Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/18/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: 10 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung ({0}) - Drucksache 14/2683 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Eine Steuerreform für mehr Wachstum und Beschäftigung - Drucksache 14/2688 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun ({3}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Unternehmenssteuerreform - Liberale Positionen gegen die Steuervorschläge der Koalition - Drucksache 14/2706 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steuersenkungsgesetz, das wir heute beraten, ist eines der größten Steuerreformpakete, das der Bundestag jemals beraten hat. ({0}) Es ist ein Meilenstein in der deutschen Steuerpolitik, ({1}) und zwar nicht nur wegen seiner quantitativen Auswirkungen, sondern auch wegen der überfälligen strukturellen Veränderungen des deutschen Steuersystems. Wir ziehen im Hinblick auf die Globalisierung konkrete Konsequenzen aus dem Veränderungsprozess in Europa und in der Welt. CDU und CSU haben bisher darüber nur geredet. Aber wir ziehen die konkreten Konsequenzen. ({2}) Deshalb haben Bundeskabinett und SPD-Bundestagsfraktion diesen Entwurf einstimmig beschlossen, dessen Eckpunkte ich jetzt erläutere. Bei den Kapitalgesellschaften sollen einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne ab dem 1. Januar 2001 mit einem einheitlichen und definitiven Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent besteuert werden. Diese vorgesehene kräftige Senkung der Steuersätze wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen am Standort Deutschland verbessern. Das wird sich vor allem auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken und ein Signal für die internationalen Investoren setzen. Das zurzeit noch geltende komplizierte Vollanrechnungsverfahren bei der Körperschaftsteuer ist missbrauchsanfällig und soll durch das wesentlich einfachere EU-konforme Halbeinkünfteverfahren ersetzt werden. Das löst auch das Problem bei den grenzüberschreitenden Kapitalanlagen. Kapitalgesellschaften sollen zukünftig einen definitiven Steuersatz von 25 Prozent bezahlen. Diese Belastung wird nicht mehr, wie beim geltenden Vollanrechnungsverfahren, auf die Steuerschuld der Anteilseigner angerechnet. Der Anteilseigner muss die Ausschüttung künftig nicht mehr vollständig, sondern nur noch zur Hälfte mit seinem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern. Für die Besteuerung der Personengesellschaften werden wir eine systematische Verbesserung schaffen. Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind Personengesellschaften oder Einzelunternehmen. Der Gesetzentwurf sieht Entlastungen für alle Personenunternehmen vor, unabhängig davon, ob es sich um Groß-, Mittel- oder Kleinunternehmen handelt. Deshalb haben all diejenigen Unrecht, die immer noch behaupten, wir würden nur etwas für die großen Unternehmen tun. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten in vielen Gesprächen mit Handwerkern, Kaufleuten und Existenzgründern beweisen, dass wir die steuerliche Situation der mittelständischen Wirtschaft verbessern. ({3}) Dies wird inzwischen selbst von Herrn Stihl vom DIHT anerkannt, der wohl nicht als Freund dieser Koalition gilt. ({4}) Die großen Personengesellschaften werden künftig die Möglichkeit haben, sich ohne Umwandlung ihrer Rechtsform in jeder Hinsicht wie eine Körperschaft besteuern zu lassen. Auch Freiberufler und Landwirte können diese Möglichkeit nutzen. Sie unterliegen dann aber auch der Gewerbesteuer. Eine Rosinenpickerei gibt es in diesem Zusammenhang nämlich nicht. Personengesellschaften, für die sich eine Option nicht lohnt, dürfen wie bisher die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abziehen und darüber hinaus zukünftig einen Teil der Gewerbesteuer in pauschalierter Form direkt mit der Einkommensteuerschuld verrechnen. Damit wird bei einem durchschnittlichen Gewerbesteuerhebesatz die heutige Gewerbesteuerbelastung beseitigt. Die Kommunen behalten dadurch ihre finanzielle Basis, weil die Gewerbesteuer als ihre große eigene Finanzierungsquelle erhalten bleibt. Wir wollen das auch so, während F.D.P. und Teile der CDU die Gewerbesteuer so schnell wie möglich gänzlich abschaffen wollen ({5}) - das ist ein wesentlicher Unterschied -, ohne dass sie eine Lösung anbieten können, ohne dass sie einen adäquaten Ersatz anbieten können. ({6}) Personenunternehmen, die wegen des Gewerbesteuerfreibetrages in Höhe von 48 000 DM keine Gewerbesteuer zahlen, also weniger gewinnstark sind, profitieren von den zukünftigen steuerlichen Entlastungen bei der Einkommensteuer, die über die bereits beschlossenen Maßnahmen im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes hinausgehen. Das betrifft 1,8 Millionen Unternehmen. Die Nettoentlastung durch die Unternehmensteuerreform beläuft sich auf gut 8 Milliarden DM. Das heißt, der Mittelstand wird seit 1998 bis zum Jahr 2005 durch das Steuerentlastungsgesetz und durch die Steuerreform 2000 um rund 17 Milliarden DM entlastet. ({7}) Die von der Opposition vorgebrachte Argumentation von einer willkürlichen Begünstigung der großen und einer Benachteiligung der kleinen Unternehmen ist deshalb haltlos. Es ist ein untauglicher Versuch, das Reformkonzept der Koalition schlechtzureden, obwohl es im In- und Ausland gelobt wird. Damit werden Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aber keinen Erfolg haben. ({8}) Im Übrigen argumentieren Sie sehr widersprüchlich. ({9}) Herr Glos hat gestern beklagt, dass wir nur etwas für die Großen täten. Die SPD ist jetzt sozusagen zur Partei des Großkapitals avanciert. ({10}) Das war die Formulierung. Als wir das Steuerentlastungsgesetz hier diskutiert haben, wurde von Ihrer Seite beklagt, dass wir Versicherungskonzerne und andere gewinnstarke Konzerne stärker steuerlich belasten und damit stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen würden. Wo bleibt die Logik in Ihrer Argumentation, meine Damen und Herren? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - ({11}) Nun komme ich zur Reform der Einkommensbesteuerung. Die dritte Stufe des Steuerentlastungsgesetzes wird jetzt um ein Jahr vorgezogen und tritt damit zeitgleich mit der Reform der Unternehmensbesteuerung in Kraft. Dieses Vorziehen der Einkommensteuerentlastung bringt den Arbeitnehmern sowie den Personenunternehmen im Jahre 2001 über 27 Milliarden DM. Wir wollen auch danach die Steuersätze kräftig senken. Über eine weitere Senkung der Steuerbelastung zum 1. Januar 2003 sollen bis zum 1. Januar 2005 der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent und der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent gesenkt werden. Der Grundfreibetrag steigt dann auf rund 15 000 DM. Mit der Stufe 2003 wollen wir eine Nettoentlastung von rund 13 Milliarden DM herbeiführen, mit der Stufe 2005 eine Nettoentlastung von zusätzlich 21 Milliarden DM. Damit beträgt die Gesamtentlastung im Zeitraum 2001 bis 2005 rund 44 Milliarden DM. Von dieser Entlastung entfallen über die Hälfte, also 22 Milliarden DM, auf die privaten Haushalte, gut 14 Milliarden DM auf den Mittelstand und rund 7 Milliarden DM auf die großen Unternehmen. Man kann also von einer ausgewogenen Mischung in der Entlastung sprechen. Zusammen mit den bereits seit 1998 realisierten Maßnahmen entlasten wir die Steuerzahler damit um rund 75 Milliarden DM. Das sind eindrucksvolle Zahlen, denen die Opposition nichts entgegenzusetzen hat, ({12}) jedenfalls nichts, was annähernd seriös wäre. Wir wollen nämlich in Verantwortung für die nachfolgenden Generationen den erfolgreich eingeschlagenen Konsolidierungskurs beharrlich fortsetzen. Das ist nachhaltige Finanzpolitik, die das Markenzeichen dieses Bundesfinanzministers und der Regierungskoalition ist. Damit haben Sie überhaupt nichts im Sinn. Sie setzen mit Ihren steuerpolitischen Versprechungen auf den Egoismus. ({13}) Wir machen eine Doppeloperation: Haushaltskonsolidierung und Senkung von Steuern und Abgaben bleiben die beiden Leitplanken einer zukunftsweisenden Strategie für eine nachhaltige Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Keiner kann ernsthaft bestreiten, dass sich die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen mit dieser Steuerreform sehen lassen können. Die Opposition hat das auch bemerkt; denn sie geht nach ihrer anfänglichen heftigen Ablehnung immer mehr auf unser Konzept ein und rückt von ihren eigenen, nicht bezahlbaren Vorschlägen ab. Herr Merz hat sogar signalisiert, dass die Reform nicht an der Unionsforderung nach Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent scheitern müsse. Er hat auch das zunächst von ihm abgelehnte Optionsmodell nunmehr als Verhandlungsmasse bezeichnet. Das Gleiche gilt für die Anrechnung der Gewerbesteuer. ({14}) Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, allerdings fragen, warum Sie sich erst monatelang gestritten haben ({15}) - CDU und CSU; von der F.D.P. rede ich gar nicht -, um eine einheitliche Position zu finden, um schon kurze Zeit später diese für nicht wesentlich zu erklären. Das ist eine Zickzackpolitik, ein Umherirren, das man niemandem erklären kann. „Zick“ steht dabei vielleicht für Faltlhauser und „zack“ für Merz. Man kann es auch umkehren. ({16}) - Immer mit der Ruhe, ich weiß ja, was Sie bewegt. Es kann im Übrigen nicht schaden, Herr Merz, wenn ein Finanz- und Steuerpolitiker Vorsitzender der Fraktion der CDU/CSU wird; denn eine solche Aufgabe in dieser Zeit und angesichts der in Ihren Reihen herrschenden Zustände zu übernehmen ist ein Zeichen von Mut. Das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich kann ihm dabei zwar nicht allzu viel Erfolg wünschen, aber ich kann ihm meinen Respekt davor ausdrücken, dass er die schwierige Aufgabe zu lösen versucht, eine große Volkspartei wieder zu integrieren. Wir werden aber jetzt beobachten können, ob und wie stark sich die Oppositionspolitik der CSU in der Steuerund Finanzpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchsetzen wird. Das war schon bisher der Fall: Herr Schäuble hat vor wenigen Monaten noch von einer Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM gesprochen. Herr Stoiber hat am gleichen Tag von 50 Milliarden DM gesprochen. Die CSU hat sich mit ihrer Forderung nach einer Entlastung von 50 Milliarden DM durchgesetzt. Die CDU war sich über einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent noch nicht im Klaren. Die CSU hat sich mit ihrer Forderung nach einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent durchgesetzt. Wir werden erleben, in welchen anderen Punkten sich die CSU noch durchsetzen wird. Es ist - neben allen anderen Schwierigkeiten schon ein Trauerspiel für die CDU, jetzt von ihrer bayerischen Schwesterpartei so dominiert zu werden. ({17}) - Ich habe heute Morgen Kaffee getrunken, aber sonst trinke ich Tee; da haben Sie Recht. Ich bin dem saarländischen Ministerpräsidenten für seine Deutlichkeit dankbar. Herr Müller hat zugegeben, dass eine höhere Entlastung der Steuerzahler, wie sie CDU und allen voran CSU bislang gefordert haben, nicht finanzierbar sei. Das hat Ministerpräsident Müller sicherlich nicht mit Blick auf den Bundesetat, sondern mit Blick auf die Auswirkungen auf die Länder- und Gemeindehaushalte gesagt. Dies belegt, dass das Gerede der Opposition von einer mutlosen und nicht schnell genug wirkenden Steuerreform dummes Geschwätz ist. ({18}) Ebenso ist klar: Wenn Sie bei der Vorlage Ihres Konzepts den Eindruck erwecken, damit könne man 3 Millionen Arbeitsplätze schaffen, dann hat das mit der ökonomischen Realität nichts zu tun. In diesem Fall ist das, was Sie betreiben, wirklich ökonomischer Voodoo. Es gibt das Wundermittel, von dem Sie da reden, überhaupt nicht. Aber es zeigt sich, dass Sie konzeptionell verwirrt sind, weil Ihre konkrete Politik unter Kohl gescheitert ist. Jetzt suchen Sie einen konzeptionellen Ausweg, den Sie bisher - neben allen übrigen Problemen, mit denen Sie es zu tun haben - noch nicht gefunden haben. ({19}) Wir befinden uns mit dem Steuerentlastungsgesetz, mit der sozialökologischen Steuerreform und dem Familienförderungsgesetz inmitten eines weitreichenden steuerpolitischen Reformprozesses. Wenn wir jetzt mit dem Steuersenkungsgesetz nahtlos fortfahren, so belegt das den zügigen Fortschritt unserer Reformpolitik und des von uns vor der Bundestagswahl versprochenen Politikwechsels. Auch der Bevölkerung wird immer klarer, was auf dem Gebiet der Steuerpolitik bereits geleistet worden ist - jeder hat es mittlerweile in seinem Geldbeutel gespürt. Die Konjunktur gewinnt an Fahrt, die Arbeitslosigkeit sinkt, Optimismus breitet sich aus. Dagegen wird Ihr Schlechtreden nichts nützen. ({20}) Wir entlasten jetzt insbesondere diejenigen, die in der Kohl-Ära am stärksten belastet wurden. Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und der Mittelstand mussten bei Ihnen doch bluten. Diese Gruppen werden unter unserer Verantwortung jetzt entlastet. Das ist eine Trendwende in der deutschen Politik. ({21}) Alle Steuerzahler, ob mit kleinem, mittlerem oder großem Einkommen, alle Unternehmen, ob kleine, mittlere oder große Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften, werden steuerlich nicht unbeträchtlich entlastet. Der verheiratete Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern wird im Jahre 2005 gegenüber 1998 um über 4 000 DM entlastet. Diese Entlastungsbeispiele lassen sich auch für Unternehmer mit einem Gewinn von 50 000 DM oder von 150 000 DM fortsetzen. Alle Beispiele machen deutlich: Endlich geht es auch für den Mittelstand unter der Verantwortung dieser Koalition steuerlich voran. ({22}) Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Zahlen und Fakten gegenüber Ihrer Propaganda auf Dauer durchsetzen werden. Wir werden Sie in jeder möglichen Diskussion stellen. Wir werden sozusagen um die Seele des Mittelstandes ringen. Wir werden die Tatsachen feststellen. ({23}) Die Forderungen nach einer noch größeren Senkung des Spitzensteuersatzes als bisher vorgesehen ist daher eine einseitige Interessenpolitik für einige gut Besoldete mit Nebeneinkünften oder für andere Arbeitnehmer mit Spitzeneinkommen, zum Beispiel für Manager. Die von Ihnen geforderte Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent hat eine deutliche soziale Schlagseite. Sie wollen den Eingangssteuersatz um 7,9 Prozentpunkte und den Spitzensteuersatz um 16 Prozentpunkte senken. Das ist mehr als doppelt so viel. Es ist nicht zu finanzieren und es verdeutlicht einmal mehr, dass CDU und CSU mit sozialer Gerechtigkeit nichts im Sinn haben. ({24}) Das steuerpolitische Konzept der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen ist ein wichtiges Element unserer Strategie zur Erneuerung der wirtschaftlichen Grundlagen in Deutschland. Es stärkt den Standort und sichert uns eine gute Startposition in der immer globaler werdenden Weltwirtschaft. Ich bin zuversichtlich, dass dieses große und weitreichende Steuerreformpaket mit großer Unterstützung der Bevölkerung und der Wirtschaft hier im Mai beschlossen werden wird. Vielen Dank. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute Morgen in der ersten Lesung eines Unternehmensteuerreformgesetzes. Der Kollege Poß hat die Einbringungsrede gehalten, eine Aufgabe, die normalerweise von einem Vertreter der Bundesregierung übernommen wird, ({0}) aber sicherlich auch von Vertretern der Koalitionsfraktionen übernommen werden kann. ({1}) Bemerkenswert an dieser Rede war, dass sich derjenige, der das Konzept der rot-grünen Bundesregierung vorstellen sollte, zu zwei Dritteln seiner Redezeit mit dem Konzept der Union beschäftigt hat. ({2}) Damit wir uns nicht falsch verstehen, Herr Kollege Poß: Ich kritisiere das nicht. Im Gegenteil, ich begrüße das ausdrücklich, denn das zeigt auch: Die Opposition ist politisch präsent und handlungsfähig. ({3}) Wir haben in der Tat gerade in der Steuerpolitik das bessere Konzept.Das will ich begründen. ({4}) Es trifft sich gut, Herr Bundesfinanzminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, dass wir in dieser Woche nicht nur über die Steuerreform diskutieren, sondern Sie hier gestern auch den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt und begründet haben. Wir haben dabei einen Sachverhalt miteinander diskutiert, der im Zusammenhang mit der Steuerpolitik eine Rolle spielt. Es gibt nämlich eine Entwicklung, die uns alle mittlerweile mit nicht unerheblicher Sorge erfüllen muss: Ich meine die Entwicklung des Wechselkurses unserer gemeinsamen Währung, des Euro. Wir haben gestern erneut feststellen müssen, dass der Wert des Euro erheblich gegenüber dem des Dollars, aber auch gegenüber dem anderer Währungen dieser Welt verfallen ist. ({5}) Wenn es richtig ist, dass der Wechselkurs einer Währung praktisch der Aktienkurs einer Volkswirtschaft ist, dann ist in der Zeit, in der diese Bundesregierung im Amt ist, der Aktienkurs der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen großen Wirtschafts- und Währungsräumen dieser Welt um 15 Prozent, zum Teil um 20 Prozent gesunken. Darin kommt die Politik der rot-grünen Bundesregierung zum Ausdruck. ({6}) Meine Damen und Herren, der Euro-Verfall - so wird es richtig bewertet - dokumentiert zweierlei. Er dokumentiert die anhaltende Stärke insbesondere der amerikanischen Volkswirtschaft. Amerika geht in das neunte Jahr eines ungebrochenen wirtschaftlichen Aufschwungs. In Amerika wurde mittlerweile Vollbeschäftigung erreicht. Europa steht vor erheblichen strukturellen Problemen und die Bundesrepublik Deutschland stellt mit etwa einem Drittel des Bruttoinlandsproduktes der Euro-Teilnehmerstaaten die größte einzelne Volkswirtschaft. Die Lage in der Bundesrepublik Deutschland ist deswegen bestimmend für die Entwicklung des Euro. Die ausgebliebenen Reformen, auch und insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, dokumentieren sich eben auch in der Schwäche des Euro. ({7}) Wir werden in der Bundesrepublik Deutschland weit über die Steuerpolitik hinaus in den nächsten Jahren auch und besonders hier darüber zu debattieren haben, welche Reformen dieses Land braucht. Es müssen Reformen sein, die den marktwirtschaftlichen Herausforderungen und insbesondere den Herausforderungen eines sich verschärfenden globalen und europäischen Wettbewerbs gerecht werden. Dazu brauchen die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere diese Bundesregierung eine Besinnung auf einen klaren marktwirtschaftlichen Kurs. Erlauben Sie mir, dass ich auch in diesem Zusammenhang an die Debatte des gestrigen Tages anknüpfe. Herr Bundeswirtschaftsminister, aus Ihrem Hause, also aus den eigenen Reihen, stammt ein Papier, das mittlerweile die Öffentlichkeit erreicht hat und mit Ihnen, aber auch mit der ganzen Bundesregierung durch eine nach meinem Kenntnisstand jedenfalls bisher unbekannte Kritik so hart ins Gericht geht, dass dies Ihnen, aber auch Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, doch zu denken geben muss. Ich zitiere wörtlich aus diesem Papier: Man merkt es der Wirtschaftspolitik bereits an. Es begann mit dem Zurückdrehen der ... marktwirtschaftlichen Reformen der alten Bundesregierung und setzte sich fort: Holzmann, Mannesmann, Gewinnverwendungssteuerung, verbunden mit einer Stigmatisierung der Gewinne im Rahmen der Unternehmensteuerreform, Diskriminierung bestimmter aktiver und passiver Einkommen in der Steuerpolitik, diskretionäre und diskriminierende so genannte Ökosteuerreform. ({8}) Die BMWi-Philippika gipfelt dann in der Bemerkung, die Entwicklung - gemeint ist die Entwicklung der Politik dieser Bundesregierung - gehe vom Konzept der sozialen Marktwirtschaft zur instrumentalen Beliebigkeit, zum Punktualismus. ({9}) Das ist eine zutreffende Beschreibung des wirtschafts- und finanzpolitischen Kurses der Bundesregierung. ({10}) Herr Bundesfinanzminister, dies kommt insbesondere in der Steuerreform zum Ausdruck, die Sie heute dem Deutschen Bundestag vorlegen. ({11}) Sie führen keine Unternehmensteuerreform durch. Vielmehr gehen Sie einseitig von einer Absenkung der Körperschaftsteuersätze aus. ({12}) Dies ist keine Reform unseres Einkommensteuerrechtes, sondern stellt eine Absenkung der KörperschaftsteuerFriedrich Merz sätze für die großen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland dar. ({13}) Ausgehend von den Körperschaftsteuersätzen suchen Sie nach Wegen, wie Sie die kleinen und mittleren Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland entlasten können. Das ist keine Reform; das ist Punktualismus. ({14}) Dies ist eine Reform, die insbesondere dem großen Teil der mittelständisch geprägten Unternehmen, die in der Rechtsform von Personengesellschaften oder Einzelkaufleuten geführt werden, nicht gerecht wird. ({15}) Die Hilfskonstruktionen, die Sie wählen, um auch diejenigen Unternehmen zu entlasten, die dem Einkommensteuergesetz unterliegen, werden der eigentlichen wirtschaftspolitischen Aufgabe, der wir uns gemeinsam gestellt sehen, überhaupt nicht gerecht. Denn diese Hilfskonstruktionen - Herr Kollege Poß, das mussten Sie in dem, was Sie hier gerade dargestellt haben, einräumen sind Konstruktionen, die auf halbem Wege stehen bleiben und die in der Tat völlig unzureichend sind. Ich will das begründen. Herr Bundesfinanzminister, im Bundesfinanzministerium wurde eine Reihe von Planspielen durchgeführt, wie diejenigen Unternehmen gestellt werden, die von der so genannten Option des Körperschaftsteuergesetzes Gebrauch machen. Ich frage Sie - ich bitte Sie, dass Sie, wenn Sie nachher sprechen werden, die Gelegenheit nutzen, darüber Auskunft zu geben -: Warum veröffentlichen Sie bis zum heutigen Tage die Ergebnisse dieser Planspiele nicht? ({16}) Es scheint einen Grund dafür zu geben. Wenn es richtig ist, was aus den von Ihnen mit externem Sachverstand besetzten Arbeitsgruppen berichtet wird, dann kommen alle diese Planspiele zu dem Ergebnis, dass jedes Unternehmen - egal welcher Rechtsform und gleichgültig in welcher Größe es geführt wird - durch die Option für das Körperschaftsteuergesetz im Vergleich zum gegenwärtigen steuerpolitischen Stand massiv benachteiligt wird. ({17}) Herr Eichel, ich fordere Sie deshalb noch einmal auf: Geben Sie Auskunft darüber, wie das Ergebnis der Planspiele ist, die Sie in Ihrem Hause haben durchführen lassen. Die Öffentlichkeit in Deutschland und insbesondere die betroffenen Unternehmen haben einen Anspruch darauf, dies zu wissen. ({18}) Der eigentliche Kern wird sich deswegen auf die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer derjenigen Unternehmen konzentrieren, die dem Einkommensteuergesetz unterliegen. Hier muss uns klar sein: Das Konzept der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld der dem Einkommensteuergesetz unterliegenden Unternehmen - das betrifft 85 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland - macht eine Steuer zum Mittelpunkt der Reform, die ihrerseits in ihrer Erhebung und in ihrer Ungleichmäßigkeit der Belastung in höchstem Maße verfassungsrechtlich anfechtbar ist. ({19}) Wir und Sie müssen wissen, dass Sie damit eine Steuer zum Mittelpunkt der Reform machen, die ihrerseits zwangsläufig noch in dieser Legislaturperiode einer grundlegenden Überprüfung bedarf. ({20}) - Meine Damen und Herren, zu Ihrer Reaktion ist zu sagen: Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit Ihrer Zustimmung eine Grundgesetzänderung vereinbart und beschlossen, gemäß der die Kommunen Anspruch auf eine wirtschaftskraftbezogene Steuer mit eigenem Hebesatzrecht haben. So steht es in Art. 28 unseres Grundgesetzes. Das muss nicht die Gewerbesteuer sein. Aber das muss eine unternehmens- und wirtschaftskraftbezogene kommunale Steuer sein. Die gegenwärtige Gewerbesteuer - ich wiederhole es - wird aufgrund der Ungleichmäßigkeit ihrer Erhebung den Ansprüchen an eine zukunftsweisende und zukunftsfähige Unternehmensbesteuerung auf kommunaler Ebene nicht gerecht. ({21}) Wir werden diese Steuer im Laufe dieser Legislaturperiode grundlegend überarbeiten müssen. ({22}) Meine Damen und Herren, wenn wir das tun, dann wird die gesamte Unternehmensteuerreform, die Sie heute vorschlagen, in ihrem Kern noch einmal infrage gestellt. Denn Sie machen die Gewerbesteuer, so wie sie heute ist, zum Ausgangspunkt für die Unternehmensteuerreform. Sie werden auch mit Hilfskonstruktionen, insbesondere mit der Anrechnung der Gewerbesteuer, den legitimen Ansprüchen der mittelständischen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht. ({23}) Wir brauchen eine Unternehmensteuerreform, die gleichermaßen Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz überarbeitet und reformiert. Wir sehen uns daher nicht in der Lage, Ihnen auf diesem Weg zu folgen. Herr Kollege Poß, mein ausdrücklicher Kritikpunkt, den ich aufrechterhalte, war: Mit Hilfskonstruktionen für mittlere und kleine Unternehmen - das gilt auch für Großunternehmen, die in der Rechtsform von Personengesellschaften geführt werden - können Sie eine Unternehmensteuerreform in der Bundesrepublik Deutschland, die den wirtschaftspolitischen Anforderungen der Zukunft gerecht werden soll, nicht durchführen. Das ist unsere entscheidende Kritik, die wir ohne Ausnahme aufrechterhalten. ({24}) Wir haben deswegen über den Jahreswechsel 1999/2000 die steuerpolitischen Vorschläge, die wir auch in der letzten Legislaturperiode eingebracht und verabschiedet haben, die aber - dieser Punkt muss erwähnt werden - am parteipolitisch motivierten Widerstand der Sozialdemokraten im Bundesrat gescheitert sind, ({25}) im Lichte der neuen Entwicklung, im Lichte des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs und natürlich auch im Lichte der Haushaltsnotwendigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden noch einmal überarbeitet. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir unverändert daran festhalten können, in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur die Körperschaftsteuersätze zu senken, sondern auch den Einkommensteuertarif durchgehend vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz so zu senken, dass nicht nur ein einheitlicher Einkommensbegriff aufrechterhalten wird, sondern dass auch ohne Hilfskonstruktionen die mittelständischen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland genauso entlastet werden wie diejenigen Unternehmen, die, etwa als große Aktiengesellschaften, dem Körperschaftsteuergesetz unterliegen. ({26}) Am Anfang der Beratungen im Deutschen Bundestag über die verschiedenen Konzepte der Steuerreform müssen die Unterschiede deutlich werden. Diese Unterschiede sind nicht etwa nur in der Höhe der Steuersätze zu finden. Sie reichen vielmehr tief in die steuerpolitische Systematik unseres gesamten Ertragsteuersystems hinein. Wir müssen wissen, dass das Konzept der Bundesregierung - Absenkung der Körperschaftsteuersätze, Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld - nicht etwa nur eine technische Frage berührt. Das Konzept bedeutet in Wahrheit die Auflösung der einheitlichen Einkommensbesteuerung und die Auflösung der in das System der Einkommensbesteuerung integrierten Unternehmensbesteuerung, die durch die Körperschaftsteuerreform im Jahre 1977 erreicht wurde. ({27}) Wir lösen damit den einheitlichen Einkommensbegriff und auch die einheitliche Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Diese Einheitlichkeit war eine der großen Errungen- schaften der Körperschaftsteuerreform. Ich betone das Jahr 1977 deshalb, um deutlich zu machen, dass das ent- sprechende Gesetz in der Zeit der sozialliberalen Koali- tion verabschiedet worden ist. Klaus Lennartz [SPD]: Wir waren immer schon gut! Das wissen wir!) Dieses Gesetz der sozialliberalen Koalition wurde wenn ich mich recht erinnere - mit Zustimmung des Bundesrates, in dem die Union damals eine Mehrheit hatte, verabschiedet. ({28}) Diese Tatsache zeigt, dass es ein gutes Gesetz war. Dieses Gesetz hat weltweit Beachtung gefunden, weil es steuerpolitisch von einer großen Stringenz und Systematik geprägt gewesen ist. Diese Stringenz und Systematik wird mit dem Reformvorhaben der Bundesregierung nun vollständig aufgelöst. (Klaus Lennartz [SPD]: Damals gab es noch Sachverstand in der Opposition! Dadurch ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Auf die Konsequenzen für den Mittelstand habe ich bereits hingewiesen. Aber es gibt Konsequenzen nicht nur im Hinblick auf die Unternehmen, sondern auch im Hinblick auf die Anteilseigner. Diese Konsequenzen haben Sie, Herr Kollege Poß, verschwiegen. Dafür gibt es natürlich Gründe. Ich muss zunächst einmal feststellen, dass all diejenigen, die in Zukunft nach Ihrem Modell für die Körperschaftsteuer optieren, nicht nur alle Gewinnermittlungsvorschriften der großen Unternehmen anwenden müssen; dazu mögen sie in der Lage sein. Warum verschweigen Sie aber, dass die Personengesellschaften, die für das Körperschaftsteuergesetz optieren, in Zukunft eine Vervielfachung der Erbschaftsteuer - bis zu einer Verfünffachung - hinzunehmen haben? Warum verschweigen Sie, Herr Kollege Poß, diesen Punkt in Ihrer Einbringungsrede? ({29}) - Sie machen an dieser Stelle den Einwand: Weil es logisch ist. Ja, es ist in der Tat logisch und es ist unabweisbar. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten fünf Jahren in mindestens 500 000 Unternehmen vor der Generationenfolge. Rund ein Drittel dieser Unternehmen hat bis zum heutigen Tag keinen Nachfolger. ({30}) Glauben Sie im Ernst, dass diese Generationennachfolge mit der Verfünffachung der Erbschaftsteuer für die kleinen und mittleren Unternehmen des Mittelstandes noch zu bewältigen ist? ({31}) Diese Unternehmen sind nach übereinstimmender Erkenntnis aller bisher von uns als das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bewertet worden. Wenn Sie der Meinung sind, dass diese Unternehmen in Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland keinen Platz mehr haben, dann müssen Sie es sagen. ({32}) Ich weise auf die Konsequenzen hin, die das für die Aktionäre von Aktiengesellschaften haben wird. Warum verschweigen Sie, meine Damen und Herren, dass eine erheblich höhere Besteuerung insbesondere der Kleinaktionäre die zwangsläufige Folge des von Ihnen gewählten Besteuerungsverfahrens bei den Dividenden sein wird? Warum verschweigen Sie das zu einem Zeitpunkt, zu dem wir doch eigentlich über die Kultur der Aktie in Deutschland miteinander reden? ({33}) Im Übrigen ist Ihre Behauptung, meine Damen und Herren, das Halbeinkünfteverfahren, das Sie jetzt wählen, sei im Gegensatz zum bisherigen Besteuerungsverfahren, nämlich dem Anrechnungsverfahren, europatauglich, schlicht falsch. ({34}) Die grenzüberschreitende Anwendung des so genannten Halbeinkünfteverfahrens ist genau so unmöglich wie die grenzüberschreitende Anwendung des Anrechnungsverfahrens. Ich will das deutlich machen, damit diejenigen, die dieser Debatte an den Bildschirmen folgen, auch verstehen, worüber wir sprechen. ({35}) Meine Damen und Herren, ein Aktionär bekommt heute eine Körperschaftsteuergutschrift. Diese kann er auf die eigene Einkommensteuerschuld anrechnen. Er unterliegt der Einkommensteuer mit seinem individuellen Steuersatz. Das hat zur Folge, dass alle Aktionäre gleichbehandelt werden, je nach individuellem Steuersatz. ({36}) Dieses körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren kann man über die Grenzen - innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft - nicht mitnehmen. ({37}) Das macht dieses Anrechnungsverfahren in der Tat nicht europatauglich. ({38}) Aber, meine Damen und Herren, das Anrechnungsverfahren gilt, seitdem wir es in Deutschland eingeführt haben, seit 1977, auch in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die es ebenfalls eingeführt haben. Das Verfahren, das Sie jetzt wählen, das so genannte Halbeinkünfteverfahren, unterwirft den Steuerpflichtigen unabhängig von der Vorbelastung in der Aktiengesellschaft einer Doppelbesteuerung zusätzlich zu seinem persönlichen Steuersatz. ({39}) Da Sie einen so genannten Progressionsvorbehalt aufgenommen haben, hat dies zur Folge, dass diejenigen mit einem niedrigen Steuersatz, also mit niedrigem Gesamteinkommen, durch Ihr Verfahren wesentlich höher besteuert werden und diejenigen, die ein höheres Einkommen haben, wesentlich niedriger besteuert werden. ({40}) Meine Damen und Herren, wenn wir in der alten Koalition vorgeschlagen hätten, das Besteuerungsverfahren für die Aktionäre so zu ändern und damit die Steuerausfälle auszugleichen, die durch die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen zwischen Kapitalgesellschaften entstehen, hätten Sie in diesem Land eine Diskussion über Turbokapitalismus, über ShareholderValue-Mentalität angefangen, deren wir uns hätten überhaupt nicht mehr erwehren können. Das wäre das Ergebnis gewesen. ({41}) Ich stelle deshalb fest: Sie machen eine Unternehmensteuerreform zulasten der Aktionäre und zugunsten der großen Kapitalgesellschaften. ({42}) Damit kein Missverständnis entsteht: Auch wir sind der Auffassung, dass wir eine erhebliche Erleichterung der Umstrukturierungen in Unternehmen brauchen. Gerade die Unternehmen, die sich von Anteilsbesitz trennen wollen, die umstrukturieren wollen, brauchen dazu auch eine steuerliche Erleichterung. Aber wenn dies richtig ist und wenn dies die gemeinsame Erkenntnis ist, meine Damen und Herren, dann darf diese steuerliche Erleichterung nicht nur für Kapitalgesellschaften gelten, dann muss sie auch für Personengesellschaften gelten. ({43}) Deswegen haben wir einen Vorschlag in Form einer Ergänzung unseres steuerpolitischen Konzeptes, das wir „Die bessere Alternative“ genannt haben, gemacht, wie man Personengesellschaften bei den Umstrukturierungen, die notwendig sind, steuerlich genauso entlasten kann wie Kapitalgesellschaften. ({44}) Wir stellen diesen Vorschlag zur Diskussionen, meine Damen und Herren. Wir sind offen für Vorschläge, es noch besser zu machen. Wir erwarten aber von der rotgrünen Koalition, dass sie in den nächsten Wochen in eine öffentliche Debatte geht in der Bereitschaft, auch ihrerseits Verbesserungen an dem Konzept vorzunehmen, das sie vorgeschlagen hat. Nichts anderes habe ich in dieser Woche gesagt, als ich darauf hingewiesen habe, dass wir, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, genauso wie die von CDU und CSU geführten Länder bereit sind, auf dem Weg zu einer Steuerreform mit Ihnen einen Kompromiss zu finden. Wir machen keine Blockade nach Oskar Lafontaine. Aber wir erwarten ein vernünftiges Ergebnis im Sinne der Bundesrepublik Deutschland. ({45}) Lassen Sie mich zum Schluss in vier Punkten zusammenfassen, wo die Unterschiede liegen. Erstens. Sie machen eine einseitige Reform für die Kapitalgesellschaften und suchen Hilfskonstruktionen für die Personengesellschaften. Wir wollen eine breit angelegte Reform für kleine, mittlere und große Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform. Zweitens. Sie senken die Körperschaftsteuersätze mit Hilfskonstruktionen und verzichten auf die durchgreifende Änderung des Einkommensteuergesetzes. Wir wollen eine grundlegende Reform des Einkommensteuergesetzes mit niedrigen Steuersätzen für alle auf breiter steuerlicher Bemessungsgrundlage. ({46}) Drittens. Sie besteuern die Dividenden der Aktionäre höher, um damit die Steuerfreiheit der Veräußerungserlöse zwischen Kapitalgesellschaften zu finanzieren. Wir wollen den reinvestierten Gewinn für alle Unternehmen ermöglichen, unabhängig davon, ob es Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften sind. ({47}) Viertens. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, lösen mit diesem Steuerkonzept eine dramatische Verkomplizierung unseres gesamten Steuerrechts aus. ({48}) Wir, meine Damen und Herren, wollen mit unserer besseren Alternative nicht nur eine Absenkung der Steuersätze für alle. ({49}) Wir wollen - und wir können auch nachweisen, dass dies erreichbar ist - eine grundlegende Vereinfachung unseres Steuersystems, sodass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich vom Staat mit einem überschaubaren und gerechten Steuersystem, gerecht behandelt fühlen, meine Damen und Herren. ({50}) Deshalb haben wir mit dem, was wir „Die bessere Alternative“ genannt haben, das getan, was von einer Opposition erwartet werden kann, nämlich ruhig und nüchtern zu prüfen, was die Koalitionsfraktionen der Bundesregierung vorlegen, es zu kritisieren, es an den Stellen, wo es gut und richtig ist und auch in die richtige Richtung zeigt, zu unterstützen und gleichzeitig eigene Vorschläge vorzulegen, die in den parlamentarischen Beratungen der nächsten Wochen die Alternative der Opposition sein können. Meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis: Die Opposition, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wird in diesen Bereichen der Steuerpolitik, aber auch überall sonst ihren Auftrag als Opposition auf gleicher Augenhöhe mit der Bundesregierung in den nächsten zweieinhalb Jahren kraftvoll wahrnehmen. Vielen Dank. ({51})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich die Steuerreform 2000 etwas politischer fassen und diskutieren ({0}) und nicht so sehr in einem steuerpolitischen Fachseminar abhandeln. Ich glaube, dass wir mit dieser Steuerreform den eingeschlagenen Kurs in der Haushalts- und Finanzpolitik konsequent fortsetzen. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz und mit dem Haushalt 2000 haben wir Ende letzten Jahres die ersten Schritte getan, um den Staatshaushalt wieder in Ordnung zu bringen - einen Staatshaushalt, Herr Merz, den die alte Regierung über Jahre hat verlottern und völlig aus dem Ruder laufen lassen. ({1}) Dass Sie von der Opposition es mit dem Geld nicht so genau genommen haben, haben wir in den letzten Wochen und Monaten ja deutlich bemerkt und staunend zur Kenntnis genommen. ({2}) Wir hingegen sind uns bewusst, dass der Staat kein Selbstbedienungsladen ist. ({3}) Wir hingegen sind uns bewusst, das die Belastbarkeit mit Steuern und Abgaben endlich ist. Für uns ist - anders als für die Opposition - klar, dass wir nicht weiter auf Kosten der kommenden Generationen leben wollen und leben können, wie das in den letzten 16 Jahren geschehen ist. ({4}) Wir gehen endlich wieder sparsamer mit dem Geld um, das die Bürgerinnen und Bürger am Ende eines Monats an Steuern und Abgaben in die Staatskasse zahlen. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz und mit dem Haushalt 2000, mit dem wir im ersten Durchgang die Nettoneuverschuldung um knapp 30 Milliarden DM reduziert haben, haben wir die Ausgabenseite wieder in Ordnung gebracht bzw. angefangen, sie in Ordnung zu bringen. Heute geht es mit der Steuerreform 2000 um die Einnahmenseite. Uns geht es nicht nur darum, die Steuergelder sparsamer und effektiver einzusetzen. Das ist der eine Weg, um zu einer gerechteren Verteilung der Chancen in unserer Gesellschaft zu kommen. Der andere Weg besteht darin, den Menschen wieder Luft zum Atmen zu geben. Gerechtigkeit kann man nämlich nicht nur dadurch schaffen, dass man Geld einnimmt und es dann mithilfe der Bürokratie wieder verteilt. Gerechtigkeit kann auch heißen, den Menschen das Geld erst gar nicht zu nehmen, sondern es bei ihnen zu belassen. Diesen Weg schlagen wir ein. ({5}) Deshalb bringt die Regierungskoalition die größte Steuerentlastung in der Geschichte unseres Landes auf den Weg. Wir entlasten die Steuerzahler alles im allem um mehr als 70 Milliarden DM. Was wir in diesem Land nach Jahren der schwarz-gelben Stagnation nun endlich auf den Weg bringen, ist ein Steuersystem, das jeden nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, ein Steuersystem, das den Beziehern von kleinen und mittleren Einkommen und Familien wieder spürbare finanzielle Freiräume eröffnet, aber auch ein Steuersystem, das Anreize für Investitionen und somit für mehr Beschäftigung in unserem Land schafft. Meine Damen und Herren von der Union, die Sie sich in der Opposition steuerpolitisch - das ist ja heute nicht der erste Vorschlag - mit einem unseriösen Vorschlag nach dem nächsten so richtig austoben, Ihnen sage ich: Das, was wir bisher gemacht haben und jetzt machen, ist schon nach 16 Monaten um vieles mehr als das, was Sie in langen 16 Jahren zuwege gebracht haben. ({6}) Nicht Versprechungen, nicht Zahlen auf dem Papier zählen, sondern es zählt das, was die Menschen am Ende eines Monats real mehr in der Tasche haben. Sie hatten lange genug Zeit, etwas für die Familien und für kleine und mittlere Einkommen zu tun. Sie haben es nicht getan, wir tun es. ({7}) Deshalb halten die Menschen das, was Sie hier als „bessere“ Alternative vorlegen, für das, was es ist: leere Versprechungen ohne Substanz, unseriös und nicht finanziert noch dazu. ({8}) Weniger Steuern, geringere Abgaben, höhere Nettolöhne - das ist unser Reformdreiklang, der die Konjunktur wieder in Fahrt bringen wird. Insgesamt werden wir den Eingangssteuersatz um satte 10,9 Prozent und den Spitzensteuersatz um 8 Prozent senken. Herr Merz, sind Ihnen diese Zahlen entgangen, wenn Sie sagen, dies sei keine Senkung der Steuern? Ich weiß nicht, in welches Konzept Sie geschaut haben. Diese Zahlen müssen Ihnen doch heute in den Ohren klingen! Sie waren doch sozusagen der Traum Ihrer Nächte, weil Sie sie mit der Steuerreform in der letzten Legislaturperiode eben nicht durchgebracht haben. ({9}) Es ist kein Geheimnis, dass es bis zu diesem mutigen Schritt ein weiter Weg war, ein Weg, den insbesondere wir Grünen geebnet haben. ({10}) Was in den Koalitionsverhandlungen noch nicht möglich war, liegt heute in Gesetzesform vor. Das macht uns Grünen besondere Freude. Das zeigt aber auch, dass diese Regierung nicht nur die selbst gesteckten Ziele erreicht, sie übertrifft sie sogar. 15 Prozent Eingangssteuersatz, 45 Prozent Spitzensteuersatz und ein Grundfreibetrag von 15 000 DM, das entspricht dem grünen Bundestagswahlprogramm. Ich kann für meine Fraktion an diesem Punkt mit voller Überzeugung sagen: Das haben wir versprochen und das haben wir gehalten. ({11}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr Merz, wenn Sie einmal ganz ehrlich sind, einen Moment Ihre sonstigen Sorgen vergessen und sich nur diese Zahlen anschauen, müssen Sie doch frank und frei sagen: Das hat diese Koalition gut gemacht. ({12}) Ich weiß, Herr Merz, dass man das von Ihnen jetzt nicht verlangen kann, müssten Sie doch sonst eingestehen, dass Rot-Grün, nachdem der Haushalt 2000 und das Haushaltskonsolidierungsgesetz den Bundesrat passiert haben, Sie schon wieder auf Ihrem ureigensten Feld, der Haushalts- und Finanzpolitik, spürbar geschlagen hat. ({13}) Herr Merz, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden dies immer wieder tun. Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., lassen Sie mich noch einen weiteren Grund nennen, warum Sie nicht zugeben können, dass diese Regierung wieder etwas Gutes gemacht hat: Wir haben Sie auch gleich noch in der Wirtschaftspolitik überrundet. Die Steuerreform 2000 entlastet nicht nur die Einkommensteuerzahler, sondern bringt auch die längst überfällige Unternehmensteuerreform auf den Weg. Herr Merz, ich weiß nicht, welche Zeitungen Sie lesen. In den Zeitungen, die ich lese, ist die Meinung, auch die Meinung der Wirtschaft, eindeutig. Alle sagen: Die Richtung stimmt. Hans-Olaf Henkel in der „Berliner Zeitung“ von gestern: „Alternative zu Rot-Grün nicht in Sicht“. ({14}) Ich kann nur sagen: Blattschuss für die Konservativen. ({15}) Der Chefvolkswirt - Herr Merz, jetzt hören Sie gut zu - des weltweit agierenden Investmenthauses Morgan Stanley, Dean Witter, spricht sogar von einer „New Germany Story“. Deutschland stehe vor einer „strukturellen Revolution“. Und da kommen Sie und sagen, das, was wir machen, sei keine strukturelle Reform! ({16}) Auch die „Financial Times“ nennt unsere Steuerreform eine „marktgesteuerte Revolution“. Die Opposition - wir haben es heute gehört - führt das gleiche schlechte Stück wie schon beim Haushalt 2000 auf. Erster Akt: Das schaffen die nie. Zweiter Akt: So wie sie es machen, ist es falsch. Dritter und letzter Akt: Na ja, wenn es alle so positiv sehen, stimmen wir halt auch zu. ({17}) Der Sinneswandel der Union bleibt nicht unbemerkt. Die „FAZ“ vom letzten Dienstag schreibt: Hinter den überraschend frühzeitigen Kompromisssignalen aus der Union steht offensichtlich die Einschätzung, dass die Union mit einer Blockade der Steuerreform über den Bundesrat nichts gewinnen könnte. So ist es! Sie können nichts gewinnen, weil Sie uns nichts Substanzielles entgegenzusetzen haben. ({18}) Während Sie sich mit sich selbst beschäftigt haben, ({19}) hat diese rot-grüne Koalition eine blitzsaubere Unternehmensteuerreform ({20}) mit dem Ziel vorgelegt, mehr Arbeitsplätze in unserem Land durch ein Mehr an Dynamik und Wachstum in der Wirtschaft, durch ein Mehr an Kaufkraft für die Bürgerinnen und Bürger und durch bessere Investitionsbedingungen für die Unternehmen zu schaffen. Wir setzen dabei entgegen dem, was Sie ausführen, vor allem auf den Mittelstand in unserem Lande. Insbesondere meine Fraktion hat sich neben der Steuerentlastung für die großen Unternehmen für eine deutliche Mittelstandskomponente eingesetzt. ({21}) Neben den privaten Haushalten ist der Mittelstand Hauptprofiteur unserer Reform. Von den noch vor uns liegenden Steuersenkungen in den Jahren 2001, 2003 und 2005 ({22}) entfallen 52 Prozent auf die privaten Haushalte und 26 Prozent auf den Mittelstand. ({23}) Wenn angesichts dessen die Union sagt, wir hätten nicht genügend getan, dann brauche ich nur auf Folgendes hinzuweisen: Sie, die es in den langen Jahren Ihrer Regierungszeit nie geschafft haben, den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zu senken, Sie, die den Eingangssteuersatz erhöht statt gesenkt haben, Sie, die mit den großen Unternehmen die Koffer getauscht und die kleinen im Regen stehengelassen haben, ({24}) Sie haben an diesem Punkt überhaupt keine Rechtfertigung und keinen Grund, uns vorzuwerfen, wir täten nichts für den Mittelstand. ({25}) Sicherlich kann man nach dem, was Sie in der Mittelstandspolitik an Wüste hinterlassen haben, nicht genug für den Mittelstand tun. Aber wir müssen die Kirche auch im Dorf lassen. Die Senkung des gesamten Steuertarifs und die Anrechnung der Gewerbesteuer sind die größte Entlastung des Mittelstands seit langem. ({26}) Wir Grünen haben uns von Anfang an für diese Mittelstandskomponente stark gemacht und wir lassen keinen Zweifel daran, dass wir auch im weiteren parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren jede seriöse Möglichkeit - jede seriöse! - für eine weitere Entlastung des Mittelstandes nutzen wollen. Meine Damen und Herren, die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf einheitlich 25 Prozent und die Förderung des Mittelstands sind die ersten beiden Säulen der Unternehmensteuerreform. Die dritte Säule bildet die von Ihnen ja auch angegriffene Steuerfreiheit von Beteiligungsveräußerungen. Hierbei geht es nicht darum, wie vereinzelt zu hören ist, die Reichen reicher zu machen. ({27}) Vielmehr geht es darum, das derzeit gebundene immobile Kapital zu aktivieren und für neue Investitionen und Arbeitsplätze nutzbar zu machen. ({28}) Die Steuerfreiheit von Beteiligungsveräußerungen gibt dem Strukturwandel in unserem Land den entscheidenden Schub. Die Firmen werden ihre Beteiligungen auf den Prüfstand stellen und oftmals zu neuen Investitionsentscheidungen kommen. Lassen Sie mich mit einem Missverständnis aufräumen: Die Steuerfreiheit führt eben nicht dazu, dass bei Beteiligungsveräußerungen überhaupt keine Steuern mehr gezahlt werden. Im Gegenteil, sie führt dazu, dass die Buchwerte endlich den realen Werten angepasst werden. Das ist nicht nur gut für die Dividenden der Anleger, sondern auch für die Staatskasse. Aber das haben Sie offensichtlich nicht begriffen. ({29}) Das Aufbrechen des Lock-in-Effekts setzt Kapital frei, das dringend für die aufstrebenden Internet-, Informations- und Kommunikations- sowie Umwelt- und jungen Start-up-Firmen gebraucht wird. Dabei geht es um nichts Geringeres, als das kumulierte Kapital des Industriezeitalters für das kommende Informationszeitalter nutzbar zu machen. Das ist es, was mit struktureller Revolution gemeint ist. ({30}) Andere Länder sind uns hier schon lange voraus. Dies haben Sie sträflich verschlafen. Die traditionellen Themen der Union, an die Sie jetzt anknüpfen wollen, haben Sie an uns verloren. Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sind jetzt Markenzeichen dieser Regierung. ({31}) Wir haben auf diesen Feldern unseren Job gemacht. Noch bevor sich Ihr Phönix - wie immer er auch heißen mag - aus der Asche erhebt, haben wir ihm hier die Flügel kräftig gestutzt. ({32}) Wir setzen mit unserer Politik eine wirtschaftliche Dynamik in Gang, wie wir sie in unserem Lande schon lange nicht mehr hatten. Schon jetzt scheint es, als würden die Wachstums- und Arbeitsmarktprognosen für dieses Jahr von der Realität positiv überholt werden. Auch das ist übrigens ein wesentlicher Unterschied zur alten Regierung: Bei Ihnen stand das Wachstum am Beginn eines jeden Jahres im Jahreswirtschaftsbericht, wurde aber bis zum Jahresende nicht erreicht; stattdessen mündete es in immer höhere Arbeitslosenzahlen. Wir hingegen werden mit unserer Politik der finanziellen Seriosität, der sozialen Fairness und der ökologischen Erneuerung die Arbeitslosenzahlen in unserem Land weiterhin und endlich spürbar senken. Die Steuerreform 2000 ist hierfür ein entscheidender Schritt. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({33})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Hermann Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der einzig spürbare Beitrag der Grünen zur Steuerpolitik war die Durchsetzung der so genannten Ökosteuer. ({0}) Das kostet die Bürger zunächst 35 Milliarden DM; wenn Sie weiter in der Regierung sind, wird sich dieser Betrag noch erhöhen. Für diese 35 Milliarden DM, die sie zusätzlich zahlen dürfen, sind die Bürger Ihnen Dank schuldig. ({1}) In der Debatte um diese Unternehmensteuerreform ist es vielleicht doch notwendig, kurz den Blick zurückzuwenden. ({2}) Herr Minister Eichel, auf der Basis dessen, was Sie hier vorlegen - ich beziehe mich auf die Steuersätze und das Entlastungsvolumen -, wäre 1997 ein Kompromiss möglich gewesen. Aber Sie haben damals jede Möglichkeit zum Kompromiss verhindert und blockiert. Wir haben mindestens drei Jahre für eine Steuerentlastung versäumt. ({3}) In diesen drei Jahren hätten hunderttausend Menschen Arbeitsplätze finden können. Sie haben zu verantworten, dass das nicht gelungen ist. ({4}) Gerade der Kollege Poß und auch andere haben uns immer wieder entgegnet, ({5}) eine Gegenfinanzierung sei nicht zu machen. Sie haben doch noch in den Ohren, was damals abgelaufen ist. ({6}) Aber jetzt kommen Sie zu dem Ergebnis: Das geht sehr wohl. ({7}) Diese 50 Milliarden DM, die Sie nun dafür aufwenden wollen, übersteigen den Betrag, den wir damals vorgesehen haben, um diese Steuerreform auf den Weg zu bringen. Sie beweisen damit, dass Sie dies damals einseitig nur aus politischen Gründen blockiert haben. Das muss heute noch einmal gesagt werden. ({8}) Jetzt hat Herr Eichel sehr geschickt Köder für die Wirtschaft ausgelegt - aber natürlich nicht für die Wirtschaft insgesamt, sondern nur für die großen Kapitalgesellschaften. ({9}) Diese sollen nun entlastet werden. ({10}) Man hätte es gar nicht anders erwarten können: Die stimmen natürlich öffentlich zu, während der Mittelstand, der kein geschlossenes Sprachrohr hat, dabei auf der Strecke bleibt. Eine Steuerreform, die eine vernünftige Entlastung mit sich bringt, ist unterstützenswert. Ist aber die Gestaltung der Entlastung so ungleichmäßig, dass sie einer Steuerreform, die dem Anspruch, Steuergerechtigkeit zu erzielen, nicht gerecht wird, dann müssen wir sie ablehnen. ({11}) Wie sollte eine Steuerreform aussehen? Das Steuersystem soll einfach und gerecht sein und niedrige Steuersätze haben. Das heißt, die Steuerpflichtigen sollen gleich behandelt werden. Alle diese Ziele werden verletzt. Das will ich an einigen Punkten deutlich machen. Aber eines vorab: Warum müssen wir eine solche Steuerreform machen? Weil die Bürger das Steuerrecht nicht mehr akzeptieren. ({12}) Sie verstehen es nicht. Sie werden überfordert. Sie weichen aus, die einen in die Schwarzarbeit, die anderen in die Kapitalflucht. Deswegen muss ein Steuersystem so gestaltet werden, dass es jeder verstehen kann. Das Steuerrecht, was Sie vorschlagen mit Optionsmöglichkeiten, ({13}) bei denen keiner weiß, welche Risiken man dabei eingeht, mit der Einführung einer Doppelbesteuerung durch das Halbeinkünfteverfahren und mit einer verfassungsmäßig riskanten Anrechnung bei der Gewerbesteuer der Bundesfinanzhof hat gesagt, dass das verfassungswidrig ist -, führt zu viel mehr Unsicherheit. Der Planungshorizont, gerade für die mittelständischen Unternehmen, die die Arbeitsplätze schaffen sollen, ist so unsicher, dass sie gar nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen. Das führt dann zu dem, was man eben gerade nicht will, nämlich dass Investitionen zurückgestellt werden, dass Unsicherheit eintritt und dass nur diejenigen, die es sich leisten können, teure Anwälte und Berater zu bezahlen, damit zurechtkommen. Das sind dann wieder die Großunternehmen. Einer der Päpste der Steuerpolitik in Deutschland, Professor Bareis, hat heute in der „Berliner Zeitung“ kundgetan - ich zitiere -: Das Steuerrecht wird in Zukunft noch komplizierter und damit ungerechter. Wer Geld für clevere Steuergestaltung ausgibt, kommt besser weg. Das war nicht das Ziel der Reform. So Professor Bareis. ({14}) Das entscheidende Missverständnis bei Ihren Ansätzen liegt darin, dass Sie weiter dem Gedanken Ihres Bundeskanzlers Gerhard Schröder anhängen, dass die Unternehmen entlastet werden müssen, aber nicht die Unternehmer. ({15}) Das ist die wirtschaftspolitisch dümmste Aussage eines Bundeskanzlers seit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland. ({16}) Sie zeigt ein absolutes Missverständnis um die Zusammenhänge der Wirkungsweise unserer sozialen Marktwirtschaft. Immer geht die Initiative von Menschen aus, die sich einsetzen, die ein Risiko eingehen, die ihr Kapital zur Verfügung stellen, die zur Verantwortung stehen und die auch das Risiko durch ihr EigenDr. Hermann Otto Solms tum und das ihrer Familien tragen. Daraus werden neue Arbeitsplätze und neue Unternehmen geschaffen, die dann wachsen. Die Großunternehmen kaufen die kleinen auf, fusionieren mit anderen Unternehmen im Ausland, verlagern ihre Produktionsstätten oder ihre Sitze ins Ausland. Sie sind nicht an das Inland gebunden. Deswegen muss der Schwerpunkt bei den natürlichen Personen ansetzen und nicht bei den anonymen Kapitalgesellschaften. Genau diesen strategischen Fehler machen Sie bei Ihrer Steuerreform. ({17}) Die Kapitalgesellschaften werden im Übrigen bei der Körperschaftsteuer mit 25 Prozent jetzt deutlich stärker entlastet. Zusammen mit der Gewerbesteuer kommen sie dann auf 37 Prozent. Die Personengesellschaften bleiben bei 45 Prozent ab 2005. Aber auch sie müssen Gewerbesteuer bezahlen. Sie werden also deutlich höher besteuert. Das führt natürlich zu einer echten Benachteiligung. Das können wir in den Beratungen noch ändern. Wir sind dazu bereit. Dann kann es auch eine Zustimmung geben. Wenn dieser fundamentale Fehler nicht ausgeglichen wird, wird es jedenfalls dort, wo die F.D.P. mitzureden hat, keine Zustimmung im Bundesrat geben. ({18}) Sie wissen selber - man hört das in den Diskussionen -, dass das Optionsmodell das nicht vollständig ausgleichen kann. Das Optionsmodell hat fundamentale Nachteile - nicht nur dadurch, dass die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer steigt, vielleicht bis zum Fünffachen -, sondern auch dadurch, dass die Planbarkeit, die Nebenwirkungen des Optionsmodells nicht berechenbar sind, sodass die Unternehmer nicht wissen: Können wir es riskieren? Was passiert denn dann? Welche Risiken gehen wir ein? Das aber ist - das sagt der Steuerberaterverband schon heute - nicht handhabbar. Damit kann man nicht umgehen und das wird zu mehr Verunsicherung führen. Die Gewerbesteueranrechnung ist verfassungsbedenklich. ({19}) Das ist auch völlig klar: Es macht keinen Sinn, die Gewerbesteuer auf der einen Seite zu erheben und sie auf der anderen Seite, bei der Einkommensteuer, teilweise abzugsfähig zu machen. In diesem Punkt, Herr Merz, bin ich enttäuscht von den Vorschlägen der CDU. ({20}) Wir waren in der Koalition viel weiter. Im Koalitionsvertrag 1994 hatten wir die Vereinbarung getroffen, dass die Gewerbesteuer abgeschafft wird und dass sich die Kommunen über andere Steuerarten finanzieren. Das wäre auch möglich. ({21}) Nur wenn Sie die Gewerbesteuer abschaffen, können Sie eine Gleichbehandlung der Besteuerung erreichen. Solange die Gewerbesteuer existiert, wird dies immer zu einer Benachteiligung der Gewerbebetriebe führen. Wirklich entsetzt hat mich allerdings - das habe ich einem Zeitungsbericht entnommen -, dass Sie, Herr Merz, vorschlagen, die Gewerbesteuer solle den Charakter einer kommunalen Unternehmensteuer annehmen. Dabei müssten auch diejenigen, die bisher keine Gewerbesteuer zahlten - beispielsweise die Freiberufler - in die Gewerbesteuer einbezogen werden. Ich glaube, auf der Basis finden auch wir keine Vereinbarung. Die Einbeziehung der freien Berufe - und dann vermutlich auch der Landwirte - in das System der Gewerbesteuer wird es mit der F.D.P. jedenfalls nicht geben. Das ist ein völlig falscher Vorschlag. ({22}) Der einzig richtige, systemkonforme Vorschlag ist die Abschaffung der Gewerbesteuer. ({23}) Noch ein Wort zur Besteuerung der Veräußerungsgewinne. Herr Eichel hat - das war ja der größte Köder für die Unternehmen, insbesondere für die Banken und Versicherungen - angeboten, dass Beteiligungen steuerfrei veräußert werden könnten. Die Gewinne verbleiben dann ja erst einmal im Unternehmen. Das stärkt die Macht des Managements, schwächt den Einfluss der Aktionäre, ({24}) aber führt zu einer einseitigen Begünstigung der Kapitalgesellschaften gegenüber den Personengesellschaften und den Einzelkaufleuten. Dagegen haben Sie im letzten Jahr, mit dem so genannten Steuerentlastungsgesetz 1999, den hälftigen Steuersatz für Personenunternehmen bei Betriebsaufgabe und Betriebsveräußerung abgeschafft; Sie verlangen jetzt den vollen Steuersatz. Diese beiden Entscheidungen stehen so krass im Widerspruch zueinander, dass wir darüber reden müssen. Das ist überhaupt nicht akzeptabel. ({25}) Wir machen den Vorschlag - aber der ist diskussionsfähig -, dass wir für alle Rechtsformen den halben Steuersatz einführen und dass wir die Grenze für die wesentliche Beteiligung bei 10 Prozent lassen. Bei kleinen Unternehmen ist 1 Prozent absolut zu wenig; bei Großunternehmen kann 1 Prozent natürlich sehr viel sein. Aber die Masse sind eben kleine und mittlere Unternehmen. ({26}) Deshalb müssen wir bei 10 Prozent bleiben. Ich halte auch den Vorschlag der CDU mit der Reinvestitionsrücklage für keinen guten Vorschlag. Denn die Investitionen sind dann wieder an bestimmte Kriterien gebunden; die Gewinnverwendungsfreiheit wird dadurch ausgehöhlt. Besser wäre es, dies im Wege eines reduzierten Steuersatzes zu regeln. Das ist einfach zu handhaben und die Wirtschaftsobjekte können je nach ihren wirtschaftlichen Interessen damit umgehen. ({27}) Für mich ist entscheidend, dass in diesem Steuervorschlag dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und der Gleichbehandlung nicht Rechnung getragen wird. Das ist aber in Anbetracht unseres komplizierten Steuerrechts das Wichtigste. Deswegen haben wir, die F.D.P., vorgeschlagen - unser Vorschlag liegt ja seit einem Jahr auf dem Tisch; der Stufentarif schon seit Anfang 1996 -, ein ganz einfaches Steuersystem einzuführen: 15 Prozent für Bezieher kleiner Einkommen, 25 Prozent für Bezieher mittlerer und 35 Prozent für Bezieher größerer Einkommen, für alle Rechtsformen und für alle Einkunftsarten - und das ist es! Dann ist eine völlige Gleichbehandlung gewährleistet und die vielen komplizierten Vorschriften zur Abgrenzung können beseitigt werden. Das ergibt ein ganz einfaches Steuerrecht. Dann könnten wir das Ziel erreichen, dass jeder, der Einkünfte aus nur einer Quelle bezieht, seine Einkommensteuererklärung auf einer Postkarte abschicken kann und innerhalb von zehn Tagen die Reaktion des Finanzamtes bekommt. Das wäre ein ideales Steuersystem. Die Steuerbürger könnten dann sagen: Okay, das ist einfach, ich verstehe, was jeder bezahlen muss, es ist nicht so viel und das akzeptiere ich. Mit einem solchen Steuerrecht wären wir allen anderen Ländern in der Europäischen Union voraus. Das wäre der Idealfall, den man erreichen kann. Deshalb bleiben wir dabei: Dieser Vorschlag eines radikal vereinfachten Steuersystems mit drei Steuerstufen für alle Einkunftsarten ist das, was wir anstreben sollten. Wir verfolgen dieses Ziel auch weiterhin. Interessant ist, dass bei einer Umfrage unter tausend mittelständischen Unternehmern über die Hälfte gesagt hat: Dieser Dreistufentarif der F.D.P. wäre das Beste, was sie sich vorstellen könnten. Das heißt, wir haben mit diesem Modell bereits eine hohe Akzeptanz und Zustimmung erreicht und werden weiter dafür werben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Solms, dass Sie Herrn Rezzo Schlauch insofern Unrecht getan haben, als der theoretische Ansatz seiner Rede einem Bewerbungsschreiben an die F.D.P. glich. Ich habe sozusagen den gesamten Neoliberalismus herausgehört, ({0}) wenn es auch in Details, insbesondere bei der Ökosteuer, Differenzen geben mag. Im Kern geht es um die Frage der Verbindung von Steuern, Wirtschaft und Arbeitsplätzen. Ich habe in der gestrigen Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht gehört, dass sich die Bundesregierung dafür lobt, dass die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr niedriger sind. Es ist wichtig, in solchen Punkten die Wahrheit zu sagen. Das Entscheidende ist nämlich, dass wir heute nicht mehr Arbeitsplätze haben als vor einem Jahr. Die Zahlen sind nur deshalb niedriger, weil die aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Jahrgänge stärker sind als die in den Arbeitsmarkt eintretenden geburtenschwachen Jahrgänge. Diese Wahrheit gehört einfach dazu, wenn man mit solchen Behauptungen operiert. ({1}) - Sie sollten etwas mehr Respekt gegenüber dem dienstältesten Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag haben. ({2}) - Nein, das stimmt nicht. Als ich hier anfing, war Herr Dregger Ihr Fraktionsvorsitzender. Da täuschen Sie sich. ({3}) - Selbst das stimmt nicht, weil dieses Hohe Haus beschlossen hat, dass der Gruppenvorsitzende die Rechte eines Fraktionsvorsitzenden hat. ({4}) Meine Aussage ist völlig zutreffend. Aber lassen wir das! ({5}) Der Kollege Schwanhold hat für die SPD etwas gesagt, was ich sehr bedenkenswert finde. Er hat erklärt, soziale Gerechtigkeit stelle man nicht dadurch her, dass man umverteile, sondern dadurch, dass man den Zugang auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtere. Das bekam auch viel Zustimmung aus den Reihen der CDU/CSU. Wenn die SPD wirklich die Position vertritt, an der Umverteilung, das heißt an der Art der Verteilung müsse sich in der Bundesrepublik nichts mehr ändern, kann ich nur sagen: Dann allerdings gute Nacht, SPD! Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass die Verteilung in dieser Gesellschaft gerecht ist. ({6}) Wir erleben fast täglich, dass ein unfähiger Vorstandsvorsitzender, der einen Konzern ruiniert hat, entlassen werden muss und noch 2 Millionen DM nachgeworfen bekommt, während auf der anderen Seite die Durchschnittsrente der Frauen in den alten Bundesländern 860 DM beträgt. Da behaupten Sie im Ernst, es sei keine Umverteilung mehr erforderlich und der gegenwärtige Zustand sei gerecht! Das halte ich für ein Armutszeugnis für die Sozialdemokratie, weil es bedeutet, dass sowohl Armut als auch Reichtum festgeschrieben werden. ({7}) Wenn sich sowohl SPD als auch Grüne ständig dafür loben, dass sie von Herrn Henkel gelobt werden, sollten beide einmal darüber nachdenken, was dessen Zufriedenheit mit Ihnen bedeutet. Ich glaube, dass hängt mit solchen Ansichten zusammen. Die Umverteilung von unten nach oben setzt sich fort. Ich will dafür ein Beispiel nennen: Herr Eichel erklärt hier stolz, die Regierung werde bis zum Jahr 2005 Steuerentlastungen von über 70 Milliarden DM realisieren. Erinnern Sie sich noch, was Sie im Herbst letzten Jahres erklärt haben, als es um die Frage der Nettolohnanpassung bei Rente, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe ging, als es darum ging, dass für Arbeitslose künftig niedrigere Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden sollten, sodass viele in Altersarmut enden würden? Können Sie sich daran erinnern, dass Sie erklärt haben, diese Einsparung sei „alternativlos“? Ich sage Ihnen: Diese gesamte Einsparung bringt 10 Milliarden DM. Dies bedeutet: Hätten wir auf diesem Gebiet mehr soziale Gerechtigkeit durch Nettolohnanpassung und höhere Beitragszahlungen für die Arbeitslosen in die Rentenversicherung gewährleistet, hätte Sie das in den Jahren 2000 und 2001 10 Milliarden DM gekostet. Wenn Sie wirklich in der Lage sind, Steuergeschenke von 73 Milliarden DM zu machen, dann hätten Sie eben auf 10 Milliarden DM verzichtet und dafür nicht die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen und die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger geschröpft. ({8}) Denn hinzu kommt doch noch eines: Diese Steuerentlastungen wirken sich genau für diese drei Gruppen nicht aus. Sie sind ja nicht steuerpflichtig. Das heißt, Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger zahlen nur zu - zum Ersten durch die geringe Anpassung, aber zum Zweiten auch durch die Ökosteuer und viele andere Momente. Das ist eben die Umverteilung von unten nach oben. Natürlich gibt es auch positive Momente bei der Steuerreform. Ich nenne einmal die Erhöhung des Existenzminimums, obwohl weit unter dem, was SPD und Grüne hier beantragt haben, als sie noch in der Opposition waren. ({9}) - Das ist wahr. Sehen Sie es sich einmal an: Sie haben das heutige Existenzminimum von 14 000 DM schon für 1998 beantragt. Sie haben aber heute eine ganz andere Preisstruktur. Die Grünen wollten für 1999 schon ein Existenzminimum von 15 000 DM; da sind wir noch lange nicht. ({10}) Es ist auch positiv, dass der Eingangssteuersatz gesenkt werden soll. ({11}) - Passen Sie auf. Ich sage ja, das geht in Ordnung. Aber Sie haben natürlich auch Probleme damit. Wissen Sie auch, weshalb? - Weil Sie immer so tun, als ob sich das nur für die Geringverdienenden auswirken würde. Sie wissen ganz genau, dass es sich, wenn Sie das Existenzminimum erhöhen, wenn Sie den Eingangssteuersatz senken, auch für die Besser- und Bestverdienenden auswirkt ({12}) auch für die Bundestagsabgeordneten. ({13}) - Nein. Dagegen ist deshalb nichts zu sagen, weil jeder, der die Verantwortung trüge, es nicht anders machen könnte. Wenn man das Existenzminimum erhöht und den Eingangssteuersatz senkt, dann gilt das für alle. Das werfe ich Ihnen deshalb überhaupt nicht vor. Ich werfe Ihnen nur vor, dass Sie gleichzeitig auch noch den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer senken, weil das nämlich bedeutet, dass die Besser- und Bestverdienenden gleich dreimal entlastet werden: durch die Erhöhung des Existenzminimums, durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und durch die Senkung des Spitzensteuersatzes. Letzteres wirkt sich eben für die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht aus. ({14}) All das muss ja bezahlt werden. Ich sage Ihnen, das lassen Sie letztlich - das war die Auseinandersetzung des Herbstes - von Rentnern und auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von anderen bezahlen. ({15}) Die Ökosteuer, die Sie völlig unsozial gestaltet haben, müssen ja all diese Leute bezahlen, und zwar direkt durch höhere Benzinpreise, höhere Energiepreise, höhere Heizkosten ({16}) und indirekt, indem auch noch die Fahrpreise erhöht werden. Soweit Unternehmen herangezogen werden, legen sie natürlich diese höheren Steuern auf die Preise um. Insofern zahlen das dann auch wieder die Verbraucherinnen und Verbraucher. Netto wirklich entlastet werden nur die Besser- und Bestverdienenden. ({17}) Nun zum Steuerrecht. Erstens machen Sie es durch Ihr Anrechnungsverfahren und Ihre Optionsmodelle wirklich komplizierter. ({18}) Von einer Vereinfachung, die Sie einmal vorhatten, kann überhaupt keine Rede sein. Lassen Sie uns zweitens doch einmal über die Frage diskutieren, ob es richtig ist, einbehaltenen Gewinn viel weniger zu besteuern als ausgeschütteten Gewinn. Zum Ersten zu der Philosophie, die dahinter steckt. Dahinter steckt doch die Annahme, ausgeschütteter Gewinn wird konsumiert, einbehaltener Gewinn wird investiert. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die SPD ja bisher immer die Theorie vertreten hat, dass man die Kaufkraft stärken muss. Wenn Sie jetzt aber sagen, dass Sie den Konsum stärker bestrafen, als der Gewinn besteuert wird, der im Unternehmen bleibt, dann geben Sie erst einmal Ihre Kaufkrafttheorie auf. Von einem gleichwertigen Verhältnis von Angebot und Kaufkraft kann keine Rede mehr sein. Zum Zweiten unterstellen Sie einfach etwas. Sie unterstellen nämlich, Herr Minister Eichel, dass im Unternehmen bleibende Gewinne investiert werden. Woher wissen Sie denn das? Das kann genauso gut ins Ausland gehen. Damit kann man spekulieren, damit kann man rationalisieren, also auch Arbeitsplätze abschaffen. Damit kann man zum Beispiel Fusionen bezahlen. Insofern ist das eine sehr offene Rechnung, die Sie da machen. Wenn überhaupt, dann hätten Sie sagen müssen, dass Sie einbehaltene Gewinne, die tatsächlich für Investitionen eingesetzt werden, günstiger stellen, aber nicht pauschal alle einbehaltenen Gewinne unabhängig von ihrer Verwendung. ({19}) Weiterhin bekommen Sie damit ein verfassungsrechtliches Problem, und zwar wiederum aus einem ganz einfachen Grunde. Wenn Sie sagen: Das, was man für sich behält, ist weniger zu besteuern als das, was man ausgibt, dann frage ich Sie: Wie kommen Sie darauf, das nur für Unternehmen zu regeln? Dann müssen Sie das auch bei den Einkommen und Löhnen so regeln. Dann müssen Sie unterscheiden, ob sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas von ihrem Gehalt kaufen oder ob sie es zur Sparkasse bringen. Dann müssen Sie je nachdem die Einkommen unterschiedlich besteuern, sonst gibt es keine Steuergerechtigkeit mehr. Das wird die Gleichheit vor dem Gesetz verletzen. Damit müssen Sie sich auseinander setzen. ({20}) Sie behaupten immer, die Betriebsteuer käme auch den kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute. Ich kann das letztlich aufgrund der Komplexität der Materie nicht erkennen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das erreichen wollen, was Sie behaupten, dann hätten Sie eine progressive Betriebsteuer bzw. Körperschaftsteuer einführen müssen. Das heißt, Sie hätten durchsetzen müssen, dass für kleine Gewinne ein wesentlich geringerer Steuersatz und für größere Gewinne ein wesentlich höherer Steuersatz gilt. Wenn Sie das progressiv gestalten würden, dann würden Sie die kleinen und mittelständischen Unternehmen tatsächlich entlasten. Genau das haben Sie nicht getan. ({21}) Herr Schwanhold hat gestern gesagt, man solle nicht immer ein Feindbild von großen Konzernen, Versicherungen und Banken zeichnen. Darum geht es überhaupt nicht. Keiner möchte, dass sie weggehen. Aber wir wollen, dass sie endlich entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Das ist das Entscheidende. Sie gewährleisten genau das nicht, weil Sie die großen Kapitalgesellschaften günstiger stellen im Vergleich zu den Bürgerinnen und Bürgern und im Vergleich zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen. ({22}) - Hören Sie doch einmal zu. - Das sagen Ihnen doch alle. Ich möchte einen Kommentar aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. Januar zitieren: Ergänzungsbedarf ergibt sich auch wegen der von Anfang an verfehlten Grundkonzeption der Reform von den ({23}) Kapitalgesellschaften her. Diese vor allem sollen mit niedrigen Steuersätzen beglückt werden und obendrein Steuerfreiheit für ihre Veräußerungsgewinne erhalten - während etwa die ermäßigten Steuersätze für Veräußerungen eines Gewerbebetriebs gerade erst abgeschafft worden sind. Dadurch bringen Sie Ihre Haltung zum Ausdruck, die kleinen Unternehmen deutlich stärker zu belasten und die großen zu entlasten. ({24}) Sie behaupten immer: Das schafft Arbeitsplätze. Ich weise Sie darauf hin: Wir haben gemeinsam in der letzten Legislaturperiode die alte Regierung wegen ihres Festhaltens an dieser falschen Theorie kritisiert; denn der Anteil der Einnahmen aus den Unternehmensteuern an den Gesamteinnahmen betrug 1970 24 Prozent. Heute beträgt er nur noch 7 Prozent. Ich frage Sie: Wie viele Arbeitsplätze sind denn dadurch tatsächlich entstanden? In Wirklichkeit sind Arbeitsplätze immer nur abgebaut worden. Sie haben nun den gleichen Weg wie die alte Bundesregierung eingeschlagen. Sie sind genauso zur Wirtschaftslobby geworden wie die alte Regierung, ({25}) ohne aber innerhalb der Wirtschaft die notwendige Differenzierung vorzunehmen, die erforderlich wäre, um wirklich Arbeitsplätze zu schaffen. Sie stärken einseitig die großen Unternehmen zulasten der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen, auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der kleinen und mittelständischen Unternehmen; denn irgendeiner wird das Ganze bezahlen müssen. ({26}) Wenn Sie den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen wollen, dann machen Sie sich doch einmal Gedanken über unsere Vorschläge, zum Beispiel einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Reparaturleistungen, für verordnete Arzneien und für Kinderbekleidung. ({27}) Das würde kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen. Dann kann man 6 Prozent auf Luxusgüter draufschlagen. Das wäre ein bisschen Umverteilung und durchaus gerecht. ({28}) Sie könnten kleine und mittelständische Unternehmen auch direkt fördern. Sie könnten eine progressive Gewinnsteuer - für die kleinen und mittelständischen Unternehmen wäre das sehr wichtig - einführen. Sie könnten endlich dafür sorgen, dass sich der Arbeitgeberanteil an den Zahlungen in die Versicherungssysteme nicht länger nach der Bruttolohnsumme, sondern endlich nach der Wertschöpfung bemisst. Auch das würde die kleinen und mittelständischen Unternehmen entlasten und würde wesentlich mehr Gerechtigkeit zur Folge haben, weil nämlich die arbeitsintensiven Sektoren in der Wirtschaft entlastet würden und diejenigen, die mit wenigen Arbeitskräften hohe Gewinne machen, stärker herangezogen würden. All das würde zur Schaffung von mehr Gerechtigkeit gehören. Wenn Sie ernsthaft Arbeitsmarktpolitik machen wollen, dann kommen Sie um eine Verkürzung der Arbeitszeit und um eine Wertschöpfungsabgabe nicht umhin. Sie müssen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für wichtige Tätigkeiten einführen, die sonst nicht erledigt werden und über die man sich Gedanken machen muss, wie sie endlich bezahlt werden können. Sie müssen kleine und mittelständische Unternehmen fördern und einen wirklichen ökologischen Umbau vornehmen und dürfen nicht eine Ökosteuer im Rahmen einer Steuerreform einführen - das wollen wir nicht vergessen -, deren ökologische Wirkung Null ist, die sozial extrem ungerecht ist und mit der Sie den Leuten die Ökologie abgewöhnen, statt sie ihnen als Bereicherung der Lebensqualität näher zu bringen. Deswegen werden Sie zumindest von uns keine Zustimmung zu dieser Steuerreform bekommen. ({29}) Aber darauf sind Sie auch nicht angewiesen. Sie befinden sich ja schon in Kompromissverhandlungen mit der CDU/CSU. Jeder ahnt, was dabei herauskommen wird. ({30})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Bundesminister Hans Eichel das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Die Töne, die in der heutigen Debatte angeschlagen werden, sind schon ganz andere als die, die wir noch im vergangenen Herbst im Deutschen Bundestag gehört haben. Dafür bin ich dankbar; denn sie zeigen, dass wir die Chance haben, im Laufe der ersten Hälfte dieses Jahres zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis, jedenfalls was den Deutschen Bundestag und den Bundesrat angeht, zu kommen. Noch im Herbst habe ich zu hören bekommen, ich solle das alles einpacken, ich solle ganz von vorne anfangen usw. Lassen Sie uns das alles beiseite räumen und sagen: Ja, es hat sich in der Diskussion eine Menge bewegt und wir liegen offenkundig nicht so ganz falsch. Das ist jedenfalls die Überzeugung des ganzen Hauses. ({0}) Die heutige Debatte um die in der Tat größte Steuerentlastung und um die ambitionierteste Steuerreform, die es in Deutschland nach dem Kriege gegeben hat, hat eine Vorgeschichte: die letzte Hälfte des vergangenen Jahres. Denn ohne einen Einstieg in konsequente Haushaltsausgabendisziplin, in eine Politik der Konsolidierung des Haushaltes, in einen Weg heraus aus der Schuldenfalle auf der einen Seite, ist auf der anderen Seite eine Steuersenkung in großem Umfang, wie wir sie vorsehen, überhaupt nicht zu verantworten. Jeder andere Weg führt nur zu immer höheren Vorbelastungen späterer Generationen. ({1}) Beide Flanken, die Einnahme- und die Ausgabenseite der Finanzpolitik, müssen wir im Blick behalten und wir müssen das eine immer mit dem anderen abstimmen. Je näher die Notwendigkeit rückt zu entscheiden, je mehr die Finanzminister der Länder, die Kämmerer der Kreise und Städte rechnen müssen, was das für sie bedeutet, umso klarer und realistischer wird, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite nur das in der Tasche lassen können, was wir auf der anderen Seite in der Perspektive nicht mehr ausgeben; sonst ist das alles eine unseriöse, nur auf Pump finanzierte Veranstaltung. Dies wollen wir nicht. ({2}) Nicht weil ich Recht haben will, sondern weil wir geschaut haben, was möglich ist, bin ich ziemlich sicher: Die von uns vorgeschlagenen Steuerentlastungen sind in der Tat das, was der Gesamtstaat bei äußerster Anstrengung wirklich schultern kann. Es ist ganz schön, wahrzunehmen, dass inzwischen auch bei den Finanzministern der CDU die Realität angekommen ist. Der Finanzsenator aus Berlin sagt, er könne das überhaupt nicht. Der Finanzstaatssekretär aus Hessen - dem wirtschaftsstärksten Land; davon verstehe ich etwas sagt, damit sei aber die Grenze der Leistungsfähigkeit des Landes Hessen erreicht. Der saarländische Ministerpräsident sagt mir in einer öffentlichen Debatte, das Entlastungsvolumen werde am Schluss wohl näher bei dem liegen, was die Bundesregierung vorgeschlagen habe, als bei dem, was CDU und CSU vorschlagen. Der Mann weiß, wovon er redet, seit er Verantwortung für einen Haushalt trägt. ({3}) Ich denke, wir kommen da ganz vernünftig zusammen. Ganz leise gesagt: Ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das Vermittlungsverfahren im Sommer läuft und welche Länderfinanzminister unterm Tisch, wenn keine Kameras dabei sind, die Hand aufhalten. ({4}) - Natürlich; man muss deshalb aufpassen, dass man keine vollmundigen Erklärungen in die Welt setzt, die mit einer verantwortlichen Politik nicht mehr zu vereinbaren sind. Das ist doch das Problem. ({5}) Unsere Politik ist sehr ambitioniert. Mit ihr beschreiten wir den Weg heraus aus der Schuldenfalle. Die Zielsetzung lautet, mittelfristig, also jedenfalls bis zum Ende der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Von diesem Weg wollen wir uns - das sollte für uns alle gelten - nicht abbringen lassen. Die Steuerreform muss so gestaltet werden, dass das mittelfristige Ziel, aus der Schuldenfalle herauszukommen, nicht gefährdet wird. Beides gilt: heraus aus der Schuldenfalle und Senkung der Steuern- und Abgabenlast insgesamt. Nun, meine Damen und Herren, noch einmal zu Ihren Legenden. Was wir, seitdem wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, hier vorgelegt haben, ist ganz einfach: Steuerentlastungsgesetz, Familienförderungsgesetz und nun das Steuersenkungsgesetz bedeuten zusammen eine Entlastung - es ist immer etwas schwierig, hier exakte wissenschaftliche Zahlen vorzulegen, weil ja auch die Wirtschaftssubjekte aufgrund der Steuergesetzgebung ihr Verhalten ändern - von rund 75 Milliarden DM ab 2005. Das steigt stufenweise an. Zu dem Zeitpunkt entspricht das dann ungefähr 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von diesen 75 Milliarden DM kommen rund 55 Milliarden DM vorzugsweise bei privaten Haushalten mit niedrigen Einkommen - auf die anders lautende Legendenbildung von Herrn Gysi komme ich gleich noch zurück - und knapp 20 Milliarden DM bei den Unternehmen an. Diese landen fast vollständig bei den kleinen und mittleren Unternehmen. In diesem Punkt sind Ihre Ausführungen schlicht unredlich. ({6}) Herr Poß hat Sie zu Recht auf das hingewiesen, was Sie vor einem Jahr hier gesagt haben. Wahr ist - das habe ich übrigens mit aller Deutlichkeit immer gesagt und nirgendwo versteckt -, dass wir mit dem Steuerentlastungsgesetz die großen Unternehmen wie zum Beispiel die Versicherungen und die Energieversorger, in der Tat steuerlich zusätzlich belastet haben. Ich sage aber dazu mit Nachdruck: Wer Rückstellungen in Höhe von 72 Milliarden DM für die Entsorgung von Kernkraftwerken gebildet hat, der kann auch 16,7 Milliarden DM an Steuern dafür zahlen. Dabei habe ich kein schlechtes Gewissen. ({7}) Die ganze Legendenbildung hier ist hoch spannend: Plötzlich reichen sich im Rahmen dieser Legendenbildung nämlich CDU/CSU bzw. F.D.P. und PDS die Hände. Dabei spielt natürlich jeder sein eigenes Spielchen. Das ist interessant. Ihre Aussagen sind aber nicht wahr und das wird von uns aufgedeckt. Sie werden keine Chance haben, damit in der öffentlichen Kommunikation zu bestehen. ({8}) Auch etwas anderes ist klar: Wir berücksichtigen beide Seiten. Was nämlich bei den Privathaushalten ankommt, das dient in der Tat zunächst zur Stärkung der Nachfrageseite. Die einseitige Politik von früher, die immer sagte, unser wirtschaftliches Heil liege im Export, ist im Zeichen des europäischen Binnenmarktes falsch. Mehr als 80 Prozent unserer wirtschaftlichen Leistung wird nämlich im Binnenmarkt erbracht. Europa befindet sich in keiner anderen Lage als die Vereinigten Staaten. Nur etwa 18 Prozent werden auf dem Weltmarkt erbracht, bei den Amerikanern noch etwas weniger, nämlich etwa 12 bis 13 Prozent. Das heißt, dass wir zuallererst einen funktionierenden Binnenmarkt benötigen. Hierfür brauchen wir Nachfrage, und zwar einer großen Zahl von Menschen, sonst kann der Binnenmarkt nicht funktionieren. Das ist ein Argument dafür, warum wir den Schwerpunkt bei der Einkommensteuerentlastung auf das untere Ende legen. Das war nie Ihre Leidenschaft. ({9}) Wir setzen das steuerfreie Existenzminimum hoch und den Eingangssteuersatz herunter, ({10}) und zwar um fast 11 Prozent in sechs Jahren, von 25,9 Prozent auf 15 Prozent. Sie haben in all der Zeit vorher gerade mal eine Absenkung, mal eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte zuwege gebracht. ({11}) Das war Ihr Ergebnis, mehr nicht. Wir schaffen 11 Prozentpunkte in sechs Jahren. ({12}) - Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Sie Blockierer! - Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie haben die Bremsklötze noch an Ihren Schuhen!) Auch der berühmte Spitzensteuersatz ist von uns gesenkt worden. Herr Gysi möchte das gerne verschweigen, aber wir haben die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wieder hergestellt. ({13}) Das hat übrigens - ich will das fairerweise sagen schon zu Ihrer Zeit begonnen. Wir haben uns ja gemeinsam darauf verständigt, die Sonderabschreibungen für den Aufbau Ost auslaufen zu lassen. Das ist doch in der vorigen Legislaturperiode gemeinsam beschlossen worden. Dagegen sage ich auch nichts. Ich sage nur, dass wir das systematisch mit dem Steuerentlastungsgesetz fortgesetzt haben. Sie sollten wirklich nicht mehr wie im vergangenen Herbst bei der Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes den Versuch machen, die Schlupflöcher wieder aufzumachen, die wir mühsam geschlossen haben. ({14}) Daran misst sich nämlich die Glaubwürdigkeit Ihrer These, dass Sie die Basis verbreitern und die Steuersätze senken wollen. Verehrter Herr Merz und Herr Solms, Sie sollten einmal konkretisieren, was mit einer einfachen Einkommensteuer gemeint ist. Sie sollten endlich einmal zugestehen, dass es die Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge betrifft und dass insbesondere die Krankenschwestern und die Busfahrer dafür zahlen, wenn wir den Einkommensteuerspitzensatz weiter senken. ({15}) Damit wäre der Redlichkeit der öffentlichen Debatte gedient. Ich glaube nicht, dass Ihre Planungen Sinn machen. ({16}) Wir haben die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wieder hergestellt und wir haben auch beim oberen Steuersatz ordentlich gesenkt. Verehrte Damen und Herren von der Opposition, die Heldentaten in den 16 Jahren Ihrer Regierung sahen so aus: Der Spitzensteuersatz wurde in 16 Jahren von 56 auf 53 Prozent, also um 3 Prozentpunkte, gesenkt. ({17}) Wir wollen ihn innerhalb von sechs Jahren von 53 auf 45 Prozent - das sind 8 Prozentpunkte - absenken. Angesichts dessen muss man sich von Ihnen keine Vorhaltungen machen lassen. ({18}) Ich komme gleich noch einmal auf das Thema Spitzen- und Eingangssteuersatz bei den Personengesellschaften zurück. Ich weise aber schon einmal darauf hin, dass Deutschland im Rahmen der Europäischen Union mit einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent bei der Einkommensteuer fast am unteren Ende liegt. Es gibt noch zwei Länder, die einen niedrigeren Spitzensteuersatz haben: Das sind Großbritannien und Portugal. In allen anderen Ländern der EU liegt der Spitzensteuersatz bei 45 Prozent und aufwärts. Angesichts dessen muss man sich wirklich fragen, ob die politische Leidenschaft, die Sie in dieses Thema stecken, noch in irgendeinem vernünftigen Verhältnis zu wirtschaftlichen Ergebnissen steht. ({19}) Wir haben also eine starke Entlastung bei den unteren Einkommensteuersätzen vorgenommen. Nun aber zur Angebotsseite, zu den Unternehmen. All diese Vorhaben liegen übrigens im Rahmen dessen, was wir in unserer Koalitionsvereinbarung im Herbst 1998 festgeschrieben haben. - Was ist in diesem Zusammenhang die erste Aufgabe? Die erste Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass der Investitionsstandort Deutschland keine Nachteile hat. Wir sind aus vielen Gründen wir haben zum Beispiel hervorragend qualifizierte Arbeitnehmer; wir liegen wissenschaftlich noch immer vorne und wir bauen das wieder aus; wir haben eine hervorragende Infrastruktur - ein guter Standort. Man muss darauf achten, dass das Steuersystem im Hinblick auf den Standortwettbewerb, den es natürlich gibt, nicht zu Nachteilen führt. Deswegen müssen wir zuallererst ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht und Steuersystem sowie wettbewerbsfähige Steuersätze schaffen. Der Nachteil in Deutschland ist: eine schmale Bemessungsgrundlage, dort viele Ausnahmetatbestände und auf der schmalen Gewinnermittlungsbasis hohe nominale Steuersätze. Das ist Unsinn. Damit räumen wir auf. Auch an dieser Stelle wird kritisiert, das sei ein Eingriff in die Abschreibungen. Wir meinen, Basis der Gewinnermittlung sollte sein, die Bemessungsgrundlage ordentlich zu verbreitern und die Steuersätze herunterzusetzen. Genau das tun wir. Im Hinblick auf die Körperschaften ist es wichtig, nicht nur im Vergleich zu Europa richtig vorzugehen, sondern auch im Vergleich zum transatlantischen Bereich. Denn wir haben sehr viele transatlantische Konzerne im Lande. Zudem ist spannend, wie sich deren Investitions- und Ausschüttungsverhalten entwickelt. Wenn wir so wie geplant vorgehen, stehen wir sowohl im transatlantischen als auch im europäischen Vergleich gut da. Dann haben wir keine Nachteile mehr aufgrund unseres Unternehmensteuerrechtes. - Das ist die erste Aufgabe. Zweite Aufgabe. Wir müssen alle Barrieren hinsichtlich des europäischen Binnenmarktes abbauen. Ich bin froh, dass die dogmatische Auseinandersetzung über das Vollanrechnungs- oder das Halbeinkünfteverfahren weggefallen ist. Jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis: Meine Mitarbeiter haben mir gesagt - das waren ja bereits die Mitarbeiter von Theo Waigel -, dass die Frage, ob das Vollanrechnungsverfahren europatauglich gemacht werden kann, schon vor Jahren unter einem anderen Bundesfinanzminister geprüft und mit negativem Ergebnis beantwortet worden ist. Deswegen gehen wir zum Halbeinkünfteverfahren über. Denn die bestehenden Barrieren müssen wegfallen. Es muss immer wieder gefragt werden: Wie machen wir uns europatauglich und wie stärken wir unsere Position auf dem europäischen Binnenmarkt? Nun zu den Personengesellschaften. Ihr Vorwurf, dass unsere Reform den Kapitalgesellschaften zugute komme und gegen die Personengesellschaften gerichtet sei, ist grundfalsch. ({20}) Auch Sie wissen das. Sie brauchen nur einmal nachzulesen, was Herr Hinterdobler, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, der sowohl in der Unternehmensteuerkommission als auch in unserem Beirat für das Handwerk mitgearbeitet hat, dazu gesagt hat. - Herr Merz, nebenbei gesagt, es ist vorgesehen, die Ergebnisse unserer Planspiele zu veröffentlichen; denn das ganze Verfahren ist transparent. ({21}) - Die Ergebnisse sind gerade im Druck. Sie bekommen sie. Das ist gar kein Problem. Herr Hinterdobler, der an dieser Studie mitgearbeitet hat, hat im Einzelnen dargestellt, dass wir diese Reform für den Mittelstand und für die Personengesellschaften machen. Das kann ich Ihnen im Einzelnen belegen. ({22}) Ich rate dazu, dass wir an dieser Stelle nachdenken, wie unsere Position in Europa ist. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein, ich möchte die Thematik im Zusammenhang darstellen. ({0}) Richtig ist, dass wir in Deutschland ungefähr 15 Prozent Kapitalgesellschaften und ungefähr 85 Prozent Personengesellschaften haben. Dies ist - ich bitte alle, über diesen Punkt nachzudenken - eine Besonderheit in Europa. Diese Besonderheit ist in einigen Bereichen positiv, sie kann auf die Dauer aber auch problematisch werden. Ob wir uns auf Dauer mit dieser Besonderheit in Europa behaupten werden, kann man zumindest bezweifeln. Anders, als Sie es darstellen, beinhaltet das Optionsmodell - das ist übrigens auch keine deutsche Besonderheit; man findet es in Frankreich, in den Vereinigten Staaten, in Portugal, in Spanien, in den Niederlanden und in einer Reihe anderer Länder - das Angebot an die Personengesellschaften, sich wie die Körperschaften besteuern zu lassen. In diesem Fall treffen auf die Unternehmen die Körperschaftsteuersätze zu. Dadurch wird für sie das Steuerrecht wesentlich einfacher. Das ist ein großer Schritt der Vereinfachung. Das Problem ist - das verstehe ich sehr wohl -, dass die Personengesellschaften zunächst einmal die Schwierig- keit haben, die Frage zu klären, ob sie sich für diese Optionen entscheiden wollen. Das kann ich verstehen. ({1}) - Sie kriegen sie; das habe ich doch gerade gesagt. Wenn sich die Unternehmen für diese Option entscheiden, dann trifft auf sie ein wesentlich einfacheres Steuerrecht zu. Sie müssen sich einmal in Europa - ich erwähne besonders die Niederlande - umschauen. Sie werden dann feststellen, dass sich selbst die Ein-Personen-Gesellschaften als Kapitalgesellschaften organisieren. Man muss diese Tatsache einfach einmal zur Kenntnis nehmen. ({2}) - Nein, das will ich gerade nicht. ({3}) - Hören Sie einmal zu! Wir eröffnen durch diese Wahlmöglichkeit Chancen. Was ist denn Ihr Begriff von Freiheit in diesem Lande? ({4}) Es ist eine der großartigsten Regelungen, die ich kenne: Jetzt haben die Unternehmer die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, die sie vorher nie hatten. Sie können sich entweder nach dem Einkommensteuerrecht oder nach dem Körperschaftsteuerrecht besteuern lassen. ({5}) Und das ist Ihnen, den Advokaten der Wahlfreiheit, wiederum nicht recht. Ich kann das nicht verstehen. ({6}) Nun kommen Sie mit Ihrer Rosinenpickerei. Dazu will ich Ihnen zwei Punkte sagen. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Beispiel Erbschaftsteuer. Warum gibt es bei den Personengesellschaften das große erbschaftsteuerliche Privileg? Das gibt es nur aus einem einzigen Grund. Dieses Privileg wird nämlich aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 des Grundgesetzes abgeleitet. Der Staat hat danach seine Steuergesetzgebung ausgerichtet. Wenn nämlich der Unternehmer als Eigentümer seinem Sohn oder seiner Tochter das Unternehmen vererbt, dann könnte ein Zugriff der Erbschaftsteuer nicht nur zu einem Problem für Sohn oder Tochter als neue Eigentümer werden, sondern auch zu einem Problem für den Betrieb werden und zu einer Gefährdung der Arbeitsplätze führen. ({7}) Deshalb gibt es dieses erbschaftsteuerliche Privileg. ({8}) Im Fall der Kapitalgesellschaft handelt es sich aber um zwei getrennte Vorgänge. Weil in diesem Fall der Unternehmer zu der einen und der Eigentümer zu der anderen Sphäre gehört, ist eine Vererbung innerhalb der Sphäre der Eigentümer ohne jeden Belang für die Sphäre der Unternehmer. ({9}) Es verändert sich vielleicht die Eigentümerstruktur. Wenn bei einem Aktionär der Erbschaftsfall eintritt, dann ist diese erbschaftsteuerliche Regelung ohne jeden Belang, weil bei den Kapitalgesellschaften eine Trennung zwischen Eigentümer und Unternehmer vorliegt. Bereden Sie einmal mit Ihren Finanzministern der Länder, was passiert, wenn auch dieser Fall erbschaftsteuerlich privilegiert würde! Dann gäbe es keine Basis für die Erbschaftsteuer mehr. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ja, in diesem Fall gerne.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, ich finde, da Sie etwas im Hinblick auf das Erbschaftsteuergesetz dargelegt haben, ist es an dieser Stelle wichtig, zwei Sachfragen zu klären. Erstens. Ist es richtig, dass Sie davon ausgehen, dass nur Personengesellschaften vererbt werden und dass Kapitalgesellschaften unabhängig von der Struktur der Eigentümer nicht vererbt werden? ({0}) Zweitens. Ist es dann richtig, dass eine Personengesellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz optiert, praktisch ohne Eigentümer dasteht, die an die nachfolgende Generation vererben können? Das ist wichtig. Ich finde, das sollte man klären. Sie haben das gerade so dargestellt, als ob eine Kapitalgesellschaft nicht vererbt wird. Wie ist es mit einer Personengesellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz optiert und bei der die Generationenfolge ansteht? Findet dabei nach Ihrer Auffassung ein Erbschaftsvorgang statt oder nicht?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Es ist doch ganz einfach. Im Falle der Kapitalgesellschaft wird das Kapital vererbt und die Eigentümerstruktur ändert sich gegebenenfalls. Für die Bilanz des Unternehmens ist das ohne jeden Belang. Dort fällt das gar nicht auf. Deswegen ist auch ein Erbschaftsfall ohne Problem für das Unternehmen. - Herr Hauser nickt. Es ist auch richtig. ({0}) Deswegen gibt es auch keinen Grund für ein erbschaftsteuerliches Privileg. ({1}) - Ja, natürlich. - Deswegen können Sie keine Rosinenpickerei zulassen. Im Übrigen müssen Sie einmal nachsehen, wie viele Personengesellschaften als Eigentümerunternehmer vererbt werden. Das ist auch eine spannende Frage. Wenn Sie mit der Option gleichzeitig auch das erbschaftsteuerliche Privileg vererben, dann stellt sich allerdings die Frage nach der Rechtfertigung dafür, die Vererbung von Aktien noch der Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Das ist das Problem. ({2}) Infolgedessen wird auf diese Weise die Erbschaftsteuer nicht unterhöhlt. Ich bin ganz sicher, dass das die Finanzminister der Länder - auch Ihre - keinen Deut anders sehen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich habe Herrn Merz geantwortet. Nein, jetzt nicht mehr. Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Personengesellschaften. Das Optionsmodell gibt es auch in vielen anderen Ländern. Übrigens kann man dann sein Geschäftsführergehalt und Pensionsrückstellungen ansetzen, wie in anderen Ländern auch. Für den, der das nicht kann oder nicht will, gibt es die pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Nun, meine Damen und Herren, komme ich noch einmal zum Einkommensteuertarif und zum Eingangssteuersatz zurück. Zwei Drittel aller Betriebe in Deutschland haben einen Gewinn von weniger als 48 000 DM jährlich und zahlen sowieso keine Körperschaftsteuer und keine Gewerbeertragsteuer. Diejenigen, die einen Gewinn von 48 000 DM und weniger ausweisen, sehen alle den Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer nicht einmal von ferne. Diese können Sie nur durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums entlasten. ({0}) - Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Und was bringt ihnen die Anrechnung der Gewerbesteuer? Ich wiederhole das: Zwei Drittel aller Unternehmen in Deutschland können Sie nur durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums entlasten, wenn Sie sie denn entlasten wollen. Wie lange hat insbesondere die CSU, diese famose Mittelstandspartei gebraucht, bis sie auf unseren Druck hin bereit war, beim Eingangssteuersatz von 19 Prozent auf 15 Prozent herunterzugehen? Das ist Ihre Art der Mittelstandspolitik, meine Damen und Herren! ({1}) Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass auch Freiberufler für die Körperschaftsteuer optieren können und damit in dieselbe Situation kommen. Sie betreiben hier Falschmünzerei, die darauf setzt, dass die Leute den Unterschied zwischen einer Definitivbesteuerung und einer linear-progressiven Einkommensteuer nicht kennen. Denn die Körperschaft zahlt natürlich, ganz gleich, wie groß oder wie klein der Gewinn ist, immer ihre 25 Prozent plus Gewerbeertragsteuer, 37 Prozent oder 38 Prozent definitiv. Bei der linear-progressiven Einkommensteuer kommen Sie, wenn Sie die 45 Prozent erreichen, vielleicht gerade auf eine Durchschnittsbesteuerung, auf eine Definitivbesteuerung, von 27 Prozent bis 28 Prozent. Die 38 Prozent der Körperschaft erreichen Sie bei der Einkommensteuer nach unserem Tarifverlauf dann, wenn Sie als Alleinstehender mindestens 200 000 DM und als Verheirateter mindestens 400 000 DM zu versteuerndes Einkommen haben. Die Freibeträge kommen dann auch noch hinzu. ({2}) Darum kämpfen Sie. Das hat nichts mit einer Unternehmensteuerreform zu tun. Das hat nichts mit den 1,7 Millionen kleinen und mittleren Betrieben in Deutschland, nichts mit dem Handelsvertreter, nichts mit dem Frisörmeister, nichts mit dem Handwerksmeister mit zwei oder drei Gesellen zu tun. Die sehen den Spitzensteuersatz nicht einmal von ferne. Deswegen machen wir die Unternehmensteuerreform für die kleinen und mittleren Betriebe. ({3}) Meine Damen und Herren, wir verbessern in der Tat das Steuersystem, indem wir den unsinnigen Unterschied, dass ausgeschüttete Gewinne besser behandelt werden als einbehaltene - das ist Ihre bisherige Systematik -, aufheben. Dies führt übrigens auch dazu - die Bundesbank hat uns dies im Monatsbericht vom Oktober vergangenen Jahres im Vergleich zu Frankreich vorgehalten -, dass die deutschen Unternehmen - im besonderen Maße die kleinen und mittleren Betriebe, aber auch die großen - in der Eigenkapitalausstattung deutlich schlechter sind als die französischen und deutlich stärker insolvenzgefährdet sind. Dies wollen wir beseitigen. Wir wollen starke Unternehmen, damit sie in einer Krise durchhalten und nicht bei einer Krise kaputtgehen. ({4}) Deswegen tun wir genau das, was die Bundesbank in diesem Punkt nahe legt. Wir schaffen ein ähnliches System wie Frankreich. Deswegen ist das ein guter Weg. Es ist übrigens ein Weg - deswegen dürfen Sie sich über die Zustimmung der Wirtschaft nicht wundern -, den wir nicht allein entwickelt haben. Die Unternehmensteuerreformkommission, die im Dezember 1998 eingesetzt worden ist, ({5}) wurde von Herrn Kühn geleitet. Das ist der Steuerexperte des Deutschen Industrie- und Handelstages. Alle Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften haben ihre Steuerfachleute in der Kommission gehabt. Auch Herr Hinterdobler hat dazugehört. Deswegen ist diese Reform abseits der Frage der Steuersätze in der Tat auch aus der Perspektive der Unternehmensverbände gemacht worden. ({6}) Das Sie das schmerzt, meine Damen und Herren, kann ich verstehen. Sie hätten das aber früher bemerken sollen. Ich sage noch einmal: Dies ist eine Steuerreform, die wir nur angehen konnten, weil wir konsequent den Ein8160 stieg in die Konsolidierung des Haushaltes und den Weg aus der Schuldenfalle gegangen sind. Wir können es uns nur deswegen leisten, in dem beginnenden Aufschwung ein deutliches Zeichen für einen stärkeren Aufschwung zu setzen, weil wir die große Nettoentlastung des Steuerentlastungsgesetzes von 2002 auf 2001 vorziehen. Damit der Aufschwung, soweit die Steuerpolitik Beiträge leisten kann, ein lang anhaltender wird, setzen wir etwas dahinter: Weil es mit dem Ziel, aus der Schuldenfalle herauszukommen, vereinbar ist, gibt es weitere Steuerentlastungen bei der Einkommensteuer bis zu den 15 Prozent unten und 45 Prozent oben. Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich, dass dies ein sehr offenes Verfahren wird. Wir haben das sorgfältig vorbereitet. Die Reaktionen der Wirtschaft zeigen es auch. Sie machen Ihnen die Totalopposition, die Sie im vergangenen Herbst noch angekündigt hatten, unmöglich, weil Sie genau wissen, dass dies auch in dem Bereich, der Ihnen politisch nahe steht, als eine vernünftige Reform angesehen wird, an der die Unternehmensverbände genauso wie der Steuerexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes mitgearbeitet haben. ({7}) Es ist richtig, eine Steuerpolitik so vorzubereiten, weil wir Transparenz wollen und weil wir mit den Unternehmen, ebenso wie mit den Bürgerinnen und Bürgern, über die Höhe der Besteuerung immer fechten werden. Aber wir müssen nicht um das System fechten. Deswegen war es vernünftig, sie dabei zu haben. Deswegen sage ich: Ich begrüße die Töne heute, die sehr differenziert waren, auch wenn sie nicht mit allen Punkten Einverständnis signalisierten. Ich sage ganz ausdrücklich - auch wenn wir es sorgfältig vorbereitet haben -: Wenn es Vorschläge gibt, die uns wieder in die Gefahr eine Steuersenkung auf Pump führen, so werden wir das auf keinen Fall mitmachen. Das kann niemand vernünftigerweise mitmachen. ({8}) Wir sind natürlich bereit, über alle Einzelheiten zu reden. Warum soll es nicht jemanden geben, der trotz aller sorgfältigen Vorberatung mit den Experten der Verbände noch fragt: Habt ihr an der einen oder anderen Stelle noch eine bessere Lösung? Deswegen reden wir darüber. Das Ziel muss sein, im Interesse unseres Landes vor der Sommerpause zum Abschluss zu kommen. Ich denke, dieses Ziel ist erreichbar. Das ist für Deutschland gut, weil es uns hilft, von einem der hinteren Plätze bei der Wirtschaftsentwicklung in Europa ganz weit nach vorne zu kommen, wo wir hingehören. Die Großen müssen vorne stehen. Das ist ein Weg, der genau zu dem führt, wofür wir angetreten sind. Denn dann wird die Arbeitslosigkeit im Lande - der Prozess hat ja schon begonnen - nachhaltig abgebaut sein. Das wollen wir erreichen. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Barbara Höll, PDSFraktion, das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister Eichel, Sie haben der PDS Legendenbildung vorgeworfen, insbesondere im Hinblick auf die Einschätzung des unterschiedlichen Entlastungsvolumens für die Bezieher unterer und hoher Einkommen. ({0}) Nimmt man nicht nur die prozentualen Anteile an den Entlastungen seit 1999, sondern schaut man sich den Inhalt an, dann erkennt man, dass 1999 noch 80 Prozent der Gesamtentlastung auf die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entfällt und dass sich das in den Jahren 2001 und 2002 ändert. Das bedeutet, dass am Ende ihrer Steuerentlastungspolitik etwas herauskommt, was Ihnen doch sehr zu denken geben sollte. Bereits im Jahre 2002 entfällt das Hauptentlastungsvolumen zu einem sehr viel höheren Prozentsatz - verglichen mit dem, was Sie vorher machen - auf die oberen Einkommensgruppen. Rechnet man das einmal pro Kopf der Bevölkerung um, so heißt das für das Ende Ihrer Steuerentlastungspolitik im Jahre 2005: Auf die wenigen Prozent der Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen entfällt eine Entlastung von 8 734 DM pro Person, während die Entlastung für Bezieher mit niedrigem Einkommen nur 1 478 DM beträgt. Sie können nun wirklich nicht behaupten, dass das noch in einem vernünftigen Verhältnis steht. Das ist ganz eindeutig eine viel stärkere Entlastung hoher Einkommen. ({1}) Sie haben Ihre Rede damit beendet, das Sie gesagt haben, insbesondere durch die steuerliche Besserstellung einbehaltener Gewinne würden Arbeitsplätze entstehen. Sie haben aber überhaupt keine Vorsorge getroffen. Während Sie im Unternehmensbereich bei der Gewinnverwendung zumindest im Hinblick auf die einbehaltenen Gewinne das Prinzip der Neutralität aufrechterhalten, sehen Sie das bei der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht so. Am Wochenende haben Sie nämlich eine Zwangsabgabe für eine private Rente vorgeschlagen. Wenn die Bezieher sehr hoher Einkommen nun auch noch überproportional steuerlich entlastet werden, warum schlagen Sie dann nicht endlich einmal vor, dass sie zwangsweise in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen? Denn dann käme wirklich einmal etwas heraus, was uns hilft. Das, was die Regierung den Menschen mit einem sehr hohen Einkommen schenken und erlassen will, würde dann sinnvoll verwendet. Wenn Sie es schon für die einen machen wollen, dann machen Sie es doch bitte für alle! ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer weiteren Kurzintervention hat sich der Kollege Ernst Hinsken gemeldet. Herr Minister ich schlage vor, dass Sie anschließend auf beide eingehen.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Einverstanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Hinsken, bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mich zu dieser Kurzintervention gemeldet, weil der Herr Minister meine Zwischenfrage nicht zuließ. ({0}) Herr Minister Eichel, ich erwarte von Ihnen, dass Sie schön bei der Wahrheit bleiben. ({1}) Da Sie Herrn Hinterdobler als „Kronzeugen“ genannt haben, möchte ich darauf verweisen, dass Herr Hinterdobler - insgesamt gesehen - nur gesagt hat, die Richtung stimme. ({2}) Aber er hat auch darauf verwiesen, dass das Optionsmodell am Handwerk total vorbeigeht. Das haben Sie unterschlagen. Es gehört mit dazu, dass Sie diesbezüglich hier ergänzende Ausführungen machen. Denn ich meine, wenn viele Fernsehzuschauer diese Debatte verfolgen, sollten sie auch ordnungsgemäß informiert werden. Im Übrigen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen entgangen, dass auch Präsident Philipp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks gesagt hat, dass diese Steuerreform den Mittelstand nicht so berücksichtigt, wie es an und für sich sein sollte? ({3}) Wie deuten Sie das, was Kollege Poß vorhin gesagt hat, nämlich: „Wir werden mit den mittelständischen Verbänden noch Gespräche führen können“? Heißt das: Mit dem Mittelstand spricht man und den Großen gibt man? Das kann doch nicht nachvollzogen werden. Das ist nicht die Politik, die der Mittelstand, insbesondere als Leistungsträger dieser Gesellschaft braucht. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Sie haben gesagt: Mit dem Mittelstand spricht man und den Großen gibt man. Aber die Steuerreform durch unser Steuerentlastungsgesetz, die Familienförderung und das Steuersenkungsgesetz läuft für die Großen praktisch auf Null hinaus. Für den Mittelstand gibt es eine Entlastung von 17, 18 Milliarden DM. Das ist es. ({0}) Zweitens habe ich nicht behauptet, dass Herr Hinterdobler mit allen Einzelheiten einverstanden ist. Sie haben die Generalkritik geäußert, wir machten eine Steuerreform für die Großen und belasteten den Mittelstand. Herr Hinterdobler sagt das genaue Gegenteil. Das haben Sie eben nicht deutlich gesagt. ({1}) Was drittens Herrn Präsidenten Philipp betrifft, so weiß ich, dass er insbesondere das Thema Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer behandelt. Ich wüsste gerne, wie viele dem Zentralverband des Deutschen Handwerks angehörende Betriebe tatsächlich vom Spitzensteuersatz betroffen sind. ({2}) Vielleicht kommen wir dann zu einer anderen Debatte. Ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, dass zwei Drittel aller Unternehmen in Deutschland - das ist eine Vielzahl von Kleinbetrieben, die in Wahrheit in keiner anderen Situation sind als sehr viele Arbeitnehmer auch - nur durch die Gestaltung des Eingangssteuersatzes und des Existenzminimums entlastet werden können. Der Fehler gerade der CDU/CSU war, diesen Sachverhalt nicht erkannt zu haben, sondern sich erst dazu haben zwingen lassen zu müssen. ({3}) Was die Zwischenfrage von Frau Dr. Höll angeht, sage ich: Jeder hat nur seine selektive Auswahl von Fakten. Sie unterschlagen schlicht, was wir im Steuerentlastungsgesetz getan haben, um hohe Einkommen wieder zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Das unterschlagen Sie. Es kommt bilanziell genau das heraus, was ich eben vorgetragen habe. Aber jeder macht eben seine Propaganda mit Halbwahrheiten. ({4}) Ich sage Ihnen nur: Wir werden unsere Wahrheiten dagegen durchsetzen. Sie werden keine Chance haben, das öffentlich klar zu machen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es nach den Versprechungen der Regierung gegangen wäre, dann würden wir heute nicht über einen Entwurf diskutieren, sondern dann hätten wir schon seit dem 1. Januar 2000 eine Unternehmensteuerreform, ({0}) und zwar mit Sätzen von 35 Prozent inklusive Gewerbesteuer. ({1}) Dass daraus nichts geworden ist und wir erst heute darüber diskutieren, ist nicht auf uns zurückzuführen, sondern liegt an Ihnen. ({2}) - Sie haben doch nicht einmal etwas vorgelegt, Herr Stiegler, da kann man doch gar nicht von Kompromisslosigkeit sprechen! ({3}) Wenn es nach uns gegangen wäre - auch darauf muss noch hingewiesen werden -, dann hätten wir schon seit mehr als zwei Jahren eine deutliche Entlastung aller Steuerzahler, und zwar eine so große Entlastung, dass auch eine entsprechende Impulswirkung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu verzeichnen gewesen wäre. ({4}) Dass daraus nichts geworden ist, haben wir ebenfalls nicht zu verantworten, sondern auch das liegt wiederum bei Ihnen. ({5}) Das, lieber Herr Finanzminister, gehört zur Vorgeschichte, genauso wie dazugehört, dass in den vergangenen Jahren nicht eine Entlastung, sondern eine Belastung eingetreten ist, ({6}) nicht nur wegen der Ökosteuer, sondern auch wegen der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in weiten Bereichen, weshalb Sie diese Unternehmensteuerreform versprochen haben, die Sie erst jetzt umzusetzen versuchen. ({7}) Nun sind wir ja froh, dass überhaupt ein Entwurf vorliegt. ({8}) Richtig ist auch, dass wir uns jetzt intensiv über den richtigen Weg streiten sollten. Die größte Schwachstelle - das ist in der heutigen Diskussion bereits zum Ausdruck gekommen - ist die Schieflastigkeit zugunsten der Großaktionäre und zulasten der Kleinaktionäre, ({9}) die Schieflastigkeit zugunsten der Großbetriebe, der großen Unternehmen, der Kapitalgesellschaften und zulasten der kleinen und mittelständischen Unternehmen, eine Schieflastigkeit aber auch in Bezug auf Sparer und Unternehmen. Denn das, was im Unternehmen gespart wird, wird bevorzugt, während das, was privat gespart wird, benachteiligt wird. ({10}) Herr Minister, wenn Sie vorhin gesagt haben, dass Handwerksvertreter etwa Herr Hinterdobler und andere, das grundsätzlich begrüßen, dann möchte ich schon darauf hinweisen, dass hier immer wieder ein enormer Verbesserungsbedarf angemahnt wird. Dabei geht es nicht nur um den Spitzensteuersatz, sondern um den gesamten Tarifverlauf, ({11}) beispielsweise auch darum, wann der Spitzensteuersatz tatsächlich gezahlt werden muss. Sie bleiben ja nicht einmal beim jetzigen Stand, sondern gehen noch herunter. Das heißt, schon bei einem Einkommen von 98 000 DM muss der Spitzensteuersatz, der im nächsten Jahr noch 48,5 Prozent beträgt und erst im Jahr 2005 auf 45 Prozent abgesenkt wird, gezahlt werden. Dies führt dazu, dass die Kurve noch steiler wird ({12}) und dass nicht nur diejenigen, deren Einkommen über dem Spitzensteuersatz liegt, sondern auch alle, die darunter liegen, mehr belastet werden. Dies zu vermeiden ist ein wesentliches Anliegen des Mittelstandes. ({13}) Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wird der Unternehmensstruktur in unserem Lande auch nicht gerecht. 85 Prozent unserer Unternehmen sind als Personengesellschaften organisiert, ein Großteil als Einzelunternehmen. Diese Unternehmen stellen den Großteil der Arbeits- und Ausbildungsplätze. Sie sind von der Einkommensteuer betroffen. Eine Unternehmensteuerreform, die diesen Namen wirklich verdient und eine Entlastung der Unternehmen mit sich bringen soll, kann an diesen 85 Prozent nicht vorbeigehen. Sie müssen vielmehr in den Mittelpunkt gestellt werden. ({14}) Sie machen genau das Gegenteil: Sie lösen den Zusammenhang zwischen Einkommensteuer und Körperschaftsteuer auf und begünstigen einseitig die großen Unternehmen und die Kapitalgesellschaften. ({15}) - Natürlich, die kleinen und mittleren Unternehmen, die Landwirte, die Freiberufler werden bei Ihnen nur ganz geringfügig und sehr spät über den Einkommensteuertarif entlastet, während die Kapitalgesellschaften schon im ersten Jahr mit 25 Prozent einen deutlich niedrigeren Steuersatz für die einbehaltenen Gewinne haben. (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben es immer noch nicht kapiert!] Alle anderen - die Landwirte, die Freiberufler, auch die kleinen Unternehmen, die nicht in diesem Maße entlastet werden - sind aber von den Gegenfinanzierungsmaßnahmen, von Abschreibungsverschlechterungen und allen anderen Maßnahmen aus dem Steuerentlastungsgesetz, mindestens genauso betroffen. Sie haben jedoch einen Anspruch darauf, gleichermaßen entlastet zu werden. ({16}) Dass ein Unterschied im Tarif besteht, können Sie wirklich nicht leugnen. Bei den Kapitalgesellschaften, den Aktiengesellschaften und den GmbHs, also bei den überwiegend Großen, wird es künftig einen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent geben. Für die Handwerker, Freiberufler und Mittelständler hingegen, also für die, die Einkommensteuer zahlen und persönlich mit all ihrem Hab und Gut für das ganze Unternehmen, für alle Arbeitsplätze in ihrem Unternehmen haften, wird im kommenden Jahr, in dem die Steuerreform in Kraft treten soll, noch ein Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent und später immer noch ein Spitzensteuersatz von 45 Prozent gelten. Daran wird deutlich, dass das nicht zusammenpasst, dass eine große Spanne besteht, selbst wenn Sie als Vergleich nicht den Grenzsteuersatz, sondern die durchschnittliche Steuerbelastung heranziehen. Das passt nicht zusammen, es ist keine gleichmäßige Entlastung der Unternehmen. ({17}) Eine zweite Ungleichbehandlung neben dem Tarif stellt die Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften dar. Daran wird die Schieflastigkeit besonders deutlich. ({18}) Es leugnet niemand, dass ein Strukturwandel in der Wirtschaft notwendig ist und dass man über geeignete Maßnahmen nachdenken muss. Nach Ihrem Vorhaben aber sieht die Situation künftig folgendermaßen aus: Wenn eine Kapitalgesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft, sind die Erlöse daraus steuerfrei. Wenn eine Personengesellschaft oder eine Privatperson Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft, wird nach dem so genannten Halbeinkünfteverfahren die Hälfte der Einkünfte mit dem vollen Steuersatz belegt. Wenn ein Personenunternehmer, zum Beispiel ein Handwerker, sein Unternehmen verkauft bzw. abgibt oder wenn ein Gesellschafter Anteile einer Personengesellschaft verkauft, gilt weder die Steuerfreiheit noch die hälftige Besteuerung, sondern die volle Besteuerung. ({19}) Da kann man doch nicht davon reden, dass vergleichbare Sachverhalte steuerlich gleich behandelt werden. ({20}) - Genau, das liegt am System. Deshalb ist schon das System falsch. ({21}) Sie können vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich besteuern. ({22}) Ich möchte dazu den Präsidenten des Deutschen Steuerberaterverbandes, Herrn Pinne, zitieren: Pinne kritisierte, „der Mittelständler muss alles versteuern und die großen Kapitalgesellschaften können steuerfrei umstrukturieren, das ist eine eindeutige Begünstigung der Großindustrie“. Er habe ohnehin „das Gefühl, dass hier mehr für die international tätigen Konzerne getan worden ist als für den Mittelstand, der ja eigentlich die Säule unserer Wirtschaft ist“ ... Meine Damen und Herren, wo er Recht hat, hat er Recht. Dies trifft den Kern der Sache. ({23}) Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auch verankert, dass die Personenunternehmen optieren können. Sie können wählen, wie ein Personenunternehmen mit der Einkommensteuer belegt zu werden oder wie eine Kapitalgesellschaft mit der niedrigeren Körperschaftsteuer. Allein die Tatsache, dass Sie diese Optionsmöglichkeit verankern, macht schon deutlich, dass Sie selbst zugestehen, dass hier eine Ungleichbehandlung besteht. Sähen Sie diese Ungleichbehandlung nicht, würden Sie diese „Krücke“ nicht einbauen. Nun sind die 25 Prozent Körperschaftsteuer ja sehr verlockend, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass mit dieser Optionsmöglichkeit eine Fülle von zusätzlichen Komplizierungen verbunden ist. Das Steuerrecht wird also nicht einfacher, sondern weit komplizierter. Wir werden in die gleiche Situation kommen wie beim Steuerentlastungsgesetz. Dieses Gesetz ist zwar bereits seit einem Jahr in Kraft, aber zu wichtigen Punkten sind noch immer keine Durchführungsanweisungen vorhanden, weil diese schlicht nicht machbar sind. Es gibt also keine Vereinfachung, sondern zusätzliche Komplizierungen. Zudem ist eine Fülle von Fallen enthalten. Die Unternehmen gehen ein kostspieliges Risiko ein, letztlich die Gefahr einer wirtschaftlichen Geisterfahrt, wenn Sie so wollen. ({24}) Ich will einige Beispiele ansprechen: Es wird immer verschwiegen, dass, wenn es um eine Personengesellschaft geht, alle Gesellschafter einstimmig entscheiden müssen, auch wenn die individuelle Situation der Gesellschafter sehr unterschiedlich ist, was in der Regel der Fall ist. Gelegentlich wird auch verschwiegen, dass für diejenigen, die optieren und zurzeit noch keine Gewerbesteuer zahlen, die Gewerbesteuerpflicht hinzukommt, beispielsweise bei den Landwirten und den Freiberuflern. Verschwiegen wird auch, dass zwei Bilanzen erstellt werden müssen: eine Handels- und eine Steuerbilanz. Nun kann man sagen: Gut, das macht vielleicht ein bisschen mehr Arbeit. Dass dies aber für den Betrieb nicht nur mehr Arbeit, mehr Aufwand bedeutet, sondern auch mehr Kosten verursacht, muss bei dieser Gelegenheit einmal erwähnt werden. ({25}) Sind in einer Personengesellschaft bzw. einem Personenunternehmen Immobilien vorhanden, die betrieblich genutzt werden - das ist sehr häufig der Fall -, kommt hinzu, dass bei der Option das Sonderbetriebsvermögen als entnommen gilt und der daraus entstehende Gewinn versteuert werden muss. Das ist eine zusätzliche Besteuerung, die bei vielen Betrieben einen sehr großen Betrag ausmacht, weil eben die betriebliche Nutzung von Grundstücken, gerade auch von Immobilien, bei Personenunternehmen sehr häufig vorkommt. Wenn nun nach einigen Jahren wieder zurückoptiert wird, das heißt, wenn das Unternehmen ertragsschwächer wird - die Option zur Kapitalgesellschaft rentiert sich dann nicht mehr so stark -, dann muss der Gewinn, der bis dahin nur mit 25 Prozent versteuert wird, ausgeschüttet und im Halbeinkünfteverfahren nachversteuert werden. Wenn man berücksichtigt, dass dies gerade zu einer Zeit kommt, in der die Unternehmen ertragsschwächer sind, eine Phase, in der sie in aller Regel eben nicht so liquide sind, und dass nun die zusätzliche Steuerlast hinzukommt, dann müssen Sie doch sehen, dass dies eine Falle ist, aus der viele gar nicht mehr herauskommen. ({26}) Nun zur Erbschaftsteuer. Herr Minister, Sie haben, als Sie dies angesprochen haben, offensichtlich den Eindruck erweckt, dass Sie dabei etwas geschwommen sind und sich auf Glatteis begeben haben. ({27}) Sie haben Recht, dass bei Kapitalgesellschaften die Gesellschaft als solche nicht vererbt wird, sondern die Anteile vererbt werden. Aber in diesem Fall der Option haben wir es nicht mit einer Kapitalgesellschaft per se zu tun, sondern wir haben es nach wie vor mit einem Personenunternehmen zu tun, das nur steuerrechtlich so wie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird. Das ist ein völlig anderer Zusammenhang. Das heißt, die Konsequenz, die Sie ziehen, dass in diesen Fällen eine Personengesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft erbschaftsteuerlich zu behandeln ist, ist völlig falsch. Sie kann so nicht gezogen werden. Bei der Kapitalgesellschaft wird das Betriebsvermögen völlig anders bewertet als bei Personenunternehmen. Die führt dazu, dass die Erbschaftsteuer nicht von einer anonymen Gesellschaft, sondern von den verantwortlichen Personen getragen wird. Es besteht nach wie vor die persönliche Verantwortung in der Personengesellschaft, so dass die Erbschaftsteuerbelastung dabei nicht nur ein wenig höher wird, sondern etwa das Fünffache betragen wird. Gerade bei ertragstarken Unternehmen, bei denen sich die Option vom Steuersatz her lohnen würde, ist dies ganz besonders ausgeprägt, weil die Kapitalgesellschaften im Erbschaftsteuerfall eben nach dem Ertragswert bewertet werden. Das heißt, Sie haben bei der Erbschaftsteuer eine solche zusätzliche Erschwernis für die Option mit eingebaut, dass es wirklich unglaublich ist. Ich will nur darauf hinweisen, dass sich der Beirat, den Sie mehrfach zitiert haben, bei der Problematik der Erbschaftsteuer hinsichtlich der Option nicht umsonst einer Äußerung enthalten hat. Die Erbschaftsteuerregelung, so wie Sie sie jetzt im Gesetz vorsehen, war nicht enthalten. Diese Option ist so ausgestaltet, dass sie als Berater oder als Unternehmer wirklich ein Hellseher sein müssen, wenn Sie sich dafür entscheiden. Es ist ein Abenteuer ohne Kenntnis des Ausgangs. Deshalb kann es nicht empfohlen werden. Daher überrascht es nicht, dass Sie, Frau Scheel, vor einigen Tagen gesagt haben: Es ist mir ziemlich egal wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie wörtlich „schnurz“ gesagt - wie viele optieren. Sie rechnen mit maximal etwa fünf Prozent. Wenn Sie schon mit so geringen Zahlen rechnen, wenn Sie selbst schon davon ausgehen, dass nur ganz wenige dies in Anspruch nehmen, dann ist doch deutlich, dass Sie das nur als Feigenblatt und als Alibi haben. Sie haben es nur ins Gesetz aufgenommen, um davon abzulenken, dass Sie für die Personenunternehmen keine adäquate Regelung gefunden haben. ({28}) Wenn Sie schon sagen, dass es nur ein paar Prozent sein werden, dann will ich nur darauf hinweisen, dass Sie eine Art symbolische Gesetzgebung machen. Was das für Konsequenzen hat, will ich hier nur am Rande erwähnt haben. ({29}) Deshalb haben wir eine völlig andere Alternative. Wir setzen an der gleichmäßigen Besteuerung aller Steuerpflichtigen und an der gleichmäßigen SteuerGerda Hasselfeldt entlastung aller an: der Kapitalgesellschaften genauso wie der Personenunternehmen, der kleinen und mittelständischen Unternehmen, der freien Berufe, der Landwirte und der Arbeitnehmer. Auch diese darf man dabei nicht vergessen. ({30}) Wir setzen nicht mehr nur am Höchststeuersatz an, sondern am gesamten Tarifverlauf. Bei uns beginnt der Höchststeuersatz von 35 Prozent nicht wie bei Ihnen bei 98 000, sondern weiter hinten, nämlich erst bei 110 000 DM. Das sehen wir im Übrigen auch schon viel früher vor. Bei der Körperschaftsteuer wollen wir beim Anrechnungsverfahren bleiben, aber auch hier eine deutliche Senkung des Steuersatzes vornehmen, auf 30 Prozent bzw. - bei den ausgeschütteten Gewinnen auf 25 Prozent. Was uns aber ganz besonders wichtig ist, ist die Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht - so wie es geschildert wurde -, bei der Besteuerung der Veräußerungsgewinne eine Reinvestitionsrücklage einzuführen. Es kann nicht dabei bleiben, dass die Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften steuerfrei sind, die Personengesellschaften aber außen vor bleiben. ({31}) Mindestens genauso wichtig ist uns die Rücknahme der Beschlüsse im Steuerentlastungsgesetz, die belastend für den Mittelstand wirken. Besonders herausnehmen will ich die Besteuerung bei Veräußerungs- und Abgabegewinnen mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz, die Sie abgeschafft haben. Wir wollen, dass dieser halbe durchschnittliche Steuersatz für Personenunternehmen und Einzelkaufleute wie Handwerker wieder eingeführt wird und zum Tragen kommt, wenn ein Betrieb aufgegeben oder veräußert wird. ({32}) Wir müssen uns am Schluss die Frage stellen: Was kommt nach den Monaten intensiver Diskussion heraus? Wir stehen jetzt am Anfang der parlamentarischen Beratungen. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden nicht so wie Sie das gemacht haben - blockieren, ({33}) nicht weil der Entwurf so gut wäre, sondern deshalb, ({34}) weil wir unserer gesamtpolitischen Verantwortung bewusst sind. Deshalb werden wir nicht blockieren. ({35}) Wir wollen aber keine einseitige Entlastung, sondern eine gleichmäßige Belastung. Wir wollen den zeitlichen Rahmen festschreiben und Änderungen in einem Umfang vorsehen, die tatsächlich zu mehr Impulsen auf dem Arbeitsmarkt führen. Wir wollen weiter daran arbeiten, dass das Steuerrecht nicht komplizierter, sondern einfacher wird. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in den nächsten Monaten diese schwierige Aufgabe gemeinsam angehen, in der Hoffnung, dass wir alle sachlich und konstruktiv, aber auch kritisch an die Arbeit gehen! ({36})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Hansgeorg Hauser. Sie sollten sagen, auf welchen Beitrag die Kurzintervention erfolgt. ({0})

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte eine kurze Anmerkung zu der Rede von Herrn Minister Eichel machen. Herr Minister, Sie haben gerade von „Halbwahrheiten“ gesprochen. In Bezug auf die Erbschaftsteuer haben Sie richtig angemerkt, dass die Anteile an Kapitalgesellschaften die Objekte sind, die der Erbschaftsteuer unterliegen werden. Insofern habe ich zustimmend genickt. Das ist absolut richtig. Diese Anteile werden, wie das Frau Hasselfeldt sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat, in einem Ertragswertverfahren bewertet. In dieses Ertragswertverfahren werden die zukünftigen Erträge mit einbezogen. Bei einer ertragstarken GmbH wird so selbstverständlich ein hoher Wert entstehen. Im Gegensatz dazu werden für die Bemessung der Erbschaftsteuer bei Personengesellschaften in der Regel nur die Buchwerte zugrunde gelegt. Dieser Wert ist natürlich erheblich geringer als der im Ertragswertverfahren ermittelte. Das veranlasst uns zu der Bemerkung - auch die Experten stellen das alle klipp und klar fest -: Die Option, wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden, führt im Falle der Erbschaftsteuer und - das ist für uns noch viel wichtiger, weil es für die vorgezogene Erbfolge, also den Generationenwechsel, von Belang ist - bei der Schenkungsteuer zwangsläufig zu erheblichen höheren Steuerwerten als das bei Personengesellschaften normalerweise der Fall wäre. Lassen Sie mich noch ganz kurz einen zweiten Punkt ansprechen, die Frage der Finanzierung. Sie haben gesagt, Sie wollten mit der von Ihnen vorgeschlagenen 25-prozentigen Körperschaftsteuer, einer definitiven, end-gültigen Besteuerung. ({0}) - Plus Gewerbesteuer, das ist klar -, dazu beitragen, dass die Innenfinanzierung gestärkt wird. Ich glaube, dass Sie mit dieser Entscheidung gegen eine Reihe von Neutralitätsgeboten verstoßen. Sie verstoßen gegen die Finanzierungsneutralität. Sonst sagen Sie überall, der Kapitalmarkt solle gestärkt werden; denn die Außenfinanzierung müsse gleichermaßen berücksichtigt werden. Hier schließen Sie den Kapitalmarkt aus, weil die Gewinne eingesperrt bleiben, also nicht auf dem Kapitalmarkt bessere Verwendung finden. Sie verstoßen gegen die Rechtsformneutralität und Sie verstoßen gegen die Gewinnverwendungsneutralität. Das sind ganz typische Merkmale dieses Reformwerkes. Deswegen sollten Sie das noch einmal überdenken. In einigen Punkten sollten wir erheblich andere Ergebnisse erzielen. Positiv ist, dass Sie endlich einsehen, dass wir eine Unternehmensteuerreform mit niedrigeren Sätzen brauchen. Das hat bei Ihnen im Sommer noch ganz anders geklungen, als Herr Poß uns die falschen Zahlen von der OECD um die Ohren gehauen hat. Er hat damals gesagt, die Unternehmen würden in Deutschland so günstig besteuert, dass wir keine Veränderungen brauchten. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister Eichel, bitte schön.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Erstens, Herr Kollege Hauser: Die niedrigen Sätze stehen in der Koalitionsvereinbarung dieser Koalition. Insofern sind Ihre Aussagen schlicht falsch. ({0}) Zweitens. Das Neutralitätsgebot hatten Sie im jetzigen Steuerrecht verletzt, weil Sie den ausgeschütteten Gewinn begünstigten. ({1}) Jetzt soll sowohl der einbehaltene als auch der ausgeschüttete Gewinn für das Unternehmen gleich besteuert werden. Eine weitere Besteuerung findet im Zeitpunkt der Ausschüttung beim Aktionär statt. Das ist der Sachverhalt. Das Ergebnis dessen, was wir bisher haben, Herr Kollege Hauser, wird von der Bundesbank analysiert. Sie hat sich in ihrem Monatsbericht vom Oktober oder November letzten Jahres, den ich vorhin bereits zitiert habe, damit befasst. Das ist genau das, was Sie an anderer Stelle zu Recht beklagt haben, nämlich die schmale Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen, die einen schweren Nachteil für unsere Wirtschaft darstellt. Wer sich mit der Entwicklung der Finanzierungskosten beschäftigt, der weiß, dass wir zurzeit eine harte Abwehrschlacht führen. Ich denke an die Baseler Eigenkapitalvereinbarung. ({2}) - Das hat mit Rot-Grün nichts zu tun, Herr Thiele. Das ist das Eindringen anglo-amerikanischer Tendenzen in unseren Kapitalmarkt. - Das ist eine erhebliche Bedrohung der Kosten der Außenfinanzierung unserer Unternehmen. Dies beklagt der Mittelstand zu Recht. Deswegen: Wenn wir ein Stück Vorsorge treffen wollen, sind wir besser beraten, wenn die deutschen Unternehmen ebenso wie die Unternehmen in anderen Ländern - eine bessere Eigenkapitalbasis haben. Dafür müssen wir auch steuerliche Akzente setzen. Genau das werden wir tun. Sie werden sich im Übrigen wundern: Wenn Sie mit den Vertretern der Wirtschaft reden, werden Sie feststellen, dass Sie auf verlorenem Posten kämpfen, weil diese die Dinge anders als Sie sehen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Insgesamt kann man übereinstimmend sagen: Heute ist ein schöner Tag. Es ist deswegen ein schöner Tag, weil wir es endlich geschafft haben, mit der Steuerreform 2000 ein Reformwerk vorzulegen, das die weitreichendste Steuersenkung mit positiven Effekten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Selbstständigen und Unternehmer beinhaltet, die es jemals gegeben hat. ({0}) Während der Amtszeit dieser Regierung sind zum ersten Mal nicht nur die Bruttolöhne, sondern durch unsere Steuer- und Abgabenpolitik auch die Nettolöhne gestiegen. Während Ihrer Regierungszeit waren aufgrund Ihrer Politik zwar die Bruttolöhne gestiegen, die Nettolöhne aber gesunken, weil die Steuer- und Abgabenbelastung gewachsen war. ({1}) Die alte Regierung hat uns sehr hohe Steuersätze und sehr hohe Abgaben im Sozialbereich hinterlassen, die wir jetzt Schritt für Schritt nach unten führen und damit sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber in diesem Land entlasten. ({2}) Herr Merz, wir freuen uns - wo ist er denn? -, ({3}) dass es von Ihrer Seite Rauchzeichen gibt. Mich überrascht nur, dass Herr Merz immer von „wir“ redet. Er meint damit wohl CDU/CSU. Hansgeorg Hauser ({4}) ({5}) Aufgrund Ihrer Probleme, die Sie in den letzten Wochen und Monaten hatten, hat sich die CDU im Bereich der steuerpolitischen Vorschläge vor den Karren der CSU, vor allem von Herrn Faltlhauser, spannen lassen. ({6}) Es konnte im Bundesrat bisher niemals eine Zustimmung erfolgen, weil die Länder diese unseriösen Vorschläge, die nicht finanzierbar sind, nicht akzeptieren können. Aus diesem Grunde werden diese unseriösen Vorschläge seit Anfang dieser Woche Stück für Stück zurückgenommen. ({7}) Das ist gut so. Da sind wir dann auf einer Ebene, auf der wir sachlich miteinander reden können, auf der wir über Dinge sprechen können, die in diesem Land auch tatsächlich umgesetzt werden können. Wenn Herr Merz sagt: „Eine Einigung wollen wir“, dann gehe ich auch davon aus, dass diese Einigung stattfindet, dass wir dieses Reformwerk im Sommer im Gesetzgebungsverfahren Realität werden lassen. Das ist übrigens das erste Mal, dass eine Steuerreform bereits im Sommer durch das Parlament geht, durch den Bundesrat gehen kann und, wenn es nötig ist, vielleicht auch durch den Vermittlungsausschuss geht und dass in diesem Land für alle Beteiligten von der steuerberatenden Branche über die Finanzämter bis hin zu den Unternehmen und Arbeitnehmern ausreichend Zeit ist, ({8}) sich darauf einzustellen. Das ist das, was von der Wirtschaft und allen anderen immer eingefordert worden ist: ({9}) Nehmt euch Zeit für die Beratungen, beratet ordentlich. ({10}) Beschließt ein Gesetz nicht kurz vor Weihnachten, das dann zum 1. Januar im Bundesgesetzblatt steht und bei dem keiner so genau weiß, was in der kurzen Zeit eigentlich passiert ist, sondern beschließt es so, dass wir uns ordentlich damit auseinander setzen und uns darauf einstellen können. ({11}) Dies wird, so hoffe ich, auch geschehen. An uns wird es nicht liegen, wenn sich das Ganze verzögert. Ich gehe nicht davon aus, dass dies so kommt. ({12}) Mit der Integration der Körperschaft- und Einkommensteuerreform wird eine steuerliche Entlastung für alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen realisiert. Unternehmen, Unternehmer, Arbeitnehmer werden durchgreifend entlastet. Es ist schlicht falsch, Frau Hasselfeldt, wenn Sie immer wieder die Mär hier aufzubauen versuchen, dass wir einseitig Kapitalgesellschaften bevorzugten. ({13}) Es gibt einen Unterschied in der Besteuerung durch die Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer. Ich sage es noch einmal - ich habe es schon oft an dieser Stelle gesagt -: Die Körperschaftsteuer ist eine Definitivsteuer. Das heißt, man zahlt bei der ersten Mark 25 Prozent und man zahlt bei der letzten Mark 25 Prozent. Dann kommt die Gewerbesteuer noch dazu. Der Minister hat es angesprochen: Wir kommen zu einer Belastung von etwa 37, 38 Prozent insgesamt, von der ersten Mark bis zur letzten Mark. Das kann man nicht so einfach mit dem oberen Grenzsteuersatz der Einkommensteuer vergleichen. Wenn man vergleichen will, dann muss man mit der durchschnittlichen Steuerbelastung bei der Einkommensteuer vergleichen. Bei der durchschnittlichen Belastung derjenigen, die Einkommensteuer zahlen, sind wir eindeutig unter diesen 37, 38 Prozent. Das heißt, es ist im Effekt genau umgekehrt zu dem, was Sie hier darzustellen versuchen. ({14}) Für das Vorziehen der Stufe der Reform der Einkommensteuer, die eigentlich für den 1. Januar 2002 geplant war, auf den 1. Januar 2001 haben wir als Grüne sehr stark gearbeitet, weil wir wollen, dass alle zum 1. Januar 2001 in den Genuss niedriger Steuersätze kommen, und weil wir wissen, wie eminent wichtig das ist, weil wir gerade in Deutschland in der Unternehmensstruktur einen Anteil der Personengesellschaften bzw. Personenunternehmen von 80 bis 85 Prozent haben. Davon können wiederum 70 Prozent - das sind 1,65 Millionen Unternehmen - Gewinne von unter 50 000 DM realisieren. Damit bekommen wir einen Schub in der Entlastung vor allem der kleinen und der mittleren Unternehmen. Es ist auch in Ihrem Interesse, denke ich, dass die Einkommensteuerreform mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent, mit einem erhöhten Grundfreibetrag von 15 000 DM, mit einem oberen Grenzsteuersatz von 45 Prozent natürlich auch für die Privathaushalte Kaufkraft freisetzt. Das ist gut für dieses Land. Das kann man an einem Beispiel festmachen. Wenn man sieht, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit 5 000 DM Bruttoentgelt im Monat schon im Jahr 2001 um 960 DM entlastet wird, dass eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 50 000 DM am Ende der Steuerreform überhaupt keine Steuern mehr bezahlen wird, dann kann man feststellen. dass das gut ist, das dient den Familien mit Kindern. Das ist der richtige Weg. ({15}) Das ist eine wunderbare soziale Begleiterscheinung des von uns vorgelegten Steuerpakets. ({16}) Die Unternehmen- und Einkommensteuerreform ist der wichtigste Baustein der rot-grünen Koalition für eine kontinuierliche Entwicklung der Konjunktur. Sie bietet zugleich einen wesentlichen Anstoß für in- und ausländische Unternehmen, ihr Investitionsverhalten strukturell zu verändern. Der Unternehmensstandort Deutschland wird durch den definitiv niedrigen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent international endlich wieder wettbewerbsfähig. Es wird auch für ausländische Unternehmen aufgrund der von uns vorgeschlagenen Struktur für die Unternehmen endlich wieder interessanter sein, hier in Deutschland zu investieren. Das müsste auch im Interesse der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion sein. In der Bundesrepublik gibt es 420 000 Kapitalgesellschaften. Davon sind nur die wenigsten große Kapitalgesellschaften, nämlich 2 500. Ich weise darauf hin, weil uns immer vorgeworfen wird: Ihr entlastet sowieso nur die riesengroßen Unternehmen wie Versicherungen und Banken. Eine GmbH mit einem voll einbehaltenen Gewinn von 60 000 DM zum Beispiel wird nach In-KraftTreten dieser Reform um 6 753 DM entlastet. Das entspricht 21,7 Prozent der jetzigen Steuerlast dieser GmbH. ({17}) Angesichts dieser Entlastung können Sie uns doch nicht vorwerfen, wir entlasteten nur die Großen und machten im unteren Bereich zu wenig. Wenn man ehrlich ist und sich an die Fakten und Zahlen hält, dann sieht man, dass diese Reform vor allen Dingen im unteren Bereich sehr große Entlastungen bringt. Ich weise auch darauf hin, dass alle Personengesellschaften, die gewerbesteuerpflichtig sind und Gewerbesteuer zahlen, das heißt, die über dem Freibetrag von 48 000 DM liegen, durch den Vorschlag, den diese Koalition jetzt vorgelegt hat, auch eine enorme Entlastung erfahren. Es ist im Prinzip doch geradezu genial, wenn wir auf der einen Seite den Kommunen ihre Einnahmen sichern. Wir stehen bei den Kommunen im Wort. Wir haben mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber gesprochen. Diese wollen, dass wir vorläufig an der Gewerbesteuer festhalten. Das tun wir, damit die Einnahmen der Kommunen in den nächsten Jahren gesichert sind. Wir reden hier immerhin über ein Volumen von 50 000 DM. ({18}) - Entschuldigung, es sind natürlich 50 Milliarden DM. Auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass Unternehmen, die bislang Gewerbesteuer zahlen, durch die von uns angebotene Verrechnungsmöglichkeit in vollem Umfang von der Gewerbesteuer entlastet werden. Das ist gut so. Wir haben nämlich beide Komponenten berücksichtigt: Wir haben zum einen die Finanzkraft der Kommunen gestärkt und zum anderen die Unternehmen, die Personengesellschaften sind und keine Gewerbesteuer zahlen, entlastet. Das ist ein Riesenschritt nach vorne. Ich möchte Ihnen auch hierfür ein Beispiel geben: Für einen verheirateten mittelständischen Einzelunternehmer mit einem Jahresgewinn von 150 000 DM bedeutet dies im nächsten Jahr eine Entlastung von 6 000 DM durch die Anrechnung der Gewerbesteuer und die abgesenkte Einkommensteuer. Es werden also 13 Prozent der Steuerschuld reduziert. Auch das ist mittelstandsfreundlich und entlastet gerade die Personengesellschaften. ({19}) Ergo: Diese Steuerreform ist mittelstandsfreundlich. Bewiesen wird dies durch die Möglichkeit, die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anzurechnen, den sehr niedrigen Eingangssteuersatz, den Grundfreibetrag von 15 000 DM und den Verlauf des Tarifes, von dem gerade diejenigen profitieren, die Sie vorgeben entlasten zu wollen. Durch diese Steuerreform wird auch nicht die Veräußerung von Betrieben behindert. Hinsichtlich der Übergabe eines Betriebes innerhalb der Familie wird durch diese Steuerreform nichts verändert. Auch die Übertragung eines Teilbetriebs oder eines Mitunternehmeranteils als Sachgesamtheit ist ohne Aufdeckung stiller Reserven weiterhin möglich. Eine Steuerlast kann es nur bei Aufgabe eines Betriebes oder bei einer entgeltlichen Übertragung geben, wenn zusätzlich zu dem, was der Betrieb einbringt, enorm hohe Einnahmen, zum Beispiel aus Vermietung oder Verpachtung, vorhanden sind. Nur wenn das der Fall ist, kann es sein, dass durch die von uns getroffene Neuregelung eine steuerliche Mehrbelastung entsteht. Ich meine, das ist dann aber auch angemessen und richtig. Sie behaupten immer, die von uns im Einkommensteuerrecht geschaffene Fünftelungsregelung bei Betriebsveräußerungen sei feindlich bei Betriebsübergaben und schlecht gegenüber dem halben Steuersatz. Schauen Sie sich einfach einmal die Zahlen an: Bei 80 Prozent der veräußerten Betriebe - ich beziehe mich auf die letzte Erhebung - liegt der zu versteuernde Gewinn um 250 000 DM. Von dieser Fünftelungsregelung profitieren - im Vergleich zum halben Steuersatz - die Teilhaber bei Veräußerungen bis zu einer Größenordnung von 500 000 DM. Deswegen ist es gerade für Kleine interessant, die Fünftelungsregelung beizubehalten. ({20}) Genau aus diesem Grunde werden wir das tun. ({21}) Man kann im Verlaufe der Diskussion darüber reden, ob man beim Freibetrag - den übrigens Sie von 120 000 DM auf 60 000 DM gesenkt haben; auch das muss einmal gesagt werden - ein bisschen an der Schraube dreht und ihn vom Lebensalter oder von dauernder Berufsunfähigkeit abhängig macht. Wir sind für eine solche Diskussion offen. Es geht um die persönliche Altersvorsorge, die unsere Koalition stärken will. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Fest steht: Dieses Werk ist gut für die Konjunktur und damit gut für die Arbeitsplätze. Es ist gut für die selbstständigen Arbeitnehmer und für die Unternehmen. Es ist hochinteressant für ausländische Investoren. Es ist ein ausgewogenes Gesetzeswerk, das in der Bevölkerung und in der Wirtschaft auf große Sympathien stößt. Darum sind wir froh, dass wir es heute einbringen konnten. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der F.D.P.-Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Einzige, was die Grünen nachhaltig durchgesetzt haben, ist die Ökosteuer mit einer jährlichen Belastung von 35 Milliarden DM für die Bürger in unserem Lande. ({0}) Frau Kollegin Scheel, ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode ein eigenes Steuermodell vorgelegt haben. Von der von Ihnen beabsichtigten Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die seinerzeit von Teilen der Öffentlichkeit sehr gelobt wurde, ist in diesem Steuerpaket nichts, aber auch gar nichts zu finden. ({1}) Sie haben gesagt: Beraten Sie ordentlich. Ich halte es schon für abenteuerlich, dass der Finanzausschuss gleich zusammentreten wird, um auf Vorschlag von RotGrün den Kreis der Anhörungsberechtigten auf 60 zu beschränken. Das macht die SPD, die unter Willy Brandt einmal „mehr Demokratie“ gefordert hat! ({2}) Denselben Vorschlag machen die Grünen, die ansonsten dafür sind, dass auch kritische Stellungnahmen eingebracht werden können. Wenn wir nachher im Finanzausschuss erleben sollten, dass Sie dadurch Sachverstand aus dem politischen Geschäft heraushalten wollen, dass Sie nur noch Claqueure bestellen, dann werden wir darüber weiterhin politisch diskutieren und dann wünsche ich Ihnen viel Freude. ({3}) Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass die Einkommensteuer einfacher, niedriger und gerechter ausgestaltet werden muss. Aus Sicht der F.D.P. erfüllt der Gesetzentwurf diese Voraussetzungen nicht. Das Steuerrecht wird nicht einfacher, sondern komplizierter. Das Steuerrecht wird nicht gerechter, wenn die Veräußerungsgewinne bei Betriebsaufgaben von Einzelunternehmen und Mittelständlern voll, die von Kapitalgesellschaften aber überhaupt nicht besteuert werden. Auch die Steuerentlastung wird nicht niedriger. Bei der angeblichen Nettoentlastung von 44 Milliarden DM bis zum Jahr 2005 muss man nämlich berücksichtigen, dass alleine bis zum Jahre 2003 die Steuereinnahmen nach der Steuerschätzung der rot-grünen Koalition um 100 Milliarden DM auf dann 1 000 Milliarden DM pro Jahr steigen. Das wird sich in den Jahren bis 2005 fortsetzen, sodass wir voraussichtlich eine Steuermehrbelastung von 150 Milliarden DM haben werden. Sie geben den Bürgern davon 44 Milliarden DM zurück und lassen sich als großer Entlaster feiern. ({4}) Das stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. Die Steuerbelastung wird steigen. ({5}) Mit dieser Unternehmensteuerreform setzen Sie die Finanzpolitik von Oskar Lafontaine fort. An den Voraussetzungen für die Brühler Beschlüsse hat sich nichts geändert. Gewinne der investierenden Unternehmen werden als gute eingestuft, Einkünfte der Arbeitnehmer bzw. derjenigen, die der Einkommensteuer unterliegen, werden dagegen von Ihnen diskriminiert. Als F.D.P. sind wir der Auffassung, dass das grundsätzliche Problem in unserem Lande nicht darin besteht, dass wir zu geringe Staatseinnahmen haben, sondern wir haben zu hohe Staatsausgaben. ({6}) Da muss angesetzt werden. Es darf nicht bei den investiven Bereichen angesetzt werden, Herr Bundesfinanzminister Eichel, wie Sie es getan haben, sondern es muss bei den konsumptiven Bereichen angesetzt werden, ({7}) weil hier der Bund die höchsten Ausgaben hat. Dazu sind Sie bislang nicht in der Lage. Deshalb stellt sich nach Auffassung der F.D.P. bei jeder Steuerreform die Grundfrage, wie viel von dem Erwirtschafteten, das die Bürger unseres Landes erarbeiten, an den Staat abgegeben werden muss und wie viel den Bürgern verbleiben darf. Wir treten dabei für eine weitestgehende Nettoentlastung der Bürger in unserem Staat und für weniger Staat ein. Weil der Staat häufig vom Sparen redet, aber faktisch das Gegenteil macht, muss er zum Sparen gezwungen werden. Voraussetzung für eine gute Entwicklung unseres Landes ist, dass die Bürger und Unternehmen steuerlich netto entlastet werden. ({8}) Mit den bisherigen unter Ihrer Führung erstellten Steuergesetzen, Herr Finanzminister Eichel, haben Sie die Bürger und die Wirtschaft in unserem Lande massiv belastet. ({9}) Das so genannte Steuerentlastungsgesetz war ein reines Steuererhöhungsgesetz für den Mittelstand und war gegen die Arbeitsplätze in unserem Lande gerichtet. ({10}) Die so genannte ökologische Steuerreform ist eine weitere massive Steuererhöhung zulasten der Bürger und der Wirtschaft. ({11}) Trotz dieser angeblichen Steuersenkungsgesetze werden die Steuermehrbelastungen bis zum Jahre 2005 150 Milliarden DM betragen. Das muss der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, damit die entsprechende Argumentation von Rot-Grün, die von guten Gesetzen spricht, entlarvt wird und deutlich wird, dass mehr Staat damit verbunden ist. Dahinter steckt nämlich das Verständnis, über mehr Staat die Wirtschaft in unserem Lande lenken zu müssen. Wir sind da anderer Auffassung, kritisieren das und werden das auch weiter kritisieren. ({12}) Es ist noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Gesetz hinzuweisen: Die SPD hat ja schon, als Herr Lafontaine in der letzten Wahlperiode ihr Verhandlungsführer war, darauf gedrängt, die Abschreibungssätze nicht zu senken, weil sie die Sorge hatte, dass sonst die Innovationsfähigkeit unseres Landes Schaden leidet. Mit den von Ihnen vorgesehenen Absenkungen der Abschreibungen von 30 auf 20 Prozent und der Abschreibungssätze generell führen Sie ein massives Desinvestitionsprogramm ein: Es wirkt wie eine Desinvestitionssteuer. ({13}) Ich bezweifle, ob das tatsächlich zu mehr Aufschwung führt. Ich habe Sorge, dass das im Gegenteil dazu führt, dass der Aufschwung Schaden nimmt. Bis heute fehlt jedes Wort von Ihnen dazu, ob diese Verschlechterungen der Abschreibungssätze möglicherweise rückwirkend ab dem 1. Januar 2000 gelten. Ich fordere an dieser Stelle Klarheit und fordere Sie auf, zu erklären, dass dies, wenn Sie es beabsichtigen, erst ab nächstem Jahr gelten soll. ({14}) Ihre Reform hat zwei Grundfehler: Erstens. Sie ist auf der Entlastungsseite viel zu mutlos. Als F.D.P. fordern wir eine deutlich stärkere Nettoentlastung. Zweitens. Sie halten weiter an der Gewerbesteuer fest. Dabei ist die Gewerbesteuer im internationalen Vergleich eine Sonderbelastung der deutschen Arbeitsplätze. Sie ist wettbewerbsverzerrend. Es ist paradox, dass wir uns in Deutschland ausgerechnet mit einer Steuer auf Arbeitsplätze beschäftigen müssen, obwohl wir alle wissen, dass wir mehr Arbeitsplätze benötigen. ({15}) Wir als F.D.P. sind der Auffassung, dass die Gewerbesteuer abgeschafft gehört und dass zugleich ein entsprechender Ausgleich für die Kommunen gefunden werden muss. Wenn die F.D.P. nicht über Jahre gedrängt hätte, dann würde es heute noch eine Gewerbekapitalsteuer geben. Wir werden bei diesem Thema weiter drängen, damit es eines Tages in Deutschland keine Gewerbesteuer als Sondersteuer für Arbeitsplätze mehr gibt. ({16}) Weil es diese Gewerbesteuerbelastung gibt, senken Sie die Körperschaftsteuer in der Hoffnung darauf, dass hierdurch in unserem Lande Arbeitsplätze geschaffen werden. Dadurch kommen Sie in die Problematik der Spreizung zwischen einem Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent und einem Einkommensteuersatz von 45 Prozent. Das führt zu einer verfassungsrechtlichen Problematik; denn die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist nicht mehr gewährleistet. Art. 3 des Grundgesetzes steht dem entgegen. Weil dies so ist, greifen Sie zu einer verfassungsrechtlichen Krücke, nämlich zu dem Optionsmodell. Danach soll der betroffene Steuerpflichtige selber entscheiden können, ob er nach der Körperschaft- oder der Einkommensteuer veranlagt wird. Frau Kollegin Scheel hat vorgestern erklärt, dass dies lediglich 5 Prozent der Betroffenen tun können. Ich sage Ihnen: Diese Entscheidung wird fast niemand treffen können, weil ein solches Modell nicht praktikabel ist. Dieses Modell steht nur auf dem Papier; damit wird eine Schimäre aufgebaut. Nachdem Frau Kollegin Scheel das Ganze vorgestern in der Debatte dargelegt hatte, erklärte Professor Kirchhof: Angesichts dessen habe er die Bitte an den Gesetzgeber, dass man, wenn dies nur symbolisch gemeint sei, folgende Fußnote anfügen solle: Dieser Teil des Gesetzes braucht den Studenten nicht gelehrt zu werden, weil er nicht ernst gemeint ist. ({17}) Beseitigen Sie den Grundfehler Ihrer Reform: Senken Sie die Sätze bei den Einkommensteuertarifen. Denn wenn die Steuersätze gesenkt werden, dann brauchen Sie diese Krücke nicht mehr. Solange Sie glauben, eine Investitionslenkung dadurch betreiben zu können, dass Sie zwischen guten und schlechten Gewinnen unterscheiden, ({18}) so lange hängen Sie - Herr von Larcher, Sie sowieso alten staatskapitalistischen Ideen an. ({19}) Solange Sie der ideologischen Auffassung sind, dass ein Unterschied zwischen Unternehmen und Unternehmern zu machen ist, verkennen Sie einen der zentralen Grundsätze der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in unserem Lande. Aufgrund dieses falschen Grundverständnisses müssen unsere Gesetze zwangsläufig falsche Politikansätze enthalten. Das liegt hier vor. Solange Sie der Auffassung sind, dass Steuersätze nicht gesenkt werden können, so lange werden wir keine gute Steuerreform in unserem Lande erleben. Wir brauchen für alle Einkunftsarten, wie von der F.D.P. gefordert, eine Einkommensteuer mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent, einem mittleren Steuersatz von 25 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent. Dann wird in Deutschland ein Großteil der bestehenden Steuerliteratur nicht mehr erforderlich sein. Dann werden wir international wettbewerbsfähig sein. Dann ist es für junge Menschen interessant, in unserem Land und nicht in anderen Ländern - ihre Start-up-Firmen aufzubauen und ihre Existenz selbst in die Hand zu nehmen. Dann hat unser Land tatsächlich eine Chance. Auf der Verfolgung dieses Weges werden wir als F.D.P. weiter beharren und in den Beratungen des Finanzausschusses werden wir weiter darauf drängen, dass dies auch tatsächlich realisiert wird. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einem einminütigen Beitrag hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion. ({0})

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir verbleibt in der Tat nur noch eine Redezeit von einer Minute. ({0}) Deshalb will ich ausschließlich die wichtigste Frage, die mich bewegt, an das Hohe Haus herantragen: Wie wollen Sie als Bundesregierung, wie wollen Sie als Koalition aus SPD und Grünen dafür sorgen, dass die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland infolge der beabsichtigten Unternehmensteuerreform und der Vorziehung der Senkung des Einkommensteuertarifs nicht weiter ausbluten angesichts der Tatsache, dass ab dem Jahre 2001 für die Kommunen bundesweit Einkunftsverluste in einem Umfang von 6 Milliarden DM anstehen? Für die Stadt Halle an der Saale wären das etwa 25 Millionen DM jährlich. Wie wollen Sie das verhindern? Wann endlich, Herr Bundesfinanzminister, nehmen Sie die dringend fällige Kommunalfinanzreform in Angriff, ({1}) um die Kommunalfinanzen in Deutschland endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rössel, die Minute ist abgelaufen.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Finanzminister, liebe Koalition, machen Sie mir bitte das Leben als künftiger Oberbürgermeister von Halle an der Saale nicht so schwer! Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von der SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ist eine Politik aus einem Guss. Die Sanierung der Staatsfinanzen, mehr Steuergerechtigkeit, deutliche Steuerentlastungen und eine nachhaltige Förderung von Wachstum und Beschäftigung bilden eine Einheit. Diese Politik findet in Deutschland breite Zustimmung und international Anerkennung. Deswegen bin ich ganz sicher, dass die Oppositionsparteien folgende Tatsache nicht verkennen, sondern berücksichtigen werden: Wir brauchen diese Reformen, die in diesem Sommer zu einem Abschluss gebracht werden müssen; denn es ist lange genug über Steuerreformen nur geredet worden. Jetzt endlich muss die Politik, die wir eingeleitet haben, auch mit Zustimmung des Bundesrates fortgesetzt werden. ({0}) Verantwortungsbewusste Konsolidierung war auch die Voraussetzung für weitere Steuerentlastungen. Herr Kollege Thiele - auch Herr Merz hat vorhin darüber geredet -, Sie haben alles Mögliche in Ihrer Regierungszeit angekündigt. Es ist nur nie etwas dabei herausgekommen. ({1}) Unter dem Strich haben Sie mutige Programme entworfen, aber immer in der Hoffnung, dass Sie nicht in die Verlegenheit kommen, diese Programme zu realisieren zu müssen. ({2}) Dieses Verhalten, Scheinversprechungen zu machen, setzen Sie fort. Sie kündigen jetzt nämlich die massive Senkung von Tarifen an in der Hoffnung, dass diese nicht zustande kommt. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spiller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank - Herr Kollege Spiller, wollen Sie bestreiten, dass der Bundestag in der letzten Legislaturperiode mit der notwendigen Mehrheit Steueränderungsgesetze, das heißt: Steuerentlastungsgesetze, beschlossen hatte, die dann im Bundesrat von der SPD blockiert worden sind? Auf diese Weise haben wir drei Jahre für unsere Steuerbürger verloren. ({0})

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirche, ich will Ihnen insbesondere bestätigen, dass Sie ein Konzept mit Ihrer Mehrheit beschlossen hatten, ({0}) das nicht gegenfinanziert war. Bei Ihrem Konzept wurden 45 Milliarden DM Mindereinnahmen vorausgesagt. Aber es gab eine kleine Anmerkung in Form eines Sternchens, dass durch eine Veränderung des Verhältnisses von indirekten zu direkten Steuern diese Mindereinnahme verringert werden könnte. Die arme Frau Nolte hat in einem Anflug von Ehrlichkeit - damals war in der Union Ehrlichkeit noch üblich ({1}) während des Wahlkampfes darauf hingewiesen, dass es dieses Sternchen gab. Danach ist dieses Sternchen sozusagen verglüht, ({2}) weil die Bürger erkannt haben, dass dieses Konzept eine Mogelpackung war. ({3}) Ihren Konzepten, die Sie bisher angekündigt haben es gibt ja kein gemeinsames Konzept von F.D.P. und Union mehr; aber auch innerhalb der Union ist der Diskussionsprozess offenbar noch nicht zu Ende -, ist ein Grundprinzip gemeinsam, nämlich die Steuerentlastung auf Pump. Das machen wir nicht mit. ({4}) Ich will Ihnen einmal sagen, was die von uns durchgesetzten Maßnahmen schon jetzt für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes bedeuten. In diesem Jahr hat ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Bruttojahresverdienst von 50 000 DM pro Jahr 600 DM mehr in der Tasche. Im Jahre 2001 wird er mit demselben Bruttogehalt 1 400 DM mehr in der Tasche haben. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 60 000 DM hat im Jahre 2001 3 000 DM mehr in der Tasche. Sie haben immer nur davon geredet, wir aber haben die Steuerentlastung umgesetzt. ({5}) Außerdem haben wir eines nie vernachlässigt: Es gibt eine volkswirtschaftliche Wirkung von Steuern. Diese wollen wir nicht gering einschätzen. Für uns kommt es auch hinsichtlich der makroökonomischen Wirkung darauf an, dass die Binnennachfrage in Deutschland gestärkt wird. Binnennachfrage ist nicht nur privater Konsum. Wir haben schon eine Menge für die Kaufkraft der breiten Bevölkerung gemacht und dies wird mit dem Vorziehen der Tarifentlastung von 2002 auf 2001 fortgesetzt. Aber es kommt auch darauf an - das ist eine ebenso wichtige Komponente der Binnennachfrage -, dass die Investitionskraft der Unternehmen gestärkt wird. Meine Damen und Herren, das ist das eigentliche Kernstück der Unternehmensteuerreform. Wenn man die ganze Kette der Besteuerung nimmt, so entscheiden wir uns bewusst dafür, dass Gewinne, die im Unternehmensbereich verbleiben und dort der Stärkung der Eigenkapitalbasis und der Investitionskraft dienen, steuerlich deutlich entlastet werden, dass sie besser behandelt werden als der ausgeschüttete Gewinn, der ja von dem Empfänger der Dividende oder des Gewinns zu versteuern ist. Die Stärkung der Eigenkapitalbasis ist insbesondere auch für die mittelständischen Unternehmen wichtig. Ich möchte mit der Legende, die Sie so sehr pflegen, aufräumen, dass unser Steuerreformkonzept für den Bereich der Unternehmensbesteuerung einseitig an der Stärkung der Kapitalgesellschaften ausgerichtet sei. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder, der vernünftig und sachlich damit umgeht - deswegen haben wir auch diese breite Zustimmung -, erkennt, dass gerade die mittelständischen Unternehmen davon in besonderer Weise profitieJörg-Otto Spiller ren werden, auch die jungen Unternehmen, die ihre Investitionskraft erst noch erarbeiten müssen, und zwar aus Gewinnen. ({6}) Diese werden davon profitieren. Das trifft übrigens in besonderer Weise auch für die ostdeutschen Unternehmen zu; denn die Eigenkapitalbasis ist dort fast überall schwach. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, Herr Hinterdobler, ist bereits mehrfach erwähnt worden. ({7}) Er hat kürzlich bei einer Veranstaltung des „Handelsblatt“ ein Referat mit dem Titel „Die Unternehmensteuerreform - eine Reform auch zugunsten der Personenunternehmen“ gehalten. Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich zwei Sätze aus diesem Referat zitieren, in dem er sich ausdrücklich zu dem Optionsmodell, also zu dem Modell, dass sich ein Personenunternehmen entscheidet, steuerlich so behandelt zu werden wie eine Kapitalgesellschaft, geäußert hat. Herr Hinterdobler sagt: Mittelständische Unternehmen leiden unter einer schwachen Ausstattung mit Eigenkapital. Diese Unternehmen sind nur in Ausnahmefällen in der Lage, Eigenkapital über Außenfinanzierung am Markt zu gewinnen. ({8}) Sie sind daher auf Innenfinanzierungseffekte angewiesen. Diese Effekte werden durch das Modell deutlich gestärkt, da die Betriebe Gewinne zu einem günstigen Steuersatz thesaurieren können. ({9}) .... Das Wachstumspotenzial wird umso höher, je günstiger die Eigenkapitalbildung verläuft. Das Optionsmodell, meine Damen und Herren, ist deswegen insbesondere auch für mittelständische Unternehmen geeignet. ({10}) Ja, ein CSU-Mitglied. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen - das hat der Kollege Merz inzwischen öffentlich bestätigt -, dass das bisherige System, bei dem die Körperschaftsteuer den Anteilseignern erstattet wird, nicht europatauglich ist. Das bisherige System der Vollanrechnung ist nicht europatauglich. Das ist auch in Ihren Reihen überhaupt nicht umstritten. Deswegen nehme ich dankbar zur Kenntnis, dass bei der Union die Bereitschaft wächst, diese Diskussion nüchtern und sachgerecht zu führen. Eine Bemerkung zu den Veräußerungsgewinnen: Die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen wird uns bestimmt noch in den Ausschussberatungen beschäftigen. Aber man darf nicht nur im Auge haben, was geschieht, wenn sich die Allianz-Versicherung oder eine Großbank von einer Industriebeteiligung trennt. Man muss auch sehen, wie die Bedingungen für die Beschaffung von Risikokapital bei jungen Unternehmen sind. Für Venture Capital ist es eine ganz wesentliche Frage: Wie wird die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen bei Kapitalbeteiligungen sein? Das ist eine der Schlüsselfragen für die Dynamik der Wirtschaft in Deutschland. Der Kollege Merz hat einen etwas komplizierten Vorschlag gemacht, wie man das behandeln könnte. Herr Solms hat - wie ich finde, völlig zu Recht - gesagt, dass der zwar ganz interessant sei, aber viel zu kompliziert. Das Steuerrecht soll ja einfacher werden, Herr Hirche, nicht noch komplizierter. Letzte Bemerkung: Es werden künstlich Unterschiede gemacht. Die deutsche Wirtschaft wird sozusagen in Großunternehmen - die bei Ihnen die Bösen sind - ({11}) und in Mittelständler - die bei Ihnen die Guten sind aufgeteilt. Eine solche Unterscheidung ist ökonomisch ziemlicher Unfug. Denn es gibt eine enge Verflechtung zwischen den großen und den kleinen Unternehmen. Wirtschaftlich gehören die zusammen. Hören Sie mit diesem Gegeneinander auf!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Spiller, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Verband in Deutschland, der von seiner mitgliedschaftlichen Zusammensetzung her verpflichtet ist, für die gesamte Unternehmenslandschaft zu sorgen, ist der Deutsche Industrie- und Handelstag. Herr Stihl hat Sie, insbesondere die Union und auch die unionsgeführten Länderregierungen, aufgefordert, dieser Reform zuzustimmen. Denn wir brauchen diese Reform: nicht nur wegen der steuerlichen Gerechtigkeit, sondern auch für die wirtschaftliche Dynamik dieses Landes. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich schon sehr erstaunlich, wie viel Zeitaufwand die Redner, zum Beispiel Herr Eichel, Herr Spiller, Herr Poß und Frau Scheel, brauchen, um klarzumachen, dass diese Reform für den Mittelstand gut sei. Der Grund ist mir natürlich klar: Sie wissen alle, wenn wir auf dem Arbeitsmarkt nach vorne kommen wollen, dass dies nur mit dem Mittelstand geht; wenn nicht mit ihm, dann überhaupt nicht. Herr Poß hat sogar gesagt, er werde um die Seele des Mittelstandes kämpfen. ({0}) Herr Poß, ich bin Mittelständler. Ich kenne mich da gut aus. ({1}) Ich weiß, dass Sie mit dieser Steuerreform die Seele des Mittelstandes nicht erreichen. ({2}) Diese Reform ist eine reine Großbetriebssteuerreform zulasten der Personengesellschaften, der Freiberufler und damit des Mittelstandes in einer fast schon diskriminierenden Art. ({3}) Herr Eichel, Sie haben hier eingeführt, dass zwei Drittel der Unternehmen einen Gewinn von unter 50 000 DM haben. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich will Ihnen einmal die genauen Zahlen anhand der Umsatzsteuerstatistik von 1997 das ist die letzte, die wir haben - sagen. Da hatten wir noch 1 656 000 Unternehmen mit einem Gewinn von unter 50 000 DM. ({4}) Die haben von Ihrer Gewerbesteueranrechnung überhaupt nichts. ({5}) Wir hatten 345 000 Unternehmen mit einem Gewinn zwischen 50 000 und 100 000 DM. Die haben bei der Anrechnung im Schnitt gerade einmal einen Vorteil von 700 DM. ({6}) Herr Eichel, diese Betriebe sind über die Jahre belastet worden: mit Veränderungen bei den Gewinnermittlungsvorschriften, mit Verschlechterungen bei den Abschreibungsmöglichkeiten, mit der Ökosteuer, mit dem 630-Mark-Gesetz und mit dergleichen mehr. Die lächerliche Entlastung im Tarif, die jetzt kommt, gleicht dieser Mehrbelastung durch die vorhergehenden Veränderungen in keiner Weise aus. ({7}) Aber auch für die wenigen verbleibenden Personengesellschaften mit einem Gewinn von über 100 000 DM bringt diese Reform so gut wie nichts. Das wurde bereits gesagt. ({8}) Diese Option ist eine reine Schimäre, ein Feigenblatt, damit Sie weiter behaupten können, auch etwas für den Mittelstand zu tun. Freiberufler würden zunächst einmal gewerbeertragsteuerpflichtig. Alle Betriebe mit unterschiedlicher Gewinnerwartung begäben sich - sehen wir von der Erbschaftsteuer einmal ab - in eine Falle, was sie möglicherweise teuer zu stehen kommt. Übrigens ist offenbar bereits in Vergessenheit geraten, dass wir 1951 schon einmal so einen Unfug hatten - mit verheerenden Folgen. ({9}) Das konnte nicht gehandhabt werden; 1953 wurde das Gesetz bereits wieder abgeschafft. Den Personengesellschaften ist nur - wie im Unionsvorschlag ({10}) und F.D.P.-Vorschlag vorgesehen - mit einer durchgreifenden Senkung des Einkommensteuersatzes geholfen. ({11}) Wer behauptet, dass die heute vorgelegte Steuerreform den Mittelstand entlaste, der ist entweder ahnungslos oder redet wider besseres Wissen. ({12}) Diese Unternehmensteuerreform ist ein Anschlag auf die Unternehmenskultur in Deutschland. Ich frage mich, warum der Gesetzgeber durch die Steuerpolitik Unternehmen offenbar in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft treiben will. ({13}) Der voll haftende Eigentümer-Unternehmer ist doch das Herzstück der Unternehmensstruktur in Deutschland ({14}) und hat in den letzten 50 Jahren maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung dieses Landes beigetragen. ({15}) Diese Reform spiegelt den alten sozialistischkommunistischen Irrglauben wider, ({16}) dass man Unternehmen vom Unternehmer trennen könne. ({17}) - Schreien Sie ruhig! Sie wissen, dass Sie getroffen sind. ({18}) Es ist der alte sozialistische Traum, man könnte Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, von dem Unternehmer trennen, der nach Ihren Vorstellungen zu viel verdient. ({19}) Der zweite schwere Webfehler dieses Gesetzes ist die Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns. Dem liegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass im Betrieb belassene Gewinne eher als andere Gewinnverwendungsarten zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen würden. In einer Zeit, in der sich Wissen alle fünf Jahre verdoppelt, in der Schnelligkeit gefordert ist, um die Märkte zu beherrschen, und in der man schnell reagieren muss, ist es blanker Unfug, Kapital in bestehende Strukturen einzumauern. ({20}) Es werden also nicht die Anstrengungen kreativer Unternehmer oder anderer Innovatoren belohnt; vielmehr wird die Kapitalkonzentration angeregt. Wer meint, mit der Begünstigung der Selbstfinanzierung Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland fördern zu können, der irrt, weil die Unternehmen die ersparten Beträge unter anderem auch im Ausland investieren, in reinen Finanztiteln anlegen, Schulden tilgen oder gar - nach neuem Handelsrecht - zum Rückkauf eigener Aktien und damit zur Steigerung des Shareholder-Value nutzen. Es ist zu begrüßen, dass Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften steuerlich entlastet werden. Aber wenn heute der Verkauf von Aktienpaketen von einem Unternehmen an ein anderes steuerfrei gestellt wird, dann ist es nur schwer zu ertragen, Herr Eichel, dass gleichzeitig, wenn der Handwerksmeister seinen Betrieb, der seine Altersvorsorge war, im Alter aufgibt, diese Betriebsaufgabe voll versteuert wird, das Ganze frei nach dem Motto: Steuerbefreiung für die Großen, Beseitigung von Steuererleichterungen für die Kleinen. ({21}) Diese Methode setzt sich bei der Behandlung ausgeschütteter Gewinne nahtlos fort. Bei der Umstellung des früheren Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren haben wir den Fall, dass Personen, die über 110 000 DM - ohne den Ausschüttungsbetrag - zu versteuern haben, begünstigt werden, während die, die darunter liegen durch diese Methode schlechter gestellt werden. Da dies nicht nur für kleine Unternehmer gilt, sondern auch für Kleinaktionäre, ist es mir fast unerklärlich, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung ein solches Gesetz eingebracht hat. Im Gegensatz zum Unionsvorschlag ist diese Reform auch aus Sicht der Arbeitnehmer völlig unzulänglich. Einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent erst für das Jahr 2005 vorzusehen wird in keiner Weise der Notwendigkeit gerecht, ({22}) die zu große Spanne zwischen Bruttoarbeitskosten und Nettoeinkommen der Arbeitnehmer zu verringern. ({23}) Durch die jährlichen heimlichen Steuererhöhungen und durch das Zusammenwirken von Progression und Inflation wird in dieser langen Zeitspanne dem Arbeitnehmer mehr Geld aus der Tasche gezogen, als die Tarifentlastung im Jahre 2005 bringt, ({24}) erst recht, wenn man bedenkt, dass der Spitzensteuersatz dann bereits - Gerda Hasselfeldt hat es schon gesagt bei einem Einkommen von 98 766 DM erreicht werden soll. Das heißt, der Durchschnittssteuersatz wird, auch für die deutschen Facharbeiter, für die Arbeitnehmer, ständig höher. ({25}) - Herr Eichel, Sie können ruhig lachen und den Kopf schütteln. Wir haben in Deutschland zurzeit ein Durchschnittseinkommen von 52 000 DM. Das heißt, der Spitzensteuersatz wird bereits mit dem 1,6fachen des Durchschnittssteuersatzes erreicht. Vor 20 Jahren war es das 25fache! ({26}) Wenn man dann so tut, als ob man den Steuersatz senkt, wenn durch die Inflation ohnehin bereits ein Durchschnittssteuersatz erreicht ist, der an die 48 Prozent herankommt, dann ist das eine Verdummung der Leute! ({27}) Ich will noch eines sagen, Herr Eichel: Sie werden von 1999 bis 2003 90 Milliarden DM zusätzlich für den Bund einnehmen, auch deshalb, weil Sie in den letzten Jahren Abschreibungsverschlechterungen durchgesetzt haben. Die alte Regierung musste fünf Jahre lang mit teilweise sogar fallenden Jahressteuereinnahmen zurechtkommen. ({28}) Das, was Sie jetzt als Nettoentlastung bezeichnen, ist im Prinzip nicht nennenswert, weil es unter dem Strich nicht zu einer Absenkung der Steuerquote führen wird. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass die Inflationsrate in Deutschland durch den anhaltend schwachen Außenwert des Euro - Friedrich Merz hat darauf hingewiesen - mittelfristig steigt, kommt diese Tarifänderung viel zu spät, um die Nettolohnentwicklung in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Ich frage mich: Wie sollen die Leute in der Zukunft zusätzlich auch noch Lohnbestandteile für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge aufbringen, wenn nicht die Nettoeinkommen durch eine kräftige Tarifreform deutlich steigen? Die heute eingebrachte Steuerreform ist für Personenunternehmen und Arbeitnehmer völlig unzureichend. ({29}) Mit diesem Gesetz werden die Kräfte, die in der deutschen Wirtschaft stecken, insbesondere im Mittelstand, weiterhin blockiert; ({30}) die Schaffung neuer Arbeitsplätze wird verhindert. Eine beschäftigungsorientierte Steuerreform muss die gesamte Einkommensteuer erfassen und drei Elemente enthalten: erstens eine deutliche Senkung des Steuertarifs, der für alle Einkommensarten gelten muss, zweitens eine konsequente Erweiterung der Bemessungsgrundlage und drittens eine Nettoentlastung für die Privaten. Solange die Bundesregierung diesen Weg nicht geht, werden ihre steuerpolitischen Maßnahmen nicht zu dem Erfolg führen, den wir auf dem Arbeitsmarkt dringend brauchen. Schönen Dank. ({31})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann, SPDFraktion.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat beginnen: Wir erleben zurzeit eine Arbeitslosigkeit, die schlimmer ist als jene in den Jahren des Wiederaufbaus. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat es so viele Firmenzusammenbrüche gegeben, noch nie sind so viele Existenzen vernichtet worden. Die Fähigkeit unserer Wirtschaft, durch Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist erheblich geschwächt. Gleichzeitig erhöhten sich die Abgabenbelastungen. Die Eigenkapitalquote der deutschen Wirtschaft droht noch weiter abzunehmen. Die Wachstums- und Beschäftigungskrise, meine Damen und Herren, hat in aller Deutlichkeit die Finanzkrise unseres Staates offen gelegt. Natürlich könnte ich Sie jetzt alle raten lassen, wer diese Worte wann gesprochen hat. Um Zeit zu sparen, verrate ich es Ihnen gleich: Das stammt aus der Regierungserklärung von Helmut Kohl am 13. Oktober 1982, von der man hätte denken können, dass es seine letzte Rede als Bundeskanzler war. ({0}) So konnte es aber nicht weitergehen. Wir legen heute die Steuerreform 2000 auf den Tisch. Wir gehen damit konsequent den Weg der Konsolidierung weiter, den wir nach der Regierungsübernahme eingeschlagen haben. Viele Wirtschaftsverbände haben uns zu dieser Reform gratuliert. Wir haben den Mut, diese überfällige Reform endlich anzupacken, jenen Mut und jene Tatkraft, die Sie von der Union und der F.D.P. schon lange nicht mehr aufbringen. Das, meine Damen und Herren, haben uns viele von Ihnen nicht zugetraut. Zu diesem Erfolg, lieber Hans Eichel, möchte ich dir an dieser Stelle ganz herzlich gratulieren. Eigentlich müssen jetzt auch die letzten Pessimisten und Kritiker unserer Steuerreform eingestehen: Wir senken die Steuern und machen sie international wettbewerbsfähig. Wir fördern die Eigenkapitalbildung der Unternehmen. Wir schaffen attraktive Bedingungen für Investoren aus dem Inland und auch aus dem Ausland. Wir fördern damit das Wachstum und schaffen die Voraussetzungen für eine deutliche Verringerung der Arbeitslosigkeit. Durch die Unternehmensteuerreform wird die Wirtschaft spürbar entlastet. ({1}) Die Entlastung wird sich nicht nur bei Großunternehmen, sondern auch zugunsten von Mittelstand und Handwerk positiv auswirken. Die rund 3,3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigen erwarten von uns diese Reform, sie brauchen sie auch sehr dringend. Für den Mittelstand führen unsere Steuerprogramme im Zeitraum von 1999 bis 2005 zu einer Gesamtentlastung von über 17 Milliarden DM. Dieses Geld brauchen die Unternehmer dringend, um neue Märkte zu erschließen und Arbeitsplätze zu schaffen. Genau das ist unser Ziel, meine Damen und Herren. ({2}) Wir alle wissen, dass die meisten Mittelständler die Rechtsform der Personengesellschaft wählen. Für sie haben wir das Optionsmodell entwickelt. Sie können selbst entscheiden, ob sie sich als Personengesellschaft oder lieber als Kapitalgesellschaft besteuern lassen wollen. Sie werden dann mit nur 25 Prozent Körperschaftsteuer belastet. Personengesellschaften und Einzelunternehmen, die nicht optieren wollen, gehen auch nicht leer aus. Sie dürfen weiterhin die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abziehen. Zusätzlich können sie künftig einen Teil der Gewerbesteuer pauschal und direkt mit der Einkommensteuerschuld verrechnen. Durch dieses pauschalierte Verfahren wird ein Unternehmen bei einem Hebesatz von 400 Prozent und einem GrenzsteuerPeter Rauen satz von 50 Prozent vollständig von der Gewerbesteuer entlastet. Natürlich zahlen nicht alle kleinen und mittleren Unternehmen Gewerbesteuer. Deswegen werden die zahlreichen Kleinunternehmen, die wenig Gewinne machen und daher keine Gewerbesteuer zahlen, von uns ebenfalls entlastet. Zu diesem Zweck wird die dritte Stufe des Steuerentlastungsgesetzes auf das Jahr 2001 vorgezogen. Das heißt: Die Einkommensteuersätze werden weiter gesenkt und die Freibeträge erhöht. Meine Damen und Herren, ist das wirklich mittelstandsfeindlich? Ich glaube, nicht. Für Unternehmen mit einem jährlichen Gewinn bis etwa 150 000 DM das sind immerhin fast 90 Prozent aller kleinen und mittleren Personengesellschaften - verringert sich die Gesamtsteuerlast um 12 bis 38 Prozent. Bei höheren Gewinnen rechnet sich das Optionsmodell. Ich höre schon die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition laut diskutieren, unser Steuersystem sei angeblich sehr kompliziert. ({3}) Aber war das Vollanrechnungsverfahren nicht eine ABMaßnahme für Steuerberater? ({4}) Selbstverständlich muss Neues erst einmal begriffen werden. Ich sehe aber keine größeren Schwierigkeiten, unser Modell zu begreifen und anzuwenden. ({5}) Das Vollarrechnungsverfahren ist nicht nur unnötig kompliziert, sondern auch im europäischen Maßstab nicht tauglich und schon gar nicht vor Missbrauch geschützt. Wir ersetzen das Anrechnungsverfahren durch das Halbeinkünfteverfahren. Die Steuerverrechnung wird viel einfacher und effizienter. Wie ich schon sagte, sieht das Optionsmodell nur auf den ersten Blick kompliziert aus. Die Steuerberater werden es ganz schnell im Griff haben und ihre Mandanten kompetent beraten können. Ich möchte noch auf einen positiven Aspekt unserer Steuerreform zu sprechen kommen, der mir als ostdeutscher Abgeordneten besonders am Herzen liegt. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Unternehmen, die nicht optieren wollen, von der ermäßigten Gewerbesteuer profitieren. Die ermäßigte Gewerbesteuer führt dazu, dass Standorte mit niedrigeren Hebesätzen, also mit Hebesätzen unter 400 Prozent, künftig für die Unternehmen besonders attraktiv werden. Gerade im Osten gibt es viele Gemeinden mit Hebesätzen sogar unter 300 Prozent. Deswegen wird das Investieren im Osten viel interessanter. Hinzu kommt ein zweiter Punkt, der für Ostdeutschland sehr wichtig ist. Mit der Unternehmensteuerreform stärken wir die Eigenkapitaldecke von Unternehmen, und zwar indem die einbehaltenen Gewinne ebenso wie die ausgeschütteten mit 25 Prozent besteuert werden. Unternehmen bekommen den steuerlichen Anreiz zur Selbstfinanzierung. Damit helfen wir gerade den ostdeutschen Unternehmen, die noch immer eine schwächere Kapitaldecke haben, ihre Kapitaldecke zu erhöhen. Ich bin natürlich nicht überrascht, dass die Politiker der Union und der F.D.P. von uns noch umfangreichere Steuersenkungen fordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie vergessen, in welche Haushaltslage Sie uns gebracht haben? Deshalb halte ich diese Forderungen für nicht seriös. Wir müssen den Haushalt weiter sanieren. Wir müssen und werden die Nettoneuverschuldung des Bundes in den nächsten Jahren schrittweise zurückführen. Im Jahr 2006 wollen wir einen Bundeshaushalt ohne Nettoneuverschuldung erreichen. Durch die Steuersenkungen werden die Privathaushalte und die Wirtschaft in großem Maße entlastet. Die Steuerreform wurde frühzeitig angekündigt, sodass sich jeder darauf vorbereiten und einstellen konnte. Das muss hier, wie ich glaube, deutlich unterstrichen werden. Das alles bedeutet, dass wir mit unseren politischen Maßnahmen den Standort Deutschland mittel- und langfristig auf ein sicheres Fundament stellen. Damit unterscheiden wir uns deutlich von der alten Regierung. Und das ist gut für unser Land. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Elke Wülfing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hoffmann, wenn das alles so einfach wäre, wie Sie es dargestellt haben, dann bräuchten wir darüber hier nicht lange zu beraten. Gestern ist hier im Deutschen Bundestag der Jahreswirtschaftsbericht beraten worden. Er ist vom Bundesfinanzminister aufgestellt worden, da das Finanzministerium für den Wirtschaftsbericht zuständig ist. ({0}) Der Jahreswirtschaftsbericht singt auf Seite 46 das Hohe Lied auf Mittelstand, auf Handwerk und auf freie Berufe. Ich zitiere: Mit rund 20 Mio. Arbeitsplätzen sind die mittelständischen Unternehmen der wichtigste Beschäftigungsträger in Deutschland. ({1}) - Sehr gut. Vielen Dank. Ich denke, bei diesem Satz kann man auch nur Bravo sagen. ({2}) Es heißt weiter: Jelena Hoffmann ({3}) Hier legt der Mittelstand wesentliche Grundlagen für die Modernisierung der Wirtschaft, für Innovationen und technischen Fortschritt. Das alles hört sich wunderbar an. Dieser Jahreswirtschaftsbericht ist allerdings von dem Minister aufgestellt worden, der uns diese Unternehmensteuerreform - URefSenkG oder wie sich das Ding nennet - beschert hat. ({4}) In der Gesetzesbegründung schreiben Sie, Ziel des Gesetzes sei eine gleichwertige Entlastung von Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften. Ich frage mich nur ganz besorgt: Warum halten Sie sich nicht an Ihr eigenes, selbst gegebenes Wort, Herr Minister? Die Unternehmensteuerreform ist, so wie Sie sie vorgelegt haben, darauf angelegt, mittelständische Strukturen zu zerschlagen und Kapitalgesellschaften als das leuchtende Ziel für unsere Bundesrepublik Deutschland darzustellen, auf das man sich hinentwickeln soll. ({5}) Dabei ist es gerade die mittelständische Struktur, um die uns die Welt beneidet. Das besondere Eigentümerinteresse des selbst haftenden Unternehmers bringt schnelle Reaktionen hervor. Das ist vor allem bei den globalen Herausforderungen wichtig. Es scheint der SPD allerdings nicht ganz klar zu sein, dass selbstverständlich auch Mittelständler in den internationalen Wettbewerb eingebunden sind. Deswegen brauchen sie endlich international vergleichbare Steuerbelastungen. Die SPD hat die steuerlichen Belastungen der Unternehmen bis vor kurzem geleugnet. Es ist vorhin von Herrn Hauser in seiner Intervention gesagt worden, dass Herr Poß, den ich im Moment nicht sehe, diesem falschen OECD-Bericht am liebsten geglaubt hätte. Dieser OECD-Bericht ist längst korrigiert worden. Sie waren gedanklich noch immer bei Lafontaine, der negiert hat, dass es für deutsche Unternehmen überhaupt höhere Belastungen gibt. ({6}) Das haben Sie aber nun endlich eingesehen. Körperschaftsteuer in Höhe von 25 Prozent: Das ist ein ganz schöner Vorschlag. Allerdings wird es dabei nicht bleiben; das wissen Sie auch. Die Belastung wird sehr schnell bei 37 oder 38 Prozent liegen. Gleichzeitig versuchen Sie aber, die deutsche Wirtschaftsstruktur, die sich in 50 Jahren so entwickelt hat, kaputtzumachen. Das kann doch wohl nicht sein! Dass Sie versuchen, die Unternehmen durch das Optionsmodell dazu zu zwingen, sich in Kapitalgesellschaften umwandeln zu lassen, liegt entweder einzig und allein daran, dass Sie aus Neid den Spitzensteuersatz nicht senken wollen, oder an der Shareholder-Value-Mentalität aus dem Tony-Blair-Papier. Ich bin mir nicht so sicher, welche Richtung Sie eigentlich einschlagen wollen: ({7}) die von Eichel/Schröder und Tony Blair mit Shareholder-Value oder die von Herrn Poß, dass der Spitzensteuersatz gar nicht so niedrig sein müsste. Davon könnten nur die so genannten Reichen profitieren. Dabei machen Sie genau den Fehler, den man nicht machen darf: Sie vergessen dabei die persönlich haftenden Unternehmer. Das ist eine Katastrophe. ({8}) Sie wissen ganz genau, dass Sie mit Ihrem Steuerentlastungsgesetz den Mittelstand erheblich belastet haben. Jetzt versuchen Sie, den Mittelstand noch einmal abzuzocken, und zwar schon beim Eintritt. Ich weiß sehr wohl, dass Sie versuchen, sich mit den Verbänden an die Seite des Großkapitals zu stellen und den Mittelstand zu vergessen. ({9}) Es ist schlimm genug, wenn es in den Verbänden nur noch Vertreter des Großkapitals gibt. Ich bin froh, dass Michael Fuchs vom Groß- und Außenhandel gestern sehr deutlich gesagt hat, diese Unternehmensteuerreform belaste und benachteilige ganz eindeutig den Mittelstand. Ich bin nur froh, dass der Vorsitzende des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herr Professor Hax, sehr deutlich sagt, dass es keine Gleichbehandlung gibt, dass der Mittelstand von Ihnen wieder einmal benachteiligt wird. ({10}) Ich bin der Meinung von Herrn Stihl - und nicht der Meinung, die Sie verkünden -, der in einer Pressemitteilung ebendies bestätigt: Der Mittelstand ist benachteiligt. Mit dem Großkapital, mit den Banken, den Versicherungen sind Sie gut Freund, ({11}) aber nicht mit denen, die vor Ort arbeiten, die zwei Drittel der Arbeitsplätze stellen und uns dazu verhelfen, dass wir so flexibel sind, wie das in der Vergangenheit der Fall war. ({12}) Außerdem: Die Trennung von Unternehmen und Unternehmer, auf die Herr Schröder ja immer hinweist, ist wirklich realitätsfremd. ({13}) Eine Personengesellschaft lebt ja gerade davon, dass der Unternehmer keine Grenze zieht zwischen seinem Unternehmen und sich selbst. Er benötigt den Gewinn, um sein Einkommen zu finanzieren, und das ist der Anreiz dafür, es wieder in seinem Unternehmen einzusetzen. Wenn er dabei von hohen Steuersätzen gehemmt wird, dann kann er seine Eigenkapitalbasis nicht verbessern. Ich will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit noch einmal sagen - es ist ja vollkommen richtig, was vorhin zu den Petersberger Beschlüssen gesagt worden ist -: Acht Jahre haben wir verloren. ({14}) - Es tut mir Leid, wenn Sie ein so schlechtes Gedächtnis haben, dass Sie sich nicht daran erinnern, dass Herr Stoltenberg eine Steuerreform gemacht hat, die uns 3 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht hat. ({15}) - Das scheint tatsächlich so zu sein. ({16}) Die Sache mit der Option müssen wir uns noch einmal genau anschauen. Wenn ich das richtig betrachte, wird diese Option wahrscheinlich nur für Unternehmen mit mindestens 200 000 DM oder 250 000 DM Jahresgewinn interessant. Es könnte sein, dass das für diese Unternehmen etwas bringt. Aber es ist eben sehr, sehr kompliziert. Außerdem muss man ganz klar sehen: Diese Regelung ist für Sie nur ein Feigenblatt. ({17}) Denn wenn Sie annehmen würden, dass diese Option tatsächlich von allen in Anspruch genommen wird, dann könnten Sie das ja auch so machen, wie wir es vorschlagen, nämlich im Wege einer Einkommensteuerreform. Stellen Sie sich einmal vor, alle Unternehmen würden von der Option Gebrauch machen und auf 25 Prozent gehen. Dann könnten Sie die ganze Unternehmensteuerreform nicht mehr bezahlen. Sie gehen also davon aus, dass das nur wenige tun - und es werden immer weniger. Denn das ist absoluter Unsinn. ({18}) Im Münsterland gibt es zum Glück noch Mittelständler, Herrn Schultz. ({19}) - Dummerweise sorgt er nicht einmal für seine eigenen Interessen. Sie sollten sich genauso wie ich für die Mittelständler einsetzen. ({20}) Die überwältigende Mehrheit wird also von dieser Option überhaupt nichts haben. Es ist ein Feigenblatt. ({21}) Wenn Herr Eichel das fallen lässt - jetzt sitzt Frau Hendricks auf der Regierungsbank; die braucht das Blatt vielleicht nicht, zumindest nützt ihr ein einzelnes Feigenblatt vielleicht nicht so ganz viel -, dann steht er doch ziemlich nackt da. ({22}) Viel anzubieten für den Mittelstand hat er dann nicht mehr. Sie kommen dann mit der Anrechnung bei der Gewerbeertragsteuer. Aber auch das betrifft ja nur ganz wenige. Diejenigen, die von der Anrechnung auf die Gewerbeertragsteuer nichts haben, stehen bei Ihrer Steuerreform wirklich im Regen. Wir, die CDU, - ich darf die F.D.P. vielleicht einschließen -, sind diejenigen, die für den Mittelstand sorgen. ({23}) Auch bei den Verbänden scheint dieses Interesse aus der Mode gekommen zu sein. ({24}) Wir werden dafür sorgen, dass die Verhandlungen über diese Steuerreform Verbesserungen bringen und dass Sie dem zustimmen. Ich will ja nicht sagen, dass die Richtung ganz falsch ist. Aber in den einzelnen Bereichen, die sich für den Mittelstand so schlecht darstellen, werden wir dem Mittelstand zu seinem Recht verhelfen. Darauf können Sie sich verlassen. Vielen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Detlev von Larcher von der SPD-Fraktion das Wort.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei Stunden Debatte sind Wiederholungen unvermeidbar, das haben wir bereits bei den vorigen Rednerinnen und Rednern bemerkt. Zum Schluss ist es wichtig festzustellen, dass das Gesetzespaket nicht isoliert dasteht, sondern dass es sich dabei um die Fortsetzung einer Steuerpolitik handelt, die in einem Guss darzustellen ist. Der Ansatz der SPD war immer, einen ausgewogenen Mix aus Angebots- und Nachfragepolitik zu finden. Deshalb ist die Unternehmensteuerreform in eine Fortsetzung der Politik eingebettet, die wir mit dem Steuerentlastungsgesetz begonnen und mit dem Familienförderungsgesetz fortgeführt haben. Eine Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen in Höhe von 60 000 DM jährlich muss einschließlich der Kindergelderhöhung bereits in diesem Jahr 2 196 DM weniger Steuern zahlen als 1998. Im nächsten Jahr steigt die Entlastung auf 2 944 DM an und sie erreicht schließlich ab 2005 mehr als 4 000 DM jährlich. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., haben bisher von Steuersenkungen immer nur allgemein geredet oder völlig unfinanzierbare Pläne vorgelegt. Wir, die Koalition, entlasten wirklich und legen dabei den Schwerpunkt auf die Stärkung der Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir entlasten Mittelstand und kleine Unternehmen. ({0}) Von der Steuerentlastung - darauf hat der Finanzminister bereits hingewiesen - im Unternehmensbereich von etwa 19 Milliarden DM entfallen auf Mittelstand und Kleinunternehmen 17 Milliarden DM. Der andere Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt auf der Stärkung der Investitionen. Dazu war es überfällig, endlich den Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung anzugehen. ({1}) Mit diesem Systemwechsel werden Unternehmen, die ihre Gewinne reinvestieren wollen, dazu deutlich bessere Möglichkeiten erhalten. Ich habe von Herrn Thiele gehört, wir würden zwischen guten und bösen Gewinnen unterscheiden. Dazu sage ich Ihnen, Herr Thiele: Reden Sie ruhig weiter Quatsch. ({2}) Wir sind jedenfalls der Überzeugung, dass es wirtschaftspolitisch vernünftig ist, diejenigen Unternehmen steuerlich besser zu stellen, die ihre Gewinne in die Schaffung neuer Arbeitsplätze stecken. Die zukünftig definitive Körperschaftsteuer bietet gegenüber dem alten Konzept eine ganze Reihe von Vorteilen: Sie ist europatauglich, sie ermöglicht niedrige Steuersätze, sie stärkt die Investitionskraft der Unternehmen und sie stärkt die Eigenkapitalbildung. Das bisherige System der Körperschaftsteuer mit unterschiedlichen Sätzen für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne und dem Vollanrechnungsverfahren bei Ausschüttungen war dringend reformbedürftig. Es passte zu einer weitgehend binnenorientierten Wirtschaft, bei der grenzüberschreitende Kapitalverflechtungen und Gewinnausschüttungen allenfalls eine Randerscheinung waren. Deshalb wurde das Anrechnungsverfahren bei seiner Einführung auch von allen Seiten bejubelt. Heute sind aber sehr viele Unternehmen in Deutschland stark internationalisiert, und dieser Trend wird sich verstärkt fortsetzen. Deshalb können wir nicht länger an einer Unternehmensbesteuerung festhalten, die nur bei inländischen Anteilseignern inländischer Unternehmen das erreicht, was dieses System eigentlich will: die einmalige Besteuerung von ausgeschütteten Gewinnen mit dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners. Ein auch auf internationaler Ebene praktikables Steuersystem muss so gestaltet sein, dass sich seine einzelnen Elemente mit anderen Steuersystemen ergänzen. Mit der definitiven Körperschaftsteuer und dem Halbeinkünfteverfahren bei ausgeschütteten Gewinnen ist verbunden, dass Gewinne steuerlich privilegiert sind, solange sie im Unternehmen verbleiben. Genau das ist unsere Absicht; denn ein wichtiges Ziel der Unternehmensteuerreform ist es, die Investitionstätigkeit der Unternehmen zu unterstützen. Es gibt noch einen weiteren, zu wenig beachteten Aspekt - er wurde heute bereits angesprochen -, der für die steuerliche Begünstigung der Eigenkapitalbildung spricht. In den 90er-Jahren hat sich die Zahl der Insolvenzen in Deutschland verdoppelt. Im letzten Jahr ist diese Entwicklung erfreulicherweise zum Stillstand gekommen. ({3}) - Ja, vielleicht wegen unserer Regierung, Herr Thiele. Danke schön. ({4}) Ein Grundübel aber, das dafür mitverantwortlich ist, bleibt bestehen: Die deutschen Unternehmen verfügen oft über wenig Eigenkapital. Das liegt nicht daran, dass sie zu wenig Gewinn erwirtschaften. Das liegt daran, dass unser bisheriges Steuerrecht die Fremdfinanzierung - auch durch Gesellschafter - begünstigt. ({5}) Wenn wir also mit der Unternehmensteuerreform dazu beitragen, dass mehr Eigenkapital in den Unternehmen verbleibt und deren Krisenfestigkeit erhöht, dann kann das nur nützlich sein. ({6}) Nun hören wir schon seit Wochen von der Opposition die Arie, die wir auch heute bis zum Überdruss gehört haben, unsere Unternehmensteuerreform sei eine für die ganz Großen, während sie die Mittleren und Kleinen belaste. Ganz abgesehen davon, dass die Rolle der CDU übrigens auch die der F.D.P. - als Hüterin der kleinen Unternehmen und des Mittelstandes so komisch ist wie der Fuchs als Hüter der Hühner, ist diese Propaganda vollständig parteitaktischer Unsinn. Sie soll nur desinformieren und Angst machen. Unsere Unternehmensteuerreform ist ein dreistufiges System für Personengesellschaften und Personenunternehmen unterschiedlicher Größe. In der untersten Stufe, in der sich ungefähr 60 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen befinden, profitieren die Unternehmen von der Senkung des Eingangsteuersatzes von jetzt 22,9 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2005 und von einem höheren Grundfreibetrag. Diesen Unternehmen kann man so wie den Arbeitnehmern nur durch die Senkung des Eingangsteuersatzes helfen, weil sie einen zu versteuernden Gewinn von unter 48 000 DM melden, also keine Gewerbesteuer zahlen und den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer nicht einmal in der Ferne sehen. Im Mittelfeld, das ungefähr in der Höhe des neuen Spitzensteuersatzes von 45 Prozent liegt, wird die Einkommensteuer durch eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer gemindert. Insgesamt wird damit die tatsächliche Belastung dieser Unternehmen mit Gewerbesteuer auf nahe Null gesenkt. Die Kommunen erhalten jedoch wie bisher die volle Gewerbesteuer. Die Großen können optieren, sie müssen nicht optieren. Sie können selbst entscheiden, sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen. Zum Schluss will ich noch auf einen Punkt eingehen, der von der Börse sehr begrüßt worden ist, aber auch viel Kritik herausgefordert hat. Ich meine die Steuerfreiheit für Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft beim Verkauf von Anteilen an eine andere erzielt. Es gibt gute steuersystematische Gründe dafür. ({7}) - Danke schön. Gewinne sollen im Rahmen der Körperschaftsteuer nur einmal versteuert werden. Steigende Anteilswerte sind Ausdruck von bereits entstandenen oder für die Zukunft erwarteten Gewinnen. Wenn Kursgewinne separat versteuert werden, kommt es daher formal zu einer Doppelbesteuerung. Dennoch müssen wir der Frage kritisch nachgehen, ob hier das Richtige gewollt und doch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht erreicht wird, denn soweit Veräußerungsgewinn auf Gewinnerwartung beruht, gewährt die Steuerfreiheit dem Veräußerer einen langfristigen zinslosen Kredit. Ich erlaube mir eine persönliche Bemerkung, die ich ausdrücklich nicht namens meiner Fraktion mache. ({8}) Nach Abgleich des Bundesfinanzministeriums mit den Finanzministerien der Länder bedeutet diese Regelung einen Steuerausfall von 4 Milliarden DM, so wie jetzt im Tableau ausgewiesen. Die Annahme, diese Regelung bringe neben Schwung in die Wirtschaft auch zusätzliche Arbeitsplätze, ist nicht beweisbar. ({9}) Sie basiert auf dem Prinzip Hoffnung. Nicht einmal ein billiges Versprechen der Wirtschaft gibt es dafür. Auf der anderen Seite wird diese Summe in den Haushalten des Bundes und der Länder schmerzhaft fehlen. Diese 4 Milliarden DM könnten sehr gut für dringend notwendige öffentliche Investitionen ausgegeben werden, zum Beispiel für das Ziel, Güter von der Straße auf die Bahn zu bringen. Das Niveau der öffentlichen Investitionen ist ohnehin beängstigend niedrig. Diese Summe könnte auch gut für aktive Arbeitsmarktpolitik genutzt werden. Ich für meinen Teil sehe also diese Regelung sehr kritisch, allerdings ausdrücklich nicht, weil sie angeblich die kleinen und mittleren Unternehmen benachteilige, wie die Opposition behauptet. Eine vergleichbare Regelung außerhalb der Körperschaftsteuer wäre unsinnig, denn in diesem Falle stehen dem höheren Kaufpreis auch zukünftige Abschreibungen gegenüber. Dies ist beim Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nicht der Fall. Deshalb kann man beides nicht über einen Kamm scheren. Den Personengesellschaften und Personenunternehmen widerfährt ja durch das erwähnte Dreistufensystem Gerechtigkeit. Dies ist meine persönliche Auffassung. Meine Damen und Herren, wir werden bei der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf und bei den Beratungen im Finanzausschuss sorgfältig zuhören. Wir werden Argumente prüfen und abwägen. Für gute Argumente werden wir offen sein. Sie können uns zur Änderung im Detail bringen, ohne dass wir die grundsätzliche Richtung korrigieren. Durchsichtige parteitaktische Behauptungen werden uns jedoch nicht beeindrucken. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/2683 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich soll der Haushaltsausschuss den Gesetzentwurf gemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/2688 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Vorlage auf Drucksache 14/2706 soll zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 a auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kontinent werden - Drucksache 14/2571 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Rudolf Kraus von der CDU/CSU-Fraktion.

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschlands Medienwelt spiegelt uns einen scheinbar breiten, parteiübergreifenden Konsens im Hinblick auf unser Verhältnis zu Afrika vor: Jedermann bekundet seine Solidarität mit diesem südlichen Nachbarkontinent Europas und ruft zu mehr Unterstützung seiner Not leidenden Völker auf. Die Bundesregierung selbst überschlägt sich geradezu in ihren öffentlichen Verlautbarungen über Afrika. Die Leitungen von Auswärtigem Amt und BMZ übertreffen sich gegenseitig mit Appellen, Afrika sei Zukunft, und Ziel der Bundesregierung sei es, möglichst vielen Afrikanern die Chance auf ein menschenwürdigeres Leben zu eröffnen. Die tatsächliche deutsche Außen- und Entwicklungspolitik entblößt diese schöne Reden jedoch als blanken Zynismus. ({0}) Auf keinem anderen Kontinent dieser Erde gibt es so viel Not, Gewalt und Hunger wie in Afrika. Die Hälfte der Bevölkerung südlich der Sahara lebt noch immer in bitterer Armut. Nur rund 45 Prozent der Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Gut die Hälfte der Erwachsenen gelten als Analphabeten. Verschärfend kommt hinzu, dass in mehr als einem Drittel der Länder südlich der Sahara Bürgerkriege oder zwischenstaatliche Konflikte toben, die Entwicklung verhindern, knappe Ressourcen vergeuden und unermessliches, zusätzliches Leid über die Bevölkerung bringen. In Ländern wie Sudan, Somalia, Sierra Leone, Liberia, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea oder Äthiopien leidet besonders die Zivilbevölkerung unter kriegerischen Auseinandersetzungen von unvorstellbarer Grausamkeit. Dabei wird immer häufiger darauf hingewiesen, dass Afrika heute - höchstwahrscheinlich weitaus besser dastehen würde, wenn die internationale Gemeinschaft dort nur mit dem Bruchteil des gleichen Einsatzwillens interveniert hätte, wie sie es gerade auf Initiative von Politikern wie Minister Fischer in Europa oder im Nahen Osten vorexerziert hat. ({1}) - Ich habe es zwar nicht verstanden; aber es wird sicherlich nicht richtig sein. ({2}) Die Afrikaverlautbarungen des Außenministers demaskieren sich schließlich vollends dadurch, dass das Auswärtige Amt Botschaften und deutsche Kultureinrichtungen in Afrika in einem solchen Umfang schließt, dass der international anerkannte Afrikaspezialist von Lucius bereits von einem „Kontinent der geschlossenen Vertretungen“ spricht. In dieses Bild passt nur zu gut, dass Afrikas Regierungsoberhäupter, wie zuletzt Nigerias Präsident Obasanjo, nachdrücklich mehr politisches Interesse Deutschlands an Afrika einfordern, während Minister Fischer aber nun zum wiederholten Male seine unter anderem nach Nigeria geplante Afrikareise aus landtagswahlkampfstrategischen Gründen verschoben hat. ({3}) - Zu spät, Frau Kollegin. Das BMZ fuhr die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika um ganze 20 Prozent und damit auf den niedrigsten Stand seit 1972 herunter. Verschlimmert wird dies in Anbetracht der immensen Aidskatastrophe in Afrika dadurch, dass das BMZ darüber hinaus seine Programme und Projekte im Gesundheitssektor halbiert sowie die Maßnahmen zur Familienplanung und zur Bevölkerungspolitik auf ein Drittel des Vorjahresstandes zusammengestutzt hat. ({4}) Von den weltweit etwa 34 Millionen Infizierten leben rund 70 Prozent in den Ländern Afrikas südlich der Sahara. Dort hat Aids bereits heute zu einer Senkung der Lebenserwartung um zehn Jahre geführt. Es wird erwartet, dass diese im nächsten Jahrzehnt um weitere zehn Jahre zurückgeht. In einigen dieser Länder wird damit bald jeder vierte Erwachsene an Aids sterben. Aids wird Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms viele Staaten Afrikas südlich der Sahara in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen. Die mittlerweile rund zehn Millionen Aidswaisen dort stellen Afrikas bisher größte soziale Katastrophe dar. Sie bedürfen ganz besonders dringlich unserer Hilfe, da immer mehr von ihnen vernachlässigt und ausgebeutet werden. Sie müssen sich oft als Straßenkinder durchschlagen oder sie werden sogar als Kindersoldaten missbraucht. Eine weitere gravierende Entwicklungsproblematik Afrikas liegt im Umweltsektor. Neben Amazonien und Südostasien existiert in Zentral- und Westafrika die dritte bedeutende Tropenwaldzone unserer Erde. Die fragilen afrikanischen Ökosysteme, die in besonderem Maße von der Erhaltung der tropischen Regenwälder abhängig sind, sind durch Brandrodung, Erosion, Holzeinschlag und sonstige Übernutzung bedroht. Der verhängnisvolle Kreislauf zwischen Überbevölkerung, Armut und Überlastung der Umwelt wirkt sich hier besonders schlimm aus. Völlig unverständlich ist deshalb, dass die Ministerin im wichtigen Umwelt- und Ressourcenschutzsektor das Budget um 25 Prozent reduziert hat. ({5}) Dieser Rückzug der Bundesregierung aus Afrika ist umso bedauerlicher, als er just zu einem Zeitpunkt kommt, wo sich ein Silberstreif der Hoffnung auf beständige Besserung am afrikanischen Horizont zeigt. ({6}) Nach mehr als zwei Jahrzehnten der Stagnation und des Niedergangs lag das Wirtschaftswachstum in Afrika in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre erstmals wieder etwas oberhalb des Bevölkerungswachstums. ({7}) Zudem fällt auf, dass sich die zunehmende Reformorientierung in Afrika offenbar auf einen wachsenden Bewusstseinswandel der politisch Verantwortlichen gründet. Mehr und mehr afrikanische Regierungen und Entscheidungsträger bekennen sich zu Eigenverantwortung für ihre Entwicklung. Der Wille zur Selbsthilfe wächst und die demokratische Öffnung schreitet voran. Ich denke, dass dies von uns stärker gefördert werden muss. Unter Carl-Dieter Spranger wurden Kriterien vorgegeben, die auch die Behandlung dieses Problems umfassen. Mit ihrer Anwendung soll erreicht werden, dass Regierungen, die keine gute Politik machen, notfalls von der Entwicklungshilfe ausgeschlossen werden. ({8}) Wenn sich die Bundesregierung schon zu diesen Kriterien, die wir gemeinsam für richtig halten, bekennt, dann stellt sich uns die große Frage, warum sie diese Grundsätze ausgerechnet gegenüber Menschen wie Mugabe, dem Präsidenten von Zimbabwe, der sein Land mit Krieg, Korruption und Verschwendung überzieht, nicht durchsetzt und warum sie nicht politisch entsprechend handelt. ({9}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese doppelzüngige Afrikapolitik der Bundesregierung zum Anlass genommen, einen Antrag mit dem Titel „Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kontinent werden“ vorzulegen ({10}) sowie die heutige Afrikadebatte im Bundestag zu initiieren, um damit die Wiederherstellung des früheren Umfanges der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika ({11}) und ein stärkeres außenpolitisches Engagement der Bundesregierung zur Beendigung bestehender und zur Vermeidung zukünftiger Konflikte in Afrika einzufordern. Ich weiß, dass wir mit vielen Politikern auch aus den Regierungsfraktionen in dieser Frage letztendlich übereinstimmen. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass auch die Ministerin einiges gerne anders machen würde, aber sie hat diese Politik zu vertreten; das ist in der Gage enthalten. Wir können auf die Verbiegungen, die deshalb nötig sind, keine Rücksicht nehmen. ({12}) Wir werden uns in Zukunft verstärkt dafür einsetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika wieder einen sehr viel größeren Stellenwert bekommt, als das augenblicklich der Fall ist. Ich bedanke mich. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Schuster.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Afrika-Fans! Als erstes ein Dankeschön an die Opposition, dass sie uns Gelegenheit gibt, Afrika hier im Plenum wieder zu thematisieren! ({0}) Aber, meine Damen und Herren, ich erinnere mich wir beide, Herr Hedrich, haben ja eine über mehrere Wahlperioden gehende gemeinsame Historie -, dass der Antrag, den die SPD-Fraktion 1993/94 mit der Überschrift „Afrika hat Zukunft“ eingebracht hat, von Ihnen eloquent abgelehnt wurde. Er enthielt Forderungen, die ich heute zum Teil in Ihrem Antrag wiederfinde. ({1}) Die Frage ist doch, ob es sich hierbei um einen echten Bewusstseinswandel handelt oder nur um einen Wechsel der Bänke. ({2}) Ihr Antrag weist außerdem zwei gravierende Schwachpunkte auf: ({3}) Erstens. Er strotzt vor Arroganz. Den Grünen und den Roten vorzuwerfen, sie müssten ermahnt werden, Afrika nicht zu vergessen, ist nichts anderes als schlichter Hohn. ({4}) Ich gehe aber davon aus, dass die Ministerin in der gebührenden Art und Weise alle Ihre Vorwürfe sauber widerlegen wird. ({5}) Das zweite Defizit Ihres Antrages: Sie gehen, Herr Hedrich, nach wie vor so einäugig vor wie in den letzten Wahlperioden, in denen ich dabei war. Sie sehen Handlungsbedarf nämlich nur im Süden, fassen sich aber nicht an die eigene Nase. Sie fordern zu Recht, dass man die Vergabekriterien einhalten muss. Wir haben aber nicht vergessen, dass Sie unterschiedliche Messlatten an Afrika, China und an die Türkei legten. Wenn Sie von „good governance“ reden, empfehle ich Ihnen gerade jetzt einmal mit afrikanischen Botschaftern zu reden, von denen wir zu Recht „good governance“ fordern. Diese werden fragen: Gilt in Deutschland eine andere Messlatte? Ebenfalls fehlt die Erwähnung der Fremdbestimmung, unter der die afrikanischen Nationen aufgrund der Partikularinteressen der Vereinigten Staaten, von Frankreich und von Großbritannien zu leiden haben. Der von mir sehr geschätzte ehemalige Präsident von Weizsäcker hat am letzten Samstag auf der WillyBrandt-Konferenz in Bonn - Frau Ministerin, Sie erinnern sich - sehr deutliche Worte gefunden und darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, dass die Vereinigten Staaten auch die Verantwortung, die sich aus ihrer Monopolsituation ergibt, reflektieren müssen und dass gewisse Verhaltensänderungen notwendig sind. Bei Ihren Forderungen fehlt der Hinweis auf Rüstungsexportkontrollen, Lieferung von Kleinwaffen und dergleichen. Am allermeisten stört mich, dass der Hinweis fehlt, dass wir durch das „Vorbild“, das wir abgeben, viel Schaden anrichten. Was meinen Sie denn, Herr Hedrich, wovon meine und Ihre schwarzen Freunde, wenn wir an den Hütten zusammensitzen, träumen? Die sagen doch: Spätestens unsere Kinder sollen möglichst so leben, wie die Menschen in Deutschland leben. Verständlich! Für den Fall, dass es so kommt, kennen Sie alle aber das Ergebnis. Wir Sozialdemokraten haben in dieser Woche ein Grundsatzpapier mit dem Titel „Afrika an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend“ herausgegeben. Ich werde es nach meiner Rede den Sprechern der anderen Fraktionen überreichen, damit Sie wissen, worüber wir sprechen. ({6}) - Herr Hornhues, es ist ganz bewusst dreisprachig gehalten. Es soll unseren Partnern in Afrika als Dialogangebot dienen. Denn der Dialog kommt häufig immer noch zu kurz. Ich gehe davon aus, dass unsere Regierungskoalition anlässlich der Beratungen im Ausschuss auf der Basis dieses Papieres ein paar Änderungsvorschläge oder einen eigenen Antrag einbringt, so wie wir das üblicherweise tun. Dazu will ich noch ein paar kurze Worte verlieren: Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, dass in Afrika eine nachhaltige Entwicklung stattfindet. Herr Kinkel, das hat etwas mit unserer historischen Verantwortung und unserem Wertesystem zu tun. Das hat etwas mit der räumlichen Nähe im positiven wie im negativen Sinne zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass wir ein Interesse daran haben, dass das dortige Ökosystem intakt bleibt - diesen Gedanken teile ich mit Herrn Kraus -, und es hat etwas mit Folgendem zu tun - darauf weist mein Kollege Tappe immer hin -: Afrika wird der Kontinent der Zukunft werden. Dort wird es in 20 Jahren mehr als 1 Milliarde Menschen geben. Wer dort rechtzeitig richtig investiert, für den bestehen große Chancen. Afrika ist nach unserem Verständnis der Markt der Zukunft. Dieses originäre Eigeninteresse Deutschlands an der Entwicklung in Afrika veranlasst uns zu fünf zentralen Botschaften - ich reduziere dies bewusst auf fünf Botschaften -: ({7}) Erstens. Es darf nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Wenn die andere Seite nicht bereit ist, selber etwas zu tun, dann sind alle Bemühungen unsererseits unsinnig. Wir dürfen die Afrikaner aber nicht überfordern. Wir können von ihnen kein Geld verlangen, wenn wir wissen: Sie haben kein Geld. Also müssen wir von ihnen im Rahmen der Selbsthilfe andere Leistungen erwarten. Zweitens. Die zukünftige Entwicklung - darin stimmen wir überein - muss schwerpunktmäßig auf die Entwicklung der zivilgesellschaftlichen Strukturen ausgerichtet sein. Partizipation nennen wir das. Wir meiDr. R. Werner Schuster nen nicht nur die Nichtregierungsorganisationen, die Kirchen und die Gewerkschaften, sondern auch die Handelskammern, Banken, Verbände und dergleichen. Sie gehören ebenfalls zu dem Bereich, der unterstützt werden muss. In Afrika müssen vor allen Dingen aber Frauenorganisationen unterstützt werden. Denn jeder von Ihnen, der häufiger in Afrika war, weiß: Arbeiten tun dort nur die Frauen. Wer in diese Ressourcen nicht investiert, der investiert nicht richtig in Afrika. ({8}) Drittens. Eine weiterer Schwerpunkt sind die Regionalkooperationen. Die kennen Sie. Sowohl im sicherheitspolitischen als auch im wirtschaftspolitischen Bereich unterstützen wir SADC, ECOWAS, IGAD bzw. die East African Cooperation. Viertens. Wir müssen deutlich machen, dass unsere Partikularinteressen die Entwicklung in Afrika wirklich behindern. Das gilt zum Beispiel auch für solche Organisationen wie die WTO. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Seattle. Fünftens. Wir müssen uns immer wieder bewusst sein, dass unser negatives Vorbild die Afrikaner prägt und sie an einer nachhaltigen Entwicklung hindert. Denken Sie an unser Konsumverhalten. Denken Sie auch an die zum Teil unreflektierte Übernahme des Mehrheitswahlrechts nach Westminster-Vorbild. Das löst ethnische Konflikte und Minoritätenprobleme nicht. Schließen möchte ich mit einem Satz unseres derzeitigen Bundespräsidenten, Herrn Rau. Er hat - ebenfalls am letzten Samstag auf der von mir bereits genannten Willy-Brandt-Konferenz in Bonn - sinngemäß ausgeführt: Unsere Verfassung zeichnet sich durch die Formulierung in Art. 1 des Grundgesetzes aus: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch im Außenverhältnis. Für wen gilt diese Forderung mehr und präziser als für unsere schwarzen Freunde in Afrika? Lassen Sie uns deswegen alles daransetzen, den Afrikanern den notwendigen Spielraum einzuräumen, damit sie ihr Leben selbst organisieren können, um in Würde leben zu können. Danke schön. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der afrikanische Kontinent hat mich in meinem gesamten beruflichen Leben, vor allem natürlich in meiner Zeit als Außenminister, immer besonders umgetrieben und hat mich bis heute nicht losgelassen. Einige der Kollegen, die hier als Afrika-Fans anwesend sind, wissen das. Bei meinen vielen Besuchen auf diesem 800-Millionen-Einwohner-Kontinent, der 23 Prozent der festen Erdoberfläche bedeckt, habe ich mir ein Bild von den Problemen und von der zum Teil schrecklichen Armut, aber eben auch von dem kulturellen und dem menschlichen Reichtum unseres Nachbarkontinents machen können. Einige von Ihnen waren dabei: Die Bilder in Ruanda im Gefängnis von Kigali und in der leichenübersäten Kirche nach dem schrecklichen Genozid, dem 1 Million Menschen zum Opfer fielen, lassen einen zeitlebens nicht mehr los. Afrika zu helfen und mit den Afrikanern zusammenzuarbeiten braucht eben Mitleidens- und Mitempfindungsfähigkeit, aber auch ein sehr starkes Einfühlungsvermögen, Engagement, Interesse und vor allem viel Geduld. Ein afrikanisches Sprichwort lautet ja nicht umsonst: „Das Gras wächst auch dann nicht schneller, wenn man an ihm zieht.“ Afrika, vor allem natürlich das Afrika südlich der Sahara, bleibt leider ein Sorgenkind der Welt. Auf diesem leidgeprüften afrikanischen Kontinent liegen Licht und Schatten sehr eng beieinander. Ich nenne in diesem Zusammenhang Bürgerkriege, Unterentwicklung, ethnische Spannungen, die schreckliche Aidsproblematik, Naturkatastrophen und Wassermangel. Ich werde nie vergessen, wie ich aus dem Wahlkampf heraus zu meiner letzten UNO-Vollversammlung nach New York geeilt bin. Dort habe ich mitbekommen, wie sich Vertreter von 54 afrikanische Ländern nur über das eine Thema, nämlich über das Thema Wasser, unterhalten haben. Zur selben Zeit berichtete der Außenminister von Bangladesch, einem Land mit immerhin 115 Millionen Einwohnern, dass sein Land zu zwei Dritteln unter Wasser stand. Vielleicht erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an die Überschwemmung in China und an die schrecklichen Hurrikans in Lateinamerika. Die Situation wird schwierig bleiben. Ich brauche denen, die sich für Afrika interessieren, nicht zu sagen, dass wir von Globalisierung so lange nicht zu reden brauchen - davon zu sprechen wäre in diesem Fall ein Hohn -, solange Millionen von Kindern von der ersten Sekunde ihres Lebens an nicht die geringste Chance auf nur ein einigermaßen menschenwürdiges Leben haben. Denken Sie nur daran, dass durch die Entwicklung des Internet Nord und Süd noch weiter gespalten werden. Natürlich wird Afrika von dieser Entwicklung noch weiter abgekoppelt. Es gibt aber, auch im wirtschaftlichen Bereich, Hoffnungszeichen. Denken Sie zum Beispiel an Botswana, Mosambik und Uganda. Dort gibt es hohe Wachstumsraten. Auch die politischen Trends sind natürlich gemischt. Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich der ideologische Druck auf diesem Nebenschauplatz des Ost-WestKonflikts abgebaut. Afrika hat jetzt mehr Möglichkeiten für eine eigenständige Entwicklung. Leider hat sich die Bereitschaft in den Industrieländern, sich in den afrikanischen Ländern stark zu engagieren, nicht in hohem Maße weiterentwickelt. Deshalb ein paar Forderungen - einige von Ihnen kennen mein Credo -: Die 54 Länder Afrikas sind zum Teil einfach zu schwach und zu klein, als dass sie ohne Regionalisierung etwas leisten könnten. ({0}) Was wir innerhalb der SADC erreicht haben, müssen wir weiter vorantreiben. ({1}) Die 14 SADC-Staaten bilden mit einem Markt von 180 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung von 170 Milliarden das wirtschaftliche Herz Afrikas. Die vielen kleinen Länder haben allein keine Chance. ({2}) - Ich habe nur eine Redezeit von sechs Minuten. Erlauben Sie bitte, Frau Eid, dass ich weiterrede. Natürlich hat sich auch die politische Situation verbessert. Ich denke zum Beispiel an die positive Entwicklung in Nigeria, aber vor allem auch in Südafrika. Man kann bei Anwendung westlicher Maßstäbe natürlich noch längst nicht von einer Demokratisierung Afrikas sprechen. Auch die Menschenrechtssituation in vielen Ländern kann man weiß Gott noch nicht preisen. Ganz besonders furchtbar ist der Kinderhandel in Afrika. Die hier Anwesenden wissen, wovon ich rede. Es ist ganz schlimm, was sich diesbezüglich in Afrika abspielt. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Antrag zum Thema Kinderhandel in Afrika eingebracht. Ich hoffe, dass er bald im Plenum behandelt wird. Angesichts der Situation in Afrika sind natürlich die Vereinten Nationen in besonderer Weise gefragt. Aber die Vereinten Nationen können nicht jedes Problem dort lösen. Deshalb habe ich immer dafür plädiert - ich weiß, dass Sie mich in diesem Punkt unterstützen -, dass vor allem die OAU stärker als bisher eingreift. Afrika muss lernen, in verstärktem Maße mit seinen eigenen Problem fertig zu werden und nicht immer sofort zu den Vereinten Nationen in New York zu schielen. In diesem Punkt muss mehr getan werden. Das geht aber nur, wenn wir die OAU stärken. Ja, meine Damen und Herren, der Tenor dessen, was heute zwischen uns diskutiert wird, ist richtig: Der afrikanische Kontinent darf nicht in Vergessenheit geraten. Wer, wenn nicht die Europäer und auch die Deutschen, soll denn den Afrikanern helfen? In diesem Zusammenhang muss man zur Bundesregierung zumindest teilweise ein kritisches Wort sagen. Zwei Personen werde ich ausdrücklich ausnehmen, will aber der Bundesregierung insgesamt sagen: Sie haben Botschaften geschlossen, Sie haben die Mittel gekürzt. Ich prangere das nicht generell an. Ich weiß, dass es mit den Haushaltsmitteln im Augenblick schwierig ist. In Afrika hätte man vielleicht, was die Kürzung der Entwicklungshilfe anbelangt, vorsichtiger sein sollen. Sie hat ihren niedrigsten Stand seit 1972 erreicht, und Sie haben auch erfolgreiche Kooperationsprojekte eingestellt. Mein Nachfolger, Herr Fischer, muss sich sagen lassen - ich habe es ihm von diesem Pult aus schon einmal gesagt -, dass er vollmundige Versprechen macht und sie nicht einhält. ({3}) - Liebe Frau Kollegin Eid, er hat zum vierten Mal eine Afrikareise abgesagt. Dies mache ich ihm wie auch der Grünen-Fraktion zum Vorwurf, die vollmundig Positionspapiere für eine neue Afrikapolitik ankündigt. Vergeblich warten die Menschen in Afrika auf ein Zeichen, ja nur ein freundliches Wort des Bundeskanzlers oder des Außenministers. Ich werfe ihm vor, erneut CNNPolitik zu betreiben, nämlich dort hinzugehen, wo die Scheinwerfer des Fernsehens sind. Und in Afrika sind sie eben nicht! Das ist eine Politik, die nicht gut, die einäugig ist. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Kinkel, Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich komme zum Schluss, bitte Sie aber - um in der Sportlersprache zu sprechen -, mir eine zweite kurze Luft zu erlauben. Die ganze Dritte Welt spielt für den Bundeskanzler und für den Außenminister praktisch keine Rolle. Wenn ich mir die Afrikapolitik der neuen Bundesregierung ansehe, so nehme ich ausdrücklich Ministerin WieczorekZeul und ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Uschi Eid, aus. Beide sind in Afrika außerordentlich engagiert. ({0}) Natürlich muss ich kritisieren, Frau Ministerin, dass Mittel gestrichen werden mussten. Ich tue das aber nicht mit großer Anklage. Ich merke, wie sehr Sie sich bei Reisen engagieren, und ich weiß von Frau Eid, was sie getan hat. Da kann ich nur sagen: Deutschland muss wertorientierte Außenpolitik machen. Afrika hat bei allen Problemen Chancen auf eine bessere, friedliche und menschenwürdige Zukunft. Aber Afrika braucht unsere Solidarität und Afrika braucht vor allem unsere Zuwendung. Das ist das Allerwichtigste. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Uschi Eid von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es sehr, dass wir uns heute in diesem Hause mit dem afrikanischen Kontinent befassen. Aber ich finde, dass die Herausforderungen viel zu groß sind, als dass wir hier ein parteipolitisches Hickhack veranstalten sollten. Deswegen will ich mich daran auch gar nicht beteiligen. ({0}) Lassen Sie mich stattdessen einige Anmerkungen zu unserer inneren Haltung gegenüber diesem Kontinent machen. Bei meiner Arbeit, in den vielen Gesprächen mit afrikanischen Regierungsvertretern, mit Parlamentariern - zum Beispiel gestern mit Parlamentariern aus Kamerun -, mit Vertretern von Menschenrechts- und Umweltgruppen, mit Unternehmern und Wissenschaftlern wird immer wieder deutlich, dass ein sehr großes Interesse an guten, freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland, an Entwicklungskooperation, an deutschen Investitionen, an der Ausweitung des Handels mit der Europäischen Union und am Wissenschaftsaustausch besteht. Die Partner sind an einem freundschaftlich-kritischen und offenen Dialog interessiert. Sie erwarten - und dies zu Recht -, dass Deutschland sie ernst nimmt, auch ihre Leistungen anerkennt, ihnen zuhört - viel zu oft reisen wir mit erhobenem Zeigefinger durch die Lande und predigen, sind pädagogisch, anstatt dass wir zuhören -, und sie erwarten, dass wir sie bei der Schaffung von Strukturen unterstützen, die eine menschenwürdige Entwicklung ermöglichen und zur Chancengleichheit beitragen. Dabei geht es - das möchte ich ausdrücklich betonen - nicht in erster Linie um Geld bzw. um Entwicklungshilfe. Es geht um den aufrichtigen, ernsthaften Dialog zwischen Partnern, und zwar auf gleicher Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt. Das ist nämlich entscheidend. ({1}) Ich glaube, alle von uns haben schon erlebt, dass afrikanische Parlamentarier eine Kategorie von Politikern sind, denen allzu oft der Respekt verweigert wird, weil wir meinen, die Afrikaner bekämen es nicht geregelt. Wer nun behauptet, dass Afrika in Vergessenheit gerät - dies insinuiert der Antrag der CDU -, hat die internationale Diskussion um die Aktivitäten in den letzten Monaten überhaupt nicht verfolgt. An diesen Aktivitäten sind wir intensiv beteiligt. Ich möchte einige Beispiele nennen. Ich war im vergangenen November in Dakar zur Tagung der „Global Coalition for Africa“. ({2}) Dort haben sich amtierende und ehemalige afrikanische Staatschefs und Minister mit Abgeordneten, Unternehmern und Vertretern von Bürgergruppen aus 21 afrikanischen Ländern getroffen. Ich konnte mich selbst überzeugen, welche bedeutenden Schritte Länder wie Botswana, Benin, Mali oder Kap Verde zur Demokratisierung unternommen haben. Im letzten Dezember haben die Weltbank und die wichtigsten Geber in Paris die „Initiative für eine Strategische Partnerschaft mit Afrika“ gegründet. Die Vereinten Nationen hatten den Januar zum Afrika-Monat erklärt und wichtige Debatten geführt. Die Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommen konnten Anfang dieses Monats erfolgreich abgeschlossen werden. Gerade die Ministerin hat während unserer EU-Ratspräsidentschaft wesentlich dazu beigetragen. Am 3. und 4. April wird ein EU-Afrika-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Kairo stattfinden. Nicht zuletzt wird die erweiterte Entschuldung, wie sie letztes Jahr in Köln beschlossen wurde, die sich der Bundeskanzler zu Eigen gemacht hatte, vorwiegend afrikanischen Staaten zugute kommen. ({3}) Herr Kraus, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben, als Sie behauptet haben, dass wir für Umweltund Ressourcenschutz nur 25 Prozent zur Verfügung stellen. Wenn Sie die AWZ-Unterlagen zur Rahmenplanung, die Sie von mir bekommen haben, gelesen hätten, dann hätten Sie gewusst, dass dafür 1999 32 Prozent zur Verfügung gestellt worden sind und 41 Prozent im Jahr 2000 zur Verfügung gestellt werden. ({4}) Es stimmt zwar, dass wir im Zuge der Haushaltskonsolidierung das Volumen für Afrika haben senken müssen. ({5}) Immerhin sind wir aber bei 29,6 Prozent. Damit hat Afrika in diesem Jahr Asien als Hauptempfängerkontinent abgelöst. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich an vielen Afrika-Diskussionen stört, ist, dass diese Diskussionen häufig von einer unglaublichen Ignoranz und Arroganz sowie einer eurozentristischen Sichtweise geprägt sind. Oft wird die Situation beschönigt, ja sogar romantisiert, sehr häufig aber auch dramatisiert, wenn Afrika nur als der Chaos-Kontinent wahrgenommen wird. Eigenanstrengungen unter schwierigsten Bedingungen in vielen afrikanischen Ländern werden nicht zur Kenntnis genommen. Ich nenne nur den Aufbau einer unabhängigen Antikorruptionsbehörde in Kenia, von deren Arbeit ich mich gerade vor 14 Tagen bei meinem Besuch in Nairobi überzeugen konnte. Ich nenne die Wirtschaftsentwicklungen in Mosambik, Ghana und Uganda, die laut „World Economic Outlook“ vom Oktober letzten Jahres - die stärksten in Afrika südlich der Sahara sind, sowie den beeindruckenden Versuch zur Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda. Herr Kinkel, ich war mit Ihnen damals in Ruanda. Vor einer Woche habe ich die gleiche Stätte, das Völkermordmahnmal in Gitarama, besucht. Ich war auch wieder im Gefängnis. Ich muss sagen: Was die ruandische Regierung beim Versuch der Versöhnung unternimmt, um mit diesem Völkermord fertig zu werden - juristisch, psychologisch -, ist beeindruckend. Da müssen wir Ruanda unterstützen. ({7}) Ich nenne auch das Referendum Anfang der Woche in Simbabwe gegen die Amtszeitverlängerung des Präsidenten. Ich finde, da haben die Simbabwer Herrn Mugabe wirklich einmal die rote Karte gezeigt. Das war gut so. ({8}) Schließlich nenne ich die Unterzeichnung eines Vertrages im letzten November durch Kenia, Tansania und Uganda zur Bildung einer ostafrikanischen Gemeinschaft. Dazu herrscht Einstimmigkeit hier im Hause. Regionale Kooperation muss unterstützt werden. ({9}) Deswegen habe ich 3 Millionen DM für die nächsten drei Jahre überbracht, sodass diese ostafrikanische Community auf ihrem Weg hin zu einer politischen Union unterstützt wird. Ich denke, das war in Ihrem Sinne. Trotz aller Anstrengungen gehen die ausländischen Investitionen an Afrika vorbei. Die eigenen Fachkräfte kehren ihrer Region den Rücken. Das afrikanische Finanzkapital verlässt den Kontinent und fließt zu ausländischen Banken. Einnahmen aus riesigen Ölgeschäften werden fehlgeleitet. Die Region der Großen Seen kommt nicht zur Ruhe. An der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea wurde die größte Schlacht seit dem Zweiten Weltkrieg mit 70 000 Toten geschlagen. Sie alle wissen, dass mir diese Region besonders am Herzen liegt, weil ich drei Jahre dort gelebt habe. Ich empfinde das als den irrsinnigsten Krieg, den ich mir überhaupt vorstellen kann. Frau Präsidentin, nun noch einige Worte zum Schluss. Woran liegt das alles? Fehlende Verlässlichkeit von Regierungen, unverantwortliche Regierungsführung, Korruption und Vetternwirtschaft, fehlende demokratische Kultur, Missachtung von Menschenrechten, unkontrollierte Sicherheitsorgane, ein nicht funktionierendes Bankenwesen, keine Rechtsstaatlichkeit und keine Rechtssicherheit - aus all diesen Gründen gibt es keine Alternative zur Fortsetzung von politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Reformen. Wir wollen Afrika und afrikanische Regierungen bei diesen Reformvorhaben unterstützen. Ich glaube, wir brauchen dabei überhaupt keinen Nachhilfeunterricht von der CDU/CSU und der F.D.P. ({10}) Sie hatten zwanzig Jahre lang die Chance zu einer guten Afrikapolitik. ({11}) - Nein, verpasst. Sie haben sie nicht so genutzt, wie es hätte sein können. Ich nehme einzelne Personen dabei aus. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDSFraktion hat der Kollege Carsten Hübner das Wort.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einführend möchte auch ich sagen, dass ich das Bemühen der CDU/CSU-Fraktion durchaus schätze, sich derart umfassend mit der Entwicklung und mit den Problemen in Afrika auseinander zu setzen, wie es mit diesem Antrag geschehen ist. Und auch ich begrüße die teilweisen Demokratisierungserfolge, etwa in Südafrika, Namibia oder Nigeria, auch wenn ich Ihre Euphorie gerade im Fall Nigerias noch nicht teilen mag. Aber es ist richtig: Afrika muss als Thema auf die Tagesordnung - umfassend, konzeptionell und kontinuierlich. Seine Probleme sind so vielfältig, so evident und geballt - das wurde bereits angesprochen - wie gegenwärtig in keiner anderen Region der Welt. Gleichzeitig schaut die viel beschworene so genannte Weltgemeinschaft in der Regel weg - zumindest so lange, wie nicht elementare Interessen der reichen Staaten des Nordens gefährdet erscheinen, wie etwa die Intervention in Somalia gezeigt hat, als Ölförderrechte amerikanischer Konzerne bedroht waren. Ansonsten dominiert - von entwicklungspolitischen Maßnahmen einmal abgesehen - eher stille Interessenpolitik oder gar politische Abstinenz. Doch diesem Defizit, dieser Abwesenheit einer angemessenen und nachhaltigen Afrikakonzeption kommt man, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, leider auch mit diesem Antrag nicht hinreichend bei. Denn auch darin dominieren wieder die allgemeinen Appelle und Absichtserklärungen und überwiegt der Hang zu Lippenbekenntnissen; es fehlt die Forderung nach konkreten Taten - von aus meiner Sicht vielfach zweifelhaften Analysen der Ursachen einmal abgesehen. Wir sollten das in den Ausschussberatungen im Einzelnen erörtern. An dieser Stelle nenne ich einige Stichworte. Wieder gilt das Bevölkerungswachstum als Ursache und nicht als Folge von Unterentwicklung; ({0}) wieder wird das westliche Entwicklungsmodell unkritisch als Lösung statt als Problem begriffen; wieder werden Marktwirtschaft und wirtschaftsliberale Deregulierung unkritisch zu Heilsbringern erklärt; wieder wird die Verschiedenheit von Ethnien als quasinatürlicher Konfliktherd beschrieben, das Konfliktpotenzial aus kolonialer Grenzziehung und soziokultureller Zerrüttung und Ausbeutung im Zuge kolonialer und neokolonialer Ausplünderung hingegen nicht erwähnt. Von der destruktiven Wirkung der drohenden WTOLiberalisierungsrunden ist schon gar nicht die Rede. Immer wieder erkennt man den unreflektierten Zeigefinger „good governance“, obwohl doch gerade erst die Anti-Korruptions-Nichtregierungsorganisation Transparency International im AWZ darüber berichtet hat, dass es gerade die Unternehmen aus den Industriestaaten sind, die mit Blick auf lukrative Großprojekte die politische und gesellschaftliche Verfasstheit ganzer Regionen mittels Bestechung und Korruption unterminieren. Sie hinterlassen auch bei uns im Land entsprechende Spuren. Das haben Sie in Ihrer Partei selber erfahren müssen. Zur Wirkung von Waffenexporten brauche ich schon gar nichts zu sagen. Der Antrag ist zu umfassend, als dass ich in meinen vier Minuten detailliert dazu Stellung nehmen könnte. Ich beschränke mich deshalb auf ein Beispiel, wie eine konkrete und verantwortliche Politik im angesprochenen Kontext aussehen könnte, und zwar was die Schulden Südafrikas, eines Hoffnungsträgers, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland anbetrifft. Im letzten Jahr der Apartheid betrugen die Schulden Südafrikas gegenüber der deutschen Wirtschaft 7,4 Milliarden DM, Schulden, die von einem verabscheuungswürdigen Regime gemacht wurden und für die man das heutige, das demokratische Südafrika nicht in Haftung nehmen sollte. ({1}) Es ist geradezu paradox, dass die befreiten Menschen nun auch noch die Schulden ihrer Unterdrücker, die Kosten ihrer Unterdrückung zahlen sollen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass deutsche Unternehmen zwischen 1986 und 1993 aus direkten und indirekten Investitionen im Südafrika der Apartheid Einnahmen in Höhe von 4,71 Milliarden DM erzielt haben. Darüber hinaus fanden Nettokapitalexporte von Deutschland nach Südafrika in Höhe von 3,56 Milliarden DM allein in der Zeit von 1985 bis 1993 statt. Ich möchte nur daran erinnern, dass dies die Zeit der internationalen Sanktionen gegen Südafrika war. Wie legitim kann da der Anspruch auf Rückzahlung sein, frage ich Sie. Die eben bereits erwähnte Gesamtschuld gegenüber der deutschen Wirtschaft von 7,4 Milliarden DM im Jahr 1993 machte jedenfalls 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors des Apartheidregimes aus und machte die deutsche Wirtschaft damit zum international wichtigsten Direktfinanzier der Apartheid. Diese Schulden umgehend zu erlassen wäre doch einmal eine konkrete Forderung für Ihren Antrag gewesen. Aber dazu gehört schlichtweg etwas mehr Mut, als Sie offenbar aufzubringen bereit sind. Was die Bundesregierung in dieser Frage unternehmen will, wird sich allerdings auch erst noch erweisen müssen. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Karl-Heinz Hornhues.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich mit Afrika beschäftigt, gerät man, vor allem wenn man in einen solchen Kontinent verliebt ist - und das sind hier manche -, leicht in die Gefahr, das Maß zu verlieren. Ich glaube, dass der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder vielleicht doch Recht hat, wenn er in seiner Grundsatzrede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, in der er den Fachleuten dieses Landes seine Außenpolitik, die Politik seiner Regierung und die von ihm bestimmten Richtlinien seiner Politik erläuterte, in 17 Schreibmaschinenseiten Afrika nur am Rande erwähnt hat. Wir sollten uns gegenüber ehrlich genug sein, als Realität zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Rede des Bundeskanzlers mit dem beiläufigen Erwähnen von Afrika - mit Afrika wolle man weitermachen wie bisher, so war der Zusammenhang - der Wirklichkeit vielleicht näher kommt als manches, was wir erklären, wenn wir hier stehen und unser Herzblut vergießen. Mir scheint es von daher wichtig zu sein, zu überlegen, was man denn tun kann, um unseren Regierungen da möchte ich Ihnen gerne helfen, liebe Frau Kollegin Eid und liebe Frau Ministerin - klarer zu machen, dass dieser Kontinent für uns vielleicht wichtiger ist, als mancher, auch der heutige Kanzler, das wahrhaben will. Ich will hinzufügen: Ich habe vor vielen Jahren einmal einem Chef des Kanzleramtes, der meiner Partei angehörte, einen bitteren Brief geschrieben, in dem es kurz gefasst hieß, dass mir bewusst geworden sei, dass für das Kanzleramt südlich von Europa nur noch die Antarktis existiere. Ich will damit nur sagen: Das, was ich hier kritisiere, war auch damals schon problematisch damit Sie mir nichts anderes unterstellen. Herrn Kinkel will ich zum Großteil ausnehmen, weil ich sein starkes Engagement in den vielfältigsten Funktionen kenne. ({0}) Ich kann Ihnen sogar die Schulen nennen, bei denen er mir geholfen hat, dass sie nicht geschlossen werden, und vieles andere mehr. Aber das will ich nicht vertiefen. Die Frage ist für mich: Was können wir tun, um diesem Kontinent ein bisschen mehr den Platz zu geben, der ihm zusteht, da die meisten von uns ja meinen, dass er diesen Platz zurzeit nicht einnimmt? Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns verschärft die Frage vor Augen führen, wie man es jenseits aller Blut-und-TränenGeschichten, aller grausamen Geschichten und auch aller herzerwärmenden Geschichten, die man über die Herzlichkeit und Freundschaft erzählen könnte, welche einem begegnen, wenn man mit den Menschen dort zusammentrifft - jeder, der dort war, kann stundenlang erzählen, wie schön es da war -, schafft, unter den Kollegen, aber vor allen Dingen in unserem Land ein anderes Bewusstsein zu erreichen. ({1}) Dabei scheint mir wichtig zu sein, herauszuarbeiten, um welche Punkte es geht. Erster Punkt: Auf dem Gipfel in Essen ist erstmalig in einem EU-Papier in erheblichem Umfange auf die Bedeutung der Beziehung Europas zu Afrika eingegangen worden. Dies ist in der Folgezeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Daher möchte ich dringend daran erinnern, diesen Aspekt zu sehen und nicht wieder Portugal, Spanien, Frankreich und Italien, also die Südländer, die Nachbarländer des Nordteils Afrikas, für die für Afrika zuständigen zu erklären. Auch aus anderen Gründen ist es zutiefst unser Interesse, dass wir mit ihnen deren Probleme diskutieren. Wenn die Marokkaner ihre Probleme in Spanien haben, wenn sich in den Exklaven Spaniens in Nordafrika die Lager mit Zehntausenden von Schwarzafrikanern füllen, die zu uns in die EU wollen, dann dürfen wir dies nicht aus unserer Distanz zu Südeuropa zu deren Problem erklären; denn es ist auch unser Problem. Warum? Aus ganz egoistischen Gründen: Wenn wir ein wenig nach Osten schauen, sehen wir, woher unsere Probleme kommen, von denen Portugal und Frankreich weiter entfernt sind. Unser Interesse ist, dass sich die Südeuropäer für unsere prioritären Probleme engagieren. Dies können wir bei unseren Partnern in Europa aber nur erreichen, wenn wir bereit sind, ihre Probleme so ernst wie unsere eigenen zu nehmen. Anderenfalls klappt das Ganze nicht. ({2}) Zweiter Punkt: Wir alle, die wir uns engagiert mit Afrika beschäftigen - lieber Kollege Schuster, liebe Kollegin Eid, liebe andere Freunde -, müssen unseren Bürgern hier deutlicher als bisher die „good news“, die guten Nachrichten überbringen. In Afrika haben sich nicht nur Not, Elend und Aids ausgebreitet, sondern es gibt auch Fortschritte, die von Bedeutung sind und die wir nennen müssen. Die afrikanische Wirtschaft wächst prozentual erstmals stärker als die Bevölkerung, auch wenn dies hinterfragt werden muss. Die Zahl der demokratischen Länder steigt. Was sich in Simbabwe tut, ist prima. Die politischen Eliten in Afrika wachsen, die es als ihre Aufgabe ansehen, ihre Länder zu entwickeln, anstatt das einheimische Kapital zu exportieren. Dies sind wichtige neue Nachrichten. Des Weiteren sollten wir unseren Mitbürgern aber auch klarmachen: Afrika zu entwickeln bedeutet, dass wir uns selbst helfen. Wir können nämlich - Herr Schuster hat es angesprochen - nur dann mit Afrika Geld verdienen - um es drastisch zu formulieren - wenn die Afrikaner auch bezahlen können und wenn sie nicht erst einen Kredit von uns bekommen müssen, damit sie das bezahlen können, was wir ihnen verkaufen wollen. Dies macht auf Dauer keinen Sinn. Wohlfahrt für Afrika ist also in gleichem Maße Wohlfahrt für uns. ({3}) Diese Sätze sagen wir auch auf Russland und andere Länder bezogen; wir sollten sie auch auf Afrika bezogen publik machen. Ein weiterer Punkt: Wir werden die Welt nicht schnell verändern können und die Menschen in Afrika sind diejenigen, die sich zunächst einmal selbst aus dem Sumpf ziehen müssen, soweit sie in ihm stecken. Aber in einigen Bereichen müssen wir helfen, so gut wir können. Eines der wichtigen Stichworte der Außenpolitik heißt Krisenprävention. Ich erinnere mich daran, dass, als wir zum ersten Mal mit Truppen nach Sarajevo mussten, in Deutschland gesagt worden ist, wir sollten um Gottes willen keine Soldaten nach Sarajevo schicken, sondern lieber Krisenprävention bei der UNO und anderswo betreiben. Das Stichwort fällt uns meistens ein, wenn die nächste Krise so spät definiert und entdeckt worden ist, dass sie mit Krisenprävention nicht mehr zu lösen ist. ({4}) Deswegen müssen wir den Menschen bei uns klarmachen, dass uns in Deutschland die Splitter der Krisen je weniger um die Ohren fliegen, desto mehr wir präventiv helfen. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt komme ich zur Bewertung dessen, was diese Regierung vor dem Hintergrund unserer ureigensten Interessen, bezogen auf Afrika - das kann man den Menschen bei uns klarmachen - macht. So Leid es mir tut, hier komme ich nicht zu einer guten Bilanz. Ich hätte lieber eine bessere, weil ich - das gebe ich ja zu - in diese Gegend auch ein bisschen verliebt bin. Krisenprävention verlangt, dass ich weiß, wo die Krisen sind. Deshalb brauche ich Menschen, die mich darüber informieren. Angesichts dessen Botschaften in Ländern zu schließen, deren Hauptstädte Bujumbura, Freetown und Djamena heißen - diese drei Länder stehen symbolhaft für dickste Krisen - und in die, nebenbei bemerkt, unsere Minister und Staatssekretäre aus dem AA und BMZ - ich habe mir eine Liste ihrer Reisen geben lassen - nicht gereist sind, ist das Gegenteil von Krisenprävention und zutiefst bedauerlich, zumal unsere Entwicklungshelfer auch noch ein Stück weit schutzlos gelassen werden. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren aus der Koalition, ich weiß, Sie stimmen mir zu, auch wenn Sie das nicht öffentlich kritisieren dürfen - das haben wir ja früher auch nicht getan -, weil Sie Ihre Regierung unterstützen müssen. ({7}) Die Förderung des Kulturaustausches zu Papier zu bringen ist prima, Goethe-Institute zu schließen und die Zahl der Austauschprogramme zu reduzieren dagegen nicht. Sie wollten doch alles besser machen. Sie machen weniger, und das noch nicht einmal, so fürchte ich, besser. Am Schluss meiner Rede kann ich nur eines sagen: Afrikaner aller Fraktionen vereinigt euch, um diese Regierung daran zu hindern, diese reduzierte Politik bezogen auf Afrika fortzusetzen! Herzlichen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von allen Rednern und Rednerinnen ist in dieser Diskussion mehrfach beklagt worden, dass in der Öffentlichkeit bezogen auf Afrika häufig Desinteresse oder auch Pessimismus vorherrschen. Ich möchte die Reihe derjenigen ergänzen, die gesagt haben: Man muss diesen Kontinent sehr differenziert betrachten und auch manche Zahl zur Kenntnis nehmen. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ hat Zahlen vorgelegt: Im letzten Jahrzehnt ist in Afrika die Zahl der autoritär regierten Staaten von 43 auf 21 gesunken. Es sind also deutliche Schritte in Richtung Demokratie erkennbar, wenn auch nicht so ausgeprägt, wie wir sie uns in Westeuropa vorstellen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich diese Debatte. Wir lassen Afrika nicht allein. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen - das wurde immer wieder angesprochen -, dass die Höhe der Mittel im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zwar wichtig ist, aber längst nicht alles aussagt. ({0}) So waren wir zum Beispiel gezwungen, unsere Finanzielle Zusammenarbeit mit Äthiopien und Eritrea auszusetzen. Wir wollen doch nicht mit unseren Finanzmitteln dazu beitragen, dass zwei Länder gegeneinander Krieg führen; denn sie würden doch auch unsere Mittel dafür einsetzen. Das muss in diesem Zusammenhang immer gesagt werden. ({1}) Ich begrüße, dass sich der UN-Sicherheitsrat in einer Diskussion im Januar dieses Jahres des Themas Afrika stärker angenommen hat. Wir müssen aber dazu beitragen - das habe ich in vielen Gesprächen bei Besuchen in afrikanischen Staaten immer wieder feststellen können -, dass die internationale Gemeinschaft bzw. der UN-Sicherheitsrat bezüglich der UN-Friedensmissionen in Afrika konsequent ist. Ich plädiere engagiert für eine UN-Friedensmission für die Konfliktregion der Großen Seen, um die sich dort abzeichnenden Friedensmöglichkeiten international zu stützen. ({2}) Das wäre ein notwendiger Akt der Prävention. Ansonsten setzt sich der UN-Sicherheitsrat dem Vorwurf aus der in Afrika immer erhoben wird - dass die Regionen mit zweierlei Maß gemessen werden. Meine Damen und Herren, ich habe es eben schon angesprochen: Obwohl viele Regierungen in Afrika nachweislich Reformanstrengungen unternehmen, leben dort noch immer Millionen von Menschen in unerträglicher Not. Die Weltbank hat es in einem ihrer letzten Texte so ausgedrückt: „Afrika geht es besser, den Afrikanern aber nicht“. Bezogen auf das, was Werner Schuster vorhin zu den Afrikanerinnen gesagt hat, möchte ich hinzufügen: den Afrikanerinnen schon gar nicht. Entsprechend konzentrieren wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Armutsbekämpfung. Rund 40 Prozent der afrikanischen Bevölkerung leben in absoluter Armut. Wir nutzen all unsere Möglichkeiten, um hier zu helfen. Ich spreche alle Kollegen an, die sich zu diesem Thema geäußert haben: Wir können doch nicht von Globalisierung reden, aber dann, wenn es an die Betrachtung geht, immer nur Ausschnitte, einzelne Elemente der Titel auf bilateraler Ebene heranziehen. Unser Schwerpunkt ist, dazu beizutragen, die regionalen Stabilitätsinseln in Afrika zu stützen. Mit unserem Haushalt wir haben die Mittel dafür auf 28,5 Millionen DM aufgestockt - unterstützen wir die afrikanischen Regionalorganisationen: die südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft und die Wirtschaftsgemeinschaft, die den Sudan, Somalia und Dschibuti umfasst. Wir wissen doch aus Europa: Diejenigen, die regional wirtschaftlich verflochten sind, die kooperieren, die schießen nicht aufeinander. Deswegen sind die Mittel, die in diesem Bereich eingesetzt werden, so wichtig. ({3}) Herr Kollege Hornhues, Sie haben die Frage der Krisenprävention angemahnt. Ich nenne hier noch andere Elemente, die der Bundesregierung und in diesem Fall vor allem meinem Ministerium besonders wichtig sind. Erstens. Wir haben während unserer Ratspräsidentschaft eine Initiative zur Bekämpfung der Verbreitung von Kleinwaffen in Gang gesetzt. Das ist die wichtigste Voraussetzung, damit Kinder nicht zu Soldaten gemacht und missbraucht werden. Die Vereinten Nationen wollen durch eine Initiative, die auch in diese Richtung geht, entsprechende Beschlüsse zur Unterstützung der europäischen Initiative fassen. Das ist ein wichtiges Instrument zur Krisenprävention. ({4}) Ein zweiter Punkt betrifft den zivilen Friedensdienst. In Afrika wird es drei Einsatzorte geben: Uganda, Simbabwe und Sudan. Der zivile Friedensdienst arbeitet mit Nichtregierungsorganisationen und mit der Bundesregierung zusammen. Drittens, - auch das zum Stichwort Krisenprävention -: Wir stärken die Zivilgesellschaft und demokratische Strukturen, indem wir - ich nehme als Beispiel Mali - die Dezentralisierung in Ländern fördern, unterstützen und finanzieren. So kann sich bei den Regional- und Kommunalwahlen die Bevölkerung beteiligen. Damit wird Demokratisierung gefördert. Das ist ein echter Akt der Prävention, den wir durch unsere Entwicklungszusammenarbeit schwerpunktmäßig fördern. Viertens. Wir richten unsere gesamte Entwicklungszusammenarbeit auf Krisenprävention aus! Das heißt, bei jedem Projekt, bei jedem Konzept, das wir in den Entwicklungsländern in Afrika verwirklichen, haben wir Krisenindikatoren, die die Konflikte frühzeitig aufdecken. Das setzt natürlich voraus, dass das Melden und das Erkennen dieser Konflikte - ich nenne nur das Beispiel Ruanda - zu konkretem politischen Handeln der internationalen Gemeinschaft führt. Im Folgenden möchte ich eine Reihe von Punkten nennen, die widerlegen, dass wir die Länder in Afrika finanziell nicht ausreichend unterstützen würden; wer das behauptet, der hat keinen genügenden Einblick in die Situation. Wir haben eine Entschuldungsinitiative gestartet. Das bedeutet, dass Unterstützung in einer Gesamthöhe von 70 Milliarden US-Dollar auf den Weg gebracht worden ist. 36 Entwicklungsländer können davon profitieren; 30 davon sind afrikanische Staaten. Der größte Teil dieser Mittel wird also den afrikanischen Staaten zugute kommen. Dieser Teil wird für Gesundheit und Bildung eingesetzt. Das ist ein sehr großer Fortschritt, den es bisher nicht gegeben hat. ({5}) Dabei wird jedes Land verpflichtet, dazu beizutragen, dass über Armutsbekämpfung - das ist wichtig, denn auch in afrikanischen Ländern gibt es Arme und Reiche - mit der eigenen Bevölkerung diskutiert und diese zum Schwerpunkt gemacht wird. Da kann man sehr unterschiedliche Gewichtungen feststellen. Auch in diesem Bereich wird deutlich, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Zum Punkt Europäische Union und afrikanischkaribisch-pazifische Länder. Es ist uns gelungen - unser Ministerium ist bei den Verhandlungen in diesem Bereich federführend gewesen -, im Februar ein Nachfolgeabkommen abzuschließen. Es umfasst in der Phase bis 2004 ein Finanzvolumen von 12,5 Milliarden Euro. Unter den 71 AKP-Staaten sind 47 afrikanische Länder, die von dieser Finanzierung profitieren. Es sage also bitte niemand, wir würden diese nicht ausreichend einbeziehen. Im Mittelpunkt all unserer Bemühungen - das habe ich deutlich gemacht - stehen die Menschen in Afrika. Frau Kollegin Eid hat vorhin schon deutlich gemacht: was die bilaterale Zusammenarbeit angeht, so ist im Vergleich zu 1997 der Anteil der Zusagen am Gesamtvolumen von damals unter 25 Prozent auf fast 29 Prozent im Jahr 1999 gestiegen und wird in der Rahmenplanung 2000 bei rund 30 Prozent liegen, ({6}) sodass nicht mehr Asien die Region in der Welt ist, die den Vorrang bei unserer Entwicklungszusammenarbeit hat, sondern Afrika. Ich bitte die Kollegen der Opposition, das zur Kenntnis zu nehmen. ({7}) Ich schlage vor - unabhängig von all diesen Initiativen, die zeigen, dass wir das ernst nehmen und dass uns die Situation der Menschen am Herzen liegt -, innerhalb der Weltbank einen Afrikafonds aufzulegen, an dessen Finanzierung sich die Staaten, die Zivilgesellschaft, aber vor allen Dingen auch Wirtschaftsunternehmen beteiligen können, um damit die Regierungen zu unterstützen, die auf verantwortliche Regierungsführung, auf Rechtsstaatlichkeit und auf transparente Haushalte orientiert sind. Das hat einen ganz praktischen Hintergrund: Nur 3 von 95 Milliarden Dollar, das heißt, etwa 3 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen gehen in die Entwicklungsländer südlich der Sahara. Das ist völlig unzureichend angesichts der großen Zahl von Direktinvestitionen in diesen Entwicklungsländern. Wir sollten also auch im Interesse dieses Aspektes dazu beitragen, alle Regierungen zu unterstützen, die eine verantwortliche Regierungsführung in Afrika praktizieren. Eine solche Entwicklung ist auch für ausländische Investoren eine wichtige Voraussetzung. Wir sollten und müssen dazu beitragen. ({8}) Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zum Schluss machen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Vorschlag, den ich eben gemacht habe, in internationalen Organisationen aufgreifen wird. Wer auch immer das Engagement des Bundeskanzlers in diesem Bereich angemahnt hat, wird sich noch außerordentlich wundern, dass die Vorschläge der Bundesregierung Gehör finden werden. Insbesondere bei der Millenniumsversammlung der UN im September dieses Jahres in New York werden sie deutlich werden. Das Problem Aids ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Deshalb muss ein Fonds - wie ich das eben angesprochen habe - aufgelegt werden, der über das Vorhandene hinausgeht. Aids hat in manchen Entwicklungsländern bereits jetzt die Entwicklungsfortschritte der letzten 30 Jahre vernichtet. Allein in den letzten 15 Jahren sind an dieser Seuche 11 Millionen Menschen in Afrika gestorben. Es bleiben die Kinder und die Älteren. Die Menschen, die ein Land voranbringen können - die Generation der Erwerbstätigen -, sterben. Die Staaten Afrikas selbst haben diese Bedrohung bisher häufig tabuisiert. Aber dort, wo nach einer langen Phase der Verdrängung das Thema offen angesprochen wird, zeigen sich entsprechende Fortschritte. Wir sollten alles dazu tun, dass dieses Thema in allen internationalen Organisationen zu einem gemeinsamen Engagement gegenüber Afrika führt. Das gilt für die G-7-Gipfel, das gilt auch für die Aktionen der UN. Deshalb ist es gut, dass Aids eines der wichtigsten Themen auf der Tagung des Development Committee der Weltbank im April sein wird. Sie sehen: Die internationale Gemeinschaft nimmt ihre Verantwortung durch wachsendes Engagement wahr, auch bezogen auf dieses Problem. Dies aber macht den gemeinsamen Einsatz finanzieller und politischer Mittel notwendig. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. - Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2571 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 10 auf: 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Hildebrecht Braun ({0}), Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses der 14. Wahlperiode. - Drucksache 14/2527 ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksache 14/2686 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Christine Lambrecht.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier am 2. Dezember 1999 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Spendenskandals der CDU beschlossen. Damals wusste die Öffentlichkeit lediglich von dubiosen Bargeldkoffern, einem möglichen Zusammenhang mit Panzergeschäften in Saudi-Arabien und von schwarzen Konten, über die Helmut Kohl nach Belieben verfügte. Allein die Tatsache, dass ein ehemaliger Kanzler gegen Recht, Verfassung und Amtseid verstoßen hat, hat schon gereicht, um die Republik zu erschüttern. Seitdem ist viel passiert. Als wir den Untersuchungsauftrag formulierten, wussten zumindest die meisten von uns noch nichts von Bargeldübergaben an Herrn Schäuble oder Frau Baumeister - wie auch immer. Wir wussten noch nichts über illegale Konten der hessischen CDU in der Schweiz und in Liechtenstein. Wir wussten noch nichts über die Stiftung „Zaunkönig“, mit der das Geld der hessischen CDU gewaschen wurde und noch nichts über die Stiftung „Norfolk“, die das gleiche Prinzip mit ebenfalls illegalen Konten für die BundesCDU verfolgt hat. Wir wussten auch noch nichts über die Unwahrheiten des hessischen Noch-Ministerpräsidenten Roland Koch - ist er es noch? Ich habe seit circa einer Stunde keine Nachrichten mehr gehört - ({0}) und noch nichts über viele andere Ungereimtheiten, deren Aufzählung zu lange dauern würde. All das erinnert an etwas, das die CDU angeblich immer erbittert bekämpfen wollte, nämlich an organisierte Kriminalität. Ob die Vorwürfe wirklich zutreffen, muss von der Staatsanwaltschaft und vom Untersuchungsausschuss ermittelt werden. Zumindest verbal eint uns derzeit alle ein Ziel: eine rückhaltlose Aufklärung. Um diese zu ermöglichen, muss angesichts der Fülle neuer Fakten, die täglich, ja fast stündlich zutage treten, der Untersuchungsauftrag erweitert werden. ({1}) Wenn es Ihnen von der CDU/CSU um wirkliche Aufklärung geht, wären Sie gut beraten, dem hier auch zuzustimmen. ({2}) Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, Sie versuchten die Aufklärung durch Taschenspielertricks zu behindern, wo Sie es nur können. ({3}) Das zeigt, dass Sie immer noch nicht begriffen haben, worum es eigentlich geht. Es läuft hier keine Kampagne der Sozialdemokratie gegen die arme, unschuldige CDU. Sie haben den größten und schwerwiegendsten Skandal in der Bundesrepublik zu verantworten. ({4}) In Ihren Reihen sitzen nicht unschuldige Opfer, sondern die Täter dieses Skandals. ({5}) Statt Konsequenzen zu ziehen, kommen Sie mit juristischen Spitzfindigkeiten. Unser Antrag folgt dem juristischen Bestimmtheitsgebot, das besagt, dass konkrete und tatsächliche Anhaltspunkte für Rechtsverstöße zur Durchführung einer Untersuchung erforderlich sind. Die hierzu gehörten Sachverständigen - auch der von der CDU/CSU benannte - sehen das ebenso. Es ist selten genug, wenn zwei Rechtsprofessoren eine übereinstimmende Meinung vertreten. Ich glaube, die ungeheuerlichen Vorgänge um das Verschieben von Geld ins Ausland, das Nichtangeben von Vermögen in Rechenschaftsberichten, die wahrheitswidrige Angabe von angeblichen Vermächtnissen sind wohl für jeden offensichtliche und konkrete Anhaltspunkte für Rechtsverstöße. ({6}) Was muss noch alles passieren, damit Sie mit einer Untersuchung einverstanden sind? Es kann keine Rede davon sein, dass durch die Erweiterung des Untersuchungsauftrags Parteien ausgeforscht werden sollen. Es geht darum, Rechtsverstöße aufzuklären. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch, dass solche skandalösen Vorgänge aufgeklärt werden, nicht nur wegen des Transparenzgebotes, das den Bürgern die Offenlegung der Finanzierung garantiert, sondern auch, weil die Vorlage von falschen Rechenschaftsberichten dazu geführt hat, dass staatliche Zuwendungen ohne Rechtsanspruch ausgezahlt wurden. Es kann wirklich niemand mehr verstehen, wenn Sie - um sich den Konsequenzen zu entziehen - jetzt behaupten, Ihr Rechenschaftsbericht sei im Sinne des Parteiengesetzes aufgestellt und die vom Bundestagspräsidenten Thierse geforderte Rückzahlung daher nicht rechtmäßig. ({7}) Meine Damen und Herren von der CDU, wem wollen Sie denn weissmachen, dass ein Rechenschaftsbericht, der einen Vermögensbestand der hessischen CDU in Höhe von 18 Millionen DM nicht enthält, ein Rechenschaftsbericht im Sinne des Parteiengesetzes sein soll? Man hört abstruse Einlassungen, es reiche aus, wenn überhaupt ein Rechenschaftsbericht vorgelegt sei, egal, was dieser beinhalte. Ich war selbst von meinen Studenten im ersten Semester bessere Stellungnahmen gewöhnt. Ich glaube, Sie brauchen eine juristische Nachhilfestunde. ({8}) Das Parteiengesetz fordert, dass ein Rechenschaftsbericht nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung erstellt werden muss. Die Grundsätze dafür finden Sie, falls Sie es nicht wissen, im Handelsgesetzbuch. Danach ist ein solcher Bericht vollständig zu erstellen. Es ist keine Rede davon, dass es ausreicht, irgendeinen Bericht vorzulegen, wenn er auch noch so falsch ist. Was bei der Vorlage von Berichten für Kaufleute gilt, das muss wohl auch für politische Parteien gelten. Sie sollten es sich gut überlegen, bevor Sie dagegen etwas unternehmen wollen. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um die Rückforderung von Geld, das aus der Tasche des Bundestagspräsidenten gezahlt wurde, sondern es geht um Steuergelder. Diejenigen, die Steuern bezahlen, haben auch ein Recht darauf, dass solche Vorgänge dann aufgeklärt werden. Ich freue mich, dass die Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. dies nunmehr genauso sehen, ({9}) wahrscheinlich auch, um ihr etwas angekratztes Image in der Öffentlichkeit aufzupäppeln, was ja durch das Verhalten ihrer Kollegen im Hessischen Landtag, ({10}) insbesondere durch Frau Wagner, ziemlich angeschlagen ist. Gestern hat sie übrigens zumindest einen zutreffenden Halbsatz erwähnt. Sie hat nämlich gesagt, dass wir in einer Zeit des Verlustes der politischen Kultur leben. Schade, dass sie solche Sätze nur sagt und nicht danach lebt und an ihrem Kumpanen, ({11}) dem Noch-Ministerpräsidenten Herrn Koch, ohne Wenn und Aber festhält. Ich würde mir wünschen, dass sie im Sinne der Demokratie ihren Ministerposten frei machen und im Interesse der Demokratie an dieser Koalition nicht länger festhalten würde. ({12}) Ich bin aber auch froh, dass wir hier im Bundestag die Mehrheiten haben, eine sinnvolle Erweiterung des Untersuchungsauftrages zu beschließen. Den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land muss deutlich gezeigt werden: In einer Demokratie gibt es Politiker, die Gesetze brechen, aber nur in einer Demokratie ist es möglich, dieses auch öffentlich aufzuklären. Dies ist die VerChristine Lambrecht antwortung des Parlaments und dieser Verantwortung stellen wir uns. Vielen Dank. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Andreas Schmidt.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die CDU massive Verstöße gegen das Parteiengesetz zu verantworten hat, dass Vertrauen verloren gegangen ist und dass wir nur eine Chance haben, dieses Vertrauen zurückzugewinnen - wenn wir wirklich alles tun, um aufzuklären, dass wir die Fehler eingestehen und auch bereit sind, die Konsequenzen zu tragen. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Dies will ich gern am Anfang sagen. ({0}) Meine Damen und Herren, für uns besteht auf den ersten Blick in dem Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages ein verlockendes Angebot. ({1}) ich finde - das wird von Tag zu Tag deutlicher -, es gibt gute Gründe für die SPD und auch für die Grünen, jetzt mit ihrer Häme, ihrem Hochmut und mit dem moralischen Zeigefinger in Richtung Union Schluss zu machen. ({2}) Es wird Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den anderen Fraktionen, dass Sie auch beginnen, vor Ihrer eigenen Haustür zu kehren. Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es! - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da kann man nur den Kopf schütteln!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns, auch wenn Sie es nicht gerne hören, heute darüber sprechen. Ich würde gerne wissen, was Sie zu einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ vom 17. Februar sagen, wo etwas über Ihren Fraktionsvorsitzenden steht. ({3}) - Dann erklären Sie das. - Ich sage Ihnen, was hier drin steht. Hier steht, dass es eine allgemeine Hospitalgesellschaft gibt, die sich mit Suchtkliniken befasst. Vorstandsvorsitzender ist Herr Weber, ein früherer Sozialdemokrat, Bevollmächtigter des Saarlandes. Aufsichtsratsmitglied ist Herr Struck. ({4}) - Ja, hören Sie doch mal zu. Es tut weh, aber hören Sie doch zu. Diese Gesellschaft soll am 18. August 1998 den Sozialdemokraten eine Spende von 25 000 DM angewiesen haben. Dann soll auf Veranlassung der Schatzmeisterei der SPD diese Spende gestückelt worden sein, sodass 19 900 DM an einen SPD-Verein und 5 100 DM direkt an den Vorstand der SPD gegangen sind. Sie sollten das aufklären, denn wenn das so ist, dann ist das eine Umgehung des Gesetzes, und wir sollten das aufklären. ({5}) Nach dem Bericht soll es weiterhin eine Spende an die SPD-Fraktion gegeben haben, mit der eine Zeitung der SPD-Fraktion kurz vor der Wahl 1998 finanziert worden ist. ({6}) Meine Damen und Herren, wir wollen Aufklärung auch über diesen Bereich. ({7}) Uns interessiert auch die Frage: Was ist eigentlich mit den Flügen, die die WestLB für Sozialdemokraten bezahlt hat, die zu Wahlkampfveranstaltungen geflogen sind? ({8}) Wir haben in der gestrigen Anhörung den Sachverständigen, Herrn Morlok, der von der SPD benannt worden ist, gefragt, ob dies eine Spende wäre. Er hat, von den Sozialdemokraten benannt, geantwortet, dies sei nach seiner Rechtsauffassung eine Spende, die im Rechenschaftsbericht aufgeführt werden müsste. Nach meiner Kenntnis sind solche Spenden von Ihnen nicht im Rechenschaftsbericht aufgeführt worden. Darüber müssen wir reden. Ich erwarte, dass der Bundestagspräsident dies genauso aufklärt und dann genau die gleichen Konsequenzen wie bei der Union zieht. ({9}) Wir erwarten auch, dass Sie Auskunft geben, ob es richtig ist, dass mit Mitteln der WestLB und des Landes Nordrhein-Westfalen der Wahlkampf von Herrn Stolpe unterstützt worden ist. Ich habe den Eindruck: In Nordrhein-Westfalen mauern Sie hinsichtlich der Aufklärung. Hier heben Sie den Zeigefinger gegen die Union; dort verhindern Sie die Aufklärung, weil es um Ihre eigenen Verfehlungen geht. ({10}) Ich möchte auch gerne wissen, ob das, was in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ steht, zutreffend ist, nämlich dass es einen Vermerk der SPD-Schatzmeisterin gibt, wonach die SPD bis in die 80erJahre hinein anonyme Spenden verbucht hat. ({11}) Sie sollten klären, ob dieser Bericht zutreffend ist. Uns interessiert übrigens auch, ob es zutreffend ist, dass der DGB den letzten Bundestagswahlkampf der SPD massiv mit Geldern unterstützt hat. ({12}) Herr Ströbele, auch Ihnen möchte ich ein Wort mit auf den Weg geben: Sie sollten aufhören, mit dem Finger auf die CDU zu zeigen, solange Sie mit dem auf einem Bundesparteitag der Grünen verabschiedeten Beschluss, der Ihre Fraktionsmitglieder zwingt, aus der unversteuerten Kostenpauschale eine Spende an die Partei abzuführen, massiv gegen die gesetzlichen Vorschriften verstoßen. Auch dies sollten Sie hier bitte zustimmend zur Kenntnis nehmen. ({13}) Nach meiner Aufzählung wird deutlich, dass es für uns verlockend wäre, den Untersuchungsauftrag auf den von mir beschriebenen Bereich auszudehnen. ({14}) Aber ich weiß natürlich genau: Sie werden mit Ihrer Ausschussmehrheit alles verhindern, was die Aufklärung Ihrer Verfehlungen betrifft. Diese Erfahrung haben wir machen müssen. ({15}) Ihr Ziel, den Untersuchungsauftrag zu erweitern, ist das Gegenteil von Aufklärung. ({16}) - Nein, Ihr Erweiterungsantrag ist das Gegenteil von Aufklärung. ({17}) Das zeigt auch die Vergangenheit im Untersuchungsausschuss. Der Untersuchungsauftrag, den wir im Bundestag einstimmig beschlossen haben, ist völlig eindeutig. Er besagt: Wir sollen aufklären, ob Entscheidungen der Regierung Helmut Kohl durch Geldzahlungen beeinflusst worden sind. Wenn man dies ernst nimmt - wir müssen diesen Auftrag ernst nehmen -, dann liegt es auf der Hand, dass wir zunächst die Leute als Zeugen befragen, die in der damaligen Regierung die Verantwortung getragen haben. ({18}) - Herr Ströbele, hören Sie mir gut zu! - Wir haben Helmut Kohl, Herrn Genscher, Herrn Waigel und Herrn Bohl als Zeugen vorgeschlagen. Sie haben mit Ihrer Mehrheit verhindert, dass diese Personen als Zeugen zu den Vorwürfen gehört werden können. ({19}) Damit beweisen Sie, dass es Ihnen um Parteipolitik geht, aber nicht um Aufklärung des Gegenstandes des Untersuchungsauftrags. ({20}) Ich möchte Ihnen jetzt erklären, warum wir davon überzeugt sind, dass Sie den eigentlichen Gegenstand des Untersuchungsauftrags nicht aufklären wollen. Sie glauben heute nämlich selbst nicht mehr daran, dass die Entscheidungen der Regierung Helmut Kohl käuflich gewesen sein sollen. Deswegen wollen. Sie von dem eigentlichen Untersuchungsauftrag abrücken und sich einem anderen Thema zuwenden. Je länger Sie die Aufklärung des eigentlichen Gegenstandes des Untersuchungsauftrages verhindern und hinauszögern, desto länger haben Sie die Chance, das Thema auf der Ebene der Gerüchteküche und der Unterstellungen weiterhin gegen die CDU zu instrumentalisieren. ({21}) Ein Beispiel für Ihre Strategie haben wir gestern im Untersuchungsausschuss erlebt. Es wurde ohne Kenntnis der Fakten behauptet, dass Akten verschwunden seien. ({22}) Wir können davon ausgehen - darauf haben wir Sie gestern hingewiesen -, dass sämtliche Akten aus dem Kanzleramt bereits zwei Untersuchungsausschüssen vorgelegen haben. ({23}) Ich bin relativ sicher, dass sich die Aktenbestände, die angeblich verschwunden sind, noch heute in der GeAndreas Schmidt ({24}) meinschutzstelle des Deutschen Bundestages befinden. Ich fordere Sie auf: Bevor Sie mit weiteren Unterstellungen arbeiten, sollten Sie mit uns gemeinsam ganz schnell nachschauen, ob sich die Akten dort befinden. Hören Sie so lange auf, mit Unterstellungen gegen die alte Bundesregierung und gegen die Union zu arbeiten! ({25})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schmidt, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich will jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Herr Hacker. ({0}) Sie müssen sich daran gewöhnen, dass wir zur politischen Auseinandersetzung zurückfinden. Das mag für Sie hart sein; aber Sie müssen sich auch diese Themen heute gefallen lassen. Ich glaube, dass der Erweiterungsantrag, den Sie vorgelegt haben, ein durchschaubarer Trick ist, um von dem eigentlichen Untersuchungsauftrag, den wir im Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen haben, abzulenken, um ihn nach hinten zu schieben und um weiter auf der Ebene der Gerüchteküche arbeiten zu können. Sie wollen mit der Erweiterung die Union ins Visier nehmen, um zu versuchen, die politische Auseinandersetzung mit Ihrer schwachen und schlechten Politik in Deutschland zu verhindern. ({1}) Dies werden wir nicht mitmachen. Ich sage noch einmal: Wir sind für Aufklärung. Wir sind auch dafür, dass wir die Konsequenzen für die Vorgänge, für die wir verantwortlich sind, tragen. Daran kann kein Zweifel bestehen. Wir wollen aber auch, dass Sie mit dem Zeigefinger nicht nur auf uns zeigen; vielmehr wollen wir, dass auch Sie endlich bereit sind, vor Ihrer eigenen Haustür zu kehren. Sie sollten Ihre eigenen Verfehlungen hier eingestehen. Sie sollten hier zur Aufklärung beitragen und die Aufklärung in Düsseldorf nicht behindern. Wenn das geschieht, sollten wir gemeinsam zum eigentlichen Untersuchungsauftrag zurückkehren, um die von Ihnen gegen die alte Bundesregierung erhobenen Vorwürfe schnell zu untersuchen, damit sie vom Tisch kommen. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Hans-Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt, was sollen wir denn machen, wenn wir vor den Vertretern einer Fraktion und einer Partei sitzen, die selber sagen: Wir können nicht mehr aufklären; das ist jetzt Sache des Staatsanwaltes? Ihr Fraktionsvorsitzender - ich glaube, er ist es noch immer - ist mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit gegangen und hat damit die Waffen Ihrer eigenen Aufklärung gestreckt. Was sollen wir denn machen, wenn sich die Mitglieder Ihres eigenen Fraktionsvorstands in der Öffentlichkeit mit eidesstattlichen Versicherungen beharken, zu denen der Jurist sagt: Ist das nicht Theater nach außen? Haben die eigentlich einen juristischen Wert, wenn die Vorstandsmitglieder nun in der Partei eidesstattliche Versicherungen austauschen? Was sollen wir denn anderes machen, als zu sagen: Herr Schmidt, das gehört in den zuständigen Untersuchungsausschuss dieses Deutschen Bundestages, weil Ihre Mittel, die Angelegenheit aufzuklären, offenbar nicht mehr ausreichen? Sie haben auf der ganzen Linie versagt. Sie haben das in der Öffentlichkeit eingestanden. Daher muss diese Aufgabe leider der Untersuchungsausschuss erledigen. ({0}) Wir brauchen die Erweiterung des Untersuchungsauftrages. Es geht nicht darum, das festzustellen, was wir gestern Nachmittag diskutiert haben. Es ging um das Parteiengesetz, das Sie gemacht haben. Von diesem Parteiengesetz sagen Sie jetzt, es sei verfassungswidrig - nur weil Sie dagegen verstoßen haben -, das habe ich von Ihren Juristen gehört. Deshalb müsse man sich danach nicht richten. Dieses Gesetz sei verfassungswidrig und deshalb seien den Konsequenzen, die Herr Thierse aus der Tatsache gezogen habe, dass Sie gegen das Gesetz verstoßen hätten, nicht Folge zu leisten; vielmehr müsse man dagegen gerichtlich angehen. Herr Schmidt, so geht es doch nicht. Sie können doch nicht verlangen, dass wir den ehemaligen Herrn Bundeskanzler, der sicherlich der zentrale Zeuge in dieser Sache ist, als Ersten hören, wenn er sich überall in den Medien hinstellt und sagt: Die entscheidende Frage, von wem ich das Geld bekommen habe, werde ich auch im Ausschuss nicht beantworten. - Somit fehlt dem Ausschuss die Möglichkeit, festzustellen, ob eine politische Beeinflussung vorhanden war, ob Herr Kirch, Siemens, Springer oder wer auch immer ihm das Geld gegeben haben und ob damit politische Entscheidungen gekauft werden sollten. Sollen wir diesen Herrn laden, wenn er uns von vornherein sagt, er werde zu diesen entscheidenden Fragen nichts sagen? Sollen wir uns drei oder vier Stunden lang seine Verdienste um die Weltgeschichte anhören? Die haben wir schon häufiger im Fernsehen genossen. Andreas Schmidt ({1}) ({2}) - Herr Schmidt, wir werden zuerst - das ist sachgerechte Aufklärung - diejenigen hören, die unsere Fragen beantworten müssen. ({3}) Wir werden die Leute hören, die kein Auskunftsverweigerungsrecht haben und die dabei waren, als der ehemalige Bundeskanzler - freilich nicht als Bundeskanzler, sondern als Parteivorsitzender - die Hand ausgestreckt und die großen Kuverts mit dem gebündelten Baren bekommen hat. Diejenigen hätten wir gerne zuerst gehört, die uns darüber Auskunft geben können, wer die großen Unbekannten waren, was sie gebracht haben und was dort besprochen wurde. Dann werden wir - Sie können beruhigt sein, ich denke, das wird vor der Sommerpause sein - dem ehemaligen Bundeskanzler Gelegenheit geben, dazu Auskunft zu geben. Wir bitten ihn dann auch Auskunft zu geben, was eigentlich davon zu halten ist, dass er und Sie von seiner Fraktion hier ein Gesetz machten, an das sich der ehemalige Kanzler, wie er im Fernsehen verkündete, nicht nur über viele Jahre, von 1993 bis 1998, nicht gehalten hat, sondern an das er sich auch heute und sonst jeden Tag weiterhin nicht halten will. Zur Offenlegungspflicht im Gesetz, die von Herrn Kohl und wahrscheinlich auch von Ihnen beschlossen wurde, sagt er: Die ist mir egal, es kann da im Gesetz stehen, was da will, ich halte mich nicht daran. Da stellt sich doch für mich als Linker die Frage, Herr Schmidt, ({4}) ob nicht etwas richtig ist an dem Satz, mit dem wir früher immer das Verhalten der Herrschenden beschrieben haben: Die Gesetze sind für das gemeine Volk, das hat sich daran zu halten, wenn es sich nicht daran hält, gibt es drakonische Strafen; ({5}) aber wir, das Establishment, die Herrschenden, brauchen uns doch nicht an das Gesetz halten. Das ist die Grundhaltung, die Helmut Kohl jeden Tag der Bevölkerung in diesem Lande vermittelt. Das ist das Schlimme. ({6}) Das ist wirklich moralischer Verfall; Herr Kanther beklagte ihn ja immer dann, wenn von Sprayern die Rede war. Das ist der Verfall der Moral, die Sie immer versucht haben hoch zu halten. ({7}) Um das aufzuklären - das ist das Interesse dieser Demokratie und dieses Bundestages und sollte auch Ihr Interesse sein -, brauchen wir die Erweiterung des Auftrages des Untersuchungsausschusses. Wir brauchen nicht eine Erweiterung in der Form, wie sie die F.D.P. ursprünglich einmal beantragt hat, nun bei den Grünen nachzuprüfen, inwieweit durch Spenden das Regierungshandeln von 1993 bis 1998 beeinflusst worden ist. Ich denke nämlich, dass wir da völlig unverdächtig sind, weil Sie damals ja nicht auf uns gehört haben, sodass wir das Regierungshandeln leider nicht beeinflussen konnten. Wir hätten es - mit oder ohne Spenden - gerne gemacht, konnten es aber einfach nicht. Deshalb war dieser Antrag damals einfach Unsinn. Jetzt haben wir einen vernünftigen Antrag vorgelegt. In ihm steht nicht mehr, dass nur CDU/CSU und F.D.P. überprüft werden sollen, sondern wir wollen gegen alle ermitteln, bei denen konkrete und tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie bewusst gegen die Offenlegungspflicht des Grundgesetzes und des Parteiengesetzes, die mit gutem Grund dort aufgenommen wurde, verstoßen haben. Wir wollen die dafür politische Verantwortlichen feststellen, stellen und Konsequenzen anmahnen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion befürwortet nachdrücklich die Erweiterung des Untersuchungsauftrages des so genannten ParteispendenUntersuchungsausschusses. ({0}) Die Aufklärung der unfassbaren Vorgänge der letzten Wochen darf doch nicht länger nur den Pressekonferenzen und den Talkshows überlassen bleiben. ({1}) Das Parlament ist der Ort, wo überprüft werden muss, wie von Politikern gegen die von eben diesem Parlament gesetzten Regeln über die Parteienfinanzierung verstoßen worden ist. Deshalb geht es bei dem heutigen Beschluss auch um das Selbstverständnis des Parlaments. Wenn der Untersuchungsausschuss seinen Auftrag erfüllen soll, durch Aufklärung wenigstens einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass verlorenes Vertrauen wiedergewonnen wird, dann darf dieser Ausschuss doch nicht durch einen zu eng gefassten Untersuchungsauftrag an seiner Aufgabe gehindert werden. Genau diese Situation besteht aber zurzeit. Der im Dezember beschlossene Auftrag betrifft, kurz gesagt, den Verdacht der politischen Korrumpierung. Niemand könnte es doch verstehen, wenn sich dieser Untersuchungsausschuss ausgerechnet mit dem Thema, das seit Wochen die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bewegt, nicht befassen dürfte, weil es sich „nur“ um Verstöße gegen das Parteiengesetz handelt, die nicht den Verdacht zulassen, dass damit Korruption verbunden wäre. ({2}) Daher hat die F.D.P. als erste Fraktion am 19. Januar 2000 einen entsprechenden Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages eingebracht. ({3}) - Herr Ströbele, Sie haben sich offenbar nicht die Mühe gemacht, die in diesem Zusammenhang vorgelegten Anträge zu lesen. Sie haben kritisiert, dass wir bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses wollten, dass zumindest die Möglichkeit besteht, das Verhalten aller Parteien zu untersuchen. Aber jetzt geht es um ganz konkrete Verdachtsmomente, die übrigens nicht nur gegen die CDU bestehen. Deswegen haben sogar Sie, unserem Beispiel vom 19. Januar 2000 folgend, vorgeschlagen, dass wir uns im Rahmen des erweiterten Untersuchungsauftrages nicht auf eine Partei beschränken, sondern uns zu Recht darauf beziehen, ob konkrete Anhaltspunkte dahin gehend bestehen, dass massive Verstöße gegen das Parteiengesetz vorliegen. Herr Kollege Schmidt von der CDU, ich bin froh, dass Sie in Ihrem Redebeitrag nicht den Versuch unternommen haben, der Erweiterung des Untersuchungsauftrages mit fadenscheinigen juristischen Argumenten zu widersprechen. ({4}) Denn obwohl zwischendurch von Ihrer Seite geäußert wurde, man dürfe einen solchen Auftrag nicht erweitern, ist völlig eindeutig, dass wir nicht gegen die BundLänder-Kompetenzregelung verstoßen. Denn es geht um Vorgänge, die die Bundesparteien betreffen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass wir uns damit befassen dürfen. Wir müssen uns sogar damit befassen. Wir verletzen auch nicht die Chancengleichheit der Parteien. ({5}) Denn wer durch Gesetzesverstöße Anlass zu Untersuchungen gibt, kann sich doch nicht zugleich darauf berufen, dass andere Parteien möglicherweise nicht in der gleichen Weise untersucht werden. Der hat die Ursache für eine solche Prüfung selber geschaffen. Im Übrigen - darauf habe ich schon hingewiesen - wäre eine Beschränkung nur auf das Verhalten der CDU nach all dem, was wir wissen, weder sachgerecht, noch ist dies in den Anträgen vorgesehen. Die Koalition hat nunmehr am 15. Februar dieses Jahres, nachdem die F.D.P. mit ihrem Antrag den entsprechenden Impuls gegeben hatte, einen eigenen Antrag nachgereicht, der sich von unserem Vorschlag nur in einem wesentlichen Punkt unterscheidet. Wir meinten, dass der Untersuchungszeitraum auf die Zeit seit der Neuregelung der Parteienfinanzierung befristet werden sollte. Sie schlagen vor, eine solche Befristung nicht einzuführen. An diesem Detail soll eine gemeinsame Beschlussfassung nicht scheitern. Denn es gibt in der Tat immer wieder neue Gesichtspunkte, die es geraten sein lassen, den Auftrag auch in seiner zeitlichen Dimension nicht zu beschränken. Wünschenswert wäre es allerdings gewesen - so wie das in unserem Antrag vorgesehen wurde -, in den Untersuchungsauftrag ausdrücklich hineinzuschreiben, dass der Untersuchungsausschuss im Rahmen seiner Erkenntnisse selbstverständlich Vorschläge hinsichtlich einer eventuellen Neuregelung der Parteienfinanzierung unterbreiten wird. Ich vermute, er wird dies so oder so tun. ({6}) Unser Hauptanliegen jedenfalls - dies wird heute beschlossen werden - ist eine klare Grundlage für die Untersuchung all dessen, was unbedingt ans Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit muss. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDSFraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der F.D.P. geht es mit ihrem Antrag darum, auch die anderen Oppositionsparteien mit ins Boot des Untersuchungsauftrages zu holen. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, auch wenn ich - jedenfalls momentan - noch keinen konkreten Grund dafür erkennen kann, der eine solche Ausweitung auf ausdrücklich alle Parteien zwingend erfordert. Sonstige Personen, das heißt auch Politiker anderer Parteien, sind ohnehin durch den Einsetzungsantrag erfasst. Aber wenn es der F.D.P. so am Herzen liegt, bitte! Wir jedenfalls haben nichts dagegen, dass der Untersuchungsausschuss auch die Frage prüft, ob an die PDS Spenden oder Ähnliches geflossen sind, die geeignet waren, politische Entscheidungsprozesse des Bundestages zu beeinflussen. ({0}) Ob durch die PDS Einfluss auf das Regierungshandeln unter der Kohl-Regierung ausgeübt wurde, diese Frage dürfte wohl niemand ernsthaft untersuchen wollen, auch wenn nach den letzten drei Monaten vieles möglich erscheint. ({1}) Man könnte dazu natürlich auch Herrn Dr. Kohl befragen. Ich bin gespannt auf seine Antwort. ({2}) Die PDS hat jedenfalls nichts zu verbergen und nichts zu befürchten. Allerdings erlaube ich mir noch den Hinweis, dass wir erst seit 1990 im Bundestag vertreten sind. Die Frage der Verantwortlichkeit für die Zeitspanne von 1982 bis 1990 müssen Sie deshalb, auch wenn Sie das sicher schmerzt, unter sich ausmachen. ({3}) Ausdrücklich begrüßen möchte ich die Erweiterung in Ziffer 2 des Antrages zur Unterbreitung von Vorschlägen für eine Neuregelung der Parteienfinanzierung. Meine Fraktion hat in dieser Woche bereits ein Änderungsgesetz zu einem zentralen Abschnitt des Parteiengesetzes, der Rechenschaftslegung, vorgelegt und wird sich aktiv in diese Diskussion einbringen. Auch der Ergänzungsantrag der Koalitionsparteien trifft auf unsere Zustimmung; zumal es genügend tatsächliche Anhaltspunkte für die Verletzung des Parteiengesetzes wie in Hessen gibt. Wir haben immer wieder gefordert, bei konkreten Anhaltspunkten Verletzungen des Transparenzgebotes in die Untersuchungen einzubeziehen. Nur so ist es möglich, eine wirklich lückenlose und politisch glaubwürdige Aufklärung zu erreichen. Dass dies nicht die Chancengleichheit der Parteien verletzt, haben bei der gestrigen Anhörung auch die beiden Sachverständigen bestätigt. Bei aller Unterschiedlichkeit ist jedoch beiden Anträgen eines gemein: Sie erweitern sehr großzügig den Untersuchungsauftrag, obwohl unser Ausschuss bereits jetzt hoffnungslos überlastet, ja überfordert ist. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichts gegen die geplanten Erweiterungen. Wir müssen aber auch bedenken, ob die bisherige herkömmliche Handhabung solcher Ausschüsse nach der Geschäftsordnung den jetzigen Arbeitsanforderungen gerecht wird. Ich meine: nein und plädiere dafür, dass wir versuchen, auch den Rahmen, den uns die Geschäftsordnung gibt, so flexibel und unbürokratisch wie möglich auszuschöpfen, um - wie man umgangssprachlich sagt - endlich in die Gänge zu kommen. Denn auch eine zu zögerliche und hartleibige Untersuchungsarbeit, die hinter den öffentlichen Erwartungen zurückbleibt, kann die Glaubwürdigkeit von Politik weiter beschädigen. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank Hofmann von der SPD-Fraktion.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Schmidt, das verlorene Vertrauen in die CDU ist mit Ihrer heutigen Rede nicht einmal in Ansätzen zurückgewonnen worden. ({0}) Sie gehören weiterhin zu den Altaufklärern, zu den Verneblern und Vertuschern und nicht zu den Neuaufklärern. So bleibt die neue CDU die alte CDU. ({1}) Wer Geld hat, segelt im günstigen Winde. Seit Bekanntwerden der schwarzen Kassen und Konten ist bei der CDU der günstige Wind dem politischen Orkan gewichen. Noch am 8. Februar erklärte Jürgen Rüttgers, der CDU-Landesverband NRW werde Schäuble bei seiner Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzenden unterstützen. Nicht einmal eine Woche später übernimmt genau dieser CDU-Landesverband die Führung der Revolte gegen Schäuble - mit beachtlichem Erfolg, wie wir heute alle wissen. Schäuble wurde der Missbrauch, den er mit dem Wort Aufklärung trieb, zum Verhängnis. Das Prinzip der Altaufklärer bei der CDU heißt: Gib nur das zu, was schon jeder weiß, und nenne dies Aufklärung. - Dieses Prinzip gilt für die Bundes-CDU und für die Hessen-CDU. Die Altaufklärer müssen vertuschen, verschleiern und so wie Schäuble und Koch lügen. ({2}) Die rücksichtlosen und brutalen Aufklärer sind nichts anderes als eine Mogelpackung. Pressekonferenzen mit scheibchenweisen Enthüllungen hat die CDU immer nur dann anberaumt, wenn Skandale nicht mehr länger unter der Decke gehalten werden konnten. ({3}) Vorher war der CDU keine Lüge zu plump. Sie scheute zurück, nicht einmal davor, jüdische Vermächtnisse als Geldquellen anzugeben, getreu dem Grundsatz: Geld, das stumm ist, macht recht, was krumm ist. Eine Partei, die nach Belieben mit gewaschenen Millionen jonglieren kann, wird leichtsinnig und überheblich. Treffliches Beispiel hierfür ist der hessische Ministerpräsident Koch. Er musste mittlerweile einräumen, dass der CDU-Rechenschaftsbericht 1998 frisiert ist. Statt seine Schuld einzugestehen, ließ er aber Anwälte an einem holperigen Rechtsgutachten basteln. Dieses Gutachten soll Koch im Nachhinein von jeglicher Schuld reinwaschen. Hier zeigt sich die Arroganz der CDU-Macht; denn seit 1982 wurde der Glaube genährt, das Recht sei dort, wo das meiste Geld ist. Im Bund hat der Wähler diese Schieflage korrigiert. Er hat die alte Bundesregierung abgewählt. Auch in Hessen wird Gerechtigkeit dann einziehen, wenn man den Wählerinnen und Wählern diese Chance gibt. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein Desaster für unsere Demokratie, dass Koch nicht die Verantwortung für seine Lügen übernimmt. Er steht nicht für einen Neubeginn der CDU. Er gehört wie Schäuble zu den Altaufklärern. Aber im Gegensatz zu Schäuble versteckt er sich hinter fragwürdigen juristischen Gutachten. Verschanzt er sich möglicherweise in Kürze hinter einem ärztlichen Attest? Dem Untersuchungsausschuss bleibt gar keine andere Wahl, als sich mit den ans Tageslicht getretenen offensichtlichen Verfassungsverstößen der CDU zu beschäftigen. Tatsache ist: Die CDU hat mit Geldern aus schwarzen Kassen nur so um sich werfen können. Wittgenstein wusste schon gar nicht mehr, wie er das heiße Geld unter seine Leute bringen sollte. Das Geflecht der CDU-Allfinanz enthält mehr Verstecke als jeder Fuchsbau. Ich bin der festen Überzeugung: Der Höhepunkt der Aufklärung ist längst noch nicht erreicht. Dies deuten auch schon die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young in ihrem Bericht für die CDU an. Die Frage: „Wer hat wann was von Anderkonten, Schweizer Banksafes, dubiosen Stiftungen und Bargeldkoffern, der Umwandlung von Fraktionsgeldern in Parteigelder gewusst?“ darf bei dem personellen Neuanfang der Union nicht unbeantwortet ad acta gelegt werden. Auf die Gnade der späten Geburt oder des schlichten Nichtwissens kann sich die nach dem plötzlichen politischen Tod Kohls und Schäubles entstandene Erbengemeinschaft nicht berufen. ({5}) Mit den schwarzen Kassen wurden die Bürger hinter das Licht geführt. Betrogen wurden aber auch alle mit der CDU konkurrierenden Parteien, auch die F.D.P., die in Hessen zum Teil noch versucht, Koch die Treue zu halten. Lange wird sie diesen Kurs nicht mehr durchhalten können. Andere von der CDU gelinkte F.D.P.Landesverbände rebellieren schon lange. Zu Recht, wie ich meine. Schließlich hat die CDU den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien seit Jahren mit Füßen getreten. ({6}) Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt daher die Erweiterung des Untersuchungsauftrages. Offensichtliche, das heißt konkrete Fälle des Verstoßes gegen die Pflicht der Parteien zur öffentlichen Rechnungslegung müssen der parlamentarischen Untersuchung unterliegen. Mit einer Erweiterung des Untersuchungsauftrages räumen die von der CDU seit Jahren benachteiligten Parteien der CDU die Chance ein, sich zumindest im Untersuchungsausschuss aktiv an der Aufklärung ihrer Parteispendenaffäre zu beteiligen. An dieser Stelle möchte ich mich bei der F.D.P. ausdrücklich dafür bedanken, dass sie unseren Antrag unterstützt. Wer den vorliegenden Antrag als unzulässige Parteienausforschung bezeichnet, der hält mit dem Begriff „Neuanfang“ schon wieder eine Lüge im Larvenstadium in der Rückhand. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich fordere Sie daher auf: Gehen Sie sich Ihre Hände waschen! ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache und erteile jetzt dem Kollegen Max Stadler zur Geschäftsordnung das Wort.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Fraktion wünscht und beantragt zu der Vorlage der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch eine kleine, aber nach unserer Meinung nicht unwichtige Ergänzung. Wir bitten zu formulieren: „sofern konkrete“ - dieses Wort soll eingefügt werden - tatsächliche Anhaltspunkte bestehen ... ({0}) Damit wird wirklich völlig klar, was von allen Rednern betont worden ist: Niemand will in unzulässiger Weise und ohne einen konkreten Anlass das Finanzgebaren anderer konkurrierender Parteien ausforschen. Wir beschränken die Erweiterung des Untersuchungsauftrages auf wirklich konkrete Verdachtsmomente. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir stimmen zunächst über den soeben vom Abgeordneten Stadler mündlich vorgetragenen Änderungsantrag ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 14/2686 mit der soeben vorgetragenen Änderung. Wer stimmt für diesen Frank Hofmann ({0}) Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Ich gehe davon aus, dass der Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2527 nach Annahme des geänderten Antrages der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zurückgezogen ist. ({1}) Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung ({2}) - Drucksache 14/2496 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS eine Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das neue Insolvenzrecht ist bekanntlich vor gut einem Jahr in Kraft getreten. Eine wesentliche Neuerung stellen dabei die Regelungen zur Verbraucherinsolvenz dar. Die Erwartungen an diese neue Entschuldungsmöglichkeit waren angesichts von über 2,5 Millionen überschuldeten Privathaushalten deshalb auch sehr hoch. Ich sage absichtlich „waren“, denn diese Hoffnungen vieler Betroffener in einer für sie schier aussichtslosen Situation haben sich leider nicht erfüllt. Der erwartete Ansturm auf die Gerichte ist ausgeblieben. Die Verbraucherinsolvenz hat sich in großen Teilen einfach nicht als praktikabel erwiesen. Der Katalog an Nachbesserungsforderungen von Juristen und Schuldnerberatern ist inzwischen lang. Ich zähle kurz einige Beispiele auf. Erstens. Das gesamte Verfahren ist zu langwierig, kompliziert und bürokratisch. Zweitens. Viele Schuldner bleiben bereits im außergerichtlichen Einigungsversuch stecken. Die Schuldnerberatungsstellen sind in der Regel weder personell noch materiell genügend ausgestattet. Die meist hoffnungslos verarmten Schuldner stehen jeweils einer Vielzahl von Gläubigern gegenüber, die allesamt angeschrieben werden müssen. Sie sind mit einer so genannten Nulllösung oder nur geringen Tilgungsraten jedoch meist nicht einverstanden. Da im außergerichtlichen Stadium bislang noch kein Vollstreckungsschutz besteht, wird von vielen Gläubigern bei Bekanntwerden der Überschuldung der Einigungsprozess durch Pfändungsversuche konterkariert. Drittens. Ein ganz großes Problem ist die weitgehende Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe im Verfahren der gerichtlichen Schuldenbereinigung. Ich verweise wegen der begrenzten Zeit auf die von mir in der Gesetzesbegründung angeführten amts- und landgerichtlichen Entscheidungen. Es versteht sich von selbst, dass ohne PKH-Bewilligung für den überwiegenden Teil der Schuldner die Verfahren nicht finanzierbar sind. Viertens. Da in diesem gerichtlichen Stadium die bislang fehlenden Gläubigerzustimmungen durch das Gericht nur ersetzt werden können, wenn die, die sich vorher bereits geweigert haben, nochmals kontaktiert werden, entstehen wiederum hohe Kosten und ein großer Verwaltungsaufwand. Fünftens. Hinzu kommt, dass es sich bei den meisten Schuldnern um so genannte Armutsschuldner handelt, die auf absehbare Zeit ihren Schuldenberg nicht oder nur geringfügig abtragen können. Damit ist für diese große Gruppe der Schuldenbereinigungsplan eigentlich ein Nullplan. Auch die Restschuldbefreiung krankt an der langen Wohlverhaltensperiode von sieben Jahren. Mit dem außergerichtlichen Einigungsversuch und dem gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren kommt man gut und gerne auf eine Verfahrensdauer von neun, wenn nicht sogar zehn Jahren. Die Lösung, die meine Fraktion mit dem vorliegenden Entwurf vorgelegt hat, kann nur eine Zwischenlösung sein, um die gravierendsten Probleme anzugehen. Ansonsten läuft die Verbraucherinsolvenz weiter ins Leere und erfüllt nicht ihren vom Gesetzgeber vorgesehenen Zweck. Der jahrelange Kampf um ein vereinfachtes Konkursverfahren für Privatpersonen war dann umsonst. Die Betroffenen wenden sich enttäuscht ab. In unserem Entwurf geht es erstens um eine klarstellende Regelung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe. Hier sollte nicht erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden. Es geht zweitens um die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf fünf Jahre, um eine unverhältnismäßig lange Zeit bis zur endgültigen Entschuldung mit enorm hohen Anforderungen an den jeweiligen Schuldner angemessen zu verringern. Es geht drittens um die Einführung des so genannten Nullplans für die überwiegende Gruppe der mittellosen Armutsschuldner. Es geht viertens um die Ausweitung des Vollstreckungsschutzes auch auf den außergerichtlichen Einigungsversuch, um ernsthafte Bemühungen um einen vernünftigen Schuldenbereinigungsplan nicht von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Auch wenn es wenig erfreulich ist, die Insolvenzordnung bereits nach einjähriger Lebensdauer wieder gesetzgeberisch zu korrigieren: Im Bereich der VerbrauVizepräsidentin Petra Bläss cherinsolvenz ist dieser Schritt unvermeidlich. Nach vielen Gesprächen mit Betroffenen, engagierten Schuldnerberatern, Justiz, Juristen und anderen Rechtsexperten können wir uns damit nicht mehr viel Zeit lassen. Vor allem besteht nicht genügend Zeit, um die mehrjährigen Erfahrungswerte bei der Anwendung der Insolvenzordnung in Gänze abzuwarten. Mit Sicherheit wird man uns auch wieder vorwerfen, der Entwurf sei nicht ausgewogen genug und zu stark auf Schuldnerbelange ausgerichtet. Wer die Vorschläge jedoch richtig liest, wird feststellen, dass die vorgeschlagenen Neuregelungen, zum Beispiel zum Nullplan oder zum erweiterten Vollstreckungsschutz, auch eine ganze Reihe von Verpflichtungen und Beschränkungen für die Betroffenen enthalten, um die Interessen beider Gruppen, der Schuldner wie der Gläubiger, angemessen zu berücksichtigen. Ich hoffe deshalb, dass die Vorschläge meiner Fraktion auf fruchtbaren Boden fallen, um aus der derzeitigen Sackgasse, in der sich die Verbraucherinsolvenz befindet, so rasch wie möglich herauszukommen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kolleginnen und Kollegen Hartenbach, Freiherr von Stetten, Beck und Funke wol- len ihre Reden zu Protokoll geben.**) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit schließe ich bereits die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/2496 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 11 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Aus für den Transrapid Hamburg-Berlin; Auswirkungen für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland Erste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Sothmann für die Fraktion der CDU/CSU.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der „flüstern- de Silberpfeil“ ist ein technisch perfektes, weltweit bis heute einzigartiges Hightech-Projekt „made in Ger- many“. Doch rund 30 Jahre nach dem Forschungsauf- trag des damaligen SPD-Verkehrsministers Leber für das Hochgeschwindigkeitssystem Transrapid haben Schröder und Co. diesem einmaligen Zukunftsprojekt den Todesstoß versetzt - ______ *) Anlage 2 ({0}) und das zu einem Zeitpunkt, zu dem - das muss man sich einmal überlegen - die ersten Planfeststellungsbescheide für den Bau der Anwendungsstrecke Hamburg Berlin vorliegen. Der Skandal ist perfekt; der Baustopp ist in jeder Hinsicht eine Katastrophe. ({1}) Der Verzicht auf diese Referenzstrecke bedeutet - ob man will oder nicht - auch den Verzicht auf die Vorteile der gesamten Technologie. ({2}) Die Bundesregierung und Bahnchef Mehdorn verspielen so unseren weltweiten Entwicklungsvorsprung und unsere Exportchancen. Wer kauft denn eine Katze im Sack? ({3}) Kein Exportschlager ohne Anwendungserfolg im eigenen Land! Jetzt machen wir den Weg für unsere größten Konkurrenten Frankreich und Japan frei, deren Systeme nun wohl als Erste zum Einsatz kommen werden. Bund und Bahn zerstören mit einem Schlag unseren guten Ruf als Wirtschafts- und Hochtechnologiestandort - und das im Vorfeld der Weltausstellung EXPO 2000“! Ein solcher Imageschaden, ein solcher Verlust an Glaubwürdigkeit kann nur sehr schwer repariert werden. ({4}) Bund und Bahn verschenken insgesamt 15 000 neue Arbeitsplätze in Norddeutschland - und das angesichts steigender Massenarbeitslosigkeit. In Hessen werden rund 1 000 Arbeitsplätze wegfallen. Der ThyssenStandort Kassel ist gefährdet; mit der Anwendungsstrecke wären dort dagegen Hunderte von Arbeitsplätzen geschaffen worden. Bund und Bahn legen ein hocheffizientes und umweltfreundliches Mittel zur Bewältigung des steigenden Massenverkehrs ad acta. Wir verpassen damit auch die Chance für den Start in ein hochmodernes transeuropäisches Magnetschwebebahnnetz mit dem Knotenpunkt Berlin. Bund und Bahn ignorieren beständig die unbestreitbaren Vorteile des Transrapid. Angesichts der Zugunglücke in Eschede und Brühl mit Hunderten von Toten ist es für mich unbegreiflich, wie man auf eine absolut entgleisungssichere Hochtechnologie wie den Transrapid verzichten kann. Die Rechnung von Bund und Bahn gegen die Strecke Berlin-Hamburg geht auch ökonomisch nicht auf. Sie setzen alle bisherigen Entwicklungskosten - rund 3 Milliarden DM Steuergelder - in den Sand und sparen nicht einmal Bau- und Betriebskosten. ({5}) Denn auch der Aus- bzw. Neubau der ICE-Strecke Hamburg-Berlin würde 8 bis 11 Milliarden DM kosten, wenn man auf eine Fahrtzeit von 90 Minuten kommen will. ({6}) Die Vorschläge zur Lösung des Finanzierungsproblems wurden im Übrigen niemals ernsthaft geprüft, weil die negative Entscheidung von Bahnchef Mehdorn zum Transrapid bereits vor Beginn der Verhandlungen feststand. Ich erinnere an das Angebot von Bund und Industrie, ihre Mittel aufzustocken. Ich erinnere an das Angebot der Länderbürgschaften. Die Entscheidung gegen die Strecke Hamburg-Berlin ist absolut innovations- und zukunftsfeindlich. ({7}) Dass man jetzt ins Auge fasst, eine alternative Anwendungsstrecke zu suchen, ist eine Farce. Denn wo und wann soll sie gebaut werden? Auf Kurzstrecken kommen die Vorzüge des Transrapid nicht zur Geltung. Das finanzielle Risiko würde auch nicht geringer, und in zwölf Jahren, wenn die Planungen für eine Alternativstrecke vielleicht endlich abgeschlossen wären, wäre der Zug in die Zukunft längst abgefahren, und zwar ohne uns. ({8}) Das einzig Vernünftige aus meiner Sicht ist, dass die Transrapid-Versuchsanlage in Emsland schnellstmöglich modernisiert und zweispurig ausgebaut wird. Das Emsland muss ein attraktives internationales Schaufenster für den Transrapid werden. Ich appelliere eindringlich an die Bundesregierung, dieses Ziel so bald wie möglich in Angriff zu nehmen und damit auch der Transrapid-Industrie den Rücken zu stärken. Nur schnellstes, effizientes Handeln kann das Zukunftsprojekt Transrapid, kann unseren Ruf als Hightech-Standort, kann unsere Exportchancen auf dem Weltmarkt jetzt noch retten. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Angelika Mertens.

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum diese Aktuelle Stunde heute beantragt wurde, bleibt das Geheimnis der CDU/CSU. ({0}) Wenn ich einmal in die Runde schaue, stelle ich fest, dass manche wichtigen - andere sind nicht unwichtig -, mit diesem Projekt befassten Leute nicht präsent sind. Der Berichterstatter, Herr Brunnhuber, ist nicht da, der Ausschussvorsitzende ist nicht da und ich vermisse sehr meinen Kollegen Fischer, ({1}) den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU, der ja bei der letzten Debatte hier so viel heiße Luft verbreitet hat, dass ich schon gedacht habe, wir müssten ihn von der Kuppel herunterholen. Er hat den Untergang des Abendlandes prophezeit für den Fall, dass der Transrapid nicht gebaut wird, und sich praktisch als Retter der Witwen und Waisen, die dann verlassen am Bahnsteig stehen und auf den Transrapid warten, aufgespielt. Jetzt ist er noch nicht einmal da. Wir fragen uns natürlich, wo er ist. Er hat einen wichtigen Termin in Hamburg. Das sei ihm auch gegönnt, denn er hat morgen Organisationswahlen. ({2}) Das ist bei der CDU in heutigen Zeiten vielleicht nicht so ganz einfach. Die Entscheidung, die Transrapid-Strecke HamburgBerlin nicht zu realisieren, dürfte jedenfalls für kaum jemanden überraschend gekommen sein. Bereits in den Monaten zuvor war überdeutlich geworden, dass die Kostensteigerungen für den Fahrweg von bisher 6,1 Milliarden DM auf rund 9 Milliarden DM völlig aus dem Ruder gelaufen waren. Hinzu kam, dass das Betriebsrisiko für die DB AG unkalkulierbar wurde. ({3}) Sie haben früher jemanden gehabt, der das immer abgenickt hat. Herr Mehdorn hat es nicht abgenickt und die Industrie konnte sich nicht dazu durchringen, sich am Betriebsrisiko zu beteiligen. Es ist eine alte Erfahrung, dass man, wenn alle Beteiligten merken, dass ein Projekt so nicht mehr durchführbar ist, so etwas wie einen gordischen Knoten zerschlagen muss. Der Verkehrs- und Bauminister Reinhard Klimmt hat mit großem Engagement und viel Geduld in den vergangenen Monaten nach einer fairen Lösung für alle Beteiligten gesucht. Ich finde, dass es ihm gelungen ist. ({4}) Darauf kann er und darauf können auch wir stolz sein. ({5}) Das war kein leichtes Stück Arbeit. Die vorige Bundesregierung hat uns eine schwere Hypothek hinterlassen. Das milliardenschwere Prestigeobjekt Transrapid hatte einen gravierenden Schönheitsfehler: Es basierte nicht auf seriösen Wirtschaftlichkeitsberechnungen, sondern auf dem Prinzip „Wunsch und Wolken“. Wie sorglos die CDU als Partei mit Geld umgegangen ist, können wir zurzeit hautnah erfahren. Bei Ihnen können es ja schon einmal ein paar Milliönchen mehr sein. Nach diesem Prinzip sind Sie aber leider auch im Verkehrsbereich vorgegangen. Es gab den einen oder anderen Spatenstich nach dem Motto: Was kostet die Welt? Bezahlt wird irgendwann später. Die jetzige Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, die sich in den letzten Jahren keiner so wundersamen Geldvermehrung erfreuen konnten, haben gelernt - das ist die andere Seite des Geldmangels -, wie man mit dem ganz spitzen Bleistift rechnet. So stehen unsere Haushalte unter dem Motto der Solidität. Mit dieser Bundesregierung wird es keine Verkehrsinfrastrukturplanung geben, die nicht solide begründet ist. Daher haben schlussendlich die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen dazu geführt, von der Transrapid-Strecke Hamburg - Berlin Abstand zu nehmen. Das ist vernünftig und dient übrigens auch dem Ansehen des Standortes Deutschland. Sie weinen natürlich Krokodilstränen; das haben Sie vorhin bereits zugegeben. Natürlich haben auch wir unsere Vergangenheit, was den Transrapid angeht. Sie haben schon darauf hingewiesen, Frau Sothmann, dass es sich hierbei um ein Leber-Projekt handelt. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass Sie wirklich volle 16 Jahre Zeit hatten, um dieses Projekt zu verwirklichen. Sie haben es aber nicht getan. Ein objektives Problem ist die Strecke von Hamburg nach Berlin. Die Fraktionen von SPD und Grünen erwarten von der Bundesregierung eine schnelle Lösung im doppelten Sinne: einmal schnell, was den Zeitraum der Lösung angeht, und ein zweites Mal schnell, was die Fahrzeit auf der Strecke angeht. Hier denken wir an 90 Minuten. Demjenigen, der heute nicht anwesend ist, Herrn Fischer, wünsche ich viel Glück für morgen, wenn er sich wieder als Landesvorsitzender zur Wahl stellt. Ein gutes Ergebnis für ihn garantiert dem rot-grünen Hamburger Senat ein gutes Ergebnis bei den nächsten Bürgerschaftswahlen. ({6}) Wir gehen davon aus, dass der alte und dann auch neue Bürgermeister im Herbst nächsten Jahres in 90 Minuten von Hamburg nach Berlin kommen kann. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. ({0}) - Wir handhaben das ausnahmsweise anders, weil der Kollege von der F.D.P. gerade ins Plenum gelaufen kam und noch aus der Puste ist. Im Sinne des kollegialen Miteinanders ist eine solche Verschiebung sicherlich zulässig. Wir haben es so abgesprochen. ({1})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich. Nun muss ich aber meine Gedanken während der Rede ordnen. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne, indem ich Ihnen etwas vorlese: Der Transrapid wird nicht gebaut. Für die Bahn, für die deutsche Verkehrspolitik und nicht zuletzt für das Ansehen des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist das eine gute Nachricht. Die Bundesregierung darf sich etwas darauf zugute halten, ({1}) dass sie die von der Vorgängerkoalition auf sie überkommene Hypothek mit einer wirtschaftlich zwingenden, politisch nichtsdestoweniger mutigen Entscheidung gelöscht hat. Die kalkulatorische Irrfahrt des Projektes Transrapid von Hamburg nach Berlin ist damit beendet. Das stammt aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 7. Februar 2000. ({2}) Beim letzten Mal habe ich Ihnen aus dem „Handelsblatt“ vorgelesen. Heute lese ich Ihnen aus der „FAZ“ vor. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was tun Sie sich und uns eigentlich an? Warum zelebrieren Sie noch Ihre eigene Niederlage, obwohl Ihnen alle Gazetten mittlerweile den Schwachsinn des Projekts bescheinigen? Warum zelebrieren Sie auch noch Ihren eigenen Unverstand und Ihre Uneinsichtigkeit bis über das letzte Sterbeglöcklein hinaus? Ich kann es nicht begreifen. Dabei stehlen Sie auch noch sich und uns den Einstieg in das Wochenende. ({4}) Woran ist das Transrapid-Projekt gescheitert? Es ist nicht an schnöder Einsparwut gescheitert, auch nicht an grünem Verhinderungswahn. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an den geschönten und getürkten Kostenberechnungen der Vorgängerregierung gescheitert. ({6}) Dass dort mit 6,1 Milliarden DM für den Fahrweg und mit 11 Millionen Fahrgästen Zahlen vertraglich ins Eckpunktepapier hineingeschrieben wurden, die sich nachher als nicht haltbar erwiesen haben, ist Ihr Problem. ({7}) „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären“, würde Goethe oder irgendjemand sagen. ({8}) - Oder Shakespeare, okay. Der Transrapid ist zweitens daran gescheitert, dass wir von Anfang an ein Alternativkonzept vorgelegt haben: ein Dreistufenkonzept zum Ausbau der Bahnstrecken, das nicht nur deutlich kostengünstiger ist, sondern auch von der Fahrzeit her ein sehr attraktives Angebot darstellt. Es ist also nicht so, wie Frau Sothmann hier zum x-ten Mal behauptet hat, dass man zwischen Hamburg und Berlin eine neue Bahnstrecke bauen müsse. Da gibt es schon zwei Bahnstrecken, Frau Kollegin Sothmann. Was muss geschehen? Erstens muss auf der Strecke Hamburg-Büchen-Wittenberge im Wege einer Ausnahmegenehmigung und durch Ersatz der Halbschranken durch Vollschranken die Geschwindigkeit der Züge von 160 auf 200 km/h und in einigen Abschnitten sogar weiter erhöht werden. Das würde uns schon einmal einen substanziellen Fahrtzeitgewinn bescheren. Zweitens müssen die Bahnübergänge sukzessive, Schritt für Schritt, beseitigt und durch Über- und Unterführungsbauwerke ersetzt werden. Dann braucht man keine Ausnahmegenehmigung mehr; dann reicht eine reguläre Genehmigung. Drittens - das meine ich zumindest - muss die zweite Bahnstrecke, die Strecke von Hamburg über Uelzen und Stendal nach Berlin, im mittleren Drittel, auf den 103 Kilometern zwischen Uelzen und Stendal, durch ein zweites Gleis verstärkt und für Hochgeschwindigkeitszüge ausgerichtet werden. Dann haben wir für einen Bruchteil der TransrapidMilliarden vier „schnelle Gleise“ zwischen Hamburg und Berlin. Diese könnten wir schon heute haben, hätten wir nicht Jahre mit sinnlosen, fruchtlosen, teuren und ergebnislosen Planspielen zum Transrapid vergeben. ({9}) Der Transrapid ist auch an seiner eigenen Innovationsschwäche gescheitert; das, so glaube ich, war entscheidend. Sie wollen uns diese Technologie heute wieder als den Inbegriff der neuen Technologie verkaufen. In Wahrheit aber ist diese Technik in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erfunden und patentiert worden. Sie hat sich über ein Dreivierteljahrhundert hinweg weltweit nirgendwo durchgesetzt. Der Transrapid kann nichts, was die Bahn inzwischen nicht längst könnte - die Rad-Schiene-Technik hat im Übrigen zu immer mehr Schnelligkeit geführt -; er ist nur teurer. Und das war sein Problem. Der Transrapid mag zwar das Rad einsparen, er kann es aber nicht neu erfinden. Die neue Generation von schnellen Zügen, die 300 und mehr km/h fahren können, und die Neigetechnikzüge, die sich wie ein Motorrad in die Kurve legen können, haben dazu beigetragen, dass die Transrapid-Technologie im Fernverkehr nicht mehr erforderlich ist. Ein Gefährt, das noch schneller ist als der Transrapid und keinen Fahrweg braucht, existiert bereits: Es ist das Flugzeug. Glauben Sie im Ernst an die „rasende Straßenbahn Transrapid“ zum Flughafen? Ich glaube nicht daran. Ich prophezeie Ihnen: Das, was wir bezüglich dieser teuren Planung in Deutschland an Desaster erlebt haben, wird sich demnächst in Japan ereignen. Auch dort wird man dem schnellen Zug Shinkansen gegenüber der MaglevTechnik, der Magnetschwebebahn-Technik, den Vorzug geben; denn auch dort ist das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zum zentralen Entscheidungskriterium erklärt worden. Von daher wird die Entscheidung dort ähnlich ausfallen wie bei uns. Ich glaube, wir sollten keine Krokodilstränen vergießen, sondern froh sein, dass wir der Deutschen Bahn AG diesen Klotz nicht ans Rad gebunden haben. Wir sollten jetzt schleunigst dazu beitragen, bald auf der Schiene in eineinhalb Stunden von Hamburg nach Berlin fahren zu können, und das auch noch zu einem akzeptablen Fahrpreis. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum einen: Mancher Befürworter des Transrapid, der hier gesprochen hat, kommt mir vor wie jemand, dem man das liebste Spielzeug weggenommen hat. Zum anderen: Frau Sothmann, Sie sind Betriebswirtin. Herr Mehdorn hat doch nichts anderes gemacht als das, was wir von einem Manager verlangen, nämlich dass er betriebswirtschaftlich rechnet und fragt: Was kostet mich die Sache, und was kommt an Nutzen dabei heraus? Herr Mehdorn ist aufgefordert, jährlich 3,5 Milliarden DM an Personalkosten einzusparen. Soll er sich jetzt in die Gefahr begeben, noch einen Verlust durch den Transrapid einzufahren? Ich halte die Entscheidung für richtig. Ich möchte aber auch noch etwas zu dem Kollegen Schmidt, der gerade gesprochen hat, sagen. Ich kann Albert Schmidt ({0}) mich daran erinnern, dass Sie sich am 19. Januar ganz vehement dagegen ausgesprochen haben, dass das Gesetz zum Transrapid, das ausdrücklich die Strecke Berlin - Hamburg vorschreibt, aufgehoben wird. Insofern gibt es auch eine jüngere Vergangenheit. ({1}) - Ja, es ist überflüssig. Aber damals ist die Entscheidung noch nicht gefallen. ({2}) Man muss auch in dieser Frage realistisch bleiben. Ich sage deutlich: Der Transrapid in der Form, wie er hier immer vorgestellt worden ist, scheitert auch daran, dass die Nachhaltigkeit relativ gering ist. Natürlich weiß ich, dass er leise und energieeffizient ist - aber eben auch nur im Verhältnis zu seiner Geschwindigkeit: Bei 400 Stundenkilometern zum Beispiel knallt er ebenso laut und mit demselben Stromverbrauch durch die Landschaft wie beispielsweise ein ICE bei 250 Stundenkilometern. ({3}) Die Sinnhaftigkeit solcher Geschwindigkeit aber ist es, die Transrapid-Befürworter endlich einmal hinterfragen sollten. Dann könnten sie sich selbst die Frage beantworten, warum - Herr Schmidt hat darauf hingewiesen - ein Patent aus dem Jahre 1937 in über 60 Jahren nicht den wirtschaftlichen Durchbruch geschafft hat. Diesen Durchbruch wird es auch nicht schaffen, solange die Prämissen für seinen Einsatz lauten: Rapider Transport großer Mengen, vor allem von Personen, über weite Entfernungen - eben Trans-Rapid. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges geändert. Zum einen wurde sowohl die Rad-Schiene- als auch die Flugzeugtechnologie seit Ende der 30er-Jahre derart optimiert, dass sich für den genannten Zweck schlicht die Frage betriebswirtschaftlicher Grenzkosten stellt. Natürlich kann man sich auch am Boden technisch noch schneller fortbewegen. Aber um welchen Preis? Sie können alle Transrapid-Befürworter aus der Wirtschaft fragen, letztlich räumt jeder ein, dass der potenzielle Markt für Höchstgeschwindigkeitstransportmittel, also Transrapid, selbst im Hochgeschwindigkeitsbereich - siehe ICE, TGV oder Shinkansen - sehr klein und ungewiss ist. Deshalb sind schließlich jene, die mit dem System irgendwann Geld verdienen wollen, nicht bereit, weitere Kostenrisiken zu übernehmen, eben weil die Ungewissheit bleibt, ob es jemals verkauft wird - in Europa sowieso nicht, aber selbst in Nordamerika nicht. Auch anderswo könnte es - wir hatten das bei den Gesprächen lange im Auge; wir haben alle die Disskussion verfolgt - aus eigener Kraft nicht bezahlt werden. Die zweite Veränderung, die in den letzten Jahren viel zu langsam begann und von uns politisch viel stärker als bisher befördert werden muss, ist der Trend zu nachhaltiger Entwicklung. Der Transrapid aber steht für das Motto: immer schneller, immer weiter - das „immer höher“ kann man sich in diesem Falle sparen. Es muss aber um „global kommunizieren“, „lokal produzieren und konsumieren“ gehen, wenn die Menschheit nicht im ökologischen Kollaps untergehen will. Für Ersteres steht beispielsweise das Internet, für Letzteres die regionale Verflechtung von Wirtschaftsstrukturen. Die Beerdigung des Transrapid muss weder Arbeitsplätze noch technologisches Know-how kosten. Wenn wir endlich das Magnetschwebebahngesetz aufheben würden, stünden 6,1 Milliarden DM beispielsweise für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, für kostengünstige Sanierung und Wiederbelebung der Bahn in der Fläche zur Verfügung, zum Beispiel mittels kleiner und leichter Triebwagen. Davon hätte man beispielsweise in Nordbrandenburg und Mecklenburg etwas, wo man immer mehr Bahnlinien aufgibt und sich stattdessen in hilflosen symbolischen Spatenstichen ergangen hat, oder auch in Kassel, denn irgendwo muss die neue Generation von Bahnfahrzeugen gebaut werden. Magnetschwebebahntechnik kann eine große Zukunft gewinnen, wenn sie nicht länger als Transrapid, sondern als alternative Nahverkehrstechnologie weiterentwickelt wird. Dafür würde es nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb Europas große und weiter wachsende Märkte geben. Denn überall gibt es noch Engpässe, wo bestehende Träger den regionalen Verkehr nicht zufriedenstellend befriedigen können. Beim Einsatz auf solchen Kurzstrecken und damit im Niedergeschwindigkeitsbereich würde auch die geringe Lärmemission des Schwebens gegenüber dem Fahren tatsächlich unüberhörbar werden. Statt mit dem Transrapid das Vorgestern zu betonieren, sollte mit dem Magnetschweben verkehrspolitisch endlich Zukunft gestaltet werden. Danke schön. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/ CSUFraktion.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. ({0}) Die Frage dabei ist: Dient es dem Wirtschaftsstandort Deutschland in Zukunft, wenn wir mit einer Magnetschnellbahntechnik eine neue Exportchance auftun, oder dient es der Zukunft dieses Landes nicht? Die Koalition hat ihren Koalitionsvertrag am 20. Oktober 1998 mit dem Satz überschrieben: Aufbruch in das 21. Jahrhundert. In diesem Koalitionsvertrag steht nachweislich - ich möchte daran erinnern, welche Art der Wählertäuschung wir erleben -: Wir sind für den Transrapid. - Das ist eine Bekräftigung für die Technologie und für das Verfahren. Herr Schröder, Herr Müller, der Finanzminister, fast alle Ministerpräsidenten sind dafür. Und jetzt hat der Vertreter der Bündnisgrünen dem Transrapid und - das hat man heraushören müssen - der Technik endgültig eine Absage erteilt. Jetzt ist der Transrapid wirklich gestorben. Die Bündnisgrünen haben sich heute - das ist der Punkt - auch gegen die Technik ausgesprochen. ({1}) Man muss sich doch einmal vor Augen halten: Noch vor einigen Wochen ist Bundeskanzler Gerhard Schröder nach China gefahren und hat einen Vertrag zum Verkauf des Transrapid für eine Strecke in der Volksrepublik unterzeichnet, ({2}) während die Bündnisgrünen hier zu Hause knallhart gegen den Bundeskanzler stimmen, mit dem sie in einer Koalition verbunden sind. Nein, das ist jetzt der falsche Weg. Der Transrapid ist nicht nur gestorben; mit der heutigen Rede vonseiten des Vertreters der Bündnisgrünen ist er im Grunde beerdigt worden. Das Argument, mit dem man bisher gearbeitet hat, ist hochinteressant: Der Transrapid sei auf der Strecke Hamburg-Berlin teurer als die Bahn. Bis heute sind in die Bahnstrecke Hamburg-Berlin 5,4 Milliarden DM investiert worden. Was ist herausgekommen? - Ein Tempo von durchschnittlich 160. Das heißt, der Zug braucht - ich fahre die Strecke selbst - zweieinhalb Stunden; das ist langsamer als in den 30er-Jahren. ({3}) Der Transrapid ist günstiger: Er kostet 6,1 Milliarden DM auf dieser Strecke. Die Bahn dagegen muss, wenn sie in neue Gleise investieren sollte - nur dann kann sie schneller werden -, 7,9 Milliarden DM zusätzlich finanzieren. ({4}) Wer die Neubaustrecke Frankfurt-Köln und die Neubaustrecke über Hannover sieht, weiß genau, um welche Preise es sich handelt. Das Institut für Bahntechnik hat das eindeutig nachgewiesen. Nein, es geht gar nicht um das Kostenargument. Es geht alleine um die Frage der Koalition. ({5}) Der Transrapid ist das letzte Symbol der klaglos versagenden grünen Politik. ({6}) Um nicht noch das letzte Symbol zu stürzen, wird der Transrapid jetzt auf dem Altar der Koalition geopfert. ({7}) Denn immer noch sprechen sich führende Sozialdemokraten für den Transrapid aus. Noch vor einer Woche hat sich Bundesverkehrsminister Klimmt dafür eingesetzt. Der Punkt ist: Der Transrapid wurde jetzt aufgrund der Situation in der Koalition wegen der Grünen beerdigt. ({8}) - Mehdorn war skeptisch. Aber erst als er die Ansatzpunkte der Grünen gesehen hat, hat er dem eine Absage erteilt. ({9}) Es geht somit auch - damit will ich schließen - um die Frage der Steuergelder. Man kann nicht vergnügt darüber sein, dass jetzt Steuergelder in Höhe von fast 2 Milliarden DM und private Investitionskosten in Höhe von 1,3 Milliarden DM beerdigt worden sind. Das haben Sie verschuldet - aus politischen, nicht aus ökonomischen Gründen -: 3,2 Milliarden DM weggespült! Wie wollen Sie so den Aufbruch in das 21. Jahrhundert erreichen? Zu Fuß? ({10}) Die Schlussfolgerung aus dieser verpassten Chance ist: Die Spitze der Regierung zeigt einen Mangel an Risikobereitschaft. Wie wollen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft führen, wenn schon die Regierung im EXPO-Jahr 2000 eines der interessantesten, der besten, der umweltfreundlichsten Verkehrsprojekte beerdigt? Da hat die deutsche Politik versagt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Börnsen, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Damit schaden wir in diesem EXPO-Jahr 2000 dem Ansehen Deutschlands ganz entscheidend. Mit dieser Beerdigung dokumentieren wir Mangel an Risikobereitschaft. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Reinhold Hiller für die SPD-Fraktion. Wolfgang Börnsen ({0})

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Börnsen, von Ihnen habe ich schon bessere Reden gehört, ({0}) insbesondere gestern. Ihre heutigen Argumente sind längst überholt. Die Steuergelder, die Sie angesprochen haben, sind bei jeder Entscheidung, die zum Transrapid getroffen wird, verloren, weil die Strecke Hamburg-Berlin nicht realisierbar ist. Das ist der Geburtsfehler dieser Diskussion über den Transrapid. Ich will das gerne näher begründen. Wir haben Ihnen das schon häufiger gesagt, doch ist es von Ihnen immer wieder ignoriert worden. Sie fahren mit dieser Eisenbahn oft von Hamburg bzw. Flensburg nach Berlin. Wenn ich diese Strecke fahre, stelle ich fest, dass ich meistens einen ganzen Waggon für mich alleine habe. Diese Strecke ist im Eisenbahnverkehr in keiner Weise ausgelastet ({1}) und entspricht überhaupt nicht den Annahmen der Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Strecke HamburgBerlin. Dies ist der Geburtsfehler für den Transrapid. Sie haben vorhin von Japan gesprochen. ({2}) - Ja, von China hat er auch gesprochen. - In Japan wird die Strecke zwischen den beiden größten Ballungsräumen Tokio und Osaka entwickelt; der Verkehrsausschuss ist dort gewesen; Sie können das in dem Bericht nachlesen. Dort wurde die Strecke zwischen den Räumen geplant, in denen die meisten Menschen wohnen. Zwischen Hamburg und Berlin wohnen viel zu wenige Menschen, um den Transrapid zu rechtfertigen. Sie haben weiter kritisiert, wir erreichten heute noch nicht die Fahrzeiten, die vor dem Krieg erreicht wurden. Heute dauert die Fahrt auf dieser Strecke circa zweieinhalb Stunden. Dies war eines der Argumente, mit welchem der Transrapid schöngerechnet wurde. ({3}) Das müssen wir hier auseinander halten. Dies war der Grund dafür, dass Sie Ihr Versprechen nicht eingehalten haben, die Strecke Hamburg-Berlin im Rahmen des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ zu realisieren. Sie haben zu lange an Ihrem Glauben an den Transrapid, ich betone: auf dieser Strecke, festgehalten. Deshalb bin ich froh, dass Bundeskanzler Schröder erklärt hat, dass jetzt Mittel zur Entwicklung dieser Bahnstrecke eingesetzt werden sollen. Das hätte schon längst geschehen müssen. Dass das bisher nicht geschehen ist, war Ihr Versäumnis und nicht das Versäumnis der neuen Bundesregierung. ({4}) Sie wurden immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Bereits in der Anhörung haben die Verkehrswissenschaftler auf diese Tatbestände hingewiesen. Sie wollten es nicht hören und haben daher weggehört. Sie haben sogar weggehört, als der damalige Verkehrsminister Wissmann vorsichtig versucht hat, diese Strecke infrage zu stellen. ({5}) Sie haben aus ideologischen Gründen weggehört. Mich enttäuscht, dass Sie sogar heute in der Opposition noch weghören und nicht ernst nehmen, was beispielsweise die Industrie gesagt hat. Der jetzige Beschluss zum Transrapid ist im Konsens mit der Industrie gefasst worden. Sie können mir glauben: ich habe im Kapitalismus noch kein Unternehmen kennen gelernt, das sich verweigern würde, wenn irgendwo eine Mark zu verdienen ist. ({6}) Das habe ich noch nie erlebt und das sollten auch Sie als Marktwirtschaftler wissen. Die Industrie hat letztlich zugestimmt, weil sie zu der Auffassung gekommen ist, dass auf dieser Strecke kein Geld zu verdienen ist. ({7}) Das muss man feststellen. Diese Strecke rechnet sich auch nicht mit Ideologie. Auf der geplanten Strecke liegen keine Ballungsgebiete. Sie liegen möglicherweise im Bereich von Rhein/Ruhr oder Rhein/Main. Ich will keine neue Streckendiskussion beginnen. Das tut man auch nicht fünf Minuten nach so grundlegenden Entscheidungen. Darüber muss man lange nachdenken und deshalb sind für die Prüfung, ob es noch eine andere mögliche Strecke gibt, zwei Jahre vorgesehen. Der Transrapid wäre langfristig der Klotz am Bein hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Eisenbahn gewesen ({8}) und hätte die Situation der Eisenbahn gegenüber anderen Verkehrsträgern - insbesondere der Straße - weiterhin verschlechtert. Auch das, Kollege Börnsen, haben Sie ignoriert. Wir sollten einmal ehrlich sein: Eine für den Transrapid prognostizierte Fahrzeit von 90 Minuten auf der Strecke Hamburg-Berlin ist auch mit der Eisenbahn machbar. Damit bedienen Sie alle Verknüpfungspunkte sowie den Güterverkehr. Auch 95 Minuten wären ehrlicherweise industrie- und verkehrspolitisch tolerabel. Wir wollen hier nicht weiter um das goldene Kalb Transrapid tanzen. Der Exportschlager wurde immer angekündigt, wenn irgendwelche Diskussionen oder Entscheidungen anstanden. Bisher hat sich auf keinem Kontinent ein ernst8210 hafter Interessent gefunden. Das müssen wir leider auch zur Kenntnis nehmen. Danke sehr. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Schmidt, auf Ihr Zuhören lege ich besonderen Wert. Ich bin vorhin zu spät gekommen, weil ich von Hannover hier herübergefahren bin, wo eine InfrastrukturVision im Bereich der Weser vorgestellt wurde. Ich bin zu spät gekommen, weil in meinem Heimatort heute 110 Frauen ihre Arbeit verloren haben, da die Firma Steilmann ihre Produktion ins Ausland verlegt. Ich bin zu spät gekommen, weil die Umweltverbände schon wieder gegen das Emssperrwerk klagen und das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg diese Klage angenommen hat. Ich denke, Herr Schmidt, vor diesem Hintergrund - ({0}) - Halten Sie einfach mal den Mund. Wenn Sie da nichts empfinden, Herr Schmidt, dann glaube ich wirklich, dass sich eine Auseinandersetzung mit Ihnen nicht lohnt. ({1}) Vor diesem Hintergrund, Herr Schmidt und liebe Kolleginnen und Kollegen, diskutieren wir im Rahmen der Aktuellen Stunde die Perspektiven des Transrapid. ({2}) - Herr Schmidt, lassen Sie uns einen Schlussstrich ziehen. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen keine Anwendung des Transrapid in Deutschland, Sie wollen keine weitere Erforschung der technologischen Möglichkeiten des Transrapid. ({3}) Ich setze darauf, dass der Bundeskanzler, dass Frau Mertens und die Freunde von der Sozialdemokratischen Partei und auch andere, auch der Vertreter der PDS - ich begrüße das, was Sie gesagt haben, ausdrücklich -, zu neuen Konzepten vielleicht auch im Nahverkehr beitragen werden, die darauf abzielen, den Transrapid in Deutschland zur Anwendung zu bringen. Herr Schmidt, ich war bis jetzt der Meinung - dieser Meinung bin ich nach wie vor -, dass die Technologie des Transrapid so etwas wie eine Vision von ökologischem, schnellem, sicherem Verkehr in Deutschland ist. ({4}) Vor diesem Hintergrund habe ich bis jetzt mein Engagement für den Transrapid gesehen. Ich glaube, das ist nach wie vor richtig. Der Transrapid ist eine Zukunftstechnologie. Der Transrapid ist eine ökologische Technologie, der Transrapid ist eine sichere Technologie. Nun, liebe Freunde, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir in dieser Technologie bleiben. Der eine fängt an und diskutiert eine Strecke von Bremen nach Amsterdam, der Nächste diskutiert eine Strecke von Köln nach Bonn, der Nächste diskutiert eine Strecke von Huhn nach Hahn, hätte ich fast gesagt. Das ist doch katastrophal, was hier im Moment stattfindet! ({5}) Wir reden den Transrapid in seinen Anwendungsmöglichkeiten durch solche überstürzten Diskussionen tot. Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unternehmen, um die Anwendungsstrecke in Lathen so zu konditionieren, dass diese Strecke Zukunft hat, dass diese Strecke die Möglichkeit bietet, Interessenten dieser Technologie etwas zu zeigen, was sie überzeugt, dass diese Technologie exportfähig ist. ({6}) Es geht auch um die Arbeitsplätze der Menschen in Lathen. Es geht darum, dass die Teams, die in diesen Bereichen forschen, erhalten bleiben. Machen Sie bitte mit. ({7}) - Machen Sie mit, Frau Mertens? Stellen Sie Haushaltsmittel bereit, damit die Anwendungsstrecke in Lathen, die ja mittlerweile 17 Jahre alt ist und die im Grunde genommen schon nach 10 Jahren hätte erneuert werden müssen, so konditioniert wird, dass sich die Transrapid-Technologie voll entfalten kann? Machen Sie das mit? Sagen Sie Ja. ({8}) Setzen Sie sich bei den nächsten Haushaltsplanberatungen dafür ein, dass Mittel bereitgestellt werden? Setzen Sie sich im Bereich von Forschung und Entwicklung dafür ein, dass diese Strecke dann auch zweispurig ausgebaut wird? ({9}) Setzen Sie sich dafür ein, dass die Menschen, die dort arbeiten, hoch qualifizierte Fachleute, in dieser Arbeit Reinhold Hiller ({10}) bleiben, damit wir uns gemeinsam auf einen Weg begeben, neue, zukunftsorientierte Technologien zu erschließen? ({11}) - Lieber Kollege Schmidt, ich würde gern hören, was Sie sagen, aber ich kann schlecht hören, während ich rede. Bitte melden Sie sich. Ich bin dann gern bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren. ({12}) - Herr Schmidt, wenn Sie als starke Persönlichkeit in der SPD sagen: „Wir werden dafür sorgen, dass die Versuchsstrecke in Lathen die Möglichkeit bietet, die Transrapid-Technologie weiterzuentwickeln, ({13}) damit wir das Ziel, eine Referenzstrecke in Deutschland auf den Weg zu bringen, nicht aus den Augen verlieren“, dann bin ich sehr damit einverstanden. - Herr Schmidt, ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln. ({14}) - Wie kommen Sie dazu, zu sagen, dass das, was ich sage, Unsinn ist? Woher nehmen Sie das Recht, so etwas zu sagen? ({15}) Haben Sie schon einmal mit den Menschen, die die Technik in Lathen erproben, geredet? Sind Sie schon einmal mit dem Transrapid gefahren? Haben Sie sich in Japan nach der Transrapid-Technologie erkundigt? Nach meiner Meinung ist es nicht korrekt, dass Sie etwas aus meiner Sicht - Vernünftiges, das jemand zu den Zukunftschancen des Transrapid sagt, als Unsinn abtun. ({16}) Auch wenn Sie hier schon ein bisschen länger sitzen als ich, haben Sie nicht das Recht, ein Urteil über eine Technologie und über die Chancen der Menschen auf Arbeitsplätze zu fällen, wie Sie es getan haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Koalitionspartner, die Grünen, hat sich heute von jeder Form der TransrapidTechnologie in Deutschland verabschiedet. ({17}) Die Grünen sind die großen Sieger. ({18}) Ich muss Herrn Schmidt loben: Er war immer gegen diese Technologie. Er war immer gegen die Anwendung. Er war immer für die Eisenbahn. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass er im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sitzt. Aber Herr Schmidt hat seine Linie wenigstens konsequent vertreten. Nur, das, was Sie, Herr Schmidt, und Ihre Kollegen von der SPD machen, ist Verhohnepipeln der Menschen, die an dieser Technologie arbeiten. Das ist Verlogenheit.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Goldmann, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist nicht mit Ihren Positionen im Koalitionsvertrag in Einklang zu bringen. Das ist auch nicht mit dem in Einklang zu bringen, was Schröder damals als Ministerpräsident in Niedersachsen und jetzt als Bundeskanzler über die Transrapid-Technologie gesagt hat. Wenn Sie behaupten, ich redete Unsinn, dann muss ich sagen: Sie lügen beim Transrapid. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kristin Heyne für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Goldmann, angesichts der Krokodilstränen, die Sie in aller Breite zelebriert haben, muss man genau hinschauen, wie der Ausstieg zustande gekommen ist. ({0}) Es reicht nicht aus, in Lathen eine interessante und faszinierende Technik zu entwickeln. Dass sie das ist, möchte ich gar nicht bestreiten. Natürlich bin ich mit dem Transrapid gefahren. Natürlich ist das eindrucksvoll. Herr Goldmann, das reicht aber nicht. Eine gute Technologie kann nämlich nur dort vernünftig eingesetzt werden, wo sie ihre Stärke entwickeln und wo sie wirtschaftlich betrieben werden kann. Das kann sie zwischen Hamburg und Berlin nicht. ({1}) Herr Krause, der später „Tankstellen-Krause“ genannt wurde, und sein Nachfolger, Herr Wissmann, haben gedacht: Jetzt gibt es ein Beschleunigungsgesetz. Jetzt können wir den Transrapid auch bald fahren lassen. - Alle anderen Aspekte haben sie unter den Tisch fallen lassen. Sie haben im Zeitraum von 1993 bis 1995 keine vernünftige Wirtschaftlichkeitsprüfung durchführen lassen; vielmehr ist die Strecke Hamburg-Berlin - darauf hat der Kollege Börnsen richtigerweise hingewiesen absichtlich langsamgerechnet worden. Man hat die Zahlen absichtlich hochgerechnet. Man hat geglaubt, die Leute würden mit dem Transrapid nach Berlin fahren, um von dort weiterzufliegen. All diese Rechnungen haben wir hier zigmal diskutiert. Herr Wissmann hat schon seit einigen Jahren gesagt: Transrapid ja, aber nur, wenn er wirtschaftlich ist. Das wollten Sie damals nicht hören. Er hat sehr früh angedeutet, dass der Transrapid zwischen Hamburg und Berlin nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Damals sind die Planungen nicht auf vernünftige Füße gestellt worden. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Wir haben ein Gesetz beschlossen, das ein absolutes Unikum war, nämlich das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz. Normalerweise ermittelt man einen Bedarf. Aber hier ist der Bedarf per Gesetz festgelegt worden. Das ist die Crux mit der Planung dieser Technologie gewesen. ({2}) Nebenbei eine Bemerkung zur Referenzstrecke: Natürlich braucht man eine Referenzstrecke, wenn man eine Technologie verkaufen möchte, entweder im Inland oder im Ausland. Aber jeder künftige Kunde wird doch zuerst schauen: Funktioniert das Ding und arbeitet es wirtschaftlich? Die Wirtschaftlichkeit hätte man zwischen Hamburg und Berlin nicht beweisen können. Das heißt, diese Strecke wäre noch nicht einmal als Referenzstrecke geeignet, auch dann nicht, wenn Sie noch so viele Subventionen hineingeknallt hätten, wie Sie es eben in Ihrem Beitrag - das hat mich etwas gewundert gefordert haben. ({3}) - Zwischenfragen sind hier nicht erlaubt. Ich bin auch etwas enttäuscht, dass der Kollege Fischer heute nicht hier ist. Ich habe gedacht, dass eine solche Debatte eine gute Gelegenheit für unser übliches Spiel sei. Aber es gibt gute Gründe dafür, dass er nicht hier ist. Jetzt wird nämlich deutlich, was Hamburg dafür zahlen muss, dass so lange unverantwortlich geplant worden ist. ({4}) Die Hamburger haben inzwischen festgestellt, dass man für die Strecke von Hamburg nach Berlin zweieinhalb Stunden und für die Strecke zwischen Hannover und Berlin nur eineinhalb Stunden benötigt. Aber jetzt entstehen die Geschäftskontakte zwischen Hamburg und Berlin oder zwischen Berlin und Hannover, wo sich eine neue norddeutsche Wirtschaftsstruktur herausbildet. Dieser Zeitpunkt ist jetzt und nicht erst in zehn Jahren. Jetzt ist Hamburg eben nicht in der Lage zu konkurrieren, weil der Herr Wissmann und der Herr Fischer große Rosinen im Kopf hatten. Deswegen steht Hamburg heute im Hemd da. ({5}) Diese rot-grüne Bundesregierung sorgt endlich dafür, dass es jetzt mit der größtmöglichen Geschwindigkeit eine vernünftige Verbindung zwischen Hamburg und Berlin gibt. Noch in diesem Jahr werden wir den Ausbau realisieren, damit möglichst schon beim nächsten Fahrplanwechsel eine Beschleunigung eintreten kann. Wenn das geschehen ist, sollten wir in aller Ruhe schauen, welche Strecke - es gibt zwei: die über Uelzen und Stendal bzw. die über Büchen und Wittenberge - die geeignetere für den Hochgeschwindigkeitsverkehr und welche die geeignetere für den Güterverkehr ist. Jeder weiß, dass es auf Dauer sinnvoll ist, diese beiden Verkehre zu trennen. ({6}) Auf diese Untersuchungen haben Sie ganz bewusst zehn Jahre lang verzichtet. Weil es diese Untersuchungen nicht gibt, müssen wir sie heute erst durchführen. ({7}) Ich bin froh, dass der Bundeskanzler und der Minister deutlich gesagt haben: Es wird in allerkürzester Zeit das Geld für diese notwendige Strecke zwischen Hamburg und Berlin geben und wir werden bald schneller hierhin zu unserem Arbeitsplatz kommen können. Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Es ist nicht nur so, dass die Bahn durch den Verzicht auf den Transrapid ein Pleiteprojekt nicht übernehmen musste - es wäre für die Bahn ein Fass ohne Boden geworden -; vielmehr hat dieser Verzicht auch noch eine andere wichtige Folge: Für die Hamburger und auch für die Schleswig-Holsteiner in der Region bleibt wertvolles ökologisches Gebiet erhalten, zum Beispiel die Hahnenkoppel. Das ist ein zukünftiges Naturschutzgebiet. Da gibt es noch Wald mit seltenen Pflanzen und seltenen Tieren. Es ist ein sehr wertvolles Naherholungsgebiet in unmittelbarer Nähe der Stadt. Sie wollten - unnötigerweise, nicht weil ein großer Bedarf bestand - durch dieses Gebiet eine Strecke bauen; sie wollten den Anwohnern in Hamburg und in Schleswig-Holstein unnötigerweise eine zusätzliche Trasse zumuten. Das werden wir nicht tun. Aber die CDU in Schleswig-Holstein hat verkündet, dass sie eine zehnjährige Ökopause machen und dass sie zehn Jahre Zeit haben möchte, alle diese Gebiete platt zu machen. Erst danach will sie sich wieder mit Ökologie beschäftigen. Genau das wollen wir nicht und auch die Wähler werden es nicht wollen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Paul Krüger.

Dr. Paul Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die Diskussion schon ziemlich absurd, obwohl sie wieder einmal deutlich macht, wie die Positionen der einzelnen Fraktionen zu modernen Technologien sind. Wir befassen uns damit ja nicht zum ersten Mal im Plenum des Deutschen Bundestages, sondern kontinuierlich; insofern sind die Argumente nicht neu. Allerdings habe ich immer daran geglaubt, dass es uns gelingen wird, die Magnetbahntechnik in Deutschland wirklich in Bewegung zu bringen bzw. aufs Gleis zu setzen. Seit heute habe ich diesen Glauben endgültig verloren. Letztlich erbringt die Koalition ein Opfer gegenüber den Grünen. Wer sich die Beiträge hier angehört hat, der ist sich dessen sicher. Sie müssen sich einmal die Absurdität dieser Debatte vor Augen führen. 30 Jahre lang haben wir bei ständigen Kontrollen eine Technologie entwickelt, in die Milliarden investiert worden sind - und das nicht ohne rechtliche Reglements. Wenn ich allerdings die Vertreter der Grünen höre, dann habe ich das Gefühl, dass wir wirklich in einer Bananenrepublik leben. Nur zur Erinnerung: Diese Technologie ist unter anderem von Ihrer Fraktion in den 70er-Jahren gepuscht worden. Wir haben nach ausführlicher und gewissenhafter Diskussion in diesem Hause dieses Projekt vorbereitet. Die Planungen sind inzwischen abgeschlossen. Alles, was notwendig ist - es handelt sich um ein gewaltiges Pensum -, ist erledigt. Und wir stehen heute an dieser Stelle und müssen darüber diskutieren, ob wir nach all diesen Maßnahmen das Projekt tatsächlich realisieren wollen. Sind wir denn noch normal? ({0}) Die ganze Welt schaut auf uns, und wir lassen ein Projekt sterben, das wir wirklich in akribischer, langer und kostenträchtiger Arbeit entwickelt haben. ({1}) Nur um Ihre scheinbare Unkenntnis zu beseitigen: Es ist im Übrigen seinerzeit eine ganze Reihe von Trassen untersucht worden. Ich finde Ihr Verhalten frech und bemerkenswert. Ich erwarte von Ihnen ein öffentliches Bekenntnis dazu, wie Sie mit denjenigen Menschen - es waren Wissenschaftler dabei - umgehen wollen, die seinerzeit die Untersuchungen der Trassen gewissenhaft durchgeführt haben. Das ist keine politische Entscheidung gewesen, es war eine sachlich fundierte Entscheidung. Wollen Sie hier allen Ernstes behaupten, dass diese Menschen manipuliert waren? Dann müssen Sie das öffentlich verkünden. Ich finde es schon unerhört, in welcher Weise hier mit einer wichtigen Verkehrstechnologie umgegangen wird. ({2}) Die Hauptargumente von den Grünen und insbesondere von Herrn Schmidt zielten heute auf die betriebswirtschaftliche Seite dieser Technologie. Es ist in der Tat nicht verwunderlich, dass man dann, wenn man dieses Problem nur durch die betriebswirtschaftliche Brille anschaut, den Transrapid nie wird bauen können. Das ist wahr. An den Transrapid werden mittlerweile nämlich strengere wirtschaftliche Anforderungen gestellt, als sie jemals an die Bahn gestellt worden sind. Wo rechnet sich denn die Bahn betriebswirtschaftlich? ({3}) Der Transrapid aber soll solche Vorgaben von Anfang an erfüllen, obwohl wir wissen, dass ein Streckenkilometer bei ihm wesentlich billiger ist als bei der Bahn. Das wird öffentlich nie verkündet. Auch das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich feststellen. Der Transrapid ist nicht nur aus ökologischer Sicht eine bessere Technologie, sondern er ist auch eine wesentlich billigere Technologie. Es fällt schon schwer hinzunehmen, dass eine Technologie, die geeignet ist, die gesamte heutige Verkehrstechnik zu revolutionieren, insbesondere einen Beitrag zur Lösung der riesigen Probleme im Flugbereich und insbesondere bei Nachtflügen zu leisten, die einfach unter den Teppich gekehrt werden - hier zeigt diese Technologie eine wirklich weltweit einsetzbare Alternative auf -, von Ihnen aufgrund betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte geopfert werden soll. Ich kann die Welt nicht mehr verstehen, wenn ich das höre. ({4}) Ich verstehe sogar die Argumentation der Grünen, dass wir uns nicht permanent immer schneller, weiter, höher und besser fortbewegen können. ({5}) Wir haben aber nun den seltenen Fall - dieses Ziel wurde von Anfang an so anvisiert -, dass uns eine Technologie zur Verfügung steht, die schnellere Fortbewegung ermöglicht, aber in Bezug auf fast alle Parameter ökologischer, sicherer und viel komfortabler und damit letztlich viel attraktiver als andere Technologien ist. Deshalb kann ich Sie nur noch einmal dringend auffordern, sich zu dieser Technologie zu bekennen und hier keinen großen Fehler zu machen. Abschließend, nachdem schon alle Argumente ausgetauscht worden sind, will ich Ihnen noch eines sagen: ({6}) Mich ärgert natürlich besonders, dass die Nichtrealisierung dieser Technologie für die neuen Bundesländer besonders schwierige Bedingungen schafft. Wir haben seinerzeit nicht nur auf den A3XX gesetzt, sondern auch ein wenig auf den Transrapid. Tausende von Arbeitsplätzen werden aufgrund dieser Entscheidung verloren gehen: im Bereich der Planung, im Bereich des Baus, vor allem aber im Bereich des Betriebs und der Instandsetzung. ({7}) All diese Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die Attraktivität einer ganzen Region wird gemindert. Schwerin ist kein Haltepunkt mehr. Im Übrigen hatten wir auch darauf gesetzt, dass der Transrapid als weltweite Neuheit Attraktivität entfaltet. Nicht zuletzt wird natürlich auch der ICE - der Ausbau der Trasse für ihn wird noch viel Geld kosten - an Mecklenburg-Vorpommern vorbeirollen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Krüger, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Paul Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieses Verhalten steht symbolisch für den Umgang dieser Bundesregierung mit den neuen Bundesländern. Ich kann Sie nur auffordern, dieses Projekt nun schnellstens mit Risikobereitschaft und Augenmaß auf die Schiene zu setzen. Die Realisierung einer Alternative würde mindestens einen Zeitraum von zehn Jahren für die Planung in Anspruch nehmen. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Lucyga, SPD-Fraktion.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner Frau Sothmann, Herr Börnsen und Herr Krüger! Das ist nicht die erste Debatte zu diesem Thema - das ist richtig -, es wird auch nicht die letzte Debatte zum Transrapid sein; denn wir halten hier keinen Nachruf, sondern es geht auch uns darum, künftig die Transrapid-Technik mit vertretbarem finanziellem Aufwand endlich serienreif zu machen. ({0}) Wenn wir heute zur Kenntnis nehmen müssen - das bedaure ich, da ich aus Mecklenburg-Vorpommern komme, natürlich sehr -, dass es für die strukturschwachen Länder Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vorerst keinen Anschluss an diese Hochtechnologie geben wird, dann müssen wir auch die Frage nach neuen Impulsen für den Norden auf die Tagesordnung setzen, damit insbesondere nicht das Land MecklenburgVorpommern zum Verlierer wird. Insofern gebe ich Ihnen natürlich Recht. Ich werde mich dennoch nicht auf das Schwarzer-Peter-Spiel einlassen, das die Opposition hier anfangen will. Ich möchte lediglich anmerken, dass Risikobereitschaft, um Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen, nicht allein Angelegenheit des Staates sein kann. Deshalb haben wir bei der Übernahme der Regierungsverantwortung klar gemacht: Wir halten am Transrapid fest. Denn er ist eine faszinierende Innovation. Wir beteiligen uns an der Realisierung dieses Projektes, und zwar entsprechend der Eckpunktevereinbarung zwischen Bund, DB AG und Industrie vom April 1997 - sie stammt also noch aus Ihrer Ära -, und wir behalten die vereinbarte Kosten- und Risikoverteilung bei, und das nicht zuletzt im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Sie hier ja ständig beschwören. An diese Zusagen haben wir uns gehalten. Wir haben aber auch klar gemacht, wo für uns Grenzen sind. Wenn die Umsetzung dieses Projektes so einfach gewesen wäre, wie Sie von der Opposition jetzt tun, ({1}) dann frage ich mich, warum Sie seinerzeit nicht so gehandelt haben, wie Sie heute darüber sprechen. ({2}) Denn Sie hatten doch Gelegenheit, dieses Projekt sicherzustellen. Es befindet sich immerhin seit 1992 im Bundesverkehrswegeplan. ({3}) - Herr Krüger, dann frage ich Sie, warum der frühere Bundesverkehrsminister Wissmann es bis 1998 nicht fertig gebracht hat, einen entscheidungsreifen Vertrag zu unterzeichnen. Mit dem Transrapidvorhaben wurden aber auch Weichen gestellt - und zwar durch Sie -, die nicht ohne weiteres um- oder abzustellen sind. Denn zugunsten des Transrapids sind im norddeutschen Raum und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern dringend notwendige Investitionen in die Schieneninfrastruktur zurückgestellt worden. Herr Krüger, daran haben Sie mitgewirkt und wir müssen diese Versäumnisse aufarbeiten. ({4}) - Herr Krüger, als Minister waren Sie ein Hasenherz. Heute haben Sie ein Löwenmaul. Lieber wäre mir gewesen, es wäre umgekehrt gewesen. ({5}) Unter den neuen Voraussetzungen muss zum Beispiel mit Blick auf die zunehmenden Skandinavienverkehre und die EU-Osterweiterung ein Ausbau der Schienenverbindung Warnemünde-Rostock-Berlin erfolgen, die in Ihrer Ära völlig aus der Optik geraten ist und bei der zurzeit die bestehenden Möglichkeiten als kürzeste Verbindung von Nord nach Süd nicht ausgeschöpft werden. Wenn bei einer Strecke von circa 240 Kilometern die Fahrzeit drei Stunden beträgt, dann hat die Bahn natürlich schlechte Karten. Die Bahn wurde in diesem Spiel von vornherein auf Platz zwei gesetzt. Darüber müssen wir nachdenken. Angesichts einer eventuellen ICE-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin muss auch über einen Halt in Mecklenburg-Vorpommern diskutiert werden. Denn eine Anbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn ist für Mecklenburg-Vorpommern unbedingt erforderlich. Zu den Erwartungen, die Sie sträflicherweise geweckt haben, gehören auch Arbeitsplatzerwartungen. Der frühere Verkehrsminister hat da einfach locker vom Hocker 18 000 Arbeitsplätze an die Wand gemalt. ({6}) Niemand bestreitet, dass in der Trassenregion, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg, sowohl temporär als auch in der Betriebsphase die Schaffung einiger hundert hochwertiger Arbeitsplätze möglich gewesen wäre. ({7}) Wenn wir jetzt nach Alternativen suchen, werden wir über komplementäre und kompensatorische Maßnahmen nachdenken müssen, und zwar dergestalt, dass die aktuelle Entscheidung hinsichtlich des Transrapids nicht als Schlussstrich gewertet wird, sondern als Beginn neuer Überlegungen, bei denen Mecklenburg-Vorpommern selbstverständlich nicht zum Verlierer werden darf. Das an Sie, Herr Krüger. Ich danke Ihnen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorhang zu für das Trauerspiel Transrapid! Das Stück ist lang und hat sich im Laufe der Zeit von einem Innovationsstück und Lustspiel zu einem Trauerspiel entwickelt. ({0}) Der Spielplan sieht folgendermaßen aus - er umfasst sehr viele Seiten -: 1922 wurde diese Technik erfunden, 1969 gab Verkehrsminister Leber von der SPD ({1}) den Auftrag zur Durchführung eines Transrapidprojektes; merken Sie sich das bitte einmal. 1979 wurde der Transrapid vorgestellt und 1983 in Betrieb genommen. 1992 kam es zur Aufnahme der Magnetschwebebahnverbindung Hamburg-Berlin in den Bundesverkehrswegeplan. 1998 erfolgte die Planfeststellung für die Strecke Hamburg-Berlin, jetzt, im Jahre 2000, die Beerdigung. Nachdem kritisiert worden ist, dass unser Kollege Dirk Fischer nicht anwesend ist, muss ich fragen: Wo ist denn eigentlich der Grabredner Klimmt? Er hat sich ja immer für den Transrapid ausgesprochen. Wenn er meint, dass er eine andere Strecke schneller realisieren kann, dann täuscht er sich. Machbarkeitsstudien können vielleicht schnell durchgeführt werden, aber die Planungszeiten bis zur Baureife sind lang. Wir haben ja heute von den Grünen gehört, dass sie sich von dieser Technik verabschieden. Mit dem Aus für den Transrapid ist der Abschied von der Zukunftsfähigkeit des Technologiestandortes Deutschland eingeläutet. Die Aussicht auf viele Arbeitsplätze ist zerstört. Viele bereits vorhandene Arbeitsplätze werden vernichtet werden. Ich habe gerade gehört, dass es sich in der ersten Phase um 100 Arbeitsplätze handelt. Es ist eine Schande für die Bundesregierung, dass eine neue Verkehrstechnik bei uns nicht mehr durchzusetzen ist. ({2}) Wo bleibt denn eigentlich die Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers, der zwar vollmundig getönt hat, der Transrapid werde gebaut, der aber jetzt auf Tauchstation gegangen ist? Für Panzerlieferungen hat Schröder eine Koalitionskrise riskiert. Für die Realisierung des Transrapid rührt er aber keinen Finger. ({3}) Das ist die widersprüchliche Politik von Rot-Grün, mit der Deutschland im weltweiten Wettbewerb um Hightecharbeitsplätze ins Abseits gestellt wird. Wenn beim Transrapid von mangelnder Wirtschaftlichkeit die Rede ist, dann muss ich sagen, dass dies ein an den Haaren herbeigezogenes Argument ist. Es geht nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um eine neue Technik, die in Deutschland angewendet werden soll. Auch manche ICE-Strecke rechnet sich nicht sofort. Es muss daher ein entsprechendes Angebot geschaffen werden. Die Behauptung, die ICE-Trasse HamburgBerlin könne mit 350 Millionen DM gebaut werden wie Mehdorn im Ausschuss sagte -, ist doch unsinnig und auch gelogen; denn man braucht wesentlich mehr Geld für den Bau der Strecke Hamburg-Berlin. Kollege Schmidt, da Sie von der Wirtschaftlichkeit und den Fahrgastzahlen geredet haben, muss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie haben einmal eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. In der Antwort der Bundesregierung steht, dass sich die Fahrgastzahlen für den Transrapid nach Angaben der DB aufgrund der bekannten ICE-Zahlen für die Strecke Hamburg-Berlin rechnen. Diese Tatsache muss man im Kopf haben. Aber Mehdorn will jetzt nichts mehr von dieser Strecke wissen. ({4}) Es ist auch klar, dass bei der Anwendung von neuen Technologien in aller Regel zunächst einmal Unwirtschaftlichkeit in Kauf genommen werden muss. Auch der Airbus hat viele Jahre rote Zahlen geschrieben, bevor er zum Plus-Geschäft wurde. Kollege Schmidt, Sie müssen die „FAZ“ schon richtig zitieren. Glauben Sie denn im Ernst das, was in diesem „FAZ“-Artikel steht, nämlich dass sich eine Strecke Berlin-Warschau-Moskau rechnet? ({5}) Ich kann nur darüber lachen, welche Zahlen in diesem Zusammenhang im Umlauf sind. Sie müssen die Artikel schon richtig zitieren, Herr Kollege Schmidt. Ein Punkt ist heute in der Aktuellen Stunde ganz deutlich geworden: Die Grünen würden am liebsten wieder mit der Pferdekutsche fahren. ({6}) - Ist in Ordnung, Sie benutzen die Schnecke. - Die Grünen haben sich heute von der neuen Technik verabschiedet. Die SPD ist eingeknickt und gibt den Grünen nach. ({7}) Im Grunde genommen ist das eine ganz große Schande für die Regierungskoalition. ({8}) Die technologische Leistungsfähigkeit und das Ansehen Deutschlands nehmen mit diesem Aus ganz großen Schaden. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Konrad Kunick von der SPD-Fraktion.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute ein Lehrstück in der Interpretation von Industriepolitik bekommen. Industriepolitisch sind Sie mit dem Transrapid auf eine Weise umgegangen, dass es nur so zum Weinen ist. Zwar schicken Sie im Nachhinein eine Betriebswirtin vor, aber vorher glaubte der Kollege Fischer, aus welcher Intention auch immer - heute hat er sich wohlweislich verdrückt -, den Transrapid ohne rechnerische Argumente puschen zu können. Die CDU/CSU-Fraktion kann mit ihren laufenden Transrapid-Debatten nicht davon ablenken, dass es ganz besonders ihr früherer Verkehrsminister ist, der die Verantwortung dafür trägt, dass das Projekt HamburgBerlin heute so gut wie tot ist. Sie haben die Grundsätze einer verantwortlichen Industriepolitik grob verletzt - ({0}) - schreien Sie nicht dazwischen, Herr Goldmann; Sie können sich hinterher melden -, indem Sie die kleine Emslandstrecke ohne die notwendige Erprobung im Tagesverkehr, ohne die notwendigen Kalkulationen und mit deutlich überhöhten Benutzerzahlen - Sie haben anfangs von 14 Millionen Benutzern gesprochen - in den internationalen Fernverkehr, in eine Fernstrecke transplantieren wollten. ({1}) Sie haben mit allen Mitteln versucht, wirtschaftliche Erkenntnisse dahin gehend zu beugen, dass es sich rechnen musste. ({2}) Dieser Leichtsinn fliegt nun am Ende auf. Das, was Sie betrieben haben, war industriepolitisches Abenteurertum. ({3}) Das beweist nichts besser als die Zurückhaltung der Industrie und der Banken, die Sache mit etwas mehr Wagniskapital selber in die Hand zu nehmen. Diese Strecke rechnete sich offenkundig nur, wenn Vater Staat von vorne bis hinten bezahlte. ({4}) - Herr Kollege Goldmann, in unserer Koalitionsvereinbarung ist dies deshalb enthalten, weil wir nicht bereit sind, die Sache so auszuschütten, als wäre hier nicht Erhebliches investiert worden, sondern weil die erste Frage lautet: Was ist mit der Strecke Hamburg-Berlin? Da stellt sich ja nun heraus, dass dies voll in den Sand gesetzt wurde, aber nicht durch uns, sondern durch Sie. Und da muss man dann die Frage der Technologie von der Frage der Strecken trennen. ({5}) - Ich habe das auch gründlich gelernt, Herr Kollege, und zwar nicht im Osten, sondern im Westen, wo man rechnen lernen musste, wenn irgendetwas werden sollte. Was Sie bisher vorgeführt haben, war eine technologiepolitische Inszenierung, aber keine Industriepolitik. Es wird zu prüfen sein - im Übrigen kann ich nur anraten, beim Bundesverkehrsministerium sorgfältig in die Akten zu schauen; das würde sich sicherlich lohnen -, ({6}) wie dieser Entscheidungsgang eigentlich vorbereitet worden ist. Denn Logik steckt in der Entscheidung, die kleine Emsland-Strecke auf die lange Strecke HamburgBerlin zu übersetzen, leider nicht. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Bundesverkehrsminister Klimmt ganz klar erklärt, die Bundesregierung wolle die „faszinierende Magnetbahntechnologie auf keinen Fall“ aufgeben. Ebenso begrüßen wir es, dass zwecks Demonstration unter Praxisbedingungen eines täglichen stundenweisen Verkehrs nun eine kürzere, sinnvolle Anwendung gesucht wird. Wenn Sie es heute gelesen haben, dann haben Sie bewusst unterdrückt, dass Bundesverkehrsminister Klimmt, in München beim CSU-Verkehrsminister zu Besuch, darüber geredet hat, ob nicht die Strecke zwischen München und dem Münchener Flughafen gegebenenfalls die richtige wäre. ({7}) Aber dass die CSU mit schnellen Abstaubertouren das, was die CDU vorher versaut hat, an Land ziehen möchte, passt Ihnen heute wohl nicht sonderlich in den Kram. ({8}) Was die CSU so alles wünscht, kann ich hier nur zur Kenntnis nehmen. ({9}) Jedenfalls berufe ich mich auf die zitierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Wenn Sie den Kommentar im Ganzen gelesen haben, dann wissen Sie, dass darin steht, eine Anbindung des Flughafens München sei wohl deshalb nicht sonderlich sinnvoll, weil man dort gerade die zweite S-Bahn eingeweiht habe. Es komme darauf an, eine Anwendung zu finden, bei der nicht schon parallele Verkehre bestehen. Das ist auch die Schwäche der Hamburger Strecke. Im Übrigen hat keiner ein Wort darüber verloren, warum man eigentlich die Tüchtigkeit der Hamburger Strecke dadurch reduzieren wollte, dass man zukünftig nur noch alle zwei Stunden InterregioZüge fahren lässt, um die Leute überhaupt erst auf den Transrapid zu prügeln. Aber all diese Schwächen können wir in aller Ruhe bei anderer Gelegenheit bereden. Es kommt darauf an - und wir Sozialdemokraten bleiben dabei -, eine vernünftige Anwendung dieser Technologie, wenn es sie gibt, zu finden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Kunick, Sie müssen zum Schluss kommen.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer die Emslandstrecke selber befahren hat, stellt fest, dass es dort ordentlich läuft. Es kommt dann darauf an, eine - höchstens - mittlere Strecke in Deutschland zu finden, die etliche Punkte sinnvoll miteinander verbindet, mit der man im weiteren Tagesverkehr prüfen und dann auch zeigen kann, ob es sich als exportfähig erweist. Daran führt kein Weg vorbei. Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU, vorgeführt haben, war industriepolitisch hoch schädlich für diese Technologie.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Ich fühle mich recht wohl, Frau Blank, auch deshalb, weil wir seit 1991 - intensiv seit 1993/1994 - gemeinsam über die Problematik des Transrapid sowohl hier als auch im Ausschuss und darüber hinaus auch in den Ländern diskutiert haben. Aber offensichtlich haben Sie, Frau Blank, und Ihre Kolleginnen und Kollegen, die damals in der Regierung waren, einige Dinge vergessen. Vergessen haben Sie auch - jedenfalls scheint es Ihnen nicht bekannt zu sein -, was der Minister mit der Industrie, und mit der Bahn AG letztlich verabredet hat: dass es - ganz klar - kein Aus für den Transrapid gibt. Nur auf der Strecke Hamburg-Berlin. Ich weiß, dass natürlich auch unserem Koalitionspartner diese Tatsachen bekannt sind, was hier verabredet ist. Und offensichtlich haben Sie, Herr Kollege Krüger, der Sie sich hier so sehr ereifern, auch vergessen, was Ihr ehemaliger Minister im Eckpunktepapier festgelegt hat. Ich darf Ihnen einmal daraus vorlesen: Sollte die Überprüfung der Betriebs- und Investitionskosten ergeben, dass die Werte deutlich vom Eckpunktepapier abweichen, ist über das Projekt neu zu entscheiden. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. ({1}) - Herr Krüger, ich habe im Namen der Regierung doch ganz klar gesagt: Die Entscheidung ging gegen die Strecke Hamburg-Berlin. Sie bedeutet aber nicht ein Aus für den Transrapid. Vielmehr halten wir an dieser Technologie fest. ({2}) Ich kann Ihnen nicht ersparen, Sie noch einmal darauf hinzuweisen, was Herr Wissmann 1994 in das Eckpunktepapier hineingeschrieben hat. ({3}) - Das ist nicht uninteressant, Frau Blank. Das ist der Grund, warum wir heute überhaupt diese Aktuelle Stunde haben. Minister Wissmann hat schon 1994 gesagt: Wir ziehen den Transrapid unbeirrt durch. Auf die Frage eines Interviewers des „Tagesspiegel“, wie die Strecke Hamburg-Berlin ertüchtigt werden solle, antwortete er: Wir modernisieren die Bahn für den Regional- und hochwertigen Güterverkehr. Nun bin ich zufrieden und glücklich, dass die Bundesregierung damals die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ festgelegt hat und dass die Angleichung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern ein erhebliches Stück vorangekommen ist. Aber schauen wir uns einmal das Verkehrsprojekt Nr. 2, Ausbau der Schienenstrecke Hamburg-Büchen-Berlin, 270 km, etwas näher an: Ich hoffe, die Parteien der früheren Bundesregierung stehen nach wie vor zu diesem Ziel. Die heutige Bundesregierung jedenfalls, auch der Koalitionspartner, steht zu dem Ziel der Verbesserung der Anbindung der neuen Bundesländer sowie der Länder Ostund Südosteuropas an die Nordseehäfen und der Schaffung einer leistungsfähigen Verbindung zwischen den beiden größten deutschen Städten. Wenn ich mir aber das Interview von Herrn Wissmann vor Augen führe „Wir modernisieren die Bahn für den Regional- und hochwertigen Güterverkehr“ -, dann kann ich mir nicht verkneifen, Ihnen vorzuhalten, dass das für mich keine leistungsfähige Verbindung ist. ({4}) Auch den zweiten Punkt wollen Sie heute nicht mehr wahrhaben. Wir handeln nicht wie Ihr damaliger Verkehrsminister auf der Grundlage von „Wunsch und Wolke“. Wir wollen heute nicht anfangen, über die 100 Milliarden DM oder über die Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplanes zu reden. ({5}) - Kollegin Blank, schon damals haben Ihnen das die Verkehrsexperten, Verkehrswissenschaftler, Vertreter der Bahn und die Oppositionsparteien - damals hatten Sie ja noch die Mehrheit - bei den Anhörungen in den Ausschüssen gesagt. Es ging schon immer um drei gravierende Punkte: das Finanzierungskonzept der In- dus-trie, die exportpolitischen Aussichten und die Ver- antwortbarkeit der finanziellen Risiken vor dem Steuer- zahler. Die Redner der Opposition haben mehrfach den Kanzler angesprochen. Sie hätten dabei aber - auch das Interview aus China - zu Ende zitieren müssen. Der Bundeskanzler hat - so wie auch Minister Klimmt - ge- sagt: „Wir wollen den Transrapid.“ Er hat aber hinzuge- fügt, dass er den Transrapid auf der Grundlage des Eck- punktepapiers will. Darin stehen nämlich die 6,1 Milli- arden DM für den Fahrweg. Renate Blank [CDU/CSU]: Was Sie jetzt sa- gen, ist Beerdigung erster Klasse!) Der neue Schatzmeister der Union, Herr Wissmann, der an sich mit Zahlen umgehen und rechnen können sollte, ({6}) hat sich bei dieser Strecke damals um 2 bis 3 Milliarden DM verrechnet. ({7}) Das muss man so deutlich sagen. ({8}) - Das sage ich Ihnen, Kollege Goldmann, noch ganz konkret. Ich darf Ihnen noch einmal zitieren, was die alte Bundesregierung gesagt hat: Sie hielt - so sagte es der damalige Verkehrsminister Wissmann - „die gewünschte Klarstellung bei Transrapid-Betriebskosten für überflüssig.“ Nun gibt es mit Herrn Mehdorn einen neuen Bahnchef. Wir sind nicht die DB AG; ich rede auch nicht für die DB AG. Für Herrn Mehdorn aber ist, so denke ich, die Klarstellung der Betriebskosten von sehr großer Bedeutung. ({9}) Ihre Zahlen über die so genannten Beförderungsfälle änderten sich laufend: 14,1 Millionen, 12 Millionen, 11 Millionen. Jetzt sind wir - nehmen wir einmal 2,2 Millionen Fahrgäste pro Jahr zwischen Hamburg und Berlin an - bei 8,8 Millionen. Das ist der Unterschied: Die Erlöserwartung für die Deutsche Bahn AG tritt nicht so ein, wie wir uns das gemeinsam vorgestellt haben. ({10}) - Der ICE? Die Kollegin ist jetzt leider nicht mehr anwesend und war auch damals bei der Diskussion zum Transrapid und zu den ICE-Strecken nicht anwesend. Sonst müsste sie wissen, dass gerade die Strecke Hamburg-Berlin im Rahmen des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“, wo wir 4,1 Milliarden DM mit einer zusätzlichen Milliarde, nicht aber über 11 Milliarden DM eingestellt haben, bis zum Jahre 2004 so ausgebaut werden kann, das wir zumindest eine Option für 200 Kilometer in der Stunde haben. Da Herr Goldmann danach gefragt hat, möchte ich Ihnen natürlich sagen, was die Bundesregierung vorhat. Minister Klimmt hat alle Ministerpräsidenten für den 25. Februar eingeladen, um sich mit ihnen zu besprechen und eine entsprechende Anwendungsstrecke in den kommenden zwei Jahren zu suchen. Wir haben die Suche auf kürzere Strecken - der Beschleunigungseffekt des Transrapid bzw. der Magnetschwebetechnik ist ja auch dort gewaltig - und auf entsprechende Referenzstrecken im Regionalverkehr ausgeweitet. Sie wissen, was wir wollen. Die Bundesregierung hat schon die erste konkrete Vereinbarung mit dem Bundeskanzler und dem Finanzminister getroffen, nämlich rund 1 Milliarde DM für die Ertüchtigung der Strecke Hamburg-Berlin bereitzustellen. Sie wissen - das ist insbesondere an die Adresse des Kollegen Krüger gerichtet -, dass wir zusätzlich mit 1 Milliarde DM circa 12 000 bis 15 000 Arbeitsplätze halten können. Natürlich weiß ich, dass wir für die Strecke Hamburg-Berlin während der Betriebsphase keine zusätzlichen Arbeitsplatzeffekte haben werden. Nun sind die Ministerpräsidenten, auch Herr Ringstorff und Herr Stolpe, der sich hier geäußert hat, aufgerufen, mit uns gemeinsam mit der DB AG eine entsprechende Referenzstrecke zu suchen. Aber eines muss man Ihnen ganz deutlich sagen: Die Erfüllung Ihrer Forderung nach einer Privilegierung der Transrapid-Investitionen zulasten der Rad-SchieneTechnik, gerade im Rahmen der transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetze, kann es jetzt unter einer verantwortungsvollen Bundesregierung natürlich nicht geben. Da unterscheiden wir uns grundsätzlich von Ihnen. ({11}) - Sie fragen, was mit der Versuchsanlage im Emsland geschieht. Sie bleibt bis auf weiteres in Betrieb. Auch hier hat Minister Klimmt sehr schnell - Sie sagen, das seien nur leere Worte, aber leere Worte gab es bis zum Regierungswechsel - mit dem Finanzminister gesprochen. ({12}) - Das macht überhaupt nichts, Frau Blank. Wir haben Experten, die Ihnen hier Rede und Antwort stehen können. Wir haben jetzt ganz konkret 20 Millionen DM Jahreskosten. Davon übernimmt der Bund die Hälfte, jeweils 5 Millionen DM tragen die beteiligten Industrieunternehmen und die DB AG. ({13}) Damit ist auch die Durchführung der EXPO sichergestellt. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Scheffler, da wir uns in einer Aktuellen Stunde befinden, muss ich Sie an die Redezeit erinnern. Sie ist schon weit überschritten.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Ganz zum Schluss noch einmal, damit es deutlich für Sie wird: Das Aus für den Transrapid auf der Strecke Hamburg-Berlin bedeutet kein Aus für den Transrapid schlechthin. ({0}) Wir wollen gemeinsam mit Bundesminister Klimmt und dem Bundeskanzler notwendige Schritte veranlassen, um nach Alternativstrecken zu suchen und diese Alternativstrecken in einem Zeitraum von zwei Jahren hier vorzustellen. Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die temperamentvolle Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. Februar 2000, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis zum Schluss durchgehalten haben, ausdrücklich eine gute Heimreise, ob nun auf der Schiene oder auf anderen Wegen. Die Sitzung ist geschlossen.