergessen diejenigen, die „draußen sind“.
({17})
Wir müssen hier ja nicht die Argumente vergangener
Schlachten noch einmal austauschen. Deswegen möchte
ich zu einem nächsten Thema kommen, der Scheinselbständigkeit, die ja mit dem Thema 620-Mark-Jobs vergleichbar ist. In der Analyse des Problems sind wir offensichtlich weitgehend einig: mangelnde Altersabsicherung und mangelnde Krankenversicherung, keine Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften.
Ich sage ganz deutlich, daß in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Aber das, was Sie hier vorlegen,
wird den Ansprüchen in keiner Weise gerecht.
Es geht um den Schutz der tatsächlich abhängig Beschäftigten, es geht darum, Existenzgründer nicht zu behindern, und es geht um Rechtssicherheit für die Betroffenen. Rechtssicherheit ist durch den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu erwarten. Das sage nicht
nur ich Ihnen, das sagen nicht nur wir Ihnen. Das sagt
Ihnen auch der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht, Herr Griebeling, unter anderem für die hier besprochene Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen zuständig. Er hat zu dem von Ihnen vorgelegten Kriterienkatalog ausdrücklich festgestellt, daß „gerade der Bereich der Grauzone zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit nicht erhellt
wird“. Also auch an dieser Stelle sollten Sie vielleicht
einmal mehr nachdenken, bevor Sie mit Konzepten
kommen, die überhaupt nicht weiterhelfen. Ich glaube
nicht, daß Sie hier zu neuen Ergebnissen kommen. Von
Innovation und Rechtssicherheit bei Ihnen keine Spur!
Statt dessen hantieren Sie zu Lasten von Arbeitnehmern
und Arbeitgebern herum. So kann es nicht gehen. Chance vertan, Versprechen gebrochen!
({18})
Es ist übrigens interessant, wenn man sich in diesem
Zusammenhang eine Debatte anschaut, die wir in der
13. Legislaturperiode im Rahmen der ersten Beratung
des von der SPD eingebrachten Entwurfs eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit“ geführt
hatten. Am 27. Februar 1997 bezifferte der ja vielen bekannte Kollege Ottmar Schreiner die finanziellen Ausfälle durch Scheinselbständigkeit auf 10 Milliarden DM
jährlich. In dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf sind
zusätzliche Einnahmen von - na, was schätzen Sie denn
an dieser Stelle? - gerade einmal 0,2 Milliarden DM
eingestellt. Innerhalb von eineinhalb Jahren eine Differenz von 9,8 Milliarden DM. Sie haben nicht nur Probleme mit diesem Gesetz, sondern auch deutliche Probleme mit Adam Riese.
({19})
Zum Schluß möchte ich hier noch einmal eine der
großen „Unglaublichkeiten“ ansprechen, und zwar die
Möglichkeit des „Kaisererlasses“ durch den Arbeitsminister Riester. Worum geht es dabei? Der Arbeitsminister will sich in Zukunft die Möglichkeit geben, durch
Rechtsverordnung die von den Tarifvertragsparteien
vereinbarten Mindestarbeitsbedingungen für aus dem
EU-Ausland entsandte Arbeitnehmer eigenmächtig für
allgemeinverbindlich zu erklären.
({20})
Bisher ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, tarifliche Mindestarbeitsbedingungen zu vereinbaren. Diese
Mindestarbeitsbedingungen können dann von dem paritätisch besetzten Tarifausschuß beim Bundesarbeitsminister für allgemeinverbindlich erklärt werden. Die bisherige Entwicklung hat also gezeigt, daß das Entsendegesetz von den Sozialpartnern angenommen wurde.
In der letzten Legislaturperiode hat dann die SPD
einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsah, für den
Fall des Scheiterns der Allgemeinverbindlichkeitserklärung den Arbeitsminister zu ermächtigen, durch Rechtsverodnung einen Mindestlohn als einheitliches Mindestentgelt festzulegen.
({21})
Noch einmal zur Klarstellung: für den Fall des Scheiterns der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nur Mindestentgelt.
Und was wird uns jetzt beschert, besser gefragt: Was
beschert der Arbeitsminister sich selbst als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk? Der Kaiser, Exzellenz
Arbeitsminister Riester kann durch Verordnung nicht
nur Mindestentgelte, sondern auch Urlaubsdauer und
Urlaubsgeld festsetzen.
({22})
Dazu muß noch nicht einmal ein Verfahren im Tarifausschuß durchgeführt werden. Eine solche Verordnung
soll auch nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. An dieser Stelle muß ich Ihnen, Herr Riester, sagen:
Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, daß ausgerechnet ein Gewerkschafter
wie Sie, der in Tarifverhandlungen erfahren ist, in solcher Art und Weise zur Entmachtung der eigenen Reihen beiträgt. Ich finde das unglaublich!
({23})
Das alles geschieht ohne Grund.
({24})
Das bisherige Verfahren hat sich in der Vergangenheit
bewährt. Ihr Gesetzentwurf schießt weit über das Ziel
hinaus. Die Tarifautonomie steht durch die Verlagerung
von Kompetenzen der Tarifparteien auf die Exekutive
auf dem Spiel.
({25})
Der von Ihnen, Herr Minister, eingeschlagene Weg ist
also auf allen Feldern der falsche.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommt in seinem
jüngsten Gutachten zu dem Urteil - ich zitiere -:
Was sich derzeit im Bereich der Lohnpolitik und
der institutionellen Regelungen des Arbeitsmarktes
abzeichnet, gibt Anlaß zur Sorge.
Nehmen Sie diese Sorge bitte ernst, Herr Riester! Ansonsten wird es in den nächsten vier Jahren schwierig
werden - für Sie und, was noch viel schlimmer ist, für
uns alle.
({26})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich bin froh, daß die neue Regierung schon heute, nach
wenigen Wochen im Amt, diesen Gesetzentwurf hier
einbringt, der einige der gröbsten Fehlentscheidungen
der alten Bundesregierung korrigiert und gerade im Zusammenhang mit der Ökosteuer neue Weichenstellungen
erkennbar macht. Gerade die Absenkung des Rentenbeitrags auf 19,5 Prozent im nächsten Jahr ist eine wirklich gute Nachricht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Nettogehalt sich in den letzten Jahren
immer unzumutbarer vom Bruttogehalt entfernt hat.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns kritisieren - nicht nur heute, sondern auch
schon in den letzten Tagen -, daß wir angeblich alles nur
täten, um die Einnahmen der Sozialversicherung zu
erhöhen,
({0})
dann lassen Sie sich versichern: Niemand von uns hat
vor, sich die Rentenkasse oder die Arbeitslosenversicherungskasse unter den Arm zu klemmen und sich schöne
Jahre auf den Bermudas zu machen. Wir tragen vielmehr
Sorge dafür, daß die Sozialkassen nicht weiter ausbluten, gerade im Interesse derjenigen, die sich nicht allein,
kraft eigener Ellbogen oder Vaters Erbschaft durchsetzen werden, sondern die auf die solidarischen Sicherungssysteme angewiesen sind.
({1})
Aber jenseits der Einnahmeseite, der gerade im Interesse der Solidarität unsere Aufmerksamkeit gelten muß,
geht es hier auch um Strukturentscheidungen, die für
sich stehen und die schon längst überfällig sind. Mit der
Rücknahme der Kürzung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, der Instandsetzung des Kündigungsschutzes, der Rücknahme der Privatisierung des Invaliditätsrisikos bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten, der
Festlegung auf eine Rentenstrukturreform, die die unsteten Erwerbsverläufe besser absichert, dem Einbezug
wenigstens der Scheinselbständigen in die Sozialversicherung und den überfälligen Nachbesserungen beim
Entsendegesetz ist dieses Paket eindeutig ein Schritt hin
zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
({2})
Die haben wir nach 16 Jahren Kohl-Regierung bitter
nötig. Die Maßnahmen der letzten Jahre haben doch
nicht die Arbeitslosigkeit verringert, sondern - im Gegenteil - die Schere zwischen Arm und Reich immer
weiter geöffnet.
Frau Schnieber-Jastram, wo sind denn all die neuen
Arbeitsplätze, die mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes entstehen sollten? Es war doch von einer
halben Million die Rede.
({3})
Wo ist denn das Mehr an Beschäftigung, das die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die
Abschaffung der Vermögensteuer gebracht haben soll?
Ich kann keine neuen Jobs sehen; ich kann aber den
Verlust an sozialer Gerechtigkeit und den Verlust an
Demokratie in Betrieb und Gesellschaft sehen. Ich glaube, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Integration nicht
nur zusammenpaßt, sondern als Leitlinie mit unserer
Politik untrennbar verbunden sein muß.
({4})
Die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
steht geradezu als Symbol für die verfehlte Politik der
Kohl-Ära. Hunderttausende haben auf der Straße protestiert - nicht nur, weil die Betriebe mit Unterstützung
der damaligen Regierung ihre Kosten ausgerechnet auf
dem Rücken der Kranken drücken wollten, sondern weil
die Gewerkschaften der Gesellschaft ein echtes Angebot
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemacht hatten,
nämlich ein Bündnis für Arbeit, das die Kohl-Regierung
aber nicht angenommen hat. Statt dessen hat sie den
Gewerkschaften mit der Kürzung der Lohnfortzahlung
den Stuhl vor die Tür gesetzt.
({5})
Das ist, Frau Schnieber-Jastram, eine Störung des sozialen Friedens. Diese Brüskierung der Gewerkschaften
werden wir mit der Rücknahme dieses Gesetzes vor Einstieg in das neue Bündnis für Arbeit aus der Welt nehmen und damit die Voraussetzungen für Gespräche auf
Augenhöhe schaffen.
({6})
Schließlich müssen wir von dieser Stelle aus - das ist
unsere politische Verantwortung - die bestmöglichen
Rahmenbedingungen für diese Gespräche, für dieses
Bündnis für Arbeit sicherstellen, was eine sehr wichtige, aber sicherlich nicht einfache Veranstaltung ist, zu
der die neue Regierung eingeladen hat, um die gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln - mit dem zentralen Ziel,
die Erwerbslosigkeit zu mindern. Das Bündnis für Arbeit ist kein Verschiebebahnhof für Politikvermeidung.
Zu den Aufgaben der Politik, die sie nicht aufgeben
kann und darf, gehört die Setzung von fairen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. In den letzten Jahren hat die
Arbeitslosigkeit sehr stark zugenommen. Wer noch einen Job hat, arbeitet zum Teil rund um die Uhr. Die Zahl
der nicht abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse, die
die Produktionsspitzen billig und flexibel abfangen, ist
geradezu explodiert.
Die sozialen Sicherungssysteme passen mit der
Lebenswirklichkeit der Menschen nicht mehr zusammen. Mit der Lebenswirklichkeit der Frauen haben sie
allerdings noch nie zusammengepaßt. Eine anständige
Rente erwirbt man nämlich nach wie vor durch 49 Jahre
Arbeit bei 40 Stunden in der Woche im Büro oder in der
Fabrik. Unserem Sozialversicherungssystem liegt immer
noch die sogenannte männliche Normalerwerbsbiographie als Maßstab zugrunde, den zu erreichen für Männer
aber nur deswegen möglich ist, weil Frauen für die
Wechselfälle des Lebens die Verantwortung übernehmen - von der Kindererziehung über Haushalt bis hin
zur Pflege. Im Alter bekommen die Frauen dann mit der
viel zu niedrigen Rente die Rechnung für die Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiographie präsentiert. Deshalb
brauchen wir dringend eine Rentenstrukturreform - die
haben wir uns vorgenommen -, die diese unsteten Erwerbsverläufe besser absichert und die Lebenssituation
von Frauen im Blick hat.
({7})
Eine der ganz zentralen gesellschaftlichen Aufgaben
der nächsten Jahre wird, wenn wir Erfolge gegen die
Erwerbslosigkeit erzielen wollen, die Verkürzung, die
Umverteilung von Arbeit sein.
({8})
Damit können und müssen wir kurzfristig viele Menschen wieder in Lohn und Brot bringen. Wenn wir Arbeitszeit verkürzen wollen, dann brauchen wir auch eine
Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern. Wir müssen nicht nur über ein
geändertes Arbeitszeitgesetz den ordnungspolitischen
Rahmen neu ziehen, sondern das freiwillige Potential
zur Umverteilung von Arbeit mobilisieren.
({9})
- „Planwirtschaft“! Mir bricht das Herz. - Dieses
Potential ist immens. Die alte Bundesregierung ist in
einer Antwort auf eine Große Anfrage der SPD von
2,5 Millionen Menschen ausgegangen, die ihre Arbeitszeit gern verkürzen wollen, dies aber nicht können. Dazu müssen wir denjenigen, die vorübergehend auf Teilzeit gehen wollen, das Recht auf Rückkehr zur Vollzeit
einräumen, damit sie ihre Arbeitszeit verkürzen, und
Teilzeitarbeit für die Rente besser bewerten, ebenso wie
Kinderziehungszeiten. Wir müssen die Übergänge zwischen Phasen längerer und kürzerer Erwerbsarbeit, die
Phasen der Kindererziehung und der Weiterqualifizierung rechtlich und sozial besser absichern. Die Menschen müssen einen echten Entscheidungsspielraum im
Hinblick auf kürzere Arbeitszeiten haben und diesen
auch in ihrem eigenen Interesse demokratisch mitgestalten können.
({10})
Das heißt aber auch, daß jede dauerhafte Beschäftigung in
den Schutz der Sozialversicherung einbezogen werden
muß und daß endlich dem Prozeß, daß immer mehr
Menschen aus der Sozialversicherung herausgedrängt
werden, weil die Arbeitgeber ihren Anteil an der Sozialversicherung nicht bezahlen wollen, Einhalt geboten
werden muß. Diesen Prozeß hat die vorige Regierung
mit ihrer Politik der Deregulierung noch beschleunigt. Sie
war schlicht handlungsunfähig, wenn es darum ging, auch
nur halbwegs vernünftige Rahmenbedingungen zu setzen.
- Ich müßte es vielleicht differenzieren: Die einen
wollten nicht handeln, und die anderen konnten
nicht handeln, weil man aneinandergekettet war. Schauen
wir einmal, was jetzt daraus wird. - Damit hat uns die
alte Bundesregierung ein immenses Problem hinterlassen, das wir mit diesem Gesetzentwurf und mit weiteren
gesetzlichen Regelungen in den nächsten Wochen angehen werden. Scheinselbständigkeit oder Beschäftigung
unterhalb der Sozialversicherungsgrenze ist längst kein
Phänomen mehr am Rande der Gesellschaft, sondern
dieses Phänomen ist massenhaft in deren Mitte zu beobachten. Scheinselbständig sind inzwischen mehr als eine
Million Menschen.
({11})
- Das werde ich gleich noch erklären.
({12})
Die geringfügige Beschäftigung ist nach neuesten
Untersuchungen rasant auf mehr als 5,5 Millionen
angewachsen. Die meisten geringfügig Beschäftigten
sind Frauen. Während die Zahl dieser Mini-Jobs seit
1992 um 25 Prozent zugenommen hat, hat die Anzahl
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um zwei Millionen abgenommen. Folgen
sind zum Beispiel Ausfälle bei der Sozialversicherung, die der DGB auf 15 bis 20 Milliarden DM jährlich schätzt. Das, Frau Schnieber-Jastram, erklärt
vielleicht die Aussage von Ottmar Schreiner, der das
auf das gesamte Volumen der entgangenen Einnahmen der Sozialversicherung durch alle diese Beschäftigungsverhältnisse bezogen hat, die inzwischen aus
der Sozialversicherung herausgedrängt worden sind.
Da liegt er - leider - nur allzu richtig. Aber wir werden das ändern.
Obwohl wir in den nächsten Wochen noch Gelegenheit haben werden, dies genauer zu diskutieren, will ich
zumindest noch kurz die Kriterien nennen, die aus meiner Sicht jeder umfassenden Lösung des Problems der
Beschäftigung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze zugrunde gelegt werden müssen. Dazu gehört zum einen
die Sanierung der Sozialkassen. Zweitens müssen die
Wettbewerbsverzerrungen beendet werden; denn die
Arbeitgeber, die keine Sozialversicherung für ihre Beschäftigten zahlen, können billiger anbieten und haben
so zu allem Überfluß auch noch einen Konkurrenzvorteil
gegenüber denjenigen, die ihre Angestellten regulär absichern. Drittens - aber keineswegs als letztes - geht es
mir um die Interessen der Frauen.
({13})
Sie müssen endlich einen eigenständigen Zugang zur sozialen Absicherung haben - und nicht nur über ihren
Gatten, der ja, wie ich hörte, ab und zu verlorengehen
soll. Wir werden noch Zeit haben, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir am besten weiterkommen, ob in einem Schritt oder in mehreren Schritten.
Sehr geehrte Herren und Damen von der CDU, ich
bin sehr gespannt auf Ihre konkreten Vorschläge zu dieser Frage.
({14})
Ich habe in meinem Büro einen ganzen Stapel von unterschiedlichen Vorschlägen aus Ihren Reihen, die Sie
alleine im Laufe des letzten Jahres der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt haben. Das sind Dokumente Ihrer
Handlungsunfähigkeit. Denn Sie konnten sich, solange
Sie noch Regierungsverantwortung hatten, nicht gegen
die Deregulierer in Ihren eigenen Reihen durchsetzen und erst recht nicht gegen die F.D.P. Jetzt sind Sie nicht
mehr in die Koalitionsdisziplin eingebunden. Wir sind
gespannt, ob - und mit welchen wegweisenden konkreten Vorschlägen - Sie hier im Hause vorhaben, sich mit
den diversen Lobbys anzulegen, oder ob Sie lieber den
Weg des geringsten Widerstandes gehen.
({15})
Wir jedenfalls - das kann ich versprechen - werden
Bewegung in diese von Ihnen absolut unverantwortlich
vernachlässigten Probleme bringen.
Wir legen heute in diesem Gesetzentwurf einen guten
Vorschlag vor, wie wir als ersten Schritt die Scheinselbständigen wieder in die Sozialversicherung einbeziehen
werden.
({16})
Ich will versuchen - Frau Schwaetzer hatte mich darum
gebeten - dieses Problem einmal konkret greifbar zu machen. Wenn ein Arbeitgeber seinem Transportfahrer einen
Bulli verkauft, ihn verpflichtet, zukünftig Vertretung für
Urlaub und Krankheit selbst zu organisieren und zu bezahlen, ihn dann als Arbeitnehmer entläßt und als Unternehmer unter Vertrag nimmt, dann ist der Arbeitgeber die
Kosten für die Sozialversicherung los. Er entzieht sich
seiner sozialen Mitverantwortung und bürdet die Risiken
von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter allein dem Arbeitnehmer auf. Solange der „worst case“ nicht eintritt,
der Mensch jung und fit ist, gibt es nicht sofort ein Problem. Aber da beim Paketdienst meines Wissens niemand
so gut bezahlt wird wie im Profifußball, ist der gemütliche
Lebensabend mit der individuellen Vorsorge leider unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher ist der gemütliche Lebensabend für diejenige Frau, die jahrelang in
einem 620- bzw. 520-Mark-Job gearbeitet hat.
({17})
Gemeinsam haben diese prekären Jobs: Das Leben
und Arbeiten bleibt unsicher, die Menschen bleiben erpreßbar, fast jeder Anforderung durch den Arbeitgeber
ausgeliefert. Es gilt der ungebremste Zugriff des Chefs
auf die Lebensstruktur des Arbeitnehmers und der Arbeitnehmerin, die ihrerseits keine Wahlmöglichkeiten zum Beispiel in Form demokratischer Mitbestimmung bei der Lage und Dauer von Arbeitszeiten besitzen. Hier
kann oft auch der Betriebsrat nicht mehr helfen, zumal
der bei der Ausgründung aus der Ausgründung meist als
erstes unterwegs verlorengeht. Kaum einer dieser Jobs
ist sozialversichert. Um die Abgaben zu sparen, wird die
Sozialversicherungspflicht umgangen - nach Möglichkeiten dazu mußte bislang kein Arbeitgeber lange suchen.
Der Transportfahrer beim Paketdienst ist nur ein Beispiel für die immer größer werdende Gruppe der
Scheinselbständigen. Andere sind Fahrradkuriere, Versicherungskaufleute, Kellnerinnen, Ein-Mann-Subunternehmen im Baugewerbe oder - auch das gibt es inzwischen - selbständige Regalauffüllerinnen im Handel.
Diese Art der Selbständigkeit hat für die Betroffenen
überhaupt nichts mehr gemein mit einem größeren, unabhängigen, also - im eigentlichen Sinne des Wortes selbständigen Entscheidungsspielraum. Im Gegenteil,
Sie haben nichts dazugewonnen, sondern etwas Wesentliches verloren, nämlich ihre soziale Absicherung. Wenn
sie jetzt abstürzen, dann ohne Netz, direkt in die Sozialhilfe. Der Arbeitgeber entledigt sich der Kosten für die
Sozialversicherung, und zahlen muß letztlich die Allgemeinheit. Das war die „neue Kultur der Selbständigkeit“
nach Kohlscher Machart. Ich halte das eher für einen
Schritt zurück in den Frühkapitalismus, zurück zu den
sozialen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts.
Unser Gesetzentwurf legt jetzt Kriterien fest, nach
denen sich entscheiden läßt, ob der Betreffende wirklich
oder nur scheinbar selbständig ist: ob er oder sie überhaupt am Markt auftritt, nur für einen Auftraggeber tätig
ist, für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbringt,
überhaupt Angestellte hat. Wenn mehrere dieser Kriterien zutreffen, dann ist zu vermuten, daß es sich um abhängig Beschäftigte handelt. Natürlich wird diese Abgrenzung nicht immer ganz einfach sein, gerade in Anbetracht der riesengroßen Versäumnisse der letzten Jahre. Aber sie ist ein echter Fortschritt, der für viele, die
jetzt aus den sozialen Absicherungen herausgedrückt
worden sind, den Weg in die Sozialversicherung wieder
eröffnet und die weitere Ausdehnung von Scheinselbständigkeit endlich stoppt.
Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen, der in
diesem Gesetzentwurf geregelt wird: Das Entsendegesetz wird endlich nachgebessert. In der letzten Legislaturperiode hat uns die fürchterliche Situation auf den
Baustellen immer wieder beschäftigt. Die gesetzliche
Regelung, die die alte Bundesregierung getroffen hat,
war schlicht halbgar und zeigte deutlich die Auseinandersetzung mit den Deregulierern in den eigenen Reihen, die eigentlich überhaupt keine Regelung wollten,
sondern die Baustellen als Experimentierfeld für Lohnund Sozialdumping im freien Fall benutzen wollten.
Herausgekommen ist dann ein Gesetz nach dem Motto:
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Es
war befristet auf zwei Jahre, ohne auch nur halbwegs
angemessene Sanktionsmöglichkeiten gegenüber denjenigen zu schaffen, die Leute zu unsäglichen Bedingungen am Bau ausbeuten, ohne Konfliktregelungsmechanismus, der in Kraft hätte treten können, wenn sich denn
jemand - wie letztlich die Bundesvereinigung der Arbeitgeber - querstellt. Das werden wir mit diesem Gesetz ändern, und das müssen wir auch ändern. Denn
nicht durch dieses neue Entsendegesetz, sondern ohne
ein wirksames Entsendegesetz, das gleichen Lohn für
gleiche Arbeit durchsetzt, nimmt die Tarifautonomie erheblichen Schaden.
({18})
Gerade in der Bauwirtschaft hat illegale Beschäftigung unglaubliche Ausmaße erreicht. Die Razzien auf
den Baustellen fördern die Mißstände - und bei weitem
nicht alle - nur zutage, sie ändern sie nicht. In der Praxis
richten sich die Razzien gegen die Leute, die sich unmittelbar auf der Baustelle aufhalten. Sie sind aber die
Opfer, nicht die Täter.
({19})
Sie zahlen oft einen hohen Preis - bis hin zur Ausweisung oder Abschiebung. Mit den Razzien erwischt man
nicht diejenigen, die sich an diesen armen Leuten eine
goldene Nase verdienen und sich, wenn die einen weg
sind, eben die nächsten holen, mit denselben falschen
Versprechungen. Aber eben diese üblen Praktiken sind
es, die es zu unterbinden gilt.
Daran sind übrigens keineswegs nur ausländische
Firmen oder kleine unbekannte Firmen beteiligt, sondern
auch die großen Konzerne der Baubranche. Die Spuren
illegaler Beschäftigung oder Beschäftigung weit unterhalb des Mindestlohns verwischen sich im Moment im
unübersichtlichen Feld von Sub- oder Subsubunternehmen, an die Aufträge weitergegeben werden. Zur Zeit
kann der Unternehmer sich gefahrlos mit den entsprechenden Versicherungen des Subunternehmers zufriedengeben, wohlwissend, daß die angebotenen Preise mit
vernünftigen Arbeitsbedingungen oder Sozialversicherungspflicht gar nicht zu halten wären. Deswegen brauchen wir dringend die Durchgriffshaftung für den Generalunternehmer und wirksame Sanktionsmöglichkeiten,
die wir - genau wie die IG BAU, die SPD und die PDS
- immer schon im Entsendegesetz verankert sehen
wollten. Ich denke, das ist lange überfällig.
Wir werden die katastrophale Situation am Bau endlich ändern; denn so, wie die Menschen am Bau gegeneinander ausgespielt werden, mit Unterbietungskonkurrenz und regelrechtem Menschenhandel, entstehen nationale Ressentiments - die werden gefördert -, aber es
entsteht kein weltoffenes Europa, das wir dringend
brauchen.
({20})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat die Kollegin Frau Dr. Irmgard
Schwaetzer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung gibt in seinem jüngsten Gutachten dem
Kapitel zur Sozialpolitik die Überschrift „Am Grundsatz
der Fairneß orientieren“. Mit der Vorlage dieses Gesetzes, meine Damen und Herren von der SPD und den
Grünen, machen Sie klar, daß für Sie fair nur das ist,
was früher existierte. Viele von Ihnen - aber das sind
wahrscheinlich diejenigen, die heute hier nicht im Saal
sitzen - wissen, daß Sie damit nicht durchkommen.
Auch Sie werden sich vor der Frage nicht herumdrücken
können, welche soziale Sicherung für welche Risiken in
der Zukunft überhaupt noch möglich ist.
({0})
Wir haben unsere Vorschläge zur Fortschreibung
der sozialen Sicherung schon gemacht. Ich will auch
überhaupt keinen Zweifel daran lassen, daß es für eine
freiheitliche Gesellschaft unabdingbar ist, daß der einzelne gegen individuell nicht tragbare Risiken abgesichert ist.
({1})
Darüber gibt es keine Diskussion, daran gibt es keinen
Zweifel. Aber heute zu suggerieren, das, was es noch
vor zwei, drei Jahren gegeben hat, sei auch in drei, vier
Jahren noch zu finanzieren, das ist eine Illusion, meine
Damen und Herren, mit der Sie der sozialpolitischen
Diskussion in Deutschland schaden.
({2})
Herr Riester, ich muß Ihnen sagen: Nicht wir, die wir
in den vergangenen Jahren versucht haben, diese Diskussion anzustoßen, haben dem sozialpolitischen Klima
geschadet, sondern diejenigen, die sich dieser Diskussion verweigert haben.
({3})
In der SPD gibt es genügend Leute, die nichts anderes
gemacht haben, als zu blockieren. Sie haben in der Tat
die Zukunft nicht zugelassen. Das werden Sie in der
nächsten Zeit ganz sicherlich noch bitter büßen.
Was Sie vorgelegt haben - da kann ich nun wirklich
manche Reden, die heute morgen auch in der Ökosteuerdebatte gehalten worden sind, überhaupt nicht nachvollziehen -, ist doch nichts anderes als eine Umschichtung. Die Belastung von Arbeitsplätzen wird doch nicht
dadurch geringer, daß man zwar die Rentenbeiträge
senkt, aber zusätzlich eine Ökosteuer erhebt. Das kann
es doch nicht sein; das ist eine schlichte Umfinanzierung, aber keine Zukunftsgestaltung.
({4})
Gerade in der Rentenversicherung muß ein angemessener Belastungsausgleich zwischen jung und alt erfolgen. Das wissen Sie, Herr Bundesarbeitsminister, ganz
genau. Gehandelt haben Sie aber noch nicht danach. Ich
finde es sehr bedauerlich, daß diese neue Koalition
überhaupt keine Konzepte auf den Tisch legt, wie sie die
Probleme der sozialen Sicherung bewältigen will.
({5})
Alles muß jetzt erst neu erarbeitet werden. Dadurch geht
wertvolle Zeit verloren, die wir dringend nutzen müßten.
Die Einschnitte, die Sie verantworten müssen, werden
hinterher nur um so größer ausfallen, weil Sie die Zeit
nicht nutzen, alles zurückdrehen und neue Belastungen
aufbauen.
Es ist daher falsch, die Rücknahme unserer Reformentscheidungen zu beschließen. Herr Riester, allein an
der Tatsache, daß Sie den Demographiefaktor in der
Rentenversicherung nur aussetzen, wird deutlich, daß
Ihnen klar ist, daß Sie in spätestens anderthalb Jahren
fast exakt die gleichen Vorschläge, vielleicht mit Unterschieden hinter dem Komma, wieder vorlegen müssen.
({6})
Sie wissen nämlich ganz genau, daß die andere, bei den
Gewerkschaften existierende Idee, einen Tariffonds aufzubauen, die Probleme nicht lösen kann.
Es ist fatal, daß nun zwei Jahre verlorengehen, in denen die Illusion genährt wird, es könne alles so weitergehen wie bisher. Diese Entwicklung ist fatal für alte
Menschen und auch für junge Beitragszahler, die mehr
und mehr das Interesse an der Rentenversicherung verlieren. Ich kann deshalb Bodo Hombach gut verstehen,
der - Sie haben es sicherlich heute in der „FAZ“ gelesen - zur Debatte um die Rentenpolitik sagt - Zitat -:
„Da verzweifle ich an meiner eigenen Partei.“
({7})
- Recht hat er.
Die Frage bleibt: Wann läßt die SPD endlich von ihren Illusionen ab und begibt sich auf den Boden der Tatsachen? Wenn Sie das tun, werden Sie in uns konstruktive Dialogpartner finden. Ich glaube, daß wir mit konkreten Vorstellungen zur Umstrukturierung und sozialen
Absicherung der Menschen im Alter, also der eigenständigen Alterssicherung für Männer und Frauen, ein ganzes Stück weiter sind.
Wie sehr Sie ausschließlich die Auffüllung der Kassen der sozialen Sicherungssysteme im Blick haben,
zeigt die vorgesehene Einführung der Sozialversicherungspflicht für sogenannte Scheinselbständige. Ich
will mich überhaupt nicht auf die Diskussion über die
Definition dieses Begriffs einlassen. Ich möchte Sie nur
folgendes fragen: Was machen Sie eigentlich mit der
selbständig gewordenen Frau - diese Regelung betrifft
im wesentlichen Frauen, weil sie weniger Kredite aufnehmen -, die am Anfang ihrer Selbständigkeit nur
einen Kunden hat? Dieser Frau müßte nach Ihrer Definition der Status der Selbständigkeit sofort entzogen
werden und damit die Chance auf eigenverantwortliche
Lebensgestaltung.
({8})
Was machen Sie auf der anderen Seite mit dem Beleuchter, der für fünf Tochterfirmen beispielsweise von
RTL, SAT 1, ZDF oder ARD arbeitet - wohl wissend,
daß alle fünf Firmen Tochterfirmen eines einzigen Konzernes sind? Weil er Rechnungen an fünf Firmen ausstellt, die in Wirklichkeit nur eine Firma sind, fällt er
unter Ihre Definition der Selbständigkeit. Er würde aber
die soziale Sicherung benötigen. All das trägt zu einer
Schieflage bei.
({9})
Es war schon entlarvend, daß Bundeskanzler Schröder
gestern in der Debatte um die 620-Mark-Arbeitsverhältnisse als erstes darauf hinwies, daß nun wieder
eine solide Einnahmengrundlage für die sozialen SiDr. Irmgard Schwaetzer
cherungssysteme gegeben sei. Wenn das der ganze Zirkus um die 620-Mark-Verträge ist, dann hätten Sie es
besser bei der jetzigen Regelung belassen sollen; der
Finanzminister hätte einen Scheck genommen und ihn
gleich der Sozialversicherung gegeben.
({10})
Damit erreichen Sie keine zusätzliche Absicherung
von Frauen, obwohl die Debatte unter diesem Gesichtspunkt geführt wurde, was schwierig für uns war. Sie
verhindern nicht einmal den Mißbrauch, weil in der Zukunft natürlich die Stückelung der Arbeitsverträge erfolgt, um Steuern zu vermeiden.
({11})
Der Anreiz ist exakt derselbe. Früher wurden die Sozialversicherungsbeiträge vermieden, jetzt werden die
Steuern vermieden. Nebenbei geben Sie noch den
Halbteilungsgrundsatz auf, was Sie uns im Rahmen unserer Vorschläge hinsichtlich der Krankenversicherung
immer vorgeworfen haben. Also, das sind schon wirklich tolle Sachen.
({12})
- Darüber unterhalten wir uns noch alle in der Anhörung.
Verblüffung löst beim Studium des vorliegenden Gesetzentwurfs aus, daß ausgerechnet Sie, Herr Riester, der
Sie doch aus den Gewerkschaften kommen, so in die
Tarifautonomie eingreifen wollen.
({13})
Es hilft doch kein Drumherumreden. Sie wollen sich
selbst ermächtigen, ohne Antrag der Tarifvertragsparteien
und ohne Zustimmung des Bundesrates Allgemeinverbindlichkeitserklärungen auszusprechen, und zwar nicht
nur für Mindestlöhne, nein, für ganze Lohnstrukturen,
für ganze Tarifgefüge. Das geht weit über das hinaus,
was früher überhaupt nur angedacht worden ist.
Einer von uns hätte einmal auf die Idee kommen sollen,
so etwas vorzuschlagen. Welches Geschrei das bei Ihnen
ausgelöst hätte, kann ich mir gut vorstellen.
({14})
Das wollen Sie, Herr Riester, nun alles machen. Ich
möchte gern wissen, ob der Vorsitzende der Gewerkschaft Bauen - Agrar - Umwelt, Herr Wiesehügel, der ja
nun diesem Hause angehört, dem zustimmen kann.
Wenn er das tut, dann kann ich mich wirklich nur wundern, wie sehr die Gewerkschaften vor dieser Regierung
zu Kreuze kriechen.
({15})
Es war zu erwarten, daß Sie die zeitliche Befristung
des Entsendegesetzes aufheben würden. Wir sind uns
auch darin einig, daß illegale Beschäftigung bekämpft
werden muß. Das, was Sie vorsehen, wird - deswegen
bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken -, katastrophale Auswirkungen für mittelständische Betriebe
haben, die ja Gott sei Dank nicht alle illegale Subunternehmer sind. Es gibt in Deutschland glücklicherweise
noch eine Menge Subunternehmer mehr, die legal arbeiten, als solche, die illegal arbeiten.
({16})
Ihre Generalunternehmerhaftung führt zu nichts anderem, als daß die Bezahlung zurückgehalten wird - bis
zum Konkurs -, und darunter leiden mittelständische
Unternehmen. Nein, meine Damen und Herren, darüber
sollten Sie noch einmal nachdenken.
Ich freue mich auf die Anhörung. Vielleicht gibt es
dann ja doch noch ein wenig Einsicht bei Ihnen.
Danke.
({17})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Frau Dr. Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das läßt ja für die
nächsten Wochen eine spannende Debatte im Ausschuß
und bei den diversen Anhörungen, die uns noch bevorstehen, erwarten.
Viele Korrekturen einer falschen Politik der KohlRegierung, die mit diesem Gesetzentwurf auf dem Tisch
liegen, werden wir von der PDS unterstützen, auch wenn
uns mancher Schritt zu kurz gerät. Vor allem werden wir
mit dafür sorgen, daß die Menschen nicht mehr ihr
Portemonnaie zuhalten, wenn sie etwas von Reformen
hören, sondern daß sie in dieser Gesellschaft wieder erleben können, daß wirkliche Reformen ihre Lebens- und
Arbeitssituation verbessern, die Zukunft sichern und die
Demokratie fördern.
({0})
Mit dieser Meßlatte werden wir auch an die einzelnen
vorgelegten Initiativen Ihres Gesetzentwurfs herangehen.
Bevor ich auf den Gesetzentwurf im einzelnen eingehe, möchte ich gern eine Vorbemerkung zu einem
Punkt machen, der mich in dieser Diskussion von seiten
der Koalitionsfraktionen zunehmend irritiert. Ich verstehe nicht, daß Sie bei allem, was Sie hier auf den Tisch
legen und was Sie anpacken, dem Fetisch der zu hohen
Lohnnebenkosten hinterherlaufen. Die vielfältigen
Versuche Ihrer Vorgängerregierung, Arbeit billiger zu
machen, haben wir doch gemeinsam regelmäßig als beschäftigungspolitische Flops angesehen. Daraus ist kein
einziger zusätzlicher Arbeitsplatz entstanden, aber viel
Verlust an sozialer Gerechtigkeit. Warum, bitte, sehen
Sie das heute ganz anders, nur weil Sie in der Regierung
sind? Das geht in meinen Kopf nicht hinein.
({1})
Wenn der Minister hier von Umbrüchen in der Arbeitsgesellschaft und von Strukturwandel spricht, dann
weiß er doch auch, daß dem mit der Senkung der Lohnnebenkosten nicht beizukommen ist. Ich brauche mir
jetzt zwar nicht Ihren Kopf zu zerbrechen, aber ich muß
einfach feststellen: Diese Fixierung auf die Lohnnebenkosten erschwert nicht nur den sozialen, sondern - wie
wir heute morgen gehört haben - auch den ökologischen
Umbau, wenn sie ihn nicht gar unmöglich macht.
Nun zu dem Gesetz im einzelnen: Natürlich teilen wir
Ihre Auffassung, daß insbesondere die Absenkung des
Rentenniveaus im sogenannten Rentenreformgesetz
1999 einer dringenden Korrektur bedarf. Wir hätten es
gerne gesehen, wenn dies nicht ausgesetzt, sondern
schon endgültig so beschlossen worden wäre. Wir teilen
alle Ihre Vorschläge hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeitsrente und auch die Rücknahme des Renteneintrittsalters für Schwerbehinderte. Wir kritisieren nach wie
vor, daß Sie nicht auch sofort die Erhöhung des Rentenalters für Frauen zurückgenommen haben. Das leuchtet
uns überhaupt nicht ein. Das wäre nämlich eine frauenfreundliche Maßnahme.
({2})
Das gleiche gilt für die Verkürzung der Anrechnungszeiten für Ausbildung. Auch von diesen Maßnahmen
sind vor allen Dingen die Frauen betroffen.
Die von Ihrer Seite vorgeschlagenen Maßnahmen zur
Entlastung der Rentenkassen halten wir durchaus für
richtig. Eine Verbesserung der Einnahmenseite der
Rentenversicherung - das will ich ganz generell sagen wird sich in dem Maße einstellen, wie es gelingt, den
Ausstieg aus dem Solidarsystem zu stoppen, der durch
Scheinselbständigkeit und andere versicherungsfreie Beschäftigungen in den letzten Jahren millionenfach stattgefunden hat.
In diesem Zusammenhang, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung
zu dem gestrigen Überraschungscoup von Gerhard
Schröder. Natürlich begrüßen wir die längst fällige Anpassung der Obergrenze der prekären Beschäftigungsverhältnisse im Osten an die im Westen gültige Grenze
von 620 DM, obwohl wir die Gefahr sehen, daß damit
ein Tor geöffnet und ein weiterer Ausstieg aus den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen vorbereitet wird. Ansonsten hat der Vorstoß Gerhard
Schröders, wie ich glaube, auch manchen Kolleginnen
und Kollegen in den Koalitionsfraktionen die Schuhe
ausgezogen. Auch so kann man die Rentenkassen sanieren, aber das ist ein höchst unüblicher Weg. Ich glaube,
so etwas hat es in der Tat in diesem Lande noch nicht
gegeben: Man kassiert Sozialversicherungsbeiträge,
ohne daß daraus Leistungsansprüche entstehen. Das ist
wirklich ein Patent.
({3})
Für die Arbeitgeber ist es ein Nullsummenspiel; die
mittelständischen Unternehmen haben Ihnen ja auch
schon ihren Dank dafür ausgesprochen. Die Millionen
Frauen allerdings lassen Sie im Regen stehen. Ihnen nur
Schutz vor Krankheit und im Alter einzuräumen, wenn
sie von ihrem Minieinkommen noch zusätzliche Versicherungsbeiträge bezahlen, halte ich in der Tat für eine
jämmerliche Idee. Dadurch wird das von Ihnen formulierte richtige Prinzip, jede bezahlte Arbeitsstunde versicherungspflichtig zu machen, in eine unsoziale und zudem zutiefst frauenfeindliche Maßnahme verkehrt.
({4})
Daran werden wir uns nicht beteiligen. Wir hoffen sehr,
daß wir während der künftigen Beratungen noch Nachbesserungen erleben, wie sie auch die Gewerkschaften,
wie ich finde, ein bißchen handzahm fordern. Da hätte
ich mir mehr Protest erhofft.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aushöhlung des
Solidarprinzips und der Arbeitnehmerrechte durch
Scheinselbständigkeit endlich zu stoppen ist auch uns
ein wichtiges Anliegen. In den zuvor schon durchgeführten Anhörungen haben wir uns oft von Betroffenen
sagen lassen müssen, in welch entsetzliche Arbeits- und
Lebenssituation sie diese scheinbare Selbständigkeit gebracht hat. Wir hoffen auf eine schnelle Lösung, an der
wir uns auch gerne beteiligen wollen.
Auch bei der Wiederherstellung der sozialen Kriterien im Kündigungsschutzrecht und bei der Wiedereinführung der hundertprozentigen Lohnfortzahlung können
Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Natürlich hat die
Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall den
Unternehmen Einsparungen in Höhe von 20 Milliarden
DM gebracht. Aber mit welchem Erfolg? Kein Arbeitsplatz ist daraus entstanden. Die Gewinnmargen sind gestiegen. Es war ein einziger beschäftigungspolitischer
Flop. Darin waren sich zumindest die ehemaligen Oppositionsparteien immer einig.
({6})
Auch die Reform des Entsendegesetzes findet unsere
Zustimmung. Sie ist ein wichtiger Schritt dahin, ausländische Arbeiter vor Lohn- und Sozialdumping auf dem
Bau und endlich auch im Baunebengewerbe zu schützen.
({7})
Daß Vereinbarungen nicht nur über die Höhe des Mindestlohnes, sondern auch über die des Tariflohnes abgeschlossen werden können, halten wir ebenso für den
richtigen Weg.
Über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung werden
wir noch trefflich streiten. Ich unterstütze das, was die
Regierung hierzu vorschlägt, weil ich mich noch gut an
die letzten Auseinandersetzungen um den Tarifvertrag in
der Bauwirtschaft erinnere, wobei durch die Bockbeinigkeit der Unternehmensvertreter im Tarifausschuß der
Abschluß des Tarifvertrages um Monate hinausgezögert
wurde - gegen den Willen von Gewerkschaft und Bauwirtschaft. Das müssen wir zukünftig verhindern.
Es gibt ungelöste Probleme - Frau Buntenbach hat sie
angesprochen -, was die Abschiebung nach Razzien angeht. Wir brauchen hier eine europäische Lösung, damit
die Betroffenen endlich auch als Zeugen im Rahmen
von Verfahren gegen die Unternehmen zur Verfügung
stehen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus allem, was ich
bisher gesagt habe, können Sie erkennen, daß die PDS
eine Menge mit dem anfangen kann, was Sie in Ihrem
Gesetzentwurf aufgeschrieben haben. Kritik haben wir
allerdings an dem, was Sie bisher nicht aufgeschrieben
haben -, trotz Ihrer Wahlversprechungen.
({8})
So ist uns im Koalitionsvertrag und in der Regierungserklärung aufgefallen, daß Sie zwar mit einer Korrektur
der fatalen Fehlentscheidungen in den Bereichen der Sozialversicherung und der Arbeitnehmerrechte beginnen
wollen, jedoch nichts darüber sagen, wie Sie es zukünftig mit den Leistungen und Rechten für Arbeitslose halten wollen. Was Sie dazu sagen - das muß ich ganz offen feststellen -, macht einen nicht besonders froh.
Wir halten die Leistungskürzungen der letzten Jahre
und auch andere Zwangsmaßnahmen zum Beispiel im
SGB III für unakzeptabel. Deshalb haben wir heute
unseren Entwurf eines Arbeitslosenhilfe-Korrekturgesetzes auf den Tisch gelegt. Damit wollen wir erreichen, daß die Absenkung der Bemessungsgrundlage für
die Arbeitslosenhilfe gestoppt und damit nicht nur eine
soziale Regelung für die Betroffenen geschaffen wird,
sondern auch die Kommunen nicht weiter zusätzlich mit
Sozialhilfekosten belastet werden.
Mit einem zweiten Gesetzentwurf, den wir heute
vorlegen, wollen wir verhindern, daß ab 1. Januar 1999
die Sonn- und Feiertagsruhe und damit unser gummiweiches Arbeitszeitgesetz noch weiter ausgehöhlt wird.
Wir wollen die Feiertagsruhe erhalten - nicht nur im
Interesse der Beschäftigten in Banken und Kreditanstalten, die rund um die Uhr arbeiten sollen, damit der Rubel rollt, sondern auch deshalb, weil wir die Feiertagsruhe für einen kulturellen Wert unserer Gesellschaft halten
({9})
und der Auffassung sind, daß familiäres Miteinander
und soziale Gemeinschaft zu schützen auch eine Aufgabe der Politik im Kampf gegen eine „Rund-um-die-UhrGesellschaft“ ist. Der Lösung dieser Aufgabe wollen wir
uns stellen.
Ganz zum Schluß lassen Sie mich noch feststellen:
Der Winter steht unverkennbar und erlebbar für alle vor
der Tür. Wir wollen, daß sich das Heuern und Feuern
auf den Baustellen in diesem Winter nicht wiederholt.
({10})
Deshalb haben wir heute unseren Gesetzentwurf zur
Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes vorgelegt. Durch die Kosten für die arbeitslosen Bauarbeiter
wurde die Bundesanstalt für Arbeit 1997 stärker belastet, als wenn sie, wie früher, Schlechtwettergeld gezahlt
hätte.
Weil das so ist, wollen wir, daß das Gesetz noch zum
1. Januar 1999 in Kraft tritt, damit wenigstens ab dann
Zehntausende am Bau eine Chance auf Weiterbeschäftigung haben und nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen
werden, wie das in den letzten Jahren zuhauf passiert ist.
Frau Kollegin, ich
muß Sie jetzt bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zu
meinem letzten Satz. - Die PDS will diese schnelle Lösung, weil sie erstens Kosten sparen will und weil sie
zweitens - das ist uns noch wichtiger - wieder mehr sozialen Frieden auf den Baustellen erreichen will. Wir
hoffen dabei auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat für die
SPD-Fraktion Frau Kollegin Angelika Krüger-Leißner.
Herr Präsident!
Meine verehrten Damen und Herren! Ich freue mich
nicht nur darüber, heute hier zum erstenmal sprechen zu
dürfen, sondern auch darüber, Anteil daran zu haben,
daß wir, die beiden Koalitionsfraktionen, einen Gesetzentwurf einbringen, der die erheblichen Einschnitte und
faktischen Verschlechterungen im Rentenrecht korrigieren wird.
({0})
Und damit halte ich auch ganz persönlich Wort vor meinen Wählerinnen und Wählern. Ich sage Ihnen: Das ist
ein gutes Gefühl, und das entspricht meiner Auffassung
von glaubwürdiger und transparenter Politik.
({1})
Wir haben im Wahlkampf nicht zuviel versprochen,
vor allen Dingen nichts Falsches, und wir tun jetzt, was
wir gesagt haben.
({2})
Ich möchte Sie daran erinnern, daß die Kolleginnen
und Kollegen der SPD-Fraktion bereits in der Debatte
zum Rentenreformgesetz im Oktober 1997 hier in diesem Hause klar und deutlich gesagt haben, daß die ab
1. Januar 1999 geplante Absenkung des Rentenniveaus,
die real eine Kürzung der Rente ausmachen wird,
({3})
und die schwerwiegenden Eingriffe bei den Berufs- und
Erwerbsunfähigkeitsrenten sowie die Anhebung der Altersgrenze für Schwerbehinderte letztlich schwere Einschnitte in das Rentenversicherungsrecht bedeuten und
nicht hinnehmbar sind. Sie sind vor allem nicht
hinnehmbar für diejenigen, die bereits Renten beziehen
und darauf vertraut haben, daß sie mit ihren über Jahrzehnte erworbenen Ansprüchen selbständig und in Würde diesen Lebensabschnitt gestalten können.
({4})
Auch in den neuen Ländern haben die Menschen die
von der früheren Regierung geplanten Rentenkürzungen
mit großer Besorgnis verfolgt. Bei den Wahlen haben sie
daraus die richtigen Schlußfolgerungen gezogen und mit
der alten Koalition auch die alte Rentenpolitik abgewählt.
({5})
Heute bringen wir, die neue Mehrheit, das Korrekturgesetz ein, mit dem der Wechsel zu einer zukunftsfähigen Rentenpolitik eingeleitet wird.
({6})
Darauf können sich die alten und die jungen Menschen
gerade in den neuen Ländern verlassen.
({7})
Auch die waren besorgt.
Durch meine bisherige Tätigkeit auf kommunaler
Ebene war ich den Sorgen und Nöten der Menschen sehr
nahe. Natürlich konnte ich auch feststellen, daß ein großer Teil der heutigen Rentner in Ostdeutschland eine
relativ zufriedenstellende Altersversorgung hat, wenn
man allein die gesetzlichen Renten betrachtet. Grund dafür sind - das wissen Sie alle hier - die hohe Erwerbsquote bei Männern und Frauen in der Vergangenheit und
das Fehlen von Arbeitslosigkeit zu DDR-Zeiten.
({8})
Trotzdem gab es bei unseren Mitbürgern Ängste um die
Zukunft ihrer Altersversorgung, wenn sie die Gesetzgebung von CDU/CSU und F.D.P. verfolgten, durch die
das Rentenniveau gesenkt und die Sicherung vor dem
Risiko der Erwerbsunfähigkeit ausgehöhlt werden sollten.
Dies wird beendet. Die erste Lesung unseres Korrekturgesetzes ist der erste Schritt zur Einlösung unserer
Zusagen vor der Wahl. Weitere Schritte werden folgen.
({9})
Die heutige Opposition hat die reale Rentenkürzung
durch Niveauabsenkung mit dem Hinweis verniedlicht,
die Haushalte verfügten ja in erheblichem Umfang über
weitere Einkommensquellen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?
({0})
- Ja, das ist die erste Rede, und ich kann Ihnen, Frau
Kollegin, schon jetzt dazu gratulieren. Das aber hindert
die Kollegen des Hauses nicht, eine freundliche Zwischenfrage zu stellen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. - Von wem
kommt denn die freundliche Zwischenfrage?
Bitte.
Von mir. - Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nicht gewußt, daß es Ihre erste
Rede ist. Vielleicht könnten Sie mir aber trotzdem eine
Frage beantworten.
Frau Kollegin, Sie sprachen davon, daß die Unsicherheit in bezug auf die Erwerbsminderungsrente beendet
wird. Warum sagen Sie dann aber nicht, daß die Erwerbsminderungsrente, die eine ziemliche Katastrophe
ist, wenn es nur noch bei der abstrakten Betrachtungsweise bleibt, gar nicht erst eingeführt wird? Sie wollen
die Regelung ja nur verschieben.
Ich gehe davon
aus, die Regelung der Erwerbsunfähigkeitsrente - das
haben Sie, so glaube ich, auch in dem Entwurf gelesen wird in ein komplexes Rentenstrukturreformgesetz eingebunden. Dafür brauchen wir etwas Zeit.
({0})
Ich komme jetzt zu meinem ursprünglichen Gedanken zurück. Ich habe davon gesprochen, daß die Hinweise der Vertreter der Oppositionsparteien in die
Richtung gingen, daß man mit dieser Niveauabsenkung
ja leben könne, weil es noch weitere Einkommensquellen gebe. Genannt hatten Sie Betriebsrenten, Einkünfte
aus Mieten oder auch private Lebensversicherungen.
Dies alles gibt es jedoch überwiegend nur in den alten
Ländern. Die Männer und Frauen über 65 in den neuen
Bundesländern haben als einzige Einkommensquelle die
gesetzliche Rentenversicherung. 99 Prozent dieses Personenkreises leben von ihrer Rente.
({1})
Der Kaufkraftverlust durch die fortlaufende Niveauabsenkung kann daher nicht durch andere Quellen ausgeglichen werden. Um so mehr empört es die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner, wenn insbesondere die
CSU immer wieder die Abkoppelung der Renten von
der Lohnentwicklung in Ostdeutschland verlangt. Ich
sage Ihnen ganz deutlich: Das ist unanständig, und wir
weisen das zurück.
({2})
Für die SPD bleibt es dabei: Die Renten folgen den
Nettolöhnen. Solange der Anpassungsprozeß bei den
Löhnen in Ostdeutschland noch anhält, müssen die
Renten auch der ostdeutschen Lohnentwicklung folgen.
Ich räume ein, daß die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge in den neuen Ländern zum Teil über den
Zahlbeträgen in den alten Ländern liegen. Bei vergleichbarem Versicherungsverlauf ergibt sich aber nach
wie vor ein deutlicher Abstand zwischen den sogenannten Eckrenten im Westen und denen im Osten. Die Eckrente Ost erreicht gut 85 Prozent der Eckrente West; in
absoluten Zahlen ausgedrückt sind das 1694 DM gegenüber 1980 DM, immerhin ein Unterschied von
286 DM. Die höheren Zahlbeträge ergeben sich aus den
im Schnitt längeren Beitragszeiten der Rentner im
Osten.
({3})
Vor allem bei den Frauen wirkt sich die früher sehr hohe
Erwerbsquote positiv aus. Ich erinnere daran: Das war
gewollt und wurde von besseren Möglichkeiten begleitet, Beruf und Kindererziehung zu vereinbaren. Die
einmal getroffene Grundsatzentscheidung des RentenÜberleitungsgesetzes, die in vielerlei Hinsicht ein
Kompromiß war, mag man begrüßen oder bedauern. Die
Ergebnisse sind aber auf Grund der geschaffenen Ansprüche nicht umkehrbar. Die falschen Parolen von angeblich zu hohen ostdeutschen Renten tragen zur inneren Einheit dieses Landes wenig bei und sollten angesichts der Herausforderung, dieses Land auch im Inneren zu vereinigen, endgültig verstummen. Ich frage Sie:
Wie sieht es denn heute mit den Erwerbsmöglichkeiten
für Frauen aus? Es ist doch vorbei mit der hohen Erwerbsquote. Gerade Frauen wurden doch als erste massiv von ihren Arbeitsplätzen verdrängt. Dies wird sich
auch in künftigen Rentenbiographien immer wieder zeigen.
Deshalb wird die SPD zwar noch nicht mit diesem ersten Gesetz, aber mit der Rentenstrukturreform im
nächsten Jahr Verbesserungen für die Frauen auf den
Weg bringen.
({4})
Unser Ziel ist es, zum Beispiel die Zeiten der Kindererziehung und die insbesondere Frauen betreffende Arbeitslosigkeit künftig wieder stärker bei der Rente zu berücksichtigen. Die alte Koalition hat die Probleme schon
durch das Kürzungspaket von 1996 erheblich verschärft,
dessen Auswirkungen Zeiten der Arbeitslosigkeit bestrafen und vor allem die Frauen belasten. Wir treten dagegen für gezielte Verbesserungen ein, die für Frauen in
Ost und West künftig immer wichtiger sein werden.
Wir werden ein Konzept einer bedarfsabhängigen sozialen Grundsicherung im Alter entwickeln, damit die
Menschen mit niedrigen Renten nicht den oft entwürdigenden Gang zum Sozialamt antreten müssen. Das ist
ein gutes Angebot gerade für die Frauen in Ostdeutschland, die nach 1990 oft schlechtbezahlte Teilzeitjobs annehmen mußten, damit sie überhaupt Arbeit hatten. Dies
sind im übrigen häufig die 520-DM-Jobs ohne Sozialversicherungsschutz. Auch das wird sich ändern; unser
Bundeskanzler hat gestern die Eckwerte unseres Konzepts vorgetragen. Danach werden geringfügig Beschäftigte ab 1. April 1999 in der Rentenversicherung versichert.
({5})
- Warten wir es ab.
({6})
Ich denke, daß diese Vorschläge im vorrangigen Interesse auch der Menschen in den neuen Ländern liegen.
Die häufig falsche Diskussion im Westen über die
Renten in Ostdeutschland wird sich im übrigen auch dadurch beruhigen, daß der Bund endlich der Rentenversicherung die Aufwendungen für bestimmte Leistungen
erstattet. Ich meine solche Leistungen, die auch ohne
oder mit einer nur geringen eigenen Beitragsleistung zur
Sozialversicherung in Anspruch genommen werden
können. Natürlich brauchen wir die Auffüllbeträge bei
den Renten und auch die Rentenleistungen nach dem
SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Es war aber falsch,
diese gesamtstaatliche Aufgabe nur vom Beitragszahler
in Ost und West bezahlen zu lassen.
({7})
Dies wird mit unserem Gesetzentwurf korrigiert, indem
der Bund der Rentenversicherung diese Finanzierung
abnimmt.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Dieses
Korrekturgesetz ermöglicht, daß die neue Regierung ein
wirklich zukunftsfähiges Rentenkonzept vorlegen kann,
ohne daß im Hintergrund unumkehrbare Fakten geschaffen werden. Deshalb werden wir es zügig beraten, damit
die falsche Rentenpolitik der heutigen Opposition am
1. Januar nicht in Kraft treten kann.
({8})
Und entgegen allen Weissagungen von Frau Dr.
Schwaetzer kann ich nur sagen: Packen wir es an!
({9})
Frau Kollegin Krüger-Leißner, ich darf Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Parlament gratulieren. Ich denke, sie hat nicht darunter gelitten, daß Sie eine Zwischenfrage zugelassen haben.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Hause scheinen wirklich neue Verhältnisse einzuziehen.
({0})
- Sie klatschen an der falschen Stelle. - Man muß zur
Kenntnis nehmen, daß die Strukturen herrschaftlichen
Charakter haben.
({1})
Der Minister hat bei seinem ersten Auftritt hier gesagt:
„Hören Sie doch bitte zu, wenn der Minister spricht!“
Gestern haben wir erlebt, daß der Bundeskanzler in einer
Aktuellen Stunde von der Regierungsbank aufsteht und
Ihnen als Fraktion par ordre du mufti erklärt, wie bestimmte Dinge zu regeln sind. Frau Dückert mußte
spontan reagieren, weil das offensichtlich auch in der
Koalition alles nicht abgesprochen war.
({2})
Und heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß es
selbst bei diesem entscheidenden Punkt, mit dem Sie
den Wahlkampf bestritten haben, der Minister für nicht
nötig hält - das ist keine Unterschätzung von Frau Mascher -, anwesend zu sein.
({3})
Rotgrün bestreitet zur Zeit einen sozialpolitischen
Schweinsgalopp durch alle bestehenden Sozialgesetze,
um die Wahlversprechen zu erfüllen. Sie sind ein bißchen unter den Druck Ihrer Garantiekärtchen geraten.
Ziel war es, den Bürgern draußen den Eindruck der Entscheidungsfähigkeit und des schnellen Handelns zu
vermitteln.
Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Rotgrün betreibt Hektik, Durcheinander und Verunsicherung durch
immer neue Vorschläge und kontroverse Auffassungen.
Die Verfallsdaten Ihrer Vorschläge sind schon nach wenigen Wochen sehr kurz geworden.
({4})
Selbst die Rücknahmegesetze, die Sie heute einbringen, sind schlecht vorbereitet und mit der heißen Nadel
gestrickt. Wenn man nach der Konzeption oder gar Zukunftsvision fragt - Fehlanzeige!
({5})
Als ich mich auf die Rede vorbereitet habe, konnte
ich es mir nicht verkneifen: Wir als Opposition haben ja
jetzt noch ein bißchen mehr Zeit zum Lesen. Ich habe
einmal in dem Buch von Hombach, „Aufbruch - Die
Politik der Neuen Mitte“, gelesen. Am interessantesten
fand ich - damit habe ich dann angefangen - das Nachwort von Gerhard Schröder.
({6})
Erster Satz - hören Sie einmal wirklich zu! -:
Das Ergebnis der Bundestagswahl 1998 ist ein
Blankoscheck der Bürger auf unsere Zukunftsfähigkeit.
Bei dem Wort „Blankoscheck“ ist mir Wolfgang
Schäuble eingefallen, der zu Recht gesagt hat: Schröder
steht für alles oder nichts - Blankoscheck. Er sieht das
offensichtlich selber so.
({7})
Ein Stück weiter sagen Sie dann zur Neuen Mitte das sagt Gerhard Schröder auch selber -:
„Er will ein großes Bündnis der Modernisierer aller
gesellschaftlichen Gruppen organisieren.“
({8})
Was heißt hier „Modernisierer“? Wer Reformen zurücknimmt - das tun Sie heute mit der Einbringung dieses
Gesetzes -, mit denen Rahmenbedingungen verbessert
worden sind - und zwar Rahmenbedingungen, die zu
dem Ergebnis geführt haben: 400 000 Arbeitslose weniger, Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent, stabile Preise -, hat den Namen „Modernisierer“ wirklich nicht verdient.
({9})
Ich spare mir jetzt die Ausführungen von Herrn
Hombach zum Thema Vision, weil ich finde, daß auch
dieser Begriff nach dem, was Sie hier in den ersten Wochen geliefert haben, völlig unangebracht ist.
({10})
Lassen Sie mich zum Thema Rente noch etwas sagen. Dazu muß man nur in die Vorlage schauen. „Heiße
Nadel“ habe ich eben gesagt. Über der Vorlage steht:
„Korrektur des Rentenreformgesetzes 1999“. Sie haben
ja gesagt: Ein hohes Niveau wollen wir nicht. In der Begründung dieser Vorlage steht: „Mit diesem Aussetzen“
- der Reform, wie Blüm sie für 1999 vorgesehen hatte „soll Zeit gewonnen werden . . .“ Sie machen also ein
Gesetz, um Zeit zu gewinnen - ganz toll, eine große Reform! Ein Stückchen weiter steht - das ist kaum noch
nachzuvollziehen -:
Sollten andere Regelungen bis zum 31. Dezember
2000 nicht ergangen sein, treten die genannten Regelungen des Rentrenreformgesetzes 1999 im wesentlichen unverändert am 1. Januar 2001 in Kraft.
Auf gut deutsch bedeutet das eine Hintertür, um die Reform von Norbert Blüm umzusetzen. Sie wollen Zeit
gewinnen und lassen sich die Hintertür zur Blümschen
Reform offen. Das ist Ihr Vorhaben, wie Sie es hier beschreiben!
({11})
Vizepräsident Rudolf Seiters
Herr Kollege Mekkelburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Heil?
Ja, bitte.
Herr Kollege, ich möchte Sie
fragen, ob Sie das, was Ihr Kollege Geißler, der heute
leider nicht hier ist, gesagt hat, unterschreiben können.
Er hat gesagt, ein wesentlicher Grund für die Niederlage
der alten Koalition sei es gewesen, das Bündnis für
Arbeit gegen den Baum fahren zu lassen, weil man beispielsweise den Kündigungsschutz und die Lohnfortzahlung entsprechend gekürzt habe, wie Sie das getan
hätten. Stimmen Sie dem zu?
({0})
Ich stimme
dem so nicht zu, weil ich finde, daß wir eine Menge gemacht haben. Wir haben den Menschen auch eine Menge zugemutet.
({0})
- Hören Sie doch einmal zu, wenn eine Frage gestellt
wird, muß man auch antworten können. - Wir haben den
Menschen mit dem, was wir gemacht haben, eine Menge
zugemutet: mit der Reform des Sozialstaates, mit der
Verbesserung der Rahmenbedingungen, damit Arbeitsplätze entstehen. Wir haben dabei lernen müssen - das
werden Sie in den nächsten Wochen hier auch lernen -,
daß es keine kleinen Rädchen gibt, an denen man nur
drehen muß, damit Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Es ist das Bohren dicker
Bretter und das Inkaufnehmen unpopulärer Maßnahmen.
({1})
Das werden auch Sie in den nächsten Wochen erleben.
Ich werde gleich noch etwas zur Lohnfortzahlung sagen.
({2})
Wir haben sicherlich auch ein paar Kollegen in meiner Fraktion, die es sich mit diesen beiden Themen nicht
leichtgemacht haben. Aber wenn Sie heute unsere Reformen nur zurückdrehen wollen, dann muß ich Ihnen
sagen, daß das einfach nicht mehr geht. Das Zurückdrehen bringt die alten Zeiten nicht wieder, weil inzwischen
Tarifparteien über die neuen Bedingungen verhandelt
haben und weil sich die Wirklichkeit verändert hat. Es
geht einfach nicht mehr. Ich bin gespannt, was aus Ihrem Zurückdrehen wirklich wird.
({3})
Zurück zur Rente. Hier ist Ihre Strategie: Hintertür
offenlassen, um die Reform von Blüm doch noch umzusetzen und um Zeit zu gewinnen. Wenn man dann ein
bißchen weiterschaut: Was erreichen Sie damit? Beitragssenkungen - toll! - und eine Gegenfinanzierung für
die Ökosteuer. Für beispielsweise die Rentner heißt das
nichts anderes als Steuererhöhungen, konkret: Erhöhung
des Benzinpreises, Erhöhung der Heizölsteuer und Einführung einer Stromsteuer. Das ist das Modell „linke
Tasche, rechte Tasche“. Ich habe inzwischen verstanden,
was Sie mit „Neuer Mitte“ meinen: Geld aus der linken
Tasche herausziehen und dann wieder in die rechte Tasche hineinstecken. Das nennen Sie „Neue Mitte“. Das
ist ein bißchen wenig, meine Damen und Herren.
({4})
Wenn man dann noch darüber nachdenkt, daß es Vorschläge gibt, nach denen man mit 60 Jahren in Rente gehen kann, dann weiß man, daß die Zustimmung zu solchen Vorschlägen in der ganzen Republik riesig sein
wird. Die Zustimmung wird aber zurückgehen, wenn die
Leute merken, was damit gemeint ist. Wenn Sie das
einmal ausrechnen: Wenn von denen, die jetzt über 60
Jahre alt sind, nur 20 Prozent diesen Vorschlag „Rente
mit 60“ nutzen würden - man weiß, daß das bei einem
Fall 80 000 bis 100 000 DM kostet -, dann hätten Sie
bei 500 000 älteren Menschen - das sind in etwa diese
20 Prozent -, die das in Anspruch nehmen, Kosten von
40 Milliarden DM. Ich frage Sie: Wo wollen Sie das
Geld hernehmen?
Wenn Sie mit der Idee kommen, die Tarifparteien,
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollen in den Tariffonds
einzahlen, dann müssen Sie über die Frage der Beitragssatzsenkung gar nicht mehr reden; dann machen Sie
nämlich einen neuen Topf auf und erhöhen andere Beiträge.
({5})
Der Tariffonds steht außerdem völlig im Widerspruch
zu dem, was Sie hier ständig verkünden: Sie wollen die
Kaufkraft stärken. Wenn der Tariffonds auf Arbeitnehmerseite aus einem Teil der Lohnerhöhung gespeist
werden soll, dann vermindern Sie damit den Kaufkraftzuwachs, dann können Sie die Theorie der Kaufkraft
völlig vergessen.
Herr Riester hat hier von einem neuen Zukunftspakt
der Generationen gesprochen. Das kann nicht ernst
gemeint sein: Sie belasten gerade die junge Generation,
und zwar nicht nur durch die Beiträge, sondern auch
durch die Kosten für den Tariffonds. Junge Leute zahlen
für die Rente ab 60 der derzeitigen Rentnergeneration
und haben selber kaum die Chance, in den Genuß einer
solchen Rente zu kommen. Das ist sozial höchst ungerecht.
({6})
Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, der bisher gar nicht angesprochen worden ist. Auch er ist in
diesem Papier enthalten. Dabei handelt es sich zwar
nicht um eine Rücknahme; aber auch da sind Sie gezwungen, Ihre Garantieversprechen zu erfüllen. Ich
spreche von dem Programm der Bundesregierung zur
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit: „100 000 Jugendliche in Arbeit bringen“. Dieses Programm ist in
einer Änderung des SGB III, Arbeitsförderungsgesetz,
untergebracht. Als ich das erste Mal den Titel „Arbeitsförderungsgesetz“ las, habe ich gedacht: Oh, oh, was
wollen die Damen und Herren von der SPD, die darüber
viel geschimpft haben, denn zurücknehmen?
({7})
Schaut man in dieses Gesetz, stellt man fest, daß Sie
nichts zurücknehmen. Vielmehr führen Sie einen Ausnahmetatbestand ein. Danach sagt die Bundesregierung:
Zwar machen wir das Programm, bezahlen soll es aber
die Bundesanstalt für Arbeit aus ihren Mitteln. Das ist
völlig neu; das wird in dieses Gesetz geschrieben. Sie
haben nämlich sonst kein Geld.
Wenn Sie sich einmal fragen, warum Sie an dieser
Stelle Geld haben, dann erhalten Sie als Antwort: Der
Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist dadurch, daß
wir 100 000 Arbeitslose weniger haben und daß auf
Grund unserer Politik auch für das nächste Jahr weniger
Arbeitslose erwartet werden, so gesichert, daß Sie in der
Lage sind, daraus das Geld für Ihr Programm zu nehmen, mit dem Sie draußen herumlaufen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich hätte gerne noch vieles
zur Scheinselbständigkeit gesagt. Da bemühen Sie einen Riesenapparat. Wenn Sie einmal den Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit lesen, dann stellen Sie fest, daß Sie
gerade das Modell aussuchen, von dem die Bundesanstalt sagt: Das funktioniert überhaupt nicht; es ist äußerst
negativ. Die ungeklärten Fälle bleiben auf Grund der
Kriterien übrig. Sie betreiben in dem Bereich einen großen Aufwand - um 0,2 Milliarden DM in die Kasse zu
bringen. Sie bekommen das Problem nicht gelöst. Ich
habe den Eindruck, Sie gehen hier deswegen so schnell
voran, weil Sie, wenn Sie ernsthaft darüber nachdenken
würden, die Schwierigkeiten einer wirklichen Lösung
sehen würden.
({9})
Meine Damen und Herren, zum Kündigungsschutz.
Man kann darüber reden, ob die Änderung in diesem
Bereich nicht mehr Arbeitsplätze hätte bringen müssen,
gerade im Handwerk. Aber eines ist mir klar: Wenn der
Schwellenwert beim Kündigungsschutz auf 5 reduziert
wird und wenn Sie durch Ihre Steuerpolitik, meine Damen und Herren von der Koalition, gleichzeitig dafür
sorgen, daß gerade der mittelständische Bereich besonders belastet wird, können keine neuen Arbeitsplätze
entstehen, sondern es werden welche verlorengehen.
({10})
Meine Damen und Herren, Sie sind im Wahlkampf
mit dem Anspruch „Innovation und soziale Gerechtigkeit“ angetreten. Was Sie hier vorlegen, ist nicht innovativ, sondern ein Rückschritt. Was Sie hier vorlegen, ist
nicht sozial gerecht, sondern sozial höchst ungerecht.
Das Verfallsdatum Ihrer Kernaussagen ist schon nach
wenigen Wochen erreicht. Wenn Sie so weitermachen,
meine Damen und Herren, werden Sie auch bald das
Verfallsdatum Ihrer Regierung erreicht haben.
({11})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Heinrich Leonhard
Kolb.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann zwar durchaus
nachvollziehen, daß die Regierungskoalition in der
Pflicht ist, sich für die massive Unterstützung durch diverse Gewerkschaftsfunktionäre im Wahlkampf zu revanchieren. Aber auch nach fortgeschrittener Debatte
kann ich nicht anders, als das, was Sie hier heute vorlegen, als beschäftigungspolitisch falsch und volkswirtschaftlich blanken Unsinn zu bezeichnen. Es ist deswegen Unsinn, weil SPD und Grüne wichtige und richtige
beschäftigungsfördernde Reformansätze einfach wieder
abschaffen wollen, bevor diese ihre Wirkung überhaupt
voll entfalten konnten.
({0})
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Ihre
Rolle rückwärts in Sachen Kündigungsschutz, bei der
Entgeltfortzahlung wie auch beim Betriebsverfassungsgesetz und beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz kann nur
entweder als trostloses Resultat ideologischer Verblendung oder als Dokumentation Ihres blanken Unwissens
darüber gewertet werden, wie Arbeitsplätze neu entstehen.
({1})
- Herr Kollege, Arbeitsplätze entstehen nicht dadurch,
daß man pathetisch Empörung vorträgt oder aufwendige
Kundgebungen inszeniert, schon gar nicht durch Parteitagsbeschlüsse, sondern Arbeitsplätze entstehen dadurch, daß Menschen bereit sind, als Arbeitgeber Verantwortung für andere zu übernehmen. Sie tun dies wer wollte es ihnen verdenken? - nach reiflicher Überlegung und der Abwägung von Chancen und Risiken.
Hier muß man deutlich feststellen, daß insbesondere
im Arbeitsrecht, das ja in wichtigen Bereichen Richterrecht ist, über die Jahre eine Verschiebung von Lasten
auf die Arbeitgeber stattgefunden hat. Dies gilt auch und
gerade für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.
Das war der Hintergrund - ich will mich hier auf den
Kündigungsschutz konzentrieren -, warum wir im Jahre 1996 Klarstellungen im Kündigungsschutzgesetz
vorgenommen haben und warum wir vor allem kleine
Unternehmen durch eine Herausnahme aus dem Geltungsbereich des Lohnfortzahlungsgesetzes entlastet haben. Unsere Reform war damals das Ergebnis eines
sorgfältigen Abwägungsprozesses. Sie dürfen mir glauben: Wir haben uns das Ganze nicht leichtgemacht.
({2})
Allerdings, meine Damen und Herren, darf der Gesetzgeber nicht untätig bleiben, wenn sich ein Gesetz in
der betrieblichen Praxis gerade des Mittelstandes als Beschäftigungshemmnis erweist. Das gilt um so mehr in
Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Es ist nun einmal kein
Zufall, daß im Jahr 1996, also zum Zeitpunkt der Änderung, 75 Prozent der Unternehmen in Deutschland fünf
oder weniger als fünf Beschäftigte hatten. Der Schwellenwert des Kündigungsschutzgesetzes ist eine Sperre,
die Arbeitslosen den Zugang zu einer Beschäftigung
verwehrt.
({3})
Niemand - das möchte ich dem Herrn Arbeitsminister Riester sagen, den ich im Moment nicht sehe ({4})
begründet ein Arbeitsverhältnis, um es zu kündigen.
Aber getreu dem lateinischen Motto „respice finem“
muß jeder verantwortliche Unternehmensleiter, auch um
bestehende Arbeitsplätze nicht zu gefährden, die Möglichkeit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses schon
beim Vertragsschluß vor Augen haben. Deswegen ist
das, was Sie hier vorlegen, vielleicht gutgemeint; aber
gutgemeint ist nicht nur hier das Gegenteil von gut.
({5})
Ich sage Ihnen voraus: Dieser Schnellschuß geht nach
hinten los. Statt mehr Beschäftigung werden Sie den
Abbau von Arbeitsplätzen ernten. Das gilt insbesondere
für den Bereich mittelständischer Unternehmen, denen
Sie vor der Wahl plakativ Entlastungen versprochen haben, die aber auch mit diesem Gesetz wie mit anderen,
die Sie in den letzten Wochen vorgelegt haben, zusätzlich belastet werden und letztlich die Zeche zahlen müssen.
({6})
Mit der Verdoppelung des Schwellenwertes von fünf
auf zehn Mitarbeiter haben wir in der letzten Legislaturperiode dazu beigetragen, den kleinen Unternehmen die
Angst vor Neueinstellungen zu nehmen. Wir haben dafür gesorgt, daß die Kriterien bei der Sozialauswahl präzisiert und transparenter gestaltet wurden. Auch dafür
gab es gute Gründe, die jedermann nachvollziehen kann,
der sich ernsthaft mit dieser komplizierten Materie befaßt hat.
Nun tönen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Chor - auch Herr Riester hat es heute so
gesagt -, die Novellierung des Kündigungsschutzgesetzes habe nicht zu mehr Beschäftigung geführt und müsse deswegen revidiert werden. Da muß ich Sie wirklich
fragen, woher Sie diese Weisheit nehmen. Der DIHT
und der ZDH kommen zu ganz anderen Ergebnissen.
({7})
Der ZDH spricht von einem Plus von 20 000 Arbeitsplätzen in der Perspektive von 100 000. Der DIHT hat
ermittelt, daß 11 Prozent der Unternehmen, die seit 1996
nicht mehr unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, bereits auf Grund dieser Neuregelung Einstellungen vorgenommen haben; weitere 14 Prozent planen dies für
den Fall einer verbesserten Auftragslage. Das sind dann
wahrscheinlich weitere 30 000 Arbeitsplätze. Insgesamt
sind es also 50 000 Arbeitsplätze. Das sind, meine Damen und Herren, keine Peanuts; darüber darf man nicht
hinweggehen.
({8})
- Richtig.
Das zeigt: Das Klima für die Schaffung zusätzlicher
Arbeitsplätze hat sich bei den Unternehmen zwischen
fünf und zehn Beschäftigten entscheidend verändert.
Deswegen, auch wenn wir erst wenige Zahlen über beschäftigungswirksame Effekte des Kündigungsschutzgesetzes vorliegen haben, was auf Grund des kurzen Zeitraumes auch nicht verwundern kann: Geben Sie diesen
Reformen noch etwas Zeit. Strukturelle Veränderungen
der Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft greifen in der Regel erst mittelfristig. Nur in einer
Planwirtschaft läßt sich kurzfristig per Knopfdruck steuern.
Wir von der F.D.P.-Fraktion sind sogar bereit, den
von uns als richtig erkannten Weg noch ein Stück weiter
zu beschreiten. Deswegen schlagen wir vor, die Wirkung der Novelle noch zu verstärken und den Schwellenwert von 10 auf 20 Arbeitnehmer anzuheben. Meine
Fraktion hatte das schon 1996 für richtig gehalten, aber
gegen den Widerstand großer Teile der CDU/CSU damals nicht durchsetzen können.
Ich fordere hiermit alle hier im Hause, die immer
wieder das Hohelied des Mittelstandes singen, auf, gemeinsam mit uns durch dieses Gesetz dem Mittelstand
den Freiraum zu geben, den er braucht, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen.
({9})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Olaf Scholz von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Am Anfang dieser Bundesrepublik - sehr zu Anfang dieser Bundesrepublik - hat
es schon einmal so etwas wie ein Bündnis für Arbeit
gegeben. Die wesentlichen Grundlagen unserer Arbeitsverfassung, der Zusammenarbeit von Arbeitnehmern
und Arbeitgebern, sind nämlich zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern unmittelbar ausgehandelt
worden.
Im Januar 1950 haben sich im Ort Hattenheim die
Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer getroffen und haben die „Hattenheimer Entschließungen“ gefaßt, die noch bis heute wesentliche Grundlagen unseres
Arbeitsrechts bilden. In diesem Bündnis für Arbeit ist
der Gesetzentwurf für ein Kündigungsschutzgesetz
entstanden. Der Gesetzentwurf, der damals entworfen
wurde und der dann im Januar 1950 dem Gesetzgeber
und allen anderen zugeleitet worden ist, beinhaltete das
Einsetzen des Kündigungsschutzes ab drei Arbeitnehmern.
Später, im August 1951, also gleich zu Anfang unserer Republik, hat der Bundestag das Kündigungsschutzgesetz beschlossen, das dem Gesetzentwurf sehr ähnlich
war und das Einsetzen des Kündigungsschutzes in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern vorgesehen hat.
Seitdem ist das so. In der Zeit danach ist der wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland
vonstatten gegangen. In der Zeit danach hat es das Wirtschaftswunder gegeben. In der Zeit danach ist die ganze
Prosperität der Bundesrepublik Deutschland entstanden.
Es kann also nicht am Kündigungsschutz gelegen haben, wenn der soziale Konsens, der damals Maßstab der
Politik und auch der wirtschaftlichen Arbeit in unserem
Lande gewesen ist, die ganze Zeit funktioniert und getragen hat.
({0})
Was in den letzten 16 Jahren eingetreten ist, ist ein
ganz merkwürdiger Paradigmenwechsel. Es ist nämlich
das Konsensmodell als Bestandteil unserer Arbeitsverfassung aufgekündigt worden. Es ist irgendwie der Verdacht entstanden, daß es die wirtschaftliche Entwicklung
behindere, wenn Arbeitnehmer nicht schnell und einfach
genug entlassen werden können. Es ist überhaupt insgesamt - wie wir bei verschiedenen Gesetzen sehen können - der Verdacht entstanden, daß ein maximaler
Druck auf Arbeitnehmer die Voraussetzung dafür ist,
daß es wirtschaftlich funktionierende Betriebe gibt.
Das ist aber nicht die Erfahrung des Wachstums der
Bundesrepublik Deutschland. Das ist gewissermaßen eine Abkehr vom Konsensmodell gewesen.
Mit dem ersten Schritt, den Sie gemacht haben, nämlich den Kündigungsschutz erst bei zehn Arbeitnehmern
einsetzen zu lassen, und mit dem Schritt, den Sie jetzt
folgerichtig - weil in der Systematik liegend - gefordert
haben, nämlich daß der Kündigungsschutz erst ab 20
Arbeitnehmer eintreten soll, haben Sie etwas anderes als
die soziale Marktwirtschaft, etwas anderes als den sozialen Konsens, der unser Land getragen hat, im Auge.
Es ist eine Art von wirtschaftsliberalem Extremismus,
der, so glaube ich, nicht in Ordnung ist.
({1})
Ich glaube, daß es für diese Diskussion auch sehr hilfreich ist, wenn man die Stichworte, die hier immer fallen, einmal hinterfragt. Eines dieser Stichworte ist, daß
die Betriebe dringend die Veränderung des Kündigungsschutzes benötigten, weil sie sich sonst nur so mühselig
und schwer von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
trennen könnten. Das sagen viele Verbandsfunktionäre,
das sagen viele andere, aber das sagen wenige Menschen, die eine wirkliche Ahnung von der Situation von
Kündigungsschutzprozessen haben.
Von denjenigen Menschen, die in diesem Lande gekündigt werden, gehen etwa 8 Prozent zum Arbeitsgericht. Das ist eine Zahl, die die ganze Diskussion, die
hier geführt wird, absurd macht und deutlich zeigt, daß
es sich dabei um eine tief ideologische Veranstaltung
handelt, die überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit
hat.
Ähnlich groß ist die Zahl der obsiegenden Entscheidungen in diesen Prozessen.
({2})
Zwar ist es so, daß die Termine vor den Arbeitsgerichten
in Wirklichkeit Vergleichsverhandlungen sind, aber
streitige obsiegende Urteile sind nur in einer Größenordnung von 7 bis 8 Prozent üblich. Im übrigen verläßt
kaum ein Arbeitnehmer das Arbeitsgericht und kehrt
wieder auf seinen Arbeitsplatz zurück. Insofern ist das,
was Sie gemacht haben, eine ideologische Abkehr von
dem Konsensmodell der sozialen Marktwirtschaft. Wir
kehren wieder dahin zurück.
({3})
Das zweite, was Sie tun, ist, daß Sie ein richtiges
Stichwort mit einem falschen Sachverhalt zusammenfügen und glauben, das mache dann einen Sinn. Sie diskutieren über Flexibilität. Das ist in der Tat eine der wichtigen Diskussionen, die wir für die Arbeitsentwicklung
in unserem Lande führen müssen. Wir brauchen mehr
Flexibilität am Arbeitsplatz; wir brauchen mehr Flexibilität in den Betrieben; und es braucht neue Arbeitszeitmodelle, die einen effektiveren Einsatz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen und gleichzeitig die Arbeitszeitsouveränität der Beschäftigten vermehren. Aber was hat Flexibilität damit zu tun, daß man
begründungslos kündigen kann? Das hat mir nicht eingeleuchtet. Da ist überhaupt kein Zusammenhang, auch
wenn Sie ihn durch ständiges Wiederholen herzustellen
versuchen.
({4})
Ich glaube, es ist richtig, daß wir jetzt, 50 Jahre später, zu den „Hattenheimer Entschließungen“ zurückkehren und daß das Jubiläum, das man in Hattenheim Anfang des Jahres 2000 feiern kann, kein beschämendes
ist. Vielleicht kann der Arbeitsminister dort im Januar
des Jahres 2000 ein Treffen des Bündnisses für Arbeit
veranstalten, um die Rückkehr zum sozialen Konsens in
unserem Lande zu dokumentieren.
({5})
Die Menschen brauchen keinen Druck in Form von
Angst, wenn sie zur Arbeit gehen - was im übrigen nicht
bedeutet, daß man seine Pflichten nicht erfüllen solle.
Auch das ist eine der typischen Verwechslungen, von
denen Sie in den letzten Jahren erzählt haben.
({6})
Daß wir hier - anders, als Sie behaupten - nicht
Ideologie betreiben, ist deutlich daran zu erkennen, daß
wir bei diesem Gesetzesteil wie bei weiteren Gesetzesteilen das, was wir vernünftig finden, auch belassen. Ich
weise nur darauf hin, daß zum Beispiel die Anrechnung
von Teilzeitarbeitsverhältnissen nach der bisherigen
Berechnungsmethode bestehenbleibt. Insofern ist das,
was wir machen, etwas sehr Vernünftiges. Wir handeln
nicht ideologisch, sondern versuchen, eine vernünftige
Regelung zustande zu bringen.
({7})
Ich will auf einen weiteren Komplex des Gesetzes zu
sprechen kommen. Dort ist geregelt, daß die Zeitbefristung für Interessenausgleichsverhandlungen bei großen Betriebsänderungen aufgehoben wird. Sie haben in
das Gesetz geschrieben, daß es nach zwei Monaten - mit
einer Verlängerung nach drei Monaten - ein Ende damit
haben soll, daß sich Betriebsräte und Arbeitgeber miteinander einigen müssen. Das hat etwas damit zu tun,
daß Sie - glaube ich jedenfalls - nie verstanden haben,
was das System der Betriebsänderung im Betriebsverfassungsgesetz soll. Es regelt den Komplex, welche Abfindung Arbeitnehmer bekommen können, als erzwingbare Mitbestimmung. Wenn man sich nicht einigt, entscheidet die Einigungsstelle. Und es regelt als Rederecht
zwischen Arbeitnehmern, Betriebsräten und den Arbeitgebern, was passieren soll, wenn zum Beispiel eine
Massenentlassung geplant ist.
In dem Gesetz steht nicht drin - das wäre in der Tat
eine ganz andere Wirtschaftsordnung -, daß es in dieser
Frage ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer gebe.
Und es steht nicht drin, daß ein Einigungsstellenvorsitzender entscheidet, ob eine ganze Betriebsschließung
stattfindet oder nicht. Aber es steht da drin, daß man
miteinander reden muß, daß man versucht, Konsensmodelle zu finden, und daß man sich Zeit nehmen soll, bis
man mit dem Reden zu Ende ist. Sie haben sich auf die
Seite derjenigen geschlagen, die dieses Miteinanderreden für eine überflüssige Zeitverschwendung halten.
Denen haben Sie gesagt: Ihr braucht nur zwei Monate
nichts zu tun, dann könnt ihr endlich kündigen. Das
wollen wir rückgängig machen.
({8})
Die übrigen Regelungen, die wir aufheben, sind ähnlich. Auch bei ihnen wird gewissermaßen der Konsens
wiederhergestellt, der unsere Republik so lange getragen
hat. Das ist die Abkehr von der Vermutung, mit der Sie
die Gesetze gemacht haben. Ich meine die Vermutung,
daß Druck notwendig sei und daß man den Arbeitnehmern nicht über den Weg trauen könne. Das steckt nämlich in der Kürzung der Entgeltfortzahlung, weil man
durch die Kürzung Druck zum Arbeiten macht, und das
steckt auch in den Regelungen über die Anrechnung von
Urlaub für die Rehabilitation. Wir werden das rückgängig machen.
Ich glaube, wir stellen das Modell der sozialen
Marktwirtschaft wieder her und schaffen damit die Basis
für eine Politik der Neuen Mitte.
({9})
Auch Ihnen, Herr
Kollege Scholz, darf ich zu Ihrer ersten Rede gratulieren, wobei ich hinzufüge: Es hörte sich gar nicht wie
eine Jungfernrede an.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Johannes Singhammer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Wer einen großen Wurf ankündigt und dann scheibchenweise serviert, vermasselt sich selbst den Start. Genau das ist Ihnen passiert.
({0})
Verzögerungen bei der Vorlage dieses Gesetzestextes
durch offensichtliche fachliche Unstimmigkeiten, die
Ausgliederung wichtiger Elemente wie der 620-DMRegelung, weil heftige interne Streitigkeiten ausgetragen
werden mußten, kurzfristige Änderungen an Struktur
und Einzelheiten mit fortwährender Verkürzung des
politischen Verfalldatums zeigen, daß das, was Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Koalitionsvereinbarung vorgemacht hat, zum Markenzeichen dieser Regierung wird: in der Frühe verkünden und am Nachmittag
korrigieren.
({1})
Wer den Werdegang dieses Gesetzes beobachtet hat,
kann eines mit Sicherheit feststellen: Der Titel „Korrekturgesetz“ ist richtig gewählt, weil Inhalte ständig
korrigiert werden.
({2})
Ich sage Ihnen voraus: Es wird nicht die letzte Korrektur
sein.
Bezüglich der beabsichtigten Neuregelung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bestehen offenkundig
verfassungsrechtliche Probleme und Mängel. Mit ihr
wird die Tarifhoheit ausgehebelt. Künftig kann der Bundesarbeitsminister durch Rechtsverordnung auch nicht
tarifgebundene Arbeitgeber verpflichten, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einzuhalten. Der paritätisch
besetzte Tarifausschuß beim Bundesarbeitsministerium
wird entmachtet, und dieses neue Ermächtigungsgesetz
gestattet es dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, nicht nur Mindestlöhne, sondern ganze Lohngruppen, Urlaubsdauer und Urlaubsgeld mit einem
Federstrich für gesetzlich verbindlich zu erklären.
({3})
Die Vertreter der SPD stellen in einer bisher nicht
gekannten Weise nahezu alle Verfassungsorgane bzw.
deren Präsidenten: Bundesratspräsident, Bundestagspräsident, Bundesverfassungsgerichtspräsidentin; auch das
Amt des Bundespräsidenten strebt die SPD an. Außerdem verfügt die SPD über die Bundesratsmehrheit. Gerade deshalb - lassen Sie sich das gesagt sein - ist es um
so wichtiger, daß Sie vorsichtig mit VerfassungsprinOlaf Scholz
zipien umgehen, sorgfältig prüfen und auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz in besonderer Weise achten.
({4})
Herr Kollege Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dreßen?
Gerne. Er ist
mein Lieblingsfragesteller.
({0})
Das freut mich, Herr Kollege.
- Sie haben gerade wieder den Tarifausschuß angesprochen und gesagt, daß diesbezüglich Gefahren bestünden.
Meinen Sie nicht, daß es ein größerer Eingriff in die Tarifautonomie ist, wenn Gewerkschaft und Arbeitgeberverbände gemeinsam einen Tarifvertrag zimmern - Sie
wissen, daß das immer mit Schwierigkeiten verbunden
ist; aber ich meine, wenn sie sich dann einig sind - und
dann der Tarifausschuß, in dem weder die zuständige
Gewerkschaft noch der zuständige Arbeitgeberverband
vertreten ist, dieses Ergebnis ablehnt? Halten Sie dies
für demokratisch und für einen geringeren Eingriff als
das, was wir jetzt vorsehen?
Herr Kollege
Dreßen, der entscheidende Unterschied zur bisherigen
Regelung besteht, wie ich Ihnen gesagt habe, darin, daß
es die Mitsprache auch der nicht tariflich Gebundenen
über diesen Ausschuß beim Bundesarbeitsminister nicht
mehr geben soll. Es findet keine weitere Befassung von
Gremien mehr statt. Allein der Bundesarbeitsminister
entscheidet. Das halte ich für sehr bedenklich.
({0})
An dieser Stelle versichere ich Ihnen eines: Wir werden jede Art von beginnendem Machtrausch entschieden
bekämpfen.
({1})
Die Meßlatte Ihrer Regierung waren und sind mehr Arbeitsplätze, und daran werden wir Sie messen.
Der entscheidende Nachteil dieses ganzen Gesetzespaketes besteht darin, daß das Hauptziel nicht in
mehr Arbeitsplätzen besteht, sondern in der Eröffnung
von Abschöpfungs- und Finanzierungsmöglichkeiten,
weil Sie Ihre Wahlversprechen einlösen wollen.
({2})
- Sie brauchen jetzt nicht zu schreien. - Das Schlimme
dabei ist, daß Sie vor allem die Kleinverdiener zur Kasse
bitten, nämlich mit der Ökosteuer und Beitragsabschöpfungen. Damit hatten die Kleinverdiener nicht gerechnet.
Dabei haben Sie doch eine höchst komfortable Situation. Für 1999, das kommende Jahr, werden gegenüber
1998 höhere Steuereinnahmen von insgesamt 38 Milliarden DM erwartet. Davon sollen 26 Milliarden DM die
Kassen des Bundes prall füllen. Die vorhergehende
Bundesregierung hat eine gute Grundlage geschaffen;
Sie brauchten eigentlich nicht weiter abzukassieren. Ihre
Vorschläge sind handwerklich schlecht und finanziell
unseriös.
Ich möchte das einmal am Beispiel der Frühverrentung beschreiben. Sie erwecken den Eindruck, daß Arbeitnehmer künftig mit 60 Jahren ohne irgendwelche
Abstriche in Rente gehen können. Tatsache ist, daß die
tarifgebundenen Arbeitnehmer über die Tariffonds
gleichzeitig zur Kasse gebeten werden; statt in die Rentenversicherung zahlen sie zusätzlich in eine Art zweite
Rentenversicherung, nämlich die Tariffonds, Monat für
Monat ein. Dieses von Ihnen erfundene angebliche Perpetuum mobile der Politik bringt für jeden, der schuftet,
einzahlt und auf Sicherheit im Alter hofft, zwei entscheidende Nachteile:
Erstens. Statt eines dem Anspruch auf Eigentum ähnlichen, garantiert abgesicherten Rentenanspruchs bekommt der Arbeitnehmer über den Tariffonds einen
Rechtsanspruch mit minderer Rechtssicherheit.
Zweitens. Sie betreiben eine Umverteilung zwischen
den Generationen, und zwar zu Lasten der Jüngeren. Ein
20jähriger Arbeitnehmer muß 40 Jahre einzahlen, bis er
über den Tariffonds als 60jähriger seine Ansprüche geltend machen kann. Wer 59 Jahre alt ist, der kann nach
Ihren Plänen, nachdem er nur ein Jahr Beitrag gezahlt
hat, erheblich früher in den Ruhestand gehen. Was glauben Sie, wie lange sich das die jüngeren Arbeitnehmer
gefallen lassen werden?
({3})
Die Wahrheit lautet: Ihre Rechnung wird nicht aufgehen. Sie können sich der demographischen Entwicklung
nicht entziehen und davonlaufen. Wunschdenken allein
bringt nicht die notwendigen gigantischen Beträge ein,
die Sie für diese Art der Umstellung brauchen. Wenn
Sie das mir schon nicht glauben sollten, dann glauben
Sie es wenigstens Ihrer Parteigenossin, der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Frau Simonis. In
einem gestern veröffentlichten Interview mit dem
„Stern“, hat sie auf die Frage, wer denn die Verrentung
mit 60 bezahlen soll, erklärt: „Nach meiner bisherigen
Kenntnis ist das nicht finanzierbar.“
({4})
Viele der Menschen, die jetzt diese Debatte verfolgen, spüren doch, daß sich die Jüngeren dann, wenn
immer weniger Arbeitnehmer immer mehr für die Altersversicherung zahlen sollen, irgendwann einmal verweigern werden. Wir brauchen nicht mehr Umverteilung, sondern mehr zukunftssichere Arbeitsplätze und
eine verbreiterte Grundlage durch mehr Beitragszahler,
die letztlich die Last schultern.
Dieses Korrekturgesetz schlägt eine falsche Richtung
ein. Wie nie zuvor mußte sich gerade diese Bundesregierung nach nur wenigen Wochen von Experten und Wissenschaftlern eine niederschmetternde Kritik gefallen
lassen. Zum Gutachten des Sachverständigenrats, der
fünf Weisen, das in dieser Woche veröffentlicht worden
ist, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“, daß es präzise,
hart und vernichtend sei.
({5})
Nach Einschätzung der fünf Weisen führe der rotgrüne
Kurs weit weg vom Ziel der Vollbeschäftigung, weil
sich die Arbeitslosigkeit weder durch das Heilsversprechen der Umverteilung noch durch Strohfeuerprogramme dauernd verringern lasse.
Anspruch und Wirklichkeit Ihrer Politik sind umgekehrt proportional zu den Ergebnissen, die Sie erreichen
wollen. Ich sage Ihnen eines: Note „Eins“ bei den Ankündigungen und Versprechungen und Note „Sechs“ bei
der Umsetzung. Das wird immer mehr Menschen in unserem Land davon überzeugen, daß der Weg, den Sie
eingeschlagen haben, der falsche ist.
({6})
Das Wort hat für die
SPD-Fraktion der Kollege Kurt Bodewig.
Herr Präsident! Sehr geehrte
Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir hier am
Ende einer längeren Debatte doch noch so zahlreich anwesend sind und dieser Debatte Aufmerksamkeit widmen. Ich finde das sehr schön. Denn gerade diese Debatte hat ja einen Kernpunkt, auf den ich mich in meinem Beitrag beschränken möchte, nämlich das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Was haben Sie da für Horrorgemälde an die Wand gemalt! Ich will mich damit gern
auseinandersetzen. Ich will aber sehr deutlich machen:
Diese Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ist
nur ein Baustein unserer arbeitsrechtlichen Sofortmaßnahmen.
Ich kann nur sagen - ich freue mich, daß Bundesminister Walter Riester das noch einmal sehr deutlich
gemacht hat -, daß es um Reformen geht. Das, was Sie
praktiziert haben, nämlich eine Verschlechterung, indem
Sie systematisch den Reformbegriff entwertet haben, ist
keine Reform. Reformen sind Verbesserungen für die
Menschen in diesem Land. In diesem Sinne machen wir
Reformen.
({0})
Wir brauchen die Wiederherstellung von Recht und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist zwingend erforderlich angesichts von illegalen Tätigkeiten, von Aktivitäten einer Bau-Mafia, von Verfahren, die wir nicht
akzeptieren können. Wir brauchen auch die Beseitigung
von Wettbewerbsverzerrungen. Sie hier, die letzten vier
überlebenden Gralshüter des Liberalismus,
({1})
müssen doch daran interessiert sein, daß wir Dumping
verhindern.
({2})
Wir brauchen natürlich auch einen Schutz der Arbeitnehmerrechte. Ich sage mit deutlichem Blick auf
die Opposition: Die Bilanz Ihrer Arbeit in den letzten
16 Jahren zwingt uns dazu, heute Korrekturen vorzunehmen - das haben Sie zu verantworten -, damit wir
das Leben hier wieder besser machen können.
({3})
Dies gilt insbesondere für das ArbeitnehmerEntsendegesetz. Aus meiner Erfahrung in einer Grenzregion zu den Niederlanden kann ich nur sagen, daß die
vorgeschlagenen Korrekturen und ergänzenden Regelungen dringend erforderlich sind. In meinem Wahlkreis
sprechen mich Bauunternehmer an und sagen, sie halten
das nicht durch. Kolleginnen und Kollegen der IG BAU
sagen deutlich, daß sie Angst um ihre Arbeitsplätze
haben. Das hat etwas mit der bestehenden Praxis zu tun,
und diese Praxis muß geändert werden.
({4})
Wettbewerbsverzerrungen durch Dumpingangebote
müssen wir verhindern. Ich sage mit Blick auf die Arbeit
an unserem zukünftigen Parlamentsort: Es kann doch
nicht sein, daß in Berlin der größte Bauboom seit
Kriegsende herrscht, und gleichzeitig haben wir die
höchste Arbeitslosigkeit bei inländischen Bauarbeitern.
Das ist doch absurd!
({5})
Deswegen schlagen wir eine entschlossene und zielgerichtete Vorgehensweise vor. Unsere Ziele sind deutlich: die Bekämpfung von Lohndumping auf den deutschen Baustellen, die notwendige Beseitigung der Benachteiligung inländischer Unternehmen und Arbeitnehmer - beides gehört zusammen -, die volle Einbeziehung aller Baugewerbe, also auch der Baunebengewerbe, und die wirksame Kontrolle der Subunternehmen, dies über die Durchgriffshaftung der Unternehmer für die Entgeltansprüche. Ich sage Ihnen deutlich,
Frau Kollegin Schwaetzer: Da haben Sie unrecht. Die
Durchgriffshaftung wird nämlich dazu führen, daß von
den Subunternehmern andere Angebote gemacht werden
müssen, und das schützt die kleinen und mittleren Unternehmen. Ich weiß, wovon ich spreche.
({6})
Zu unseren Zielen gehört auch die Verbesserung der
Kontrolle und natürlich die Ahndung der Vergehen. Die
Ahndung gehört dazu. Ich habe mit Interesse den Bericht des Staatssekretärs Tegtmeier für den Ausschuß für
Arbeit und Sozialordnung gelesen. Er beschreibt eine
Vielzahl vorhandener Mißbrauchsmöglichkeiten; Mißbräuche etwa in der Form, daß Arbeitnehmer nur für die
Tätigkeit in Deutschland eingestellt werden, und in dem
jeweiligen Heimatland dieser Unternehmen existieren
nur Briefkastenfirmen. Wir alle in diesem Haus müßten
doch ein Interesse daran haben, eine solche Praxis endlich zu beseitigen.
({7})
Auch unsere Maßnahmen sind eindeutig. Sie sind klar
nachlesbar. Ich glaube, daß dieser Gesetzentwurf eine
gute und solide Handschrift trägt. Wir heben die Entfristung auf. Wir schaffen eine Rechtsverordnungsermächtigung für das BMA. Auch das ist ja hier von Herrn
Singhammer soeben angesprochen worden, ebenso von
anderen. Schauen Sie sich doch einmal die Hintergründe
an! Wie war das denn 1996? Die Tarifpartner im Baugewerbe setzen sich zusammen, handeln einen Mindestlohntarifvertrag aus, und die Vertreter der BDA
zwingen die Tarifpartner im Tarifausschuß, ihre selbst
getroffenen Vereinbarungen aufzuheben und den Mindestlohn abzusenken.
Daß es dabei um Geld geht, kann ich Ihnen an Hand
der Zahlen zeigen. Die Einigung der Tarifpartner in den
alten Ländern lag bei 18,60 DM pro Stunde. Dann wurde dies auf Druck der BDA im Tarifausschuß auf
17 DM und dann 1997 auf 16 DM abgesenkt. Das sind
Einkommensverluste unserer Kolleginnen und Kollegen,
die nicht hinnehmbar sind.
({8})
Deswegen sage ich ganz deutlich: Diese Praxis der
Erpressungspolitik im Tarifausschuß gehört der Vergangenheit an. Das finde ich gut.
({9})
Frau Schnieber-Jastram, ein Wort zum Kaisererlaß.
Ich will Sie daran erinnern, daß es ein Sozialdemokrat
war, der 1918 die Republik ausgerufen und die Demokratie in Deutschland begründet hat.
({10})
Insofern sind wir sehr beruhigt, wenn Sie hier diese
Begriffe falsch verwenden. Es geht nicht um einen Kaisererlaß, sondern um den Erhalt von Mindeststandards: beim Mindestlohn, der Urlaubsdauer und dem
Urlaubsgeld. Es geht endlich darum, dieses Geschachere
im Tarifausschuß zu beenden und diese Standards für
alle verbindlich zu machen. Das ist eine vernünftige
Politik.
({11})
Die Voraussetzung dafür ist nämlich, daß sich die Tarifpartner vorher geeinigt haben. Dagegen hat überhaupt
keiner etwas.
({12})
Ich glaube, diese Politik ist bei uns in guten Händen.
Der Kollege Walter Riester, unser neuer Bundesarbeitsminister, ist jemand, der hierfür mit Sicherheit die sensible Handhabung durchsetzen wird.
Ich komme zum nächsten Punkt. Unsere Regelung ist
sinnvoll, vernünftig und verläßlich. Sie beläßt die Gestaltungsspielräume bei den Tarifvertragsparteien.
Ich komme zu dem anderen Punkt, dem der Durchgriffshaftung. Generalunternehmer sind zukünftig für ihre Subunternehmer haftbar. Dieses Wegwieseln wie in
der Vergangenheit wird es nicht mehr geben. Das ist
wichtig und richtig. Die Generalunternehmer haften ab
dem 1. Januar 1999 unmittelbar, falls der Subunternehmer das Mindestentgelt nicht zahlt oder nicht in die Urlaubskasse der Bauwirtschaft einzahlt.
Was auch wichtig ist: Bei diesen Kassen werden übrigens auch die Werkvertragsarbeitgeber aus Mittel- und
Osteuropa einbezogen. Auch das bedeutet mehr Sicherheit in der Arbeitswelt.
({13})
Kontrollen müssen wirksamer werden. Deshalb sind
wir für die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kontrolltätigkeit der Behörde. Das fängt
mit dem Bußgeld an. Ich finde es gut, daß der Bußgeldrahmen deutlich erweitert wird. Für Ordnungswidrigkeiten, etwa die Nichtzahlung des Mindestlohns, wird
statt bisher 500 000 DM 1 Million DM zu zahlen sein.
Ich kann nur sagen: Wer auf diesem sozialen Ohr taub
ist, der muß eben fühlen. Ich hoffe, daß es richtig weh
tut.
({14})
Die organisierte Kriminalität auf unseren Baustellen damit meine ich nicht die illegalen Arbeitnehmer, die
sich dort aufhalten, sondern die Bau-Mafia, die dort systematisch die Not der Menschen benutzt - bedingt eine
Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für
die Kontrolltätigkeit der Behörden.
Das wird so geschehen, daß wir endlich die Rechtsgrundlage dafür schaffen, daß die Weitergabe von Erkenntnissen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten über
mögliche Ordnungswidrigkeiten nach diesem Gesetz an
die zuständigen Verfolgungsbehörden im Heimatland erfolgt. Es geht darum, dies nachhaltig zu verfolgen. Es
geht darum, daß das, was aufgeklärt wird, dann auch geahndet wird. Ich denke, das ist ein guter Ansatz.
Unser Gesetzesvorschlag ist durch den Grundsatz geprägt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.
Ich denke, dagegen kann niemand etwas haben. Das entspricht unserem Rechtsverständnis, und es gilt für ausländische und inländische Arbeitnehmer.
({15})
Ich sage Ihnen folgendes, damit Sie noch Zeit haben,
sich zu ereifern. Nach dem Scheitern im Rahmen der
deutschen Ratspräsidentschaft beim letztenmal, nach
dem unzureichenden Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom
Februar 1996, nach der zwischenzeitlich verabschiedeten EU-Entsenderichtlinie kann ich nun feststellen: Die
unendliche Geschichte des Entsendegesetzes muß ein erfolgreiches Ende haben. Wir sind dazu bereit.
In Anknüpfung an die Diskussion vom Vortag - ich
sehe zwar Herrn Schauerte nicht, aber ich sage es trotzdem - kann ich jetzt mit Freude erklären: Wir werden
Entscheidendes verändern. Wir werden verdammt vieles
verbessern. Darauf freue ich mich.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Dem Kollegen Bodewig gratuliere ich als Drittem im Bunde zu seiner ersten Rede.
({0})
Der nächste Redner ist kein Jungfernredner. Es ist der
Kollege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion. Er
hat das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zum Schluß dieser Debatte spreche
ich zur beabsichtigten Änderung des Versorgungsreformgesetzes. Dies tue ich unter anderem auch deshalb,
damit der Kollege Staatssekretär Körper hier nicht umsonst gesessen hat.
({0})
Ich gratuliere ihm natürlich auch zu seinem neuen
Amt. Herzlichen Glückwunsch und auf gute Zusammenarbeit!
Nachdem das Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes
hinausgeschoben wird, sollen mit diesem Gesetzentwurf
die Regelungen über den Versorgungsabschlag bei
Dienstunfähigkeit und wegen vorzeitiger Pensionierung
eines Schwerbehinderten ebenfalls bis zum 1. Januar
2001 hinausgeschoben werden. Das Inkrafttreten steht
dann unter dem Vorbehalt, daß sozial gerechtere Lösungen nicht gefunden werden können.
Nun will ich natürlich nicht bestreiten, daß gute Lösungen durch bessere Lösungen ersetzt oder ergänzt
werden können. Wir haben ein gutes Versorgungsreformgesetz gemacht. Aber auch bei diesem guten Gesetz
kann man sicherlich über den einen oder anderen Lösungsansatz trefflich streiten. Das allerdings setzt voraus, daß ein Lösungsansatz vorhanden ist. Sie, meine
Damen und Herren von der Koalition, haben überhaupt
keine Lösungsansätze.
({1})
Entsprechend der Generalaussage des Bundeskanzlers: „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser
machen“ soll dieses Versorgungsreformgesetz jetzt besser gemacht werden. Nur: Wie das geschehen soll, wissen Sie nicht, und das mit Bestimmtheit.
({2})
Erkennen Sie eigentlich nicht, welches Armutszeugnis Sie den Fachleuten Ihrer Fraktionen ausstellen? Sie
waren doch alle bei den Beratungen der Renten- und der
Versorgungsreformgesetze dabei.
({3})
Daher müßten doch heute die Lösungen auf den Tisch
des Hauses gelegt werden können. Da kann man nur sagen: schwach, sehr schwach.
Es ist bald Weihnachtszeit. Das eben Beschriebene
erinnert mich fatal an eine Passage der Geschichte von
den Weisen aus dem Morgenland, die folgendermaßen
lautet.
({4})
- Immerhin, ein Schwarzer war dabei!
({5})
Aber passen Sie ein bißchen auf. - Als sie den Weg
verloren hatten,
({6})
verdoppelten sie ihre Anstrengungen; denn - das ist der
große Unterschied zu Ihnen - ihr Stern führte sie und
leitete sie nach Bethlehem.
Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist allerdings nirgendwo ein Leitstern
noch ein Lichtlein noch Bethlehem erkennbar. Für den
Fall, daß dies bei Ihrer künftigen Gesetzesarbeit immer
so sein sollte, kann man nur sagen: Gute Nacht,
Deutschland!
({7})
Nun aber zurück zu den weiteren Aussagen Ihres Gesetzentwurfs. Herr Kollege Körper, es soll doch tatsächlich - da bitte ich jetzt wirklich um Ihre Aufmerksamkeit; da müssen wir beide etwas machen - die verbesserte Bewertung der Zurechnungszeit im Falle der
Dienstunfähigkeit der jüngeren Beamten ebenfalls hinausgeschoben werden. Wir erinnern uns - auch wenn
vom Innenausschuß der letzten Legislaturperiode nur
noch drei Mitglieder übriggeblieben sind -: Im Vermittlungsverfahren zum Dienstrechtsreformgesetz wurde
uns die Halbierung der Zurechnungszeit von den SPDregierten Bundesländern aufgezwungen.
({8})
Berechnungsbeispiele haben dann ergeben, daß die
Versorgung junger dienstunfähiger Beamter im unteren
und im mittleren Bereich in eklatanter Weise gekürzt,
teilweise auf Sozialhilfeniveau reduziert wird.
Diese von Ihnen verursachte Panne im Vermittlungsverfahren wurde durch das Versorgungsreformgesetz
behoben. Können Sie wirklich das Verzögern dieser Reparatur verantworten, Herr Kollege Körper? Ich meine,
wir sollten dies bei der Beratung Ihres Gesetzentwurfs
im Ausschuß noch einmal offen diskutieren.
Ich freue mich darauf, danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
({9})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/45, 14/46, 14/15, 14/13,
14/39 und 14/44 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung
der Arbeitnehmerrechte auf Drucksache 14/45 soll außerdem zur Mitberatung an den Ausschuß für Tourismus
überwiesen werden. Der Haushaltsausschuß soll diesen
Gesetzentwurf zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten.
Den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur
Änderung des Versorgungsreformgesetzes auf Drucksache 14/46 soll der Haushaltsausschuß ebenfalls zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten.
Beim Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksache 14/15 soll die Federführung
beim Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung liegen.
Dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend soll dieser Gesetzentwurf zur Mitberatung überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich
danke Ihnen, daß Sie bis zum Schluß an dieser Beratung
teilgenommen haben, wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und für die nächste Woche gute Gespräche mit
Ihren Wählerinnen und Wählern.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. Dezember 1998, 13 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.