Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
10 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung
der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung ({0})
- Drucksache 14/2683 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU
Eine Steuerreform für mehr Wachstum und
Beschäftigung
- Drucksache 14/2688 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun
({3}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Unternehmenssteuerreform - Liberale Positionen gegen die Steuervorschläge der Koalition
- Drucksache 14/2706 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Steuersenkungsgesetz, das wir heute
beraten, ist eines der größten Steuerreformpakete, das
der Bundestag jemals beraten hat.
({0})
Es ist ein Meilenstein in der deutschen Steuerpolitik,
({1})
und zwar nicht nur wegen seiner quantitativen Auswirkungen, sondern auch wegen der überfälligen strukturellen Veränderungen des deutschen Steuersystems.
Wir ziehen im Hinblick auf die Globalisierung konkrete Konsequenzen aus dem Veränderungsprozess in
Europa und in der Welt. CDU und CSU haben bisher
darüber nur geredet. Aber wir ziehen die konkreten
Konsequenzen.
({2})
Deshalb haben Bundeskabinett und SPD-Bundestagsfraktion diesen Entwurf einstimmig beschlossen, dessen
Eckpunkte ich jetzt erläutere.
Bei den Kapitalgesellschaften sollen einbehaltene und
ausgeschüttete Gewinne ab dem 1. Januar 2001 mit
einem einheitlichen und definitiven Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent besteuert werden. Diese
vorgesehene kräftige Senkung der Steuersätze wird die
internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen
am Standort Deutschland verbessern. Das wird sich vor
allem auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken und ein
Signal für die internationalen Investoren setzen.
Das zurzeit noch geltende komplizierte Vollanrechnungsverfahren bei der Körperschaftsteuer ist missbrauchsanfällig und soll durch das wesentlich einfachere
EU-konforme Halbeinkünfteverfahren ersetzt werden.
Das löst auch das Problem bei den grenzüberschreitenden Kapitalanlagen.
Kapitalgesellschaften sollen zukünftig einen definitiven Steuersatz von 25 Prozent bezahlen. Diese Belastung wird nicht mehr, wie beim geltenden Vollanrechnungsverfahren, auf die Steuerschuld der Anteilseigner
angerechnet. Der Anteilseigner muss die Ausschüttung
künftig nicht mehr vollständig, sondern nur noch zur
Hälfte mit seinem persönlichen Einkommensteuersatz
versteuern.
Für die Besteuerung der Personengesellschaften
werden wir eine systematische Verbesserung schaffen.
Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind
Personengesellschaften oder Einzelunternehmen. Der
Gesetzentwurf sieht Entlastungen für alle Personenunternehmen vor, unabhängig davon, ob es sich um Groß-,
Mittel- oder Kleinunternehmen handelt.
Deshalb haben all diejenigen Unrecht, die immer
noch behaupten, wir würden nur etwas für die großen
Unternehmen tun. Wir werden in den nächsten Wochen
und Monaten in vielen Gesprächen mit Handwerkern,
Kaufleuten und Existenzgründern beweisen, dass wir die
steuerliche Situation der mittelständischen Wirtschaft
verbessern.
({3})
Dies wird inzwischen selbst von Herrn Stihl vom DIHT
anerkannt, der wohl nicht als Freund dieser Koalition
gilt.
({4})
Die großen Personengesellschaften werden künftig
die Möglichkeit haben, sich ohne Umwandlung ihrer
Rechtsform in jeder Hinsicht wie eine Körperschaft besteuern zu lassen. Auch Freiberufler und Landwirte
können diese Möglichkeit nutzen. Sie unterliegen dann
aber auch der Gewerbesteuer. Eine Rosinenpickerei gibt
es in diesem Zusammenhang nämlich nicht.
Personengesellschaften, für die sich eine Option nicht
lohnt, dürfen wie bisher die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abziehen und darüber hinaus zukünftig einen Teil der Gewerbesteuer in pauschalierter Form direkt mit der Einkommensteuerschuld verrechnen. Damit
wird bei einem durchschnittlichen Gewerbesteuerhebesatz die heutige Gewerbesteuerbelastung beseitigt.
Die Kommunen behalten dadurch ihre finanzielle
Basis, weil die Gewerbesteuer als ihre große eigene Finanzierungsquelle erhalten bleibt. Wir wollen das auch
so, während F.D.P. und Teile der CDU die Gewerbesteuer so schnell wie möglich gänzlich abschaffen wollen
({5})
- das ist ein wesentlicher Unterschied -, ohne dass sie
eine Lösung anbieten können, ohne dass sie einen adäquaten Ersatz anbieten können.
({6})
Personenunternehmen, die wegen des Gewerbesteuerfreibetrages in Höhe von 48 000 DM keine Gewerbesteuer zahlen, also weniger gewinnstark sind, profitieren
von den zukünftigen steuerlichen Entlastungen bei der
Einkommensteuer, die über die bereits beschlossenen
Maßnahmen im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes
hinausgehen. Das betrifft 1,8 Millionen Unternehmen.
Die Nettoentlastung durch die Unternehmensteuerreform beläuft sich auf gut 8 Milliarden DM. Das heißt,
der Mittelstand wird seit 1998 bis zum Jahr 2005 durch
das Steuerentlastungsgesetz und durch die Steuerreform
2000 um rund 17 Milliarden DM entlastet.
({7})
Die von der Opposition vorgebrachte Argumentation
von einer willkürlichen Begünstigung der großen und
einer Benachteiligung der kleinen Unternehmen ist deshalb haltlos. Es ist ein untauglicher Versuch, das Reformkonzept der Koalition schlechtzureden, obwohl es
im In- und Ausland gelobt wird. Damit werden Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, aber keinen Erfolg haben.
({8})
Im Übrigen argumentieren Sie sehr widersprüchlich.
({9})
Herr Glos hat gestern beklagt, dass wir nur etwas für die
Großen täten. Die SPD ist jetzt sozusagen zur Partei des
Großkapitals avanciert.
({10})
Das war die Formulierung.
Als wir das Steuerentlastungsgesetz hier diskutiert
haben, wurde von Ihrer Seite beklagt, dass wir Versicherungskonzerne und andere gewinnstarke Konzerne
stärker steuerlich belasten und damit stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen würden. Wo
bleibt die Logik in Ihrer Argumentation, meine Damen
und Herren?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - ({11})
Nun komme ich zur Reform der Einkommensbesteuerung. Die dritte Stufe des Steuerentlastungsgesetzes wird jetzt um ein Jahr vorgezogen und tritt damit
zeitgleich mit der Reform der Unternehmensbesteuerung
in Kraft. Dieses Vorziehen der Einkommensteuerentlastung bringt den Arbeitnehmern sowie den Personenunternehmen im Jahre 2001 über 27 Milliarden DM.
Wir wollen auch danach die Steuersätze kräftig senken. Über eine weitere Senkung der Steuerbelastung
zum 1. Januar 2003 sollen bis zum 1. Januar 2005 der
Eingangssteuersatz auf 15 Prozent und der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent gesenkt werden. Der Grundfreibetrag steigt dann auf rund 15 000 DM.
Mit der Stufe 2003 wollen wir eine Nettoentlastung
von rund 13 Milliarden DM herbeiführen, mit der Stufe
2005 eine Nettoentlastung von zusätzlich 21 Milliarden
DM. Damit beträgt die Gesamtentlastung im Zeitraum
2001 bis 2005 rund 44 Milliarden DM. Von dieser Entlastung entfallen über die Hälfte, also 22 Milliarden
DM, auf die privaten Haushalte, gut 14 Milliarden DM
auf den Mittelstand und rund 7 Milliarden DM auf die
großen Unternehmen. Man kann also von einer ausgewogenen Mischung in der Entlastung sprechen.
Zusammen mit den bereits seit 1998 realisierten
Maßnahmen entlasten wir die Steuerzahler damit um
rund 75 Milliarden DM. Das sind eindrucksvolle Zahlen,
denen die Opposition nichts entgegenzusetzen hat,
({12})
jedenfalls nichts, was annähernd seriös wäre. Wir wollen
nämlich in Verantwortung für die nachfolgenden Generationen den erfolgreich eingeschlagenen Konsolidierungskurs beharrlich fortsetzen. Das ist nachhaltige Finanzpolitik, die das Markenzeichen dieses Bundesfinanzministers und der Regierungskoalition ist. Damit
haben Sie überhaupt nichts im Sinn. Sie setzen mit Ihren
steuerpolitischen Versprechungen auf den Egoismus.
({13})
Wir machen eine Doppeloperation: Haushaltskonsolidierung und Senkung von Steuern und Abgaben bleiben die beiden Leitplanken einer zukunftsweisenden
Strategie für eine nachhaltige Förderung von Wachstum
und Beschäftigung. Keiner kann ernsthaft bestreiten,
dass sich die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen mit dieser Steuerreform sehen lassen können.
Die Opposition hat das auch bemerkt; denn sie geht nach
ihrer anfänglichen heftigen Ablehnung immer mehr auf
unser Konzept ein und rückt von ihren eigenen, nicht
bezahlbaren Vorschlägen ab. Herr Merz hat sogar signalisiert, dass die Reform nicht an der Unionsforderung
nach Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent
scheitern müsse. Er hat auch das zunächst von ihm abgelehnte Optionsmodell nunmehr als Verhandlungsmasse
bezeichnet. Das Gleiche gilt für die Anrechnung der
Gewerbesteuer.
({14})
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, allerdings fragen, warum Sie sich erst
monatelang gestritten haben
({15})
- CDU und CSU; von der F.D.P. rede ich gar nicht -,
um eine einheitliche Position zu finden, um schon kurze
Zeit später diese für nicht wesentlich zu erklären. Das ist
eine Zickzackpolitik, ein Umherirren, das man niemandem erklären kann. „Zick“ steht dabei vielleicht für
Faltlhauser und „zack“ für Merz. Man kann es auch umkehren.
({16})
- Immer mit der Ruhe, ich weiß ja, was Sie bewegt.
Es kann im Übrigen nicht schaden, Herr Merz, wenn
ein Finanz- und Steuerpolitiker Vorsitzender der Fraktion der CDU/CSU wird; denn eine solche Aufgabe in
dieser Zeit und angesichts der in Ihren Reihen herrschenden Zustände zu übernehmen ist ein Zeichen von
Mut. Das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich kann ihm
dabei zwar nicht allzu viel Erfolg wünschen, aber ich
kann ihm meinen Respekt davor ausdrücken, dass er die
schwierige Aufgabe zu lösen versucht, eine große
Volkspartei wieder zu integrieren.
Wir werden aber jetzt beobachten können, ob und wie
stark sich die Oppositionspolitik der CSU in der Steuerund Finanzpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
durchsetzen wird. Das war schon bisher der Fall: Herr
Schäuble hat vor wenigen Monaten noch von einer Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM gesprochen.
Herr Stoiber hat am gleichen Tag von 50 Milliarden DM
gesprochen. Die CSU hat sich mit ihrer Forderung nach
einer Entlastung von 50 Milliarden DM durchgesetzt.
Die CDU war sich über einen Spitzensteuersatz von
35 Prozent noch nicht im Klaren. Die CSU hat sich mit
ihrer Forderung nach einem Spitzensteuersatz von
35 Prozent durchgesetzt. Wir werden erleben, in welchen anderen Punkten sich die CSU noch durchsetzen
wird. Es ist - neben allen anderen Schwierigkeiten schon ein Trauerspiel für die CDU, jetzt von ihrer bayerischen Schwesterpartei so dominiert zu werden.
({17})
- Ich habe heute Morgen Kaffee getrunken, aber sonst
trinke ich Tee; da haben Sie Recht.
Ich bin dem saarländischen Ministerpräsidenten für
seine Deutlichkeit dankbar. Herr Müller hat zugegeben,
dass eine höhere Entlastung der Steuerzahler, wie sie
CDU und allen voran CSU bislang gefordert haben,
nicht finanzierbar sei. Das hat Ministerpräsident Müller
sicherlich nicht mit Blick auf den Bundesetat, sondern
mit Blick auf die Auswirkungen auf die Länder- und
Gemeindehaushalte gesagt. Dies belegt, dass das Gerede
der Opposition von einer mutlosen und nicht schnell genug wirkenden Steuerreform dummes Geschwätz ist.
({18})
Ebenso ist klar: Wenn Sie bei der Vorlage Ihres Konzepts den Eindruck erwecken, damit könne man
3 Millionen Arbeitsplätze schaffen, dann hat das mit
der ökonomischen Realität nichts zu tun. In diesem Fall
ist das, was Sie betreiben, wirklich ökonomischer Voodoo. Es gibt das Wundermittel, von dem Sie da reden,
überhaupt nicht. Aber es zeigt sich, dass Sie konzeptionell verwirrt sind, weil Ihre konkrete Politik unter Kohl
gescheitert ist. Jetzt suchen Sie einen konzeptionellen
Ausweg, den Sie bisher - neben allen übrigen Problemen, mit denen Sie es zu tun haben - noch nicht gefunden haben.
({19})
Wir befinden uns mit dem Steuerentlastungsgesetz,
mit der sozialökologischen Steuerreform und dem Familienförderungsgesetz inmitten eines weitreichenden
steuerpolitischen Reformprozesses. Wenn wir jetzt mit
dem Steuersenkungsgesetz nahtlos fortfahren, so belegt
das den zügigen Fortschritt unserer Reformpolitik und
des von uns vor der Bundestagswahl versprochenen Politikwechsels.
Auch der Bevölkerung wird immer klarer, was auf
dem Gebiet der Steuerpolitik bereits geleistet worden
ist - jeder hat es mittlerweile in seinem Geldbeutel gespürt. Die Konjunktur gewinnt an Fahrt, die Arbeitslosigkeit sinkt, Optimismus breitet sich aus. Dagegen wird
Ihr Schlechtreden nichts nützen.
({20})
Wir entlasten jetzt insbesondere diejenigen, die in der
Kohl-Ära am stärksten belastet wurden. Arbeitnehmer,
Familien mit Kindern und der Mittelstand mussten bei
Ihnen doch bluten. Diese Gruppen werden unter unserer
Verantwortung jetzt entlastet. Das ist eine Trendwende
in der deutschen Politik.
({21})
Alle Steuerzahler, ob mit kleinem, mittlerem oder
großem Einkommen, alle Unternehmen, ob kleine, mittlere oder große Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften, werden steuerlich nicht unbeträchtlich entlastet. Der verheiratete Durchschnittsverdiener mit zwei
Kindern wird im Jahre 2005 gegenüber 1998 um über
4 000 DM entlastet. Diese Entlastungsbeispiele lassen
sich auch für Unternehmer mit einem Gewinn von
50 000 DM oder von 150 000 DM fortsetzen. Alle Beispiele machen deutlich: Endlich geht es auch für den
Mittelstand unter der Verantwortung dieser Koalition
steuerlich voran.
({22})
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Zahlen
und Fakten gegenüber Ihrer Propaganda auf Dauer
durchsetzen werden. Wir werden Sie in jeder möglichen
Diskussion stellen. Wir werden sozusagen um die Seele
des Mittelstandes ringen. Wir werden die Tatsachen
feststellen.
({23})
Die Forderungen nach einer noch größeren Senkung
des Spitzensteuersatzes als bisher vorgesehen ist daher
eine einseitige Interessenpolitik für einige gut Besoldete
mit Nebeneinkünften oder für andere Arbeitnehmer mit
Spitzeneinkommen, zum Beispiel für Manager.
Die von Ihnen geforderte Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent hat eine deutliche soziale Schlagseite. Sie wollen den Eingangssteuersatz um 7,9 Prozentpunkte und den Spitzensteuersatz um 16 Prozentpunkte senken. Das ist mehr als doppelt so viel. Es
ist nicht zu finanzieren und es verdeutlicht einmal mehr,
dass CDU und CSU mit sozialer Gerechtigkeit nichts im
Sinn haben.
({24})
Das steuerpolitische Konzept der Bundesregierung
und der Koalitionsfraktionen ist ein wichtiges Element
unserer Strategie zur Erneuerung der wirtschaftlichen
Grundlagen in Deutschland. Es stärkt den Standort und
sichert uns eine gute Startposition in der immer globaler
werdenden Weltwirtschaft. Ich bin zuversichtlich, dass
dieses große und weitreichende Steuerreformpaket mit
großer Unterstützung der Bevölkerung und der Wirtschaft hier im Mai beschlossen werden wird.
Vielen Dank.
({25})
Ich erteile dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir sind heute Morgen in der ersten
Lesung eines Unternehmensteuerreformgesetzes. Der
Kollege Poß hat die Einbringungsrede gehalten, eine
Aufgabe, die normalerweise von einem Vertreter der
Bundesregierung übernommen wird,
({0})
aber sicherlich auch von Vertretern der Koalitionsfraktionen übernommen werden kann.
({1})
Bemerkenswert an dieser Rede war, dass sich derjenige,
der das Konzept der rot-grünen Bundesregierung vorstellen sollte, zu zwei Dritteln seiner Redezeit mit dem
Konzept der Union beschäftigt hat.
({2})
Damit wir uns nicht falsch verstehen, Herr Kollege Poß:
Ich kritisiere das nicht. Im Gegenteil, ich begrüße das
ausdrücklich, denn das zeigt auch: Die Opposition ist
politisch präsent und handlungsfähig.
({3})
Wir haben in der Tat gerade in der Steuerpolitik das bessere Konzept.Das will ich begründen.
({4})
Es trifft sich gut, Herr Bundesfinanzminister und Herr
Bundeswirtschaftsminister, dass wir in dieser Woche
nicht nur über die Steuerreform diskutieren, sondern Sie
hier gestern auch den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt und begründet haben. Wir haben dabei einen Sachverhalt miteinander diskutiert, der im Zusammenhang
mit der Steuerpolitik eine Rolle spielt. Es gibt nämlich
eine Entwicklung, die uns alle mittlerweile mit nicht unerheblicher Sorge erfüllen muss: Ich meine die Entwicklung des Wechselkurses unserer gemeinsamen Währung,
des Euro. Wir haben gestern erneut feststellen müssen,
dass der Wert des Euro erheblich gegenüber dem des
Dollars, aber auch gegenüber dem anderer Währungen
dieser Welt verfallen ist.
({5})
Wenn es richtig ist, dass der Wechselkurs einer Währung praktisch der Aktienkurs einer Volkswirtschaft ist,
dann ist in der Zeit, in der diese Bundesregierung im
Amt ist, der Aktienkurs der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen großen Wirtschafts- und Währungsräumen dieser Welt um 15 Prozent, zum Teil um 20 Prozent gesunken. Darin kommt
die Politik der rot-grünen Bundesregierung zum Ausdruck.
({6})
Meine Damen und Herren, der Euro-Verfall - so wird
es richtig bewertet - dokumentiert zweierlei. Er dokumentiert die anhaltende Stärke insbesondere der amerikanischen Volkswirtschaft. Amerika geht in das neunte
Jahr eines ungebrochenen wirtschaftlichen Aufschwungs. In Amerika wurde mittlerweile Vollbeschäftigung erreicht. Europa steht vor erheblichen strukturellen Problemen und die Bundesrepublik Deutschland
stellt mit etwa einem Drittel des Bruttoinlandsproduktes
der Euro-Teilnehmerstaaten die größte einzelne Volkswirtschaft. Die Lage in der Bundesrepublik Deutschland
ist deswegen bestimmend für die Entwicklung des Euro.
Die ausgebliebenen Reformen, auch und insbesondere
im Bereich der Steuerpolitik, dokumentieren sich eben
auch in der Schwäche des Euro.
({7})
Wir werden in der Bundesrepublik Deutschland weit
über die Steuerpolitik hinaus in den nächsten Jahren
auch und besonders hier darüber zu debattieren haben,
welche Reformen dieses Land braucht. Es müssen Reformen sein, die den marktwirtschaftlichen Herausforderungen und insbesondere den Herausforderungen eines
sich verschärfenden globalen und europäischen Wettbewerbs gerecht werden. Dazu brauchen die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere diese Bundesregierung eine Besinnung auf einen klaren marktwirtschaftlichen Kurs.
Erlauben Sie mir, dass ich auch in diesem Zusammenhang an die Debatte des gestrigen Tages anknüpfe.
Herr Bundeswirtschaftsminister, aus Ihrem Hause, also
aus den eigenen Reihen, stammt ein Papier, das mittlerweile die Öffentlichkeit erreicht hat und mit Ihnen, aber
auch mit der ganzen Bundesregierung durch eine nach
meinem Kenntnisstand jedenfalls bisher unbekannte Kritik so hart ins Gericht geht, dass dies Ihnen, aber auch
Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, doch zu denken geben muss. Ich zitiere wörtlich aus diesem Papier:
Man merkt es der Wirtschaftspolitik bereits an. Es
begann mit dem Zurückdrehen der ... marktwirtschaftlichen Reformen der alten Bundesregierung und setzte sich fort: Holzmann, Mannesmann,
Gewinnverwendungssteuerung, verbunden mit einer Stigmatisierung der Gewinne im Rahmen der
Unternehmensteuerreform, Diskriminierung bestimmter aktiver und passiver Einkommen in der
Steuerpolitik, diskretionäre und diskriminierende so
genannte Ökosteuerreform.
({8})
Die BMWi-Philippika gipfelt dann in der Bemerkung, die Entwicklung - gemeint ist die Entwicklung
der Politik dieser Bundesregierung - gehe vom Konzept
der sozialen Marktwirtschaft zur instrumentalen Beliebigkeit, zum Punktualismus.
({9})
Das ist eine zutreffende Beschreibung des wirtschafts- und finanzpolitischen Kurses der Bundesregierung.
({10})
Herr Bundesfinanzminister, dies kommt insbesondere
in der Steuerreform zum Ausdruck, die Sie heute dem
Deutschen Bundestag vorlegen.
({11})
Sie führen keine Unternehmensteuerreform durch.
Vielmehr gehen Sie einseitig von einer Absenkung der
Körperschaftsteuersätze aus.
({12})
Dies ist keine Reform unseres Einkommensteuerrechtes,
sondern stellt eine Absenkung der KörperschaftsteuerFriedrich Merz
sätze für die großen Unternehmen in der Bundesrepublik
Deutschland dar.
({13})
Ausgehend von den Körperschaftsteuersätzen suchen
Sie nach Wegen, wie Sie die kleinen und mittleren Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland entlasten
können. Das ist keine Reform; das ist Punktualismus.
({14})
Dies ist eine Reform, die insbesondere dem großen
Teil der mittelständisch geprägten Unternehmen, die in
der Rechtsform von Personengesellschaften oder Einzelkaufleuten geführt werden, nicht gerecht wird.
({15})
Die Hilfskonstruktionen, die Sie wählen, um auch diejenigen Unternehmen zu entlasten, die dem Einkommensteuergesetz unterliegen, werden der eigentlichen wirtschaftspolitischen Aufgabe, der wir uns gemeinsam gestellt sehen, überhaupt nicht gerecht. Denn diese Hilfskonstruktionen - Herr Kollege Poß, das mussten Sie in
dem, was Sie hier gerade dargestellt haben, einräumen sind Konstruktionen, die auf halbem Wege stehen bleiben und die in der Tat völlig unzureichend sind. Ich will
das begründen.
Herr Bundesfinanzminister, im Bundesfinanzministerium wurde eine Reihe von Planspielen durchgeführt,
wie diejenigen Unternehmen gestellt werden, die von
der so genannten Option des Körperschaftsteuergesetzes Gebrauch machen. Ich frage Sie - ich bitte Sie, dass
Sie, wenn Sie nachher sprechen werden, die Gelegenheit
nutzen, darüber Auskunft zu geben -: Warum veröffentlichen Sie bis zum heutigen Tage die Ergebnisse dieser
Planspiele nicht?
({16})
Es scheint einen Grund dafür zu geben. Wenn es richtig
ist, was aus den von Ihnen mit externem Sachverstand
besetzten Arbeitsgruppen berichtet wird, dann kommen
alle diese Planspiele zu dem Ergebnis, dass jedes Unternehmen - egal welcher Rechtsform und gleichgültig in
welcher Größe es geführt wird - durch die Option für
das Körperschaftsteuergesetz im Vergleich zum gegenwärtigen steuerpolitischen Stand massiv benachteiligt
wird.
({17})
Herr Eichel, ich fordere Sie deshalb noch einmal auf:
Geben Sie Auskunft darüber, wie das Ergebnis der Planspiele ist, die Sie in Ihrem Hause haben durchführen lassen. Die Öffentlichkeit in Deutschland und insbesondere
die betroffenen Unternehmen haben einen Anspruch
darauf, dies zu wissen.
({18})
Der eigentliche Kern wird sich deswegen auf die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer
derjenigen Unternehmen konzentrieren, die dem Einkommensteuergesetz unterliegen. Hier muss uns klar
sein: Das Konzept der Anrechnung der Gewerbesteuer
auf die Einkommensteuerschuld der dem Einkommensteuergesetz unterliegenden Unternehmen - das betrifft
85 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik
Deutschland - macht eine Steuer zum Mittelpunkt der
Reform, die ihrerseits in ihrer Erhebung und in ihrer
Ungleichmäßigkeit der Belastung in höchstem Maße
verfassungsrechtlich anfechtbar ist.
({19})
Wir und Sie müssen wissen, dass Sie damit eine Steuer
zum Mittelpunkt der Reform machen, die ihrerseits
zwangsläufig noch in dieser Legislaturperiode einer
grundlegenden Überprüfung bedarf.
({20})
- Meine Damen und Herren, zu Ihrer Reaktion ist zu sagen: Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit Ihrer
Zustimmung eine Grundgesetzänderung vereinbart und
beschlossen, gemäß der die Kommunen Anspruch auf
eine wirtschaftskraftbezogene Steuer mit eigenem Hebesatzrecht haben. So steht es in Art. 28 unseres Grundgesetzes. Das muss nicht die Gewerbesteuer sein. Aber das
muss eine unternehmens- und wirtschaftskraftbezogene
kommunale Steuer sein.
Die gegenwärtige Gewerbesteuer - ich wiederhole
es - wird aufgrund der Ungleichmäßigkeit ihrer Erhebung den Ansprüchen an eine zukunftsweisende und zukunftsfähige Unternehmensbesteuerung auf kommunaler
Ebene nicht gerecht.
({21})
Wir werden diese Steuer im Laufe dieser Legislaturperiode grundlegend überarbeiten müssen.
({22})
Meine Damen und Herren, wenn wir das tun, dann wird
die gesamte Unternehmensteuerreform, die Sie heute
vorschlagen, in ihrem Kern noch einmal infrage gestellt.
Denn Sie machen die Gewerbesteuer, so wie sie heute
ist, zum Ausgangspunkt für die Unternehmensteuerreform.
Sie werden auch mit Hilfskonstruktionen, insbesondere mit der Anrechnung der Gewerbesteuer, den legitimen Ansprüchen der mittelständischen Unternehmen
in der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht.
({23})
Wir brauchen eine Unternehmensteuerreform, die gleichermaßen Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz überarbeitet und reformiert. Wir sehen uns
daher nicht in der Lage, Ihnen auf diesem Weg zu folgen.
Herr Kollege Poß, mein ausdrücklicher Kritikpunkt,
den ich aufrechterhalte, war: Mit Hilfskonstruktionen für
mittlere und kleine Unternehmen - das gilt auch
für Großunternehmen, die in der Rechtsform von Personengesellschaften geführt werden - können Sie eine
Unternehmensteuerreform in der Bundesrepublik
Deutschland, die den wirtschaftspolitischen Anforderungen der Zukunft gerecht werden soll, nicht durchführen. Das ist unsere entscheidende Kritik, die wir ohne
Ausnahme aufrechterhalten.
({24})
Wir haben deswegen über den Jahreswechsel
1999/2000 die steuerpolitischen Vorschläge, die wir
auch in der letzten Legislaturperiode eingebracht und
verabschiedet haben, die aber - dieser Punkt muss erwähnt werden - am parteipolitisch motivierten Widerstand der Sozialdemokraten im Bundesrat gescheitert
sind,
({25})
im Lichte der neuen Entwicklung, im Lichte des sich
verschärfenden internationalen Wettbewerbs und natürlich auch im Lichte der Haushaltsnotwendigkeiten von
Bund, Ländern und Gemeinden noch einmal überarbeitet.
Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir unverändert
daran festhalten können, in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur die Körperschaftsteuersätze zu senken,
sondern auch den Einkommensteuertarif durchgehend
vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz so zu
senken, dass nicht nur ein einheitlicher Einkommensbegriff aufrechterhalten wird, sondern dass auch ohne
Hilfskonstruktionen die mittelständischen Unternehmen
in der Bundesrepublik Deutschland genauso entlastet
werden wie diejenigen Unternehmen, die, etwa als große
Aktiengesellschaften, dem Körperschaftsteuergesetz unterliegen.
({26})
Am Anfang der Beratungen im Deutschen Bundestag
über die verschiedenen Konzepte der Steuerreform müssen die Unterschiede deutlich werden. Diese Unterschiede sind nicht etwa nur in der Höhe der Steuersätze
zu finden. Sie reichen vielmehr tief in die steuerpolitische Systematik unseres gesamten Ertragsteuersystems
hinein. Wir müssen wissen, dass das Konzept der Bundesregierung - Absenkung der Körperschaftsteuersätze, Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld - nicht etwa nur eine technische Frage
berührt. Das Konzept bedeutet in Wahrheit die Auflösung der einheitlichen Einkommensbesteuerung und
die Auflösung der in das System der Einkommensbesteuerung integrierten Unternehmensbesteuerung, die
durch die Körperschaftsteuerreform im Jahre 1977
erreicht wurde.
({27})
Wir lösen damit den einheitlichen Einkommensbegriff
und auch die einheitliche Unternehmensbesteuerung in
der Bundesrepublik Deutschland auf.
Diese Einheitlichkeit war eine der großen Errungen-
schaften der Körperschaftsteuerreform. Ich betone das
Jahr 1977 deshalb, um deutlich zu machen, dass das ent-
sprechende Gesetz in der Zeit der sozialliberalen Koali-
tion verabschiedet worden ist.
Klaus Lennartz [SPD]: Wir waren immer
schon gut! Das wissen wir!)
Dieses Gesetz der sozialliberalen Koalition wurde wenn ich mich recht erinnere - mit Zustimmung des
Bundesrates, in dem die Union damals eine Mehrheit
hatte, verabschiedet.
({28})
Diese Tatsache zeigt, dass es ein gutes Gesetz war. Dieses Gesetz hat weltweit Beachtung gefunden, weil es
steuerpolitisch von einer großen Stringenz und Systematik geprägt gewesen ist. Diese Stringenz und Systematik
wird mit dem Reformvorhaben der Bundesregierung nun
vollständig aufgelöst.
(Klaus Lennartz [SPD]: Damals gab es noch
Sachverstand in der Opposition!
Dadurch ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen.
Auf die Konsequenzen für den Mittelstand habe ich bereits hingewiesen. Aber es gibt Konsequenzen nicht nur
im Hinblick auf die Unternehmen, sondern auch im
Hinblick auf die Anteilseigner. Diese Konsequenzen haben Sie, Herr Kollege Poß, verschwiegen. Dafür gibt es
natürlich Gründe.
Ich muss zunächst einmal feststellen, dass all diejenigen, die in Zukunft nach Ihrem Modell für die Körperschaftsteuer optieren, nicht nur alle Gewinnermittlungsvorschriften der großen Unternehmen anwenden müssen; dazu mögen sie in der Lage sein. Warum verschweigen Sie aber, dass die Personengesellschaften, die
für das Körperschaftsteuergesetz optieren, in Zukunft
eine Vervielfachung der Erbschaftsteuer - bis zu einer
Verfünffachung - hinzunehmen haben? Warum verschweigen Sie, Herr Kollege Poß, diesen Punkt in Ihrer
Einbringungsrede?
({29})
- Sie machen an dieser Stelle den Einwand: Weil es logisch ist. Ja, es ist in der Tat logisch und es ist unabweisbar. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen in
der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten fünf
Jahren in mindestens 500 000 Unternehmen vor der Generationenfolge. Rund ein Drittel dieser Unternehmen
hat bis zum heutigen Tag keinen Nachfolger.
({30})
Glauben Sie im Ernst, dass diese Generationennachfolge
mit der Verfünffachung der Erbschaftsteuer für die kleinen und mittleren Unternehmen des Mittelstandes noch
zu bewältigen ist?
({31})
Diese Unternehmen sind nach übereinstimmender Erkenntnis aller bisher von uns als das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bewertet worden. Wenn Sie der
Meinung sind, dass diese Unternehmen in Zukunft in der
Bundesrepublik Deutschland keinen Platz mehr haben,
dann müssen Sie es sagen.
({32})
Ich weise auf die Konsequenzen hin, die das für die
Aktionäre von Aktiengesellschaften haben wird. Warum verschweigen Sie, meine Damen und Herren, dass
eine erheblich höhere Besteuerung insbesondere der
Kleinaktionäre die zwangsläufige Folge des von Ihnen
gewählten Besteuerungsverfahrens bei den Dividenden
sein wird? Warum verschweigen Sie das zu einem Zeitpunkt, zu dem wir doch eigentlich über die Kultur der
Aktie in Deutschland miteinander reden?
({33})
Im Übrigen ist Ihre Behauptung, meine Damen und
Herren, das Halbeinkünfteverfahren, das Sie jetzt
wählen, sei im Gegensatz zum bisherigen Besteuerungsverfahren, nämlich dem Anrechnungsverfahren, europatauglich, schlicht falsch.
({34})
Die grenzüberschreitende Anwendung des so genannten
Halbeinkünfteverfahrens ist genau so unmöglich wie die
grenzüberschreitende Anwendung des Anrechnungsverfahrens. Ich will das deutlich machen, damit diejenigen, die dieser Debatte an den Bildschirmen
folgen, auch verstehen, worüber wir sprechen.
({35})
Meine Damen und Herren, ein Aktionär bekommt
heute eine Körperschaftsteuergutschrift. Diese kann er
auf die eigene Einkommensteuerschuld anrechnen. Er
unterliegt der Einkommensteuer mit seinem individuellen Steuersatz. Das hat zur Folge, dass alle Aktionäre
gleichbehandelt werden, je nach individuellem Steuersatz.
({36})
Dieses körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren
kann man über die Grenzen - innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, auch außerhalb der Europäischen
Gemeinschaft - nicht mitnehmen.
({37})
Das macht dieses Anrechnungsverfahren in der Tat nicht
europatauglich.
({38})
Aber, meine Damen und Herren, das Anrechnungsverfahren gilt, seitdem wir es in Deutschland eingeführt
haben, seit 1977, auch in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die es
ebenfalls eingeführt haben. Das Verfahren, das Sie jetzt
wählen, das so genannte Halbeinkünfteverfahren,
unterwirft den Steuerpflichtigen unabhängig von der
Vorbelastung in der Aktiengesellschaft einer Doppelbesteuerung zusätzlich zu seinem persönlichen Steuersatz.
({39})
Da Sie einen so genannten Progressionsvorbehalt aufgenommen haben, hat dies zur Folge, dass diejenigen mit
einem niedrigen Steuersatz, also mit niedrigem Gesamteinkommen, durch Ihr Verfahren wesentlich höher besteuert werden und diejenigen, die ein höheres Einkommen haben, wesentlich niedriger besteuert werden.
({40})
Meine Damen und Herren, wenn wir in der alten
Koalition vorgeschlagen hätten, das Besteuerungsverfahren für die Aktionäre so zu ändern und damit die
Steuerausfälle auszugleichen, die durch die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen zwischen Kapitalgesellschaften entstehen, hätten Sie in diesem Land eine
Diskussion über Turbokapitalismus, über ShareholderValue-Mentalität angefangen, deren wir uns hätten überhaupt nicht mehr erwehren können. Das wäre das Ergebnis gewesen.
({41})
Ich stelle deshalb fest: Sie machen eine Unternehmensteuerreform zulasten der Aktionäre und zugunsten
der großen Kapitalgesellschaften.
({42})
Damit kein Missverständnis entsteht: Auch wir sind der
Auffassung, dass wir eine erhebliche Erleichterung der
Umstrukturierungen in Unternehmen brauchen. Gerade die Unternehmen, die sich von Anteilsbesitz trennen wollen, die umstrukturieren wollen, brauchen dazu
auch eine steuerliche Erleichterung. Aber wenn dies
richtig ist und wenn dies die gemeinsame Erkenntnis ist,
meine Damen und Herren, dann darf diese steuerliche
Erleichterung nicht nur für Kapitalgesellschaften gelten,
dann muss sie auch für Personengesellschaften gelten.
({43})
Deswegen haben wir einen Vorschlag in Form einer
Ergänzung unseres steuerpolitischen Konzeptes, das wir
„Die bessere Alternative“ genannt haben, gemacht, wie
man Personengesellschaften bei den Umstrukturierungen, die notwendig sind, steuerlich genauso entlasten
kann wie Kapitalgesellschaften.
({44})
Wir stellen diesen Vorschlag zur Diskussionen, meine Damen und Herren. Wir sind offen für Vorschläge, es
noch besser zu machen. Wir erwarten aber von der rotgrünen Koalition, dass sie in den nächsten Wochen in
eine öffentliche Debatte geht in der Bereitschaft, auch
ihrerseits Verbesserungen an dem Konzept vorzunehmen, das sie vorgeschlagen hat. Nichts anderes habe ich
in dieser Woche gesagt, als ich darauf hingewiesen habe, dass wir, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, genauso wie die von CDU und CSU geführten Länder bereit
sind, auf dem Weg zu einer Steuerreform mit Ihnen einen Kompromiss zu finden. Wir machen keine Blockade
nach Oskar Lafontaine. Aber wir erwarten ein vernünftiges Ergebnis im Sinne der Bundesrepublik Deutschland.
({45})
Lassen Sie mich zum Schluss in vier Punkten zusammenfassen, wo die Unterschiede liegen.
Erstens. Sie machen eine einseitige Reform für die
Kapitalgesellschaften und suchen Hilfskonstruktionen
für die Personengesellschaften. Wir wollen eine breit
angelegte Reform für kleine, mittlere und große Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform.
Zweitens. Sie senken die Körperschaftsteuersätze mit
Hilfskonstruktionen und verzichten auf die durchgreifende Änderung des Einkommensteuergesetzes. Wir
wollen eine grundlegende Reform des Einkommensteuergesetzes mit niedrigen Steuersätzen für alle auf breiter
steuerlicher Bemessungsgrundlage.
({46})
Drittens. Sie besteuern die Dividenden der Aktionäre
höher, um damit die Steuerfreiheit der Veräußerungserlöse zwischen Kapitalgesellschaften zu finanzieren. Wir
wollen den reinvestierten Gewinn für alle Unternehmen
ermöglichen, unabhängig davon, ob es Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften sind.
({47})
Viertens. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, lösen mit diesem Steuerkonzept eine dramatische
Verkomplizierung unseres gesamten Steuerrechts aus.
({48})
Wir, meine Damen und Herren, wollen mit unserer
besseren Alternative nicht nur eine Absenkung der Steuersätze für alle.
({49})
Wir wollen - und wir können auch nachweisen, dass
dies erreichbar ist - eine grundlegende Vereinfachung
unseres Steuersystems, sodass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich vom Staat mit einem überschaubaren und gerechten Steuersystem, gerecht behandelt
fühlen, meine Damen und Herren.
({50})
Deshalb haben wir mit dem, was wir „Die bessere Alternative“ genannt haben, das getan, was von einer Opposition erwartet werden kann, nämlich ruhig und nüchtern zu prüfen, was die Koalitionsfraktionen der Bundesregierung vorlegen, es zu kritisieren, es an den Stellen,
wo es gut und richtig ist und auch in die richtige Richtung zeigt, zu unterstützen und gleichzeitig eigene Vorschläge vorzulegen, die in den parlamentarischen Beratungen der nächsten Wochen die Alternative der Opposition sein können.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis:
Die Opposition, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
wird in diesen Bereichen der Steuerpolitik, aber auch
überall sonst ihren Auftrag als Opposition auf gleicher
Augenhöhe mit der Bundesregierung in den nächsten
zweieinhalb Jahren kraftvoll wahrnehmen.
Vielen Dank.
({51})
Ich erteile dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich die Steuerreform
2000 etwas politischer fassen und diskutieren
({0})
und nicht so sehr in einem steuerpolitischen Fachseminar abhandeln.
Ich glaube, dass wir mit dieser Steuerreform den eingeschlagenen Kurs in der Haushalts- und Finanzpolitik konsequent fortsetzen. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz und mit dem Haushalt 2000 haben wir Ende
letzten Jahres die ersten Schritte getan, um den Staatshaushalt wieder in Ordnung zu bringen - einen Staatshaushalt, Herr Merz, den die alte Regierung über Jahre
hat verlottern und völlig aus dem Ruder laufen lassen.
({1})
Dass Sie von der Opposition es mit dem Geld nicht so
genau genommen haben, haben wir in den letzten Wochen und Monaten ja deutlich bemerkt und staunend zur
Kenntnis genommen.
({2})
Wir hingegen sind uns bewusst, dass der Staat kein
Selbstbedienungsladen ist.
({3})
Wir hingegen sind uns bewusst, das die Belastbarkeit
mit Steuern und Abgaben endlich ist. Für uns ist - anders als für die Opposition - klar, dass wir nicht weiter
auf Kosten der kommenden Generationen leben wollen
und leben können, wie das in den letzten 16 Jahren geschehen ist.
({4})
Wir gehen endlich wieder sparsamer mit dem Geld um,
das die Bürgerinnen und Bürger am Ende eines Monats
an Steuern und Abgaben in die Staatskasse zahlen.
Mit dem Haushaltssanierungsgesetz und mit dem
Haushalt 2000, mit dem wir im ersten Durchgang die
Nettoneuverschuldung um knapp 30 Milliarden DM reduziert haben, haben wir die Ausgabenseite wieder in
Ordnung gebracht bzw. angefangen, sie in Ordnung zu
bringen. Heute geht es mit der Steuerreform 2000 um
die Einnahmenseite. Uns geht es nicht nur darum, die
Steuergelder sparsamer und effektiver einzusetzen. Das
ist der eine Weg, um zu einer gerechteren Verteilung der
Chancen in unserer Gesellschaft zu kommen. Der andere
Weg besteht darin, den Menschen wieder Luft zum Atmen zu geben. Gerechtigkeit kann man nämlich nicht
nur dadurch schaffen, dass man Geld einnimmt und es
dann mithilfe der Bürokratie wieder verteilt. Gerechtigkeit kann auch heißen, den Menschen das Geld erst gar
nicht zu nehmen, sondern es bei ihnen zu belassen. Diesen Weg schlagen wir ein.
({5})
Deshalb bringt die Regierungskoalition die größte
Steuerentlastung in der Geschichte unseres Landes auf
den Weg. Wir entlasten die Steuerzahler alles im allem
um mehr als 70 Milliarden DM. Was wir in diesem Land
nach Jahren der schwarz-gelben Stagnation nun endlich
auf den Weg bringen, ist ein Steuersystem, das jeden
nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, ein Steuersystem, das den Beziehern von kleinen und mittleren
Einkommen und Familien wieder spürbare finanzielle
Freiräume eröffnet, aber auch ein Steuersystem, das Anreize für Investitionen und somit für mehr Beschäftigung
in unserem Land schafft.
Meine Damen und Herren von der Union, die Sie sich
in der Opposition steuerpolitisch - das ist ja heute nicht
der erste Vorschlag - mit einem unseriösen Vorschlag
nach dem nächsten so richtig austoben, Ihnen sage ich:
Das, was wir bisher gemacht haben und jetzt machen, ist
schon nach 16 Monaten um vieles mehr als das, was Sie
in langen 16 Jahren zuwege gebracht haben.
({6})
Nicht Versprechungen, nicht Zahlen auf dem Papier
zählen, sondern es zählt das, was die Menschen am Ende
eines Monats real mehr in der Tasche haben. Sie hatten
lange genug Zeit, etwas für die Familien und für kleine
und mittlere Einkommen zu tun. Sie haben es nicht getan, wir tun es.
({7})
Deshalb halten die Menschen das, was Sie hier als „bessere“ Alternative vorlegen, für das, was es ist: leere Versprechungen ohne Substanz, unseriös und nicht finanziert noch dazu.
({8})
Weniger Steuern, geringere Abgaben, höhere Nettolöhne - das ist unser Reformdreiklang, der die Konjunktur wieder in Fahrt bringen wird. Insgesamt werden wir
den Eingangssteuersatz um satte 10,9 Prozent und den
Spitzensteuersatz um 8 Prozent senken. Herr Merz,
sind Ihnen diese Zahlen entgangen, wenn Sie sagen, dies
sei keine Senkung der Steuern? Ich weiß nicht, in welches Konzept Sie geschaut haben. Diese Zahlen müssen
Ihnen doch heute in den Ohren klingen! Sie waren doch
sozusagen der Traum Ihrer Nächte, weil Sie sie mit der
Steuerreform in der letzten Legislaturperiode eben nicht
durchgebracht haben.
({9})
Es ist kein Geheimnis, dass es bis zu diesem mutigen
Schritt ein weiter Weg war, ein Weg, den insbesondere
wir Grünen geebnet haben.
({10})
Was in den Koalitionsverhandlungen noch nicht möglich war, liegt heute in Gesetzesform vor. Das macht uns
Grünen besondere Freude.
Das zeigt aber auch, dass diese Regierung nicht nur
die selbst gesteckten Ziele erreicht, sie übertrifft sie sogar. 15 Prozent Eingangssteuersatz, 45 Prozent Spitzensteuersatz und ein Grundfreibetrag von 15 000
DM, das entspricht dem grünen Bundestagswahlprogramm. Ich kann für meine Fraktion an diesem Punkt
mit voller Überzeugung sagen: Das haben wir versprochen und das haben wir gehalten.
({11})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr
Merz, wenn Sie einmal ganz ehrlich sind, einen Moment
Ihre sonstigen Sorgen vergessen und sich nur diese Zahlen anschauen, müssen Sie doch frank und frei sagen:
Das hat diese Koalition gut gemacht.
({12})
Ich weiß, Herr Merz, dass man das von Ihnen jetzt nicht
verlangen kann, müssten Sie doch sonst eingestehen,
dass Rot-Grün, nachdem der Haushalt 2000 und das
Haushaltskonsolidierungsgesetz den Bundesrat passiert
haben, Sie schon wieder auf Ihrem ureigensten Feld, der
Haushalts- und Finanzpolitik, spürbar geschlagen hat.
({13})
Herr Merz, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden
dies immer wieder tun.
Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., lassen Sie mich noch einen weiteren Grund nennen, warum
Sie nicht zugeben können, dass diese Regierung wieder
etwas Gutes gemacht hat: Wir haben Sie auch gleich
noch in der Wirtschaftspolitik überrundet. Die Steuerreform 2000 entlastet nicht nur die Einkommensteuerzahler, sondern bringt auch die längst überfällige
Unternehmensteuerreform auf den Weg.
Herr Merz, ich weiß nicht, welche Zeitungen Sie lesen. In den Zeitungen, die ich lese, ist die Meinung,
auch die Meinung der Wirtschaft, eindeutig. Alle sagen:
Die Richtung stimmt. Hans-Olaf Henkel in der „Berliner
Zeitung“ von gestern: „Alternative zu Rot-Grün nicht in
Sicht“.
({14})
Ich kann nur sagen: Blattschuss für die Konservativen.
({15})
Der Chefvolkswirt - Herr Merz, jetzt hören Sie gut
zu - des weltweit agierenden Investmenthauses Morgan
Stanley, Dean Witter, spricht sogar von einer „New
Germany Story“. Deutschland stehe vor einer „strukturellen Revolution“. Und da kommen Sie und sagen, das,
was wir machen, sei keine strukturelle Reform!
({16})
Auch die „Financial Times“ nennt unsere Steuerreform
eine „marktgesteuerte Revolution“.
Die Opposition - wir haben es heute gehört - führt
das gleiche schlechte Stück wie schon beim Haushalt
2000 auf. Erster Akt: Das schaffen die nie. Zweiter Akt:
So wie sie es machen, ist es falsch. Dritter und letzter
Akt: Na ja, wenn es alle so positiv sehen, stimmen wir
halt auch zu.
({17})
Der Sinneswandel der Union bleibt nicht unbemerkt.
Die „FAZ“ vom letzten Dienstag schreibt:
Hinter den überraschend frühzeitigen Kompromisssignalen aus der Union steht offensichtlich die Einschätzung, dass die Union mit einer Blockade der
Steuerreform über den Bundesrat nichts gewinnen
könnte.
So ist es! Sie können nichts gewinnen, weil Sie uns
nichts Substanzielles entgegenzusetzen haben.
({18})
Während Sie sich mit sich selbst beschäftigt haben,
({19})
hat diese rot-grüne Koalition eine blitzsaubere Unternehmensteuerreform
({20})
mit dem Ziel vorgelegt, mehr Arbeitsplätze in unserem
Land durch ein Mehr an Dynamik und Wachstum in der
Wirtschaft, durch ein Mehr an Kaufkraft für die Bürgerinnen und Bürger und durch bessere Investitionsbedingungen für die Unternehmen zu schaffen. Wir setzen
dabei entgegen dem, was Sie ausführen, vor allem auf
den Mittelstand in unserem Lande. Insbesondere meine
Fraktion hat sich neben der Steuerentlastung für die großen Unternehmen für eine deutliche Mittelstandskomponente eingesetzt.
({21})
Neben den privaten Haushalten ist der Mittelstand
Hauptprofiteur unserer Reform. Von den noch vor uns
liegenden Steuersenkungen in den Jahren 2001, 2003
und 2005
({22})
entfallen 52 Prozent auf die privaten Haushalte und
26 Prozent auf den Mittelstand.
({23})
Wenn angesichts dessen die Union sagt, wir hätten
nicht genügend getan, dann brauche ich nur auf Folgendes hinzuweisen: Sie, die es in den langen Jahren Ihrer
Regierungszeit nie geschafft haben, den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zu senken, Sie, die den Eingangssteuersatz erhöht statt gesenkt haben, Sie, die mit den
großen Unternehmen die Koffer getauscht und die kleinen im Regen stehengelassen haben,
({24})
Sie haben an diesem Punkt überhaupt keine Rechtfertigung und keinen Grund, uns vorzuwerfen, wir täten
nichts für den Mittelstand.
({25})
Sicherlich kann man nach dem, was Sie in der Mittelstandspolitik an Wüste hinterlassen haben, nicht genug für den Mittelstand tun. Aber wir müssen die Kirche
auch im Dorf lassen. Die Senkung des gesamten Steuertarifs und die Anrechnung der Gewerbesteuer sind die
größte Entlastung des Mittelstands seit langem.
({26})
Wir Grünen haben uns von Anfang an für diese Mittelstandskomponente stark gemacht und wir lassen
keinen Zweifel daran, dass wir auch im weiteren parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren jede seriöse
Möglichkeit - jede seriöse! - für eine weitere Entlastung
des Mittelstandes nutzen wollen.
Meine Damen und Herren, die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf einheitlich 25 Prozent und die
Förderung des Mittelstands sind die ersten beiden Säulen der Unternehmensteuerreform. Die dritte Säule bildet die von Ihnen ja auch angegriffene Steuerfreiheit
von Beteiligungsveräußerungen. Hierbei geht es nicht
darum, wie vereinzelt zu hören ist, die Reichen reicher
zu machen.
({27})
Vielmehr geht es darum, das derzeit gebundene immobile Kapital zu aktivieren und für neue Investitionen und
Arbeitsplätze nutzbar zu machen.
({28})
Die Steuerfreiheit von Beteiligungsveräußerungen gibt
dem Strukturwandel in unserem Land den entscheidenden Schub. Die Firmen werden ihre Beteiligungen
auf den Prüfstand stellen und oftmals zu neuen Investitionsentscheidungen kommen.
Lassen Sie mich mit einem Missverständnis aufräumen:
Die Steuerfreiheit führt eben nicht dazu, dass bei Beteiligungsveräußerungen überhaupt keine Steuern mehr gezahlt werden. Im Gegenteil, sie führt dazu, dass die
Buchwerte endlich den realen Werten angepasst werden.
Das ist nicht nur gut für die Dividenden der Anleger,
sondern auch für die Staatskasse. Aber das haben Sie offensichtlich nicht begriffen.
({29})
Das Aufbrechen des Lock-in-Effekts setzt Kapital
frei, das dringend für die aufstrebenden Internet-, Informations- und Kommunikations- sowie Umwelt- und
jungen Start-up-Firmen gebraucht wird. Dabei geht es
um nichts Geringeres, als das kumulierte Kapital des Industriezeitalters für das kommende Informationszeitalter
nutzbar zu machen. Das ist es, was mit struktureller Revolution gemeint ist.
({30})
Andere Länder sind uns hier schon lange voraus. Dies
haben Sie sträflich verschlafen.
Die traditionellen Themen der Union, an die Sie jetzt
anknüpfen wollen, haben Sie an uns verloren. Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sind jetzt Markenzeichen dieser Regierung.
({31})
Wir haben auf diesen Feldern unseren Job gemacht.
Noch bevor sich Ihr Phönix - wie immer er auch heißen
mag - aus der Asche erhebt, haben wir ihm hier die Flügel kräftig gestutzt.
({32})
Wir setzen mit unserer Politik eine wirtschaftliche
Dynamik in Gang, wie wir sie in unserem Lande schon
lange nicht mehr hatten. Schon jetzt scheint es, als würden die Wachstums- und Arbeitsmarktprognosen für
dieses Jahr von der Realität positiv überholt werden.
Auch das ist übrigens ein wesentlicher Unterschied
zur alten Regierung: Bei Ihnen stand das Wachstum
am Beginn eines jeden Jahres im Jahreswirtschaftsbericht, wurde aber bis zum Jahresende nicht erreicht;
stattdessen mündete es in immer höhere Arbeitslosenzahlen. Wir hingegen werden mit unserer Politik der
finanziellen Seriosität, der sozialen Fairness und der
ökologischen Erneuerung die Arbeitslosenzahlen in
unserem Land weiterhin und endlich spürbar senken.
Die Steuerreform 2000 ist hierfür ein entscheidender
Schritt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({33})
Ich erteile dem Kollegen Hermann Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der einzig spürbare Beitrag der
Grünen zur Steuerpolitik war die Durchsetzung der so
genannten Ökosteuer.
({0})
Das kostet die Bürger zunächst 35 Milliarden DM; wenn
Sie weiter in der Regierung sind, wird sich dieser Betrag
noch erhöhen. Für diese 35 Milliarden DM, die sie
zusätzlich zahlen dürfen, sind die Bürger Ihnen Dank
schuldig.
({1})
In der Debatte um diese Unternehmensteuerreform ist
es vielleicht doch notwendig, kurz den Blick zurückzuwenden.
({2})
Herr Minister Eichel, auf der Basis dessen, was Sie hier
vorlegen - ich beziehe mich auf die Steuersätze und das
Entlastungsvolumen -, wäre 1997 ein Kompromiss
möglich gewesen. Aber Sie haben damals jede Möglichkeit zum Kompromiss verhindert und blockiert. Wir haben mindestens drei Jahre für eine Steuerentlastung versäumt.
({3})
In diesen drei Jahren hätten hunderttausend Menschen
Arbeitsplätze finden können. Sie haben zu verantworten,
dass das nicht gelungen ist.
({4})
Gerade der Kollege Poß und auch andere haben uns
immer wieder entgegnet,
({5})
eine Gegenfinanzierung sei nicht zu machen. Sie haben
doch noch in den Ohren, was damals abgelaufen ist.
({6})
Aber jetzt kommen Sie zu dem Ergebnis: Das geht sehr
wohl.
({7})
Diese 50 Milliarden DM, die Sie nun dafür aufwenden
wollen, übersteigen den Betrag, den wir damals vorgesehen haben, um diese Steuerreform auf den Weg zu
bringen. Sie beweisen damit, dass Sie dies damals einseitig nur aus politischen Gründen blockiert haben. Das
muss heute noch einmal gesagt werden.
({8})
Jetzt hat Herr Eichel sehr geschickt Köder für die
Wirtschaft ausgelegt - aber natürlich nicht für die Wirtschaft insgesamt, sondern nur für die großen Kapitalgesellschaften.
({9})
Diese sollen nun entlastet werden.
({10})
Man hätte es gar nicht anders erwarten können: Die
stimmen natürlich öffentlich zu, während der Mittelstand, der kein geschlossenes Sprachrohr hat, dabei
auf der Strecke bleibt.
Eine Steuerreform, die eine vernünftige Entlastung
mit sich bringt, ist unterstützenswert. Ist aber die Gestaltung der Entlastung so ungleichmäßig, dass sie einer
Steuerreform, die dem Anspruch, Steuergerechtigkeit zu
erzielen, nicht gerecht wird, dann müssen wir sie ablehnen.
({11})
Wie sollte eine Steuerreform aussehen? Das Steuersystem soll einfach und gerecht sein und niedrige Steuersätze haben. Das heißt, die Steuerpflichtigen sollen
gleich behandelt werden. Alle diese Ziele werden verletzt. Das will ich an einigen Punkten deutlich machen.
Aber eines vorab: Warum müssen wir eine solche
Steuerreform machen? Weil die Bürger das Steuerrecht
nicht mehr akzeptieren.
({12})
Sie verstehen es nicht. Sie werden überfordert. Sie weichen aus, die einen in die Schwarzarbeit, die anderen in
die Kapitalflucht. Deswegen muss ein Steuersystem so
gestaltet werden, dass es jeder verstehen kann.
Das Steuerrecht, was Sie vorschlagen mit Optionsmöglichkeiten,
({13})
bei denen keiner weiß, welche Risiken man dabei eingeht, mit der Einführung einer Doppelbesteuerung durch
das Halbeinkünfteverfahren und mit einer verfassungsmäßig riskanten Anrechnung bei der Gewerbesteuer der Bundesfinanzhof hat gesagt, dass das verfassungswidrig ist -, führt zu viel mehr Unsicherheit. Der Planungshorizont, gerade für die mittelständischen Unternehmen, die die Arbeitsplätze schaffen sollen, ist so unsicher, dass sie gar nicht wissen, wie sie darauf reagieren
sollen. Das führt dann zu dem, was man eben gerade
nicht will, nämlich dass Investitionen zurückgestellt
werden, dass Unsicherheit eintritt und dass nur diejenigen, die es sich leisten können, teure Anwälte und Berater zu bezahlen, damit zurechtkommen. Das sind dann
wieder die Großunternehmen.
Einer der Päpste der Steuerpolitik in Deutschland,
Professor Bareis, hat heute in der „Berliner Zeitung“
kundgetan - ich zitiere -:
Das Steuerrecht wird in Zukunft noch komplizierter
und damit ungerechter. Wer Geld für clevere Steuergestaltung ausgibt, kommt besser weg. Das war
nicht das Ziel der Reform.
So Professor Bareis.
({14})
Das entscheidende Missverständnis bei Ihren Ansätzen liegt darin, dass Sie weiter dem Gedanken Ihres
Bundeskanzlers Gerhard Schröder anhängen, dass die
Unternehmen entlastet werden müssen, aber nicht die
Unternehmer.
({15})
Das ist die wirtschaftspolitisch dümmste Aussage eines
Bundeskanzlers seit der Existenz der Bundesrepublik
Deutschland.
({16})
Sie zeigt ein absolutes Missverständnis um die Zusammenhänge der Wirkungsweise unserer sozialen
Marktwirtschaft. Immer geht die Initiative von Menschen aus, die sich einsetzen, die ein Risiko eingehen,
die ihr Kapital zur Verfügung stellen, die zur Verantwortung stehen und die auch das Risiko durch ihr EigenDr. Hermann Otto Solms
tum und das ihrer Familien tragen. Daraus werden neue
Arbeitsplätze und neue Unternehmen geschaffen, die
dann wachsen.
Die Großunternehmen kaufen die kleinen auf, fusionieren mit anderen Unternehmen im Ausland, verlagern
ihre Produktionsstätten oder ihre Sitze ins Ausland. Sie
sind nicht an das Inland gebunden. Deswegen muss der
Schwerpunkt bei den natürlichen Personen ansetzen und
nicht bei den anonymen Kapitalgesellschaften. Genau
diesen strategischen Fehler machen Sie bei Ihrer Steuerreform.
({17})
Die Kapitalgesellschaften werden im Übrigen bei der
Körperschaftsteuer mit 25 Prozent jetzt deutlich stärker
entlastet. Zusammen mit der Gewerbesteuer kommen sie
dann auf 37 Prozent. Die Personengesellschaften bleiben bei 45 Prozent ab 2005. Aber auch sie müssen Gewerbesteuer bezahlen. Sie werden also deutlich höher
besteuert. Das führt natürlich zu einer echten Benachteiligung. Das können wir in den Beratungen noch ändern.
Wir sind dazu bereit. Dann kann es auch eine Zustimmung geben. Wenn dieser fundamentale Fehler nicht
ausgeglichen wird, wird es jedenfalls dort, wo die F.D.P.
mitzureden hat, keine Zustimmung im Bundesrat geben.
({18})
Sie wissen selber - man hört das in den Diskussionen -, dass das Optionsmodell das nicht vollständig
ausgleichen kann. Das Optionsmodell hat fundamentale
Nachteile - nicht nur dadurch, dass die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer steigt, vielleicht
bis zum Fünffachen -, sondern auch dadurch, dass die
Planbarkeit, die Nebenwirkungen des Optionsmodells
nicht berechenbar sind, sodass die Unternehmer nicht
wissen: Können wir es riskieren? Was passiert denn
dann? Welche Risiken gehen wir ein? Das aber ist - das
sagt der Steuerberaterverband schon heute - nicht handhabbar. Damit kann man nicht umgehen und das wird zu
mehr Verunsicherung führen.
Die Gewerbesteueranrechnung ist verfassungsbedenklich.
({19})
Das ist auch völlig klar: Es macht keinen Sinn, die
Gewerbesteuer auf der einen Seite zu erheben und sie
auf der anderen Seite, bei der Einkommensteuer, teilweise abzugsfähig zu machen.
In diesem Punkt, Herr Merz, bin ich enttäuscht von
den Vorschlägen der CDU.
({20})
Wir waren in der Koalition viel weiter. Im Koalitionsvertrag 1994 hatten wir die Vereinbarung getroffen, dass
die Gewerbesteuer abgeschafft wird und dass sich die
Kommunen über andere Steuerarten finanzieren. Das
wäre auch möglich.
({21})
Nur wenn Sie die Gewerbesteuer abschaffen, können Sie
eine Gleichbehandlung der Besteuerung erreichen. Solange die Gewerbesteuer existiert, wird dies immer zu
einer Benachteiligung der Gewerbebetriebe führen.
Wirklich entsetzt hat mich allerdings - das habe ich
einem Zeitungsbericht entnommen -, dass Sie, Herr
Merz, vorschlagen, die Gewerbesteuer solle den Charakter einer kommunalen Unternehmensteuer annehmen.
Dabei müssten auch diejenigen, die bisher keine Gewerbesteuer zahlten - beispielsweise die Freiberufler - in
die Gewerbesteuer einbezogen werden. Ich glaube, auf
der Basis finden auch wir keine Vereinbarung. Die Einbeziehung der freien Berufe - und dann vermutlich auch
der Landwirte - in das System der Gewerbesteuer wird
es mit der F.D.P. jedenfalls nicht geben. Das ist ein völlig falscher Vorschlag.
({22})
Der einzig richtige, systemkonforme Vorschlag ist die
Abschaffung der Gewerbesteuer.
({23})
Noch ein Wort zur Besteuerung der Veräußerungsgewinne. Herr Eichel hat - das war ja der größte Köder
für die Unternehmen, insbesondere für die Banken und
Versicherungen - angeboten, dass Beteiligungen steuerfrei veräußert werden könnten. Die Gewinne verbleiben
dann ja erst einmal im Unternehmen. Das stärkt die
Macht des Managements, schwächt den Einfluss der Aktionäre,
({24})
aber führt zu einer einseitigen Begünstigung der Kapitalgesellschaften gegenüber den Personengesellschaften
und den Einzelkaufleuten. Dagegen haben Sie im letzten
Jahr, mit dem so genannten Steuerentlastungsgesetz
1999, den hälftigen Steuersatz für Personenunternehmen
bei Betriebsaufgabe und Betriebsveräußerung abgeschafft; Sie verlangen jetzt den vollen Steuersatz. Diese
beiden Entscheidungen stehen so krass im Widerspruch
zueinander, dass wir darüber reden müssen. Das ist
überhaupt nicht akzeptabel.
({25})
Wir machen den Vorschlag - aber der ist diskussionsfähig -, dass wir für alle Rechtsformen den halben
Steuersatz einführen und dass wir die Grenze für die
wesentliche Beteiligung bei 10 Prozent lassen. Bei kleinen Unternehmen ist 1 Prozent absolut zu wenig; bei
Großunternehmen kann 1 Prozent natürlich sehr viel
sein. Aber die Masse sind eben kleine und mittlere Unternehmen.
({26})
Deshalb müssen wir bei 10 Prozent bleiben.
Ich halte auch den Vorschlag der CDU mit der Reinvestitionsrücklage für keinen guten Vorschlag. Denn
die Investitionen sind dann wieder an bestimmte Kriterien gebunden; die Gewinnverwendungsfreiheit wird
dadurch ausgehöhlt. Besser wäre es, dies im Wege eines
reduzierten Steuersatzes zu regeln. Das ist einfach zu
handhaben und die Wirtschaftsobjekte können je nach
ihren wirtschaftlichen Interessen damit umgehen.
({27})
Für mich ist entscheidend, dass in diesem Steuervorschlag dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und der
Gleichbehandlung nicht Rechnung getragen wird. Das
ist aber in Anbetracht unseres komplizierten Steuerrechts das Wichtigste. Deswegen haben wir, die F.D.P.,
vorgeschlagen - unser Vorschlag liegt ja seit einem Jahr
auf dem Tisch; der Stufentarif schon seit Anfang
1996 -, ein ganz einfaches Steuersystem einzuführen:
15 Prozent für Bezieher kleiner Einkommen, 25 Prozent
für Bezieher mittlerer und 35 Prozent für Bezieher größerer Einkommen, für alle Rechtsformen und für alle
Einkunftsarten - und das ist es! Dann ist eine völlige
Gleichbehandlung gewährleistet und die vielen komplizierten Vorschriften zur Abgrenzung können beseitigt
werden. Das ergibt ein ganz einfaches Steuerrecht.
Dann könnten wir das Ziel erreichen, dass jeder, der
Einkünfte aus nur einer Quelle bezieht, seine Einkommensteuererklärung auf einer Postkarte abschicken kann
und innerhalb von zehn Tagen die Reaktion des Finanzamtes bekommt. Das wäre ein ideales Steuersystem. Die
Steuerbürger könnten dann sagen: Okay, das ist einfach,
ich verstehe, was jeder bezahlen muss, es ist nicht so
viel und das akzeptiere ich.
Mit einem solchen Steuerrecht wären wir allen anderen Ländern in der Europäischen Union voraus. Das wäre der Idealfall, den man erreichen kann. Deshalb bleiben wir dabei: Dieser Vorschlag eines radikal vereinfachten Steuersystems mit drei Steuerstufen für alle Einkunftsarten ist das, was wir anstreben sollten. Wir verfolgen dieses Ziel auch weiterhin. Interessant ist, dass
bei einer Umfrage unter tausend mittelständischen Unternehmern über die Hälfte gesagt hat: Dieser Dreistufentarif der F.D.P. wäre das Beste, was sie sich vorstellen könnten. Das heißt, wir haben mit diesem Modell bereits eine hohe Akzeptanz und Zustimmung erreicht und
werden weiter dafür werben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({28})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Solms, dass Sie Herrn
Rezzo Schlauch insofern Unrecht getan haben, als der
theoretische Ansatz seiner Rede einem Bewerbungsschreiben an die F.D.P. glich. Ich habe sozusagen den
gesamten Neoliberalismus herausgehört,
({0})
wenn es auch in Details, insbesondere bei der Ökosteuer, Differenzen geben mag.
Im Kern geht es um die Frage der Verbindung von
Steuern, Wirtschaft und Arbeitsplätzen. Ich habe in der
gestrigen Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht gehört, dass sich die Bundesregierung dafür lobt, dass die
Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr niedriger
sind. Es ist wichtig, in solchen Punkten die Wahrheit zu
sagen. Das Entscheidende ist nämlich, dass wir heute
nicht mehr Arbeitsplätze haben als vor einem Jahr. Die
Zahlen sind nur deshalb niedriger, weil die aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Jahrgänge stärker sind als die
in den Arbeitsmarkt eintretenden geburtenschwachen
Jahrgänge. Diese Wahrheit gehört einfach dazu, wenn
man mit solchen Behauptungen operiert.
({1})
- Sie sollten etwas mehr Respekt gegenüber dem dienstältesten Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag
haben.
({2})
- Nein, das stimmt nicht. Als ich hier anfing, war
Herr Dregger Ihr Fraktionsvorsitzender. Da täuschen Sie
sich.
({3})
- Selbst das stimmt nicht, weil dieses Hohe Haus beschlossen hat, dass der Gruppenvorsitzende die Rechte
eines Fraktionsvorsitzenden hat.
({4})
Meine Aussage ist völlig zutreffend. Aber lassen wir
das!
({5})
Der Kollege Schwanhold hat für die SPD etwas gesagt, was ich sehr bedenkenswert finde. Er hat erklärt,
soziale Gerechtigkeit stelle man nicht dadurch her, dass
man umverteile, sondern dadurch, dass man den Zugang
auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtere. Das bekam auch
viel Zustimmung aus den Reihen der CDU/CSU. Wenn
die SPD wirklich die Position vertritt, an der Umverteilung, das heißt an der Art der Verteilung müsse sich in
der Bundesrepublik nichts mehr ändern, kann ich nur
sagen: Dann allerdings gute Nacht, SPD! Sie wollen
doch nicht im Ernst behaupten, dass die Verteilung in
dieser Gesellschaft gerecht ist.
({6})
Wir erleben fast täglich, dass ein unfähiger Vorstandsvorsitzender, der einen Konzern ruiniert hat, entlassen werden muss und noch 2 Millionen DM nachgeworfen bekommt, während auf der anderen Seite die
Durchschnittsrente der Frauen in den alten Bundesländern 860 DM beträgt. Da behaupten Sie im Ernst, es sei
keine Umverteilung mehr erforderlich und der gegenwärtige Zustand sei gerecht! Das halte ich für ein Armutszeugnis für die Sozialdemokratie, weil es bedeutet,
dass sowohl Armut als auch Reichtum festgeschrieben
werden.
({7})
Wenn sich sowohl SPD als auch Grüne ständig dafür loben, dass sie von Herrn Henkel gelobt werden, sollten
beide einmal darüber nachdenken, was dessen Zufriedenheit mit Ihnen bedeutet. Ich glaube, dass hängt mit
solchen Ansichten zusammen.
Die Umverteilung von unten nach oben setzt sich
fort. Ich will dafür ein Beispiel nennen: Herr Eichel erklärt hier stolz, die Regierung werde bis zum Jahr 2005
Steuerentlastungen von über 70 Milliarden DM realisieren. Erinnern Sie sich noch, was Sie im Herbst letzten
Jahres erklärt haben, als es um die Frage der Nettolohnanpassung bei Rente, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe
ging, als es darum ging, dass für Arbeitslose künftig
niedrigere Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden sollten, sodass viele in Altersarmut
enden würden? Können Sie sich daran erinnern, dass Sie
erklärt haben, diese Einsparung sei „alternativlos“?
Ich sage Ihnen: Diese gesamte Einsparung bringt
10 Milliarden DM. Dies bedeutet: Hätten wir auf diesem
Gebiet mehr soziale Gerechtigkeit durch Nettolohnanpassung und höhere Beitragszahlungen für die Arbeitslosen in die Rentenversicherung gewährleistet, hätte Sie
das in den Jahren 2000 und 2001 10 Milliarden DM gekostet. Wenn Sie wirklich in der Lage sind, Steuergeschenke von 73 Milliarden DM zu machen, dann hätten
Sie eben auf 10 Milliarden DM verzichtet und dafür
nicht die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen
und die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger geschröpft.
({8})
Denn hinzu kommt doch noch eines: Diese Steuerentlastungen wirken sich genau für diese drei Gruppen
nicht aus. Sie sind ja nicht steuerpflichtig. Das heißt,
Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfängerinnen und
Sozialhilfeempfänger zahlen nur zu - zum Ersten durch
die geringe Anpassung, aber zum Zweiten auch durch
die Ökosteuer und viele andere Momente. Das ist eben
die Umverteilung von unten nach oben.
Natürlich gibt es auch positive Momente bei der
Steuerreform. Ich nenne einmal die Erhöhung des Existenzminimums, obwohl weit unter dem, was SPD und
Grüne hier beantragt haben, als sie noch in der Opposition waren.
({9})
- Das ist wahr. Sehen Sie es sich einmal an: Sie haben
das heutige Existenzminimum von 14 000 DM schon für
1998 beantragt. Sie haben aber heute eine ganz andere
Preisstruktur. Die Grünen wollten für 1999 schon ein
Existenzminimum von 15 000 DM; da sind wir noch
lange nicht.
({10})
Es ist auch positiv, dass der Eingangssteuersatz gesenkt werden soll.
({11})
- Passen Sie auf. Ich sage ja, das geht in Ordnung. Aber
Sie haben natürlich auch Probleme damit. Wissen Sie
auch, weshalb? - Weil Sie immer so tun, als ob sich das
nur für die Geringverdienenden auswirken würde. Sie
wissen ganz genau, dass es sich, wenn Sie das Existenzminimum erhöhen, wenn Sie den Eingangssteuersatz senken, auch für die Besser- und Bestverdienenden
auswirkt ({12})
auch für die Bundestagsabgeordneten.
({13})
- Nein. Dagegen ist deshalb nichts zu sagen, weil jeder,
der die Verantwortung trüge, es nicht anders machen
könnte. Wenn man das Existenzminimum erhöht und
den Eingangssteuersatz senkt, dann gilt das für alle. Das
werfe ich Ihnen deshalb überhaupt nicht vor.
Ich werfe Ihnen nur vor, dass Sie gleichzeitig auch
noch den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer senken, weil das nämlich bedeutet, dass die Besser- und
Bestverdienenden gleich dreimal entlastet werden: durch
die Erhöhung des Existenzminimums, durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und durch die Senkung
des Spitzensteuersatzes. Letzteres wirkt sich eben für die
normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht aus.
({14})
All das muss ja bezahlt werden. Ich sage Ihnen, das
lassen Sie letztlich - das war die Auseinandersetzung
des Herbstes - von Rentnern und auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von anderen bezahlen.
({15})
Die Ökosteuer, die Sie völlig unsozial gestaltet haben,
müssen ja all diese Leute bezahlen, und zwar direkt
durch höhere Benzinpreise, höhere Energiepreise, höhere Heizkosten
({16})
und indirekt, indem auch noch die Fahrpreise erhöht
werden. Soweit Unternehmen herangezogen werden, legen sie natürlich diese höheren Steuern auf die Preise
um. Insofern zahlen das dann auch wieder die Verbraucherinnen und Verbraucher. Netto wirklich entlastet
werden nur die Besser- und Bestverdienenden.
({17})
Nun zum Steuerrecht. Erstens machen Sie es durch
Ihr Anrechnungsverfahren und Ihre Optionsmodelle
wirklich komplizierter.
({18})
Von einer Vereinfachung, die Sie einmal vorhatten,
kann überhaupt keine Rede sein.
Lassen Sie uns zweitens doch einmal über die Frage
diskutieren, ob es richtig ist, einbehaltenen Gewinn
viel weniger zu besteuern als ausgeschütteten Gewinn.
Zum Ersten zu der Philosophie, die dahinter steckt. Dahinter steckt doch die Annahme, ausgeschütteter Gewinn
wird konsumiert, einbehaltener Gewinn wird investiert.
Das ist deshalb bemerkenswert, weil die SPD ja bisher
immer die Theorie vertreten hat, dass man die Kaufkraft
stärken muss. Wenn Sie jetzt aber sagen, dass Sie den
Konsum stärker bestrafen, als der Gewinn besteuert
wird, der im Unternehmen bleibt, dann geben Sie erst
einmal Ihre Kaufkrafttheorie auf. Von einem gleichwertigen Verhältnis von Angebot und Kaufkraft kann keine
Rede mehr sein.
Zum Zweiten unterstellen Sie einfach etwas. Sie unterstellen nämlich, Herr Minister Eichel, dass im Unternehmen bleibende Gewinne investiert werden. Woher
wissen Sie denn das? Das kann genauso gut ins Ausland
gehen. Damit kann man spekulieren, damit kann man rationalisieren, also auch Arbeitsplätze abschaffen. Damit
kann man zum Beispiel Fusionen bezahlen. Insofern ist
das eine sehr offene Rechnung, die Sie da machen.
Wenn überhaupt, dann hätten Sie sagen müssen, dass
Sie einbehaltene Gewinne, die tatsächlich für Investitionen eingesetzt werden, günstiger stellen, aber nicht pauschal alle einbehaltenen Gewinne unabhängig von ihrer
Verwendung.
({19})
Weiterhin bekommen Sie damit ein verfassungsrechtliches Problem, und zwar wiederum aus einem
ganz einfachen Grunde. Wenn Sie sagen: Das, was man
für sich behält, ist weniger zu besteuern als das, was
man ausgibt, dann frage ich Sie: Wie kommen Sie darauf, das nur für Unternehmen zu regeln? Dann müssen
Sie das auch bei den Einkommen und Löhnen so regeln.
Dann müssen Sie unterscheiden, ob sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas von ihrem Gehalt kaufen oder ob sie es zur Sparkasse bringen. Dann müssen
Sie je nachdem die Einkommen unterschiedlich besteuern, sonst gibt es keine Steuergerechtigkeit mehr.
Das wird die Gleichheit vor dem Gesetz verletzen. Damit müssen Sie sich auseinander setzen.
({20})
Sie behaupten immer, die Betriebsteuer käme auch
den kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute.
Ich kann das letztlich aufgrund der Komplexität der Materie nicht erkennen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das erreichen wollen, was Sie behaupten, dann hätten Sie eine
progressive Betriebsteuer bzw. Körperschaftsteuer einführen müssen. Das heißt, Sie hätten durchsetzen müssen, dass für kleine Gewinne ein wesentlich geringerer
Steuersatz und für größere Gewinne ein wesentlich höherer Steuersatz gilt. Wenn Sie das progressiv gestalten
würden, dann würden Sie die kleinen und mittelständischen Unternehmen tatsächlich entlasten. Genau das haben Sie nicht getan.
({21})
Herr Schwanhold hat gestern gesagt, man solle nicht
immer ein Feindbild von großen Konzernen, Versicherungen und Banken zeichnen. Darum geht es überhaupt
nicht. Keiner möchte, dass sie weggehen. Aber wir wollen, dass sie endlich entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Das ist das Entscheidende.
Sie gewährleisten genau das nicht, weil Sie die großen
Kapitalgesellschaften günstiger stellen im Vergleich zu
den Bürgerinnen und Bürgern und im Vergleich zu den
kleinen und mittelständischen Unternehmen.
({22})
- Hören Sie doch einmal zu. - Das sagen Ihnen doch alle. Ich möchte einen Kommentar aus der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 12. Januar zitieren:
Ergänzungsbedarf ergibt sich auch wegen der von
Anfang an verfehlten Grundkonzeption der Reform
von den ({23}) Kapitalgesellschaften her. Diese
vor allem sollen mit niedrigen Steuersätzen beglückt werden und obendrein Steuerfreiheit für ihre
Veräußerungsgewinne erhalten - während etwa die
ermäßigten Steuersätze für Veräußerungen eines
Gewerbebetriebs gerade erst abgeschafft worden
sind.
Dadurch bringen Sie Ihre Haltung zum Ausdruck, die
kleinen Unternehmen deutlich stärker zu belasten und
die großen zu entlasten.
({24})
Sie behaupten immer: Das schafft Arbeitsplätze. Ich
weise Sie darauf hin: Wir haben gemeinsam in der letzten Legislaturperiode die alte Regierung wegen ihres
Festhaltens an dieser falschen Theorie kritisiert; denn
der Anteil der Einnahmen aus den Unternehmensteuern
an den Gesamteinnahmen betrug 1970 24 Prozent. Heute beträgt er nur noch 7 Prozent. Ich frage Sie: Wie viele
Arbeitsplätze sind denn dadurch tatsächlich entstanden?
In Wirklichkeit sind Arbeitsplätze immer nur abgebaut
worden. Sie haben nun den gleichen Weg wie die alte
Bundesregierung eingeschlagen. Sie sind genauso zur
Wirtschaftslobby geworden wie die alte Regierung,
({25})
ohne aber innerhalb der Wirtschaft die notwendige Differenzierung vorzunehmen, die erforderlich wäre, um
wirklich Arbeitsplätze zu schaffen. Sie stärken einseitig
die großen Unternehmen zulasten der Rentnerinnen und
Rentner, der Arbeitslosen, auch der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sowie der kleinen und mittelständischen Unternehmen; denn irgendeiner wird das Ganze
bezahlen müssen.
({26})
Wenn Sie den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen wollen, dann machen Sie sich doch einmal Gedanken über unsere Vorschläge, zum Beispiel einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für
Reparaturleistungen, für verordnete Arzneien und für
Kinderbekleidung.
({27})
Das würde kleinen und mittelständischen Unternehmen
helfen. Dann kann man 6 Prozent auf Luxusgüter draufschlagen. Das wäre ein bisschen Umverteilung und
durchaus gerecht.
({28})
Sie könnten kleine und mittelständische Unternehmen
auch direkt fördern. Sie könnten eine progressive Gewinnsteuer - für die kleinen und mittelständischen Unternehmen wäre das sehr wichtig - einführen. Sie könnten endlich dafür sorgen, dass sich der Arbeitgeberanteil
an den Zahlungen in die Versicherungssysteme nicht
länger nach der Bruttolohnsumme, sondern endlich nach
der Wertschöpfung bemisst. Auch das würde die kleinen
und mittelständischen Unternehmen entlasten und würde
wesentlich mehr Gerechtigkeit zur Folge haben, weil
nämlich die arbeitsintensiven Sektoren in der Wirtschaft
entlastet würden und diejenigen, die mit wenigen Arbeitskräften hohe Gewinne machen, stärker herangezogen würden. All das würde zur Schaffung von mehr Gerechtigkeit gehören.
Wenn Sie ernsthaft Arbeitsmarktpolitik machen wollen, dann kommen Sie um eine Verkürzung der Arbeitszeit und um eine Wertschöpfungsabgabe nicht umhin.
Sie müssen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für wichtige Tätigkeiten einführen, die sonst nicht
erledigt werden und über die man sich Gedanken machen muss, wie sie endlich bezahlt werden können. Sie
müssen kleine und mittelständische Unternehmen fördern und einen wirklichen ökologischen Umbau vornehmen und dürfen nicht eine Ökosteuer im Rahmen einer Steuerreform einführen - das wollen wir nicht vergessen -, deren ökologische Wirkung Null ist, die sozial
extrem ungerecht ist und mit der Sie den Leuten
die Ökologie abgewöhnen, statt sie ihnen als Bereicherung der Lebensqualität näher zu bringen.
Deswegen werden Sie zumindest von uns keine Zustimmung zu dieser Steuerreform bekommen.
({29})
Aber darauf sind Sie auch nicht angewiesen. Sie befinden sich ja schon in Kompromissverhandlungen mit der
CDU/CSU. Jeder ahnt, was dabei herauskommen wird.
({30})
Ich erteile dem Bundesminister Hans Eichel das Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich zunächst sagen: Die Töne, die in der
heutigen Debatte angeschlagen werden, sind schon ganz
andere als die, die wir noch im vergangenen Herbst im
Deutschen Bundestag gehört haben. Dafür bin ich dankbar; denn sie zeigen, dass wir die Chance haben, im
Laufe der ersten Hälfte dieses Jahres zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis, jedenfalls was den Deutschen
Bundestag und den Bundesrat angeht, zu kommen.
Noch im Herbst habe ich zu hören bekommen, ich
solle das alles einpacken, ich solle ganz von vorne anfangen usw. Lassen Sie uns das alles beiseite räumen
und sagen: Ja, es hat sich in der Diskussion eine Menge
bewegt und wir liegen offenkundig nicht so ganz falsch.
Das ist jedenfalls die Überzeugung des ganzen Hauses.
({0})
Die heutige Debatte um die in der Tat größte Steuerentlastung und um die ambitionierteste Steuerreform,
die es in Deutschland nach dem Kriege gegeben hat, hat
eine Vorgeschichte: die letzte Hälfte des vergangenen
Jahres. Denn ohne einen Einstieg in konsequente Haushaltsausgabendisziplin, in eine Politik der Konsolidierung des Haushaltes, in einen Weg heraus aus der
Schuldenfalle auf der einen Seite, ist auf der anderen
Seite eine Steuersenkung in großem Umfang, wie wir sie
vorsehen, überhaupt nicht zu verantworten. Jeder andere
Weg führt nur zu immer höheren Vorbelastungen späterer Generationen.
({1})
Beide Flanken, die Einnahme- und die Ausgabenseite
der Finanzpolitik, müssen wir im Blick behalten und wir
müssen das eine immer mit dem anderen abstimmen. Je
näher die Notwendigkeit rückt zu entscheiden, je mehr
die Finanzminister der Länder, die Kämmerer der Kreise
und Städte rechnen müssen, was das für sie bedeutet,
umso klarer und realistischer wird, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite nur das in der
Tasche lassen können, was wir auf der anderen Seite in
der Perspektive nicht mehr ausgeben; sonst ist das alles
eine unseriöse, nur auf Pump finanzierte Veranstaltung.
Dies wollen wir nicht.
({2})
Nicht weil ich Recht haben will, sondern weil wir geschaut haben, was möglich ist, bin ich ziemlich sicher:
Die von uns vorgeschlagenen Steuerentlastungen sind in
der Tat das, was der Gesamtstaat bei äußerster Anstrengung wirklich schultern kann. Es ist ganz schön, wahrzunehmen, dass inzwischen auch bei den Finanzministern der CDU die Realität angekommen ist.
Der Finanzsenator aus Berlin sagt, er könne das überhaupt nicht. Der Finanzstaatssekretär aus Hessen - dem
wirtschaftsstärksten Land; davon verstehe ich etwas sagt, damit sei aber die Grenze der Leistungsfähigkeit
des Landes Hessen erreicht. Der saarländische Ministerpräsident sagt mir in einer öffentlichen Debatte, das Entlastungsvolumen werde am Schluss wohl näher bei dem
liegen, was die Bundesregierung vorgeschlagen habe,
als bei dem, was CDU und CSU vorschlagen. Der Mann
weiß, wovon er redet, seit er Verantwortung für einen
Haushalt trägt.
({3})
Ich denke, wir kommen da ganz vernünftig zusammen.
Ganz leise gesagt: Ich habe eine ziemlich genaue
Vorstellung davon, wie das Vermittlungsverfahren im
Sommer läuft und welche Länderfinanzminister unterm
Tisch, wenn keine Kameras dabei sind, die Hand aufhalten.
({4})
- Natürlich; man muss deshalb aufpassen, dass man keine vollmundigen Erklärungen in die Welt setzt, die mit
einer verantwortlichen Politik nicht mehr zu vereinbaren
sind. Das ist doch das Problem.
({5})
Unsere Politik ist sehr ambitioniert. Mit ihr beschreiten wir den Weg heraus aus der Schuldenfalle. Die Zielsetzung lautet, mittelfristig, also jedenfalls bis zum Ende
der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages,
zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Von
diesem Weg wollen wir uns - das sollte für uns alle gelten - nicht abbringen lassen. Die Steuerreform muss so
gestaltet werden, dass das mittelfristige Ziel, aus der
Schuldenfalle herauszukommen, nicht gefährdet wird.
Beides gilt: heraus aus der Schuldenfalle und Senkung
der Steuern- und Abgabenlast insgesamt.
Nun, meine Damen und Herren, noch einmal zu Ihren
Legenden. Was wir, seitdem wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, hier vorgelegt haben, ist
ganz einfach: Steuerentlastungsgesetz, Familienförderungsgesetz und nun das Steuersenkungsgesetz bedeuten
zusammen eine Entlastung - es ist immer etwas schwierig, hier exakte wissenschaftliche Zahlen vorzulegen,
weil ja auch die Wirtschaftssubjekte aufgrund der Steuergesetzgebung ihr Verhalten ändern - von rund
75 Milliarden DM ab 2005. Das steigt stufenweise an.
Zu dem Zeitpunkt entspricht das dann ungefähr
1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von diesen
75 Milliarden DM kommen rund 55 Milliarden DM vorzugsweise bei privaten Haushalten mit niedrigen Einkommen - auf die anders lautende Legendenbildung von
Herrn Gysi komme ich gleich noch zurück - und knapp
20 Milliarden DM bei den Unternehmen an. Diese landen fast vollständig bei den kleinen und mittleren Unternehmen. In diesem Punkt sind Ihre Ausführungen
schlicht unredlich.
({6})
Herr Poß hat Sie zu Recht auf das hingewiesen, was
Sie vor einem Jahr hier gesagt haben. Wahr ist - das habe ich übrigens mit aller Deutlichkeit immer gesagt und
nirgendwo versteckt -, dass wir mit dem Steuerentlastungsgesetz die großen Unternehmen wie zum Beispiel
die Versicherungen und die Energieversorger, in der Tat
steuerlich zusätzlich belastet haben. Ich sage aber dazu
mit Nachdruck: Wer Rückstellungen in Höhe von
72 Milliarden DM für die Entsorgung von Kernkraftwerken gebildet hat, der kann auch 16,7 Milliarden DM
an Steuern dafür zahlen. Dabei habe ich kein schlechtes
Gewissen.
({7})
Die ganze Legendenbildung hier ist hoch spannend:
Plötzlich reichen sich im Rahmen dieser Legendenbildung nämlich CDU/CSU bzw. F.D.P. und PDS die Hände. Dabei spielt natürlich jeder sein eigenes Spielchen.
Das ist interessant. Ihre Aussagen sind aber nicht wahr
und das wird von uns aufgedeckt. Sie werden keine
Chance haben, damit in der öffentlichen Kommunikation zu bestehen.
({8})
Auch etwas anderes ist klar: Wir berücksichtigen beide Seiten. Was nämlich bei den Privathaushalten ankommt, das dient in der Tat zunächst zur Stärkung der
Nachfrageseite. Die einseitige Politik von früher, die
immer sagte, unser wirtschaftliches Heil liege im Export, ist im Zeichen des europäischen Binnenmarktes
falsch. Mehr als 80 Prozent unserer wirtschaftlichen
Leistung wird nämlich im Binnenmarkt erbracht. Europa
befindet sich in keiner anderen Lage als die Vereinigten
Staaten. Nur etwa 18 Prozent werden auf dem Weltmarkt erbracht, bei den Amerikanern noch etwas weniger, nämlich etwa 12 bis 13 Prozent. Das heißt, dass wir
zuallererst einen funktionierenden Binnenmarkt benötigen. Hierfür brauchen wir Nachfrage, und zwar einer
großen Zahl von Menschen, sonst kann der Binnenmarkt
nicht funktionieren. Das ist ein Argument dafür, warum
wir den Schwerpunkt bei der Einkommensteuerentlastung auf das untere Ende legen. Das war nie Ihre Leidenschaft.
({9})
Wir setzen das steuerfreie Existenzminimum hoch und
den Eingangssteuersatz herunter,
({10})
und zwar um fast 11 Prozent in sechs Jahren, von
25,9 Prozent auf 15 Prozent. Sie haben in all der Zeit
vorher gerade mal eine Absenkung, mal eine Erhöhung
um 3 Prozentpunkte zuwege gebracht.
({11})
Das war Ihr Ergebnis, mehr nicht. Wir schaffen
11 Prozentpunkte in sechs Jahren.
({12}) - Hans Michelbach [CDU/
CSU]: Sie Blockierer! - Bartholomäus Kalb
[CDU/CSU]: Sie haben die Bremsklötze noch
an Ihren Schuhen!)
Auch der berühmte Spitzensteuersatz ist von uns gesenkt worden. Herr Gysi möchte das gerne verschweigen, aber wir haben die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wieder hergestellt.
({13})
Das hat übrigens - ich will das fairerweise sagen schon zu Ihrer Zeit begonnen. Wir haben uns ja gemeinsam darauf verständigt, die Sonderabschreibungen für
den Aufbau Ost auslaufen zu lassen. Das ist doch in der
vorigen Legislaturperiode gemeinsam beschlossen worden. Dagegen sage ich auch nichts. Ich sage nur, dass
wir das systematisch mit dem Steuerentlastungsgesetz
fortgesetzt haben. Sie sollten wirklich nicht mehr wie im
vergangenen Herbst bei der Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes den Versuch machen, die Schlupflöcher
wieder aufzumachen, die wir mühsam geschlossen haben.
({14})
Daran misst sich nämlich die Glaubwürdigkeit Ihrer
These, dass Sie die Basis verbreitern und die Steuersätze
senken wollen.
Verehrter Herr Merz und Herr Solms, Sie sollten
einmal konkretisieren, was mit einer einfachen Einkommensteuer gemeint ist. Sie sollten endlich einmal
zugestehen, dass es die Sonntags-, Feiertags- und
Nachtzuschläge betrifft und dass insbesondere die
Krankenschwestern und die Busfahrer dafür zahlen,
wenn wir den Einkommensteuerspitzensatz weiter senken.
({15})
Damit wäre der Redlichkeit der öffentlichen Debatte gedient. Ich glaube nicht, dass Ihre Planungen Sinn machen.
({16})
Wir haben die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wieder hergestellt und wir haben auch beim oberen
Steuersatz ordentlich gesenkt. Verehrte Damen und Herren von der Opposition, die Heldentaten in den
16 Jahren Ihrer Regierung sahen so aus: Der Spitzensteuersatz wurde in 16 Jahren von 56 auf 53 Prozent,
also um 3 Prozentpunkte, gesenkt.
({17})
Wir wollen ihn innerhalb von sechs Jahren von 53 auf
45 Prozent - das sind 8 Prozentpunkte - absenken. Angesichts dessen muss man sich von Ihnen keine Vorhaltungen machen lassen.
({18})
Ich komme gleich noch einmal auf das Thema Spitzen- und Eingangssteuersatz bei den Personengesellschaften zurück. Ich weise aber schon einmal darauf hin,
dass Deutschland im Rahmen der Europäischen Union
mit einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent bei der Einkommensteuer fast am unteren Ende liegt. Es gibt noch
zwei Länder, die einen niedrigeren Spitzensteuersatz haben: Das sind Großbritannien und Portugal. In allen anderen Ländern der EU liegt der Spitzensteuersatz bei
45 Prozent und aufwärts. Angesichts dessen muss man
sich wirklich fragen, ob die politische Leidenschaft, die
Sie in dieses Thema stecken, noch in irgendeinem vernünftigen Verhältnis zu wirtschaftlichen Ergebnissen
steht.
({19})
Wir haben also eine starke Entlastung bei den unteren
Einkommensteuersätzen vorgenommen.
Nun aber zur Angebotsseite, zu den Unternehmen. All diese Vorhaben liegen übrigens im Rahmen dessen,
was wir in unserer Koalitionsvereinbarung im Herbst
1998 festgeschrieben haben. - Was ist in diesem Zusammenhang die erste Aufgabe? Die erste Aufgabe ist,
dafür zu sorgen, dass der Investitionsstandort Deutschland keine Nachteile hat. Wir sind aus vielen Gründen wir haben zum Beispiel hervorragend qualifizierte Arbeitnehmer; wir liegen wissenschaftlich noch immer
vorne und wir bauen das wieder aus; wir haben eine
hervorragende Infrastruktur - ein guter Standort. Man
muss darauf achten, dass das Steuersystem im Hinblick
auf den Standortwettbewerb, den es natürlich gibt,
nicht zu Nachteilen führt.
Deswegen müssen wir zuallererst ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht und Steuersystem sowie wettbewerbsfähige Steuersätze schaffen. Der Nachteil in Deutschland ist: eine schmale Bemessungsgrundlage, dort viele
Ausnahmetatbestände und auf der schmalen Gewinnermittlungsbasis hohe nominale Steuersätze. Das ist Unsinn. Damit räumen wir auf. Auch an dieser Stelle wird
kritisiert, das sei ein Eingriff in die Abschreibungen.
Wir meinen, Basis der Gewinnermittlung sollte sein, die
Bemessungsgrundlage ordentlich zu verbreitern und die
Steuersätze herunterzusetzen. Genau das tun wir.
Im Hinblick auf die Körperschaften ist es wichtig,
nicht nur im Vergleich zu Europa richtig vorzugehen,
sondern auch im Vergleich zum transatlantischen
Bereich. Denn wir haben sehr viele transatlantische
Konzerne im Lande. Zudem ist spannend, wie sich deren
Investitions- und Ausschüttungsverhalten entwickelt.
Wenn wir so wie geplant vorgehen, stehen wir sowohl
im transatlantischen als auch im europäischen Vergleich
gut da. Dann haben wir keine Nachteile mehr aufgrund
unseres Unternehmensteuerrechtes. - Das ist die erste
Aufgabe.
Zweite Aufgabe. Wir müssen alle Barrieren hinsichtlich des europäischen Binnenmarktes abbauen. Ich bin
froh, dass die dogmatische Auseinandersetzung über das
Vollanrechnungs- oder das Halbeinkünfteverfahren
weggefallen ist. Jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis:
Meine Mitarbeiter haben mir gesagt - das waren ja bereits die Mitarbeiter von Theo Waigel -, dass die Frage,
ob das Vollanrechnungsverfahren europatauglich gemacht werden kann, schon vor Jahren unter einem anderen Bundesfinanzminister geprüft und mit negativem
Ergebnis beantwortet worden ist.
Deswegen gehen wir zum Halbeinkünfteverfahren
über. Denn die bestehenden Barrieren müssen wegfallen. Es muss immer wieder gefragt werden: Wie machen
wir uns europatauglich und wie stärken wir unsere Position auf dem europäischen Binnenmarkt?
Nun zu den Personengesellschaften. Ihr Vorwurf,
dass unsere Reform den Kapitalgesellschaften zugute
komme und gegen die Personengesellschaften gerichtet
sei, ist grundfalsch.
({20})
Auch Sie wissen das. Sie brauchen nur einmal nachzulesen, was Herr Hinterdobler, der Hauptgeschäftsführer
der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, der
sowohl in der Unternehmensteuerkommission als auch
in unserem Beirat für das Handwerk mitgearbeitet hat,
dazu gesagt hat. - Herr Merz, nebenbei gesagt, es ist
vorgesehen, die Ergebnisse unserer Planspiele zu veröffentlichen; denn das ganze Verfahren ist transparent.
({21})
- Die Ergebnisse sind gerade im Druck. Sie bekommen
sie. Das ist gar kein Problem.
Herr Hinterdobler, der an dieser Studie mitgearbeitet
hat, hat im Einzelnen dargestellt, dass wir diese Reform
für den Mittelstand und für die Personengesellschaften
machen. Das kann ich Ihnen im Einzelnen belegen.
({22})
Ich rate dazu, dass wir an dieser Stelle nachdenken,
wie unsere Position in Europa ist.
({23})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein,
ich möchte die Thematik im Zusammenhang darstellen.
({0})
Richtig ist, dass wir in Deutschland ungefähr
15 Prozent Kapitalgesellschaften und ungefähr
85 Prozent Personengesellschaften haben. Dies ist - ich
bitte alle, über diesen Punkt nachzudenken - eine Besonderheit in Europa. Diese Besonderheit ist in einigen
Bereichen positiv, sie kann auf die Dauer aber auch
problematisch werden. Ob wir uns auf Dauer mit dieser
Besonderheit in Europa behaupten werden, kann man
zumindest bezweifeln.
Anders, als Sie es darstellen, beinhaltet das Optionsmodell - das ist übrigens auch keine deutsche Besonderheit; man findet es in Frankreich, in den Vereinigten Staaten, in Portugal, in Spanien, in den Niederlanden
und in einer Reihe anderer Länder - das Angebot an die
Personengesellschaften, sich wie die Körperschaften besteuern zu lassen. In diesem Fall treffen auf die Unternehmen die Körperschaftsteuersätze zu. Dadurch wird
für sie das Steuerrecht wesentlich einfacher. Das ist ein
großer Schritt der Vereinfachung.
Das Problem ist - das verstehe ich sehr wohl -, dass
die Personengesellschaften zunächst einmal die Schwierig-
keit haben, die Frage zu klären, ob sie sich für diese
Optionen entscheiden wollen. Das kann ich verstehen.
({1})
- Sie kriegen sie; das habe ich doch gerade gesagt. Wenn sich die Unternehmen für diese Option entscheiden, dann trifft auf sie ein wesentlich einfacheres Steuerrecht zu.
Sie müssen sich einmal in Europa - ich erwähne besonders die Niederlande - umschauen. Sie werden dann
feststellen, dass sich selbst die Ein-Personen-Gesellschaften als Kapitalgesellschaften organisieren. Man
muss diese Tatsache einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
({2})
- Nein, das will ich gerade nicht.
({3})
- Hören Sie einmal zu! Wir eröffnen durch diese Wahlmöglichkeit Chancen. Was ist denn Ihr Begriff von
Freiheit in diesem Lande?
({4})
Es ist eine der großartigsten Regelungen, die ich kenne: Jetzt haben die Unternehmer die Wahl zwischen
zwei Möglichkeiten, die sie vorher nie hatten. Sie können sich entweder nach dem Einkommensteuerrecht
oder nach dem Körperschaftsteuerrecht besteuern lassen.
({5})
Und das ist Ihnen, den Advokaten der Wahlfreiheit,
wiederum nicht recht. Ich kann das nicht verstehen.
({6})
Nun kommen Sie mit Ihrer Rosinenpickerei. Dazu
will ich Ihnen zwei Punkte sagen. Ich nenne in diesem
Zusammenhang das Beispiel Erbschaftsteuer. Warum
gibt es bei den Personengesellschaften das große erbschaftsteuerliche Privileg? Das gibt es nur aus einem
einzigen Grund. Dieses Privileg wird nämlich aus der
Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 des
Grundgesetzes abgeleitet. Der Staat hat danach seine
Steuergesetzgebung ausgerichtet. Wenn nämlich der Unternehmer als Eigentümer seinem Sohn oder seiner
Tochter das Unternehmen vererbt, dann könnte ein
Zugriff der Erbschaftsteuer nicht nur zu einem Problem
für Sohn oder Tochter als neue Eigentümer werden,
sondern auch zu einem Problem für den Betrieb werden
und zu einer Gefährdung der Arbeitsplätze führen.
({7})
Deshalb gibt es dieses erbschaftsteuerliche Privileg.
({8})
Im Fall der Kapitalgesellschaft handelt es sich aber
um zwei getrennte Vorgänge. Weil in diesem Fall der
Unternehmer zu der einen und der Eigentümer zu der
anderen Sphäre gehört, ist eine Vererbung innerhalb der
Sphäre der Eigentümer ohne jeden Belang für die Sphäre der Unternehmer.
({9})
Es verändert sich vielleicht die Eigentümerstruktur.
Wenn bei einem Aktionär der Erbschaftsfall eintritt,
dann ist diese erbschaftsteuerliche Regelung ohne jeden
Belang, weil bei den Kapitalgesellschaften eine Trennung zwischen Eigentümer und Unternehmer vorliegt.
Bereden Sie einmal mit Ihren Finanzministern der Länder, was passiert, wenn auch dieser Fall erbschaftsteuerlich privilegiert würde! Dann gäbe es keine Basis für die
Erbschaftsteuer mehr.
({10})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?
Ja, in
diesem Fall gerne.
Herr Bundesfinanzminister, ich finde, da Sie etwas im Hinblick auf das Erbschaftsteuergesetz dargelegt haben, ist es an dieser
Stelle wichtig, zwei Sachfragen zu klären.
Erstens. Ist es richtig, dass Sie davon ausgehen, dass
nur Personengesellschaften vererbt werden und dass
Kapitalgesellschaften unabhängig von der Struktur der
Eigentümer nicht vererbt werden?
({0})
Zweitens. Ist es dann richtig, dass eine Personengesellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz optiert,
praktisch ohne Eigentümer dasteht, die an die nachfolgende Generation vererben können?
Das ist wichtig. Ich finde, das sollte man klären. Sie
haben das gerade so dargestellt, als ob eine Kapitalgesellschaft nicht vererbt wird. Wie ist es mit einer Personengesellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz
optiert und bei der die Generationenfolge ansteht? Findet dabei nach Ihrer Auffassung ein Erbschaftsvorgang
statt oder nicht?
Es ist
doch ganz einfach. Im Falle der Kapitalgesellschaft wird
das Kapital vererbt und die Eigentümerstruktur ändert
sich gegebenenfalls. Für die Bilanz des Unternehmens
ist das ohne jeden Belang. Dort fällt das gar nicht auf.
Deswegen ist auch ein Erbschaftsfall ohne Problem für
das Unternehmen. - Herr Hauser nickt. Es ist auch richtig.
({0})
Deswegen gibt es auch keinen Grund für ein erbschaftsteuerliches Privileg.
({1})
- Ja, natürlich. - Deswegen können Sie keine Rosinenpickerei zulassen. Im Übrigen müssen Sie einmal nachsehen, wie viele Personengesellschaften als Eigentümerunternehmer vererbt werden. Das ist auch eine
spannende Frage. Wenn Sie mit der Option gleichzeitig
auch das erbschaftsteuerliche Privileg vererben, dann
stellt sich allerdings die Frage nach der Rechtfertigung
dafür, die Vererbung von Aktien noch der Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Das ist das Problem.
({2})
Infolgedessen wird auf diese Weise die Erbschaftsteuer
nicht unterhöhlt. Ich bin ganz sicher, dass das die Finanzminister der Länder - auch Ihre - keinen Deut anders sehen.
({3})
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich habe
Herrn Merz geantwortet. Nein, jetzt nicht mehr.
Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Personengesellschaften. Das Optionsmodell gibt es auch in
vielen anderen Ländern. Übrigens kann man dann sein
Geschäftsführergehalt und Pensionsrückstellungen ansetzen, wie in anderen Ländern auch. Für den, der das
nicht kann oder nicht will, gibt es die pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich noch
einmal zum Einkommensteuertarif und zum Eingangssteuersatz zurück. Zwei Drittel aller Betriebe in Deutschland haben einen Gewinn von weniger als
48 000 DM jährlich und zahlen sowieso keine Körperschaftsteuer und keine Gewerbeertragsteuer. Diejenigen,
die einen Gewinn von 48 000 DM und weniger ausweisen, sehen alle den Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer nicht einmal von ferne. Diese können Sie nur
durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und
durch die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums entlasten.
({0}) - Bartholomäus Kalb
[CDU/CSU]: Und was bringt ihnen die Anrechnung der Gewerbesteuer?
Ich wiederhole das: Zwei Drittel aller Unternehmen
in Deutschland können Sie nur durch die Senkung des
Eingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums entlasten, wenn Sie sie denn
entlasten wollen. Wie lange hat insbesondere die CSU,
diese famose Mittelstandspartei gebraucht, bis sie auf
unseren Druck hin bereit war, beim Eingangssteuersatz
von 19 Prozent auf 15 Prozent herunterzugehen? Das ist
Ihre Art der Mittelstandspolitik, meine Damen und Herren!
({1})
Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass auch Freiberufler für die Körperschaftsteuer optieren können und
damit in dieselbe Situation kommen. Sie betreiben hier
Falschmünzerei, die darauf setzt, dass die Leute den Unterschied zwischen einer Definitivbesteuerung und einer
linear-progressiven Einkommensteuer nicht kennen.
Denn die Körperschaft zahlt natürlich, ganz gleich, wie
groß oder wie klein der Gewinn ist, immer ihre
25 Prozent plus Gewerbeertragsteuer, 37 Prozent oder
38 Prozent definitiv. Bei der linear-progressiven Einkommensteuer kommen Sie, wenn Sie die 45 Prozent
erreichen, vielleicht gerade auf eine Durchschnittsbesteuerung, auf eine Definitivbesteuerung, von
27 Prozent bis 28 Prozent. Die 38 Prozent der Körperschaft erreichen Sie bei der Einkommensteuer nach unserem Tarifverlauf dann, wenn Sie als Alleinstehender
mindestens 200 000 DM und als Verheirateter mindestens 400 000 DM zu versteuerndes Einkommen haben.
Die Freibeträge kommen dann auch noch hinzu.
({2})
Darum kämpfen Sie. Das hat nichts mit einer Unternehmensteuerreform zu tun. Das hat nichts mit den
1,7 Millionen kleinen und mittleren Betrieben in
Deutschland, nichts mit dem Handelsvertreter, nichts
mit dem Frisörmeister, nichts mit dem Handwerksmeister mit zwei oder drei Gesellen zu tun. Die sehen den
Spitzensteuersatz nicht einmal von ferne. Deswegen machen wir die Unternehmensteuerreform für die kleinen
und mittleren Betriebe.
({3})
Meine Damen und Herren, wir verbessern in der Tat
das Steuersystem, indem wir den unsinnigen Unterschied, dass ausgeschüttete Gewinne besser behandelt
werden als einbehaltene - das ist Ihre bisherige Systematik -, aufheben. Dies führt übrigens auch dazu - die
Bundesbank hat uns dies im Monatsbericht vom Oktober
vergangenen Jahres im Vergleich zu Frankreich vorgehalten -, dass die deutschen Unternehmen - im besonderen Maße die kleinen und mittleren Betriebe, aber
auch die großen - in der Eigenkapitalausstattung deutlich schlechter sind als die französischen und deutlich
stärker insolvenzgefährdet sind. Dies wollen wir beseitigen. Wir wollen starke Unternehmen, damit sie in einer
Krise durchhalten und nicht bei einer Krise kaputtgehen.
({4})
Deswegen tun wir genau das, was die Bundesbank in
diesem Punkt nahe legt. Wir schaffen ein ähnliches System wie Frankreich. Deswegen ist das ein guter Weg.
Es ist übrigens ein Weg - deswegen dürfen Sie sich
über die Zustimmung der Wirtschaft nicht wundern -,
den wir nicht allein entwickelt haben. Die Unternehmensteuerreformkommission, die im Dezember 1998
eingesetzt worden ist,
({5})
wurde von Herrn Kühn geleitet. Das ist der Steuerexperte des Deutschen Industrie- und Handelstages. Alle
Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften haben ihre
Steuerfachleute in der Kommission gehabt. Auch Herr
Hinterdobler hat dazugehört. Deswegen ist diese Reform
abseits der Frage der Steuersätze in der Tat auch aus der
Perspektive der Unternehmensverbände gemacht worden.
({6})
Das Sie das schmerzt, meine Damen und Herren, kann
ich verstehen. Sie hätten das aber früher bemerken sollen.
Ich sage noch einmal: Dies ist eine Steuerreform, die
wir nur angehen konnten, weil wir konsequent den Ein8160
stieg in die Konsolidierung des Haushaltes und den Weg
aus der Schuldenfalle gegangen sind.
Wir können es uns nur deswegen leisten, in dem beginnenden Aufschwung ein deutliches Zeichen für einen
stärkeren Aufschwung zu setzen, weil wir die große Nettoentlastung des Steuerentlastungsgesetzes von 2002 auf
2001 vorziehen. Damit der Aufschwung, soweit die
Steuerpolitik Beiträge leisten kann, ein lang anhaltender
wird, setzen wir etwas dahinter: Weil es mit dem Ziel,
aus der Schuldenfalle herauszukommen, vereinbar ist,
gibt es weitere Steuerentlastungen bei der Einkommensteuer bis zu den 15 Prozent unten und 45 Prozent oben.
Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich, dass
dies ein sehr offenes Verfahren wird. Wir haben das
sorgfältig vorbereitet. Die Reaktionen der Wirtschaft
zeigen es auch. Sie machen Ihnen die Totalopposition,
die Sie im vergangenen Herbst noch angekündigt hatten,
unmöglich, weil Sie genau wissen, dass dies auch in
dem Bereich, der Ihnen politisch nahe steht, als eine
vernünftige Reform angesehen wird, an der die Unternehmensverbände genauso wie der Steuerexperte des
Deutschen Gewerkschaftsbundes mitgearbeitet haben.
({7})
Es ist richtig, eine Steuerpolitik so vorzubereiten,
weil wir Transparenz wollen und weil wir mit den Unternehmen, ebenso wie mit den Bürgerinnen und Bürgern, über die Höhe der Besteuerung immer fechten
werden. Aber wir müssen nicht um das System fechten.
Deswegen war es vernünftig, sie dabei zu haben.
Deswegen sage ich: Ich begrüße die Töne heute, die
sehr differenziert waren, auch wenn sie nicht mit allen
Punkten Einverständnis signalisierten. Ich sage ganz
ausdrücklich - auch wenn wir es sorgfältig vorbereitet
haben -: Wenn es Vorschläge gibt, die uns wieder in die
Gefahr eine Steuersenkung auf Pump führen, so werden
wir das auf keinen Fall mitmachen. Das kann niemand
vernünftigerweise mitmachen.
({8})
Wir sind natürlich bereit, über alle Einzelheiten zu
reden. Warum soll es nicht jemanden geben, der trotz aller sorgfältigen Vorberatung mit den Experten der Verbände noch fragt: Habt ihr an der einen oder anderen
Stelle noch eine bessere Lösung?
Deswegen reden wir darüber. Das Ziel muss sein, im Interesse unseres Landes vor der Sommerpause zum Abschluss zu kommen. Ich denke, dieses Ziel ist erreichbar.
Das ist für Deutschland gut, weil es uns hilft, von einem
der hinteren Plätze bei der Wirtschaftsentwicklung in
Europa ganz weit nach vorne zu kommen, wo wir hingehören. Die Großen müssen vorne stehen.
Das ist ein Weg, der genau zu dem führt, wofür wir
angetreten sind. Denn dann wird die Arbeitslosigkeit im
Lande - der Prozess hat ja schon begonnen - nachhaltig
abgebaut sein. Das wollen wir erreichen.
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Barbara Höll, PDSFraktion, das Wort.
Herr Minister Eichel, Sie
haben der PDS Legendenbildung vorgeworfen, insbesondere im Hinblick auf die Einschätzung des unterschiedlichen Entlastungsvolumens für die Bezieher
unterer und hoher Einkommen.
({0})
Nimmt man nicht nur die prozentualen Anteile an den
Entlastungen seit 1999, sondern schaut man sich den Inhalt an, dann erkennt man, dass 1999 noch 80 Prozent
der Gesamtentlastung auf die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entfällt und dass sich das in den Jahren
2001 und 2002 ändert.
Das bedeutet, dass am Ende ihrer Steuerentlastungspolitik etwas herauskommt, was Ihnen doch sehr zu
denken geben sollte. Bereits im Jahre 2002 entfällt das
Hauptentlastungsvolumen zu einem sehr viel höheren
Prozentsatz - verglichen mit dem, was Sie vorher machen - auf die oberen Einkommensgruppen. Rechnet
man das einmal pro Kopf der Bevölkerung um, so heißt
das für das Ende Ihrer Steuerentlastungspolitik im Jahre
2005: Auf die wenigen Prozent der Steuerpflichtigen
mit hohem Einkommen entfällt eine Entlastung von
8 734 DM pro Person, während die Entlastung für Bezieher mit niedrigem Einkommen nur 1 478 DM beträgt.
Sie können nun wirklich nicht behaupten, dass das noch
in einem vernünftigen Verhältnis steht. Das ist ganz eindeutig eine viel stärkere Entlastung hoher Einkommen.
({1})
Sie haben Ihre Rede damit beendet, das Sie gesagt
haben, insbesondere durch die steuerliche Besserstellung
einbehaltener Gewinne würden Arbeitsplätze entstehen.
Sie haben aber überhaupt keine Vorsorge getroffen.
Während Sie im Unternehmensbereich bei der Gewinnverwendung zumindest im Hinblick auf die einbehaltenen Gewinne das Prinzip der Neutralität aufrechterhalten, sehen Sie das bei der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht so. Am Wochenende haben Sie nämlich eine Zwangsabgabe für eine private
Rente vorgeschlagen. Wenn die Bezieher sehr hoher
Einkommen nun auch noch überproportional steuerlich
entlastet werden, warum schlagen Sie dann nicht endlich
einmal vor, dass sie zwangsweise in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen? Denn dann käme wirklich
einmal etwas heraus, was uns hilft. Das, was die Regierung den Menschen mit einem sehr hohen Einkommen
schenken und erlassen will, würde dann sinnvoll verwendet. Wenn Sie es schon für die einen machen wollen, dann machen Sie es doch bitte für alle!
({2})
Zu einer
weiteren Kurzintervention hat sich der Kollege Ernst
Hinsken gemeldet. Herr Minister ich schlage vor, dass
Sie anschließend auf beide eingehen.
Einverstanden.
Herr
Hinsken, bitte schön.
Ich habe mich zu dieser
Kurzintervention gemeldet, weil der Herr Minister meine Zwischenfrage nicht zuließ.
({0})
Herr Minister Eichel, ich erwarte von Ihnen, dass Sie
schön bei der Wahrheit bleiben.
({1})
Da Sie Herrn Hinterdobler als „Kronzeugen“ genannt
haben, möchte ich darauf verweisen, dass Herr
Hinterdobler - insgesamt gesehen - nur gesagt hat, die
Richtung stimme.
({2})
Aber er hat auch darauf verwiesen, dass das Optionsmodell am Handwerk total vorbeigeht. Das haben Sie
unterschlagen. Es gehört mit dazu, dass Sie diesbezüglich hier ergänzende Ausführungen machen. Denn
ich meine, wenn viele Fernsehzuschauer diese Debatte
verfolgen, sollten sie auch ordnungsgemäß informiert
werden.
Im Übrigen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen entgangen, dass auch Präsident Philipp vom Zentralverband
des Deutschen Handwerks gesagt hat, dass diese Steuerreform den Mittelstand nicht so berücksichtigt, wie es
an und für sich sein sollte?
({3})
Wie deuten Sie das, was Kollege Poß vorhin gesagt hat,
nämlich: „Wir werden mit den mittelständischen Verbänden noch Gespräche führen können“? Heißt das: Mit
dem Mittelstand spricht man und den Großen gibt man?
Das kann doch nicht nachvollzogen werden. Das ist
nicht die Politik, die der Mittelstand, insbesondere als
Leistungsträger dieser Gesellschaft braucht.
({4})
Herr
Minister.
Sie haben gesagt: Mit dem Mittelstand spricht man und den
Großen gibt man. Aber die Steuerreform durch unser
Steuerentlastungsgesetz, die Familienförderung und das
Steuersenkungsgesetz läuft für die Großen praktisch auf
Null hinaus. Für den Mittelstand gibt es eine Entlastung
von 17, 18 Milliarden DM. Das ist es.
({0})
Zweitens habe ich nicht behauptet, dass Herr
Hinterdobler mit allen Einzelheiten einverstanden ist.
Sie haben die Generalkritik geäußert, wir machten eine
Steuerreform für die Großen und belasteten den Mittelstand. Herr Hinterdobler sagt das genaue Gegenteil.
Das haben Sie eben nicht deutlich gesagt.
({1})
Was drittens Herrn Präsidenten Philipp betrifft, so
weiß ich, dass er insbesondere das Thema Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer behandelt. Ich wüsste gerne, wie viele dem Zentralverband des Deutschen Handwerks angehörende Betriebe tatsächlich vom Spitzensteuersatz betroffen sind.
({2})
Vielleicht kommen wir dann zu einer anderen Debatte.
Ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, dass zwei
Drittel aller Unternehmen in Deutschland - das ist eine
Vielzahl von Kleinbetrieben, die in Wahrheit in keiner
anderen Situation sind als sehr viele Arbeitnehmer
auch - nur durch die Gestaltung des Eingangssteuersatzes und des Existenzminimums entlastet werden können.
Der Fehler gerade der CDU/CSU war, diesen Sachverhalt nicht erkannt zu haben, sondern sich erst dazu haben zwingen lassen zu müssen.
({3})
Was die Zwischenfrage von Frau Dr. Höll angeht, sage ich: Jeder hat nur seine selektive Auswahl von Fakten. Sie unterschlagen schlicht, was wir im Steuerentlastungsgesetz getan haben, um hohe Einkommen wieder
zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Das unterschlagen Sie. Es kommt bilanziell genau das heraus, was ich eben vorgetragen habe. Aber jeder macht eben seine Propaganda mit Halbwahrheiten.
({4})
Ich sage Ihnen nur: Wir werden unsere Wahrheiten
dagegen durchsetzen. Sie werden keine Chance haben,
das öffentlich klar zu machen.
({5})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wenn es nach den Versprechungen der Regierung gegangen wäre, dann würden
wir heute nicht über einen Entwurf diskutieren, sondern
dann hätten wir schon seit dem 1. Januar 2000 eine Unternehmensteuerreform,
({0})
und zwar mit Sätzen von 35 Prozent inklusive Gewerbesteuer.
({1})
Dass daraus nichts geworden ist und wir erst heute
darüber diskutieren, ist nicht auf uns zurückzuführen,
sondern liegt an Ihnen.
({2})
- Sie haben doch nicht einmal etwas vorgelegt, Herr
Stiegler, da kann man doch gar nicht von Kompromisslosigkeit sprechen!
({3})
Wenn es nach uns gegangen wäre - auch darauf muss
noch hingewiesen werden -, dann hätten wir schon seit
mehr als zwei Jahren eine deutliche Entlastung aller
Steuerzahler, und zwar eine so große Entlastung, dass
auch eine entsprechende Impulswirkung auf Wirtschaft
und Arbeitsmarkt zu verzeichnen gewesen wäre.
({4})
Dass daraus nichts geworden ist, haben wir ebenfalls
nicht zu verantworten, sondern auch das liegt wiederum
bei Ihnen.
({5})
Das, lieber Herr Finanzminister, gehört zur Vorgeschichte, genauso wie dazugehört, dass in den vergangenen Jahren nicht eine Entlastung, sondern eine Belastung eingetreten ist,
({6})
nicht nur wegen der Ökosteuer, sondern auch wegen der
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in weiten Bereichen, weshalb Sie diese Unternehmensteuerreform
versprochen haben, die Sie erst jetzt umzusetzen versuchen.
({7})
Nun sind wir ja froh, dass überhaupt ein Entwurf vorliegt.
({8})
Richtig ist auch, dass wir uns jetzt intensiv über den
richtigen Weg streiten sollten. Die größte Schwachstelle - das ist in der heutigen Diskussion bereits zum Ausdruck gekommen - ist die Schieflastigkeit zugunsten
der Großaktionäre und zulasten der Kleinaktionäre,
({9})
die Schieflastigkeit zugunsten der Großbetriebe, der
großen Unternehmen, der Kapitalgesellschaften und zulasten der kleinen und mittelständischen Unternehmen,
eine Schieflastigkeit aber auch in Bezug auf Sparer und
Unternehmen. Denn das, was im Unternehmen gespart
wird, wird bevorzugt, während das, was privat gespart
wird, benachteiligt wird.
({10})
Herr Minister, wenn Sie vorhin gesagt haben, dass
Handwerksvertreter etwa Herr Hinterdobler und andere,
das grundsätzlich begrüßen, dann möchte ich schon darauf hinweisen, dass hier immer wieder ein enormer
Verbesserungsbedarf angemahnt wird. Dabei geht es
nicht nur um den Spitzensteuersatz, sondern um den gesamten Tarifverlauf,
({11})
beispielsweise auch darum, wann der Spitzensteuersatz
tatsächlich gezahlt werden muss. Sie bleiben ja nicht
einmal beim jetzigen Stand, sondern gehen noch herunter. Das heißt, schon bei einem Einkommen von
98 000 DM muss der Spitzensteuersatz, der im nächsten
Jahr noch 48,5 Prozent beträgt und erst im Jahr 2005 auf
45 Prozent abgesenkt wird, gezahlt werden. Dies führt
dazu, dass die Kurve noch steiler wird
({12})
und dass nicht nur diejenigen, deren Einkommen über
dem Spitzensteuersatz liegt, sondern auch alle, die darunter liegen, mehr belastet werden. Dies zu vermeiden
ist ein wesentliches Anliegen des Mittelstandes.
({13})
Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von den
Regierungsfraktionen, wird der Unternehmensstruktur
in unserem Lande auch nicht gerecht. 85 Prozent unserer
Unternehmen sind als Personengesellschaften organisiert, ein Großteil als Einzelunternehmen. Diese Unternehmen stellen den Großteil der Arbeits- und Ausbildungsplätze. Sie sind von der Einkommensteuer betroffen. Eine Unternehmensteuerreform, die diesen Namen
wirklich verdient und eine Entlastung der Unternehmen
mit sich bringen soll, kann an diesen 85 Prozent nicht
vorbeigehen. Sie müssen vielmehr in den Mittelpunkt
gestellt werden.
({14})
Sie machen genau das Gegenteil: Sie lösen den Zusammenhang zwischen Einkommensteuer und Körperschaftsteuer auf und begünstigen einseitig die großen
Unternehmen und die Kapitalgesellschaften.
({15})
- Natürlich, die kleinen und mittleren Unternehmen, die
Landwirte, die Freiberufler werden bei Ihnen nur ganz
geringfügig und sehr spät über den Einkommensteuertarif entlastet, während die Kapitalgesellschaften schon im
ersten Jahr mit 25 Prozent einen deutlich niedrigeren
Steuersatz für die einbehaltenen Gewinne haben.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben es immer
noch nicht kapiert!]
Alle anderen - die Landwirte, die Freiberufler, auch die
kleinen Unternehmen, die nicht in diesem Maße entlastet werden - sind aber von den Gegenfinanzierungsmaßnahmen, von Abschreibungsverschlechterungen und allen anderen Maßnahmen aus dem Steuerentlastungsgesetz, mindestens genauso betroffen. Sie haben jedoch einen Anspruch darauf, gleichermaßen entlastet zu werden.
({16})
Dass ein Unterschied im Tarif besteht, können Sie
wirklich nicht leugnen. Bei den Kapitalgesellschaften,
den Aktiengesellschaften und den GmbHs, also bei den
überwiegend Großen, wird es künftig einen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent geben. Für die Handwerker, Freiberufler und Mittelständler hingegen, also
für die, die Einkommensteuer zahlen und persönlich mit
all ihrem Hab und Gut für das ganze Unternehmen, für
alle Arbeitsplätze in ihrem Unternehmen haften, wird im
kommenden Jahr, in dem die Steuerreform in Kraft treten soll, noch ein Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent
und später immer noch ein Spitzensteuersatz von
45 Prozent gelten. Daran wird deutlich, dass das nicht
zusammenpasst, dass eine große Spanne besteht, selbst
wenn Sie als Vergleich nicht den Grenzsteuersatz, sondern die durchschnittliche Steuerbelastung heranziehen.
Das passt nicht zusammen, es ist keine gleichmäßige
Entlastung der Unternehmen.
({17})
Eine zweite Ungleichbehandlung neben dem Tarif
stellt die Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei
Kapitalgesellschaften dar. Daran wird die Schieflastigkeit besonders deutlich.
({18})
Es leugnet niemand, dass ein Strukturwandel in der
Wirtschaft notwendig ist und dass man über geeignete
Maßnahmen nachdenken muss. Nach Ihrem Vorhaben
aber sieht die Situation künftig folgendermaßen aus:
Wenn eine Kapitalgesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft, sind die Erlöse daraus steuerfrei. Wenn eine Personengesellschaft oder eine Privatperson Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft,
wird nach dem so genannten Halbeinkünfteverfahren die
Hälfte der Einkünfte mit dem vollen Steuersatz belegt.
Wenn ein Personenunternehmer, zum Beispiel ein
Handwerker, sein Unternehmen verkauft bzw. abgibt
oder wenn ein Gesellschafter Anteile einer Personengesellschaft verkauft, gilt weder die Steuerfreiheit noch die
hälftige Besteuerung, sondern die volle Besteuerung.
({19})
Da kann man doch nicht davon reden, dass vergleichbare Sachverhalte steuerlich gleich behandelt werden.
({20})
- Genau, das liegt am System. Deshalb ist schon das
System falsch.
({21})
Sie können vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich besteuern.
({22})
Ich möchte dazu den Präsidenten des Deutschen
Steuerberaterverbandes, Herrn Pinne, zitieren:
Pinne kritisierte, „der Mittelständler muss alles versteuern und die großen Kapitalgesellschaften können steuerfrei umstrukturieren, das ist eine eindeutige Begünstigung der Großindustrie“. Er habe ohnehin „das Gefühl, dass hier mehr für die international tätigen Konzerne getan worden ist als für den
Mittelstand, der ja eigentlich die Säule unserer
Wirtschaft ist“ ...
Meine Damen und Herren, wo er Recht hat, hat er
Recht. Dies trifft den Kern der Sache.
({23})
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auch verankert,
dass die Personenunternehmen optieren können. Sie
können wählen, wie ein Personenunternehmen mit der
Einkommensteuer belegt zu werden oder wie eine Kapitalgesellschaft mit der niedrigeren Körperschaftsteuer.
Allein die Tatsache, dass Sie diese Optionsmöglichkeit
verankern, macht schon deutlich, dass Sie selbst zugestehen, dass hier eine Ungleichbehandlung besteht.
Sähen Sie diese Ungleichbehandlung nicht, würden Sie
diese „Krücke“ nicht einbauen.
Nun sind die 25 Prozent Körperschaftsteuer ja sehr
verlockend, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zur
ganzen Wahrheit gehört, dass mit dieser Optionsmöglichkeit eine Fülle von zusätzlichen Komplizierungen verbunden ist. Das Steuerrecht wird also nicht
einfacher, sondern weit komplizierter. Wir werden in die
gleiche Situation kommen wie beim Steuerentlastungsgesetz. Dieses Gesetz ist zwar bereits seit einem Jahr in
Kraft, aber zu wichtigen Punkten sind noch immer
keine Durchführungsanweisungen vorhanden, weil diese
schlicht nicht machbar sind. Es gibt also keine Vereinfachung, sondern zusätzliche Komplizierungen. Zudem ist
eine Fülle von Fallen enthalten. Die Unternehmen gehen
ein kostspieliges Risiko ein, letztlich die Gefahr einer
wirtschaftlichen Geisterfahrt, wenn Sie so wollen.
({24})
Ich will einige Beispiele ansprechen: Es wird immer
verschwiegen, dass, wenn es um eine Personengesellschaft geht, alle Gesellschafter einstimmig entscheiden
müssen, auch wenn die individuelle Situation der Gesellschafter sehr unterschiedlich ist, was in der Regel der
Fall ist. Gelegentlich wird auch verschwiegen, dass für
diejenigen, die optieren und zurzeit noch keine Gewerbesteuer zahlen, die Gewerbesteuerpflicht hinzukommt,
beispielsweise bei den Landwirten und den Freiberuflern. Verschwiegen wird auch, dass zwei Bilanzen erstellt werden müssen: eine Handels- und eine Steuerbilanz. Nun kann man sagen: Gut, das macht vielleicht ein
bisschen mehr Arbeit. Dass dies aber für den Betrieb
nicht nur mehr Arbeit, mehr Aufwand bedeutet, sondern
auch mehr Kosten verursacht, muss bei dieser Gelegenheit einmal erwähnt werden.
({25})
Sind in einer Personengesellschaft bzw. einem Personenunternehmen Immobilien vorhanden, die betrieblich
genutzt werden - das ist sehr häufig der Fall -, kommt
hinzu, dass bei der Option das Sonderbetriebsvermögen
als entnommen gilt und der daraus entstehende Gewinn
versteuert werden muss. Das ist eine zusätzliche Besteuerung, die bei vielen Betrieben einen sehr großen Betrag
ausmacht, weil eben die betriebliche Nutzung von
Grundstücken, gerade auch von Immobilien, bei Personenunternehmen sehr häufig vorkommt.
Wenn nun nach einigen Jahren wieder zurückoptiert
wird, das heißt, wenn das Unternehmen ertragsschwächer wird - die Option zur Kapitalgesellschaft rentiert
sich dann nicht mehr so stark -, dann muss der Gewinn,
der bis dahin nur mit 25 Prozent versteuert wird, ausgeschüttet und im Halbeinkünfteverfahren nachversteuert
werden. Wenn man berücksichtigt, dass dies gerade zu
einer Zeit kommt, in der die Unternehmen ertragsschwächer sind, eine Phase, in der sie in aller Regel
eben nicht so liquide sind, und dass nun die zusätzliche
Steuerlast hinzukommt, dann müssen Sie doch sehen,
dass dies eine Falle ist, aus der viele gar nicht mehr herauskommen.
({26})
Nun zur Erbschaftsteuer. Herr Minister, Sie haben,
als Sie dies angesprochen haben, offensichtlich den Eindruck erweckt, dass Sie dabei etwas geschwommen sind
und sich auf Glatteis begeben haben.
({27})
Sie haben Recht, dass bei Kapitalgesellschaften die Gesellschaft als solche nicht vererbt wird, sondern die Anteile vererbt werden. Aber in diesem Fall der Option
haben wir es nicht mit einer Kapitalgesellschaft per se
zu tun, sondern wir haben es nach wie vor mit einem
Personenunternehmen zu tun, das nur steuerrechtlich so
wie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird. Das ist ein
völlig anderer Zusammenhang.
Das heißt, die Konsequenz, die Sie ziehen, dass in
diesen Fällen eine Personengesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft erbschaftsteuerlich zu behandeln ist, ist
völlig falsch. Sie kann so nicht gezogen werden. Bei der
Kapitalgesellschaft wird das Betriebsvermögen völlig
anders bewertet als bei Personenunternehmen. Die führt
dazu, dass die Erbschaftsteuer nicht von einer anonymen
Gesellschaft, sondern von den verantwortlichen Personen getragen wird. Es besteht nach wie vor die persönliche Verantwortung in der Personengesellschaft, so dass
die Erbschaftsteuerbelastung dabei nicht nur ein wenig
höher wird, sondern etwa das Fünffache betragen wird.
Gerade bei ertragstarken Unternehmen, bei denen
sich die Option vom Steuersatz her lohnen würde, ist
dies ganz besonders ausgeprägt, weil die Kapitalgesellschaften im Erbschaftsteuerfall eben nach dem Ertragswert bewertet werden. Das heißt, Sie haben bei der Erbschaftsteuer eine solche zusätzliche Erschwernis für die
Option mit eingebaut, dass es wirklich unglaublich ist.
Ich will nur darauf hinweisen, dass sich der Beirat,
den Sie mehrfach zitiert haben, bei der Problematik der
Erbschaftsteuer hinsichtlich der Option nicht umsonst
einer Äußerung enthalten hat. Die Erbschaftsteuerregelung, so wie Sie sie jetzt im Gesetz vorsehen, war nicht
enthalten.
Diese Option ist so ausgestaltet, dass sie als Berater
oder als Unternehmer wirklich ein Hellseher sein müssen, wenn Sie sich dafür entscheiden. Es ist ein Abenteuer ohne Kenntnis des Ausgangs. Deshalb kann es
nicht empfohlen werden.
Daher überrascht es nicht, dass Sie, Frau Scheel, vor
einigen Tagen gesagt haben: Es ist mir ziemlich egal wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie wörtlich „schnurz“ gesagt - wie viele optieren. Sie rechnen
mit maximal etwa fünf Prozent. Wenn Sie schon mit so
geringen Zahlen rechnen, wenn Sie selbst schon davon
ausgehen, dass nur ganz wenige dies in Anspruch nehmen, dann ist doch deutlich, dass Sie das nur als Feigenblatt und als Alibi haben. Sie haben es nur ins Gesetz
aufgenommen, um davon abzulenken, dass Sie für die
Personenunternehmen keine adäquate Regelung gefunden haben.
({28})
Wenn Sie schon sagen, dass es nur ein paar Prozent
sein werden, dann will ich nur darauf hinweisen, dass
Sie eine Art symbolische Gesetzgebung machen. Was
das für Konsequenzen hat, will ich hier nur am Rande
erwähnt haben.
({29})
Deshalb haben wir eine völlig andere Alternative.
Wir setzen an der gleichmäßigen Besteuerung aller
Steuerpflichtigen und an der gleichmäßigen SteuerGerda Hasselfeldt
entlastung aller an: der Kapitalgesellschaften genauso
wie der Personenunternehmen, der kleinen und mittelständischen Unternehmen, der freien Berufe, der Landwirte und der Arbeitnehmer. Auch diese darf man dabei
nicht vergessen.
({30})
Wir setzen nicht mehr nur am Höchststeuersatz an,
sondern am gesamten Tarifverlauf. Bei uns beginnt der
Höchststeuersatz von 35 Prozent nicht wie bei Ihnen bei
98 000, sondern weiter hinten, nämlich erst bei 110 000
DM. Das sehen wir im Übrigen auch schon viel früher
vor.
Bei der Körperschaftsteuer wollen wir beim Anrechnungsverfahren bleiben, aber auch hier eine
deutliche Senkung des Steuersatzes vornehmen, auf
30 Prozent bzw. - bei den ausgeschütteten Gewinnen auf 25 Prozent. Was uns aber ganz besonders wichtig ist,
ist die Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und
Personenunternehmen. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht - so wie es geschildert wurde -, bei der
Besteuerung der Veräußerungsgewinne eine Reinvestitionsrücklage einzuführen. Es kann nicht dabei bleiben,
dass die Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften
steuerfrei sind, die Personengesellschaften aber außen
vor bleiben.
({31})
Mindestens genauso wichtig ist uns die Rücknahme
der Beschlüsse im Steuerentlastungsgesetz, die belastend für den Mittelstand wirken. Besonders herausnehmen will ich die Besteuerung bei Veräußerungs- und
Abgabegewinnen mit dem halben durchschnittlichen
Steuersatz, die Sie abgeschafft haben. Wir wollen, dass
dieser halbe durchschnittliche Steuersatz für Personenunternehmen und Einzelkaufleute wie Handwerker wieder eingeführt wird und zum Tragen kommt, wenn ein
Betrieb aufgegeben oder veräußert wird.
({32})
Wir müssen uns am Schluss die Frage stellen: Was
kommt nach den Monaten intensiver Diskussion heraus?
Wir stehen jetzt am Anfang der parlamentarischen Beratungen. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden nicht so wie Sie das gemacht haben - blockieren,
({33})
nicht weil der Entwurf so gut wäre, sondern deshalb,
({34})
weil wir unserer gesamtpolitischen Verantwortung bewusst sind. Deshalb werden wir nicht blockieren.
({35})
Wir wollen aber keine einseitige Entlastung, sondern eine gleichmäßige Belastung. Wir wollen den zeitlichen
Rahmen festschreiben und Änderungen in einem Umfang vorsehen, die tatsächlich zu mehr Impulsen auf
dem Arbeitsmarkt führen. Wir wollen weiter daran arbeiten, dass das Steuerrecht nicht komplizierter, sondern
einfacher wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in den
nächsten Monaten diese schwierige Aufgabe gemeinsam
angehen, in der Hoffnung, dass wir alle sachlich und
konstruktiv, aber auch kritisch an die Arbeit gehen!
({36})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Hansgeorg Hauser. Sie sollten sagen, auf welchen Beitrag die Kurzintervention erfolgt.
({0})
Ich möchte eine kurze Anmerkung zu der Rede von
Herrn Minister Eichel machen.
Herr Minister, Sie haben gerade von „Halbwahrheiten“ gesprochen. In Bezug auf die Erbschaftsteuer haben Sie richtig angemerkt, dass die Anteile an Kapitalgesellschaften die Objekte sind, die der Erbschaftsteuer
unterliegen werden. Insofern habe ich zustimmend genickt. Das ist absolut richtig. Diese Anteile werden, wie
das Frau Hasselfeldt sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat, in einem Ertragswertverfahren bewertet. In
dieses Ertragswertverfahren werden die zukünftigen Erträge mit einbezogen. Bei einer ertragstarken GmbH
wird so selbstverständlich ein hoher Wert entstehen. Im
Gegensatz dazu werden für die Bemessung der Erbschaftsteuer bei Personengesellschaften in der Regel nur
die Buchwerte zugrunde gelegt. Dieser Wert ist natürlich erheblich geringer als der im Ertragswertverfahren
ermittelte.
Das veranlasst uns zu der Bemerkung - auch die Experten stellen das alle klipp und klar fest -: Die Option,
wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden, führt
im Falle der Erbschaftsteuer und - das ist für uns noch
viel wichtiger, weil es für die vorgezogene Erbfolge, also den Generationenwechsel, von Belang ist - bei der
Schenkungsteuer zwangsläufig zu erheblichen höheren
Steuerwerten als das bei Personengesellschaften normalerweise der Fall wäre.
Lassen Sie mich noch ganz kurz einen zweiten Punkt
ansprechen, die Frage der Finanzierung. Sie haben gesagt, Sie wollten mit der von Ihnen vorgeschlagenen
25-prozentigen Körperschaftsteuer, einer definitiven,
end-gültigen Besteuerung.
({0})
- Plus Gewerbesteuer, das ist klar -, dazu beitragen,
dass die Innenfinanzierung gestärkt wird. Ich glaube,
dass Sie mit dieser Entscheidung gegen eine Reihe von
Neutralitätsgeboten verstoßen. Sie verstoßen gegen die
Finanzierungsneutralität. Sonst sagen Sie überall, der
Kapitalmarkt solle gestärkt werden; denn die Außenfinanzierung müsse gleichermaßen berücksichtigt werden.
Hier schließen Sie den Kapitalmarkt aus, weil die Gewinne eingesperrt bleiben, also nicht auf dem Kapitalmarkt bessere Verwendung finden. Sie verstoßen gegen
die Rechtsformneutralität und Sie verstoßen gegen die
Gewinnverwendungsneutralität. Das sind ganz typische
Merkmale dieses Reformwerkes.
Deswegen sollten Sie das noch einmal überdenken. In
einigen Punkten sollten wir erheblich andere Ergebnisse
erzielen.
Positiv ist, dass Sie endlich einsehen, dass wir eine
Unternehmensteuerreform mit niedrigeren Sätzen brauchen. Das hat bei Ihnen im Sommer noch ganz anders
geklungen, als Herr Poß uns die falschen Zahlen von der
OECD um die Ohren gehauen hat. Er hat damals gesagt,
die Unternehmen würden in Deutschland so günstig besteuert, dass wir keine Veränderungen brauchten.
({1})
Herr
Bundesminister Eichel, bitte schön.
Erstens,
Herr Kollege Hauser: Die niedrigen Sätze stehen in der
Koalitionsvereinbarung dieser Koalition. Insofern sind
Ihre Aussagen schlicht falsch.
({0})
Zweitens. Das Neutralitätsgebot hatten Sie im jetzigen Steuerrecht verletzt, weil Sie den ausgeschütteten
Gewinn begünstigten.
({1})
Jetzt soll sowohl der einbehaltene als auch der ausgeschüttete Gewinn für das Unternehmen gleich besteuert
werden. Eine weitere Besteuerung findet im Zeitpunkt
der Ausschüttung beim Aktionär statt. Das ist der Sachverhalt.
Das Ergebnis dessen, was wir bisher haben, Herr Kollege Hauser, wird von der Bundesbank analysiert. Sie
hat sich in ihrem Monatsbericht vom Oktober oder November letzten Jahres, den ich vorhin bereits zitiert habe, damit befasst. Das ist genau das, was Sie an anderer
Stelle zu Recht beklagt haben, nämlich die schmale
Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen, die einen
schweren Nachteil für unsere Wirtschaft darstellt.
Wer sich mit der Entwicklung der Finanzierungskosten
beschäftigt, der weiß, dass wir zurzeit eine harte Abwehrschlacht führen. Ich denke an die Baseler Eigenkapitalvereinbarung.
({2})
- Das hat mit Rot-Grün nichts zu tun, Herr Thiele. Das
ist das Eindringen anglo-amerikanischer Tendenzen in
unseren Kapitalmarkt. - Das ist eine erhebliche Bedrohung der Kosten der Außenfinanzierung unserer Unternehmen. Dies beklagt der Mittelstand zu Recht. Deswegen: Wenn wir ein Stück Vorsorge treffen wollen, sind
wir besser beraten, wenn die deutschen Unternehmen ebenso wie die Unternehmen in anderen Ländern - eine
bessere Eigenkapitalbasis haben. Dafür müssen wir auch
steuerliche Akzente setzen. Genau das werden wir tun.
Sie werden sich im Übrigen wundern: Wenn Sie mit den
Vertretern der Wirtschaft reden, werden Sie feststellen,
dass Sie auf verlorenem Posten kämpfen, weil diese die
Dinge anders als Sie sehen.
({3})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Insgesamt
kann man übereinstimmend sagen: Heute ist ein schöner
Tag. Es ist deswegen ein schöner Tag, weil wir es endlich geschafft haben, mit der Steuerreform 2000 ein Reformwerk vorzulegen, das die weitreichendste Steuersenkung mit positiven Effekten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Selbstständigen und Unternehmer beinhaltet, die es jemals gegeben hat.
({0})
Während der Amtszeit dieser Regierung sind zum
ersten Mal nicht nur die Bruttolöhne, sondern durch unsere Steuer- und Abgabenpolitik auch die Nettolöhne
gestiegen. Während Ihrer Regierungszeit waren aufgrund Ihrer Politik zwar die Bruttolöhne gestiegen, die
Nettolöhne aber gesunken, weil die Steuer- und Abgabenbelastung gewachsen war.
({1})
Die alte Regierung hat uns sehr hohe Steuersätze und
sehr hohe Abgaben im Sozialbereich hinterlassen, die
wir jetzt Schritt für Schritt nach unten führen und damit
sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber in
diesem Land entlasten.
({2})
Herr Merz, wir freuen uns - wo ist er denn? -,
({3})
dass es von Ihrer Seite Rauchzeichen gibt. Mich überrascht nur, dass Herr Merz immer von „wir“ redet. Er
meint damit wohl CDU/CSU.
Hansgeorg Hauser ({4})
({5})
Aufgrund Ihrer Probleme, die Sie in den letzten Wochen
und Monaten hatten, hat sich die CDU im Bereich der
steuerpolitischen Vorschläge vor den Karren der CSU,
vor allem von Herrn Faltlhauser, spannen lassen.
({6})
Es konnte im Bundesrat bisher niemals eine Zustimmung erfolgen, weil die Länder diese unseriösen Vorschläge, die nicht finanzierbar sind, nicht akzeptieren
können. Aus diesem Grunde werden diese unseriösen
Vorschläge seit Anfang dieser Woche Stück für Stück
zurückgenommen.
({7})
Das ist gut so. Da sind wir dann auf einer Ebene, auf der
wir sachlich miteinander reden können, auf der wir über
Dinge sprechen können, die in diesem Land auch tatsächlich umgesetzt werden können. Wenn Herr Merz
sagt: „Eine Einigung wollen wir“, dann gehe ich auch
davon aus, dass diese Einigung stattfindet, dass wir dieses Reformwerk im Sommer im Gesetzgebungsverfahren Realität werden lassen.
Das ist übrigens das erste Mal, dass eine Steuerreform bereits im Sommer durch das Parlament geht,
durch den Bundesrat gehen kann und, wenn es nötig ist,
vielleicht auch durch den Vermittlungsausschuss geht
und dass in diesem Land für alle Beteiligten von der
steuerberatenden Branche über die Finanzämter bis hin
zu den Unternehmen und Arbeitnehmern ausreichend
Zeit ist,
({8})
sich darauf einzustellen. Das ist das, was von der Wirtschaft und allen anderen immer eingefordert worden ist:
({9})
Nehmt euch Zeit für die Beratungen, beratet ordentlich.
({10})
Beschließt ein Gesetz nicht kurz vor Weihnachten, das
dann zum 1. Januar im Bundesgesetzblatt steht und bei
dem keiner so genau weiß, was in der kurzen Zeit eigentlich passiert ist, sondern beschließt es so, dass wir
uns ordentlich damit auseinander setzen und uns darauf
einstellen können.
({11})
Dies wird, so hoffe ich, auch geschehen. An uns wird es
nicht liegen, wenn sich das Ganze verzögert. Ich gehe
nicht davon aus, dass dies so kommt.
({12})
Mit der Integration der Körperschaft- und Einkommensteuerreform wird eine steuerliche Entlastung
für alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen realisiert.
Unternehmen, Unternehmer, Arbeitnehmer werden
durchgreifend entlastet. Es ist schlicht falsch, Frau
Hasselfeldt, wenn Sie immer wieder die Mär hier aufzubauen versuchen, dass wir einseitig Kapitalgesellschaften bevorzugten.
({13})
Es gibt einen Unterschied in der Besteuerung durch
die Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer. Ich
sage es noch einmal - ich habe es schon oft an dieser
Stelle gesagt -: Die Körperschaftsteuer ist eine Definitivsteuer. Das heißt, man zahlt bei der ersten Mark 25
Prozent und man zahlt bei der letzten Mark 25 Prozent.
Dann kommt die Gewerbesteuer noch dazu.
Der Minister hat es angesprochen: Wir kommen zu
einer Belastung von etwa 37, 38 Prozent insgesamt, von
der ersten Mark bis zur letzten Mark. Das kann man
nicht so einfach mit dem oberen Grenzsteuersatz der
Einkommensteuer vergleichen. Wenn man vergleichen
will, dann muss man mit der durchschnittlichen Steuerbelastung bei der Einkommensteuer vergleichen. Bei der
durchschnittlichen Belastung derjenigen, die Einkommensteuer zahlen, sind wir eindeutig unter diesen
37, 38 Prozent. Das heißt, es ist im Effekt genau umgekehrt zu dem, was Sie hier darzustellen versuchen.
({14})
Für das Vorziehen der Stufe der Reform der Einkommensteuer, die eigentlich für den 1. Januar 2002
geplant war, auf den 1. Januar 2001 haben wir als Grüne sehr stark gearbeitet, weil wir wollen, dass alle zum
1. Januar 2001 in den Genuss niedriger Steuersätze
kommen, und weil wir wissen, wie eminent wichtig das
ist, weil wir gerade in Deutschland in der Unternehmensstruktur einen Anteil der Personengesellschaften
bzw. Personenunternehmen von 80 bis 85 Prozent haben. Davon können wiederum 70 Prozent - das sind
1,65 Millionen Unternehmen - Gewinne von unter
50 000 DM realisieren. Damit bekommen wir einen
Schub in der Entlastung vor allem der kleinen und der
mittleren Unternehmen.
Es ist auch in Ihrem Interesse, denke ich, dass die
Einkommensteuerreform mit einem Eingangssteuersatz
von 15 Prozent, mit einem erhöhten Grundfreibetrag von
15 000 DM, mit einem oberen Grenzsteuersatz von
45 Prozent natürlich auch für die Privathaushalte Kaufkraft freisetzt. Das ist gut für dieses Land.
Das kann man an einem Beispiel festmachen. Wenn
man sieht, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit 5 000 DM Bruttoentgelt im Monat schon im
Jahr 2001 um 960 DM entlastet wird, dass eine Familie
mit einem Jahreseinkommen von 50 000 DM am Ende
der Steuerreform überhaupt keine Steuern mehr bezahlen wird, dann kann man feststellen. dass das gut ist, das
dient den Familien mit Kindern. Das ist der richtige
Weg.
({15})
Das ist eine wunderbare soziale Begleiterscheinung des
von uns vorgelegten Steuerpakets.
({16})
Die Unternehmen- und Einkommensteuerreform ist
der wichtigste Baustein der rot-grünen Koalition für eine
kontinuierliche Entwicklung der Konjunktur. Sie bietet
zugleich einen wesentlichen Anstoß für in- und ausländische Unternehmen, ihr Investitionsverhalten strukturell zu verändern. Der Unternehmensstandort Deutschland wird durch den definitiv niedrigen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent international endlich wieder
wettbewerbsfähig. Es wird auch für ausländische Unternehmen aufgrund der von uns vorgeschlagenen Struktur
für die Unternehmen endlich wieder interessanter sein,
hier in Deutschland zu investieren. Das müsste auch im
Interesse der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion sein.
In der Bundesrepublik gibt es 420 000 Kapitalgesellschaften. Davon sind nur die wenigsten große Kapitalgesellschaften, nämlich 2 500. Ich weise darauf hin, weil
uns immer vorgeworfen wird: Ihr entlastet sowieso nur
die riesengroßen Unternehmen wie Versicherungen und
Banken. Eine GmbH mit einem voll einbehaltenen Gewinn von 60 000 DM zum Beispiel wird nach In-KraftTreten dieser Reform um 6 753 DM entlastet. Das entspricht 21,7 Prozent der jetzigen Steuerlast dieser
GmbH.
({17})
Angesichts dieser Entlastung können Sie uns doch nicht
vorwerfen, wir entlasteten nur die Großen und machten
im unteren Bereich zu wenig. Wenn man ehrlich ist und
sich an die Fakten und Zahlen hält, dann sieht man, dass
diese Reform vor allen Dingen im unteren Bereich sehr
große Entlastungen bringt.
Ich weise auch darauf hin, dass alle Personengesellschaften, die gewerbesteuerpflichtig sind und Gewerbesteuer zahlen, das heißt, die über dem Freibetrag von
48 000 DM liegen, durch den Vorschlag, den diese Koalition jetzt vorgelegt hat, auch eine enorme Entlastung
erfahren. Es ist im Prinzip doch geradezu genial, wenn
wir auf der einen Seite den Kommunen ihre Einnahmen
sichern. Wir stehen bei den Kommunen im Wort. Wir
haben mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber
gesprochen. Diese wollen, dass wir vorläufig an der
Gewerbesteuer festhalten. Das tun wir, damit die Einnahmen der Kommunen in den nächsten Jahren gesichert sind. Wir reden hier immerhin über ein Volumen
von 50 000 DM.
({18})
- Entschuldigung, es sind natürlich 50 Milliarden DM.
Auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass Unternehmen, die bislang Gewerbesteuer zahlen, durch die
von uns angebotene Verrechnungsmöglichkeit in vollem
Umfang von der Gewerbesteuer entlastet werden. Das
ist gut so. Wir haben nämlich beide Komponenten berücksichtigt: Wir haben zum einen die Finanzkraft der
Kommunen gestärkt und zum anderen die Unternehmen,
die Personengesellschaften sind und keine Gewerbesteuer zahlen, entlastet. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.
Ich möchte Ihnen auch hierfür ein Beispiel geben: Für
einen verheirateten mittelständischen Einzelunternehmer
mit einem Jahresgewinn von 150 000 DM bedeutet dies
im nächsten Jahr eine Entlastung von 6 000 DM durch
die Anrechnung der Gewerbesteuer und die abgesenkte
Einkommensteuer. Es werden also 13 Prozent der Steuerschuld reduziert. Auch das ist mittelstandsfreundlich
und entlastet gerade die Personengesellschaften.
({19})
Ergo: Diese Steuerreform ist mittelstandsfreundlich.
Bewiesen wird dies durch die Möglichkeit, die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anzurechnen, den
sehr niedrigen Eingangssteuersatz, den Grundfreibetrag
von 15 000 DM und den Verlauf des Tarifes, von dem
gerade diejenigen profitieren, die Sie vorgeben entlasten
zu wollen.
Durch diese Steuerreform wird auch nicht die Veräußerung von Betrieben behindert. Hinsichtlich der Übergabe eines Betriebes innerhalb der Familie wird durch
diese Steuerreform nichts verändert.
Auch die Übertragung eines Teilbetriebs oder eines
Mitunternehmeranteils als Sachgesamtheit ist ohne Aufdeckung stiller Reserven weiterhin möglich. Eine Steuerlast kann es nur bei Aufgabe eines Betriebes oder bei
einer entgeltlichen Übertragung geben, wenn zusätzlich
zu dem, was der Betrieb einbringt, enorm hohe Einnahmen, zum Beispiel aus Vermietung oder Verpachtung,
vorhanden sind. Nur wenn das der Fall ist, kann es sein,
dass durch die von uns getroffene Neuregelung eine
steuerliche Mehrbelastung entsteht. Ich meine, das ist
dann aber auch angemessen und richtig.
Sie behaupten immer, die von uns im Einkommensteuerrecht geschaffene Fünftelungsregelung bei Betriebsveräußerungen sei feindlich bei Betriebsübergaben und schlecht gegenüber dem halben Steuersatz.
Schauen Sie sich einfach einmal die Zahlen an: Bei
80 Prozent der veräußerten Betriebe - ich beziehe mich
auf die letzte Erhebung - liegt der zu versteuernde Gewinn um 250 000 DM. Von dieser Fünftelungsregelung
profitieren - im Vergleich zum halben Steuersatz - die
Teilhaber bei Veräußerungen bis zu einer Größenordnung von 500 000 DM. Deswegen ist es gerade für Kleine interessant, die Fünftelungsregelung beizubehalten.
({20})
Genau aus diesem Grunde werden wir das tun.
({21})
Man kann im Verlaufe der Diskussion darüber reden,
ob man beim Freibetrag - den übrigens Sie von
120 000 DM auf 60 000 DM gesenkt haben; auch das
muss einmal gesagt werden - ein bisschen an der
Schraube dreht und ihn vom Lebensalter oder von dauernder Berufsunfähigkeit abhängig macht.
Wir sind für eine solche Diskussion offen. Es geht um
die persönliche Altersvorsorge, die unsere Koalition
stärken will.
({22})
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Fest steht: Dieses Werk ist gut für die Konjunktur
und damit gut für die Arbeitsplätze. Es ist gut für die
selbstständigen Arbeitnehmer und für die Unternehmen.
Es ist hochinteressant für ausländische Investoren. Es ist
ein ausgewogenes Gesetzeswerk, das in der Bevölkerung und in der Wirtschaft auf große Sympathien stößt.
Darum sind wir froh, dass wir es heute einbringen konnten.
Danke schön.
({0})
Das
Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der
F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Einzige, was die Grünen nachhaltig durchgesetzt haben, ist die Ökosteuer mit einer jährlichen Belastung von 35 Milliarden DM für die Bürger in unserem
Lande.
({0})
Frau Kollegin Scheel, ich möchte noch einmal daran
erinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode ein eigenes Steuermodell vorgelegt haben. Von der von Ihnen
beabsichtigten Verbreiterung der Bemessungsgrundlage,
die seinerzeit von Teilen der Öffentlichkeit sehr gelobt
wurde, ist in diesem Steuerpaket nichts, aber auch gar
nichts zu finden.
({1})
Sie haben gesagt: Beraten Sie ordentlich. Ich halte es
schon für abenteuerlich, dass der Finanzausschuss
gleich zusammentreten wird, um auf Vorschlag von RotGrün den Kreis der Anhörungsberechtigten auf 60 zu
beschränken. Das macht die SPD, die unter Willy
Brandt einmal „mehr Demokratie“ gefordert hat!
({2})
Denselben Vorschlag machen die Grünen, die ansonsten
dafür sind, dass auch kritische Stellungnahmen eingebracht werden können.
Wenn wir nachher im Finanzausschuss erleben sollten, dass Sie dadurch Sachverstand aus dem politischen
Geschäft heraushalten wollen, dass Sie nur noch Claqueure bestellen, dann werden wir darüber weiterhin politisch diskutieren und dann wünsche ich Ihnen viel
Freude.
({3})
Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass die
Einkommensteuer einfacher, niedriger und gerechter
ausgestaltet werden muss. Aus Sicht der F.D.P. erfüllt
der Gesetzentwurf diese Voraussetzungen nicht. Das
Steuerrecht wird nicht einfacher, sondern komplizierter.
Das Steuerrecht wird nicht gerechter, wenn die Veräußerungsgewinne bei Betriebsaufgaben von Einzelunternehmen und Mittelständlern voll, die von Kapitalgesellschaften aber überhaupt nicht besteuert werden.
Auch die Steuerentlastung wird nicht niedriger. Bei
der angeblichen Nettoentlastung von 44 Milliarden DM
bis zum Jahr 2005 muss man nämlich berücksichtigen,
dass alleine bis zum Jahre 2003 die Steuereinnahmen
nach der Steuerschätzung der rot-grünen Koalition um
100 Milliarden DM auf dann 1 000 Milliarden DM pro
Jahr steigen. Das wird sich in den Jahren bis 2005 fortsetzen, sodass wir voraussichtlich eine Steuermehrbelastung von 150 Milliarden DM haben werden. Sie geben
den Bürgern davon 44 Milliarden DM zurück und lassen
sich als großer Entlaster feiern.
({4})
Das stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. Die
Steuerbelastung wird steigen.
({5})
Mit dieser Unternehmensteuerreform setzen Sie die
Finanzpolitik von Oskar Lafontaine fort. An den Voraussetzungen für die Brühler Beschlüsse hat sich nichts
geändert. Gewinne der investierenden Unternehmen
werden als gute eingestuft, Einkünfte der Arbeitnehmer
bzw. derjenigen, die der Einkommensteuer unterliegen,
werden dagegen von Ihnen diskriminiert.
Als F.D.P. sind wir der Auffassung, dass das grundsätzliche Problem in unserem Lande nicht darin besteht,
dass wir zu geringe Staatseinnahmen haben, sondern wir
haben zu hohe Staatsausgaben.
({6})
Da muss angesetzt werden. Es darf nicht bei den investiven Bereichen angesetzt werden, Herr Bundesfinanzminister Eichel, wie Sie es getan haben, sondern es
muss bei den konsumptiven Bereichen angesetzt werden,
({7})
weil hier der Bund die höchsten Ausgaben hat. Dazu
sind Sie bislang nicht in der Lage.
Deshalb stellt sich nach Auffassung der F.D.P. bei jeder Steuerreform die Grundfrage, wie viel von dem Erwirtschafteten, das die Bürger unseres Landes erarbeiten, an den Staat abgegeben werden muss und wie viel
den Bürgern verbleiben darf. Wir treten dabei für eine
weitestgehende Nettoentlastung der Bürger in unserem
Staat und für weniger Staat ein. Weil der Staat häufig
vom Sparen redet, aber faktisch das Gegenteil macht,
muss er zum Sparen gezwungen werden. Voraussetzung
für eine gute Entwicklung unseres Landes ist, dass die
Bürger und Unternehmen steuerlich netto entlastet werden.
({8})
Mit den bisherigen unter Ihrer Führung erstellten
Steuergesetzen, Herr Finanzminister Eichel, haben Sie
die Bürger und die Wirtschaft in unserem Lande massiv
belastet.
({9})
Das so genannte Steuerentlastungsgesetz war ein reines Steuererhöhungsgesetz für den Mittelstand und war
gegen die Arbeitsplätze in unserem Lande gerichtet.
({10})
Die so genannte ökologische Steuerreform ist eine weitere massive Steuererhöhung zulasten der Bürger und
der Wirtschaft.
({11})
Trotz dieser angeblichen Steuersenkungsgesetze werden die Steuermehrbelastungen bis zum Jahre 2005
150 Milliarden DM betragen. Das muss der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, damit die entsprechende
Argumentation von Rot-Grün, die von guten Gesetzen
spricht, entlarvt wird und deutlich wird, dass mehr Staat
damit verbunden ist. Dahinter steckt nämlich das Verständnis, über mehr Staat die Wirtschaft in unserem
Lande lenken zu müssen. Wir sind da anderer Auffassung, kritisieren das und werden das auch weiter kritisieren.
({12})
Es ist noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Gesetz
hinzuweisen: Die SPD hat ja schon, als Herr Lafontaine
in der letzten Wahlperiode ihr Verhandlungsführer war,
darauf gedrängt, die Abschreibungssätze nicht zu senken, weil sie die Sorge hatte, dass sonst die Innovationsfähigkeit unseres Landes Schaden leidet. Mit den von
Ihnen vorgesehenen Absenkungen der Abschreibungen
von 30 auf 20 Prozent und der Abschreibungssätze generell führen Sie ein massives Desinvestitionsprogramm
ein: Es wirkt wie eine Desinvestitionssteuer.
({13})
Ich bezweifle, ob das tatsächlich zu mehr Aufschwung
führt. Ich habe Sorge, dass das im Gegenteil dazu führt,
dass der Aufschwung Schaden nimmt. Bis heute fehlt
jedes Wort von Ihnen dazu, ob diese Verschlechterungen der Abschreibungssätze möglicherweise rückwirkend ab dem 1. Januar 2000 gelten. Ich fordere an dieser
Stelle Klarheit und fordere Sie auf, zu erklären, dass
dies, wenn Sie es beabsichtigen, erst ab nächstem Jahr
gelten soll.
({14})
Ihre Reform hat zwei Grundfehler:
Erstens. Sie ist auf der Entlastungsseite viel zu mutlos. Als F.D.P. fordern wir eine deutlich stärkere Nettoentlastung.
Zweitens. Sie halten weiter an der Gewerbesteuer
fest. Dabei ist die Gewerbesteuer im internationalen
Vergleich eine Sonderbelastung der deutschen Arbeitsplätze. Sie ist wettbewerbsverzerrend. Es ist paradox,
dass wir uns in Deutschland ausgerechnet mit einer
Steuer auf Arbeitsplätze beschäftigen müssen, obwohl
wir alle wissen, dass wir mehr Arbeitsplätze benötigen.
({15})
Wir als F.D.P. sind der Auffassung, dass die Gewerbesteuer abgeschafft gehört und dass zugleich ein entsprechender Ausgleich für die Kommunen gefunden
werden muss. Wenn die F.D.P. nicht über Jahre gedrängt hätte, dann würde es heute noch eine Gewerbekapitalsteuer geben. Wir werden bei diesem Thema weiter drängen, damit es eines Tages in Deutschland keine
Gewerbesteuer als Sondersteuer für Arbeitsplätze mehr
gibt.
({16})
Weil es diese Gewerbesteuerbelastung gibt, senken
Sie die Körperschaftsteuer in der Hoffnung darauf, dass
hierdurch in unserem Lande Arbeitsplätze geschaffen
werden. Dadurch kommen Sie in die Problematik der
Spreizung zwischen einem Körperschaftsteuersatz von
25 Prozent und einem Einkommensteuersatz von
45 Prozent. Das führt zu einer verfassungsrechtlichen
Problematik; denn die Gleichmäßigkeit der Besteuerung
ist nicht mehr gewährleistet. Art. 3 des Grundgesetzes
steht dem entgegen.
Weil dies so ist, greifen Sie zu einer verfassungsrechtlichen Krücke, nämlich zu dem Optionsmodell.
Danach soll der betroffene Steuerpflichtige selber entscheiden können, ob er nach der Körperschaft- oder der
Einkommensteuer veranlagt wird. Frau Kollegin Scheel
hat vorgestern erklärt, dass dies lediglich 5 Prozent der
Betroffenen tun können. Ich sage Ihnen: Diese Entscheidung wird fast niemand treffen können, weil ein
solches Modell nicht praktikabel ist. Dieses Modell steht
nur auf dem Papier; damit wird eine Schimäre aufgebaut. Nachdem Frau Kollegin Scheel das Ganze vorgestern in der Debatte dargelegt hatte, erklärte Professor
Kirchhof: Angesichts dessen habe er die Bitte an den
Gesetzgeber, dass man, wenn dies nur symbolisch gemeint sei, folgende Fußnote anfügen solle: Dieser Teil
des Gesetzes braucht den Studenten nicht gelehrt zu
werden, weil er nicht ernst gemeint ist.
({17})
Beseitigen Sie den Grundfehler Ihrer Reform: Senken
Sie die Sätze bei den Einkommensteuertarifen. Denn
wenn die Steuersätze gesenkt werden, dann brauchen
Sie diese Krücke nicht mehr.
Solange Sie glauben, eine Investitionslenkung dadurch betreiben zu können, dass Sie zwischen guten und
schlechten Gewinnen unterscheiden,
({18})
so lange hängen Sie - Herr von Larcher, Sie sowieso alten staatskapitalistischen Ideen an.
({19})
Solange Sie der ideologischen Auffassung sind, dass ein
Unterschied zwischen Unternehmen und Unternehmern
zu machen ist, verkennen Sie einen der zentralen Grundsätze der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in unserem Lande. Aufgrund dieses falschen Grundverständnisses müssen unsere Gesetze zwangsläufig falsche Politikansätze enthalten. Das liegt hier vor.
Solange Sie der Auffassung sind, dass Steuersätze
nicht gesenkt werden können, so lange werden wir keine
gute Steuerreform in unserem Lande erleben. Wir brauchen für alle Einkunftsarten, wie von der F.D.P. gefordert, eine Einkommensteuer mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent, einem mittleren Steuersatz von
25 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent.
Dann wird in Deutschland ein Großteil der bestehenden Steuerliteratur nicht mehr erforderlich sein. Dann
werden wir international wettbewerbsfähig sein. Dann
ist es für junge Menschen interessant, in unserem Land und nicht in anderen Ländern - ihre Start-up-Firmen
aufzubauen und ihre Existenz selbst in die Hand zu
nehmen. Dann hat unser Land tatsächlich eine Chance.
Auf der Verfolgung dieses Weges werden wir als F.D.P.
weiter beharren und in den Beratungen des Finanzausschusses werden wir weiter darauf drängen, dass dies
auch tatsächlich realisiert wird.
Herzlichen Dank.
({20})
Zu einem einminütigen Beitrag hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mir verbleibt in der Tat nur
noch eine Redezeit von einer Minute.
({0})
Deshalb will ich ausschließlich die wichtigste Frage, die
mich bewegt, an das Hohe Haus herantragen: Wie wollen Sie als Bundesregierung, wie wollen Sie als Koalition aus SPD und Grünen dafür sorgen, dass die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland infolge der beabsichtigten Unternehmensteuerreform und der Vorziehung der Senkung des Einkommensteuertarifs nicht weiter ausbluten angesichts der Tatsache, dass ab dem Jahre
2001 für die Kommunen bundesweit Einkunftsverluste
in einem Umfang von 6 Milliarden DM anstehen?
Für die Stadt Halle an der Saale wären das etwa
25 Millionen DM jährlich. Wie wollen Sie das verhindern? Wann endlich, Herr Bundesfinanzminister, nehmen Sie die dringend fällige Kommunalfinanzreform in
Angriff,
({1})
um die Kommunalfinanzen in Deutschland endlich vom
Kopf auf die Füße zu stellen?
Herr
Kollege Rössel, die Minute ist abgelaufen.
Herr Finanzminister,
liebe Koalition, machen Sie mir bitte das Leben als
künftiger Oberbürgermeister von Halle an der Saale
nicht so schwer!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Finanzpolitik dieser
Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ist eine
Politik aus einem Guss. Die Sanierung der Staatsfinanzen, mehr Steuergerechtigkeit, deutliche Steuerentlastungen und eine nachhaltige Förderung von Wachstum
und Beschäftigung bilden eine Einheit.
Diese Politik findet in Deutschland breite Zustimmung und international Anerkennung. Deswegen bin ich
ganz sicher, dass die Oppositionsparteien folgende Tatsache nicht verkennen, sondern berücksichtigen werden:
Wir brauchen diese Reformen, die in diesem Sommer zu
einem Abschluss gebracht werden müssen; denn es ist
lange genug über Steuerreformen nur geredet worden.
Jetzt endlich muss die Politik, die wir eingeleitet haben,
auch mit Zustimmung des Bundesrates fortgesetzt werden.
({0})
Verantwortungsbewusste Konsolidierung war auch
die Voraussetzung für weitere Steuerentlastungen.
Herr Kollege Thiele - auch Herr Merz hat vorhin
darüber geredet -, Sie haben alles Mögliche in Ihrer Regierungszeit angekündigt. Es ist nur nie etwas dabei herausgekommen.
({1})
Unter dem Strich haben Sie mutige Programme entworfen, aber immer in der Hoffnung, dass Sie nicht in die
Verlegenheit kommen, diese Programme zu realisieren
zu müssen.
({2})
Dieses Verhalten, Scheinversprechungen zu machen,
setzen Sie fort. Sie kündigen jetzt nämlich die massive
Senkung von Tarifen an in der Hoffnung, dass diese
nicht zustande kommt.
({3})
Herr
Kollege Spiller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hirche?
Sehr gerne.
Bitte
schön, Herr Hirche.
Vielen Dank - Herr Kollege
Spiller, wollen Sie bestreiten, dass der Bundestag in der
letzten Legislaturperiode mit der notwendigen Mehrheit
Steueränderungsgesetze, das heißt: Steuerentlastungsgesetze, beschlossen hatte, die dann im Bundesrat von der
SPD blockiert worden sind? Auf diese Weise haben wir
drei Jahre für unsere Steuerbürger verloren.
({0})
Herr Kollege Hirche, ich
will Ihnen insbesondere bestätigen, dass Sie ein Konzept
mit Ihrer Mehrheit beschlossen hatten,
({0})
das nicht gegenfinanziert war. Bei Ihrem Konzept wurden 45 Milliarden DM Mindereinnahmen vorausgesagt.
Aber es gab eine kleine Anmerkung in Form eines
Sternchens, dass durch eine Veränderung des Verhältnisses von indirekten zu direkten Steuern diese Mindereinnahme verringert werden könnte. Die arme Frau
Nolte hat in einem Anflug von Ehrlichkeit - damals war
in der Union Ehrlichkeit noch üblich ({1})
während des Wahlkampfes darauf hingewiesen, dass es
dieses Sternchen gab. Danach ist dieses Sternchen sozusagen verglüht,
({2})
weil die Bürger erkannt haben, dass dieses Konzept eine
Mogelpackung war.
({3})
Ihren Konzepten, die Sie bisher angekündigt haben es gibt ja kein gemeinsames Konzept von F.D.P. und
Union mehr; aber auch innerhalb der Union ist der Diskussionsprozess offenbar noch nicht zu Ende -, ist ein
Grundprinzip gemeinsam, nämlich die Steuerentlastung
auf Pump. Das machen wir nicht mit.
({4})
Ich will Ihnen einmal sagen, was die von uns durchgesetzten Maßnahmen schon jetzt für die Bürgerinnen
und Bürger dieses Landes bedeuten. In diesem Jahr hat
ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Bruttojahresverdienst von 50 000 DM pro Jahr 600 DM mehr in
der Tasche. Im Jahre 2001 wird er mit demselben Bruttogehalt 1 400 DM mehr in der Tasche haben. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 60 000 DM hat im Jahre 2001 3 000 DM mehr
in der Tasche. Sie haben immer nur davon geredet, wir
aber haben die Steuerentlastung umgesetzt.
({5})
Außerdem haben wir eines nie vernachlässigt: Es gibt
eine volkswirtschaftliche Wirkung von Steuern. Diese
wollen wir nicht gering einschätzen. Für uns kommt es
auch hinsichtlich der makroökonomischen Wirkung darauf an, dass die Binnennachfrage in Deutschland gestärkt wird. Binnennachfrage ist nicht nur privater Konsum. Wir haben schon eine Menge für die Kaufkraft der
breiten Bevölkerung gemacht und dies wird mit dem
Vorziehen der Tarifentlastung von 2002 auf 2001 fortgesetzt. Aber es kommt auch darauf an - das ist eine
ebenso wichtige Komponente der Binnennachfrage -,
dass die Investitionskraft der Unternehmen gestärkt
wird. Meine Damen und Herren, das ist das eigentliche
Kernstück der Unternehmensteuerreform. Wenn man die
ganze Kette der Besteuerung nimmt, so entscheiden wir
uns bewusst dafür, dass Gewinne, die im Unternehmensbereich verbleiben und dort der Stärkung der Eigenkapitalbasis und der Investitionskraft dienen, steuerlich deutlich entlastet werden, dass sie besser behandelt
werden als der ausgeschüttete Gewinn, der ja von dem
Empfänger der Dividende oder des Gewinns zu versteuern ist.
Die Stärkung der Eigenkapitalbasis ist insbesondere
auch für die mittelständischen Unternehmen wichtig.
Ich möchte mit der Legende, die Sie so sehr pflegen,
aufräumen, dass unser Steuerreformkonzept für den Bereich der Unternehmensbesteuerung einseitig an der
Stärkung der Kapitalgesellschaften ausgerichtet sei. Das
Gegenteil ist der Fall. Jeder, der vernünftig und sachlich
damit umgeht - deswegen haben wir auch diese breite
Zustimmung -, erkennt, dass gerade die mittelständischen Unternehmen davon in besonderer Weise profitieJörg-Otto Spiller
ren werden, auch die jungen Unternehmen, die ihre Investitionskraft erst noch erarbeiten müssen, und zwar
aus Gewinnen.
({6})
Diese werden davon profitieren. Das trifft übrigens in
besonderer Weise auch für die ostdeutschen Unternehmen zu; denn die Eigenkapitalbasis ist dort fast überall
schwach.
Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer
Niederbayern-Oberpfalz, Herr Hinterdobler, ist bereits
mehrfach erwähnt worden.
({7})
Er hat kürzlich bei einer Veranstaltung des „Handelsblatt“ ein Referat mit dem Titel „Die Unternehmensteuerreform - eine Reform auch zugunsten der Personenunternehmen“ gehalten. Mit Genehmigung des
Präsidenten darf ich zwei Sätze aus diesem Referat zitieren, in dem er sich ausdrücklich zu dem Optionsmodell,
also zu dem Modell, dass sich ein Personenunternehmen
entscheidet, steuerlich so behandelt zu werden wie eine
Kapitalgesellschaft, geäußert hat. Herr Hinterdobler
sagt:
Mittelständische Unternehmen leiden unter einer
schwachen Ausstattung mit Eigenkapital. Diese
Unternehmen sind nur in Ausnahmefällen in der
Lage, Eigenkapital über Außenfinanzierung am
Markt zu gewinnen.
({8})
Sie sind daher auf Innenfinanzierungseffekte angewiesen. Diese Effekte werden durch das Modell
deutlich gestärkt, da die Betriebe Gewinne zu einem günstigen Steuersatz thesaurieren können.
({9})
.... Das Wachstumspotenzial wird umso höher, je
günstiger die Eigenkapitalbildung verläuft.
Das Optionsmodell, meine Damen und Herren, ist
deswegen insbesondere auch für mittelständische Unternehmen geeignet.
({10})
Ja, ein CSU-Mitglied.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen - das hat
der Kollege Merz inzwischen öffentlich bestätigt -, dass
das bisherige System, bei dem die Körperschaftsteuer
den Anteilseignern erstattet wird, nicht europatauglich
ist. Das bisherige System der Vollanrechnung ist nicht
europatauglich. Das ist auch in Ihren Reihen überhaupt
nicht umstritten. Deswegen nehme ich dankbar zur
Kenntnis, dass bei der Union die Bereitschaft wächst,
diese Diskussion nüchtern und sachgerecht zu führen.
Eine Bemerkung zu den Veräußerungsgewinnen:
Die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen
wird uns bestimmt noch in den Ausschussberatungen
beschäftigen. Aber man darf nicht nur im Auge haben,
was geschieht, wenn sich die Allianz-Versicherung oder
eine Großbank von einer Industriebeteiligung trennt.
Man muss auch sehen, wie die Bedingungen für die Beschaffung von Risikokapital bei jungen Unternehmen
sind. Für Venture Capital ist es eine ganz wesentliche
Frage: Wie wird die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen bei Kapitalbeteiligungen sein? Das ist
eine der Schlüsselfragen für die Dynamik der Wirtschaft
in Deutschland.
Der Kollege Merz hat einen etwas komplizierten
Vorschlag gemacht, wie man das behandeln könnte.
Herr Solms hat - wie ich finde, völlig zu Recht - gesagt,
dass der zwar ganz interessant sei, aber viel zu kompliziert. Das Steuerrecht soll ja einfacher werden, Herr
Hirche, nicht noch komplizierter.
Letzte Bemerkung: Es werden künstlich Unterschiede
gemacht. Die deutsche Wirtschaft wird sozusagen in
Großunternehmen - die bei Ihnen die Bösen sind -
({11})
und in Mittelständler - die bei Ihnen die Guten sind aufgeteilt. Eine solche Unterscheidung ist ökonomisch
ziemlicher Unfug. Denn es gibt eine enge Verflechtung
zwischen den großen und den kleinen Unternehmen.
Wirtschaftlich gehören die zusammen. Hören Sie mit
diesem Gegeneinander auf!
Herr
Spiller, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Der Verband in Deutschland, der von seiner mitgliedschaftlichen Zusammensetzung her verpflichtet ist, für die gesamte Unternehmenslandschaft zu sorgen, ist der Deutsche Industrie- und
Handelstag. Herr Stihl hat Sie, insbesondere die Union
und auch die unionsgeführten Länderregierungen, aufgefordert, dieser Reform zuzustimmen. Denn wir brauchen
diese Reform: nicht nur wegen der steuerlichen Gerechtigkeit, sondern auch für die wirtschaftliche Dynamik
dieses Landes.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich schon
sehr erstaunlich, wie viel Zeitaufwand die Redner, zum
Beispiel Herr Eichel, Herr Spiller, Herr Poß und Frau
Scheel, brauchen, um klarzumachen, dass diese Reform
für den Mittelstand gut sei. Der Grund ist mir natürlich
klar: Sie wissen alle, wenn wir auf dem Arbeitsmarkt
nach vorne kommen wollen, dass dies nur mit dem Mittelstand geht; wenn nicht mit ihm, dann überhaupt nicht.
Herr Poß hat sogar gesagt, er werde um die Seele des
Mittelstandes kämpfen.
({0})
Herr Poß, ich bin Mittelständler. Ich kenne mich da gut
aus.
({1})
Ich weiß, dass Sie mit dieser Steuerreform die Seele des
Mittelstandes nicht erreichen.
({2})
Diese Reform ist eine reine Großbetriebssteuerreform
zulasten der Personengesellschaften, der Freiberufler
und damit des Mittelstandes in einer fast schon diskriminierenden Art.
({3})
Herr Eichel, Sie haben hier eingeführt, dass zwei
Drittel der Unternehmen einen Gewinn von unter
50 000 DM haben. Das muss man sich einmal auf der
Zunge zergehen lassen. Ich will Ihnen einmal die genauen Zahlen anhand der Umsatzsteuerstatistik von 1997 das ist die letzte, die wir haben - sagen. Da hatten wir
noch 1 656 000 Unternehmen mit einem Gewinn von
unter 50 000 DM.
({4})
Die haben von Ihrer Gewerbesteueranrechnung überhaupt nichts.
({5})
Wir hatten 345 000 Unternehmen mit einem Gewinn
zwischen 50 000 und 100 000 DM. Die haben bei der
Anrechnung im Schnitt gerade einmal einen Vorteil von
700 DM.
({6})
Herr Eichel, diese Betriebe sind über die Jahre belastet worden: mit Veränderungen bei den Gewinnermittlungsvorschriften, mit Verschlechterungen bei den
Abschreibungsmöglichkeiten, mit der Ökosteuer, mit
dem 630-Mark-Gesetz und mit dergleichen mehr. Die
lächerliche Entlastung im Tarif, die jetzt kommt, gleicht
dieser Mehrbelastung durch die vorhergehenden Veränderungen in keiner Weise aus.
({7})
Aber auch für die wenigen verbleibenden Personengesellschaften mit einem Gewinn von über 100 000 DM
bringt diese Reform so gut wie nichts. Das wurde bereits
gesagt.
({8})
Diese Option ist eine reine Schimäre, ein Feigenblatt,
damit Sie weiter behaupten können, auch etwas für den
Mittelstand zu tun.
Freiberufler würden zunächst einmal gewerbeertragsteuerpflichtig. Alle Betriebe mit unterschiedlicher
Gewinnerwartung begäben sich - sehen wir von der
Erbschaftsteuer einmal ab - in eine Falle, was sie möglicherweise teuer zu stehen kommt. Übrigens ist offenbar
bereits in Vergessenheit geraten, dass wir 1951 schon
einmal so einen Unfug hatten - mit verheerenden Folgen.
({9})
Das konnte nicht gehandhabt werden; 1953 wurde das
Gesetz bereits wieder abgeschafft.
Den Personengesellschaften ist nur - wie im Unionsvorschlag
({10})
und F.D.P.-Vorschlag vorgesehen - mit einer durchgreifenden Senkung des Einkommensteuersatzes geholfen.
({11})
Wer behauptet, dass die heute vorgelegte Steuerreform
den Mittelstand entlaste, der ist entweder ahnungslos
oder redet wider besseres Wissen.
({12})
Diese Unternehmensteuerreform ist ein Anschlag auf die
Unternehmenskultur in Deutschland. Ich frage mich,
warum der Gesetzgeber durch die Steuerpolitik Unternehmen offenbar in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft treiben will.
({13})
Der voll haftende Eigentümer-Unternehmer ist doch das
Herzstück der Unternehmensstruktur in Deutschland
({14})
und hat in den letzten 50 Jahren maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung dieses Landes beigetragen.
({15})
Diese Reform spiegelt den alten sozialistischkommunistischen Irrglauben wider,
({16})
dass man Unternehmen vom Unternehmer trennen könne.
({17})
- Schreien Sie ruhig! Sie wissen, dass Sie getroffen sind.
({18})
Es ist der alte sozialistische Traum, man könnte Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, von dem Unternehmer trennen, der nach Ihren Vorstellungen zu viel
verdient.
({19})
Der zweite schwere Webfehler dieses Gesetzes ist die
Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns. Dem
liegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass im Betrieb belassene Gewinne eher als andere Gewinnverwendungsarten zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen
würden. In einer Zeit, in der sich Wissen alle fünf Jahre
verdoppelt, in der Schnelligkeit gefordert ist, um die
Märkte zu beherrschen, und in der man schnell reagieren
muss, ist es blanker Unfug, Kapital in bestehende Strukturen einzumauern.
({20})
Es werden also nicht die Anstrengungen kreativer Unternehmer oder anderer Innovatoren belohnt; vielmehr
wird die Kapitalkonzentration angeregt. Wer meint, mit
der Begünstigung der Selbstfinanzierung Investitionen
und Arbeitsplätze in Deutschland fördern zu können, der
irrt, weil die Unternehmen die ersparten Beträge unter
anderem auch im Ausland investieren, in reinen Finanztiteln anlegen, Schulden tilgen oder gar - nach neuem
Handelsrecht - zum Rückkauf eigener Aktien und damit
zur Steigerung des Shareholder-Value nutzen.
Es ist zu begrüßen, dass Veräußerungsgewinne bei
Kapitalgesellschaften steuerlich entlastet werden. Aber
wenn heute der Verkauf von Aktienpaketen von einem
Unternehmen an ein anderes steuerfrei gestellt wird,
dann ist es nur schwer zu ertragen, Herr Eichel, dass
gleichzeitig, wenn der Handwerksmeister seinen Betrieb, der seine Altersvorsorge war, im Alter aufgibt,
diese Betriebsaufgabe voll versteuert wird, das Ganze
frei nach dem Motto: Steuerbefreiung für die Großen,
Beseitigung von Steuererleichterungen für die Kleinen.
({21})
Diese Methode setzt sich bei der Behandlung ausgeschütteter Gewinne nahtlos fort. Bei der Umstellung
des früheren Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren haben wir den Fall, dass Personen, die
über 110 000 DM - ohne den Ausschüttungsbetrag - zu
versteuern haben, begünstigt werden, während die, die
darunter liegen durch diese Methode schlechter gestellt
werden. Da dies nicht nur für kleine Unternehmer gilt,
sondern auch für Kleinaktionäre, ist es mir fast unerklärlich, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung ein solches Gesetz eingebracht hat.
Im Gegensatz zum Unionsvorschlag ist diese Reform
auch aus Sicht der Arbeitnehmer völlig unzulänglich.
Einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen
Spitzensteuersatz von 45 Prozent erst für das Jahr 2005
vorzusehen wird in keiner Weise der Notwendigkeit gerecht,
({22})
die zu große Spanne zwischen Bruttoarbeitskosten und
Nettoeinkommen der Arbeitnehmer zu verringern.
({23})
Durch die jährlichen heimlichen Steuererhöhungen und
durch das Zusammenwirken von Progression und Inflation wird in dieser langen Zeitspanne dem Arbeitnehmer
mehr Geld aus der Tasche gezogen, als die Tarifentlastung im Jahre 2005 bringt,
({24})
erst recht, wenn man bedenkt, dass der Spitzensteuersatz
dann bereits - Gerda Hasselfeldt hat es schon gesagt bei einem Einkommen von 98 766 DM erreicht werden
soll. Das heißt, der Durchschnittssteuersatz wird, auch
für die deutschen Facharbeiter, für die Arbeitnehmer,
ständig höher.
({25})
- Herr Eichel, Sie können ruhig lachen und den Kopf
schütteln. Wir haben in Deutschland zurzeit ein Durchschnittseinkommen von 52 000 DM. Das heißt, der Spitzensteuersatz wird bereits mit dem 1,6fachen des Durchschnittssteuersatzes erreicht. Vor 20 Jahren war es das
25fache!
({26})
Wenn man dann so tut, als ob man den Steuersatz senkt,
wenn durch die Inflation ohnehin bereits ein Durchschnittssteuersatz erreicht ist, der an die 48 Prozent herankommt, dann ist das eine Verdummung der Leute!
({27})
Ich will noch eines sagen, Herr Eichel: Sie werden
von 1999 bis 2003 90 Milliarden DM zusätzlich für den
Bund einnehmen, auch deshalb, weil Sie in den letzten
Jahren Abschreibungsverschlechterungen durchgesetzt
haben. Die alte Regierung musste fünf Jahre lang mit
teilweise sogar fallenden Jahressteuereinnahmen zurechtkommen.
({28})
Das, was Sie jetzt als Nettoentlastung bezeichnen, ist im
Prinzip nicht nennenswert, weil es unter dem Strich
nicht zu einer Absenkung der Steuerquote führen wird.
Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass die Inflationsrate in Deutschland durch den anhaltend schwachen Außenwert des Euro - Friedrich Merz hat darauf hingewiesen - mittelfristig steigt, kommt diese Tarifänderung
viel zu spät, um die Nettolohnentwicklung in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Ich frage mich: Wie sollen die Leute in der Zukunft zusätzlich auch noch Lohnbestandteile für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge
aufbringen, wenn nicht die Nettoeinkommen durch eine
kräftige Tarifreform deutlich steigen? Die heute eingebrachte Steuerreform ist für Personenunternehmen und
Arbeitnehmer völlig unzureichend.
({29})
Mit diesem Gesetz werden die Kräfte, die in der deutschen Wirtschaft stecken, insbesondere im Mittelstand,
weiterhin blockiert;
({30})
die Schaffung neuer Arbeitsplätze wird verhindert.
Eine beschäftigungsorientierte Steuerreform muss
die gesamte Einkommensteuer erfassen und drei Elemente enthalten: erstens eine deutliche Senkung des
Steuertarifs, der für alle Einkommensarten gelten muss,
zweitens eine konsequente Erweiterung der Bemessungsgrundlage und drittens eine Nettoentlastung für die
Privaten. Solange die Bundesregierung diesen Weg nicht
geht, werden ihre steuerpolitischen Maßnahmen nicht zu
dem Erfolg führen, den wir auf dem Arbeitsmarkt dringend brauchen.
Schönen Dank.
({31})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit
einem Zitat beginnen:
Wir erleben zurzeit eine Arbeitslosigkeit, die
schlimmer ist als jene in den Jahren des Wiederaufbaus. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat es so viele Firmenzusammenbrüche gegeben, noch nie sind so viele Existenzen vernichtet
worden. Die Fähigkeit unserer Wirtschaft, durch
Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist erheblich geschwächt. Gleichzeitig erhöhten sich die
Abgabenbelastungen. Die Eigenkapitalquote der
deutschen Wirtschaft droht noch weiter abzunehmen. Die Wachstums- und Beschäftigungskrise,
meine Damen und Herren, hat in aller Deutlichkeit
die Finanzkrise unseres Staates offen gelegt.
Natürlich könnte ich Sie jetzt alle raten lassen, wer
diese Worte wann gesprochen hat. Um Zeit zu sparen,
verrate ich es Ihnen gleich: Das stammt aus der Regierungserklärung von Helmut Kohl am 13. Oktober 1982,
von der man hätte denken können, dass es seine letzte
Rede als Bundeskanzler war.
({0})
So konnte es aber nicht weitergehen.
Wir legen heute die Steuerreform 2000 auf den
Tisch. Wir gehen damit konsequent den Weg der Konsolidierung weiter, den wir nach der Regierungsübernahme
eingeschlagen haben. Viele Wirtschaftsverbände haben
uns zu dieser Reform gratuliert. Wir haben den Mut,
diese überfällige Reform endlich anzupacken, jenen Mut
und jene Tatkraft, die Sie von der Union und der F.D.P.
schon lange nicht mehr aufbringen. Das, meine Damen
und Herren, haben uns viele von Ihnen nicht zugetraut.
Zu diesem Erfolg, lieber Hans Eichel, möchte ich dir an
dieser Stelle ganz herzlich gratulieren.
Eigentlich müssen jetzt auch die letzten Pessimisten
und Kritiker unserer Steuerreform eingestehen: Wir senken die Steuern und machen sie international wettbewerbsfähig. Wir fördern die Eigenkapitalbildung der
Unternehmen. Wir schaffen attraktive Bedingungen für
Investoren aus dem Inland und auch aus dem Ausland.
Wir fördern damit das Wachstum und schaffen die Voraussetzungen für eine deutliche Verringerung der Arbeitslosigkeit.
Durch die Unternehmensteuerreform wird die Wirtschaft spürbar entlastet.
({1})
Die Entlastung wird sich nicht nur bei Großunternehmen, sondern auch zugunsten von Mittelstand und
Handwerk positiv auswirken. Die rund 3,3 Millionen
kleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigen
erwarten von uns diese Reform, sie brauchen sie auch
sehr dringend. Für den Mittelstand führen unsere Steuerprogramme im Zeitraum von 1999 bis 2005 zu einer
Gesamtentlastung von über 17 Milliarden DM. Dieses
Geld brauchen die Unternehmer dringend, um neue
Märkte zu erschließen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Genau das ist unser Ziel, meine Damen und Herren.
({2})
Wir alle wissen, dass die meisten Mittelständler die
Rechtsform der Personengesellschaft wählen. Für sie
haben wir das Optionsmodell entwickelt. Sie können
selbst entscheiden, ob sie sich als Personengesellschaft
oder lieber als Kapitalgesellschaft besteuern lassen wollen. Sie werden dann mit nur 25 Prozent Körperschaftsteuer belastet. Personengesellschaften und Einzelunternehmen, die nicht optieren wollen, gehen auch nicht leer
aus. Sie dürfen weiterhin die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abziehen. Zusätzlich können sie künftig
einen Teil der Gewerbesteuer pauschal und direkt mit
der Einkommensteuerschuld verrechnen. Durch dieses
pauschalierte Verfahren wird ein Unternehmen bei einem Hebesatz von 400 Prozent und einem GrenzsteuerPeter Rauen
satz von 50 Prozent vollständig von der Gewerbesteuer
entlastet.
Natürlich zahlen nicht alle kleinen und mittleren
Unternehmen Gewerbesteuer. Deswegen werden die
zahlreichen Kleinunternehmen, die wenig Gewinne machen und daher keine Gewerbesteuer zahlen, von uns
ebenfalls entlastet. Zu diesem Zweck wird die dritte Stufe des Steuerentlastungsgesetzes auf das Jahr 2001 vorgezogen. Das heißt: Die Einkommensteuersätze werden
weiter gesenkt und die Freibeträge erhöht.
Meine Damen und Herren, ist das wirklich mittelstandsfeindlich? Ich glaube, nicht. Für Unternehmen
mit einem jährlichen Gewinn bis etwa 150 000 DM das sind immerhin fast 90 Prozent aller kleinen und
mittleren Personengesellschaften - verringert sich die
Gesamtsteuerlast um 12 bis 38 Prozent. Bei höheren
Gewinnen rechnet sich das Optionsmodell.
Ich höre schon die Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition laut diskutieren, unser Steuersystem sei angeblich sehr kompliziert.
({3})
Aber war das Vollanrechnungsverfahren nicht eine ABMaßnahme für Steuerberater?
({4})
Selbstverständlich muss Neues erst einmal begriffen
werden. Ich sehe aber keine größeren Schwierigkeiten,
unser Modell zu begreifen und anzuwenden.
({5})
Das Vollarrechnungsverfahren ist nicht nur unnötig
kompliziert, sondern auch im europäischen Maßstab
nicht tauglich und schon gar nicht vor Missbrauch geschützt. Wir ersetzen das Anrechnungsverfahren durch
das Halbeinkünfteverfahren. Die Steuerverrechnung
wird viel einfacher und effizienter.
Wie ich schon sagte, sieht das Optionsmodell nur auf
den ersten Blick kompliziert aus. Die Steuerberater werden es ganz schnell im Griff haben und ihre Mandanten
kompetent beraten können.
Ich möchte noch auf einen positiven Aspekt unserer
Steuerreform zu sprechen kommen, der mir als ostdeutscher Abgeordneten besonders am Herzen liegt. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Unternehmen, die
nicht optieren wollen, von der ermäßigten Gewerbesteuer profitieren. Die ermäßigte Gewerbesteuer führt
dazu, dass Standorte mit niedrigeren Hebesätzen, also
mit Hebesätzen unter 400 Prozent, künftig für die Unternehmen besonders attraktiv werden. Gerade im Osten
gibt es viele Gemeinden mit Hebesätzen sogar unter
300 Prozent. Deswegen wird das Investieren im Osten
viel interessanter.
Hinzu kommt ein zweiter Punkt, der für Ostdeutschland sehr wichtig ist. Mit der Unternehmensteuerreform
stärken wir die Eigenkapitaldecke von Unternehmen,
und zwar indem die einbehaltenen Gewinne ebenso wie
die ausgeschütteten mit 25 Prozent besteuert werden.
Unternehmen bekommen den steuerlichen Anreiz zur
Selbstfinanzierung. Damit helfen wir gerade den ostdeutschen Unternehmen, die noch immer eine schwächere Kapitaldecke haben, ihre Kapitaldecke zu
erhöhen.
Ich bin natürlich nicht überrascht, dass die Politiker
der Union und der F.D.P. von uns noch umfangreichere
Steuersenkungen fordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie vergessen, in welche Haushaltslage Sie
uns gebracht haben? Deshalb halte ich diese Forderungen für nicht seriös. Wir müssen den Haushalt weiter
sanieren. Wir müssen und werden die Nettoneuverschuldung des Bundes in den nächsten Jahren schrittweise zurückführen. Im Jahr 2006 wollen wir einen
Bundeshaushalt ohne Nettoneuverschuldung erreichen.
Durch die Steuersenkungen werden die Privathaushalte und die Wirtschaft in großem Maße entlastet. Die
Steuerreform wurde frühzeitig angekündigt, sodass sich
jeder darauf vorbereiten und einstellen konnte. Das muss
hier, wie ich glaube, deutlich unterstrichen werden.
Das alles bedeutet, dass wir mit unseren politischen
Maßnahmen den Standort Deutschland mittel- und langfristig auf ein sicheres Fundament stellen. Damit unterscheiden wir uns deutlich von der alten Regierung. Und
das ist gut für unser Land.
({6})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Elke Wülfing von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Frau Hoffmann, wenn das alles so einfach wäre, wie Sie
es dargestellt haben, dann bräuchten wir darüber hier
nicht lange zu beraten.
Gestern ist hier im Deutschen Bundestag der Jahreswirtschaftsbericht beraten worden. Er ist vom Bundesfinanzminister aufgestellt worden, da das Finanzministerium für den Wirtschaftsbericht zuständig ist.
({0})
Der Jahreswirtschaftsbericht singt auf Seite 46 das Hohe
Lied auf Mittelstand, auf Handwerk und auf freie Berufe. Ich zitiere:
Mit rund 20 Mio. Arbeitsplätzen sind die mittelständischen Unternehmen der wichtigste Beschäftigungsträger in Deutschland.
({1})
- Sehr gut. Vielen Dank. Ich denke, bei diesem Satz
kann man auch nur Bravo sagen.
({2})
Es heißt weiter:
Jelena Hoffmann ({3})
Hier legt der Mittelstand wesentliche Grundlagen
für die Modernisierung der Wirtschaft, für Innovationen und technischen Fortschritt.
Das alles hört sich wunderbar an. Dieser Jahreswirtschaftsbericht ist allerdings von dem Minister aufgestellt
worden, der uns diese Unternehmensteuerreform -
URefSenkG oder wie sich das Ding nennet - beschert
hat.
({4})
In der Gesetzesbegründung schreiben Sie, Ziel des
Gesetzes sei eine gleichwertige Entlastung von Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften. Ich frage mich
nur ganz besorgt: Warum halten Sie sich nicht an Ihr eigenes, selbst gegebenes Wort, Herr Minister? Die Unternehmensteuerreform ist, so wie Sie sie vorgelegt haben, darauf angelegt, mittelständische Strukturen zu
zerschlagen und Kapitalgesellschaften als das leuchtende Ziel für unsere Bundesrepublik Deutschland darzustellen, auf das man sich hinentwickeln soll.
({5})
Dabei ist es gerade die mittelständische Struktur, um
die uns die Welt beneidet. Das besondere Eigentümerinteresse des selbst haftenden Unternehmers bringt
schnelle Reaktionen hervor. Das ist vor allem bei den
globalen Herausforderungen wichtig. Es scheint der
SPD allerdings nicht ganz klar zu sein, dass selbstverständlich auch Mittelständler in den internationalen
Wettbewerb eingebunden sind. Deswegen brauchen sie
endlich international vergleichbare Steuerbelastungen.
Die SPD hat die steuerlichen Belastungen der Unternehmen bis vor kurzem geleugnet. Es ist vorhin von
Herrn Hauser in seiner Intervention gesagt worden, dass
Herr Poß, den ich im Moment nicht sehe, diesem falschen OECD-Bericht am liebsten geglaubt hätte. Dieser
OECD-Bericht ist längst korrigiert worden. Sie waren
gedanklich noch immer bei Lafontaine, der negiert hat,
dass es für deutsche Unternehmen überhaupt höhere Belastungen gibt.
({6})
Das haben Sie aber nun endlich eingesehen. Körperschaftsteuer in Höhe von 25 Prozent: Das ist ein ganz
schöner Vorschlag. Allerdings wird es dabei nicht bleiben; das wissen Sie auch. Die Belastung wird sehr
schnell bei 37 oder 38 Prozent liegen.
Gleichzeitig versuchen Sie aber, die deutsche Wirtschaftsstruktur, die sich in 50 Jahren so entwickelt hat,
kaputtzumachen. Das kann doch wohl nicht sein! Dass
Sie versuchen, die Unternehmen durch das Optionsmodell dazu zu zwingen, sich in Kapitalgesellschaften umwandeln zu lassen, liegt entweder einzig und allein daran, dass Sie aus Neid den Spitzensteuersatz nicht senken wollen, oder an der Shareholder-Value-Mentalität
aus dem Tony-Blair-Papier. Ich bin mir nicht so sicher,
welche Richtung Sie eigentlich einschlagen wollen:
({7})
die von Eichel/Schröder und Tony Blair mit Shareholder-Value oder die von Herrn Poß, dass der Spitzensteuersatz gar nicht so niedrig sein müsste. Davon könnten
nur die so genannten Reichen profitieren. Dabei machen
Sie genau den Fehler, den man nicht machen darf: Sie
vergessen dabei die persönlich haftenden Unternehmer.
Das ist eine Katastrophe.
({8})
Sie wissen ganz genau, dass Sie mit Ihrem Steuerentlastungsgesetz den Mittelstand erheblich belastet haben.
Jetzt versuchen Sie, den Mittelstand noch einmal abzuzocken, und zwar schon beim Eintritt. Ich weiß sehr
wohl, dass Sie versuchen, sich mit den Verbänden an
die Seite des Großkapitals zu stellen und den Mittelstand
zu vergessen.
({9})
Es ist schlimm genug, wenn es in den Verbänden nur
noch Vertreter des Großkapitals gibt. Ich bin froh, dass
Michael Fuchs vom Groß- und Außenhandel gestern
sehr deutlich gesagt hat, diese Unternehmensteuerreform
belaste und benachteilige ganz eindeutig den Mittelstand. Ich bin nur froh, dass der Vorsitzende des
Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herr Professor Hax,
sehr deutlich sagt, dass es keine Gleichbehandlung gibt,
dass der Mittelstand von Ihnen wieder einmal benachteiligt wird.
({10})
Ich bin der Meinung von Herrn Stihl - und nicht der
Meinung, die Sie verkünden -, der in einer Pressemitteilung ebendies bestätigt: Der Mittelstand ist benachteiligt. Mit dem Großkapital, mit den Banken, den Versicherungen sind Sie gut Freund,
({11})
aber nicht mit denen, die vor Ort arbeiten, die zwei Drittel der Arbeitsplätze stellen und uns dazu verhelfen, dass
wir so flexibel sind, wie das in der Vergangenheit der
Fall war.
({12})
Außerdem: Die Trennung von Unternehmen und Unternehmer, auf die Herr Schröder ja immer hinweist, ist
wirklich realitätsfremd.
({13})
Eine Personengesellschaft lebt ja gerade davon, dass
der Unternehmer keine Grenze zieht zwischen seinem
Unternehmen und sich selbst. Er benötigt den Gewinn,
um sein Einkommen zu finanzieren, und das ist der Anreiz dafür, es wieder in seinem Unternehmen einzusetzen. Wenn er dabei von hohen Steuersätzen gehemmt
wird, dann kann er seine Eigenkapitalbasis nicht verbessern.
Ich will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit noch
einmal sagen - es ist ja vollkommen richtig, was vorhin
zu den Petersberger Beschlüssen gesagt worden ist -:
Acht Jahre haben wir verloren.
({14})
- Es tut mir Leid, wenn Sie ein so schlechtes Gedächtnis
haben, dass Sie sich nicht daran erinnern, dass Herr
Stoltenberg eine Steuerreform gemacht hat, die uns
3 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht hat.
({15})
- Das scheint tatsächlich so zu sein.
({16})
Die Sache mit der Option müssen wir uns noch einmal genau anschauen. Wenn ich das richtig betrachte,
wird diese Option wahrscheinlich nur für Unternehmen
mit mindestens 200 000 DM oder 250 000 DM Jahresgewinn interessant. Es könnte sein, dass das für diese
Unternehmen etwas bringt. Aber es ist eben sehr, sehr
kompliziert. Außerdem muss man ganz klar sehen: Diese Regelung ist für Sie nur ein Feigenblatt.
({17})
Denn wenn Sie annehmen würden, dass diese Option
tatsächlich von allen in Anspruch genommen wird, dann
könnten Sie das ja auch so machen, wie wir es vorschlagen, nämlich im Wege einer Einkommensteuerreform.
Stellen Sie sich einmal vor, alle Unternehmen würden
von der Option Gebrauch machen und auf 25 Prozent
gehen. Dann könnten Sie die ganze Unternehmensteuerreform nicht mehr bezahlen. Sie gehen also davon aus,
dass das nur wenige tun - und es werden immer weniger. Denn das ist absoluter Unsinn.
({18})
Im Münsterland gibt es zum Glück noch Mittelständler, Herrn Schultz.
({19})
- Dummerweise sorgt er nicht einmal für seine eigenen
Interessen. Sie sollten sich genauso wie ich für die
Mittelständler einsetzen.
({20})
Die überwältigende Mehrheit wird also von dieser
Option überhaupt nichts haben. Es ist ein Feigenblatt.
({21})
Wenn Herr Eichel das fallen lässt - jetzt sitzt Frau
Hendricks auf der Regierungsbank; die braucht das Blatt
vielleicht nicht, zumindest nützt ihr ein einzelnes Feigenblatt vielleicht nicht so ganz viel -, dann steht er
doch ziemlich nackt da.
({22})
Viel anzubieten für den Mittelstand hat er dann nicht
mehr.
Sie kommen dann mit der Anrechnung bei der Gewerbeertragsteuer. Aber auch das betrifft ja nur ganz
wenige. Diejenigen, die von der Anrechnung auf die
Gewerbeertragsteuer nichts haben, stehen bei Ihrer Steuerreform wirklich im Regen. Wir, die CDU, - ich darf
die F.D.P. vielleicht einschließen -, sind diejenigen, die
für den Mittelstand sorgen.
({23})
Auch bei den Verbänden scheint dieses Interesse aus der
Mode gekommen zu sein.
({24})
Wir werden dafür sorgen, dass die Verhandlungen über
diese Steuerreform Verbesserungen bringen und dass
Sie dem zustimmen. Ich will ja nicht sagen, dass die
Richtung ganz falsch ist. Aber in den einzelnen Bereichen, die sich für den Mittelstand so schlecht darstellen,
werden wir dem Mittelstand zu seinem Recht verhelfen.
Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank.
({25})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Detlev
von Larcher von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nach drei Stunden Debatte sind
Wiederholungen unvermeidbar, das haben wir bereits
bei den vorigen Rednerinnen und Rednern bemerkt.
Zum Schluss ist es wichtig festzustellen, dass das Gesetzespaket nicht isoliert dasteht, sondern dass es sich dabei
um die Fortsetzung einer Steuerpolitik handelt, die in einem Guss darzustellen ist. Der Ansatz der SPD war immer, einen ausgewogenen Mix aus Angebots- und
Nachfragepolitik zu finden.
Deshalb ist die Unternehmensteuerreform in eine
Fortsetzung der Politik eingebettet, die wir mit dem
Steuerentlastungsgesetz begonnen und mit dem Familienförderungsgesetz fortgeführt haben. Eine Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen in Höhe von 60 000 DM jährlich muss einschließlich der Kindergelderhöhung bereits in diesem Jahr
2 196 DM weniger Steuern zahlen als 1998. Im nächsten
Jahr steigt die Entlastung auf 2 944 DM an und sie erreicht schließlich ab 2005 mehr als 4 000 DM jährlich.
Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und
F.D.P., haben bisher von Steuersenkungen immer nur
allgemein geredet oder völlig unfinanzierbare Pläne
vorgelegt. Wir, die Koalition, entlasten wirklich und legen dabei den Schwerpunkt auf die Stärkung der Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir
entlasten Mittelstand und kleine Unternehmen.
({0})
Von der Steuerentlastung - darauf hat der Finanzminister bereits hingewiesen - im Unternehmensbereich
von etwa 19 Milliarden DM entfallen auf Mittelstand
und Kleinunternehmen 17 Milliarden DM.
Der andere Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt auf
der Stärkung der Investitionen. Dazu war es überfällig,
endlich den Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung anzugehen.
({1})
Mit diesem Systemwechsel werden Unternehmen, die
ihre Gewinne reinvestieren wollen, dazu deutlich bessere Möglichkeiten erhalten.
Ich habe von Herrn Thiele gehört, wir würden zwischen guten und bösen Gewinnen unterscheiden. Dazu
sage ich Ihnen, Herr Thiele: Reden Sie ruhig weiter
Quatsch.
({2})
Wir sind jedenfalls der Überzeugung, dass es wirtschaftspolitisch vernünftig ist, diejenigen Unternehmen
steuerlich besser zu stellen, die ihre Gewinne in die
Schaffung neuer Arbeitsplätze stecken.
Die zukünftig definitive Körperschaftsteuer bietet
gegenüber dem alten Konzept eine ganze Reihe von
Vorteilen: Sie ist europatauglich, sie ermöglicht niedrige
Steuersätze, sie stärkt die Investitionskraft der Unternehmen und sie stärkt die Eigenkapitalbildung.
Das bisherige System der Körperschaftsteuer mit unterschiedlichen Sätzen für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne und dem Vollanrechnungsverfahren bei
Ausschüttungen war dringend reformbedürftig. Es passte zu einer weitgehend binnenorientierten Wirtschaft, bei
der grenzüberschreitende Kapitalverflechtungen und
Gewinnausschüttungen allenfalls eine Randerscheinung
waren. Deshalb wurde das Anrechnungsverfahren bei
seiner Einführung auch von allen Seiten bejubelt.
Heute sind aber sehr viele Unternehmen in Deutschland stark internationalisiert, und dieser Trend wird sich
verstärkt fortsetzen. Deshalb können wir nicht länger an
einer Unternehmensbesteuerung festhalten, die nur bei
inländischen Anteilseignern inländischer Unternehmen
das erreicht, was dieses System eigentlich will: die einmalige Besteuerung von ausgeschütteten Gewinnen mit
dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners.
Ein auch auf internationaler Ebene praktikables Steuersystem muss so gestaltet sein, dass sich seine einzelnen Elemente mit anderen Steuersystemen ergänzen. Mit
der definitiven Körperschaftsteuer und dem Halbeinkünfteverfahren bei ausgeschütteten Gewinnen ist verbunden, dass Gewinne steuerlich privilegiert sind, solange sie im Unternehmen verbleiben. Genau das ist unsere Absicht; denn ein wichtiges Ziel der Unternehmensteuerreform ist es, die Investitionstätigkeit der Unternehmen zu unterstützen.
Es gibt noch einen weiteren, zu wenig beachteten Aspekt - er wurde heute bereits angesprochen -, der für die
steuerliche Begünstigung der Eigenkapitalbildung
spricht. In den 90er-Jahren hat sich die Zahl der Insolvenzen in Deutschland verdoppelt. Im letzten Jahr ist
diese Entwicklung erfreulicherweise zum Stillstand gekommen.
({3})
- Ja, vielleicht wegen unserer Regierung, Herr Thiele.
Danke schön.
({4})
Ein Grundübel aber, das dafür mitverantwortlich ist,
bleibt bestehen: Die deutschen Unternehmen verfügen
oft über wenig Eigenkapital. Das liegt nicht daran, dass
sie zu wenig Gewinn erwirtschaften. Das liegt daran,
dass unser bisheriges Steuerrecht die Fremdfinanzierung - auch durch Gesellschafter - begünstigt.
({5})
Wenn wir also mit der Unternehmensteuerreform dazu
beitragen, dass mehr Eigenkapital in den Unternehmen
verbleibt und deren Krisenfestigkeit erhöht, dann kann
das nur nützlich sein.
({6})
Nun hören wir schon seit Wochen von der Opposition
die Arie, die wir auch heute bis zum Überdruss gehört
haben, unsere Unternehmensteuerreform sei eine für die
ganz Großen, während sie die Mittleren und Kleinen belaste. Ganz abgesehen davon, dass die Rolle der CDU übrigens auch die der F.D.P. - als Hüterin der kleinen
Unternehmen und des Mittelstandes so komisch ist wie
der Fuchs als Hüter der Hühner, ist diese Propaganda
vollständig parteitaktischer Unsinn. Sie soll nur desinformieren und Angst machen.
Unsere Unternehmensteuerreform ist ein dreistufiges
System für Personengesellschaften und Personenunternehmen unterschiedlicher Größe. In der untersten Stufe,
in der sich ungefähr 60 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen befinden, profitieren die Unternehmen
von der Senkung des Eingangsteuersatzes von jetzt
22,9 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2005 und von einem
höheren Grundfreibetrag. Diesen Unternehmen kann
man so wie den Arbeitnehmern nur durch die Senkung
des Eingangsteuersatzes helfen, weil sie einen zu versteuernden Gewinn von unter 48 000 DM melden, also
keine Gewerbesteuer zahlen und den Spitzensteuersatz
der Einkommensteuer nicht einmal in der Ferne sehen.
Im Mittelfeld, das ungefähr in der Höhe des neuen
Spitzensteuersatzes von 45 Prozent liegt, wird die
Einkommensteuer durch eine pauschalierte
Anrechnung der Gewerbesteuer gemindert. Insgesamt
wird damit die tatsächliche Belastung dieser
Unternehmen mit Gewerbesteuer auf nahe Null gesenkt.
Die Kommunen erhalten jedoch wie bisher die volle
Gewerbesteuer. Die Großen können optieren, sie müssen
nicht optieren. Sie können selbst entscheiden, sich wie
eine Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen.
Zum Schluss will ich noch auf einen Punkt eingehen,
der von der Börse sehr begrüßt worden ist, aber auch
viel Kritik herausgefordert hat. Ich meine die Steuerfreiheit für Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft beim
Verkauf von Anteilen an eine andere erzielt. Es gibt
gute steuersystematische Gründe dafür.
({7})
- Danke schön.
Gewinne sollen im Rahmen der Körperschaftsteuer
nur einmal versteuert werden. Steigende Anteilswerte
sind Ausdruck von bereits entstandenen oder für die Zukunft erwarteten Gewinnen. Wenn Kursgewinne separat
versteuert werden, kommt es daher formal zu einer
Doppelbesteuerung. Dennoch müssen wir der Frage kritisch nachgehen, ob hier das Richtige gewollt und doch
die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht erreicht wird,
denn soweit Veräußerungsgewinn auf Gewinnerwartung
beruht, gewährt die Steuerfreiheit dem Veräußerer einen
langfristigen zinslosen Kredit.
Ich erlaube mir eine persönliche Bemerkung, die ich
ausdrücklich nicht namens meiner Fraktion mache.
({8})
Nach Abgleich des Bundesfinanzministeriums mit
den Finanzministerien der Länder bedeutet diese Regelung einen Steuerausfall von 4 Milliarden DM, so wie
jetzt im Tableau ausgewiesen. Die Annahme, diese Regelung bringe neben Schwung in die Wirtschaft auch
zusätzliche Arbeitsplätze, ist nicht beweisbar.
({9})
Sie basiert auf dem Prinzip Hoffnung. Nicht einmal ein
billiges Versprechen der Wirtschaft gibt es dafür.
Auf der anderen Seite wird diese Summe in den
Haushalten des Bundes und der Länder schmerzhaft fehlen. Diese 4 Milliarden DM könnten sehr gut für dringend notwendige öffentliche Investitionen ausgegeben
werden, zum Beispiel für das Ziel, Güter von der Straße
auf die Bahn zu bringen. Das Niveau der öffentlichen
Investitionen ist ohnehin beängstigend niedrig. Diese
Summe könnte auch gut für aktive Arbeitsmarktpolitik
genutzt werden.
Ich für meinen Teil sehe also diese Regelung sehr kritisch, allerdings ausdrücklich nicht, weil sie angeblich
die kleinen und mittleren Unternehmen benachteilige,
wie die Opposition behauptet. Eine vergleichbare Regelung außerhalb der Körperschaftsteuer wäre unsinnig,
denn in diesem Falle stehen dem höheren Kaufpreis
auch zukünftige Abschreibungen gegenüber. Dies ist
beim Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft
nicht der Fall. Deshalb kann man beides nicht über einen
Kamm scheren. Den Personengesellschaften und Personenunternehmen widerfährt ja durch das erwähnte Dreistufensystem Gerechtigkeit. Dies ist meine persönliche
Auffassung.
Meine Damen und Herren, wir werden bei der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf und bei den Beratungen
im Finanzausschuss sorgfältig zuhören.
Wir werden Argumente prüfen und abwägen. Für gute
Argumente werden wir offen sein. Sie können uns zur
Änderung im Detail bringen, ohne dass wir die grundsätzliche Richtung korrigieren. Durchsichtige parteitaktische Behauptungen werden uns jedoch nicht beeindrucken.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/2683 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich soll der Haushaltsausschuss den Gesetzentwurf
gemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung beschlossen.
Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2688 zur federführenden Beratung an
den Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Die Vorlage auf Drucksache 14/2706 soll zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss und zur
Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie,
den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, den
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 a auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kontinent werden
- Drucksache 14/2571 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe
ich das Wort dem Kollegen Rudolf Kraus von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Deutschlands Medienwelt spiegelt uns einen scheinbar breiten, parteiübergreifenden Konsens im Hinblick auf unser Verhältnis zu Afrika vor: Jedermann bekundet seine Solidarität
mit diesem südlichen Nachbarkontinent Europas und
ruft zu mehr Unterstützung seiner Not leidenden Völker
auf. Die Bundesregierung selbst überschlägt sich geradezu in ihren öffentlichen Verlautbarungen über Afrika.
Die Leitungen von Auswärtigem Amt und BMZ übertreffen sich gegenseitig mit Appellen, Afrika sei Zukunft, und Ziel der Bundesregierung sei es, möglichst
vielen Afrikanern die Chance auf ein menschenwürdigeres Leben zu eröffnen.
Die tatsächliche deutsche Außen- und Entwicklungspolitik entblößt diese schöne Reden jedoch als blanken
Zynismus.
({0})
Auf keinem anderen Kontinent dieser Erde gibt es so
viel Not, Gewalt und Hunger wie in Afrika. Die Hälfte
der Bevölkerung südlich der Sahara lebt noch immer in
bitterer Armut. Nur rund 45 Prozent der Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Gut die Hälfte
der Erwachsenen gelten als Analphabeten. Verschärfend
kommt hinzu, dass in mehr als einem Drittel der Länder
südlich der Sahara Bürgerkriege oder zwischenstaatliche
Konflikte toben, die Entwicklung verhindern, knappe
Ressourcen vergeuden und unermessliches, zusätzliches
Leid über die Bevölkerung bringen.
In Ländern wie Sudan, Somalia, Sierra Leone, Liberia, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea oder
Äthiopien leidet besonders die Zivilbevölkerung unter
kriegerischen Auseinandersetzungen von unvorstellbarer
Grausamkeit. Dabei wird immer häufiger darauf hingewiesen, dass Afrika heute - höchstwahrscheinlich weitaus besser dastehen würde, wenn die internationale
Gemeinschaft dort nur mit dem Bruchteil des gleichen
Einsatzwillens interveniert hätte, wie sie es gerade auf
Initiative von Politikern wie Minister Fischer in Europa
oder im Nahen Osten vorexerziert hat.
({1})
- Ich habe es zwar nicht verstanden; aber es wird sicherlich nicht richtig sein.
({2})
Die Afrikaverlautbarungen des Außenministers demaskieren sich schließlich vollends dadurch, dass das
Auswärtige Amt Botschaften und deutsche Kultureinrichtungen in Afrika in einem solchen Umfang schließt,
dass der international anerkannte Afrikaspezialist von
Lucius bereits von einem „Kontinent der geschlossenen
Vertretungen“ spricht.
In dieses Bild passt nur zu gut, dass Afrikas Regierungsoberhäupter, wie zuletzt Nigerias Präsident
Obasanjo, nachdrücklich mehr politisches Interesse
Deutschlands an Afrika einfordern, während Minister
Fischer aber nun zum wiederholten Male seine unter anderem nach Nigeria geplante Afrikareise aus landtagswahlkampfstrategischen Gründen verschoben hat.
({3})
- Zu spät, Frau Kollegin.
Das BMZ fuhr die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika um ganze 20 Prozent und
damit auf den niedrigsten Stand seit 1972 herunter. Verschlimmert wird dies in Anbetracht der immensen Aidskatastrophe in Afrika dadurch, dass das BMZ darüber
hinaus seine Programme und Projekte im Gesundheitssektor halbiert sowie die Maßnahmen zur Familienplanung und zur Bevölkerungspolitik auf ein Drittel des
Vorjahresstandes zusammengestutzt hat.
({4})
Von den weltweit etwa 34 Millionen Infizierten leben
rund 70 Prozent in den Ländern Afrikas südlich der Sahara. Dort hat Aids bereits heute zu einer Senkung der
Lebenserwartung um zehn Jahre geführt. Es wird erwartet, dass diese im nächsten Jahrzehnt um weitere zehn
Jahre zurückgeht. In einigen dieser Länder wird damit
bald jeder vierte Erwachsene an Aids sterben. Aids wird
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
viele Staaten Afrikas südlich der Sahara in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.
Die mittlerweile rund zehn Millionen Aidswaisen
dort stellen Afrikas bisher größte soziale Katastrophe
dar. Sie bedürfen ganz besonders dringlich unserer Hilfe, da immer mehr von ihnen vernachlässigt und ausgebeutet werden. Sie müssen sich oft als Straßenkinder
durchschlagen oder sie werden sogar als Kindersoldaten
missbraucht.
Eine weitere gravierende Entwicklungsproblematik
Afrikas liegt im Umweltsektor. Neben Amazonien und
Südostasien existiert in Zentral- und Westafrika die dritte bedeutende Tropenwaldzone unserer Erde. Die fragilen afrikanischen Ökosysteme, die in besonderem Maße
von der Erhaltung der tropischen Regenwälder abhängig
sind, sind durch Brandrodung, Erosion, Holzeinschlag
und sonstige Übernutzung bedroht.
Der verhängnisvolle Kreislauf zwischen Überbevölkerung, Armut und Überlastung der Umwelt wirkt sich
hier besonders schlimm aus. Völlig unverständlich ist
deshalb, dass die Ministerin im wichtigen Umwelt- und
Ressourcenschutzsektor das Budget um 25 Prozent reduziert hat.
({5})
Dieser Rückzug der Bundesregierung aus Afrika ist
umso bedauerlicher, als er just zu einem Zeitpunkt
kommt, wo sich ein Silberstreif der Hoffnung auf beständige Besserung am afrikanischen Horizont zeigt.
({6})
Nach mehr als zwei Jahrzehnten der Stagnation und des
Niedergangs lag das Wirtschaftswachstum in Afrika in
der zweiten Hälfte der 90er-Jahre erstmals wieder etwas
oberhalb des Bevölkerungswachstums.
({7})
Zudem fällt auf, dass sich die zunehmende Reformorientierung in Afrika offenbar auf einen wachsenden
Bewusstseinswandel der politisch Verantwortlichen
gründet. Mehr und mehr afrikanische Regierungen und
Entscheidungsträger bekennen sich zu Eigenverantwortung für ihre Entwicklung. Der Wille zur Selbsthilfe
wächst und die demokratische Öffnung schreitet voran.
Ich denke, dass dies von uns stärker gefördert werden
muss.
Unter Carl-Dieter Spranger wurden Kriterien vorgegeben, die auch die Behandlung dieses Problems umfassen. Mit ihrer Anwendung soll erreicht werden, dass
Regierungen, die keine gute Politik machen, notfalls von
der Entwicklungshilfe ausgeschlossen werden.
({8})
Wenn sich die Bundesregierung schon zu diesen Kriterien, die wir gemeinsam für richtig halten, bekennt,
dann stellt sich uns die große Frage, warum sie diese
Grundsätze ausgerechnet gegenüber Menschen wie Mugabe, dem Präsidenten von Zimbabwe, der sein Land
mit Krieg, Korruption und Verschwendung überzieht,
nicht durchsetzt und warum sie nicht politisch entsprechend handelt.
({9})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese doppelzüngige Afrikapolitik der Bundesregierung zum Anlass
genommen, einen Antrag mit dem Titel „Afrika darf
nicht zu einem vergessenen Kontinent werden“ vorzulegen
({10})
sowie die heutige Afrikadebatte im Bundestag zu initiieren, um damit die Wiederherstellung des früheren Umfanges der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika
({11})
und ein stärkeres außenpolitisches Engagement der
Bundesregierung zur Beendigung bestehender und zur
Vermeidung zukünftiger Konflikte in Afrika einzufordern.
Ich weiß, dass wir mit vielen Politikern auch aus den
Regierungsfraktionen in dieser Frage letztendlich übereinstimmen. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass auch die
Ministerin einiges gerne anders machen würde, aber sie
hat diese Politik zu vertreten; das ist in der Gage enthalten. Wir können auf die Verbiegungen, die deshalb nötig
sind, keine Rücksicht nehmen.
({12})
Wir werden uns in Zukunft verstärkt dafür einsetzen,
dass die Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika wieder einen
sehr viel größeren Stellenwert bekommt, als das augenblicklich der Fall ist.
Ich bedanke mich.
({13})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Schuster.
Frau Präsidentin!
Liebe Afrika-Fans! Als erstes ein Dankeschön an die
Opposition, dass sie uns Gelegenheit gibt, Afrika hier im
Plenum wieder zu thematisieren!
({0})
Aber, meine Damen und Herren, ich erinnere mich wir beide, Herr Hedrich, haben ja eine über mehrere
Wahlperioden gehende gemeinsame Historie -, dass der
Antrag, den die SPD-Fraktion 1993/94 mit der Überschrift „Afrika hat Zukunft“ eingebracht hat, von Ihnen
eloquent abgelehnt wurde. Er enthielt Forderungen, die
ich heute zum Teil in Ihrem Antrag wiederfinde.
({1})
Die Frage ist doch, ob es sich hierbei um einen echten
Bewusstseinswandel handelt oder nur um einen Wechsel
der Bänke.
({2})
Ihr Antrag weist außerdem zwei gravierende
Schwachpunkte auf:
({3})
Erstens. Er strotzt vor Arroganz. Den Grünen und den
Roten vorzuwerfen, sie müssten ermahnt werden, Afrika
nicht zu vergessen, ist nichts anderes als schlichter
Hohn.
({4})
Ich gehe aber davon aus, dass die Ministerin in der gebührenden Art und Weise alle Ihre Vorwürfe sauber widerlegen wird.
({5})
Das zweite Defizit Ihres Antrages: Sie gehen, Herr
Hedrich, nach wie vor so einäugig vor wie in den letzten
Wahlperioden, in denen ich dabei war. Sie sehen Handlungsbedarf nämlich nur im Süden, fassen sich aber
nicht an die eigene Nase.
Sie fordern zu Recht, dass man die Vergabekriterien
einhalten muss. Wir haben aber nicht vergessen, dass
Sie unterschiedliche Messlatten an Afrika, China und an
die Türkei legten. Wenn Sie von „good governance“ reden, empfehle ich Ihnen gerade jetzt einmal mit afrikanischen Botschaftern zu reden, von denen wir zu Recht
„good governance“ fordern. Diese werden fragen: Gilt
in Deutschland eine andere Messlatte?
Ebenfalls fehlt die Erwähnung der Fremdbestimmung, unter der die afrikanischen Nationen aufgrund
der Partikularinteressen der Vereinigten Staaten, von
Frankreich und von Großbritannien zu leiden haben. Der
von mir sehr geschätzte ehemalige Präsident von
Weizsäcker hat am letzten Samstag auf der WillyBrandt-Konferenz in Bonn - Frau Ministerin, Sie erinnern sich - sehr deutliche Worte gefunden und darauf
hingewiesen, dass es notwendig ist, dass die Vereinigten
Staaten auch die Verantwortung, die sich aus ihrer Monopolsituation ergibt, reflektieren müssen und dass gewisse Verhaltensänderungen notwendig sind.
Bei Ihren Forderungen fehlt der Hinweis auf Rüstungsexportkontrollen, Lieferung von Kleinwaffen und
dergleichen.
Am allermeisten stört mich, dass der Hinweis fehlt,
dass wir durch das „Vorbild“, das wir abgeben, viel
Schaden anrichten. Was meinen Sie denn, Herr Hedrich,
wovon meine und Ihre schwarzen Freunde, wenn wir an
den Hütten zusammensitzen, träumen? Die sagen doch:
Spätestens unsere Kinder sollen möglichst so leben, wie
die Menschen in Deutschland leben. Verständlich! Für
den Fall, dass es so kommt, kennen Sie alle aber das Ergebnis.
Wir Sozialdemokraten haben in dieser Woche ein
Grundsatzpapier mit dem Titel „Afrika an der Schwelle
zum nächsten Jahrtausend“ herausgegeben. Ich werde es
nach meiner Rede den Sprechern der anderen Fraktionen
überreichen, damit Sie wissen, worüber wir sprechen.
({6})
- Herr Hornhues, es ist ganz bewusst dreisprachig gehalten. Es soll unseren Partnern in Afrika als Dialogangebot
dienen. Denn der Dialog kommt häufig immer noch zu
kurz.
Ich gehe davon aus, dass unsere Regierungskoalition
anlässlich der Beratungen im Ausschuss auf der Basis
dieses Papieres ein paar Änderungsvorschläge oder einen eigenen Antrag einbringt, so wie wir das üblicherweise tun.
Dazu will ich noch ein paar kurze Worte verlieren:
Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, dass in Afrika eine nachhaltige Entwicklung stattfindet. Herr
Kinkel, das hat etwas mit unserer historischen Verantwortung und unserem Wertesystem zu tun. Das hat etwas mit der räumlichen Nähe im positiven wie im negativen Sinne zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass wir
ein Interesse daran haben, dass das dortige Ökosystem
intakt bleibt - diesen Gedanken teile ich mit Herrn
Kraus -, und es hat etwas mit Folgendem zu tun - darauf weist mein Kollege Tappe immer hin -: Afrika wird
der Kontinent der Zukunft werden. Dort wird es in
20 Jahren mehr als 1 Milliarde Menschen geben. Wer
dort rechtzeitig richtig investiert, für den bestehen große
Chancen. Afrika ist nach unserem Verständnis der
Markt der Zukunft.
Dieses originäre Eigeninteresse Deutschlands an der
Entwicklung in Afrika veranlasst uns zu fünf zentralen
Botschaften - ich reduziere dies bewusst auf fünf Botschaften -:
({7})
Erstens. Es darf nur Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Wenn die andere Seite nicht bereit ist, selber etwas zu
tun, dann sind alle Bemühungen unsererseits unsinnig.
Wir dürfen die Afrikaner aber nicht überfordern. Wir
können von ihnen kein Geld verlangen, wenn wir wissen: Sie haben kein Geld. Also müssen wir von ihnen im
Rahmen der Selbsthilfe andere Leistungen erwarten.
Zweitens. Die zukünftige Entwicklung - darin stimmen wir überein - muss schwerpunktmäßig auf die
Entwicklung der zivilgesellschaftlichen Strukturen ausgerichtet sein. Partizipation nennen wir das. Wir meiDr. R. Werner Schuster
nen nicht nur die Nichtregierungsorganisationen, die
Kirchen und die Gewerkschaften, sondern auch die Handelskammern, Banken, Verbände und dergleichen. Sie
gehören ebenfalls zu dem Bereich, der unterstützt
werden muss. In Afrika müssen vor allen Dingen aber
Frauenorganisationen unterstützt werden. Denn jeder
von Ihnen, der häufiger in Afrika war, weiß: Arbeiten
tun dort nur die Frauen. Wer in diese Ressourcen nicht
investiert, der investiert nicht richtig in Afrika.
({8})
Drittens. Eine weiterer Schwerpunkt sind die Regionalkooperationen. Die kennen Sie. Sowohl im sicherheitspolitischen als auch im wirtschaftspolitischen Bereich unterstützen wir SADC, ECOWAS, IGAD bzw.
die East African Cooperation.
Viertens. Wir müssen deutlich machen, dass unsere
Partikularinteressen die Entwicklung in Afrika wirklich
behindern. Das gilt zum Beispiel auch für solche Organisationen wie die WTO. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Seattle.
Fünftens. Wir müssen uns immer wieder bewusst
sein, dass unser negatives Vorbild die Afrikaner prägt
und sie an einer nachhaltigen Entwicklung hindert. Denken Sie an unser Konsumverhalten. Denken Sie auch an
die zum Teil unreflektierte Übernahme des Mehrheitswahlrechts nach Westminster-Vorbild. Das löst ethnische Konflikte und Minoritätenprobleme nicht.
Schließen möchte ich mit einem Satz unseres derzeitigen Bundespräsidenten, Herrn Rau. Er hat - ebenfalls
am letzten Samstag auf der von mir bereits genannten
Willy-Brandt-Konferenz in Bonn - sinngemäß ausgeführt: Unsere Verfassung zeichnet sich durch die
Formulierung in Art. 1 des Grundgesetzes aus: Die
Würde des Menschen ist unantastbar.
Das gilt nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch
im Außenverhältnis. Für wen gilt diese Forderung mehr
und präziser als für unsere schwarzen Freunde in Afrika? Lassen Sie uns deswegen alles daransetzen, den
Afrikanern den notwendigen Spielraum einzuräumen,
damit sie ihr Leben selbst organisieren können, um in
Würde leben zu können.
Danke schön.
({9})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der afrikanische Kontinent
hat mich in meinem gesamten beruflichen Leben, vor allem natürlich in meiner Zeit als Außenminister, immer
besonders umgetrieben und hat mich bis heute nicht losgelassen. Einige der Kollegen, die hier als Afrika-Fans
anwesend sind, wissen das. Bei meinen vielen Besuchen
auf diesem 800-Millionen-Einwohner-Kontinent, der
23 Prozent der festen Erdoberfläche bedeckt, habe ich
mir ein Bild von den Problemen und von der zum Teil
schrecklichen Armut, aber eben auch von dem kulturellen und dem menschlichen Reichtum unseres Nachbarkontinents machen können.
Einige von Ihnen waren dabei: Die Bilder in Ruanda
im Gefängnis von Kigali und in der leichenübersäten
Kirche nach dem schrecklichen Genozid, dem 1 Million
Menschen zum Opfer fielen, lassen einen zeitlebens
nicht mehr los. Afrika zu helfen und mit den Afrikanern
zusammenzuarbeiten braucht eben Mitleidens- und Mitempfindungsfähigkeit, aber auch ein sehr starkes Einfühlungsvermögen, Engagement, Interesse und vor allem viel Geduld. Ein afrikanisches Sprichwort lautet ja
nicht umsonst: „Das Gras wächst auch dann nicht
schneller, wenn man an ihm zieht.“
Afrika, vor allem natürlich das Afrika südlich der Sahara, bleibt leider ein Sorgenkind der Welt. Auf diesem
leidgeprüften afrikanischen Kontinent liegen Licht und
Schatten sehr eng beieinander. Ich nenne in diesem Zusammenhang Bürgerkriege, Unterentwicklung, ethnische
Spannungen, die schreckliche Aidsproblematik, Naturkatastrophen und Wassermangel. Ich werde nie vergessen, wie ich aus dem Wahlkampf heraus zu meiner letzten UNO-Vollversammlung nach New York geeilt bin.
Dort habe ich mitbekommen, wie sich Vertreter von
54 afrikanische Ländern nur über das eine Thema, nämlich über das Thema Wasser, unterhalten haben. Zur selben Zeit berichtete der Außenminister von Bangladesch,
einem Land mit immerhin 115 Millionen Einwohnern,
dass sein Land zu zwei Dritteln unter Wasser stand.
Vielleicht erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang
an die Überschwemmung in China und an die schrecklichen Hurrikans in Lateinamerika.
Die Situation wird schwierig bleiben. Ich brauche denen, die sich für Afrika interessieren, nicht zu sagen,
dass wir von Globalisierung so lange nicht zu reden
brauchen - davon zu sprechen wäre in diesem Fall ein
Hohn -, solange Millionen von Kindern von der ersten
Sekunde ihres Lebens an nicht die geringste Chance auf
nur ein einigermaßen menschenwürdiges Leben haben.
Denken Sie nur daran, dass durch die Entwicklung des
Internet Nord und Süd noch weiter gespalten werden.
Natürlich wird Afrika von dieser Entwicklung noch weiter abgekoppelt. Es gibt aber, auch im wirtschaftlichen
Bereich, Hoffnungszeichen. Denken Sie zum Beispiel an
Botswana, Mosambik und Uganda. Dort gibt es hohe
Wachstumsraten.
Auch die politischen Trends sind natürlich gemischt.
Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich der ideologische Druck auf diesem Nebenschauplatz des Ost-WestKonflikts abgebaut. Afrika hat jetzt mehr Möglichkeiten
für eine eigenständige Entwicklung. Leider hat sich die
Bereitschaft in den Industrieländern, sich in den afrikanischen Ländern stark zu engagieren, nicht in hohem
Maße weiterentwickelt.
Deshalb ein paar Forderungen - einige von Ihnen
kennen mein Credo -: Die 54 Länder Afrikas sind zum
Teil einfach zu schwach und zu klein, als dass sie ohne
Regionalisierung etwas leisten könnten.
({0})
Was wir innerhalb der SADC erreicht haben, müssen
wir weiter vorantreiben.
({1})
Die 14 SADC-Staaten bilden mit einem Markt von
180 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung
von 170 Milliarden das wirtschaftliche Herz Afrikas.
Die vielen kleinen Länder haben allein keine Chance.
({2})
- Ich habe nur eine Redezeit von sechs Minuten. Erlauben Sie bitte, Frau Eid, dass ich weiterrede.
Natürlich hat sich auch die politische Situation verbessert. Ich denke zum Beispiel an die positive Entwicklung in Nigeria, aber vor allem auch in Südafrika. Man
kann bei Anwendung westlicher Maßstäbe natürlich
noch längst nicht von einer Demokratisierung Afrikas
sprechen. Auch die Menschenrechtssituation in vielen
Ländern kann man weiß Gott noch nicht preisen.
Ganz besonders furchtbar ist der Kinderhandel in
Afrika. Die hier Anwesenden wissen, wovon ich rede.
Es ist ganz schlimm, was sich diesbezüglich in Afrika
abspielt. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Antrag zum Thema Kinderhandel in Afrika eingebracht. Ich hoffe, dass er bald im Plenum behandelt
wird.
Angesichts der Situation in Afrika sind natürlich die
Vereinten Nationen in besonderer Weise gefragt. Aber
die Vereinten Nationen können nicht jedes Problem dort
lösen. Deshalb habe ich immer dafür plädiert - ich weiß,
dass Sie mich in diesem Punkt unterstützen -, dass vor
allem die OAU stärker als bisher eingreift. Afrika muss
lernen, in verstärktem Maße mit seinen eigenen Problem
fertig zu werden und nicht immer sofort zu den Vereinten Nationen in New York zu schielen. In diesem Punkt
muss mehr getan werden. Das geht aber nur, wenn wir
die OAU stärken.
Ja, meine Damen und Herren, der Tenor dessen, was
heute zwischen uns diskutiert wird, ist richtig: Der afrikanische Kontinent darf nicht in Vergessenheit geraten.
Wer, wenn nicht die Europäer und auch die Deutschen,
soll denn den Afrikanern helfen? In diesem Zusammenhang muss man zur Bundesregierung zumindest teilweise ein kritisches Wort sagen. Zwei Personen werde ich
ausdrücklich ausnehmen, will aber der Bundesregierung
insgesamt sagen: Sie haben Botschaften geschlossen, Sie
haben die Mittel gekürzt. Ich prangere das nicht generell
an. Ich weiß, dass es mit den Haushaltsmitteln im Augenblick schwierig ist. In Afrika hätte man vielleicht,
was die Kürzung der Entwicklungshilfe anbelangt, vorsichtiger sein sollen. Sie hat ihren niedrigsten Stand seit
1972 erreicht, und Sie haben auch erfolgreiche Kooperationsprojekte eingestellt.
Mein Nachfolger, Herr Fischer, muss sich sagen lassen - ich habe es ihm von diesem Pult aus schon einmal
gesagt -, dass er vollmundige Versprechen macht und
sie nicht einhält.
({3})
- Liebe Frau Kollegin Eid, er hat zum vierten Mal eine
Afrikareise abgesagt. Dies mache ich ihm wie auch der
Grünen-Fraktion zum Vorwurf, die vollmundig Positionspapiere für eine neue Afrikapolitik ankündigt. Vergeblich warten die Menschen in Afrika auf ein Zeichen,
ja nur ein freundliches Wort des Bundeskanzlers oder
des Außenministers. Ich werfe ihm vor, erneut CNNPolitik zu betreiben, nämlich dort hinzugehen, wo die
Scheinwerfer des Fernsehens sind. Und in Afrika sind
sie eben nicht! Das ist eine Politik, die nicht gut, die einäugig ist.
({4})
Kollege Kinkel, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen!
Ja, ich komme zum
Schluss, bitte Sie aber - um in der Sportlersprache zu
sprechen -, mir eine zweite kurze Luft zu erlauben.
Die ganze Dritte Welt spielt für den Bundeskanzler
und für den Außenminister praktisch keine Rolle. Wenn
ich mir die Afrikapolitik der neuen Bundesregierung ansehe, so nehme ich ausdrücklich Ministerin WieczorekZeul und ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Uschi
Eid, aus. Beide sind in Afrika außerordentlich engagiert.
({0})
Natürlich muss ich kritisieren, Frau Ministerin, dass
Mittel gestrichen werden mussten. Ich tue das aber nicht
mit großer Anklage. Ich merke, wie sehr Sie sich bei
Reisen engagieren, und ich weiß von Frau Eid, was sie
getan hat. Da kann ich nur sagen: Deutschland muss
wertorientierte Außenpolitik machen. Afrika hat bei allen Problemen Chancen auf eine bessere, friedliche und
menschenwürdige Zukunft. Aber Afrika braucht unsere
Solidarität und Afrika braucht vor allem unsere Zuwendung. Das ist das Allerwichtigste.
Vielen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Dr. Uschi Eid von der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße es sehr, dass wir uns heute in diesem Hause
mit dem afrikanischen Kontinent befassen. Aber ich finde, dass die Herausforderungen viel zu groß sind, als
dass wir hier ein parteipolitisches Hickhack veranstalten
sollten. Deswegen will ich mich daran auch gar nicht
beteiligen.
({0})
Lassen Sie mich stattdessen einige Anmerkungen zu unserer inneren Haltung gegenüber diesem Kontinent machen.
Bei meiner Arbeit, in den vielen Gesprächen mit
afrikanischen Regierungsvertretern, mit Parlamentariern - zum Beispiel gestern mit Parlamentariern aus
Kamerun -, mit Vertretern von Menschenrechts- und
Umweltgruppen, mit Unternehmern und Wissenschaftlern wird immer wieder deutlich, dass ein sehr großes
Interesse an guten, freundschaftlichen Beziehungen zu
Deutschland, an Entwicklungskooperation, an deutschen
Investitionen, an der Ausweitung des Handels mit der
Europäischen Union und am Wissenschaftsaustausch
besteht.
Die Partner sind an einem freundschaftlich-kritischen
und offenen Dialog interessiert. Sie erwarten - und dies
zu Recht -, dass Deutschland sie ernst nimmt, auch ihre
Leistungen anerkennt, ihnen zuhört - viel zu oft reisen
wir mit erhobenem Zeigefinger durch die Lande und
predigen, sind pädagogisch, anstatt dass wir zuhören -,
und sie erwarten, dass wir sie bei der Schaffung von
Strukturen unterstützen, die eine menschenwürdige
Entwicklung ermöglichen und zur Chancengleichheit
beitragen.
Dabei geht es - das möchte ich ausdrücklich betonen - nicht in erster Linie um Geld bzw. um Entwicklungshilfe. Es geht um den aufrichtigen, ernsthaften Dialog zwischen Partnern, und zwar auf gleicher Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt. Das ist nämlich entscheidend.
({1})
Ich glaube, alle von uns haben schon erlebt, dass afrikanische Parlamentarier eine Kategorie von Politikern
sind, denen allzu oft der Respekt verweigert wird, weil
wir meinen, die Afrikaner bekämen es nicht geregelt.
Wer nun behauptet, dass Afrika in Vergessenheit gerät - dies insinuiert der Antrag der CDU -, hat die internationale Diskussion um die Aktivitäten in den letzten
Monaten überhaupt nicht verfolgt. An diesen Aktivitäten
sind wir intensiv beteiligt. Ich möchte einige Beispiele
nennen.
Ich war im vergangenen November in Dakar zur Tagung der „Global Coalition for Africa“.
({2})
Dort haben sich amtierende und ehemalige afrikanische
Staatschefs und Minister mit Abgeordneten, Unternehmern und Vertretern von Bürgergruppen aus 21 afrikanischen Ländern getroffen. Ich konnte mich selbst überzeugen, welche bedeutenden Schritte Länder wie Botswana, Benin, Mali oder Kap Verde zur Demokratisierung unternommen haben.
Im letzten Dezember haben die Weltbank und die
wichtigsten Geber in Paris die „Initiative für eine Strategische Partnerschaft mit Afrika“ gegründet. Die Vereinten Nationen hatten den Januar zum Afrika-Monat erklärt und wichtige Debatten geführt.
Die Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommen
konnten Anfang dieses Monats erfolgreich abgeschlossen werden. Gerade die Ministerin hat während unserer
EU-Ratspräsidentschaft wesentlich dazu beigetragen.
Am 3. und 4. April wird ein EU-Afrika-Gipfel der
Staats- und Regierungschefs in Kairo stattfinden. Nicht
zuletzt wird die erweiterte Entschuldung, wie sie letztes
Jahr in Köln beschlossen wurde, die sich der Bundeskanzler zu Eigen gemacht hatte, vorwiegend afrikanischen Staaten zugute kommen.
({3})
Herr Kraus, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen
haben, als Sie behauptet haben, dass wir für Umweltund Ressourcenschutz nur 25 Prozent zur Verfügung
stellen. Wenn Sie die AWZ-Unterlagen zur Rahmenplanung, die Sie von mir bekommen haben, gelesen hätten,
dann hätten Sie gewusst, dass dafür 1999 32 Prozent zur
Verfügung gestellt worden sind und 41 Prozent im Jahr
2000 zur Verfügung gestellt werden.
({4})
Es stimmt zwar, dass wir im Zuge der Haushaltskonsolidierung das Volumen für Afrika haben senken müssen.
({5})
Immerhin sind wir aber bei 29,6 Prozent. Damit hat
Afrika in diesem Jahr Asien als Hauptempfängerkontinent abgelöst.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich an vielen
Afrika-Diskussionen stört, ist, dass diese Diskussionen
häufig von einer unglaublichen Ignoranz und Arroganz
sowie einer eurozentristischen Sichtweise geprägt sind.
Oft wird die Situation beschönigt, ja sogar romantisiert,
sehr häufig aber auch dramatisiert, wenn Afrika nur als
der Chaos-Kontinent wahrgenommen wird.
Eigenanstrengungen unter schwierigsten Bedingungen in vielen afrikanischen Ländern werden nicht zur
Kenntnis genommen. Ich nenne nur den Aufbau einer
unabhängigen Antikorruptionsbehörde in Kenia, von deren Arbeit ich mich gerade vor 14 Tagen bei meinem
Besuch in Nairobi überzeugen konnte. Ich nenne die
Wirtschaftsentwicklungen in Mosambik, Ghana und
Uganda, die laut „World Economic Outlook“ vom Oktober letzten Jahres - die stärksten in Afrika südlich der
Sahara sind, sowie den beeindruckenden Versuch zur
Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda. Herr Kinkel,
ich war mit Ihnen damals in Ruanda. Vor einer Woche
habe ich die gleiche Stätte, das Völkermordmahnmal in
Gitarama, besucht. Ich war auch wieder im Gefängnis.
Ich muss sagen: Was die ruandische Regierung beim
Versuch der Versöhnung unternimmt, um mit diesem
Völkermord fertig zu werden - juristisch, psychologisch -, ist beeindruckend. Da müssen wir Ruanda unterstützen.
({7})
Ich nenne auch das Referendum Anfang der Woche in
Simbabwe gegen die Amtszeitverlängerung des Präsidenten. Ich finde, da haben die Simbabwer Herrn Mugabe wirklich einmal die rote Karte gezeigt. Das war gut
so.
({8})
Schließlich nenne ich die Unterzeichnung eines Vertrages im letzten November durch Kenia, Tansania und
Uganda zur Bildung einer ostafrikanischen Gemeinschaft. Dazu herrscht Einstimmigkeit hier im Hause.
Regionale Kooperation muss unterstützt werden.
({9})
Deswegen habe ich 3 Millionen DM für die nächsten
drei Jahre überbracht, sodass diese ostafrikanische Community auf ihrem Weg hin zu einer politischen
Union unterstützt wird. Ich denke, das war in Ihrem Sinne.
Trotz aller Anstrengungen gehen die ausländischen
Investitionen an Afrika vorbei. Die eigenen Fachkräfte
kehren ihrer Region den Rücken. Das afrikanische Finanzkapital verlässt den Kontinent und fließt zu ausländischen Banken. Einnahmen aus riesigen Ölgeschäften
werden fehlgeleitet. Die Region der Großen Seen
kommt nicht zur Ruhe. An der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea wurde die größte Schlacht seit dem
Zweiten Weltkrieg mit 70 000 Toten geschlagen. Sie alle wissen, dass mir diese Region besonders am Herzen
liegt, weil ich drei Jahre dort gelebt habe. Ich empfinde
das als den irrsinnigsten Krieg, den ich mir überhaupt
vorstellen kann.
Frau Präsidentin, nun noch einige Worte zum
Schluss. Woran liegt das alles? Fehlende Verlässlichkeit von Regierungen, unverantwortliche Regierungsführung, Korruption und Vetternwirtschaft, fehlende
demokratische Kultur, Missachtung von Menschenrechten, unkontrollierte Sicherheitsorgane, ein nicht funktionierendes Bankenwesen, keine Rechtsstaatlichkeit und
keine Rechtssicherheit - aus all diesen Gründen gibt es
keine Alternative zur Fortsetzung von politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Reformen. Wir
wollen Afrika und afrikanische Regierungen bei diesen
Reformvorhaben unterstützen.
Ich glaube, wir brauchen dabei überhaupt keinen
Nachhilfeunterricht von der CDU/CSU und der F.D.P.
({10})
Sie hatten zwanzig Jahre lang die Chance zu einer guten
Afrikapolitik.
({11})
- Nein, verpasst. Sie haben sie nicht so genutzt, wie es
hätte sein können. Ich nehme einzelne Personen dabei
aus.
({12})
Für die PDSFraktion hat der Kollege Carsten Hübner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Einführend möchte auch ich
sagen, dass ich das Bemühen der CDU/CSU-Fraktion
durchaus schätze, sich derart umfassend mit der Entwicklung und mit den Problemen in Afrika auseinander
zu setzen, wie es mit diesem Antrag geschehen ist. Und
auch ich begrüße die teilweisen Demokratisierungserfolge, etwa in Südafrika, Namibia oder Nigeria, auch
wenn ich Ihre Euphorie gerade im Fall Nigerias noch
nicht teilen mag. Aber es ist richtig: Afrika muss als
Thema auf die Tagesordnung - umfassend, konzeptionell und kontinuierlich. Seine Probleme sind so vielfältig, so evident und geballt - das wurde bereits angesprochen - wie gegenwärtig in keiner anderen Region der
Welt.
Gleichzeitig schaut die viel beschworene so genannte
Weltgemeinschaft in der Regel weg - zumindest so lange, wie nicht elementare Interessen der reichen Staaten
des Nordens gefährdet erscheinen, wie etwa die Intervention in Somalia gezeigt hat, als Ölförderrechte amerikanischer Konzerne bedroht waren. Ansonsten dominiert - von entwicklungspolitischen Maßnahmen einmal
abgesehen - eher stille Interessenpolitik oder gar politische Abstinenz.
Doch diesem Defizit, dieser Abwesenheit einer angemessenen und nachhaltigen Afrikakonzeption kommt
man, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU,
leider auch mit diesem Antrag nicht hinreichend bei.
Denn auch darin dominieren wieder die allgemeinen
Appelle und Absichtserklärungen und überwiegt der
Hang zu Lippenbekenntnissen; es fehlt die Forderung
nach konkreten Taten - von aus meiner Sicht vielfach
zweifelhaften Analysen der Ursachen einmal abgesehen.
Wir sollten das in den Ausschussberatungen im Einzelnen erörtern. An dieser Stelle nenne ich einige Stichworte.
Wieder gilt das Bevölkerungswachstum als Ursache
und nicht als Folge von Unterentwicklung;
({0})
wieder wird das westliche Entwicklungsmodell unkritisch als Lösung statt als Problem begriffen; wieder
werden Marktwirtschaft und wirtschaftsliberale Deregulierung unkritisch zu Heilsbringern erklärt; wieder
wird die Verschiedenheit von Ethnien als quasinatürlicher Konfliktherd beschrieben, das Konfliktpotenzial
aus kolonialer Grenzziehung und soziokultureller Zerrüttung und Ausbeutung im Zuge kolonialer und neokolonialer Ausplünderung hingegen nicht erwähnt. Von
der destruktiven Wirkung der drohenden WTOLiberalisierungsrunden ist schon gar nicht die Rede.
Immer wieder erkennt man den unreflektierten Zeigefinger „good governance“, obwohl doch gerade erst die
Anti-Korruptions-Nichtregierungsorganisation Transparency International im AWZ darüber berichtet hat, dass
es gerade die Unternehmen aus den Industriestaaten
sind, die mit Blick auf lukrative Großprojekte die politische und gesellschaftliche Verfasstheit ganzer Regionen
mittels Bestechung und Korruption unterminieren. Sie
hinterlassen auch bei uns im Land entsprechende Spuren. Das haben Sie in Ihrer Partei selber erfahren müssen.
Zur Wirkung von Waffenexporten brauche ich schon
gar nichts zu sagen.
Der Antrag ist zu umfassend, als dass ich in meinen
vier Minuten detailliert dazu Stellung nehmen könnte.
Ich beschränke mich deshalb auf ein Beispiel, wie eine
konkrete und verantwortliche Politik im angesprochenen
Kontext aussehen könnte, und zwar was die Schulden
Südafrikas, eines Hoffnungsträgers, gegenüber der
Bundesrepublik Deutschland anbetrifft.
Im letzten Jahr der Apartheid betrugen die Schulden Südafrikas gegenüber der deutschen Wirtschaft
7,4 Milliarden DM, Schulden, die von einem verabscheuungswürdigen Regime gemacht wurden und für
die man das heutige, das demokratische Südafrika nicht
in Haftung nehmen sollte.
({1})
Es ist geradezu paradox, dass die befreiten Menschen
nun auch noch die Schulden ihrer Unterdrücker, die
Kosten ihrer Unterdrückung zahlen sollen.
Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass
deutsche Unternehmen zwischen 1986 und 1993 aus direkten und indirekten Investitionen im Südafrika der
Apartheid Einnahmen in Höhe von 4,71 Milliarden DM
erzielt haben. Darüber hinaus fanden Nettokapitalexporte von Deutschland nach Südafrika in Höhe von
3,56 Milliarden DM allein in der Zeit von 1985 bis 1993
statt. Ich möchte nur daran erinnern, dass dies die Zeit
der internationalen Sanktionen gegen Südafrika war.
Wie legitim kann da der Anspruch auf Rückzahlung
sein, frage ich Sie.
Die eben bereits erwähnte Gesamtschuld gegenüber
der deutschen Wirtschaft von 7,4 Milliarden DM im Jahr
1993 machte jedenfalls 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors des Apartheidregimes
aus und machte die deutsche Wirtschaft damit zum international wichtigsten Direktfinanzier der Apartheid.
Diese Schulden umgehend zu erlassen wäre doch einmal
eine konkrete Forderung für Ihren Antrag gewesen.
Aber dazu gehört schlichtweg etwas mehr Mut, als Sie
offenbar aufzubringen bereit sind.
Was die Bundesregierung in dieser Frage unternehmen will, wird sich allerdings auch erst noch erweisen
müssen.
Vielen Dank.
({2})
Der nächste Redner
ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege
Karl-Heinz Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn
man sich mit Afrika beschäftigt, gerät man, vor allem
wenn man in einen solchen Kontinent verliebt ist - und
das sind hier manche -, leicht in die Gefahr, das Maß zu
verlieren. Ich glaube, dass der deutsche Bundeskanzler
Gerhard Schröder vielleicht doch Recht hat, wenn er in
seiner Grundsatzrede vor der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik, in der er den Fachleuten dieses Landes seine Außenpolitik, die Politik seiner Regierung und
die von ihm bestimmten Richtlinien seiner Politik erläuterte, in 17 Schreibmaschinenseiten Afrika nur am Rande erwähnt hat. Wir sollten uns gegenüber ehrlich genug
sein, als Realität zur Kenntnis zu nehmen, dass diese
Rede des Bundeskanzlers mit dem beiläufigen Erwähnen von Afrika - mit Afrika wolle man weitermachen
wie bisher, so war der Zusammenhang - der Wirklichkeit vielleicht näher kommt als manches, was wir erklären, wenn wir hier stehen und unser Herzblut vergießen.
Mir scheint es von daher wichtig zu sein, zu überlegen, was man denn tun kann, um unseren Regierungen da möchte ich Ihnen gerne helfen, liebe Frau Kollegin
Eid und liebe Frau Ministerin - klarer zu machen, dass
dieser Kontinent für uns vielleicht wichtiger ist, als
mancher, auch der heutige Kanzler, das wahrhaben will.
Ich will hinzufügen: Ich habe vor vielen Jahren einmal
einem Chef des Kanzleramtes, der meiner Partei angehörte, einen bitteren Brief geschrieben, in dem es kurz
gefasst hieß, dass mir bewusst geworden sei, dass für
das Kanzleramt südlich von Europa nur noch die Antarktis existiere. Ich will damit nur sagen: Das, was ich
hier kritisiere, war auch damals schon problematisch damit Sie mir nichts anderes unterstellen.
Herrn Kinkel will ich zum Großteil ausnehmen, weil
ich sein starkes Engagement in den vielfältigsten Funktionen kenne.
({0})
Ich kann Ihnen sogar die Schulen nennen, bei denen er
mir geholfen hat, dass sie nicht geschlossen werden, und
vieles andere mehr. Aber das will ich nicht vertiefen.
Die Frage ist für mich: Was können wir tun, um diesem Kontinent ein bisschen mehr den Platz zu geben,
der ihm zusteht, da die meisten von uns ja meinen, dass
er diesen Platz zurzeit nicht einnimmt? Ich glaube, es ist
ganz wichtig, dass wir uns verschärft die Frage vor Augen führen, wie man es jenseits aller Blut-und-TränenGeschichten, aller grausamen Geschichten und auch aller herzerwärmenden Geschichten, die man über die
Herzlichkeit und Freundschaft erzählen könnte, welche
einem begegnen, wenn man mit den Menschen dort zusammentrifft - jeder, der dort war, kann stundenlang erzählen, wie schön es da war -, schafft, unter den Kollegen, aber vor allen Dingen in unserem Land ein anderes
Bewusstsein zu erreichen.
({1})
Dabei scheint mir wichtig zu sein, herauszuarbeiten, um
welche Punkte es geht.
Erster Punkt: Auf dem Gipfel in Essen ist erstmalig in
einem EU-Papier in erheblichem Umfange auf die Bedeutung der Beziehung Europas zu Afrika eingegangen worden. Dies ist in der Folgezeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Daher möchte ich dringend daran erinnern, diesen Aspekt zu sehen und nicht wieder Portugal, Spanien, Frankreich und Italien, also die Südländer,
die Nachbarländer des Nordteils Afrikas, für die für Afrika zuständigen zu erklären. Auch aus anderen Gründen
ist es zutiefst unser Interesse, dass wir mit ihnen deren
Probleme diskutieren.
Wenn die Marokkaner ihre Probleme in Spanien haben, wenn sich in den Exklaven Spaniens in Nordafrika
die Lager mit Zehntausenden von Schwarzafrikanern
füllen, die zu uns in die EU wollen, dann dürfen wir dies
nicht aus unserer Distanz zu Südeuropa zu deren Problem erklären; denn es ist auch unser Problem. Warum?
Aus ganz egoistischen Gründen: Wenn wir ein wenig
nach Osten schauen, sehen wir, woher unsere Probleme
kommen, von denen Portugal und Frankreich weiter entfernt sind. Unser Interesse ist, dass sich die Südeuropäer
für unsere prioritären Probleme engagieren. Dies können
wir bei unseren Partnern in Europa aber nur erreichen,
wenn wir bereit sind, ihre Probleme so ernst wie unsere
eigenen zu nehmen. Anderenfalls klappt das Ganze
nicht.
({2})
Zweiter Punkt: Wir alle, die wir uns engagiert mit
Afrika beschäftigen - lieber Kollege Schuster, liebe
Kollegin Eid, liebe andere Freunde -, müssen unseren
Bürgern hier deutlicher als bisher die „good news“, die
guten Nachrichten überbringen. In Afrika haben sich
nicht nur Not, Elend und Aids ausgebreitet, sondern es
gibt auch Fortschritte, die von Bedeutung sind und die
wir nennen müssen. Die afrikanische Wirtschaft wächst
prozentual erstmals stärker als die Bevölkerung, auch
wenn dies hinterfragt werden muss. Die Zahl der demokratischen Länder steigt. Was sich in Simbabwe tut, ist
prima. Die politischen Eliten in Afrika wachsen, die es
als ihre Aufgabe ansehen, ihre Länder zu entwickeln,
anstatt das einheimische Kapital zu exportieren. Dies
sind wichtige neue Nachrichten.
Des Weiteren sollten wir unseren Mitbürgern aber
auch klarmachen: Afrika zu entwickeln bedeutet, dass
wir uns selbst helfen. Wir können nämlich - Herr
Schuster hat es angesprochen - nur dann mit Afrika
Geld verdienen - um es drastisch zu formulieren - wenn
die Afrikaner auch bezahlen können und wenn sie nicht
erst einen Kredit von uns bekommen müssen, damit sie
das bezahlen können, was wir ihnen verkaufen wollen.
Dies macht auf Dauer keinen Sinn. Wohlfahrt für Afrika
ist also in gleichem Maße Wohlfahrt für uns.
({3})
Diese Sätze sagen wir auch auf Russland und andere
Länder bezogen; wir sollten sie auch auf Afrika bezogen
publik machen.
Ein weiterer Punkt: Wir werden die Welt nicht
schnell verändern können und die Menschen in Afrika
sind diejenigen, die sich zunächst einmal selbst aus dem
Sumpf ziehen müssen, soweit sie in ihm stecken. Aber
in einigen Bereichen müssen wir helfen, so gut wir können. Eines der wichtigen Stichworte der Außenpolitik
heißt Krisenprävention. Ich erinnere mich daran, dass,
als wir zum ersten Mal mit Truppen nach Sarajevo
mussten, in Deutschland gesagt worden ist, wir sollten
um Gottes willen keine Soldaten nach Sarajevo schicken, sondern lieber Krisenprävention bei der UNO und
anderswo betreiben. Das Stichwort fällt uns meistens
ein, wenn die nächste Krise so spät definiert und entdeckt worden ist, dass sie mit Krisenprävention nicht
mehr zu lösen ist.
({4})
Deswegen müssen wir den Menschen bei uns klarmachen, dass uns in Deutschland die Splitter der Krisen je
weniger um die Ohren fliegen, desto mehr wir präventiv
helfen.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt komme
ich zur Bewertung dessen, was diese Regierung vor dem
Hintergrund unserer ureigensten Interessen, bezogen auf
Afrika - das kann man den Menschen bei uns klarmachen - macht. So Leid es mir tut, hier komme ich nicht
zu einer guten Bilanz. Ich hätte lieber eine bessere, weil
ich - das gebe ich ja zu - in diese Gegend auch ein bisschen verliebt bin. Krisenprävention verlangt, dass ich
weiß, wo die Krisen sind. Deshalb brauche ich Menschen, die mich darüber informieren. Angesichts dessen
Botschaften in Ländern zu schließen, deren Hauptstädte
Bujumbura, Freetown und Djamena heißen - diese drei
Länder stehen symbolhaft für dickste Krisen - und in
die, nebenbei bemerkt, unsere Minister und Staatssekretäre aus dem AA und BMZ - ich habe mir eine Liste ihrer Reisen geben lassen - nicht gereist sind, ist das Gegenteil von Krisenprävention und zutiefst bedauerlich,
zumal unsere Entwicklungshelfer auch noch ein Stück
weit schutzlos gelassen werden.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren aus der Koalition, ich weiß, Sie stimmen mir zu, auch wenn Sie das
nicht öffentlich kritisieren dürfen - das haben wir ja früher auch nicht getan -, weil Sie Ihre Regierung unterstützen müssen.
({7})
Die Förderung des Kulturaustausches zu Papier zu
bringen ist prima, Goethe-Institute zu schließen und die
Zahl der Austauschprogramme zu reduzieren dagegen
nicht. Sie wollten doch alles besser machen. Sie machen
weniger, und das noch nicht einmal, so fürchte ich, besser.
Am Schluss meiner Rede kann ich nur eines sagen:
Afrikaner aller Fraktionen vereinigt euch, um diese Regierung daran zu hindern, diese reduzierte Politik bezogen auf Afrika fortzusetzen!
Herzlichen Dank.
({8})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von allen Rednern und Rednerinnen
ist in dieser Diskussion mehrfach beklagt worden, dass
in der Öffentlichkeit bezogen auf Afrika häufig Desinteresse oder auch Pessimismus vorherrschen. Ich möchte
die Reihe derjenigen ergänzen, die gesagt haben: Man
muss diesen Kontinent sehr differenziert betrachten und
auch manche Zahl zur Kenntnis nehmen. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ hat
Zahlen vorgelegt: Im letzten Jahrzehnt ist in Afrika die
Zahl der autoritär regierten Staaten von 43 auf 21 gesunken. Es sind also deutliche Schritte in Richtung Demokratie erkennbar, wenn auch nicht so ausgeprägt, wie
wir sie uns in Westeuropa vorstellen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich diese Debatte. Wir lassen Afrika nicht
allein.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen - das wurde
immer wieder angesprochen -, dass die Höhe der Mittel
im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zwar
wichtig ist, aber längst nicht alles aussagt.
({0})
So waren wir zum Beispiel gezwungen, unsere Finanzielle Zusammenarbeit mit Äthiopien und Eritrea auszusetzen. Wir wollen doch nicht mit unseren Finanzmitteln
dazu beitragen, dass zwei Länder gegeneinander Krieg
führen; denn sie würden doch auch unsere Mittel dafür
einsetzen. Das muss in diesem Zusammenhang immer
gesagt werden.
({1})
Ich begrüße, dass sich der UN-Sicherheitsrat in einer
Diskussion im Januar dieses Jahres des Themas Afrika
stärker angenommen hat. Wir müssen aber dazu beitragen - das habe ich in vielen Gesprächen bei Besuchen in
afrikanischen Staaten immer wieder feststellen können -, dass die internationale Gemeinschaft bzw. der
UN-Sicherheitsrat bezüglich der UN-Friedensmissionen in Afrika konsequent ist. Ich plädiere engagiert
für eine UN-Friedensmission für die Konfliktregion der
Großen Seen, um die sich dort abzeichnenden Friedensmöglichkeiten international zu stützen.
({2})
Das wäre ein notwendiger Akt der Prävention. Ansonsten setzt sich der UN-Sicherheitsrat dem Vorwurf aus der in Afrika immer erhoben wird - dass die Regionen
mit zweierlei Maß gemessen werden.
Meine Damen und Herren, ich habe es eben schon
angesprochen: Obwohl viele Regierungen in Afrika
nachweislich Reformanstrengungen unternehmen, leben
dort noch immer Millionen von Menschen in unerträglicher Not. Die Weltbank hat es in einem ihrer letzten
Texte so ausgedrückt: „Afrika geht es besser, den Afrikanern aber nicht“. Bezogen auf das, was Werner
Schuster vorhin zu den Afrikanerinnen gesagt hat,
möchte ich hinzufügen: den Afrikanerinnen schon gar
nicht.
Entsprechend konzentrieren wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Armutsbekämpfung.
Rund 40 Prozent der afrikanischen Bevölkerung leben in
absoluter Armut. Wir nutzen all unsere Möglichkeiten,
um hier zu helfen.
Ich spreche alle Kollegen an, die sich zu diesem
Thema geäußert haben: Wir können doch nicht von
Globalisierung reden, aber dann, wenn es an die Betrachtung geht, immer nur Ausschnitte, einzelne Elemente der Titel auf bilateraler Ebene heranziehen. Unser
Schwerpunkt ist, dazu beizutragen, die regionalen Stabilitätsinseln in Afrika zu stützen. Mit unserem Haushalt wir haben die Mittel dafür auf 28,5 Millionen DM aufgestockt - unterstützen wir die afrikanischen Regionalorganisationen: die südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft und die Wirtschaftsgemeinschaft, die den Sudan,
Somalia und Dschibuti umfasst. Wir wissen doch aus
Europa: Diejenigen, die regional wirtschaftlich verflochten sind, die kooperieren, die schießen nicht aufeinander. Deswegen sind die Mittel, die in diesem Bereich
eingesetzt werden, so wichtig.
({3})
Herr Kollege Hornhues, Sie haben die Frage der Krisenprävention angemahnt. Ich nenne hier noch andere
Elemente, die der Bundesregierung und in diesem Fall
vor allem meinem Ministerium besonders wichtig sind.
Erstens. Wir haben während unserer Ratspräsidentschaft
eine Initiative zur Bekämpfung der Verbreitung von
Kleinwaffen in Gang gesetzt. Das ist die wichtigste
Voraussetzung, damit Kinder nicht zu Soldaten gemacht
und missbraucht werden. Die Vereinten Nationen wollen
durch eine Initiative, die auch in diese Richtung geht,
entsprechende Beschlüsse zur Unterstützung der europäischen Initiative fassen. Das ist ein wichtiges Instrument
zur Krisenprävention.
({4})
Ein zweiter Punkt betrifft den zivilen Friedensdienst. In Afrika wird es drei Einsatzorte geben: Uganda, Simbabwe und Sudan. Der zivile Friedensdienst arbeitet mit Nichtregierungsorganisationen und mit der
Bundesregierung zusammen.
Drittens, - auch das zum Stichwort Krisenprävention -: Wir stärken die Zivilgesellschaft und demokratische Strukturen, indem wir - ich nehme als Beispiel Mali - die Dezentralisierung in Ländern fördern, unterstützen und finanzieren. So kann sich bei den Regional- und
Kommunalwahlen die Bevölkerung beteiligen. Damit
wird Demokratisierung gefördert. Das ist ein echter Akt
der Prävention, den wir durch unsere Entwicklungszusammenarbeit schwerpunktmäßig fördern.
Viertens. Wir richten unsere gesamte Entwicklungszusammenarbeit auf Krisenprävention aus! Das heißt,
bei jedem Projekt, bei jedem Konzept, das wir in den
Entwicklungsländern in Afrika verwirklichen, haben wir
Krisenindikatoren, die die Konflikte frühzeitig aufdecken. Das setzt natürlich voraus, dass das Melden und
das Erkennen dieser Konflikte - ich nenne nur das Beispiel Ruanda - zu konkretem politischen Handeln der
internationalen Gemeinschaft führt.
Im Folgenden möchte ich eine Reihe von Punkten
nennen, die widerlegen, dass wir die Länder in Afrika
finanziell nicht ausreichend unterstützen würden; wer
das behauptet, der hat keinen genügenden Einblick in
die Situation. Wir haben eine Entschuldungsinitiative
gestartet. Das bedeutet, dass Unterstützung in einer Gesamthöhe von 70 Milliarden US-Dollar auf den Weg gebracht worden ist. 36 Entwicklungsländer können davon
profitieren; 30 davon sind afrikanische Staaten. Der
größte Teil dieser Mittel wird also den afrikanischen
Staaten zugute kommen. Dieser Teil wird für Gesundheit und Bildung eingesetzt. Das ist ein sehr großer Fortschritt, den es bisher nicht gegeben hat.
({5})
Dabei wird jedes Land verpflichtet, dazu beizutragen,
dass über Armutsbekämpfung - das ist wichtig, denn
auch in afrikanischen Ländern gibt es Arme und Reiche - mit der eigenen Bevölkerung diskutiert und diese
zum Schwerpunkt gemacht wird. Da kann man sehr unterschiedliche Gewichtungen feststellen. Auch in diesem
Bereich wird deutlich, dass wir unsere Verantwortung
wahrnehmen.
Zum Punkt Europäische Union und afrikanischkaribisch-pazifische Länder. Es ist uns gelungen - unser
Ministerium ist bei den Verhandlungen in diesem Bereich federführend gewesen -, im Februar ein Nachfolgeabkommen abzuschließen. Es umfasst in der Phase bis
2004 ein Finanzvolumen von 12,5 Milliarden Euro. Unter den 71 AKP-Staaten sind 47 afrikanische Länder,
die von dieser Finanzierung profitieren. Es sage also bitte niemand, wir würden diese nicht ausreichend einbeziehen.
Im Mittelpunkt all unserer Bemühungen - das habe
ich deutlich gemacht - stehen die Menschen in Afrika.
Frau Kollegin Eid hat vorhin schon deutlich gemacht:
was die bilaterale Zusammenarbeit angeht, so ist im
Vergleich zu 1997 der Anteil der Zusagen am Gesamtvolumen von damals unter 25 Prozent auf fast 29 Prozent im Jahr 1999 gestiegen und wird in der Rahmenplanung 2000 bei rund 30 Prozent liegen,
({6})
sodass nicht mehr Asien die Region in der Welt ist, die
den Vorrang bei unserer Entwicklungszusammenarbeit
hat, sondern Afrika.
Ich bitte die Kollegen der Opposition, das zur Kenntnis
zu nehmen.
({7})
Ich schlage vor - unabhängig von all diesen Initiativen, die zeigen, dass wir das ernst nehmen und dass uns
die Situation der Menschen am Herzen liegt -, innerhalb
der Weltbank einen Afrikafonds aufzulegen, an dessen
Finanzierung sich die Staaten, die Zivilgesellschaft, aber
vor allen Dingen auch Wirtschaftsunternehmen beteiligen können, um damit die Regierungen zu unterstützen,
die auf verantwortliche Regierungsführung, auf Rechtsstaatlichkeit und auf transparente Haushalte orientiert
sind. Das hat einen ganz praktischen Hintergrund: Nur 3
von 95 Milliarden Dollar, das heißt, etwa 3 Prozent der
ausländischen Direktinvestitionen gehen in die Entwicklungsländer südlich der Sahara. Das ist völlig unzureichend angesichts der großen Zahl von Direktinvestitionen in diesen Entwicklungsländern. Wir sollten also
auch im Interesse dieses Aspektes dazu beitragen, alle
Regierungen zu unterstützen, die eine verantwortliche
Regierungsführung in Afrika praktizieren. Eine solche
Entwicklung ist auch für ausländische Investoren eine
wichtige Voraussetzung. Wir sollten und müssen dazu
beitragen.
({8})
Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zum
Schluss machen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Vorschlag, den ich eben gemacht habe, in
internationalen Organisationen aufgreifen wird. Wer
auch immer das Engagement des Bundeskanzlers in
diesem Bereich angemahnt hat, wird sich noch
außerordentlich wundern, dass die Vorschläge der Bundesregierung Gehör finden werden. Insbesondere bei der
Millenniumsversammlung der UN im September dieses
Jahres in New York werden sie deutlich werden.
Das Problem Aids ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Deshalb muss ein Fonds - wie ich das
eben angesprochen habe - aufgelegt werden, der über
das Vorhandene hinausgeht. Aids hat in manchen Entwicklungsländern bereits jetzt die Entwicklungsfortschritte der letzten 30 Jahre vernichtet. Allein in den
letzten 15 Jahren sind an dieser Seuche 11 Millionen
Menschen in Afrika gestorben. Es bleiben die Kinder
und die Älteren. Die Menschen, die ein Land voranbringen können - die Generation der Erwerbstätigen -, sterben. Die Staaten Afrikas selbst haben diese Bedrohung
bisher häufig tabuisiert. Aber dort, wo nach einer langen
Phase der Verdrängung das Thema offen angesprochen
wird, zeigen sich entsprechende Fortschritte. Wir sollten
alles dazu tun, dass dieses Thema in allen internationalen Organisationen zu einem gemeinsamen Engagement
gegenüber Afrika führt. Das gilt für die G-7-Gipfel, das
gilt auch für die Aktionen der UN. Deshalb ist es gut,
dass Aids eines der wichtigsten Themen auf der Tagung
des Development Committee der Weltbank im April
sein wird.
Sie sehen: Die internationale Gemeinschaft nimmt ihre Verantwortung durch wachsendes Engagement wahr,
auch bezogen auf dieses Problem. Dies aber macht den
gemeinsamen Einsatz finanzieller und politischer Mittel
notwendig.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({9})
Ich schließe die Aussprache. - Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2571 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 10 auf:
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Max Stadler, Hildebrecht Braun ({0}),
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Erweiterung des Untersuchungsauftrages
des 1. Untersuchungsausschusses der 14.
Wahlperiode.
- Drucksache 14/2527 ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ergänzung des Untersuchungsauftrages
des 1. Untersuchungsausschusses
- Drucksache 14/2686 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
Fraktion der SPD die Kollegin Christine Lambrecht.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
hier am 2. Dezember 1999 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Spendenskandals der CDU beschlossen. Damals wusste die Öffentlichkeit lediglich von dubiosen Bargeldkoffern, einem
möglichen Zusammenhang mit Panzergeschäften in
Saudi-Arabien und von schwarzen Konten, über die
Helmut Kohl nach Belieben verfügte. Allein die Tatsache, dass ein ehemaliger Kanzler gegen Recht, Verfassung und Amtseid verstoßen hat, hat schon gereicht, um
die Republik zu erschüttern.
Seitdem ist viel passiert. Als wir den Untersuchungsauftrag formulierten, wussten zumindest die meisten von
uns noch nichts von Bargeldübergaben an Herrn
Schäuble oder Frau Baumeister - wie auch immer. Wir
wussten noch nichts über illegale Konten der hessischen
CDU in der Schweiz und in Liechtenstein. Wir wussten
noch nichts über die Stiftung „Zaunkönig“, mit der das
Geld der hessischen CDU gewaschen wurde und noch
nichts über die Stiftung „Norfolk“, die das gleiche
Prinzip mit ebenfalls illegalen Konten für die BundesCDU verfolgt hat. Wir wussten auch noch nichts über
die Unwahrheiten des hessischen Noch-Ministerpräsidenten Roland Koch - ist er es noch? Ich habe seit
circa einer Stunde keine Nachrichten mehr gehört -
({0})
und noch nichts über viele andere Ungereimtheiten, deren Aufzählung zu lange dauern würde. All das erinnert
an etwas, das die CDU angeblich immer erbittert bekämpfen wollte, nämlich an organisierte Kriminalität.
Ob die Vorwürfe wirklich zutreffen, muss von der
Staatsanwaltschaft und vom Untersuchungsausschuss
ermittelt werden.
Zumindest verbal eint uns derzeit alle ein Ziel: eine
rückhaltlose Aufklärung. Um diese zu ermöglichen,
muss angesichts der Fülle neuer Fakten, die täglich, ja
fast stündlich zutage treten, der Untersuchungsauftrag
erweitert werden.
({1})
Wenn es Ihnen von der CDU/CSU um wirkliche Aufklärung geht, wären Sie gut beraten, dem hier auch
zuzustimmen.
({2})
Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, Sie versuchten die Aufklärung durch Taschenspielertricks zu behindern, wo Sie es nur können.
({3})
Das zeigt, dass Sie immer noch nicht begriffen haben,
worum es eigentlich geht. Es läuft hier keine Kampagne
der Sozialdemokratie gegen die arme, unschuldige
CDU. Sie haben den größten und schwerwiegendsten
Skandal in der Bundesrepublik zu verantworten.
({4})
In Ihren Reihen sitzen nicht unschuldige Opfer, sondern
die Täter dieses Skandals.
({5})
Statt Konsequenzen zu ziehen, kommen Sie mit juristischen Spitzfindigkeiten.
Unser Antrag folgt dem juristischen Bestimmtheitsgebot, das besagt, dass konkrete und tatsächliche
Anhaltspunkte für Rechtsverstöße zur Durchführung einer Untersuchung erforderlich sind. Die hierzu gehörten
Sachverständigen - auch der von der CDU/CSU benannte - sehen das ebenso. Es ist selten genug, wenn zwei
Rechtsprofessoren eine übereinstimmende Meinung vertreten. Ich glaube, die ungeheuerlichen Vorgänge um
das Verschieben von Geld ins Ausland, das Nichtangeben von Vermögen in Rechenschaftsberichten, die
wahrheitswidrige Angabe von angeblichen Vermächtnissen sind wohl für jeden offensichtliche und konkrete
Anhaltspunkte für Rechtsverstöße.
({6})
Was muss noch alles passieren, damit Sie mit einer
Untersuchung einverstanden sind? Es kann keine Rede
davon sein, dass durch die Erweiterung des Untersuchungsauftrags Parteien ausgeforscht werden sollen. Es
geht darum, Rechtsverstöße aufzuklären.
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch,
dass solche skandalösen Vorgänge aufgeklärt werden,
nicht nur wegen des Transparenzgebotes, das den Bürgern die Offenlegung der Finanzierung garantiert, sondern auch, weil die Vorlage von falschen Rechenschaftsberichten dazu geführt hat, dass staatliche Zuwendungen ohne Rechtsanspruch ausgezahlt wurden.
Es kann wirklich niemand mehr verstehen, wenn
Sie - um sich den Konsequenzen zu entziehen - jetzt
behaupten, Ihr Rechenschaftsbericht sei im Sinne des
Parteiengesetzes aufgestellt und die vom Bundestagspräsidenten Thierse geforderte Rückzahlung daher nicht
rechtmäßig.
({7})
Meine Damen und Herren von der CDU, wem wollen
Sie denn weissmachen, dass ein Rechenschaftsbericht,
der einen Vermögensbestand der hessischen CDU in
Höhe von 18 Millionen DM nicht enthält, ein Rechenschaftsbericht im Sinne des Parteiengesetzes sein soll?
Man hört abstruse Einlassungen, es reiche aus, wenn
überhaupt ein Rechenschaftsbericht vorgelegt sei, egal,
was dieser beinhalte. Ich war selbst von meinen Studenten im ersten Semester bessere Stellungnahmen gewöhnt. Ich glaube, Sie brauchen eine juristische Nachhilfestunde.
({8})
Das Parteiengesetz fordert, dass ein Rechenschaftsbericht nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung erstellt werden muss. Die Grundsätze dafür
finden Sie, falls Sie es nicht wissen, im Handelsgesetzbuch. Danach ist ein solcher Bericht vollständig zu
erstellen. Es ist keine Rede davon, dass es ausreicht, irgendeinen Bericht vorzulegen, wenn er auch noch so
falsch ist.
Was bei der Vorlage von Berichten für Kaufleute gilt,
das muss wohl auch für politische Parteien gelten. Sie
sollten es sich gut überlegen, bevor Sie dagegen etwas
unternehmen wollen.
Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um die
Rückforderung von Geld, das aus der Tasche des
Bundestagspräsidenten gezahlt wurde, sondern es geht
um Steuergelder. Diejenigen, die Steuern bezahlen,
haben auch ein Recht darauf, dass solche Vorgänge dann
aufgeklärt werden. Ich freue mich, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P. dies nunmehr genauso sehen,
({9})
wahrscheinlich auch, um ihr etwas angekratztes Image
in der Öffentlichkeit aufzupäppeln, was ja durch das
Verhalten ihrer Kollegen im Hessischen Landtag,
({10})
insbesondere durch Frau Wagner, ziemlich angeschlagen ist.
Gestern hat sie übrigens zumindest einen zutreffenden Halbsatz erwähnt. Sie hat nämlich gesagt, dass wir
in einer Zeit des Verlustes der politischen Kultur leben.
Schade, dass sie solche Sätze nur sagt und nicht danach
lebt und an ihrem Kumpanen,
({11})
dem Noch-Ministerpräsidenten Herrn Koch, ohne Wenn
und Aber festhält. Ich würde mir wünschen, dass sie im
Sinne der Demokratie ihren Ministerposten frei machen
und im Interesse der Demokratie an dieser Koalition
nicht länger festhalten würde.
({12})
Ich bin aber auch froh, dass wir hier im Bundestag
die Mehrheiten haben, eine sinnvolle Erweiterung des
Untersuchungsauftrages zu beschließen. Den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land muss deutlich gezeigt
werden: In einer Demokratie gibt es Politiker, die Gesetze brechen, aber nur in einer Demokratie ist es möglich,
dieses auch öffentlich aufzuklären. Dies ist die VerChristine Lambrecht
antwortung des Parlaments und dieser Verantwortung
stellen wir uns.
Vielen Dank.
({13})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Andreas Schmidt.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die CDU
massive Verstöße gegen das Parteiengesetz zu verantworten hat, dass Vertrauen verloren gegangen ist und
dass wir nur eine Chance haben, dieses Vertrauen zurückzugewinnen - wenn wir wirklich alles tun, um aufzuklären, dass wir die Fehler eingestehen und auch
bereit sind, die Konsequenzen zu tragen. Daran kann
überhaupt kein Zweifel bestehen. Dies will ich gern am
Anfang sagen.
({0})
Meine Damen und Herren, für uns besteht auf den
ersten Blick in dem Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages ein verlockendes Angebot.
({1})
ich finde - das wird von Tag zu Tag deutlicher -, es gibt
gute Gründe für die SPD und auch für die Grünen, jetzt
mit ihrer Häme, ihrem Hochmut und mit dem moralischen Zeigefinger in Richtung Union Schluss zu machen.
({2})
Es wird Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
anderen Fraktionen, dass Sie auch beginnen, vor Ihrer
eigenen Haustür zu kehren.
Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es! -
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da kann
man nur den Kopf schütteln!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns, auch wenn Sie es nicht gerne hören, heute darüber
sprechen. Ich würde gerne wissen, was Sie zu einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ vom 17. Februar sagen,
wo etwas über Ihren Fraktionsvorsitzenden steht.
({3})
- Dann erklären Sie das. - Ich sage Ihnen, was hier drin
steht. Hier steht, dass es eine allgemeine Hospitalgesellschaft gibt, die sich mit Suchtkliniken befasst. Vorstandsvorsitzender ist Herr Weber, ein früherer Sozialdemokrat, Bevollmächtigter des Saarlandes. Aufsichtsratsmitglied ist Herr Struck.
({4})
- Ja, hören Sie doch mal zu. Es tut weh, aber hören Sie
doch zu.
Diese Gesellschaft soll am 18. August 1998 den Sozialdemokraten eine Spende von 25 000 DM angewiesen haben. Dann soll auf Veranlassung der Schatzmeisterei der SPD diese Spende gestückelt worden sein, sodass 19 900 DM an einen SPD-Verein und 5 100 DM direkt an den Vorstand der SPD gegangen sind. Sie sollten
das aufklären, denn wenn das so ist, dann ist das eine
Umgehung des Gesetzes, und wir sollten das aufklären.
({5})
Nach dem Bericht soll es weiterhin eine Spende an
die SPD-Fraktion gegeben haben, mit der eine Zeitung
der SPD-Fraktion kurz vor der Wahl 1998 finanziert
worden ist.
({6})
Meine Damen und Herren, wir wollen Aufklärung
auch über diesen Bereich.
({7})
Uns interessiert auch die Frage: Was ist eigentlich mit
den Flügen, die die WestLB für Sozialdemokraten bezahlt hat, die zu Wahlkampfveranstaltungen geflogen
sind?
({8})
Wir haben in der gestrigen Anhörung den Sachverständigen, Herrn Morlok, der von der SPD benannt worden
ist, gefragt, ob dies eine Spende wäre. Er hat, von den
Sozialdemokraten benannt, geantwortet, dies sei nach
seiner Rechtsauffassung eine Spende, die im Rechenschaftsbericht aufgeführt werden müsste. Nach meiner
Kenntnis sind solche Spenden von Ihnen nicht im Rechenschaftsbericht aufgeführt worden. Darüber müssen
wir reden. Ich erwarte, dass der Bundestagspräsident
dies genauso aufklärt und dann genau die gleichen Konsequenzen wie bei der Union zieht.
({9})
Wir erwarten auch, dass Sie Auskunft geben, ob es
richtig ist, dass mit Mitteln der WestLB und des Landes
Nordrhein-Westfalen der Wahlkampf von Herrn Stolpe
unterstützt worden ist. Ich habe den Eindruck: In Nordrhein-Westfalen mauern Sie hinsichtlich der Aufklärung.
Hier heben Sie den Zeigefinger gegen die Union; dort
verhindern Sie die Aufklärung, weil es um Ihre eigenen
Verfehlungen geht.
({10})
Ich möchte auch gerne wissen, ob das, was in der
heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ steht, zutreffend ist, nämlich dass es einen Vermerk der SPD-Schatzmeisterin gibt, wonach die SPD
bis in die 80erJahre hinein anonyme Spenden verbucht
hat.
({11})
Sie sollten klären, ob dieser Bericht zutreffend ist.
Uns interessiert übrigens auch, ob es zutreffend ist,
dass der DGB den letzten Bundestagswahlkampf der
SPD massiv mit Geldern unterstützt hat.
({12})
Herr Ströbele, auch Ihnen möchte ich ein Wort mit
auf den Weg geben: Sie sollten aufhören, mit dem Finger auf die CDU zu zeigen, solange Sie mit dem auf einem Bundesparteitag der Grünen verabschiedeten Beschluss, der Ihre Fraktionsmitglieder zwingt, aus der
unversteuerten Kostenpauschale eine Spende an die
Partei abzuführen, massiv gegen die gesetzlichen Vorschriften verstoßen. Auch dies sollten Sie hier bitte zustimmend zur Kenntnis nehmen.
({13})
Nach meiner Aufzählung wird deutlich, dass es für
uns verlockend wäre, den Untersuchungsauftrag auf den
von mir beschriebenen Bereich auszudehnen.
({14})
Aber ich weiß natürlich genau: Sie werden mit Ihrer
Ausschussmehrheit alles verhindern, was die Aufklärung Ihrer Verfehlungen betrifft. Diese Erfahrung haben
wir machen müssen.
({15})
Ihr Ziel, den Untersuchungsauftrag zu erweitern, ist das
Gegenteil von Aufklärung.
({16})
- Nein, Ihr Erweiterungsantrag ist das Gegenteil von
Aufklärung.
({17})
Das zeigt auch die Vergangenheit im Untersuchungsausschuss. Der Untersuchungsauftrag, den wir im Bundestag einstimmig beschlossen haben, ist völlig eindeutig.
Er besagt: Wir sollen aufklären, ob Entscheidungen der
Regierung Helmut Kohl durch Geldzahlungen beeinflusst worden sind. Wenn man dies ernst nimmt - wir
müssen diesen Auftrag ernst nehmen -, dann liegt es auf
der Hand, dass wir zunächst die Leute als Zeugen befragen, die in der damaligen Regierung die Verantwortung
getragen haben.
({18})
- Herr Ströbele, hören Sie mir gut zu! - Wir haben Helmut Kohl, Herrn Genscher, Herrn Waigel und Herrn
Bohl als Zeugen vorgeschlagen. Sie haben mit Ihrer
Mehrheit verhindert, dass diese Personen als Zeugen zu
den Vorwürfen gehört werden können.
({19})
Damit beweisen Sie, dass es Ihnen um Parteipolitik geht,
aber nicht um Aufklärung des Gegenstandes des Untersuchungsauftrags.
({20})
Ich möchte Ihnen jetzt erklären, warum wir davon
überzeugt sind, dass Sie den eigentlichen Gegenstand
des Untersuchungsauftrags nicht aufklären wollen. Sie
glauben heute nämlich selbst nicht mehr daran, dass die
Entscheidungen der Regierung Helmut Kohl käuflich
gewesen sein sollen. Deswegen wollen. Sie von dem eigentlichen Untersuchungsauftrag abrücken und sich einem anderen Thema zuwenden.
Je länger Sie die Aufklärung des eigentlichen Gegenstandes des Untersuchungsauftrages verhindern und
hinauszögern, desto länger haben Sie die Chance, das
Thema auf der Ebene der Gerüchteküche und der Unterstellungen weiterhin gegen die CDU zu instrumentalisieren.
({21})
Ein Beispiel für Ihre Strategie haben wir gestern im
Untersuchungsausschuss erlebt. Es wurde ohne Kenntnis
der Fakten behauptet, dass Akten verschwunden seien.
({22})
Wir können davon ausgehen - darauf haben wir Sie gestern hingewiesen -, dass sämtliche Akten aus dem Kanzleramt bereits zwei Untersuchungsausschüssen vorgelegen haben.
({23})
Ich bin relativ sicher, dass sich die Aktenbestände, die
angeblich verschwunden sind, noch heute in der GeAndreas Schmidt ({24})
meinschutzstelle des Deutschen Bundestages befinden.
Ich fordere Sie auf: Bevor Sie mit weiteren Unterstellungen arbeiten, sollten Sie mit uns gemeinsam ganz
schnell nachschauen, ob sich die Akten dort befinden.
Hören Sie so lange auf, mit Unterstellungen gegen die
alte Bundesregierung und gegen die Union zu arbeiten!
({25})
Herr Kollege
Schmidt, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Nein,
ich will jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Herr Hacker.
({0})
Sie müssen sich daran gewöhnen, dass wir zur politischen Auseinandersetzung zurückfinden. Das mag für
Sie hart sein; aber Sie müssen sich auch diese Themen
heute gefallen lassen.
Ich glaube, dass der Erweiterungsantrag, den Sie vorgelegt haben, ein durchschaubarer Trick ist, um von dem
eigentlichen Untersuchungsauftrag, den wir im Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen haben, abzulenken, um ihn nach hinten zu schieben und um weiter
auf der Ebene der Gerüchteküche arbeiten zu können.
Sie wollen mit der Erweiterung die Union ins Visier
nehmen, um zu versuchen, die politische Auseinandersetzung mit Ihrer schwachen und schlechten Politik in
Deutschland zu verhindern.
({1})
Dies werden wir nicht mitmachen.
Ich sage noch einmal: Wir sind für Aufklärung. Wir
sind auch dafür, dass wir die Konsequenzen für die Vorgänge, für die wir verantwortlich sind, tragen. Daran
kann kein Zweifel bestehen. Wir wollen aber auch, dass
Sie mit dem Zeigefinger nicht nur auf uns zeigen; vielmehr wollen wir, dass auch Sie endlich bereit sind, vor
Ihrer eigenen Haustür zu kehren. Sie sollten Ihre eigenen
Verfehlungen hier eingestehen. Sie sollten hier zur Aufklärung beitragen und die Aufklärung in Düsseldorf
nicht behindern. Wenn das geschieht, sollten wir gemeinsam zum eigentlichen Untersuchungsauftrag zurückkehren, um die von Ihnen gegen die alte Bundesregierung erhobenen Vorwürfe schnell zu untersuchen,
damit sie vom Tisch kommen.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege
Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Schmidt, was sollen wir denn machen,
wenn wir vor den Vertretern einer Fraktion und einer
Partei sitzen, die selber sagen: Wir können nicht mehr
aufklären; das ist jetzt Sache des Staatsanwaltes? Ihr
Fraktionsvorsitzender - ich glaube, er ist es noch immer - ist mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit gegangen und hat damit die Waffen Ihrer eigenen Aufklärung gestreckt. Was sollen wir denn machen, wenn sich
die Mitglieder Ihres eigenen Fraktionsvorstands in der
Öffentlichkeit mit eidesstattlichen Versicherungen beharken, zu denen der Jurist sagt: Ist das nicht Theater
nach außen? Haben die eigentlich einen juristischen
Wert, wenn die Vorstandsmitglieder nun in der Partei
eidesstattliche Versicherungen austauschen?
Was sollen wir denn anderes machen, als zu sagen:
Herr Schmidt, das gehört in den zuständigen Untersuchungsausschuss dieses Deutschen Bundestages, weil
Ihre Mittel, die Angelegenheit aufzuklären, offenbar
nicht mehr ausreichen? Sie haben auf der ganzen Linie
versagt. Sie haben das in der Öffentlichkeit eingestanden. Daher muss diese Aufgabe leider der Untersuchungsausschuss erledigen.
({0})
Wir brauchen die Erweiterung des Untersuchungsauftrages. Es geht nicht darum, das festzustellen, was wir
gestern Nachmittag diskutiert haben. Es ging um das
Parteiengesetz, das Sie gemacht haben. Von diesem
Parteiengesetz sagen Sie jetzt, es sei verfassungswidrig - nur weil Sie dagegen verstoßen haben -, das habe
ich von Ihren Juristen gehört. Deshalb müsse man sich
danach nicht richten. Dieses Gesetz sei verfassungswidrig und deshalb seien den Konsequenzen, die Herr
Thierse aus der Tatsache gezogen habe, dass Sie gegen
das Gesetz verstoßen hätten, nicht Folge zu leisten;
vielmehr müsse man dagegen gerichtlich angehen.
Herr Schmidt, so geht es doch nicht. Sie können doch
nicht verlangen, dass wir den ehemaligen Herrn Bundeskanzler, der sicherlich der zentrale Zeuge in dieser
Sache ist, als Ersten hören, wenn er sich überall in den
Medien hinstellt und sagt: Die entscheidende Frage, von
wem ich das Geld bekommen habe, werde ich auch im
Ausschuss nicht beantworten. - Somit fehlt dem Ausschuss die Möglichkeit, festzustellen, ob eine politische
Beeinflussung vorhanden war, ob Herr Kirch, Siemens,
Springer oder wer auch immer ihm das Geld gegeben
haben und ob damit politische Entscheidungen gekauft
werden sollten. Sollen wir diesen Herrn laden, wenn er
uns von vornherein sagt, er werde zu diesen entscheidenden Fragen nichts sagen? Sollen wir uns drei oder
vier Stunden lang seine Verdienste um die Weltgeschichte anhören? Die haben wir schon häufiger im
Fernsehen genossen.
Andreas Schmidt ({1})
({2})
- Herr Schmidt, wir werden zuerst - das ist sachgerechte
Aufklärung - diejenigen hören, die unsere Fragen beantworten müssen.
({3})
Wir werden die Leute hören, die kein Auskunftsverweigerungsrecht haben und die dabei waren, als der ehemalige Bundeskanzler - freilich nicht als Bundeskanzler,
sondern als Parteivorsitzender - die Hand ausgestreckt
und die großen Kuverts mit dem gebündelten Baren bekommen hat. Diejenigen hätten wir gerne zuerst gehört,
die uns darüber Auskunft geben können, wer die großen
Unbekannten waren, was sie gebracht haben und was
dort besprochen wurde. Dann werden wir - Sie können
beruhigt sein, ich denke, das wird vor der Sommerpause
sein - dem ehemaligen Bundeskanzler Gelegenheit geben, dazu Auskunft zu geben.
Wir bitten ihn dann auch Auskunft zu geben, was eigentlich davon zu halten ist, dass er und Sie von seiner
Fraktion hier ein Gesetz machten, an das sich der ehemalige Kanzler, wie er im Fernsehen verkündete, nicht
nur über viele Jahre, von 1993 bis 1998, nicht gehalten
hat, sondern an das er sich auch heute und sonst jeden
Tag weiterhin nicht halten will. Zur Offenlegungspflicht im Gesetz, die von Herrn Kohl und wahrscheinlich auch von Ihnen beschlossen wurde, sagt er: Die ist
mir egal, es kann da im Gesetz stehen, was da will, ich
halte mich nicht daran.
Da stellt sich doch für mich als Linker die Frage,
Herr Schmidt,
({4})
ob nicht etwas richtig ist an dem Satz, mit dem wir früher immer das Verhalten der Herrschenden beschrieben
haben: Die Gesetze sind für das gemeine Volk, das hat
sich daran zu halten, wenn es sich nicht daran hält, gibt
es drakonische Strafen;
({5})
aber wir, das Establishment, die Herrschenden, brauchen
uns doch nicht an das Gesetz halten. Das ist die Grundhaltung, die Helmut Kohl jeden Tag der Bevölkerung in
diesem Lande vermittelt. Das ist das Schlimme.
({6})
Das ist wirklich moralischer Verfall; Herr Kanther beklagte ihn ja immer dann, wenn von Sprayern die Rede
war. Das ist der Verfall der Moral, die Sie immer versucht haben hoch zu halten.
({7})
Um das aufzuklären - das ist das Interesse dieser
Demokratie und dieses Bundestages und sollte auch Ihr
Interesse sein -, brauchen wir die Erweiterung des Auftrages des Untersuchungsausschusses. Wir brauchen
nicht eine Erweiterung in der Form, wie sie die F.D.P.
ursprünglich einmal beantragt hat, nun bei den Grünen
nachzuprüfen, inwieweit durch Spenden das Regierungshandeln von 1993 bis 1998 beeinflusst worden ist.
Ich denke nämlich, dass wir da völlig unverdächtig sind,
weil Sie damals ja nicht auf uns gehört haben, sodass
wir das Regierungshandeln leider nicht beeinflussen
konnten. Wir hätten es - mit oder ohne Spenden - gerne
gemacht, konnten es aber einfach nicht. Deshalb war
dieser Antrag damals einfach Unsinn.
Jetzt haben wir einen vernünftigen Antrag vorgelegt.
In ihm steht nicht mehr, dass nur CDU/CSU und F.D.P.
überprüft werden sollen, sondern wir wollen gegen alle
ermitteln, bei denen konkrete und tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie bewusst gegen die Offenlegungspflicht des Grundgesetzes und des Parteiengesetzes, die mit gutem Grund dort aufgenommen wurde,
verstoßen haben. Wir wollen die dafür politische Verantwortlichen feststellen, stellen und Konsequenzen anmahnen.
({8})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion
befürwortet nachdrücklich die Erweiterung des Untersuchungsauftrages des so genannten ParteispendenUntersuchungsausschusses.
({0})
Die Aufklärung der unfassbaren Vorgänge der letzten
Wochen darf doch nicht länger nur den Pressekonferenzen und den Talkshows überlassen bleiben.
({1})
Das Parlament ist der Ort, wo überprüft werden muss,
wie von Politikern gegen die von eben diesem Parlament
gesetzten Regeln über die Parteienfinanzierung verstoßen worden ist. Deshalb geht es bei dem heutigen
Beschluss auch um das Selbstverständnis des Parlaments.
Wenn der Untersuchungsausschuss seinen Auftrag erfüllen soll, durch Aufklärung wenigstens einen kleinen
Beitrag dazu zu leisten, dass verlorenes Vertrauen wiedergewonnen wird, dann darf dieser Ausschuss doch
nicht durch einen zu eng gefassten Untersuchungsauftrag an seiner Aufgabe gehindert werden. Genau diese
Situation besteht aber zurzeit.
Der im Dezember beschlossene Auftrag betrifft, kurz
gesagt, den Verdacht der politischen Korrumpierung.
Niemand könnte es doch verstehen, wenn sich dieser
Untersuchungsausschuss ausgerechnet mit dem Thema,
das seit Wochen die Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland bewegt, nicht befassen dürfte, weil es sich
„nur“ um Verstöße gegen das Parteiengesetz handelt,
die nicht den Verdacht zulassen, dass damit Korruption
verbunden wäre.
({2})
Daher hat die F.D.P. als erste Fraktion am 19. Januar
2000 einen entsprechenden Antrag auf Erweiterung des
Untersuchungsauftrages eingebracht.
({3})
- Herr Ströbele, Sie haben sich offenbar nicht die Mühe
gemacht, die in diesem Zusammenhang vorgelegten Anträge zu lesen.
Sie haben kritisiert, dass wir bei der Einsetzung des
Untersuchungsausschusses wollten, dass zumindest die
Möglichkeit besteht, das Verhalten aller Parteien zu untersuchen. Aber jetzt geht es um ganz konkrete Verdachtsmomente, die übrigens nicht nur gegen die CDU
bestehen. Deswegen haben sogar Sie, unserem Beispiel
vom 19. Januar 2000 folgend, vorgeschlagen, dass wir
uns im Rahmen des erweiterten Untersuchungsauftrages
nicht auf eine Partei beschränken, sondern uns zu Recht
darauf beziehen, ob konkrete Anhaltspunkte dahin gehend bestehen, dass massive Verstöße gegen das Parteiengesetz vorliegen.
Herr Kollege Schmidt von der CDU, ich bin froh,
dass Sie in Ihrem Redebeitrag nicht den Versuch unternommen haben, der Erweiterung des Untersuchungsauftrages mit fadenscheinigen juristischen Argumenten
zu widersprechen.
({4})
Denn obwohl zwischendurch von Ihrer Seite geäußert
wurde, man dürfe einen solchen Auftrag nicht erweitern,
ist völlig eindeutig, dass wir nicht gegen die BundLänder-Kompetenzregelung verstoßen. Denn es geht
um Vorgänge, die die Bundesparteien betreffen. Es gibt
überhaupt keinen Zweifel daran, dass wir uns damit befassen dürfen. Wir müssen uns sogar damit befassen.
Wir verletzen auch nicht die Chancengleichheit der
Parteien.
({5})
Denn wer durch Gesetzesverstöße Anlass zu Untersuchungen gibt, kann sich doch nicht zugleich darauf berufen, dass andere Parteien möglicherweise nicht in der
gleichen Weise untersucht werden. Der hat die Ursache
für eine solche Prüfung selber geschaffen.
Im Übrigen - darauf habe ich schon hingewiesen -
wäre eine Beschränkung nur auf das Verhalten der CDU
nach all dem, was wir wissen, weder sachgerecht, noch
ist dies in den Anträgen vorgesehen.
Die Koalition hat nunmehr am 15. Februar dieses
Jahres, nachdem die F.D.P. mit ihrem Antrag den entsprechenden Impuls gegeben hatte, einen eigenen Antrag nachgereicht, der sich von unserem Vorschlag nur
in einem wesentlichen Punkt unterscheidet. Wir meinten, dass der Untersuchungszeitraum auf die Zeit seit
der Neuregelung der Parteienfinanzierung befristet
werden sollte. Sie schlagen vor, eine solche Befristung
nicht einzuführen. An diesem Detail soll eine gemeinsame Beschlussfassung nicht scheitern. Denn es gibt in
der Tat immer wieder neue Gesichtspunkte, die es geraten sein lassen, den Auftrag auch in seiner zeitlichen
Dimension nicht zu beschränken.
Wünschenswert wäre es allerdings gewesen - so wie
das in unserem Antrag vorgesehen wurde -, in den Untersuchungsauftrag ausdrücklich hineinzuschreiben, dass
der Untersuchungsausschuss im Rahmen seiner Erkenntnisse selbstverständlich Vorschläge hinsichtlich einer
eventuellen Neuregelung der Parteienfinanzierung unterbreiten wird. Ich vermute, er wird dies so oder so tun.
({6})
Unser Hauptanliegen jedenfalls - dies wird heute beschlossen werden - ist eine klare Grundlage für die Untersuchung all dessen, was unbedingt ans Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit muss.
({7})
Für die PDSFraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der F.D.P. geht es mit ihrem
Antrag darum, auch die anderen Oppositionsparteien mit
ins Boot des Untersuchungsauftrages zu holen. Dagegen
ist an sich nichts einzuwenden, auch wenn ich - jedenfalls momentan - noch keinen konkreten Grund dafür
erkennen kann, der eine solche Ausweitung auf ausdrücklich alle Parteien zwingend erfordert. Sonstige Personen, das heißt auch Politiker anderer Parteien, sind
ohnehin durch den Einsetzungsantrag erfasst. Aber wenn
es der F.D.P. so am Herzen liegt, bitte!
Wir jedenfalls haben nichts dagegen, dass der Untersuchungsausschuss auch die Frage prüft, ob an die PDS
Spenden oder Ähnliches geflossen sind, die geeignet
waren, politische Entscheidungsprozesse des Bundestages zu beeinflussen.
({0})
Ob durch die PDS Einfluss auf das Regierungshandeln
unter der Kohl-Regierung ausgeübt wurde, diese Frage
dürfte wohl niemand ernsthaft untersuchen wollen, auch
wenn nach den letzten drei Monaten vieles möglich erscheint.
({1})
Man könnte dazu natürlich auch Herrn Dr. Kohl befragen. Ich bin gespannt auf seine Antwort.
({2})
Die PDS hat jedenfalls nichts zu verbergen und nichts
zu befürchten. Allerdings erlaube ich mir noch den
Hinweis, dass wir erst seit 1990 im Bundestag vertreten
sind. Die Frage der Verantwortlichkeit für die Zeitspanne von 1982 bis 1990 müssen Sie deshalb, auch wenn
Sie das sicher schmerzt, unter sich ausmachen.
({3})
Ausdrücklich begrüßen möchte ich die Erweiterung
in Ziffer 2 des Antrages zur Unterbreitung von Vorschlägen für eine Neuregelung der Parteienfinanzierung. Meine Fraktion hat in dieser Woche bereits ein
Änderungsgesetz zu einem zentralen Abschnitt des Parteiengesetzes, der Rechenschaftslegung, vorgelegt und
wird sich aktiv in diese Diskussion einbringen. Auch der
Ergänzungsantrag der Koalitionsparteien trifft auf unsere Zustimmung; zumal es genügend tatsächliche Anhaltspunkte für die Verletzung des Parteiengesetzes wie
in Hessen gibt.
Wir haben immer wieder gefordert, bei konkreten
Anhaltspunkten Verletzungen des Transparenzgebotes in die Untersuchungen einzubeziehen. Nur so ist es
möglich, eine wirklich lückenlose und politisch glaubwürdige Aufklärung zu erreichen. Dass dies nicht die
Chancengleichheit der Parteien verletzt, haben bei der
gestrigen Anhörung auch die beiden Sachverständigen
bestätigt.
Bei aller Unterschiedlichkeit ist jedoch beiden Anträgen eines gemein: Sie erweitern sehr großzügig den Untersuchungsauftrag, obwohl unser Ausschuss bereits
jetzt hoffnungslos überlastet, ja überfordert ist.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichts
gegen die geplanten Erweiterungen. Wir müssen aber
auch bedenken, ob die bisherige herkömmliche Handhabung solcher Ausschüsse nach der Geschäftsordnung
den jetzigen Arbeitsanforderungen gerecht wird. Ich
meine: nein und plädiere dafür, dass wir versuchen, auch
den Rahmen, den uns die Geschäftsordnung gibt, so flexibel und unbürokratisch wie möglich auszuschöpfen,
um - wie man umgangssprachlich sagt - endlich in die
Gänge zu kommen. Denn auch eine zu zögerliche und
hartleibige Untersuchungsarbeit, die hinter den öffentlichen Erwartungen zurückbleibt, kann die Glaubwürdigkeit von Politik weiter beschädigen.
({4})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Frank Hofmann von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter
Herr Schmidt, das verlorene Vertrauen in die CDU ist
mit Ihrer heutigen Rede nicht einmal in Ansätzen zurückgewonnen worden.
({0})
Sie gehören weiterhin zu den Altaufklärern, zu den Verneblern und Vertuschern und nicht zu den Neuaufklärern. So bleibt die neue CDU die alte CDU.
({1})
Wer Geld hat, segelt im günstigen Winde. Seit Bekanntwerden der schwarzen Kassen und Konten ist bei
der CDU der günstige Wind dem politischen Orkan gewichen. Noch am 8. Februar erklärte Jürgen Rüttgers,
der CDU-Landesverband NRW werde Schäuble bei
seiner Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzenden
unterstützen. Nicht einmal eine Woche später übernimmt genau dieser CDU-Landesverband die Führung
der Revolte gegen Schäuble - mit beachtlichem Erfolg,
wie wir heute alle wissen. Schäuble wurde der Missbrauch, den er mit dem Wort Aufklärung trieb, zum
Verhängnis.
Das Prinzip der Altaufklärer bei der CDU heißt:
Gib nur das zu, was schon jeder weiß, und nenne dies
Aufklärung. - Dieses Prinzip gilt für die Bundes-CDU
und für die Hessen-CDU. Die Altaufklärer müssen vertuschen, verschleiern und so wie Schäuble und Koch lügen.
({2})
Die rücksichtlosen und brutalen Aufklärer sind nichts
anderes als eine Mogelpackung. Pressekonferenzen mit
scheibchenweisen Enthüllungen hat die CDU immer nur
dann anberaumt, wenn Skandale nicht mehr länger unter
der Decke gehalten werden konnten.
({3})
Vorher war der CDU keine Lüge zu plump. Sie scheute
zurück, nicht einmal davor, jüdische Vermächtnisse als
Geldquellen anzugeben, getreu dem Grundsatz: Geld,
das stumm ist, macht recht, was krumm ist.
Eine Partei, die nach Belieben mit gewaschenen Millionen jonglieren kann, wird leichtsinnig und überheblich. Treffliches Beispiel hierfür ist der hessische Ministerpräsident Koch. Er musste mittlerweile einräumen,
dass der CDU-Rechenschaftsbericht 1998 frisiert ist.
Statt seine Schuld einzugestehen, ließ er aber Anwälte
an einem holperigen Rechtsgutachten basteln. Dieses
Gutachten soll Koch im Nachhinein von jeglicher
Schuld reinwaschen. Hier zeigt sich die Arroganz der
CDU-Macht; denn seit 1982 wurde der Glaube genährt,
das Recht sei dort, wo das meiste Geld ist.
Im Bund hat der Wähler diese Schieflage korrigiert.
Er hat die alte Bundesregierung abgewählt. Auch in
Hessen wird Gerechtigkeit dann einziehen, wenn man
den Wählerinnen und Wählern diese Chance gibt.
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein Desaster
für unsere Demokratie, dass Koch nicht die Verantwortung für seine Lügen übernimmt. Er steht nicht für einen
Neubeginn der CDU. Er gehört wie Schäuble zu den
Altaufklärern. Aber im Gegensatz zu Schäuble versteckt
er sich hinter fragwürdigen juristischen Gutachten. Verschanzt er sich möglicherweise in Kürze hinter einem
ärztlichen Attest?
Dem Untersuchungsausschuss bleibt gar keine andere
Wahl, als sich mit den ans Tageslicht getretenen offensichtlichen Verfassungsverstößen der CDU zu beschäftigen. Tatsache ist: Die CDU hat mit Geldern aus
schwarzen Kassen nur so um sich werfen können. Wittgenstein wusste schon gar nicht mehr, wie er das heiße
Geld unter seine Leute bringen sollte. Das Geflecht der
CDU-Allfinanz enthält mehr Verstecke als jeder Fuchsbau. Ich bin der festen Überzeugung: Der Höhepunkt der
Aufklärung ist längst noch nicht erreicht. Dies deuten
auch schon die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young in
ihrem Bericht für die CDU an. Die Frage: „Wer hat
wann was von Anderkonten, Schweizer Banksafes, dubiosen Stiftungen und Bargeldkoffern, der Umwandlung
von Fraktionsgeldern in Parteigelder gewusst?“ darf bei
dem personellen Neuanfang der Union nicht unbeantwortet ad acta gelegt werden. Auf die Gnade der späten
Geburt oder des schlichten Nichtwissens kann sich die
nach dem plötzlichen politischen Tod Kohls und
Schäubles entstandene Erbengemeinschaft nicht berufen.
({5})
Mit den schwarzen Kassen wurden die Bürger hinter
das Licht geführt. Betrogen wurden aber auch alle mit
der CDU konkurrierenden Parteien, auch die F.D.P., die
in Hessen zum Teil noch versucht, Koch die Treue zu
halten. Lange wird sie diesen Kurs nicht mehr durchhalten können. Andere von der CDU gelinkte F.D.P.Landesverbände rebellieren schon lange. Zu Recht, wie
ich meine. Schließlich hat die CDU den Grundsatz der
Chancengleichheit der Parteien seit Jahren mit Füßen
getreten.
({6})
Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt daher die Erweiterung des Untersuchungsauftrages. Offensichtliche, das heißt konkrete Fälle des Verstoßes gegen die
Pflicht der Parteien zur öffentlichen Rechnungslegung
müssen der parlamentarischen Untersuchung unterliegen. Mit einer Erweiterung des Untersuchungsauftrages
räumen die von der CDU seit Jahren benachteiligten
Parteien der CDU die Chance ein, sich zumindest im
Untersuchungsausschuss aktiv an der Aufklärung ihrer
Parteispendenaffäre zu beteiligen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei der F.D.P. ausdrücklich dafür bedanken, dass sie unseren Antrag unterstützt. Wer den vorliegenden Antrag als unzulässige
Parteienausforschung bezeichnet, der hält mit dem Begriff „Neuanfang“ schon wieder eine Lüge im Larvenstadium in der Rückhand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich
fordere Sie daher auf: Gehen Sie sich Ihre Hände waschen!
({7})
Ich schließe die Aussprache und erteile jetzt dem Kollegen Max Stadler zur
Geschäftsordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Fraktion wünscht
und beantragt zu der Vorlage der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen noch eine kleine, aber nach
unserer Meinung nicht unwichtige Ergänzung. Wir bitten zu formulieren: „sofern konkrete“ - dieses Wort soll
eingefügt werden - tatsächliche Anhaltspunkte bestehen ...
({0})
Damit wird wirklich völlig klar, was von allen Rednern
betont worden ist: Niemand will in unzulässiger Weise
und ohne einen konkreten Anlass das Finanzgebaren anderer konkurrierender Parteien ausforschen. Wir beschränken die Erweiterung des Untersuchungsauftrages
auf wirklich konkrete Verdachtsmomente.
({1})
Wir stimmen zunächst über den soeben vom Abgeordneten Stadler
mündlich vorgetragenen Änderungsantrag ab. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 14/2686 mit der soeben vorgetragenen Änderung. Wer stimmt für diesen
Frank Hofmann ({0})
Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag
ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich gehe davon aus, dass der Antrag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/2527 nach Annahme des geänderten Antrages der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zurückgezogen ist.
({1})
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung ({2})
- Drucksache 14/2496 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS eine Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das neue Insolvenzrecht ist
bekanntlich vor gut einem Jahr in Kraft getreten. Eine
wesentliche Neuerung stellen dabei die Regelungen zur
Verbraucherinsolvenz dar.
Die Erwartungen an diese neue Entschuldungsmöglichkeit waren angesichts von über 2,5 Millionen überschuldeten Privathaushalten deshalb auch sehr hoch. Ich
sage absichtlich „waren“, denn diese Hoffnungen vieler
Betroffener in einer für sie schier aussichtslosen Situation haben sich leider nicht erfüllt. Der erwartete Ansturm
auf die Gerichte ist ausgeblieben. Die Verbraucherinsolvenz hat sich in großen Teilen einfach nicht als praktikabel erwiesen. Der Katalog an Nachbesserungsforderungen von Juristen und Schuldnerberatern ist inzwischen lang. Ich zähle kurz einige Beispiele auf.
Erstens. Das gesamte Verfahren ist zu langwierig,
kompliziert und bürokratisch.
Zweitens. Viele Schuldner bleiben bereits im außergerichtlichen Einigungsversuch stecken. Die Schuldnerberatungsstellen sind in der Regel weder personell noch
materiell genügend ausgestattet. Die meist hoffnungslos
verarmten Schuldner stehen jeweils einer Vielzahl von
Gläubigern gegenüber, die allesamt angeschrieben werden müssen. Sie sind mit einer so genannten Nulllösung
oder nur geringen Tilgungsraten jedoch meist nicht einverstanden. Da im außergerichtlichen Stadium bislang
noch kein Vollstreckungsschutz besteht, wird von vielen
Gläubigern bei Bekanntwerden der Überschuldung der
Einigungsprozess durch Pfändungsversuche konterkariert.
Drittens. Ein ganz großes Problem ist die weitgehende Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe im Verfahren der gerichtlichen Schuldenbereinigung. Ich verweise
wegen der begrenzten Zeit auf die von mir in der Gesetzesbegründung angeführten amts- und landgerichtlichen
Entscheidungen. Es versteht sich von selbst, dass ohne
PKH-Bewilligung für den überwiegenden Teil der
Schuldner die Verfahren nicht finanzierbar sind.
Viertens. Da in diesem gerichtlichen Stadium die bislang fehlenden Gläubigerzustimmungen durch das Gericht nur ersetzt werden können, wenn die, die sich vorher bereits geweigert haben, nochmals kontaktiert werden, entstehen wiederum hohe Kosten und ein großer
Verwaltungsaufwand.
Fünftens. Hinzu kommt, dass es sich bei den meisten
Schuldnern um so genannte Armutsschuldner handelt,
die auf absehbare Zeit ihren Schuldenberg nicht oder nur
geringfügig abtragen können. Damit ist für diese große
Gruppe der Schuldenbereinigungsplan eigentlich ein
Nullplan.
Auch die Restschuldbefreiung krankt an der langen
Wohlverhaltensperiode von sieben Jahren. Mit dem außergerichtlichen Einigungsversuch und dem gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren kommt man gut
und gerne auf eine Verfahrensdauer von neun, wenn
nicht sogar zehn Jahren.
Die Lösung, die meine Fraktion mit dem vorliegenden Entwurf vorgelegt hat, kann nur eine Zwischenlösung sein, um die gravierendsten Probleme anzugehen.
Ansonsten läuft die Verbraucherinsolvenz weiter ins
Leere und erfüllt nicht ihren vom Gesetzgeber vorgesehenen Zweck. Der jahrelange Kampf um ein vereinfachtes Konkursverfahren für Privatpersonen war
dann umsonst. Die Betroffenen wenden sich enttäuscht
ab.
In unserem Entwurf geht es erstens um eine klarstellende Regelung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Hier sollte nicht erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden.
Es geht zweitens um die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf fünf Jahre, um eine unverhältnismäßig lange Zeit bis zur endgültigen Entschuldung mit enorm hohen Anforderungen an den jeweiligen
Schuldner angemessen zu verringern.
Es geht drittens um die Einführung des so genannten
Nullplans für die überwiegende Gruppe der mittellosen
Armutsschuldner.
Es geht viertens um die Ausweitung des Vollstreckungsschutzes auch auf den außergerichtlichen Einigungsversuch, um ernsthafte Bemühungen um einen
vernünftigen Schuldenbereinigungsplan nicht von vornherein zum Scheitern zu verurteilen.
Auch wenn es wenig erfreulich ist, die Insolvenzordnung bereits nach einjähriger Lebensdauer wieder gesetzgeberisch zu korrigieren: Im Bereich der VerbrauVizepräsidentin Petra Bläss
cherinsolvenz ist dieser Schritt unvermeidlich. Nach vielen Gesprächen mit Betroffenen, engagierten Schuldnerberatern, Justiz, Juristen und anderen Rechtsexperten
können wir uns damit nicht mehr viel Zeit lassen. Vor
allem besteht nicht genügend Zeit, um die mehrjährigen
Erfahrungswerte bei der Anwendung der Insolvenzordnung in Gänze abzuwarten.
Mit Sicherheit wird man uns auch wieder vorwerfen,
der Entwurf sei nicht ausgewogen genug und zu stark
auf Schuldnerbelange ausgerichtet. Wer die Vorschläge
jedoch richtig liest, wird feststellen, dass die vorgeschlagenen Neuregelungen, zum Beispiel zum Nullplan
oder zum erweiterten Vollstreckungsschutz, auch eine
ganze Reihe von Verpflichtungen und Beschränkungen
für die Betroffenen enthalten, um die Interessen beider
Gruppen, der Schuldner wie der Gläubiger, angemessen
zu berücksichtigen.
Ich hoffe deshalb, dass die Vorschläge meiner Fraktion auf fruchtbaren Boden fallen, um aus der derzeitigen
Sackgasse, in der sich die Verbraucherinsolvenz befindet, so rasch wie möglich herauszukommen.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Kolleginnen und Kollegen
Hartenbach, Freiherr von Stetten, Beck und Funke wol-
len ihre Reden zu Protokoll geben.**) Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Damit schließe ich bereits die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/2496 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 11 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Aus für den Transrapid Hamburg-Berlin;
Auswirkungen für den Wirtschafts- und
Technologiestandort Deutschland
Erste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Sothmann für
die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der „flüstern-
de Silberpfeil“ ist ein technisch perfektes, weltweit
bis heute einzigartiges Hightech-Projekt „made in Ger-
many“. Doch rund 30 Jahre nach dem Forschungsauf-
trag des damaligen SPD-Verkehrsministers Leber für
das Hochgeschwindigkeitssystem Transrapid haben
Schröder und Co. diesem einmaligen Zukunftsprojekt
den Todesstoß versetzt -
______
*) Anlage 2
({0})
und das zu einem Zeitpunkt, zu dem - das muss man
sich einmal überlegen - die ersten Planfeststellungsbescheide für den Bau der Anwendungsstrecke Hamburg Berlin vorliegen. Der Skandal ist perfekt; der Baustopp
ist in jeder Hinsicht eine Katastrophe.
({1})
Der Verzicht auf diese Referenzstrecke bedeutet - ob
man will oder nicht - auch den Verzicht auf die Vorteile
der gesamten Technologie.
({2})
Die Bundesregierung und Bahnchef Mehdorn verspielen
so unseren weltweiten Entwicklungsvorsprung und unsere Exportchancen. Wer kauft denn eine Katze im
Sack?
({3})
Kein Exportschlager ohne Anwendungserfolg im eigenen Land! Jetzt machen wir den Weg für unsere größten
Konkurrenten Frankreich und Japan frei, deren Systeme
nun wohl als Erste zum Einsatz kommen werden.
Bund und Bahn zerstören mit einem Schlag unseren
guten Ruf als Wirtschafts- und Hochtechnologiestandort - und das im Vorfeld der Weltausstellung
EXPO 2000“! Ein solcher Imageschaden, ein solcher
Verlust an Glaubwürdigkeit kann nur sehr schwer repariert werden.
({4})
Bund und Bahn verschenken insgesamt 15 000 neue
Arbeitsplätze in Norddeutschland - und das angesichts
steigender Massenarbeitslosigkeit. In Hessen werden
rund 1 000 Arbeitsplätze wegfallen. Der ThyssenStandort Kassel ist gefährdet; mit der Anwendungsstrecke wären dort dagegen Hunderte von Arbeitsplätzen
geschaffen worden. Bund und Bahn legen ein hocheffizientes und umweltfreundliches Mittel zur Bewältigung
des steigenden Massenverkehrs ad acta. Wir verpassen
damit auch die Chance für den Start in ein hochmodernes transeuropäisches Magnetschwebebahnnetz mit dem
Knotenpunkt Berlin. Bund und Bahn ignorieren beständig die unbestreitbaren Vorteile des Transrapid. Angesichts der Zugunglücke in Eschede und Brühl mit
Hunderten von Toten ist es für mich unbegreiflich, wie
man auf eine absolut entgleisungssichere Hochtechnologie wie den Transrapid verzichten kann.
Die Rechnung von Bund und Bahn gegen die Strecke
Berlin-Hamburg geht auch ökonomisch nicht auf. Sie
setzen alle bisherigen Entwicklungskosten - rund 3 Milliarden DM Steuergelder - in den Sand und sparen nicht
einmal Bau- und Betriebskosten.
({5})
Denn auch der Aus- bzw. Neubau der ICE-Strecke
Hamburg-Berlin würde 8 bis 11 Milliarden DM kosten, wenn man auf eine Fahrtzeit von 90 Minuten kommen will.
({6})
Die Vorschläge zur Lösung des Finanzierungsproblems wurden im Übrigen niemals ernsthaft geprüft,
weil die negative Entscheidung von Bahnchef Mehdorn
zum Transrapid bereits vor Beginn der Verhandlungen
feststand.
Ich erinnere an das Angebot von Bund und Industrie,
ihre Mittel aufzustocken. Ich erinnere an das Angebot
der Länderbürgschaften. Die Entscheidung gegen die
Strecke Hamburg-Berlin ist absolut innovations- und
zukunftsfeindlich.
({7})
Dass man jetzt ins Auge fasst, eine alternative Anwendungsstrecke zu suchen, ist eine Farce. Denn wo
und wann soll sie gebaut werden? Auf Kurzstrecken
kommen die Vorzüge des Transrapid nicht zur Geltung.
Das finanzielle Risiko würde auch nicht geringer, und in
zwölf Jahren, wenn die Planungen für eine Alternativstrecke vielleicht endlich abgeschlossen wären, wäre der
Zug in die Zukunft längst abgefahren, und zwar ohne
uns.
({8})
Das einzig Vernünftige aus meiner Sicht ist, dass die
Transrapid-Versuchsanlage in Emsland schnellstmöglich
modernisiert und zweispurig ausgebaut wird. Das Emsland muss ein attraktives internationales Schaufenster
für den Transrapid werden.
Ich appelliere eindringlich an die Bundesregierung,
dieses Ziel so bald wie möglich in Angriff zu nehmen
und damit auch der Transrapid-Industrie den Rücken zu
stärken. Nur schnellstes, effizientes Handeln kann das
Zukunftsprojekt Transrapid, kann unseren Ruf als Hightech-Standort, kann unsere Exportchancen auf dem
Weltmarkt jetzt noch retten.
({9})
Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Angelika Mertens.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Warum diese Aktuelle Stunde heute
beantragt wurde, bleibt das Geheimnis der CDU/CSU.
({0})
Wenn ich einmal in die Runde schaue, stelle ich fest,
dass manche wichtigen - andere sind nicht unwichtig -,
mit diesem Projekt befassten Leute nicht präsent sind.
Der Berichterstatter, Herr Brunnhuber, ist nicht da, der
Ausschussvorsitzende ist nicht da und ich vermisse sehr
meinen Kollegen Fischer,
({1})
den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU, der ja
bei der letzten Debatte hier so viel heiße Luft verbreitet
hat, dass ich schon gedacht habe, wir müssten ihn von
der Kuppel herunterholen. Er hat den Untergang des
Abendlandes prophezeit für den Fall, dass der Transrapid nicht gebaut wird, und sich praktisch als Retter der
Witwen und Waisen, die dann verlassen am Bahnsteig
stehen und auf den Transrapid warten, aufgespielt. Jetzt
ist er noch nicht einmal da. Wir fragen uns natürlich, wo
er ist. Er hat einen wichtigen Termin in Hamburg. Das
sei ihm auch gegönnt, denn er hat morgen Organisationswahlen.
({2})
Das ist bei der CDU in heutigen Zeiten vielleicht nicht
so ganz einfach.
Die Entscheidung, die Transrapid-Strecke HamburgBerlin nicht zu realisieren, dürfte jedenfalls für kaum
jemanden überraschend gekommen sein. Bereits in den
Monaten zuvor war überdeutlich geworden, dass die
Kostensteigerungen für den Fahrweg von bisher
6,1 Milliarden DM auf rund 9 Milliarden DM völlig aus
dem Ruder gelaufen waren. Hinzu kam, dass das Betriebsrisiko für die DB AG unkalkulierbar wurde.
({3})
Sie haben früher jemanden gehabt, der das immer abgenickt hat. Herr Mehdorn hat es nicht abgenickt und die
Industrie konnte sich nicht dazu durchringen, sich am
Betriebsrisiko zu beteiligen.
Es ist eine alte Erfahrung, dass man, wenn alle Beteiligten merken, dass ein Projekt so nicht mehr durchführbar ist, so etwas wie einen gordischen Knoten zerschlagen muss. Der Verkehrs- und Bauminister Reinhard
Klimmt hat mit großem Engagement und viel Geduld in
den vergangenen Monaten nach einer fairen Lösung für
alle Beteiligten gesucht. Ich finde, dass es ihm gelungen
ist.
({4})
Darauf kann er und darauf können auch wir stolz sein.
({5})
Das war kein leichtes Stück Arbeit. Die vorige Bundesregierung hat uns eine schwere Hypothek hinterlassen. Das milliardenschwere Prestigeobjekt Transrapid
hatte einen gravierenden Schönheitsfehler: Es basierte
nicht auf seriösen Wirtschaftlichkeitsberechnungen,
sondern auf dem Prinzip „Wunsch und Wolken“.
Wie sorglos die CDU als Partei mit Geld umgegangen ist, können wir zurzeit hautnah erfahren. Bei Ihnen
können es ja schon einmal ein paar Milliönchen mehr
sein. Nach diesem Prinzip sind Sie aber leider auch im
Verkehrsbereich vorgegangen. Es gab den einen oder
anderen Spatenstich nach dem Motto: Was kostet die
Welt? Bezahlt wird irgendwann später.
Die jetzige Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, die sich in den letzten Jahren keiner so wundersamen Geldvermehrung erfreuen konnten, haben gelernt - das ist die andere Seite des Geldmangels -, wie
man mit dem ganz spitzen Bleistift rechnet. So stehen
unsere Haushalte unter dem Motto der Solidität. Mit dieser Bundesregierung wird es keine Verkehrsinfrastrukturplanung geben, die nicht solide begründet ist. Daher
haben schlussendlich die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen dazu geführt, von der Transrapid-Strecke Hamburg - Berlin Abstand zu nehmen. Das ist vernünftig
und dient übrigens auch dem Ansehen des Standortes
Deutschland.
Sie weinen natürlich Krokodilstränen; das haben Sie
vorhin bereits zugegeben. Natürlich haben auch wir unsere Vergangenheit, was den Transrapid angeht. Sie haben schon darauf hingewiesen, Frau Sothmann, dass es
sich hierbei um ein Leber-Projekt handelt. Das bedeutet
aber auf der anderen Seite, dass Sie wirklich volle
16 Jahre Zeit hatten, um dieses Projekt zu verwirklichen.
Sie haben es aber nicht getan.
Ein objektives Problem ist die Strecke von Hamburg
nach Berlin. Die Fraktionen von SPD und Grünen
erwarten von der Bundesregierung eine schnelle Lösung
im doppelten Sinne: einmal schnell, was den Zeitraum
der Lösung angeht, und ein zweites Mal schnell, was die
Fahrzeit auf der Strecke angeht. Hier denken wir an
90 Minuten.
Demjenigen, der heute nicht anwesend ist, Herrn
Fischer, wünsche ich viel Glück für morgen, wenn er
sich wieder als Landesvorsitzender zur Wahl stellt. Ein
gutes Ergebnis für ihn garantiert dem rot-grünen Hamburger Senat ein gutes Ergebnis bei den nächsten Bürgerschaftswahlen.
({6})
Wir gehen davon aus, dass der alte und dann auch neue
Bürgermeister im Herbst nächsten Jahres in 90 Minuten
von Hamburg nach Berlin kommen kann.
({7})
Nächster Redner ist
der Kollege Albert Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
- Wir handhaben das ausnahmsweise anders, weil der
Kollege von der F.D.P. gerade ins Plenum gelaufen kam
und noch aus der Puste ist. Im Sinne des kollegialen
Miteinanders ist eine solche Verschiebung sicherlich zulässig. Wir haben es so abgesprochen.
({1})
Selbstverständlich. Nun muss ich aber meine Gedanken während der Rede ordnen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich beginne, indem ich Ihnen etwas vorlese:
Der Transrapid wird nicht gebaut. Für die Bahn, für
die deutsche Verkehrspolitik und nicht zuletzt für
das Ansehen des Wirtschaftsstandortes Deutschland
ist das eine gute Nachricht. Die Bundesregierung
darf sich etwas darauf zugute halten,
({1})
dass sie die von der Vorgängerkoalition auf sie
überkommene Hypothek mit einer wirtschaftlich
zwingenden, politisch nichtsdestoweniger mutigen
Entscheidung gelöscht hat. Die kalkulatorische Irrfahrt des Projektes Transrapid von Hamburg nach
Berlin ist damit beendet.
Das stammt aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
vom 7. Februar 2000.
({2})
Beim letzten Mal habe ich Ihnen aus dem „Handelsblatt“ vorgelesen. Heute lese ich Ihnen aus der „FAZ“
vor.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was
tun Sie sich und uns eigentlich an? Warum zelebrieren
Sie noch Ihre eigene Niederlage, obwohl Ihnen alle Gazetten mittlerweile den Schwachsinn des Projekts bescheinigen? Warum zelebrieren Sie auch noch Ihren eigenen Unverstand und Ihre Uneinsichtigkeit bis über das
letzte Sterbeglöcklein hinaus? Ich kann es nicht begreifen. Dabei stehlen Sie auch noch sich und uns den Einstieg in das Wochenende.
({4})
Woran ist das Transrapid-Projekt gescheitert? Es ist
nicht an schnöder Einsparwut gescheitert, auch nicht an
grünem Verhinderungswahn.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an den geschönten und getürkten Kostenberechnungen der Vorgängerregierung gescheitert.
({6})
Dass dort mit 6,1 Milliarden DM für den Fahrweg und
mit 11 Millionen Fahrgästen Zahlen vertraglich ins Eckpunktepapier hineingeschrieben wurden, die sich nachher als nicht haltbar erwiesen haben, ist Ihr Problem.
({7})
„Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären“, würde Goethe oder
irgendjemand sagen.
({8})
- Oder Shakespeare, okay.
Der Transrapid ist zweitens daran gescheitert, dass
wir von Anfang an ein Alternativkonzept vorgelegt haben: ein Dreistufenkonzept zum Ausbau der Bahnstrecken, das nicht nur deutlich kostengünstiger ist, sondern
auch von der Fahrzeit her ein sehr attraktives Angebot
darstellt.
Es ist also nicht so, wie Frau Sothmann hier zum
x-ten Mal behauptet hat, dass man zwischen Hamburg
und Berlin eine neue Bahnstrecke bauen müsse. Da gibt
es schon zwei Bahnstrecken, Frau Kollegin Sothmann.
Was muss geschehen? Erstens muss auf der Strecke
Hamburg-Büchen-Wittenberge im Wege einer Ausnahmegenehmigung und durch Ersatz der Halbschranken durch Vollschranken die Geschwindigkeit der Züge
von 160 auf 200 km/h und in einigen Abschnitten sogar
weiter erhöht werden. Das würde uns schon einmal einen substanziellen Fahrtzeitgewinn bescheren.
Zweitens müssen die Bahnübergänge sukzessive,
Schritt für Schritt, beseitigt und durch Über- und Unterführungsbauwerke ersetzt werden. Dann braucht man
keine Ausnahmegenehmigung mehr; dann reicht eine
reguläre Genehmigung.
Drittens - das meine ich zumindest - muss die zweite
Bahnstrecke, die Strecke von Hamburg über Uelzen und
Stendal nach Berlin, im mittleren Drittel, auf den
103 Kilometern zwischen Uelzen und Stendal, durch ein
zweites Gleis verstärkt und für Hochgeschwindigkeitszüge ausgerichtet werden.
Dann haben wir für einen Bruchteil der TransrapidMilliarden vier „schnelle Gleise“ zwischen Hamburg
und Berlin. Diese könnten wir schon heute haben, hätten
wir nicht Jahre mit sinnlosen, fruchtlosen, teuren und
ergebnislosen Planspielen zum Transrapid vergeben.
({9})
Der Transrapid ist auch an seiner eigenen Innovationsschwäche gescheitert; das, so glaube ich, war entscheidend. Sie wollen uns diese Technologie heute wieder als den Inbegriff der neuen Technologie verkaufen.
In Wahrheit aber ist diese Technik in der ersten Hälfte
des vergangenen Jahrhunderts erfunden und patentiert
worden. Sie hat sich über ein Dreivierteljahrhundert
hinweg weltweit nirgendwo durchgesetzt. Der Transrapid kann nichts, was die Bahn inzwischen nicht längst
könnte - die Rad-Schiene-Technik hat im Übrigen zu
immer mehr Schnelligkeit geführt -; er ist nur teurer.
Und das war sein Problem.
Der Transrapid mag zwar das Rad einsparen, er kann
es aber nicht neu erfinden. Die neue Generation von
schnellen Zügen, die 300 und mehr km/h fahren können,
und die Neigetechnikzüge, die sich wie ein Motorrad in
die Kurve legen können, haben dazu beigetragen, dass
die Transrapid-Technologie im Fernverkehr nicht mehr
erforderlich ist. Ein Gefährt, das noch schneller ist als
der Transrapid und keinen Fahrweg braucht, existiert bereits: Es ist das Flugzeug.
Glauben Sie im Ernst an die „rasende Straßenbahn
Transrapid“ zum Flughafen? Ich glaube nicht daran. Ich
prophezeie Ihnen: Das, was wir bezüglich dieser teuren
Planung in Deutschland an Desaster erlebt haben, wird
sich demnächst in Japan ereignen. Auch dort wird man
dem schnellen Zug Shinkansen gegenüber der MaglevTechnik, der Magnetschwebebahn-Technik, den Vorzug
geben; denn auch dort ist das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zum zentralen Entscheidungskriterium erklärt
worden. Von daher wird die Entscheidung dort ähnlich
ausfallen wie bei uns.
Ich glaube, wir sollten keine Krokodilstränen vergießen, sondern froh sein, dass wir der Deutschen Bahn AG
diesen Klotz nicht ans Rad gebunden haben. Wir sollten
jetzt schleunigst dazu beitragen, bald auf der Schiene in
eineinhalb Stunden von Hamburg nach Berlin fahren zu
können, und das auch noch zu einem akzeptablen Fahrpreis.
({10})
Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum einen: Mancher
Befürworter des Transrapid, der hier gesprochen hat,
kommt mir vor wie jemand, dem man das liebste Spielzeug weggenommen hat.
Zum anderen: Frau Sothmann, Sie sind Betriebswirtin. Herr Mehdorn hat doch nichts anderes gemacht als
das, was wir von einem Manager verlangen, nämlich
dass er betriebswirtschaftlich rechnet und fragt: Was
kostet mich die Sache, und was kommt an Nutzen dabei
heraus? Herr Mehdorn ist aufgefordert, jährlich
3,5 Milliarden DM an Personalkosten einzusparen. Soll
er sich jetzt in die Gefahr begeben, noch einen Verlust
durch den Transrapid einzufahren? Ich halte die Entscheidung für richtig.
Ich möchte aber auch noch etwas zu dem Kollegen
Schmidt, der gerade gesprochen hat, sagen. Ich kann
Albert Schmidt ({0})
mich daran erinnern, dass Sie sich am 19. Januar ganz
vehement dagegen ausgesprochen haben, dass das Gesetz zum Transrapid, das ausdrücklich die Strecke Berlin - Hamburg vorschreibt, aufgehoben wird. Insofern
gibt es auch eine jüngere Vergangenheit.
({1})
- Ja, es ist überflüssig. Aber damals ist die Entscheidung
noch nicht gefallen.
({2})
Man muss auch in dieser Frage realistisch bleiben.
Ich sage deutlich: Der Transrapid in der Form, wie er
hier immer vorgestellt worden ist, scheitert auch daran,
dass die Nachhaltigkeit relativ gering ist. Natürlich weiß
ich, dass er leise und energieeffizient ist - aber eben
auch nur im Verhältnis zu seiner Geschwindigkeit: Bei
400 Stundenkilometern zum Beispiel knallt er ebenso
laut und mit demselben Stromverbrauch durch die Landschaft wie beispielsweise ein ICE bei 250 Stundenkilometern.
({3})
Die Sinnhaftigkeit solcher Geschwindigkeit aber ist
es, die Transrapid-Befürworter endlich einmal hinterfragen sollten. Dann könnten sie sich selbst die Frage beantworten, warum - Herr Schmidt hat darauf hingewiesen - ein Patent aus dem Jahre 1937 in über 60 Jahren
nicht den wirtschaftlichen Durchbruch geschafft hat.
Diesen Durchbruch wird es auch nicht schaffen, solange
die Prämissen für seinen Einsatz lauten: Rapider Transport großer Mengen, vor allem von Personen, über weite
Entfernungen - eben Trans-Rapid.
Es hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges geändert. Zum einen wurde sowohl die Rad-Schiene- als
auch die Flugzeugtechnologie seit Ende der 30er-Jahre
derart optimiert, dass sich für den genannten Zweck
schlicht die Frage betriebswirtschaftlicher Grenzkosten
stellt. Natürlich kann man sich auch am Boden technisch
noch schneller fortbewegen. Aber um welchen Preis?
Sie können alle Transrapid-Befürworter aus der Wirtschaft fragen, letztlich räumt jeder ein, dass der potenzielle Markt für Höchstgeschwindigkeitstransportmittel,
also Transrapid, selbst im Hochgeschwindigkeitsbereich - siehe ICE, TGV oder Shinkansen - sehr klein
und ungewiss ist. Deshalb sind schließlich jene, die mit
dem System irgendwann Geld verdienen wollen, nicht
bereit, weitere Kostenrisiken zu übernehmen, eben weil
die Ungewissheit bleibt, ob es jemals verkauft wird - in
Europa sowieso nicht, aber selbst in Nordamerika nicht.
Auch anderswo könnte es - wir hatten das bei den Gesprächen lange im Auge; wir haben alle die Disskussion
verfolgt - aus eigener Kraft nicht bezahlt werden.
Die zweite Veränderung, die in den letzten Jahren
viel zu langsam begann und von uns politisch viel stärker als bisher befördert werden muss, ist der Trend zu
nachhaltiger Entwicklung. Der Transrapid aber steht für
das Motto: immer schneller, immer weiter - das „immer
höher“ kann man sich in diesem Falle sparen. Es muss
aber um „global kommunizieren“, „lokal produzieren
und konsumieren“ gehen, wenn die Menschheit nicht im
ökologischen Kollaps untergehen will. Für Ersteres steht
beispielsweise das Internet, für Letzteres die regionale
Verflechtung von Wirtschaftsstrukturen.
Die Beerdigung des Transrapid muss weder Arbeitsplätze noch technologisches Know-how kosten. Wenn
wir endlich das Magnetschwebebahngesetz aufheben
würden, stünden 6,1 Milliarden DM beispielsweise für
den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, für kostengünstige Sanierung und Wiederbelebung der Bahn in der
Fläche zur Verfügung, zum Beispiel mittels kleiner und
leichter Triebwagen. Davon hätte man beispielsweise in
Nordbrandenburg und Mecklenburg etwas, wo man immer mehr Bahnlinien aufgibt und sich stattdessen in hilflosen symbolischen Spatenstichen ergangen hat, oder
auch in Kassel, denn irgendwo muss die neue Generation von Bahnfahrzeugen gebaut werden.
Magnetschwebebahntechnik kann eine große Zukunft
gewinnen, wenn sie nicht länger als Transrapid, sondern
als alternative Nahverkehrstechnologie weiterentwickelt
wird. Dafür würde es nicht nur weltweit, sondern auch
innerhalb Europas große und weiter wachsende Märkte
geben. Denn überall gibt es noch Engpässe, wo bestehende Träger den regionalen Verkehr nicht zufriedenstellend befriedigen können. Beim Einsatz auf solchen
Kurzstrecken und damit im Niedergeschwindigkeitsbereich würde auch die geringe Lärmemission des Schwebens gegenüber dem Fahren tatsächlich unüberhörbar
werden. Statt mit dem Transrapid das Vorgestern zu betonieren, sollte mit dem Magnetschweben verkehrspolitisch endlich Zukunft gestaltet werden.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner ist
der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/ CSUFraktion.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft
des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
({0})
Die Frage dabei ist: Dient es dem Wirtschaftsstandort
Deutschland in Zukunft, wenn wir mit einer Magnetschnellbahntechnik eine neue Exportchance auftun, oder
dient es der Zukunft dieses Landes nicht?
Die Koalition hat ihren Koalitionsvertrag am
20. Oktober 1998 mit dem Satz überschrieben: Aufbruch
in das 21. Jahrhundert. In diesem Koalitionsvertrag steht
nachweislich - ich möchte daran erinnern, welche Art
der Wählertäuschung wir erleben -: Wir sind für den
Transrapid. - Das ist eine Bekräftigung für die Technologie und für das Verfahren.
Herr Schröder, Herr Müller, der Finanzminister, fast
alle Ministerpräsidenten sind dafür. Und jetzt hat der
Vertreter der Bündnisgrünen dem Transrapid und - das
hat man heraushören müssen - der Technik endgültig
eine Absage erteilt. Jetzt ist der Transrapid wirklich gestorben. Die Bündnisgrünen haben sich heute - das ist
der Punkt - auch gegen die Technik ausgesprochen.
({1})
Man muss sich doch einmal vor Augen halten: Noch
vor einigen Wochen ist Bundeskanzler Gerhard Schröder nach China gefahren und hat einen Vertrag zum
Verkauf des Transrapid für eine Strecke in der Volksrepublik unterzeichnet,
({2})
während die Bündnisgrünen hier zu Hause knallhart gegen den Bundeskanzler stimmen, mit dem sie in einer
Koalition verbunden sind. Nein, das ist jetzt der falsche
Weg. Der Transrapid ist nicht nur gestorben; mit der
heutigen Rede vonseiten des Vertreters der Bündnisgrünen ist er im Grunde beerdigt worden.
Das Argument, mit dem man bisher gearbeitet hat, ist
hochinteressant: Der Transrapid sei auf der Strecke
Hamburg-Berlin teurer als die Bahn. Bis heute sind in
die Bahnstrecke Hamburg-Berlin 5,4 Milliarden DM
investiert worden. Was ist herausgekommen? - Ein
Tempo von durchschnittlich 160. Das heißt, der Zug
braucht - ich fahre die Strecke selbst - zweieinhalb
Stunden; das ist langsamer als in den 30er-Jahren.
({3})
Der Transrapid ist günstiger: Er kostet 6,1 Milliarden DM auf dieser Strecke. Die Bahn dagegen muss,
wenn sie in neue Gleise investieren sollte - nur dann
kann sie schneller werden -, 7,9 Milliarden DM
zusätzlich finanzieren.
({4})
Wer die Neubaustrecke Frankfurt-Köln und die Neubaustrecke über Hannover sieht, weiß genau, um welche
Preise es sich handelt. Das Institut für Bahntechnik hat
das eindeutig nachgewiesen.
Nein, es geht gar nicht um das Kostenargument. Es
geht alleine um die Frage der Koalition.
({5})
Der Transrapid ist das letzte Symbol der klaglos versagenden grünen Politik.
({6})
Um nicht noch das letzte Symbol zu stürzen, wird der
Transrapid jetzt auf dem Altar der Koalition geopfert.
({7})
Denn immer noch sprechen sich führende Sozialdemokraten für den Transrapid aus. Noch vor einer Woche
hat sich Bundesverkehrsminister Klimmt dafür eingesetzt. Der Punkt ist: Der Transrapid wurde jetzt aufgrund der Situation in der Koalition wegen der Grünen
beerdigt.
({8})
- Mehdorn war skeptisch. Aber erst als er die Ansatzpunkte der Grünen gesehen hat, hat er dem eine Absage
erteilt.
({9})
Es geht somit auch - damit will ich schließen - um
die Frage der Steuergelder. Man kann nicht vergnügt
darüber sein, dass jetzt Steuergelder in Höhe von fast
2 Milliarden DM und private Investitionskosten in Höhe
von 1,3 Milliarden DM beerdigt worden sind. Das haben
Sie verschuldet - aus politischen, nicht aus ökonomischen Gründen -: 3,2 Milliarden DM weggespült! Wie
wollen Sie so den Aufbruch in das 21. Jahrhundert erreichen? Zu Fuß?
({10})
Die Schlussfolgerung aus dieser verpassten Chance
ist: Die Spitze der Regierung zeigt einen Mangel an Risikobereitschaft. Wie wollen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft führen, wenn schon
die Regierung im EXPO-Jahr 2000 eines der interessantesten, der besten, der umweltfreundlichsten Verkehrsprojekte beerdigt? Da hat die deutsche Politik versagt.
Kollege Börnsen, Sie
müssen zum Schluss kommen.
({0})
Ich
komme zum Schluss. - Damit schaden wir in diesem
EXPO-Jahr 2000 dem Ansehen Deutschlands ganz entscheidend. Mit dieser Beerdigung dokumentieren wir
Mangel an Risikobereitschaft.
Danke schön.
({0})
Es spricht jetzt der
Kollege Reinhold Hiller für die SPD-Fraktion.
Wolfgang Börnsen ({0})
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Börnsen, von
Ihnen habe ich schon bessere Reden gehört,
({0})
insbesondere gestern. Ihre heutigen Argumente sind
längst überholt.
Die Steuergelder, die Sie angesprochen haben, sind
bei jeder Entscheidung, die zum Transrapid getroffen
wird, verloren, weil die Strecke Hamburg-Berlin nicht
realisierbar ist. Das ist der Geburtsfehler dieser Diskussion über den Transrapid. Ich will das gerne näher begründen. Wir haben Ihnen das schon häufiger gesagt,
doch ist es von Ihnen immer wieder ignoriert worden.
Sie fahren mit dieser Eisenbahn oft von Hamburg bzw.
Flensburg nach Berlin. Wenn ich diese Strecke fahre,
stelle ich fest, dass ich meistens einen ganzen Waggon
für mich alleine habe. Diese Strecke ist im Eisenbahnverkehr in keiner Weise ausgelastet
({1})
und entspricht überhaupt nicht den Annahmen der Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Strecke HamburgBerlin. Dies ist der Geburtsfehler für den Transrapid.
Sie haben vorhin von Japan gesprochen.
({2})
- Ja, von China hat er auch gesprochen. - In Japan wird
die Strecke zwischen den beiden größten Ballungsräumen Tokio und Osaka entwickelt; der Verkehrsausschuss ist dort gewesen; Sie können das in dem Bericht
nachlesen. Dort wurde die Strecke zwischen den Räumen geplant, in denen die meisten Menschen wohnen.
Zwischen Hamburg und Berlin wohnen viel zu wenige
Menschen, um den Transrapid zu rechtfertigen.
Sie haben weiter kritisiert, wir erreichten heute noch
nicht die Fahrzeiten, die vor dem Krieg erreicht wurden.
Heute dauert die Fahrt auf dieser Strecke circa zweieinhalb Stunden. Dies war eines der Argumente, mit welchem der Transrapid schöngerechnet wurde.
({3})
Das müssen wir hier auseinander halten. Dies war der
Grund dafür, dass Sie Ihr Versprechen nicht eingehalten
haben, die Strecke Hamburg-Berlin im Rahmen des
Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ zu realisieren. Sie
haben zu lange an Ihrem Glauben an den Transrapid, ich
betone: auf dieser Strecke, festgehalten.
Deshalb bin ich froh, dass Bundeskanzler Schröder
erklärt hat, dass jetzt Mittel zur Entwicklung dieser
Bahnstrecke eingesetzt werden sollen. Das hätte schon
längst geschehen müssen. Dass das bisher nicht geschehen ist, war Ihr Versäumnis und nicht das Versäumnis
der neuen Bundesregierung.
({4})
Sie wurden immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Bereits in der Anhörung haben die Verkehrswissenschaftler auf diese Tatbestände hingewiesen. Sie
wollten es nicht hören und haben daher weggehört. Sie
haben sogar weggehört, als der damalige Verkehrsminister Wissmann vorsichtig versucht hat, diese Strecke infrage zu stellen.
({5})
Sie haben aus ideologischen Gründen weggehört.
Mich enttäuscht, dass Sie sogar heute in der Opposition noch weghören und nicht ernst nehmen, was beispielsweise die Industrie gesagt hat. Der jetzige Beschluss zum Transrapid ist im Konsens mit der Industrie
gefasst worden. Sie können mir glauben: ich habe im
Kapitalismus noch kein Unternehmen kennen gelernt,
das sich verweigern würde, wenn irgendwo eine Mark
zu verdienen ist.
({6})
Das habe ich noch nie erlebt und das sollten auch Sie als
Marktwirtschaftler wissen. Die Industrie hat letztlich
zugestimmt, weil sie zu der Auffassung gekommen ist,
dass auf dieser Strecke kein Geld zu verdienen ist.
({7})
Das muss man feststellen.
Diese Strecke rechnet sich auch nicht mit Ideologie.
Auf der geplanten Strecke liegen keine Ballungsgebiete.
Sie liegen möglicherweise im Bereich von Rhein/Ruhr
oder Rhein/Main. Ich will keine neue Streckendiskussion beginnen. Das tut man auch nicht fünf Minuten nach
so grundlegenden Entscheidungen. Darüber muss man
lange nachdenken und deshalb sind für die Prüfung, ob
es noch eine andere mögliche Strecke gibt, zwei Jahre
vorgesehen.
Der Transrapid wäre langfristig der Klotz am Bein
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Eisenbahn gewesen
({8})
und hätte die Situation der Eisenbahn gegenüber anderen
Verkehrsträgern - insbesondere der Straße - weiterhin
verschlechtert. Auch das, Kollege Börnsen, haben Sie
ignoriert. Wir sollten einmal ehrlich sein: Eine für den
Transrapid prognostizierte Fahrzeit von 90 Minuten auf
der Strecke Hamburg-Berlin ist auch mit der Eisenbahn
machbar. Damit bedienen Sie alle Verknüpfungspunkte
sowie den Güterverkehr. Auch 95 Minuten wären ehrlicherweise industrie- und verkehrspolitisch tolerabel. Wir
wollen hier nicht weiter um das goldene Kalb Transrapid tanzen.
Der Exportschlager wurde immer angekündigt, wenn
irgendwelche Diskussionen oder Entscheidungen anstanden. Bisher hat sich auf keinem Kontinent ein ernst8210
hafter Interessent gefunden. Das müssen wir leider auch
zur Kenntnis nehmen.
Danke sehr.
({9})
Jetzt spricht der Kollege Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Schmidt, auf Ihr Zuhören lege ich besonderen Wert.
Ich bin vorhin zu spät gekommen, weil ich von Hannover hier herübergefahren bin, wo eine InfrastrukturVision im Bereich der Weser vorgestellt wurde. Ich bin
zu spät gekommen, weil in meinem Heimatort heute 110
Frauen ihre Arbeit verloren haben, da die Firma Steilmann ihre Produktion ins Ausland verlegt. Ich bin zu
spät gekommen, weil die Umweltverbände schon wieder
gegen das Emssperrwerk klagen und das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg diese Klage angenommen hat.
Ich denke, Herr Schmidt, vor diesem Hintergrund - ({0})
- Halten Sie einfach mal den Mund. Wenn Sie da nichts
empfinden, Herr Schmidt, dann glaube ich wirklich,
dass sich eine Auseinandersetzung mit Ihnen nicht lohnt.
({1})
Vor diesem Hintergrund, Herr Schmidt und liebe
Kolleginnen und Kollegen, diskutieren wir im Rahmen
der Aktuellen Stunde die Perspektiven des Transrapid.
({2})
- Herr Schmidt, lassen Sie uns einen Schlussstrich ziehen. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen keine Anwendung des Transrapid in Deutschland, Sie wollen keine
weitere Erforschung der technologischen Möglichkeiten
des Transrapid.
({3})
Ich setze darauf, dass der Bundeskanzler, dass Frau
Mertens und die Freunde von der Sozialdemokratischen
Partei und auch andere, auch der Vertreter der PDS - ich
begrüße das, was Sie gesagt haben, ausdrücklich -, zu
neuen Konzepten vielleicht auch im Nahverkehr beitragen werden, die darauf abzielen, den Transrapid in
Deutschland zur Anwendung zu bringen.
Herr Schmidt, ich war bis jetzt der Meinung - dieser
Meinung bin ich nach wie vor -, dass die Technologie
des Transrapid so etwas wie eine Vision von ökologischem, schnellem, sicherem Verkehr in Deutschland ist.
({4})
Vor diesem Hintergrund habe ich bis jetzt mein Engagement für den Transrapid gesehen. Ich glaube, das ist
nach wie vor richtig.
Der Transrapid ist eine Zukunftstechnologie. Der Transrapid ist eine ökologische Technologie, der Transrapid
ist eine sichere Technologie. Nun, liebe Freunde, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir in dieser
Technologie bleiben.
Der eine fängt an und diskutiert eine Strecke von
Bremen nach Amsterdam, der Nächste diskutiert eine
Strecke von Köln nach Bonn, der Nächste diskutiert eine
Strecke von Huhn nach Hahn, hätte ich fast gesagt. Das
ist doch katastrophal, was hier im Moment stattfindet!
({5})
Wir reden den Transrapid in seinen Anwendungsmöglichkeiten durch solche überstürzten Diskussionen tot.
Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unternehmen,
um die Anwendungsstrecke in Lathen so zu konditionieren, dass diese Strecke Zukunft hat, dass diese Strecke
die Möglichkeit bietet, Interessenten dieser Technologie
etwas zu zeigen, was sie überzeugt, dass diese Technologie exportfähig ist.
({6})
Es geht auch um die Arbeitsplätze der Menschen in
Lathen. Es geht darum, dass die Teams, die in diesen
Bereichen forschen, erhalten bleiben. Machen Sie bitte
mit.
({7})
- Machen Sie mit, Frau Mertens? Stellen Sie Haushaltsmittel bereit, damit die Anwendungsstrecke in
Lathen, die ja mittlerweile 17 Jahre alt ist und die im
Grunde genommen schon nach 10 Jahren hätte erneuert
werden müssen, so konditioniert wird, dass sich die
Transrapid-Technologie voll entfalten kann? Machen
Sie das mit? Sagen Sie Ja.
({8})
Setzen Sie sich bei den nächsten Haushaltsplanberatungen dafür ein, dass Mittel bereitgestellt werden? Setzen
Sie sich im Bereich von Forschung und Entwicklung dafür ein, dass diese Strecke dann auch zweispurig ausgebaut wird?
({9})
Setzen Sie sich dafür ein, dass die Menschen, die dort
arbeiten, hoch qualifizierte Fachleute, in dieser Arbeit
Reinhold Hiller ({10})
bleiben, damit wir uns gemeinsam auf einen Weg begeben, neue, zukunftsorientierte Technologien zu erschließen?
({11})
- Lieber Kollege Schmidt, ich würde gern hören, was
Sie sagen, aber ich kann schlecht hören, während ich rede. Bitte melden Sie sich. Ich bin dann gern bereit, mit
Ihnen darüber zu diskutieren.
({12})
- Herr Schmidt, wenn Sie als starke Persönlichkeit in
der SPD sagen: „Wir werden dafür sorgen, dass die Versuchsstrecke in Lathen die Möglichkeit bietet, die Transrapid-Technologie weiterzuentwickeln,
({13})
damit wir das Ziel, eine Referenzstrecke in Deutschland
auf den Weg zu bringen, nicht aus den Augen verlieren“,
dann bin ich sehr damit einverstanden. - Herr Schmidt,
ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln.
({14})
- Wie kommen Sie dazu, zu sagen, dass das, was ich sage, Unsinn ist? Woher nehmen Sie das Recht, so etwas
zu sagen?
({15})
Haben Sie schon einmal mit den Menschen, die die
Technik in Lathen erproben, geredet? Sind Sie schon
einmal mit dem Transrapid gefahren? Haben Sie sich in
Japan nach der Transrapid-Technologie erkundigt? Nach
meiner Meinung ist es nicht korrekt, dass Sie etwas aus meiner Sicht - Vernünftiges, das jemand zu den Zukunftschancen des Transrapid sagt, als Unsinn abtun.
({16})
Auch wenn Sie hier schon ein bisschen länger sitzen als
ich, haben Sie nicht das Recht, ein Urteil über eine
Technologie und über die Chancen der Menschen auf
Arbeitsplätze zu fällen, wie Sie es getan haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Koalitionspartner, die
Grünen, hat sich heute von jeder Form der TransrapidTechnologie in Deutschland verabschiedet.
({17})
Die Grünen sind die großen Sieger.
({18})
Ich muss Herrn Schmidt loben: Er war immer gegen diese Technologie. Er war immer gegen die Anwendung.
Er war immer für die Eisenbahn. Das hat vielleicht auch
etwas damit zu tun, dass er im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sitzt. Aber Herr Schmidt hat seine Linie
wenigstens konsequent vertreten.
Nur, das, was Sie, Herr Schmidt, und Ihre Kollegen
von der SPD machen, ist Verhohnepipeln der Menschen,
die an dieser Technologie arbeiten. Das ist Verlogenheit.
Kollege Goldmann,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das ist nicht
mit Ihren Positionen im Koalitionsvertrag in Einklang zu
bringen. Das ist auch nicht mit dem in Einklang zu bringen, was Schröder damals als Ministerpräsident in Niedersachsen und jetzt als Bundeskanzler über die Transrapid-Technologie gesagt hat. Wenn Sie behaupten, ich
redete Unsinn, dann muss ich sagen: Sie lügen beim
Transrapid.
({0})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Kristin Heyne für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Lieber Kollege Goldmann, angesichts der
Krokodilstränen, die Sie in aller Breite zelebriert haben,
muss man genau hinschauen, wie der Ausstieg zustande
gekommen ist.
({0})
Es reicht nicht aus, in Lathen eine interessante und faszinierende Technik zu entwickeln. Dass sie das ist,
möchte ich gar nicht bestreiten. Natürlich bin ich mit
dem Transrapid gefahren. Natürlich ist das eindrucksvoll. Herr Goldmann, das reicht aber nicht. Eine gute
Technologie kann nämlich nur dort vernünftig eingesetzt
werden, wo sie ihre Stärke entwickeln und wo sie wirtschaftlich betrieben werden kann. Das kann sie zwischen Hamburg und Berlin nicht.
({1})
Herr Krause, der später „Tankstellen-Krause“ genannt wurde, und sein Nachfolger, Herr Wissmann, haben gedacht: Jetzt gibt es ein Beschleunigungsgesetz.
Jetzt können wir den Transrapid auch bald fahren lassen.
- Alle anderen Aspekte haben sie unter den Tisch fallen
lassen. Sie haben im Zeitraum von 1993 bis 1995 keine
vernünftige Wirtschaftlichkeitsprüfung durchführen lassen; vielmehr ist die Strecke Hamburg-Berlin - darauf
hat der Kollege Börnsen richtigerweise hingewiesen absichtlich langsamgerechnet worden. Man hat die Zahlen absichtlich hochgerechnet. Man hat geglaubt, die
Leute würden mit dem Transrapid nach Berlin fahren,
um von dort weiterzufliegen. All diese Rechnungen haben wir hier zigmal diskutiert.
Herr Wissmann hat schon seit einigen Jahren gesagt:
Transrapid ja, aber nur, wenn er wirtschaftlich ist. Das
wollten Sie damals nicht hören. Er hat sehr früh angedeutet, dass der Transrapid zwischen Hamburg und Berlin nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Damals
sind die Planungen nicht auf vernünftige Füße gestellt
worden. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Wir haben ein Gesetz beschlossen, das ein absolutes Unikum
war, nämlich das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz.
Normalerweise ermittelt man einen Bedarf. Aber hier ist
der Bedarf per Gesetz festgelegt worden. Das ist die
Crux mit der Planung dieser Technologie gewesen.
({2})
Nebenbei eine Bemerkung zur Referenzstrecke: Natürlich braucht man eine Referenzstrecke, wenn man eine Technologie verkaufen möchte, entweder im Inland
oder im Ausland. Aber jeder künftige Kunde wird doch
zuerst schauen: Funktioniert das Ding und arbeitet es
wirtschaftlich? Die Wirtschaftlichkeit hätte man zwischen Hamburg und Berlin nicht beweisen können. Das
heißt, diese Strecke wäre noch nicht einmal als Referenzstrecke geeignet, auch dann nicht, wenn Sie noch so
viele Subventionen hineingeknallt hätten, wie Sie es
eben in Ihrem Beitrag - das hat mich etwas gewundert gefordert haben.
({3})
- Zwischenfragen sind hier nicht erlaubt.
Ich bin auch etwas enttäuscht, dass der Kollege Fischer heute nicht hier ist. Ich habe gedacht, dass eine
solche Debatte eine gute Gelegenheit für unser übliches
Spiel sei. Aber es gibt gute Gründe dafür, dass er nicht
hier ist. Jetzt wird nämlich deutlich, was Hamburg dafür
zahlen muss, dass so lange unverantwortlich geplant
worden ist.
({4})
Die Hamburger haben inzwischen festgestellt, dass man
für die Strecke von Hamburg nach Berlin zweieinhalb
Stunden und für die Strecke zwischen Hannover und
Berlin nur eineinhalb Stunden benötigt. Aber jetzt entstehen die Geschäftskontakte zwischen Hamburg und
Berlin oder zwischen Berlin und Hannover, wo sich eine
neue norddeutsche Wirtschaftsstruktur herausbildet.
Dieser Zeitpunkt ist jetzt und nicht erst in zehn Jahren.
Jetzt ist Hamburg eben nicht in der Lage zu konkurrieren, weil der Herr Wissmann und der Herr Fischer große
Rosinen im Kopf hatten. Deswegen steht Hamburg heute im Hemd da.
({5})
Diese rot-grüne Bundesregierung sorgt endlich dafür,
dass es jetzt mit der größtmöglichen Geschwindigkeit
eine vernünftige Verbindung zwischen Hamburg und
Berlin gibt. Noch in diesem Jahr werden wir den Ausbau
realisieren, damit möglichst schon beim nächsten Fahrplanwechsel eine Beschleunigung eintreten kann. Wenn
das geschehen ist, sollten wir in aller Ruhe schauen,
welche Strecke - es gibt zwei: die über Uelzen und
Stendal bzw. die über Büchen und Wittenberge - die geeignetere für den Hochgeschwindigkeitsverkehr und
welche die geeignetere für den Güterverkehr ist. Jeder
weiß, dass es auf Dauer sinnvoll ist, diese beiden Verkehre zu trennen.
({6})
Auf diese Untersuchungen haben Sie ganz bewusst zehn
Jahre lang verzichtet. Weil es diese Untersuchungen
nicht gibt, müssen wir sie heute erst durchführen.
({7})
Ich bin froh, dass der Bundeskanzler und der Minister
deutlich gesagt haben: Es wird in allerkürzester Zeit das
Geld für diese notwendige Strecke zwischen Hamburg
und Berlin geben und wir werden bald schneller hierhin
zu unserem Arbeitsplatz kommen können.
Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Es
ist nicht nur so, dass die Bahn durch den Verzicht auf
den Transrapid ein Pleiteprojekt nicht übernehmen
musste - es wäre für die Bahn ein Fass ohne Boden geworden -; vielmehr hat dieser Verzicht auch noch eine
andere wichtige Folge: Für die Hamburger und auch für
die Schleswig-Holsteiner in der Region bleibt wertvolles
ökologisches Gebiet erhalten, zum Beispiel die Hahnenkoppel. Das ist ein zukünftiges Naturschutzgebiet. Da
gibt es noch Wald mit seltenen Pflanzen und seltenen
Tieren. Es ist ein sehr wertvolles Naherholungsgebiet in
unmittelbarer Nähe der Stadt.
Sie wollten - unnötigerweise, nicht weil ein großer
Bedarf bestand - durch dieses Gebiet eine Strecke bauen; sie wollten den Anwohnern in Hamburg und in
Schleswig-Holstein unnötigerweise eine zusätzliche
Trasse zumuten. Das werden wir nicht tun. Aber die
CDU in Schleswig-Holstein hat verkündet, dass sie eine
zehnjährige Ökopause machen und dass sie zehn Jahre
Zeit haben möchte, alle diese Gebiete platt zu machen.
Erst danach will sie sich wieder mit Ökologie beschäftigen. Genau das wollen wir nicht und auch die Wähler
werden es nicht wollen.
({8})
Es spricht jetzt für
die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Paul Krüger.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die
Diskussion schon ziemlich absurd, obwohl sie wieder
einmal deutlich macht, wie die Positionen der einzelnen
Fraktionen zu modernen Technologien sind. Wir befassen uns damit ja nicht zum ersten Mal im Plenum des
Deutschen Bundestages, sondern kontinuierlich; insofern sind die Argumente nicht neu.
Allerdings habe ich immer daran geglaubt, dass es
uns gelingen wird, die Magnetbahntechnik in Deutschland wirklich in Bewegung zu bringen bzw. aufs Gleis
zu setzen. Seit heute habe ich diesen Glauben endgültig
verloren. Letztlich erbringt die Koalition ein Opfer gegenüber den Grünen. Wer sich die Beiträge hier angehört hat, der ist sich dessen sicher.
Sie müssen sich einmal die Absurdität dieser Debatte
vor Augen führen. 30 Jahre lang haben wir bei ständigen
Kontrollen eine Technologie entwickelt, in die Milliarden investiert worden sind - und das nicht ohne rechtliche Reglements. Wenn ich allerdings die Vertreter der
Grünen höre, dann habe ich das Gefühl, dass wir wirklich in einer Bananenrepublik leben. Nur zur Erinnerung: Diese Technologie ist unter anderem von Ihrer
Fraktion in den 70er-Jahren gepuscht worden.
Wir haben nach ausführlicher und gewissenhafter
Diskussion in diesem Hause dieses Projekt vorbereitet.
Die Planungen sind inzwischen abgeschlossen. Alles,
was notwendig ist - es handelt sich um ein gewaltiges
Pensum -, ist erledigt. Und wir stehen heute an dieser
Stelle und müssen darüber diskutieren, ob wir nach all
diesen Maßnahmen das Projekt tatsächlich realisieren
wollen. Sind wir denn noch normal?
({0})
Die ganze Welt schaut auf uns, und wir lassen ein Projekt sterben, das wir wirklich in akribischer, langer und
kostenträchtiger Arbeit entwickelt haben.
({1})
Nur um Ihre scheinbare Unkenntnis zu beseitigen: Es ist
im Übrigen seinerzeit eine ganze Reihe von Trassen untersucht worden. Ich finde Ihr Verhalten frech und bemerkenswert. Ich erwarte von Ihnen ein öffentliches Bekenntnis dazu, wie Sie mit denjenigen Menschen - es
waren Wissenschaftler dabei - umgehen wollen, die seinerzeit die Untersuchungen der Trassen gewissenhaft
durchgeführt haben. Das ist keine politische Entscheidung gewesen, es war eine sachlich fundierte Entscheidung. Wollen Sie hier allen Ernstes behaupten, dass diese Menschen manipuliert waren? Dann müssen Sie das
öffentlich verkünden. Ich finde es schon unerhört, in
welcher Weise hier mit einer wichtigen Verkehrstechnologie umgegangen wird.
({2})
Die Hauptargumente von den Grünen und insbesondere von Herrn Schmidt zielten heute auf die betriebswirtschaftliche Seite dieser Technologie. Es ist in der
Tat nicht verwunderlich, dass man dann, wenn man dieses Problem nur durch die betriebswirtschaftliche Brille
anschaut, den Transrapid nie wird bauen können. Das ist
wahr. An den Transrapid werden mittlerweile nämlich
strengere wirtschaftliche Anforderungen gestellt, als sie
jemals an die Bahn gestellt worden sind. Wo rechnet
sich denn die Bahn betriebswirtschaftlich?
({3})
Der Transrapid aber soll solche Vorgaben von Anfang
an erfüllen, obwohl wir wissen, dass ein Streckenkilometer bei ihm wesentlich billiger ist als bei der Bahn.
Das wird öffentlich nie verkündet. Auch das möchte ich
hier noch einmal ganz deutlich feststellen.
Der Transrapid ist nicht nur aus ökologischer Sicht
eine bessere Technologie, sondern er ist auch eine wesentlich billigere Technologie. Es fällt schon schwer
hinzunehmen, dass eine Technologie, die geeignet ist,
die gesamte heutige Verkehrstechnik zu revolutionieren,
insbesondere einen Beitrag zur Lösung der riesigen
Probleme im Flugbereich und insbesondere bei Nachtflügen zu leisten, die einfach unter den Teppich gekehrt
werden - hier zeigt diese Technologie eine wirklich
weltweit einsetzbare Alternative auf -, von Ihnen aufgrund betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte geopfert
werden soll. Ich kann die Welt nicht mehr verstehen,
wenn ich das höre.
({4})
Ich verstehe sogar die Argumentation der Grünen,
dass wir uns nicht permanent immer schneller, weiter,
höher und besser fortbewegen können.
({5})
Wir haben aber nun den seltenen Fall - dieses Ziel wurde von Anfang an so anvisiert -, dass uns eine Technologie zur Verfügung steht, die schnellere Fortbewegung
ermöglicht, aber in Bezug auf fast alle Parameter ökologischer, sicherer und viel komfortabler und damit letztlich viel attraktiver als andere Technologien ist. Deshalb
kann ich Sie nur noch einmal dringend auffordern, sich
zu dieser Technologie zu bekennen und hier keinen großen Fehler zu machen.
Abschließend, nachdem schon alle Argumente ausgetauscht worden sind, will ich Ihnen noch eines sagen:
({6})
Mich ärgert natürlich besonders, dass die Nichtrealisierung dieser Technologie für die neuen Bundesländer besonders schwierige Bedingungen schafft. Wir haben seinerzeit nicht nur auf den A3XX gesetzt, sondern auch
ein wenig auf den Transrapid. Tausende von Arbeitsplätzen werden aufgrund dieser Entscheidung verloren
gehen: im Bereich der Planung, im Bereich des Baus,
vor allem aber im Bereich des Betriebs und der Instandsetzung.
({7})
All diese Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die Attraktivität einer ganzen Region wird gemindert. Schwerin ist kein Haltepunkt mehr. Im Übrigen hatten wir
auch darauf gesetzt, dass der Transrapid als weltweite
Neuheit Attraktivität entfaltet. Nicht zuletzt wird natürlich auch der ICE - der Ausbau der Trasse für ihn wird
noch viel Geld kosten - an Mecklenburg-Vorpommern
vorbeirollen.
Herr Kollege Krüger,
Sie müssen zum Schluss kommen.
Dieses Verhalten
steht symbolisch für den Umgang dieser Bundesregierung mit den neuen Bundesländern.
Ich kann Sie nur auffordern, dieses Projekt nun
schnellstens mit Risikobereitschaft und Augenmaß auf
die Schiene zu setzen. Die Realisierung einer Alternative würde mindestens einen Zeitraum von zehn Jahren
für die Planung in Anspruch nehmen.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Christine Lucyga, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner
Frau Sothmann, Herr Börnsen und Herr Krüger! Das ist
nicht die erste Debatte zu diesem Thema - das ist richtig -, es wird auch nicht die letzte Debatte zum Transrapid sein; denn wir halten hier keinen Nachruf, sondern
es geht auch uns darum, künftig die Transrapid-Technik
mit vertretbarem finanziellem Aufwand endlich serienreif zu machen.
({0})
Wenn wir heute zur Kenntnis nehmen müssen - das
bedaure ich, da ich aus Mecklenburg-Vorpommern
komme, natürlich sehr -, dass es für die strukturschwachen Länder Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vorerst keinen Anschluss an diese Hochtechnologie
geben wird, dann müssen wir auch die Frage nach neuen
Impulsen für den Norden auf die Tagesordnung setzen,
damit insbesondere nicht das Land MecklenburgVorpommern zum Verlierer wird. Insofern gebe ich Ihnen natürlich Recht. Ich werde mich dennoch nicht auf
das Schwarzer-Peter-Spiel einlassen, das die Opposition
hier anfangen will. Ich möchte lediglich anmerken, dass
Risikobereitschaft, um Innovationen zum Durchbruch zu
verhelfen, nicht allein Angelegenheit des Staates sein
kann.
Deshalb haben wir bei der Übernahme der Regierungsverantwortung klar gemacht: Wir halten am Transrapid fest. Denn er ist eine faszinierende Innovation. Wir
beteiligen uns an der Realisierung dieses Projektes, und
zwar entsprechend der Eckpunktevereinbarung zwischen
Bund, DB AG und Industrie vom April 1997 - sie
stammt also noch aus Ihrer Ära -, und wir behalten die
vereinbarte Kosten- und Risikoverteilung bei, und das
nicht zuletzt im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Sie hier ja ständig beschwören. An
diese Zusagen haben wir uns gehalten.
Wir haben aber auch klar gemacht, wo für uns Grenzen sind. Wenn die Umsetzung dieses Projektes so einfach gewesen wäre, wie Sie von der Opposition jetzt tun,
({1})
dann frage ich mich, warum Sie seinerzeit nicht so gehandelt haben, wie Sie heute darüber sprechen.
({2})
Denn Sie hatten doch Gelegenheit, dieses Projekt sicherzustellen. Es befindet sich immerhin seit 1992 im
Bundesverkehrswegeplan.
({3})
- Herr Krüger, dann frage ich Sie, warum der frühere
Bundesverkehrsminister Wissmann es bis 1998 nicht
fertig gebracht hat, einen entscheidungsreifen Vertrag zu
unterzeichnen.
Mit dem Transrapidvorhaben wurden aber auch Weichen gestellt - und zwar durch Sie -, die nicht ohne weiteres um- oder abzustellen sind. Denn zugunsten des
Transrapids sind im norddeutschen Raum und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern dringend notwendige
Investitionen in die Schieneninfrastruktur zurückgestellt
worden. Herr Krüger, daran haben Sie mitgewirkt und
wir müssen diese Versäumnisse aufarbeiten.
({4})
- Herr Krüger, als Minister waren Sie ein Hasenherz.
Heute haben Sie ein Löwenmaul. Lieber wäre mir gewesen, es wäre umgekehrt gewesen.
({5})
Unter den neuen Voraussetzungen muss zum Beispiel
mit Blick auf die zunehmenden Skandinavienverkehre
und die EU-Osterweiterung ein Ausbau der Schienenverbindung Warnemünde-Rostock-Berlin erfolgen, die
in Ihrer Ära völlig aus der Optik geraten ist und bei der
zurzeit die bestehenden Möglichkeiten als kürzeste Verbindung von Nord nach Süd nicht ausgeschöpft werden.
Wenn bei einer Strecke von circa 240 Kilometern die
Fahrzeit drei Stunden beträgt, dann hat die Bahn natürlich schlechte Karten. Die Bahn wurde in diesem Spiel
von vornherein auf Platz zwei gesetzt. Darüber müssen
wir nachdenken.
Angesichts einer eventuellen ICE-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin muss auch über einen Halt in
Mecklenburg-Vorpommern diskutiert werden. Denn eine Anbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz der
Bahn ist für Mecklenburg-Vorpommern unbedingt erforderlich.
Zu den Erwartungen, die Sie sträflicherweise geweckt
haben, gehören auch Arbeitsplatzerwartungen. Der frühere Verkehrsminister hat da einfach locker vom Hocker
18 000 Arbeitsplätze an die Wand gemalt.
({6})
Niemand bestreitet, dass in der Trassenregion, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg, sowohl temporär als auch in der Betriebsphase die Schaffung einiger hundert hochwertiger Arbeitsplätze möglich gewesen wäre.
({7})
Wenn wir jetzt nach Alternativen suchen, werden wir
über komplementäre und kompensatorische Maßnahmen
nachdenken müssen, und zwar dergestalt, dass die aktuelle Entscheidung hinsichtlich des Transrapids nicht als
Schlussstrich gewertet wird, sondern als Beginn neuer
Überlegungen, bei denen Mecklenburg-Vorpommern
selbstverständlich nicht zum Verlierer werden darf. Das an Sie, Herr Krüger.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Vorhang zu für das Trauerspiel
Transrapid! Das Stück ist lang und hat sich im Laufe der
Zeit von einem Innovationsstück und Lustspiel zu einem
Trauerspiel entwickelt.
({0})
Der Spielplan sieht folgendermaßen aus - er umfasst
sehr viele Seiten -: 1922 wurde diese Technik erfunden,
1969 gab Verkehrsminister Leber von der SPD
({1})
den Auftrag zur Durchführung eines Transrapidprojektes; merken Sie sich das bitte einmal. 1979 wurde der
Transrapid vorgestellt und 1983 in Betrieb genommen.
1992 kam es zur Aufnahme der Magnetschwebebahnverbindung Hamburg-Berlin in den Bundesverkehrswegeplan. 1998 erfolgte die Planfeststellung für die Strecke
Hamburg-Berlin, jetzt, im Jahre 2000, die Beerdigung.
Nachdem kritisiert worden ist, dass unser Kollege
Dirk Fischer nicht anwesend ist, muss ich fragen: Wo ist
denn eigentlich der Grabredner Klimmt? Er hat sich ja
immer für den Transrapid ausgesprochen. Wenn er
meint, dass er eine andere Strecke schneller realisieren
kann, dann täuscht er sich. Machbarkeitsstudien können
vielleicht schnell durchgeführt werden, aber die
Planungszeiten bis zur Baureife sind lang. Wir haben ja
heute von den Grünen gehört, dass sie sich von dieser
Technik verabschieden.
Mit dem Aus für den Transrapid ist der Abschied
von der Zukunftsfähigkeit des Technologiestandortes
Deutschland eingeläutet. Die Aussicht auf viele Arbeitsplätze ist zerstört. Viele bereits vorhandene Arbeitsplätze werden vernichtet werden. Ich habe gerade
gehört, dass es sich in der ersten Phase um
100 Arbeitsplätze handelt. Es ist eine Schande für die
Bundesregierung, dass eine neue Verkehrstechnik bei
uns nicht mehr durchzusetzen ist.
({2})
Wo bleibt denn eigentlich die Glaubwürdigkeit des
Bundeskanzlers, der zwar vollmundig getönt hat, der
Transrapid werde gebaut, der aber jetzt auf Tauchstation
gegangen ist? Für Panzerlieferungen hat Schröder eine
Koalitionskrise riskiert. Für die Realisierung des Transrapid rührt er aber keinen Finger.
({3})
Das ist die widersprüchliche Politik von Rot-Grün, mit
der Deutschland im weltweiten Wettbewerb um Hightecharbeitsplätze ins Abseits gestellt wird.
Wenn beim Transrapid von mangelnder Wirtschaftlichkeit die Rede ist, dann muss ich sagen, dass dies ein
an den Haaren herbeigezogenes Argument ist. Es geht
nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um eine neue
Technik, die in Deutschland angewendet werden soll.
Auch manche ICE-Strecke rechnet sich nicht sofort.
Es muss daher ein entsprechendes Angebot geschaffen
werden. Die Behauptung, die ICE-Trasse HamburgBerlin könne mit 350 Millionen DM gebaut werden wie Mehdorn im Ausschuss sagte -, ist doch unsinnig
und auch gelogen; denn man braucht wesentlich mehr
Geld für den Bau der Strecke Hamburg-Berlin.
Kollege Schmidt, da Sie von der Wirtschaftlichkeit
und den Fahrgastzahlen geredet haben, muss ich Ihnen
Folgendes sagen: Sie haben einmal eine Anfrage an die
Bundesregierung gerichtet. In der Antwort der Bundesregierung steht, dass sich die Fahrgastzahlen für den
Transrapid nach Angaben der DB aufgrund der bekannten ICE-Zahlen für die Strecke Hamburg-Berlin rechnen. Diese Tatsache muss man im Kopf haben. Aber
Mehdorn will jetzt nichts mehr von dieser Strecke wissen.
({4})
Es ist auch klar, dass bei der Anwendung von neuen
Technologien in aller Regel zunächst einmal Unwirtschaftlichkeit in Kauf genommen werden muss. Auch
der Airbus hat viele Jahre rote Zahlen geschrieben, bevor er zum Plus-Geschäft wurde.
Kollege Schmidt, Sie müssen die „FAZ“ schon richtig zitieren. Glauben Sie denn im Ernst das, was in diesem „FAZ“-Artikel steht, nämlich dass sich eine Strecke
Berlin-Warschau-Moskau rechnet?
({5})
Ich kann nur darüber lachen, welche Zahlen in diesem
Zusammenhang im Umlauf sind. Sie müssen die Artikel
schon richtig zitieren, Herr Kollege Schmidt.
Ein Punkt ist heute in der Aktuellen Stunde ganz
deutlich geworden: Die Grünen würden am liebsten
wieder mit der Pferdekutsche fahren.
({6})
- Ist in Ordnung, Sie benutzen die Schnecke. - Die Grünen haben sich heute von der neuen Technik verabschiedet. Die SPD ist eingeknickt und gibt den Grünen
nach.
({7})
Im Grunde genommen ist das eine ganz große Schande
für die Regierungskoalition.
({8})
Die technologische Leistungsfähigkeit und das Ansehen
Deutschlands nehmen mit diesem Aus ganz großen
Schaden.
({9})
Nächster Redner ist
der Kollege Konrad Kunick von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir haben heute ein
Lehrstück in der Interpretation von Industriepolitik bekommen. Industriepolitisch sind Sie mit dem Transrapid
auf eine Weise umgegangen, dass es nur so zum Weinen
ist. Zwar schicken Sie im Nachhinein eine Betriebswirtin vor, aber vorher glaubte der Kollege Fischer, aus
welcher Intention auch immer - heute hat er sich wohlweislich verdrückt -, den Transrapid ohne rechnerische
Argumente puschen zu können.
Die CDU/CSU-Fraktion kann mit ihren laufenden
Transrapid-Debatten nicht davon ablenken, dass es ganz
besonders ihr früherer Verkehrsminister ist, der die Verantwortung dafür trägt, dass das Projekt HamburgBerlin heute so gut wie tot ist. Sie haben die Grundsätze
einer verantwortlichen Industriepolitik grob verletzt -
({0})
- schreien Sie nicht dazwischen, Herr Goldmann; Sie
können sich hinterher melden -, indem Sie die kleine
Emslandstrecke ohne die notwendige Erprobung im Tagesverkehr, ohne die notwendigen Kalkulationen und
mit deutlich überhöhten Benutzerzahlen - Sie haben anfangs von 14 Millionen Benutzern gesprochen - in den
internationalen Fernverkehr, in eine Fernstrecke
transplantieren wollten.
({1})
Sie haben mit allen Mitteln versucht, wirtschaftliche Erkenntnisse dahin gehend zu beugen, dass es sich rechnen
musste.
({2})
Dieser Leichtsinn fliegt nun am Ende auf. Das, was Sie
betrieben haben, war industriepolitisches Abenteurertum.
({3})
Das beweist nichts besser als die Zurückhaltung der Industrie und der Banken, die Sache mit etwas mehr Wagniskapital selber in die Hand zu nehmen. Diese Strecke
rechnete sich offenkundig nur, wenn Vater Staat von
vorne bis hinten bezahlte.
({4})
- Herr Kollege Goldmann, in unserer Koalitionsvereinbarung ist dies deshalb enthalten, weil wir nicht bereit
sind, die Sache so auszuschütten, als wäre hier nicht Erhebliches investiert worden, sondern weil die erste Frage
lautet: Was ist mit der Strecke Hamburg-Berlin? Da
stellt sich ja nun heraus, dass dies voll in den Sand gesetzt wurde, aber nicht durch uns, sondern durch Sie.
Und da muss man dann die Frage der Technologie von
der Frage der Strecken trennen.
({5})
- Ich habe das auch gründlich gelernt, Herr Kollege, und
zwar nicht im Osten, sondern im Westen, wo man rechnen lernen musste, wenn irgendetwas werden sollte.
Was Sie bisher vorgeführt haben, war eine technologiepolitische Inszenierung, aber keine Industriepolitik.
Es wird zu prüfen sein - im Übrigen kann ich nur anraten, beim Bundesverkehrsministerium sorgfältig in die
Akten zu schauen; das würde sich sicherlich lohnen -,
({6})
wie dieser Entscheidungsgang eigentlich vorbereitet
worden ist. Denn Logik steckt in der Entscheidung, die
kleine Emsland-Strecke auf die lange Strecke HamburgBerlin zu übersetzen, leider nicht.
Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Bundesverkehrsminister Klimmt ganz klar erklärt, die Bundesregierung wolle die „faszinierende Magnetbahntechnologie auf keinen Fall“ aufgeben. Ebenso begrüßen wir es,
dass zwecks Demonstration unter Praxisbedingungen eines täglichen stundenweisen Verkehrs nun eine kürzere,
sinnvolle Anwendung gesucht wird. Wenn Sie es heute
gelesen haben, dann haben Sie bewusst unterdrückt, dass
Bundesverkehrsminister Klimmt, in München beim
CSU-Verkehrsminister zu Besuch, darüber geredet hat,
ob nicht die Strecke zwischen München und dem Münchener Flughafen gegebenenfalls die richtige wäre.
({7})
Aber dass die CSU mit schnellen Abstaubertouren das,
was die CDU vorher versaut hat, an Land ziehen möchte, passt Ihnen heute wohl nicht sonderlich in den Kram.
({8})
Was die CSU so alles wünscht, kann ich hier nur zur
Kenntnis nehmen.
({9})
Jedenfalls berufe ich mich auf die zitierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Wenn Sie den Kommentar im
Ganzen gelesen haben, dann wissen Sie, dass darin steht,
eine Anbindung des Flughafens München sei wohl deshalb nicht sonderlich sinnvoll, weil man dort gerade die
zweite S-Bahn eingeweiht habe. Es komme darauf an,
eine Anwendung zu finden, bei der nicht schon parallele
Verkehre bestehen. Das ist auch die Schwäche der
Hamburger Strecke. Im Übrigen hat keiner ein Wort
darüber verloren, warum man eigentlich die Tüchtigkeit
der Hamburger Strecke dadurch reduzieren wollte, dass
man zukünftig nur noch alle zwei Stunden InterregioZüge fahren lässt, um die Leute überhaupt erst auf den
Transrapid zu prügeln. Aber all diese Schwächen können wir in aller Ruhe bei anderer Gelegenheit bereden.
Es kommt darauf an - und wir Sozialdemokraten bleiben dabei -, eine vernünftige Anwendung dieser Technologie, wenn es sie gibt, zu finden.
Herr Kollege
Kunick, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wer die Emslandstrecke selber befahren hat, stellt fest, dass es dort ordentlich läuft.
Es kommt dann darauf an, eine - höchstens - mittlere
Strecke in Deutschland zu finden, die etliche Punkte
sinnvoll miteinander verbindet, mit der man im weiteren
Tagesverkehr prüfen und dann auch zeigen kann, ob es
sich als exportfähig erweist. Daran führt kein Weg vorbei. Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU,
vorgeführt haben, war industriepolitisch hoch schädlich
für diese Technologie.
Letzter Redner in
dieser Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Ich fühle mich recht wohl, Frau Blank, auch deshalb,
weil wir seit 1991 - intensiv seit 1993/1994 - gemeinsam über die Problematik des Transrapid sowohl hier als
auch im Ausschuss und darüber hinaus auch in den Ländern diskutiert haben. Aber offensichtlich haben Sie,
Frau Blank, und Ihre Kolleginnen und Kollegen, die
damals in der Regierung waren, einige Dinge vergessen.
Vergessen haben Sie auch - jedenfalls scheint es Ihnen
nicht bekannt zu sein -, was der Minister mit der Industrie, und mit der Bahn AG letztlich verabredet hat: dass
es - ganz klar - kein Aus für den Transrapid gibt. Nur
auf der Strecke Hamburg-Berlin. Ich weiß, dass natürlich auch unserem Koalitionspartner diese Tatsachen
bekannt sind, was hier verabredet ist.
Und offensichtlich haben Sie, Herr Kollege Krüger,
der Sie sich hier so sehr ereifern, auch vergessen, was
Ihr ehemaliger Minister im Eckpunktepapier festgelegt
hat. Ich darf Ihnen einmal daraus vorlesen:
Sollte die Überprüfung der Betriebs- und Investitionskosten ergeben, dass die Werte deutlich vom
Eckpunktepapier abweichen, ist über das Projekt
neu zu entscheiden.
Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.
({1})
- Herr Krüger, ich habe im Namen der Regierung doch
ganz klar gesagt: Die Entscheidung ging gegen die Strecke Hamburg-Berlin. Sie bedeutet aber nicht ein Aus für
den Transrapid. Vielmehr halten wir an dieser Technologie fest.
({2})
Ich kann Ihnen nicht ersparen, Sie noch einmal darauf
hinzuweisen, was Herr Wissmann 1994 in das
Eckpunktepapier hineingeschrieben hat.
({3})
- Das ist nicht uninteressant, Frau Blank. Das ist der
Grund, warum wir heute überhaupt diese Aktuelle Stunde haben. Minister Wissmann hat schon 1994 gesagt:
Wir ziehen den Transrapid unbeirrt durch. Auf die Frage
eines Interviewers des „Tagesspiegel“, wie die Strecke
Hamburg-Berlin ertüchtigt werden solle, antwortete er:
Wir modernisieren die Bahn für den Regional- und
hochwertigen Güterverkehr.
Nun bin ich zufrieden und glücklich, dass die Bundesregierung damals die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ festgelegt hat und dass die Angleichung der
Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern ein
erhebliches Stück vorangekommen ist. Aber schauen wir
uns einmal das Verkehrsprojekt Nr. 2, Ausbau der
Schienenstrecke Hamburg-Büchen-Berlin, 270 km, etwas näher an: Ich hoffe, die Parteien der früheren Bundesregierung stehen nach wie vor zu diesem Ziel. Die
heutige Bundesregierung jedenfalls, auch der Koalitionspartner, steht zu dem Ziel der Verbesserung der Anbindung der neuen Bundesländer sowie der Länder Ostund Südosteuropas an die Nordseehäfen und der Schaffung einer leistungsfähigen Verbindung zwischen den
beiden größten deutschen Städten. Wenn ich mir aber
das Interview von Herrn Wissmann vor Augen führe „Wir modernisieren die Bahn für den Regional- und
hochwertigen Güterverkehr“ -, dann kann ich mir nicht
verkneifen, Ihnen vorzuhalten, dass das für mich keine
leistungsfähige Verbindung ist.
({4})
Auch den zweiten Punkt wollen Sie heute nicht mehr
wahrhaben. Wir handeln nicht wie Ihr damaliger Verkehrsminister auf der Grundlage von „Wunsch und Wolke“. Wir wollen heute nicht anfangen, über die
100 Milliarden DM oder über die Unterfinanzierung
des Bundesverkehrswegeplanes zu reden.
({5})
- Kollegin Blank, schon damals haben Ihnen das die
Verkehrsexperten, Verkehrswissenschaftler, Vertreter
der Bahn und die Oppositionsparteien - damals hatten
Sie ja noch die Mehrheit - bei den Anhörungen in den
Ausschüssen gesagt. Es ging schon immer um drei
gravierende Punkte: das Finanzierungskonzept der In-
dus-trie, die exportpolitischen Aussichten und die Ver-
antwortbarkeit der finanziellen Risiken vor dem Steuer-
zahler.
Die Redner der Opposition haben mehrfach den
Kanzler angesprochen. Sie hätten dabei aber - auch das
Interview aus China - zu Ende zitieren müssen. Der
Bundeskanzler hat - so wie auch Minister Klimmt - ge-
sagt: „Wir wollen den Transrapid.“ Er hat aber hinzuge-
fügt, dass er den Transrapid auf der Grundlage des Eck-
punktepapiers will. Darin stehen nämlich die 6,1 Milli-
arden DM für den Fahrweg.
Renate Blank [CDU/CSU]: Was Sie jetzt sa-
gen, ist Beerdigung erster Klasse!)
Der neue Schatzmeister der Union, Herr Wissmann,
der an sich mit Zahlen umgehen und rechnen können
sollte,
({6})
hat sich bei dieser Strecke damals um 2 bis 3 Milliarden DM verrechnet.
({7})
Das muss man so deutlich sagen.
({8})
- Das sage ich Ihnen, Kollege Goldmann, noch ganz
konkret.
Ich darf Ihnen noch einmal zitieren, was die alte Bundesregierung gesagt hat: Sie hielt - so sagte es der
damalige Verkehrsminister Wissmann - „die gewünschte Klarstellung bei Transrapid-Betriebskosten
für überflüssig.“ Nun gibt es mit Herrn Mehdorn einen
neuen Bahnchef. Wir sind nicht die DB AG; ich rede
auch nicht für die DB AG. Für Herrn Mehdorn aber ist,
so denke ich, die Klarstellung der Betriebskosten von
sehr großer Bedeutung.
({9})
Ihre Zahlen über die so genannten Beförderungsfälle änderten sich laufend: 14,1 Millionen, 12 Millionen,
11 Millionen. Jetzt sind wir - nehmen wir einmal
2,2 Millionen Fahrgäste pro Jahr zwischen Hamburg
und Berlin an - bei 8,8 Millionen. Das ist der Unterschied: Die Erlöserwartung für die Deutsche Bahn AG
tritt nicht so ein, wie wir uns das gemeinsam vorgestellt
haben.
({10})
- Der ICE? Die Kollegin ist jetzt leider nicht mehr anwesend und war auch damals bei der Diskussion zum
Transrapid und zu den ICE-Strecken nicht anwesend.
Sonst müsste sie wissen, dass gerade die Strecke Hamburg-Berlin im Rahmen des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“, wo wir 4,1 Milliarden DM mit einer zusätzlichen Milliarde, nicht aber über 11 Milliarden DM
eingestellt haben, bis zum Jahre 2004 so ausgebaut werden kann, das wir zumindest eine Option für 200 Kilometer in der Stunde haben.
Da Herr Goldmann danach gefragt hat, möchte ich
Ihnen natürlich sagen, was die Bundesregierung vorhat.
Minister Klimmt hat alle Ministerpräsidenten für den
25. Februar eingeladen, um sich mit ihnen zu besprechen und eine entsprechende Anwendungsstrecke in den
kommenden zwei Jahren zu suchen. Wir haben die Suche auf kürzere Strecken - der Beschleunigungseffekt
des Transrapid bzw. der Magnetschwebetechnik ist ja
auch dort gewaltig - und auf entsprechende Referenzstrecken im Regionalverkehr ausgeweitet.
Sie wissen, was wir wollen. Die Bundesregierung hat
schon die erste konkrete Vereinbarung mit dem Bundeskanzler und dem Finanzminister getroffen, nämlich rund
1 Milliarde DM für die Ertüchtigung der Strecke Hamburg-Berlin bereitzustellen. Sie wissen - das ist insbesondere an die Adresse des Kollegen Krüger gerichtet -,
dass wir zusätzlich mit 1 Milliarde DM circa 12 000 bis
15 000 Arbeitsplätze halten können. Natürlich weiß ich,
dass wir für die Strecke Hamburg-Berlin während der
Betriebsphase keine zusätzlichen Arbeitsplatzeffekte
haben werden. Nun sind die Ministerpräsidenten, auch
Herr Ringstorff und Herr Stolpe, der sich hier geäußert
hat, aufgerufen, mit uns gemeinsam mit der DB AG eine
entsprechende Referenzstrecke zu suchen.
Aber eines muss man Ihnen ganz deutlich sagen: Die
Erfüllung Ihrer Forderung nach einer Privilegierung der
Transrapid-Investitionen zulasten der Rad-SchieneTechnik, gerade im Rahmen der transeuropäischen
Hochgeschwindigkeitsnetze, kann es jetzt unter einer
verantwortungsvollen Bundesregierung natürlich nicht
geben. Da unterscheiden wir uns grundsätzlich von Ihnen.
({11})
- Sie fragen, was mit der Versuchsanlage im Emsland
geschieht. Sie bleibt bis auf weiteres in Betrieb. Auch
hier hat Minister Klimmt sehr schnell - Sie sagen, das
seien nur leere Worte, aber leere Worte gab es bis zum
Regierungswechsel - mit dem Finanzminister gesprochen.
({12})
- Das macht überhaupt nichts, Frau Blank. Wir haben
Experten, die Ihnen hier Rede und Antwort stehen können.
Wir haben jetzt ganz konkret 20 Millionen DM Jahreskosten. Davon übernimmt der Bund die Hälfte, jeweils 5 Millionen DM tragen die beteiligten Industrieunternehmen und die DB AG.
({13})
Damit ist auch die Durchführung der EXPO sichergestellt.
({14})
Herr Kollege Scheffler, da wir uns in einer Aktuellen Stunde befinden, muss
ich Sie an die Redezeit erinnern. Sie ist schon weit überschritten.
Ganz zum Schluss noch einmal, damit es deutlich für
Sie wird: Das Aus für den Transrapid auf der Strecke
Hamburg-Berlin bedeutet kein Aus für den Transrapid
schlechthin.
({0})
Wir wollen gemeinsam mit Bundesminister Klimmt und
dem Bundeskanzler notwendige Schritte veranlassen,
um nach Alternativstrecken zu suchen und diese Alternativstrecken in einem Zeitraum von zwei Jahren hier
vorzustellen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich schließe die temperamentvolle Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf Mittwoch, den 23. Februar 2000,
13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluss durchgehalten haben, ausdrücklich eine gute Heimreise, ob nun auf der Schiene oder auf anderen
Wegen.
Die Sitzung ist geschlossen.